Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570-812): Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der "Evangeliorum Libri Quattuor" 3515113401, 9783515113403

Im vierten Jahrhundert, in dem das Christentum noch seinen Platz suchte, in dem man es noch wegen der mangelhaften Quali

227 86 3MB

German Pages 413 [418] Year 2017

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570-812): Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der "Evangeliorum Libri Quattuor"
 3515113401, 9783515113403

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
BESTANDSAUFNAHME
DIE BIBLISCHE VORLAGE UND DIE KONSTITUTION DES IUVENCUSTEXTES
INTERTEXTUALITÄT
DIE ARBEITSWEISE DES IUVENCUS UND IHRE INTERPRETATION
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE UND DIE ENTWICKLUNG DER GATTUNG
PRÄSENTATION DES KOMMENTARS
SIGLA
SELBST EINGESEHENE CODICES
NICHT SELBST EINGESEHENE CODICES
DIE VERLEUGNUNG DES PETRUS (IV 570–585)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
EXKURS: DIE DARSTELLUNG DES PETRUS BEI IUVENCUS
PETRUS OHNE SIGNIFIKANTE CHARAKTERISTIKA
PETRUS MIT SIGNIFIKANTEN CHARAKTERISTIKA
FAZIT
DER PILATUSPROZESS (IV 586–625)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DER SELBSTMORD DES JUDAS (IV 626–641)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
VORBEMERKUNGEN ZUR EXEGESE
DAS JUDASBILD
THEOLOGISCHE BERÜHUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DIE VERSPOTTUNG JESU DURCH DIE SOLDATEN (IV 642–652)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR (IV 642–652)
SOLDATEN BEI IUVENCUS
THEOLOGISCHE BERÜHUNGSPUNKTE
AUSBLICK
KREUZWEG UND KREUZIGUNG (IV 653–686)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
IRONIE
AUSBLICK
DER TOD JESU (IV 687–713)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
IRONIE
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
TRIUMPHATOR ODER SCHMERZENSMANN?
AUSBLICK
EXKURS: KÖRPER UND SEELE BEI IUVENCUS
CORPUS / MEMBRA ALS STILMITTEL BZW. BEDEUTUNGSARME HINZUFÜGUNG
DICHOTOMIE ZWISCHEN KÖRPER UND SEELE
GIBT ES EINE DEZIDIERTE LEIBFEINDLICHKEIT BEI IUVENCUS?
ZUR LEIBLICHEN AUFERSTEHUNG
DER KÖRPER JESU
DIE GRABLEGUNG (IV 714–726)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
DIE MATRES ALS IMPLIZITE LESER UND VORBILDER FÜR DIE REZIPIENTEN
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DIE BEWACHUNG DES GRABES (IV 727–742)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
IRONIE
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DIE VERKÜNDUNG DER AUFERSTEHUNG (IV 743–766)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DAS ERSTE GESPRÄCH MIT DEM AUFERSTANDENEN JESUS (IV 767–775)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
EXKURS: DIE AUFERSTEHUNG – CHRISTI KRIEG UND SIEG
DER BETRUG DER HOHENPRIESTER (IV 776–783)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DER MISSIONSBEFEHL (IV 784–801)
EINPASSUNG DER SZENE
KOMMENTAR
THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE
AUSBLICK
DER EPILOG (IV 802–812)
ALLGEMEINES
KOMMENTAR (IV 802–812)
BEMERKUNGEN ZUR TECHNIK DES DICHTERS
DER UMGANG MIT WÖRTLICHER REDE
ÜBERLEITUNGEN ZWISCHEN DEN EINZELNEN SZENEN
ANTIJUDAISMUS BEI IUVENCUS
UMGANG MIT DEM AT UND WERTUNG DES JÜDISCHEN GESETZES
DIE WERTUNG DER HANDLUNGEN DER JUDEN
FAZIT
DIE THEOLOGISCHEN ANLIEGEN DES IUVENCUS
ZUR GATTUNGSFRAGE
EINLEITUNG
ERSTE MODERNE GATTUNGSGESCHICHTEN: PARAPHRASE UND ERBAULICHKEIT
SCHLUSS
DIE ADRESSATENFRAGE – VERSUCH EINER ANTWORT AUS DEM TEXT
LESETEXT
BIBLIOGRAPHIE
PRIMÄRQUELLEN
SEKUNDÄRLITERATUR
REGISTER

Citation preview

Michael Müller

Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812) Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor Klassische Philologie Franz Steiner Verlag

Palingenesia 105

Michael Müller Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812)

PALINGENESIA Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von Christoph Schubert Band 105

Michael Müller

Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812) Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor

Franz Steiner Verlag

Coverabbildung: Phönix in einem Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre. Fondation Eugène Piot, Monuments et Mémoires, publ. par l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 36, 1938, 100. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11340-3 (Print) ISBN 978-3-515-11341-0 (E-Book)

VORWORT Bei dieser Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Version der Arbeit, die im Sommersemester 2013 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen wurde. Alle Fehler, die sich in der veröffentlichen Form finden, sind selbstverständlich nur mir anzulasten. „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ (Lk 24,32)

In einer Welt, in der das Christentum noch seinen Platz suchte, in der man es noch wegen der mangelhaften Qualität seiner grundlegendsten Schrift, des Evangeliums, angriff, brannte Gaius Vettius Aquilinus Iuvencus das Herz. Getragen von Bewunderung für sein großes Vorbild Vergil bemühte er sich, auch das Evangelium in eine Form zu gießen, die dem literarischen Geschmack seiner Zeit angemessen sein sollte. So wurde er einer der Ersten, der die ästhetische Dimension des Glaubens nicht ausblendete, sondern bewusst literarischen Genuss mit seinem innersten Bedürfnis, das Evangelium zu lesen und zu verbreiten, verband, statt sich auf den sermo piscatorius zurückzuziehen. Die von ihm begründete einflussreiche Gattung, die Bibelepik, sollte mehr als ein Jahrtausend überdauern. Viele Entwicklungen dieser Tage legen nahe, dass auch unsere Zeit einer solchen positiven Verbindung von Spiritualität und Ästhetik erneut bedarf. Bei der Beschäftigung mit dem Evangelium geht es nämlich um nichts Geringeres als das ewige Leben. So lässt Iuvencus nämlich Christus seine Jünger zuletzt anweisen: „ablutisque dehinc nostra insinuate docentes praecepta, ut vitam possint agitare perennem.“ (Iuvenc. IV 798f) An dieser Stelle gehört es sich, denen zu danken, die an dieser Arbeit entscheidenden Anteil hatten. Zuvörderst zu nennen ist mein Doktorvater Prof. Dr. Jürgen Hammerstaedt, dessen kritische, zielführende und philologisch genaue Anmerkungen die Arbeit häufig in die richtige Richtung brachten. Ferner gilt mein Dank meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Georg Schöllgen, dessen Kenntnisreichtum im Bereich des frühen Christentums dabei half, die Arbeit über das bloß Philologische hinauszuführen. Während meiner Zeit im Corpus Christi College der unvergleichlichen University of Oxford gewann diese Arbeit durch den Blick von Prof. Dr. Michael Winterbottom und Prof. Dr. Tobias Reinhardt erneut an Perspektive und Genauigkeit. Besonders für Hilfe im Bereich der Gattungstheorie bin ich, was die Klassische Philologie anbelangt, Prof. Dr. Stephen Harrisson, was die Gattung „Evangelium“ anbelangt, Prof. Dr. Christopher Rowland dankbar. Auch Prof. Dr. Michael Roberts, dessen Dissertation sich ebenfalls mit der jungen Gattung befasste, verdient für seine Ratschläge Dank. Prof. Dr. Roger Green, dessen grundlegende Einführung in die Gattung „Bibelepik“ auch für diese Arbeit eine hervorragende Basis bildete, hat gezeigt, wie

6

Vorwort

junge Wissenschaftler in einer internationalen Forschungsgemeinschaft, gerade in einem oft vernachlässigten Gebiet der Klassischen Philologie, von etablierten Gelehrten profitieren können, wenn diese sich in so bemerkenswertem Maße als hilfsbereit erweisen wie er. Neben der Hilfe bei der Erstellung des Registers und vielen formalen Hinweisen bin ich Herrn Dr. Dr. Andreas Weckwerth auch für ein freundschaftlich offenes Ohr dankbar. Eine akademisch und persönlich bereichernde Zeit hatte ich als studentische Hilfskraft und Assistent von Prof. Dr. Wolfram Ax, dem ich für seine Zugänglichkeit, sein Vertrauen und seine Förderung herzlich danke. Ohne die intellektuelle und finanzielle Unterstützung der a.r.t.e.s – Forschungsschule der Universität zu Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Speer und der Klasse I unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Wittekind und Prof. Dr. René Nünlist wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Jedem Wissenschaftler, besonders jedem Doktoranden, ist zu wünschen, in einer solchen gesunden Forschungsgemeinschaft arbeiten zu können, in der er oder sie sich aufgehoben und unterstützt fühlt. Es ist außerordentlich heilsam zu erfahren, dass die eigenen alltäglichen Probleme auch andere betreffen, und gemeinsam nach einem Umgang mit diesen Problemen zu suchen. In dieser Reihe bewusst zuletzt sei Prof. Dr. Christoph Schubert genannt, dessen beispielhafte Geduld sowohl bei der eigentlichen Arbeit als auch im Zuge der Veröffentlichung wohl ihresgleichen sucht. Seiner Sorgfalt und menschlicher Zugänglichkeit schuldet diese Arbeit nicht weniger als ihr Erscheinen. Für ihre Geduld im Umgang mit mir in vielen angestrengten Phasen danke ich meinen Freunden, Kollegen, Mitreferendarinnen und Bundesbrüdern in Andernach, Köln, Oxford und anderswo; insbesondere Christina Zimmermann. Nichts ist, besonders, wenn die Arbeit nicht recht vorangehen will, wichtiger als gute Freunde. Als Akademiker der ersten Generation (modern also als „Arbeiterkind“) bin ich besonders meinen Großeltern Martha und Ernst Kauth und meinen Eltern Gerlinde und Walter Müller dankbar. Weder fehlte es mir jemals an finanzieller Unterstützung noch an Ermutigung, das Projekt „Dissertation“ zum Ende zu führen. Wenn ich es daran mangeln ließ, sie zu ehren (Dtn 5,16), bitte ich um Entschuldigung und hoffe, dennoch zu ihrem Stolz beizutragen (Spr 23,24). Gewidmet ist die Arbeit dem Andenken an meine Großmutter Sofia Müller und meinen Lehrer Adolf Müller, ohne die mir sowohl die lateinische Sprache als auch die Tiefe des Christentums verborgen geblieben wären. Mainz, im April 2016

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT .............................................................................................................5 INHALTSVERZEICHNIS .......................................................................................7 EINLEITUNG ....................................................................................................... 13 Bestandsaufnahme ............................................................................................ 13 Die biblische Vorlage und die Konstitution des Iuvencustextes.......................... 14 Intertextualität ................................................................................................... 16 Die Arbeitsweise des Iuvencus und ihre Interpretation ....................................... 16 Theologische Berührungspunkte und die Entwicklung der Gattung .................. 17 Präsentation des Kommentars............................................................................ 19 SIGLA ................................................................................................................... 20 Selbst eingesehene Codices ............................................................................... 20 Nicht selbst eingesehene Codices ...................................................................... 20 DIE VERLEUGNUNG DES PETRUS (IV 570–585)............................................. 21 Einpassung der Szene........................................................................................ 21 Kommentar ....................................................................................................... 21 Die erste Verleugnung durch Petrus (IV 570–573) .................................... 21 Die zweite Verleugnung durch Petrus (IV 574–576) ................................. 25 Die dritte Verleugnung durch Petrus (IV 577–585) ................................... 28 Theologische Berührungspunkte ....................................................................... 36 Schrittweiser Auszug des Petrus ............................................................... 36 Buße und Reue ......................................................................................... 37 Ausblick ........................................................................................................... 38 EXKURS: DIE DARSTELLUNG DES PETRUS BEI IUVENCUS ....................... 39 Petrus ohne signifikante Charakteristika ............................................................ 39 Petrus mit signifikanten Charakteristika ............................................................ 41 Die Berufung des Petrus (I 421f.428f)....................................................... 41 Der Wasserwandel (III 107–123) .............................................................. 42 Der Primat Petri (III 269–287) .................................................................. 46 Ankündigung des Leidens und Einwand Petri (III 296–302) ...................... 50 Die Frage nach dem Lohn der Nachfolge (III 534–540a) ........................... 52 Die Ankündigung der Verleugnung (IV 467–474) ..................................... 53 Fazit ................................................................................................................. 54 Befund und Verhältnis zur Vorlage ........................................................... 54

8

Einleitung

Der Zweck der Darstellung des Petrus – ein exegetischer Erklärungsversuch ......................................................................... 56 Petrus als epischer Charakter .................................................................... 58 Schluss ..................................................................................................... 60 DER PILATUSPROZESS (IV 586–625)................................................................ 62 Einpassung der Szene........................................................................................ 62 Kommentar ....................................................................................................... 62 Tagesanbruch und Vorführung Jesu (IV 586–589) .................................... 62 Die Frage nach dem Königtum Jesu (IV 590–593) .................................... 65 Anklage gegen Jesus und dessen Schweigen (IV 594–598) ....................... 67 Einführung der Pessachamnestie und Intervention der Frau des Pilatus (IV 599–605) ............................................................................................ 71 Freilassungsangebot des Pilatus und Reaktion des Volkes (IV 606–617) ... 75 Händewaschung und Urteil (IV 618–625) ................................................. 82 Theologische Berührungspunkte ....................................................................... 86 Das Schweigen Jesu .................................................................................. 86 Das Pilatusbild.......................................................................................... 87 Händewaschung........................................................................................ 90 Der Blutruf ............................................................................................... 91 Ausblick ........................................................................................................... 92 Sedulius .................................................................................................... 92 Arator ..................................................................................................... 94 DER SELBSTMORD DES JUDAS (IV 626–641) ................................................. 96 Einpassung der Szene........................................................................................ 96 Kommentar ....................................................................................................... 97 Das Ende des Judas (IV 626–631) ............................................................. 97 Der Kauf des Blutackers (IV 632–636) ................................................... 103 Der Prophetenspruch (IV 637–641)......................................................... 106 Vorbemerkungen zur Exegese ......................................................................... 110 Das Judasbild .................................................................................................. 111 Allgemeines ........................................................................................... 111 Die Abmachung zwischen Judas und den Hohenpriestern (IV 422–427).. 112 Beim letzten Abendmahl (IV 434–445) ................................................... 113 Theologische Berühungspunkte....................................................................... 117 Judas und der Satan ................................................................................ 118 Geldgier als typische Eigenschaft des Judas ............................................ 119 Die Schuld der Hohenpriester ................................................................. 121 Ausblick ......................................................................................................... 122 Sedulius .................................................................................................. 122 Arator ................................................................................................... 125 Dracontius .............................................................................................. 126

Einleitung

DIE VERSPOTTUNG JESU DURCH DIE SOLDATEN (IV 642–652) ............... 129 Einpassung der Szene...................................................................................... 129 Kommentar (IV 642–652) ............................................................................... 130 Soldaten bei Iuvencus ..................................................................................... 136 Theologische Berühungspunkte....................................................................... 137 Jesus als König ....................................................................................... 137 Die Verantwortung der Juden.................................................................. 138 Ausblick ......................................................................................................... 139 KREUZWEG UND KREUZIGUNG (IV 653–686).............................................. 140 Einpassung der Szene...................................................................................... 140 Kommentar ..................................................................................................... 140 Simon von Cyrene (IV 653–656) ............................................................ 140 Jesus wird mit Galle getränkt (IV 657–661) ............................................ 143 Verteilung der Kleider (IV 662–664) ...................................................... 147 Befestigung des Schildes (IV 665f) ......................................................... 151 Kreuzigung der beiden Verbrecher (IV 667–668a) .................................. 153 Die Volksmenge verspottet Jesus am Kreuz (IV 668b–673) .................... 154 Auch die Oberen und die Pharisäer verspotten Jesus (IV 674–686).......... 158 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 165 Simon von Cyrene .................................................................................. 165 Der ordo saecli und die Vorherbestimmung des Heilswerks .................... 166 Die Ablehnung des Tranks ...................................................................... 166 Der „Heilige Rock“ als Symbol .............................................................. 166 Die Anbringung des titulus ..................................................................... 167 Die Spottreden und das Kopfschütteln der Vorübergehenden .................. 168 Ironie .............................................................................................................. 169 Terminologische Vorbemerkungen ......................................................... 169 Ironie im Matthäusevangelium ................................................................ 170 Die Exegese der Alten Kirche ................................................................. 171 Ironie bei Iuvencus ................................................................................. 172 Ausblick ......................................................................................................... 175 DER TOD JESU (IV 687–713) ............................................................................ 177 Einpassung der Szene...................................................................................... 177 Kommentar ..................................................................................................... 177 Die Sonnenfinsternis (IV 687–690) ......................................................... 177 Der Ruf nach Gott (IV 692–694a) ........................................................... 181 Die Tränkung mit Essig (IV 694b–696) .................................................. 184 Erneuter Spott (IV 697–700) ................................................................... 185 Jesus gibt den Geist auf (IV 701f) ........................................................... 188 Der Tempelvorhang zerreißt und die Erde bebt (IV 703–706) ................. 190 Die Auferstehung einiger Toter (IV 707–710) ......................................... 192

9

10

Einleitung

Das Bekenntnis der Soldaten (IV 711–713) ............................................. 198 Ironie .............................................................................................................. 200 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 201 Abmilderung der Gottverlassenheit ......................................................... 201 Die (freiwillige) „Aufgabe“ des Geistes .................................................. 201 Sympathie der Natur ............................................................................... 202 Das Bekenntnis der Soldaten................................................................... 203 Triumphator oder Schmerzensmann? .............................................................. 204 Ausblick ......................................................................................................... 205 EXKURS: KÖRPER UND SEELE BEI IUVENCUS ........................................... 208 corpus / membra als Stilmittel bzw. bedeutungsarme Hinzufügung.................. 208 Dichotomie zwischen Körper und Seele .......................................................... 209 Gibt es eine dezidierte Leibfeindlichkeit bei Iuvencus?.................................... 214 Zur leiblichen Auferstehung ............................................................................ 215 Der Körper Jesu .............................................................................................. 216 DIE GRABLEGUNG (IV 714–726)..................................................................... 218 Einpassung der Szene...................................................................................... 218 Kommentar ..................................................................................................... 218 Einleitende Rahmung (IV 714–716) ........................................................ 218 Die Grablegung (IV 716–725) ................................................................ 221 Abschließende Rahmung (IV 726) .......................................................... 226 Die matres als implizite Leser und Vorbilder für die Rezipienten .................... 226 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 227 Der Dienst der Frauen ............................................................................. 227 Joseph von Arimathäa ............................................................................. 228 Ausblick ......................................................................................................... 228 DIE BEWACHUNG DES GRABES (IV 727–742) .............................................. 230 Einpassung der Szene...................................................................................... 230 Kommentar ..................................................................................................... 230 Sonnenaufgang und Einleitung (IV 727–729).......................................... 230 Die Rede der Hohenpriester vor Pilatus (IV 730–738) ............................. 232 Die Reaktion des Pilatus (IV 739f) .......................................................... 238 Ausführung (IV 741f) ............................................................................. 239 Ironie .............................................................................................................. 240 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 242 Ausblick ......................................................................................................... 242 DIE VERKÜNDUNG DER AUFERSTEHUNG (IV 743–766) ............................ 244 Einpassung der Szene...................................................................................... 244 Kommentar ..................................................................................................... 244

Einleitung

Sonnenaufgang, Gang der matres zum Grab und Erscheinung des Engels (IV 743–747)......................................................................... 244 Beschreibung des Engels (IV 748–751)................................................... 249 Die Rede des Engels (IV 752–762) ......................................................... 252 Erste Reaktion der matres und Gang zu den Jüngern (IV 763–766) ......... 260 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 263 Ausblick ......................................................................................................... 263 DAS ERSTE GESPRÄCH MIT DEM AUFERSTANDENEN JESUS (IV 767–775) .................................................................................................. 265 Einpassung der Szene...................................................................................... 265 Kommentar ..................................................................................................... 265 Die Begegnung der matres mit Jesus (IV 767–770) ................................. 265 Die Rede Jesu (IV 771–775) ................................................................... 268 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 272 Jesus als Sieger über den Tod.................................................................. 272 Die Treue der Frauen als Grundlage für ihre Wertschätzung .................... 272 Ausblick ......................................................................................................... 273 EXKURS: DIE AUFERSTEHUNG – CHRISTI KRIEG UND SIEG ................... 274 DER BETRUG DER HOHENPRIESTER (IV 776–783) ...................................... 277 Einpassung der Szene...................................................................................... 277 Kommentar ..................................................................................................... 277 Die Soldaten verlassen das Grab (IV 776–778) ....................................... 277 Der Betrug der Hohenpriester (IV 778–783) ........................................... 280 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 285 Ausblick ......................................................................................................... 286 DER MISSIONSBEFEHL (IV 784–801) ............................................................. 288 Einpassung der Szene...................................................................................... 288 Kommentar ..................................................................................................... 289 Jesus erscheint seinen Jüngern in Galiläa (IV 784–789) .......................... 289 Der Missionsbefehl (IV 790–801) ........................................................... 292 Theologische Berührungspunkte ..................................................................... 301 Trinität und Taufverständnis ................................................................... 301 Gibt es bei Iuvencus ein besonderes Augenmerk auf geweihte Personen? ............................................................................................... 303 Begründung der Mission an alle Völker .................................................. 304 Zur Zweckbestimmung des Evangeliums ................................................ 305 Ausblick ......................................................................................................... 307 DER EPILOG (IV 802–812) ................................................................................ 309

11

12

Einleitung

Allgemeines .................................................................................................... 309 Kommentar (IV 802–812) ............................................................................... 309 BEMERKUNGEN ZUR TECHNIK DES DICHTERS......................................... 319 Der Umgang mit wörtlicher Rede .................................................................... 319 Überleitungen zwischen den einzelnen Szenen ................................................ 320 ANTIJUDAISMUS BEI IUVENCUS .................................................................. 322 Umgang mit dem aT und Wertung des jüdischen Gesetzes .............................. 322 Die Wertung der Handlungen der Juden .......................................................... 326 scelus / sceleratus ................................................................................... 326 Grausamkeit ........................................................................................... 330 Exkulpierung der Römer ......................................................................... 331 furor Iudaicus ......................................................................................... 332 Exkurs: Differenzierungen zwischen einzelnen Gruppen ......................... 334 Fazit ............................................................................................................... 339 DIE THEOLOGISCHEN ANLIEGEN DES IUVENCUS .................................... 341 ZUR GATTUNGSFRAGE .................................................................................. 346 Einleitung ....................................................................................................... 346 Erste moderne Gattungsgeschichten: Paraphrase und Erbaulichkeit ................. 348 Die Bibelepik als paraphrastische Gattung (Roberts) ............................... 348 Die Bibelepik als erbauliche Gattung (Herzog, Deerberg) ....................... 350 Polyvalenz der Bibelepik (Green) ........................................................... 361 Verortung und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor ......................... 363 Die soziopolitische Situation ................................................................... 365 Die Entwicklung der Gattung zum Bibelepos (Kirsch, Harrison) ............. 370 Schluss ........................................................................................................... 373 DIE ADRESSATENFRAGE – VERSUCH EINER ANTWORT AUS DEM TEXT .................................................................................................... 374 LESETEXT UND ÜBERSETZUNG ................................................................... 380 BIBLIOGRAPHIE ............................................................................................... 394 Primärquellen ................................................................................................. 394 Sekundärliteratur............................................................................................. 396 REGISTER .......................................................................................................... 403

EINLEITUNG BESTANDSAUFNAHME Wenn auch in den letzten zwanzig bis vierzig Jahren wesentliche Arbeit an den Evangeliorum Libri Quattuor geleistet wurde, bleiben noch einige Desiderate offen. Die geleisteten und ausstehenden Arbeiten lassen sich grob in drei Gruppen unterteilen: philologisch, gattungstheoretisch und theologisch. Zunächst zum im Kern Philologischen. Die maßgebliche Textausgabe von Huemer (CSEL 24, 1891), die Marolds Teubneriana (1886) ablöste, ist an einigen Stellen von Einzelnen korrigiert worden,1 jedoch ist m.W. keine neue Edition in Arbeit. Wenn auch diese Edition zunehmend kritisiert wird, 2 scheint mir noch problematischer, dass bislang eine moderne Gesamtkommentierung der Evangeliorum Libri Quattuor aussteht. Arevalos Edition und Kommentar (PL 19, 1794) ist ein nützliches, jedoch ebenfalls stark veraltetes Werk. Ähnliches gilt für Knappitschs Übertragung in deutsche Hexameter mit kleinem lateinischem Kommentar (Graz 1912). Eine für ein breiteres Publikum angelegte Übersetzung erschien jüngst auf Italienisch;3 eine Übersetzung in andere moderne Sprachen, sei es Deutsch, Englisch oder Französisch, fehlt bis heute. In den 1940er Jahren erschienen zwei lateinischsprachige Kommentare zum ersten und zweiten Buch (Kievits und de Wit), die von Herzog sehr (vielleicht etwas zu) kritisch bewertet wurden.4 Ein vornehmlich philologischer Kommentar von Bauer zum dritten Buch, der 1998 in Wien als Dissertation angefertigt wurde, ist bis heute nicht publiziert. Wesentliche Werke sind die Teilkommentare von Fichtner, Flieger und Heinsdorff. Diese vereinen den Anspruch, erstens eine sehr detaillierte philologische Kommentierung einzelner Abschnitte (Taufe und Versuchung, Festnahme und Kaiaphasprozess, Johannes 3 und 4) zu liefern, zweitens aber auch die theologischen und literartechnischen Mittel und Ziele des Bibeldichters zu untersuchen, wobei bei Heinsdorff auch die Vorlage umfassend und materialreich untersucht wird. Dieses Feld war von Widmanns Dissertation 1905 eröffnet worden. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts ist auch zu Teilstücken der Evangeliorum Libri Quattuor immer wieder gearbeitet,5 eine umfassendere Kommentierung meines Wissens aber nicht angestrebt worden. Die vorliegende 1 2 3 4 5

Hansson und Green (2010). Kritisch zu Huemers Edition als erster Petschenig (1891), jüngst Green (2006) xviii: „This study necessarily uses the texts of CSEL, which are often generous with supporting information, but flawed in various ways.“ Siehe auch ders. (2010) 1. Santorelli (2011). Vgl. Herzog (1975) 53: „Die Kommentierung ist von [...], H.H. Kievits und J. de Wit kaum über den Stand Arevalos hinausgeführt worden.“ Z.B. durch Green (2007) und Ratkowitsch.

14

Einleitung

Arbeit befasst sich daher mit einem Teilstück, das sich unmittelbar an Fliegers Arbeit anschließt. Passion, Tod und Auferstehung als Kern der christlichen Botschaft sind sowohl aus philologischer als auch aus theologischer Hinsicht verheißungsvoll. Die Gattung „Bibelepik“ bemüht sich erstmals 1975 Herzog als solche zu fassen, wobei er zugleich die theologische Grundlegung in die Forschung einführt. Einen anderen Blickwinkel nahm 1985 der stark an der Technik der Paraphrase orientierte Roberts ein. Eine hilfreiche Einführung bot im Jahr 2006 Green, der die vor ihm gewonnenen Erkenntnisse synthetisiert. Greens Einführung in die historische Situation und Arbeitstechnik des Iuvencus liegt auch dieser Arbeit zu Grunde; die eigentliche Gattungsfrage wird unten S. 346–373 erneut genauer diskutiert. Eine eingehendere theologische Untersuchung fordert McClure: „the debts of even the principial paraphrases to contemporary biblical exegesis have never been studied in any details. Various minor attempts have been made by editors and commentators to indicate borrowings, but it must be stated firmly that the problems will never be solved by adducing a few parallel passages. What is needed is the investigation of a given work in relation to the entire contemporary tradition of Latin biblical exegesis of the text in question.“6

Auf diesen Ruf beabsichtigt dieser Kommentar nur teilweise zu antworten: der Primat gebührt einer soliden philologischen Grundierung, wobei theologische Nuancierungen detaillierter untersucht werden, als dies bisher der Fall war. Siehe dazu unten S. 17 sowie 341–345. Die vorliegende Arbeit ist ähnlich angelegt wie die Werke Fliegers, Fichtners und Heinsdorffs, während ihr individueller Schwerpunkt – gestützt auf eine umfassende philologische Untersuchung – auf den theologischen Anliegen des Dichters liegen soll, wobei die Gattungsfrage nicht vernachlässigt wird. Sie hört Thraedes caveat: „[...] Verallgemeinerungen über Juvencus – seine Absichten, seine Leser – gibt es schon viel zu viele. Ihre Zahl steht in auffallendem Mißverhältnis zum Umfang sicherer Detailkenntnis über die episch-theologischen Verfahren des Dichters.“7 DIE BIBLISCHE VORLAGE UND DIE KONSTITUTION DES IUVENCUSTEXTES Seit Marold, spätestens seit Nestler, ist unstrittig, dass Iuvencus eine der gewöhnlich unter dem Begriff Vetus Latina zusammengefassten lateinischen Bibelübersetzungen vor der Vulgata als seine Vorlage benutzt hat.8 Um welche konkrete Tradition es sich dabei handelt, ist nicht sicher geklärt. Orbán versuchte 1995 in einem Aufsatz zu zeigen, dass Iuvencus ein „Zeuge der ‚Afrikanischen‘ Vetus6 7 8

McClure 309f. Thraede (1996) 510 Anm. 26. Vgl. Heinsdorff 339–480, der die Ergebnisse der Wissenschaftler vor ihm kritisch prüft und zu ähnlichen, jedoch differenzierteren Ergebnissen kommt.

Einleitung

15

Latina-Tradition“ sei. 9 Diese These, die in der Forschung nur geringe Beachtung fand, kann in den Versen, die diese Arbeit untersucht, nicht überprüft werden, da uns die Afra für die in Frage kommenden Kapitel nicht überliefert ist. Weiterhin ist communis opinio, dass Iuvencus in seltenen Fällen auch einen griechischen Text benutzte; dies ist an einzelnen Stellen zu zeigen. Zumeist wird die Itala als Vergleichstext herangezogen. Diese Arbeit wird also ebenso verfahren wie Heinsdorff in seinem Kommentar zu den auf Johannes gestützten Passagen des Iuvencus: „Der Bibeltext entspricht der Recensiozeile bei Jülicher/Matzkow [also der maßgeblichen Ausgabe der Itala, MM]. Nur wenn der Dichtertext größere Nähe zu anderen Vetuslesarten aufweist [...], werden diese angegeben“10

Heinsdorff hat zudem mit einer enorm ausführlichen Kollation11 aller in Frage kommenden Stellen aus anderen Vetus Latina–Übersetzungen und dem griechischen Text die Arbeit an dieser Frage deutlich erleichtert. Vor der Kommentierung wird also der Iuvencus–Text dem Text der „Recensiozeile bei Jülicher/Matzkow“12 in einer Synopse gegenübergestellt, die illustriert, welche Passagen bzw. Einzelphrasen der Vorlage Iuvencus wie und in welcher Reihenfolge wiedergegeben hat. Der Iuvencustext stützt sich dabei wesentlich auf Huemers Ausgabe (CSEL 24, 1891). Einen wichtigen Schritt zu einem sicheren Text bieten Hanssons detaillierte textkritische Untersuchungen, die mehr Codices einbeziehen konnten als Huemer. Diese Arbeit enthält jedoch auch eigene textkritische Entscheidungen, die u.a. darauf zurückgehen, dass es möglich war, selbst Einsicht in einige Codices zu nehmen; siehe dazu die Siglenliste auf Seite 20. Es wurde ein negativer Apparat gewählt, der wie folgt aufgebaut ist: orthographische Varianten und Lesarten, die nicht besprochen werden, werden nicht angegeben. Wenn zu den selbst eingesehenen Handschriften keine Angabe im Apparat gemacht wird, stützen diese den gelesenen Text; ebenso lesen diese alle ungenannten Editoren. Für alle weiteren Handschriften, die ich nicht einsehen konnte, folgt der Apparat der Ausgabe Huemers bzw. den Forschungen Hanssons, d.h. wenn keine Angabe im Apparat gemacht wird, stützen diese Handschriften laut früheren Editoren den gelesenen Text. Eventuell abweichende Lesungen derselben Codices durch frühere Editoren und Textkritiker sind individuell vermerkt. Die textkritische Arbeitsweise entspricht den üblichen Methoden. Dabei wurde, da Iuvencus sich in dieser Hinsicht als sehr sicher erwies, metrischer Korrektheit im Zweifelsfall der Primat eingeräumt, während Huemer auch bei metrischen Schwierigkeiten der Überlieferung folgte.13

9 10 11 12 13

Orbán (1995). Heinsdorff 81. Vgl. ibid. 353–480. Ibid. 88. Vgl. zur Arbeitsweise Hansson 16, bes. Anm. 17.

16

Einleitung

INTERTEXTUALITÄT Neben der biblischen Vorlage sind vor allem die zahlreichen intertextuellen Bezüge interessant. Huemer sammelte in seiner Ausgabe einige Parallelen, vor allem aus der Aeneis. Diese Sammlung ist hilfreich, aber bei weitem nicht genügend, da gerade mit Hilfe moderner Datenbanken14 leicht deutlich mehr Parallelen gefunden werden können. Problematisch ist bisweilen die Bewertung solcher Bezüge. Klaus Thraede prägte 1962 den treffenden Begriff „Kontrastimitation“, den er so definiert: „Die Übernahme von Junkturen zum Zwecke gegenteiliger Aussagen wollen wir als Kontrastimitation bezeichnen; in ihr wird bewußt die christl. Lehre mit dem Alten E[pos] kon15 frontiert.“

Während nie bestritten wurde, dass es sinnvoll ist, manche intertextuelle Bezüge als Imitationen oder eben Kontrastimitationen zu betrachten, kann freilich nicht jede Parallele mit Iuvencus sehr gut bekannten Werken, zu allererst der Aeneis, aber auch anderen Werken Vergils, Ovids, Statius’, Lukans oder Valerius Flaccus’, als eine bewusste und mit Sinn gefüllte Imitation gesehen werden; einiges ist auch als bloße Bildungsreminiszenz zu betrachten. Aufgabe des Kommentars ist es also, nicht nur Parallelen festzustellen, sondern auch nach Möglichkeit zu bewerten. Dabei lassen sich bewusste, kontrastierende Übernahmen i.d.R. häufiger aus Vergil feststellen, während die Parallelen zu jüngeren Epikern zumeist rein sprachlich zu sein scheinen. DIE ARBEITSWEISE DES IUVENCUS UND IHRE INTERPRETATION Wie Roberts ausführlich gezeigt hat, lässt sich die Arbeitsweise des Iuvencus zunächst mit den Begriffen der Paraphrase beschreiben, nämlich abbreviatio, transmutatio, omissio, amplificatio und Modalvariation.16 Die auffälligste Leistung des Dichters ist dabei eine sehr deutliche Dramatisierung der Handlung durch „Adjektivierung“, 17 mit der eine Emotionalisierung und „Psychologisierung“ 18 mit Hilfe von Worten aus dem „epischen Affektschema“ 19 einhergeht; die Belege sind zahllos. Vielfach werden Szenen stark antithetisch verarbeitet (sehr deutlich z.B. IV 642–646). Diese Techniken sind für Iuvencus nachgewiesen. 20 Neu ist im vorliegenden Kommentar die Untersuchung der Charaktergestaltung am Beispiel des Petrus, siehe unten S. 39–61 sowie des Einsatzes von Ironie, dazu unten S. 169– 174. Das Ziel dieser Dichtung ist ein doppeltes: zum einen schmückt und bearbei14 15 16 17 18 19 20

Vor allem der von Brepols zur Verfügung gestellten „Library of Latin Texts“. Thraede (1962) 1039. Vgl. Roberts (1985). Vgl. Donnini passim. Vgl. Green (2006) mit Rückgriff auf Kirsch, der den Begriff prägt. Herzog (1975) 132. Von Thraede (1962), Flieger, Fichtner, Thraede (2000) und Green (2006).

Einleitung

17

tet Iuvencus die evangelische Botschaft mit epischer Sprache, zum anderen führt er eigene theologische und exegetische Anliegen ein; dieses Verhältnis wird unten S. 341–345 und S. 346–373 eingehend diskutiert. Daher müssen die o.g. intertextuellen Einflüsse und alle weiteren Bearbeitungen der Vorlage immer unter diesen beiden Gesichtspunkten als „Aspektverschiebungen“21 interpretiert werden. Iuvencus folgt zwar der Reihenfolge seiner Vorlage sehr stark (mit Ausnahme der Verschiebung der Judasperikope), verbessert dabei aber die Abfolge der narratio, die durch die Perikopenstruktur seiner Vorlage noch sehr unbefriedigend war, erheblich, z.B. durch epische Sonnenauf- und Untergänge. Daher werden jedem Kommentarabsatz kurze Überlegungen zur Einpassung der Szene in den Gesamtkontext vorangestellt. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE UND DIE ENTWICKLUNG DER GATTUNG Eine umfassende theologische Wertung der Evangeliorum Libri Quattuor ist nicht intendiert, aber auch wenn McClures Ruf nach einer umfassenden theologischen Untersuchung der Evangeliorum Libri Quattuor22 m.E. ohne philologisch genaue Detailuntersuchungen noch nicht beantwortet werden kann, lohnt sich der Blick auf Iuvencus’ theologische Anliegen. Auf die Kommentierung einer Perikope folgt eine Auswertung der festgestellten Abweichungen von der biblischen Vorlage, sowie ein Abgleich mit der zeitgenössischen exegetischen Literatur, mit dem Ziel, festzustellen, ob der Dichter von einer bestimmten exegetischen Strömung geprägt war. Dabei soll auch kritisch geprüft werden, ob eine weitere Untersuchung lohnenswert wäre oder Iuvencus gar zu wenig exegetischen Anspruch hat (im Gegensatz zu etwa Sedulius). So orientiert sich dieser Kommentar eher an Colombi, die einige Iuvencusstellen mit verschiedenen Kirchenvätern, vor allem aber Origenes, in Verbindung bringt,23 Green, der eine antiarianische Tendenz bei Iuvencus festzustellen vermag, 24 und erneut den Kommentaren von Flieger, Fichtner und Heinsdorff. Hier stellen sich drei wesentliche Probleme. Zum einen gilt: „The poet never teaches directly – as Sedulius and Arator manifestly and copiously do – but it is also possible to distinguish an exegetical contribution.“25 Es ist also keineswegs unmöglich, Iuvencus’ exegetische Positionen zu erkennen, man muss sie jedoch zumeist aus seiner narratio herausarbeiten, da er beinahe nie ausdrücklich und über die Wiedergabe der biblischen Erzählung hinausgehend lehrt, predigt oder Exegese betreibt; Präzision ist gefragt.26 Hat man eine solche Position entdeckt, ist – Colombi mahnt ausdrücklich zur Vorsicht 27 – zu prüfen, 21 22 23 24 25 26 27

Flieger 102. Siehe oben S. 14. Vgl. Colombi (1997a). Vgl. Green (2004). Green (2006) 84. V.a. angemahnt von Fichtner 196–205. Vgl. Colombi (1997a) 22, ähnlich Fichtner 196–205 und Flieger 214.

18

Einleitung

ob es sich um einen theologischen Allgemeinplatz handelt, eine klar zu verortende exegetische Position oder eine eigene Auslegung des Dichters. In den letzten Jahren sind für die Suche nach Parallelstellen zwei wichtige Reihen publiziert worden. In englischer Übersetzung wurden unter dem Editor T.C. Oden in der Reihe „Ancient Christian Commentary on Scripture“ die wesentlichsten Aussagen, die in der lateinischen und griechischen Exegese zu finden sind, gesammelt. Weitaus ausführlicher, aber ohne Kommentierung, sondern eine bloße Sammlung, ist die Reihe „Biblia Patristica“, die zwischen 1975 und 2000 von J. Allenbach ediert wurde. Diese ist nicht nur nach biblischen Büchern, sondern auch nach christlichen Apologeten und Exegeten sortiert und inzwischen online verfügbar. 28 Mit diesem Hilfsmitteln können fast sämtliche Auslegungen der Alten Kirche mit den in den Evangeliorum Libri Quattuor festgestellten theologischen Nuancen abgeglichen werden. Besonderes Augenmerk liegt, da Colombi, Flieger, Fichtner und Heinsdorff dort die meisten Übereinstimmungen finden konnten, auf Origenes, Hieronymus und Hilarius von Poitiers, auch wenn die letzteren beiden nach Iuvencus lebten und schrieben. Daneben werden Tertullian, Ambrosius und Augustinus sowie Laktanz angesichts der möglichen Beziehung zwischen seiner Position zur christlichen Literatur und Katechese und der Entstehung der Evangeliorum Libri Quattuor genau untersucht. Bei den nach Iuvencus wirkenden Exegeten (und das betrifft die Mehrzahl der genannten) kann aus chronologischen Gründen natürlich keine Abhängigkeit von deren Schriften, sondern nur eine theologische Tendenz nachgewiesen werden. Nimmt man an, dass auch diese Kirchenväter ihrerseits auf mündliche Traditionen zurückgriffen, und stimmen dann ihre Auslegungen mit den bei Iuvencus herausgearbeiteten Nuancen überein, so ist Iuvencus in einer Traditionslinie zu verorten. Auch kann diese theologische Untersuchung ferner dazu führen, die Eigenart der Gattung „Bibelepik“ besser zu verstehen. Dazu dient auch ein als letzter Abschnitt eines jeden Perikopenkommentars eingesetzter kurzer Vergleich mit der entsprechenden Bearbeitung durch Sedulius (und Arator in der Judasperikope), der mit dem Text weit freier umgeht und somit ein ausgezeichnetes Beispiel für die weitere Entwicklung der Bibelepik bietet. Besonders hilfreich ist dabei der 2011 erschienene Kommentar von Deerberg zur Judasperikope dort. Deerberg kontrastiert seinerseits Sedulius mit Iuvencus, um zu zeigen, wie Iuvencus eine Entwicklung angestoßen hat, die bei Sedulius (oder evtl. Arator29) kulminiert. Hier wird in umgekehrter Weise verfahren: Der Vergleich mit Sedulius soll einerseits, wie gesagt, die weitere Entwicklung der Gattung illustrieren, andererseits die Ziele und Möglichkeiten, die die Evangeliorum Libri Quattuor haben, in einer noch nicht gänzlich christianisierten Welt, in der christliche Hochkultur erst noch ihren Platz finden musste.

28 Http://www.biblindex.mom.fr. 29 Vgl. Deerberg 423.

Einleitung

19

PRÄSENTATION DES KOMMENTARS Vor jedem Kommentarabschnitt findet sich, wie oben beschrieben, eine Synopse von Vorlage und Iuvencustext. Am Ende der Kommentierung ist eine durchgehende Übersetzung angehängt, die sich deutlich stärker ausgangs- als zielsprachenorientiert versteht (bemerkbar z.B. bei den häufigen Personifikationen von Eigenschaften, z.B. „die Kühnheit der Jünger“ statt dem im Deutschen glatteren „die wagemutigen Jünger“ für audacia discipulorum in Vers 783), um die Ergebnisse der Untersuchungen widerzuspiegeln. Iuvencus’ häufige Tempuswechsel, v.a. ins historische Präsens, werden dabei jedoch im Deutschen geglättet. Die Kommentierung besteht graphisch unterscheidbar aus zwei Ebenen. In üblicher Schriftgröße werden alle wichtigen philologischen Erklärungen, alle sicheren intertextuellen Bezüge bzw. Kontrastimitationen und alle wesentlichen exegetischen Punkte erklärt. In kleinerer Schrift werden textkritische Überlegungen, Gedanken zu möglichen, aber weniger sicheren intertextuellen Bezügen bzw. Kontrastimitationen und andere, spekulativere Überlegungen, die für zukünftige Untersuchungen interessant sein, in der vorliegenden Arbeit aber keinen Platz mehr finden können, gegeben. Die Zitate aller klassischen paganen Autoren richten sich, sofern nichts anderes angegeben ist, nach den gängigen OCT-Ausgaben.

SIGLA SELBST EINGESEHENE CODICES C R M C2 Hl K1 K2 P P2 S T B Bb Mb P3 Sg

codex collegii corporis Christi Cantabrig. 304 – saec. VII codex Musei Britannici 15 A XVI – saec. VIII codex Monacensis 6402 (olim Frising. 202) – saec. VIII (IV 570–790) codex Cantabrigensis Ff IV 42 (no. 1285) – saec. IX codex Harleianus 3093 – saec. XI codex Karoliruhensis 217 – saec. IX codex Karoliruhensis 217 1 – saec. IX codex Parisinus 9347 (olim Remensis) – saec. IX codex Parisinus 18553 – saec. IX codex Audomaropolitanus 266 – saec. IX (IV 665–799) codex Turicensis C 68 – saec. IX codex Bernensis 534 – saec. IX–X codex Bobiensis (nunc Ambrosianus C 74) – saec. IX–X codex Musei Britannici add. 19723 – saec. X (IV 570–605.665–723)2 codex Parisinus 10307 – saec. X codex Sangallensis 197 – saec. X

NICHT SELBST EINGESEHENE CODICES Al L Mp Matr V1 V2 Ph Bx C3 Ca H N Ca2 G 1 2

codex Albiensis 99 – saec. IX (IV 570–624) codex Laudunensis 101 – saec. IX codex Montepessulanus 362 – saec. IX codex Matritensis cason 14 no. 22 – saec. IX codex Vaticanus reginae Sueciae 333 – saec. IX codex Vaticanus Ottobonianus 35 – saec. IX codex Philippicus 1824 – saec. X codex Bruxellensis 1179 – saec. XI codex Cantabrigensis Gg 35 (no. 1567) – saec. XI codex Casinensis 326 Q – saec. XI codex Helmstadensis 553 – saec. XI codex Neoclaustroburgensis 1243 – saec. XII codex Casinensis 560 Q – saec. XII Gedanensis XVII A. 9. 66 – saec. XIII

Dieser Codex enthält die Evangeliorum Libri Quattuor zwei Mal hintereinander. Die Stellenangaben beziehen sich nur auf die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Iuvencusverse. Eine detailliertere Übersicht über die Codices und ihren Inhalt bietet Hansson 19f.

DIE VERLEUGNUNG DES PETRUS (IV 570–585) EINPASSUNG DER SZENE Die Abfolge der Ereignisse ist gegenüber der Vorlage nicht geändert. Petrus war Christus nach dessen Festnahme gefolgt (539), um zu sehen, was mit ihm geschehe (540). Flieger erklärt die Passage (537–625) so, dass zwei verschiedene statische1 Bilder geschildert werden, zum einen Christus in der Aula des Hohenpriesters (537–569 und wieder 586–625), zum anderen Petrus draußen bei den Dienern (570–585), wobei es sich bei Letzterem um einen Nebenschauplatz handle. Nachdem Petrus als der Einzige (539 solus), der Christus folgte, und, schon hinweisend auf die spätere Verleugnungsszene, als traurig (540 maestus) beschrieben wurde, wechselte der Blick nach dem „Standbild [...] ‚Petrus bei den Dienern‘“2 (539–541) mit ecce zu Christus selbst und wird nun Vers 570 auf Petrus zurückgerichtet. KOMMENTAR Die erste Verleugnung durch Petrus (IV 570–573) Mt 26, 69–70: 69 Petrus vero sedebat foris in atrio; et accessit una ancilla ad eum dicens: Et tu cum Iesu Galilaeo eras. 70 At ille negavit coram omnibus dicens: Nescio, quid dicis, neque intellego.

Iuvenc. IV 570–573: 570 At Petrum mulier tristem quod viderat intus, 571 „tune etiam, iuvenis, fueras comes additus,“ inquit, 572 „isti, quem ludens procerum sententia damnat?“ 573 Ille negat

tectisque foras se promere temptat. 573: feris C R P T Mb : foris M K1 K2 Bb Mp, Matr sec. Marold : foras B Hl P3 Sg

at: Zwar ist das adversative at bei Iuvencus sehr häufig (38 Belege), jedoch wird es selten zur Überleitung in eine ganz neue Szene gebraucht (sonst nur 626 proditor at Iudas, siehe weiter dort). Beide Absätze, die auf die vorliegende Szene hindeuten, nämlich IV 475 At Petrus: „duram mortem mihi sumere malim [...] und 539–541 At Petrus longe servans vestigia solus, beginnen ebenfalls so. At ent1 2

Vgl. ibid. 137–139, auch zur Verwendung des Begriffs „statisch“. Ibid. 137.

22

Die Verleugnung des Petrus

spricht in den Versen 539 und 570 dem biblischen autem (IV 539 nach Mt 26,58 Petrus autem sequebatur eum [...]) bzw. vero, hat in Vers 475 aber keine Entsprechung in der Vorlage. Man darf annehmen, dass Iuvencus die Vokabel bewusst gesetzt hat, um eine Verbindung zwischen den drei Szenen zu schaffen. At mit folgendem Namen findet sich nur noch IV 375 at Martha talis vox verberat auras, wo erzähltechnisch die gleiche Strategie angewendet wird, nach einer ausführlichen Beschreibung der Situation (369–375) den Blick wieder auf eine Einzelperson zu richten;3 vgl. auch Aen. IV 1f at regina gravi iamdudum saucia cura / vulnus alit [...] und 296f at regina dolos (quis posset fallere amantem) / praesensit [...].4 tristem: Dieses Adjektiv weist auf drei Umstände hin: Zum einen wurde Petrus schon, als er Christus gefolgt war, als maestus beschrieben. So wird hier ein erneuter Anschluss an die letzte Szene, in der Petrus im Mittelpunkt stand, geschaffen. Zum Zweiten wirkt die letzte Szene, die Verhandlung vor dem Hohen Rat, noch so nach, dass der Leser Petrus’ Traurigkeit mit dieser in Verbindung bringen kann.5 Zum Letzten wirkt tristis wie eben maestus proleptisch6 bzw. gibt das „Leitmotiv“7 Gram vor: die kommende Verleugnung und damit die Erfüllung der Prophezeihung Christi, vor dem Hahnenschrei werde Petrus ihn dreimal verleugnen (vgl. 470–474 nach Mt 26,34), wird den Apostel noch trauriger machen als das Bisherige und bittere Tränen hervorrufen (585). quod: Die Frau ist Petrus gegenüber „vermutlich teilnahmsvoll“ und „eher wohlmeinend“, 8 wie aus der kausalen Konjunktion hervorgeht.9 Obwohl sie sich seiner Traurigkeit annehmen will, wirkt ihre Frage für Petrus bedrohlich: er muss fürchten, als Jünger Jesu ebenfalls gepeinigt zu werden. 10 intus: Die Ortsangabe intus steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu 539 at Petrus longe servans vestigia solus. Dort folgt Petrus Christus aus der Ferne; da aber Christus schon in der Halle des Kaiaphas steht (537 Iamque Caiaphaea steterat salvator in aula), muss man sich Petrus wohl am Rand dieser Halle bei den Dienern (540 occulte maestus sedit cum plebe ministra) vorstellen. Die in der Vorlage auf Petrus bezogene Ortsangabe usque in atrium „wurde durch die Angabe in aula zu Jesus, der Hauptperson gezogen [...]“,11 und offenbar bezeichnet longe keinen großen, sondern nur überhaupt einen Abstand zwischen Christus und

3

Vgl. zur szenischen Technik allgemein Flieger 204–206. Dieser spricht sogar von „Kameraeinstellungen.“ 4 Zur Nutzung von at bei Sedulius siehe Deerberg 202. 5 Vgl. Flieger 137, der den Gesamteindruck der Szene „Jesus beim Hohepriester – Petrus bei den Dienern“ für „konsistenter“ [sc. als bei Mt] hält, so dass wir von zwei separaten Blickpunkten derselben, zusammengehörigen Szene ausgehen müssen. 6 Flieger 139 sah diese Prolepse auch schon in Vers 540. 7 Vgl. Thraede (2000) 902. 8 Thraede (2000) 902, ebenso zuvor Knappitsch ad loc. 9 Vgl. Knappitsch ad loc. 10 Vgl. Ambr. in Luc. X 89 (CCL 14, 371,861 Adriaen) didici cavere adloquia perfidorum. 11 Flieger 137.

IV 570–585

23

Petrus.12 Siehe zum Weg, den Petrus zurücklegt, unten zu 573 ille negat ... temptat, 574 ecce sed egressum, 585 egressum und S. 36f. tune etiam ... inquit: Nachdem die bislang gespannt-langsame Szene13 überwiegend aus Spondeen bestand, wird sie durch den schnellen ersten Vers der wörtlichen Rede, der ausschließlich aus Daktylen besteht, durchbrochen. Dass es sich zudem um eine Frage handelt, die Hörer und Leser aufmerksam werden lässt14 und die sich mit tune direkt an Petrus richtet, verstärkt den Eindruck des Szenenwechsels. Diese Frage wird von einer mulier, die sonst unwesentlich ist, formuliert. Die kurzen Wortwechsel des Matthäusevangeliums fasst der Dichter so zusammen; siehe dazu weiter unten S. 319. fueras: Das Hyperplusquamperfekt wird hier, wie zumeist bei Iuvencus, ohne Unterschied zum Plusquamperfekt gebraucht.15 comes additus: Diese Wendung ist wohl von Aen. VI 528–529a quid moror? Inrumpunt thalamo, comes additus una / hortator scelerum Aeolides geborgt,16 wo sie an gleicher Stelle im Vers zu finden ist. Der Aeneistext ist an dieser Stelle umstritten17. Dabei lag die Korruptel, wie das Alter der Vergilcodices nahelegt,18 wohl schon vor Iuvencus bzw. zu seiner Zeit vor. Neben Iuvencus’ erster Quelle Vergil taucht die Junktur comes additus auch in Stat. Theb. VIII 182–184 Hos quoque bellorum casus nobisque tibique / praescieras, et – quanta sacro sub pectore virtus – / venisti tamen et miseris comes additus armis, Sil. VII 200a Somnus, Bacche, tibi comes additus und XIII 58 Luctus edax Maciesque, malis comes addita morbis [...] auf. Das spricht für additus als richtige Lesart oder noch frühere Korrputel in Vergilhandschriften. Kontrastimitationen zu Vergil bzw. dem Text, den Iuvencus für Vergil hielt, sind nicht auszuschließen: Möglicherweise wird dem hortator scelerum Odysseus in der Aeneis der Apostel entgegengestellt; vielleicht wird auch das Vorhaben des Amphiaraus bei Statius, das zum Scheitern verurteilt ist, mit dem des Petrus hier kontrastiert. isti, quem ... damnat: Der Dichter räumt der Beschreibung dessen, was gerade mit Christus geschah und geschieht, einen ganzen Vers ein, der inhaltlich und sprachlich deutlich über cum Iesu Galilaeo der Vorlage hinausgeht. Christus wird nicht mit Namen genannt, mit dem starken deiktischen isti aber wirkungsvoll be12 Vgl. ibid. 137. Longe servare glaubt Flieger von Aen. II 711 sit comes, et longe servet vestigia coniux abhängig und verweist auf Austin (1964) ad loc.: „Longe with servet cannot mean more that ‚at a distance‘, ‚apart‘.“ Siehe weiter ThLL VII 2,1644,84–1645,37 (Kamptz 1977). 13 Die Beschreibung der Bewegungen des Petrus in den Versen IV 539–541 bestand vorwiegend aus Spondeen. Vgl. auch Abbolito 313; zur Metrik bei Iuvencus allgemein Longpré passim. 14 Vgl. zur Signalwirkung von Fragen Abbolito, 319 und 321, zu wörtlicher Rede im Allgemeinen unten 326. 15 Vgl. Hatfield 5. Siehe zur weiteren Verbreitung Kühner-Stegmann I 140–142. 16 Vgl. Green (2006) 64. Sonst findet sich comes additus nur noch Stat. VIII 184 venisti tamen et miseris comes additus armis. 17 Norden ad loc. spricht sich für additur aus, das ein „lebhaftes Asyndeton“ bildet und zum häufigen historischen Präsens in der Szene passt (Aen. VI 525–527.529f). Alle jüngeren Editoren bevorzugen das glattere additus. 18 Sie stammen aus dem vierten und fünften Jahrhundert.

24

Die Verleugnung des Petrus

zeichnet, wobei der folgende Relativsatz keine Entsprechung in der Vorlage hat. Dass dabei die Herkunftsangabe Galilaeo ausfällt, ist ein Beispiel für (unpolemische) „Entjudaisierung“: 19 Jesu Herkunft ist für den Spanier Iuvencus ohne Relevanz, wohl aber sein Leiden und seine Sendung; siehe weiter unten S. 322–340. Die ludens procerum sententia nimmt sowohl die proceres aus IV 538 als auch das Urteil aus IV 565 wieder auf. Es muss eine Enallage angenommen werden, da die proceres die Spottenden sind; siehe zu diesen wiederum unten S. 322–340. Die Misshandlungen Jesu durch die Soldaten vor der Kreuzigung werden III 587, IV 643 und 650 als ludibria bezeichnet, wodurch eine ähnliche Wirkung wie hier beabsichtigt wird: Da die Gegner Jesu ihn nicht nur verurteilen, sondern ihr Spiel mit ihm treiben, wird ihre Schlechtigkeit in den Vordergrund gerückt. Während bei Matthäus und Markus die Verleugnungsszene vom Geschehen um Christus ganz losgelöst ist und bei Lukas Christus nach der Verleugnung Petrus anblickt,20 bleibt die Behandlung Christi bei Iuvencus durch die genaue Beschreibung dessen, was mit Jesus passiert, zunächst präsent. Diese Technik bezeichnet Röttger als „Durchblick“,21 hier auf den „Helden“ des Epos; ähnlich verhält es sich mit den Versen 665f. Zum Zweck solcher eindringlichen Beschreibungen siehe unten S. 346–373. Ille negat ... temptat: Wurde die Frage der Magd deutlich ausgeschmückt, so wird die Antwort des Petrus in einem einzelnen Wort, negat, kraftvoll zusammengedrängt.22 Der Ausgang des Petrus wird dann zweigeteilt und gewinnt damit an Gewicht. Zunächst versucht er in Vers 573, sich zu entfernen, dann wird er im nächsten Vers jedoch sogleich von einer anderen Dienerin gesehen; siehe weiter zu 574 ecce sed egressum;23 zum gesamten Weg, den Petrus hier zurücklegt, unten S. 36–37. Die biblische Information zur Leugnung, coram omnibus, lässt Iuvencus hier schlicht aus; zu solchen Präzisierungen kommt er erst später. tectisque foras: Neben foras sind in den Handschriften auch foris und feris überliefert. Foris gebraucht Iuvencus nur II 726 et miscere foris sermonem comminus orat. Wenn es auch bisweilen synonym mit foras als „nach draußen“24 verstanden werden kann, wäre es hier sehr ungewöhnlich und als Korruptel von foras leicht zu erklären. Foras gebraucht Iuvencus III 732, IV 362, vor allem aber IV 393 foras te prome sepulchro. Zwar wäre feris, da Jesus gerade im Gebäude gezüchtigt wird und ein Aufenthalt für Petrus nicht ungefährlich ist, reizvoll, es ist jedoch, da ohne Parallele bei tecta oder verwandten Ausdrücken, kaum zu halten. Siehe zur Diskussion um eine bestimmte jüdische feritas unten S. 322–340. se promere: Knappitsch weist auf IV 392f Lazare, sopitis redeuntem suscipe membris / en animam tuque ipse foras te prome sepulchro hin. Promere wird sehr 19 Zum Begriff siehe Herzog (1975) 111–115. Siehe weiter Poinsotte passim, Orban passim, Hilhorst passim und vor allem Green (2006) 105, außerdem das Kapitel zur Entjudaisierung unten S. 319-337. 20 Vgl. Lk 22,61. 21 Röttger 122. 22 Lakonisch Thraede (2000) 902: „[...] macht Petrus sich ohne direkte Antwort [...] davon [...].“ 23 Thraede (2000) 902 spricht davon, Iuvencus ziehe den Ausgang des Petrus „groß episch“ auf. 24 Vgl. OLD s.v. 4.

25

IV 570–585

selten mit se gebraucht (prominent und auf Menschen bezogen ist sonst nur Aen. II 260 laetique cavo se robore promunt 25). Ein inhaltlicher Bezug ist denkbar: Lazarus tritt aus dem Grab, also aus dem Reich des Todes, Petrus aus dem für ihn gefährlichen Palast.26 Umgekehrt handeln die Griechen in der Aeneis, die, zwar freudig und erwartungsfroh, aber um zu töten, aus dem Pferd steigen.27 Die zweite Verleugnung durch Petrus (IV 574–576) Mt 26, 71–72: 71 Exeuntem autem illum ianuam vidit illum alia ancilla et ait his, qui erant ibi: Et hic erat cum Iesu Nazareno. 72 Et iterum negavit cum iuramento dicens: Non novi hominem.

Iuvenc. IV 574–576: 574 Ecce sed egressum primo sub limine

71 Egressus autem ad ianuam a n

574 limine C R M Hl K1 P T B Bb Mb P3 Sg L Arevalo Huemer

cernens 575 altera consimili prodebat voce ministris. 576 Rursus ait iurans: illum se nosse negabat.

ecce sed egressum: Durch die Phrase wird die Aufmerksamkeit erneut auf Petrus, der gerade hinausgeht, gelenkt. Eine solche Wirkung dieses Versbeginns war schon von Claudius Donatus bemerkt worden, vgl. Aen. II 57 ecce ubicumque Vergilius ponit, aliquod malum repentinum et insperatum significat [...]. Iuvencus macht sich dies selbst neun Mal zu Nutze.28 Arevalo und Thraede vermuteten einen Einfluss des Markusevangeliums. 29 Dort ist Petrus in atrio (Mk 14,66) und geht nach der ersten Verleugnung foras ante atrium (Mk 14,68). Markus berichtet jedoch nicht von einem weiteren Ausgang (585 nach Mt 26,76), sondern sieht Petri Weg damit als abgeschlossen. Außerdem ist die Verbindung von egressum und primo sub limine problematisch. Iuvencus verwendet gerne für im Hexameter nicht verwendbare Formen des Partizips Präsens von exire Perfektformen von egredi, so zum Beispiel II 44 (nach Mk 5,2) egresso für exeunte in der Vorlage (grch. ἐξελθόντος αὐτοῦ) und IV 653 (nach Mt 27,32) egressi für das biblische exeuntes (grch. ἐλθόντες), in beiden Fällen nach dem Versauftakt ecce sed. 30 25 Vgl. Austin (1964) ad loc.: „Virgil has chosen a striking verb, and its reflexive use is an innovation, occuring elsewhere only in Grattius 59, Colum. III 12,1, Celsus II 6,8.“ Siehe auch ThLL Χ 2 1881 13–22 (Kruse 2000). 26 Vgl. Knappitsch ad loc. 27 Zur Kontrastimitation mit der Aeneis vgl. Thraede (2000) 902. 28 I 733; II 9, 44, 361, 799; III 354, 498; IV 653 und hier. 29 Vgl. Arevalo ad loc. und Thraede (2000) 902. 30 II 43–45: Iam Gerasenorum steterat sub litore puppis / ecce sed egresso iuvenis – mirabile dictu – / occurrit [...] nach Mk, 5,2: Et exeunte ipso de navicula obviavit illi homo und IV 652–654: et crucis ad poenam sanctum iustumque trahebat. / Ecce sed egressi quendam cepere Simonem / Cyrena genitum [...] nach Mt 27,32: Exeuntes autem invenerunt hominem Cyrenaeum venientem obviam sibi nomine Simonem. Es gibt dort keine Variante egresso bzw.

26

Die Verleugnung des Petrus

Egredientem ist im Hexameter zwar möglich, aber ungebräuchlich. 31 Iuvencus legt hier besonderen Wert auf Dramatik. So ist, wie bei den Perfektpartizipien der Deponentien ohnehin nicht unüblich, 32 egressum nicht als streng vorzeitig, sondern (analog zum Aorist) als punktuell bzw. dramatisch zu verstehen. 33 Petrus wird also „im letzten Moment“ aufgehalten. Ein solches Verständnis legt auch die alternative Lesart der Itala-Codices a und n, egressus autem ad ianuam, nahe. 34 primo sub limine cernens: Es ist deutlich ausgestaltet, wo Petrus sich befindet: da Petrus 573 noch nur versucht hatte (temptat), zu fliehen, ist er jetzt seinem Ziel nahe (egressum), als ihn gerade an der Schwelle (primo sub limine) eine weitere Dienerin wahrnimmt (cernens pointiert an letzter Stelle). Dramaturgischer Zweck dieser Genauigkeit ist, Petrus schon fast sicher (nämlich draußen) erscheinen zu lassen, obwohl er dann doch wieder zurückgehalten wird. Die Verwechslung von lumine und limine ist eine der häufigsten Verschreibungen überhaupt, paläographisch ist das Problem also nicht zu lösen. Da sich Iuvencus stark an der Vorlage orientiert, ist eine Erwähnung der Tür wahrscheinlicher als eine des Lichtes, zudem wird 586f ein Sonnenaufgang episch beschrieben. In der klassischen Dichtung kommt sub limine nur drei Mal vor. Ov. fast. II 573 berichtet vom kultischen Vergraben von Weihrauch, Val. Flacc. I 820 spricht von einem Kind kurz vor der Geburt als sub limine rerum. Für das Verständnis hier brauchbarer ist Prop. II 25,17f (Fedeli): at nullus dominae teritur sub limine amator; / restat et immerita sustinet aure minas.35 Richardson erklärt limen dort als Türsturz.36 Das ist zwar belegt,37 solche architektonischen Besonderheiten sind aber weder für Properz noch für Iuvencus hier von Bedeutung. Beim Elegiker handelt es sich zweifellos um ein Paraklausityron,38 auch für Iuvencus ist funktional entscheidend, dass Petrus noch nicht „die Schwelle übertreten hat.“ Das wird durch sub in der Bedeutung „unmittelbar vor“ zum Ausdruck gebracht.39 Sil. XVI 229f iamque novum terris pariebat limine primo / egrediens Aurora diem könnte als Parallele zur Erklärung von limine primo als äußerster Schwelle herangezogen werden. Im Unterschied zu Iuvencus wird dort freilich limine primo auf egrediens bezogen, während primo sub limine beim Bibeldichter wegen der Verbindung der Präposition sub mit Ablativ zu cernens gehören muss.

31 32 33 34 35

36 37 38 39

egressi. Die Variante egressus, die die Itala-Codices a und n hier überliefern, spielt also für Iuvencus wahrscheinlich keine Rolle. Nur ein Beleg, Catull. 64, 114. Kühner-Stegmann I 757–760, bes. 759f und Leumann-Hofmann-Szantyr II 289f. Ob Iuvencus einen griechischen Text benutzt hat, ist im Ganzen nicht zu erweisen, Vgl. dazu Nestler passim. Zu Iuvencus’ Vorlagencodices siehe Heinsdorff 339–480. Zit. nach der Edition von Fedeli (Stuttgart 1984), Heyworth (Oxford 2008) liest at nullo teritur sub crimine amator / restat [...]. Bei sub crimine handelt es sich um eine Konjektur von Langermann, die Heyworth (S.J. Heyworth, Cynthia. A Companion to the Text of Propertius, Oxford 2007, 218f) mit Verweisen auf Ov. fast. VI 643 und Iuvenc. X 69 verteidigt. Zudem korrespondiere nullo sub crimine mit den im nächsten Vers genannten minae. Siehe zur überlieferten (und von mir bevorzugten) Lesart die nächsten drei Anmerkungen. Vgl. Propertius, Elegies I–IV, ed. with introduction and commentary by L. Richardson, Norman 1976, 285. Vgl. H. Blümner, Die römischen Privataltertümer, München 1911, 17. Eine Konjektur ist bei Properz hier überhaupt unnötig, crimine kann abgelehnt werden, da restat sonst zu abstrakt gebraucht wäre. Vgl. OLD s.v. 6b „close up to“. Siehe zu sub bei Iuvencus Colombi (1997b) 18–21.

IV 570–585

27

Der von Huemer angenommene Bezug zu Aen. VI 255 sorgt nun für eine weitere Schwierigkeit, da auch dort umstritten ist, ob man ecce autem primi sub limina solis et ortus oder [...] lumina solis [...] lesen muss.40 Dass die Vergilcodices F (4. Jhdt.) und M (5. Jhdt.) limina, die Codices P (4./5. Jhdt.) und R (5. Jhdt.) lumina überliefern, bedeutet, dass die Divergenz mit großer Wahrscheinlichkeit älter als die Dichtung des Iuvencus ist. Sowohl Claudius Donatus41 als auch Servius42 kommentieren lumina, Proba 160 verwendet sub limina.43 Eine bewusste Vergilevozierung ist trotz aller textkritischen Unsicherheit durchaus möglich; Iuvencus mag den Aeneistext imitiert haben, der ihm vorlag. Ob dieser der von Vergil verfasste war, ist dabei wie oben 571 comes additus nicht mehr entscheidend. Ebenfalls für einen Bezug spricht, dass beide Verse mit ecce beginnen. So wird möglicherweise die Situation, dass Aeneas unmittelbar vor dem Eintritt in die Unterwelt steht, dem Leser ins Gedächtnis gerufen, um die düstere Atmosphäre zu unterstreichen. Zur Skepsis mahnen jedoch einige Unterschiede zwischen den beiden Versen: Zum Ersten stehen die direkt übernommenen Vokabeln primus und limen (im jeweiligen Kasus) an verschiedenen Stellen im Vers. Darüber hinaus sind auch die Bezüge verschieden; gehören bei Iuvencus primo und limine zusammen, bezieht sich in der Aeneis primi auf solis, limina steht allein. Eine Kontrastimitation ist auf Grund der vielen Unterschiede, über die der Leser hinwegsehen müsste, nicht zu beweisen.

prodebat: Iuvencus geht in diesem Vers nur ein Mal über den biblischen Text hinaus, indem er schreibt, die Dienerin verrate Petrus. Damit ist natürlich kein anderer Sachverhalt als mit ait in der Vorlage gemeint, er wird aber durch das starke Verb gesteigert. Iuvencus gebraucht prodere in vier von elf Fällen in direktem Zusammenhang mit dem Tod und auch sonst, mit einer einzigen positiv konnotierten Ausnahme, in negativem Zusammenhang.44 consimili voce: Die biblische wörtliche Rede wird in consimili voce komprimiert; zur Wiedergabe von Reden siehe unten S. 319. rursus ait ... negabat: Da ait kein Objekt hat, setze ich hinter iurans einen Doppelpunkt. Damit ist illum se nosse negabat explikativ zu absolutem ait zu verstehen. rursus ait iurans: Das umständliche negavit cum iuramento drückt Iuvencus glatter aus und vermeidet dabei den ungebräuchlichen und unklassischen Aus-

40 Die Kommentare von Norden und Austin (1964) sprechen sich für limina, Fletcher und Williams für lumina aus. Ihre Argumente sind folgende: Norden ad loc. verweist auf Catull. 64,271 Aurora exoriente vagi sub limina solis und Sil. XVI 229f (oben zitiert). Zudem hält er in limina solis in Anlehnung an die Ilias (A 591f ῥῖψε ποδὸς τεταγὼν ἀπὸ βηλοῦ θεσπεσίοιο / πᾶν δ’ ἦμαρ φερόμην, ἅμα δ’ ἠελίῳ καταδύντι) für eine auf mythologischer Vorstellung beruhende Metapher. Die Catullparallele wird von Fletcher und Williams abgelehnt, da es sich dort um eine Orts- und nicht eine Zeitbestimmung handelt. Obwohl es für limina solis mit temporaler Bedeutung keine Parallele gibt, hält Austin den Ausdruck für „a bold experiment, the place where the sun first appears (limina) being fused with his rising (ortus) to give a complex expression for ,dawn‘.“ Er fügt hinzu, dass durch et ortus die Lesart limina verständlich wird, wohingegen et ortus nach lumina überflüssig wäre. Die Argumentation von Norden und Austin vermag zu überzeugen, auch, da es für sub lumina solis gar keine Parallele gibt. Wegen der großen Schwierigkeit des Ausdrucks sub limina solis ist aber eine frühe Textkorruption verständlich. 41 Claud. Don. Aen. VI 255. 42 Serv. Aen. VI 255. 43 Letzteres von Norden ad loc. als Argument für limina angeführt. 44 Zum Tod II 784; III 587; IV 190, 434; positiv im Sinne von „mitteilen“ I 192.

28

Die Verleugnung des Petrus

druck iuramentum.45 Der zweite Schwur unten (580f) ist ähnlich gestaltet, siehe auch dort, et Petrus ... negando. Iuramentum würde durch seine drei (im Ablativ vier) Längen schwerfällig wirken und wird wohl auch daher vom Dichter vermieden. Iurans kommt in den Evangeliorum Libri nur zwei Mal vor; beide Male in dieser Perikope (hier und 580) und beide Male an derselben Stelle im Vers. Im Gegensatz zur Vorlage ist dabei „schwören“ nicht Hauptverb, sondern nur modales Partizip zu ait.

illum se nosse negabat: Erneut wird eine wörtliche Rede des Petrus indirekt wiedergegeben. Iuvencus lässt von Mal zu Mal die Reaktion des Petrus deutlicher werden: Kommt er in Vers 573 noch mit ille negat aus, verwendet er hier einen ganzen Vers. Zwar steigert sich auch in der Vorlage Petri Antwort durch Hinzufügung des Schwurs, Iuvencus gestaltet diese Steigerung aber auch verstechnisch aus. Illum entspricht dabei dem deiktischen hominem / ἄνθρωπον, das keineswegs, wie bei der Interpretation von Joh 19,5 oft geschehen, theologisch überbewertet werden sollte.46 Die dritte Verleugnung durch Petrus (IV 577–585) Mt 26, 73–75: 73 Et post pusillum accesserunt qui stabant, et dixerunt Petro: Vere ex illis es tu; nam et loquella tua similis est. 74 Tunc coepit devotare se et iurare, quod non novisset hominem; et continuo gallus cantavit. 75 Et rememoratus est Petrus verbi Iesu, quod dixerat: Priusquam gallus cantet, ter me negabis. 76 Et egressus foras amarissime ploravit.

Iuvenc. IV 577–585 577 Tum percontatum multi accessere sequentes

73 qui ibi f g1 l q r1 74 devotare h r1 aur f ff1 l vg g1 : devotare se rell. 75 verbum a r1 : verbo l

577 percunctantum vel percontantum R M C2 Hl K22 P P2 S Bb Mb P3 Al L Mp Matr V1 V2 Ph Bx C3 Ca H N Ca2 G Arevalo Marold : precunctantum K1 584 verbis C M R2 K1 K2 P2 T1 B Mb Bb P3 Sg1 Huemer : veri P22 T2 Ca : vera V12 Mp Arevalo Marold : veris Matr : numinis Hl : muneri V21 : muneris Ph : fort. verbi Huemer 585 egressuque Sg : egressusque C M C2 Hl P2 S B Bb L Mp Matr V11 V2 H N G Marold Huemer Knappitsch

578 eque sono vocis sese cognoscere dicunt, 579 cuncta Galilaeam streperent quod verba loquellam. 580 Et Petrus iurans devotis omnia verbis 581 nescire adfirmat, quisquis foret ille, negando. 582 Hanc vocem, plausum quatiens sub culmine tecti, 583 ales prosequitur cantu, mentemque Simonis 584 circumstant tristem verbi praesagia Christi;

585 egressumque dehinc ploratus habebat amarus.

45 In klassischer Zeit gar nicht belegt, später bisweilen in lateinischen Bibelübersetzungen, selten außerhalb dieser, vgl. ThLL VII 663,45–664,20 (1970). 46 Vgl. LSJ s.v. 5, Schnackenburg (1975) 294–296, anders Thyen 723–725.

IV 570–585

29

ploratus amarus habebat K1 T Bb Matr Ca: ploratus amaros habebat K2 Sg : ploratus habebat amaros C R M C2 Hl P P2 S B Bb L Mp Matr V1 V2 H N G Marold Huemer Knappitsch : ploratus flebat amaros coni. Kassel47

tum: Der Dichter kürzt die schon knappe Zeitangabe et post pusillum bei Matthäus bis auf ein Minimum ein; siehe auch oben zu 574 ecce sed egressum. percontatum multi accessere sequentes: Durch das Supinum, das angibt, warum die Diener sich dem Petrus nähern, wird deutlich gemacht, dass diese insistieren. Ihre Zahl wird zudem durch multi sequentes gegenüber der Vorlage, die keine Mengenangabe, sondern nur unpräzises qui stabant enthält, vergrößert. So bringt das Drängen der Menge Petrus zur dritten Verleugnung. Dieser befindet sich noch immer an der Tür nach draußen (primo sub limine). Die Variante percunct- findet sich auch an beiden anderen Stellen, an denen Iuvencus das Wort gebraucht (III 648 und 679), jedoch ist dieser Unterschied rein orthographisch.48 Sowohl Marold als auch Arevalo lesen percunctantum. Deren Text muss man dann wie folgt verstehen: „Dann kamen viele derer, die (ihn) ausfragten, dazu und folgten ihm ...“ Dabei handelte es sich um ein Hysteronproteron, für das kein Grund zu finden ist. Weiter könnte percontatum auch ein Partizip Perfekt Passiv49 statt eines Supinums sein.50 Dann fehlte aber das Insistieren der Menge, eine eindringliche und lebendige Hinzufügung des Dichters. Percontatum ist also als Supinum zu verstehen, denn ein Objekt benötigt accedere wie in der Vorlage51 nicht, sequentes ist substantiviert zu verstehen.

sequentes: „Sequentes = ἀκόλουθαι, qui supra ministri vocabantur.“52 Sequentes ist nicht verbal zu verstehen, da Petrus sich von der Schwelle nicht weiter wegbewegt hat. eque sono ... loquellam: Die wörtliche Rede wird wiederum indirekt wiedergegeben. Die beiden Verse, die Iuvencus darauf verwendet, zu beschreiben, wie Petrus an seinem Dialekt erkannt wird, weisen einige sprachliche Mittel auf, diesen Dialekt zu illustrieren. Knappitsch erkennt in Vers 57853 eine c und q–Alliteration und weist in Vers 579 besonders auf das starke und in der Bedeutung „spre-

47 Diese Konjektur geht auf einen Vorschlag von Rudolf Kassel aus dem von ihm und Jürgen Hammerstaedt geleiteten Doktorandenkolloquium zurück. 48 Vgl. OLD s.v. perconto und ThLL X 1019,61–1020,34 (Hajdú 1994). Daher fehlt die Unterscheidung zwischen diesen beiden Varianten in den Apparaten. 49 Iuvencus bildet die aktive Form percontare statt des üblicheren Deponens percontari, vgl. III 648 ipsum percontant cuncti, quae causa clamoris [...]. Die alternative Lesart dort, percontantur, ist mit dem Metrum nicht vereinbar, Poelmanns Konjektur tum percontantur überflüssig. Das Partizip findet sich auch III 677–679 quaerentibus omnia vobis / dicere iam facile est, si nobis vestra vicissim / percontata prius paucis sententia solvat in zweifellos passiver Bedeutung. Siehe auch Bauer zu III 648. 50 Diese Frage stellt schon Arevalo ad loc., der jedoch letztlich ohnehin percunctantum liest. 51 Vgl. ThLL I 256,87–257,73 (Bickel 1901). Iuvencus gebraucht accedere zwar sonst stets mit Objekt, angesichts der geringen Zahl von Belegen (außer hier nur III 500 und IV 411) ist dies aber nicht aussagekräftig. 52 Knappitsch ad loc. 53 Vgl. Knappitsch ad loc.

30

Die Verleugnung des Petrus

chen“ höchstens despektierlich54 verwendete Verb streperent hin. Den Galiläern wird stets eine nachlässige Aussprache nachgesagt; das wird auch Iuvencus bekannt gewesen sein, denn es finden sich schon im NT 55 und in der rabbinischen Literatur56 Beispiele dafür. Der Konjunktiv nach quod und der damit einhergehende (und bei Iuvencus häufige) Tempuswechsel57 haben metrische Gründe; siehe auch unten zu 666 quod rex Iudaeae plebis gentisque fuisset. Dalman58 zeigt bei seiner Untersuchung des galiläischen Dialekts, dass gerade die Gutturale, auf die die c und q-Alliteration hinweisen könnte, von Galiläern regelmäßig spirantisch ausgesprochen wurden (‫ כ‬an Stelle von ‫ ע‬und ‫ ק‬und regelmäßige Verwechslungen der Laryngale ‫ א‬und ‫)ע‬. Zur von Knappitsch richtig festgestellten Alliteration von Gutturalen kommt aber auch in Vers 578 noch eine Alliteration von Spiranten. Über eine besondere galiläische Aussprache dieser weiß Dalman59 nichts zu sagen. Diese Konkretisierung der Auffälligkeiten im galiläischen Dialekt dürfte dem Dichter, der keine Hebräischkenntnisse hatte, unbekannt gewesen sein. Wahrscheinlicher ist also, dass er hier einen Dialekt konstruierte und diesen durch die genannten sprachlichen Mittel deutlich machte. Zwar sind beide Verse nicht aus dem Munde des Petrus gesprochen, jedoch gibt Iuvencus ohnehin einen Großteil der wörtlichen Reden der Vorlage indirekt wieder.60 An allen anderen Belegstellen für Galilaea61 lässt der Dichter keine ähnlichen Mittel und Ziele erkennen. Daher kann man die pointierte Sprache hier als bewussten Spott der Diener über die Unfähigkeit des Petrus, richtig zu sprechen, verstehen. Galilaeam: Bei Matthäus findet sich die Information, Petrus sei Galiläer, hier nicht. Mk 14,70 und Lk 22,59 bezeichnen indes Petrus als solchen, gehen aber nicht auf seine Sprache oder andere typische Merkmale ein, sondern belassen es bei der bloßen Feststellung, man könne ihn als Galiläer erkennen. Iuvencus harmonisiert also die synoptischen Evangelien. Et Petrus ... negando: Die Reaktion des Petrus auf die Anschuldigungen ist gewissermaßen die logische Fortsetzung der ersten beiden Verleugnungen: Vom lakonischen ille negat (573) über das stärkere rursus ait iurans illum se nosse negabat (576) steigert sich die Reaktion Petri hier zu vollen zwei Versen, die abgesehen von ihrer Länge auch sprachlich weit (und zwar auch weiter als die gegenüber den ersten beiden Berichten gesteigerten Verse der Vorlage) über die ersten beiden Berichte hinausgehen. Sowohl Mt 26,70 als auch Mt 26,72 gibt es eine 54 OLD s.v. 1. 55 Hier und Apg 2,7. Siehe auch G. Bertram/Th. Klauser, Art. Galiläa, in: RAC 8 (1972) 800– 813. 56 Vgl. Gnilka (1988) 437 mit Literaturhinweisen. 57 Vgl. Hatfield 4. 58 G. Dalman, Grammatik des jüdisch-palästinischen Aramäisch. Nach den Idiomen des palästinischen Talmud, des Onkelostargum und Prophetentargum und der jerusalemischen Targume, Leipzig ²1905, 58–62. 59 Ibid. 66. 60 Vgl. Rodriguez Hevia 270. 61 Sei es als Substantiv oder als Adjektiv: I 414, 435, 450; II 243, 432; III 195, 459; IV 466, 762, 755, 784.

IV 570–585

31

kurze Einleitung und eine darauf folgende Rede des Petrus; Gleiches gilt für Mt 26,74. Diese Einförmigkeit wird von Iuvencus durch seine Kürzungen und Erweiterungen durchbrochen: Bei der ersten Verleugnung hatte er die Rede des Petrus noch ausgelassen (s.o.), bei der zweiten indirekt wiedergegeben (s.o.), hier verstärkt er die Reaktion des Apostels, indem er devotare zu devotis verbis erweitert, omnia hinzufügt und durch das emphatische (und mit nescire eine Alliteration bildende) negando einen eindrucksvollen Schlusspunkt setzt. Der Beginn des Verses ist dabei ähnlich gestaltet wie Vers 576. Iurans steht an dritter Stelle, man erwartet wie oben den Inhalt des Schwurs. An dessen Stelle aber rückt das in der Vorlage vor iurare berichtete devotare (se), als instrumentaler Ablativ ausgedrückt. Auch danach bleibt iurans modal, das eigentliche Hauptverb ist adfirmat; darin aber ist die Syntax hier mit der von Vers 576 gleich. Durch diese Parallelität werden die fehlende Einsicht des Petrus und die negative Entwicklung des Geschehens gesteigert. devotis verbis: Da devotis verbis, eine Junktur, die außerhalb von Iuvencus nicht belegt ist, gerade ohne Kenntnis der Vorlage schwierig ist, erklärt Arevalo das Partizip als Aktiv gebraucht zutreffend im Sinne von „verbis, quibus Petrus [...] devovit.“62 Wer Objekt dieses Fluches ist, ist auch in der Diskussion über die Vorlage höchst umstritten; siehe dazu unten. Es liegt nahe, dass Petrus sich bei Iuvencus selbst verfluchte, um seinem Schwur Nachdruck zu verleihen (so z.B. Origenes63). Für Probleme sorgt an dieser Stelle die Überlieferung der Vetus Latina, wobei ich das Matthäus- und das Markusevangelium wegen der Übereinstimmung in diesem Punkt hier gemeinsam heranziehe: Entgegen dem griechischen Text, dessen Verb καταθεματίζειν (Mt) bzw. ἀναθεματίζειν (Mk) kein Objekt bei sich trägt64, findet sich bei Matthäus in vielen Codices,65 bei Markus in zwei Codices der Itala und in der Afra zusätzlich zu devotare ein Objekt, nämlich se. Arevalo glaubt, Iuvencus könne seinen Vers nur auf dieser Grundlage so gestaltet haben, da er durch das se erkenne, dass Petrus durch Selbstverwünschungen seinem Schwur Nachdruck verleiht.66 Es herrscht in der Bibelwissenschaft kaum Einigkeit über das Ziel der Verfluchung. Abgesehen davon, dass viele moderne Kommentatoren auf das Problem gar nicht eingehen, stellt Schnackenburg67 wie später Ernst68 ohne wirklich weitergehende Erklärungen fest, dass Petrus sich selbst verflucht, Gnilka69 berichtet, dass die Verfluchung des Jesusnamens zu späterer Zeit70 Straffreiheit für die Christen zur Folge hatte, wertet aber 71 einen solchen Bezug als Anachronismus

62 Arevalo ad loc. 63 So in der altkirchlichen Exegese, die größtenteils zur Frage schweigt, Orig. Ser. 114 (GCS 38, 240,25f Klostermann/Benz) etiam devotat seipsum. 64 Mt 26,74 τότε ἤρξατο καταθεματίζειν [...], Mk 14,71 ὁ δὲ ἤρξατο ἀναθεματίζειν [...]. 65 Darunter auch d1 und d2, die Orban (1995) neben der Afra für die Hauptquellen des Iuvencus hält. 66 Arevalo ad loc.: „Inde Iuvencus sumpsit, iurans devotis omnia verbis; Petrus enim se diris devovebat, atque omnia mala sibi precabatur, si verum non erat, quod asserebat. Proprie devotus est diris, et imprecationibus impetitus.“ 67 Vgl. Schnackenburg (2005) 271. 68 Vgl. Ernst (1981) 450. 69 Vgl. Gnilka (1979) 293. 70 Belegt z.B. bei Plin. epist X 96. 71 Auch gegen frühere Forscher, genauer s. Gnilka (1979) 293.

32

Die Verleugnung des Petrus

und sieht de.n Fluch als objektlos.72 Pesch73 tendiert dazu, Petri Fluch als beinahe kirchliches Anathema gegen Jesus und als Ungeheuerlichkeit zu qualifizieren, bleibt aber unsicher, Luz74 bietet schließlich die umfassendste Bibliographie zum Thema und votiert mit Bezug auf die von Gnilka noch als Anachronismus abgelehnten historischen Begebenheiten bei Plinius und im Zusammenhang mit dem Bar–Kochba-Aufstand75 hier für ein Verständnis als Verfluchung Jesu. Dieser These schließt sich Fiedler76 an. Selbst dieser kurze Überblick zeigt, dass über das Verständnis, das Iuvencus von dieser Stelle hatte, zumal unklar ist, welchen Bibeltext er kannte, wenig ausgesagt werden kann.

foret: Foret steht statt des zu erwartenden, hier metrisch aber nicht passenden esset. Die Form ist seit der Vorklassik stets in Gebrauch geblieben.77 Hanc vocem ... cantu: Kaum hat Petrus die dritte Verleugnung ausgesprochen, kräht der Hahn. Die Zeitangabe continuo der Evangelien fehlt bzw. wird durch hanc vocem prosequitur wiedergegeben. Der Hahn, den die Evangelien nicht weiter beschreiben, wird hier durch eine plastische Beschreibung seines Flügelschlags ausgeschmückt; erst danach wird sein eigentlicher Ruf berichtet. Es wirkt, als wollte der Hahn höhnisch Beifall spenden. Die Worte, die der Bibeldichter dazu benutzt, sind episches Vokabluar. Quatere für Tierlaute (allerdings Schafe) findet Knappitsch schon bei Ennius, 78 Vergil bezeichnet so unter anderem den Flügelschlag von Harpyien, 79 Ovid unter anderem den des Ikarus.80 Zu Iuvencus’ Junktur plausum quatiens vgl. Aen. V 215f [columba] fertur in arva volans, plausumque exterrita pennis / dat tecto ingentem [...].81 Auffällig ist in mehrerlei Hinsicht die Position des Hahns sub culmine tecti. Auch bei Vergil befinden sich dort Vögel, etwa Aen. VIII 455f Euandrum ex humili tecto lux suscitat alma / et matutini volucrum sub culmine cantus.82 Iuvencus hatte ferner Christus 473f prophezeihen lassen: [...] Christum, fortissime Petre, negabis, / et prius alitibus resonent quam tecta domorum. Iuvencus greift also die Phrase tecta domorum wieder auf.83 Thraede sieht weiter einen Einfluss von Aen. VI 186 Fama luce sedet custos aut summi culmine tecti [...].84 Der Hahn 72 73 74 75

76 77 78 79 80 81 82 83 84

Vgl. auch Gnilka (1988) 437. Vgl. Pesch (1977) 450. Vgl. Luz (2002) 216. Bar Kochba ließ Christen Strafen nach, wenn sie Jesus verleugneten. Vgl. Gnilka (1979) 293. Vgl. zu Verfolgung bei Iuvencus Green (2006) 121f. Er hält z.B. die typische Bezeichnung der Christen als iusti (siehe unten zu 594 iusti) für ein Zeichen für eine Unterscheidung der gerechten Christen von den ungerechten Verfolgern und weist auf I 466f felices nimium, quos insectatio frendens / propter iustitiam premit als einen sehr auffälligen Zusatz zur Bergpredigt hin. Vgl. Fiedler (2006) 403. Vgl. Kühner-Holzweissig 804f und Leumann-Hofmann-Szantyr I 524. Vgl. Knappitsch ad loc. und Enn. Ann. VI 169 (Skutsch) Balantum pecudes quatit, omnes arma requirunt. Aen. III 226 magnis quatiunt clangoribus alas. Ov. Ars II 89 nudos quatit ille lacertos. Vgl. Knappitsch ad loc. Siehe auch Knappitsch zu IV 474. Dass es sich beim culmen dort um das culmen des humile tectum vorher handelt, ist unbezweifelbar. Siehe auch Fordyce (1977) 256. Vgl. Thraede (2000) 902.

IV 570–585

33

übernimmt, wenn man eine Kontrastimitation annimmt, die Rolle der Fama, Petri Verleugnung zu verkünden. Dieses Motiv der „Verkündung von oben“ deutet auf die intendierte Wirkung der Perikope hin, nämlich allen Menschen ihre Fehlerhaftigkeit ins Gedächtnis zu rufen. Problematisch scheint einigen, dass ein Hahn üblicherweise nicht am Dachfirst zu finden ist.85 Dass aber die Präposition sub hier (anders als 547 sub limine) „unter“ bedeutet, ist sicher. In der Aeneis sind also wohl andere Vögel, womöglich Schwalben.86 gemeint. Bei Iuvencus aber ist wegen des Bekanntheitsgrades der Szene nicht denkbar, dass es sich um einen anderen Vogel als einen Hahn handelt, wenn auch ales natürlich unpräzise ist. Man muss sich den Hahn also auf einem Balken gleich unter dem Dachfirst vorstellen. Auch Sil. XIV 21f latratus fama est (sic arta intervenit unda) / et matutinos volucrum tramittere cantus beschreibt einen Morgen mit Rückgriff auf Vergil. Nicht, welcher Vogel von Vergil beschrieben wird, sondern dass es sich um einen, der den Morgen ankündigt, handelt, ist also sicherlich Ansatzpunkt für beide Imitatoren.87 Will man daraus eine bewusste Vergilevozierung lesen, wird die topische Bedeutung des Hahns als Morgenvogel durch den Anklang an die in der Aeneis gegebene Beschreibung des Morgens verstärkt; siehe zu möglichen theologischen Implikationen weiter unten S. 36–37. Die plastische Beschreibung der Szene nimmt nun gerade zu Beginn des vierten Jahrhunderts nicht Wunder, ist sie doch eine der am häufigsten dargestellten Szenen dieser Zeit.88 Es ist also zumindest denkbar, dass Iuvencus hier sogar eine bildliche Vorlage hatte. Die vielen Nuancen dieser vielfach untersuchten89 Darstellungen sind in der kurzen und wie gewohnt eng an der Vorlage orientierten Szene bei Iuvencus nicht aufzufinden; dass er aber eine gewisse Zahl von „Hahnszenen“ kannte und auch daraus die Genauigkeit seiner Beschreibung schöpfen kann, steht außer Frage. Zur Frage nach dem Zweck solcher Darstellungen siehe unten S. 346–373.

85 Fordyce (1977) 256 verweist auf Varro, rust. III 9,6. Gnilka (2008) führt einige Probleme auf, die schon Serv. Aen. VIII 455f hatte: Volucrum sub culmine potest et generaliter accipi volucrum quarumvis, quae matutinae sonant; potest et specialiter, ut hirundinum; potest et gallorum; quae omnia propter sermonis humilitatem vitavit. Der Donatkommentar zu dieser Stelle ist verloren. Solche Fragen schienen Iuvencus aber, so sieht es auch Gnilka, nicht zu berühren. 86 Vgl. wiederum Fordyce (1977) 256. 87 Spaltenstein ad loc. erkennt diese Vergilimitation und bringt einige Belege für den Hahn als typischen Morgenvogel. 88 Vgl. Dassmann (1980) 517. Er verweist dort auf M. Sotomayor, Sarcófagos romano– cristianos de España. Estudio iconográfico, Granada 1975 (Biblioteca Teologica Granadina 16), der eine umfassende ikonographische Analyse spanischer Beispiele, gerade auch zur Zeit des Iuvencus, erstellt hat. 89 Dassmann (1980) v.a. 509–511 bietet einen guten Überblick über die bis zu seiner Zeit geleistete Forschung, A.D. Fitzgerald, Christ, Peter and the Rooster, Augustinianum 41 (2001), 409–423 eine Aktualisierung, allerdings mit besonderem Augenmerk auf die Bußpraxis des vierten Jahrhunderts.

34

Die Verleugnung des Petrus

mentemque Simonis ... Christi: Die Prophezeiung Christi wird nicht mehr wiederholt, sondern gemäß der Gewohnheit des Dichters, der Wiederholungen zu vermeiden sucht, in verbi praesagia Christi zusammengedrängt. Kenntnis von der Prophezeiung hat der Leser ja ohnehin: spätestens durch die genaue Beschreibung des Hahns sind die Worte Christi, an die auch Petrus gleich denkt, ja wieder (dem Leser) in Erinnerung gerufen worden. Dass Petrus dabei mit seinem selteneren Praenomen Simon genannt wird, hat entweder metrische Gründe oder geschieht, um auch hier Abwechslung zu bieten. Inhaltliche Gründe sind auszuschließen. 90 Der hebräische Name Simon ist bei Iuvencus grundsätzlich deklinabel; siehe unten S. 39–61 zur Darstellung des Petrus, dort besonders zu 422 praesolidum Simonem. Der Detailreichtum der Beschreibung macht deutlich, dass es sich um den Wendepunkt der Perikope handelt. Zudem emotionalisiert Iuvencus, indem er nicht bloß Petrus, der sich erinnert, nennt, sondern dessen tristis mens. Mens gebraucht Iuvencus exzeptionell häufig (78 Belege), auch präzisiert er gerne dort, wo die Bibel einen Menschen nennt, wenn Gefühle beschrieben werden sollen, mit dieser Vokabel. 91 Im Adjektiv tristis erkennt Thraede das „Leitmotiv“92 Gram, das bereits zu Vers 570 tristis angesprochen wurde. In beiden Fällen handelt es sich um dieselbe Hinzufügung des Iuvencus. Ihm ist wichtig, darzustellen: Petrus ist nicht nur zu Beginn wegen der Situation Christi, sondern auch zum Schluss wegen seines eigenen Versagens traurig. In letzterem Fall unterstützt auch die Metrik des Verses dieses Gefühl: Abgesehen vom fünften Fuß sind ausschließlich Spondeen zu messen. Siehe zu einer dadurch möglicherweise ausgedrückten Bußfertigkeit unten S. 37. Zuletzt bildet der Dichter hier die Junktur mentem circumstant, die eine bildliche Illustration der Emotionen bietet. Zum Subjekt praesagia tritt das höchst umstrittene verbi. Arevalo und Marold lesen vera, 93 Huemer liest verbis, wobei er im Apparat „fort. verbi“ hinzufügt, Knappitsch schließlich im Anschluss an Petschenig verbi. Letzterer beruft sich auf die Autorität der Vorlage, rememoratus est verbi.94 Alle Lesarten sind verständlich, einzig vera aus metrischen Gründen abzulehnen Es gibt nämlich im gesamten Werk des Iuvencus keinen Beleg für eine Positionslänge am Wortende vor pr-, nur vier (I 112, 315; III 248; IV 224) vor muta cum liquida überhaupt. Hansson95 führt die Stelle zwar auf und entscheidet sich für verbi, gibt aber keine eigene Be90 Auch als Simon ist er mit positiven Adjektiven besetzt, vgl. I 421f praesolidum / Simonem, dignum cognomine Petri [...]. Auch III 119f iamque Simon medio submersus corpore clamat [...] und III 391 scandantur tibi summa, Simon, hamusque profundo [...] lässt sich die Bevorzugung des Praenomen metrisch erklären. 91 Nur zwei aus vielen Beispielen: II 63 Imperat his [den Schweinen in Gerasa] hominis mentem dimittere Christus [...]. für Mt 8,8 Exi, spirite immunde, de hoc homine [...]. oder III 193f Virginis et mentem decusso daemone virtus / complexam inplevit [...]. für Mt 15,28 et sanata est filia eius [...]. 92 Thraede (2000) 902. 93 Marold (1892) ad loc. begründet so: „[vera] oder vielleicht noch besser veri; denn es ist, abgesehen von dem höchst schwerfälligen verbis praesagia Christi, leichter erklärlich, wie aus vera (veri) praesagia Christi die andere Lesart entstehn (sic) konnte, als umgekehrt.“ 94 Vgl. Petschenig (1891) 142. 95 Hansson 55 Anm. 53.

IV 570–585

35

gründung für seine Entscheidung. Verlockend wäre es nun, veri, das der von Huemer gar nicht berücksichtigte Codex P396 aus dem 9. Jahrhundert überliefert und Marold vermutete, zu lesen und eine Imitation von Ov. Trist. IV 10,129 si quid habent igitur vatum praesagia veri anzunehmen. Ein expliziter Bezug zur Wahrheit der Aussagen Christi findet sich bei Sedulius, nämlich Carm. Pasch. V 104–106 cui cuncta potens praedixerat auctor / quae ventura forent (quoniam transire nequivit / infectum quod Christus ait), womöglich auf Hier. epist. 42,2 gestützt.97 Dann drängte sich eine Konstrastimitation auf, nämlich dass die praesagia Christi den vatum praesagia überlegen sind. Die Parallele aber ist zu schwach, um gegen die bessere Überlieferung von verbi(s) zu argumentieren. Praesagia verbi ist dabei die deutlich verständlichere Lesart. Egressumque dehinc ... amarus: Das verbale amarissime ploravit der Vorlage wird zu amarus habebat ploratus aufgesprengt. Diese Technik, von Donnini „Adjektivierung“98 genannt, dient der plastischen und geradezu greif- und spürbaren Gestaltung des Evangelientextes.99 So wird am Versschluss sowohl die Stimmung der Gesamtperikope erneut festgehalten als auch eine starke Betonung auf die Bitterkeit gelegt.100 Marold und Huemer lesen hier egressusque dehinc ploratus habebat amaros. So müsste man ploratus amaros für einen Akkusativ halten, der aus zwei Gründen von Hansson für problematisch befunden wird: Zum einen ist der Akkusativ Plural der u–Deklination vor Iuvencus nicht mit einer kurzen Endsilbe belegt,101 zum anderen ist eine Junktur (aliquis) ploratus habet ohne Parallele. 102 Hansson erkennt zwar einige metrische Lizenzen,103 die Kürzung von -us gehört aber nicht dazu. Für ploratus aliquem habet kann Hansson aber die einleuchtende Parallele Sil. XIII 694 sed me luctus habet [...] beibringen. Auch bei Sedul. Carm. Pasch. V 112 et dulcem veniam, fletus, generastis, amari sind die fletus amari Subjekt. Zwar unterscheiden sich die Verben deutlich, jedoch ist der aktivische Gebrauch von fletus bei Sedulius, der hier gewiss Iuvencus imitiert, aussagekräftig. Es ist also mit Arevalo egressumque ... amarus zu lesen. 96 97 98 99 100 101

102 103

Vgl. ibid. und 19. Vgl. Deerberg 204f. Donnini (1973) passim. Ibid. 67: [Es wurde gezeigt] „come Giovenco sia un attento e sensibile creatore di immagini e di situazioni, come sappia plasmare da sé la sua espressione e come sappia ‚commentare‘ e colorire il testo sacro da cui trae ispirazione.“ Ähnlich auch Sedulius im letzten Vers dieser Perikope (Carm. Pasch. V 112 Et dulcem veniam, fletus, generastis, amari [...]), dem sonst an dieser Stelle keine weitere Iuvencusimitation nachzuweisen ist. Vgl. Hansson 55 Anm. 54 mit Verweis auf L. Mueller, De re metrica poetarum Latinorum praeter Plautum et Terentium, Petersburg / Leipzig ²1894, 422. Huemer liegt sicher richtig, dass Ermoldus Nigellus, C. II 370 et contra Mauros fletus habet miseros Iuvencus imitiert, daraus aber eine Lizenz für den sonst metrisch zuverlässigen Vergilimitator abzuleiten, ist gewagt. Auch Knappitschs Argument zur Stelle, dass spätere Dichter (ohne konkrete Angabe) diese Lizenz besessen hätten, spricht eher für einen Fehler späterer Autoren als des Iuvencus. Vgl. Hansson 55 Anm. 55 mit Verweis auch auf ThLL V 2442,67–83 (Bulhart 1936). Vgl. Hansson 16 Anm. 17.

36

Die Verleugnung des Petrus

THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Schrittweiser Auszug des Petrus Origenes interpretiert den Hof des Hohenpriesters als „Raum des Teufels“, 104 innerhalb dessen niemand zur Reue für seine Sünden kommen kann. Petrus muss also erst aus dem Palast treten, bevor er zu weinen in der Lage ist; ebenso erklärt es später Hieronymus. 105 Auch sieht Origenes wie die gesamte klassische Antike 106 den Hahn als Morgenvogel, der durch seinen Schrei das Aufgehen der Sonne auch im theologischen (bzw. vorchristlich im apotropäischen107) Sinne ankündigt: War Petrus zuvor noch in (geistiger) Dunkelheit, so tritt er jetzt ins Licht des Heils und vermag sein Verhalten richtig zu bewerten. Auch bei Iuvencus findet sich der Weg des Petrus ausgeschmückt. In Vers 570 sitzt Petrus nicht wie bei Matthäus foris, sondern intus. Bevor der Apostel Christus das zweite Mal verleugnet, versucht er gerade, aus der Tür zu treten, wird aber noch an der Schwelle aufgehalten (siehe oben zu 574 ecce sed egressum und primo sub limine cernens). Wenn Iuvencus durch primo sub limine wirklich bewusst das sechste Aeneisbuch evoziert, wird nicht nur der Auszug des Petrus verzögert, sondern auch der Palast des Kaiaphas implizit mit der Unterwelt gleichgesetzt. Iuvencus’ Auslegung gleicht so der des Origenes. 108 Weiter ist dem Dichter die detaillierte Beschreibung des Hahnenschreis sehr wichtig, um die Szene genau auszuleuchten. Dies kann zweifellos als Verbesserung der narratio, als „Episierung“ gewertet werden. Es ist erneut ein Rückgriff auf eine Vergilpassage denkbar, wodurch die typische Verbindung zwischen Hahn und Morgen verdeutlicht würde; siehe oben zu 582 hanc vocem ... cantu. Diese Andeutung der Dämmerung, die in der Alten Kirche auch geistlich interpretiert wird (das Tageslicht wird mit dem Licht des Heiles und der Erkenntnis identifiziert109), ermöglicht es Petrus dann, sein Fehlverhalten einzusehen. Am 104 105 106 107 108

Vgl. Orig. Eph. 4,27. Vgl. Hier. in Matth. IV 26,75 (CCL 77 262,1464–1467 Hurst/Adriaen). Vgl. C. Nauerth, Art. Hahn, in: RAC 13 (1986) 360–372. Vgl. ibid. 363. Vgl. Orig. Ser. 114 (GCS 38, 237,16–238,17) Forsitan autem et quicumque est „in atrio“ Caiphae „principis sacerdotum“, non potest confiteri dominum Iesum, nisi fuerit egressus ex atrio eius [...]. Considera enim, quoniam Petrus „foris“ sedens, ab Iesu segregatus et „in atrio“ principis constitutus, „coram omnibus“ Iesum denegavit, et iterum vice secunda similiter non extra ianuam foris factus, sed volens exire nondum autem egressus „ianuam“ denegavit, sed et tertia vice, quando „qui stabant dixerunt: vere ex illis es“ et quando „coepit se devotare et iurare, quia nescio hominem,“ adhuc non erat foris. Et omnes denegationes factae sunt ei in nocte et in tenebris, priusquam veniat dies et signum diei, id est galli cantus qui suscitat volentes a somno [...]. Forsitan autem et omnes homines quando denegant Iesum, ita ut peccatum denegationis eorum recipiat medicinam, ante galli cantum denegare eum videntur, nondum eis nato sole iustitiae ne adpropinquante eis ortu ipsius. 109 Die Interpretation des Hahns als Morgenkünder (vgl. Sedul. Op. Pasch. V 8 diei nuntius) im praktischen und theologischen Sinne findet sich auch bei Ambr. Hex. 5,24,88 (CSEL 32,1, 201,12–202,12 Schenkl) Est etiam galli cantus suavis in noctibus – non solum suavis, sed etiam utilis, qui quasi bonus cohabitator et dormitantem excitat et sollicitum admonet et vian-

IV 570–585

37

Schluss der Szene wiederholt der Dichter egressum und zeigt damit (im Einklang mit der Vorlage), dass Petrus erst jetzt das primum limen überschritten und die Palastanlage ganz verlassen hat, bevor er durch Tränen seine Reue endlich zum Ausdruck bringen kann. Buße und Reue Wichtig war für die Alte Kirche, das zeigen auch die vielen bildlichen Darstellungen der Szene in diesem Zusammenhang, der Aspekt der Buße; vgl. Hier. in Matth. IV 26,34 (CCL 77, 253,1206f Hurst/Adriaen) conversus flevit amariter negationis sordes lacrimis lavans und IV 26,75 (CCL 77, 262,1464–1467 Hurst/Adriaen) in atrio Caiphae sedens non poterat agere paenitentiam. Egreditur foras de impiorum concilio (Ps 1,1) ut pavidae negationis sordes amaris fletibus lavet. Der Wert der Reue, besonders unter Tränen, ist bei Hieronymus offensichtlich, Augustinus spricht sogar von einer „Tränentaufe.“110 Ambrosius stellt auch heraus, dass Petrus unter Juden (und damit in einer gefährlichen Situation, siehe oben zu 570 quod) Christus verleugnete.111 Für ihn ist der Ausdruck der Buße durch Tränen, auch wegen seines Vorbildcharakters für andere Sünder, ebenfalls besonders wichtig. 112 Dennoch ist es schwer zu erweisen, dass der Dichter damit gerade (gewissermaßen katechetisch) auf Reue hindeuten wollte; wahrscheinlicher ist, dass ihm eine eindringliche narrative Gestaltung wichtig war. Weitaus deutlicher und klarer in exegetischer Absicht als bei Iuvencus findet sich der Aspekt der Reue aber bei Sedulius ausgedrückt, siehe dazu unten.

tem solatur [...]. Istius cantu spes omnibus redit, [...] revertitur fides lapsis, Iesus titubantes respicit, errantes corrigit. [...] Bene fortis in die Petrus, nocte turbatur et ante galli cantum labitur et labitur tertio [...]. Idem tamen post galli cantum fit fortior et iam dignus quem Christus aspiciat. – Auch wenn Ambrosius darauf zu sprechen kommt, dass Christus Petrus anblickt (so nur bei Lukas), ist die Wichtigkeit des Hahns sehr deutlich gemacht. 110 Serm. 229 (496,1 Morin). 111 Vgl. in Luc. X 89 (CCL 14, 371,681f Adriaen) Didici cavere adloquia perfidorum. Petrus „inter Iudaeos negavit [...].“ 112 Vgl. Ambr. in Luc. X 88f (CCL 14, 371,843–861 Adriaen) Quare flevit? Quia culpa obrepsit ei [...]. Petrus doluit et flevit, quia erravit ut homo. Non invenio quid dixerit, invenio quod fleverit. Lacrimas eius lego, satisfactionem non lego; sed quod defendi non potest ablui potest [...]. Bonae lacrimae, quae lavant culpam. [...]. Nil mihi nocuit quod negavit Petrus, profuit quod emendavit. Ähnlich äußert er sich Abr. II 9,65 (CSEL 32,1, 620,21f Schenkl) gemitu et lacrimis provocemus domini misericordiam, ut mittat nobis [...] illum verum sacerdotem et sacerdotum principem und Paenit. I 16,90 (CSEL 73, 160,27–29 Faller): volo veniam reus speret, petat eam lacrimis, petat gemitibus, petat populi totius fletibus ut ignoscatur ei obsecret.

38

Die Verleugnung des Petrus

AUSBLICK Sedulius gibt die Verleugnung Carm. Pasch. V 104–112 wieder. Er eröffnet die Szene mit einigen Aussagen über die Qualität der Prophezeiungen Christi, an die sich der nur durch die Folge semel ac bis terque ausgestaltete Bericht über die eigentliche Verleugnung anschließt; vgl. 104–107: At senior, cui cuncta potens praedixerat auctor / quae ventura forent (quoniam transire nequivit / infectum quod Christus ait), se prorsus adesse, / ipsius ex sociis semel ac bis terque negavit. / Et gallus cecinit; completa est sanctio Christi. Die theologische Aussage überwiegt gegenüber der narratio deutlich, was zuletzt durch den abschließendkonstatierenden Halbvers completa est sanctio Christi dokumentiert wird. Die folgenden fünf Verse behandeln die Reue und das Verhältnis der Tränen Petri zu dieser. Petrus wird erst durch den Hahn wieder an Christi Prophezeiung und seine Schuld erginnert, vgl. 108f Et sensus rediere Petri: memor ille malorum / inmemoris damnavit opus. Wie der Großteil der Exegese der Alten Kirche (s.o. S. 37) sieht Sedulius die folgende Reue dadurch, dass Petrus weint, auch explizit zur Gnade führen, vgl. 110–112 gemituque sequente / culpa fugit, cedunt lacrimis delicta profusis / et dulcem veniam, fletus, generastis, amari. 113 Der letzte Vers ähnelt Iuvenc. IV 585, da aber beide Verse hinsichtlich ihrer Wortwahl nah an der Vorlage orientiert sind, ist eine direkte Imitation nicht zu erweisen. Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung der beiden Dichter ist offensichtlich: Während Iuvencus eine narratio bieten wollte, die er mit epischen und theologischen Merkmalen schmückt, verzichtet Sedulius darauf, konsequent zu erzählen, bietet aber auf kurzem Raum zwei deutliche Auslegungen.

113 Siehe zu Buße und Reue in der Judasperikope, aber auch bei Sedulius im Allgemeinen Deerberg 201–209.

EXKURS: DIE DARSTELLUNG DES PETRUS BEI IUVENCUS1 „Auch Petrus, der ‚Fels‘, gestattete etymologische Anspielungen,“ stellte Thraede fest.2 Über das Motiv hinaus ist bislang nicht untersucht worden, ob und mit welchen Mitteln der Bibeldichter dem Apostelfürsten eine besondere Stellung zuweist3 oder ob er überhaupt ein auffälliges Interesse an der Person des Petrus hat. Inwiefern ist die Darstellung des Petrus vorlagengebunden, mit welchem Recht kann man ihn dennoch als epischen Helden oder zumindest epischen Charakter bezeichnen? Die Frage hiernach berührt auch die Frage nach der Gattung. Charakterisierung geschieht indirekt durch eigene Worte, Worte anderer und Worte des Dichters, direkt durch Taten.4 Auch hier werden diese vier Charakterisierungsweisen in den Blick genommen werden, wobei die für die Darstellung des Petrus wesentlichen Passagen kurz und ausschließlich mit Blick auf den Apostel kommentiert werden. Dieser tritt im Matthäusevangelium 17 mal auf, davon abweichend ein weiteres Mal im Markus-, 3 mal im Lukas- und 4 mal im Johannesevangelium. Iuvencus übernimmt dabei alle Nennungen des Matthäusevangeliums und keine einzige der anderen. PETRUS OHNE SIGNIFIKANTE CHARAKTERISTIKA Einige Perikopen zeichnen sich durch große Treue zur Vorlage (zumindest bei der Beschreibung des Petrus) aus, die dort keine oder nur sehr wenige Schlüsse auf dessen Charakterisierung zulässt. I 767f (nach Mt 8,14) heilt Jesus die Schwiegermutter des Petrus. Diese Perikope beschließt das erste Buch und ist unauffällig. II 430f lässt Iuvencus bei der Erwählung der Zwölf (nach Mt 10,2) alle Namen, wohl aus metrischen Gründen, aus.5 Das spricht gegen eine sehr große Bedeutung der Person Petri, gibt sonst aber keine Auskunft über ihn. III 381–391 sprechen die Steuereintreiber, die von Jesus die Steuer verlangen (nach Mt 17,24–27) Petrus an, der damit aus der Gruppe leicht herausgehoben wird. Er wird jedoch nur

1 2 3 4 5

Zu Petrus bei Arator, wo er eine wichtige Rolle, besonders als Apostel und Kirchenfürst, einnimmt, siehe P.-A. Deproost, L’apôtre Pierre dans une épopée du VIe siècle, Paris 1990 (Etudes Augustiniennes 126) und Schwind. Thraede (2000) 901. Green (2006) 43: „Peter is praesolidus (1. 422), stabilis (3. 271), and fortis (3. 273), ‚rock solid‘, ‚stable‘, and ‚brave‘ [...]“ bietet nur einen Anfang. Vgl. Suerbaum 206. Siehe zum Umgang mit Namen Poinsotte 40f, unten zu 734 e speculis matres und S. 330– 348.

40

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

angesprochen (382, 384) und trägt keine Epitheta, gleiches gilt IV 482–500 am Ölberg (nach Mt 26,37–41).6 Petrus’ Frage nach Reinheit und Unreinheit wird in der Vorlage von Jesus scharf zurückgewiesen; vgl. Mt 15,16 adhuc et vos sine intellectu estis? Iuvencus amplifiziert dies III 162f vos etiam duro discluditis omnia corde / iussa nec admittit mentis dubitatio lucem. Bauer weist materialreich darauf hin, dass es sich bei der Herzenshärte (duro discluditis [...] corde) und dem Sich-Verschließen gegenüber der Erleuchtung (nec admittit [...] lucem) um typisch antijüdische Polemik handelt. 7 Er übersieht dabei, dass dubitatio das Subjekt des letzten Halbsatzes ist und daher hier der Zweifel und nicht nur der Mangel an Bereitschaft, die Erleuchtung anzunehmen, Begründung für das Unverständnis der Jünger ist. Wegen der Anrede vos kann sich das nicht ausschließlich auf Petrus beziehen. Es wird allerdings deutlich, wie viel Wert der Dichter auf dieses der Glaubensstärke so entgegengesetzte Motiv legt; dazu mehr an den unten weitergehend kommentierten Stellen. In der von Green eingehend untersuchten Verklärungsperikope8 sind wenige Verse relevant. Während in der Vorlage (Mt 17,4) Petrus konstatiert: Domine, bonum est nos hic esse, fragt er bei Iuvencus III 325–327 num potius discedere longe / an istic tantae spectacula cernere molis / conveniat?. Bauer9 glaubt, wie schon lange zuvor Arevalo vermutet hatte,10 Iuvencus habe seine Vorlage missverstanden, Green11 denkt an eine Benutzung des Markusevangeliums (Mk 9,6 Non enim sciebat, quid diceret). Petrus ist dabei nicht von großer Bedeutung. III 433–436 fragt der Apostel nun (nach Mt 18,21f), wie oft er seinem Bruder vergeben müsse, und ist wieder nicht weiter qualifiziert. Zuletzt folgt Petrus Jesus zu Beginn der Passion zum Hohenpriester (IV 539–541). Er ist der einzige der Apostel, der noch folgt, wie durch 539 solus herausgestellt wird. Dazu ist er traurig (540 maestus), was jedoch als Vorverweis auf die Verleugnung verstanden werden muss; siehe weiter unten zu 570 tristem. Seine Absetzung von den anderen Aposteln spielt im Weiteren jedoch keine wesentliche wertende Rolle. Petrus wird an anderen Stellen zum Sprecher der Gruppe Jesus und der Öffentlichkeit gegenüber. Das soll unten näher thematisiert werden.

6 7 8 9 10 11

Von Flieger 23–63 eingehend kommentiert. Im Anschluss an Poinsotte 157–159. Vgl. Green (2007) passim. Vgl. Bauer 174. Vgl. Arevalo ad loc. Vgl. Green (2007) 154.

Exkurs

41

PETRUS MIT SIGNIFIKANTEN CHARAKTERISTIKA Die Berufung des Petrus (I 421f.428f) Mt 4,18a.20: 18 Cum transiret autem secus mare Galilaeae, vidit duos fratres, Simonem qui dicitur Petrus [...]. 20 At illi continuo relictis retibus suis secuti sunt eum.

Iuvenc. I 421f.428f: 421 Praeteriensque videt ponti per litora fratres 422 praesolidum Simonem, dignum cognomine Petri. [...] 428 Olli confestim firmato pectore certi 429 retibus abiectis pariter praecepta sequuntur. 422 praesolidumque Simon Arevalo

Als er (dort) vorüberging, sah er am Strand (zwei) Brüder, den sehr standhaften Simon, würdig des Beinamen Petrus [...]. Jene warfen sofort ihre Netze fort und folgten sicher, mit gestärktem Herzen, zusammen seinen Geboten.

praesolidum Simonem: Iuvencus schmückt Petrus in der Perikope von der Berufung der Fischer mit einem der von ihm geschätzten prae–Adjektive.12 Dass es sich dabei um eine etymologische Anspielung auf die Festigkeit des Felsen handelt,13 ist klar; dass der Dichter aber dafür einen Neologismus gebraucht, ist auffällig. Die metrischen Probleme in Vers 422 (-on muss kurz gemessen werden) hat schon Knappitsch erkannt und auf Sedul. Carm. Pasch. IV 112 stagna petit parvaque sedens in Simonis alno verwiesen, Kievits stellt nur fest, dass diese Silbe sonst lang gemessen wird. Die von Arevalo gewählte Konjektur praesolidumque Simon bringt nur ein neues Problem hervor, nämlich dass der hebräische Name indeklinabel wäre, was zwar in Bibelübersetzungen oft vorkommt, bei Iuvencus aber nicht, vgl. IV 409 ille Simonis erat tectis, 583 mentemque Simonis und, wenn auch über Simon von Cyrene, IV 653 ecce sed egressi quendam cepere Simonem. Siehe weiter die Kommentare zu letzteren Stellen. dignum cognomine: Das cognomen Petrus wird deutlicher als in der Vorlage (qui dicitur Petrus) durch dignum cognomine wertend eingeführt: er hat diesen Titel verdient. Mit der Erwähnung dieses Titels zum Namen Simon hält sich Iuvencus aber an seine Vorlage und nennt ihn daher ebenfalls 14 (zu) früh, nämlich vor dem „Felswort“ (Mt 16,18); siehe auch unten zu III 278 tu nomen ... tueris. 12 Nicht weniger als 17 verschiedene mit prae– verstärkte Adjektive gebraucht er, die meisten davon als erster: praeblandus, praecautus, praeceler, praecelsus, praeclarus, praedives, praedulcis, praefulgidus, praegratus, praelargus, praemitis, praeparvus, praesaepe, praesolidus, praestupidus, praetumidus, praevalidus. Siehe auch Kievits 67 zum sonstigen Vorkommen dieser Wörter. 13 Vgl. Thraede (2000) 901. 14 Thraede (2000) 901 hielt die Nennung des cognomen hier für auffällig, sagt aber nicht, dass es sich nicht um Iuvencus´ eigene Ergänzung, sondern um den Matthäustext handelt, der übernommen wird.

42

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

firmato pectore: Das Thema der Stärke der Apostel (wegen des Plurals und pariter sind offenbar beide gemeint) wird auch in der Beschreibung von deren Reaktion auf die Einladung Jesu aufgegriffen, da sie – ein Zusatz des Dichters – firmato pectore15 folgen. Dieser Ausdruck mit Partizip ist Iuvencus’ eigene Junktur, vergleichbar ist Aen. VI 261 nunc animis opus, Aenea, nunc pectore firmo, wo Aeneas vor dem Abstieg in die Unterwelt steht. Die Apostel teilen die Herzensstärke hier mit diesem. praecepta sequuntur: Die Jünger gehorchen Jesu Gebot, ihm zu folgen. Der Ausdruck weist aber darüber hinaus: Jesus zu folgen bedeutet, grundsätzlich seinen Geboten zu folgen. Siehe unten zu 799 praecepta, ut [...] perennem. Gleich, ob bei Matthäus dem Simon schon durch die Nennung des Titels Petrus bei seinem ersten Auftritt eine Sonderrolle zugewiesen wird, 16 die evtl. dem Evangelium in der matthäischen Gemeinde, die den Petrus kannte, Autorität verleihen sollte,17 oder ob der „Amtsname“ zur Entstehungszeit des Evangeliums nicht mehr vom Eigennamen getrennt wurde:18 vom Dichter wird dem Leser ein bestimmtes Bild vom Apostel, der so standhaft (praesolidus) ist, dass er sich den Titel Petrus verdient hat, eingepflanzt, das im weiteren Verlauf des Werkes wiederholt (auf verschiedene Weisen, positiv und negativ) thematisiert wird. Der Wasserwandel (III 107–123) Mt. 14, 27–31: 27 Statimque Iesus locutus est illis dicens: „Constantes estote, nolite timere, ego sum.“ 28 Respondens autem ei Petrus dixit: „Domine, si tu es, iube me venire ad te super aquam.“ 29 At ipse ait: „Veni.“ Et descendens Petrus de navicula ambulabat super aquam, ut veniret ad Iesum. 30 Videns vero ventum validum timuit,

Iuvenc. III 107–123: 107 Tum pavidis Christus loquitur: „Timor omnis abesto 108 credentumque regat vegetans constantia mentem. 109 En ego sum, vestrae doctorem noscite lucis. 110 Olli confidens respondit talia Petrus: 111 „Si tua nos vere dignatur visere virtus 112 me pariter permitte tuo super aequora iussu 113 fluctibus in liquidis inmersos figere gressus.“ 114 Adnuit his Dominus; navem mox linquere Petrus 115 audet et innixus figit vestigia ponto. 116 Verum ubi tantarum mentem miracula rerum 117 terrificant ventique minas crebrescere cernit, 118 paulatim cedunt dubio liquefacta timore 119 quae validum fidei gestabant aequora robur

15 Firmato kommt 5 Mal vor, dabei 4 Mal an dieser Stelle im Vers (andere Flexionsformen weitere 7 Mal). Es handelt sich um ein populäres Standwort. 16 Vgl. Fiedler 99. 17 Vgl. Schnackenburg I 42 und Luz (1985) 239. 18 Vgl. Gnilka (1986) I 101.

Exkurs et cum coepisset mergi, clamavit dicens: „Domine, salvum me fac.“ 31 Et continuo Iesus extendens manum adprehendit eum et ait illi: „Modicae fidei, quare dubitasti?“

43

120 iamque Simon medio submersus corpore clamat: 121 „Fluctibus horrendis pereuntem diripe, Christe!“ 122 Dextera confestim protenditur obvia Petro 123 et dubitata fides verbis mulcatur amaris [...].

Dann sprach Christus zu den Furchtsamen: „Jede Furcht sei euch fern, und den Geist der Gläubigen leite lebensspendende Standhaftigkeit. Seht, ich bin es, erkennt den Lehrer eures Lichts. Ihm gab voll Vertrauen Petrus zur Antwort: „Wenn wirklich deine Kraft es zulässt, dass wir [dich] sehen, gestatte auch mir, nach deinem Befehl über das Wasser zu wandeln, und meine Schritte, die in die fließenden Wellen tauchen, darauf zu setzen.“ Diesen Worten nickte der Herr zu, und bald wagte Petrus es, das Schiff zu verlassen, und setzte seine Füße, gestützt auf das Meer. Als aber die Wunder so großer Ereignisse seinen Geist in Schrecken versetzten und er bemerkte, dass das Drohen des Windes wuchs, wich allmählich das von zweifelnder Angst wieder verflüssigte Meer, das zuvor noch die starke Kraft des Glaubens getragen hatte, und, schon bis zur Mitte des Körpers versunken, rief Simon: „Rette den in den schrecklichen Fluten Sterbenden, Christus!“ Sofort hielt er Petrus seine Rechte entgegen und schalt den Glauben, der gezweifelt hatte, mit bitteren Worten.

Ein erster Blick auf die Wasserwandelszene bei Iuvencus zeigt sofort, dass der größere Teil der wörtlichen Rede aus dem Munde des Petrus kommt, was nicht der üblichen Gewohnheit des Dichters, Christus das Wort zu geben, entspricht; siehe dazu unten S. 319.19 Diese quantitative Feststellung darf aber nicht von sich aus zu einer Wertung verleiten; vielmehr muss nach dem Zweck der Rede gefragt werden. 20 Tum pavidis ... gressus: Die Jünger waren 107 als pavidi beschrieben worden, Petrus dagegen als confidens. Seine Rede ist dann aber viel zurückhaltender 21, als es das Adjektiv vermuten ließe, was durch den Kondizionalsatz si tua nos vere dignatur visere virtus,22 vor allem durch das nach Bekräftigung fragende vere und das zurückhaltende dignatur, das deutlich auf die Machtverhältnisse zwischen Petrus und Jesus weist, ausgedrückt wird. Diese Zurückhaltung Petri ist auch in der Vorlage si tu es, iube zu erkennen. 23 Durch die amplificatio dieser Aussage wird aber das Adjektiv confidens zuvor auffälliger. Den color epicus der nächsten zwei Verse (v.a. durch aequora) hat schon Bauer bemerkt,24 ebenso das Paradoxon in liquidis ... figere.25 Zudem ist tuo iussu nach permitte redundant, bildet aber deutlich die Vorlage ab. Alle drei Verse enthalten rein narrativ dieselbe simple Information des Matthäusevangeliums: Lass 19 Das Verhältnis ist 2,5 Verse (Christus) zu 4 Versen (Petrus). 20 Bauer 105–118 hat grundsätzliche Philologica besprochen, aber keine Interpretation vorgelegt. 21 Und nicht nur „dramatischer“, Bauer 106. 22 Mit dreifacher v–Alliteration. 23 Deutlich Luz (1990) 409. 24 Vgl. Bauer 105. Gerade super aequora steht episch sehr häufig, dann auch an derselben Stelle im Vers. 25 Vgl. Bauer 114. Auch III 102, wo der Wasserwandel Jesu beschrieben wird, schreibt Iuvencus fluctibus in liquidis.

44

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

mich über das Wasser laufen. Die Ausschmückung aber zeigt, darin liegt auch der Zweck der wörtlichen Rede, „unbiblische[n] stupor“26, dass es nicht die eigentliche Intention des iuvencischen Petrus ist, auf dem Wasser zu wandeln, sondern seine Verwunderung über das Gesehene und den Lobpreis der Macht Christi zum Ausdruck zu bringen. Die Formel ego sum bzw. si tu es ist 111 deutlich und äußerst treffend ausschmückt. Die im Johannesevangelium prominente Formel wird dort vielfach mit Ex 3,14 und dem „Ich bin ‫"יהוה‬ bzw. „ich bin der ich bin“ in Verbindung gebracht, so dass die Erwähnung der virtus Jesu hier gut passt. Dass Iuvencus diesen Bezug zum Gottesnamen erkannt hat, ist nichtsdestotrotz unwahrscheinlich.

doctorem lucis: Dieser eigentümliche Titel ist von Röttger27 eingehend besprochen worden. Lux ist als „Licht des Heiles“ zu verstehen. Siehe weiter unten zu 655 und 812 dominum lucis. Verum ubi ... robur: In dieser Hinzufügung des Dichters versetzen nicht nur der Sturm und daraus folgend das Absinken, sondern die tantarum ... miracula rerum28 den Apostel in Unruhe. Das ist einerseits, versetzt man sich in seine Situation, sehr gut verständlich, andererseits wird gerade durch die ausdrückliche Nennung (miracula) der Wundercharakter wieder betont.29 Darauf wird in den Versen 118–120 auch die Auswirkung des Zweifels deutlich gemacht: die Fluten sind wegen der zweifelnden Angst wieder unbegehbar geworden, nachdem sie wegen der Glaubensstärke noch tragen konnten. Solche Personifikationen von Eigenschaften sind häufig, siehe unten zu 595 sceleris facundia. Die Wichtigkeit und Macht der Glaubensstärke ist überdeutlich ausgedrückt. Diese findet sich später bei der Zuweisung des Primats überdeutlich wieder, steht hier aber dem Kleinglauben Petri entgegen. Siehe zur Vokabel robur unten zu III 279 hac in mole mihi saxique in robore, zur Glaubensstärke bei anderen Personen die Begründung der Heilung der blutflüssigen Frau II 394f concessit celerem tali cum uoce salute / „Accipe, quod meruit fidei constantia, munus“ nach Mt 9,22. Den Untergehenden bezeichnet Iuvencus nicht als Petrus, sondern als Simon. Diese beiden Namen sind aber austauschbar und werden so gebraucht, wie es für den Dichter metrisch bequemer ist.30

26 Herzog (1975) 153, zitiert auch von Bauer 105. 27 Vgl. Röttger 108f. 28 Diese Junktur findet sich noch 5 weitere Male bei Iuvencus: II 123, 639; III 572; IV 402, 778, zu Letzterem siehe auch dort. Nach Bauer 116 legt Iuvencus v.a. auf den Wunderbegriff Wert, da „[d]er Genitiv rerum [...] bei Juvencus des öfteren als metrisches Füllwort [dient].“ 29 So auch Bauers Analyse (106): „Daß ihn auch die um ihn geschehenden Wunder überwältigen, ist ein eigenständiger Zusatz des Dichters mit dem Versuch, dem Ganzen eine psychologische Dimension zu verleihen: Der Kleingeist Petri vermag die Größe des Wunders nicht zu fassen, bekommt es mit der Angst zu tun und beginnt zu zweifeln (dubio timore), sodaß der Apostel schließlich in den Wogen versinkt.“ 30 Schließlich wird der Apostel beim ersten Auftritt als praesolidu[s] Simon bezeichnet, so dass eine negative Konnotation des Praenomen auszuschließen ist. Ebenso wird auch das Cognomen Petrus in negativem Kontext verwendet: Die für ihn unvorteilhafteste Szene, die Verleugnung, lässt ihn z.B. mit diesem Namen Flüche ausstoßen und abschwören (IV 580).

Exkurs

45

Fluctibus horrendis ... Christe: Auch der Hilferuf Petri wird vom Dichter in wörtliche Rede gesetzt. Bauer bemerkt erneut eine größere Dramatik durch das Adjektiv horrendi31, das Partizip pereuntem32 und das eindringliche diripe. Dadurch, dass die Anrede Christe (metrisch hier passend, im Gegensatz zu Domine) pointiert nach hinten rückt, wird nun nicht nur die Dramatik vergrößert, sondern auch durch den Ehrentitel die eigentliche Intention der Perikope, die Abhängigkeit der Menschen (in Notlagen) von Christus zu zeigen, deutlicher. Der so Angesprochene handelt nämlich sogleich und ohne selbst zu sprechen. So lässt sich auch der Verzicht auf die wörtliche Rede seitens Jesu erklären: In der deutlichen Beschreibung von Petri Geisteszustand und seinen Reden sowie in Jesu Reaktion darauf ist bereits jede Aussage der Szene enthalten. Die Junktur verbis amaris kommt episch nur Sil. XI 209 iussa ducis verbisque etiam incessebat amaris (von Decius vor Hannibal), dort aber zumindest mit verbis an einer anderen Stelle im Vers, vor. Dicta amara bei Vergil ist von Bauer aufgezeigt worden, nämlich Aen. X 591 quem pius Aeneas dictis adfatur amaris33, wo die beiden relevanten Worte zudem an derselben Stelle im Vers stehen und eine Klammer um das Verb bilden. Dort spricht der Held, gleich nachdem er sich an Lykagus gerächt hat. Die dicta amara werden nun in Donats Kommentar zur Stelle als amar[a] verb[a] geschildert;34 mit demselben Ausdruck also wie bei Iuvencus. Jesus steht in einer Reihe mit Aeneas, der hier aber nach Donat entgegen seiner üblichen pietas (egressus pietatis suae modestiam) handelt. So stünde dann dem verderbenbringenden Aeneas, der obendrein noch dicta/verba amara äußert, der lebensrettende Christus gegenüber, der dem Kleinglauben (dubitata fides) die verba amara entgegenschleudert, nicht aber dem von diesem betroffenen Menschen. Nicht nur mit der aufgezeigten Aeneisstelle lässt sich die vorgelegte Interpretation halten: „The sarcastic taunt is in the heroic tradition“, 35 wie sich mit Parallelen schon aus der Ilias zeigen lässt.36 Dazu findet sich dictis amaris noch drei Mal, nämlich Aen. X 368 nunc prece, nunc dictis virtutem accendit amaris (hier aus dem Munde des Pallas, der seine Kameraden anstachelt), Ov. Trist. III 11, 31 quid simulacra, ferox, dictis incessis amaris? (Ovid spielt hier schon mit der genannten epischen Tradition, da er zuvor vom Tod des Hektor sprach und seinen eigenen „Tod“ [i.e. die Verbannung] dagegen stellt 37) und Stat.

31 Er schreibt (105) horridus, wobei es sich nur um einen Schreibfehler handeln kann. 32 Ibid. 33 Dictis amaris findet sich auch Aen. X 367 nunc prece, nunc dictis virtutem accendit amaris, dabei dictis an anderer Stelle im Vers. 34 Claud. Don. Aen. X 367 ecce consilium viri fortis, confecto certamine et unius interim procurata morte ipse quoque amaris usus est verbis egressus pietatis suae modestiam, quoniam iniuriosis vocibus fuerat provocatus. 35 Williams II 360. 36 Beigebracht von Harrison (1991) 219: Il. 4,6 κερτομίοις ἐπέεσσι ... ἀγορεύων und Il. 16, 744: ἐπικερτομέων προσέφης. 37 Einen epischen Einfluss erkennt auch G. Luck, P. Ovidius Naso, Tristia, herausgegeben, übersetzt und erklärt, 2 Bde., Heidelberg 1967, ad loc.

46

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

Theb. II 660f ille super dictis infensus amaris / prosequitur victos (wieder gegenüber Besiegten). Iuvencus rekurriert also nicht (nur) auf die Aeneis, sondern setzt sich mit der epischen Tradition von Sarkasmus gegenüber Besiegten (die eine Rede des Pallas tut dieser Tradition keinen Abbruch) auseinander, die er seinen Helden Christus durchbrechen lässt.38 Der Dichter verfolgt mit seiner Darstellung des Petrus hier zwei Ziele: Zunächst lassen die Ausschmückungen und Psychologisierungen den Apostel sehr menschlich erscheinen. War Petrus zu Beginn noch confidens, so macht der Zweifel ihn unsicher, der Sturm versetzt ihn in Furcht. Durch diese Emotionalisierung kann jeder Leser sich in Petri Situation versetzen und sich mit ihm identifizieren. Dem steht Christus entgegen: Kurz und knapp rettet er den Menschen und tadelt dessen Kleinglauben. Besonders in den Reden zeigt sich die zweite Intention des Dichters: Die Abhängigkeit der Menschen von Christus deutlich zu machen. Die moderne Bibelexegese versteht Petrus hier als „exemplarisch“39 und „typisierend“;40 so sehen es zum Beispiel auch Augustinus41 oder Cyprian.42 Iuvencus steht, was das anbetrifft, in der Mitte der exegetischen Tradition. Der Primat Petri (III 269–287) Mt 16, 15–20: 15 Dicit illis Iesus: „Vos autem, quem me dicitis esse?“ 16 Respondens Simon Petrus dixit: „Tu es Christus, filius Dei vivi.“ 17 Respondens autem Iesus dixit ei:

Iuvenc. III 269–287: 269 Tunc Christus cunctis arridens pectore blando 270 conquirit, quae sit sententia discipulorum. 271 Sed stabilis Petrus: „Tu Sancti filius,“ inquit, 272 „Christus, magnifico terras qui lumine conples.“ 273 Tum Dominus forti respondit talia Petro:

38 Bei Apoll. Rhod. I 181–185 wird der Wasserwandel des Taenaron beschrieben, den leider Valerius Flaccus nicht ins lateinische Epos übernimmt; das Motiv „Wasserwandel“ findet sich im lateinischen Epos also nicht, eine Beziehung zu Apollonius Rhodios ist nicht auszumachen. 39 Gnilka (1988), Bd. II, 14. 40 Fiedler 276. „Typisierung“ darf hier aber nicht so verstanden werden, dass Petrus die eindimensionale personificatio einer Eigenschaft ist, sondern vielmehr durch viele „typisch menschliche“ Eigenschaften gefüllt werden kann. 41 Serm. 75,10 (PL 38, 478f) Gestat enim Petrus Ecclesiae plerumque personam [...]. Sed quoniam Dominum laus humana non tentat, homines autem saepe in Ecclesia humanis laudibus et honoribus perturbantur, et prope merguntur; ideo Petrus trepidavit in mari, magnam vim tempestatis exhorrens. [...] Tamen a fluctibus rapit [sc. Christus], et confitentem infirmitatem suam atque illius auxilium postulantem, perire non sinit. – Dass Petrus hier mit der Kirche identifiziert wird, tut dem, dass er für alle Menschen in der Kirche steht, keinen Abbruch. Siehe weiter in Evang. Joh. 25,7 (CCL 36, 251,1–9 Dekkers) Christo fluctus calcante, saeculi ambitiones et altitudines deprimente, expavescit Christianus. [...] Christiani quamvis habentes spem in futuro saeculo, quando viderint deprimi altitudinem saeculi huius, plerumque conturbantur de contritione rerum humanarum. 42 Ep. 58,7,3 (CSEL 3,2, 674,16–18 Hartel) Petrus tamen [...] unus pro omnibus loquens et ecclesiae voce respondens [...].

Exkurs „Beatus es, Simon Bariona, quia caro et sanguis non revelavit tibi, sed pater meus, qui in caelis est. 18 Et ego dico tibi, tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam; et portae inferi non praevalebunt eius. 19 Et tibi dabo claves regni caelorum; et quaecumque ligaveris super terram, erunt ligata et in caelis; et quaecumque solveris super terram, erunt soluta et in caelis.

47

274 „Petre beatus eris, nam talia pandere certe 275 humanus sanguis vel terrae portio corpus 276 haud umquam poterit. Genitoris munera sola 277 possunt tam validum fidei concedere robur. 278 Tu nomen Petri digna virtute tueris. 279 Hac in mole mihi saxique in robore ponam 280 semper mansuras aeternis moenibus aedes. 281 Infernis domus haec non exsuperabile portis 282 claustrum perpetuo munitum robore habebit; 283 caelestisque tibi claves permittere regni 284 est animus; terrisque tuo quae nexa relinques 285 arbitrio, caelo pariter nodata manebunt; 286 solverit et rursus tua quae sententia terris, 287 haud aliter venient caeli sub sede soluta. 279 hac in mole mihi validumque in marmore ponam C ras. : validumque in more Al : validoque in marmore Hansson

Dann lächelte Christus sie alle an und fragte mit freundlicher Absicht, was die Meinung der Jünger sei. Der standhafte Petrus aber sagte: „Du bist der Sohn des Heiligen, Christus, der die Erde mit großartigem Licht erfüllt.“ Dann antwortete der Herr dem starken Petrus: „Petrus, Du wirst selig sein, denn solches werden sicher niemals menschliches Blut oder der Körper, der irdische Teil, offenbaren können. Allein die Gabe des Schöpfers kann eine solche Glaubensstärke gewähren. Du trägst den Namen Petrus mit würdiger Tugend. Auf dieser Masse, auf der Stärke dieses Felsens will ich ein immerwährendes Haus mit ewigen Mauern errichten. Es wird ein für die Tore der Unterwelt unüberwindbares Bollwerk, mit ewiger Kraft gestärkt, haben, und ich will Dir die Schlüssel zum Himmelreich geben; was Du nach deinem Urteil auf der Erde gebunden zurücklässt, wird auch im Himmel gebunden bleiben, und was dein Richtspruch auf der Erde löst, das wird nicht anders am Himmelsthron gelöst ankommen.

Christus, magnifico ... comples: Die Ausschmückung des Christustitels mit Hilfe der häufig aufzufindenden Lichtmetaphorik ist von Röttger hinreichend untersucht.43 Hier gilt: „Iuvencus tastet das matthäische Petrusbekenntnis in seiner Substanz nicht an.“44 Dieses, hier mit dem Lichtmotiv nur amplifiziert, ist dann die Grundlage für die folgende Rede Jesu. stabilis ... forti: Petrus wird hier zu Beginn mit einem der vielen Epitheta als stabilis bezeichnet, schon zwei Verse später als fortis. Diese Häufung mit variatio entspricht der üblichen Gewohnheit des Dichters, bereitet aber die Kernaussage der Perikope vor; siehe dazu die nächsten Kommentarabsätze. Petre, beatus ... robur: Hier hat keine direkte Offenbarung, sondern „eine gottgegebene Kraft des Glaubens“45 Jesus als Christus deutlich gemacht.46 Diese

43 Vgl. Röttger 112–114. 44 Ibid. 114. 45 Bauer 157.

48

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

Offenbarung wird nur hier, die daraus resultierende Glaubensstärke häufiger vom Dichter in den Vordergrund gerückt. Zur terrae portio corpus siehe unten S. 208– 217. Tu nomen ... tueris: Simon trägt das nomen Petri, dessen er ja schon weit zuvor (I 422 mit demselben Wort dignum) für würdig erachtet wurde, auch hier wegen seiner digna virtus. Hac in mole mihi saxique in robore: Das etymologische Spiel wird mitgemacht, sein Verständnis beim Leser aber wohl vorausgesetzt: schließlich folgen mit moles und saxum zwei Begriffe aus dem Wortfeld „Stein“ an Stelle des zwar griechischen, aber namensgebenden petra, das Iuvencus nicht konsequent vermeidet, sondern I 720 aus Mt 7,25 übernimmt. Durch die amplificatio in Vers 279 ist die Feststellung der felsenhaften Standhaftigkeit des Petrus in der Tat „mit rhetorisch-sprachlichem Schmuck noch gesteigert“47, auch indem die Vokabel robur,48 die schon zuvor die Kraft des Glaubens Petri bezeichnet hatte, wiederkehrt. Überhaupt verwendet Iuvencus robur häufig metaphorisch (von 16 Belegen sechsmal: hier und III 119 fidei robur, III 119, 191 und IV 383 robore virtutis und IV 100 robore cordis). Saxum hatte der Dichter schon bei der Wiedergabe von Mt 7,24 (Gleichnis vom Hausbau) I 715 an Stelle von petra verwendet. Auch robur fügt Iuvencus in jener Perikope hinzu.49 Das Haus war dort schon als Metapher für den, der sein Leben auf die Lehre Christi stützt, gebraucht worden, so dass eine Beziehung zwischen beiden Perikopen auch sprachlich angezeigt ist.

semper mansuras ... aedes: Der Begriff ecclesia, laut Bauer im Anschluss an Simonetti Abbolito50 wegen seiner christlichen Prägung gemieden, wird hier durch aedes ersetzt. Dass „Christianismen“ grundsätzlich gemieden werden, ist jedoch ein Fehlschluss; siehe dazu unten zu 756 surrexit. Vielmehr wurde ecclesia vor Iuvencus nicht für das Gebäude gebraucht.51 Daher verwendet Iuvencus hier das konkretere aedes. Weiters fällt die „seltene vergilische Prägung“52 exsuperabile, die Green treffend als „demythologization“53 bezeichnet, auf. Es handelt sich 46 Vgl. Bauer ibid.: „Das Messiasbekenntnis Petri wird nicht mehr, wie in der biblischen Vorlage Mt. 16, 17, auf eine unmittelbare Offenbarung Gottvaters zurückgeführt, sondern auf die gottgegebene Kraft des Glaubens; genitoris munera ist Periphrase für Dei gratia.“ 47 Bauer 157. 48 Nach Bauer 162 im Anschluss an Hansson 98 gibt es zu diesem Vers eine Autorenvariante, nämlich validoque in marmore (leider nennt Hansson keine Handschrift, sondern bezeichnet die Lesart nur als „schwach bezeugt“). Damit kehrte auch der Begriff validum sogleich wieder. Hansson betrachtet nun beide Lesarten als echt und hält validoque in marmore für die jüngere. Damit wäre natürlich die Aussage, dass sich die Kirche auf Petri Glauben gründet, nochmals verdeutlicht. Nichtsdestotrotz scheint mir die Erklärung, valido sei eine durch das kurz zuvor gebrauchte validum verursachte Korruptel, überzeugender. 49 I 718f Illa domus pluviis ventisque inlaesa manebit / torrentumque minas firmato robure vincet nach Mt 7,25 Descendit pluvia flaverunt venti advenerunt flumina et offenderunt in domum illam et non cecidit. 50 Vgl. Bauer 162f. 51 Der älteste auffindbare Beleg ist Aug. Ep. 190,5,19 (CSEL 57 Goldbacher): ut nomine ecclesiae, id est populi qui continetur, significamus locum qui continet. 52 Bauer 157 zu Verg. Georg. III 39 non exsuperabile saxum. 53 Green (2006) 60.

Exkurs

49

beim non exsuperabile saxum der Georgica um den Felsen des Sisyphus, der als Höllensymbol hier zum Grundstein des Heils umgedeutet wird. Auch durch aedes gelingt der Anschluss an die Georgica: Während dort Vergil die Tore des Tempels, den er dem Augustus am Mincio errichten will, beschreibt, übernimmt Iuvencus gerade aus der dortigen Darstellung der Unterwelt seine Beschreibung der Kirche – eine deutliche Kontrastimitation. Nicht nur größer als das pagane Jenseits, sondern auch dauerhafter als die Tempel der paganen Götter und Kaiser ist die Kirche. Dazu kommt, dass mit non exsuperabile saxum die Unterweltsbilder in den Georgica enden, so dass der Unterwelt „das letzte Wort“ durch die Kirche genommen wird. claustrum perpetuo munitum robore habebit: Glaubenskraft und (Existenz und Bestand der) Kirche gehen Hand in Hand, wie man an der Folge claustrum perpetuo munitum robore (auch munitum kehrt III 534 im Zusammenhang mit Glaubensstärke wieder) und claves auch noch einmal sprachlich erkennen kann. Auch dieser dritte Beleg von robur ist nämlich auffällig. Robur fidei (277) und saxi robur (279) kommen hier als perpetuum robur zusammen. Die Felsenhaftigkeit des Glaubens Petri ist also in den Vordergrund gerückt und wird mit der Beschreibung der Kirche verzahnt. Folgerichtig erhält er auch die Schlüssel zur von Iuvencus selbst hinzugefügten Tür, dem claustrum. Claustrum ist zwar weit weniger häufig als das Pluralwort claustra, aber ebenfalls im Epos belegt, z.B. Luc. X 509.

terrisque tuo ... soluta: Die Vollmacht Petri, zu binden und zu lösen, nimmt fünf Verse ein, die wiederum über den Apostel nicht viel aussagen; zwei Mal wird allerdings die zweite Person Singular der Vorlage durch die Possessiva in tuo arbitrio bzw. tua sententia deutlicher gemacht.54 Es stellt sich die Frage, wie „katholisch“ man den Bibeldichter interpretieren darf, ob er also der Person Petri den Primat zuweisen wollte, durch den das Papsttum sich begründet, oder ob hier eine allgemeinere Aussage vorliegt. Die Verzahnung zwischen der Beschreibung des

54 Vgl. Fichtner 203, der die Binde- und Lösegewalt auch in der altkirchlichen Exegese als „Lehrentscheidung“ und „Disziplinargewalt“ interpretiert findet und dafür auf Tert. Pud. 21,9f (zit. unten) und Orig. in Matth. XII 14 (zit. unten) und XIII 31 (GCS 40, 268–271 Klostermann/Benz) verweist. Bei Tert. Pud. 21,9 (CCL 2, 1327,37–43 Dekkers), der sich zur Stelle äußert, ist nichts zu finden, was auf eine solche Deutung hinweist. Bei Origenes lässt sich immerhin ein Urteil finden, wobei es sich dennoch um kein besonders schlagendes Argument handelt (in Matth XII 14 (GCS 40, 96–100 Klostermann/Benz) Vide autem quantam potestatem habet petra, super quam aedificatur ecclesia Christi, et omnis qui dicit: „tu es Christus filius dei vivi“, ut etiam iudicia eius maneant firma, quasi deo iudicante per eum, [...]. – Aus arbitrio und sententia bei Iuvencus also „Lehrentscheidung“ und „Disziplinargewalt“ zu lesen ist keineswegs nötig, es kann sich um einfache Ausschmückungen der zweiten Person Singular handeln. Besonders dafür spricht omnis, qui, das sich keineswegs auf einzelne Amtsträger bezieht. – Fichtners zweite These, dass durch das Fehlen von Mt 18,18 quaecumque alligaveritis super terram, erunt alligata et in caelo, et quaecumque solveritis super terram, erunt soluta et in caelo bei III 429 die Binde– und Lösegewalt auf Petrus beschränkt bleibt, muss später bewertet werden, s.u. 63. Bauer 199 (zu III 429) nimmt auf Fichtner Bezug, bringt aber nichts Neues.

50

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

gottgeschenkten Glaubens Petri und der Kirche sind überdeutlich. 55 Somit ist Glaube für die Kirche konstitutiv. Dass jeder Bekenner einen Felsen verkörpert und die auf diesen gebaute Kirche dann unüberwindlich ist, lehrt Origenes, 56 dass der Name Petrus wegen des Glaubens gegeben wurde, kann man bei Hieronymus57, Hilarius58 und Ambrosius lesen.59 Tertullian legt dagegen ausdrücklich Wert auf die Person Petri. 60 Es kommt also, wenn auch nicht einheitlich, großen Teilen der altkirchlichen Exegese mehr auf den Glauben als auf den konkreten Petrus an. Siehe weiter unten die Schlussbetrachtung zu diesem Kapitel, S. 54–61. Ankündigung des Leidens und Einwand Petri (III 296–302) Mt 16,22f: 22 Et adsumens eum Petrus coepit increpare et dicere: Absit a te, propitius tibi Domine,

Iuvenc. III 296–302: 296 Tum Petrus magno percussus corda dolore; 297 „Absint, Christe, tuis,“ inquit „tam tristia sanctis

55 So hatte schon Arevalo ad loc. argumentiert. 56 Orig. in Matth. Mt. XII 11 (GCS 40, 87,23–88,15 Klostermann/Benz) Πολλοὶ τοίνυν φήσουσι πρὸς τὸν σωτῆρα· σὺ εἶ ὁ Χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ τοῦ ζῶντος [...]. Καὶ εἴ τις λέγει τοῦτο πρὸς αὐτὸν, οὐ σαρκὸς καὶ αἵματος ἀποκαλυψάντων αὐτῷ ἀλλὰ τοῦ ἐν τοῖς οὐρανοῖς πατρός, τεύξεται τῶν εἰρημένων, ὡς μὲν τὸ γράμμα τοῦ εὐαγγελίου λέγει πρὸς ἐκεῖνον τὸν Πέτρον, ὡς δὲ τὸ πνεῦμα αὐτοῦ διδάσκει πρὸς πάντα τὸν γενόμενον, ὁποῖος ὁ Πέτρος ἐκεῖνος – „Viele werden also zu dem Heiland sagen: ‚Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes’ [...]. Und wenn einer dies zu ihm sagt, und zwar nicht, weil Fleisch und Blut ihm das geoffenbart haben, sondern der Vater ‚in den Himmeln’, wird er das empfangen, was da, wie der Buchstabe des Evangeliums sagt, zu jenem Petrus, wie aber sein Geist lehrt, zu jedem gesagt ist, der so wird wie jener Petrus“ (Übersetung Vogt 1983). 57 Hier. in Matth. III 16,18 (CCL 77, 141,73–77 Hurst/Adriaen) Sicut ipse lumen apostolis donavit ut lumen mundi appellarentur, et cetera quae ex Domino sortiti vocabula sunt, ita et Simoni qui credebat in petram Christum Petri largitus est nomen [...]. 58 Hil. Trin. VI 36f (CCL 62, 241,38–5 Smulders) Super hanc igitur confessionis petram ecclesiae aedificatio est. [...] Haec fides ecclesiae fundamentum est. Per hanc fidem infirmes adversus eam sunt portae inferorum. Haec fides regni caelestis habet claves. Haec fides quae in terris solverit aut ligaverit, et ligata in caelis sunt et soluta. – Hier nutzt haec fides das Bekenntnis Petri tu es Christus, filius Dei vivi zuvörderst trinitätstheologisch; die Identifikation der fides mit petra wird aber sehr deutlich. 59 Ambr. in Luc. VI 97f (CCL 14, 209,1054–1062 Adriaen) [...] quod de petra habeat soliditatem constantiae, fidei firmitatem. Enitere ergo ut et tu petra sis. Itaque non extra te, sed intra te petram require. Petra tua actus est, petra tua mens est. Supra hanc petram aedificatur domus tua, ut nullis possit nequitiae spiritalis everberari procellis. Petra tua fides est, fundamentum est fides ecclesiae. Si petra fueris, in ecclesia eris, quia ecclesia supra petram est. Si in ecclesia fueris, portae inferi non praevalebunt tibi. – Außerdem handelt es sich beim Primat nicht um einen Vorrang der Ehre, sondern des Glaubens, so Incarn. 4,32 (CSEL 79, 239f Faller) primatum confessionis utique, non honoris, primatum fidei, non ordinis [...]. 60 S.o. Anm. 54.

Exkurs

51

non erit istud.

23 At ipse conversus dixit Petro: Vade retro post me, Satanas. Scandalum es mihi, quia non sapis, quae Dei sunt, sed quae hominum.

298 monstra procul membris; nec fas est credere tantum, 299 nec tibi tam durus poterit contingere casus.“ 300 Christus ad haec: „Procul hinc,“ inquit, „procul effuge, daemon!“ 301 non divina tibi mentem prudentia tangit, 302 sed terrena sapis mollique timore tremiscis.“

Dann sprach Petrus, sein Herz von großem Schmerz durchbohrt: „Von deinen heiligen Gliedern, Christus, seien solche traurigen, schrecklichen Dinge fern! Es ist nicht recht, so etwas zu glauben, und es soll nicht sein, dass Dir ein so hartes Schicksal widerfährt.“ Christus sprach darauf: „Weit weg von hier, mach Dich weit weg, Dämon! Nicht göttliche Weisheit berührt deinen Geist, sondern Du hast nur Irdisches im Sinn und schauderst in weichlicher Furcht.

Jesus kündigt sein Leiden an, wogegen Petrus sich verwehrt. Die Paradoxie, dass dieser gleich nach der Zuweisung des Primats mit der Bezeichnung daemon gescholten werden muss, erklärt der Dichter psychologisch und ist dabei zurückhaltender als seine Vorlage (detractatio). Er gibt zunächst mit magno percussus corda dolore die Gefühlslage des Apostels wieder, verzichtet auf eine Übertragung vom starken scandalum es mihi und lässt Christus zuletzt vom mollis timor sprechen. Das harte Wort increpare der Vorlage61 vermeidet der Dichter. Einerseits würde diese Vokabel sicher nicht zum magnus dolor, noch weniger zu mollis timor passen, andererseits ist es für ihn wohl kaum denkbar, dass Petrus Jesus „anfährt“ oder „schilt“. Erneut wird die Menschlichkeit Petri als Grund für dessen Schwäche offenbar. absint, Christe ... casus: In Petri stark ausgeschmückter Rede wird Auskunft über Christus gegeben. Zur direkten Anrede (Domine in der Vorlage, Christe bei Iuvencus; die Änderung hat wohl metrische Gründe) kommt sanctis membris hinzu (wobei der ganze Vers zudem eine äußerst auffällige t-Alliteration bietet). Die anderen Hinzufügungen und Ausschmückungen (z.B. monstra und tam durus casus für istud) können hier zurückstehen. Insgesamt wird die Dramatik des angekündigten Todes Christi gesteigert und dieser mit dem (indirekten, weil auf membris bezogenen) Epitheton sanctus bezeichnet. daemon: Die Rolle dieses häufig (24 Mal) verwendeten Begriffs, mit dem Christus bei Iuvencus den Petrus bezeichnet, ist von Fichtner untersucht worden. 62 Er sieht zudem einen Einfluss exorzistischer Termini (hier: effuge).63 mollis timor: Die Junktur mollis timor ist vor Iuvencus nicht belegt. Mollis steht den sonst für Petrus gebrauchten Epitheta praesolidus, fortis u.ä. stark entgegen: hier offenbart Petrus das Gegenteil seiner sonst konstatierten Eigenschaft.

61 Die Afra überliefert corripere, was jedoch keineswegs weniger hart ist. 62 Vgl. Fichtner 102–107. 63 Ibid. 106.

52

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

Die Frage nach dem Lohn der Nachfolge (III 534–540a) Mt 19, 27–28a: 27 Tum respondens Petrus dixit ei: „Ecce nos reliquimus omnia et secuti sumus te: quid ergo erit nobis?“ 28 Iesus autem dixit illis: „Amen dico vobis, quod vos, qui secuti estis me [...].

Iuvenc. III 534–540a: 534 Tum Petrus fidei munitus moenibus infit: 535 „Omnia nostrorum proiecta reliquimus olim, 536 et tua iussa sequi nobis spes unica restat. 537 Quid nostris animis superest? Dic, Christe, precamur.“ 538 Talibus ad Petrum verbis respondit Iesus: 539 „Vos quicumque meum mentis penetralibus altis 540 credentes servatis iter, [...]. 538 at Petro Hansson

Dann sprach Petrus, gefestigt durch die Mauern des Glaubens: „Wir haben einst alles Unsrige fortgeworfen und verlassen, und deinen Geboten zu folgen bleibt uns als einzige Hoffnung. Was ist für unsere Seelen noch übrig? Sag, Christus, wir bitten dich.“ Mit folgenden Worten antwortete Jesus dem Petrus: „Ihr, die ihr in den tiefen Gründen der Seele glaubt und meinem Weg folgt [...].“

fidei munitus moenibus / mentis penetralibus altis: Die Mauern des Glaubens, mit denen Petrus umgeben ist, weisen auf die Verheißung von der Dauer der Kirche zurück. 64 Auch hier wird der Glaube Petri zum Leitmotiv: sowohl fidei moenibus als auch mentis penetralibus altis variiert die Metapher des Gebäudes, an zweiter Stelle sogar ausdrücklich mit credentes. So erkennen sowohl der Erzähler direkt als auch Christus die Mauern des Glaubens Petri an. Bereits II 220f bei der Wiedergabe von Joh 3,14 hatte Iuvencus diese Metapher für den Glauben, der zum ewigen Leben führt, verwendet: ut, quicumque fidem mentis penetralibus altis / illius ad nomen statuit [...]. Die Jünger folgen hier also dem früheren Gebot Jesu, fest an ihn zu glauben, um gerettet zu werden, und er bekräftigt diese Verheißung. Bauer65 findet den Ausdruck vor Iuvencus bei Stat. Silv. III 5,54–57: nec pietas alia est tibi curaque natae: / sic et mater amas, sic numquam corde recedit / nata tuo, fixamque animi penetralibus imis / nocte dieque tenes. Bauer interpretiert diese Parallele nicht, dabei ist es überaus treffend, eine Metapher, die sich nur in einer Liebesbeschreibung findet, für das Verhältnis von Jesus und seinen Jüngern zu gebrauchen.

Omnia nostrorum ... precamur: Die wörtliche Rede deutet wiederum auf die Abhängigkeit der Menschen von Christus (siehe oben zum Wasserwandel S. 45, zum Umgang mit Reden unten S. 319). Neben den starken Ausdrücken omnia [...] proiecta66 und spes unica ist es das gegenüber der Vorlage hinzugefügte dic, Christe, precamur, das diese Abhängigkeit deutlich macht. Emphatisch hinter die Hephthemimeres an den Schluss des Verses gestellt, macht es den bald unterwür64 Vgl. Bauer 219. 65 Vgl. ibid. 220. 66 Proiecta reliquimus ist wie quae nexa relinques (III 284) konstruiert und wie proiecimus et reliquimus zu verstehen.

Exkurs

53

figen Gesamttenor der Rede deutlich, die mit precamur als überhaupt letztem Wort des Apostels endet. Hier ist wie schon beim Wasserwandel Petrus bewusst menschlich dargestellt, weil er sich sorgt, was mit ihm geschehen soll, da er keinen Besitz mehr hat. Spes unica findet sich an der gleichen Stelle im Vers zwei Mal bei Silius Italicus.67 Beide Male (VII 1 Interea trepidis Fabius spes unica rebus und X 48 quid vanos, inquit, Latio spes unica consul) wird ein Konsul (beim zweiten Male L. Aemilius Paullus) als einzige Hoffnung beschrieben. Diese (irdische) Hoffnung vermag Christus natürlich zu übertreffen (vielleicht auch daher animis im nächsten Vers).68 Obwohl sowohl Petrus persönlich als fidei munitus moenibus beschrieben wird und obwohl er ausdrücklich spricht, müssen die erkannten Charaktereigenschaften gleichermaßen auch für die anderen Apostel gelten. Petrus selbst hatte gefragt: Quid nostris animis superest, Christus in seiner Antwort allen (vos) die mentis penetralia alta zuerkannt. Man muss sich aber fragen, ob der Dichter die „Mauern des Glaubens“ Petrus bald mechanisch zuerkennt, da die Gestalt der Rede ja im Widerspruch zu diesem Prädikat zu stehen scheint, oder ob sich in der Person des Petrus die beiden typischen Charaktereigenschaften der Apostel widerspiegeln sollen. Dazu wiederum mehr unten in der Schlussbetrachtung.

Die Ankündigung der Verleugnung (IV 467–474) Mt 26,33–35: 33 Respondens autem Petrus ait: „Si omnes scandalizabuntur in te, ego numquam scandalizabor. 34 Dicit illis Iesus: „Amen dico tibi, quod hac nocte, antequam gallus cantet, ter me negabis.“ (antequam gallus cantet)69

Iuvenc. IV 467–477: 467 Respondit Petrus: „Cunctos, si credere fas est, 468 quod tua labanter possint praecepta negare, 469 sed mea non umquam mutabit pectora casus.“ 470 Ille dehinc: „Nox haec, quae lucida sidera terris 471 inducit lucemque premens nunc incubat undas, 472 audiet, ut trinis pavidus mendacia verbis 473 dices et Christum, fortissime Petre, negabis, 474 et prius, alitibus resonent quam tecta domorum.“

Petrus antwortete: „Alle – wenn man es glauben darf, dass sie wankelmütig deine Gebote verleugnen können – aber nicht mein Herz wird jemals irgendein Schicksal wandeln.“ Jener antwortete darauf: „Diese Nacht, die der Erde die leuchtenden Sterne bringt und, das Licht verdrängend, sich nun auf die Wogen legt, wird hören, dass du, furchtsam, drei Mal Lügen sprichst, und du wirst Christus, standhaftester Petrus, verleugnen, und zwar bevor das Hausdach dreimal vom Hahnenschrei widerklingt.“

67 Darüber hinaus an anderen Stellen ein Mal bei Lukan (I 497) und drei weitere Male bei Silius Italicus (IV 815; X 273f; XV 647). 68 Fliegers (47) Exkurs zu animus und anima hilft hier nicht viel, da er diese Stelle nicht zu berücksichtigen scheint. Allzu stark ist diese Konnotation (irdisches vs. eschatologisches Heil) wohl nicht, da die einzige Parallele für diese Verwendung von animis, II 513 Tune piis animis requies [...] aus Mt 3,3 Tu es, qui venturus es [...], ebenfalls keine solche erkennen lässt. So urteilen auch Knappitsch ad loc. und Arevalo ad loc.; siehe weiter unten S. 213–222. Dass Christus die beiden Konsuln übertrifft, steht natürlich dennoch außer Frage. 69 Dieser Abschnitt wird zwei Mal gedruckt, um anzuzeigen, mit welchem Vers Iuvencus das Geschilderte wiedergibt.

54

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

Christus prophezeit Petri Verleugnung. Erneut zeigt sich die Paradoxie im Charakter des Petrus. Zunächst spricht er davon, dass alle anderen Apostel (467 cunctos steht exponiert und wird so herausgehoben) im Unterschied zu ihm wankelmütig sein könnten (468 labanter). Jesu Prophezeiung entlarvt dies dann als vorschnelles Urteil, das doch auf Petrus selbst zurückfallen wird. Auffälliger dissonant sind noch die Verse 472 und 473. Gegenüber stehen sich pavidus, mendacia [...] dices und fortissime. Der Dichter könnte dieses Epitheton geradezu mechanisch neben Petrus gesetzt haben, ohne dass er dabei die Paradoxie beachtete. Alternativ kann man fortissime ironisch verstehen, 70 als wolle Christus sich über die (angebliche) fortitudo des Apostels, den er doch gerade selbst als pavidus bezeichnet hatte, lustig machen. Ebenfalls könnte Iuvencus die widersprüchlichen Adjektive bewusst nebeneinandergesetzt haben, um den menschlichen Charakter des Petrus auch hier deutlich zu machen – Petrus war schon immer zugleich stark und schwach. Origenes spricht etwa zur Stelle von der schwankenden menschlichen Natur, die Petrus hätte kennen müssen, bevor er Pauschalaussagen trifft.71 Auch Hieronymus hält den Glauben Petri für echt und bestenfalls schwankend. Der übrige Umgang des Dichters mit seiner Vorlage ist typisch (man bemerke v.a. die epische Beschreibung 72 und personificatio73 der Nacht); siehe dazu unten S. 320. FAZIT Befund und Verhältnis zur Vorlage Petrus wird bisweilen, wenn er etwa nach der Erklärung eines Gleichnisses fragt (III 159f nach Mt 15,15) oder von den Steuereintreibern angesprochen wird (III 381f nach Mt 17,24), gewissermaßen zum Sprecher der Jüngergruppe Jesus und der Außenwelt gegenüber. Diese Rolle wird aber nie explizit thematisiert. Auf den ersten Blick scheint Iuvencus dann das etymologisch geprägte cognomen Petrus 70 Wie Knappitsch ad loc. 71 Orig. Ser. 88 (GCS 38, 202,5–7 Klostermann/Benz) quia non solum inconsiderate, sed paene etiam impie dixit: [...], nec cogitans lubricam naturam humanam. Auch Hieronymus hält den Glauben Petri für echt, so Hier. in Matth. IV 26,33 (CCL 77, 253, 1198–1200 Hurst/Adriaen) Non est temeritas nec mendacium; fides est apostoli Petri et ardens affectus erga Dominum Salvatorem [...]. 72 Als lucida sidera bezeichnet Horaz (Od. I 3,1f Sic te diva potens Cypri / sic fratres Helenae, lucida sidera [...].) Castor und Pollux, nach Porph. Hor. Od. I 3 für die Seefahrt gefährliche Gestirne: Sic fratres Helenae lucida sidera [...]. Constat autem hodieque inter nautas Castoris et Pollucis stellas plerumque navibus infestas esse. Dass Iuvencus die Nacht und die Sterne aber mit paganen Gottheiten, die sich für den Fischer Petrus gefährlich erweisen, identifiziert, ist hier keineswegs zwingend, da episch-poetische Beschreibungen von Sonnen– bzw. Sternaufgängen bei ihm übliches Mittel sind. 73 Von einer hörenden Nacht schreibt auch Lucr. II 578–580 nec nox ulla diem neque noctem aurora secutast / quae non audierit mixtos vagitibus agris / ploratus, mortis comites et funeris atri.

Exkurs

55

zur Charakterisierung des Apostels auszunutzen: als praesolidus (I 422), stabilis (III 271), fortis (III 273), fidei munitus moenibus (III 534) und fortissimus (IV 473) wird Petrus bezeichnet. Auch seine Glaubensstärke wird an der Stelle, an der Petrus die wichtigste Figur ist, nämlich bei der Zuweisung des Primats, durch die mehrfache Nennung von robur III 277, 279 und 282, dazu durch das vergilische non exsuperabile in Vers 281 betont. Dennoch zeigen Analysen anderer Szenen, dass auch negative Aspekte wie der Kleinglaube oder Furchtsamkeit (z.B. III 123 dubitata fides und III 302 molli timore), die mit der Stärke in Widerspruch stehen, in den Vordergrund rücken können. In der zweiten für Petrus besonders wichtigen Szene, bei der Verleugnung, tritt seine Person selbst hinter die Ausgestaltung des Geschehens zurück, allein das „Leitmotiv Gram“ 74 ist seinerseits auffällig. Durch diesen Befund ist der Charakter Petri bei Iuvencus nicht eindeutig zu fassen; selbst einzelne Stellen geben nicht immer ein einheitliches Bild ab. Beispielsweise stellt Petrus die Frage nach dem Lohn der Nachfolge III 534 fidei munitus moenibus, die anschließende wörtliche Rede klingt aber voller Zweifel. Dazu nennt Jesus Petrus bei der Ankündigung der Verleugnung IV 473 paradoxerweise fortissime. Zuletzt gibt der Dichter durch seine strenge Orientierung am Matthäusevangelium – er lässt keine der Perikopen, in denen Petrus auftaucht, aus, fügt aber auch keine solche aus den anderen Evangelien hinzu –, in dem Petrus bei der Verleugnung zum letzten Mal ausdrücklich erwähnt wird, dem Apostel, der unter Tränen (ploratus amarus) aus dem Palast des Hohenpriesters geflohen war, keine Chance, sich neu zu beweisen. Der letzte Eindruck, den Petrus macht, ist einer von Schwäche. Es bleibt die Darstellung des Apostels in der genauen Adaption des Matthäusevangeliums, und auch hier wird er nicht jedes Mal in den Vordergrund gebracht.75 Iuvencus’ Darstellung steht also keineswegs in Konflikt mit der der Vorlage, sie ist nur bisweilen deutlich amplifiziert und etwas nuancierter. Bei der Betrachtung des Evangeliums selbst fällt auf: „Simon ist als exemplarischer Jünger dargestellt, der so bekennt, versagt, sich bewährt und feige wird wie alle anderen auch.“76 Diese Schwierigkeit, Petrus im Matthäusevangelium eindeutig zu fassen, hat sogar dazu geführt, dass manche eine ironische Darstellung Petri im Matthäusevangelium vermuteten.77 Das geht m.E. zu weit und liegt Iuvencus sicher auch fern;78 Ironie findet sich bei Iuvencus eher gegen die Gegner Jesu verwendet, siehe dazu unten S. 169–174. Ohne Zweifel ist Petrus als Mensch auch 74 Nach Thraede (2000) 902. S.o. bei der ausführlichen Besprechung der Verleugnung. 75 Das hat natürlich bisweilen, aber nicht immer, narrative Gründe. In der Perikope von der Heilung seiner Schwiegermutter wird über Petrus ohnehin nichts ausgesagt. 76 J. Gnilka, Der Petrusdienst – Grundlegung im Neuen Testament und Ausprägung in der frühen Kirche, in: P. Hünermann, Papstamt und Ökumene. Zum Petrusdienst an der Einheit aller Getauften, Regensburg 1997, 9–24. 77 Vgl. zu dieser Diskussion A. Stock, Is Matthew´s Presentation of Peter Ironic?, BTB 17 (1987), 64–69. 78 Auch inwiefern mit Hilfe von jüdischen Quellen herausgearbeitet werden kann, dass weniger der Glaube als doch mehr die Person Petrus Adressat der Verheißung ist, ist für uns irrelevant. Der Dichter hat, wie oben gezeigt, den Glauben für wichtiger erachtet. Siehe dazu Gnilka (1997) 14.

56

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

bei Matthäus fern von Perfektion, 79 es handelt sich um eine „Typisierung des Petrus als Exponent der Jünger“80 bzw. aller Menschen;81 deshalb tritt er auch an Jesus heran, wenn die Jünger eine Frage haben bzw. wird von anderen angesprochen. Der Zweck der Darstellung des Petrus – ein exegetischer Erklärungsversuch Auch den Kirchenvätern war die Ambiguität im Charakter Petri aufgefallen, ohne dass sie diese zu erklären vermochten. Im Allgemeinen wird die Glaubensstärke Petri nicht angetastet, sondern kleinere Schwächen (wie z.B. der Vorwurf des Kleinglaubens) großen Stärken (z.B. der Namenszuweisung) entgegengesetzt.82 Eindringlich mahnt Hieronymus, dass Christen seiner Zeit hinter Petrus trotz seiner Schwächen zurückstehen. 83 Bisweilen wird dessen Scheitern als typisch für die schwache menschliche Natur gesehen.84 An der Aufrichtigkeit seines festen Glaubens zweifelt trotz des vielfachen Wankens niemand. 79 Sehr eingängig, wenn auch ohne bibelwissenschaftlichen Anspruch, ist der kurze Aufsatz von W. Jens, Der janusgesichtige Petrus, in: S. Dongerloh (Hrsg.), Huren, Helden, Heilige. Biblische Porträts aus prominenter Feder, Gütersloh 2004, 153–156. 80 R. Feldmeier, Die Darstellung des Petrus in den synoptischen Evangelien, in: P. Stuhlmacher (Hrsg.), Das Evangelium und die Evangelien. Vorträge vom Tübinger Symposium 1982, Tübingen 1983 (WUNT 28). Siehe auch oben Anm. 40 zu Typisierung. 81 In der modernen Exegese ist diese These immer wieder wiederholt worden. Die angebrachten Zitate müssen hier aber gewissermaßen als repräsentativ genügen. Nicht zitiert, aber dennoch hilfreich ist der Exkurs bei Luz (1990) 467–471. Luz vermag schlüssig das Einmalige mit dem Typischen zu verbinden, kommt damit aber im Wesentlichen zu demselben Schluss, dass sich nämlich exemplarisch an Petrus zeigt, wie sich Menschen zu Christus verhalten. Umfassend, mit einer leichten Tendenz dazu, die Sonderrolle des Petrus (neben seinem Wesen als „typischer Jünger“) zu unterstreichen, ist auch der Exkurs von Sand 327–335. 82 Z.B. bei Orig. Hom. in Ex. V 4 (GCS 29, 188,27–30 Baehrens) Vide magno illi ecclesiae fundamento et petrae solidissimae, super quam Christus fundavit ecclesiam, quid dicatur a Domino: „modicae“ inquit „fidei, quare dubitasti?“ und Hom. in Ex. VI 4 (GCS 29, 195,21– 196,2 Baehrens) Denique Dominus et Salvator „super aquas ambulavit“; ipse enim est, qui vere peccatum nescit. „Ambulavit“ et discipulus eius Petrus, licet paululum trepidaverit; non enim erat tantus et talis, qui nihil omnino plumbi in se haberet admixtum. Habuit, licet parum. Propter quod dicit ad eum Dominus: „modicae fidei, quare dubitasti?“ – Petrus hat Schwächen (hier durch das sinkende Blei ausgedrückt), aber wenige. Ähnlich argumentiert Ambr. Fid. IV 5,56 (CSEL 78, 176,61–177,1 Faller) „Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam, et tibi dabo claves regni caelorum.“ Ergo qui propria auctoritate regnum dabat, huius fidem firmare non poterat? Quem cum „petram“ dicit, „firmamentum ecclesiae“ iudicavit. 83 In Matth. II 14,30f (CCL 77, 125,1360–126,1371 Hurst/Adriaen) Ardebat animi fides, sed humana fragilitas in profundum trahebat. [...] Si apostolo Petro [...] dicitur: „Modicae fidei quare dubitasti“, quid nobis dicendum est, qui huius modicae fidei ne minimam quidem habemus portiunculam? 84 Z.B. Ambr. in Luc. X 72 (367,707 Adriaen): Metus naturae est [...] und Hil. in Matth. 14,15 (SC 258, 28,8–30,11 Doignon) Nam quamvis incedere ausus esset [auf den See], tamen submergebatur: per imbecillitatem enim carnis et metum mortis, etiam usque ad negandi necessi-

Exkurs

57

Neben der Glaubensstärke ist (schwächer, aber doch erkennbar) Abhängigkeit von Christus eine prominente Eigenschaft. Beide zählen auch zu den zentralen Forderungen bzw. Aussagen des Neuen Testaments und sind für Iuvencus und seine Zeit ebenso wichtig. Somit kann man Petrus an gewissen Stellen als Identifikationsfigur für jeden Christen verstehen. Die Situationen, in die Petrus gerät, sind typisch für alle Menschen. Jeder Christ hat die Erfahrung von (Glaubens–)schwäche gemacht und muss sich die Glaubensstärke als Ideal vor Augen führen, jeder Christ dieser Zeit war sich dessen bewusst (oder musste daran erinnert werden), dass das Urteil im Weltgericht von Christus, dem lebensspendende Macht zukommt, gesprochen wird. Dass auch Zeitgenossen des Dichters bei Christenverfolgungen eigene Erfahrungen gemacht haben, die der Verleugnung nahekommen, ist sehr wahrscheinlich; siehe dazu unten zu 594 iusti. Für eine partikulare und figurative Deutung der Einzelperikopen mit Blick auf eine universelle Wahrheit spricht sich Roberts aus,85 Green hat dessen Urteil jüngst mit Abmilderungen bestätigt.86 Bei einer solchen Gestaltung handelt es sich nicht um eine spezifisch christliche Herangehensweise. 87 Siehe zum Verhältnis von Interpetation und narratio bei Iuvencus und im Epos zuvor unten S. 346–373. Die einzelnen Perikopen, in denen Petrus eine Rolle spielt, sind episch und dramatisch, bisweilen auch mit einer eigenen exegetischen Schwerpunktsetzung ausgestaltet. Auch dass die so wichtige Glaubensstärke nur ein Mal – in einer Hinzufügung des Dichters – als Gottesgeschenk interpretiert wird, spricht gegen ein durchgehendes Personenbild und für eine einmalige amplificatio aus Gründen innerhalb der Perikope. Ein völlig einheitliches Charakterbild darzubieten liegt also auch gar nicht in der Intention des Dichters. So lässt sich das Auftreten von Epitheta auch an den Stellen, an denen Petrus nicht positiv beschrieben wird, erklären: Iuvencus hält genau wie die Exegese seiner Zeit am Motiv der Glaubensstärke fest, die jedoch vielfach von der menschlichen Natur des Apostels übertroffen wird, so dass andere Aspekte in den Vordergrund rücken können. So kann dann jedes Auftreten des Apostels eigenständig interpretiert und jeweils in die konkrete (Glaubens-)situation, in der der Leser sich befindet, integriert werden. Daran orientiert sich auch die menschliche Darstellung des Apostels, durch die eine Identifizierung den Christen leichter gefallen sein dürfte als durch eine harmonisierte und überhöhte (Heiligen–)Darstellung. Iuvencus macht seinen Lesern also verschiedene Identifikationsangebote: Glaubensschwankende konnten auf Petrus sehen, der wegen seines Kleinglaubens beim Wasserwandel in Not geraten war und doch von Christus gerettet wurde. Christen mit Sorgen vor der Zukunft konnten in der Perikope von der Zuweisung des Primats oder durch die Frage nach dem Lohn der Nachfolge erkennen, dass diejenigen, die sich voll Vertrauen an Christus wenden, reich belohnt werden. Dem Christentum Nahestehende tatem coactus est. – Hilarius lehrt weiter, gegenüber dem (hier schon schwachen) Petrus seien alle anderen Menschen noch deutlich unterlegen. 85 Vgl. Roberts (1985) 180. 86 Vgl. Green (2006) 71–83. 87 Vgl. Roberts (1985) 180.

58

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

konnten sich bei der Berufung wiederfinden, wo Petrus firmato pectore folgt, also schon einen „Vorgeschmack“ des Kommenden erlebt. Die letzte Schwäche Petri, die Verleugnung, lädt dabei natürlich nicht zur Nachahmung ein, regt aber – wie in der Tradition – zu Selbstreflexion an und wirkt gegen eine unangemessene Überhöhung Petri. Iuvencus stimmt grundsätzlich mit der am weitesten verbreiteten Exegese überein und zeigt dabei wiederum im Besonderen einige Berührungspunkte mit Origenes, für den Glaubensstärke die Grundbedingung für das Bestehen der Kirche ist.88 Petrus als epischer Charakter Die wichtigsten amplificationes gegenüber der Vorlage, die oben angemerkt wurden, sind Ausführungen der psychologischen Motivation der beschriebenen Handlungen. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Es ist communis opinio, dass Iuvencus „psychologisiert“ bzw. „emotionalisiert.“ Schon Heinze hatte aber zeigen können, wie wichtig solche Psychologisierungen auch für Vergil sind. 89 Auch dort war es dem Dichter darauf angekommen, Gefühle bei seinen Lesern zu wecken. Diese Technik des Bibeldichters ist also bewusst eine imitatio seines Vorbildes Vergil bzw. der epischen Tradition seither. Doch auch für die ambivalente Darstellung des Petrus ist Vergil ein Vorbild. Bei Homer und auch bei Apollonius Rhodius, der durch seinen Bruch mit der Tradition des epischen Helden auffällt, waren Charaktere noch häufig eindimensionale Typen, bald Personifikationen eines Charakterzuges.90 Das ändert sich bei Vergil. 91 Niemand Geringeres als Aeneas ist als Vergleichsperson geeignet, untersucht man, wie eigene Worte, die Worte anderer, die Beschreibungen des Dichters und die Taten zusammenpassen.92 Hier war schon Laktanz aufgefallen, dass sich Dis88 S.o. S. 56f. 89 Vgl. Heinze 282: „[Es ist begreiflich, dass] auch beim Handeln das Hauptgewicht auf den psychischen Vorgängen liegt: nicht eigentlich die Handlungen selbst und ihre Durchführung, sondern ihre psychologische Motivierung oder die psychischen Begleiterscheinungen beschäftigen den Dichter.“ Im Folgenden zeigt Heinze mit zahlreichen Beispielen, wie Vergil damit über die homerische Tradition hinausgeht. Siehe auch 290f: „Es ist andererseits anzuerkennen, daß Virgil trotz dieses konstruierten Elements des Affektausdruckes naheliegende Abwege vermeidet. Er hält sich strikt an den gegebenen Fall und vermeidet es, sich in Deklamationen über das Generelle zu ergehen. Er kehrt die in der Situation gegebenen Gefühlsmomente möglichst erschöpfend hervor, vermeidet aber jedes verstandesmäßige Reflektieren über den Affekt [...]. Aber das alles sind nicht spezielle Eigenschaften der affektischen Rede, sondern des virgilischen Stils überhaupt.“ 90 Siehe dazu H. Fraenkel, Ein Don Quijote unter den Argonauten des Apollonios?, MH 17 (1960), 1–20 und G. Lawall, Apollonius’ Argonautica: Jason as Anti-Hero, YCS 19 (1966), 119–169. Beide zeigen, wie die stereotyp dargestellten Nebencharaktere nur dazu dienen, den neuen, „modernen“ Heldentypen Jason gegen sie abzusetzen. 91 Vgl. wiederum Heinze 281f. 92 Vgl. Suerbaum 206.

Exkurs

59

krepanzen ergeben, auch wenn das am christlichen (Miss-)Verständnis von pietas lag.93 Mögen auch Laktanz’ Motive in der Kritik an Vergil und nicht in philologischen oder literarischen Beobachtungen liegen,94 ist die Analyse des Apologeten richtig, zumal Schauer jüngst zeigen konnte, wie sich „emotionales und rationales Verhalten, furor und Verantwortungsgefühl“95 bei Vergils Darstellung des Aeneas gewissermaßen abwechseln. Wie Aeneas sich Dido gegenüber verhält, wie er mit seinem fatum ringt, dem zu folgen ihm geboten und rational klar ist, obwohl er gern in Karthago bliebe, soll neben dem unbarmherzigen Stoß gegen Turnus, der dem Gebot des parcere subiectis zu widersprechen scheint, als Beispiel genügen. Die alte These von einer Schule des Helden, der sich als stoischer proficiens zur idealen Führungsfigur entwickelt,96 vermag Schauer so abzulösen, indem er zeigt, dass sich Aeneas gar nicht entwickelt, sondern situationsgebunden handelt und die Zunahme an Erkenntnis der fata die wichtigste Entwicklung des Protagonisten in der Aeneis ist. Auch daher ist eine typologische Interpretation (wie z.B. eine direkte Gleichsetzung des Aeneas mit Augustus aus Gründen der Panegyrik) viel zu simpel. 97 Vielmehr kann sich jeder (gebildete) Römer mit Aeneas identifizieren. 98 Dazu kommt, dass, um Vergil richtig begreifen zu können, eine breite Kenntnis literarischer, mythologischer, historischer und politischer Hintergründe nötig ist. 99 Selbst wenn man nun bedenkt, dass Vergil bei der Darstellung seiner Charaktere auf viele Traditionen zurückgreift (bei Aeneas beispielsweise nicht nur auf den Aeneas der Tradition, sondern auch auf Odysseus, Achill, Jason und andere), sind doch bisweilen die Situationen, in denen die Charaktere auftreten, wichtiger und eindrücklicher als diese selbst; so entsteht von Situation zu Situation etwas Neues.100 Bei Iuvencus muss man also Vorbilder und bisweilen auch die Exegese im Blick behalten; nichtsdestotrotz sind gewisse Situationen (beispielsweise die Verleugnung) wichtiger als die Individualität der Charaktere. Dazu konstituiert sich ein Charakter im klassischen Epos auch durch den Dialog zwischen Werk und Leser, 101 was sich Iuvencus zu Nutze machen kann, wenn er die konkrete Situation 93 Siehe dazu B. Colot, ‚Pietas’ dans la transformation religieuse du IVe siècle, L’apport de Lactance, le ‚Cicéron chrétien’, Diss. Paris. 1996 und id., Pietas, argument et expression d’un nouveau lien socio–religieux dans le christianisme romain de Lactance, in: Studia Patristica 34 (2001), 23–32. 94 Vgl. Suerbaum 206. 95 M. Schauer, Aeneas dux in Vergils Aeneis. Eine literarische Fiktion in augusteischer Zeit, München 2007 (Zetemata 128), 155. Besonders anschaulich stellt Schauer 144 diese Wechsel tabellarisch dar. 96 Vgl. Heinze 271–273. 97 Überzeugend G. Nagy, The Epic Hero, in: J.M. Foley (Hrsg.), A Companion to Ancient Epic, London 2005, 71–89. 98 Vgl. Schauer passim, weiter auch die Rezension von W. Polleichtner, Gymnasium 115 (2008), 95–97, bes. 96. 99 Das betont v.a. J. Griffin, Latin Poets and Roman Life, London 21994, darin „the creation of characters in the Aeneid“, 183–197. 100 Eindrucksvoll gezeigt von A. Laird, Approaching characterisation in Virgil, in: C. Martindale, The Cambridge companion to Virgil, Cambridge 1997, 282–293. 101 Vgl. ibid.

60

Die Darstellung des Petrus bei Iuvencus

seiner Leser im Blick hat: oben war ja deutlich gemacht worden, wie gut Petrus zur Realität spätantiker oder sogar moderner Christen passt. Wenn nun auch Aeneas ein nicht genau fassbarer Charakter ist, was auch manchen Zeitgenossen 102 des Iuvencus aufgefallen war, liegt nahe, dass der aemulus Iuvencus auch hier auf sein Vorbild Vergil zurückgriff. Die Gattungstradition begünstigte eine psychologische, situationsgebundene und zur Identifikation einladende Darstellung Petri. So wie also ein gebildeter Römer, vornehmlich ein Stoiker, sich den Aeneas im Bezug auf die Observanz des fatum zum Vorbild nehmen konnte, konnte sich auch ein Christ wie oben dargestellt in Petrus wiederfinden. Natürlich wird Petrus nicht zu einem christlichen Aeneas, denn dazu sind ihre Rollen viel zu verschieden. Ein vorlagengebundenes, paraphrastisches Werk, wie es Iuvencus schreibt, lässt auch eine solche Gleichsetzung nicht zu, da das Evangelium stets der freien Gestaltung gewisse Grenzen setzt. Zwar kann Iuvencus eingreifen, indem er psychologische Erklärungen bietet oder subtil gewisse theologische Aussagen einfließen lässt, die eigentlichen Handlungen Petri aber entnimmt er seiner Vorlage. Die Gestaltungsprinzipien, die aber Vergil bei der Darstellung des zur Identifikation einladenden Aeneas beachtet hat, lassen sich auch für Petrus bei Iuvencus zeigen, so dass der Apostel durchaus als epischer Charakter bezeichnet werden kann. Schluss Wie bei Vergil, so ist auch bei Iuvencus nicht der individuelle Charakter, sondern die Situation, in der sich die handelnden Personen bewähren müssen, wichtig. Dies konnte hier für Petrus, zuvor durch Šubrt aber auch schon für Jesus, den er als Prototyp des Helden bezeichnet, gezeigt werden.103 So vermischen sich gerade in der Ausgestaltung der Charaktere die Gattungen Epos und Evangelium; siehe dazu unten S. 346–373. Das oben aufgeschobene Urteil über den Primat Petri muss hier gefällt werden. Daran, dass Glaubenskraft das Einzige ist, was Petrus immer zugewiesen wird, kann man die deutliche Verzahnung von Petri Glaubenskraft und der Dauerhaftigkeit der Kirche erkennen, die dazu noch die pagane Religion, ausgedrückt durch die Übernahme der vergilischen Vokabel non exsuperabile, übertrifft. Weil aber Petrus nicht als individueller Charakter, sondern als exemplarischer Mensch dargestellt wird, ist eine „katholische“ Intention des Dichters nicht wahrscheinlich. Einem konkreten Menschen etwas zuzuweisen, liegt Iuvencus ferner, als bestimmte Eigenschaften zu bewerten. Weiterhin fehlt die Zuweisung der Binde- und Lösegewalt an die anderen Jünger Mt 18,18 amen dico vobis, quaecumque alligaveritis super terram, erunt alligata et in caelo, et quaecumque solveritis super terra, erunt soluta et in cae102 Jedoch längst nicht von allen – Donatus versucht in seinem Kommentar noch, Aeneas von allen negativen Zügen frei zu halten. Vgl. Suerbaum 202f. 103 Vgl. Šubrt 10–17.

Exkurs

61

lo.104 Darin muss man aber nicht zwingend eine theologische Aussage erkennen; möglicherweise ließ der Dichter, was ihm auch auf Grund der ähnlichen Wortwahl wie in Mt 16,19 eine Wiederholung zu sein schien, schlicht aus erzählökonomischen Gründen aus. Die Einzelperikope ist oben hinreichend so erklärt, dass der Typus des Glaubenden derjenige ist, dem Dauerhaftigkeit und Urteilskraft zukommt - so sieht es auch die Exegese vor bzw. zur Zeit des Iuvencus mit wenigen Ausnahmen. 105 Daher war eine weitere Erwähnung der Binde- und Lösegewalt, ohnehin an Menschen mit derselben Eigenschaft (Glaubensstärke), überflüssig. Wäre Iuvencus am Primat gelegen gewesen, hätte er Petrus wie in Joh 21,15– 23 noch einmal mit dem Auftrag Christi pasce oves meas versehen können – trotz seiner starken Bindung an das Matthäusevangelium greift der Dichter ja bisweilen auf die anderen Evangelien zurück. Darauf aber verzichtet er. Zur weiteren Diskussion eines besonderen Augenmerks auf geweihte Personen siehe S. 303.

104 Vgl. Fichtner 203. 105 Siehe oben zur Stelle, S. 49–53.

DER PILATUSPROZESS (IV 586–625) EINPASSUNG DER SZENE Iuvencus greift hier gegenüber der Vorlage ordnend ein. Während nach Mt 27,2 das Ende des Judas (Mt 27,3–10) eingeschoben ist, berichtet er den Pilatusprozess zusammenhängend und den Selbstmord des Judas erst IV 626–641. Der erste Grund dafür wird die Glättung der narratio gewesen sein. 1 Zudem trennt der Dichter so die Verurteilung Jesu von seiner Verspottung durch die Soldaten (Mt 27,27–31a) und der tatsächlichen Kreuzigung (Mt 27,31b–44). Diese Abfolge wird bei der Behandlung der Verspottung interpretiert werden. Der Pilatusprozess selbst ist von der Verleugnung Petri deutlich durch den bei Iuvencus episch ausgebauten Tagesanbruch getrennt, siehe dazu die ersten Kommentarabschnitte unten. KOMMENTAR Tagesanbruch und Vorführung Jesu (IV 586–589) Mt 27,1f: 1 mane autem facto consilium acceperunt omnes principes sacerdotum et seniores plebis adversus Iesum, ut eum morti traderent. 2 Et vinctum adduxerunt eum et tradiderunt Pontio Pilato praesidi.

Iuvenc. IV 586–589: 586 Sidera iam luci concedunt et rapidus sol 587 progreditur radiis terras trepidantibus implens.

588 Iamque e concilio Christum post terga revinctum 589 praesidis ad gremium magno clamore trahebant.

sidera iam ... concedunt ... implens: Die Wendung sidera ... concedunt ist schon vor Iuvencus bei Ov. Her. 18,71f und 20,55f, Mart. VII 21,9 und einige Male bei Manil. belegt, ähnlich Sil. VII 544f solem concedere nocti / sciscant imbelles [...].2 Siehe auch unten zu 743 sidera iam ... incipiunt. rapidus sol: Gern gebraucht Iuvencus Formen von sol an letzter Stelle im Vers (11 von 15 Malen). 3 Die Junktur ist in der Dichtung schon Catull. 66,1;

1 2 3

Vgl. Deerberg 335. Vgl. Deerberg 336 Anm. 45. Siehe zur epischen Tradition der Sonnenaufgangsbeschreibungen weiter ibid., 213. Vgl. Wacht s.v.

IV 586–625

63

Verg. Georg. I 92, 424; II 321; Hor. Od. II 9,12; Ov. Am. III 6,106 und Met. VIII 225 belegt.4 progreditur radiis ... trepidantibus: Hier handelt es sich um Iuvencus’ eigene Junktur.5 Das Bild vom flackernden Licht findet sich jedoch schon früher, zumeist mit der Junktur tremulum lumen, z.B. Aen. VIII 22–24; Ov. Her. 18,59; Manil. 863; oder im christlichen Bereich Cypr. Gall. Gen. 16. Trepidus dies schreibt Sen. Herc. O. 23; ebenso Iuvencus IV 689. Lagana vermutete, mit trepidans werde der plötzliche und kraftvolle Sonnenaufgang am Mittelmehr genau beschrieben. 6 Metrisch wird durch die vier Daktylen gerade in progreditur radiis trepidantibus das schnelle Aufgehen der Sonne verdeutlicht. terras ... inplens: Die Vorstellung vom Anfüllen der Erde mit Licht lässt sich vor Iuvencus (auch unten 727) nur bei Lukrez (V 591–593 tantulus ille queat tantum sol mittere lumen, / quod maria ac terras omnis caelumque rigando / compleat) und Silius (VIII 192 orta dies totum radiis impleverat orbem) belegen.7 An Hand der genannten Berührungspunkte ist erkennbar, dass Iuvencus den Sonnenaufgang so episch wie möglich gestalten möchte. 8 Den Abend des Gründonnerstages hatte Iuvencus so beschrieben (IV 470f): nox haec quae lucida sidera terris / inducit lucemque premens nunc incubat undas. Die lucida sidera sind es, die jetzt dem Licht weichen, das die terrae erfüllt. Damit sind Beginn und Ende der Nacht, in der Jesus verraten und verhaftet wird, verbunden. Ähnlichkeiten lassen sich auch mit den Beschreibungen der Tagesanbrüche von Karsamstag (IV 727 Iamque dies rutilo conplebat lumine terras) und von Ostersonntag (IV 743f sidera iam noctis venturo cedere soli / incipiunt) erkennen. Die drei Morgen, die Iuvencus während der Passion beschreibt, verknüpft er also durch terras inplens / terras conplebat bzw. sidera iam luci concedunt / sidera iam noctis [...] cedere, um so die gesamte Passionsgeschichte mit Hilfe solcher epischer Elemente zu verbinden. Dabei scheint dieser Morgen hier dem Dichter besonders wichtig zu sein, da er IV 727 nur einen Vers IV 743f einen Vers und ein Wort aufwendet, um ihn zu beschreiben, hier aber zwei Verse füllt. Zudem zerfällt der Sonnenaufgang durch concedunt und progreditur, durch das Weichen der Sterne und das Hervortreten der Sonne, in zwei Teile. Zu möglichen theologischen Gründen dafür siehe unten, S. 86–92, zu Überleitungen im Allgemeinen S. 320. Iamque: Das pointiert vorne stehende iamque verdeutlich die Eile derer, die Jesus zu Pilatus bringen.9 Ebenso lässt sich auch der Perikopenbeginn sidera i am ... verstehen.10 4

Die Struktur des ersten Verses dieser Perikope ähnelt leicht Iuvenc. III 1 fuderat in terras roseum iubar ignicomus sol. Auch dort steht das einsilbige sol an letzter Stelle im Vers und folgt seinem Epitheton. Vgl. auch Deerberg 336 Anm. 45. 5 Widmann 45 nennt die vorliegende Stelle als Beispiel für eine amplificatio. 6 Vgl. Lagana 35. 7 Vgl. Deerberg 336 Anm. 45. 8 Das ist durch Thraede (1998) hinreichend gezeigt worden. 9 Immer gebraucht Iuvencus iamque so. Vgl. Wacht s.v. 10 So verstehen Claudius Donatus und Austin (1964) auch den Versbeginn ecce sed ... Aen. II 57; siehe weiter zu iamque ... trahebant.

64

Der Pilatusprozess

iamque ... trahebant: Die beiden Verse orientieren sich an Aen. II 57f (Ecce manus iuvenem interea post t erga revi nctum / pastores magno ad regem clamore trahebant). Damit wird sehr deutlich Sinon evoziert, der Grieche, der die Troianer überredete, das Pferd in die Stadt zu ziehen. Christus teilt aber nicht dessen Eigenschaften: Sinon wird als beredt und listig beschrieben (z.B. Aen. II 152 ille dolis instructus et arte Pelasga und Aen. II 195 talibus insidiis periurique arte Sinonis), er betrügt die arglosen und freundlichen Trojaner (Aen. II 145f his lacrimis vitam damus et miserescimus ultro. / Ipse viro primus manicas atque arta levari / vincla iubet Priamus dictisque ita fatur amicis), die größtenteils still bleiben (von den 142 Versen der Episode entfallen nur vier auf wörtliche Rede der Trojaner). Christus handelt genau umgekehrt, er ist unschuldig (bzw. „gerecht“, IV 594 und 604) und bleibt still (IV 596 und 598), während seine Gegner beredt (IV 595) sind. 11 Sinon ist bereit, seu versare dolos seu certae occumbere morti (Aen. II 62), Christus nur zum Letzten – da liegt der zentrale Unterschied.12 Es handelt sich also um eine äußerst pointierte Kontrastimitation, da Jesus zwar mit denselben Worten wie Sinon beschrieben wird, inhatlich aber den positiv besetzten Troianern gleichzusetzen ist.13 Die Verse sind metrisch durch die beiden Penthemimeres exakt gegliedert. Servius sieht in der Aeneisstelle eine Anspielung auf das ius pontificiale, dass nämlich jemand, der die via Flaminia gefesselt betritt, freigelassen werden müsse. Das geschehe schließlich auch Aen. II 146f ipse viro primus manicas atque arta levari / vincla iubet Priamus.14 Dass Iuvencus von dieser möglichen Anspielung wusste, ist kaum zu beweisen; wenn er sie aber kannte, könnte Jesus auch dem paganen kultischen Recht entgegengesetzt sein.

post terga revinctum: Ein vergilischer Pleonasmus. e concilio: Iuvencus verzichtet auf die ausdrückliche Wiedergabe von Mt 27,1b, um Redundanz zu vermeiden; schließlich hatten die Hohenpriester schon Mt 26,3f bzw. IV 403–408 beschlossen, Jesus zu töten. Stattdessen knüpft er durch e concilio an die Szene vor der Verleugnung des Petrus an. Dort hatten die Hohenpriester Jesus für todeswürdig befunden (IV 565 conclamant omnes mortique addicere certant). Ein Vorbild hat die Wendung in Aen. V 75 ille e concilio multis cum milibus ibat, wo Aeneas gerade zum Grabmal seines Vaters aufbricht. Da sich e concilio im Epos sonst nur Sil. XI 71 findet, ist hier eine Kontrastimitation zwischen der Versammlung der Hohenpriester, die eine Schandtat beschließen, mit der der Troianer, die zu einer ehrenvollen Handlung schreiten, denkbar. Das passte auch gut zur oben herausgestellten Kontrastimitation Sinon-Christus.

praeses: Diese für einen Statthalter nicht unübliche Vokabel15 gebraucht Iuvencus drei Mal, jedesmal von Pilatus (hier und 613 jeweils analog zur Vorlage, dazu IV 723). Siehe weiter zum Pilatusbild unten S. 87–89. gremium: In der Bedeutung „Sitz“ noch I 452f, zuerst Plin. Paneg. 64, 2 stetit ante gremium consulis.16 11 12 13 14 15 16

Vgl. Deerberg 337f. Vgl. Green (2006) 63f. Vgl. Deerberg 337f. Vgl. Serv. Aen. II 62. Vgl. OLD s.v. 2. Vgl. Thraede (2002) 383.

IV 586–625

65

magno clamore: Auch dieser Ausdruck ist durch die Umstellung von magno aus Aen. II 57 entnommen. Diese Hinzufügung des Dichters dient der Dramatisierung: eine wütende Menge, die aber nicht näher spezifiziert wird, tritt auf. trahebant: Die Vokabel illustriert den rauen Umgang mit Jesus, der hergeschleppt wird.17 Siehe auch IV 652 et crucis ad poenam sanctum iustumque trahebant, dort für duxerunt. Die Frage nach dem Königtum Jesu (IV 590–593) Mt 27,11 Iesus autem stetit ante praesidem; et interrogavit eum praeses dicens: „Tu es rex Iudaeorum?“ Dicit ei Iesus: „Tu dicis.“

Iuvenc. IV 590–593: 590 Interea celsum Dominus stans ante tribunal 591 talia Pilati verbis excepit Iesus: 592 „Tu rex Iudaeae gentis, quod dicitur, adstas?“ 593 Respondit Christus: „Vestris haec audio verbis.“

Interea: Nach iam und iamque die dritte Überleitung auf engstem Raum. So wird die Szene deutlich beschleunigt. Interea zielt hier nicht auf die Gleichzeitigkeit der Handlungen ab, sondern dient als Überleitung;18 siehe weiter unten zu 776 interea. celsum ... tribunal: Tribunal ist episch nicht gebräuchlich. 19 Celsus verwendet Iuvencus sowohl in der Bedeutung „hoch“20 als auch „erhaben“.21 Hier handelt es sich wohl um einen Pleonasmus mit tribunal, als „erhaben“ kann Iuvencus das Gericht allenfalls ironisch (der erhabene Christus steht vor dem nur scheinbar erhabenen tribunal) bezeichnen. Ferner vermeidet er es, den praeses nach Vers 589 wie die Vorlage erneut zu nennen, indem er hier nur von dessen tribunal spricht. Den (ungewöhnlichen) Versschluss ante tribunal übernimmt Sedulius, Carm. Pasch. V 139. Möglicherweise dient Aen. XII 564 [Aeneas] celso medius stans aggere fatur als Vorbild. Aeneas hält vor der letzten Schlacht der Aeneis dort eine Rede, die er mit einem Verweis auf Iuppiters Willen beginnt. Sowohl er als auch Jesus bereiten sich auf ihre Bestimmung vor. Siehe zum Ausdruck auch Ambr. in Psalm. 118, 3,42 (CSEL 62 Petschenig/Zelzer 64,10–12) hoc est: ‚me stante sederunt principes‘ (Apg 4,8–10) et, quia tribunalium fulcro sublimes erant, dominum non videbant. sedebant ergo elati fastigio principatus nec principem principum cogitabant.

Dominus ... Iesus: Den Titel fügt Iuvencus hinzu. Dabei ist eine gewisse Ironie zu bemerken: gerade der Herr ist es, der vor Gericht gebracht wird. Deerberg spricht von „antithetischer Verarbeitung. [...] Mit dem Gebrauch des christologischen Hoheitstitels verkehrt Juvencus die Rollen der Prozesssituation und erklärt Jesus zum eigentlichen Richter. Dieselbe Intention hat 4,594 die Hinzuziehung

17 Servius und Austin (1964) sehen trahebant in Aen. II 58 dagegen als Ausdruck von Eile. 18 Vgl. Thraede (2000) 891, zur Gleichzeitigkeit siehe ThLL VII 2182,56 (Löfstedt 1963). 19 Ov. Am. I 10,39f turpe reos empta miseros defendere lingua, / quod faciat magnas, turpe tribunal, opes wird für Iuvencus kaum eine Rolle gespielt haben. 20 I 397, 684, 731; II 11, 475; III 53, 95, 669. 21 Praef. 9, I 68, 482; II 177; III 490, 533, 541, 602; IV 357.

66

Der Pilatusprozess

von iusti zu accusatio – was für eine Anklage kann es auch gegen einen Unschuldigen geben?“22 Zum Zweck solcher Hinzfügungen siehe unten 346–373. Pilati: In Vers 589 war der Name des Statthalters noch ausgelassen worden, hier wird er für praeses hinzugefügt. Neben der größeren variatio mögen auch metrische Gründe eine Rolle dafür spielen. Zum Pilatusbild siehe weiter unten 87–89. verbis excepit: In excepit steckt gewöhnlich mehr als das bloße Hören, nämlich Annahme bzw. Billigung.23 Wichtiger als das dürfte dem Dichter aber sein, Jesus als Subjekt auch sprachlich im Mittelpunkt zu behalten. Tu rex ... adstas: Nur bei der ersten Frage und bei dem späteren Blutruf der jüdischen Masse24 in den Versen 622f wird eine Rede der Vorlage auch als direkte Rede wiedergegeben. Hier macht sich Iuvencus damit die Signalwirkung der direkten Rede zu Nutze: Nach der deutlichen Beschreibung der Szenerie wird die Aufmerksamkeit des Lesers weiter hoch gehalten. 25 Der Inhalt der Anklage wird allerdings nicht mehr genannt; vgl. auch zu Vers 597 quae tum sit causa tacendi. Adstas bedeutet indes wenig anderes als ades, vermittelt aber ein besseres Bild von der Szene,26 zumal es als Begriff der Gerichtssprache bei Hor. sat. I 9, 38f inteream si / aut valeo stare aut novi civilia iura angedeutet ist.27 rex Iudaeae gentis: Das metrisch unbequeme Iudaeorum gebraucht Iuvencus ebenso wie Israel oder Istrahel nie, Iudaea gens dafür regelmäßig (z.B. IV 337, 647f und 665f). Zur Frage, ob gens Iudaea negativ besetzt ist28, und zum möglichen Antijudaismus überhaupt siehe unten S. 322–340. Jesu Anspruch darauf, als Messias anerkannt zu werden, nutzt Iuvencus bisweilen gegen dessen Gegner; nicht so an dieser Stelle. Siehe dazu unten S. 169–174. Respondit Christus ... verbis: Wie der vorige Vers ist auch dieser reich an Spondeen. Auch Jesu Reaktion im einzigen Gespräch zwischen Jesus und Pilatus, das Iuvencus schildert, ist ruhig und kontrolliert. quod dicitur: Quod muss sich auf den ganzen übergeordneten Satz beziehen. Es handelt sich um eine Hinzufügung des Dichters. Pilatus fragt nicht aus eigenem Antrieb, sondern möchte eine Anklage bzw. ein Gerücht bestätigt wissen. Das trägt erneut dazu bei, die römische Seite zu exkulpieren; siehe weiter unten S. 87–89. Christus: Der ursprünglich christologische Hoheitstitel29 Christus war „bereits in ntl. Zeit zu einem zweiten Eigennamen Jesu“30 geworden. Daher hat die Vokabel anders als Dominus in Vers 590 hier keine besondere Bedeutung. Da

22 23 24 25 26 27 28 29 30

Deerberg 345. Vgl. OLD s.v. 9. Siehe zum problematischen Begriff „Selbstverfluchung“ unten zu 623 scelus hoc et culpa. Siehe zu Iuvencus’ Umgang mit direkter Rede grundätzlich Rodriguez Hevia. Wie das deutsche „vor Gericht stehen.“ Vgl. Arevalo und Knappitsch ad loc. So Poinsotte 202f mit Bezug auf I 1 rex fuit Herodes Iudaea in gente cruentus. Deerberg 342. A. Stuiber, Art. Christusepitheta, in: RAC 3 (1957) 24–29, 24f.

IV 586–625

67

auch metrische Gründe auszuschließen sind, weil Iuvencus Iesus gewöhnlich dreisilbig misst,31 muss Christus auf Grund von variatio gebraucht sein. Vestris ... verbis: Durch Hyperbaton und Alliteration herausgestellt. Der Plural vestris ist als pluralis maiestatis/modestiae zu verstehen. Es ist auf den ersten Blick angesichts des Pronomens vestris nicht klar, ob Jesus die Frage des Pilatus bejaht oder nur eine Antwort zurückweist (ähnlich ambivalent die Übersetzung der EÜ: „Du sagst es“). Im Lichte von Mt 26,25 respondens autem Judas, qui traditurus erat eum dixit: „numquid ego sum, Rabbi?“ Ait illi Iesus: „tu dixisti.“ und 26,64f et respondens princeps sacerdotum ait illi: „Adiuro te per Deum vivum, ut dicas nobis, si tu es Christus, filius Dei.“ Dicit illi Iesus: „Tu dixisti.“ wird man hier eine Bejahung verstehen.32 Iuvencus gibt diese beiden Verse IV 444f bzw. 556f wieder. Zu ersterem Vers, der ebenfalls bei Iuvencus ambivalent erscheint, siehe unten zum Judasbild S. 111–117. In letzterem Falle ist Jesu Zustimmung völlig klar. Es heißt IV 556f Istaec sola tibi procedunt pectore verba / vera tuo.33 Es wäre eigentümlich, wenn Jesus einmal den Anspruch der Gottessohnschaft annimmt, um ihn hier zurückzuweisen. Man kann vestris ... verbis also als Zustimmung verstehen.

Anklage gegen Jesus und dessen Schweigen (IV 594–598) Mt 27, 12–14: 12 Et cum accusaretur a principibus sacerdotum et senioribus, nihil respondebat. 13 Tunc dicit illi Pilatus: „Non audis, quanta adversum te dicunt testimonia?“ 14 Et non respondit ei ullum verbum, ita ut miraretur praeses vehementer.

Iuvenc. IV 594–598: 594 Exhinc terribilis iusti accusatio surgens 595 infremit et sanctum sceleris facundia pressat. 596 Respondere nihil trucibus dignatur Iesus. 597 Pilatus quaerit, quae tum sit causa tacendi. 598 Ille magis perstans miranda silentia servat. 595 sceleris Huemer : scelerum Arevalo : scelerata codd.

exhinc: Diese Vokabel ist klassisch ungebräuchlich, bei Iuvencus aber drei Mal mit temporaler Bedeutung verwendet,34 dabei hier das erste Mal in der direkten Bedeutung „dann, gleich darauf“ statt „seitdem, in der Zeit danach.“ terribilis ... accusatio: Terribilis gebraucht Iuvencus nur von der Erscheinung des Engels I 14 und hier. Dadurch, dass der Dichter keinen Ankläger, sondern nur die Anklage nennt,35 werden Jesu Gegner entmenschlicht.36 Siehe dazu unten zu Vers 595 sceleris facundia und zu Vers 596 trucibus. iusti: Bei Iuvencus ein Epitheton Jesu oder der Christen, wie auch bei Laktanz.37 Diese Wichtigkeit zeigt sich nach Green besonders I 466f felices nimi31 32 33 34 35 36 37

Vgl. Arevalo ad loc. Vgl. Luz (2002) 269f und Sand 549. Siehe Flieger 164–171 mit einem ausführlichen Kommentar dieser Verse. I 130, 435 und hier. Nach Knappitsch ein „abstractum pro concreto.“ Vgl. Deerberg 344. Vgl. Flieger 118f und Green (2006) 121f, bes. Anm. 518. Green geht noch öfter darauf ein, siehe dafür seinen Index 437.

68

Der Pilatusprozess

um, quos insectatio frendens / propter iustitiam premit, einer deutlichen amplificatio von Mt 5,10f. Green macht mit dieser und weiteren Stellen (I 565f, II 784) die These stark, dass Iuvencus’ Gemeinde unter der Verfolgung gelitten habe, wodurch der Gerechtigkeitsbegriff wesentlicher wurde.38 Der Begriff der Gerechtigkeit war und ist jedoch auch ohne konkrete Verfolgungserfahrung ein sehr wesentlicher. Hier wird durch die Stellung zwischen terribilis und accusatio illustriert, wie Jesus von der Anklage bedrängt wird. Dadurch wird auch die Antithese zwischen iusti und accusatio betont: Eine Anklage gegen einen Gerechten ist paradox. 39 Siehe auch unten 604 iusti discedere poena, 642 iustus und 652 sanctum iustumque. Weder im Evangelium noch bei Iuvencus ist der Inhalt der Anklage ausgedrückt. Durch iusti wird diese Frage ohnehin obsolet, da Jesus für Iuvencus unschuldig und die Anklage somit nicht nur terribilis, sondern auch ungerecht ist. Siehe dazu weiter unten zu Vers 617 confessus sese ... ore.

surgens infremit: Durch die Trennung der beiden Worte mit Enjambement wird der beabsichtigte Effekt verstärkt: Die Anklage erhebt sich noch langsam vor dem Versübergang, dann bricht sie ganz los. Vergil gebraucht die Vokabel infremit zudem nur ein einziges Mal, nämlich Aen. X 707–711: ac velut ille canum morsu de montibus altis / actus aper [...] substitit infremuitque ferox [...]. Jesu Ankläger ähneln also aufgescheuchten wilden Tieren, ihre Entmenschlichung wird immer deutlicher. sanctum: Wie iustus wird auch sanctus häufig auf Jesus bezogen, bisweilen sogar als Personifikation für diesen gebraucht (allein in der Passion iustus IV 441, 518, 594, 604, 642 und 652; sanctus IV 566, 652, 754, 757 und hier).40 Sanctum wird durch die Penthemimeres, die die beiden Worte trennt, sceleris entgegengestellt. Beide Male steht somit die Anklage Jesus antithetisch gegenüber: Sie ist schrecklich gegen einen Gerechten und listig gegen einen Arglosen, gar Heiligen. Siehe auch unten zu Vers 649 sancto und zu Vers 652 sanctum iustumque. In letzterem Fall stehen gar beide wichtigen Epitheta, sanctum und iustum, direkt nebeneinander. sceleris facundia: Hier steht die Redegewandtheit der Ankläger, die der Dichter hinzufügt, dem folgenden Schweigen Jesu wirkungsvoll gegenüber, wie oben zu 589f iamque ... trahebat schon angedeutet. Ebenso wie 594 durch accusatio werden hier Jesu Gegner, die im Gegensatz zu ihrer Eigenschaft, der facundia, nicht genannt werden, entmenschlicht;41 als facundia wird I 374 auch der Teufel 38 Vgl. ibid. 39 Vgl. Deerberg 345. 40 Biblisch finden sich beide Worte zusammen, mit Bezug auf den Pilatusprozess, Apg 3,14 vos autem sanctum et iustum negastis et petistis virum homicidam donari vobis. Siehe zum Gebrauch von sanctus im Evangelium Schneider 319, bes. Anm. 45 und Pesch (1986) 153. 41 Dieses Beispiel gebraucht auch Deerberg 344, um zu zeigen, dass „[d]ie Verwendung der Abstrakta bewirkt, daß die negativen Charaktereigenschaften direkt mit den in der Erzählvorlage handelnden Personen verschmolzen werden.“ Eine solche Technik wurde für Lukan nachgewiesen von H.C. Nutting, The Hero of the Pharsalia, in: AJPh 53 (1932) 44.

IV 586–625

69

bezeichnet. Die Vokabel facundia findet sich im Epos erstmals bei Ovid (fünf Belege) und ist damit vor Iuvencus in diese Gattung eingeführt worden. Siehe zur Verwendung von scelus / sceleratus sowie zur Verallgemeinerung der Gegner Jesu das Kapitel zum möglichen Antijudaismus, S. 322–340. Die einhellig überlieferte Lesart scelerata bewirkt ein metrisches Problem, da die erste Silbe in facundia hier kurz gemessen werden müsste, was vor Iuvencus nie geschah.42 Er gebraucht die Vokabel facundia nur hier, so dass man über seine Gewohnheit keine Aussage treffen kann, wobei metrische Ungenauigkeiten allgemein sehr selten sind.43 Arevalos Konjektur scelerum würde das Problem lösen. Er versteht aber scelerum als sceleratorum, ein Gebrauch des Wortes scelus, der sich nur bei Plautus oder Ciceros Gerichtsreden (als Anrede etwa des Verres) findet.44 Scelus im Plural ist bei Iuvencus nur III 42, 61, IV 643 und IV 636 belegt, dazu kommt Arevalos Κοnjektur scelerum IV 643. In Vers 636 sind durchaus mehrere Verbrechen gemeint, siehe dazu dort, horrendo signant scelera impia facto, Gleiches gilt für 643, siehe dort, sceleri ludibria. In der Perikope von der Hinrichtung Johannes’ des Täufers, in der sich beide Belege III 42 und 61 finden, sind durch den Plural wohl der Ehebruch des Herodes und die Hinrichtung des Täufers als zwei verschiedene Verbrechen bezeichnet. Daher, und da hier die Passion als Ganzes in den Blick kommt, ist Huemers Konjektur, der Singular sceleris gegenüber scelerum (als Genitiv Plural von scelus verstanden) zu bevorzugen. Zu Belegen siehe unten zu 636 horrendo signant scelera impia facto und 643 sceleri ludibria.

pressat: Gewöhnlich wird pressare nur im physischen Sinne verwendet;45 hier ist es aber zweifellos psychisch zu verstehen und damit sehr eindringlich. trucibus: Wurden die Ankläger oben in den Versen 594f noch durch die personifizierten Substantive accusatio und sceleris facundia bezeichnet, so gebraucht der Dichter hier ein substantiviertes Adjektiv. Das Ziel ist dasselbe wie zuvor, nämlich die möglichst deutliche, geradezu unmenschliche Darstellung der Gegner Jesu, denn auch der Teufel wird als trux bezeichnet (II 798). Siehe zur Vokabel auch unten zu 603 trucibus somno sed territa visis. Respondere ... dignatur: Jesus beherrscht bei Iuvencus die Szene, indem er nicht bloß auf eine Antwort verzichtet, sondern durch dignatur zum Ausdruck gebracht wird, dass er zu antworten für unter seiner Würde hält.46 Pilatus quaerit: Santorelli weist darauf hin, dass Pilatus in diesem gesamten Absatz nicht selbst spricht, sondern seine Aussagen sämtlich indirekt wiedergegeben werden. 47 Zudem wird jeweils das einfache dicit der Vorlage durch deutlichere Ausdrücke ersetzt, seien es Fragen (hier, 606 disquirere mentem und 613 consuluit) oder ein Ausdruck von Ärger (619 increpitans). Zur Bedeutung dieses Befundes für das Pilatusbild siehe unten S. 87–89 und S. 319. quae tum sit causa tacendi: Iuvencus ändert entscheidend den Inhalt der Frage: Pilatus fragt nicht mehr (bzw. nur stark komprimiert im tum) nach der Ankla42 43 44 45

Vgl. ThLL VI 157,62f (Vetter 1912). Vgl. Huemer 163 mit einer kurzen Übersicht und Longpré passim. Vgl. OLD s.v. Vgl. OLD s.v., bei Iuvencus auch II 786f at spinosus ager curarum mole gravatis / respondet pressant quos pondera. 46 Vgl. ThLL V 1140,32–42 (Bögel 1912). 47 Vgl. Santorelli (2011) 417, die auf alle folgenden Stellen außer 606, dazu m.E. falsch auf 608 requirit hinweist. Siehe weiter dort. Siehe zur Signalwirkung von Reden oben zu 571 tune etiam ... inquit.

70

Der Pilatusprozess

ge, sondern nach dem Grund des Schweigens. Wiederum steht also Jesus im Mittelpunkt, während der Inhalt der Anklage verschwindet. Wie schon oben in den Versen 592f wird auch hier die Ruhe des Dialogs zwischen Pilatus und Jesus im Gegensatz zur Anklage zuvor durch den Reichtum an Spondeen zum Ausdruck gebracht.48 Während Pilatus bei Matthäus fragt, ob Jesus die Anklage nicht verstehe, erkundigt er sich bei Iuvencus nach dem Grund für das Schweigen. Möglich, aber kaum wahrscheinlich, ist ein Einfluss des Johannesevangeliums, wo Pilatus ebenfalls danach fragt (Joh 19,10 Dicit ergo ei Pilatus: „Mihi non loqueris?“). Die Situation ist dort jedoch eine andere: Jesus schweigt nach Johannes auf Pilatus’ Frage „unde es tu?“ (Joh 19,9), nicht auf die Anklage.

magis perstans: magis könnte in der Bedeutung „aber“ eine einfache adversative Überleitung sein. 49 Wahrscheinlicher ist jedoch neben perstans und angesichts der emphatischen Vorlage non respondit ei ullum verbum eine Verdeutlichung des weiteren Schweigens, etwa „weiterhin“ oder „fester noch“. miranda: Wundert sich bei Matthäus noch Pilatus selbst, wird bei Iuvencus nicht zum Ausdruck gebracht, für wen Jesu Schweigen miranda ist. Der Leser muss sich also selbst angesprochen und aufgefordert fühlen. 50 Während für die Leser des Matthäusevangeliums das Schweigen als Schweigen des leidenden Gottesknechtes (Jes 53,7) verständlich war,51 muss Iuvencus geradezu das interpretierende miranda hinzufügen. Für den zeitgenössischen Leser, der das römische Gerichtswesen kennt, ist Jesu Verhalten wunderlich, vor dem Hintergrund der christlichen Lehre vom Gewaltverzicht hingegen bewundernswert. Iuvencus zielt gewiss auf die letztere Auslegung und versucht, die mit dem Alten Testament (und dem leidenden Gottesknecht) weniger vertrauten Leser zu erreichen und womöglich zum Staunen aufzufordern. Die Junktur miranda silentia findet sich nur bei Sil. IV 470f pietasque insignis et aetas / belligeris fecit miranda silentia campis, dort an gleicher Stelle im Vers. Silius schildert, wie Scipio Africanus von seinem Sohn in der Schlacht gerettet wird. Eine Kontrastimitation zwischen dem bewundernden Schweigen der Umstehenden und dem bewundernswerten Schweigen Jesu ist unwahrscheinlich.52

Jeder der Verse 596–598 bildet einen einzelnen Satz. Diese Sätze sind dabei untereinander nicht verbunden, es gibt weder Partikeln noch irgendwelche Überleitungen. Nach der eindringlichen und stilmittelreichen Beschreibung der erneuten Anklage verzichtet Iuvencus also auf Detailreichtum, um die Szene zu beruhigen.

48 Siehe auch zu 592f tu rex ... adstas, 604 Pilati coniux ... poena und 624 Pilatus donat ... Barabban. 49 Vgl. OLD s.v. 9 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 498. 50 Vgl. Deerberg 345: „[So] hat der Dichter die Verwunderung des Pilatus auf alle Leser übertragen, indem er sie durch die Wahl des Gerundivums miranda deutlich zu dieser Haltung auffordert.“ 51 So die communis opinio der Bibelwissenschaft. 52 Auch Spaltenstein ad loc. spricht nur von „conclure dramatiquement“.

IV 586–625

71

Einführung der Pessachamnestie und Intervention der Frau des Pilatus (IV 599–605) Mt 27, 15–19: 15 Per diem autem sollemnem consueverat praeses dimittere populo unum vinctum, quem voluissent. 16 Habebant autem vinctum insignem, qui dicebatur Barabbas. 17 Congregatis autem illis dixit Pilatus: „Quem vultis dimittam, Barabban an Iesum, qui dicitur Christus?“ 18 Sciebat enim, quod per invidiam tradiderunt eum. (multa enim passa sum hodie per visum)53 19 Sedente autem illo pro tribunali misit ad illum uxor eius dicens: „Nihil sit tibi et iusto illi,

Iuvenc. IV 599–605: 599 Sollemni sed forte die concedere leges 600 unum damnatum capitis de more iubebant; 601 et fuit in vinclis famoso nomine latro

602 quem Christo infensus populus dimittere vitae 603 ardebat: trucibus somno sed territa visis 604 Pilati coniux, iusti discedere poena, 605 mandatis precibusque virum suspensa rogabat.

multa enim passa sum hodie per visum propter eum.“ 600 damnatum capitis Arevalo : damnati capitis codd.

sollemni ... die: Hier ist die Wortwahl nah an der Vorlage orientiert. Das Passahfest hatte Iuvencus aber schon II 153 über die Vorlage hinausgehend als soll emnia Paschae bezeichnet.54 concedere: Selten mit Personen als Objekt gebraucht, 55 aber z.B. Aen. X 904 me consortem nati concede sepulchro und XI 111 equidem et vivis [sc. pacem] concedere vellem an gleicher Stelle im Vers so belegt. leges: Aus der Gewohnheit im Matthäusevangelium, die er in de more nichtsdestotrotz wiedergibt, macht Iuvencus ein regelrechtes Gesetz, was möglicherweise auf den umstrittenen Vers Lk 23,17 necesse autem habebat dimittere eis per diem festum unum zurückgeht.56 Ein solcher Einfluss ist angesichts von Iuvencus’ Quellentreue unwahrscheinlich. 57 Die Bezeichnung lex/leges hält er über die ganze Perikope durch (auch in den Versen 608, 610 und 624). Für die Bewertung der Situation ergibt sich dadurch, gleich, wie Iuvencus zu seiner Fassung kommt, fol53 Dieser Abschnitt wird zwei Mal gedruckt, um anzuzeigen, wie Iuvencus die Erzählreihenfolge ändert. 54 Siehe Knappitsch ad loc. zur Datierung der Kreuzigung auf den Rüsttag oder den Sabbat. Zur Nachwirkung der Junktur sollemnia Paschae siehe de Wit ad loc. 55 Vgl. ThLL IV 11,20–15,40 (Hey 1906). 56 Der Vers wird von Bovon 424f überzeugend als Glosse abgelehnt. In den erhaltenen Vetus Latina-Handschriften fehlt der Vers nur in Handschrift a. Ob er Iuvencus vorlag oder nicht, kann nicht sicher gesagt werden. 57 Vgl. Braun/Engel passim.

72

Der Pilatusprozess

gender Unterschied: Pilatus ist keineswegs mehr frei, wie er es im Falle einer Gewohnheit gewesen wäre, sondern an die lex gebunden;58 siehe weiter unten zum Pilatusbild, S. 87–89. Wichtiger als die Begründung der Amnestie ist für Iuvencus ohnehin die Reaktion der Masse. Siehe dazu zu 602 Christo infensus populus, 603 ardebat und die Verse 606–625. Historisch ist die Gewohnheit der Amnestie umstritten. Zu dieser Diskussion und zu Festtagsamnestien im Allgemeinen siehe Schnackenburg (2005) 275, Gnilka (1988) 461, besonders Anm. 47 und Luz (2002) 273. Letzterer formuliert die Frage leicht um: Nicht, ob die Amnestie historisch war, sondern, ob sich die Leser des Matthäus eine solche vorstellen konnten, ist entscheidend. Das sei eindeutig zu bejahen. Gleiches gilt auch für den Leserkreis des Iuvencus.59 unum damnatum capitis: Maurenbrecher führt Luc. II 307 hoc caput in cunctas damnatum exponere poenas und Apul. Met. IV 13 damnatorum capitum funera als Belege für die Bedeutung „caput pro tota persona“ und ausdrücklich als Erklärungen der vorliegenden Iuvencusstelle auf.60 Das überlieferte damnati capitis wäre jedoch nur als Genitivus qualitatis verständlich, für den keine Parallele zu finden ist. Unum damnatum capitum ist nur verständlich, wenn man damnatum als Kurzform für damnatorum versteht; außerdem ist eine Korruption von unum damnatum capitum zu unum damnati capitis unwahrscheinlich. Arevalos Konjektur damnatum capitis löst das grammatische Problem und ist zugleich paläographisch durch eine Angleichung des Kasus von damnatum capitis zu damnati capitis zu erklären. Nicht sicher zu entscheiden ist jedoch, ob damnatum dann Genitiv Plural oder Akkusativ Singular ist.

de more: Durch diesen episch üblichen Ausdruck 61 wird consueverat wiedergegeben; so auch I 281 omnibus annorum vicibus de more solebant für Lk 2,42 secundum consuetudinem diei festi. Siehe zur Natur der Pessachamnestie weiter oben zu 599 leges. fuit in vinclis: Deutlich eleganter als habebant autem vinctum, ohne dabei von vincire weit abzugehen. famoso nomine latro: Den Namen Barabbas gebraucht Iuvencus nur IV 624, stattdessen latro hier, IV 610 und auch für die beiden anderen Gekreuzigten IV 668 und 686. Dabei misst Iuvencus die erste Silbe in latro stets außer IV 686 lang; klassische Parallelen dafür sind Ov. Trist II 271 (et latro et cautus) und Hor. Serm. I 3, 106 (ne quis fur esset neu latro neu quis adulter). Vergil misst Aen. XII 7 (fixumque latronis) die erste Silbe kurz. Auch Sedulius gebraucht latro nur ein Mal, an gleicher Versstelle, nämlich CP V 205 (inter carnifices sancto pendente latrones). Famoso nomine ist hier negativ konnotiert. In der Bibelwissenschaft herrscht keine abschließende Einigkeit über die Bedeutung von ἐπίσημος bzw. insignis. Fiedler 409 bezeichnet die Vokabel als „etwas schillernd“, Sand 552 sieht wie Gnilka (1988), 453 und 455 Anm. 18 eine leicht negative Konnotation, während Luz (2002) 271 diese zurückweist. Eine positive Bedeutung hatten jedoch gewiss weder Matthäus noch Iuvencus im Sinne.

Die Frage, die Pilatus Mt 27,17 ans versammelte Volk stellt („Quem vultis dimittam, Barabban an Iesum, qui dicitur Christus?“), gibt Iuvencus hier aus zwei Gründen nicht wieder. Zum einen wird Mt 27,21 dieselbe Frage noch einmal 58 Das stellt auch Green (2006) 111 in seiner kurzen Betrachtung des Pilatus heraus. 59 Vgl. Luz (2002) 273 Anm. 47, 48 und 50. Dort findet sich Literatur und eine weitere Untersuchung zu dieser möglichen Gewohnheit. 60 Vgl. ThLL III 404,3 (1907) und 405, 53. 61 Vgl. u.a. Aen. III 369, IV 56, V 94, VI 33, VII 354, VIII 342, 541, X 80, XI 34, 142, Luc. I 584, IV 417, Sil. I 123, Stat. Silv. IV 4,10.

IV 586–625

73

berichtet, während hier nicht einmal von einer Antwort des Volkes die Rede ist. Der Dichter vermeidet so also Redundanz und eine unbeantwortete und somit geradezu sinnlose Frage. Stattdessen verbindet er diese erste Frage mit der zweiten zu einer einzelnen an die Ältesten und dann an das Volk in den Versen 606–608. Zum anderen will er Pilatus nicht mehr Bedeutung zumessen als nötig, schon gar nicht durch eine weitere wörtliche Rede. Dass Pilatus Kenntnis von den Beweggründen der Gegner Jesu hatte, wie in Mt 27,18 berichtet (sciebat enim, quod per invidiam tradiderunt eum), wird ebenfalls beim Dichter nicht direkt wiedergegeben. Das trägt wieder dazu bei, Pilatus blasser erscheinen zu lassen als in der Vorlage; siehe dazu unten S. S. 87–89. Die negative Einstellung des Volkes Jesus gegenüber findet sich nämlich in IV 602 durch Christo infensus deutlich ausgedrückt, ohne dass damit etwas über Pilatus ausgesagt wäre. Siehe weiter unten zu 602f dimittere ... ardebat. Ein eingehender Vergleich zwischen der Abfolge der Ereignisse, wie Matthäus sie schildert, und der Version des Iuvencus findet sich unten zu Beginn des Abschnitts 606–617. Christo infensus: Möglicherweise bezieht sich Iuvencus hier auf Mt 27,18 und verstärkt die invidia des Volkes zu Christo infensus. Zudem trifft er nur eine Aussage über die Einstellung des Volkes, nicht über Pilatus’ Wissen darum. Obwohl nun hier schon das Volk als christusfeindlich beschrieben ist, wird es in den Versen 609–611 noch einmal von den Oberen angestachelt. Zu Gunsten der eindringlicheren Beschreibung der Lage wird also auf „innere Stringenz“62 verzichtet. Siehe weiter zu dimittere ... ardebat. Aen. II 72 lässt Vergil Sinon sagen: Dardanidae infensi poenas cum sanguine poscunt? Da eine Kontrastimitation Sinon–Christus oben gezeigt werden konnte, werden hier die Feinde Sinons und die Feinde Christi miteinander identifiziert. Siehe dazu weiter oben zu 588f iamque ... trahebant.

dimittere ... ardebat: Ardebat wird nur selten wie hier mit Infinitiv verbunden. 63 Iuvencus gibt hier einen Einblick in die Psyche des Volkes. Die Frage des Pilatus nach der Freilassung und die Reaktion des Volkes wird erst in den Versen 611f gemäß der Vorlage geschildert. Für den Leser des Iuvencus ergibt sich folgendes Bild: Im Gefängnis befindet sich ein verrufener Räuber, den das christusfeindliche Volk aus eigenem Ant r ieb dringend befreien möchte. Durch das Enjambement ist dieser unbedingte Wille des Volkes noch darüber hinaus verdeutlicht. Grund für die Befreiung ist nicht etwa eine konkrete Frage des Statthalters, sondern die Kenntnis des Volkes über die gewohnte und nach Iuvencus gar gesetzlich festgelegte Pessachamnestie. Es wird also deutlich gemacht, dass das Volk die folgenden Ereignisse durch sein Drängen (mit-)bewirkt. Siehe weiter unten zu 611 incendit. Der selbständige Wille des Volkes, Barabbas zu befreien, ist schon im Lukasevangelium ausgedrückt. Ohne dass dort die Pessachamnestie angesprochen wäre, ruft das Volk dort (Lk 23,18) tolle hunc et dimitte nobis Barabbam.64 Eine solche Interpretation findet sich auch Orig. Ser. 123 (GCS 38, 258, 18-22 Klostermann/Benz) turbae autem, quasi verae turbae et multae, quae „spa62 Deerberg 343. 63 Vgl. OLD s.v. 6. 64 Vgl. Ernst (1976) 628: „Die Ablehnung Jesu von Seiten des Volkes ist total.“

74

Der Pilatusprozess

tiosam et perducentem ad perditionem“ ambulant „viam“ (Mt 7,13) petierunt Barabbam solvi, volentes eum sibi habere solutum.65

Zum Fehlen von Mt 27,19a sedente autem illo pro tribunali siehe unten zu 606 iudex. trucibus somno sed territa visis: Ein durch die zweifache Alliteration und das Hyperbaton trucibus ... visis besonders ausgeschmückter Vers, der so über die durchaus starke Vorlage multa enim passa sum noch hinausgeht.66 Iuvencus kehrt zudem die Abfolge der Schilderung in der Vorlage um: Er nennt zuerst den Grund für die Intervention der Frau, dann die Intervention selbst, die somit logischer wird. Durch die Schilderung des Schreckbildes, die nach ardebat den Rest des Verses einnimmt, wird ein weiteres Enjambement bewirkt. Erst im nächsten Vers erfährt der Leser dann, was das Subjekt zu territa ist, nämlich überraschenderweise Pilati coniux. Die Vokabel trux gebraucht Vergil in der Aeneis nur ein einziges Mal, auch dort mit visus verbunden. Vgl. Aen. X 446f in Turno corpusque per ingens / lumina volvit obitque truci procul omnia visu. Dort ist beschrieben, wie Pallas Turnus auf dem Schlachtfeld ansieht. Möglicherweise war also die Erscheinung der Frau des Pilatus ebenso bedrohlich wie Turnus für Pallas.67

Pilati coniux ... poena: Nur der fünfte Fuß ist ein Daktylus. Der Ernst der Intervention wird so deutlich. 68 Pilati: Den Namen setzt Iuvencus für das Pronomen eius. Das wird durch die oben unter trucibus somno sed territa visis geschilderte Umstellung nötig, durch die nicht mehr Pilatus, sondern das Volk vor der Schilderung der Traumbilder Subjekt war. Bedeutung ist der Namensnennung nicht zuzumessen. iusti discedere poena: Hier steht das in diesem Abschnitt so wichtige iustus (s.o. zu 594 iusti) analog zur Vorlage; das Paradox, dass einem Gerechten eine Strafe droht, wurde übernommen. Discedere poena ist zwar ohne Parallele, discedere mit separativem Ablativ aber verständlich und nicht unüblich. 69 mandatis precibusque ... suspensa rogabat: Precibusque ist an dieser Stelle episch und üblich. 70 Unepisch ist dagegen mandata. Kaum vorstellbar ist es, die mandata als Befehle zu verstehen, die dem Statthalter gegenüber sicher unangemessen gewesen wären – sicherlich tritt die Frau des Pilatus aber stark auf. Eher ist mandatis precibusque als echtes Hendiadyoin zu verstehen, wie es in der Übersetzung „Bittbotschaften“ zum Ausdruck gebracht ist. Als Psychologisierung ist suspensa hinzugefügt. Der konkrete Wunsch der coniux umfasst mit iusti discedere poena nur drei Worte, während zuvor die Beschreibung der Erscheinung und 65 „Die Massen aber, geradezu ein richtiges Getümmel der Menge, welche ‚den breiten und zum Verderben führenden Weg’ (Mt 7,13) wandeln, haben die Freilassung des Barabas erbeten, weil sie ihn für sich freigelassen haben wollten“ (Übersetzung nach Vogt 1993). 66 Vgl. Deerberg 338. 67 Der von Deerberg 339 angenommene Rückgriff auf Aen. XI 699 incidit huic subitoque aspectu territus haesit ist kaum zu rechtfertigen, da nur territus, das sieben Mal in der Aeneis an dieser Stelle im Vers vorkommt, noch dazu in anderem Genus, übernommen wäre. 68 Siehe auch zu den Versen 592f, 597 und 624. 69 Vgl. ThLL V 1280,39–47 (Graeber 1914). 70 Vgl. I 564, III 449 und beispielsweise Aen. III 261 und 599.

75

IV 586–625

ihrer Wirkung fünf und damit fast einen ganzen Vers umfasste. Die folgende Bitte der Frau ist dann wiederum in einem ganzen Vers beschrieben, wobei mandatis precibusque und vor allem suspensa wie gezeigt die psychologische Dimension gegenüber der Vorlage betonen. Das gilt also für die gesamte Umgestaltung. In der Bibelwissenschaft wird vielfach71 darauf hingewiesen, dass durch die heidnischen Magier in Mt 2,2, die zum „König der Juden“ ziehen, und durch die heidnische Frau des Pilatus, die für den eintritt, der kurz vorher als „König der Juden“ bezeichnet wurde, ein thematischer Rahmen um das Evangelium geschlossen wird. Bei Iuvencus ist dieser Bezug allemal schwächer, da in der gesamten Magierperikope nur ein Mal die Vokabel rex gebraucht wird (I 250f tus aurum murram regi hominique Deoque / dona dabant), während sonst eher die göttliche Natur Christi explizit hervorgekehrt wird.

Freilassungsangebot des Pilatus und Reaktion des Volkes (IV 606–617) Mt 27, 17.20–23: 17 Congregatis autem illis dixit Pilatus: „Quem vultis dimittam, Barabban an Iesum, qui dicitur Christus.“ 20 Principes autem sacerdotum et seniores persuaserunt populo, ut peterent Barabban, Iesum vero perderent. 21 Respondens autem praeses ait illis: „Quem vultis de duobus vobis dimittam?“ At illi dixerunt: „Barabban.“ 22 Dicit illis Pilatus: „Quid ergo faciemus Iesum, qui dicitur Christus.“ Dicunt omnes: „Crucifigatur.“ 23 Ait illis praeses: „Quid enim male fecit?“ At illi magis clamabant: „Crucifigatur.“ Joh. 19,12d: „Omnis, qui se regem facit, contradicit Caesari!“

Iuvenc. IV 606–617: 606 Tum iudex iterum procerum disquirere mentem 607 temptat et instanti cuperent quem solvere poena 608 plebis ad arbitrium mitti de lege requirit. 609 Sed proceres populum fusa ambitione rogabant 610 latronem legi peterent Christumque negarent. 611 At postquam procerum incendit sententia vulgum 612 latronisque petit potius sibi cedere vitam, 613 consuluit praeses populum, quid vellet Iesum. 614 Plebs incensa malo saevos miscere tumultus 615 et crucis ad poenas iterumque iterumque petebant,

616 qui regis nomen cuperet, qui Caesaris hostem 617 confessus sese proprio damnaverit ore. 607 poenae C R M C2 Hl K1 K2 P P2 S T1 B1 Bb Mb P3 Sg Al L Mp Matr Ph Bx C3 Ca H N Ca2 G Huemer 610 necarent R C2 Hl K1 K2 P P2 S T2 B Bb Mb P3 Sg Al L Matr Ph Bx C3 Ca H N Ca2 G Arevalo : perderent M 613 vellent R M 615 petebat H Hl

71 Zuletzt durch Luz (2002) 266.

76

Der Pilatusprozess

Man muss hier zunächst die Abfolge der Ereignisse bei Matthäus mit der Schilderung des Iuvencus vergleichen. Matthäus hatte in Vers 17 von einer Frage des Statthalters an „jene“ (illi) berichtet. Dabei handelt es sich in einer constructio ad sensum um das Volk, populus, aus Vers 16. 72 Diese Frage, die Pilatus stellt, weil er die Beweggründe des Volkes (per invidiam, 18) kennt, bleibt unbeantwortet. Nach der Intervention der Frau des Statthalters (19) schildert Matthäus nun, wie die Hohenpriester die Volksmenge überreden, nicht Jesus, sondern Barabbas zu verlangen (20). Als Pilatus nun das Volk fragt, wer freizulassen sei, wählt es den Barabbas (21), Christus aber will es dringend gekreuzigt sehen (22f). Iuvencus vereinfacht diese Abfolge und ändert dabei vor allem die schwierig einzuordnenden Verse 17f. Das Volk brennt darauf, ohne dass Pilatus etwas damit zu tun oder gar eine Frage gestellt hätte, den unbenannten latro zu befreien (602f). Erst nach der Intervention seiner Frau entschließt sich Pilatus, zunächst die Oberen, dann das Volk zu befragen, wer zu befreien sei (606–608). Das Volk wählt, von den Hohenpriestern aufgestachelt (609–611), den Barabbas (612). Jesus aber solle unbedingt, so die Antwort auf die nächste Frage des Pilatus (613), gekreuzigt werden (614f), weil er ein Feind des Kaisers sei (616–617). Iuvencus hält also die bei Matthäus noch unbeantwortete Frage aus Vers 17 zunächst zurück und bildet, indem er sie mit der in Vers 21 gestellten verbindet, einen einheitlichen Dialog zwischen Statthalter, Oberen und Volk, der nicht mehr unterbrochen wird. Dazu fügt er aus dem Johannesevangelium die Begründung für das Todesurteil gegen Jesus hinzu. Siehe zu weiteren Glättungen die Einleitung zum Selbstmord des Judas, S. 96. iudex: Es fehlte 603–605 die Information, dass Pilatus gerade Gericht hält, als seine Frau zu ihm schickt (nach Mt 27,19). Dort waren Iuvencus psychologische Aspekte wichtiger, hier holt er also dieses Detail nach. Als Richter (im Gegensatz zu praeses o.ä.) wird Pilatus nur hier und IV 730 bezeichnet. Sonst gebraucht Iuvencus die Vokabel gerne von Gott bzw. Christus beim Weltgericht (z.B. schon praef. 24).73 iterum: Eine erste Frage des Pilatus gab es bei Iuvencus nicht. Iterum ist also, wie es auch beim deutschen „wiederum“ möglich ist, adversativ–überleitend zu verstehen.74 Pilatus’ Handlung wird also der Bitte seiner Frau entgegengestellt. Er gibt Jesus nicht sogleich frei, sondern wendet sich dagegen an das Volk. procerum ... plebis: Iuvencus nennt in einem Satz beide Adressaten der Frage des Pilatus. Damit wird im Gegensatz zu den uneleganten Versen Mt 27,17 und 21 eindeutig klar, wer auf welche Weise gefragt wird. Die proceres sind nämlich bei Iuvencus Pilatus’ Ansprechpartner, die ihm das arbitrium des Volkes mitteilen sollen. Jesu Gegner sind hier zum ersten Mal konkret genannt. Zur Vokabel proceres siehe oben zu 572 procerum; zum möglichen Antijudaismus S. 322–340. 72 Auch im griechischen Text findet sich in Vers 16 ὄχλος, in Vers 17 aber αὐτῶν. Siehe z.B. Luz (2002) 272 Anm. 41. 73 Vgl. Wacht s.v., dort auch mehr Belege. 74 Vgl. OLD s.v. 3. Dort findet sich auch der Beleg Stat. Theb. I 306f dextrae virgam inseruit, qua pellere dulcis / aut suadere iterum somnos.

IV 586–625

77

disquirere mentem: „Mentem disquirere = sententias exquirere.“75 Die Vokabel disquirere ist anders als disquisitio ungebräuchlich und nur Hor. Sat. II 2,7 und Lact. Div. Inst. III 3,4 belegt; die Junktur mit mentem findet sich vor Iuvencus nicht. Durch das an dieser Stelle auffällig starke Kompositum von quaerere (so auch requirit in Vers 608) wird die Bemühung des Pilatus zum Ausdruck gebracht. Dieser hat in der vorliegenden Szene keine direkte Rede; seine Aussagen sind zumeist Fragen. Siehe dazu oben zu 597 Pilatus quaerit, zum Pilatusbild unten S. 87–89. instanti ... poena: Die von Huemer bevorzugte Lesart poenae ist unverständlich, da solvere den Dativ nicht regieren kann. Stattdessen muss poena gelesen und als neben solvere gewöhnlicher separativer Ablativ verstanden werden. Die Form instanti ist zwar seltener als instante belegt, jedoch, da instanti attributiv gebraucht wird, unproblematisch. 76 Auch Marold liest poena, gibt aber auch instantis poenae (analog zu 619 libera sanguinis corda) zu bedenken. 77 Die Konstruktion von solvere mit Genitiv ist jedoch sehr ungewöhnlich. 78 Vgl. auch zu 679 sese ... solvere poenis. cuperent quem ... plebis ad arbitrium: Die Frage des Pilatus wird wie üblich nicht in direkter Rede wiedergegeben; siehe unten S. 319. Das Votum des Volkes ist dabei wie Pilatus’ Absicht, jemanden freizulassen, weit nach hinten geschoben, so dass erst der Eindruck entsteht, nur die proceres seien gefragt. Umso deutlicher wird dann der Einfluss des Volkes. mitti ... de lege requirit: An requirit schließt sich ein AcI an. Quem ist als gekürzter Ausdruck für eum, quem und damit als Subjektsakkusativ zu mitti zu verstehen. Siehe zum Gebrauch der Vokabel requirit oben zu 606 disquirere mentem. Ferner wird die Pessachamnestie wie schon 599 als Gesetz bezeichnet, s. weiter dort. fusa ambitione: Fusus ist in der übertragenen Bedeutung „weitreichend, umfassend“ ein rhetorischer und daher hier passender Terminus (z.B. Cic. de Leg. I 62 fusa latius perpetua oratione), der erst bei Iuvencus Eingang in die Dichtersprache gefunden hat.79 Ambitio kann neben „Eifer“ auch „Bestechung“ bedeuten, was hier evtl. mitschwingt – nicht nur mit breit angelegter Propaganda, sondern auch durch den Einsatz von Geld könnten die Oberen das Volk überzeugt haben. Zur Wertung von Geld, gerade in Verbindung mit Verbrechen, siehe zum Judasbild, S. 111–117. latronem: Die gewöhnliche Bezeichnung für Barabbas, s.o. zu 601 famoso nomine latro. legi peterent ... negarent: Nach rogabant fehlt ut, diese Konstruktion ist aber seit Cicero und Caesar belegt.80 Petere ist hier mit Dativ in der Bedeutung „je75 76 77 78

Knappitsch ad loc. Vgl. Kühner-Holzweissig 351f und Leumann-Hofmann-Szantyr I 432f. Vgl. Marold (1892) 847. Solutus mit Genitiv ist poetisch und nachklassisch belegt, jedoch mit Ablativ üblicher, vgl. Kühner-Stegmann I 439–441. Zu Gräzismen siehe Kühner-Stegmann I 474. 79 Vgl. ThLL VI 1572,80–1573,17 (Robbert 1924). 80 Vgl. Kühner-Stegmann II 227–229 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 530.

78

Der Pilatusprozess

manden für etwas verlangen“ gebraucht.81 Negarent ist gut bezeugt und verständlich, perderent metrisch unmöglich, necarent gut verständlich, aber wohl zu stark;82 zudem schwingt bei negare noch das Bestreiten des messianischen Anspruchs Jesu mit. Es ergibt sich also, liest man negarent, eine Antithese zwischen petere und negare, die durch den Parallelismus noch unterstützt wird. Siehe zu legi oben zu 599 leges. At postquam ... vitam: Die zweite Frage des Pilatus ans Volk, wen er freilassen solle, gibt Iuvencus nicht wieder. Stattdessen wird die Einflussnahme der proceres zusammenfassend wiederholt. Diese verfehlt dann ihr Ziel nicht: Das Volk bittet sich den Barabbas aus. Damit musste der Leser nach den Versen 609f rechnen. Der Wunsch des Volkes, Barabbas freizugeben, steht bei Iuvencus zudem im Nebensatz und der folgenden Frage des Pilatus, was denn mit Jesus geschehen solle, untergeordnet. So rückt Jesus erneut in den Mittelpunkt. postquam ... incendit: Postquam mit Präsens ist nach der Klassik ungewöhnlich, aber nicht unmöglich83 und lässt sich hier durch Iuvencus’ Vorliebe für das historische Präsens erklären.84 Die vergilische Vokabel incendere (vgl. z.B. Aen. IV 17785 und VI 889, jeweils incenditque animum) gebraucht er nur hier und 614 incensa. So wird zwischen den beiden Wünschen des Volkes, Barabbas freizulassen und Jesus zu kreuzigen, eine Verbindung hergestellt. Dass hier das Volk noch angeheizt werden muss, obwohl es in Vers 602f schon als Christo infensus bezeichnet wurde und darauf brannte, Barabbas zu befreien, ist der größeren Eindringlichkeit dort geschuldet, womöglich um sowohl das jüdische Volk als auch die jüdischen Oberen zu diskreditieren;86 siehe dazu auch unten S. 322–340. Huemer verweist auf Stat. Theb. X 580f (nec non ancipitis pugnat sententia volgi / discordesque serit motus). Vulgum ist bei Iuvencus nicht auf sententia bezogen, und auch sonst ist die Parallele wohl zu weit hergeholt. Deerberg weist auf Aen. XII 238 (talibus incensa est iuvenum sententia dictis) hin.87 Dort feuert Iuturna die Rutuler gegen die Etrusker und Aeneas an. Die Parallele ist allerdings wohl zu schwach, um einen Bezug zwischen denen, die sich dem gottgesandten Aeneas und denen, die sich dem gottgesandten Christus widersetzen, herzustellen.

vulgum: Die maskuline Form von vulgus ist klassisch unüblich, aber belegt (Aen. II 99, Lucr. II 921). Tacitus und später Silius Italicus gebrauchen sie regelmäßig. Iuvencus ist dabei nicht konsequent, sondern gebraucht vulgus meist als Neutrum, vgl. III 197f, 643 (jeweils debile vulgus) und IV 516 (miserabile vulgus). I 576 (laudatio vulgi) und IV 675 (vulgi proceres) ist das Genus nicht zu

81 Vgl. OLD s.v. 12. 82 Anders Hansson 56: „Necarent ‚sollten töten lassen’ ist auch wirkungsvoll, um das Zutrauen des Pöbels in seine eigene Macht zu stärken.“ Siehe zu den Grenzen der Macht des Pöbels unten zu 661 nec ... posset. 83 Vgl. Kühner-Stegmann II 354 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 598. 84 Vgl. Hatfield 4. 85 Vgl. Arevalo ad loc. 86 Vgl. Deerberg 343: „Daß die Juden [...] darauf ‚brannten’, den Freiheitskämpfer Barabbas freizulassen [...], ist hier zum christusfeindlichen Motiv umgedeutet, ohne auf die innere Stringenz der Handlung Rücksicht zu nehmen.“ 87 Vgl. Deerberg 337 Anm. 48.

IV 586–625

79

erkennen. Die Vokabel ist dabei gegenüber plebs oder populus bei Iuvencus nicht negativ konnotiert. Die Begriffe werden unterschiedslos gebraucht. 88 latronisque: Die gewöhnliche Bezeichnung für Barabbas. Siehe auch bezüglich der Metrik oben zu 601 famoso nomine latro und unten zu 686 latrones. cedere: Im Gegensatz zu concedere in Vers 599 mit Dativobjekt sibi. So konstruiert Iuvencus auch 721 Pilatum tunc iste rogat sibi cedere membra. Cedere ist hier (simplex pro composito) wie concedere oben zu verstehen. consuluit praeses: Zu den Einleitungen von Pilatus’ Äußerungen in dieser Szene siehe oben zu 597 Pilatus quaerit. quid vellet Iesum: „h.e. quid Iesu fieri vellet.“89 Schon die Vorlage drückt sich sehr verkürzt aus; facere (bzw. ποιεῖν)90 ist mit einfachem Akkusativobjekt konstruiert. Hier ist Iesum als Accusativus Graecus zu verstehen. Die ebenfalls überlieferte Lesart vellent kann aus metrischen Gründen nicht richtig sein. Siehe aber unten zu Vers 615 petebant.

Den Nebensatz „qui dicitur Christus,“ den Matthäus Pilatus sowohl in Vers 17 als auch in Vers 22 sagen lässt, lässt Iuvencus jeweils aus. Die Implikationen des Titels aus der judenchristlichen Perspektive des Matthäus sind zur Zeit des Iuvencus längst irrelevant (s.o. zu 593 Christus). Er gebraucht Christus unabhängiger als stehenden Ausdruck. In manchen griechischen Codices (nie in der Vetus Latina) heißt Barabbas „Jesus Barabbas.“ „Jesus“ ist, falls ursprünglich, dort gewiss getilgt worden, weil der Name später für heilig gehalten wurde.91 Für Iuvencus ergibt sich nicht die Notwendigkeit, zwischen den beiden Jesus zu unterscheiden, da er Barabbas ohnehin nur ein Mal mit Namen nennt.

incensa malo: Hier wird incendere aus Vers 611 dem Leser wieder in den Sinn gerufen, eine neue Information enthält es ja nicht. Malo ist abstrakt als „das Böse“ bzw. „etwas Böses“ zu verstehen. Knappitschs Erklärung „malo instinctu“92 verkennt den Einfluss der proceres und sieht wieder das Volk selbst verantwortlich. Konsequenter, aber zu weit gehend schreibt Poinsotte: „les notables, proceres, sont bien le ‚mal’ incarné.“93 Zu solchen Personifikationen bzw. Inkarnationen siehe oben zu 594, terribilis ... accusatio und 595, sceleris facundia.

saevos miscere tumultus: Bei miscere handelt es sich um einen historischen Infinitiv, 94 da incendere mit Infinitiv konstruiert äußerst selten ist 95 und et, wenn 88 Vgl. Hansson 47 Anm. 33. 89 Knappitsch ad loc. 90 Die Itala–Codices aur c f ff1 l vg haben de Iesu statt Iesum. Im griechischen Text gibt es keine anderen Lesarten als τί οὖν ποιήσω Ἰησοῦν. 91 So die communis opinio der Bibelwissenschaft. Vgl. Sand 551 oder Luz (2002) 265 Anm. 3 zur textkritischen Entscheidung mit weiteren Literaturverweisen. Auch Origenes ist das Problem schon bewusst, vgl. Orig. Ser. 121 (GCS 38, 255,24–28 Klostermann/Benz) in multis exemplaribus non continetur quod ‚Barabbas’ etiam ‚Iesus’ dicebatur, et forsitan recte, ut ne nomen Iesu conveniat alicui iniquorum. 92 Knappitsch ad loc. 93 Vgl. Poinsotte 191 Anm. 725. 94 Hatfield 6 führt die Stelle allerdings nicht auf, sondern sieht nur in II 351 und 566 historische Infinitive. Vgl. zum historischen (oder dort „adumbrativen“) Infinitiv Kühner-Stegmann I 135–137 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 367. 95 Vgl. ThLL VII 857,42 (1939).

80

Der Pilatusprozess

vor petebant kein Vollverb steht, eigentümlich funktionslos wäre. Zudem leuchtet nicht ein, warum das Volk ausdrücklich danach streben sollte, einen Aufruhr zu verursachen. Die eigentümliche Junktur tumultus miscere ist Liv. VII 32, 11 belegt, incendia miscet heißt es in der Sinonperikope Aen. II 329. Iuvencus fasst hier Mt 27,22f in saevos tumultus zusammen. Dort verlangt das Volk zwei Mal die Kreuzigung Jesu und ignoriert beim zweiten Mal die Frage des Statthalters quid enim male fecit? Iuvencus vermeidet so Redundanz, interpretiert das Verhalten des Volkes (auch magis clamabant) als Aufruhr und bringt das wiederholte Schreien kurz durch iterum iterumque zum Ausdruck. Da die Volksmenge dennoch in den nächsten beiden Versen diesen Grund, den Iuvencus aus dem Johannesevangelium entnimmt (siehe dazu unten zu 616f qui regis ... ore), angibt, ergibt sich eine stringente und einheitliche narratio, die von der Frage des Pilatus nicht unterbrochen wird und somit gleichzeitig dessen Mitwirkung minimiert.96 et crucis ad poenas: Mit dieser Junktur beginnt Iuvencus noch drei weitere Verse, nämlich IV 625, 652 (jeweils et crucis ad poenam) und 673 (et crucis e poena). Der Plural poenas hier hat metrische Gründe (da poenam iterumque hätte verschliffen werden müssen). Dieser spezielle Ausdruck für die Kreuzesstrafe, der erstmals Arnob. Nat. VII 41 (CSEL 4, 274,24 Reifferscheid) belegt ist, zieht sich also durch die ganze Passion hindurch. iterumque iterumque: Iuvencus gebrauchte die Wendung schon III 665 sed veris verbis iterumque iterumque monebo, dort aber als Wiedergabe des typisch biblischen amen, dico vobis.97 Auch bei Vergil findet sich zwei Mal iterumque iterumque, nämlich Aen. II 770 nequiquam ingeminans iterumque iterumque vocavi und Aen. III 436 praecidam et repetens iterumque iterumque monebo. An ersterer Stelle sucht Aeneas seine Frau Creusa, an zweiter Stelle mahnt Helenus Aeneas eindringlich, Juno gnädig zu stimmen. Bei einer so allgemeinen Phrase eine Kontrastimitation anzunehmen, etwa dass Aeneas Creusa und Helenus die Trojaner retten, das jüdische Volk Christus aber töten möchte, ist zu gewagt. Poinsotte verweist auf Ov. Ars. II 127 Haec Troiae casus iterumque iterumque rogabat, ebenfalls als „imitation purement formelle.“98 petebant: Hatfield bietet für eine constructio ad sensum vier Beispiele, treffend ist III 21–24 plebes commota ... volvens ... reputans ... volutant.99 Petebat ist also als Vereinfachung zu verwerfen.

96 Deerberg 267 hat die größere Stringenz erkannt, nicht aber die Konsequenz für die Person des Pilatus. 97 Vgl. Bauer ad loc. 98 Poinsotte 174 Anm. 647. 99 Vgl. Hatfield 3f. Er nennt auch III 197f conveniunt populi secumque trahebant / pars captos oculis, wo m.E. populi Subjekt und pars adverbial im Sinne von „teils...“ gebraucht ist, I 108f turba propinquorum, tum gaudia mira frequentes / concelebrant und II 73f credere cernentum populorum turba coacta est, / orabant pavidi. In beiden Fällen sind sogar Prädikativa (frequentes, pavidi) im Plural auf das Subjekt im Singular bezogen. Entscheidend für das Verständnis dieser Pluralformen ist jeweils der partitive Genitiv (propinquorum, cernentum populorum). Mit diesem konstruiert auch Vergil, vgl. Bauer 84 mit Verweis auf Hofmann– Szantyr 435f.

IV 586–625

81

qui regis ... ore: Bei Matthäus findet sich keine Antwort auf die Frage des Pilatus, welches Verbrechens sich Jesus schuldig gemacht habe. Iuvencus greift also, auch ohne, dass er Pilatus’ Frage nach Jesu Schuld wiedergibt, auf das Johannesevangelium zurück, um seine narratio logischer zu gestalten. 100 Dies geschieht nur selten, in dieser Perikope gar nicht mehr. Die Johannesstelle ist wohl deshalb vom Dichter gewählt, da die Anklage, jemand sei ein Staatsfeind, jedem römischen Leser verständlich war. Andere Implikationen sind nicht erkennbar.101 Die Drohung Pilatus gegenüber (Joh 19,12c si hunc dimittis non es amicus Caesaris) lässt der Dichter aus,102 da sich dem Leser sonst die Frage aufgedrängt hätte, warum der Römer so zögerlich reagiert und der Volksmenge nachgibt.

qui ... qui: Durch die Anapher qui wird eine Klimax deutlich gemacht, die in der Usurpation eines Titels und der anschließend resultierenden Feindschaft dem Kaiser und damit Rom gegenüber gipfelt. Die republikanische Scheu vor dem konkreten Titel rex kann kaum eine Rolle gespielt haben.

confessus sese proprio ... ore: Iuvencus fügt den juristischen Aspekt des (impliziten) Geständnisses der Vorlage hinzu. Damit wäre das Urteil nach dem Rechtsgrundsatz in iure confessi pro iudicatis habentur103 rechtskräftig. Diesen Grundsatz kannte Pilatus gewiss auch, als Jesus sein Königtum in den Versen 592f bekannte. Dennoch reagierte er nicht.104 Obwohl die Römer das jüdische Klientelkönigtum akzeptierten, musste Pilatus doch der Königsanspruch eines Unbedeutenden mindestens skeptisch machen und an einen Aufruhr denken lassen.105 Offenbar interpretierte er aber das Königtum Jesu unpolitisch.106 Sein Verzicht auf ein Urteil oben verschiebt also die Schuld am Tode Jesu weiter zur Volksmenge: erst diese, nicht Pilatus, beharren auf der Verurteilung, indem sie den Königsanspruch eindeutig als Feindschaft gegenüber dem Kaiser interpretieren. Die Verschiebung der Verantwortung von Pilatus zu den Juden ist natürlich in der Vorlage vorhanden und wird von Iuvencus vielfach ausgeschmückt, hier eben auch mit juristischen Termini, obwohl sonst juristi100 Diesen Bezug erkannten erstmals Braun/Engel 136 entgegen der vorher u.a. von Widmann 23 und Hansson 18 vertretenen These, Iuvencus habe auf Lk 23,2 zurückgegriffen. Braun/Engel argumentieren zu Recht, dass zum einen Lk 23,2 noch die erste Anklage beschreibt, es sich bei Johannes und Iuvencus schon um die Schlussfrage, wer freizulassen sei, handelt. Zudem fehlt bei Iuvencus das lukanische Detail, Jesus habe Tributzahlungen verhindern wollen, wohingegen Johannes’ ausdrückliche Erklärung, Jesus widersetze sich dem Kaiser, wiedergegeben ist. Augustinus verbindet zwar in seiner Evangelienharmonie (III 8,35) die Lukas- und die Johannesstelle, bei Iuvencus aber ist erkennbar, dass er sich auf Johannes stützt. 101 Die Kommentarliteratur zu Johannes beschäftigt sich v.a. mit den historischen Implikationen einer formalen Beschwerde des Volkes über Pilatus. Das spielt für Iuvencus, wie gezeigt, keine Rolle. Dass im Johannesevangelium, wie Dietzfelbinger II 292 darlegt, die Anklage dreiteilig, nämlich politisch (König der Juden), religiös (Gottessohnschaft) und schließlich mit Druck (Drohung der Beschwerde) vorgebracht wird, ist bei Iuvencus nicht erkennbar. 102 Anders Deerberg 338. 103 Ulp. Dig. XLII 1,56. Siehe auch Luz (2002) 270, besonders Anm. 29 und Gnilka (1988) 461, besonders Anm. 44. 104 Luz (2002) 270f zeigt, wie wenig die Schilderung des Prozesses bei Matthäus der gewöhnlichen römischen Prozessordnung entspricht, siehe weiter ibid. 271: „Kurz, alle Fragen um die Legalität des römischen Prozesses Jesu, um deren Klärung sich so viele Historiker, Theologen und Rechtswissenschaftler bemühten, sind dem Erzähler ziemlich gleichgültig.“ 105 Vgl. Luz (2002) 269 mit einem kleinen historischen Überblick. 106 Vgl. Sand 550: „das unpolitische Auftreten Jesu mußte ein völlig unpolitisches Verständnis vom ‚König der Juden’ wecken.“

82

Der Pilatusprozess

sche Fragen (trotz leges 599 und legi 610 und 624) keine große Rolle spielen. Siehe zu möglichem Antijudaismus unten S. 322–340.

Händewaschung und Urteil (IV 618–625) Mt 27, 24–26: 24 Videns autem Pilatus, quia nihil proficit,

Iuvenc. IV 618–625 618 Denique vi victus detestatusque cruentum 619 officium

sed magis tumultum fieri, accepta aqua lavit manus coram populo dicens: „Innocens ego sum a sanguine huius; (accepta aqua lavit manus)107 vos videritis.“ 25 Respondens universa turba dixit: „Sanguis eius super nos et super filios nostros.“ 26 Tunc dimisit illis Barabban; Iesum vero flagellis caesum tradidit eis, ut cruci eum figerent.

24 iusti huius c ff1 g1 l q vg : huius iusti aur f h : huius rell. 25 universa turba a b c ff2 q : omnis populus d

increpitans se libera sanguinis huius 620 corda tenere sibi, coramque a crimine palmas 621 abluit, ut genti tantum macula illa maneret. 622 Hoc magis inclamant: „Nos, nos cruor iste sequatur, 623 et genus in nostrum scelus hoc et culpa redundet.“ 624 Pilatus donat plebi legique Barabban 625 Et crucis ad poenam victus concedit Iesum.

625 vinctum R K2 T2 Arevalo

vi victus: Iuvencus verdeutlicht gegenüber der Vorlage stark. Muss Pilatus dort noch erkennen, dass er nichts erreichen kann, wird bei Iuvencus in nur zwei, (starken) Worten berichtet, er sei regelrecht besiegt worden. Pilatus hätte Jesus also womöglich retten wollen, wie es ausdrücklich Lk 23,20 iterum autem Pilatus locutus est ad illos vol ens dimitt ere Iesum und Apg 3,14 vos autem sanctum et iustum negastis et petistis virum homicidam donari vobis heißt. So weit geht Iuvencus allerdings nie. Hier konnte Pilatus der schieren Gewalt der Volksmenge aber trotz seines imperium nicht widerstehen und nicht mehr frei entscheiden. Seine Entscheidungsfreiheit ist insgesamt deutlich eingeschränkt, s.o. zu 599 leges, unten zu 625 victus, zu 730 onerantque simul sic iudicis aures; zum Pilatusbild S. 87–89. detestatusque ... coramque: Als juristischer Terminus bedeutet detestatum testatione denuntiatum,108 ist aber hier in der Bedeutung „verfluchen, Hass ausdrük-

107 Dieser Abschnitt wird zwei Mal gedruckt, um anzuzeigen, wie Iuvencus die Erzählreihenfolge ändert. 108 Gaius, Dig. L 16,283,1. Vgl. OLD s.v. 4.

IV 586–625

83

ken“109 zu verstehen. Pilatus weist nicht bloß jede Verantwortung von sich, sondern flucht über die ihm zugewiesene Aufgabe. Iuvencus gebraucht die Vokabel nur noch 629, wo Judas sein Geld in den Tempel wirft, siehe weiter dort, detestans. Die beiden Handlungen des Pilatus, den Fluch gegen seine Aufgabe und die öffentliche Händewaschung, bindet Iuvencus durch doppeltes –que eng zusammen. cruentum officium: Iuvencus’ eigene Junktur. Die Vokabel officium macht erneut deutlich, dass Pilatus keine Wahl hat. Cruentum weist dabei auf die Todesstrafe bzw. Folter hin. Iuvencus gebraucht die Vokabel nur drei Mal, außer hier noch I 1 und IV 645, spinis ... cruentis. Poinsotte gibt vorsichtig zu bedenken, dass der Leser eventuell zwischen dem grausamen König Herodes, der im ersten Vers des Epos als cruentus bezeichnet wird, und dem Urteil gegen Jesus eine Verbindung herstellte und antijüdisch interpretierte. 110

increpitans: Hier ohne negative Konnotation, wie z.B. auch I 419f Christus nuntiat increpitans praeconia larga salutis111 und häufig bei Statius und Silius Italicus. Dennoch ist Pilatus’ Ton deutlich schärfer, als es durch dicens in der Vorlage zum Ausdruck kommt. Siehe weiter oben zu 597 Pilatus quaerit. Die Verschlimmerung des Aufruhrs, die in Mt 27,24b berichtet wird, lässt Iuvencus zunächst aus, wohl aus erzählökonomischen Gründen, um den Blick nicht von Pilatus zu wenden. Erst in Vers 623 steigert der Dichter die Reaktion des Volkes durch hoc magis. Siehe weiter dort. Weiterhin wird im Folgenden die Erzählreihenfolge umgekehrt. Die Vorlage berichtet erst von der Händewaschung, dann von Pilatus’ Aussage, während Iuvencus die Händewaschung und die Erklärung ut genti tantum macula illa maneret eng zusammenbindet. So stehen sich abluit und macula gegenüber. se ... sibi: Durch die Dopplung des Relativpronomens und die Gegenüberstellung von sibi und coram(que) wird Pilatus persönlich von der Volksmenge stark abgesetzt. sanguinis huius: Es ist nicht möglich, sicher zu entscheiden, ob in Iuvencus’ Vorlage iusti aufgenommen war oder nicht. Auch der griechische Text hilft nicht, da δικαίου ebenfalls in vielen Codices fehlt. Zu Iuvencus’ Vokabular, gerade in dieser Perikope, hätte der Ausdruck gewiss gepasst,112 man darf also annehmen, dass ihm ein Text ohne iusti vorlag.

tenere: In der Bedeutung „in einem gewissen Zustand (hier: frei) bewahren“ gebraucht.113 a crimine palmas abluit: Abluere steht vor allem in christlichen Texten mit a und Ablativ, zuvor gewöhnlich mit bloßem Ablativ.114 Iuvencus gebraucht die Vokabel in sechs von acht Fällen von der Taufe (I 312, 338, 340, 361; IV 795, 798; außer hier nur I 608 anders). Schon Fichtner weist auf diesen Gebrauch in 109 110 111 112 113 114

Vgl. OLD s.v. 2. Vgl. Poinsotte 148f. Auf diese Stelle weist Knappitsch hin. Siehe auch OLD s.v. 2. Siehe oben zu 594 iusti. Vgl. OLD s.v. 20. Vgl. ThLL I 109,46–50 (Bannier 1900).

84

Der Pilatusprozess

anderer christlicher Literatur hin, 115 nennt aber auch zahlreiche epische Parallelen für Entsühnung durch rituelle Waschung (hier soll Aen. II 718–720 me bello e tanto digressum et caede recenti / attrectare nefas, donec me flumine vivo / abluero genügen). Zu möglichen Sühnevorstellungen oder Tauftheologie und damit zur möglichen Exkulpierung des Pilatus siehe unten S. 86–92. Ähliche Vokabeln gebraucht Iuvencus in der Wiedergabe des Versöhnungsgebots in der Bergpredigt. Es heißt I 497f: Humano si quis macularit sangui ne pal mas , ille reus ferro persolvet vindice poenas. Ein Bezug dazu, etwa um Pilatus zu exkulpieren, ist nichtsdestrotrotz unwahrscheinlich.

ut genti tantum macula illa maneret: Iuvencus gibt das schlichte vos videritis der Vorlage interpretierend wieder. Ob der Dichter sich diesen Gedanken „seines“ Pilatus auch zu eigen macht, ist hier noch nicht zu erkennen;116 in den nächsten beiden Versen wird aber durch den klar verdeutlichten Blutruf117 der Juden und den Begriff des Verbrechens (scelus) aus dem Mund der Volksmenge klar, wie Iuvencus die Schuldfrage versteht. Für den Leser ist Pilatus zwar keine besonders ausgestaltete Identifikationsfigur, den Gedanken des bei Iuvencus unbescholtenen Römers hat ein römischer Leser wohl dennoch gut folgen und zustimmen können. hoc magis inclamant: Bei hoc handelt es sich um einen Ablativus mensurae („umso mehr“), vgl. Aen. V 94: hoc magis inceptos genitori instaurat honores.118 Iuvencus verschiebt also den Aufruhr aus Mt 27,24b, den er in den Versen 618f noch ausgelassen hatte, hierher und steigert das banale respondens universa turba dixit der Vorlage, so dass die Volksmenge den schon lauten (increpitans) Pilatus niederzuschreien scheint.119 Eine bewusste Evozierung der Totenriten für Anchises ist nicht anzunehmen. Die Bibelwissenschaft beschäftigte sich öfter 120 mit der Frage, wer die Menge ist, die Pilatus gegenübersteht, da die universa turba (bzw. omnis populus nach der Handschrift d, wobei es sich um eine bessere Übersetzung des griechischen πᾶς ὁ λαός handelt) kaum zum Gericht gelangen konnte. Für Iuvencus’ Text stellt sich, da er kein explizites Subjekt nennt, dieses Problem nicht. Siehe weiter unten zu 623 scelus hoc et culpa.

nos, nos ... redundet: Erst die zweite wörtliche Rede der gesamten Perikope; siehe dazu unten S. 319. Die Volksmenge übernimmt geradezu bereitwillig die Schuld von Pilatus. Das wird dem Leser durch die starke Signalwirkung der Rede, die geminatio von nos und die folgenden ausdrücklichen Bekenntnisse scelus hoc et culpa deutlich gemacht. genus in nostrum: Genus wird ohne Unterschied zu gens zuvor gebraucht.121 Mit filios bzw. τέκνα ist wohl angesichts der nahen Parusieerwartung des Matthäusevangeliums wirklich nur die nächste oder übernächste Generation gemeint.122 Ganz gleich, ob das Iu115 Vgl. Fichtner 82. 116 Green (2006) 110 meint, es handle sich ausschließlich um „Pilate’s own reasoning“, anders Poinsotte 146, bes. Anm. 507. 117 Siehe zum problematischen Begriff „Selbstverfluchung“ unten zu 623 scelus hoc et culpa. 118 Vgl. Deerberg 337 Anm. 48. Zum Ablativus mensurae siehe Kühner-Stegmann I 401 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 135f. 119 Ähnlich Poinsotte 146. 120 Vgl. z.B. Fiedler 411f und Luz (2002) 278f. 121 Vgl. Knappitsch ad loc. 122 Vgl. Luz (2002) 281.

IV 586–625

85

vencus bewusst war oder nicht, erweitert er, aus seiner spätantiken Perspektive verständlicherweise, die filii zum ganzen (dauernden) Volk, möglicherweise beeinflusst durch uni ve rsa turba / omni s populus in der Vorlage.

scelus hoc et culpa: Die jüdische Volksmenge bezeichnet ihre eigene Tat als scelus. Man scheint sich bewusst zu sein, gerade ein Verbrechen zu begehen. Daraus resultiert dann Schuld, derer sich die Menge ebenfalls bewusst gibt. Zur Frage, ob Pilatus’ Ziel ut genti tantum macula illa maneret erfüllt wird, siehe unten S. 86; zur Vokabel scelus S. 322–340. Eine Tendenz, der Volksmenge größere Schuld zuzuweisen, gibt es auch im Johannesevangelium. Es heißt dort 19,10f dicit ergo ei Pilatus: „Mihi non loqueris? Nescis, quia potestatem habeo crucifigere te et potestatem habeo dimittere te?“ Respondit Iesus: „Non haberes potestatem adversus me ullam, nisi esset tibi data desuper. Propterea, qui tradidit me tibi, maius peccatum habet.“ Gnilka führt einige alttestamentliche Parallelen für den „Blutruf“ auf, kann aber keine aus dem griechischen oder römischen Raum herbeibringen.123 Der „Blutruf“ ist also als jüdischer Ausdruck bei Iuvencus stehengeblieben, ist aber spätestens durch den vom Dichter hinzugefügten, interpretierenden Vers 623 verständlich. Die Bibelwissenschaft wendet sich ferner, vor allem wegen der häufigen antijüdischen Auslegung des Verses in der Tradition, bisweilen gegen den Begriff „Selbstverfluchung.“ Für das Matthäusevangelium trifft das zu und erklärt auch den Sprachgebrauch universa turba bzw. πᾶς ὁ λαός (im Licht der Fluchworte auf dem Garizim, Dt 27,11–26, wo es mehrfach heißt: „verflucht, wer ... und das ganze Volk soll rufen: Amen“, und im Licht der Zerstörung des Tempels kurz vor der Abfassung des Mt).124 Vers 623 macht aber Iuvencus’ Position deutlich: Für ihn handelt es sich offenbar um eine echte Selbstverfluchung. Zu exegetischen (v.a. antijüdischen) Implikationen siehe unten S. 86; zur bis in die moderne Zeit antijüdischen Auslegung und Nutzung dieses Verses siehe Poinsotte 145–148, Sand 553f und Luz (2002) 264, 279–281 und 287f mit vielen Literaturhinweisen. hoc: Wenn auch sprachhistorisch nicht nötig,125 messen die Dichter oft hic und hoc lang, so stets auch Iuvencus.

Pilatus donat ... Barabban: Wiederum wird eine Handlung des Pilatus in einem spondeenreichen Vers wiedergegeben. 126 Nach der auffälligen Rede beruhigt Iuvencus so wieder die Handlung zum folgenreichen Ende der Perikope hin. legique: Siehe oben zu 599 leges. Barabban: Iuvencus benutzt hier zum ersten und einzigen Mal den Namen dessen, den er zuvor nur als latro bezeichnet hatte. Latronem wäre auch hier metrisch möglich gewesen (zu Quantitäten siehe zu 601 famoso nomine latro). Möglicherweise will der Dichter gleich nach der Selbstverfluchung der Juden durch die Nennung des hebräischen Namens dazu eine Verbindung schaffen. Zudem ist die Antithese Barabban – Iesum durch die Stellung jeweils am Versende deutlich gemacht. et crucis ad poenam: Siehe oben zu 615 et crucis ad poenas. victus: Erneut wird Pilatus’ Machtlosigkeit am Ende der Perikope herausgestellt. Die Geißelung, von der Matthäus berichtet und die eine eigentlich typi123 Vgl. Gnilka (1988) II 458 und seine Verweise auf 2 Sam 1,16, 1Kön 2,33 und Jer 51,35. Siehe auch Luz (2002) 279f mit weiteren Verweisen. 124 Vgl. dazu Gnilka (1988) 459 und etwas ausführlicher Luz (2002) 277–281. Sand 555 hält den Begriff jedoch für treffend, da er auch bei Matthäus eine klare Schuldzuweisung der Juden an sich selbst erkennt. 125 Gegen Prisc. XII 25, 25 siehe Kühner-Holzweissig 599. 126 Siehe auch zu den Versen 592f, 597 und 604.

86

Der Pilatusprozess

sche Begleitstrafe war,127 die laut Flavius Josephus auch in Judäa häufig ausgeführt wurde,128 lässt Iuvencus aus. Dadurch wird Pilatus nicht als grausam dargestellt129 und wiederum blasser. 130 Siehe zu anderen möglichen Konsequenzen dieser Auslassung unten zu 642–652, zum Pilatusbild S. 87–89. Arevalo liest an Stelle von victus vinctum. Denkbar ist, dass flagellis caesum, wenn es schon nicht ganz ausgelassen werden soll, zu vinctum gekürzt und verharmlost wurde.131 An der o.g. Konsequenz für die Person des Pilatus änderte das nichts. Auch die Kirchenväterexegese hatte sich aber schon an der Geißelung gestört, diese aber als nach römischem Recht vorgeschrieben bezeichnet. Vgl. Hier. in Matth. IV 27,26 (CCL 77, 267,1609–268,1614 Hurst/Adriaen) Quaerat eruditus lector quomodo sibi conveniat Pilatum lavisse manus suas et dixisse: „Innocens sum ego a sanguine iusti huius“, et postea flagellatum tradidisse Iesum ut crucifigeretur? Sed sciendum Romanis eum legibus ministrasse, quibus sancitum est ut qui crugifigitur prius flagellis verberetur. Dieses Gesetz war Iuvencus also entweder unbekannt oder gleichgültig, so dass er die Geißelung auslassen konnte, um die Schuld bzw. Grausamkeit der Römer weiter zu verringern.132 Der Dichter selbst legte nämlich offenbar kaum Wert auf dieses Detail in der Passionsgeschichte. Mt 20,19 et tradent eum gentibus ad deludendum et flagellandum et crucifigendum kündigt Jesus sein Leiden an, was Iuvencus III 587f filius hic hominis prodetur ad ultima mortis / scribarum procerumque ferens ludibria membris [...] wiedergibt. Er lässt also die Details, flagellandum und crucifigendum, aus und spricht nur vom Tod. Poinsotte führt zudem das Argument an, vinctum könne vom Beginn der Perikope, aus dem so eng an Vergil angelehnten Vers 588 (post terga revinctum) herrühren. Auch daher sei victus zu bevorzugen.133

concedit: Siehe oben zu 599 concedere und zu 612 cedere. Iesum: Pointiert wird Jesus an den Schluss der Perikope gestellt, was besonders für den Übergang zum folgenden Ende des Judas interessant ist. Siehe dazu unten zu 626 proditor at Judas. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Ein oben angesprochener Einfluss des Lukas– oder Johannesevangeliums (Lk 23,18–20 zu 602f dimittere ... ardebat und Joh 19,10f zu 597 quae tum sit causa tacendi) ist neben dem Einfluss exegetischer Traditionen natürlich denkbar. Im Allgemeinen folgt Iuvencus aber einer einzelnen Vorlage.134 Das Schweigen Jesu Iuvencus hatte 596–598 deutlich gemacht, dass Jesus nicht aus Hilflosigkeit schweigt, sondern sich nicht dazu herablässt, seinen Gegnern zu antworten (596). Dieses Schweigen wird dann 598 als miranda bezeichnet und damit der Leser 127 128 129 130 131 132 133 134

Vgl. Luz (2002) 281 Anm. 94. Vgl. Poinsotte 133, bes. Anm. 433. Er verweist auf Bell. Iud. II 14,9 und X 11,1. So urteilen auch Poinsotte 133 und später Green (2006) 111. Vgl. Green (2006) 111. Vgl. Arevalo ad loc. Auf diesen Grund weist Poinsotte 133 hin. Vgl. ibid. Anm. 430. Vgl. Braun/Engel passim.

IV 586–625

87

gewissermaßen zu dieser Haltung aufgefordert.135 In der Exegese der Alten Kirche findet sich an einigen Stellen die Erklärung, dass Jesus es in der Tat nicht nötig hat, auf die Anklagen zu reagieren, da er als Unschuldiger und/oder Allmächtiger nichts zu befürchten hat, vgl. Ambr. Luc. X 97 (GCS 14, 373,929–931 Adriaen) Accusatur dominus et tacet. Et bene tacet qui defensione non indiget: ambiant defendi qui timent vinci. Non ergo accusationem tacendo confirmat, sed despicit non refellendo und Hier. in Psalm. 37 (CCL 72 207,17f Antin) sic tacui accusatus, quasi non habens quid pro me respondere deberem. Das Pilatusbild Die Bibelwissenschaft ist sich uneins, wie Matthäus den Pilatus bewertet. Die Urteile reichen von deutlicher Exkulpierung des Statthalters auf Kosten der Juden136 über „Pilatus bleibt, vorsichtig gesagt, im Zwielicht“137 bis zu „feiger, schwächlicher Nachgiebigkeit.“138 Einen guten und recht aktuellen Überblick über die bislang vorgebrachten Thesen bietet Luz,139 Urteile über den historischen Pilatus (vor allem von Philo und Josephus) hat Gnilka gesammelt. 140 Die Kirchenväterexegese zeichnet größtenteils, aber nicht ausschließlich ein positives Bild von Pilatus,141 das auch Iuvencus’ Darstellung des Statthalters beinflusst haben dürfte. Ab dem vierten Jahrhundert tritt allerdings die Exkulpierung des Pilatus zu Gunsten der Lehre von (passiver) Schuldverstrickung zunehmend in den Hintergrund.142 Pilatus ist sich auch beim Dichter zumindest dessen bewusst, dass die Verurteilung Jesu nicht rechtmäßig ist (mindestens dann, wenn man 621 abluit, ut genti tantum macula illa maneret nicht wie Poinsotte implizit als Urteil des Dichters, sondern wie Green als „Pilate’s own reasoning“143 versteht; siehe dazu unten S. 329, zur Händewaschung und kultischer Reinheit siehe den nächsten Absatz). Dennoch bemüht er sich, seiner ungeliebten Aufgabe (618f de135 136 137 138 139 140 141

Vgl. Deerberg 345. Vgl. Sand 553f. Luz (2002) 277. Fiedler 410. Vgl. Luz (2002) 226–228. Vgl. Gnilka (1988) 440f. Tertullian sah Pilatus geradezu als Christen, vgl. Apol. 21,24 (CCL 1 127,124f Dekkers) [...] Pilatus, et ipse iam pro sua conscientia Christianus [...]. In einigen Legenden wird Pilatus gar zum Heiligen; vgl. Gnilka (1998) 440f. Positiv äußert sich auch z.B. Ambrosiast. ad cor. prim. 2,8,2 (CSEL 81,2, 25,12–17 Vogels), ambivalent Orig. Ser. 124 (GCS 38, 260,5–10 Klostermann/Benz), der zwar Pilatus zunächst lobt, dann aber beklagt, er habe nicht entprechend seinen Worten gehandelt, negativ Ambr. in Psalm 118 20,38 (CSEL 62, 463,1–16 Petschenig/Zelzer); in Psalm. 61,25 (CSEL 64, 393,20–30 Petschenig/Zelzer) und in Luc. X 100 (CCL 14, 74,951–955 Adriaen). Dort erklärt Ambrosius Pilatus’ Versuch, sich zu exkulpieren, für erfolglos und klagt ihn an, von seiner Macht nicht auf rechte Weise Gebrauch gemacht zu haben. 142 Vgl. Kampling 116f. 143 Green (2006) 110.

88

Der Pilatusprozess

testatusque cruentum / officium) zu entgehen und muss schließlich geradezu gezwungen werden (618 vi victus und 625 victus), Jesus zur Kreuzigung zu schicken. Dieselbe Vokabel benutzt auch Lact. Div. Inst. IV 18,6 (384,15–17 Heck/Wlosok) tum Pontius et illorum clamoribus et Herodis tetrarchae instigatione metuentis, ne regno pelleretur, victus est, nec tamen ipse sententiam protulit [...]. Pilatus ist ohnehin nicht frei, zu entscheiden. 144 Die Gewohnheit des Statthalters, zu Pessach einem Gefangenen Amnestie zu gewähren, deutet Iuvencus zu einem regelrechten Gesetz um, dem Pilatus natürlich gehorchen muss (599 leges, 608 lege, 610 legi und 624 legi). Zu dieser Unfreiheit tritt jedoch bei Iuvencus auch ein sehr vorsichtiges Auftreten des Statthalters. Er hat keine wörtliche Rede, tritt nie autoritativ auf, sondern fragt stets die Hohenpriester bzw. das Volk, was er tun solle (597 quaerit, 606 mentem disquirere und 613 consuluit). Zwar sind verschiedene verba dicendi gewiss auch der variatio geschuldet, jedoch ist diese Tendenz auffällig. So wirkt nämlich Pilatus nicht nur durch das Gesetz gezwungen, sondern auch der Situation im Ganzen nicht gewachsen. Origenes lobt zunächst die Jesus von Pilatus entgegengebrachte reverentia und dessen Zurückhaltung und Einsatz145 und erklärt, dieser sei Jesus zumindest leicht zugeneigt gewesen.146 Auch die bei Iuvencus 598 (miranda) besonders hervorgehobene Ver– bzw. Bewunderung für Jesu Verhalten wird von Origenes positiv bemerkt.147 Origenes hält dieses überwiegend positive Urteil über Pilatus allerdings nicht durch, sondern argumentiert zuletzt, Pilatus habe seine guten Absichten vergessen und sei letztlich mit der Geißelung auch noch unnötig grausam gewesen.148 Standhaftigkeit attestiert Origenes dem Statthalter also nicht. Auch die durchaus positiv zu bewertende Intervention der Frau des Pilatus hat dazu geführt, dass sie zur Christin, ja von einigen sogar zur Heiligen gemacht wurde.149 Bei Iuvencus findet sich von dieser Überhöhung jedoch keine Spur. Hieronymus sieht,

144 Dass Pilatus wie bei Laktanz dennoch weiter angegriffen wird, kann bei Iuvencus kaum nachgewiesen werden. 145 Vgl. Orig. Ser. 118 (GCS 38, 251,17–21 Klostermann/Benz) propter quod apparet cum qua reverentia requirebat de Iesu et provocabat populum, ut Iesum magis ad dimittendum peterent quam Barabbam. Reverentiae autem Pilati illud etiam fuit signum, quod lavans manus suas dixit: „Innocens ego sum [...]“. 146 Vgl. Orig. Ser. 119 (GCS 38, 252,26–28 Klostermann/Benz) hoc diximus non obliti quod dictum est de Pilato, quia vel momentum aliquod benignum erga Christum habebat (hoc enim verum esse de Pilato ex omni narratione eius ostenditur). 147 Vgl. Orig. Ser. 119 (GCS 38, 253,16–24 Klostermann/Benz) quod autem scriptum est, non solum mirari Pilatum, sed etiam valde mirari, movet me ut aestimem, quoniam dignum ei videbatur magno miraculo, ut exhibitus ad criminale iudicium Christus inturbabilis maneret et staret ante mortem, quae apud omnes homines terribilis aestimatur. 148 Vgl. Ser. 124 (GCS 38, 260,5–9 Klostermann/Benz) Pilatus autem oblitus verborum suorum bonorum, quibus coeperat defendere innocentiam Christi, declinans ad malum non solum „tradidit Iesum“, sed etiam „flagellis caesum tradidit, ut crucifigeretur. 149 Siehe die Verweise bei Schweizer 332 und Luz (2002) 275 sowie Orig. Ser. 122 (GCS 38, 257,9–16,258,3–9) und Hil. in Matth. 33,1 (SC 258, 248,2–7 Doignon).

IV 586–625

89

wie Iuvencus, den Statthalter angesichts der Situation gegen seinen Willen zum Urteil gezwungen.150 Pilatus taucht sowohl in den Evangelien als auch bei Iuvencus noch einmal nach dem Tode Jesu auf, zunächst, wenn Josef von Arimathäa sich dessen Leichnam ausbittet. Dort zeichnet Iuvencus das Pilatusbild nicht weiter. Interessanter ist die darauffolgende Perikope, in der die jüdischen Oberen den Statthalter bitten, eine Wache aufstellen zu dürfen. Auch dort ist ihr Verhalten als dem Pilatus lästig dargestellt, wenn es 730 an Stelle des schlichten biblischen dicentes heißt: conveniunt onerantque simul sic iudicis aures. Die folgende Anrede Domine wird ebenfalls getilgt, dass die Macht also bei Pilatus liegt, ist aus dem Verhalten der jüdischen Oberen bei Iuvencus nicht erkennbar. Ferner gibt er dort nicht wie in Mt 27,65 den Befehl ite custodite, sondern sagt neutraler 739f miles permittitur [...] servare. Er erlaubt den Oberen in der Vorlage, das Grab so gut sie können (Mt 27,65 sicut scitis) zu bewachen. Iuvencus’ Wiedergabe ut vultis (740) bezieht sich dagegen nicht auf die Fähigkeiten der Oberen, sondern löst Pilatus weiter vom Geschehen: Er handelt wiederum nur nach den Wünschen derer, die ihn bitten, wird also erneut (noch) passiver dargestellt als in den Evangelien; siehe weiter jeweils auch dort. Die letzte Erwähnung des Statthalters in den Evangelien, Mt 28,14f, wo berichtet wird, wie die jüdischen Gegner Jesu den Wachsoldaten versprechen, sie vor möglichem Zorn ihres Kommandanten zu schützen, lässt Iuvencus aus. Das geschieht „perhaps to free Pilate from any suspicion of complicity in a cover–up,“151 möglicherweise gar, um die gesamte römische Verwaltung zu schützen, wie Poinsotte meint: „montrer Pilate victime d’une entreprise d’intimidation est une chose, révéler comme ici qu’il est un pantin entre les mains des notables en est une autre. C’est sans doute la raison pour laquelle Juvencus élimine le verset de Matthieu.“152

Insgesamt ist Iuvencus’ Pilatus also, wie Green überzeugend darlegt,153 eine blasse Gestalt. Die Entscheidung, Barabbas freizulassen und Jesus zu kreuzigen, wird als alternativlos und erzwungen dargestellt, mit allen anderen Entscheidungen, die die Gegner Jesu treffen, hat er nichts zu tun oder wird schlicht überredet, zuzustimmen. Dies zu tun macht er der Volksmenge dadurch, dass er häufig nach ihrer Meinung fragt, jedoch leicht – eine Auslegung, die so in der Exegese der Alten Kirche nicht zu finden ist. Ob Iuvencus den Statthalter frei von Schuld sieht, kann letztlich nicht erwiesen werden, dass Iuvencus wie die Exegese seiner Zeit die größere Schuld bei den Juden sah, ist dagegen offensichtlich.

150 Vgl. in Matth. IV 27,24 (CCL 77, 267,1586–1593 Hurst/Adriaen) Ego quidem innocentem volui liberare, sed quoniam seditio oritur et perduellionis mihi contra Caesarem crimen impingitur: „Innocens ego sum a sanguine iusti huius.“ Iudex qui cogitur contra Dominum ferre sententiam, non damnat oblatum sed arguit offerentes, iustum esse pronuntians qui crucifigendus est. „Vos“, inquit „videritis,“ ego minister sum legum, vestra vox sanguinem fundit. 151 Green (2006) 111. 152 Poinsotte 134 Anm. 436. 153 Vgl. Green (2006) 110.

90

Der Pilatusprozess

Händewaschung Die moderne Exegese verweist auf die Händewaschungen im jüdischen Kontext, Dt 21,6f, Ps 26,6 und 73,13.154 Schweizer interpretiert die Verse Mt 27,24f dann als „zu der allgemein festzustellenden Tendenz, immer mehr die Römer zu entschuldigen und dafür die Juden zu belasten“155, gehörig. Die Händewaschung im Matthäusevangelium ist also eindeutig ein jüdischer Ritus. Schon Origenes meint, dass Pilatus bewusst auf einen solchen und nicht einen römischen Ritus zurückgreift, um sich zu exkulpieren, die Juden aber zu beschuldigen. 156 Ebenso argumentiert Hieronymus: Während Pilatus rein wird, bleibt die Schuld der Juden bestehen, vgl. 621 ut genti tantum macula illa maneret.157 Die Freiheit von Schuld gilt laut Hilarius, wiederum im Gegensatz zur Schuldverstrickung der Juden, für alle (Heiden–)Christen, die den Glauben bekennen.158 Ferner sei es ein Hauptanliegen matthäischer Theologie, die Ablösung des Gottesvolkes Israel durch das neue Israel, die Kirche, zum Ausdruck zu bringen.159 Poinsotte bringt vor, dass nun Iuvencus gerade dadurch, dass er Pilatus sich reinigen lässt, der Makel aber bei den Juden bestehen bleibt, die Wichtigkeit der kultischen Reinheit für die jüdische Religion geradezu umkehre. Er fährt fort, dass maneret (621) „sub specie aeternitatis“160 zu verstehen sei und daraus folgenden Antijudaismus mit dem Argument, die Juden würden für den „Gottesmord“ bestraft, vorbereite (siehe dazu auch den nächsten Absatz). Diese Deutung ist auch im Licht der altkirchlichen Exegese gut begründet, aber, da Vers 621 auch als nur Pilatus’ eigener Gedanke (und nicht der des Dichters selbst) verstanden werden kann, 161 mit Vorsicht zu betrachten. Die moderne Exegese weist auf der Suche nach griechischen oder römischen Handwaschungsriten stets auf Hdt. I 35,1 und Aen. II 717–720 hin. Diese Stellen sprechen recht eindeutig „nicht von der Entlastung Unschuldiger, sondern von der rituellen Entsühnung Schuldiger.“162 Auch sonst finden sich vielfach, v.a. in der griechischen Literatur, Stellen, an denen Menschen, die Blut vergossen haben, sei es zu Recht, sei es zu Unrecht, sich einer rituellen Waschung unterzogen, jedoch

154 Vgl. Schweizer 333. 155 Ibid. 156 Vgl. Orig. Ser. 124 (GCS 38, 259,13–21 Klostermann/Benz) „Pilatus autem, videns quod nihil proficeret“, Iudaico usus est more, volens eos de Christi innocentia non solum verbis, sed etiam ipso facto placare si voluerint, si autem noluerint condemnare, faciens non secundum aliquam consuetudinem Romanorum. 157 Hier. in Matth. IV 27,24 (CCL 77, 267,1583f Hurst/Adriaen) [...] ut in lavacro manuum eius gentilium opera purgarentur, et ab impietate Iudaeorum [...]. 158 Vgl. Hil. in Matth. 33,1 (SC 258 248,9–11 Doignon) quia Iudaeis suscipientibus in se ac filios suos fusi dominici sanguinis crimen, quotidie in confessionem fidei ablutus gentium populus demigrat. 159 Vgl. z.B. Luz (2002) 279. 160 Poinsotte 147. 161 Siehe oben zur Stelle. 162 Vgl. Luz (2002) 267 Anm. 67.

IV 586–625

91

stets nach der Tat.163 Es ist dennoch unwahrscheinlich, dass die Leser des Iuvencus Pilatus auf Grund ihrer Erfahrung mit solchen Riten für schuldig hielten. Zu deutlich ist, wie oben gezeigt, auch sprachlich und mit dichterischen Mitteln die Schuldzuweisung an die Juden bzw. der Juden an sich selbst ausgedrückt. Der Dichter macht sich die Stelle also so zu Nutze, wie ein alttestamentlich unkundiger Leser sie verstehen würde: Als Zuweisung der Schuld an die Juden. Oben wurde ein möglicher Bezug zur Tauftheologie vermutet. V.a. Tertullian sieht mehrfach einen Bezug zwischen der Taufe und der Passion, 164 hält jedoch Pilatus’ Versuch, sich zu exkulpieren, für unwirksam, da er einer Taufe mit der falschen Geisteshaltung entspreche: auf die innere Reinheit des Menschen kommt es an.165 Ein wichtiger Grund für diese Haltung Tertullians dürfte seine Rolle im Streit um die Gültigkeit der Taufe durch Häretiker sein. 166 So urteilt auch Ambrosius.167 Zwar ist die Taufe bei Iuvencus wichtig,168 eine negative Konnotation aus abluit in Tertullians Sinne zu erkennen ist aber zu gewagt. Die ansonsten positive Darstellung des Pilatus insinuiert eher, er habe mit seiner Händewaschung und seiner Befreiung von Schuld die Taufe vorweggenommen oder angekündigt. Das würde zu den teils sehr positiven Urteilen der Kirchenväterexegese über Pilatus passen, ist andererseits aber auf Grund der Zahl negativer Äußerungen ebenda nicht zwingend und kann für Iuvencus nicht überzeugend gezeigt werden. Der Blutruf Kampling untersuchte in seiner Dissertation die gesamte Bandbreite altkirchlicher Exegese bis zu Leo dem Großen. Sein Urteil über die Exegese im zweiten und dritten Jahrhundert lautet: „[D]er Tod Jesu ist zum Scheidepunkt zwischen den Juden, die Jesus verwarfen, und den Heiden, an die nun das Heil ergeht, geworden. [...] In Mt 27,25 artikuliert sich [...] der Wille des Volkes zur Tötung Jesu, der von den Auslegern mit der Tötung selbst gleichgesetzt wird. Weiterhin wird die Auslegung von Mt 27,25 durch die Annahme beeinflußt, daß die Juden für die Kreuzigung Christi bestraft worden waren und weiterhin bestraft werden. In diese Vor-

163 Vgl. B. Kötting, Art. Handwaschung III. Griechenland, in: RAC 13 (1986) 577f. 164 Vgl. Tert. Bapt. 9,4 (CCL 1, 284,22f Borleffs) perseverat testimonium baptismi usque ad passionem: cum deditur in crucem aqua intervenit: sciunt Pilati manus. Vgl. auch Tert. Orat. 13,2 (CCL 1 264,8–265,15 Diercks) und Orig. in Lev. 10,2 (GCS 29, 443,13–21 Baehrens). 165 Tert. Orat. 13 (CCL 1, 264,7–11 Borleffs) Ceterum quae ratio est, manibus quidem ablutis, spiritu vero sordente orationem obire [...]? Haec sunt verae munditiae, non quas plerique superstitiose curant, ad omnem orationem, etiam cum a lavacro totius corporis veniunt, aquam sumentes. Id cum scrupulosius percontarer et rationem requirerem, comperi commemorationem esse Pilatum manus abluisse in domini deditione. 166 Vgl. A. Fürst, Art. Tertullian, in: LThK 9 (2000) 1345f und C. Butterweck, Art. Tertullian, in: TRE 33 (2002) 96–99. 167 Vgl. Ambr. in Luc. X 100 (CCL 14, 74,951–955 Adriaen), oben Anm. 141 zitiert. 168 Vgl. Quadlbauer passim, Fichtner 31–35 und den Kommentar zum Taufbefehl 795–801.

92

Der Pilatusprozess stellung fügt sich Mt 27,25 gut ein, denn der Text des Verses enthält die Verbindung von Gegenwart und Zukunft, indem die Nachkommen mitgenannt werden.“169

In späterer Zeit ändert sich daran nicht viel: „Alle Autoren [sc. bis zum Jahre 430] gingen davon aus, daß in Mt 27,25 ein Wort der Juden bezeugt ist, mit dem diese beim Prozeß vor Pilatus das Blut Christi, also die Schuld an seinem Tod, auf sich nahmen. Da Mt 27,25 als offizielle Schulderklärung der Juden verstanden wurde, verband man mit dem Vers auch die Vorstellung, daß er strafende Folgen für die Rufer nach sich zog. Schuld und Strafe treffen aber auch die zeitgenössischen Juden, da die Rufer ihre Nachkommen in die Schulderklärung aufnahmen.“ 170 Diese Rechtfertigung von Antijudaismus sollte sich bis in neueste Zeit halten, 171 oft begründet mit dem Satz des Hieronymus, in Matth. IV 27,25 (CCL 77, 267,1595–1597 Hurst/Adriaen) perseverat usque in praesentem diem haec inprecatio super Iudaeos, et sanguis Domini non auferetur ab eis.172 Etwa Dasselbe sagte schon Orig. Ser. 124 (GCS 38, 260,1–4 Klostermann/Benz) propterea sanguis Iesu non solum super eos factus est, qui tunc fuerunt, verum etiam super omnes generationes Iudaeorum post sequentes usque ad consummationem. Die Zahl derer, die die Juden für ihren „Gottesmord“ durch die Zerstörung des Tempels, die Diaspora oder allgemeine Verfolgungen bestraft sehen, ist enorm, nur wenige urteilen zurückhaltend.173 Iuvencus schreibt also genau in dieser Zeit, in der Mt 27,25 gewissermaßen das theologische Fundament des Antijudaismus bildete. So ist gut zu verstehen, warum er die Schuldübernahme der Juden vom Römer Pilatus, den er sehr schützt, so deutlich macht. AUSBLICK Sedulius Sedulius gibt Carm. Pasch. V 113–116.139–163 den Pilatusprozess wieder. Ein detaillierter Kommentar der Szene findet sich bei Deerberg, 174 so dass es hier genügt, die wesentlichen Abhängigkeiten und Unterschiede von Iuvencus zu zeigen. 169 Kampling 60. 170 Kampling 116. 171 Vgl. Luz (2002) 287: „Wir stellen fest, daß das Interesse der kirchlichen Exegese an V 25 im Ganzen gering gewesen ist [dagegen Kampling, passim]. Ich muß nun diesem Bild allerdings noch einige Zeugnisse anfügen, welche zeigen, daß die Wirkung unserer Verse das in den Auslegungen Gesagte weit überstieg.“ Einige weitere Beispiele finden sich bei Poinsotte 145f. 172 Vgl. Poinsotte 145, bes. Anm. 505, und Luz (2002) 286 Anm. 125: „ein in fast jedem mittelalterlichen Kommentar wiederholter Satz.“ Poinsotte weist auch auf Aug. in Psalm. 108,20 hin, wo (ausgehend von den Psalmversen 109,17f: Er liebte den Fluch – der komme über ihn; er verschmähte den Segen, der bleibe ihm fern. Er zog den Fluch an wie ein Gewand; der dringe wie Wasser in seinen Leib, wie Öl in seine Glieder) Judas und die Juden hinsichtlich ihrer (dauerhaften) Ablehnung Jesu und damit ihres Heils verglichen werden. 173 Z.B. Joh. Chrys. Hom. in Ac. Princ. 4 (PG 51, 111). 174 Vgl. Deerberg 211–216 und 240–285.

IV 586–625

93

Sedulius verzichtet fast vollständig auf narrative Elemente und ergeht sich wieder in Tiraden gegen die Juden und auch gegen Pilatus, in denen sich die wesentlichen Worte des Iuvencustextes (sanguis, macula ... abluatur und cruor)175 wiederfinden. Schon in den Versen 113–115 heißt es, der folgende Tag werde ein Verbrechen der Juden sehen (Iamque dies aderat, nocturna maestior umbra, / flagitium visura novum, tenebrisque remotis, / Pandebat populis Iudaeae crimina gentis). Sedulius verfährt dann aber nicht wie Iuvencus, den Prozess als narrative Einheit wiederzugeben, sondern hält sich strenger an das Matthäusevangelium. So schiebt er nach Vers 116 den Selbstmord des Judas ein und fährt erst ab Vers 139 mit dem Prozess fort. Für den Leser hängen die Informationen der Verse 113–115 also ein wenig in der Luft, was angesichts des geringeren narrativen Anspruchs des Dichters nicht wichtig ist. Während Iuvencus noch subtil von einer accusatio iusti, einem eindeutigen Paradox, spricht, bezeichnet Sedulius die Anklage offen als Lüge (143 mendax). Eine Reaktion Jesu darauf gibt er nicht wieder. Ähnliches lässt sich im Umgang mit Barabbas beobachten. Auch Iuvencus geht über die Vorlage hinaus, indem er einen eigenen Willen des Volkes feststellt, das darauf brennt (Iuvenc. IV 603 ardebat), den Barabbas freizulassen. Sedulius verweist dagegen auf längst vergangene Fehler der Juden (und geht so implizit wieder auf die Iudaeae crimina gentis aus Vers 115 ein), die Götzen dienten (145f imperiumque neget, lucos quae semper amavit, / idola dilexit; man denkt ans Goldene Kalb), den Baal anbeteten und nun Barabbas wählen (146f simili nam more furentes, / tunc coluere Baal, nunc elegere Barabbam, vgl. zum Baalkult Ri 2,6– 23). Ihre Entscheidung ist also eindeutig gotteslästerlich. Neben den so stark angegriffenen Juden steht nun Pilatus zwar zurück, wird aber nicht (nicht einmal teilweise) wie bei Iuvencus exkulpiert. Dessen Unsicherheit wird ihm als Schwäche ausgelegt; indem er nichts tat, wurde er zum Mittäter (157f heu! facinus, Pilate, tuum! quot gesseris uno / crimina iudicio, vigili si mente notares). Auch seine Handwaschung nützte ihm nichts, stattdessen hätte er nach der Taufe streben müssen (159f non solas lavisse manus, sed corpore toto / debueras sacrum veniae sperare lavacrum).176 Sedulius hat also entweder keine Kenntnis von den o.g. Legenden, nach denen Pilatus und seine Frau den Christen positiv gesinnt waren, oder er lehnt solche Spekulationen ab. Vor allem aber wirft Sedulius Pilatus „vor, in dem Prozeß eine wesentliche christliche Grundauffassung verletzt zu haben, wie sie sich etwa act. 5,29 findet: oboedire oportet Deo magis quam hominibus;“177 es steht das Urteil gegen den Statthalter, er habe den Menschen mehr als Gott gehorcht (162 praeponis humana Deo). Damit müssen alle Entschuldigungsversuche, wie etwa der von Iuvencus durch victus (Iuvenc. IV 618 und 625) hervorgehobene Zwang und die Unfreiwilligkeit des Pilatus, fehl gehen. Auch der Relativsatz, der die Szene schließt, zeigt Pilatus in einer weniger passiven Rolle als bei Iuvencus.

175 Vgl. dazu und zur weiteren Tradition bis ins Mittelalter Poinsotte 148 Anm. 515. 176 Vgl. Green (2006) 205 und 238f. 177 Deerberg 283. Siehe weiter dort.

94

Der Pilatusprozess Er „hat [...] die Funktion, Pilatus als ‚Henker Christi‘ darzustellen. So tritt er nicht als Befehlshaber der Hinrichtungstruppe auf, sondern er selbst wird als der angesprochen, der Christus gewissermaßen persönlich ans Kreuz schlägt. Indem Sedulius den Statthalter auf diese Weise als Mithandelnden charakterisiert, macht er dessen Strafwürdigkeit dem Leser klar deutlich.“178

Weiter noch geht Sedulius dann im Opus Paschale und sagt in Hinblick auf die Betrafung des Pilatus Op. Pasch. V 11: igitur luendi suplicii iam teneris in vinculis, quia numerosa per vulnera cruci Dominum creaturae configis, Caesaremque magis offendere quam Caesaris metuis conditorem. Man muss dabei wohl ans Jüngste Gericht denken. 179 Sedulius geht also, das wird schon in diesem kurzen Exkurs deutlich, mit den Juden (noch) weniger schonend um als Iuvencus, auf eventuelle römische Vorbehalte, auch über Pilatus zu urteilen, nimmt er keine Rücksicht.180 Deerbergs treffender Analyse ist sonst nichts hinzuzufügen. Arator Arator kommt in seiner Bearbeitung der Apostelgeschichte auf die Schuld der Juden zu sprechen, wie sie Petrus in der Pfingstpredigt (Apg 2,36–40) anspricht. Petrus wendet sich bei Arator ausdrücklich an die Juden, und zwar in einer Rede, die mehr ein Angriff als eine überzeugende Predigt zu sein scheint; vgl. Act. I 191–201:181 Cur natos, Iudaea, tuos per vota cruoris / parricida trahis quid Christi sanguine fuso / hos tecum damnata premis necdumque creatos / festinas proferre reos, homicidaque lingua / naturae percussit iter? Cui serior ortus / quam facinus discrimen alit scelerumque propago / de natale perit, quae saucia voce parentum / in lucem punita venit. Si solvere cura est / fecundi crementa mali, felicibus undis / exstinctum reparate genus; spes una remitti / debita supplicii post crimina velle renasci. Gegenüber dem Text der Apostelgeschichte ist nicht nur die Frage aus Vers 37, was man denn nun tun solle, gestrichen, sondern es hat sich auch das Augenmerk gänzlich auf die Schuld der Juden, die Jesus dem Tod überlieferten, verschoben. Auch das passt zu dem oben zum „Blutruf“ und zum daraus folgenden Antijudaismus Gesagten. Pilatus spielt in der Apostelgeschichte und damit auch bei Arator nur eine geringe Rolle. Der Dichter baut allerdings Apg 4,27 convenerunt enim vere in civitate ista adversus sanctum puerum tuum Iesum, quem unxisti, Herodes et Pontius Pilatus cum gentibus et populis Israel aus zu Act. I 356–359182 quis lumine sicco / aut gemitu cessante queat memorare Pilati, / quod defleant elementa nefas? Quo iudice Christus / subdere pro mundi voluit sua membra periclis [...]. Zwar ist auch in der Apostelgeschichte Pilatus eindeutig als einer derer benannt, die sich 178 Deerberg 284. 179 Vgl. ibid. 180 Vgl. Green (2006) 203–205, bes. 205: „Sedulius certainly does not cover up Pilate’s guilt, as Iuvencus did.“ 181 Green (2006) 110 weist auf die Verse hin, analysiert sie aber nicht detailliert. 182 Vgl. Green (2006) 294f.

IV 586–625

95

gegen den Gottesknecht verbündet haben, die eindrückliche Beschreibung, dass jeder, der sich an Pilatus erinnert, gewiss weinen müsse, und dass eine Tat ein nefas ist, das die Welt im Innersten (elementa) beklagt, geht darüber deutlich hinaus. Mildernd mag in Vers 359 voluit wirken, auf das in den Versen 360–364 ein Finalsatz folgt, in dem das Heil, das Jesus durch seine Passion erwarb, beschrieben wird. Jesus handelte also planvoll und mit Absicht, was ja gegen eine gänzlich verwerfliche Tat des Pilatus spricht und an das bekannte Paradox, dass Judas und Pilatus zugleich böse und ihr Handeln heilsnotwendig sind, erinnert.

DER SELBSTMORD DES JUDAS (IV 626–641) EINPASSUNG DER SZENE „Auf der Erzählebene der Passionsgeschichte ‚glättet‘ Iuvencus die narratio durch Anwenden der transmutatio: Er verschiebt die Wiedergabe des Judas– Selbstmordes nach hinten.“1 Der nächstliegende Grund für die Umstellung der Ereignisse ist in der Tat diese Glättung: Anstatt Jesus wie bei Matthäus vor Pilatus zerren zu lassen, um sogleich den Blickpunkt wieder hin zu Judas zu wechseln (den erneuten Todesbeschluss der Ältesten lässt Iuvencus ja aus), ist es einfacher und geradliniger, von beiden Szenen nacheinander zu berichten. Ein zusammenhängender Bericht vom Pilatusprozess findet sich auch bei Markus. Matthäus schob offenbar hinter Mk 15,1 den Selbstmord des Judas ein. 2 Iuvencus lag also mit dem Markusevangelium eine Autorität für seine Glättung vor. Auch Tatian gibt in seinem Diatessaron, allerdings nur in der syrischen, bei Ephräm überlieferten Version, erst nach dem Prozess den Selbstmord des Judas wieder, wobei Nestler zu Recht zu bedenken gibt, beide könnten unabhängig die Reihenfolge bei Matthäus für unbefriedigend gehalten haben, 3 zumal sich an einigen anderen Stellen die Benutzung einer auf uns gekommenen Evangelienharmonie durch Iuvencus als sehr unwahrscheinlich erwiesen hat.4 In diesem Zuge vermeidet der Dichter aber auch eine Schwierigkeit im Verständnis des biblischen Textes. Dort reut es Judas, weil er sieht, quia [sc. Iesus] damnatus est. Jesus ist aber noch gar nicht formal verurteilt worden. Aus diesem Problem ist auch die Lesart ad iudicium ductus im Codex f zu erklären, die das Problem beseitigt, aber nichtsdestoweniger keine treffende Übersetzung des griechischen κατεκρίθη bietet. Der biblische Text ist zwar verständlich, wenn man damnatus als Verurteilung durch die Ältesten versteht,5 bei Iuvencus aber taucht

1 2 3

4 5

Deerberg 335. Vgl. Mk 15,1f Gleich in der Frühe fassten die Hohenpriester, die Ältesten und die Schriftgelehrten, also der ganze Hohe Rat, über Jesus einen Beschluss: Sie ließen ihn fesseln und abführen und lieferten ihn Pilatus aus. Pilatus fragte ihn: „Bist du der König der Juden [...].“ Vgl. Nestler 34. Siehe zu Tatian weiter Saint Ephrem’s Commentary on Tatian’s Diatessaron. An English Translation of Chester Beatty Syriac MS 709 with Introduction and Notes by C. McCarthy, Oxford 1993, 302f; zur lateinischen Übersetzung des Diatessaron Tatian, Lateinisch und altdeutsch mit ausführlichem Glossar hrsg. v. E. Sievers, Paderborn 1872, 313f. Vgl. Green (2006) 23f mit weiteren Literaturverweisen. So versuchen einige Exegeten den Text zu verstehen. Vgl. Sand 547, Wiefel 468, Luz (2002) 233.

IV 626–641

97

dieses Problem gar nicht erst auf.6 Er kann quia damnatus est retrospektiv auf die Verurteilung durch Pilatus beziehen und so ausnutzen; siehe weiter unten zu 626 proditor at Judas. Einen anderen Aspekt sieht zudem Poinsotte, der die Trennung zwischen dem Urteil des Pilatus und der Ergreifung Jesu durch die Soldaten in Vers 642 als ganz bewusst gesetzt versteht.7 Siehe dazu unten Seite 129. KOMMENTAR Das Ende des Judas (IV 626–631) Mt 27, 3–5: 3 Tunc videns Iudas, qui eum tradidit, quia damnatus est, paenitentia ductus tetulit triginta argenteos principibus sacerdotum et senioribus 4 dicens: „Peccavi, quod tradiderim sanguinem iustum.“ At illi dixerunt: „Quid ad nos, tu videris.“ 5 Et proiectis argenteis in templo secessit et abiit et laqueo se suspendit.

Iuvenc. IV 626–631: 626 Proditor at Iudas, postquam se talia cernit 627 accepto sceleris pretio signasse furentem, 628 infelix aegris damnans sua gesta querellis

3 iudicatus h : ad iudicium ductus f : damnatus rell.

628 veris C Huemer Marold Knappitsch : eris Matr. : miseris Mp P 629 detestabile Matr.

629 proiecit templo tunc detestans argentum. 630 Exorsusque suas laqueo sibi sumere poenas 631 Informem rapuit ficus de vertice mortem.

proditor at Judas: Durch das adversative at (siehe oben zu Vers 570 at) und die exponierte Stellung des Subjekts mit Attribut wird der Szenenwechsel deutlich gemacht. Gleich durch die ersten Worte dieses Verses und damit auch der ganzen Perikope wird eine Erwartungshaltung beim Leser erzeugt. Die vorhergehende Perikope schließt nämlich in Vers 625 mit dem Ausspruch der Kreuzesstrafe, der Vers selbst mit dem Namen Jesus, dem sogleich der proditor Iudas entgegengestellt wird: entweder werden nun also weitere Untaten des Verräters oder eine Strafe für seine Tat folgen. Iuvencus zeigt sich im Folgenden mehr an dessen psychologischer Situation als an einer flachen Verurteilung interessiert, siehe dazu besonders den Vergleich mit Sedulius, Seite 122. Durch die Bezeichnung des Judas als proditor schließt sich dabei der Kreis zu seinem ersten Auftritt: Judas hatte nämlich IV 422f angeboten, Jesus zu verraten (prodere statt tradere in der Vorlage).

6 7

Siehe auch Arevalo ad loc., der ebenfalls die Glättung durch Iuvencus als recht geschickt bewertet und Versuche, die Evangelien zu harmonisieren, zurückweist. Vgl. Poinsotte 134f, dort auch Anm. 440.

98

Der Selbstmord des Judas

In Vers 422 wurde Judas zudem als amens bezeichnet. Zur Bedeutung der weiteren Adjektive, die sich auf Judas beziehen, siehe unten zu 627 furentem, 628 infelix und 631 informem; zum Judasbild S. 111–117. Zur sonstigen Verwendung von prodere siehe oben zu 575 prodebat.

postquam ... cernit: Siehe oben zu 611 postquam ... incendit. se talia ... signasse furentem: Die Glieder des von cernit abhängigen AcI stehen gesperrt und bilden so eine Klammer um den Abl. Abs. accepto sceleris pretio. Durch diese Klammer wird die negative Einleitung der Perikope zugleich zusammengefasst und beendet; darauf folgt die Reue, die ihre Wertung vor allem in infelix und aegris querellis erfahren wird. Talia ist für den Leser sogleich als Bezug auf die Kreuzesstrafe zu verstehen, da der Ausspruch derselben erst vor zwei Versen berichtet wurde. accepto sceleris pretio: Der Abl. Abs. liefert eine Begründung für furentem: Durch die Annahme des Geldes wird Judas’ furor offenbar. Vgl. auch II 442: nummorum [...] scelerata cupido und unten zum Judasbild S. 111–117, zu theologischen Berühungspunkten S. 117–122 und den Exkurs zum Antijudaismus bei Iuvencus, S. 322–340. signasse: Signare ist hier im übertragenen Sinne als „besiegeln, zu Ende bringen“8 zu verstehen: Dadurch, dass Judas den Verrat für Geld begangen hat, bringt er die Vorbereitungen aller Maßnahmen gegen Jesus zu ihrem grausamen Ende. Das hat zudem eine juristische Konnotation. furentem: Mit der gesamten (psychologischen) Wertung des Judas (auch mit accepto sceleris pretio) geht Iuvencus über die Vorlage hinaus. Damit findet eine Aspektverschiebung statt: Nicht mehr nur, weil Judas sich für Jesu Peinigung verantwortlich fühlt, sondern auch wegen seines Wahns geht er mit sich ins Gericht. Siehe zum wichtigen furor unten S. 322–340. infelix: Donnini sieht infelix hier einerseits zurückweisend IV 441f quanto felicior esset / si numquam terris tetigisset lumina vitae gegenübergestellt. Dort spricht Jesus sein Urteil über den, der ihn verraten wird. Andererseits weise infelix als Vorbereitung auf den Selbstmord auch nach vorn.9 Die Konnotation von infelix kann aber als Vorverweis noch über den „tormento interiore“10 hinausreichen, da Judas bald an einer arbor infelix11 hängen wird. So wird der (innere, psychologische) Aspekt der Reue mit dem (äußeren) des Selbstmordes sogleich verknüpft. Siehe auch unten zu 631 informem. Bei Vergil ist infelix ein Epitheton zu Dido 12

8

Vgl. OLD s.v. 5b zu dieser Bedeutung. Knappitsch ad loc. kann für seine Deutung „signasse = perpetrasse, fecisse, designasse – simplex pro compos.“ keine Belege anbringen. 9 Vgl. Donnini (1973) 58f. 10 Ibid. 59: „L’infelix va ormai diritto verso il proprio destino e se vuole liberarsi dal tormento interiore; non deve ricorrere ad altro se non al suicidio.“ 11 Vgl. OLD s.v. 2: „an unlucky tree, i.e. one consecrated to the gods of the underworld, on which in primitive law condemned criminals were hung.“ Diese Bedeutung steht in Zusammenhang mit OLD s.v. 1: „yielding nothing useful“, von Vergil gerne in den Georgica verwendet. 12 Bei insgesamt 49 Belegen in der Aeneis bezieht sich infelix sieben Mal auf die Karthagerin, nämlich I 712, 749, IV 68, 450, 596, V 3 und VI 456. Einen Hinweis auf Dido gab schon Green (2006) 68 Anm. 302.

IV 626–641

99

(auch dort vorausweisend Aen. I 712 und 749 und zurückweisend VI 456), deren Leben wie das des Judas unausweichlich ins Unheil führt. aegris: Hansson lehnt in seiner Untersuchung das von Huemer, Marold und Knappitsch bevorzugte veris ab, will wie Arevalo aegris lesen und bringt dafür treffende Belege aus dem klassischen Epos und von Iuvencus selbst (I 631 neu faciles victus aegra disquirite cura; Lucr. III 933f quid tibi tanto operest, mortalis, quod nimis aegris / luctibus indulges? Quid mortem congemis ac fles? und Ov. Met. II 329 nam pater obductos luctu miserabilis aegro). 13 Verus im Sinne von „aufrichtig“ ist bei Iuvencus nicht nachzuweisen, 14 wäre aber allemal verständlich.15 Siehe dazu unten S. 111–117. Hansson kann aber plausibel machen, dass veris wie miseris ein Versuch ist, „eine Vorlagenkorruptel eris zu beseitigen.“16 Nicht eindeutig zu klären ist, ob auch aegris ein solcher Versuch ist. Angesichts der Parallelen, die Hansson nennt, ist aegris aber die beste auf uns gekommene Lesart. Iuvencus gebraucht die Vokabel sonst noch 12 Mal, dabei drei Mal vom Teufel bzw. von Dämonen,17 in einem entfernt ähnlichen Sinne wie hier III 65 (iurandique memor iuris tamen imperat aegre), wo Herodes’ unfreiwilliges Urteil gegen Johannes den Täufer geschildert wird. Die Frage nach der moralischen Qualität der Reue, die die Exegese im Laufe der Zeit immer wieder beschäftigt hat (siehe unten S. 110),18 wird, wenn man aegris liest, nur am Rande tangiert: mit veris wäre die theologisch bemerkenswerte Aussage verbunden, dass Judas’ Reue von Herzen kommt; aegris dagegen ist eine übliche Psychologisierung. sua gesta: Green stellt heraus, das für das Epos untypische gesta werde nur im Prolog als Christi vitalia gesta positiv, sonst negativ („wicked deeds“) verwendet und sorge so für einen Kontrast zwischen den lebensspendenden Taten Christi und den Untaten der beiden anderen.19 Den Dialog zwischen Judas und den Hohenpriestern lässt Iuvencus vollständig aus. Damit verzichtet er hier darauf, Judas gegenüber den Hohenpriestern erneut abzusetzen, und zwar weder positiv durch sein Bekenntnis peccavi, noch negativ durch den Inhalt des Bekenntnisses, quod tradiderim sanguinem iustum. Das Schuldeingeständnis findet sich zwar möglicherweise in aegris querellis (deutlich schwächer) wieder, der Inhalt aber kann den Lesern des Iuvencus nur implizit bekannt sein. Die Wendung sanguis iustus, die so ohne Wiedergabe

13 Vgl. Hansson 105. 14 Möglicherweise II 287f cum veri sanctum genitorem errore remoto / cultores [...] orent. Siehe zum Wahrheitsbegriff dort Heinsdorff ad loc. 15 Vgl. Hansson 105. 16 Ibid. 17 I 367, 545f, 743. 18 Vgl. zur Exegesegeschichte Luz (2002) 234f und 246–254. 19 Vgl. Green (2004) 215. Zwar schreibt Green (2006) 21: „[...] the noun gesta is used elsewhere [sc. als im Prolog] by Juvencus only of Herod and Judas, whom he so heavily condemns“, doch wird gesta I 714 und II 701 auch als Ausdruck der Untaten anderer gebraucht. Die Beobachtung, nur bei vitalia gesta sei gesta positiv zu verstehen, ist dennoch richtig.

100

Der Selbstmord des Judas

bleibt, hätte zu Iuvencus’ Vokabular gepasst.20 Eine Wertung der Hohenpriester, die sich dem Leser bei der dreist 21 scheinenden Frage „quid ad nos?“ nur anbietet, holt Iuvencus 634f nach. Siehe weiter dort. proiecit templo ... argentum: Ein Vers, der gegen alle üblichen Konventionen im Hexameter nur aus Spondeen besteht. Durch diesen extrem langsamen Vers wird das baldige Ende des Judas wirkungsvoll vorbereitet und die düstere Stimmung zum Ausdruck gebracht.22 Die t–Alliteration (über–)interpretiert Knappitsch23 als Hinweis auf das Klingeln des Geldes. detestans: Durch dieses Partizip wird deutlich gemacht, dass Judas das Geld nicht nur wegwirft, sondern dabei noch immer Reue zeigt und seine durch Geldgier bewirkten Taten verflucht. Hier ist die Überwindung dieser Geldgier erkennbar. Sowohl die Reue als auch das Wegwerfen des Geldes beschreibt Iuvencus gleichberechtigt in je einem ganzen Vers, die simplen Informationen paenitentia ductus und proiectis argenteis in templo werden wertend und psychologisierend amplifiziert. Auch mag hier wie oben 618 der juristische Terminus testatione denuntiatum24 mitschwingen. Die nur im Codex Matritensis zu findende Lesart detestabile ist zwar ebenso verständlich wie detestans, bewirkt aber einen Daktylus, der die eindrucksvolle Wirkung der Spondeen vermindern würde,25 und ist als wohl spätere Normalisierung abzulehnen. Exorsusque suas ... mortem: Die einfache Information der Vorlage wird hier zweigeteilt. Es kommen nämlich die Interpretation des Handelns, sibi sumere poenas und die Information, Judas habe sich an einem Feigenbaum erhängt, dazu. Exorsusque ... sumere: Exordiri mit Infinitiv ist selten, aber seit der Klassik belegt.26 Die s-Alliteration hat schon Knappitsch bemerkt,27 aber nicht interpretiert. Dionysios von Halikarnassos beurteilt Häufungen von Spiranten als geradezu tierisch. 28 Will man eine solche Interpretation akzeptieren, gebraucht der Dichter den Laut also zur Illustration der widernatürlichen Handlung. 29 sumere poenas: Dieser Versschluss kommt vor Iuvencus nur zwei Mal vor, nämlich Aen. II 576 sceleratas sumere poenas (aus dem Mund des Aeneas, der Helena töten will und später von Venus davon abgehalten wird) und VI 501 quis 20 Siehe oben zu 594 iusti. 21 Vgl. z.B. Luz (2002) 235: „Das Verfahren der jüdischen Führer wirkt zynisch [...]“. Ähnlich schon Hil. in Matth. 32,5 (SC 258, 244,8 Doignon) professio audax atque caeca est. 22 Iuvencus bildet häufiger spondiaci als seine Vorbilder, aber noch immer selten (3,5% vs. 2% bei Vergil, vgl. Longpré 133). 23 Vgl. Knappitsch ad loc. 24 Vgl. OLD s.v. 2. 25 Vgl. auch Knappitsch ad loc. 26 Vgl. ThLL V 1559,46–53 (Klepl 1941) und 1560,44–53. 27 Vgl. Knappitsch ad loc. 28 Vgl. Comp. 14 ἄχαρι δὲ καὶ ἀηδὲς τὸ σ καὶ πλεονάσαν σφόδρα λυπεῖ· θηριώδους γὰρ καὶ ἀλόγου μᾶλλον ἢ λογικῆς ἐφάπτεσθαι δοκεῖ φωνῆς ὁ συριγμός. 29 Siehe auch Austin (1955) zu Aen. IV 305f.

IV 626–641

101

tam crudelis optavit sumere poenas (Aeneas trifft in der Unterwelt auf den grausam zugerichteten Deiphobus). Da die Verse II 567–588 in der Antike bisweilen ausgelassen wurden, 30 Iuvencus also möglicherweise gar nicht bekannt waren, kommt VI 501 eher als Parallelstelle in Frage. Sumere poenas ginge also über das schlichte „bestrafen“ hinaus, evoziert möglicherweise sogar den verstümmelten Deiphobus, um auf die Hässlichkeit (siehe auch zu 631 informem) der Todesart hinzuweisen. Da Deiphobus in der Aeneis ein positiv besetzter Charakter ist (Donat weist auf seine Stärke hin und interpretiert die oben zitierte Frage als ungläubig – wer könnte einen solchen Mann überwunden haben?),31 mag Judas auch als Kontrast zu ihm stehen. informem: Der Tod wird als informis bezeichnet, um sowohl die grausige Szene als auch den durch den unnatürlichen Tod entstellten Körper des Judas zu beschreiben.32 Siehe auch oben zu 628 infelix. Diese Verwendung von informis beim Tod durch Erhängen ist vergilisch.33 Vgl. Aen. XII 603 et nodum informis leti trabe nectit ab alta. Amata tötet sich aus Verzweiflung über den scheinbaren Tod des Turnus, so wie Judas sich aus Verzweiflung über seine eigene Tat tötet. Der Suizid durch den Strang34 wurde besonders negativ gewertet, vgl. Serv. Aen. XII 603 sane sciendum quia cautum fuerat in pontificalibus libris, ut qui laqueo vitam finisset, insepultus abiceretur: unde bene ait ‚informis leti‘, quasi mortis infamissimae. 35 Zudem ist Amata wie Judas von furor gezeichnet, vgl. Verg. Aen. XII 610 multaque per maestum demens effata furorem. Zur Wertung des Selbstmordes aus christlicher Sicht, exem30 Vgl. Claud. Don. Aen. II 567f app. versus 567–588 silentio praeteriit und Serv. Aen. II 566– 588 Ignibus aegra dedere [II 566] post hunc versum hi versus fuerunt, qui a Tucca et Vario obliti sunt: iamque adeo super unus eram [II 577 ...] furiata mente ferebar [II 588]. Austin (1964) 217–219 zeigt ausführlich und überzeugend, warum die Verse als vergilisch zu betrachten sind. Siehe auch dort für eine ausführliche Bibliographie. Nichtsdestoweniger fehlen die Verse in den alten Handschriften M, P und R (in letzterer aus Buch II nur 1–72), so dass man, gleich ob sie vergilisch sind oder nicht, nicht sicher annehmen darf, dass Iuvencus die Verse kannte. 31 Vgl. Claud. Don. II 500 Deiphobe armipotens, [genus alto a sanguine Teucri]. Principia ista non tam interrogantis sunt, sed potius admirantis et dolentis, denique sequitur quis tam crudelis optavit sumere poenas? Cui tantum de te licuit? Cum te, inquit, in vita sciam fuisse in armis potentem et praestantem genere atque inter Troianos fortissimum, primum miror quis iste sit qui te extitit fortior tantamque exercendarum poenarum habuit potestatem. [...] Admiratio ipsa multiformis fuit: primo cogitari potuisse tot adversa vel talia, cum vir fortis sibi potuisset adsistere, dehinc ausus inpleri, tertio usque ad totius corporis supplicia perveniri. 32 Vgl. Donnini (1973) 59: „Triste è questa mors che l’aggettivo informis ci fa vedere nel suo squallore, additandoci il corpo di Giuda ormai senza un volto, brutalmente trasfigurato, tutt’uno con quel fico anch’esso infruttifero come fu Giuda.“ 33 Vgl. Widmann 61 und Arevalo, ad loc. 34 Siehe auch Luz (2002) 236f zur Bewertung des Suizids. Mag dieser auch anführen, dass in der Unterschicht der Selbstmord durch den Strang häufig war und daher das Begräbnisverbot nicht durchgehalten wurde, will Iuvencus hier gewiss keine Aussage über die Realität treffen, sondern das vergilische Motiv der Schande übernehmen. 35 Weitere Beispiele finden sich bei Conington–Nettleship ad loc.

102

Der Selbstmord des Judas

plarisch bei Augustinus, s.u. Anmerkung 143. Verschiedentlich wurde viel Wert auf die extreme Hässlichkeit des Todes des Judas bzw. seiner gesamten Person gelegt, siehe dazu Meiser 117–121. ficus de vertice: Häufig steht vertice im klassischen Epos an vorletzter Stelle im Vers. Die Erwähnung des Baumes ist nicht nötig, führt aber die Nennung des Stricks im vorherigen Vers zum Ziel. Die Überlieferung, Judas habe sein Ende an einem Feigenbaum gefunden, scheint auf Iuvencus zurückzugehen. 36 Woher die Tradition stammt, ist nicht sicher zu zeigen; Colombi gibt mit Recht zu bedenken, dass es sich dabei auch um eine Volksüberlieferung („legenda popolare“37) handeln könnte. Sie nennt außerdem einige negative Konnotationen des Feigenbaums 38, die, neben dem Bezug zwischen Feige und Sühne, 39 zur Wahl dieses Baumes geführt haben könnten. Einen direkten Einfluss solcher Ansichten auf Iuvencus kann man aber nicht nachweisen. Inhaltlich recht wahrscheinlich, aber innerhalb der Evangeliorum Libri Quattuor sprachlich nicht zu zeigen,40 ist ein direkter Bezug zu Mt 21,18–22, wo Jesus den Feigenbaum, der keine Frucht trägt, verflucht. Die Wahl des Verbs rapuit legt einen Bezug zum (gewaltsamen) Pflükken einer Frucht nahe. Diese Frucht aber, vom darüber hinaus negativ besetzten (neben Mt 21,18–22 auch Lk 13,6–9) Feigenbaum gerissen, ist der Tod.41 Zwar ist ein solcher Baum kaum geeignet, sich daran zu erhängen, diese Konnotation aber ist Iuvencus offenbar wichtiger als reiner Realismus. Der Feigenbaum wird weiter häufig als jüdisches Volk, das Jesus nicht akzeptiert und daher nicht mehr zum Heil gelangen kann, interpretiert.42 Dass Iuvencus diese Konnotation im Sinn hatte und Judas so als Zeichen für das jüdische Volk darstellen wollte, ist nicht sicher zu zeigen. Die Flexionsformen von ficus waren bisweilen umstritten, hier ist ficus eindeutig Genitiv. 43 36 Vgl. Reichmann 678: „Der Baum, an dem sich nach Mt. 27,5 Judas erhängte, soll ein F.baum gewesen sein. So zuerst Iuvencus [...].“ Knappitsch lässt auch die Möglichkeit offen, Iuvencus habe „solummodo poetarum more speciem pro genere scripsisse.“ 37 Colombi (1997a) 32. 38 Vgl. ibid.: „non soltanto nel Vangelo è l’albero che viene maledetto da Gesù, ma già nell’antichità classica era considerato, in quanto albero selvatico, simbolo del φαρμακός, uomo ‚maledetto‘ vivente ai margini della civiltà.“ 39 Vgl. auch Reichmann 655. 40 Auch Deerberg 224 kann bei seiner Analyse der korrespondierenden Seduliusstelle nicht mehr beitragen. Die Frage nach der Quelle des Iuvencus hier ist also nicht beantwortbar. 41 Iuvencus’ eigene Adaption von Mt 21,18–21 (III 653–673) ist für die Stelle hier wenig ergiebig. Die Jünger wundern sich zwar III 661 über celerem ... mortem des Feigenbaums, ein Bezug zum Tod des Judas ist aber nicht sicher zu zeigen. 42 Siehe M. Reiser, Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift, Tübingen 2007 (WUNT 217) und Augustine, Confessions, Text and Commentary by J. O’Donnell, Bd. III zu VIII 12. Vgl. für die moderne Exegese J.D.M. Derrett, Figtrees in the New Testament, in: Ders., Studies in the New Testament, Bd. II, Leiden 1978, 148–164, Gnilka (1988) 212f, Luz (1997) 198–202 (mit Verweisen auf die Exegese der Alten Kirche) und zuletzt Fiedler 327, der dieser Auslegung sehr skeptisch gegenübersteht. 43 Daher treibt Martial sein Spiel mit dem Wort. Siehe zur Diskussion, ob es ficus, -i oder ficus, -ūs heißen müsse, M. Friedländer, Valerii Martialis Epigrammaton Libri, Leipzig 1886

IV 626–641

103

rapuit ... mortem: Das starke Verb rapuit illustriert den gewaltsamen Tod. Das bekannte mors rapuit aliquem44 wird dabei umgekehrt. Der Kauf des Blutackers (IV 632–636) Mt 27, 6–8: 6 Tunc principes sacerdotum acceptis argenteis dixerunt: „Non licet mittere eos in loculum, quia pretium sanguinis est.“

7 Consilio autem accepto inter se emerunt agrum figuli in sepulturam peregrinorum. 8 Propter hoc vocatus est ager ille Acheldemach, quod est ager sanguinis, usque in hodiernum diem.

Iuvenc. IV 632–636: 632 Inde sacerdotes, pretium quod sanguinis esset, 633 illicitum fantes adytis concedere templi,

634 – quod dare tum licitum, cum sanguis distraheretur, 635 credebant, – agrum mercati nomine vero 636 sanguinis, horrendo signant scelera impia facto.

633 licuit K1 K2 T1

quod ... esset: Die wörtliche Rede der (Hohe–)Priester ist zu einem Kausalsatz umgebaut, dessen subjektive Färbung durch den Konjunktiv erkennbar wird. Zur Umsetzung wörtlicher Reden siehe unten S. 319. Den Rang der sacerdotes vernachlässigt Iuvencus, es gibt den Hohenpriester bei ihm nur im Singular (II 378 und IV 549). Zur Konjunktion quod mit Konjunktiv bei Iuvencus siehe allgemein oben zu 579 quod. Hatfield45 hält den Konjunktiv nach quod bei Iuvencus für üblich, Kühner-Stegmann bei „Späteren“ ebenfalls, 46 dennoch lässt sich eine Färbung hier gut erklären. adytis ... templi: Romanisierung. Adytum bezeichnet ein (für manche) geschlossenes Tempelinneres, 47 im römischen Kontext also auch den Teil, der zur Geldaufbewahrung diente. In der Itala finden sich neben loculum zahlreiche Varianten von corban,48 das für die Leser des Iuvencus gewiss unverständlich gewesen wäre – welche Lesart Iuvencus vorlag, kann man also nicht entscheiden. Dabei ist schon das hebräische ‫ קרבן‬keine korrekte Bezeichnung für „Tem-

44 45 46 47 48

(Nachdr. Amsterdam 1964), 206f und die dortigen Verweise zu Charis. GLK I 95 und 128, Prob. Cathol. GLK IV 20 und Prisc. GLK II 261, zwischen denen keine Einigkeit hergestellt werden kann. Vgl. OLD s.v. 5. Vgl. Hatfield 25f. Vgl. Kühner-Stegmann II 384 Anm. 3 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 577f. Vgl. P. Stengel, Art. Adyton, in: RE 1 (1893) 441 und Herzog R., Art. Abaton, RAC 1 (1950) 8f. Corbam a d h r1 : corban aur f g1 q : corbanan l vg : corbanam ff1.

104

Der Selbstmord des Judas

pelschatz“, sondern meint eigentlich das Tempelopfer. Als „Tempelschatz“ ist κορβανᾶς aber bei Jos. Bell. 2, 17549 belegt. Die Vokabel adytum benutzt Iuvencus noch vier Mal, dabei zwei Mal für das Tempelinnere (wie schon andere zuvor)50 und zwei Mal metaphorisch (II 760 für die Kenntnis vom Reich Gottes, IV 77 für die menschliche Seele, adytis mentis).51 Episch kommt adytum regelmäßig vor (32 Belege). Iuvencus gebraucht also episches Vokabular ohne besondere Rücksicht auf Tempelarchitektur.

quod dare ... credebant: Dieser von Iuvencus hinzugefügte Vers mag seine Auseinandersetzung mit Mt 27,3c–4 sein, die er oben ausgelassen hatte. Die Wertung des Dichters ist sarkastisch und steht in direktem Gegensatz zur Begründung quod ... esset der Hohenpriester in 632f, sprachlich durch inlicitum – licitum gegeneinander abgesetzt. Die Auslassung von Mt 27,3c–4 und die Einfügung des vorliegenden Verses dienen entscheidend der Kürze der Handlung und machen diese prägnanter und eindringlicher. So würdigt Iuvencus die Hohenpriester zudem keiner wörtlichen Rede; siehe dazu unten S. 319. Stattdessen ist es für ihn sinnvoller, die Paradoxie der Argumentation Letzterer direkt aufzuzeigen – warum sollte es verboten sein, Blutgeld in den Tempelschatz zu geben, wenn es doch erlaubt ist, es aus diesem zu nehmen? Auch kommt damit die Schuldfrage neu zur Sprache: Durch das Fehlen des ausdrücklichen Bekenntnisses des Judas (peccavi, quod tradiderim sanguinem iustum) und die Hinzufügung des vorliegenden Verses stellt sich Iuvencus in die Reihe derer, die den Hohenpriestern eine größere oder mindestens ebensogroße Schuld zuweisen wie dem Judas. Unberührt davon bleibt der mögliche Antijudaismus, den man angesichts des Vorwurfs der Doppelmoral erkennen mag – ob nun der Jude Judas oder die jüdischen Hohenpriester angegriffen werden, ist für diese Frage kaum relevant; siehe zur Behandlung der Schuldfrage in der Exegese unten S. 121 und 322–340. licitum: Licitum nimmt illicitum wieder auf. 52 Durch diesen direkten Gegensatz wird die Schwäche der Argumentation der Hohenpriester besonders deutlich. Syntaktisch ist licitum nötig, da sonst von credebat nichts abhinge. Die Lesart licuit ist also zu verwerfen. Knappitsch verweist zudem auf das Homoioteleuton tum – licitum – cum.53

sanguis distraheretur: Distrahere kann nicht nur „entnehmen“ meinen – dann müsste sanguis verkürzt für das Blutgeld stehen –, sondern auch „bezahlen“, so III 515f omnia, quae proprio retines solus dominatu, / distrahe et ad miseros confer securus egentes. 54 Zunächst ist es in ersterer Bedeutung zu verstehen, so dass der Gegensatz zwischen concedere / dare – distraheretur deutlich bleibt; der Dichter mag aber auch letztere Bedeutung als Konnotat im Sinn gehabt haben, um den frevelhaften Kauf des Verrates erneut zu thematisieren.

49 Vgl. Luz (2002) 239 Anm. 69. 50 I 10 und 570. Vgl. Kievits zu I 10 mit einigen Parallelen. 51 Ein metaphorischer Gebrauch von adytum ist bei Colum. I pr. 30, Latiae musae non solos adytis suis Accium et Vergilium recepere, nachzuweisen. Vgl. OLD s.v. und ThLL I 902,56– 76 (1902). 52 Siehe auch oben zu 634 quod dare ... credebant. 53 Vgl. Knappitsch ad loc. 54 Vgl. OLD s.v. mit Verweis auf Suet. Cal. 39 und App. M. 7.

IV 626–641

105

Zu distrahere in der Bedeutung „verkaufen“, noch dazu im Zusammenhang mit Judas, siehe Dracont. Laud. Dei II 520 sanguine distracti maculatur venditor emptor55, wo der Dichter auch die kaufmännischen Begriffe venditor und emptor in Hinsicht auf Erwerb und Verderb des Heils gebraucht.

agrum mercati nomine vero sanguinis: Es handelt sich um eine denkbar kurze Wiedergabe von Mt 27,7. Die Herkunft und der Zweck des Ackers sind Iuvencus offenbar gleich, da er die Informationen figuli und in sepulturam peregrinorum schlicht auslässt.56 Einzig der Name des Ackers, „Blutacker“, wird thematisiert. Auf Erwähnung des Ortsnamens ‫ הקל דמא‬verzichtet Iuvencus. Die Aitiologie des Namens, der möglicherweise den Lesern des Mt bekannt war,57 ist für den Dichter ohne Bedeutung. Die Beziehung zwischen dem Acker, Blut und damit der „Haupthandlung“ wird auch ohne eine solche explizite Nennung und durch die Sperrung von agrum ... sanguinis deutlich.

horrendo signant scelera impia facto: Sowohl horrendum factum als auch scelus impium sind Iuvencus’ eigene Junkturen. Scelera impia meint sowohl die Tat des Judas als auch die der Hohenpriester. Iuvencus gebraucht sonst in der Passion den Plural scelera nur von den Taten der mit Jesus hingerichteten latrones (686), der Verrat wird stets als scelus bezeichnet (427 und 627, siehe zum Gebrauch der Vokabel weiter unten S. 322–340, zur Frage nach Singular und Plural oben zu 595 sceleris facundia und unten zu 643 sceleri ludibria). Schon III 42 und III 61 hatte Iuvencus scelera impia für die Tötung des Johannes an gleicher Stelle im Vers gebraucht. Horrendo facto muss zu signant gehören: Durch ihre Tat besiegeln, gewissermaßen „unterschreiben“ die Hohenpriester ihre Verbrechen. Die Konstruktion mit mercati als Participium Coniunctum und signant als Hauptverb kehrt die Argumentation der Vorlage um. Während dort der Acker wegen der gesamten Geschehnisse den Namen „Blutacker“ trägt, sind die Hohenpriester bei Iuvencus noch immer Subjekt (an Stelle des abstrakteren vocatus est bei Mt 27,8) und machen ihre Mitschuld durch den Kauf des Ackers zusätzlich offenbar. Die Hinzufügung horrendo facto unterstützt dies durch die oben erklärte Konstruktion. Mit horrendo facto kann also nur eine Handlung der Hohenpriester gemeint sein, sei es exklusiv der Kauf des Ackers oder eher die gesamte Frage nach dem Recht, Blutgeld in den Tempelschatz zu geben und, daraus resultierend, dem Kauf des Ackers. Siehe zu diesen Interpretationen in der Exegese der Alten Kirche unten S. 121. Insgesamt bewirkt Iuvencus eine Schwerpunktverschiebung von der Diskussion um den Tempelschatz hin zu deutlicheren Wertungen über die Schuldverstrickung der Hohenpriester. Die neue Aitiologie ist ein wichtiger Bestandteil dessen. 55 Durch das Blut dessen, der verkauft wurde, werden Käufer und Verkäufer beschmutzt. 56 Die Erklärungen des Ursprungs und des Zwecks des Ackers, die die Kirchenväterexegese bietet (siehe unten S. 123), wirken auf moderne Leser äußerst konstruiert und wären auch für Iuvencus gerade angesichts seiner Texttreue nur schwer einzuflechten gewesen. 57 In der Bibelwissenschaft herrscht keine Einigkeit, welcher Ort gemeint ist und wie es sich mit dessen Bekanntheitsgrad verhält. Vgl. beispielsweise Frankemölle 474 und Wiefel 469, die einen Ort aus Jer 19,6–9 erkennen wollen, dagegen Schnackenburg (1987) 273 und Gnilka (1988) 447–450.

106

Der Selbstmord des Judas

Der Prophetenspruch (IV 637–641) Mt 27, 9f: 9 Tunc impletum est, quod dictum est per prophetam dicentem: Et acceperunt triginta argenteos pretium adpretiati, quem58 adpretiaverunt a filiis Istrahel. 10 Et dederunt eos in agrum figuli, sicut constituit mihi Dominus.

Iuvenc. IV 637–641: 637 Haec quondam cooperta canens vox vera prophetae 638 eventum rerum patefecit in ordine saecli: 639 „argenti triginta minas posuere profani 640 hoc pretium pretiosi corporis instituentes, 641 quod mox ad figuli rursus transfertur agellum.“

9 quem adpretiaverunt a aur d ff1 l vg : quod adpretiaverant h : quod adpretiaverunt rell.

quondam cooperta canens vox vera: Knappitsch bemerkt die beiden Alliterationen, die die Wertungen cooperta und vera an canens und vox binden. 59 Iuvencus gibt alttestamentliche Prophezeiungen, die bei Matthäus recht häufig sind, in der Regel wieder.60 Die amplificationes dienen der Deutlichkeit der Szene selbst – durch das im Neuen Testament Geschilderte wird das Alte Testament erst verständlich. 61 prophetae: Die Identität des Propheten wird von Iuvencus nicht thematisiert, ist aber auch aus der Vorlage nicht eindeutig zu erkennen, zumal das vorliegende Zitat bei Jesaja und Jeremia, die von einigen Codices genannt werden, nicht zu finden ist. Die seit der Alten Kirche immer wieder vermutete und inzwischen zur communis opinio gewordene These einer Abhängigkeit von Sach 11,11–13 kannte Iuvencus entweder nicht oder, was wahrscheinlicher ist, ignorierte er.62 Die von Knappitsch63 und Arevalo64 geführte Diskussion, ob Iuvencus eine Vorlage hatte, die keinen Namen nannte, oder ob er den Namen ausließ, bleibt ohne sicheres Ergebnis. Selbst wenn Iuvencus ein Name vorlag, könnte er diesen ausgelassen haben, da er dem Leser nicht viel bedeuten würde oder da er nicht im Gegensatz zu Matthäus falsch zitieren wollte. Iuvencus nennt Jesaja 58 Hier lese ich quem statt quod wie Jülicher/Matzkow. Siehe dazu unten zu 640 hoc pretium ... instituentes. 59 Vgl. Knappitsch ad loc. 60 Vgl. Green (2006) 109f und Roberts (1985) 136, v.a. Anm. 76. 61 Eine für die Zeit des Iuvencus völlig gewöhnliche und erst in modernster Zeit (teilweise) aufgegebene These. Siehe zu Iuvencus’ Umgang mit Prophezeiungen weiter Anm. 60. 62 Die Codices a und b nennen keinen Namen, l Jesaja, die übrigen Jeremia in verschiedenen Schreibweisen. Schon seit der Exegese der Alten Kirche ist umstritten, ob es sich um apokryphe Teile aus Jeremia oder Jesaja handelt oder eine Verwechslung mit Sacharja vorliegt, vgl. beispielsweise Orig. Ser. 117 (GCS 38, 249,16–250,12 Klostermann/Benz) und Hier. in Matth. 27,9f (CCL 77, 264,1521–265,1531 Hurst/Adriaen). Die moderne Bibelwissenschaft verweist zumeist auf Sach 11,11–13, da die Tendenz, das Evangelium unbedingt zu verteidigen, schwächer geworden ist. Siehe besonders detailliert Frankemölle 473–478. 63 Vgl. Knappitsch ad loc. 64 Vgl. Arevalo ad loc.

IV 626–641

107

nur drei, Jeremia nur zwei Mal. Wichtiger als die Identität der Propheten war für Iuvencus und vor allem seine Leser also, dass die Geschehnisse um Jesus von Gott durch das Alte Testament vorbestimmt und vorangekündigt waren. Die „Entjudaisierung“ an dieser Stelle hatte schon Widmann gesehen.65 Siehe zum Umgang mit Bezügen zum Alten Testament weiter oben Anm. 60.

in ordine saecli: Den Ausdruck ordo saecli oder saeclorum gebraucht Iuvencus öfter,66 auch bei Prophezeiungen.67 Fichtner68 und Green69 machen plausibel, dass es sich um einen Gegenbegriff zu Vergils ordo saeclorum bzw. fatorum (aus Aen. V 707 vel quae fatorum posceret ordo und der für die christliche Exegese wichtigen Ecl. 4,5 magnus ab integro saeclorum nascitur ordo)70 handelt, gewissermaßen also um einen Ausdruck für die Heilsökonomie. „Der hinter fata oder Weltenplan stehende Gedanke bleibt auch in den Evangeliorum Libri, nunmehr ‚christianisiert‘, erhalten.“71 argenti triginta minas: Dreißig Silberminen scheinen ein unglaublicher Preis zu sein, der deutlich über den dreißig argentei der Vorlage liegt.72 Diesen Preis hatten die Hohenpriester schon 426f Illi continuo statuunt ter dena argenti / pondera73 mit Judas ausgemacht. Eine Aussage über den tatsächlichen Wert dieses Betrages zu machen, ist indes auf Grund der schlechten Beleglage im Westen des Reiches und der Entwertung des Silbergeldes durch die Währungsreform von 301

65 Vgl. Widmann 33. 66 Vgl Green (2006) 69f. 67 Vgl. II 825f veteris quo possent dicta profetae / ordine saeclorum iussis concurrere rebus und I 412: ut dictum Esaiae concurreret ordine saecli. Für saecli liest Huemer in letzterem Fall longo, das in Codex C überliefert ist. Alle anderen Editoren und Kommentatoren bevorzugen m.E. zu Recht saecli, das formelhaft gebraucht ist. 68 Vgl. Fichtner 52f. 69 Vgl. Green 69–71. Green zeigt, dass Christus den Aeneas und der göttliche Heilsplan das fatum übertrifft („transcends“). 70 Vgl. auch das „Binnenpröom“ Aen. VII 44 maior rerum mihi nascitur ordo. 71 Fichtner 53. 72 Arevalo ad loc. schlüsselt die Einheit mina in „60 siclos sive argenteos“ auf, erklärt aber nicht, warum Iuvencus von einem größeren Wert berichtet als seine Vorlage. 73 Arevalo und Knappitsch (jeweils zu IV 426 und IV 639) bemühen sich, die beiden Angaben ter dena argenti pondera und argenti triginta minas zusammenzubringen (vgl. Knappitsch zu IV 639: „Iuvencus h.l. aliam nummum speciem pro alia posuit. Cf. 426: ter dena argenti pondera [...]. In hoc versu autem genus pro specie positum est“). Da mina keineswegs eine Münze bezeichnet, sondern sowohl als Rechen– als auch als Gewichtseinheit gebraucht werden kann (vgl. OLD s.v., ThLL VIII 990,63–991,77 (1954) und Chantraine, H., Art. Mna, in: DNP 3 (1969) 1368f), meinen pondera in IV 427 und minas in IV 639 dasselbe. Roberts (1985, 136) weist im Wesentlichen zu Recht auf die Sorgfalt hin, mit der der Dichter Prophezeiungen behandelt, siehe dazu weiter unten S. 330–348. Eine Differenz zwischen der gezahlten Summe und der prophezeiten musste er also vermeiden. Die Lesart minarum, die im Codex Matr. in Vers IV 426 für argenti überliefert ist, ist daher als erklärender Genitiv zu verstehen. Der Schreiber vermied so sowohl den versus spondiacus (siehe dazu Longpré 133 und oben zu 629 proiecit templo ... argentum), der durch dena argenti entstünde, als auch machte er das ungenaue pondera klar. Da aber argenti pondera nichts anderes bedeutet als das übliche argenti mina, ist diese Lesart zu bevorzugen. Zum in Codex C überlieferten und metrisch unpassenden argenti ter dena promittunt siehe Knappitsch ad loc.

108

Der Selbstmord des Judas

fast unmöglich, 74 so dass auch nicht klar gesagt werden kann, ob Iuvencus 30 Silberlinge für einen sehr geringen Wert hielt, angesichts dessen das Handeln des Judas unverständlich ist. So argumentieren Gregor von Nazianz und Leo der Große.75 Es muss also offen bleiben, ob Iuvencus die Aussage seiner Vorlage nur in seine Zeit übersetzt,76 oder ob er eine eigene Aussage damit verbinden wollte. Siehe auch unten zu pretiosi corporis. posuere profani: Hier muss es sich um die Hohenpriester handeln, 77 die den Preis für Jesus festgesetzt (und bezahlt) haben, denn angenommen (acceperunt in der Vorlage) haben sie das Geld ja nicht. Daraus erklärt sich auch die unpersönliche Wendung transfertur in Vers 641. Durch profani und die Umkehrung vom accipere zum ponere wird die Schuld der Hohenpriester erneut betont. Nicht, dass sie das Geld nahmen, um einen Acker zu kaufen, sondern dass sie es Judas gaben, ist entscheidend. Poinsotte78 hat auf II 161 hingewiesen, wo Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt: et superincrepitans: „Procul haec auferte profani.“ Profani ist bei Iuvencus Standwort, es steht stets am Hexameterende (außer hier und II 161 auch IV 56279 und II 628 profana). Die Vokabel findet sich bei Vergil lediglich zwei Mal, dabei in der vorliegenden Form nur an prominenter Stelle, nämlich VI 258 procul, o, procul este profani und XII 777–779 „Faune precor miserere“, inquit [sc. Turnus], „tuque optima ferrum / Terra tene, colui vestros si semper honores, / quos contra Aeneadae bello fecere profanos.“ An ersterer Stelle vertreibt Sibylle alle, die es nicht wert sind, in die Unterwelt hinabzusteigen. Über die bloße Wortbedeutung hinaus gehören hier also die Hohenpriester zu denjenigen, die am göttlichen Heilsplan (sei es bezüglich Aeneas’ oder Christus’ Sendung) keinen Anteil haben (auch Poinsotte hatte diese Verbindung gesehen, allerdings schon bei II 161). Interessant ist auch Aen. XII 777–779. Dort wird Aeneas als der beschrieben, der ein Heiligtum entweiht hat. Einige Verse später kommt ihm jedoch Venus zu Hilfe und löst den Speer, den Faunus, wie Turnus ihn gebeten hatte, festhielt. Zwar ist wegen der Form im Nominativ Plural die oben angegebene Vergleichsstelle besser geeignet, dennoch ist auch die Lästerlichkeit der Handlung ein mög74 Zwar gibt es v.a. durch Papyri für Ägypten (s. z.B. R.S. Bagnall, Fourth–Century Prices: New Evidence and Further Thoughts, ZPE 76 (1989) 69–76) einige Quellen, doch für Hispanien ist nichts überliefert. In Ägypten wären nach Bagnall (gestützt auf P. Oxy LIV 3773, P. Köln V 232 und P. Nepheros 33, vgl. Bagnall 72f) im vierten Jahrhundert 30 Silberminen eine Menge, die zum Kauf von 60 Sklaven genügen würde. Siehe für allgemeinere Aussagen W. Szaviert / R. Wolters, Löhne – Preise – Werte. Quellen zur römischen Geldwirtschaft, Darmstadt 2005. Siehe zur Währungsreform auch M. Crawford, Art. Geld, in: DNP 4 (1998) 882f. 75 Vgl. Greg. Naz. Or. 36,5 (SC 318, 251,21–254,27 Gallay), Leo d. Gr. Tract. 67,4 und Meiser 114f mit weiteren Angaben. 76 Zu dieser Tendenz allgemein siehe Green (2006) 112–126. 77 Vgl. Knappitsch ad loc.: „qui sunt Iudaeorum principes.“ 78 Vgl. Poinsotte 155f. 79 Dort in den Worten des Hohenpriesters auf Jesus bezogen, was eine ironische Verkehrung ist – sowohl in der Aeneis als auch bei Iuvencus sind die profani die, die der göttlichen Sendung im Wege stehen. Das mag aus der Sicht der Hohenpriester auf Jesus zutreffen, aus der Sicht des Dichters und der Leser freilich nicht. Siehe zur Ironie weiter unten S. 167–178.

IV 626–641

109

licher Ansatzpunkt für Iuvencus: Durch die Verhaftung Jesu handeln die Hohenpriester direkt gegen Gott. hoc pretium ... instituentes: Den parallelismus membrorum der Vorlage, der für hebräische Poesie80 typisch ist, wandelt Iuvencus leicht ab;81 ponere entspricht nicht exaxt instituere, sondern ist eher als „bezahlen“ als als „festlegen“ zu verstehen. So sind die beiden Ausdrücke nicht parallel, sondern komplementär, wobei es sich um eine andere Form des parallelismus membrorum handelt. Dabei ist nicht die klassisch nicht belegte Vokabel appretiare,82 sondern ponere/instituere das Bindeglied. Gerade wegen der ungewöhnlichen Vokabel ist der Text der Vorlage schwer verständlich, was Iuvencus meint, ist allerdings eindeutig. Der griechische Text gibt ein wenig Aufschluss: καὶ ἔλαβον τὰ τριάκοντα ἀργύρια, τὴν τιμὴν τοῦ τετιμημένου, ὃν ἐτιμήσαντο ἀπὸ υἱῶν Ἰσραήλ [...]. Es gibt keine alternative Lesart zu ὅν, weshalb auch im lateinischen Text quem die bessere Lesart zu sein scheint. Diese ist zudem in der Handschrift d enthalten, die sonst die meisten Übereinstimmungen mit der an dieser Stelle verlorenen Afra, die Iuvencus nach einigen benutzt hat, zeigt. 83 Die Möglichkeit, durch die Nennung der filiis Istrahel die Anklage gegen die Hohenpriester auf alle Juden zu erweitern, lässt Iuvencus dabei aus und begnügt sich mit einer Wertung jener (profani). Siehe dazu weiter unten S. 322–340. Die Vokabel pretium bindet dabei die Prophezeiung an die Vereinbarung, die Judas mit den Hohenpriestern getroffen hatte. Auch 424 hatte Iuvencus pretium gebraucht.

pretium pretiosi corporis: Schon Knappitsch weist auf die annominatio und die Alliteration hin, 84 auch der Rhythmus von pretium pretiosi ist auffällig. Es gibt zwei Möglichkeiten, Iuvencus’ Bezeichnung pretiosum corpus, die über die Vorlage hinausgeht, zu deuten. Entweder will er den großen Preis erneut hervorheben, oder er stellt einen geringen Preis dem pretiosum corpus gegenüber. Dabei handelt es sich in beiden Fällen um eine doxologische Aussage über den Wert des Körpers Christi, der sich entweder im großen Geldwert widerspiegelt oder ironisch diesem gegenübergestellt wird. Eine sichere Entscheidung ist wegen unserer Unkenntnis des tatsächlichen Geldwerts nicht möglich; siehe oben zu 639 argenti triginta minas. Bemerkenswert ist ferner, dass der Dichter diese Aussage in seine Wiedergabe der Prophezeiung einfließen lässt und ihr so noch größere Dignität verleiht. Siehe zur Bedeutung der Vokabel corpus unten S. 208–217. figuli: Der Tatsache, dass es sich um den Acker eines Töpfers handelte, kann kaum eine Bedeutung zugewiesen werden, zumal Iuvencus sie nur in der Prophezeiung, nicht aber im Bericht wiedergibt. Zwar gibt es einige allegorische Interpretationen in der Alten Kirche,85 keine davon lässt sich allerdings hier schlüssig wiederfinden. Der Grund für die Wiedergabe durch Iuvencus muss also in dessen Treue zum Wortlaut von Prophezeiungen liegen.86 rursus: „Quia prius fuit pretium sanguinis, postea agri.“87 80 Z.B. Psalmen oder einzelne poetische Passagen, vgl. K. Seybold, Anmerkungen zum Parallelismus membrorum in der hebräischen Poesie, in: K. Seybold, Unterwegs zum Alten Testament. Exkursionen in die biblische Welt, Berlin 2010, 57–69. 81 Es lässt sich kaum eine Regelmäßigkeit in der Behandlung dieses Phänomens feststellen. Vgl. Widmann 36–38, Roberts (1985) 133–135. Keinesfalls will Iuvencus den Parallelismus als Hebraismus vermeiden, wie Campagnuolo 65 meint. 82 Vgl. ThLL II 308,58–73 (Vollmer 1901). Es finden sich einige Belege in der Bibel, wenige bei christlichen Schriftstellern. 83 Vgl. Orbán (1995) 349. 84 Vgl. Knappitsch ad loc. 85 Siehe unten S. 123. 86 Vgl. Anm. 60. 87 Vgl. Arevalo ad loc.

110

Der Selbstmord des Judas

transfertur: Siehe oben zu 639 posuere profani. Den Nachsatz sicut constituit mihi Dominus lässt Iuvencus in seiner Wiedergabe aus. Vox vera prophetae in Vers 637 ist deutlich genug, um die Vorherbestimmung der Ereignisse auszudrücken.88 VORBEMERKUNGEN ZUR EXEGESE Die Bibelwissenschaft hat allgemein folgende Aspekte herausgearbeitet, die Matthäus in der vorliegenden Szene wichtig waren: 1. Judas stellt Jesu Unschuld fest. 2. Die Hohenpriester übernehmen durch Annahme des Geldes die Schuld. 3. Das Handeln der Hohenpriester geschieht gemäß der Schrift, also gemäß dem Willen Gottes.89 4. Geldgier war das primäre Motiv des Judas.90 Der Judas des Iuvencus spricht nicht aus, dass er Jesus für unschuldig hält. Die oben herausgearbeiteten Veränderungen lassen aber ein recht genaues Urteil zu, wie Iuvencus das Verhalten des Judas erklärte. Judas gewinnt zunächst Einsicht darin, dass Geldgier die Wurzel seines Fehlverhaltens, seines Wahns, ist (627 accepto sceleris pretio ... furentem). Damit ist der Inhalt der paenitentia der biblischen Vorlage deutlicher erklärt. Von „Judasreue“ wird man nicht sprechen können, da er sich offenbar echte Vorwürfe macht – es gibt keinen Grund, an dieser Aufrichtigkeit zu zweifeln, auch wenn man nicht veris liest (s.o. zu 628 aegris). Der Dichter ist also interessierter an einer Psychologie des Judas als an der in der Vorlage so prominenten Aussage; Exegetisches steht hinter EindrücklichNarrativem zurück. Judas kann also nicht ausdrücklich exkulpiert werden, doch verzichtet Iuvencus nach der Beschreibung des Selbstmordes, dessen moralische und physische Hässlichkeit sich aus dem Akt selbst erklären lässt, darauf, wie z.B. Sedulius die dem Judas bevorstehenden Qualen zu beschreiben. Das Judasbild des Dichters, das bisher äußerst negativ zu sein schien, 91 soll unten im entsprechenden Kapitel, Seite 111, neu betrachtet werden. Die Wertung des Verhaltens der Hohenpriester drückt Iuvencus noch deutlicher aus, indem er Vers 634 hinzufügt. Die Paradoxie ihres ganzen Handelns zeigt sich darin, dass sie zwar Geld für eine Bluttat aus dem Tempelschatz nehmen, es aber nicht in diesen zurückgeben wollen. Das mag auch den Lesern des Matthäusevangeliums aufgefallen sein, wird von Iuvencus aber ausdrücklich gesagt. 88 Siehe zum Umgang mit Prophezeiungen oben Anm. 60. 89 Vgl. v.a. Frankemölle 474, auch Limbeck 291, Sand 548 und Luz (2002) 241. Diese alle kommen zu dem Ergebnis, dass es sich weniger um eine „Judasgeschichte“, sondern um „die Geschichte von den dreißig Silberstücken“ (Luz 241) handelt. 90 Vgl. Gnilka (1988) 380f: „Als Motiv für sein [sc. des Judas] Tun weiß Mt Habgier anzugeben. Indem er sich von der Jüngerschaft trennt, versucht Judas, aus diesem Schritt Geld zu machen.“ S. dazu auch Sand, 521 und Frankemölle 442. Erst im Johannesevangelium (12,6) sieht dagegen Fiedler 385 die Geldgier des Judas ausgedrückt. 91 Vgl. Green (2006) 21: „Judas, whom he so heavily condemns.“

IV 626–641

111

Auch der Prophetenspruch ist deutlich als Hinweis auf die Tat der Hohenpriester gestaltet. Daraus lässt sich kein pauschaler Antijudaismus lesen (siehe oben zu 640 hoc pretium ... institutentes und unten S. 322–340), sondern eine individuelle Antwort auf die Frage danach, wer welche Schuld am Tod Jesu trägt. Von den drei wesentlichen Aussagen der Vorlage ist also das ausdrückliche Bekenntnis des Judas umschrieben (transmutatio) und die Verantwortung der Hohenpriester durch die Hinzufügung von Vers 634 deutlicher gemacht (amplificatio). Dass die Hohenpriester gemäß der Schrift handeln, ist auch bei Iuvencus erkennbar, wobei der Dichter das Geld sowohl in der Prophezeiung als auch in seinem gesamten Umgang mit der Szene deutlicher in den Vordergrund stellt. Wie schon die Verleugnung des Petrus gestaltet Iuvencus auch den Selbstmord des Judas so, wie er den Text seiner Vorlage verstand. Er setzt dabei Schwerpunkte, die sich mit dramaturgischen und didaktischen Interessen erklären lassen. Etwas anderes als die Bibel will er gewiss nicht berichten. DAS JUDASBILD Allgemeines „Um das Judasbild des Iuvencus genau zu besprechen, müßten vor allem die Szenen ‚Judas verrät Jesus an die Oberpriester’ und ‚Judas’ Selbstmord‘ untersucht werden.“92 Fliegers Wertung seines eigenen kurzen Judasexkurses zeugt von dessen Vorläufigkeit. Er sammelt ferner die von Iuvencus dem Judas zugewiesenen Attribute, nämlich amens (422), miserabilis (440), fugiens (480), furens (514, 627), proditor (626) und infelix (628). Worin der furor des Judas bestand und wie man ihn verstehen kann, ist in dieser Szene als Geldgier erklärt (siehe zu 627 furentem); siehe weiter, auch mit Bezug auf alle Juden, unten S. 322–340. Die übrigen Attribute lassen erkennen, dass Judas „also wahnsinnig und rasend, infolge seiner Tat unglücklich und bemitleidenswert“93 ist. Fliegers detaillierte Untersuchung des Judaskusses lässt überraschenderweise nur wenige Aussagen über Judas zu. „Judas wird [...] mit dem Attribut furens versehen. Iuvencus beschreibt damit den Charakter des Judas, man wird ihn sich hier kaum wutschnaubend [was ohnehin nur eine einzelne der möglichen Nuancen von furor ist, MM] vorzustellen haben.“94 Furens ist also auch dort gewissermaßen Epitheton des Judas. Ferner ist die Volksmenge miserabile. „Das Attribut soll wohl besagen, daß die Menge deshalb bemitleidenswert ist, weil sie Christus ergreift (um ihn zu töten), also proleptisch. Aus dem gleichen Grund nennt Iuvencus 4, 440ff Judas miserabilis.“95 Damit ist erneut die Beziehung zwischen Judas und dem (verblendeten) Volk herausgestellt. Über die Wertung des Judas selbst ist dort jedoch nichts Neues zu 92 93 94 95

Flieger 124. Flieger 125. Ibid. 108. Ibid. 111.

112

Der Selbstmord des Judas

erfahren. Neben dem Selbstmord des Judas müssen also noch die Vereinbarung zwischen Judas und den Hohenpriestern und, über Fliegers Forderung hinaus, Teile des letzten Abendmahles untersucht werden. Dabei ist keine vollständige Kommentierung angestrebt, das Augenmerk soll auf Judas und dessen Taten sowie den Hohenpriestern und deren Taten liegen. Auch dort ist jeweils die Begründung für den Verrat deutlicher herausgestellt als in der Vorlage. Die Abmachung zwischen Judas und den Hohenpriestern (IV 422–427)

Mt 26, 14–16: 14 Tunc abiit unus de duodecim, qui dicitur Iudas Scarioth, ad principes sacerdotum. 15 Et ait illis: „Quid vultis mihi dare, et ego vobis eum tradam?“ At illi constituerunt ei triginta stateres. 16 Et exinde quaerebat opportunitatem, ut eum traderet eis.

Iuvenc. IV 422–427: 422 Tunc e discipulis unus se subtrahit amens 423 Iudas et ad proceres tali cum voce cucurrit: 424 „Quod pretium sperare datur, si prodere vobis 425 quaesitumque diu possim monstrare magistrum?“ 426 Illi continuo statuunt ter dena argenti 427 pondera; his Iudas sceleri se subdidit alto.

Dann machte sich von den Jüngern einer, der seinen Verstand verloren hatte, davon, (nämlich) Judas, und lief mit folgenden Worten zu den Oberen: „Welchen Preis gibt es zu erhoffen, wenn ich euch (meinen) Meister verraten und ihn, den lange gesuchten, zeigen könnte?“ Jene legten sofort dreißig Silbergewichte fest; dafür gab Judas sich dem schweren Verbrechen hin.

amens: Dieses Adjektiv gebraucht Iuvencus nur hier von Judas und IV 778 von den Juden (dort neben insanus und furor; siehe weiter dort). Es ist hier wie auch in der Aeneis, wo es 13 Mal belegt ist, nicht als „wutschnaubend“, 96 sondern als „außer Verstand“ zu verstehen. prodere: Stärker als tradere weist prodere programmatisch auf den Verräter Judas, der ja später 626 als proditor bezeichnet werden soll. quaesitumque diu ... continuo: Der Zusatz quaesitum diu dient der genaueren Begründung, warum die Hohenpriester überhaupt des Judas bedürfen. Auf das Angebot des Judas gehen die Hohenpriester, antithetisch zu diu, sofort, continuo, ein, wodurch ihr Eifer deutlich gemacht wird. Magistrum scheint zunächst ein „starre[s], dem Text aufgepfropfte[s] Andachtselement“97 zu sein, da die Bezeichnung Jesu als „Meister“ nicht recht in Judas’ Angebot, ihn zu verraten, passen will. Damit tut man Iuvencus aber Unrecht, da sich eine exegetische und eine literarische Erklärung anbieten. Entweder ist Judas’ Geldgier so stark, dass er selbst gegen den, den er als Meister erkannt hat, handelt, oder er verwendet magistrum ironisch, gewissermaßen für „den sogenannten Meister.“ Selbstverständlich er96 Flieger, 108, der diese Übersetzung ebenfalls ablehnt. 97 Deerberg 342.

IV 626–641

113

weist sich Jesus durch seine Lehren, spätestens durch seine Auferstehung als tatsächlicher Meister. Diese als „doppelte Ironie“ zu bezeichnende Technik wendet der Dichter besonders während der Kreuzigung häufig an; siehe dazu unten S. 169–174. his Iudas sceleri se subdidit alto: Das Ende der Szene ist deutlich anders gestaltet als in der Vorlage. Während Matthäus durch seine Überleitung 98 Spannung erzeugt,99 sagt Iuvencus in Vers 427 erneut, dass Judas das Verbrechen auf Grund des Geldes begeht.100 Zur Verwendung der Vokabel scelus siehe unten S. 322– 340. Der Schwerpunkt liegt also auf der Psychologie des Judas. Iuvencus amplifiziert seine Vorlage, indem er eine ausdrückliche Verknüpfung von Motiv (Geldgier) und Tat hinzufügt; siehe dazu oben zu 627 und zu 639 argenti triginta minas. Beim letzten Abendmahl (IV 434–445) Mt 26, 21b–25: 21 „Amen dico vobis, quod unus vestrum me traditurus est.“ 22 Et contristati nimis coeperunt singuli dicere: „Numquid ego sum, Domine?“ 23 At ipse respondens ait: „Qui intigit mecum manum in parapside, hic me tradet. 24 Filius quidem hominis vadit, sicut scriptum est de illo. Vae autem homini illi, per quem filius hominis traditur. Bonum erat homini illi non nasci.“ 25 Respondens autem Iudas, qui traditurus erat eum, dixit: „Numquid ego sum, Rabbi?“ Ait illi Iesus: „Tu dixisti.“

Iuvenc. IV 434–445: 434 „En urget tempus, Christum cum prodere morti 435 e vobis unus scelerato corde volutat.“ 436 Continuo cuncti quaerunt, quis talibus ausis 437 insano tantum cepisset corde venenum. 438 Ille dehinc: „Epulis mecum nunc vescitur,“ inquit.

439 Sed suboles hominis quondam praescripta subibit 440 supplicia ad tempus. Miserabilis ille per aevum 441 qui iustum dedet; quanto felicior esset 442 si numquam terris tetigisset lumina vitae.“ 443 Et Iudas graviter tum conscia pectora pressus, 444 „Numquid,“ ait, „Iudam talis suspicio tangit?“ 445 Respondit Dominus: „Te talia dicere cerno.“ 442 limina C1 R Knappitsch Arevalo

98 Vgl. Gnilka (1988) 391: „Die abschließende Bemerkung hat überleitende Funktion.“ Gnilka bietet dort auch weitere Beispiele. 99 Vgl. Luz (2002) 71: „Die Leser/innen sind nun gespannt, wann dieser günstige Zeitpunkt sein wird, da Iudas und die Hohenpriester zuschlagen.“ 100 Vgl. Knappitsch ad loc.: „his = hac lege, hac conditione“ oder einfacher: „Für diesen Betrag.“ Siehe auch Poinsotte 223.

114

Der Selbstmord des Judas „Siehe, es steht die Zeit bevor, zu der einer von euch es in seinem verbrecherischen Herzen plant, Christus dem Tode zu überliefern.“ Sofort fragten alle, wer in sein wahnsinniges Herz solches Gift für eine derartige Kühnheit aufgenommen habe. Er sagte darauf: „Er nimmt gerade mit mir von der Speise. Aber der Menschensohn wird die einst vorherbestimmte Todesstrafe zur (rechten) Zeit auf sich nehmen. Elend jener auf ewig, der den Gerechten ausliefern wird! Wie viel glücklicher wäre er, wenn er niemals mit dem Licht des Lebens auf der Erde in Kontakt gekommen wäre!“ Und Judas, dann schwer in seinem schuldbewussten Herzen bedrängt, sprach: „Betrifft ein solcher Verdacht etwa Judas?“ Es antwortete der Herr: „Das erkenne ich Dich sagen.“

In dieser Szene fallen einige Hinzufügungen auf. Der Verräter handelt scelerato corde (435), seine Tat ist venenum und wird wiederum insano corde begangen (437). Christus bezeichnet ihn in der Folge als miserabilis (440), weil er den iustus verrät (441) und somit besser nie die lumina vitae (442) gesehen hätte, also besser nie geboren worden wäre. Wiederum als Folge davon ist Iudas graviter ... conscia pectora pressus (443). scelerato corde: Siehe zur wichtigen Vokabel scelus / sceleratus unten S. 322–340. Hier wird nicht nur auf die Beschreibung des Verrats als Verbrechen, sondern auch auf die Geldgier, die schon unmittelbar zuvor, 426f illi continuo statuunt ter dena argenti / pondera; his Iudas sceleri se subdidit alto, als Motiv für dieses Verbrechen galt, rekurriert. Der Versschluss corde volutat findet sich in der Aeneis drei Mal, ferner zwei Mal in der Vergilnachfolge Sil. VIII 177 und XII 556. Vergil gebraucht die Wendung von Juno, die gegen Aeneas Pläne ausheckt (I 50 talia flammato secum dea corde volutans), von Dido, die über ihr Schicksal sinniert,101 (IV 533 sic adeo insistit secumque ita corde volutat) und von Aeneas, der noch (allein) über den Tod des Misenus trauert (VI 185 atque haec ipse suo tristi cum corde volutat). In den beiden letzteren Fällen sind die schwierige Lage der Protagonisten sowie ihre Isolation deutlich zum Ausdruck gebracht.102 Gleiches gilt hier für Judas. Darüber hinaus mögen sowohl die böse Absicht der Juno als auch die einsame Trauer des Aeneas als auch das Schicksal der Dido hier angedeutet sein.

talibus ausis: Mit dieser von ihm selbst geprägten Wendung 103 lässt Vergil Priamus die Ermordung der Troianer, die sich zu den Altären geflüchtet hatten, bezeichnen (Aen. II 535–537 „at tibi pro scelere“ exclamat „pro talibus ausis / di [...] / persolvant grates dignas“).104 Wie die Griechen (in der Aeneis an jener Stelle Pyrrhus) respektlos gegen die Götter handelten, so vergeht sich auch Judas an Gott. Auch Aen. XII 351f fällt auf: illum [sc. Eumedes] Tydides alio pro talibus ausis / adfecit pretio. Talibus ausis meint dabei den Versuch des Eumedes, den Wagen des Achill zu erbeuten. Claudius Donatus meint, dieser werde dann gelehrt spolia non quaerere fortioris.105 Jesus ist auch für den Verräter ein zu großes Ziel, 101 Von Serv. Aen. I 50 als propositum moriendi gedeutet. 102 Vgl. zu Dido Austin (1954) 159f und zu Aeneas Austin (1986) 96. Zu möglichen Enniusreminiszenzen in Aen. VI 185 siehe Norden 365–372. Auf I 50 und IV 533 wies schon Poinsotte 227 Anm. 879 hin. Zu weiteren verwandten Wendungen siehe Pease 441. 103 Vgl. Austin (1964) 206: „This use of ausum as a noun [...], invented by Virgil, spread to all later epic [...].“ 104 Vgl. Poinsotte 225 Anm. 865. Auch scelere ist in der Aeneis mit pro talibus ausis verbunden, siehe dazu unten S. 330–348. 105 Claud. Don. Aen. XII 351.

IV 626–641

115

das er nicht überwinden kann. Judas erhält wie Eumedes nicht den erhofften Lohn, sondern gerät in Verzweiflung und wird durch diese schließlich in den Tod getrieben. Vgl. weiter auch Sil. XII 697 (auf die karthagischen Angriffe in Spanien bezogen), Proba 252, Cypr. Gall. Iud. 599, Mar. Vict. Aleth. I 486. Auch Sedulius übernimmt diese Wendung, allerdings in unmissverständlich antijüdischer Bedeutung Carm. Pasch. V 351f Plange sacerdotes perituros, plange ministros / et populum, Iudaea, tuum pro talibus ausis.

insano ... corde: Mehr als nur eine bloße variatio von scelerato corde. Auch insanus gehört in die Reihe der Adjektive, die bei der Beschreibung des Teufels und der negativ gewerteten Gegner Jesu genutzt werden; Wahn ist hier das häufigste psychologische Erklärungsmuster. II 72 gebraucht Iuvencus insanum ... iuvenem für einen vom Dämon Besessenen, II 625 insana mente für die Gegner Christi. Diese sind, als sie nach dem Tod weiter gegen Jesus agitieren, manus amens insano penitus devota furori (IV 778f; siehe zur Häufung der Begriffe für Wahn zur Stelle), die Pharisäer sprechen loquellis insanis (IV 676f). Andere Belege für insanus gibt es bei Iuvencus nicht. Siehe zu Judas’ Wahnsinn weiter oben zu 627 furentem, 422 amens und unten S. 322–340. venenum: Venenum findet sich häufig im Zusammenhang mit dem Teufel oder Dämonen (I 386, 404, 547, II 719, III 369, anders nur II 634), und zwar entweder als Beschreibung von deren Wirken oder gleich als Vokabel für diese selbst.106 Dass der Satan Judas den Verrat eingegeben hat, berichtet Lk 22,3. Iuvencus rekurriert wie üblich nicht deutlich auf ein anderes Evangelium als seine Hauptvorlage, greift aber dieses Detail zur weiteren Psychologisierung bzw. Erklärung von Judas’ Handlungen auf. miserabilis: Insgesamt nur vier Mal bei Iuvencus, dabei auch von der Menge, die Jesus in Gethsemane gefangen nimmt (IV 516 quo facile ignotum caperet miserabile vulgus).107 Über die Vorlage (vae!) geht das Adjektiv indes nicht deutlich hinaus. per aevum: Diese zeitliche Dimension fügt Iuvencus durchaus im Einklang mit der exegetischen Tradition hinzu: Judas ist auf ewig verloren. iustum: Siehe zu dieser typischen Bezeichnung für Jesus, hier wiederum emphatisch zwischen miserabilis und dedet, oben zu 594 iusti. felicior: Iuvencus wiederholt infelix 628 kurz vor dem Ende des Judas. Durch diese Anspielung wird nahegelegt, dass Jesus selbstverständlich das Ende des Judas vorher wusste. lumina vitae: Courcelle108 wies darauf hin, dass Aen. IV 657 Felix, heu nimium felix, si litora tantum / numquam Dardaniae tetigissent nostra carinae hier nachgeahmt wurde. Es ist also der Zusammenhang felix, si numquam tetigissent gewahrt. Während es nun in der Aeneis aber noch die Griechen sind, die Verderben bringen, ist es hier der Verräter selbst. Die Wendung lumina vitae tangere ist ebenfalls bei Vergil (Aen VI 828f si lumina vitae / attigerint) belegt. Siehe weiter unten zu 734 e mortis ... tenebris ad lumina vitae.

106 Vgl. zu venenum im Epos sonst Flieger 105. 107 Vgl. Flieger 111. 108 Vgl. P. Courcelle, Lecteurs Païens et Lecteurs Chrétiens de l’Énéide, Bd. 1: Les Témoignages Littéraires, Paris 1984, 371, besonders Anm. 678.

116

Der Selbstmord des Judas

graviter tum conscia pectora pressus: Fast der gesamte Vers ist eine psychologische Erklärung an Stelle des schlichten, vorverweisenden qui traditurus erat eum. Dass Judas der Verräter ist, muss nicht noch einmal erwähnt werden, sein Geisteszustand dagegen ist Iuvencus wichtig. Conscia pectora wird vor Iuvencus nur von Ovid, Trist. III 9,15 conscia percussit meritorum pectora Colchis bei seiner Beschreibung der Medea verwendet. Wie diese kennt Judas seine Lage und Schuld, kann sich aber nicht von ihr lösen, 109 da der Lauf der Dinge vorherbestimmt ist. „Numquid,“ ait, ... „tangit“: Dass der Dichter Judas wörtlich sprechen lässt, statt auch seine Frage wie die der anderen Jünger indirekt wiederzugeben, rückt ihn, vor allem auch den Unterschied zwischen seiner Einstellung und der der übrigen Apostel, weiter in den Vordergrund.110 Während die anderen erbost auf Jesu Ankündigung reagieren, ist Judas besorgt um sich selbst. Siehe zur Signalwirkung wörtlicher Reden oben zu 571 tune etiam ... inquit. te talia dicere cerno: Der Vers scheint ambivalent. Will Jesus Judas’ Frage bejahen oder nur zurückweisen? In der Bibelwissenschaft herrscht angesichts von Mt 26,64 und Mt 27,11 Einigkeit,111 die Verse als Zustimmung zu verstehen. Auch bei Iuvencus wäre eine Zurückweisung eigentümlich, wissen doch sowohl der Leser als auch Jesus, was geschehen wird. Siehe weiter oben zu 593 vestris ... verbis. In der Abendmahlszene sind besonders viele psychologische Hinzufügungen auffällig, von denen einige den Judas in eine Reihe mit dem Teufel stellen. Auch auf die klassischen Vorbilder, auch hier vor allem Vergil, greift Iuvencus zurück, um die Tat des Judas und daraus folgend sein Schicksal zu beschreiben. 112 Es wird insgesamt deutlich, dass Iuvencus die Worte, mit denen er Judas beschreibt, sorgfältig auswählt. Alle Auftritte des Verräters sind genau miteinander verknüpft. Viele Überschneidungen in der negativen Darstellung gibt es mit den jüdischen Gegnern Jesu, mehr noch mit dem Teufel und seinen Dämonen. Es bleibt unten zu diskutieren, welche Quellen Iuvencus möglicherweise zu dieser engen Verknüpfung gebraucht hat. Inwiefern der Verräter als antisemitische Stereotype gebraucht ist, wird unten S. 322–340 thematisiert werden. „Judas ist [...] nicht von Natur aus und jederzeit schlecht, sondern er hat zu einem bestimmten Zeitpunkt aus freiem Willen eine schwere Sünde begangen. Das macht die Kirchenväter relativ immun gegenüber der Versuchung, in der Gestalt des Judas einfach alles Böse zu typisieren. Insbesondere bei Origenes ist Judas nicht der Erzbösewicht wie in der späteren christlichen Überlieferung, son109 Poinsotte 223 Anm. 859 sieht genau das als Merkmal des Judentums, das auch Nikodemus trifft: „qui sont comme rivés à leur ‚nature juive’, c’est de ne pouvoir évolver.“ Zwar ist die Frage, warum Judas trotz seiner Einsicht und seiner Gewissensbisse nicht vom Verrat Abstand nimmt, berechtigt, eine größere antijüdische Aussage zu sehen ist m.E. allerdings nicht gerechtfertigt. Siehe weiter unten S. 330–348. 110 Vgl. Poinsotte 221, bes. Anm. 850. 111 Vgl. Luz (2002) 90 und Sand 525. 112 Kirsch (1989) 102 meint, die Psychologie finde hier keine besondere Beachtung. Wie gezeigt wurde, ist das so nicht richtig.

IV 626–641

117

dern eher ‚ein Mensch der Halbwahrheiten.‘“113 Auf den ersten Blick scheint dieses Urteil für Iuvencus nicht zuzutreffen. Er arbeitet aber in der für ihn typischen Art neben der deutlichen Identifikation des Judas mit dem Teufel vor allem die psychologische Dimension im Verhalten des Verräters heraus. Sein Verhalten wird häufig erklärt, psychologisiert und damit menschlicher gemacht: er handelt amens, insano corde und trägt sogar conscia pectora. Besonders auffällig ist, dass der so häufig genannte furor des Judas kurz vor seinem Tod als von Geldgier verursacht erkannt und sogar durch die Rückgabe und Verfluchung des Geldes beinahe überwunden wird. Diese Ambivalenz hat, wie schon oben bei der Behandlung des Petrusbildes festgestellt, sowohl seit Vergil in der Tradition der Gattung liegende als auch katechetische Gründe. Durch die Psychologisierung – ganz entgegen dem Ziel des biblischen Berichts114 – der Untat des Judas gewinnt der Leser einen deutlicheren Einblick in dessen Motive und kann sich leichter mit Judas identifizieren bzw. von ihm abschrecken lassen. Iuvencus’ Leser können sich durch das Schicksal des Judas leiten lassen, Christus höher als weltlichen Besitz zu schätzen und dadurch den Teufel abzuwehren. THEOLOGISCHE BERÜHUNGSPUNKTE Es dauerte bis zur zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, bis die Kirche sich intensiver mit der Gestalt des Judas beschäftigen konnte. Die Apologeten hatten zuvor für eine negative Figur keine Verwendung. Zur Zeit des Iuvencus hat sich bereits eine Wertung des Judas entwickelt, die gewisse, aber noch nicht alle verwerflichen Züge zeigt, die dem modernen Leser in den Sinn kommen mögen. 115 Am Beginn dieser Beschäftigung mit Judas steht Origenes, der auch im Folgenden eine prominente Rolle spielen wird, weil er viele Elemente des Judasbildes begründet hat. Als Beispiel dafür, dass Judas zwar schlecht, aber nicht gewissenlos ist, soll Cels. II 11 (SC 132, 312,24–28 Borret) genügen: Εἰ δʼ ὁ φιλάργυρος Ἰούδας καὶ κλέπτων τὰ εἰς λόγον τῶν πενήτων εἰς „τὸ γλωσσόκομον“ βαλλόμενα „μεταμεληθεὶς ἔστρεψε τὰ τριάκοντα ἀργύρια τοῖς ἀρχιερεῦσι καὶ πρεςβυτέροις,“ δῆλον ὅτι δεδύνηταί τινα μεταμέλειαν ἐμποιῆσαι αὐτῷ τὰ Ἰησοῦ μαθήματα [...].116 113 Luz (2002) 249. Sein Urteil über das Judasbild des Origenes wirkt zu positiv. Er liegt aber richtig, wenn er betont, dass Origenes Judas zumindest nicht einseitig negativ wertet. Vgl. auch Läuchli passim. 114 Vgl. Gnilka, (1988) 449: „Judas hingegen erscheint mit seinem Bekenntnis von Jesu Unschuld in einem freundlicheren Licht. Freilich steht diese sachliche Aussage [sc. Jesu Unschuld], wiederum nicht eine Psychologie des Jüngers, im Vordergrund.“ 115 Vgl. Läuchli 253. Anders Meiser 113: „Für die zumeist undifferenzierte Betrachtung der Judasgestalt ist aber auch seine Funktionalisierung im Sinne antiker Biographie verantwortlich, die das Leben und das Wirken eines Menschen vornehmlich unter dem Gesichtspunkt seiner Brauchbarkeit für bestimmte Tugenden oder bestimmte Laster beschreibt.“ 116 „Wenn aber der geldgierige Judas, der das, was für die Armen in „den Opferstock“ gegeben wurde, stahl, Reue spürte und die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurückbrachte, dann ist offensichtlich, dass die Lehren Jesu bei ihm Reue haben bewirken kön-

118

Der Selbstmord des Judas

Die folgenden Aspekte des Judasbildes bei Iuvencus fallen auch bei den meisten der späteren Kirchenväter auf.117 Judas und der Satan Es hat sich bei der detaillierten Untersuchung der Szenen, in denen Judas bei Iuvencus auftritt, gezeigt, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen den für Judas und den für den Teufel und seine Dämonen gebrauchten Wendungen gibt. Es stellt sich nun die Frage, was Iuvencus dazu veranlasst haben könnte, eine solche Identifikation nahe zu legen. Schon das Lukasevangelium berichtet ausdrücklich, Judas sei, bevor er Jesus verriet, vom Teufel „in Besitz genommen“ worden118 (vgl. Lk 22,3a intravit autem satanas in Iudam). Auch später findet sich dieses Urteil wieder. So spricht Petrus Act. Petr. 8 (55,30–56,1 Lipsius) zum Satan: tu Iudam condiscipulum et coapostolum meum coegisti impia agere, ut traderet dominum nostrum Iesum Christum, qui de te poenas exigat necesse est. Auch bei den Kirchenvätern wird der Satan als Erklärung für das Verhalten des Judas, sogar für jede schlechte Tat herangezogen. Dies beginnt mit Origenes’ Auseinandersetzung mit der Formulierung Mt 26,24 vae homini illi, per quem [...] traditur (statt quo traditur). Dadurch werde klar, dass nicht Judas handelt, sondern der Teufel durch ihn. 119 Der Teufel ist nämlich Urheber aller Sünde, sozusagen pater sceleris, sein erster Sohn ist Judas.120 Freilich tilgt das mindestens bei Origenes nicht Judas’ Verantwortung, der dem Teufel Raum bot und sich diesem als Diener anbot. Diesen Raum kann sich der Teufel durch Judas’ Geldgier verschaffen; siehe dazu unten. Ausdrücklich wird Judas zum Werkzeug des Satan bei Hilarius, 121 in Psalm. 142,2 (CSEL 22, 806,3f

117

118 119

120 121

nen.“ Siehe weiter Meiser 116, der insgesamt eine sehr ambivalente Darstellung des Judas bei Origenes erkennt. Auf einige der folgenden Stellen verweist Thümmel in seiner Dissertation, vgl. Thümmel 11– 28. Sein weiteres Urteil über Iuvencus lautet: „Aber wenn wir auch bei ihm die bis dahin umfassendste Behandlung der Judasfisgur finden, so geschieht dies doch nur in Form dichterischer Umschreibung und Ausschmückung der im Neuen Testament überlieferten Tatsachen, ohne dass daran tiefergehende Fragen geknüpft werden“ (Thümmel 57). Dieses Urteil muss nach der eingehenden Betrachtung oben teilweise revidiert werden. So die EÜ. Vgl. Ser. 83 (GCS 38, 195,13–24 Klostermann/Benz): Et non dixit: „vae homini illi“ a quo traditur sed „per quem traditur,“ ostendens alterum a quo tradebatur (id est a diabolo), ipsum autem Iudam ministrum esse traditionis. [...] omnem malitiam in hominibus diabolus per homines operatur [...]. et si iudex aliquem interfecerit, iniuste mortis sententiam ferens in aliquem, sciendum est quia ipse, „locum diabolo“ (Eph 4,27) dans in se, ministrum se praebuit diabolo ad interfectionem hominis innocentis. Vgl. Hom in Ex. 8,6 (GCS 29, 231,19f Baehrens): Iesus Christus salvator noster crucifixus est. Huius piaculi auctor et pater sceleris sine dubio diabolus est. Sic enim scriptum est: „cum autem introisset diabolus in cor Iudae Scariotis, ut traderet eum.“ Vgl. Hil. in Psalm. 128,3 (CSEL 22, 639,22–24 Schenkl): Iudas quoque in passione domini ministerium diaboli fuit, et per eum effectum voluntatis est propriae exsecutus evangelista testante ita: „intravit“, inquit, „satanas in Iudam [...].“

IV 626–641

119

Schenkl) sogar von diesem beseelt: „ecce ex vobis unus est satanas“ (Joh 6,71) totus enim hoc esse, quia per eum animabatur, ostenditur [...]. Ambr. in Psalm. 118, 14,36f (CSEL 62, 323,12–333,5 Petschenig/Zelzer) identifiziert die Schlinge (laqueum) in Ps 118,110 (LXX) posuerunt peccatores laqueum mihi et de mandatis tuis non erravi mit der Schlinge des Teufels und dessen Versuchungen (explizit der Habgier) und später mit der Schlinge, mit der Judas sich erhängte. Das werde aus 1 Tim 6,9 qui volunt divites fieri incidunt in temptationem et laqueum diaboli offenbar. Die Argumentationsfolge ähnelt der des Iuvencus. Der Teufel legt, mit Reichtümern als Köder versehen, die Schlinge aus, in die der habgierige Judas tritt, der daraufhin seinen eigenen Willen verliert, in Iuvencus’ Worten also furens wird, und letztlich sich mit einer – nun nicht mehr metaphorischen – Schlinge richtet. Dazu tritt bei Ambrosius noch die mangelnde Reue, die bei Iuvencus kaum explizit Thema war; siehe zur Geldgier den nächsten Absatz. Auch Ambrosius macht den Teufel für die Tat des Judas verantwortlich122, ohne dessen Wirken der Verräter aufgrund von Christi Gnade seine Tat gar nicht begangen hätte; explizit nennt er Judas’ Geisteszustand furor. Man kann nicht sicher entscheiden, ob Iuvencus durch gewisse Exegeten, vielleicht sogar gerade durch Origenes, beeinflusst wurde oder im Streben nach Harmonisierung der Evangelien Judas in die Nähe des Teufels rückte. Einer nachweisbaren einzelnen exegetischen Strömung folgt er nicht. Überhaupt ist theologisch die Abwehr des Teufels, hier literarisch in Verbindung mit Psychologisierung, Iuvencus sehr wichtig, 123 so dass für ihn diese Erklärung für die Tat des Judas nahe lag. Geldgier als typische Eigenschaft des Judas Iuvencus hatte die Geldgier des Judas deutlich als Motiv und als Begründung des furor (und damit auch der Teufelsbesessenheit) in den Vordergrund gerückt. So urteilen auch große Teile der Kirchenväterexegese. „Judas wird zum Paradebeispiel für Geldgier. [...] Es gibt kaum eine Predigt oder Abhandlung über Judas, die nicht auch über die Habsucht spricht.“124 Für diese Sprichwörtlichkeit finden sich einige Beispiele, u.a. Act. Thom. 84 (199,29–200,3 Bonnet) ἀπέχεσθε [...] καὶ κλοπῆς, ἥτις Ἰούδαν Ἰσκαριώτην δελεάσασα εἰς ἀγχόνην ἤγαγεν und Tert. Coron. 12,4 (CCL 2, 1059,21–24 Kroymann) Idolatra tu, aliquibus aureis venditans Christum, ut argenteis Iudas [...], „non potestis deo servire et mammonae“ [...]. Auch Origenes, von dessen Schriften einige schon im letzten Absatz herangezogen wurden, sieht Geldgier als das Hauptmotiv des Judas und rechtfertigt dessen 122 Vgl. in Psalm. 38,6 (CSEL 64, 188,10–13 Petschenig/Zelzer): Meditabatur Iudas Christum vendere, sed revocabat eum tanta domini gratia et quaedam paternae delenimenta pietatis, quibus furor eius molliebatur, nec erupisset in scelus, nisi se in cor eius, quia Christum fallere se putabat, adversarius demersisset. 123 Vgl. Fichtner 102–107. 124 Luz (2002) 253.

120

Der Selbstmord des Judas

Gebrauch als Paradebeispiel; vgl. Ser. 78 (GCS 38, 186,27–187,28 Klostermann/Benz) altera autem pars, postquam credidit et confessa est fidem, propter avaritiam reliquit Christum [...]. Et opportune hoc uteris exemplo ad omnes, qui quodcumque peccatum facientes, propter avaritiam et causam pecuniarum aut alicuius lucri verbum dei contemnunt et quasi tradunt.125 Die Geldgier nutzt dann, so Orig. in Matth. XI 9 (GCS 40, 49,25–50,3 Klostermann/Benz), 126 der Teufel als Einfallstor. Die Verbindung zwischen der Annahme des Geldes und dem Wahn, der Judas letztlich Jesus verraten lässt, findet sich bei Iuvenc. 626f postquam se talia cernit / accepto sceleris pretio signasse furentem, wo der furor des Judas durch die Geldgier begründet ist; siehe weiter zur Stelle. Luz127 nennt weiter die Klage bei Joh. Chrys. in Prod. Iudae I 3 (PG 49, 376): τῆς ἀπονοίας! μᾶλλον δἐ, ὤ τῆς φιλαργυρίας! πάντα γὰρ ἐκείνη ἔτεκε τὰ κακά. 128 Weiterhin verweist er auf Eus. Em., der ebenfalls die Geldgier mit dem Satan in Verbindung bringt, vgl. Eus. in Prod. Iudae 2 (PG 86, 528) [...] δικαίως λυπεῖ σε ἐπὶ τριακοσίοις δηναρίοις ἐπειδὴ ἔμελλες τὸν Ποιητὴν τοῦ μύρου καὶ Δεσπότην τριάκοντα ἀγρυρίων συμφωνῆσαι. Καὶ τότε οὖν εὗρεν εἰς αὐτὸν εἴσοδον ὁ Σατανᾶς διὰ τῆς ἀπλήστου πλεονεξίας [...].129 Zuletzt sei Hieronymus genannt, der Judas’ Frage, wie viel man ihm geben wolle, beklagt.130 Da dieser keinen festen (hohen) Preis verlangt hat, ließe sich nicht einmal mit reiner Gier erklären, dass Judas Christus wie einen wertlosen Besitz hergibt. 125 „Der andere Teil aber verließ, nachdem er zum Glauben gekommen war und den Glauben an Christus bekannt hatte, Christus aus Habgier [...]. Und dieses Beispiel wirst Du mit Recht auf alle anwenden, die irgendeine Sünde begehen und aus Habgier und um Geld oder irgendeinen Gewinn das Wort Gottes verachten und gewissermaßen ausliefern“ (Übersetzung Vogt 1993). 126 Εἴ τις οὖν καὶ νῦν τὸ τῆς ἐκκλησίας ἔχων γλωσσόκομον λέγει μὲν (ὡς καὶ ὁ Ἰούδας) ὑπὲρ πενήτων, τὰ δὲ βαλλόμενα βαστάζει, τὴν μερίδα ἑαυτῷ τιθείη μετὰ τοῦ ταῦτα πράξαντος Ἰούδα. Δι’ ἃ (ὡς γάγγραινα) νομὴν ἐσχηκότα ἐν τῇ ψυχῇ αὐτοῦ ὁ διάβολος ἔβαλεν αὐτοῦ „εἰς τὴν καρδίαν“ (Joh 13,2) τὸν σωτῆρα παραδοῦναι [...]. Καὶ τάχα ἐπὰν λέγῃ ὁ ἀπόστολος· „ῥίζα πάντων τῶν κακῶν ἐστιν ἡ φιλαργυρία“ (1 Tim 6,10), διὰ τὴν Ἰούδα λέγει φιλαργυρίαν, ἥτις ῥίζα πάντων τῶν κακῶν ἐστι τῶν κατὰ τοῦ Ἰησοῦ. – „Wenn also auch jetzt einer, der die Kasse der Kirche führt (wie auch Judas) zugunsten der Armen redet, das Eingezahlte aber beiseite schafft, der sollte sich selbst den Part zusammen mit Judas zuweisen, der solches getan hat. Deswegen hat der Teufel, der (wie ein Krebsgeschwür) an seiner Seele fraß, ihm ‚ins Herz gegeben’ (Joh 13,2), den Heiland zu verraten [...]. Und wenn der Apostel sagt: ‚Wurzel aller Übel ist die Geldgier’ (1 Tim 6,10), sagt er das vielleicht wegen der Geldgier des Judas, welche die Wurzel aller Übel ist, die gegen Jesus ins Werk gesetzt wurden“ (Übersetzung nach Vogt 1983). 127 Vgl. Luz (2002) 253 Anm. 50 und 51. 128 „Dieser Wahn! Oder lieber: oh, diese Gier! Alles Übel hat sie nämlich geboren.“ 129 „Zu Recht ärgerst du dich wegen der dreihundert Silberlinge [mit denen das Öl für die Salbung in Bethanien gekauft wurde, vgl. Mt 26,15], denn du bist im Begriff, den Schöpfer und Herrn der Myrrhe für dreißig Silberlinge zu verscherbeln, und da nun fand der Satan ein Einfallstor in ihn durch die zügellose Gier.“ 130 Vgl. in Matth. IV 26,15 (CCL 77, 248,1062–1064 Hurst/Adriaen): Nec certam tamen postulat summam ut saltim lucrosa videretur proditio, sed quasi vile tradens mancipium in potestate ementium posuit quantum vellent dare.

IV 626–641

121

Iuvencus’ eigene Interpretation deckt sich mit der in der Exegese am weitesten verbreiteten. Die Schuld der Hohenpriester Aus der Vorlage geht nur implizit hervor, dass auch die Hohenpriester Schuld an der Auslieferung Jesu tragen; über das Verhältnis ihrer Schuld zu der des Judas ist kaum etwas zu erkennen. Für die – natürlich oft antijüdisch orientierte – Kirchenväterexegese handelt es sich hier um einen wichtigen Punkt, es finden sich viele Beispiele. Hilarius weist, wie oben zu 634f schon gesagt, auf die Dreistigkeit der Reaktion der Hohenpriester hin, denen der Fehler in ihrer Logik nicht einsichtig wird; vgl. in Matth. 32,5 (SC 258, 244,8–13 Doignon) professio audax atque caeca est. Emisse se iusti sanguinem audiunt, et extra iudicii reatum futuros esse se credunt: cum tamen dicendo: „tu videris“, facinus ipsum in vendente constituant, contra autem vendentis testimonio scelus ementium confirmetur. Ein anschauliches Bild liefert Hier. in Matth. IV 27,6 (CCL 77, 264,1506–1509 Hurst/Adriaen) Vere culicem liquantes et camelum glutientes! Si enim ideo non mittunt pecuniam in corbanam, hoc est in gazophylacium, et dona Dei, quia pretium sanguinis est, cur ipse sanguis effunditur?131 Johannes Chrysostomos sieht nicht nur in der Zurückweisung des Judas durch tu videris, sondern auch in der Argumentation der Hohenpriester, Blutgeld dürfe nicht in den Tempelschatz gegeben werden, und im daraus resultierenden Kauf des Ackers deutliche Zeichen dafür, dass die Hohenpriester schuldig und sich ihrer Schuld bewusst waren, vgl. Hom. in Mt. 85,3 (PG 58, 760f). 132 Solchen Auslegungen schließt Iuvencus sich aus seiner eigenen, hier zweifellos polemischen exegetischen Perspektive an. Dabei findet sich einer seiner wenigen erklärenden Zusätze (643f), nicht aber pauschaler Antijudaismus; siehe weiter unten S. 322–340. Die Aspekte, die Iuvencus in den Vordergrund stellt, stimmen in großen Teilen mit denen, die in der Kirchenväterexegese üblich sind, überein. Viele Berührungspunkte mit Origenes konnten nachgewiesen werden. Dieser gründet sein vorsichtiges Urteil über Judas aber stark auf das Matthäusevangelium, das eben-

131 „Wahrlich, ihr, die ihr eine Mücke herausseiht und ein Kamel verschluckt! Wenn sie nämlich deshalb nicht das Geld in den Korban geben, das heißt in den Tempelschatz und zu den Gottesgaben, weil es Blutgeld ist, warum wird dann überhaupt Blut vergossen?“ 132 Ἐπειδὴ γὰρ ᾔδεσαν, ὅτι τὸν φόνον ἠγόρασαν, οὐκ ἔβαλον εἰς τὸ κορβονᾶν, ἀλλ’ ἠγόρασαν ἀγρὸν [...]. Ἐγένετο δὲ καὶ τοῦτο μαρτύριον κατ’ αὐτῶν, καὶ τῆς προδοσίας ἔλεγχος [...]. Εἰ γὰρ εἰς τὸν κορβονᾶν ἐνέβαλον, οὐκ ἂν οὕτως τὸ πρᾶγμα κατάδηλον ἐγένετο· νυνὶ δὲ χωρίον ὠνησαμένοις, καὶ ταῖς μετέπειτα γενεαῖς δῆλον ἐποίησαν τὸ πᾶν [...]. – „Da sie nämlich wußten, daß sie den Mord erkauft hatten, legten sie das Geld nicht in die Tempelkasse, sondern erwarben einen Acker [...]. Auch diese Tatsache zeugte wider sie und überführte sie des Verrates [...]. Wenn sie das Geld in den Tempelschatz gelegt hätten, wäre die Sache nicht so bekannt geworden; durch den Kauf des Stück Landes aber brachten sie alles auch den folgenden Geschlechtern zur Kenntnis“ (Übersetzung Naegle 1916).

122

Der Selbstmord des Judas

falls keine rein negative Wertung vornimmt. 133 Dass Iuvencus hier eine ähnliche Interpretation wie Origenes zeigt, könnte also auch aus der Orientierung des Dichters an Matthäus herrühren. Anders verhält es sich bei der Rolle des Satans, der im Matthäusevangelium nicht im Bezug auf Judas genannt wird. Dass der Satan Judas böse macht, gewinnt Origenes aus dem Lukas- und (mehr noch) dem Johannesevangelium. 134 Auch die Geldgier, die als Einfallstor des Satans interpretiert wird, ist bei Iuvencus (zurückhaltend) ausgedrückt.135 Eine ausschließliche Abhängigkeit von origenistischen Traditionen ist dennoch nicht sicher zu zeigen, ein starker Einfluss des Origenes auf alle späteren Autoren,136 besonders hier auch auf Iuvencus, aber anzunehmen. AUSBLICK Der Tod des Judas ist die einzige Begebenheit, die bei Iuvencus, Sedulius und Arator berichtet wird, da er nicht nur im Matthäusevangelium, sondern auch in der Apostelgeschichte enthalten ist. Es lohnt sich also hier besonders, einen kurzen Blick auf das Judasbild der späteren Bibeldichtung zu werfen. Sedulius Gegen Iuvencus „erweist sich Sedulius als würdiger Zeitgenosse Augustins. Nicht nur, dass er wie dieser nach den tieferen Zusammenhängen fragt und dabei – wahrscheinlich im Anschluss an Augustin – zu ähnlichen Ergebnissen kommt, sondern er benutzt ebenfalls geschickte Wortspiele und Gegenüberstellungen.“137 So urteilt schon Thümmel über das Judasbild des Sedulius, der weit mehr an der Person des Judas als an einer verständlichen Narratio interessiert ist.138 Die Szene ist wiederum von Deerberg erschöpfend kommentiert, so dass hier ein kurzer Abriss genügen kann. Der Dichter greift bei seiner Wiedergabe der Abmachung zwischen Judas und den Hohenpriestern wohl direkt auf Lukas zurück. Er schreibt Carm. Pasch. 38f Protinus in Iudam, sedes ubi livor habebat, / spiritus intravit teterrimus [...]. Der Teufel, wie auch bisweilen bei Iuvencus mit livor in Verbindung gebracht,139 ist Urheber der Tat des Judas.

133 Vgl. Läuchli 256. 134 Vgl. ibid. 135 Vgl. IV 627 postquam se talia cernit / accepto sceleris pretio signasse furentem und den Kommentar zu ebendiesem Vers. 136 Vgl. Läuchli 253. 137 Thümmel 57. 138 Vgl. Deerberg 211. Siehe zudem auch Green (2006) 203–205. 139 Vgl. Fichtner 102–107, Iuvenc. I 366, 384, III 37 und Deerberg 108f.

IV 626–641

123

Sedulius fügt nun gleich seine persönliche Wertung hinzu – Christus ist mehr wert als die ganze Welt, umso verwerflicher ist der geringe Preis140, vgl. Carm. Pasch. V 45–49: Quantum cuncta simul terrarum regna marisque / divitias omnemque vagis cum nubibus aethram / si caperet, gesturus erat: neque enim bona mundi / sufficerent magni fuso pro sanguine Christi, / qui pater est mundi, qui fecerat hunc quoque nasci. Die Bedeutung der Habgier, die bei Iuvencus schon eine große Rolle gespielt hatte (siehe oben S. 110), stellt Sedulius so noch deutlicher heraus. Der Dichter berichtet zudem vom letzten Abendmahl nur sehr knapp (vgl. Carm. Pasch. V 32–37). Dabei überträgt er das Wort, es sei für den Verräter besser, nie geboren zu werden, passenderweise gleich hinter den Halbsatz qui fecerat hunc quoque nasci, der Jesus beschreibt: vgl. Carm. Pasch. V 50–58 „atque utinam sterili damnatus ventre nequisset / natalem sentire diem, nec luminis huius / hausisset placidas flabris vitalibus auras / aeterno torpore la-tens, miseroque fuisset / sors melior nescire datam quam perdere vitam: / aut male fusus humo confestim munera lucis / perderet ut pulvis, quem ventus proicit ingens / a facie terrae rapidisque volatibus actus / spargitur in vacuas nebulis obscurior umbras.“ Ähnlich verfährt Sedulius mit der Festnahme in Gethsemane. Anstatt die ganze Szene wiederzugeben, greift er den Judaskuss heraus und ergeht sich in einer Tirade gegen den Verräter, in der er viele Begriffe verwendet, die Deerberg wiederum überzeugend mit dem Satan in Verbindung bringen konnte, v.a. venenum, das auch schon bei Iuvencus eine Rolle gespielt hatte; vgl. oben zu 437 venenum.141 Sedulius’ bemerkenswerte Invektive gegen Judas lautet so (Carm. Pasch. V 59–68): Tune cruente, ferox, audax, insane, rebellis / perfide, crudelis, fallax, venalis, inique, / traditor inmitis, fere proditor, impie latro, / praevius horribiles comitaris signifer enses? / Sacrilegam aciem, gladiis sudibusque minacem / cum moveas, ori ora premis mellique venenum / inseris et blanda Dominum sub imagine prodis? / Quid socium simulas et amica fraude salutas? / Numquam terribiles aut pax coniurat in enses, / aut truculenta pio lupus oscula porrigit agno. Da die Abmachung mit den Hohenpriestern, das eigentlich beim letzten Abendmahl gesprochene Wort über den Verräter und die Verhaftung Jesu selbst gleich hintereinander berichtet werden, kann Sedulius Judas beispiellos negativ darstellen und durch die Begriffe blanda imago und lupus zum wiederholten Male auf den Satan Bezug nehmen. 142 Die für Sedulius typischen wertenden Passagen lassen keinen Zweifel daran, wie er die Tat des Judas sieht. Dabei lässt der Dichter allerdings (v.a. durch die Verse 59–61) Subtilität vermissen und zeigt einen bestenfalls geringen narrativen Anspruch. Ebenso klar macht Sedulius später, dass er die Reue (und daraus resultierend den Selbstmord des Judas) nicht für fruchtbar (v.a. Verse 119–125), sondern für eine Verschlimmerung von dessen Lage (nach

140 Vgl. oben Anm. 73 und 74. 141 Siehe weiter Deerberg 138–140 und Fichtner 102–107. 142 Vgl. Deerberg 152.

124

Der Selbstmord des Judas

dem Tod) hält,143 so Carm. Pasch. V 119–125 incassum, facti pretium, non facta reliquit. / Quidnam etenim prodest, illic trepidare timore, / nullus ubi timor est? Aut quae confessio tetro / lucet in inferno, cum iam demersa securis / arboris infandae radicibus exitialem / quae peperit fructum, feralia germina vertat / funditus et dignis pereant mala robora flammis? Auch Sedulius interpretiert eine Handlung des Judas als von furor motiviert (Carm. Pasch. V 126, dazu correptus),144 jedoch nicht die gesamte Tat, sondern nur den Selbstmord, den er weit schärfer verurteilt als Iuvencus, da eine echte, wirksame Reue so nicht möglich war – so sagt er ausdrücklich im ganzen Absatz.145 Die Art des Todes durch Erhängen deutet auf die Art seines Verbrechens. Da Judas mit der Kehle (Stimme) Jesus verraten hat, stirbt er durch das Zudrücken derselben, vgl. Carm. Pasch. V 128–131 cum scelus ulcisci procurreret, ipsaque dirae / guttura vocis iter, cuncti quae vendere mundi / ausa redemptorem, nodatis faucibus angens / infelicem animam laqueo suspendit ab alto. Diesen Bezug stellt auch Arator (siehe unten) heraus. Judas straft sich dabei wie bei Iuvencus laqueo, mit einem Strick. Weiterhin weist die Todesart auf die Fallhöhe des einstigen Apostels hin, vgl. Carm. Pasch. V 134–138 exitus hic mortis tamen et sublime cadaver / ostendit populis, quanto de culmine lapsus / pridem discipulus qui nunc reus, alta relinquens / sidera tartareum discenderit usque profundum; / tunc vir apostolicus, nunc vilis apostata factus. Judas befindet sich nun wie der Satan, der zuvor oft als sein Meister identifiziert wurde und mit dem er auch hier durch das Attribut iniquus erneut in Verbindung gebracht wird,146 tetro ... in inferno,147 da er in das tartareum ... profundum 148 herabgestiegen ist. Das Wortmaterial des Sedulius zeigt dabei nur geringe Überschneidungen mit dem des Iuvencus. Zu nennen sind zuvörderst livor, venenum und furor, die auch 143 Das hatte bei Iuvencus noch keine Rolle gespielt. Siehe allgemein Klauck 93f, Luz (2002) 253 und Meiser 126–131. Wichtig ist theologisch Aug. Civ. Dei I 17 (28,29–29,5 Heck/Wlosok) nam si Iudae factum merito detestamur eumque veritas iudicat, cum se laqueo suspendit, sceleratae illius traditionis auxisse potius quam expiasse commissum, quoniam Dei misericordiam desperando exitiabiliter paenitens nullum sibi salubris paenitentiae locum reliquit: quanto magis a sua nece se abstinere debet, qui tali supplicio quod in se puniat non habet! – „Denn wenn wir schon die Tat des Judas mit Recht verabscheuen und die Wahrheit über ihn urteilt, daß er durch seinen Tod am Stricke das Verbrechen des frevelhaften Verrates eher gesteigert als gesühnt hat, weil er an der Barmherzigkeit Gottes verzweifelnd, sich einer unheilvollen Reue überließ und sich so die Möglichkeit einer heilsamen Reue versperrte, um wieviel mehr muß man sich vor dem Selbstmord hüten, wenn man keinen Anlaß hat, irgend etwas durch eine solche selbst vollzogene Strafe zu sühnen“ (Übersetzung Schröder 1911). Augustinus fährt fort mit einer allgemein negativen Bewertung des Selbstmordes aus ebendiesem Grund. 144 Vgl. Deerberg 226–228 und 232. 145 Eine Detailanalyse findet sich ibid. 218–226. 146 Vgl. ibid. 216f. 147 Vgl. ibid. 222. Siehe zur Vokabel taeter auch ibid. 108f und Fichtner 105. 148 Vgl. ibid. 238.

IV 626–641

125

Iuvencus von Judas bzw. vom bei Sedulius so wesentlichen Satan verwendet, daneben scelus in den Versen 32, 43, 118 und 128.149 An diesem Abschnitt wird zunächst offenbar, dass viele Unterschiede zwischen Iuvencus und Sedulius in den verschiedenen Ansprüchen und Konzepten liegen, mit denen die beiden Dichter jeweils ihr Werk verfassen. Theologisch ist eindeutig zu erkennen, dass das Judasbild des späteren Dichters, der bald jedes ihm zur Verfügung stehende negative Epitheton auf Judas bezieht, bereits deutlich negativer ist als das des Iuvencus, der in seiner recht treuen Textwiedergabe eher eine (wenn auch diabolische) Verwirrung anstelle einer genuinen Schlechtigkeit bei Judas insinuiert. Die Hohenpriester spielen bei Sedulius auf den ersten Blick gar keine Rolle mehr. 150 Ihr „Anwerben“ des Judas wird bei Sedulius Carm. Pasch. 41 pactus grande nefas quavis mercede auch dem Teufel zugesprochen.151 Gewiss will der Dichter nicht die Hohenpriester schonen, er ist vielmehr daran interessiert, die Verbindung zwischen Judas und dem Widersacher deutlich zu machen. Diese Konzentration auf ein einzelnes Thema, eine einzelne Person, ist Teil der Arbeitsweise des Sedulius. So bleibt Judas das vordergründige Thema, sein Fall wird mit der starken Gegenüberstellung von apostolus und apostata im letzten Vers deutlich gemacht.152 Arator „Deutliche Abhängigkeit von Sedulius in sachlicher Beziehung zeigt Arator in seiner Apostelgeschichte.“153 Der Umsetzung der Petrusrede zu Beginn der Apostelgeschichte (Apg 1,16–22) hat sich in jüngerer Zeit Deproost angenommen, 154 auch Schwind155 geht auf die Szene länger ein. Nach einem recht langen Lob auf Petrus, der vom Fischer zum Hirten der christlichen Herde und mit dem Schlüssel zum Himmel versehen wurde, folgt wie in der Apg die Rede des Petrus, vgl. Act I 83–87 Sic venerandus ait: „Nostis quia proditor amens / mercedem sceleris solvit sibi; taedia noxae / horruit ipse suae stringens in gutture vocem / exemplo cessante ream, qui parte necari / promeruit qua culpa fuit [...].“ Petrus bezeichnet Judas gleich im ersten Vers als proditor amens, greift also die Tradition, dass Judas im Wahn handelte, wieder auf. Die folgende Verbindung zwischen der Kehle als Stimmorgan und dem Zuschnüren derselben beim Erhängen hat Arator wohl von Sedulius, siehe dazu oben.156

149 Vgl. zu den ersten beiden Belegen ibid. 101 und 111, zum letzten, v.a. in Verbindung mit der Unwirksamkeit der Reue, ibid. 229. Sceleris in Vers 118 lässt Deerberg unkommentiert. 150 Vgl. zur Schuld des Judas ibid. 99 mit weiteren Verweisen. 151 Vgl. ibid. 110f. 152 Vgl. ibid. 239. 153 Thümmel 58. 154 Vgl. Deproost (1997) passim. 155 Vgl. Schwind 66–68. 156 Vgl. Schwind 170.

126

Der Selbstmord des Judas

Weiter verknüpft Arator die Bestimmung des Ackers in sepulturam peregrinorum (Mt 27,7) mit seiner eigenen Vorlage, vgl. Act. I 90–100 debita poena locum; caelo terraeque perosus / inter utrumque perit; nullis condenda sepulcris / viscera rupta cadunt, tenuesque elapsus in auras / fugit ab orbe cinis. Non haec vacat ultio Iudae, / qua suprema negat vindictaque mercis iniquae / sic placitura venit: nam, cum modo rura parasset / funeris ex pretio, cum nomine sanguinis emptus / cespes in externas componens busta favillas / de tumulis fecundet humum, caret impius agri / fertilitate sui solusque excluditur arvis / quae monumenta ferunt [...]. Der Erklärung Schwinds, der auf das Paradoxon hinweist, dass „Judas’ Leib zerbarst und seine Eingeweide verstreut wurden“ und ihm „allein auf seinem eigenen Friedhof, wo jeder beliebige Fremde ein Grab finden konnte, eine Bestattung verwehrt“157 blieb, ist kaum etwas hinzuzufügen. Direkte Spuren von Iuvencus finden sich nicht, die Anliegen der Dichter sind verschieden – Iuvencus wendet die Blutackertradition gegen die Hohenpriester, Arator konzentriert sich, wie seine Vorlage es nahelegt, ganz auf Judas. Die auch bei Iuvencus durch 631 informem ausgedrückte Abscheulichkeit des Todes Jesu geht hier freilich auf Arators Vorlage zurück. Ähnlich einer Ringkomposition lässt er aber nun zuletzt Petrus auf den Beginn seiner Rede zurückkommen, nämlich auf den proditor, vgl. Act. I 100–102 „cuius tuba saeva cruentum / est exorsa nefas, qui signifer oscula fingens / pacis ab indicio bellum lupus intulit agno.“ 158 Die Verkehrung des Friedenskusses zu einem feindlichen Zeichen, die Arator wie oben Sedulius159 hier unter Verwendung von Kriegsvokabular (tuba saeva cruentum, signifer, pacis, bellum) deutlich macht, fehlt bei Iuvencus allerdings auf Grund von dessen Quellentreue. Die Übereinstimmungen mit Sedulius sind indes zahlreich und gehen wohl letztlich auf Lukas zurück.160 Viele Unterschiede zwischen der Darstellung des Iuvencus und der des Arator liegen natürlich in den verschiedenen Vorlagen begründet. Arator zeigt einige Übereinstimmungen mit Sedulius und dient somit als weiteres Beispiel für die nach Iuvencus stärker wachsende Tendenz, Judas völlig negativ und sein Ende möglichst brutal und abstoßend darzustellen. Dracontius „Ganz anders als Sedulius und, von ihm abhängig, zeichnet Dracontius in seinem herrlichen carmen de deo das Schicksal Judae.“161 Diese Einschätzung begründet 157 Ibid. 67. 158 Schwind 66 Anm. 48, lässt die Rede analog zur biblischen Vorlage erst zwei Verse später als McKinlay in seiner Edition, nämlich mit Vers 104a, enden. Die letzten beiden Verse sind für unsere Frage aber irrelevant. 159 Vgl. Deerberg 137f, 143f und Flieger 101–104. 160 Vgl. Schwind 68 Anm. 55 und Deproost 143–148. 161 Thümmel 59.

IV 626–641

127

Thümmel im Folgenden mit Hinweisen auf theologische Details zur Heilswirkung der Tat des Judas und dessen Reue, die es kurz nachzuzeichnen gilt. Einige Punkte fallen im Vergleich mit der früheren Bibeldichtung auf. So gebraucht Dracontius einige vertraute Vokabeln, die schon oben bei der Betrachtung des Sedulius (teils mit Rückgriff auf Iuvencus) mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurden, nämlich invidus, livor, iniquus, sacrilega und fallax (Laud. Dei II 511, 512 und 514).162 Wichtig ist Dracontius vor allem die Deutung der beidseitigen Schuld der emptores, der Hohenpriester und des venditor, des Judas, die durch diese Tat zwar für andere, nicht aber für sich selbst das Heil erwerben, wie es schon oben S. 121 angedeutet wurde, vgl. Laud. Dei II 515–520 et pretium dat turba, Dei commercia fiunt / venditor infelix, sed non felicior emptor. / Pars pretium perdit, perdit pars altera mercem; / proficit in nobis, qui non contraximus, emptus: / sanguine disctracti maculatur venditor emptor / quos mens nostra sacri mundabitur imbre cruoris. Dracontius schließt seine Ausführungen über Judas mit einer starken Entgegensetzung des unverdienten Todes Christi mit dem verdienten Tod des Judas. Dabei verschmelzen Narratives, die Erklärung, Judas sei durch seinen Tod zum ewigen Tod, also in die Hölle hinabgestiegen, und das Christuswort, es sei besser für Judas gewesen, nie geboren zu sein; vgl. Laud. Dei. 521–526 Ah scelus atque nefas! Insontem turba reorum / supplicio quo digna fuit, cruce verbere ferro / affligit letique vias et limina mortis / ingerit aeterno, cui lex ab origine mundi / nec fuit initium nasci nec finis obisse. Mit dem Sprachgebrauch des Iuvencus deckt sich nun die Bezeichnung der Tat als scelus und nefas in Vers 522. Dracontius spricht an etwas späterer Stelle, bevor er sich zum biblischen Idealbeispiel der Umkehr, nämlich Paulus, wendet, im Kontext wirksamer und unwirksamer Reue und Umkehr über Judas, vgl. Laud. Dei II 567–572 Iuda miser veniam si vel speraret, haberet; / sed memor infandae tamen et sine nomine culpae / credidit infelix nil iam veniale mereri / iudicioque suo veniae subtractus abiit. / Redditur argentum, scelerata ad colla pependit / vix tandem iustus, nam nec permansit avarus [...]. Auch für Judas gab es die Möglichkeit, Gnade zu erlangen. Diese Möglichkeit nimmt er sich aber dadurch, dass er sich aus Verzweiflung selbst richtet. Da er das Geld zurückgibt, überwindet er die Habgier, nicht aber die Schuld. Direkte Abhängigkeit von Iuvencus ist nicht nachzuweisen, es tauchen jedoch einige Ausdrücke wieder auf, nämlich erneut infelix in Vers 569, vgl. Iuvenc. IV 628, und scelerata in Vers 571, vgl. Iuvencus’ allgemeine Gewohnheit, während der Passion vom scelus zu sprechen. Dracontius verbindet die Darstellungen des Todes des Judas bei Matthäus und in der Apostelgeschichte und lässt Judas sich sowohl erhängen als auch seinen Körper bersten, vgl. Laud. Dei. II 573–576 et suspensus obit se mox ultore severo / vincula rumpuntur, cecidit crepuitque cadaver / viscera fusa iacent, hinc cor crudele patescit / funestatque diem de corpore tabe madenti. 163 Diese extreme

162 Zu fallax im Besonderen siehe Fichtner 102–107. 163 Vgl. Schwind 66 Anm. 50.

128

Der Selbstmord des Judas

Hässlichkeit des Todes des Judas bzw. seiner gesamten Person war manchen Exegeten wichtig; siehe dazu oben zu 631 informem.

DIE VERSPOTTUNG JESU DURCH DIE SOLDATEN (IV 642–652) EINPASSUNG DER SZENE Nachdem Iuvencus die Reihenfolge der letzten beiden Szenen geändert (und beinahe umgekehrt) hatte, kehrt er nun zur Ordnung des Matthäusevangeliums zurück. Die Einleitung der Szene wirkt zunächst unbefriedigend, da keine Überleitung ausgedrückt wird; siehe zu solchen Beobachtungen unten S. 320. Dennoch trägt auch das Fehlen einer Überleitung eine Aussage. Poinsotte hatte bemerkt, dass durch die Versetzung des Selbstmordes des Judas nicht nur die narratio geglättet, sondern auch zwischen dem Urteil des Pilatus und der Ergreifung Jesu durch die Soldaten Abstand geschaffen wurde, um so die Soldaten zu „deromanisieren“. 1 Damit trügen nicht mehr die Römer, sondern mindestens implizit die Juden, deren Hohenpriester ja gerade erst wieder angegriffen wurden, die Schuld am Tode Jesu. Poinsotte arbeitet diesen Punkt deutlich aus. 2 Zunächst wird 642f kein handelndes Subjekt ausgedrückt. Dadurch entsteht seines Erachtens der Eindruck, die Soldaten seien von den Hohenpriestern beauftragt.3 Dass die römische Identität der Soldaten verschleiert wird, obwohl historisch Verspottungen von heidnischen Soldaten gegenüber jüdischen Potentaten belegt sind,4 ist eindeutig, da praesidis, in praetorio und universam cohortem aus Mt 27,27 keine Entsprechung haben. Daraus folgt noch nicht notwendigerweise, dass dadurch die Soldaten explizit Werkzeug der jüdischen Gegner Jesu werden; zur Vorsicht mahnt Green. 5 Die Soldaten treten hier als Individuen in den Hintergrund, sie tauchen während der Verspottungen nur noch latent als Subjekt in der Person des Verbs bzw. in Gestalt von illi in Vers 644 auf, nicht mehr als milites oder ein neues Subjekt; erst 650 werden sie kollektiv als miles bezeichnet, sind jedoch auch dort nicht weiter beschrieben. Wichtiger als die Person der Soldaten ist also die Verspottung an sich mit ihrer Königssymbolik (siehe zu 644–648), die Akteure sind nur Instrumente, ministri (siehe zu 642f traditus est trucibus iustus scelerisque ministris / militibus). Dass aber die Hohenpriester sich als Auftraggeber aufdrängen, ist keineswegs zwingend, da auch die Nennung jener schon zehn Verse zurückliegt. Obwohl es sich bei der Ankündigung der vorliegenden Szene III 587f anders verhielt (siehe unten zu 643 sceleri ludibria), werden hier nicht die jüdi1 2 3 4 5

Vgl. Poinsotte 134f, dort auch Anm. 440. Vgl. ibid. 129–184. Vgl. ibid. 134. Vgl. Luz (2002) 294, der einige Parallelen zur bei Jos. Ant. XIX 356–359 und Philo, Flacc. 3–39 berichteten Verspottung des toten Agrippa I. zeigen kann. Vgl. Green (2006) 110–112 und unten S. 330–348.

130

Die Verspottung Jesu durch die Soldaten

schen Gegner Jesu beschuldigt, sondern lediglich die römischen Autoritäten wie sonst auch Pilatus (siehe oben S. 87–89) als weniger verantwortlich dargestellt. 6 Zur Diskussion eines möglichen starken Antijudaismus siehe unten S. 322–340. An Stelle der bislang üblichen Abgrenzung der Perikope nach 649 ist es sinnvoller, 650–652 noch in diese Szene zu integrieren. Durch diese Verse ist zum einen die Verspottung durch die erneute Ankleidung mit den eigenen Kleidungsstücken und den inhaltlichen Übergang zum Kreuzweg eindeutig abgeschlossen. Zum anderen markiert der Versbeginn ecce sed 653 einen deutlicheren Übergang, als das mit 650 haec ubi der Fall wäre; siehe weiter unten zu den entsprechenden Stellen sowie oben zu 574 ecce sed egressum.7 Diese (neue) Einteilung entspricht auch der in der Bibelwissenschaft üblichen Strukturierung. KOMMENTAR (IV 642–652) Mt 27,27–31: 27 Tunc milites praesidis susceperunt eum in praetorio et congregaverunt ad eum universam cohortem. 28 Et induerunt eum tunicam purpuream et chlamydem coccineam circumdederunt ei. 29 Et coronam de spinis posuerunt super caput eius et harundinem in dexteram eius et adgeniculantes se ante eum deludebant eum dicentes: „Have rex Iudaeorum.“ 30 Et expuentes in faciem eius acceperunt harundinem et percutiebant caput eius. 31 Et postquam inluserunt eum, exuerunt eum chlamydem et induerunt eum vestimenta eius et duxerunt, ut cruci eum figerent.

6 7

Iuvenc. IV 642–652: 642 Traditus est trucibus iustus scelerisque ministris 643 militibus:

sceleri ludibria corpore praebet. 644 Purpureamque illi tunicam clamidemque rubentem 645 induerunt spinisque caput cinxere cruentis, 646 inque vicem sceptri dextram comitatur harundo. 647 Tum genibus nixi regem dominumque salutant 648 Iudaeae gentis. Faciem lavere salivis 649 vertice et in sancto plagis lusere nefandis. 650 Haec ubi transegit miles ludibria demens, 651 indutum propriae ducebat tegmina vestis 652 et crucis ad poenam sanctum iustumque trahebat.

Vgl. auch Green (2006) 111. Knappitsch und Arevalo überschreiben die folgende, von ihnen als Kapitel 21 bezeichnete Passage, die sie jeweils bei 650 beginnen lassen, darüber hinaus unverständlicherweise mit „Christus a Pilato condemnatur et ad mortem ducitur“ (Knappitsch) bzw. „Jesus a Pilato iudicatur, ad crucificiendum ducitur“ (Arevalo).

IV 642–652 28 exuentes illum chlamydem coccineam circumdederunt ei f ff1 g1 vg : induerunt eum tunicam purpuream et chlamydem coccineam circumdederunt ei rell. 29 adgeniculantes a b c d ff2 q : genu posito h r1 : genu flexo aur ff1 g1 l vg : procidentes f 31 vestierunt d : induerunt rell.

131

643 sceleri coni. Kassel8 : scelerum Arevalo : sanctus Huemer : scelerata codd. 645 inducunt C R M C2 K1 K2 P P2 S T B Bb Mb P3 Sg Al L Mp Matr V2 Ph Bx C3 Ca H N Ca2 G Marold Huemer : induunt V1 Hl 648 faciemque C R Bb Huemer Knappitsch 651 ducebant R Hl Bb

traditus est trucibus iustus scelerisque ministris / militibus: Während die milites in der Vorlage Subjekt sind, werden sie hier zum Dativobjekt. Die Hilflosigkeit des passiven Subjekts Jesus gegenüber den Gewalttätigen, denen er übergeben wird, tritt dadurch in den Vordergrund. Die Handelnden werden weiter ministri, Diener, also nicht Hauptakteure genannt. Alles, was sich im Folgenden ereignet, geschieht demnach nicht aus der Verantwortung der grausamen Soldaten, sondern aus der der Ungenannten, die ihnen Jesus übergeben haben; siehe weiter oben die Einleitung zu diesem Kapitel. Ministris ist dabei neben trucibus das zweite Attribut zu militibus, was auch durch die Verbindung mit -que und das Enjambement illustriert wird. Unter sceleris ist hier die gesamte Passion zu verstehen, nicht nur die aktuellen Misshandlungen; siehe dazu oben zu 595 sceleris facundia und unten zu sceleri ludibria, zur Wertung der Passion als Verbrechen S. 322–340, zu Soldaten bei Iuvencus unten S. 136. Der schneidende Klang der vielen Sibilanten9 weist auf die nun folgende von Gewalt volle Szene hin. Siehe zur Wortwahl auch oben zu 596 trucibus; zu 603 trucibus somno sed territa visis und dem dort dargelegten möglichen Aeneisbezug; zur Nachwirkung unten zu militibus. Die Vokabel trux selbst ist keineswegs für die Juden reserviert, siehe unten S. 322–340.10 iustus: Diese übliche Bezeichnung Jesu11 steht bewusst antithetisch gleich hinter trucibus. Zusätzlich zur o.g. Hilflosigkeit Jesu und zur Gewalttätigkeit der Soldaten wird auch seine Unschuld erneut betont: welchen Grund gibt es, einen Gerechten so zu behandeln? sceleri ... praebet: Hier handelt es sich um eine Hinzufügung des Dichters, die das Kommende ankündigt und zusammenfasst. Roberts bezeichnet den Satz als „generalizing statement“,12 das den Leser auf die wesentliche Aussage einer Passage vorbereiten und, in rhetorischen Termini, den Hörer/Leser attentus oder docilis machen soll. 13 Green dagegen sieht den Vers von Mt 27,31 inluserunt beeinflusst, was jedoch später wiedergegeben wird.14 Inhaltlich ist dieser Bezug of8 9 10 11 12 13 14

Diese Konjektur geht auf einen Vorschlag von Rudolf Kassel aus dem von ihm und J. Hammerstaedt geleiteten Doktorandenkolloquium zurück. Siehe dazu oben zu 630 exorsus ... sumere. Gegen Poinsotte passim. Siehe oben zu 594 iusti und Green (2006) 121f. Roberts (1985) 162. Vgl. ibid. 163. Vgl. Green (2010) 13.

132

Die Verspottung Jesu durch die Soldaten

fensichtlich; dadurch, dass Iuvencus aber sowohl die Misshandlungen Jesu ankündigt als auch in 650 abschließt, wird ein Rahmen um sie geschlossen. sceleri ludibria: Die Vokabel ludibria gebraucht Iuvencus nur von den hier geschilderten Ereignissen, also noch 650 in dieser Perikope und III 587f, wo er diese ankündigt, vgl. III 587f filius hic hominis prodetur ad ultima mortis / scribarum procerumque ferens ludibria membris, was Mt 20,18f filius hominis tradetur principibus sacerdotum et scribis et condemnabunt eum morti et tradent eum gentibus ad deludendum et flagellandum [...] entspricht. Die gentes der Vorlage kommen dort gar nicht zur Sprache, stattdessen werden die scribae proceresque als Urheber der ludibria genannt.15 Es sind also dort, deutlicher ausgedrückt als hier, nicht die Heiden, sondern die Oberen der Juden, die für Jesu Leiden verantwortlich sind. Zudem wertet der Dichter durch scelus das, was er zu berichten im Begriff ist. Die Bezeichnung der Misshandlungen während der Passion und der Passion selbst als scelus findet sich häufig, siehe unten S. 322–340. Das Folgende ist nicht bloßer Spott, sondern ein regelrechtes Verbrechen. Dabei ist sceleri wirkungsvoll dem an sich unpassenden ludibria direkt zugesellt. Ähnlich war Iuvencus schon 573 isti, quem ludens procerum sententia damnat durch die scheinbar paradoxe Verbindung aus ludens und damnat verfahren. Die Schlechtigkeit der Gegner Jesu wird dadurch, dass sie an den Qualen, die sie ihm zufügen, Freude zu haben scheinen, weiter deutlich gemacht. Siehe auch unten zu 650 ludibria demens. Die Codices überliefern einhellig scelerata ludibria, das aber metrisch Probleme macht, da die erste Silbe in ludibria gewöhnlich – und auch bei Iuvencus in Vers 650 und III 588 – lang gemessen wird. III 588 wird zudem die Passion angekündigt, so dass eine Beziehung zwischen beiden Stellen besteht und an ludibria nicht zu rütteln ist. Ein ähnliches Problem in Verbindung mit scelerata ergab sich oben in 595, wo scelerata facundia überliefert ist. Arevalo konjiziert an beiden Stellen, IV 595 und hier, scelerum. Dies war oben zu Gunsten von sceleris abgelehnt worden; siehe dazu oben zur Stelle. Hier wäre sowohl sceleris als auch scelerum denkbar und gäbe einen sinnvollen Text. Eine Konjektur sceleri ist dem gegenüber aber zu bevorzugen. Der Singular scelus wird für abstrakte Verbrechen (I 706 als Gegenbegriff zur iustitia), den Verrat des Judas (IV 427 und 627) und die Passion als Ganze (IV 623 und 642) benutzt. Ähnlich verhält es sich hier. Es steht nämlich das personifizierte Verbrechen gleich in zwei aufeinanderfolgenden Versen deutlich Jesus als iustus gegenüber; siehe zu solchen Personifikationen auch oben zu 595 sceleris facundia. Ferner hat praebet im überlieferten Text kein Dativobjekt. Zwar kann es wie I 325, 551f und vor allem III 632 auch ohne explizites Dativobjekt stehen, liest man hier aber sceleri, dient der Halbvers geradezu als steigernde Zusammenfassung des vorher Gesagten: nicht nur den Dienern des Verbrechens, sondern dem personifizierten Verbrechen selbst muss der Gerechte sich hingeben. Huemers Konjektur sanctus scheint stark von 652 sanctum iustumque beeinflusst und weicht von der Überlieferung zu weit ab. Ähnliches gilt für die Argu15 Vgl. dazu auch Poinsotte 134, dort auch Anm. 437.

IV 642–652

133

mentation Greens, dem ein Adjektiv zu corpore zu fehlen scheint, etwa sancto oder sogar nudo.16 Das ist zwar verständlich, aber kaum zu stützen. purpuream ... induerunt: Ein bemerkenswert nah an der Vorlage orientierter Satz.17 Durch den Chiasmus purpuream ... tunicam clamidemque rubentem wird der Vers dennoch elegant. Während Iuvencus das griechische χλαμύς/clamis übernimmt, gibt er coccineus mit rubens wieder. Rubens ist zwei Silben kürzer, zudem vermeidet Iuvencus so eine c-Alliteration und bindet durch die Homoioteleuta purpuream tunicam und clamidem(que) rubentem zusammen. Siehe zu clamidem auch unten zu 651 tegmina. Iuvencus gibt die in einigen Itala-Codices überlieferte Entkleidung Jesu nicht wieder. Das spricht dafür, dass er sich – eventuell analog zu seiner Vorlage – vorstellte, die Soldaten hätten Jesus den Purpurmantel über seine Kleider gezogen. Siehe weiter unten zu 651 indutum propriae ducebat tegmina vestis. induerunt: Induunt ist aus metrischen Gründen fragwürdig: IV 689 misst Iuvencus -u- kurz, Vergil misst es nie lang (vgl. Aen. III 526, VII 417, IX 180, 366 und XI 6); auch bei anderen Dichtern finden sich einige Belege, z.B. Val. Flacc. II 20 und öfter, Sil. IV 13 und öfter, Iuvenc. IV 689. Daher ist es abzulehnen. Inducunt in der Bedeutung „anziehen“ ist selten, aber möglich.18 Die Lesart induerunt ist metrisch trotz des kurzen -e- durchaus möglich, solche Formen finden sich auch bei den klassischen Dichtern.19 Zudem ist es wie cinxere Perfekt. Iuvencus missachtet zwar häufig die Konzinnität der Tempora,20 versteht man hier aber induerunt und cinxere (die zudem das gleiche Subjekt haben) resultativ, ist das Präsens comitatur im nächsten Satz sinnvoll. Angesichts der genauen Orientierung an der Vorlage an dieser Stelle und des erneuten Gebrauchs der Vokabel 651 (indutum) ist also induerunt zu lesen. spinis ... cruentis: Cruentis ist proleptisch zu verstehen, erst durch die Dornen tritt Blut hervor. Spinis und cruentis umringen caput im Vers dabei wie die Dornenkrone. Durch die harte c-Alliteration wird das gewaltsame Eindrücken der Dornen verdeutlicht. Siehe auch oben zu 618 cruentum officium. inque vicem sceptri: Eine Hinzufügung des Dichters, die auf zweierlei Weise zu verstehen ist. Einerseits handelt es sich um eine direkte Interpretation der Szene, da die Rute, harundo, ja nichts anderes ist als ein spöttischer Ersatz für ein Szepter. Andererseits ist damit auch eine theologische Aussage verbunden: Jesus ist ein König, dem ein Szepter gebührt, aber von seinen Peinigern keines bzw. kein echtes gewährt wird. Siehe dazu unten S. 137–139. 16 Green (2010) 13f. 17 Vgl. Arevalo ad loc. und Knappitsch ad loc. 18 Vgl. Knappitsch ad loc: „h.l. rarius“ und OLD s.v. 15 mit Verweis auf Aen. VIII 457 tunica inducitur artus und Stat. Silv. V 2,67 albenti [...] umeros induxit amictu. 19 So schon Arevalo ad loc. und Knappitsch ad loc. Siehe auch Crusius, 9: „-ěrunt ist bei den Szenikern metrisch nur am Vers- oder Kolonende nachzuweisen; die spätere Poesie macht von der Form für metrische Zwecke freien Gebrauch, desgleichen bevorzugt sie die versbequemere Form –ēre vor der schwerfälligeren Endung -ērunt,“ u.a. Aen. III 46f tum vero ancipiti mentem formidine pressus / obstipui steteruntque comae et vox faucibus haesit. 20 Vgl. Hatfield 4–6.

134

Die Verspottung Jesu durch die Soldaten

dextram comitatur harundo: Ein eigentümlicher, aber verständlicher Ausdruck.21 Comitor ist hier (mit Akkusativ) wie addi bzw. adhaerere zu verstehen.22 Die Vokabeln harundo und dextram entnimmt Iuvencus wieder der Vorlage. Tum genibus nixi regem dominumque salutant / Iudaeae gentis: Iuvencus sagt nicht wie die Vorlage ausdrücklich, dass es sich um Spott handelt. Das aber geht eindeutig aus dem Kontext hervor. An Stelle des seltsamen und metrisch nicht brauchbaren adgeniculantes der Vorlage, das dem ebenfalls seltenen griechischen γονυπετήσαντες entspricht, gebraucht Iuvencus mit genibus nixi einen völlig üblichen Ausdruck. 23 Er erreicht damit eine deutliche Verbesserung des Sprachniveaus, auch gegenüber den alternativen Lesarten der Vorlage genu posito, genu flexo und procidentes. Dominus gebraucht Iuvencus gerne von Jesus, am auffälligsten in der Verbindung Dominus lucis 655 und an exponierter Stelle im letzten Vers des Epilogs, 812; siehe jeweils weiter dort. Der Königstitel der Vorlage, der noch mit dem jüdischen Vasallenkönigtum spielt, wird so deutlich erweitert und ihm wird eine göttliche Dimension verliehen. Diese an sich spöttische Anrede kann der Leser positiv wenden; siehe zu solcher Ironie unten S. 169–174, weiter zu möglichen theologischen Implikationen unten S. 137–139. Siehe zu möglichen Konnotationen auch unten zu 655 dominum lucis und 665 meritique. Iudaeae gentis: Siehe zur Vermeidung des metrisch schwierigen Iudaeorum oben zu 592 rex Iudaeae gentis. Durch das Enjambement und das Verb salutant wird Iudaeae gentis von regem dominumque getrennt, so dass der Spott zunächst auf einer allgemeineren Ebene stattfindet, dann der Königstitel deutlich amplifiziert wird, zuletzt aber doch das Judentum wieder in den Blick kommt. Faciem lavere: Die von Huemer bevorzugte Lesart faciemque sorgt für ein entscheidendes metrisches Problem. Lavere muss 3. Pl. Perf. sein. Damit ist -alang zu messen, wie es Iuvencus III 263 und 680 bei lavit auch tut; eine kurze Messung ist nirgends belegt.24 Der Konnektor -que ist nicht nötig. Durch die Penthemimeres nach gentis wird nicht ein Kolon-, sondern ein Satzende verdeutlicht, so dass, setzt man hinter gentis einen Punkt, keine Probleme bestehen bleiben. lavere salivis: Knappitsch25 bemerkt die Onomatopoiie. vertice: Die Vokabel gebraucht Iuvencus auch schon IV 567, wo Jesus im Hause des Hohenpriesters geschlagen wird, für dessen Kopf; sonst nicht mehr in dieser Bedeutung.

21 22 23 24

Vgl. Knappitsch ad loc.: „Mira, sed elegans locutio est.“ Vgl. ThLL III 1813,44–69 (Bannier 1911). Vgl. OLD s.v. niti 1. Vgl. ThLL VII 1048,12–16 (Beikircher/Pecere/Ehlers 1974): „ā passim metro probatum testantur Char. gramm. p. 316, 17 B. Prisc. gramm. II 460, 10. corripitur Iuvenc. 4, 648.“ Da es außer an der vorliegenden Stelle keine Probleme hinsichtlich der Quantität der Perfektformen von lavare gibt, ist der Autorität der früheren Dichter und der Grammatiker zu folgen. 25 Vgl. Knappitsch ad loc.

IV 642–652

135

plagis ... nefandis: Erneut wird die Unrechts-/Verbrechensthematik aufgegriffen. Die Schläge sind mehr als nur Peinigung, sie sind ein Verbrechen, hier sogar gegen eine höhere Macht.26 lusere: Im Gegensatz zu 647f wertet Iuvencus hier die Peinigungen wieder eindeutig als Spott. miles: Hier, da die Verspottung Jesu schon vorbei ist und ihr Ende zum Ausdruck kommt, ist zum ersten Mal wieder das handelnde Subjekt genannt, allerdings im Singular. Das ist bei militärischen Begriffen nicht unüblich. 27 Ähnlich gebraucht der Dichter den Singular miles in 736, 739 und 742, als er die Wache des Grabes bezeichnet; in 750 und 780 ist scheinbar inkonzinn von milites (bzw. 776 von custodes) die Rede. Siehe zu Soldaten bei Iuvencus unten S. 136. ludibria demens: Wie häufig bei Iuvencus werden verwerfliche Handlungen durch Wahn erklärt und so psychologisiert. Demens nennt Iuvencus dabei nur die Soldaten hier und 675 die Pharisaei scribaeque et factio demens. Die Junktur ludibria demens findet sich nur bei Iuvencus. Siehe zu solchen Junkturen oben zu 643 scelerum ludibria, zu Wahn als Erklärungsmuster, besonders zum furor (Iudaicus), oben zu 627 furentem und unten S. 322–340. indutum propriae ... vestis: Indutum muss als Zustandsperfekt, „(nur) mit seinen eigenen Kleidern bekleidet“, verstanden werden, das Abnehmen des Mantels wird nicht eigens zum Ausdruck gebracht. ducebat ... trahebat: Ebenfalls überliefert ist auch die jeweilige Pluralform, im Falle von trahebat sogar in der weiten Mehrzahl der Codices. Iuvencus gebraucht eine solche an sich verständliche constructio ad sensum – miles in Vers 650 steht für die Gesamtheit der Soldaten – seltener als seine klassischen Vorbilder und nur ein Mal ohne partitiven Genitiv Plural beim Subjekt. 28 Zudem ist 650 transegit aus metrischen Gründen gewiss beizubehalten. Ein Wechsel des Numerus zu ducebant und trahebant ist daher unwahrscheinlich. tegmina: Nach Knappitsch die lectio difficilior gegenüber tegmine und als Akkusativus Graecus zu verstehen,29 wobei der Gebrauch v.a. des Partizips mit dem Akkusativ keineswegs ungewöhnlich ist, v.a. nicht in der Dichtersprache. 30 Propriae tegmina vestis ist eine Umschreibung der vestimenta eius. Die Wahl dieser Vokabel könnte, obwohl Vergil chlamys immerhin sieben Mal gebraucht und daher eine konkrete Stelle, auf die Iuvencus rekurriert, nicht leicht zu finden ist, auch beeinflusst sein durch Aen. XI 775–777 tum croceam chlamydemque sinusque crepantis / carbaseos fulvo in nodum collegerat auro / pictus acu tunica s et barbara tegmina crurum. Dort wird der Cybelepriester Chloreus beschrieben. Jesus, wie ein heidnischer Priester gekleidet, wird zuletzt auch diese Religion übertreffen. 26 Vgl. OLD s.v. nefas, 1. 27 Vgl. Kühner-Stegmann I 67f und Leumann-Hofmann-Szantyr II 13. 28 Vgl. Hatfield 4. Der einzige Fall ohne partitiven Genitiv Plural ist III 21 plebes commota ... volutant; siehe zu Fällen mit Genitiv oben zu 615 petebant und Huemer 154. 29 Vgl. Knappitsch ad loc. 30 Vgl. OLD s.v. induo 2.

136

Die Verspottung Jesu durch die Soldaten

et crucis ad poenam: Siehe oben zu 615 et crucis ad poenas. sanctum iustumque: Zum zweiten Mal in dieser Perikope, schon zum fünften Mal in der gesamten Passion (IV 518, 594, 604, 642, unmittelbar vor der Passion IV 441 beim letzten Abendmahl), wird Jesus als iustus bezeichnet, hier, um ihn angesichts der drohenden Kreuzesstrafe erneut als unschuldig zu bezeichnen. Darüber hinaus ist er sanctus, also im eigentlichen Wortsinn unantastbar, und wird dennoch so bestraft. Eine wirkungsvolle Antithese, die durch das direkte Aufeinanderfolgen der drei Akkusative verstärkt wird. Siehe weiter oben zu 594 iusti und zu 595 sanctum. trahebat: Neben dem der Vorlage entsprechenden duxerunt handelt es sich bei trahebat um einen interpretierenden Zusatz des Dichters: Jesus wird zum Kreuz geschleppt. Siehe auch IV 590: praesidis ad gremium magno clamore trahebat, dort für adduxerunt. SOLDATEN BEI IUVENCUS Außerhalb der Passions- und Auferstehungserzählung sind Soldaten im Neuen Testament selten ein Thema. Das gilt daher auch für Iuvencus, der nur an zwei weiteren Stellen von Soldaten spricht. Zunächst ist die Perikope um den Hauptmann von Kapernaum zu nennen, der I 742 als centurio und I 765 als miles bezeichnet wird, jeweils ohne Attribut und unauffällig. Interessanter sind die Verse II 619f quisque meis aberit discretus miles ab armis / hostis in adversa consistet fronte duelli, die Mt 12,30 qui non est mecum, contra me est, et qui non congregat mecum, dispargit wiedergeben. Die schlichte Vorlage wird von Iuvencus mit einem sehr kriegerischen Bild amplifiziert, er spricht von Soldaten, Waffen, Feinden und Krieg. Von einer ausgemachten Friedensbotschaft oder einer allgemein negativen Wertung militärischer Anstrengungen kann also nicht die Rede sein. Das Motiv des kriegerischen Sieges taucht im Kontext der Auferstehung wieder auf; siehe dazu unten S. 274–276. Innerhalb der Passions- und Auferstehungserzählung treten Soldaten nun in den Versen 643, 650, 664, 711, 736, 739, 742, 750 und 780, also neun Mal, auf. Die beiden Stellen in dieser Perikope sind oben kommentiert, 664 ist keine Konnotation erkennbar. Die Soldaten unter dem Kreuz, von denen Iuvencus 711 berichtet, handeln in der Folge positiv, indem sie 713 Jesu Gottessohnschaft bekennen; siehe weiter dort. An den weiteren fünf Stellen ist jeweils die Rede von der Wache des Grabes Jesu, die über die Vorlage hinausgehend nicht nur custos (bzw. custodes), sondern miles (bzw. milites) genannt wird. Bei der ersten Nennung in Vers 736 bitten die jüdischen Oberen Pilatus, er möge ihnen gewähren, eine Wache aufzustellen. Die Benennung dieser als custos miles ist also aus dem Kontext erklärbar – der Statthalter verfügt eben über Soldaten, die er den jüdischen Oberen zur Verfügung stellt. Weiter verfährt er konsequent und nennt diese auch weiter miles bzw. milites, mit der Ausnahme von Vers 776, in der von custodum exterrita corda die Rede ist; siehe weiter dort. Dabei ist jeweils keine Konnotation, sei sie negativ, sei sie positiv, zu erkennen, sondern nur, dass Iuvencus sich die Wache (zutreffend) als militärische Wache vorstellte.

IV 642–652

137

Das gilt, da Mt 28,12 von milites die Rede ist, offenbar auch für die Vorlage. Im Ganzen ist eine Abwertung von Soldaten und kriegerischen Mitteln bei Iuvencus keineswegs zu zeigen. THEOLOGISCHE BERÜHUNGSPUNKTE Iuvencus lässt hier nur wenige, aber wesentliche theologische Aussagen erkennen. Jesus als König Die Interpretation, dass Jesus wirklich ein König ist, dem auch die spottenden Insignien keinen Abbruch tun können, ist in den Versen 646–648 angedeutet. Zwar kann inque vicem sceptri auch rein deskriptiv, etwa im Sinne von „so, wie man ein Szepter trägt“, aber auch theologisch gefüllt im Sinne von „an Stelle des Szepters, das ihm gebührt“, verstanden werden. Auch die Dopplung des Königstitels zu regem dominumque ist auffällig. In der Exegese und in bildlichen Darstellungen der Spätantike findet sich diese Auslegung häufig. 31 Zunächst wurde jedoch, etwa bei Tertullian, die Szene genutzt, um die Christen zur Standhaftigkeit angesichts eines möglichen Martyriums aufzurufen. Das Leiden Christi ist exaktes Gegenbild zu dem, was ihn (und damit den, der ihm nachfolgt) im Himmel erwartete, vgl. Tert. Coron. 14,4 (CCL 2, 1064,26–31 Kroymann) ut et illam Christi coronam aemuleris, quae postea ei obvenit. At quin et favos post fella gustavit nec ante rex gloriae a caelestibus salutatus est, quam ‚rex Iudaeorum‘ proscriptus in cruce [...]. Knapp auf den Punkt gebracht findet sich die später häufige Deutung, man müsse die Verspottungen sub specie contrarii verstehen, bei Hil. in Matth. 33,3 (SC 258, 252,1f Doignon) in his autem omnibus Christus, dum illuditur, adoratur. Die konkreten Insignien werden bisweilen kontrastiv als Hinweis auf das kommende Königreich Christi verstanden, z.B. Lact. Div. Inst. IV 26,16 (414,4–8 Heck/Wlosok) quae igitur tum faciebat in praesens, imagines erant futurorum, quae in laesis adfectisque corporibus exhibebat, ea spiritalium figuram gerebant, ut et in praesenti virtutis non terrenae opera monstraret et in futurum potestatem caelestis suae maiestatis ostenderet. Häufiger jedoch ist eine Interpretation, die das Leiden tatsächlich einschließt, ohne den Königsanspruch zu verkleinern, z.B. Ambr. in Luc. X 104 (CCL 14, 375,976–981 Adriaen) clamydem autem coccineam induitur a militibus et purpuream tunicam, in altera designans martyrum palmas, in altera regiae potestatis insignia, quod caro eius fusum toto orbe terrarum sanguinem esset susceptura pro nobis et passio regnum paritura de nobis. Die Deutung des Leids, dass es sich bei der Dornenkrone um die Dornen der mensch-

31 Vgl. Luz (2002) 297–307.

138

Die Verspottung Jesu durch die Soldaten

lichen Sünde, die Jesus auf sich nimmt, handelt,32 ist bei Iuvencus nicht zu erkennen. Zur literarischen, v.a. ironisierten, Gestaltung dieses unfreiwilligen Bekenntnisses zum rechtmäßigen Anspruch Jesu auf ein Königtum durch die spottenden Soldaten siehe weiter unten S. 169–174. Die Zahl der bildlichen Darstellungen, die solches illustrieren, ist groß, eine kurze Sammlung bietet Luz.33 Dem christlichen Leser des Iuvencus ist nun all das bekannt und der Text entfaltet seine erbauliche Wirkung. Der heidnische Leser mag sich hier noch wundern, vielleicht Stellen wie inque vicem sceptri rein deskriptiv verstehen. Nach der Auferstehung aber ist spätestens klar, dass Christus wirklich Gottessohn und König ist. Die Verantwortung der Juden „Daß die Juden auch für die Auspeitschung und die Dornenkrönung Jesu verantwortlich sind, ist eine alte Tradition, welche schon auf Ev Petr 6–9 zurückgeht und vermutlich über Justin (Ap I 35) in die kirchliche Überlieferung eingegangen ist.“34

Damit war diese Tradition also zur Zeit des Iuvencus sicher etabliert. Offenbar tat man sich überhaupt damit schwer, den römischen Soldaten die Schuld an der Peinigung Jesu zuzuschreiben. Origenes erklärt ihr Verhalten als einmalige Diziplinlosigkeit junger und unerfahrener Männer, vgl. Ser. 125 (GCS 38, 260,14–20 Klostermann/Benz) Verisimile est, ut (in primordiis tunc noviter erecti imperii Romani) milites nondum disciplinae ordinem conservantes decentem, extra consuetudinem disciplinae quae nunc est, facerent in Salvatorem [...] et fecerunt quae fecisse dicuntur lusum sibi Jesum facientes [...]. Deutlicher noch wird Chrysostomos, der explizit Pilatus exkulpiert, die Juden aber für die Misshandlungen beschuldigt, vgl. Hom. in Mt. 87 (PG 58, 700) Καὶ αὐτόχειρες γίνονται, καὶ κατακρίνουσι, καὶ παρ’ ἑαυτοῖς καταδικάζουσι καὶ παρὰ τῷ Πιλάτῳ [...]. Καὶ ἐνάλλονται καὶ ὑβρίζουσι δι’ ἑαυτὸν, δεσμοῦντες, ἀπάγοντες, καὶ τῶν ὕβρεων τῶν ὑπὸ τῶν στρατιωτῶν αἴτιοι καθίστανται [...]. Οὐδὲν γὰρ ἐνταῦθα ὁ Πιλάτος εἰσήνεγκεν [...].35 Iuvencus scheint hier jedoch nicht so weit zu gehen wie Chrysostomos. Er will nicht zuerst die Juden beschuldigen, sondern Pilatus und die Römer exkulpieren. Daher lässt er die Soldaten nicht eigenständig, sondern nur als sceleris

32 Vgl. Orig. Ser. 125 (GCS 38, 261,24–262,3 Klostermann/Benz), Lact. Div. Inst. IV 26,18–23 (414,10–415,12 Heck/Wlosok), Ambr. in Luc. X 104 (CCL 14, 375,976–981 Adriaen), Hier. in Matth. IV 27,27–29 (CCL 77, 268,1620–269,1640 Hurst/Adriaen). 33 Vgl. Luz (2002) 298f. 34 Luz (2002) 307. 35 „Sie werden Mörder, indem sie ihn verurteilen und vor ihrem eigenen Gericht, wie auch bei Pilatus schuldig sprechen [...]. Sie misshandeln und beschimpfen ihn selbst, und sind auch schuld, daß ihn die Soldaten verhöhnen [...]. Dazu hat Pilatus gar nichts beigetragen [...]“ (Übersetzung Baur 1916).

IV 642–652

139

ministri handeln. Ihr Auftraggeber wird nicht genannt; siehe dazu weiter oben S. 129 und unten S. 322–340. AUSBLICK Sedulius gibt die vorliegende Passage Carm. Pasch. 164–175 wieder. Beide Dichter eröffnen die Szene ähnlich, vgl. 164f cumque datus saevis ad poenam Sanctus abiret / militibus. Sedulius bezeichnet die Soldaten im ersten Vers als saevis statt wie Iuvencus trucibus. Beide Vokabeln stehen an gleicher Stelle im Vers. Iustus bei Iuvencus entspricht bei Sedulius dann das antithetisch dazu stehende Sanctus, zuletzt wird militibus wie bei Iuvencus enjambiert. Ein Einfluss von Iuvenc. IV 642f ist offensichtlich. Sedulius fährt, wie üblich, mit theologischen Erklärungen fort, die sich in der Exegese der Alten Kirche etabliert hatten, nämlich der Deutung der Dornenkrone als Übernahme der Sünden der Menschheit (vgl. 166–169, siehe weiter oben Anm. 32) und der Rute als Zeichen für die Nichtigkeit alles Irdischen (vgl. 170f), die Christus jedoch ablegt, wenn er seine eigene Kleidung wieder anlegt (vgl. 172f moxque alienos / deponens habitus, proprium suscepit amictum). Diese steht dann für die Glorie, die ihm durch die Auferstehung, wenn er sich von seinem Leib zunächst löst, um ihn dann auf ewig wieder anzunehmen, zuteil werden wird (vgl. 173 scilicet humanae positurus tegmina carnis / et sumpturus item, nil iam ut mutabile ferret / post mortem propria cum maiestate resurgens). Panagl athetiert den folgenden Vers 176: humano ponens mortalem tegmine carnem, der in dieselbe Richtung wiese, jedoch redundant ist. Sedulius sucht nicht nach der (heimlich) positiven Bedeutung der Insignien, mit denen Jesus verspottet wird, sondern versteht zunächst das Leiden als Teil des Heilswerks und legt es dementsprechend aus. Darauf folgt die Auferstehung, die, da Jesus propria maiestate erscheint, antithetisch den Misshandlungen gegenübersteht. Während die Interpretation von Mantel, Dornenkrone und Szepter sich noch in die narratio einfügt, wird diese durch den Verweis auf die Auferstehung durchbrochen, so dass der Exegese bei Sedulius der Primat vor der Erzählung zukommt.

KREUZWEG UND KREUZIGUNG (IV 653–686) EINPASSUNG DER SZENE Der Dichter hält sich, was die Einpassung der Szene angeht, exakt an die Vorlage. Die Entscheidung, den Abschnitt erst mit Vers 653 statt mit Vers 650 wie Huemer beginnen zu lassen, ist oben zu Beginn des Kapitels „Die Verspottung Jesu durch die Soldaten“ ausführlicher begründet; ecce sed leitet hier die neue Perikope ein. Die Sonnenfinsternis 687–689 ist dagegen kein Einschnitt, sondern integraler Bestandteil der Szene; siehe dazu unten. Einige moderne Exegeten unterteilen nach Mt 27,38, also nach der Kreuzigung und vor der Verspottung.1 Iuvencus bringt diese Unterteilung jedoch auf andere Weise zum Ausdruck, indem mit sed caeca furentis die Wiedergabe von Mt 27,39 mitten im Vers beginnt (siehe dazu weiter unten zu 668f sed caeca furentis insultat ... vaesania); siehe zu Überleitungen im Allgemeinen unten S. 320. Zuletzt wurde auch aus praktischen Gründen hier die vorliegende Einteilung gewählt. KOMMENTAR Simon von Cyrene (IV 653–656) Mt 27,32: Exeuntes autem invenerunt hominem Cyrenaeum venientem obviam sibi nomine Simonem; hunc angariaverunt, ut tolleret crucem eius.

Iuvenc. IV 653–656 653 Ecce sed egressi quendam cepere Simonem 654 Cyrena genitum lignumque adferre iubebant, 655 quo dominum lucis iussis suffigere saevis 656 instans urgebat saecli inmutabilis ordo.

ecce sed egressi ... iubebant: Ein Subjekt wird nicht ausdrücklich genannt. Es handelt sich daher nach Knappitsch um die „principes populi.“2 Es ist nicht klar, ob die Hohenpriester und „Ersten des Volkes“ dazu befähigt sind, irgendwem etwas zu befehlen, außerdem liegt ihre letzte Nennung schon weiter zurück (Vers 632). Es muss sich wohl um die Soldaten handeln, die oben zu IV 642–652 eingehend besprochen wurden. Iuvencus verzichtet (wie seine Vorlage) auf deren er1 2

Z.B. Fiedler 413, Sand 558 und Luz (2002) 308, nicht aber Wiefel (1998) 476. Knappitsch ad loc.

IV 653–686

141

neute Nennung, um ihnen nicht mehr Bedeutung oder gar Verantwortung zuzumessen als nötig. ecce sed egressi: Wie schon oben in Vers 574 ersetzt Iuvencus die metrisch unpassende Vokabel exire der Vorlage durch eine Form von egredi. Den Versanfang ecce sed mit einer Form von egressum gebraucht er insgesamt drei Mal. So wird ein deutlicher Einschnitt markiert (siehe die Einleitung zu diesem Kapitel und S. 129), siehe zur Signalwirkung der Phrase oben zu 574 ecce sed egressum. Egressi bezieht sich nicht auf das Praetorium, sondern auf die gesamte Stadt, da Kreuzigungen nicht innerhalb der Stadtmauern durchgeführt wurden. 3 quendam Simonem Cyrena genitum: Das Indefinitpronomen quidam gebraucht Iuvencus nur drei Mal, nämlich hier, III 712 sic quidam dives und IV 430 quendam sine nomine. In ersterem Fall kann quidam kaum eine Bedeutung zugemessen werden, in letzterem Fall ist die Identität der Person ausdrücklich irrelevant.4 Hier will der Dichter Simon von Cyrene so vom sonst bisweilen schlicht Simon genannten Simon Petrus (I 421 zunächst Simon, dann Petrus; III 120, 391; IV 409, 583 bloß Simon) unterscheiden. Die Herkunft Simons drückt Iuvencus durch einen üblichen Ablativus originis zu genitum, Cyrena, aus. Der Name Simon und seine Herkunft aus der Provinz Cyrenaica ließen die Leser des Matthäusevangeliums, die vorwiegend Judenchristen waren, darauf schließen, dass er Jude war.5 Diese jüdische Identität spielt für Iuvencus aber weder positiv noch negativ eine erkennbare Rolle, er hält sich nur an seine Vorlage. In der späteren Exegese der Alten Kirche wurde der Cyrenäer sogar gerade für einen Nichtjuden gehalten. Siehe dazu weiter unten S. 165–168. lignumque: Die Synekdoche bezeichnet das Kreuz. 681 spricht Iuvencus nur von lignum, IV 755 heißt es crucis in ligno. Die Rede vom „Holz des Kreuzes“ ist seit dem Neuen Testament (Apg 5,30; 10,39; 13,29; 1 Petr. 2,24) in der christlichen Literatur verbreitet,6 weiterhin bekannt aus dem an Karfreitag üblichen Ruf Ecce Lignum Crucis. adferre: Röttger stellt sich die Frage, ob Simon befohlen wird, das Kreuz zu tragen oder eines herbeizuschaffen. 7 Letzteres ist m.E. kaum zu verstehen, zumal adferre auch in der Bedeutung „to bring along“8 reichlich belegt ist. 3

4 5 6

7

Luz (2002) 311 Anm. 20, verweist z.B. auf Plaut. Miles 358, wo von Kreuzigungen extra portam die Rede ist. Die vorliegende Stelle erklären so Tert. adv. Marc. III 7,7 (CCL 1, 517,5f Kroymann), Hier. in Matth. IV 27,32 (CCL 77, 269,1655–270,1665 Hurst/Adriaen) und Joh. Chrys. Paralyt. 3 (PG 51, 53f). Zu Auslegungen siehe unten, Seite 168. Knappitsch übersetzt treffend mit „ohne Nennung des Namens [...] einen Mann [...].“ Vgl. Luz (2002) 312. Zu Interpretationsversuchen (z.B. einem Bezug auf den Baum bzw. das Holz des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse im Paradies) und Verweisen auf die übrige Bibelepik siehe Roberts (1985) 200f, eine ausführliche Sammlung bietet W. Speyer, Art. Holz, in: RAC 16 (1994) 109–111. Solche Interpretationen sind für die altkirchliche Exegese nicht untypisch, bei Iuvencus aber nicht zu erkennen. Vgl. Röttger 118 Anm. 495: „Heißt lignum adferre iubebant, wie wir aufgrund unserer Kenntnis der Geschichte automatisch assoziieren, daß Simon für Jesus das Kreuz nach Golgotha trägt, oder heißt es einfach, er soll ein Kreuz herbeischaffen (adferre im eigentlichen Sinn)?“

142

Kreuzweg und Kreuzigung

Zu den historischen Umständen und der exegetischen Bedeutung des Frondienstes siehe Fiedler 413, Anm. 129 und 148, Anm. 165 sowie Luz (2002) 312 und Luz (1985/2002) 386.

dominum lucis: Fontaine analysiert diesen Ausdruck, einen „titre singulier du Christ“, der hier und im Epilog (IV 812) zu finden ist, eingehend. 9 Er weist einige Parallelen zu anderen Lichtmotiven nach, beginnend mit Ps 24, Mal 3,20 und Joh 8,12 über Tertullian und Ambrosius und einige inschriftliche und numismatische Belege, wobei der konkrete Titel dominus lucis außerhalb von Iuvencus nicht zu finden ist.10 Die vorliegende Stelle interpretiert Röttger in seiner Dissertation noch ausführlicher als Fontaine. Entweder, so Röttger, ist der dominus lucis ein „epiphaner Licht-Herr“ oder die lux ein „vom dominus gewirktes Gut“, wie aus I 167 qui populis lucem ... propaget und aus Bezeichnungen für Jesus wie „parens lucis (1,747), doctor lucis (3,109) und besonders (Passionsgeschichte!) repertor lucis (4,479)“11 hervorgeht; eine sichere Entscheidung zwischen diesen Interpretationen sei unmöglich. 12 Eine Sonnen-Christologie (die ebenfalls beide von Röttger vorgebrachten Bedeutungen rechtfertigen ließe) kann Wallraff besonders bei Origenes nachweisen, ebenso schon vor der Zeit Konstantins eine wesentliche Bedeutung der Sonne beim Osterfest. Zwar ist ein wörtlicher Bezug zum Titel hier nicht zu zeigen, die Parallele aber auffällig.13 Hier wird zugleich das Paradox, dass der (Licht-)Herr leiden muss, hervorgehoben, und die heilbringende 14 Bedeutung Jesu und seines Todes dem mannigfach ausgedrückten Leiden wirkungsvoll entgegengestellt. Siehe weiter unten zu 812 dominum lucis. Siehe zu Gebrauch und Bedeutung des Titels „Herr“ auch oben zu 647 regem dominumque.

urgebat: Hier mit erweitertem Infinitiv konstruiert, wie es bei den Dichtern neben dem AcI 15 gebräuchlich ist, vgl. Hor. Carm. II 18,20f marisque Bais obstrepentis urges / summovere litora und Sil. XIII 427f ferroque cavare refossam / ocius urget humum. Suffigere steht also nicht an Stelle von suffigi.16 saecli inmutabilis ordo: Siehe zu diesem Gegenbegriff zu Vergils ordo saeclorum oben zu 638 in ordine saecli. Die Verse 655f sind eine reine Hinzufügung des Dichters. Röttger interpretiert ihren Zweck so: „[Wie schon zuvor], so gewährt Iuvencus seinen Lesern auch in dem Moment, in dem das Instrument der Tötung ‚auf die Bühne gebracht wird‘, einen ‚Durchblick‘ auf die erhabene Größe des Licht-Herrn und Licht-Bringers 8 9 10 11 12 13 14 15 16

OLD s.v. 2. Fontaine (1984). Vgl. Fontaine (1984). Röttger 122. Vgl. ibid. Dort findet sich jedoch eine überzeugende Revision der zuvor von Fontaine, 133– 135 vorgebrachten Thesen auf Grundlage grammatischer Überlegungen. Siehe die Kapitel „Die Sonne und die theologische Rede von Christus“ und „Die Sonne als Interpretament des Osterfestes“ bei Wallraff 41–60 und 119–125. Vgl. zur Verbindung zwischen Licht und Heil Röttger passim. Siehe auch OLD s.v. 10, vgl. Culex 261f obvia Persephone comites heroidas urget / adversas praeferre faces. So Knappitsch ad loc.

143

IV 653–686

und damit auch auf das Ende und die tiefere Bedeutung des Geschehens (Auferstehung, neues Leben nach dem Tod).“17 Herzog beschreibt die Szene als „(antithetische) Meditation vor dem Kreuz“.18 An dieser Stelle trifft Herzogs Begriff von Erbaulichkeit. Die starke, emotionale Gestaltung (saevis, instans, urgebat und saecli immutabilis ordo) der Szene lädt dazu ein, gewissermaßen zu verweilen und das Geschehen innerlich nachzuvollziehen; siehe ansonsten zur Erbaulichkeit unten S. 346–373. Zu dieser emotionalen Dimension tritt die theologische: Iuvencus interpretiert den Kreuzweg als unausweichlich, im so wichtigen ordo saecli vorherbestimmt. Es handelt sich hier zudem nicht etwa um eine alttestamentliche Prophezeiung, womit Iuvencus ja sonst recht treu zu seiner Vorlage verfährt,19 sondern um seine eigene Deutung der Ereignisse im Spiegel der Heilsgeschichte; siehe dazu unten S. 165–168. Die deutliche Sprache erfüllt hier also diese beiden Funktionen. Sie bewirkt gemäß Herzog eine „Meditation“ bzw. weist gemäß Röttger auf die „erhabene Größe des Licht-Herrn“ und bringt die Wichtigkeit, die der Dichter seiner Interpretation vom vorbestimmten Leiden und Tod des dominus lucis zumisst, zum Ausdruck. Die theologische Dimension darf hier keinesfalls, wie sonst geschehen, vernachlässigt werden. Siehe weiter auch unten zu 660 ut satis ... dictis. Röttger liegt ferner richtig, dass Iuvencus es hinnimmt, „daß die Erzählung etwas an Eigendynamik verliert,“20 und somit nicht Dramatik und Spannung Ziel der Umarbeitung sind. Jene (epische) Dimension tritt also hier in den Hintergrund. Jesus wird mit Galle getränkt (IV 657–661) Mt 27,33f: 33 Et venerunt in locum, qui dicitur Golgotha, quod est Calvariae locus. 34 Et dederunt ei bibere vinum cum felle mixtum; et cum gustasset, noluit bibere.

Iuvenc. IV 657–661: 657 At postquam ventum est, ubi ruris Golgatha nomen, 658 permixtum felli vinum dant pocula Christo. 659 Ille sed in summo gustu tractata recusat; 660 ut satis antiquis fieret per talia dictis, 661 nec tamen insultans hominum furor omnia posset. 658 felle R B1 P2 659 tractare R K1 K2 T B2 Bb 660 versum post 664 posuit Arevalo, ut spurium delevit Marold 661 possit C2 K22 : poscet R1 : poscit C R 1 1 M C2 K2 P S T Bb Mb Al L Mp V1 V2 Ph1 C3 H N G Marold Huemer Knappitsch in adnotationibus Arevalo : in marg. quaedam minime legibilia T Sg

17 18 19 20

Röttger 122. Herzog (1975) 146, auch Anm. 353. Siehe oben zu 639f mit einer Diskussion der bisherigen Forschung. Röttger 123.

144

Kreuzweg und Kreuzigung

ventum est: Dieser unpersönliche, passive Gebrauch von venire ist auffällig, aber episch belegt; siehe z.B. Aen. VI 45; XII 803 und Sil. IV 74. Eine Parallele zur vorliegenden Stelle ist Ov. Fast. V 93–96 hic, ubi nunc Roma est, orbis caput, arbor et herbae / et paucae pecudes et casa rara fuit / quo postquam ventum est, ‚consistite‘, praescia mater / nam locus imperii rus erit istud ait. Wenn Iuvencus bewusst auf diese Stelle zurückgegriffen hat, ist Golgotha als Ursprungsort des Heiles dem teleologischen Rom entgegengestellt.

Quint. Inst. beschäftigt sich I 4,7 mit Passiva wie itur in antiquam silvam (Aen. VI 179); jene Stelle wird in der antiken und spätantiken Grammatik immer wieder herangezogen. Siehe zur „Transitivierung“ als Merkmal der Dichtersprache Kühner-Stegmann I 163 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 31f. Golgatha: Der Name wird wie fast alle hebräischen Namen nicht dekliniert. Iuvencus lässt die Übersetzung bzw. Erklärung des Evangeliums, quod est Calvariae locus, aus, möglicherweise, um keinen Raum für etymologische Spekulation zu geben. Er zeigt auch ansonsten kein Interesse an der Diskussion seiner Zeit, wie es zu dem Namen gekommen sein könnte.21 Es ist jedoch plausibel, dass der Dichter Golgatha wie schon in Vers 478 Gessemaneia rura22 gern übernimmt, da die Christen seiner Zeit eine emotionale Bindung zu diesen Namen hatten. 23 Iuvencus muss hier also nicht, um verständlich zu bleiben, „entjudaisieren“; im Gegenteil, den Namen zu ersetzen hätte seinem Ziel geschadet. Aus dem negativ konnotierten hebräischen Wort eine antisemitische Nuance zu lesen, wäre zu gewagt. Zur Behandlung hebräischer Namen allgemein siehe unten S. 322–340. permixtum felli vinum: An Stelle des Dativs ist auch der grammatisch übliche, aber metrisch unmögliche Ablativ felle überliefert. Der Dativ ist neben permiscere zwar weniger gebräuchlich,24 aber durchaus möglich, so dass zwischen permixtum felli vinum und fel vino permixtum kein Sinnunterschied (etwa hinsichtlich des Mischungsverhältnisses) besteht. Der Trank ist wohl (nach Mk 15,23) mit Myrrhe gemischt und zur Betäubung der Delinquenten gedacht gewesen;25 bei Matthäus wird er eindeutig zur weiteren Qual.26 Ob Iuvencus die Gewohnheit, ein Betäubungsmittel zu reichen, kannte oder nicht, spielt keine Rolle: Sein Bild von der 21 Eine jüdische Legende bringt den Platz mit Adams Schädel bzw. Adams Grab in Verbindung (vgl. u.a. Orig. Ser. 126 (GCS 38, 265,1–14 Klostermann/Benz) und Hier. in Matth. Mt. IV 37,33 (CCL 77 270,1666–1685 Hurst/Adriaen)). Auch sind Assoziationen mit einer Hinrichtungsstätte (wieder Hier. in Matth. IV 37,33) bzw. der Form des Berges (wie unser „Kopf“ in Ortsbezeichnungen, siehe Benzinger, Art. Golgotha, in: RE 14 (1912) 1581) versucht worden. Aus dem Iuvencustext lässt sich nichts über seine Meinung erkennen. Opelt (206) verweist auf mittelalterliche Traditionen, durch die sie die Schlichtheit der Version des Iuvencus erweisen möchte. Das Fehlen topographischer Beschreibungen und szenischer Ausschmückungen ist sicher der starken Bindung an die Vorlage geschuldet, ohne dass dabei, wie Opelt meint, ein Mangel in der epischen Technik des Iuvencus erkannt werden muss. 22 Siehe zu diesem Namen auch Fichtner 15f. 23 Vgl. Poinsotte 43. 24 Vgl. ThLL X 1544,42–1545,69 (Keulen 1997). Dort findet sich auch die vorliegende Stelle als Beispiel, daneben Stat. Ach. I 811 is decor et formae species permixta virili und das hier gut passende Vet. Lat. II Macc. 15,39 vinum aquae permixtum (gr. οἶνος ὕδατι κερασθείς). 25 So auch für Matthäus communis opinio der Bibelwissenschaft. 26 So ausdrücklich Sand 559.

IV 653–686

145

Kreuzigung ist längst vom „leidenden Gerechten“ durchdrungen. Ein weiteres Detail des Leidens kommt also gerade recht. pocula: Metonymie für potio. ille sed: Ein sehr häufiger Versanfang bei Iuvencus (noch 10 Mal).

summo gustu: Summo macht deutlich, dass Jesus nur ein wenig des Tranks gekostet hat, bevor er ihn zurückwies; summo gustu ist also wie summis labris 27 zu verstehen. Siehe auch zu tractata. tractata: Die alternative Lesart tactare ist nur aus Mk 15,23 (et dederunt ei bibere murratum vinum et non accepit), gemäß dem Jesus den Trank ganz zurückweist, zu erklären. Nach Matthäus kostet er zunächst und weist ihn dann zurück; auch wäre in summo gustu sonst unverständlich. Tractata ist hier als ungewöhnlicherer Ausdruck und daher lectio difficilior zu bevorzugen, aber kaum anders als tacta zu verstehen28 und stützt so die obige Deutung von summo gustu als summis labris: Jesus berührt das Getränk mit gespitzten Lippen, vgl. Hor. Ep. II 1, 235f sed veluti tractata notam labemque remittunt / atramenta29 und Lucr. I 398f mellis lactisque liquores / iucundo sensu linguae tractentur in ore.

Die beiden Verse 660f sind problematisch, da sie keine Entsprechung in der Vorlage haben. Da der Verweis auf antiqua dicta in Vers 660 mit dem in einigen Bibelhandschriften nach der Verteilung der Kleider überlieferten Mt 27,35b ut impleretur quod dictum est per prophetam dicentem (bzw. Joh 19,24, siehe unten zu 663f intactae ... tunicae ... militis unius) korrespondiert, wollte Arevalo den Vers hinter 664 transponieren. 30 Sowohl bei Arevalo als auch bei Marold, der 660 (m.E. unnötigerweise) tilgt, folgt also 661 direkt auf 659. 31 Hansson lehnt so starke Eingriffe in den Text, wie Arevalo und Marold sie vornehmen wollen, ab. Weder die schlechte Überlieferung des Verses aus dem Matthäusevangelium32 noch der Rückgriff auf das Johannesevangelium in den Versen 662–664 reicht aus, einen an sich verständlichen Vers so zu versetzen. Die überlieferten Verse lassen sich hier als Harmonisierungsversuch und mit einem in der Kirchenväterexegese weit verbreiteten Rückgriff auf das Alte Testament erklären. Zunächst ist 661 posset zu lesen; siehe dazu unten zur Stelle. Man kann Jesus zwar etwas darreichen, ihn aber nicht zwingen zu trinken. Jesus erfüllt nämlich dadurch, dass er nippt, die Schrift. Darauf aber überwindet er seine körperliche Not (Durst), indem er auf den Trank verzichtet. So versteht die Stelle auch Iuvencus, der hier von der Erfüllung von Ps 68,22 (LXX) et dederunt in escam meam fel, et in siti mea potaverunt me aceto spricht, unten 694–696 jedoch

27 28 29 30 31 32

Oder primis labris, vgl. Arevalo ad loc. Vgl. OLD s.v. 2. Knappitsch ad loc. Ebenso später Green (2011) 14. Vgl. Marold (1892) 845. Mt 27,35b ist nicht überliefert in den Itala-Handschriften d f ff1 ff2 g1 l, der Vulgata und den meisten griechischen Handschriften. Siehe weiter Hansson, 57. Orbán (1995) sah eine besondere Abhängigkeit von der Afra, die für den hier behandelten Abschnitt verloren ist. Die Afra habe aber viele Gemeinsamkeiten mit der Itala-Handschrift d (Vgl. Orbán (1995), 349), in der Mt 27,35b wiederum nicht enthalten ist.

146

Kreuzweg und Kreuzigung

nicht.33 Dort geht es dem Dichter offenbar ausschließlich um die Qual, den sauren Essig trinken zu müssen; siehe weiter zur Stelle. Denkbar ist also ein Harmonisierungsversuch, der Joh 19,28–30 ut consummaretur scriptura dicit „sitio.“ Vas ergo positum erat aceto plenum, illi autem spongiam plenam aceto hysopo circumponentes obtulerunt ori eius. Cum ergo accepisset Iesus acetum dixit: „consummatum est“ mit der vorliegenden Stelle, nicht mit der bei Matthäus zweiten Tränkung mit Essig (Mt 27,48), die Iuvencus unten 694–696 wiedergibt, zusammenbringt. Solche Harmonisierungen lassen sich auch bei Hilarius nachweisen.34 Johannes deutet nicht nur bei der Verlosung des Gewandes Joh 19,23f auf die Erfüllung eines Psalmwortes, sondern auch Joh 19,28f. Daher ist es nicht nötig, 660 mit Joh 19,24 zu identifizieren, wie es Arevalo tut. Iuvencus zog, so Hansson im Anschluss an Widmann, 35 schon II 545f und III 265-267 zur Beschreibung der Himmelfahrt des Elia über die Vorlage hinausgehend das AT (2 Kön 2,11) heran. Die Erfüllung der Schrift wird durch den Zusatz des Dichters gegenüber der Vorlage gleich an Christi Handeln, nicht an das Handeln seiner Gegner angeschlossen; siehe dazu zu nec tamen .. posset, weiter auch unten S. 165–168. ut satis ... dictis: Wie oben gesagt eine Bezugnahme auf Ps 68,22 (LXX). Diese Hinzufügung des Dichters unterstützt die obige Deutung von saecli immutabilis ordo in Vers 656: Für Iuvencus ist seit jeher das Geschehene und das bald zu Erwartende vorbestimmt und nötig. Er trifft hier eine bewusste theologische Aussage; siehe dazu auch unten S. 165–168, zum Umgang mit dem Alten Testament S. 322–340, zu Prophezeiungen S. 106–110. antiquis ... dictis: Siehe zur Bezeichnung des AT als vetus und antiquus unten S. 322–340.

nec tamen ... posset: Hier steht der insultans hominum furor Jesus gegenüber; siehe zum furor (Iudaicus) oben zu 627 furentem und die Literaturhinweise dort sowie S. 322–340. Darin liegt die eigentliche Aussage des Verses, die auch über die Kreuzigungsszene hinausweist: Der furor der Masse vermag gegenüber Jesus, mag es auch so wirken, letztlich doch nichts. Zwar haben seine wütenden Gegner ihn in diese Lage bringen können, er leidet und ist durstig, jedoch widersteht er und überwindet seinen Durst und den furor seiner Gegner. In Verbindung mit der Erfüllung der Schriften, von der Vers 660 berichtet, liegt also die Macht keineswegs beim Volk, sondern bei Gott allein. Das zeigt sich auch darin, dass die beiden Verse grammatisch miteinander korrespondieren. Auch die Exegese der Alten Kirche legt Jesu Ablehnung des Tranks, nachdem er gekostet hatte, explizit so aus; siehe dazu unten S. 165–168. Auch angesichts der vorhergehenden Szene ist der Vers hier sehr passend: zwar konnte die Menge Pilatus noch überreden, gegen Gottes Weltordnung und Heilsplan aber ist sie machtlos. Iuvencus’ persönliche Antwort auf die Frage nach 33 Dieser Bezug ist in der Exegese spätestens seit Tert. adv. Iud. 10,4 (CCL 2, 1375 Kroymann); 13,10 (CCL 2, 1386 Kroymann) sowie Iren. Haer. III 19,2 (SC 211, 276–278 Rousseau/Doutreleau) und IV 33,12 (PG 7,2, 1081) bekannt. 34 Vgl. Hil. in Psalm. 68,18f (CSEL 22, 328,7–20 Zingerle). 35 Vgl. Hansson 57 und Widmann 40f.

IV 653–686

147

der Machtlosigkeit Jesu und damit Gottes lautet also, dass er nur machtlos zu sein sche int . Ohne es zu wollen erfüllen seine Peiniger sogar die Ankündigungen des Alten Testaments. So erklärt sich auch erneut, warum die Verse 660f nicht versetzt werden müssen: Iuvencus hat ein viel größeres Interesse daran, die Handlungen der feindlichen Volksmenge und deren Konsequenzen darzulegen, als etwas über die römischen Soldaten, deren Verteilung der Kleider ja durch eine Transposition der Verse betroffen wäre, auszusagen. Ähnlich verfährt er auch unten in Vers 669 mit der Hinzufügung von plebis. Hansson weist zu Recht das von Huemer und später Green bevorzugte poscit als unverständlich ab: „Worauf verzichtete der feindselige Haufe, der nicht omnia poscit?“36 Es bleiben die gut belegten Lesarten possit und posset, wobei auch poscet, das die erste Hand im Codex R schrieb, für posset herangezogen werden kann, während die unleserlichen Marginalnotizen in den Codices T und Sg dafür sprechen, dass die Verse schon früher Probleme verursacht haben. Der Tempuswechsel fieret – possit wäre annehmbar (Hansson verweist auf IV 92-95 rogabant, / ut sibi uenturi tempus distingueret aeui, / promissa ipsius quo poscant prendere finem, / eius et aduentus terrae consumeret orbem).37 Possit könnte also bevorzugt werden, wenn man es einerseits gegenüber posset als lectio difficilior, andererseits als Präsens als aktueller versteht; einen eleganteren Text ergibt posset.

insultans: Die Vokabel gebraucht Iuvencus drei Mal in der Passion (568, hier und 669, in letzterem Fall für das biblische blasphemare, siehe 669 sed caeca furentis insultat ... vaesania), nur ein Mal im restlichen Werk (II 51 vom Besessenen von Gerasa).38 So wird ein Bezug zwischen der (dämonischen) Besessenheit im zweiten Buch und furor (siehe oben zu 627 furentem) hier hergestellt; s. auch unten S. 332–339. Insultans furor ist zudem Iuvencus’ eigene Junktur. Verteilung der Kleider (IV 662–664) Mt 27,35f 35 Postquam autem crucifixerunt eum, diviserunt sibi vestimenta eius sortem mittentes.

Iuvenc. IV 662–664: 662 Iamque crucis fixum pendebat in arbore corpus 663 intactumque dedit tunicae sub sorte per omnes 664 militis unius servans possessio textum.

36 Et sedentes servabant eum. 35 post mittentes habent ut impleretur quod dictum est per prophetam dicentem: Diviserunt sibi vestimenta mea et super vestem meam miserunt sortem a b h q aur c

662 cruci C R C2 Hl K1 P P2 S B Bb Mb P3 Sg Al L Mp Matr V1 V2 Ph Bx C3 Ca H N Ca2 G Arevalo Marold Huemer Knappitsch post 662 habent R K1 P T3 N vestesque milites IIII partiuntur in partes : lacunam indicavit Green

36 Hansson 57, vgl auch Green (2011) 14. 37 Vgl. Hansson 57 Anm. 61 und dessen Verweis auf Huemer 174. Zur Lesart quo statt quem siehe Huemer 165 Anm. 62. 38 II 51 ist die Bedeutung leicht umstritten. Arevalo ad loc. versteht „beleidigen“, de Wit und Knappitsch ad loc. „verspotten“. Letzteres ergibt ein besseres Bild von der dortigen Szene.

148

Kreuzweg und Kreuzigung 663 intactumque coni. Kassel39 : intactamque (deinde tunicam) P2 ut coni. Poelmann : intactaeque rell.

crucis fixum ... in arbore: Crucifixum ist hier aus metrischen Gründen auszuschließen, da die Antepaenultima kurz gemessen werden müsste. 40 Zu entscheiden ist zwischen cruci und crucis. die Synekdoche arbor für crux ist weit verbreitet,41 jedoch die Junktur crucis arbor nur selten belegt.42 Cruci fixum dagegen (in zwei Worten) ist häufig zu finden. 43 Dennoch wäre es eigentümlich, zweimal in einem Vers vom Kreuz zu sprechen (cruci, arbore). Daher ist das schwierigere, aber nicht ganz schlecht belegte crucis zu lesen. Roberts verweist weiter auf die oftmals vorgebrachte Identifikation des Kreuzes als Gegenpol zum Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Paradies, 44 wobei es m.E. schwer fällt, einen solchen Gedanken hier für Iuvencus nachzuweisen. intactumque ... textum: Im Matthäusevangelium war nur die Rede von diviserunt sibi vestimenta eius, nicht aber von einer ungeteilten tunica. Iuvencus greift also (evtl. mittelbar) auf das Johannesevangelium zurück, vgl. 19,23f milites ergo, cum crucifixissent Iesum, acceperunt vestimenta eius et fecerunt quattuor partes, unicuique militi partem. Erat autem tunica rudis, desuper contexta per totum. Dixerunt ad alterutrum: „Non scindamus eam, sed sortiamur de illa, cuius sit,“ ut scriptura impleatur: diviserunt vestimenta mea et in vestem meam miserunt sortem. [...]. Die Verse 663f sind in der überlieferten Form schwierig. Zwar versuchen Knappitsch und Arevalo, dedit zu erklären, 45 der Ausdruck intactae tunicae servans textum dare für textum intactum servare macht aber Schwierigkeiten. Darauf wies zuletzt Green hin. 46 Er fährt fort: „even more strikingly, there is nothing in Juvencus about Christ’s other garments, which according to Matthew and John were divided among the soldiers. It is hard to believe they were not in Juvencus’ plan.“47

39 Diese Konjektur geht auf einen Vorschlag von Rudolf Kassel aus dem von ihm und J. Hammerstaedt geleiteten Doktorandenkolloquium zurück. 40 Vgl. OLD s.v. und ThLL IV 1220,63 (Hey 1908). Auch Arevalo weist darauf hin. 41 Roberts (1985) 200. 42 Chromat. in Matth. 42,6 (CCL9A, 403,116 Étaix/Lemarié), Max. Taur. Serm. 37,2 (CCL 23, 145,23.33 Mutzenbecher), Quodv. Catacl. 6,7 (CCL 60, 418,16 Braun), Petr. Chrys. Serm. 8,1 (CCL 24, 59,10f Olivar); 60,99 (CCL 24, 338,101 Olivar); 98,5 (CCL 24A, 604,52 Olivar). 43 Vgl. ThLL IV 1220,65 (Hey 1908). 44 Vgl. Roberts (1985) 200. 45 Vgl. Knappitsch ad loc.: „Sententia autem haec est: ‚Sorte pro omnibus missa, possessio, quae uni militi contigit, dedit intactae tunicae textum’“ und Arevalo ad loc.: „Sensus nostrae lectionis est: Sub sorte per omnes, seu missa sorte pro omnibus, possessio, quae uni scilicet militi contigit, dedit intactae tunicae textum, videlicet conservavit tunicae suum textum.“ 46 Vgl. Green (2010) 14f. 47 Ibid.

IV 653–686

149

So ist die metrisch ganz unmögliche Glosse vestesque milites quattuor partiuntur in partes zu erklären. Green vermutet nun, ein Vers „containing further description of the tunica and the lottery, and perhaps the noun custodia to denote the guards in a typical periphrasis“48 sei ausgefallen. Die beiden Verse 662 und 663 scheinen weiterhin in der überlieferten Form mit -que recht eng verbunden zu sein. Eine solche Verbindung von pendebat und dedit leuchtet nicht ein. Versteht man -que nicht als enge Bindung, sondern als einfache Überleitung, sind die überlieferten Verse aber trotz dieser durchaus plausiblen Argumente verständlich. Eine knappe Beschreibung der Verlosung ist durch sub sorte per omnes gegeben, sie fehlt also nicht. Es ist für Iuvencus weder nötig, auch von den geteilten Kleidungsstücken zu berichten, noch überraschend, dass der Dichter den Blick vor allem auf das ungeteilte Gewand Christi, den Heiligen Rock, richtet. Zunächst ist der Psalmvers 21,19 (LXX) Diviserunt sibi vestimenta mea et super vestem meam miserunt sortem, den auch einige Itala-Handschriften des Matthäusevangeliums an dieser Stelle als Interpretation des Geschehens überliefern (siehe zu Psalmbezügen in diesem Abschnitt oben zu 660f), in für die hebräische Poesie typischer Weise als parallelismus membrorum aufgebaut. So ist es inzwischen communis opinio der modernen Bibelexegese, dass beide Halbverse dasselbe beschreiben. 49 Diesen parallelismus membrorum gibt Johannes nun als zwei verschiedene Handlungen wieder.50 Für Iuvencus gilt, dass er entweder diese typische Ausdrucksweise der Psalmen kannte, oder, was angesichts seiner Erzählweise wahrscheinlicher ist, er zwei so ähnliche Ereignisse nicht sofort hintereinander berichten wollte. Für Letzteres spricht weiterhin die große Bedeutung, die in der Geschichte der Exegese dem Heiligen Rock zukam, während es nur sehr wenige Belege für überhaupt eine Auslegung des in vier Teile geschnittenen Gewandes gibt; siehe dazu unten S. 165–168. Daher darf nun, wie oben zu 660f gesagt, der direkte Einfluss des Johannesevangeliums nicht überschätzt werden. Wenn auch die Tradition vom ungeteilten Rock gewiss dorther stammt, mag Iuvencus aus vielen anderen Quellen bzw. Harmonisierungsversuchen geschöpft haben, ohne dabei konkret an Johannes gedacht zu haben. Das wird dadurch klar, dass auch Matthäuskommentare, etwa von Origenes und Hilarius (siehe wiederum unten), vom ungeteilten Gewand sprechen, ohne aber explizit auf das Johannesevangelium zu verweisen. Vers 660 also, wie Arevalo, hierher zu versetzen, ist umso weniger plausibel. Das Problem um dedit ist nun auf zwei Weisen zu lösen. Entweder versteht man intactae dedit tunicae textum als eine Enallage für intactum dedit tunicae textum. Diese wäre durch die weite Sperrung zwischen intactae und textum schwer zu verstehen. Durch einen geringen Eingriff, die Konjektur intactum, kann dieser Sperrung sogar Sinn abgewonnen werden. Tunicae ist dann (ἀπὸ κοινοῦ) 48 Ibid. 49 Vgl. z.B. Dietzfelbinger II 300. 50 Nach Thyen 736 und Dietzfelbinger II 300 greift auch Matthäus auf Ps 21,19 (LXX) zurück, versteht aber den parallelismus membrorum anders als Johannes als eine einzelne Handlung, während Letzterer zwei verschiedene Handlungen annimmt. Wie vertraut die Leser des Iuvencus mit dem parallelismus membrorum waren, ist nicht sicher zu sagen, der Dichter orientiert sich aber gewiss bewusst nah am AT.

150

Kreuzweg und Kreuzigung

sowohl Dativobjekt zu dedit als auch Dativus commodi zum modal zu verstehenden servans, ebenso intactum textum Akkusativobjekt zu beiden Verbformen. Ähnliches hatte schon Poelmann mit seiner Konjektur intactam ... tunicam versucht, der dasselbe Problem wahrnahm, durch die Änderung von tunicae allerdings dedit des Dativobjekts beraubte. unius: Iuvencus macht hier keinen Gebrauch von der fast immer von den Dichtern genutzten Lizenz, die mittlere Silbe kurz zu messen. So verfährt er auch II 823, IV 230 und 234. Weitere Beispiele dafür sind Lucr. IV 1066 und Aen. I 251.51 sub sorte: Knappitsch erachtet sub für überflüssig.52 Colombi dagegen zeigt, dass Iuvencus sub gerne zur Beschreibung von Umständen (wie im Deutschen „unter“, etwa in „unter Tränen“ oder „unter Jubelrufen“) gebraucht. Es gelingt Colombi, einige klassische Parallelen aufzuführen. Sub sorte, das ohne epische Parallele ist, führt sie nicht auf;53 es ist dennoch analog zum Dargelegten verständlich. per omnes: Die Wendung sors bzw. sorte per alqm ist ohne Parallele. Auch sonst gebraucht Iuvencus aber die Präposition per häufiger als die klassischen Autoren, z.B. anstelle von in oder ad.54 Per in distributivem Sinn erkennt Colombi außer hier auch II 150 deteriora prius per mensas vina dedisset.55 servans: Auch bei Vergil steht servans stets an dieser Stelle (Georg. I 402, Aen. I 36; VII 179), allerdings ohne dass eine bewusste Evozierung plausibel zu machen wäre. textum: Vergil gebraucht textum als Substantiv nur ein einziges Mal, nämlich Aen. VIII 625 clipei non enarrabile textum. Es entsprechen sich der so wichtige Schild des Aeneas, auf dem schließlich das Endziel der Aeneis, die römische Geschichte, dargestellt ist, und Jesu Gewand. Dieses erhält einen ähnlichen Stellenwert, in ihm ist die Einheit der (heilsgeschichtlich Rom überbietenden) Kirche angekündigt. Siehe weiter unten, S. 165–168. Auffällig ist, dass die eigentliche Kreuzigung so knapp wiedergegeben ist. Die Vorlage verwendet nur einen Nebensatz darauf, Iuvencus genügt ein einzelner Vers. Die an sich sehr zur Andacht einladende Szene macht es für die Leser zwar möglich, „ihre Empfindungen gegenüber Kreuzigungen in den Text ein[zu]tragen“, 56 der Dichter hilft ihnen aber bei der Entfaltung solcher Empfindungen nur wenig weiter. Seine einzige nennenswerte Änderung, arbor, ist mindestens ebenso gut theologisch oder als reine variatio zu deuten (s.o. zu 662 in arbore). Ein wenig anders verhält es sich mit dem Loswurf um Jesu Gewand: Iuvencus greift 51 Von Servius in seinem Aeneiskommentar zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter kommentiert. 52 Vgl. Knappitsch ad loc. 53 Vgl. Colombi (1997b) 19f. Sie nennt sub iure, sub crimine, sub teste, sub lege und gar das dem deutschen Sprachgebrauch sehr ähnliche sub una condicione. 54 Vgl. ibid. 16f. 55 Vgl. ibid. 18: „valore distributivo“. Damit ist auch die Frage „where does the phrase per omnes fit in?“ (Green (2010) 15) beantwortet. 56 Luz (2002) 317.

IV 653–686

151

wohl auf das Johannesevangelium zurück und bedient damit auch die Legenden, die sich um den Heiligen Rock (bis heute) ranken. Die historische Wahrheit 57 spielt für Iuvencus’ Wahl der Vorlage hier keine Rolle, wichtig ist die Erfüllung der Weissagung, die bei Johannes besser zu erkennen ist,58 bzw. die Wiedergabe eines populären Details. 59 In der (alten und modernen) Exegesegeschichte gibt es zwei wesentliche symbolische Deutungen für das ungeteilte Gewand Jesu, die sich bisweilen überschneiden. Einige vermuten, Jesus sollte als Hohepriester gezeichnet werden, da Jos. Ant. III 161 vom aus einem einzigen Faden gewebten χιτών des Hohenpriesters die Rede ist. Andere betrachten das Gewand als Symbol für die ungeteilte Kirche. 60 Bei Iuvencus findet sich für beides kein entscheidender Anhalt, seine Version ist der Treue zum Text, der Erfüllung der Weissagung und der Popularität der Erzählung geschuldet; siehe zu den theologischen Aspekten weiter unten S. 165–168. Das Mt 27,36 geschilderte Detail, dass sich die Soldaten vor dem Kreuz niederlassen und Jesus bewachen, ist dem Dichter offenbar nicht wichtig. Der narratio fehlt durch diese Auslassung nichts, eher wird sie vereinfacht: Es folgen nämlich die Anbringung des titulus und weitere Kreuzigungen, was, wenn die Soldaten, die Jesus gekreuzigt haben, sich setzen, nur durch andere Soldaten möglich wäre. Befestigung des Schildes (IV 665f) Mt 27,37: Et posuerunt supra caput eius causam eius scriptam: Hic est Iesus rex Iudaeorum.

Iuvenc. IV 665f: 665 Et scriptum causae titulum meritique locarunt 666 quod rex Iudaeae plebis gentisque fuisset.

scriptum causae titulum: Das einfache, aber verständliche causam der Vorlage wird ausgestaltet, indem der Begriff titulus zusätzlich genannt wird. Eine Praxis, wie sie die Evangelien schildern, dass ein Schild supra caput angebracht wurde, ist sonst nicht belegt. Stattdessen heißt es z.B. Suet. Cal. 32,2 praecedente titulo qui causam poenae indicaret und Cass. Dio LIV 3,7 [...] διά τε τῆς ἀγορᾶς μέσης μετὰ γραμμάτων τὴν αἰτίαν τῆς θανατώσεως αὐτοῦ δηλούντων διαγαγόντος [...].61 Iuvencus zeigt kein theologisches Interesse an der Anbringung des titulus, obwohl sich in der Exegese Interpretationen des supra caput finden; siehe S. 165–168. Stattdessen verzichtet er ganz darauf, die historisch zweifelhafte Auskunft, die 57 Fiedler 414 weiß von einem Aufteilen der Kleider nichts, Schnackenburg (1975) 317 spricht vom Spolienrecht, ebenso Dietzfelbinger II 300. 58 Siehe zu Johannes’ Umgang mit Ps 21,19 (LXX) Thyen 736 und Dietzfelbinger II 300. 59 Vgl. Wiefel 479. 60 Siehe zusammenfassend Thyen 317–319. Seine Interpretation, es handle sich „immer noch [um] ein Zeichen für Gottes Behütung, weil sein Leibrock nicht zerstört wird“ (319), ist schlüssig, aber für Iuvencus keineswegs nachzuweisen. 61 Vgl. Luz (2002) 321, besonders Anm. 78 für weitere Belege.

152

Kreuzweg und Kreuzigung

dann der Interpretation bedurft hätte, seinen Lesern, die mit der eigentlichen Praxis vertraut waren, mitzuteilen. meritique: Meritum wird im Gegensatz zur klassischen Bedeutung vor allem bei den Christen auch negativ gebraucht, 62 vgl. III 761 illis pro merito clauduntur lumina mentis,63 bei Iuvencus allerdings auch an prominenter Stelle positiv (pr. 18 meritumque rependet, aufgenommen I 610 meritumque rependat). Möglicherweise scheint daher eine gewisse Ironie durch, dass nämlich durch den spottend gemeinten titulus der eigentlich angemessene Königstitel Jesus auch von seinen Peinigern zuerkannt wird (und schon zuvor durch die Soldaten in Vers 647f regem dominumque salutant / Iudaeae gentis unbewusst zuerkannt wurde). Siehe dazu auch zu 666, rex Iudaeae plebis gentisque fuisset und unten zur Theologie S. 165– 168 und zur Ironie S. 169–174. quod: Quod leitet den Objektsatz nach scriptum ein, wie es in der Spätantike und in der christlichen Literatur üblich wurde;64 vgl. auch zum Konjunktiv oben zu 578, eque sono ... loquellam. rex Iudaeae plebis gentisque fuisset: Iuvencus gebraucht plebs und gens wie auch die anderen Begriffe für „Volk“ in der Regel unterschiedslos. 65 Schon 669 werden allerdings diejenigen, die Jesus verspotten, als plebs bezeichnet. Siehe zur Wendung Iudaeae gentis oben zu 592 rex Iudaeae gentis und unten S. 322–340. Iuvencus wandelt, analog zu wörtlichen Reden (siehe unten S. 319), das Zitat des titulus, Hic est Iesus rex Iudaeorum, in einen abhängigen Satz um. Dabei lässt er den Namen Jesu, den Matthäus gegenüber Mk 15,26 hinzugefügt hatte,66 ebenso wie das starke Demonstrativum hic aus. Dadurch und durch die Synonymenhäufung plebis gentisque wird deutlich, dass er das Königtum Jesu über die Juden in den Vordergrund rücken will. Möglicherweise trägt er damit der häufigen Interpretation des titulus als Lob sub specie contrarii Rechnung, siehe zu theologischen Aspekten S. 165–168 und zur Ironie S. 169–174. Luz sieht eine Beziehung zwischen Pilatus’ Frage in Mt 27,11, dem Spott der Soldaten in Mt 27,29 und der Aufschrift hier. Es werde darauf hingewiesen, dass die Römer die eigentlich Verantwortlichen sind.67 Dass Iuvencus so dachte, ist angesichts der sonstigen Römerfreundlichkeit und da es hier keine Hinweise darauf gibt, sondern der Dichter vielmehr auf den Titel „König der Juden“ Wert legte, unwahrscheinlich.

62 Vgl. ThLL VIII 814,51–76 (Bulhart 1952) 63 II 635f verborum meritis veniet sub iudice poena / verborum meritis dabitur sub iudice vita ist meritis ambivalent bzw. objektiv zu verstehen. 64 Vgl. Kühner-Stegmann II 274f und Leumann-Hofmann-Szantyr II 577f, zu Iuvencus im Speziellen Hatfield 25f. 65 Siehe oben zu 590 rex Iudaeae gentis und vgl. weiter Hansson 47 Anm. 33. 66 Es gibt in der neutestamentlichen Wissenschaft keine überzeugende Erklärung (oft auch keine Erklärungsversuche) für diese Hinzufügung. Manche (z.B. Schnackenburg (1975) 279) nehmen an, Mt greife auf eine vormarkinische Version zurück. 67 Vgl. Luz (2002) 321.

IV 653–686

153

Kreuzigung der beiden Verbrecher (IV 667–668a) Mt 27,38: Tunc crucifixi sunt cum eo duo latrones, unus a dextris et alius a sinistris.

Iuvenc. IV 667–668a 667 Accidit, ut pariter poenae consortia ferrent 668 latrones hinc inde duo; 668 duos C R M Bb1

pariter: Neben consortia nicht tautologisch als „zusammen“, sondern temporal zu verstehen. Diese Ausgestaltung der Kreuzesstrafe gegen die an sich unwichtigen latrones wird erst duch sed im nächsten Vers verständlich, siehe weiter dort, sed caeca furentis insultat ... vaesania. poenae consortia: Gewöhnlich ist das in der Nachklassik für consortio aufkommende consortium68 positiv besetzt, Iuvencus gebraucht es aber nur von der Hölle IV 73 ad consortia flammae und hier, jeweils eindeutig negativ. 69 Siehe zur Konstruktion unten zu 668 duo. Iuvencus bedient sich dieses etwas umständlichen Ausdruckes, da er crux fast für Jesus reserviert hält. Für andere findet sich crux nur III 305f crucem propriam comitatibus addere nostris / gaudeat für das sprichwörtlich-metaphorische Mt 16,24: tollet crucem suam et sequatur me und IV 686. Siehe dazu dort, crucibus. Dass der Kreuzesbegriff schon von der Bibel an (etwa Joh 3,14 oder 1 Kor 1,18) über die profane Strafe überhöht wurde, steht außer Frage. Schon Tertullian spricht von einem fast magischen Gebrauch des „sich Bekreuzigens“; als genuin christliches Symbol setzt sich das Kreuz spätestens im vierten Jahrhundert durch.70 hinc inde: Die Wendung ist klassisch und episch ungebräuchlich und findet sich erstmals bei Plin. Ep. V 6, 36, häufig bei Apuleius und später in christlicher Literatur, bei Iuvencus außer hier noch I 321; III 133, 493 und IV 14. Knappitschs Erklärung „von beiden Seiten“71 ist treffend. Iuvencus gebraucht die Wendung dann, wenn Jesus umringt (positiv III 492f [...] pueros, quos gaudens cura parentum / cum precibus laetis certatim hinc inde ferebat) oder bedrängt (negativ III 133 ecce Pharisaei scribaeque hinc inde dolosi / captantes Christum) dargestellt werden soll. Die latrones stellen freilich keine Bedrohung (eher ein Ärgernis) dar, sind aber IV 685f im Anschluss an Mt 27,44 eindeutig negativ dargestellt. Siehe weiter dort, v.a. zu 686, scelerum pro sorte. In dieser Szene klingt das vierte Lied vom Gottesknecht an (Jes 53,12: Unter die Verbrecher wurde er gezählt). Das spielt für Iuvencus allerdings offenbar keine Rolle, es sei denn, man nimmt

68 Vgl. ThLL IV 488,20–31 (Spelthahn 1907); erstmals bei Liv. IV 5,5. Siehe weiter J.Ph. Krebs, Antibarbarus der lateinischen Sprache, nebst einem kurzen Abriß der Geschichte der lateinischen Sprache und Vorbemerkungen über reine Latinität, 7. Aufl. von J.H. Schmalz, Basel 1907, II 342. 69 Vgl. Tert. Resurr. 40,14 (CCL 2 975,61f Borleffs) mit ähnlicher Wortwahl: secundum collegia laborum consortia decurrant necesse est praemiorum. 70 Vgl. S. Heid, Art. Kreuz, IV. Frömmigkeit, Gottesdienst u. Verkündigung. a. Kreuzzeichen 1. Formen, in: RAC 21 (2006) 1126. 71 Vgl. Knappitsch ad loc: „ab utraque parte.“

154

Kreuzweg und Kreuzigung

an, er wolle durch hinc inde über die Vorlage hinausgehend zum Ausdruck bringen, dass Jesus i nm i t t en der Verbrecher zu finden ist. latrones ... duo: Iuvencus misst duo nur hier iambisch, sonst stets pyrrichisch. Klassisch ist iambisches duo nur Verg. Ecl. 5,68 craterasque duo statuam tibi pinguis olivi belegt, wobei auch dort duos konjiziert wurde. Letztere Form kann für Vergil abgelehnt werden, da er sie nie gebraucht72 und das folgende st- eine Positionslänge verursacht. Bei Iuvencus ist duos dagegen III 68 und 319 belegt. Sowohl Ecl. 5,68 als auch hier steht duo gleich vor der Penthemimeres, die hier sogar die deutliche Trennung zweier Kola mit ganz verschiedenem Inhalt verstärkt. Da die iambische Messung von duo sich sowohl sprachhistorisch (analog zu δύο in der Klassik pyrrichisch, seit der Kaiserzeit auch analog zu δύω iambisch),73 als auch metrisch rechtfertigen lässt, ist diese Lesart vorzuziehen. Knappitschs Erklärung, duo sei duos vorzuziehen, weil es mit fixo und Christo im nächsten Vers ein Homoioteleuton bildet, bietet ein weiteres Argument.74 Die Lesart duos zeugt ferner von einem Missverständnis von poenae consortia als Subjekt. Der Ausdruck hat hier die Bedeutung „die gleiche Strafe, eine gemeinsame Strafe“ (poenae als Genitivus epexegeticus). Eine Parallele dafür ist Prud. Symm. II 191f. Gott spricht dort: quin et corporibus parilis consortia poenae / decernam.75 Daher ist der Nominativ duo zu lesen. Siehe zur bei Iuvencus wechselnden Messung der ersten Silbe in latro oben zu 601 famoso nomine latro und unten zu 686 latrones.

Der Dichter hält sich hier streng an die Vorlage, vor allem auch in Hinsicht auf die Bewertung der beiden latrones. Die Reue des einen Räubers, von dem Lukas 22,39–43 berichtet, findet sich bei Iuvencus nicht wieder. Die Volksmenge verspottet Jesus am Kreuz (IV 668b–673) Mt 27,39f: 39 Transeuntes autem blasphemabant moventes capita sua 40 et dicentes: „Vae qui destruebas templum Dei et in triduo illud reaedificabas; libera te, si filius Dei es, et descende de cruce.

Iuvenc. IV 668b–673: 668

40 destruebas b h ff1 : dissolvit d76 reaedificabas b ff1 h : aedificat d l77

670 poterat templum C Knappitsch Petschenig 672 discendat M K1 K2 T

sed caeca furentis

669 insultat plebis fixo vaesania Christo: 670 „Hic est, qui templum poterat dissolvere solus, 671 hic est, qui trino lucis reparare meatu. 672 Sed nunc descendat suboles veneranda Tonantis 673 et crucis e poena corpusque animamque resolvat.“

72 Vgl. W. Clausen, A Commentary on Virgil, Eclogues, Oxford 1994, ad loc. und Vergil, Eclogues, ed. by R. Coleman, Cambridge 1977 ad loc. 73 Siehe zur Prosodie von duo Kühner-Holzweissig 634f und Leumann-Hofmann-Szantyr I 485. 74 Vgl. Knappitsch ad loc. 75 H.J. Thompson, Prudentius. With an English Translation, Cambridge (Mass.), 1953 übersetzt: „And I shall ordain fellowship in the like punishment for bodies [...].“ Sonst wird gewöhnlich eine Gütergemeinschaft (oder hier eine Gemeinschaft von Übeln) durch in consortio esse, in consortium admittere o.ä. ausgedrückt; vgl. OLD s.v. 76 Alle anderen Handschriften überliefern andere Formen von destruere. 77 Alle anderen Handschriften überliefern andere Formen von reaedificare.

IV 653–686

155

sed caeca furentis insultat ... vaesania: Nach der weitgehend unauffälligen Kreuzigung der beiden Räuber wird die Reaktion des Volkes sehr stark eingeleitet. Durch das pointierte sed nach der Hephthemimeres wird deutlich, dass die Volksmenge die beiden Räuber ignoriert und sich der Spott ganz gegen Jesus richtet. Wirkungsvoll trennt Iuvencus die Charakterisierungen und Pyschologisierungen caeca und furentis durch Enjambement von ihren Bezugswörtern. Erst nach der Wertung der Handelnden als blind und unkontrolliert wird berichtet, was diese eigentlich tun. Die Pharisäer werden II 606 als caeca factio bezeichnet, IV 70 wird ihre caeca fallacia genannt, der Hohepriester handelt IV 561 caeco corde, III 350 ist gar die rabies caeca furoris für das Todesurteil gegen Johannes den Täufer verantwortlich.78 Die Rede vom caecus furor ist schon vor Iuvencus nicht unüblich, v.a. bei Seneca (Herc. Fur. 991, Oed. 590, Thyest. 27) und Lukan (VII 95, X 146f). Iuvencus vermeidet in der Regel griechische Begriffe christlicher Prägung wie hier blasphemare. Stattdessen benutzt er dafür, wie auch hier, sehr starke, wertende Ausdrücke;79 zu insultat im Einzelnen siehe oben zu 661 insultans. Als pestiferi rabies vaesana veneni wird I 404 der Teufel (ohne entsprechende Vorlage, Mt 4,10 heißt er Satanas) bezeichnet, Blasphemie bezeichnet Iuvencus III 172 als rapidae caelum pulsans vaesania vocis. Es wird also bewusst eine Beziehung zwischen Blasphemie – auch wenn Iuvencus diese noch drei Mal anders wiedergibt80 –, derer sich die Juden hier schuldig machen, und dem Teufel hergestellt. Der typische furor kommt dabei häufig hinzu: Blasphemie ist stets durch „Wut und/oder Wahnsinn“ motiviert;81 siehe zu dieser typischen Eigenschaft der Gegner Jesu oben zu 627 furentem und unten S. 322–340. Vaesania ist klassisch gar nicht belegt und findet sich erstmals Val. Max. XI 2,4. In christlicher Literatur wird die Vokabel häufiger verwendet. Das Adjektiv vaesanus dagegen ist klassisch (z.B. Aen. XI 340; X 583 und 724). Dieser blinde Wahn bringt letztlich aber denen, die von ihm betroffen sind, Verderben. Die Trojaner, die gerade dabei sind, das Pferd in die Stadt zu ziehen, bemerken das Waffengeklirr aus dem Inneren nicht, sondern ziehen Aen. II 244 immemores caecique furore weiter und bewirken ihren eigenen Untergang. Claudius Donatus’ Kommentar dazu macht deutlich, dass nicht etwa die Abwesenheit der Götter (non [...] in hac causa dii patrii defuerunt),82 sondern reine Verblendung (magis gliscente amentia)83 das Unheil der Trojaner bewirkt. Das Kopfschütteln der Vorlage bleibt hier indes aus, Iuvencus berichtet es von den Pharisäern, Schriftgelehrten und Hohenpriestern unten 676; siehe weiter dort. Möglicherweise hatte der Versschluss caeca furentis Einfluss auf Marius Victorius. Es heißt Aleth. III 708: et Loth subreptum retrahunt caecantque furentes.

78 79 80 81 82 83

Für noch mehr Belege siehe Wacht s.v. und Santorelli (2011) 420f. Vgl. Flury (1968) 44 und Flieger 184–186. Diese Stellen nennt und untersucht Flieger 184–186. Ibid. 186. Claud. Don. Aen. II 244. Ibid.

156

Kreuzweg und Kreuzigung

insultat plebis ... solus: Im Codex C sind diese beiden Verse, 669 und 670, vertauscht, so dass ein unverständlicher Text überliefert ist. Zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit dieses Codex siehe oben, S. 14.

plebis: Der Dichter erweitert die anonymen transeuntes der Vorlage gleich zum ganzen Volk. Es sind also nicht nur wenige, die sich Jesus gegenüber schuldig machen, sondern es wird ein Vorwurf gegen das ganze Volk, damit natürlich alle Juden, erhoben. 84 Zur fehlenden Unterscheidung zwischen plebs, populus, vulgus und gens siehe oben zu 590 rex Iudaeae gentis und zu 666 rex Iudaeae plebis gentisque fuisset;85 populus wird bisweilen gar nur für „Gruppe“ verwendet, z.B. II 562 populus sectantum discipulorum. fixo: Aus Vers 662 ist cruci zu ergänzen.

Hic est, qui ... meatu: Die Verse hier zeigen erwartungsgemäß Bezüge zu 547f (nach Mt 26,60b–61). Bei Matthäus heißt es: audivimus hunc dixisse: „possum destruere templum hoc Dei et post triduo illud reaedificare.“ Iuvencus gibt dies wie folgt wieder: audissent, templum quod solus vertere posset / et versum trinis iterum instaurare diebus. In beiden Fällen fügt Iuvencus solus hinzu. Hier ergänzt er ferner eine Form von posse, während es dort der Vorlage entspricht. Es ist zu bedenken, ob, verstärkt durch die direkte Rede der Gegner Jesu, Iuvencus diese gegen ihre Absicht bezeugen lassen wollte, dass Jesus tatsächlich dazu in der Lage wäre, seine Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Siehe auch unten zu Vers 672 suboles veneranda Tonantis und zur Ironie S. 169–174, zur Wirkung von wörtlichen Reden unten S. 319. Siehe zur weiteren Untersuchung des Bezugs zu den Ankündigungen der Tempelzerstörung unten zu Vers 671, trino lucis ... meatu.

hic est, qui ... hic est, qui: Durch die Anapher werden die beiden Aussagen stark verbunden. So werden die Verse sehr eindringlich, für den Leser wird geradezu erfahrbar, wie die Volksmenge auf Jesus deutet und ihn verspottet.86 Hic kann dabei durchaus (wie iste) verächtlich gemeint sein. 87 templum poterat: Knappitsch folgt wie Petschenig (dieser ohne Argument) dem Codex C, der als einziger poterat templum überliefert.88 Da es keinen Sinnunterschied gibt, ist der Mehrzahl der Codices zu folgen. poterat: Siehe unten S. 169–174. dissolvere: Eine deutliche, singuläre Übereinstimmung mit der Vorlage nach dem Codex d.89

trino lucis ... meatu: Iuvencus leitet viele Szenen mit elaborierten Beschreibungen eines Tagesanbruchs oder –endes ein. Auch hier umschreibt er den Begriff „Tag“, auch wenn es sich nicht um einen Tagesanbruch handelt. Lucis meatus ist dabei seine eigene Junktur, sie entspricht 687 cursus lucis und 735 trino ... solis 84 Poinsotte hatte vorgebracht, dass Iuvencus gar nicht zwischen jüdischen Oberen und jüdischem Volk unterscheidet. Vgl. ibid., „amalgame et analogies“, 184–235. 85 Vgl. auch Hansson 47 Anm. 33. 86 „Hic kann also nur dann gebraucht werden, wenn der Redende den Gegenstand als einen gegenwärtigen nachdrücklich hervorheben und gleichsam vor Augen stellen will.“ KühnerStegmann I 621. Vgl. auch Leumann-Hofmann-Szantyr II 182. 87 Vgl. ibid. 88 Er vermutete, die Editoren seien von poterat templum abgewichen, weil sie poterat zum Infinitiv dissolvere stellen wollten. Vgl. Knappitsch ad loc. 89 Vgl. Orbán passim und Heinsdorff 353.

IV 653–686

157

recursu. Beziehungen zu den beiden Ankündigungen der Tempelzerstörung (IV 546–548 nach Mt 26,60b–61 und II 160–172 nach Joh 2,19–21) hat Flieger untersucht.90 Siehe dazu weiter unten S. 169–174. Iuvencus verwendet gerne Ordinalia für Kardinalia (acht Belege allein für trinus bzw. trini).91 Die Verse 548, der vorliegende und 735 sind ähnlich konstruiert: trino bzw. trinis sowie diebus (548), meatu (hier) und recursu (735) stehen an jeweils derselben Stelle im Vers. descendat: Die Überlieferung ist stets (auch pr. 23; I 11, 160, 357; II 225; IV 168, 178 und 746) zwischen de- und discendere gespalten.92 Huemer liest nur IV 168 de-, sonst stets discendere. Heinsdorff schließt daraus in seinem Kommentar zu II 225,93 beide Formen seien prinzipiell möglich, man müsse je nach Einzelfall entscheiden. Arevalo, Knappitsch und Marold lesen stets descendere. Gudemann gibt zu bedenken, dass es sich um eine häufige Verschreibung handelt, und verweist auf Caper, de Orthographia (GLK VII 92,1), der discendere tadelt (so auch Beda, de Orthographia (GLK VII 270,16)).94 Es ist somit die gewöhnliche Form descendere zu bevorzugen.

suboles veneranda Tonantis: Suboles ist mit 22 Belegen ein oft von Iuvencus verwendetes Wort, dabei häufig, aber nicht ausschließlich für Jesus, z.B. III 356 Davidis suboles, III 341 hominis suboles, III 125 Dei subolem, IV 356f sogar veneranda Dei ... / caelestis suboles. Auch für Jesu Gegner findet sich suboles, nämlich I 328 vipereae gentis suboles. Auffällig gleich ist die Wortwahl beim Gleichnis von den bösen Winzern III 727f subolem partemque sui ... venerandam. Zu einer möglichen antiarianischen Tendenz siehe unten nach Vers 693 zur Auslassung des hebräischen Rufs am Kreuz. Veneranda wird in ähnlicher Weise schon zuvor für Jesus gebraucht, den etwa Nathanael II 119 als progenies veneranda Dei anspricht. Tonans als episches Wort (und zudem Standwort) untersucht Flieger zu 553 eingehender. Obwohl es sich gewöhnlich um ein Epitheton Jupiters handelt, 95 kann er mit einigen Beispielen, die außer Mart. XI 94,11 per templa Tonantis, dort aus dem Mund eines Juden, zeitlich allerdings meist nach Iuvencus liegen, plausibel machen, dass Donner sich auch mit dem jüdischen bzw. christlichen Gott (vor allem auf Grund von alttestamentlichen Passagen wie z.B. Ex 9,28–34, 1 Sam 12,18 oder Hi 37,2–5) verbinden lässt. Die Vokabel ist auf Grund ihres epischen Klangs gewählt, und, zumal Jesus sie II 795 selbst gebraucht, hier positiv besetzt, an Stelle des alten Götterkönigs tritt so der eine Gott. Einen sehr ähnlichen Versschluss wie hier bildet Iuvencus zudem 786 proles veneranda Tonantis. Dort erscheint Jesus seinen Jüngern in Galiläa, um zum letzten Mal mit ihnen zu sprechen; es ist damit ein weiterer Beleg für die positive Besetzung des Wortes gegeben.

90 Vgl. Flieger 148–150. 91 Vgl. Flieger 148. Er erklärt auch mit Verweis auf Hofmann-Szantyr II 2,212: „Die Verwendung von Distributiva statt der Kardinalia ist in Dichtung nicht unüblich.“ 92 Vgl. Petschenig (1891) 143. 93 Vgl. Heinsdorff 185. 94 Vgl. ThLL V 641,58–60 (Gudemann 1911) und 644,34. 95 Flieger 160 verweist auf I.B. Carter, Epitheta deorum quae apud poetas Latinos leguntur, Supplement zu W.H. Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Leipzig 1902 (Nachdr. Hildesheim 1965), s.v. Tonans.

158

Kreuzweg und Kreuzigung

Iuvencus lässt hier die Gegner Jesu entgegen seiner üblichen Gewohnheit (siehe unten S. 319) in wörtlicher Rede sprechen. Zum Umbau des Kondizionalsatzes si filius Dei es in einen Aussagesatz und die Konsequenz dessen siehe unten S. 169–174. et crucis e poena: Siehe oben zu 615 et crucis ad poenas. corpusque animamque: Iuvencus verwendet diese Wendung außer hier nur III 304f sed si quis vestrum vestigia nostra sequetur / abneget ipse sibi corpusque animamque recusans [...] für Mt 16,24: Tunc Iesus dixit discipulis suis: „si quis vult post me venire, abneget se sibi [...]. Jesus ruft dort zu völliger Selbstverleugnung auf, ein Anspruch, dem er selbst gerecht wird. Siehe zu dieser Wendung und zum Verhältnis von Körper und Seele weiter unten S. 208–217. Huemer verweist auf Aen. IV 695 quae luctantem animam nexosque resolveret artus. Möglicherweise stellt Iuvencus so sein Menschenbild aus corpus und anima dem Vergils gegenüber. Corpusque animamque gehören bei Iuvencus zusammen, während sie in der Aeneis ja gerade voneinander getrennt werden. Es ist aber kaum plausibel, aus den Vokabeln anima und resolvere, die ja an verschiedenen Stellen im Vers stehen, eine bewusste Imitation zu erkennen.

Auch die Oberen und die Pharisäer verspotten Jesus (IV 674–686) Mt 27,41–44: 41 Similiter et principes sacerdotum deludentes cum scribis et Pharisaeis dicebant:

Iuvenc. IV 674–686: 674 Haec vulgi proceres vaecordis dicta sequuntur: 675 atque Pharisaei scribaeque et factio demens

Mt 27,40b: moventes capita sua

676 inludunt motuque caput linguasque loquellis 677 insanis quatiunt aeternae ad vincula poenae: 678 „nonne alios quondam trucibus servare solebat 679 morborum vinclis? Sese cur solvere poenis 680 non valet? En regem nostrae quem credere gentis 681 debuimus: solvat ligni de robore corpus! 682 Tunc sanctis digne poterimus credere signis. 683 Confidit genitore Deo: dimittere poena 684 cur propriam non vult subolem veneranda potestas?“ 685 Nec minus increpitant dextra laevaque gementes 686 adfixi crucibus scelerum pro sorte latrones.

42 „alios salvos fecit, se ipsum salvum facere non potest. Si rex Istrahel est, descendat de cruce nunc et credimus ei. 43 Confidit in Deo, liberet nunc eum, si vult eum; dixit enim, quia Dei filius sum. 44 Id ipsum autem et latrones, qui crucifixi erant cum eo, improperabant ei. 41 inludentes aur f ff1 g1 l vg 42 credemus d : credamus f 43 si confidit ... a b d h l 44 increpabant eum d

675 at C R K1 K2 T B Bb V2 679 proprias cur solvere poenas R : proprias cur vincere poenas K1 K2 T Bb Matr 680 et M K1 K2 T B2 Bb L 683 poenam R1 B1 : poenas K1 K2

IV 653–686

159

vulgi proceres vaecordis dicta: Auf den Spott der vorbeikommenden Volksmenge folgen die Oberen. Die proceres werden bei 22 Belegen nur drei Mal mit einem Genitiv versehen, nämlich III 675 proceres populi, IV 337 Iudaeae gentis proceres und hier. Da die Begriffe für „Volk“ unterschiedslos gebraucht werden, 96 wird nach Poinsotte so die Verallgemeinerung der proceres unterstützt.97 Dieser versuchte in seiner Untersuchung des Wortes weiter zu zeigen, dass Iuvencus auch proceres unscharf verwendet und nicht zwischen „Vornehmen“ (z.B. bei der Erwähnung des Nikodemus, der II 178 als primorum procerum Iudaei nominis unus beschrieben wird) und den Hohenpriestern unterscheidet. Daraus gehe hervor, dass ohnehin die gesamte „Führungsschicht“ des jüdischen Volkes verdorben sei, ohne dass eine Unterscheidung notwendig wäre. 98 In der Tat sind die proceres eine diffuse Gruppe: Zur Frage, wer hier jeweils gemeint ist, siehe zum nächsten Vers, atque Pharisaei scribaeque et factio demens. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Heinsdorff zeigte mit Blick auf II 177f, dass Nikodemus durch celso sublatus honore und primorum unter den proceres herausgehoben und im Folgenden positiv bewertet wird, da er ja Jesus um Unterweisung bittet.99 Diese Wertung wird aber nicht konsequent durchgehalten: In den Versen II 204–212 schilt Jesus die Juden wegen ihres Unglaubens, ohne dabei Nikodemus positiv herauszuheben, im Gegenteil, gerade seine Ignoranz wird betont.100 Vulgi ... vaecordis kann sich zwar auf proceres beziehen, womit zwischen diesen und dem Volk eine Verbindung hergestellt wäre, jedoch angesichts der Ringkomposition ebensogut zu haec ... dicta gehören, was einen glatteren Sinn gibt. Schon 669 war von Beleidigungen der plebs die Rede. Die unvergilische, aber klassisch belegte und sehr starke Vokabel vaecors gebraucht Iuvencus nur hier. Es handelt sich um eine der wenigen Psychologisierungen des Abschnitts (ebenso demens im nächsten Vers). atque: Die breit überlieferte Lesart at für atque ist (mit allen Kommentatoren) abzulehnen. Iuvencus hat Pharisaeus elf Mal, dabei stets an dieser Stelle im Vers, stets mit einem trochäischen Wort davor (fünf Mal ecce). Die Prosodie von Pharisaei ist also gesichert. Auch inhaltlich ist at schwerer verständlich als atque, da kein Gegensatz zwischen den Versen 674 und 675 anzunehmen ist. Damit ist auch eine überleitende Funktion von at wie z.B. oben in Vers 570 nicht wahrscheinlich.

atque Pharisaei scribaeque et factio demens: Die Pharisaei und scribae übernimmt Iuvencus aus der Vorlage. Die Identität der factio demens ist dabei schwieriger zu klären;101 die Vokabel ist fast immer bei ihm negativ besetzt (z.B. I 616f furum factio, IV I factio frendens und IV 294 damnata [...] factio, einziges Gegenbeispiel aus elf Belegen ist IV 219 factio prudens für die klugen Jungfrauen). Der Begriff ist für keine Gruppe reserviert, er bezeichnet die Pharisäer (II 606 caeca Pharisaeae [...] factio gentis), die Schriftgelehrten (III 344 scribarum fac96 Vgl. oben zu 590 rex Iudaeae gentis; zu 666 rex Iudaeae plebis gentisque fuisset und Hansson 47 Anm. 33. 97 Vgl. Poinsotte 191 Anm. 726. 98 Vgl. Poinsotte 184–203, bes. 190. 99 Vgl. Heinsdorff 95f. 100 Vgl. ibid. 148f. 101 Siehe zu factio sonst Poinsotte 190.

160

Kreuzweg und Kreuzigung

tio), die Hohenpriester (III 655 sacerdotum [...] factio) und undifferenzierte proceres (III 689). Wenn Iuvencus mit proceres im vorherigen Vers die Hohenpriester meinte, bliebe jedoch keine Gruppierung mehr, die neben den Hohenpriestern, Pharisäern und Schriftgelehrten noch mit factio gemeint sein könnte, da das Volk als Ganzes einerseits schon selbst gesprochen hat, andererseits auch durch vulgi vaecordis genannt wurde; dass die Rede des Volkes vorbei ist, geht aus sequuntur hervor. Man wird 674 als „Überschrift“ des Folgenden verstehen müssen (daher setze ich gegen Huemers Semikolon einen Doppelpunkt), wobei atque 675 explikative Funktion hat.102 Schließlich werden die beiden Verbformen der Vorlage, deludentes (bzw. inludentes, siehe zum nächsten Vers, inludunt) und dicebant erst in den Versen 675–677 wiedergegeben. Die proceres jenes Verses werden in diesem Vers aufgeschlüsselt, die Pharisaei scribaeque sind unstrittig, factio bezeichnet wie schon III 645 cuncta sacerdotum [...] factio die Hohenpriester. Demens ist wie vaecordis im vorherigen Vers eine der seltenen Psychologisierungen in diesem Abschnitt. inludunt: Die Codices aur f ff1 g1 l und die Vulgata haben inludentes statt deludentes. Zwar hatte schon Heinsdorff mit ff1 viele Übereinstimmungen gesehen,103 jedoch ist eine Abhängigkeit davon nicht nachzuweisen.

motuque caput linguasque ... quatiunt: Quatiunt regiert sowohl caput als auch linguas (Zeugma). 104 Motuque caput linguasque loquellis ist zudem chiastisch gestaltet. Für motu quatiens gibt es zwei Parallelen, nämlich Cat. 64,305 und Ov. Met. VIII 375. Beide Male ist aber motu durch ein Adjektiv näher bestimmt (infirmo motu bei Catull, tremulo motu bei Ovid), während es bei Iuvencus farblos bleibt und nur als Gegenstück zu loquellis im Chiasmus eine Funktion zu haben scheint. Linguas loquellis quatere ist wiederum für sich genommen schwierig, da es nur eine einzige, schwache Parallele für diesen Ausdruck gibt (Paul. Nol. Carm. 15, 305 exercet solitas iam lingua loquellas). Neben motu quatere wird der Ausdruck als sehr bildliche Redeeinführung verständlich. Iuvencus macht sich ohnehin gern die Signalwirkung von Reden zu Nutze (siehe unten S. 319), der vorliegende Ausdruck unterstützt dies. Möglicherweise ist daher insanis ἀπὸ κοινοῦ auch auf motu zu beziehen. Siehe zur Auslegung der beiden Handlungen bei den Kirchenvätern unten S. 165–168. Die Vokabel quatere benutzt Iuvencus vier Mal, alle Belege sind in der Passionsgeschichte zu finden. Es hieß oben 582 vom Hahn plausum quatiens, sehr eindringliche Beschreibungen von Furcht finden sich 711 quatiuntur corda und in 753 pavor quatiens ... corda fatiget.

motuque caput: In der Vorlage wird das Kopfschütteln, eine „in der Bibel [...] typische Spottgebärde“105, einhellig von der Volksmenge in Mt 27,39 berichtet. Iuvencus lässt es oben aus (siehe zu 668f sed caeca furentis insultat ... vaesania) und transponiert es an diese Stelle. Der Grund dafür liegt, zumal keine theologischen Gründe für die Transposition sprechen, wohl in der narrativen Gestaltung. 102 103 104 105

Vgl. Kühner-Stegmann II 25f und Leumann-Hofmann-Szantyr II 478 als atque ita. Vgl. Heinsdorff 449. Vgl. Knappitsch ad loc. Mehr Belege bei Luz (2002) 325. Sand 561 zeigt einen Bezug zum „Schlüsselpsalm“ Ps 21,8 (LXX) omnes videntes me deriserunt me, locuti sunt labiis, moverunt caput auf.

IV 653–686

161

Die Verse 668f sind allgemein knapp, aber mit starken Worten (caeca, furentis, vaesania) gefüllt, um das biblische blasphemare wiederzugeben. Hier schmückt Iuvencus die Szene weit deutlicher aus (v.a. durch linguas loquellis quatiunt und die Hinzufügung von aeternae ad vincula poenae), so dass ihm das Detail gelegener kam. loquellis insanis: Wie öfter werden Jesu Gegner (bzw. ihre Handlungen) als wahnsinnig beschrieben, siehe unten S. 322–340, zur Vokabel insanus auch oben zu 437. aeternae ad vincula poenae: Wer Jesu spottet, also gotteslästerlich redet, zieht sich ewige Strafen zu. 106 Eine so explizite Nennung von Konsequenzen statt von Ursachen (der Wahnsinn der Gegner Jesu ist ja ubiquitär) ist selten; sonst geht Iuvencus subtiler vor und lässt seine Leser mögliche Konsequenzen selbst erschließen. Inmitten der Spottreden ist natürlich eine solche Aussage passend. Eine didaktische oder katechetische Bedeutung der Verse, etwa als Warnung vor Blasphemie, ist kaum nachzuweisen; wichtiger ist die eindrückliche Beschreibung des Geschehens. Siehe zur Auslegung bei den Kirchenvätern unten S. 165–168. Die leicht verständliche Junktur aeternae vincula poenae stammt wiederum von Iuvencus selbst, ein ähnlicher Ausdruck findet sich schon zwei Verse später mit morborum vinclis, siehe weiter dort. trucibus: Siehe zur Vokabel oben zu 596 trucibus und 603 trucibus somno sed territa visis. Trux wird II 798 auf den Teufel bezogen verwendet, so dass auf einen dämonischen Ursprung von Krankheiten angespielt sein könnte. servare solebat morborum vinclis: Morborum vinclis ist wie oben vincula poenae eine eigene, aber gut verständliche Junktur des Iuvencus. Das biblische salvos, das ambivalent bleibt und sowohl die Heilung von Krankheiten als auch die Vermittlung des Heils meinen kann, macht Iuvencus damit eindeutig.107 Servare mit bloßem Ablativ hat Iuvencus schon IV 309 casibus ut tantis Christus servaret amicum verwendet. Der Ausdruck ähnelt leicht carcere corporis aegri (I 192), das den Einfluss des (Neu-)Platonismus vermuten ließ.108 Ob der Vorstellung der „Fesseln der Krankheit“ eine bestimmte Philosophie zu Grunde liegt, ist aber nicht zu entscheiden. Zum ersten Mal wird hier (indirekt) ein morbus als trux bezeichnet, aufgenommen Hept. Ex. 567f: iactura [...] damnorum morbique trucis. sese ... poenis: Die alternative Lesart proprias ... poenas ist zwar verständlich, aber als schlechter belegt abzuweisen.109 Vincere ist ebenfalls verständlich, wohl aber nach ersterem als erneute Vereinfachung entstanden.

solvere poenis: Nach 607 cuperent quem solvere poena taucht diese Phrase hier wieder auf, allerdings mit dem Plural poenis. Anders als bei der viermal belegten Wendung crucis ad bzw. e poena(s) spielen hier metrische Gründe keine Rolle für den Plural; siehe dazu oben zu 615 poenas. Daher haben hier die Spot106 Daran zweifelte Arevalo ad loc. Mir scheint jedoch hier eindeutig die Höllenstrafe angekündigt zu sein. 107 Luz (2002) 327 gibt zu bedenken, dass Matthäus den Pharisäern durchaus diese Worte in den Mund gelegt hat, damit sie ohne Absicht die Heilswirksamkeit Jesu bekennen, etwas vorsichtiger urteilt Fiedler 415. Siehe zu solchen ironisierenden Tendenzen unten S. 172–178. 108 Vgl. Green (2006) 14. 109 Vgl. Knappitsch ad loc.

162

Kreuzweg und Kreuzigung

tenden offenbar (analog zu den vielen durch Jesus geheilten Krankheiten) die Vielzahl der Misshandlungen im Blick. non valet: Iuvencus gebraucht valet nur hier.

en regem ... debuimus: Wiederum wird ein Kondizionalsatz aus dem Munde der Spottenden zu einem Aussagesatz umgebaut; siehe auch oben zu 672 suboles veneranda Tonantis und unten S. 169–174. Das deiktische en ist bei Iuvencus häufig (20 Belege) und an dieser Stelle im starken Sinne „seht euch den da an“ sehr sinnvoll. Daher ist die alternative Lesart, das hier inhaltsarme et, abzulehnen.

nostrae gentis: Zur Vermeidung von Iudaeorum siehe oben zu 592 rex Iudaeae gentis. Aus der Wahl von nostrae gentis anstelle von Iudaeorum geht hier deutlich hervor, dass sich das Königtum Jesu auf die Sprecher persönlich erstreckt, siehe dazu unten S. 169–174. solvat ... de: Solvere findet sich bei Iuvencus mit bloßem Ablativ (z.B. III 679) und mit Präposition (z.B. I 517 e tenebris solveris carceris atri), mit de aber nur hier. Diese Konstruktion ist klassisch gut belegt.110 lignum: Siehe oben zu 654 lignumque. Tunc sanctis ... signis: Durch die Trennung der beiden in der Vorlage mit et verbundenen Verben descendat und credimus wird die Schilderung lebendiger; die Wut der Spötter wird durch die kurzen Sätze offenbar. Die Junktur sanctum signum stammt überraschenderweise von Iuvencus selbst. Sanctis signis könnte neben einem Dativobjekt auch Ablativus causae sein, wobei credere ohne Objekt konstruiert wäre. Ein ähnliches Problem stellt sich II 152f His signis digne credentum discipulorum [...] firmavit [...] mentem. In der Vorlage zu diesem Vers ist Jesus eindeutig Objekt des Glaubens, vgl. Joh 2,11 hoc primum signum fecit Iesus in Cana Galilaeae [...] et crediderunt in eum discipuli sui. Ein Bezug von signis auf digne ist nirgends belegt, digne credere selten und erst in christlicher Literatur belegt (Aug. serm. 362, 5: quae digne credimus (PL 39, 1614) und Nat. Bon. 45 (CSEL 25,2, 884,15 Zycha) quis non digne credat), jeweils mit digne ohne Ablativ. Eine sichere Entscheidung scheint nicht möglich. In beiden Fällen muss man also annehmen, dass Iuvencus dem Sinn der Vorlage folgt und signis Dativobjekt zu credere ist.

poterimus: Für die lange Messung der paenultima in poterimus gibt es neben der vorliegenden Stelle keine Belege. Denkbar ist, dass Iuvencus eine falsche Analogie zur durchaus möglichen, wenn auch seltenen, langen Messung der paenultima im Konjunktiv Perfekt potuerimus gebildet hat.111 Zu bedenken, aber kaum glaubhaft ist, dass das Futur credemus, das der Codex d überliefert, eine Rolle für das Futur bei Iuvencus gespielt hat.

genitore Deo: Genitor ist ein bei Iuvencus mit 60 Belegen extrem häufiges Wort, regelmäßig für Gott im Allgemeinen, oft auch für Gott als Vater Jesu (siehe z.B. unten zu 692, genitorem). Letztere Bedeutung hat genitor auch hier, wie durch propriam ... subolem im nächsten Vers belegt wird. Zusammen verwendet genitor und Deus bei Iuvencus nur der Teufel I 387 si Deus est vere genitor tibi.112 Wie dieser sprechen auch hier die Gegner Jesu unbewusst die Wahrheit und 110 Vgl. OLD s.v. 111 Vgl. Kühner-Holzweissig 686. 112 Einen solchen Bezug gab es bei Matthäus zwischen 27,40 si filius Dei es und 4,3–6 aus dem Munde des Teufels. Vgl. Wiefel 480.

IV 653–686

163

bekennen die Gottessohnschaft Jesu, siehe unten S. 169–174. Häufig in klassischer Literatur ist deum genitor (Aen. VII 306; Ov. Am. I 13,45; Fast. III 285; Met. XIV 91; Stat. Theb. II 115; III 556 und öfter). Es ist also möglich, dass Iuvencus hier sein monotheistisches Gottesbild dem entgegenstellt. Genitor Deus für das oben genannte „Gott, der Schöpfer“ findet sich bei Paul. Nol. Carm. 20,39 und Prud. Apoth. 119 und 258; auch er gebraucht Genitor für „Vater“, nämlich Perist. XIII, 55 omnipotens genitor Christi deus et creator orbis. Confidit genitore deo: Einige Bibelcodices, darunter d, überliefern zusätzlich si, evtl. gestützt auf Weish 2,18, s.u. zu 684, cur propriam ... potestas. Da Iuvencus schon die Kondizionalsätze aus Mt 27,40 (siehe oben zu 672, suboles veneranda Tonantis) und aus Mt 27,42 (siehe oben zu Vers 680f, en regem ... debuimus) zu Aussagesätzen umgebaut hatte, kann hier nicht auf die Vorlage geschlossen werden. confidit: Bei Iuvenvus sowohl mit Dativ (III 110 olli confidens) als auch mit Ablativ (IV 526 confidet vindice ferro) konstruiert.

dimittere poena: Häufig lässt Iuvencus die Präpositionen a, e und ähnliche beim Ablativ nach Verben der Bewegung aus.113 Poenam und poenas sind sicher spätere Verbesserungsversuche oder Schreibfehler, die auf Grund des sicheren Akkusativobjekts subolem zu dimittere unmöglich sind.

Cur propriam ... potestas: Hier handelt es sich um ein Psalmzitat (Ps 21,9 (LXX) speravit in domino eripiat eum, salvum faciat eum quoniam vult eum) und eine Anspielung auf das Buch der Weisheit (Weish 2,18 si enim est verus filius Dei, suscipiet illum et liberabit eum de manu contrariorum). Iuvencus setzt dies aufgrund der großen Signalwirkung in eine Frage um; siehe dazu unten S. 319. Für die Spötter ist unverständlich: wie kann Jesus, wenn Gott ihn nicht rettet, dessen Gesandter sein? propriam ... subolem veneranda potestas: Zum wiederholten Male bekennen die Gegner Jesu selbst, wenn auch aus ihrer Perspektive ironisch, was sie bekämpfen möchten. Durch die frappierende Ähnlichkeit des Versschlusses hier mit dem des Verses 672 (suboles veneranda Tonantis) wird klar: Die Volksmenge und die Oberen sagen eigentlich dasselbe114 und bekennen implizit die Gottessohnschaft und die Verehrungswürdigkeit von Gott Vater und Gott Sohn. Siehe dazu weiter oben zu 672, unten zu 786 proles veneranda Tonantis, S. 169–174, besonders 174. Vor Iuvencus findet sich der Versschluss veneranda potestas nur in Luc. V 397. Dort ist der Konsulat gemeint,115 der bei Iuvencus durch die Macht Gottes weit übertroffen wird. nec minus increpitant: Nec minus ist ein sehr häufiger Versbeginn (zehn Belege bei Lukrez, zehn in der Aeneis) und damit ein Merkmal epischer Sprache. Increpitant deckt sich mit dem ItalaCodex d, der als einziger nicht improperabant überliefert. Der Inhalt der Rede der latrones wird gar nicht thematisiert, es sind aber durch die bisher aufgetretenen Sprecher die wesentlichen Punk-

113 Vgl. Hatfield 17. 114 Vgl. oben Anm. 84 sowie unten S. 330–348. 115 Vgl. M. Annaei Lucani Belli Civilis Liber V. A Commentary by P. Barratt, Amsterdam 1979, 127.

164

Kreuzweg und Kreuzigung

te genannt: Königtum und Gottessohnschaft. Wie in der Vorlage durch id ipsum, bei Iuvencus durch nec minus ausgedrückt, sagen die Räuber dasselbe wie die vorherigen.116

dextra laevaque gementes: Der Dichter zeichnet ein klareres Bild von der Szene, indem er in Erinnerung ruft, dass Jesus inmitten der anderen gekreuzigt ist. Dem gleichen Zweck dient gementes. Neben der genauen Schilderung des Sichtbaren wird auch das Hörbare berichtet. Eine mögliche Parallele ist Aen. VI 486 circumstant animae dextra laevaque frequentes. Zwar ist die Ortsangabe dextra laevaque im Epos keineswegs unüblich, der Gleichklang der Endungen der Worte gementes und frequentes ist aber so auffällig, dass ein Bezug auf die genannte Aeneisstelle vermutet werden kann.117 Die beiden Räuber werden also mit den Toten der Unterwelt, die Aeneas zum Verweilen bringen wollen, ihn aber nicht zu fassen bekommen (Aen. VI 487f), ja nicht einmal ansprechen können (Aen. VI 492f), in Beziehung gesetzt. Dass Iuvencus die Reue eines der Räuber, wie sie Lk 23,39–42 berichtet wird, nicht wiedergibt, versuchten Arevalo und Knappitsch mit Harmonisierungsversuchen zu erklären. 118 Eher ist aber an eine Kontrastimitation der Aeneisstelle zu denken, die die Details des Lukasevangeliums gar nicht aufnimmt: Während nämlich die Toten bei Vergil nach Aeneas greifen, verachten die latrones Jesus bis zuletzt – so wird sie das gleiche Schicksal ereilen wie die Toten, nämlich die Unterwelt bzw. die Hölle. Damit bleibt natürlich auch keine Möglichkeit für den Leser, sich mit dem reuigen Sünder zu identifizieren (anders bei Sedulius, vgl. unten S. 175–176). Es geht in der gesamten Szene vielmehr darum, zu zeigen, wie erbittert die Gegner Jesu das, was sie nicht abwenden können, nämlich den Triumph Jesu nach dem Willen Gottes, bekämpfen; ein reuiger Räuber hätte diesen stark kontrastierten Eindruck zerstört bzw. abgemildert. crucibus: Während crux in sieben von neun Fällen auf das Kreuz Jesu bezogen ist, findet sich hier der einzige Beleg für die Verwendung der Vokabel für die Kreuzesstrafe gegen andere (III 305f wird der Begriff metaphorisch verwendet; siehe oben zu 667, poenae consortia). Grund für die Verwendung hier ist die detailgenaue Darstellung der Szene, die die „Reservierung“ der Vokabel crux für Jesus überwiegt.

scelerum pro sorte: Eine weitere Hinzufügung des Dichters. Durch die weite Sperrung zwischen increpitant und latrones schafft er sich Raum, die Szene genau zu beschreiben. Auch die latrones, die bisher ohne Eigenschaften geblieben wa116 Vgl. Fiedler 415: „Schließlich erheben die beiden Leidensgenossen gegen Jesus ‚den selben‘ Vorwurf, wie Mt zu Mk 15,32b ergänzt. Das heißt: Auch sie thematisieren den Sohn-GottesAnspruch.“ Sand 562 sieht eine Gleichstellung der Räuber mit den Vorrednern. 117 Der Vergilcodex P überliefert sogar frementes, das noch besser zu Iuvencus gepasst hätte, allerdings von Norden 260 gegen Ribbeck überzeugend zurückgewiesen wird. Dass Iuvencus schon frementes gekannt hätte, ist sehr unwahrscheinlich, da Proba (460), Servius und Claudius Donatus unzweifelhaft frequentes gebrauchen. Auch mit dem textkritisch besseren frequentes aber ist die Parallele klar zu erkennen. 118 Arevalo ad loc. versucht etwa zu erklären, zu Beginn hätten beide Räuber Jesu gelästert, dann aber sei der eine zur Umkehr gelangt, was nur Lukas wiedergibt. So ist der Bericht des Matthäus bzw. Iuvencus nicht „falsch“. Dem schließt sich Knappitsch ad loc. an. Solche Harmonisierungsversuche finden sich in der Alten Kirche u.a. bei Orig. Ser. 133 (GCS 38, 270,14– 271,27 Klostermann/Benz), Ambr. in Luc. X 122 (CCL 14, 380,1132–1134 Adriaen), Hier. in Matth. IV 27,44 (CCL 1, 272,1736–273,1749 Hurst/Adriaen) sowie Epist. 59,4 (88,22–24 Labourt 3) und Joh. Chrys. Hom. in Mt. 87,2 (PG 58, 771f).

IV 653–686

165

ren, entpuppen sich sich als Gegner Jesu. Scelerum pro sorte hat dabei eine doppelte Bedeutung: Selbstverständlich sind die latrones wegen irgendwelcher Verbrechen verurteilt. Iuvencus gebraucht scelus aber im vierten Buch sonst nur von der Passion, so dass durch die Verwendung der Vokabel hier auch die besondere Verdorbenheit der latrones, die sie durch die Beschimpfung Jesu zeigen, zum Ausdruck kommt. Siehe zur Verwendung der Vokabel allgemein unten S. 322– 340. latrones: Die einzige Stelle, an der Iuvencus latrones vorne kurz misst. Siehe zur Prosodie weiter oben zu 601 famoso nomine latro. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Simon von Cyrene Für Iuvencus war Simon von Cyrene, der durch quendam von Simon Petrus unterschieden wird, wohl nicht von größerer Bedeutung. Außer seiner Herkunft erfahren wir nichts über ihn. Seine jüdische Abstammung, die durch seinen Namen und seine Herkunft für die vorwiegend judenchristlichen Leser des Matthäus erkennbar war,119 wird in der Exegese recht bald vernachlässigt oder geleugnet. Origenes erklärt stattdessen, der Name Simon bedeute „Gehorsam“, 120 Hilarius sieht in ihm schon angekündigt, dass der Glaube an Jesus sich auch auf die Heiden erstrecken werde, da gerade kein Jude würdig sei, das Kreuz zu tragen. 121 Spätestens zu dessen Zeit war also die Kenntnis über das Judentum Simons verlorengegangen. Es gibt nun auch einige Versuche in der Exegese, Simon zum Symbol für „unser“ (d.h. aller späterer Christen) Mittragen des Kreuzes Jesu zu machen. 122 Dass Iuvencus aber solche Exegese gekannt hat, ist nicht nachzuweisen. Man darf aber annehmen, dass auch für Iuvencus die (jüdische) Identität des Simon irrelevant war, wenn er sie denn überhaupt kannte. Für die Frage nach „Entjudaisierung“ ist seine Person damit nicht hilfreich.

119 Vgl. Luz (2002) 312. 120 Vgl. Orig. Ser. 126 (GCS 138, 264,23f Klostermann/Benz) Simon autem interpretatur oboedientia. 121 Vgl. Hil. in Matth. 33,4 (SC 258, 252,4–6 Doignon): indignus enim Iudaeus erat Christi crucem ferre: quia fidei gentium erat relictum, et crucem accipere et compati. 122 Z.B. Orig. Ser. 126 (GCS 38, 263,13–15 Klostermann/Benz) Non autem solum salvatorem conveniebat accipere crucem suam, sed et nos conveniebat eam portare, salutarem nobis angariam adimplentes und Hil. in Matth. IV 27,32 (CCL 77, 270,1664f Hurst/Adriaen) iuxta anagogen vero crucem Iesu suscipiunt nationes et peregrinus oboediens portat ignominiam Salvatoris.

166

Kreuzweg und Kreuzigung

Der ordo saecli und die Vorherbestimmung des Heilswerks Passion, Tod und Auferstehung sind nach einhelliger Meinung in der Alten Kirche vorherbestimmt gewesen. Dennoch war der Tod Jesu zugleich freiwillig. Wie oben bei den problematischen Versen 660f gezeigt, gibt es unzählbare Verweise auf die Erfüllung der Schrift, die auch für Iuvencus eine große Rolle gespielt hat. Die Handelnden in der Passion sind auch für Iuvencus Instrumente der göttlichen Vorsehung. Dem Problem der Vereinbarkeit von Prädestination und Theodizee (besonders wichtig für Judas, siehe dort) stellt sich der Dichter nicht. Zur Frage, wie Iuvencus die Gegner Jesu im Einzelnen in sein Werk integriert, siehe unten S. 169–174. Für die Exegese der Alten Kirche ist die Kreuzigung nur im Spiegel der Schrift und der Prophezeiungen, durch die Gottes Heilsplan ausgedrückt ist, richtig zu verstehen. Iuvencus nimmt diese Tradition auf und kontrastiert zudem die christliche Heilsbotschaft mit der vergilischen Teleologie. Er nimmt hier (656) den schon oben 638 in ordine saecli123 genutzten Begriff vom ordo saeclorum wieder auf, der freilich nicht etwa auf Rom, sondern auf die Kreuzigung und damit das Heil hinzielte. Die Ablehnung des Tranks Jesus trinkt, wie Iuvencus im Anschluss an Joh 19,28–30 sagt, um die Schrift zu erfüllen; siehe dazu oben zur Stelle. Dass Jesus am Kreuz ablehnt, den Becher mit Galle auszutrinken, ist in der Väterexegese allegorisch interpretiert worden. Ähnlich wie oben auch für Iuvencus (661 nec tamen ... posset) vermutet, dass nämlich das Volk Jesus zwar etwas anhaben kann, das „letzte Wort“ aber spätestens durch die Auferstehung bei Gott liegt, erklärt Orig. Ser. 127 (GCS 38, 265,17f Klostermann/Benz): sufficiebat enim nobis ut tantum gustaret pro nobis, sicut mortem tridui temporis non longiorem. Diese Auslegung bestätigt später Hier. in Matth. IV 27,34 (CCL 77, 271,1691–1694 Hurst/Adriaen): quod autem dicitur: „cum gustasset noluit bibere,“ hoc indicat quod gustaverit quidem pro nobis mortis amaritudinem, sed tertia die resurrexit. Der bittere Trank wird dabei als Hinweis auf den Tod verstanden, die Zurückweisung als Hinweis auf die (neu gewonnene) Vergänglichkeit des Todes. Der „Heilige Rock“ als Symbol Schon bei der Besprechung der schwierigen Verse 662–664 war darauf verwiesen worden, dass der „Heilige Rock“, der noch heute (wegen der Verehrung der Reliquie in Trier) von Bedeutung ist, in der Exegese eine weit größere Rolle gespielt hat als die übrigen, geteilten Kleidungsstücke. Zwar kann für Iuvencus kein direkter Einfluss einer solchen Auslegung nachgewiesen werden, die wichtigsten sollen 123 Siehe dort mit Literaturhinweisen.

IV 653–686

167

aber zumindest genannt werden. Origenes sieht den ungeteilten Rock als Symbol für die ganze (ungeteilte) christliche Lehre, der unvollständige Lehren gegenüberstehen, vgl. Comm. Ser. in Mt. 128 (GCS 38, 266,7–11 Klostermann/Benz):124 disputans autem aliquis de differentia eorum, qui „vestimenta“ domini habent, inveniet sine dubio qui in dogmatibus suis etsi non habent ipsum, „tunicam“ tamen desursum textilem „per totum“ habent, alii autem nec ipsam sed aliquam particulam vestimenti eius. Ähnlich argumentiert später Augustinus.125 Hilarius sieht den Heiligen Rock dagegen als Symbol für die bleibende Unversehrtheit des Körpers Jesu, vgl. in Matth. 33,4 (SC 258, 252,10f Doignon): vestis vero eius sorte potius divisa quam scissa, mansuram incorruptionem corporis indicabat. Auffällig ist in beiden Fällen, dass es sich um Kommentare zum Matthäusevangelium handelt, in dem vom „ungeteilten Rock“ gar nicht die Rede ist (siehe oben zu den Versen 660f). 126 Freilich neigt die Kirchenväterexegese zu Harmonisierungen. Dass aber der ungeteilte Rock auch hier eine größere Bedeutung hat als die übrigen Kleider, ist ein Beleg für die oben zu Vers 663 dedit geäußerte These, auch für Iuvencus sei dieses einzelne Kleidungsstück deutlich wichtiger gewesen als die anderen, geteilten Gewänder, ohne dass er dafür explizit auf das Johannesevangelium zurückgreifen musste. Die Anbringung des titulus Schon oben war zu bedenken gegeben worden, dass durch den Ausdruck causae meritique dem titulus Jesu eine positive Bedeutung sub specie contrarii gegeben worden sein könnte. Tertullian interpretiert das Leiden als Vorbedingung der himmlischen Herrlichkeit, so heißt es de Cor. 14,4 (CCL 2, 1064,27–29 Kroymann): at quin et favos post fella gustavit nec ante rex gloriae a caelestibus salutatus est, quam „rex Iudaeorum“ proscriptus in cruce. Der Titel „König der Juden“ weist auf den Titel „König der Herrlichkeit“ hin. Auch Origenes macht eine positive Auslegung deutlich, vgl. Ser. 130 (GCS 38, 267,6–17 Klostermann/Benz): „Sive occasione sive veritate Christus pronuntiatur“ (Phil 1,18) et omnis littera regnum eius testatur [...]. Et pro corona „super caput eius“ est scriptum: „hic est Iesus rex Iudaeorum“. [...] Verus autem princeps sacerdotum et rex Iesus in cruce quidem habet scriptum: „hic est rex Iudaeorum“, [...] et habet eum [sc. titulum] coronam et dignus eo effectus [est]. Ambrosius spricht nun wörtlich davon, dass der titulus verdientermaßen (merito) angebracht worden sei. Zwar liegt sein Hauptaugenmerk auf dem Ort supra caput, an seiner positiven Auslegung des titulus aber gibt es keinen Zweifel. Er 124 Vgl. auch Ancient Christian Commentary on Scripture, ed by T.C. Oden, New Testament 1b: Matthew 14–28, ed by M. Simonetti, 288 Anm. 48. 125 Vgl. Serm. 218,9 (PL 38, 1086) und in Evang. Joh. 118,4 (CCL 36, 656,1–657,34 Willems). 126 Zur weitergehenden Exegese des Johannesevangeliums siehe Ancient Christian Commentary on Scripture, ed by T.C. Oden, New Testament 4b: John 11–21, ed. by J.C. Elowsky, 313– 315.

168

Kreuzweg und Kreuzigung

schreibt in Luc. X 112f (CCL 14, 377,1055–1064 Adriaen): „scribitur autem titulus et super crucem ponitur, non infra crucem, quia principium super umeros eius“ (Jes 9,6). [...] Legamus hunc titulum. „Iesus“ inquit „Nazarenus rex Iudaeorum.“ Merito supra crucem titulus, quia non humani corporis, sed divinae potestatis est regnum quod habet Christus. Merito supra crucem titulus, quia licet in cruce erat dominus Iesus, supra crucem tamen regis maiestate radiabat. Hieronymus attackiert mit Verweis auf den titulus die Juden und lobt die Völker, die Christus angenommen haben, vgl. in Matth. IV 27,37 (CCL 77, 271,1703–1710 Hurst/Adriaen): non possum digne admirari [...], quod [...] nullam aliam invenerit causam interfectionis eius, nisi quod rex Iudaeorum esset. [...] Ceterum Pilatus etiam nolentibus respondit: „quod scripsi scripsi“ (Joh 19,22). Velitis nolitis, o Iudaei, omnis vobis gentium turba respondit: Iesus rex Iudaeorum est. Wenn auch in der Exegese die drei Sprachen, die nach Augustinus 127 die Herrschaft über alle Völker symbolisieren, eine gewisse Bedeutung hatten, lässt Iuvencus diesen Punkt, zweifellos aus Treue zu seiner Vorlage, aus. Dass er aber den titulus als wahr und somit als Lob sub specie contrarii interpretierte, kann als sicher gelten. An anderen Stellen wird eine solche Vorgehens- und Interpretationsweise noch deutlicher, siehe dazu unten, Kapitel „Ironie“, Seite 169–174. Die Spottreden und das Kopfschütteln der Vorübergehenden Bezüglich der Spottgesten finden sich beinahe keine Auslegungen, die nicht auf Ps 21,8 (LXX) verweisen und diesen als erfüllt ansehen. Diese wiederum beziehen sich fast alle auf symbolische Auslegungen des Kopfschüttelns, oft mit Bezug auf die Rede von Christus als Haupt nach z.B. 1 Kor 11,3, Eph 5,23 und Kol 1,18. Bei Iuvencus ist aber gar keine Auslegung des Hauptes selbst zu finden. Zu den Spottreden, die Iuvencus mit dem seltsamen Ausdruck linguas quatiunt loquellis wiedergibt, findet sich wiederum nur sehr wenig bei den Kirchenvätern. Passend ist einzig Ambrosius, der sagt, die Vorübergehenden, die spotten, klängen wie Tiere, die nicht einmal richtig sprechen können (sibilant).128 Bezüglich der ewigen Strafe, die denen, die Jesus hier so ablehnen, droht, findet sich ebenfalls überraschend wenig. Zu nennen ist allerdings Hil. in Matth. 33,5 (SC 258, 252,8–253,13 Doignon): additur etiam illud opprobrium, quo se ipse Israel infidelitatis argueret, cum dicitur: „Hic est qui destruebat templum Dei et in triduum illud reaedificabat,“ et reliqua. Hoc igitur maximum omnium et veluti difficillimum ponitur. Quid ergo veniae erit, cum post triduum reaedificatum Dei templum in corporis resurrectione cernatur? Iuvencus stellt, anders als Hilarius, keine rhetorische Frage, welche Gnade die Spötter wohl zu erwarten hätten, sondern spricht gleich von aeternae vincula poenae. Gemeint ist aber jeweils dasselbe. 127 Vgl. Aug. in Evang. Joh. 117,4 (CCL 36, 653,1–10 Meyer). 128 Vgl. in Psalm. 118, 15,6 (CSEL 62, 332,9–19 Petschenig/Zelzer).

IV 653–686

169

IRONIE Terminologische Vorbemerkungen Der Begriff „Ironie“ wird sehr oft, bisweilen aber unscharf gebraucht. Sinnvoll ist, wenn auch im Laufe der Forschung viel kleinteiligere Unterteilungen vorgeschlagen wurden, zumindest eine Unterscheidung „rhetorischer“ und „dramatischer“ Ironie.129 Die simpelste Definition rhetorischer Ironie ist folgende: „Bei der Ironie ist das Gegenteil von dem gemeint, was mit den Worten gesagt wird.“130 Hier muss der Begriff weiter geschärft werden. Einerseits ist die Definition zu weit, „weil sie z.B. die Lüge oder die Heuchelei nicht auszuschließen vermag“, andererseits zu eng, „weil sie unterstellt, daß das exakte Gegenteil von dem gemeint ist, was vorgeblich gesagt wird“, zuletzt „leicht irreführend, weil die Formulierung ‚mit den Worten‘ suggeriert, daß die Ironie sich notwendig an der sprachlichen Oberfläche manifestiert.“131 Kern einer neuen Definition muss also sein, dass die Aufrichtigkeitsmaxime (der Sprecher meint tatsächlich das, was er sagt), verletzt werden soll, und zwar so, dass entweder der Hörer oder der implizite Adressat (bei literarischen Texten also der Leser, beim Drama der Zuschauer usw.) diese Verletzung bemerkt.132 So wird die Lüge, die ja unentdeckt bleiben soll, ausgeschlossen, ferner jegliche Abweichung vom eigentlich Gesagten eingeschlossen. Es gibt nun leider keine universellen Ironie-Signale. Sinnvoll sind folgende Kriterien: a) verschiedene Änderungen der Stilhöhe, b) Über- oder Untertreibung, c) Widersprüchlichkeit und Inkongruenz, d) überdeutliche Vereinfachung oder absichtliche Verkennung von Tropen (literalization) und e) Wiederholung und Echo.133 Für die praktische Anwendbarkeit dieser Kriterien finden sich seit Homer mannigfache Beispiele.134 Zur dramatischen Ironie zunächst ein Beispiel: „Ein normaler Taschendiebstahl ist an sich nichts Ironisches. Er wird es erst dann, wenn der Bestohlene selbst ein Taschendieb ist, zumal wenn er gerade dabei ist, selbst einen Taschendiebstahl zu begehen.“135 Eine nützliche Definition bietet Pfister: „Sie [sc. die dramatische Ironie] tritt immer dann auf, wenn die sprachliche Äußerung oder das außersprachliche Verhalten einer Figur für den Rezipienten aufgrund seiner überlege129 Siehe zu weiteren Unterteilungen Nünlist 67f, überhaupt auch E. Behler, Art. Ironie. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 4 (1998) Sp. 599-624, bes. 599-606. 130 W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk, Bern 1948, 111. 131 Nünlist 72f. 132 Vgl. ibid. 74f. 133 Teilweise übersetzt aus L. Hutcheon, Irony’s Edge. The Theory of Politics and Irony, London / New York 1994, 156. Sie spricht von „1. various changes of register 2. exaggeration / understatement 3. contradiction / incongruity 4. literalization / simplification 5. repetition / echoic mention.“ Vgl. weiter Nünlist 77. 134 Vgl. ibid. 78–80. 135 Ibid., 69. Nünlist gebraucht dieses Beispiel zwar zur Erklärung des Begriffs „Fallhöhe“, es ist aber zur Illustration dramatischer Ironie ebenso gut verwendbar.

170

Kreuzweg und Kreuzigung

nen Informiertheit eine der Intention der Figur widersprechende Zusatzbedeutung erhält.“136 Das bedarf mit Blick auf literarische Texte (an Stelle des Dramas) einer Erweiterung, die Nünlist bringt. „Der Erzähler vermittelt dem Leser dadurch eine ‚dramatisch-ironische‘ Botschaft, daß er die Figuren Dinge tun oder sagen läßt, deren tiefere Bedeutung den Figuren (zumindest im Moment) verborgen bleibt. Dabei ist zu betonen, daß der ‚Sprung‘ zwischen den beiden narrativen Ebenen (nämlich der ‚(intra)-diegetischen Ebene der handelnden Figuren‘ und der ‚extradiegetischen Ebene des [...] Erzählers‘) für die dramatische Ironie konstitutiv ist.“137 Zuletzt problematisch ist die Frage, ob Aussagen rückwirkend ironisch sein können, sich Ironie als solche also erst später erschließen kann oder unbedingt sofort evident werden muss. Nünlist argumentiert überzeugend für Letzteres, wobei im Einzelnen unten zur Ironie bei Iuvencus dieses Thema erneut aufgegriffen werden muss.138 Ironie im Matthäusevangelium Häufig fällt in diesem Abschnitt auf, dass die Aussagen, deretwegen die Gegner Jesu ihn verspotten (König der Juden, Sohn Gottes usw.), sich mit christlicher Dogmatik decken. Man wird also damit rechnen müssen, dass schon Matthäus ihnen solche Sätze in ironischer Absicht in den Mund gelegt hat: man verspottet Jesus, weil man nicht an ihn glaubt – dabei ist alles, was man im Spott formuliert, wahr. Anders: „Was im Kontext des Geschehens als Hohn auf den jüdischen Messianismus gedacht war, erscheint dem christlichen Erzähler als paradoxes Bekenntnis“. 139 Genau darin liegt die Intention der Perikope. Dadurch, dass die Schriftgelehrten die Schrift aus christlicher Sicht falsch zitieren und sich damit genauso wie Passanten und Räuber verhalten, wird ihre Kompetenz erneut in Frage gestellt. 140 Die Auferstehung wird dann beweisen, „daß Spott und Verachtung nicht verdecken können, was im Tode Jesu endgültig offenbar wird: der Verachtete und Verspottete ist wirklich Gottes erwählter Sohn.“141 Gerade darin, dass die Schrift „pervertierend“142 zitiert wird, liegt das größte Argument dafür, dass für die Leser des Matthäusevangeliums und somit auch für Iuvencus und seine Leser diese Absicht auch erkennbar war. Auch die Exegese der Alten Kirche, soweit sie 136 137 138 139 140 141

M. Pfister, Das Drama: Theorie und Analyse, München 1977, 88. Ibid. 82f. Vgl. ibid. 83. Wiefel 479. Vgl. Sand 562. Sand 562. Überhaupt sei die Gottessohnschaft der „Brennpunkt der matthäusschen Darstellung des leidenden Jesus“, ibid. 561. Mit anderem Schwerpunkt, aber ähnlich, Wiefel 477: „Durch den Bogen, der vom Kreuzestitulus zum Bekenntnis des Centurios gespannt ist, aber auch durch das verzerrte Echo in den Spottworten wird dieses Bild des leidenden Gerechten überwölbt von dem des messianischen Königs.“ 142 Sand 562.

IV 653–686

171

im letzten Kapitel untersucht wurde und im nächsten Kapitel zu untersuchen ist, hat, am stärksten im Bezug auf den titulus, diese Ironie bemerkt. Iuvencus geht häufig deutlich darüber hinaus. Die Exegese der Alten Kirche Auch den Kirchenvätern fiel die Paradoxie in der vorliegenden Perikope auf. Hier sollen einige Beispiele genügen, das zu illustrieren. Die schlichteste Auslegung findet sich bei Hil. in Matth. 33,3 (SC 258, 252,1f Doingon) in his autem omnibus Christus, dum illuditur, adoratur. Hilarius macht die Ablehnung Jesu durch die Juden sogar neben einigen anderen zu einem Argument für seine Göttlichkeit. Er scheibt Trin. 6,22 (CCL 62, 221,12–17 Smulders): Dei Filium unigenitum Deum Dominum nostrum Iesum Christum esse ac doceri, multis modis cognitum est: dum de eo testatur Pater, dum de se ipse profitetur, dum apostoli praedicant, dum religiosi credunt, dum daemones confitentur, dum Iudaei negant, dum gentes in passione cognoscunt. Die Aufforderung, herabzusteigen, halten Ambrosius und Hieronymus für unsinnig, da ja auch die Auferstehung die Gegner Jesu nicht überzeugte, vgl. Ambr. in Psalm. 61,15 (CSEL 64, 387,16f Petschenig/Zelzer) stulti! de morte surrexit et non crediderunt: quomodo, si de cruce descenderet, credidissent und Hier. in Matth. IV 27,42 (CCL 77, 272,1729–1731 Hurst/Adriaen) quid est plus de cruce adhuc viventem descendere an de sepulchro mortuum surgere? Resurrexit, et non creditis. Dabei stellt sich wieder die Frage, ob eine „Vorwärtsironie“ möglich ist, da die Auferstehung ja noch bevorsteht. Einerseits ist denkbar, dass sich der Leser der Auferstehungsszene an diesen Spott erinnert und ihn dann als deplaziert begreift. Darüber hinaus steht aber für den gläubigen Leser die Auferstehung ohnehin schon fest, wurde sie doch Mt 16,21, 17,23 und 20,19 angekündigt. Sie wird nun als Reaktion Gottes (etwa bei Cypr. Mont. 8 (CSEL 3,3, 112,5–113,9 Hartel)) bzw. als Erweis der Göttlichkeit Christi gedeutet, die gerade durch den Spott noch deutlicher strahlt. Die Auferstehung und die Erscheinungen vor den Gläubigen als Antwort auf den Spott sieht auch Origenes, Ser. 132 (GCS 38, 269,19–25 Klostermann/Benz) et qui quidem deridebant, dicebant „salva teipsum“; ipse autem (accipiens virtutem a patre) et hoc fecit et amplius [...]. Ostendit autem credentibus sibi [...].143 Die Verkennung der Heilsökonomie verleitet die Gegner Jesu zu spöttischen Aussagen, die unbewusst die Wahrheit enthalten. Dadurch strahlt diese umso mehr. 143 Ähnlich schreibt Joh. Chrys. Hom. in Phil. 7,3 (PG 62, 232) Ἀλλὰ τοσούτῳ μᾶλλον ἡ ἀλήθεια λάμπει, τοσούτῳ φαιδροτέρα γίνεται. Ὅταν γὰρ τοσαῦτα ᾖ μηχανήματα παρὰ τῶν ἐχθρῶν κατὰ τῆς δόξης αὐτοῦ γινόμενα, διαλάμπῃ δέ μᾶλλον, τὸ θαῦμα μεῖζον δείκνυται. – Aber um so mehr strahlt die Wahrheit, umso deutlicher wird sie. Immer wenn nämlich so heftige Intrigen von seinen Feinden gegen seine Herrlichkeit ins Werk gesetzt werden, diese aber noch mehr strahlt, erweist sich das Wunder als größer. Siehe weiter Hom. in Mt. 87,2 (PG 58, 771).

172

Kreuzweg und Kreuzigung

Ironie bei Iuvencus Dieser Abschnitt bezieht sich zunächst auf die im vorliegenden Kapitel von Ironie durchzogenen Stellen (siehe zu den folgenden Perikopen jeweils unten). Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass, wenn die Leser nicht bereits Christen sind, sie nach der Lektüre dreier Bücher der Evangeliorum Libri Quattuor zumindest auf der narrativen Ebene zu der Überzeugung gelangt sind, dass Jesus wirklich der Sohn Gottes ist. Der Leser ist also in der Lage dazu, die von Iuvencus intendierte Ironie in den spöttischen Aussagen der Gegner Jesu zu erkennen. Die Gegner Jesu, das wurde schon oben deutlich gemacht, sind Instrumente der Vorsehung (siehe zu den Versen 660f). Es liegt also angesichts dieses theologischen Anliegens des Dichters nahe, die Tendenz des Matthäusevangeliums, „doppelte Ironie“144 einfließen zu lassen, zu verstärken. „Doppelte Ironie“ meint dabei, dass die Gegner Jesu sich an rhetorischer Ironie versuchen, die aus ihrer Perspektive gelingt, aus der Perspektive des besser informierten Lesers aber misslingt und somit dramatische Ironie bewirkt. Das war schon oben, v.a. 647f tum genibus nixi regem dominumque salutant / Iudaeae gentis der Fall, siehe auch dort und S. 137–139. Der erste Beleg in dieser Perikope ist die Hinzufügung von meritique in Vers 665. Iuvencus gibt so in seinem eigenen Stil einen subtilen Hinweis darauf, wie er den titulus verstanden haben will, nämlich nicht nur als Kundgebung des Urteilsgrundes, sondern eben als Kundgebung der Würde und des Verdienstes Jesu. Für ihn hat dieses negativ scheinende Schild eine positive Bedeutung. Der Dichter weist also darauf hin, dass durch dieses Schild dramatische Ironie entsteht.145 In den Versen 670f, wo über die Ankündigung der Tempelzerstörung gespottet wird, ist ein genauerer Blick nötig. Zunächst ist offensichtlich, dass, obwohl es sich in der Vorlage und bei Iuvencus um Aussagesätze handelt, die Spötter sich aus ihrer eigenen Perspektive in ironischer Weise über Jesus lustig machen. Signal ist dabei zunächst die Inkongruenz zwischen ihrer eigenen uns bekannten Überzeugung – sie rechnen nicht damit, dass Jesus wirklich den Tempel zerstören kann, zumal da Jesus ja nun am Kreuz hängt – und ihrer vorliegenden Aussage. Dazu kommt aber auch als Ironiesignal ein Echo, da ja Jesus die Tempelzerstörung und den –aufbau (auf verschiedene Weise, dazu gleich) angekündigt hat. Es fällt aber die Hinzufügung von poterat auf. Damit überträgt der Dichter einerseits das Imperfekt de conatu der Vorlage in leichter verständliche Sprache, trägt andererseits aber durch den ausdrücklichen Verweis auf Jesu Vermögen zur Ironie bei. Flieger legt dar, dass Iuvencus die beiden Tempelzerstörungsankündigungen in der Passion analog und im Einklang mit der Vorlage gestaltet (siehe oben zu 671 hic est qui ... meatu). Die Ankündigung aus Jesu eigenem Munde (II 166–168 solvite pollutis manibus venerabile templum / hoc, ego restituam, cum tertia lumina solis / incipient rutilam terris infundere lucem) ist jedoch einer der Johanneseinschübe, hier treu nach Joh 2,19: solvite templum hoc et in tribus diebus ex144 Luz (2002) 328. 145 Zur Rolle des narrator bei den verschiedenen Ironieformen siehe am Ende dieses Kapitels.

IV 653–686

173

citabo illud.146 Die Väterexegese hatte auf die Unterschiede zwischen den beiden Evangelien aufmerksam gemacht, dass nämlich Jesus nach Johannes verlangte, seine Gegner mögen den Tempel niederreißen, während die Zeugen bei Matthäus sagen, er habe von seiner eigenen Macht, das zu tun, gesprochen, um die Bezeichnung der Zeugen gegen Jesus als falsche Zeugen (testes falsi in Mt 26,60, falsos testes IV 542) zu rechtfertigen.147 Für Iuvencus sind solche Gedanken nicht nachzuweisen, falsus ist hier also nicht im Sinne von „lügnerisch“, sondern von „(moralisch) falsch“ zu verstehen. Während nämlich Matthäus im Prozess zweimal (Mt 26,60a und 26,60b) von falschen Zeugen spricht, lässt Iuvencus diese Bezeichnung IV 546–548 aus.148 Denkbar ist nun, neben der üblichen Wiederholungsvermeidung, dass der Dichter die Aussage der Zeugen gar nicht für falsch hielt und die Unterschiede zwischen den Evangelien aus reiner Treue zur jeweiligen Vorlage wiedergab. Die Zeugen hätten dann ebenso wie unbewusst die Spötter vor dem Kreuz die Wahrheit gesprochen: Dieser Jesus war wirklich in der Lage, den Tempel niederzureißen bzw. niederreißen zu lassen (das macht, mag es auch der Exegese wichtig gewesen sein, 149 hier keinen Unterschied mehr) und wiederzuerbauen. Wieder würden die Ziele der Gegner Jesu verkehrt – ihre rhetorische Ironie bewirkt sogleich dramatische Ironie. Das ist, zugegeben, für den Prozess spekulativ, für die Spötter aber angesichts der starken Tendenz zur Ironie im gesamten Absatz hier plausibel. Besonders hintersinnig wird diese dramatische Ironie in den Versen 672 und 684 zum Ausdruck gebracht. An erster Stelle wird die Gottessohnschaft im Matthäusevangelium durch den Kondizionalsatz si filius Dei es in Frage gestellt, bei Iuvencus dieser Titel als suboles veneranda Tonantis fraglos in den Aussagesatz übernommen. Entgegen der intendierten rhetorischen Ironie, die durch den Wandel vom Fragesatz zum Aussagesatz und die offensichtliche Inkongruenz zwischen Erwartung und Aussage deutlich wird, bestätigt die Volksmenge also unbewusst nicht nur die Gottessohnschaft Jesu, sondern auch, dass sie ihm Verehrung schuldet (veneranda – als Gerundiv schließlich Ausdruck objektiven Zwangs!), die sonst gewöhnlich Gott zukommt. 150 Mt 27,43 berichten nämlich die Oberen des Volkes von Jesus, er habe behauptet, Sohn Gottes zu sein (dixit enim, quia filius Dei sum). In Vers 684 aber wird diese Aussage zur eigenen Aussage der Oberen umgeformt, ohne dass von Jesu Wort die Rede wäre. Aus ihrer Perspektive machen die Oberen also ihre rhetorische Ironie wiederum durch Inkongruenz klar. Er wird in ähnlicher Weise als suboles propria, als eigener Nachkomme Gottes, bezeichnet, Subjekt ist veneranda potestas. Die Göttlichkeit Jesu 146 Vgl. Flieger 148–150. 147 Orig. Ser. 108 (GCS 38, 226,25–‚228,23 Klostermann/Benz) und Hier. in Matth. IV 26,60 (CCL 77 259,1384–260,1396 Hurst/Adriaen). 148 Flieger 148 bespricht ausführlich die Handschriftenlage, da falsi testes in einigen Handschriften der Itala fehlt. Da der griechische Text, die Vulgata und die Väterexegese allesamt falsi bzw. ψευδομαρτύρες überliefern, darf man annehmen, dass auch Iuvencus falsi bekannt war. 149 Siehe Flieger 150 mit einer Untersuchung des Wortmaterials bei Matthäus und Johannes und weiteren Verweisen auf exegetische Literatur. 150 Zur Begriffsgeschichte siehe oben zu 672 suboles veneranda Tonantis.

174

Kreuzweg und Kreuzigung

wird dadurch, dass ihm und seinem Vater mit veneranda dasselbe Epitheton an derselben Stelle im Vers zukommt, noch einmal betont. Diese „doppelte“ Ironie wird dem Leser dadurch klar, dass die Aussagen der Gegner aus christlicher Perspektive inkongruent sind. Die Gegner Jesu zweifeln ja nicht daran, dass sie Gott Ehre schulden, einzig wollen sie das nicht auf Christus erweitert sehen, was mit den gezeigten Mitteln aber vom Dichter als richtige Einstellung dargelegt werden konnte. Eine dezidiert christologische Aussage, etwa auf die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn zielend, kann Iuvencus zwar nicht nachgewiesen werden;151 daran, dass Jesus für ihn (auch) göttlicher Natur ist, kann allerdings kein Zweifel sein. So verbirgt sich wiederum in der rhetorischen auch dramatische Ironie. Wer bei der Lektüre des Iuvencustextes also nicht exakt an den Bibeltext dachte, mag so zu der Überzeugung gekommen sein, die Spötter hätten Jesu Gottessohnschaft direkt bekannt. Diese Gottessohnschaft findet sich auch in Vers 683 ausgedrückt, da zu confidit in Deo noch genitore hinzugefügt ist, so dass ausdrücklich von „Gott, seinem Vater“ die Rede ist. Oben zur Stelle war gezeigt worden, dass genitor Deus kaum „Gott, den Schöpfer [aller Menschen]“ meint und man somit mit Recht hier eine weitere Bezeugung der Gottessohnschaft sehen kann. Der narrator selbst gebraucht schon 692 genitor und nutzt das Echo als Ironiesignal; siehe weiter dort. Ein weiteres double entendre dieser Stelle liegt darin, dass einzig der Teufel sonst genitor Deus in diesem Sinne gebraucht: Die Oberen bekennen zu Recht Jesus als Gottes Sohn, sind aber aus dämonischer Verblendung nicht in der Lage, es in ihren Herzen zu begreifen. Dieses Echo, mit dem die Gegner Jesu ihm seine Göttlichkeit absprechen, mag im Sinne der dramatischen Ironie helfen, zu erkennen, dass die Gegner Jesu mit derselben Stimme wie der Teufel sprechen. Das ginge aber auf Grund der weiten Entfernung der beiden Aussagen (der des Teufels und der der Gegner Jesu), die kaum aufeinander bezogen sind, wohl zu weit. Die Gelegenheit, auf die vorliegende Perikope zurückzugreifen, nutzt Iuvencus erneut in den Worten des Erzählers in Vers 786 cernitur ecce suis proles veneranda Tonantis (echoing). Dass der narrator selbst eine Rolle spielt und selbst rhetorische Ironie benutzt, ist zunächst auffällig, allerdings, wie Fowler überzeugend darlegen kann, seit Vergil keineswegs unüblich. Für Iuvencus ist bekannt, dass er bewusst „parteiisch“ die christliche Perspektive einnimmt. Auch Vergil hat aber in einigen auktorialen Aussagen nicht etwa die eines neutralen Beobachters, sondern die „abwegige“ („deviant“) Fokalisation gezeigt, indem das, was er sagt, eher aus der Perspektive einer seiner Figuren verständlich ist. 152 Gleiches gilt auch da, wo eine Figur etwas sagt oder tut, das eher aus der Perspektive einer anderen Sinn ergibt. Diese Technik wendet auch Iuvencus an. Aus der Perspektive der Jünger Christi (als suis auch in Vers 786 genannt) ist proles veneranda Tonantis ganz angemessen, als Echo der Aussage seiner Gegner vor dem Kreuz zudem rhetorische Ironie. 151 Gewiss richtig liegt aber Glei 144 Anm. 29, wenn er sagt, dass Iuvencus dogmatisch oft (auch zufällig) die orthodoxe Lehre vertrat und daher überhaupt überliefert wurde. 152 Vgl. D. Fowler, Deviant focalisation in Vergil’s Aeneid, PCPhS 36 (1990) 42–63.

IV 653–686

175

Ein letztes Beispiel für diese Vorgehensweise findet sich 680f. Auch dort wird ein Kondizionalsatz, si rex Istrahel est, in einen Aussagesatz umgebaut. Die Partikel en verstärkt dort durch Übertreibung den Eindruck der rhetorischen Ironie von seiten der Sprecher, umgekehrt aber auch den der dramatischen und damit „doppelten Ironie“. In Wahrheit also bekennen sie (ungewollt) zur Gottessohnschaft oben hier noch Jesu Königtum. Dazu kommt der Zusatz debuimus, der keine Entsprechung in der Vorlage hat. Aus dem spöttischen Vorwurf „wenn du der König Israels bist“ wird so eine Aussage über die Spötter selbst, die nämlich Jesus für ihren König hätten halten müssen: Dieser Zwang, dem man nicht nachgekommen war, wird sprachlich durch das Enjambement von debuimus noch verstärkt. Ein bibelunkundiger Leser mag eventuell Spuren von Reue erkennen können, ein bibelkundiger die so stark ausgedrückte Verblendung sehen und sich über sie wundern. Einzig die Verse 678f sind nicht nach diesen Prinzipien gestaltet. Während dort in der Vorlage gewiss in alios salvos fecit, se ipsum salvum facere non potest ein Wortspiel mit salvus getrieben wird, 153 geht dieses bei Iuvencus verloren. Statt vom ambivalenten „Heilen“ bzw. „Heilmachen“ zu sprechen, schreibt er von morborum vinclis und poenis. Diese Erkenntnis tut aber der klar erkennbaren Absicht des Dichters im gesamten Abschnitt keinen entscheidenden Abbruch, sondern ist nur eine mit modernem Auge festgestellte verpasste Chance. Unbenommen bleibt ja, dass die zweifelnde Frage, so sagt es der Erzähler, zum Unheil führt, und dass Jesus die bezweifelte Fähigkeit sehr wohl hat – als Beleg dafür dient die spätere Auferstehung. Dabei von (einer Form von) Ironie zu sprechen ist schwierig, da die Auferstehung ja noch bevorsteht. Dennoch scheint es mir berechtigt, da die Auferstehung mehrfach angekündigt wurde und somit nicht notwendigerweise von „Vorwärtsironie“ gesprochen werden muss. AUSBLICK Den hier kommentierten Versen entspricht Sedul. Carm. Pasch. V 177–231. Sedulius beginnt gleich mit der Tränkung mit Galle und bringt eine deutliche Auslegung dessen, was bei Iuvencus noch aus Vers 660 gelesen werden musste: Dass Christus den mit Galle gemischten Wein trinken muss, ist der göttlichen Vorsehung und der Erfüllung des göttlichen Heilsplans geschuldet, vgl. 177–179 Nec sine divino constat moderamine gestum / quod vinum cum felle datum, tristemque saporem / suscipiens tetigit labiis, et ab ore removit. Auch die oben für Iuvencus vermutete Deutung, dass der bittere Trank für den Tod steht, den Jesus nur kurz, aber nicht dauerhaft schmecken muss, findet sich bei Sedulius explizit, vgl. 180f quippe necem parvo degustaturus amaram / tempore quam reduci contemnere carne pararet. Zu bedenken ist, ob die leibliche Auferstehung, die bei Iuvencus 153 Das war schon Hier. in Matth. IV 27,42 (CCL 77, 272,1724–1727 Hurst/Adriaen) aufgefallen.

176

Kreuzweg und Kreuzigung

757 angedeutet wird (siehe weiter dort), bei Sedulius durch carne ebenfalls explizit gemacht wird; eine direkte Abhängigkeit zu zeigen aber ist nicht möglich. Während Iuvencus noch mit subtiler, auch der Vorlage innewohnender Ironie versuchte, sub specie contrarii die Kreuzesstrafe positiv bzw. heilsstiftend auszulegen, macht Sedulius das gemäß seiner Gewohnheit wieder explizit (182–189, bes. 186–188 suppliciumque dedit signum magis esse salutis / ipsaque sanctificans in se tormenta beavit. / Neve quis ignoret, speciem crucis esse colendam). Ferner wird das Kreuz mit Nennung der vier Winde als Symbol für die weltumspannende Bedeutung des Todes Christi ausgedeutet (190–195). Das über Jesu Kopf angebrachte Schild bezeichnet Sedulius wie Iuvencus als titulus (196 scribitur et titulus „Hic est rex Iudaeorum“), er meidet außerdem Iudaeorum nicht (siehe oben zu 666 rex Iudaeae plebis gentisque fuisset). Der Titel „König der Juden“ ist auch nach dem späteren Dichter zweifellos positiv zu verstehen. Die Göttlichkeit Jesu wird gerade dadurch offenbar, dass der Titel in drei Sprachen geschrieben wurde (198f nach Joh 19,19); darin liegt ein Zeichen für die Trinität. Den ungeteilten Rock deutet Sedulius als Mahnung gegen Schismen; siehe dazu in der altkirchlichen Exegese oben S. 165–168. Während Iuvencus bei der Beschreibung des Verhaltens der Räuber streng dem Matthäusevangelium folgte, orientiert sich Sedulius auch am Lukasevangelium. Zunächst wird Jesus positiv gegenüber den carnifices abgesetzt (202–206) und auf das Paradox hingewiesen, dass er als Angeklagter in der Welt ist, allerdings die Welt richten soll (207f). Das deutet sich schon darin an, dass er den reuigen Sünder, wie es das Lukasevangelium berichtet, am Kreuz begnadigt (209–231). Dabei greift Sedulius auch auf das Gleichnis vom verlorenen Schaf zurück. Der Räuber, der keine Reue zeigt, wird mit einem gejagten Wildschwein verglichen (213–219), während das wiedergefundene Schaf am locus amoenus des Paradieses weiden wird. Sedulius beschreibt den Ort eindringlich und vorstellbar; seine Darstellung lädt zur Meditation ein. Diese wird zuletzt dadurch gelenkt, dass er das Paradies als für den Teufel verloren beschreibt (222–226 in campos, paradise, tuos, ubi flore perenni / gramineus blanditur ager, nemorumque voluptas, / irriguis nutritur aquis, interque benigne / conspicuos pomis non deficientibus hortos / ingemit antiquum serpens habitare colonum). Sedulius schließt mit den zwei Gegenüberstellungen, was mit den Räubern geschieht (229–231 infernas adit ille fores, adit iste supernas; / ille profunda sequens penetravit claustra gehennae, / abstulit iste suis caelorum regna rapinis). Wesentlich ist also die emotional transportierte Weisung, zur rechten Zeit Reue zu zeigen, um nicht aus dem Paradies ausgeschlossen zu werden. Die narratio ist vielfach durch starke Ausschmückungen durchbrochen.

DER TOD JESU (IV 687–713) EINPASSUNG DER SZENE Auf Grund der in diesem Kommentar gewählten Trennung zwischen Kreuzigung und Tod gibt es keinen eigentlichen Übergang zwischen den Szenen, da die hier episch ausgestaltete Sonnenfinsternis nicht wie sonst üblich zuerst einen Abschnitt markiert, sondern integraler Bestandteil der gesamten Szene (aus Kreuzweg und Tod) ist. Zum Einschnitt nach Vers 713 siehe unten die Einleitung zur Grablegung, S. 218, zu Überleitungen im Allgemeinen unten S. 320. KOMMENTAR Die Sonnenfinsternis (IV 687–690) Mt 27,45: Ab hora autem sexta tenebrae factae sunt super universam terram usque ad horam nonam.

Iuvenc. IV 687–690: 687 Iam medium cursus lucis conscenderat orbem, 688 cum subito ex oculis fugit furvisque tenebris 689 induitur trepidumque diem sol nocte recondit. 690 Ast ubi turbatus nonam transegerat horam 691 consternata suo redierunt lumina mundo. 690 turbatam R M B1 transierat M Mp : transiverat L : transcenderat R Hl B Sg V1 H: conscenderat Arevalo

medium ... conscenderat orbem: Iuvencus findet für die einfache Zeitangabe ab hora sexta, mittags, eine durch Trit- und Hephthemimeres gegliederte epische Umschreibung; siehe dazu im Allgemeinen unten S. 320. Die Junktur medium ... orbem findet sich Georg. I 209; Luc. VI 482; IX 532 und Aen. VIII 97. Nur in letzterem Fall tritt conscenderat dazu, es heißt Sol medium caeli conscenderat igneus orbem. Die Trojaner sehen dort die Stadt Euanders an dem Ort, wo später Rom stehen soll (Aen. VIII 99f Romana potentia caelo / aequavit). Über die bloße Imitation der Wendung hinaus wird also das Telos der Aeneis, Rom, zum Telos der ganzen Welt, dem Tod und der Auferstehung Jesu, umgedeutet. Passend dazu ist die Erklärung bei Claud. Donat. Aen. VII 99f nunc horam dicit qua ad locum ventum est, medium, inquit, caelum sol tenuerat, ipsa est sexta hora, et, cum iam non tegerentur nimia umbra arborum, apparebant his muri civitatis, arx quoque et rara domorum tecta. [...] felicitati enim Romanae ipse [Aeneas] initium dedit,

178

Der Tod Jesu

ut ex humili et parva fieret maior et perveniret culmen eius ad caelum. Eigentümlich ist dabei die sonst nicht belegte Junktur cursus lucis conscendit, zumal kaum wahrscheinlich ist, dass Sol als Subjekt und damit als Gottheit hier vermieden werden soll, da sol zwei Verse weiter ja als Subjekt gebraucht wird. Diese Ausdrucksweise entspricht der bei Iuvencus häufig belegten Aufsprengung von Begriffen1 in einen neuen Begriff mit (oft der Vorlage verwandtem) Genitiv. Innerhalb der Evangeliorum Libri Quattuor sah Thraede einen Bezug zu IV 149–151 abscondet furvis rutilos umbris radios sol, / amittet cursum lunaris gratia lucis / ignicomaeque ruent stellae cursumque relinquent.2 Laut Mt 24,29 hatte Jesus eine Sonnenfinsternis als Zeichen für das Kommen des Menschensohnes angekündigt: statim autem post tribulationem dierum illorum sol obscurabitur3 et luna non dabit lumen suum et stellae cadent de caelo et virtutes caelorum movebuntur. „Verwandte Metaphern“ sind folgende: „Lauf [...] des Mondes, Dunkelheit als Versteck der Sonnenstrahlen.“4 Möglicherweise weist auch der Plural lumina in Vers 691 hierher zurück, da ja zuvor nur cursus lucis bzw. sol im Singular beschrieben war. subito: Das plötzliche Eintreten passt zur Beschreibung des Tages als trepidus im folgenden Vers. Auch metrisch mag das zu spüren sein, da der Vers mit zwei Daktylen einsetzt und nach oculis die Penthemimeres folgt. Die gesamte Schilderung der Sonnenfinsternis hat so Ähnlichkeit mit dem Sonnenaufgang desselben Tages, beschrieben in 586f. Subito hier entspricht rapidus dort. Zur Interpretation der Naturereignisse siehe unten nach Vers 691 redierunt. furvis: Furvus ist gern auf Unterweltsgottheiten oder deren Opfer bezogen, 5 daher hier symbolisch sehr passend. Die Unterwelt kommt über Jesus, er aber wird siegreich aus ihr hervorgehen. Konnotationslos („dunkel“) gebraucht es Iuvencus II 2, mit gleicher Bedeutung II 2076 als Ausdruck für Hölle und IV 149 bei der Ankündigung der Endzeit. Im Epos vor Iuvencus gebraucht es auf die Unterwelt bezogen Stat. Theb. VIII 10 furvo Proserpina poste notarat.7 Silius macht sich die Konnotation VII 683f: nigra viro membra, et furvi iuga celsa trahebant / cornipedes, wo Tunger als Tod auftritt,8 und VIII 116–120: Nigro forte Iovi [...] furvasque trahebam / ipsa manu properans ad visa pianda bidentis zu Nutze.9

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. Abbolito 305. Vgl. Thraede (1998) 22f. In tenebris convertetur Afra : concertetur in tenebras ff1. Ibid., 23. Thraede interpretiert im Folgenden die Verse 149–151, nicht die hier vorliegenden. Viele Belege finden sich ThLL VI 1651,30–40 (Vollmer 1924). Siehe auch Heinsdorff ad loc. Umstritten ist furva Theb. IX 727. Schlüssig argumentiert Dewar (Statius, Thebaid IX. Edited with an English Translation and Commentary by M. Dewar, Oxford 1991), ad loc. für fulva. Vgl. besonders zur Verbindung zwischen furvus und der Unterwelt A Commentary of Silius Italicus’ Punica 7, ed. with Introduction and Commentary by R.J. Littlewood, Oxford 2011, 234. Siehe zur Aufteilung der Welt in Erde und Himmel für Jupiter, Meer für Neptun und Unterwelt für Pluto Spaltenstein ad loc.

IV 687–713

179

induitur trepidum ... recondit: Wie schon zuvor Vers 687 ist auch dieser durch Trit- und Hephthemimeres exakt gegliedert, dazu wird durch das Enjambement induitur hervorgehoben. Dabei handelt es sich um ein historisches Präsens.10 induitur: Die Wendung sol induitur übernimmt Iuvencus aus der überreichen Sonnenaufgangsbeschreibung bei Val. Flacc. IV 92–94 Sol auricomis urgentibus horis / multifidum iubar et bisseno sidere textam / loricam induitur.11 Die Vorstellung, dass die Sonne sich in Finsternis kleidet, kommt weder vor Valerius Flaccus noch zwischen ihm und Iuvencus in der Literatur wieder vor. 12 Mehr als die Übernahme dieses Motivs ist dennoch nicht zu entdecken. Man kann spekulieren, ob Iuvencus durch das seltene „Anziehen“ der Sonne zum Ausdruck bringen wollte, dass die Dunkelheit nur temporär und nicht der Natur des Tages entsprechend ist; siehe auch unten zu 691 suo ... mundo. Ungeachtet dessen ist eine Kontrastimitation gestützt auf induitur unwahrscheinlich; es handelt sich gewiss um die Übernahme eines epischen Ausdrucks. trepidumque diem: Der Tag war schon IV 587 als radiis trepidantibus angefüllt beschrieben worden; siehe weiter dort zur Beschreibung des Lichts. Die dort geschaffene Stimmung hält Iuvencus hier aufrecht. sol: Das Subjekt des Nebensatzes ist hier eigentümlich spät gesetzt, fern von fugit und induitur, wird allerdings von diem und nocte wirkungsvoll gerahmt und nach der Hephthemimeres pointiert Letzterem gegenübergestellt. Nocte recondere ist Iuvencus’ eigene Junktur. Licht- bzw. Sonnenmetaphorik spielt in der vorliegenden Szene wie im Gesamtwerk merklich eine große Rolle. 13 recondit: Standwort, alle sechs Male im klassischen Epos steht es an letzter Stelle im Vers. Schon zu den Versen 586f war festgestellt worden, dass die Natur, gewissermaßen die ganze Welt, mit den wichtigen Ereignissen, die bevorstehen, mitfühlt und ebenso in Unruhe ist wie die Menschen. Iuvencus wiederholt mit entsprechenden (subito für rapidus) oder denselben (trepidus) Worten diese Stimmung. Diese Technik des klassischen Epos, ja der gesamten klassischen Literatur, 14 macht Iuvencus sich auffällig zu Nutze. Dazu Diederich: „Auch in Juvencus’ Passionsdarstellung [...] erscheint Jesus bezeichnenderweise nicht als Schmerzensmann. Vielmehr weist ihn die prodigienähnliche Verfinsterung der Sonne IV 687ff als gerade [...] den Gottessohn aus.“15 Siehe zur Reevaluation dieses Urteils unten S. 204.

10 Vgl. Hatfield 4. 11 Urgentibus ist eine Konjektur für das überlieferte cingentibus und ingentibus. Siehe dazu F. Spaltenstein, Commentaire des Argonautica de Valérius Flaccus (livres 3, 4 et 5), Brüssel 2004 (Latomus 281) 228. 12 Vgl. M. Korn, Valerius Flaccus, Argonautica 4, 1–343. Ein Kommentar, Hildesheim 1989 (Spudasmata 46), 79f. 13 Siehe dazu Röttger passim. 14 Einige Parallelen und Verweise auf weitere Literatur finden sich bei Luz (2002) 332 Anm. 21. 15 Diederich 404.

180

Der Tod Jesu

turbatus: Durch diese Vokabel wird, ebenso wie durch consternata im folgenden Vers, deutlich gemacht, wie unnatürlich die Sonnenfinsternis ist, und erneut auf die Natursympathie hingewiesen: Wegen Jesu Tod ist selbst die Sonne erschüttert und damit dunkel. Siehe weiter unten S. 202. Die Variante turbatam scheint von den gleichen Endungen nonam ... horam beeinflusst. Schließlich ist hier die Sonne, nicht etwa die neunte Stunde selbst in Unruhe, ohne Kraft. Knappitsch meinte daher, nach recondit sei ein Semikolon zu setzen, da sol weiter Subjekt bleibt.16 Die stärkere Trennung durch ast scheint mir aber ein Argument für einen Punkt hinter recondit zu sein; dass sol weiter Subjekt ist, bleibt auch so leicht zu verstehen. transegerat: Arevalos conscenderat ist kaum haltbar und muss von 687 beeinflusst sein. Gleiches gilt für das in einigen Handschriften überlieferte transcenderat. Transierat ist metrisch unmöglich, transiverat ungewöhnlich und gegenüber tempus bzw. hier horam transigere uneleganter. Für tempus transigere gibt es einige Belege, jedoch in Prosa, z.B. Suet. Tib. XI 5 und Vit. VIII 1, Apul. Met. XI 21 und Lact. Div. Inst. III 12 (240,13 Heck/Wlosok), für horam transigere klassisch nichts, jedoch verwendet es Augustinus in Evang. Joh. 117,1 (CCL 35, 651,9f Willems), Civ. Dei XV 14 (86,29f Dombart/Kalb) und Urb. exc. 6 (70,33 O’Reilly).17 Verwandt, wenn auch nicht dieselbe Junktur, ist Lucr. I 459f: tempus item per se non est, sed rebus in ipsis / consequitur sensus, transactum quid sit in aevo [...].

consternata: Consternata lumina ist wiederum Iuvencus’ eigene Junktur, zur Wirkung siehe oben zu 690 turbatus. Arevalo weist auf Ov. Met. II 314 hin. Dort heißt es vom Sonnenwagen, den Phaeton fährt, unmittelbar nach dem Einschlag des Blitzes Juppiters consternantur equi et saltu in contraria facto / colla iugo eripiunt abruptaque lora relinquunt. Die Parallele ist, vor allem angesichts der verschiedenen Bedeutung von consternere, schwach, aber, wenn man sie annehmen will, nicht ohne Wirkung: Für den Gottessohn Phaeton endete die Fahrt mit dem Sonnenwagen verhängnisvoll, hier kehrt in Verbindung mit dem nur scheinbar scheiternden, in Wahrheit aber auferstehenden Gottessohn Jesus gerade das (Sonnen-)Licht in die Welt zurück.

lumina: Siehe bzgl. des Plurals oben zu medium ... conscenderat orbem. mundo: Das bei der Beschreibung der Sonnenfinsternis noch fehlende super universam terram gibt Iuvencus hier wieder. Matthäus dürfte mit seinem Ausdruck ebenfalls nicht „das ganze Land“, sondern „die ganze Erde“ gemeint haben, 18 der Dichter setzt der Ambiguität des Ausdrucks aber ein deutliches Ende. Zwar fehlt das ausdrückliche universa noch immer, durch die pointierte Stellung von (suo) mundo ist der Ausdruck aber ebenso deutlich. Anders sieht es Origenes, der meint, dass die Sonnenfinsternis nur in Jerusalem und Judäa stattfand, vgl. Ser. 134 (GCS 138, 274,19–25 Klostermann/Benz) arbitror ergo, sicut cetera signa quae facta sunt in passione ipsius, in Hierusalem tantummodo facta sunt, sic et tenebrae tantummodo „super omnem terram“ Iudaeam „sunt factae usque ad horam nonam.“ Der Zusammenhang bei Origenes ist aber weniger exegetisch als apologetisch, da er sich gegen Kritik zur Wehr setzt, Erdbeben und Sonnenfinsternis seien anderswo nicht zu bemerken gewesen. Insgesamt ist die Exegese gespalten, wo nun die Sonnenfinsternis stattfand. Anders als Origenes und gleich wie Iuvencus äußert sich nämlich Ambr. in Psalm. 45,12 (CSEL 64, 339,23–25 Petschenig/Zelzer) quia in tenebris erat hic totus mundus et maioribus fuisset tenebrarum squaloribus involutus [...].

suo mundo: Das Possessivpronomen wirkt zunächst überflüssig – inwiefern ist es für die lumina ihr e Welt? Wahrscheinlich wird so, wie oben zu induitur bemerkt, das Unnatürliche einer Sonnenfinsternis hervorgehoben. Die Welt ist am 16 Knappitsch ad loc. 17 Knappitsch ad loc. fragt: „Num quid melius Latine quam transigere horam [...]?“ 18 Vgl. Luz (2002) 332f, anders Sand 564.

181

IV 687–713

Tage gewöhnlich hell, Finsternis nur temporär und unnatürlich – so „gehört“ die Welt dem Lichte. Dieselbe Aussage ließe sich mit einer Enallage im Sinne von sua ... lumina mundo verbinden: das Licht gehört zur Welt und nicht etwa in die Finsternis. Theologische Implikationen dieser konkreten Ausdrücke (in der Gesamtszene ist die Sympathie der Natur überdeutlich; siehe weiter unten S. 202) sind möglich, müssen aber spekulativ bleiben. Ähnlich dem vorliegenden Vers ist Val. Flacc. I 246f ipse suo voluit commercia mundo / Iuppiter et tantos hominum miscere labores. Will man aus der geringen Übereinstimmung eine bewusste Imitation erkennen, kann man annehmen, es sei Gott – analog zu Iuppiter und diesen überbietend – der die lumina kontrolliert. Grammatisch ist das aber kaum wahrscheinlich, da Iuppiter und lumina die Subjekte sind, während Gott bei Iuvencus gar nicht genannt wird. Näher noch sind das Proöm von Manil. I 18 omniaque immenso volitantia lumina mundo (über die Sterne) und I 68 et stupefacta novo pendebat lumine mundi. Dass astronomische Literatur hier zitiert wird, spricht für Iuvencus’ literarische Bildung, womöglich unterstreicht es auch den Konflikt zwischen der Natur und der unnatürlichen Sonnenfinsternis.

Der Ruf nach Gott (IV 692–694a) Mt 27,46f: 46 Circa horam nonam clamavit Iesus voce magna dicens: „Heli Heli lama zapthani?“ Hoc est: „Deus meus, Deus meus, ut quid me dereliquisti?“ 47 Quidnam autem illic stantes et audientes dicebant: „Heliam vocat iste.“

Iuvenc. IV 692–694a: 692 Et Christus magna genitorem voce vocabat 693 Hebraeae in morem linguae;

sed nescia plebes 694 Heliam vocitare putat. 693 plebis M K1 K2 T

Christus: Häufig wird der Titel Christus an Stelle des Namens Jesus verwendet. Siehe zu Gebrauch und Bedeutung von Hoheitstiteln oben zu 590f Dominus ... Iesus. genitorem: Die häufig auftretende Vokabel (60 Belege) gebraucht Iuvencus gerne von Gott, besonders als Vater Jesu, zuletzt 683. Siehe zur Umsetzung des folgenden Missverständnisses und der darin gezeigten Ironie unten S. 200. magna ... voce vocabat: Nach Huemer ein Bezug zu Aen. X 873 atque hic [Mezentius] Aenean magna ter voce vocavit. Die figura etymologica ist schon klassisch häufiger (Lucr. IV 711; Aen. VI 242, 506; XII 481, 638; Ov. Met. X 3, 506), jedoch nur hier, Aen X 873 und VI 506 constitui et magna manis ter voce vocavi in einem Vergangenheitstempus, dazu in Verbindung mit magna. Eine Kontrastimitation ist nicht leicht zu entdecken: Im zehnten Aeneisbuch ruft Mezentius nach Aeneas, der ihn bald darauf im Kampf tötet, im sechsten berichtet Aeneas dem toten Deiphobus in der Unterwelt von den Totenriten für ihn. Möglicherweise überhöht Iuvencus den Ruf nach den Manen hier durch den Ruf nach Gott, den Ruf nach dem todbringenden Feind durch den Ruf nach dem heilbringenden Schöpfer.

182

Der Tod Jesu

in morem: Auch der Akkusativ mit in drückt wie ein schlichteres more eine Art und Weise aus.19 Dass Iuvencus den hebräischen Ruf Jesu auslässt, verwundert kaum. Abgesehen von metrischen Schwierigkeiten ist er für Leser des Matthäusevangeliums, die nicht mehr Hebräisch sprechen, kaum verständlich. Auffällig ist nun, dass der Dichter auch den Inhalt des Rufes, der ja schließlich in der Vorlage übersetzt vorlag, nicht wiedergibt.20 Eine reine „Entjudaisierung“21 reicht als Erklärung nicht aus, schließlich ruft Jesus Hebraeae in morem linguae und Elia wird ausdrücklich genannt. Green, der nach einem möglichen Antiarianismus suchte und einige Belege für mindestens eine antiarianische Tendenz fand, brachte vorsichtig vor, Iuvencus habe wohl eine schwierige Passage, die eine Subordination Jesu unter seinen Vater wahrscheinlich machte, auslassen wollen.22 Das ist durchaus möglich und im Spiegel der altkirchlichen Exegese auch nicht unwahrscheinlich. 23 Selbst wenn Iuvencus keine theologische Position entschieden unterstützen wollte, ist wahrscheinlich, dass er sich des Problems bewusst war und es so eventuell umgehen wollte.24 Im Gleichnis von den bösen Winzern etwa (nach Mt 21, 33–46) scheut er nicht davor zurück, den Sohn III 727f als subolem partemque sui ... venerandam, als Teil des Vaters zu bezeichnen (zur übrigen Wendung siehe oben zu 672 suboles veneranda). Somit unterstützte er dort, wo es um die Sendungsgewalt Christi geht, die orthodoxe Position – die Vokabel pars scheint mir eindeutig –, wählt allerdings an der schwierigen Stelle hier, die die Frage nach der Gottverlassenheit Jesu (der zugleich Gott ist), automatisch aufwirft, einen Weg geringeren Widerstands. Einen Eindruck des Scheiterns zu verwischen gelingt dem Dichter aber nicht ganz, da ja der bald folgende Spott, man wolle sehen, ob Elia vom Himmel herabsteigt, ohne direkte Konsequenzen bleibt (siehe dazu unten zu den Versen 697– 700). Einzig die Gottverlassenheit, mit der sich die Exegese in jeder Zeit, besonders aber in der Alten Kirche, so schwer tat, geht aus Iuvencus’ Version der Ereignisse nicht hervor. Iuvencus tilgt also einen Vers, der aus zweierlei Hinsicht anstößig wäre, nämlich im Bezug auf Jesus und seine Gottverlassenheit in der konkreten Situation und im Bezug auf sein Verhältnis zum Vater im Allgemeinen. Theologisch stößt das an die antiarianische Position, die aber damit nicht eingenommen sein muss. Es verschiebt sich also auch die Stoßrichtung der Szene. Der „leidende Gerechte“ ist nicht verschwunden, da ja von Spott und Tränkung mit Galle und Essig weiter berichtet wird.

19 Vgl. Kühner-Stegmann I 568f, analog dazu Leumann-Hofmann-Szantyr II 274 zu in modum. 20 Vgl. Green (2007b) 78: „To do so in the Hebrew version [...] would be no easy task, admittedly, but he does not follow Matthew in his paraphrase either.“ 21 Siehe zu Beibehaltung und Tilgung hebräischer Elemente unten S. 330–348. 22 Vgl. Green (2007b) 78–80. 23 Luz (2002) 335f bietet einen knappen Überblick, der zeigt, wie umstritten der Vers in der Exegese der Alten Kirche war. Siehe weiter auch unten S. 206. 24 Vgl. Green (2007b) 79.

IV 687–713

183

Wichtig ist für Iuvencus hier weniger Jesu Verlassenheit, sondern mehr die Reaktion der nescia plebes, die er deutlicher darstellt. nescia plebes: „Nonnulli interpretes“ – wir erfahren nicht welche, aber es wird sich wohl um altkirchliche Exegeten in der Nachfolge des Hieronymus handeln25 – halten nach Knappitsch und Arevalo die plebes für Römer, die der hebräischen Sprache nicht mächtig sind. 26 Diese sind freilich hier von Iuvencus nicht oder nicht ausschließlich gemeint. Vielmehr verstärkt der Dichter in ähnlicher Weise wie in der vorhergehenden Kreuzigungsszene die bei Matthäus bereits angelegte (dramatische) Ironie: Obwohl es sich um Juden handelt, missverstehen sie ihre eigene Sprache;27 siehe zur Ironie unten S. 200. So vermeidet der Dichter in Vers 693 zwar, den hebräischen Vers wiederzugeben, unterstützt aber gerade diese Ironie in für seine Leser verständlicher Weise (die Vorlage hatte, wie das Wortspiel Eli – Elia zeigt, eben andere Adressaten), da er die hebräische Sprache ausdrücklich nennt und den Ausdruck als nicht ungewöhnlich (in morem) bezeichnet. Der Umbau der direkten Rede in indirekte ist bei Iuvencus üblich (siehe unten S. 319) und angesichts der schon in der Vorlage sehr knappen Aussage Heliam vocat iste nicht verwunderlich. Die Junktur nescia plebes stammt von Iuvencus selbst, der sie außer hier noch II 401 (die nescia plebes hält die Tochter des Jairus fälschlicherweise für tot) verwendet,28 dort aber ohne so starke Konnotation wie hier. Die Form plebes als Nom. Sg., die auch in der Klassik nicht ungebräuchlich war,29 gebraucht Iuvencus regelmäßig (elf weitere Belege). Heliam: Angesichts dessen, dass das Wortspiel zwischen „Eli“ und „Elia“ durch die genannte Auslassung fehlt, ist die Nennung des Propheten hier nicht sofort verständlich. An der Person des Elia hat Iuvencus aber offenbar großes Interesse. Schon Widmann bemerkte, dass der Dichter II 543–546 und III 264–267 die Fahrt des Elia mit dem Wagen aus Feuer (2 Kön 11) hinzufügte.30 Zudem zeigt er III 345 caeli de sede und im folgenden Vers 698f caelo de forte remissus / Helias veniat celsa qui sede quiescit Kenntnis und Interesse an der Tradition, Elia sei nicht tot, sondern entrückt (nach 2 Kön 2,1–18). Auffällig ist III 347–349 Veniet certo sub tempore iustus / Helias reddens mox omnia debita saeclo. / Sed si quis credit, iam venerat ante renascens [...], das deutlich über die Vorlage Mt 17,12 dico autem vobis, quod Helias iam venit et non cognoverunt eum [...] hinausgeht. Das Futur veniet, in der Vorlage ohne Entsprechung, ist mit der in der Alten Kirche sehr lebendigen Hoffnung auf das Kommen des Elia zu erklären. 31 Auch 25 Vgl. Luz (2002) 344. 26 Vgl. Arevalo ad loc. und Knappitsch ad loc. 27 Zunächst weniger entschieden Poinsotte 94, der von Ignoranz und Blindheit der Masse spricht, jedoch auch wie stets antijüdisch-polemische Hintergedanken erkennt. 28 Vgl. Santorelli (2011) 422. 29 Vgl. Arevalo ad loc. 30 Vgl. Widmann 40f. 31 Einige Beispiele bei K. Wessel, Art. Elias, in: RAC 4 (1959) 1141–1171, besonders 1154– 1156.

184

Der Tod Jesu

die oben genannte Himmelfahrt war stark beachtet und damit für Iuvencus ein naheliegendes Detail seiner eigenen Glaubenserfahrung. Insgesamt gibt es eine „fast panegyrische Beurteilung“32 des Elia in der altkirchlichen Literatur. Umstritten ist, ob Elia im Judentum als besonderer Nothelfer galt 33 und daher angerufen wurde, wie es etwa Hier. in Matth. IV 27,47 (CCL 77, 274,1784–275,1786 Hurst/Adriaen) Sin autem Iudaeos qui hoc dixerint intellegere volueris, et hoc more sibi solito faciunt, ut Dominum imbecillitatis infament, qui Heliae auxilium deprecetur andeutet. Gleich, ob diese Lehre den Adressaten des Iuvencus bekannt war, die Behandlung des Propheten stützt sich auf dessen breite Popularität in der Alten Kirche, ohne dass in der vorliegenden Szene eine besondere Funktion seiner Nennung sicher nachzuweisen, geschweige denn bisher für einen nichtchristlichen Leser erkennbar wäre. vocitare: Das Frequentativum für vocare gebraucht Iuvencus noch weitere fünf Male, ohne dass es eine besondere Bedeutung hätte.34 Thraede nennt den Wortgebrauch „archaisierend“ und „bis auf Ennius zurückgehend.“35 Die Tränkung mit Essig (IV 694b–696) Mt 27,48: Et continuo currens unus ex eis accepta spongia implevit aceto et inposuit harundini et dabat ei bibere.

Iuvenc. IV 694b–696: 694 Tum concitus unus 695 cogebat spongo turpi calamoque revincto 696 impressum labiis acidum potare saporem.

potabat eum d : dedit ei bibere r1

Iuvencus trennt hier mit der Hephthemimeres zwei Sätze. So findet sich nach der Zäsur die kommende Unruhe (concitus) geschickt ausgedrückt. concitus: Eine sehr treue Wiedergabe des biblischen continuo currens, zudem im Epos ein Standwort. cogebat: Während bibelwissenschaftlich, vor allem aber historisch umstritten ist, ob mit acetum ein Erfrischungsgetränk („saurer Wein“) oder Essig gemeint ist, und damit, ob es sich um eine Wohltat für Jesus, eine Tränkung, oder eine Peinigung handelte,36 lässt Iuvencus keinen Zweifel und verfährt wie schon zuvor mit dem mit „Galle“ versetzten Wein (siehe oben zu 658 permixtum felli vinum, dort auch zu möglichen Verwechslungen der verschiedenen biblischen Szenen Mt 27,34, Mt 27,48 und Joh 19,28–30). Für ihn handelt es sich eindeutig um eine

32 Ibid. 1150. 33 Zustimmend Luz (2002) 344, ablehnend K. Wessel, Art. Elias, RAC 4 (1959), 1149f. 34 Vgl. Kühner-Holzweissig 956f. Kievits 41 weist auf einen ähnlichen Gebrauch bei Lukrez, Vergil und vor allem Properz hin, ohne Beispiele zu nennen; siehe weiter LeumannHofmann-Szantyr I 547. 35 Thraede (1996) 508. 36 Vgl. Luz (2002) 344f.

IV 687–713

185

Peinigung, einen Zwang, ausgedrückt (mindestens) durch cogebat und turpi; siehe dazu unten. spongo: Lateinisch müsste es eher spongia heißen, spongo ist ein Gräzismus.37 Metrisch wäre durch Synizese spongia möglich gewesen, revincta an Stelle von revincto macht keinen Unterschied. Die Itala hat zudem spongia ohne Alternative, im griechischen Text ist nur σπόγγον überliefert. Warum Iuvencus analog zu letzerem spongo, eine Form, die sich außerhalb seiner Werke nicht findet, wählt, mag ein Beleg dafür sein, dass er bisweilen einen griechischen Vorlagentext zu Rate zog.38 Dies ist aber letztlich nicht zu klären.

calamoque revincto impressum labiis: Der Vorgang der Tränkung wird etwas detailreicher als in der Vorlage und gut vorstellbar beschrieben. Den Vokabeln revinctum und impressum also eine starke Konnotation beizumessen wäre falsch, die Wertung der Szene steckt in cogebat, turpi und acidum ... saporem. turpi ... acidum ... saporem: Das wertende turpi unterstützt den Aspekt der Peinigung. Auch die Aufspaltung des biblisch nicht eindeutigen acetum in acidum saporem macht den Sinn der Tränkung deutlicher: Der abstoßende Geschmack soll Jesus weiter quälen, der Aspekt des Durstes wird schlicht nicht erwähnt; siehe dazu wiederum oben zu 658 permixtum felli vinum. Sapor ist sonst I 472 und 473 als salis sapor und II 146 venerandi dona saporis für den Geschmack von Wein positiv besetzt. potare: Möglicherweise stützt sich diese Vokabel auf den Codex d der Itala, der potabat eum im Sinne von „tränken“ verwendet. Dagegen spricht, dass potare bei Iuvencus im üblicheren Sinne von „trinken“ verwendet wird.

Da Iuvencus Ps 68,22 (LXX) schon in Vers 660 verarbeitet hat und ihn offenbar nicht noch einmal benutzen will, wenn auch Matthäus ihn sicher noch einmal im Sinn hatte,39 bleibt die Stelle hier in theologischer Hinsicht unauffällig. Oben in den Versen 657–661 war die Erfüllung der Schrift und damit Gottes Macht über die Geschichte wichtig, hier handelt es sich um ein Detail der Peinigung Jesu – dass diese auch von Gott legitimiert ist, wird durch die Auslassung von Mt 27,46bc ja gerade nicht ausgesagt. Der Dichter kehrt jeweils sein Anliegen in den Vordergrund und gestaltet die Szene dementsprechend aus. Erneuter Spott (IV 697–700) Mt 27,49: Ceteri vero dixerunt: „Sine videamus, si veniet Helias et liberabit eum.“

Iuvenc. IV 697–700: 697 Cetera turba furens tali cum voce cachinnat: 698 „Spectemus pariter, caelo ne forte remissus 699 Helias veniat, celsa qui sede quiescit, 700 liberet et misero confixum stipite regem.“

veniat aur c ff1 g1 l vg : venit a d f ff2 q r1 : venet h

699 qui in sede P Bb Mp V1 V2 H Marold Arevalo : quin sede L

37 Vgl. Arevalo ad loc. 38 Zur Vorlage siehe Heinsdorff 449. 39 Vgl. Luz (2002) 345.

186

Der Tod Jesu

Cetera turba furens: Iuvencus amplifiziert die ceteri der Vorlage zu einer turba, die er sogar mit dem häufigen furens charakterisiert; siehe oben zu 627 furentem und unten S. 322–340. Die cetera turba wird von plebes (694) nicht unterschieden, sondern nur von dem einen (ebenfalls anonym Bleibenden), der Jesus mit Essig tränkt – sie ist ein Teil der plebes. Es handelt sich also um die diffuse Menge der Gegner Jesu. Huemer verweist auf Aen. XII 606f tum cetera circum / turba furit [...]. Gemeint sind dort die Frauen, die die Kunde vom Fall Ardeas erhalten. Diese Parallele ist m.E. jedoch zu schwach, um wirkungsvoll interpretiert zu werden. Episch findet sich cetera turba nur Ov. Met. II 236 für die Hunde beim Angriff auf Actaeon, turba furens nur Ov. Met. III 716 für die Bacchantinnen beim Angriff auf Pentheus. Die Parallelen sind „situational“, 40 Jesus ist ebenso in Bedrängnis wie etwa Actaeon und Pentheus. tali cum voce: Eine übliche Redeeinleitung des Dichters, die sich außer hier noch II 394, IV 240, 422 und 752 stets an gleicher Stelle im Vers findet, vor Iuvencus allerdings nicht belegt ist. cachinnat: „(cf. καγχάζω kichern) = immoderate ridere h.l. autem irridere, illudere significat.“41 Episch findet sich die Vokabel nur bei Lukrez, dort allerdings drei Mal (I 919; II 976; IV 1176). In den ersten beiden Fällen ist das Lachen dort so stark, dass sogar Tränen dazukommen. Cachinnare ist vor Iuvencus nicht negativ besetzt und nicht transitiv (bzw. mit folgender direkter Rede) gebraucht.42 spectemus: Die Wahl der Vokabel spectare an Stelle von videre hat keine weitere Bedeutung. Während in der Bibelexegese noch erwogen wurde, sine (bzw. griech. ἀφές) als „lass das“ (nämlich Jesus zu tränken und seine Schmerzen zu lindern) zu interpretieren, 43 versteht Iuvencus es gewiss wie age, „los“. Dafür spricht grammatisch der übernommene adhortative Konjunktiv; auch hätte der Dichter sich kaum eine Gelegenheit entgehen lassen, Peinigungen Jesu durch die Volksmenge zum Ausdruck zu bringen. pariter: „Una omnes“. 44 Pariter hat hier keine besondere Funktion. Iuvencus benutzt es oft (32 Belege) als Füllwort aus metrischen Gründen. caelo ... remissus ... celsa qui sede: Caelo re-mittere ist ohne Parallele, caelo de-mittere häufig (Verg. Georg. I 23; Ov. Met. I 261; II 310, Luc. VI 257, 433, 445; Sil. VIII 522). Iuvencus verwendet hier remissus, weil er selbst II 543–546 und III 264–267 berichtet, dass Elias von der Erde in den Himmel aufgefahren ist (s.o. zu 694 Heliam). Von dort wird er nun zurückgesandt. Auch für den bibelunkundigen Leser ist der Zweck der Namensnennung in Vers 694 jetzt verständlich, wenn auch das Wortspiel Eli – Elias fehlt. Die hier folgende Blasphemie wird dort 40 41 42 43 44

Zum Ausdruck Roberts (1989) 54. Knappitsch ad loc. Vgl. ThLL III 6,70–75 (1906). Etwa durch Sand 565, der aber eine Minderheitenmeinung vertritt. Ibid.

IV 687–713

187

angekündigt. Die offenbar sehr populäre Tradition, Elia sei nicht tot, sondern im Himmel, fügt Iuvencus aus mehreren Gründen hinzu. Der schwächste Grund wird sein, dass er diejenigen Leser, die diese Tradition nicht kennen, so informieren möchte. Elia wird hier allerdings auch eine Funktion zugewiesen, die über seine konkrete Person hinausgeht – entscheidend ist nicht nur, dass der Prophet Jesus nicht zur Hilfe kommt, sondern dass diese ihm vom Himmel verweigert wird. Gerade da dieser durch caelo und celsa ... sede zwei Mal genannt wird (als celsa caeli sedes wird der Himmel schon III 400 bezeichnet, wobei hier auch ohne caeli unbezweifelbar ist, was gemeint ist) und schon zuvor mehrfach davon berichtet wurde, dass Elias im Himmel ist, stehen rein informative Gründe im Hintergrund. Der Spott wird aus der Perspektive der Sprecher schärfer, bissiger. Erneut dramatische Ironie darin zu erkennen ist schwieriger als zuvor, da Christus zwar auferstehen und sich als Sohn Gottes erweisen wird (genau diese Gottessohnschaft wurde ja durch den Spott in der letzten Perikope angezweifelt), von Elias aber weiter keine Spur ist. Eine Hilfe „aus dem Himmel“ in der Auferstehung zu sehen ist daher so direkt kaum möglich, dramatische Ironie nur darin zu erkennen, dass Jesus entgegen den Erwartungen seiner Gegner letztlich nicht scheitert. Oben hatte der Dichter noch den (unbeantworteten) Ruf Jesu nach Gott aus dargelegten Gründen ausgelassen, hier gibt er den (ebenfalls unbeantworteten) Ruf nach Elia wieder. So ist der Christus des Iuvencus also doch kein reiner Triumphator, auch er leidet, wenn auch weniger als in der vollkommen düsteren Vorlage; Diederichs Urteil über Jesus als Triumphator (s.o. nach 689 recondit)45 ist abzumildern. Auffällig ist auch, dass die Verse 698f sich metrisch exakt entsprechen. Dadurch wird einerseits der Gedankengang spectemus, ne veniat gegliedert, andererseits die zweifache Nennung des Himmels gleich nach der Penthemimeres in den Vordergrund gerückt. Eine kaum schlagende, aber in der christlichen Rezeption wichtige Parallele ist Verg. Ecl. IV 7 iam nova progenies caelo demittitur alto. Zwar unterscheiden sich der Eklogenvers und der vorliegende Iuvencusvers deutlich – es kommt zu sprachlichen Merkmalen hinzu, dass hier die Rettung „von oben“ nicht gefeiert, sondern verwehrt wird –, ein vergilkundiger Leser mag hier aber an den äußerst bekannten Vers gedacht haben. Die christliche Interpretation der vierten Ekloge durch Laktanz entsteht ungefähr zur gleichen Zeit wie die Evangeliorum Libri Quattuor, hier einen weiteren Bezug zu Laktanz zu sehen scheint mir aber unmöglich.46

ne: Die Fragepartikel ne kann im Spätlatein auch lang gemessen werden und wurde mehr und mehr funktionsgleich mit num oder si zur Einleitung indirekter Fragen.47 celsa qui sede: Marold und Arevalo lesen zusätzlich in, wie es sich auch IV 260 celsa iudex in sede sedebit findet. Die Präposition ist allerdings weder metrisch noch sinngemäß notwendig, auch ohne in gibt der Ablativ als Ablativus loci Sinn. Da Iuvencus mit Präpositionen oft sorglos umgeht,48 ist in als spätere Emendation zu betrachten49 und daher nicht in den Text aufzunehmen. 45 Vgl. Diederich 404. 46 Zum Verhältnis von Iuvencus und Laktanz siehe Lapidge passim, Green (2006) 131 sowie zur Verortung der Gattung unten S. 355–383. 47 Vgl. Leumann-Hofmann-Szantyr II 542. 48 Vgl. Hatfield 16: „prepositions are used or omitted indifferently.“ Siehe weiter Colombi (1997b) 13–15, bes. 15.

188

Der Tod Jesu

misero confixum stipite regem: Der sehr passende und elegante Ausdruck ist ohne Parallele. Stipes ist ebenso wie oben lignum (siehe zu 654 lignumque und 681 ligni) und arbor (siehe zu 662 crucis fixum ... in arbore) eine populäre Synekdoche für das Kreuz,50 zudem episches Standwort. Es ergibt sich ein starker Kontrast zum rex – einem König kommt es nicht zu, an einem miser stipes zu hängen. Darin kann man den Sarkasmus, den die spottende Volksmenge zum Ausdruck bringen möchte, erkennen. Dennoch wird wieder, im Sinne doppelter Ironie, dieser Sarkasmus gewendet: Durch die Auferstehung erweist sich Christus als wahrer König. Diese Wendung gelingt jedoch nur auf dieser zweiten Ebene, da eine Rettung vom Kreuz (durch Gott oder Elia) in der Tat nicht eintrifft. Siehe zur sehr wichtigen Vokabel rex und zur Ironie weiter unten S. 200. Jesus gibt den Geist auf (IV 701f) Mt 27,50: Iesus autem iterum clamans voce magna emisit spiritum.

Iuvenc. IV 701f: 701 Tum clamor Domini magno conamine missus 702 aetheriis animam comitem commiscuit auris. 702 aethereisque P Mp

Tum clamor ... missus: Knappitsch weist auf eine m-Alliteration hin. 51 clamor ... missus / aetheriis ... auris: Dadurch, dass der Schrei zum Subjekt gemacht wird, wird der Ausdruck einerseits gekürzt, andererseits die Szene lebendiger. Da clamor Subjekt ist, entsteht der Eindruck, als presste der laute Schrei selbst die Seele aus Jesu Körper in die Luft (s. auch unten zu aetheriis animam comitem commiscuit auris).52 Zu möglichen theologischen Implikationen des Verses siehe unten S. 201–204. magno conamine: Die Wendung borgt Iuvencus aus Ov. Met. III 60 magno conamine misit. Objekt dort ist ein Mühlstein (molarem);53 es handelt sich um den einzigen Beleg vor Iuvencus. Eine Kontrastimitation ist vorstellbar: Jesu Seele wiegt so schwer, dass es ihn dieselbe Anstrengung kostet, sie aufzugeben, wie einen Mühlstein zu schleudern. Thraedes Erklärung, magno conamine entspreche iterum aus der Vorlage, 54 ist m.E. nicht haltbar, geht es doch in der Vorlage um

49 50 51 52

Vgl. Knappitsch ad loc. Vgl. Roberts (1985) 200. Vgl. Knappitsch ad loc. Weniger entschieden Thraede (1996) 510: „besonders neu ist hier die anima comes [sie begleitet das Schreien].“ 53 Der ThLL IV 1,24 (1906) weist auch auf die Ilias Latina 426 sustulit et magno conamine misit in hostem [sc. saxum] hin. Diese greift mit Sicherheit auch auf Ovid zurück, ohne dass sie einen Einfluss auf Iuvencus gehabt haben muss. 54 Vgl. Thraede (1996) 510.

IV 687–713

189

ein zweites Schreien und damit die Häufigkeit, bei Iuvencus um die Heftigkeit des Leidens und Schreiens. aetheriis animam comitem commiscuit auris: Anima comes findet sich vor Iuvencus nur in Lukrez’ Beschreibung des Verhältnisses von artus und anima, wobei die anima auf der Existenz von mens und animus beruht, III 396–401 Et magis est animus vitaei claustra coercens / et dominantior ad vitam quam vis animai. / Nam sine mente animoque nequit residere per artus / temporis exiguam partem pars ulla animai. / Sed comes insequitur facile et discedit in auras / et gelidos artus in leti frigore linquit. Für Lukrez kann, wenn mens und animus schwinden, die anima nicht im Körper bleiben. So löst jene sich auf, dieser stirbt. Christus gibt seine Seele auf und stirbt dadurch, wird allerdings im Gegensatz zu dem, was die Epikureer erwarten, auferstehen. Eine weitergehende Kontrastimitation ist äußerst schwierig zu erkennen. 55 Die mens und ein von der anima differenzierter animus (siehe dazu unten S. 208–217) tauchen bei Iuvencus gar nicht auf, an seine Stelle tritt der Schrei Christi, dem aber kaum dieselbe Rolle zugewiesen werdem kann wie dem Verstand beim Epikureer. Während bei Lukrez eindeutig ist, dass die anima comes amimi (mentisque) ist,56 ist diese Frage bei Iuvencus offen, denkbar wäre comes clamoris57 oder comes aurae.58 Zwar ist animus / anima schon etymologisch (ἄνεμος) naturgemäß comes aurae, und ähnlich, aber differenzierter, erklärt es auch Tertullian,59 jedoch ist schon in der Vorlage Jesus autonom. Er ist Subjekt, er gibt den Geist auf, emisit spiritum. Bei Iuvencus wird also die Seele durch den Schrei, den sie begleitet, unter großer Anstrengung geradezu herausgepresst. Jesu Schmerz wird so von Iuvencus erfahrbarer gemacht, indem er eindrücklich den Schrei selbst zum Subjekt macht; der Dichter emotionalisiert. Zur Lehre vom autonomen Sterben Jesu siehe unten S. 200, zu einem möglichen Leib-Seele-Dualismus, vor 55 Kritisch äußerte sich schon Thraede (1996) 510 Anm. 26: „Die Frage, ob hier bewußt eine – womöglich christologisch gemeinte – Auseinandersetzung mit dem epikureischen Lehrdichter gesucht wird, erforderte eine weitergehende Untersuchung. Verallgemeinerungen über Juvencus – seine Absichten, seine Leser – gibt es schon viel zu viele. Ihre Zahl steht in auffallendem Mißverhältnis zum Umfang sicherer Detailkenntnis über die episch-theologischen Verfahren des Dichters.“ 56 Vgl. Titi Lucreti Cari De Rerum Natura Libri Sex, Edited with Prolegomena, Critical Apparatus, Translation and Commentary by C. Bailey, Volume II: Commentary, Books I–III, Oxford 1947, 1062 und Lucretius, De Rerum Natura III, with an Introduction, Text, Translation and Commentary by P.M. Brown, Warminster 1997, 141. 57 Siehe oben Anm. 52. 58 Vgl. Arevalo ad loc. 59 Vgl. Tert. Anim. 9,4–6 (CCL 2, 792,35–793,52 Waszink) ‚inter cetera,’ inquit, ‚ostensa est mihi anima corporaliter, et spiritus videbatur, sed non inanis et vacuae qualitatis, immo quae etiam teneri repromitteret, tenera et lucida et aerii coloris, et forma per omnia humana. [...]‘ flatus et spiritus tradux. – „‚Unter anderem wurde mir [sc. einer Prophetin] die Seele gezeigt in körperlicher Gestalt. Sie erschien mir wie ein Hauch, aber nicht von leerer und hohler Beschaffenheit, sondern vielmehr so, daß sie sich sogar festhalten zu lassen versprach, zart leuchtend, luftfarbig, mit einer in jeder Hinsicht menschlichen Gestalt [...].’ Sie ist ja Hauch und Ableger des göttlichen Odems [...]“ (Übersetzung Waszink 1980). Siehe weiter Waszink 172–175, v.a. zur Vokabel tradux 175.

190

Der Tod Jesu

allem im Bezug auf die hier relevante Lehre, die Seele trenne sich beim Tod vom Körper, unten S. 208–217. Dieses Bild, dass eine Seele (zumeist mit spiritus ausgedrückt) sich in die Luft erhebt, ist im Epos weiterhin häufig zu finden (Thraede nennt Ov. Met. VIII 524; Stat. Theb. XI 55; Manil. V 588; Sil. IX 167, X 455 und XVI 545). 60 Commiscuit darf man nun nicht so verstehen, als löse sich die Seele „in Luft auf“ (und höre damit auf zu existieren). Dabei handelte es sich erstens um einen gegenüber den epischen Vorbildern neuen Gedanken, andererseits um eine eher epikureische und mit dem Christentum inkompatible Vorstellung, dass nämlich die Seele nicht unsterblich sei. Iuvencus gestaltet so auch das Ende der beiden Epiphanien Gabriels, vgl. I 42 sese inmiscuit auris und I 79 nuntius abscedens vacuis se condidit auris. Dort gilt Gleiches: Der Engel verschwindet, aber er hört ja nicht auf zu existieren. Ebenfalls häufig ist die Junktur aetheriae aurae (in gleicher Stellung im Vers Ov. Met. IV 700, Sil. X 577, XVII 376, es gibt aber zahlreiche andere Beispiele). Die beiden Worte schließen in Vers 702 zudem eine Klammer um die anima, machen also auch durch die Versstruktur deutlich, wie sie die Seele in sich aufnehmen. Die Erklärung des spiritus der Vorlage als anima hat Iuvencus zuletzt nicht exklusiv. Auch in der altkirchlichen Exegese findet sich die Verbindung von spiritus und anima, so Hier. in Matth. IV 27,54 (CCL 77, 276,1839–1842 Hurst/Adriaen) Spiritum autem hoc loco pro anima intellegamus, seu quod spiritale et vitale corpus faciat, seu quod animae ipsius substantia spiritus sit, iuxta illud quod scriptum est: „Auferes spiritum eorum, et deficient“ (Ps 103,29). aetheriis: Das in einigen Handschriften überlieferte –que ist mindestens überflüssig.61 Man müsste hinter missus ein est ergänzen, um den Satz mit –que verständlich zu machen. Dann reihten sich statt einer untergeordneten Partizipialaussage zwei Hauptsätze aneinander, was an der Bedeutung nichts ändert.

Der Tempelvorhang zerreißt und die Erde bebt (IV 703–706) Mt 27,51: Et ecce velum templi scissum est in duas partes a summo usque deorsum et terra mota est et petrae fissae sunt.

Iuvenc. IV 703–706: 703 Scinduntur pariter sancti velamina templi 704 carbasaque in geminas partes disrupta dehiscunt 705 et tremebunda omni concussa est pondere tellus 706 dissiliuntque suo ruptae de corpore cautes.

scissae aur c f g1 h l vg : fissae rell.

60 Vgl. Thraede (1996) 510. Der Hinweis auf Aen. VI 761f primus ad auras / aetherias Italo commixtus sanguine surget (vgl. Santorelli (2011) 422) ist, da dort zu commixtus nicht ad auras aetherias, sondern Italo sanguine gehört, nicht hilfreich. 61 Vgl. Arevalo ad loc.

IV 687–713

191

Die vorliegende Szene ist ein sehr gutes Beispiel für amplificationes bei Iuvencus. Sie ist weitaus dramatischer und anschaulicher als die Vorlage und sie zeigt, wie der Dichter auf seine Vorbilder zurückgreift und sie für seine Anliegen nutzbar macht. Dennoch verzichtet er im Gegensatz zu Sedulius (siehe unten S. 205–207) auf eine Auslegung der Geschehnisse und lässt den Leser in Unkenntnis über die besondere Bedeutung des Tempelvorhangs, obwohl die altkirchliche Exegese durchaus auf die Öffnung der „sacramenta des Alten Bundes“62 verwiesen bzw. eine allegorische Interpretation geboten hatte (durch Christus wird der sonst verhüllte Sinn der Schrift offenbar).63 pariter: Ein häufiges Wort bei Iuvencus (32 Belege), das hier dazu dient, die Handlung durch seine temporale Bedeutung noch enger zusammenzudrängen und zu beschleunigen. Damit tilgt der Dichter die Trennung, die durch et ecce in der Vorlage deutlich gemacht wurde. Der Tod Jesu und die folgenden Ereignisse gehören untrennbar zusammen. sancti ... templi: Iuvencus wertet den jüdischen Kult bzw. hier den Tempel nicht ab, sondern bezeichnet ihn sogar als heilig. Leider lassen sich dafür kaum andere Belege finden. Nur in einer der Leidensankündigungen, II 166, lässt Iuvencus Jesus vom venerabile templum sprechen, womit aber, wie in den dort folgenden Versen deutlich gemacht wird, sein Körper gemeint ist. Poinsotte schweigt zur Stelle. Zur Wertung der jüdischen Religion und dem Umgang damit siehe unten S. 322–340. velamina: Arevalo erklärt, es habe im Tempel in Jerusalem zwei Vorhänge, einen äußeren und einen vor dem Allerheiligsten, gegeben.64 Das wird Ex 26,31– 35, Lev 16,2 und außerbiblisch Jos. Ant. VIII 72 berichtet. Man kann aber kaum vorbringen, Iuvencus habe den biblischen Bericht verbessern wollen; vielmehr handelt es sich um einen metrisch angenehmeren poetischen Plural (velamina ist 29 Mal, velamen nur drei Mal im Epos vor Iuvencus belegt). Der Versschluss velamina templi geht wohl auf Val. Flacc. II 625f illius aras / urbe super celsique vident velamina templi zurück. Iuvencus überbietet den Venustempel, den Val. Flacc. beschreibt, durch sancti statt celsi, eine echte Kontrastimitation ist aber wohl nicht zu sehen.

62 Luz (2002) 358. Er verweist auf Hier. in Matth. IV 27,51 (CCL 77, 275,1798–1801 Hurst/Adriaen) Velum templi scissum est, et omnia legis sacramenta quae prius tegebantur prodita sunt atque ad gentilium populum transierunt und Origenes, der auch das Zerreißen von oben nach unten als Bild für die Wirkung durch alle Zeiten auffasst, vgl. Ser. 138 (GCS 38, 285,14–9 Klostermann/Benz) [...] hoc ostendens (sicut puto) mysterium, quoniam in passione domini salvatoris velum, quod erat a foris, conscissum est a sursum usque deorsum, ut a sursum (id est ab initio mundi) usque ad deorsum (id est usque ad finem eius) conscisso velamine mysteria publicentur, quae usque ad Christi adventum rationabiliter fuerant occulta. Ähnliches findet sich auch Orig. in Matth. Frg. 560 (GCS 41, 230 Klostermann/Benz), Hil. in Psalm. 58,10 (CSEL 22, 188,3–15 Zingerle), Ambr. in Luc. X 128 (CCL 14, 382,1198–1222 Adriaen) und Hier. Ep. 120,8 (139,23–141,6 Labourt 6). 63 Vgl. Orig. Ser. 138, vorherige Anm. 64 Vgl. Arevalo ad loc.

192

Der Tod Jesu

carbasa: Nach Plin. Nat. XIX 10 stammt dieser Stoff bzw. die Herstellungsweise aus Spanien. Obwohl es sich bei carbasa um ein häufiges (seit Ennius, später bei fast allen Dichtern belegtes) dichterisches Wort handelt, ist auch eine lokale Prägung des spanischen Dichters hier denkbar. in geminas partes: Der Ausdruck ist von Ov. Met. XV 739 scinditur in geminas partes circumfluus amnis geborgt. Dort wird die Tiberinsel in Rom beschrieben, auf der sich ein Äskulapheiligtum befand. Ovid fährt fort (XV 742–744): huc se [...] Phoebeius anguis / contulit et [...] luctibus inposuit venitque salutifer urbi. Eine mögliche Assoziation wäre diese: Der wahre salutifer ist Christus, der wahre Ort des Heils im Gegensatz zu Rom Golgotha. dehiscunt: Ein seltenes Wort, das auch Proba 633 zur Beschreibung dieses Erdbebens und seiner Folgen verwendet. So nutzt sie die vergilische Beschreibung des Erdbebens, das sich beim Tode Caesars ereignete, Georg. I 479 sistunt amnes terraeque dehiscunt. Ob sie dabei auch Iuvencus im Sinn hatte, kann freilich nicht bewiesen werden. Vergil gebraucht die Vokabel erneut Georg. III 432 terraeque ardore dehiscunt im Kontext mit einer Schlange und damit dem Tier des Äskulap. Dies würde die zu in geminas partes vorgebrachte Assoziation stützen. tremebunda: Proleptisch gebraucht.65 omni concussa est pondere tellus: Huemer weist auf Aen. IX 752 ingenti concussa est pondere tellus hin. Dort beschreibt Vergil, wie Pandarus tot zu Boden fällt. Über dessen großes Gewicht geht nun aber die Sympathie der Natur (siehe dazu unten S. 202) hinaus. Sie wird als Ganze, in ihrer ganzen Masse und von innen heraus bewegt und erschüttert. dissiliunt ruptae suo de corpore cautes: Die wesentlichen Junkturen dieses Verses, ruptae cautes und ruptae de corpore, sind alle bei Iuvencus erstmals belegt, er kann sich jedoch für das Bild von abspringenden Steinen auf Petron. 122,131 rupta tonabant / verticibus lapsis montis iuga stützen.66 Inhaltlich erklärt Arevalo richtig, gerade in Hinsicht auf die häufigen Schwierigkeiten, die Präfixe de- und dis- zu unterscheiden: „a monte ipso divulsae cautes dissiliunt, vel de integro monte rumpuntur, et dissiliunt.“67 Die sehr simplen Bilder der Vorlage, terra mota est et petrae fissae sunt, vermag Iuvencus so zu einer Szene aufzubauen, die sehr anschaulich und gut vorstellbar ist. Die Auferstehung einiger Toter (IV 707–710) Mt 27, 52–53: 52 Et monumenta aperta sunt et multa corpora sanctorum dormientium surrexerunt.

65 Vgl. Knappitsch ad loc. 66 Vgl. Arevalo ad loc. 67 Ibid.

Iuvenc. IV 707–710a: 707 Tum veterum monumenta virum patuere repulsis 708 obicibus iustaeque animae per membra reversae;

193

IV 687–713 53 Et exeuntes de monumentis post resurrectionem ipsius venerunt in sanctam civitatem et multis apparuerunt.

709 et visum passae populi per moenia lata 710 erravere urbis: sic terrent omnia mundum. 707 revulsis K1 K2 T 709 et visi passim C Huemer Knappitsch Marold : et visum passim R K1 K2 Mb Sg1 L : ad visum passim T : supra sustinentes B populi codd. Arevalo Huemer Marold : populis coni. Petschenig Knappitsch late C Bb Mb Huemer Knappitsch Marold : lata R V2 710 omnia verbis K1 K2 T : omina mundum coni. Arevalo

veterum monumenta virum: Die veteres viri finden sich dreimal bei Vergil, Aen. III 102 veterum volvens monumenta virorum,68 VIII 356 reliquias veterumque vides monumenta virorum und VIII 499f o Maeoniae delecta iuventus / flos veterum virtusque virum. Sehr ähnlich ist auch VIII 312 virum monumenta priorum. Die Wahl der älteren Form virum statt virorum ist aus metrischen Gründen üblich und tut den inter- und intratextuellen Bezügen keinen Abbruch. Vergil meint an keiner der drei Stellen Gräber. Im dritten Buch denkt Anchises über die „traditions of men of old“69 nach und erklärt die Ursprünge des trojanischen Volkes auf Kreta. Ähnlich verhält es sich VIII 312, wo Aeneas sich von Euander über die zukünftig römischen Hügel führen lässt und die „stories of the men of old“ 70 erfährt. VIII 356 verweist auf die schon zu Euanders Zeiten zerstörten Städte Ianiculum (auf dem gleichnamigen Hügel) und Saturnia (auf dem Kapitolshügel), während VIII 500 die „ancient race“71 der Trojaner gemeint ist, wobei flos veterum nach Servius72 ein ennianischer Ausdruck ist. Bei den veteres viri Israels eine Kontrastimitation zur Geschichte des trojanischen Volkes oder der italischen Bevölkerung anzunehmen, ist wohl zu gewagt. Vielmehr wird Iuvencus sich hinter Ennius und Vergil einreihen und zur Verdeutlichung des Alters und damit der Würde der Auferstehenden auf sein Vorbild zurückgreifen, das schon selbst aus der vorherigen epischen Tradition geschöpft hatte. repulsis obicibus: Neben repulsis, das eine nur von Iuvencus benutzte Junktur bildet, ist auch die Variante revulsis überliefert. Mit dieser Vokabel drückt Iuvencus IV 384f revulsis obicibus die Öffnung des Grabes des Lazarus aus. Vor 68 Darauf hatte auch Huemer verwiesen. 69 Williams (1962) ad loc. 70 Übersetzung von Fairclough / Goold, ähnlich Fordyce 238: „monimentum is what ‚tells a story‘ and reminds (monet) those who see it of its associations.“ Vgl. auch Serv. Aen. VIII 312 historias. 71 Übersetzung von Fairclough / Goold. 72 Vgl. Serv. Aen. VIII 500 und Fordyce 260.

194

Der Tod Jesu

allem auf Grund der Handschriftenlage und der Vorlage (Joh 11,40 tulerunt ergo lapidem) gebührt dort revulsis der Vorrang. Zwar waren Höhlengräber in Israel üblich und im Westen praktisch nicht bekannt. 73 Dennoch wird auch bei Iuvencus Jesus nach Vers 724 novo ... antro eindeutig in einem Höhlengrab beigesetzt; siehe weiter dort und unten zu Vers 740 tellure sepultum. Im Falle des Lazarus muss man annehmen, dass Iuvencus an ein Grab gedacht hat, das durch menschliche Hände geöffnet wird. Anders verhält es sich hier. In der Vorlage, Mt 27,52, heißt es: monumenta aperta sunt. Die monumenta öffnen sich also von selbst, nicht durch menschliche Kraft, sondern sie werden durch natürlichen bzw. göttlichen Einfluss „aufgesprengt.“ Durch das Enjambement wird zuletzt das dramatische repulsis von obicibus wirkungsvoll getrennt und damit betont. iustae animae: Das häufig für die Christen verwendete oder auf Christus bezogene iustus74 ist hier auch auf die „Gerechten“ der vorchristlichen Zeit bezogen verwendbar. Dabei, dass hier keine konkreten Personen genannt werden, handelt es sich keineswegs um eine von Herzog vermutete Verwischung von Individualität, die damit einer generellen Erbaulichkeit dienen sollte, 75 da ja schon in der Vorlage nur von multa corpora sanctorum dormientium die Rede ist, ohne dass der Leser erfährt, wer die sancti dormientes sind.76 So verwischt Iuvencus also nichts, sondern ersetzt nur das biblische sanctus durch den von ihm so geschätzten Begriff iustus, der eine positive Konnotation trägt, ohne dass damit mehr Theologisches ausgesagt wäre als durch sanctus. Es geht nämlich zu weit, bei Iuvencus die Lehre finden zu wollen, es gebe nur christliche Heilige, für die Menschen des Alten Testaments sei echte Heiligkeit unmöglich. per membra reversae: Den „Christianismus“ (re-)surgere vermeidet Iuvencus hier, nicht aber III 589, IV 28 und 756, siehe weiter dort.77 Für den Gebrauch von per beim Richtungsakkusativ, v.a. beim Körper, findet Colombi neben dem vorliegenden einige Beispiele, z.B. III 123 credentes referunt plenam per membra salutem.78 Siehe zu den verschiedenen Vokabeln für Körper, Leib usw. und ihren jeweiligen Konnotationen unten S. 208–217.

et visum passae populi: Vers 709 gibt sowohl hinsichtlich der Handschriftenlage als auch hinsichtlich seiner Bedeutung massive Probleme zu lösen auf. In einigen Handschriften (R K1 K2 L Sg Mb) ist visum passim populi überliefert. Das 73 Vgl. U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes, Leipzig 1998, (ThHKNT 4) 191, und K. Stähler, Art. Grabbau, in: RAC 12 (1983) 417f. Ansonsten blieben alle Begräbnisarten außer der Feuerbestattung erhalten, vgl. B. Kötting, Art. Grab, in: RAC 12 (1983) 383. 74 Siehe oben zu 594 iusti. 75 So hatte Herzog (1975) 137–139 solche theologisch relevanten Begriffe interpretiert. Im Anschluss an ihn behauptet Deerberg 271, diese führten zu einer „Verflüchtigung der Person, deren Individualität auf bestimmte heilsgeschichtliche oder dogmatische Elemente reduziert und festgelegt wird“. 76 Auch die moderne Exegese hält sich nicht zu lange mit der Suche nach konkreten Personen auf, sondern verweist schlicht auf gewisse Endzeiterwartungen dieser Tage. Vgl. Luz (2002) 365 und Sand 565; mit Verweis auf Dan 12,3 und Mt 13,43 Fiedler 418. 77 Siehe zum Gebrauch von christlich geprägten Begriffen Flury (1968) passim, zur Kritik daran unten zu 756 surrexit. 78 Vgl. Colombi (1997b) 17.

IV 687–713

195

ist so nicht verständlich. Die Lesart visum passim kann man nur durch die Konjektur populis (dazu unten mehr) halten, wobei der ganze Ausdruck als Parenthese verstanden werden müsste (etwa „die gerechten Seelen kehrten in die Glieder zurück – das hatte sich den Völkern überall dargeboten – und sie irrten...“). Marold, Huemer und Knappitsch folgen Codex C, der visi passim populi überliefert. Dabei können die populi nicht verschieden von den iustae animae bzw., in verkürzter Ausdrucksweise, den Menschen, die ihre iustae animae wiedergewonnen haben, sein. Man müsste also zunächst die Interpunktion ändern und nach reversae entweder ein Semikolon oder gar einen Punkt setzen, das einfach überleitende et genügt nicht.79 Zudem würden die iustae animae plötzlich zu populi. Es ist kaum denkbar, dass Iuvencus annahm, es sei eine so große Menge auferstanden, dass sie ganze Völker bildet. Außerdem erfährt man so nicht, wem hier etwas oder jemand erscheint; multis aus der Vorlage wird nicht wiedergegeben. Petschenig konjizierte also populis,80 was nur Knappitsch übernimmt. Da auslautendes s mindestens im Codex C bisweilen ausgelassen wurde, ist diese Konjektur durchaus plausibel. 81 Damit findet multis aus der biblischen Vorlage eine sehr passende Entsprechung. Die Ereignisse werden zudem universalisiert. Nicht nur vielen Menschen in Jerusalem, sondern den Völkern zeigen sich die Auferstandenen. Übernimmt man die in meinem Text vorgeschlagene Interpunktion mit einem Semikolon hinter reversae, wäre es auch kein Problem, dass visi maskulin ist. Die Rückkehr der Seelen ist abgeschlossen, und so sind im nächsten Hauptsatz nicht die iustae animae, sondern die veteres viri (zu ergänzendes) Subjekt. Arevalo konjizierte nun visum passae82 in angeblicher Analogie zu pati contactum. Was Arevalo noch eine Konjektur zu sein schien, konnte inzwischen in den Handschriften Bb, M, Hl, P2, Sg, S und B gefunden werden. 83 In letzterem Codex findet sich zudem noch die Erklärung sustinentes – offenbar verstand der Erklärer den Text wie Arevalo. Es ergibt sich allemal ein verständlicher Text, der auch eine Konjektur von populi zu populis überflüssig macht. Ebenfalls verständlich und wohl gleicher Bedeutung ist die Lesart des Codex T, ad visum passim populi, die ohne die schwierige Wendung visum pati auskäme, allerdings nur in diesem einen Codex überliefert ist. Somit scheint mir visum passae populi hier die richtige Lesart. lata: Neben lata sind zwei weitere Varianten überliefert, latae und late, wobei Arevalo latae liest, alle anderen Editoren late. Latae kann, wenn auch Arevalo zuvor visum passae gelesen hatte, kaum auf die animae bezogen sein – man müs79 80 81 82

So schon Petschenig (1891) 142. Ibid. Vgl. Marold IX. Er nennt als Analogie pati contactum, für das ich keine Belege finden konnte, sehr wohl aber für die Umschreibung von Passivformen durch pati mit einem Akkusativ, z.B. Ov. Fast. I 159 vere patitur cultus ager (statt colitur ager). Vgl. ThLL X 725,50f (Kruse 1990) saepe circumscribuntur verborum formae passivae, sc. ‚aratrum -i‘ fere pro ‚arari‘ und Ov. Met. V 430 molliri membra videres, ossa pati flexus, vgl. dazu ThLL X 729,45. 83 Arevalo erwähnt keine Handschriften, die diese Lesart stützen, so dass ich seinen Lösungsvorschlag als Konjektur auffassen muss.

196

Der Tod Jesu

ste es dann schon prädikativ im Sinne von „weit verstreut“ verstehen. Urbs lata wäre zwar nicht unverständlich, ist aber in der gesamten lateinischen Literatur ohne Parallele. Lata und late sind beide verständlich, es ergibt sich auch kaum ein Sinnunterschied. Gegen das im von den Editoren häufig bevorzugten Codex C überlieferte late sprechen nun zwei Argumente: Zum einen ergibt sich durch lata ein Homoioteleuton. Zum anderen ist der Ausdruck moenia lata nur ein Mal belegt, und zwar Aen. VI 549, wo Vergil die Mauern des Tartarus so bezeichnet, unter Rückgriff auf den Topos eines dreifach ummauerten Tartaros, für den er sich auf „seit alter Zeit typische Motive“,84 nämlich Hes. Th. 726f, stützt.85 Mir scheint also eine bewusste Imitation dieser offenkundig vergilischen Junktur gerade im Zusammenhang von Auferstehung, also Ausgang aus der Unterwelt, wahrscheinlich. sic terrent omnia mundum: Knappitsch lehnt die Variante verbis wegen besserer Codices ab. 86 Schon ein Blick auf die Vorlage zeigt deutlicher, dass verbis hier ohnehin kaum denkbar ist – es sind doch Erscheinungen, nicht Worte, die die Leute bzw. die Welt in Unruhe versetzen. Arevalos Konjektur omina, die er nicht in den Text aufnimmt, sondern nur im Kommentar zu bedenken gibt, ist als Reaktion auf das scheinbar bedeutungslose omnia entstanden. Vielmehr ist omnia aber die stark komprimierte Entsprechung des biblischen viso terrae motu et his, quae fiebant, das Iuvencus in seiner offenbar zwecklosen Abundanz nicht übernehmen wollte. So entsteht dann auch die Uneinigkeit hinsichtlich der Interpunktion. Huemer und Knappitsch setzen beide hinter mundum ein Komma, Arevalo und Marold einen Punkt. Die ersteren beiden wollen offenbar die Beschreibung des Erschreckens enger mit dem Zenturio verbunden sehen, wie es auch in der Vorlage der Fall ist. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sic retrospektiv gemeint ist und sich nur auf die Auferstehung einiger Toter bezieht. Iuvencus macht hier nämlich aus der einfachen Beschreibung der direkten Reaktion der umstehenden Soldaten zwei Ereignisse. Zunächst universalisiert er die Wirkung der Naturereignisse und der Auferstehung – die ganze Welt wird in Unruhe versetzt. Dann beschreibt er die individuelle Reaktion der Soldaten, die er primi nennt, also die ersten in der Welt, die von den Ereignissen erfahren; vgl. 711 quatiuntur corda pavore. Der Ausdruck wird dabei gegenüber der Vorlage deutlich glatter: omnia reicht völlig hin, ohne dass der Dichter alles wiederholen müsste, zudem werden die Soldaten weit eindrücklicher beschrieben; dazu aber mehr im nächsten Absatz. Iuvencus lässt den Halbvers Mt 27,53a, der in der Exegesegeschichte nie wirklich befriedigend erklärt werden konnte, aus. Problematisch ist der Vers nämlich sowohl aus textimmanenter als auch aus dogmengeschichtlicher Hinsicht. Luz erklärt demgegenüber seine Ratlosigkeit: „Die vier Worte μετὰ τὴν ἔγερσιν αὐτοῦ habe ich aus der Deutung ausgeklammert. Ich gestehe, daß ich sie nicht befriedigend deuten kann. Auf der Textoberfläche sind sie wenig sinnvoll: Warum sollten die auferstandenen Heiligen zwei Tage lang entweder in ihren offenen 84 Vgl. Norden ad loc. 85 Vgl. Austin (1976) ad loc. 86 Vgl. Knappitsch ad loc.

IV 687–713

197

Gräbern warten oder wenigstens draußen vor der Stadt bleiben und sie erst nach der Auferstehung Jesu betreten? Ebensowenig können die Soldaten in V 54 etwas sehen, was noch gar 87 nicht geschehen ist.“

Die einfachste Erklärung ist, dass es sich um eine nachmatthäische Glosse handelt,88 die eingefügt wurde, da es Kol 1,18 und Offb 1,5 heißt, Jesus sei der „Erstgeborene von den Toten“. Die Überlieferung allerdings ist völlig einheitlich, der Halbvers in allen relevanten Handschriften zu lesen. 89 Wenn die moderne Exegese den Vers nicht für eine nachmatthäische Glosse hält, versucht sie sich an einer symbolischeren Deutung. Sand bezeichnet „den Tod Jesu als kosmischen Umbruch“ und fährt fort: „[m]an wird die zeitliche Bestimmung vielmehr vor dem Hintergrund der apokalyptischen Symbolik lesen müssen: Jesu Tod war von kosmischen Zeichen begleitet, die u.a. auf die eschatologische Totenerweckung hinwiesen.“90

Diese Auslegung, dass die Auferweckung der wenigen hier auf die Endzeit hindeutet, ist seit der Alten Kirche verbreitet. Ähnlich heißt es bei Fiedler, es sei „keine spätere Glosse. Vielmehr braucht sie Mt, um den Vorrang Jesu Christi zu wahren. [...] Eine unüberbrückbare Spannung zu V.54 entsteht dadurch nicht. Denn Mt hat sich sicher nicht vorgestellt, dass der Hauptmann und seine Soldaten außer dem Erdbeben mehr als das Zerbersten der Felsen, die Öffnung der Gräber und das Lebendigwerden der Toten ‚gesehen‘ haben könnten. [...] Er drückt damit, wie in der ganzen Szene, aus, dass Gottes Macht ‚bereits am toten Jesus wirksam ist‘. Darin ist eingeschlossen: Bei der Parusie wird sich auch erfüllen, 91 was jetzt in den Zeichen vorweg genommen ist, nämlich Gottes Heilshandeln an Israel.“

Man kann kaum annehmen, dass Iuvencus so weit wie die hier beispielhaft herausgegriffenen Fiedler und Sand (wenn man deren Erklärungen denn überhaupt für überzeugend hält) gedacht hat, sondern vielmehr dasselbe Problem wie Luz sah, dass der Vers nämlich einen unlogischen und kaum vorstellbaren Vorgang beschreibt. Große Teile der Kirchenväterexegese bestanden nun wegen des Satzes vom „Erstgeborenen von den Toten“ auf dem Halbvers, etwa Orig. Ser. 139 (GCS 38, 288,2f Klostermann/Benz) [...] non ante resurrectionem primogeniti ex mortuis, sed post resurrectionem ipsius [...] und Hier. in Matth. IV 27,53 (CCL 77, 276,1817–1821 Hurst/Adriaen) quomodo Lazarus mortuus resurrexit, sic et multa corpora sanctorum resurrexerunt, ut Dominum ostenderent resurgentem. Et tamen cum monumenta aperta sint, non ante resurrexerunt quam Dominus resurgeret, ut esset primogenitus resurrectionis ex mortuis.92 Hil. in Matth. 33,7 (SC 258, 256,1–14 Doignon) dagegen äußert sich gar nicht dazu, sondern interpretiert nur 87 Luz (2002) 366. Alle anderen, im Fließtext folgenden Thesen sind dort kurz mit reichhaltigen Literaturhinweisen abgehandelt. 88 So z.B. Schnackenburg (2005). Siehe weiter Luz (2002) 366, bes. Anm. 75. 89 Siehe Luz (2002) 367, bes. Anm. 77. Keine der Itala-Handschriften hat eine Lücke, die aktuelle (27.) Edition des griechischen Textes von Nestle / Aland ebenso wenig, Luz geht an der genannten Stelle auch auf die sonstige Überlieferung ein. 90 Sand 565f. 91 Fiedler 419. 92 Zu Lazarus sagt Hieronymus an dieser Stelle leider nichts weiter.

198

Der Tod Jesu

die Auferstehung einiger Toter selbst – er nimmt damit also dieselbe Haltung wie Luz ein und gibt durch die Auslassung gewissermaßen implizit zu, den Vers nicht befriedigend deuten zu können. Zuletzt wurde sehr früh auch die Höllenfahrt Christi mit der vorliegenden Stelle verbunden – Christus verbringt die drei Tage, die er tot ist, in der Hölle, um auch denen, die vor ihm gestorben sind, die frohe Botschaft zu bringen. 93 Es gibt nun zwei Möglichkeiten, die Auslassung des Verses durch Iuvencus zu erklären. Zum einen könnte es, im Sinne einer „Exegesis by Stealth“94, eine absichtliche Auslassung aus theologischen Gründen sein, wie es oben in den Versen 692–694 wohl der Fall war. Das würde bedeuten, dass Iuvencus sowohl die Lehre vom „Erstgeborenen von den Toten“ als auch von der Höllenfahrt ablehnt oder sich zumindest in die theologische Diskussion nicht einmischen möchte. Ersteres ist kaum vorstellbar, Zweiteres angesichts von III 341f speciosa reportet / in lucem referens mortis de sede tropaea, wo Bauer zu Recht eine „Periphrase, eine Projektion der descensus-Lehre“95 sieht, auszuschließen. Zum anderen dürfte auch Iuvencus die Verständnisprobleme, vor denen die Exegese schon immer stand, gehabt haben. Es scheint mir also deutlich wahrscheinlicher, dass er auf eine genaue Textwiedergabe lieber verzichtete, um einen narrativen Text bieten zu können, der jedem Leser ohne größere Probleme verständlich ist. Über die theologischen Implikationen dieser Entscheidung erfahren wir gar nichts, außer, dass die genannten Theologumena für den Dichter keine Herzensangelegenheiten gewesen sein können. So übertrifft hier nicht der Theologe den Dichter, sondern der Dichter den Theologen. Das Bekenntnis der Soldaten (IV 711–713) Mt 27, 54b: (Centurio autem et qui cum eo erant custodientes Iesum viso terrae motu et his, quae fiebant,) timuerunt valde dicentes: „Vere filius Dei erat iste.“

Iuvenc. IV 711–713: 711 Militibus primis

quatiuntur corda pavore 712 dedita qui saevae servabant corpora poenae, 713 et subolem dixere Dei Christumque fatentur.

93 Siehe zur Entwicklung dieser Lehre M. Kehl, Art. Höllenabstieg Christi, II. Theologie- u. dogmengeschichtlich, in: LThK 5 (1996) 237f und E. Koch, Art. Höllenfahrt Christi, 2. Die Hadesfahrt Christi als Bestandteil altkirchlichen Erlösungsglaubens, in: TRE 15 (1986) 456f. Für weitere Literatur siehe Gnilka (1979) 477 und Bauer 178, der auf K. Gschwind, Die Niederfahrt Christi in die Unterwelt, München 1911, A. Grillmeier, Der Gottessohn im Totenreich, ZkTh 71 (1940) 1–53.184–203, J. Kroll, Gott und Hölle, Leipzig 1932, und H.-J. Schulz, Die Höllenfahrt als Anastasis, ZkTh 81 (1959) 1–66 verweist. 94 Green (2007b). 95 Bauer 178.

IV 687–713

199

militibus primis: Die Soldaten sind nicht nur die ersten, die von der Furcht, die sich ohnehin auf die ganze Welt erweitert (710 sic terrent omnia mundum), betroffen sind, sondern auch die ersten, die im Folgenden Christus bekennen. Durch diese Betonung, die über die Vorlage hinausgeht, grenzt Iuvencus die positiv besetzten Soldaten gegenüber der negativ besetzten Volksmenge weiter ab. Aus der ganzen Welt sind es gerade die Soldaten, die als erste bekennen, und nicht etwa Priester und Obere. Dabei kann die Unterscheidung zwischen Römern und Juden allerdings keine zu große Rolle mehr gespielt haben, da von einer römischen Identität der Soldaten nirgends ausdrücklich die Rede ist; der römische Begriff centurio wird ja sogar (wie üblich – als centurio bezeichnet Iuvencus nur den Hauptmann von Kafarnaum I 742) ausgelassen. Siehe dazu auch oben in den Einleitungen zum Selbstmord des Judas S. 96 und zur Verspottung Jesu durch die Soldaten S. 96. Unbezweifelbar bleibt aber, dass die milites, seien sie nun Römer oder nicht, nicht (mehr) auf der Seite der Gegner Jesu stehen. quatiuntur corda pavore: Huemer verweist auf Georg. III 106 und Aen. V 138 corda pavor pulsans, ähnlich ist aber auch Mar. Victor. Aleth. III 374f sed tota pavor formidine mersa / ingruit et subito quatit improba corda tumultu, der auf Gen 12,17f rekurriert. Das Bild, das Iuvencus gebraucht, ist also ursprünglich vergilisch, die genaue Junktur corda quatiuntur aber seine eigene, die IV 753 wiederkehrt. dedita qui saevae ... poenae: An gleicher Stelle im (der Anordnung nach goldenen) Vers findet sich saevae poenae auch Culex 377. Eine Kontrastimitation ist wohl kaum anzunehmen, der Rückgriff auf (Pseudo-)Vergil aber anzumerken. 96 Durch den Ausdruck wird die Szene gewertet, dadurch emotionaler und erfahrbarer. Iuvencus schließt durch den Plural corpora auch die beiden latrones mit ein und erweitert Jesum aus der Vorlage auf die gesamte Situation, die dem Leser so wieder in ihrer Gänze vor Augen gestellt wird. Der Dichter versetzt zudem die Information qui cum eo erant custodientes ein wenig nach hinten. Einen ähnlichen Vers (v.a. in Hinsicht auf die Bezeichnung der Strafe) bildet Iuvencus auch 722, siehe weiter dort, vis horrida poenae. subolem ... dei: Gerade das, was die Spötter nicht anerkennen wollten, nämlich die Gottessohnschaft (siehe oben zu 672 suboles veneranda Tonantis und zu 684 propriam ... subolem veneranda potestas), erkennen nun die Soldaten. Iuvencus verstärkt die in der Vorlage zweifellos präsente Ironie durch die Vokabel suboles, die er zuvor schon zwei Mal die Volksmenge in ihren Leugnungen hatte gebrauchen lassen; siehe dazu oben S. 169–174 und das nächste Kapitel. Christumque fatentur: Wenn auch Christus durch den äußerst häufigen Gebrauch (147 Belege) ein wenig von seiner Bedeutung als messianischer Hoheitstitel einbüßt (siehe oben zu 593 Christus), ist es doch hier genau in diesem Sinne gebraucht.

96 Siehe zur stark negativen Konnotation der Junktur S. Seelentag, Der pseudovergilische Culex. Text-Übersetzung-Kommentar, Stuttgart 2012 (Hermes Einzelschriften 105) 230.

200

Der Tod Jesu

Durch die Hinzufügung nach dem Bekenntnis der Gottessohnschaft werden die Soldaten nun im eigentlichen Sinne zu Christen; aus ihrer zunächst bloßen Erkenntnis (vere filius Dei erat iste) aus der Vorlage erwächst eine Konsequenz im Glaubensbekenntnis (fatentur), die implizit auch von der Leserschaft des Iuvencus gefordert werden kann. 97 So verbinden sich auch hier literarische Mittel und christliche Exegese bzw. Lehre. Diederich spricht mit Blick auf die Verse 707–713 von einer „triumphalen Beschreibung des Ostergeschehens“. 98 Das ist angesichts der Schilderung der Auferstehung einiger Toter und des sehr emotionalen Bekenntnisses der Soldaten richtig und sollte auf die Verse 703–706, in denen die Reaktion der Natur beschrieben wird, ausgeweitet werden. IRONIE Auch hier ist, wenn auch weniger dicht als im vorhergehenden Kapitel, zu erkennen, wie Iuvencus entweder als Erzähler Begriffe gebraucht oder seine Charaktere Dinge sagen lässt, die als ironische Umwendung des vorher Gesagten gesehen werden können. Nescia plebes ist gerade am Ende von Vers 693 geschickt gesetzt, um die dramatische Ironie der Szene zu unterstreichen. Im selben Vers mit der Nennung der Hebraea lingua werden diejenigen, die genauer als jeder andere diese Sprache kennen sollten, als nescia bezeichnet. Mit Blick auf Vers 692, genitorem, ist folgende Annahme möglich: Die Ironie, die schon in Vers 683 durch genitore deo im Munde der Gegner Jesu (in doppelter Weise) zum Ausdruck gekommen war, ist auch hier noch spürbar: Oben sprachen sie von seinem (erfolglosen) Vertrauen auf Gott, hier verstehen sie seinen Ruf nach Gott nicht einmal und offenbaren damit, nescia plebes zu sein, die Jesu (vom narrator freilich als berechtigt angesehenen) Anspruch, als Gottes Sohn erkannt zu werden, nicht begreift. Dass dabei der Erzähler die Vokabel genitor von den Gegnern Jesu übernimmt, deutet auf ein Echo als Ironiesignal; siehe dazu oben S. 169–174. Besonders interessant ist die Vokabel regem in Vers 700. Durch dieses Wort, das letzte der Umstehenden, sogar das letzte Wort, bevor Jesus stirbt, wird wie schon zuvor die Ironie offenbar, die bereits in der Kreuzigungsszene deutlich erkennbar war. Dadurch, dass das eigentliche Werk (nach der praefatio) mit dem Vers rex fuit Herodes Iudaea in gente cruentus beginnt und der Epilog, in dem der Idealherrscher Konstantin (ebenfalls 809 als solus regum bezeichnet, zur Textkritik siehe dort) gepriesen wird, mit dem Vers per dominum lucis Christum qui in saecula regnat schließt, ist erkennbar, welche Bedeutung Iuvencus dem Königsbegriff zuweist. Spottend bezeichnen die Umstehenden Jesus als König, weisen ihm übertrieben diesen Titel zu, ohne zu wissen, dass sie damit eine äußerst wich-

97 Bzw. von der Gemeinde, vgl. Wiefel 482 und Sand 566f. 98 Diederich 404.

IV 687–713

201

tige Wahrheit aussprechen, die sich durch die Auferstehung (und letztlich die ewige Herrschaft Christi, die in Vers 812 angedeutet wird) erweisen wird. Zuletzt wurde oben zu Vers 713 subolem Dei schon angemerkt, dass gerade die (heidnischen) Soldaten das bekennen, was die jüdischen Oberen nicht bekannt haben, nämlich die Gottessohnschaft Christi. Inwiefern die Soldaten nun ironisch auf eine Situation antworten können, an der sie zuvor kaum bzw. nicht beteiligt waren, wurde ebenfalls oben S. 169–174 thematisiert. Man darf annehmen, dass der Dichter ihnen gerne diese Vokabel in den Mund gelegt hat, um auf den scharfen Kontrast aufmerksam zu machen. Dass mit dixere und fatentur gleich zwei verba dicendi in einem Vers verwendet sind, spricht dagegen, dass hier nicht (oder nicht ausschließlich) die Soldaten fokalisieren, 99 es sich also wiederum um „deviant focalisation“ handelt. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Abmilderung der Gottverlassenheit Iuvencus lässt den Vers Mt 27,46 aus. Schon oben zur Stelle war kurz diskutiert worden, ob es sich dabei um einen Teil seiner theologischen Agenda handelte (Antiarianismus) oder ihm die Gottverlassenheit (nur) innerhalb der narratio anstößig erschien, so dass er sie aus seiner (positiveren) Erzählung tilgen wollte. Schon allein die gewaltige Anzahl der Stellen, an denen sich die Exegese von den Vätern bis heute mit dem Vers befasst, zeigt, dass sich auch für Iuvencus hier ein Problem stellte. Grundsätzlich sind sich die Exegeten einig, dass der Vers nicht einfach ausgelassen werden sollte, sondern man versuchen sollte, etwa mit Rückgriff auf den zitierten Psalm 22 (die auch in der modernen Exegese aufzufindende These, Jesus habe den ganzen Psalm zitiert, findet sich schon bei Hieronymus zur Stelle), den Sinn des Verses zu verstehen. Dass Iuvencus ihn doch auslässt, muss, wie oben gesagt, daran liegen, dass ihm eine glattere narratio wichtiger war als theologische Korrektheit – der Vers hätte ja einer längeren Erklärung bedurft – und dass andererseits für Gottverlassenheit (die sich, wenn man den Vers nicht erklärt, einem Leser, der nicht selbst exegetisch sehr gut geschult ist, sehr aufdrängt) in seinem Christusbild kein Platz ist. Die (freiwillige) „Aufgabe“ des Geistes Bis teilweise in die moderne Exegese hinein wird die Wendung emisit spiritum als souveränes und freiwilliges Sterben Jesu verstanden. 100 In der altkirchlichen Ex-

99 D.h. dass nicht (oder nicht ausschließlich) die Perspektive der Soldaten zu Grunde liegt, sondern auch die des (wissenden) Erzählers bzw. des Lesers mit Kenntnis der letzten Szene. 100 Etwa durch Sand, 565.

202

Der Tod Jesu

egese findet sich das dezidiert schon ab Origenes. 101 Dieser unterscheidet schlichtes Sterben von „den Geist aufgeben“, das nicht etwa jedem (guten und bösen) Menschen geschehe, sondern nur denjenigen, die sich nach heiligmäßigem Leben Gott anempfehlen können.102 Dass solches gerade für Christus und seine Göttlichkeit gilt, lehren auch Hieronymus und Hilarius, 103 ebenso Ambrosius, bei dem dazukommt, dass gerade der Schrei diese Selbständigkeit des Sterbens kundtut;104 diese Auslegung findet sich auch bei Johannes Chrysostomos. 105 Da Iuvencus den clamor zum Subjekt der Verse 701f macht, steht er in derselben Tradition. Der Schrei ist es, durch den die Seele den Körper Jesu verlässt – dieser Schrei war auch den Exegeten als Zeichen dafür, dass Jesus selbst und bewusst seinem Tod entgegenging, wichtig. Der Jesus des Iuvencus tritt stärker auf, als es in der Vorlage der Fall zu sein scheint. Sympathie der Natur Luz betitelt seine Untersuchung der Verse Mt 27,51–54 „Gottes Antwort auf Jesu Tod“,106 da Ereignisse berichtet werden, „welche für antike Menschen göttlichen

101 Vgl. Orig. in Joh. XIX 16 (GCS 10, 316,28–30 Preuschen) καὶ ὡς βασιλέως καταλιπόντος τὸ σῶμα καὶ ἐνεργήσαντος μετὰ δυνάμεως καὶ ἐξουσίας. 102 Vgl. Ser. 138 (GCS 38, 283,10–24 Klostermann/Benz) nunc autem, cum mortem nihil aliud esse definiant sapientes nisi separationem animae a corpore, videamus ne forte aliud est simpliciter mori, aliud autem magna voce clamare et emittere spiritum (sicut praesens exponit Matthaeus) [...]. Et mori quidem omnium hominum est, etiam malorum [...]. Magnam autem vocem clamare et sic emittere spiritum [...] non est nisi tantum sanctorum, [...] sicut et Christus. 103 Vgl. Hier. in Matth. IV 27,50 (CCL 77, 275,1795–1797 Hurst/Adriaen) Divinae potestatis indicium est emittere spiritum, ut ipse quoque dixerat: „Nemo potest tollere animam meam a me, sed ego pono eam a me ipso ut rursum accipiam eam“ (Joh 10,18); in Matth. IV 27,54 (CCL 77, 276,1837–1839) Nullus enim habet potestatem dimittendi spiritum, nisi ille qui animarum conditor est und Ep. 120,8 (138,27–29 Labourt 6) Primumque dicendum, quod divinae potentiae indicium sit, ponere animam quando voluerit, et rursum accipere eam. Siehe weiter zum Verhältnis Christi zum Vater, dem er nicht etwa schwach, sondern ehrerbietig seine Seele anempfiehlt, Hil. in Psalm. (CSEL 22, 803,10–15 Zingerle) quamquam enim potestatem haberet ponendi animam suam et resumendi, tamen semper per reverentiam filii honorem paternae maiestati reservavit, cum orat: „pater, clarifica me“ (Joh 17,1), cum proclamat „deus meus, deus meus, quare me dereliquisti?“ In his enim non est infirmitatis suae confessio, sed paternae virtutis praedicatio. Letzterer Gedanke findet sich bei Iuvencus jedoch nicht explizit. 104 Vgl. Ambr. in Luc. X 127 (CCL 14, 381,1185–1188 Adriaen) „Et hoc dicto tradidit spiritum“ (Lk 23,46). Et bene „tradidit“, qui non invitus amisit. Denique Matthaeus ait: „emisit spiritum“, quod enim emittitur voluntarium est, quod amittitur necessarium. Propterea ait: „magna voce.“ 105 Vgl. Joh. Chrys. Hom. in Mt. 88 (PG 58, 776f): Διὰ τοῦτο γὰρ φωνῇ ἔκραξεν, ἵνα δειχθῇ ὅτι κατ’ ἐξουσίαν τὸ πρᾶγμα γίνεται. – Deshalb schrie er nämlich mit (lauter) Stimme, damit deutlich werde, dass sich das Geschehen unter seiner Kontrolle ereignete. 106 Luz (2002) 354.

IV 687–713

203

Ursprungs sind.“107Urteile, dass die Natur selbst auf Jesu Tod reagiert und dessen Größe kundtut, sind in der altkirchlichen Exegese nicht schwer zu finden.108 Während der gesamten Passion zeigt sich, wie die Natur auf die Geschehnisse reagiert. Über die epische Ausgestaltung von Sonnenauf- und -untergängen bei Iuvencus ist genug gesagt. Iuvencus macht aber, wie die Exegese der Alten Kirche, diese Natursympathie allgemein deutlich stärker als seine Vorlage. Schon zu Beginn des Pilatusprozesses hatte Iuvencus durch rapidus sol (586) und radiis trepidantibus (587) wirkungsvoll die unheilvolle Stimmung in seiner Beschreibung des Sonnenaufgangs ausgedrückt. Hier deutet furvis tenebris (688) und wiederum trepidum diem (689) in dieselbe Richtung. Diese Interpretation des Dichters geht dabei viel weiter und ist eigenständiger als seine Wiedergabe der Ereignisse, die auf Jesu Tod folgen. Dennoch: das Zerreißen des Tempelvorhangs und das Erdbeben, ein Phänomen, von dem die antike Literatur häufig im Zusammenhang großer Ereignisse berichtet,109 werden nun nicht mehr durch et ecce vom Vorhergehenden getrennt, sondern durch pariter daran gebunden. So ist dann auch die Bezeichnung Jesu als Dominus in Vers 701 zu erklären: seine Gottheit zeigt sich sehr wohl in der vorliegenden Situation, wie die Reaktion der Natur beweist. Die übrige Ausgestaltung wird aus dem typisch epischen Repertoire des Dichters gespeist. Das Bekenntnis der Soldaten Iuvencus erweitert die Reaktion der Soldaten zu subolem dixere Dei Christumque fatentur und fügt damit der Feststellung, Jesus sei Gottes Sohn, ein ausdrückliches Bekenntnis hinzu. Dies wird in der altkirchlichen Exegese, zumindest von Hilarius110 und Ambrosius, als weiteres Dokument der Hartherzigkeit der Juden gedeutet. Ambrosius bringt diese sogar mit der Natursympathie zusammen: Während selbst Felsen sich angesichts des Leidens und Sterbens Jesu öffnen, gelingt dies den Juden nicht.111 Auch finden sich bei Ambrosius wie bei Hieronymus Invek-

107 Ibid. 357. 108 Z.B. Hier. in Matth. IV 27,51f (CCL 77, 275,1806–1808 Hurst/Adriaen) Nulli dubium est quid significet iuxta litteram magnitudo signorum, ut crucifixum Dominum suum et caelum et terra et omnia demonstrarent und Hil. in Matth. 33,7 (SC 258, 256,3f Doignon) Movetur terra: capax enim huius mortui esse non poterat. 109 Vgl. A. Hermann, Art. Erdbeben, in: RAC 5 (1962), besonders Sp. 1085–1092. 110 Vgl. Hil. in Matth. 33,7 (SC 258, 256,11–14 Doignon) Ut autem infidelitatis facinus Israeli accumularetur, centurio et custodes hanc totius naturae perturbationem contuentes Dei filium confitentur. 111 Vgl. Ambr. in Luc. X 128 (CCL 14, 382,1216–1222 Adriaen) Denique iam etiam centurio dei filium quem crucifixerat confitetur. O duriora saxis pectora Iudaeorum. Finduntur petrae, sed horum corda durantur. Iudex arguit, credit minister, proditor scelus suum morte condemnat, elementa fugiunt, terra concutitur, monumenta reserantur, Iudaeorum tamen immobilis duritia manet orbe concusso und Iob I 5,13 (CSEL 32,2, 218,17f Schenkl) Centurio agnoscit alienum, Levita non recognoscit suum: gentilis veneratur, Hebraeus abiurat.

204

Der Tod Jesu

tiven gegen Arius: Wenn der heidnische Zenturio doch eindeutig bekennt, dass Christus Gottes Sohn ist, wie kann Arius dann anderes behaupten? 112 Während Antiarianismus bei der Frage nach Mt 27,46b noch ein Thema gewesen sein könnte, kann man weder einen solchen noch ausdrücklichen Antijudaismus bei Iuvencus entdecken. Es gibt aber wichtige Zeugnisse, dass der Vers eben so genutzt wurde und für Iuvencus das Bekenntnis der Soldaten wohl auch daher von Bedeutung war. Man darf also zumindest annehmen, dass er durch seine Schilderung ein Beispiel für die angemessene Reaktion auf Jesu Tod geben wollte, vor allem durch die Römer, die sich ja von seinem Werk angesprochen fühlen sollten. Siehe zur Frage nach der zweifelhaften römischen Identität der Soldaten oben zu 711 militibus primis und die Verweise dort. TRIUMPHATOR ODER SCHMERZENSMANN? Während Diederich sich sicher war, dass Jesus „bezeichnenderweise nicht als Schmerzensmann“ erscheint,113 muss dieses Urteil nun ein wenig modifiziert werden. Es ist sicher richtig, dass „die prodigienähnliche Verfinsterung der Sonne“ 114 und das Erdbeben Jesus als Gottessohn darstellen. Eine ähnliche Rolle wird auch die genannte vorsichtige Behandlung der Gottverlassenheit (durch Auslassung von Mt 27,46b) gespielt haben, ebenso der ironische Umgang mit der frappierenden Unkenntnis der Umstehenden (694 nescia plebes), die Jesus häufig als rex oder Christus verspotten. Dennoch ist Iuvencus’ Jesus hier nicht einfach ein strahlender Triumphator. Er muss sich ja verspotten lassen und stirbt letztlich, ohne dass dafür eine Erklärung geboten wäre. Sein (scheinbarer) Ruf nach Elia verhallt, die Erwartung seiner Gegner, es werde keine Hilfe kommen, erfüllt sich; sie wird erst durch die Auferstehung gebrochen. So starke Eingriffe wie später Sedulius, der über die Bedeutung von Einzeldingen „meditiert“, traute sich Iuvencus in seiner Texttreue nicht zu, wenn auch die Aspektverschiebungen offenkundig sind. An einigen anderen Stellen zeigt Heinsdorff, dass Jesus bei Iuvencus weniger als „Kämpfer und Triumphator“ als als „Schenker des Lebens“ dargestellt wird. Neben der Kreuzigung, der nicht ihre ganze Schärfe genommen wird, bewertet er die Auferstehung so: „Auch die Auferstehung endet nicht eigentlich in einem Triumph, sondern sie ist ein Sieg, der zunächst von dem Großteil der Menschheit völlig unbemerkt bleibt [...]. Schaut man sich im Hinblick auf den Sieg und den Triumph Christi allein das 5. Buch des Carmen Paschale des Sedulius an, so wird man dort bei weitem mehr und deutlichere Anklänge daran antreffen als in dem 112 Vgl. Hier. in Matth. IV 27,54 (CCL 77, 276,1842–1844 Hurst/Adriaen) Et hoc considerandum quod centurio ante crucem in ipso scandalo passionis vere Dei filium confiteatur, et Arrius in ecclesia praedicet creaturam und Ambr. Fid. I 17,114 (CSEL 78, 49,47–51 Faller) Hoc idem centurio [...] tremefactis mundi cardinibus in passione domini confitetur, et tu, heretice, negas? Centurio dicit: „Vere, filius dei erat iste.“ „Erat“ inquit centurio, et Arrianus dicit: „Non erat!“ 113 Diederich 404. 114 Ibid.

IV 687–713

205

ganzen Gedicht des Iuvencus.“115 Überzeugend ist, besonders mit Blick auf die Kreuzigungsszene und die dort herausgearbeitete Ironie, Diederichs These, Christi Leiden und Tod solle „nicht Mitleid erwecken [...], sondern Ehrfurcht und Empörung.“116 AUSBLICK Von den 13 Versen, die Sedulius auf die Sonnenfinsternis verwendet,117 entfallen nur fünf auf den eigentlichen Vorgang. Dabei klingen die Verse 234f sol nube coruscos / abscondens radios, tetro velatus amictu an Iuvencus an. Coruscans ist dort praef. 25 Christus, ebenso Elia, dessen Flammenwagen III 545f als turbine missa corusco / flammipedum rapuit simulatio quadriiugorum beschrieben wird. Deutlicher ist der Anklang an die Ankündigung der Sonnenfinsternis Iuvenc. IV 149f abscondet furvis rutilos umbris radios sol, da abscondere radios hier wieder auftritt. Zu taeter bei Iuvencus siehe Fichtner 105, bei Iuvencus und Sedulius Deerberg 108f. An diese Verse schließen sich dreieinhalb an, die über die Lichtsymbolik bei der Geburt und jetzt beim Tod Jesu meditieren, sowie weitere viereinhalb, die die drei Stunden der Dunkelheit nennen und auf die drei Tage beziehen, die Jesus im Grab war.118 Wenn man auch den Seduliustext mindestens teilweise narrativ lesen kann, so ist doch die erbauliche und exegetische Dimension wiederum deutlich ausgeprägter als bei Iuvencus. Im Folgenden geht es dann um die Höllenfahrt Christi.119 Die Erde wird erschüttert, ebenso wie bei Iuvencus. Sedulius gibt aber durch das starke Verb expavit gleich eine weitere Interpretation dazu. Weiter wird Jesu Höllenfahrt beschrieben. Iuvencus scheute sich noch, auf diese Lehre einzugehen, wenn auch, wie gezeigt, weniger aus theologischen als aus narrativen Gründen. Für den späteren Sedulius besteht an der Höllenfahrt kein Zweifel mehr,120 auch scheut er sich nicht, dem biblischen Text eindeutige Hin115 Heinsdorff 14. 116 Diederich 413. Dort heißt es weiter: „eine Tendenz, die sich in der angelsächsischen, altsächsischen und althochdeutschen Bibelepik verstärkt.“ Iuvencus stößt also wiederum eine Entwicklung an. 117 Carm. Pasch. V 232–236 Interea horrendae subito venere tenebrae / et totum tenuere polum maestisque migrantem / exequiis texere diem; sol nube coruscos / abscondens radios, tetro velatus amictu, / delituit tristemque infecit luctibus orbem. 118 Carm. Pasch. V 237–244 Hunc elementa sibi meruerunt cernere vultum, / auxiliis orbata patris, laetata per ortum, / maesta per occasum. Nam lux ut tempore fulsit / nascentis Domini, sic hoc moriente recessit, / non absens mansura diu, sed mystica signans / per spatium secreta suum; quippe ut tribus horis / caeca tenebrosi latuerunt sidera caeli, / sic Dominus clausi triduo tulit antra sepulchri. 119 Carm. Pasch. V 245–251 Nec tellus sine clade fuit, quae talia cernens / funditus intremuit, dubioque in fine supremum / expavit natura modum, ne cogeret omnem / summus apex inferna petens succumbere molem, / auctoremque sequens per tartara mundus abiret. / Sed pietas immensa vagas properabat in umbras, / perdita restituens, non consistentia perdens. 120 Siehe zur Dogmengeschichte – erste Festlegungen gibt es im vierten und frühen fünften Jahrhundert – oben S. 202.

206

Der Tod Jesu

weise darauf hinzuzufügen. Damit dringt interessanterweise zwar der Theologe Sedulius weit tiefer in das Werk ein als der Theologe Iuvencus, aber in durchaus narrativem Gewand, da er die Höllenfahrt nicht als Auslegung, sondern (aus seiner Perspektive selbstverständlich) als tatsächliches Geschehen schildert. Sedulius dreht danach die Reihenfolge Tränkung – Naturereignisse um. So stellt er die Tränkung mit Essig deutlich negativer dar als die Vorlage. Obwohl sie spätestens jetzt zur Erkenntnis gelangt sein müssten, quälen die Juden Jesus weiter und werden dadurch – so wie Wein zu Essig wird – von Gottes auserwähltem Volk zum ihm verhassten. 121 Wieder gibt Sedulius so nach der Wiedergabe des Geschehens eine Interpretation desselben, die die narrative Ebene teilweise verlässt und besonders wegen der starken Gegenüberstellung gens accepta Deo und odiosa propago bemerkenswert ist. Dass Christus seine Seele aufgibt, ist bei Sedulius so kurz wie möglich geschildert. Er zieht es vor, auf die Auferstehung zu verweisen und dazu die hochkontroverse Aussage einfließen zu lassen, der göttliche Teil Christi sei nicht gestorben. 122 Die Wiedergabe der Auferstehung einiger Heiliger ist weitestgehend vorlagengetreu, auffällig nur die Vorstellung einer im Christentum unüblichen Feuerbestattung (wenn cineres nicht ohne diese Konnotation gebraucht ist).123 Dass der Tempelvorhang zerreißt, wird von Sedulius wiederum eindeutig ausgelegt. Durch Mose war das Gesetz noch verhüllt geblieben, erst durch Christus wird es für die Menschen der Zukunft offenbar. 124 Auf diese in der Alten Kirche weit verbreitete Auslegung hatte Iuvencus noch nicht verwiesen (siehe oben zu den Versen 703–706). Sedulius verflicht also die kurze Beschreibung dreier Ereignisse mit einem Rückblick auf das Gesetz des Mose und einer Vorausschau auf die Auferstehung. Darauf folgend verlässt Sedulius völlig seine evangelische Vorlage, zunächst mit Rückgriff auf 1 Kor 15,55, wenn er Carm. Pasch. V 276f schreibt: Dic ubi nunc tristis victoria, dic ubi nunc sit / mors stimulus horrenda tuus, quae semper opimis / instaurata malis cunctas invadere gentes / poenali dicione soles? Darauf folgt eine Invektive gegen den personifizierten Tod, die ohne jeglichen narrativen Anspruch bleibt und auf eine der (scheinbaren) Paradoxien in der Passion hinweist. Nicht der Tod, den Gott nicht eigentlich geschaffen hat, besiegt Christus,

121 Carm. pasch. V 256–260 Manzeribus populis in deteriora volutis / conveniens liquor ille fuit; nam dulcia vina / sicut in horrendum cum convertuntur acetum, / a mensis proiecta iacent: ita tempore prisco / gens accepta Deo, nunc est odiosa propago. 122 Carm. Pasch. V 261–265 Ergo ubi cuncta boni conpleta est passio Christi, / ipse animam proprio dimisit corpore sanctam, / ipse iterum sumpturus eam, quia mortuus idem, / idem vivus erat membris obeuntibus in se, / non obeunte Deo [...]. 123 Oder zumindest nicht die Vermeidung dieser Vorstellung; Carm. Pasch. V 266–269 cuius virtute retrorsum / infernae patuere viae, ruptaeque fatiscunt / divisa conpage petrae, rediviva iacentum / corpora sanctorum fractis abiere sepulchris, in cineres animata suos. 124 Carm. Pasch. V 273–275 interiora sui populis arcana futuris / iam reseranda docens, quia lex velamine Moyse / tecta diu Christo nobis veniente patescit.

IV 687–713

207

sondern umgekehrt.125 Von dort springt der Dichter zum Lanzenstich, der sakramental ausgelegt wird: das Blut steht für die Eucharistie, das Wasser für die Taufe, vgl. Carm. Pasch. V 288–292 vulnere purpureus cruor et simul unda cucurrit. / Haec sunt quippe sacrae pro religionis honore: / corpus sanguis aqua tria vitae munera nostrae. / Fonte renascentes, membris et sanguine Christi / vescimur [...]. Bei vescimur handelt es sich möglicherweise um einen Rückgriff auf Gal 3,27. Er schließt mit einer Anspielung auf den Begriff vom Tempel aus lebendigen Steinen, vgl. Carm. Pasch. V 292–294 atque ideo templum deitatis habemur / quod servare Deus nos annuat inmaculatum, / et faciat tenues tanto mansore capaces. Dabei handelt es sich um einen Rückgriff auf 1 Petr 2,5 sowie in Vers 292 auf die Verheißung der Dauerhaftigkeit der Kirche in Mt 16,18. Man kann fast von einem Kreuzes- bzw. Passionshymnus sprechen, der in einer rapiden Aneinanderreihung von als bekannt vorausgesetzten christlichen Lehrinhalten eine rein erbauliche und beinahe gar keine narrative Funktion hat.

125 Vgl. Carm. Pasch. V 279–284 En pessima, non tu / pervenis ad Christum, sed Christus pervenit ad te, / cui licuit sine morte mori quique omnia gignens, / omnia constituens te non formavit ut esses: / semine vipereo culpa genetrice crearis / et venia regnante peris.

EXKURS: KÖRPER UND SEELE BEI IUVENCUS Abgesehen von Roger Greens Erkenntnis, dass sich I 192 carcere corporis aegri / deposito und I 202f nunc, nunc me famulum dominus nunc liberat atris / corporis e vinclis sowohl die neoplatonische Vorstellung vom Körper als Gefängnis als auch eine latente Leibfeindlichkeit zeigen lässt,1 ist bisher zu Iuvencus’ Seelenlehre, Anthropologie bzw. im Speziellen dem bei ihm ausgedrückten Verhältnis von Körper und Geist nicht viel gesagt worden. Dieser Exkurs wirft also einen Blick auf ex- und implizite Aussagen, die über corpus und membra getroffen werden. Dabei kann membra wie auch bei anderen Autoren für den gesamten Körper stehen, vgl. z.B. I 74 Zachariae coniux mortali germine nuper / aevo defessis hausit miracula membris für Lk 1,36 Et ecce Elisabeth cognata tua et ipsa concepit filium in senecta sua und I 271 mirandis rursus devinctus membra sopore / urgetur monitis für Mt 2,13 ecce angelus Domini apparuit in somnis Ioseph dicens. Auch werden corpus und membra unterschiedslos nebeneinander gebraucht, so z.B der Pleonasmus III 469f iussitque uno de corpore necti / amborumque animas iunctis inolescere membris für Mt 19,5f relinquet homo patrem et matrem at adhaerebit uxori et erunt duo in carne una. Itaque iam non sunt duo, sed una caro (zu anima dort siehe unten S. 211) oder die aufeinander verweisenden Stellen, die Christi Leiden III 588 scribarum procerumque ferens ludibria membris ankündigen und IV 643 sceleri ludibria corpore praebet beschreiben. CORPUS / MEMBRA ALS STILMITTEL BZW. BEDEUTUNGSARME HINZUFÜGUNG Häufig, wie schon in den gerade zitierten Beispielen, fügt Iuvencus corpus oder membra ein, wobei sich keine Anspielung auf theologische bzw. exegetische Aussagen über den Körper erkennen lässt. Das gilt dann, wenn einerseits konnotationslose Körper gemeint sind (z.B. IV 80f Quam volui vestram gentem populumque tueri / ales uti dulces solita est sub corpore pullos) oder corpus mit Genitiv Iuvencus’ häufiger Gewohnheit, Vokabeln der Vorlage im Genitiv mit einem neuen Begriff zu verbinden, der kaum eine eigenständige Bedeutung hat, entspricht. 2 Ähnliches gilt für Beispiele wie III 484 trino truncantur corpora more, was Iuvencus erklärend vor der Wiedergabe von Mt 19,12 (die verschiedenen Begrün1 2

Vgl. Green (2006) 14. Green schreibt diese Theologie jedoch nicht Iuvencus direkt zu, sondern verweist auf den möglichen Einfluss von Kommentaren, besonders Origenes. Vgl. Abbolito 305 sowie z.B. II 155f Repperit hic populum venalia multa locantem / pars vendebat oves, pars corpora magna iuvencum [...] – corpora iuvencum meint nichts anderes als iuvencos.

Exkurs

209

dungen der Ehelosigkeit) einfügt und wo corpora kaum mehr als „Menschen“ meint, und II 89f Quapropter iuvenis, firmato corporis usu / surge vigens [...], das zwar firmato corporis usu gegenüber der Vorlage Mt 9,6 surge, tolle lectum tuum [...] hinzufügt, worin aber keine theologische Bedeutung gesehen werden kann. Dass gerade der Körper des Lahmen wieder gesund wird, ist offensichtlich. Ebenso verhält es sich mit III 76 corpora subiecit miseratus multa medellae für Mt 14,14 misertus est illis et curavit languidos eorum. Zur Vorsicht mahnt III 357– 360 horribilem nati de corpore morbum / protribes, reddasque seni solacia vitae. / Nam cursus lunae natum mihi daemonis arte / torquet [...] für Mt 17,14 miserere filii mei quia lunaticus est et male patitur. Da man kaum behaupten kann, dass Iuvencus hier explizit von einer körperlichen und nicht seelischen Heilung sprechen wollte, zumal ja eine Dämonenaustreibung vorgenommen wird, kann man aus der Verwendung von corpus hier wenig erkennen; eine Unterscheidung von Körper und Seele wird vielleicht sogar explizit dadurch zurückgewiesen. Strittig ist II 729–731 Hic mecum genetrix, mecum germana residunt / corpora. Nam patria impletur cuicumque voluntas / ille meo proprium conectit sanguine corpus. Gegen Herzog, der einen Bezug zur Eucharistie sehen wollte, 3 erklärt Green Iuvencus’ Ausdrucksweise damit, dass es dem Dichter schwer fiel, die Vorlage Mt 12,49 ecce mater mei et fratres mei. Quicumque enim fecerit voluntatem patris mei, qui in caelis est, ipse meus frater et soror et mater est angemessen wiederzugeben und damit nicht notwendigerweise ein exegetisches Anliegen Iuvencus’ Versgestaltung zu Grunde liegt.4 Denkbar wäre zunächst eine Anspielung auf Verfolgungserfahrungen. Wer also dem Willen Gottes folgt, zum Märtyrer wird, wird dem (in der Passion vergossenen) Blute Jesu mit seinem Körper zugesellt. Diese Deutung ist hochgradig spekulativ. 5 Leichter erklärbar ist, dass Iuvencus mit dem Begriff der leiblichen und Blutsverwandtschaft spielt und er seine „wahren“ Brüder im Geiste eben auch als eigentliche Blutsbrüder bezeichnen wollte. Dabei verschwimmt die Unterscheidung zwischen leiblicher und geistiger Bruderschaft. Germana corpora taucht erneut IV 20f für die sieben Brüder aus Mt 22,25 auf. Dabei geht germana corpora über fratres o.ä. gar nicht hinaus; die eigentlich relevante Aspektverschiebung oben liegt in sanguine. Iuvencus gebraucht corpus und membra also nicht mit durchgängiger philosophischer Schärfe und man muss sich, wie häufig, mit der Entdeckung einer Tendenz zufrieden geben, die jedoch m.E. durchaus zu Tage tritt. DICHOTOMIE ZWISCHEN KÖRPER UND SEELE In einigen Perikopen stellt Iuvencus Körper und Seele eindeutig gegenüber. Für „Seele“ wird dabei bevorzugt anima, bisweilen unterschiedslos aber auch animus 6 3 4 5 6

Vgl. Herzog (1975) 121. Vgl. Green (2006) 89f. Zur Verfolgung siehe Green (2006) 120 und oben zu 594 iusti. Vgl. Flieger 47.

210

Körper und Seele bei Iuvencus

oder gar mens gebraucht. Zunächst ist für das Matthäusevangelium zu sagen, dass dort in der Regel kein dichotomisches Menschenbild nachzuweisen ist, sondern im jüdischen Sinne σῶμα, „Leib“, für den Menschen als Ganzen gebraucht wird. 7 Mehrfach verhält es sich jedoch auch anders, zunächst Mt 6,25 nonne anima plus est quam esca et corpus, das Iuvencus I 632 nonne animam pluris facimus quam corporis escas wiedergibt. Der Eingriff des Dichters ist dabei minimal. Auch Mt 10,28 scheint es einen Einfluss „griechischer, dichotomischer Anthropologie“ zu geben.8 Aus Mt 10,28 et nolite timere eos, qui occidunt corpus, animam autem non possunt occidere, sed potius eum timete, qui potest animam et corpus perdere in gehennam dichtet Iuvencus II 485–489 despicite illorum rabiem, qui corpora vestra / prosternent ferro: non est his ulla potestas / vivacem leto pariter demittere mentem. / Illum sed potius cordis secreta pavescant / corporis est animique simul cui cuncta potestas. Wiederum ist der Eingriff des Dichters, was die Anthropologie angeht, nicht sehr groß. Er verbindet aber die Ankündigung künftiger Verfolgungen mit der genannten Perikope. Aus dem einfachen Mt 10,17 tradent enim vos in conciliis und 21 et insurgent filii in parentes et morte eos adficerent wird II 460 conciliis hominum statuentur corpora vestra und 467 ad letumque dabunt genitorum corpora nati. Iuvencus fügt also dort corpus hinzu, um Jesu Aufruf, lieber Gott ob seiner Macht, die auch die Seele betrifft, nicht aber den Menschen, die nur den Körper schädigen können, zu folgen, deutlicher zu machen. Er macht sich die in dieser Perikope präsente dichotomische Anthropologie sehr zu eigen und gestaltet sie weiter aus, ohne dabei die eigentliche Aussage der Vorlage zu verändern. Es sind jedoch auch einige eigene Hinzufügungen zu finden. Bei seiner Bearbeitung von Mt 5,27f Audistis, quia dictum est: non moechaberis. Ego autem dico vobis, quod omnis, qui viderit mulierem ad concupiscendum eam, iam moechatus est in corde suo macht er das Verbot des Ehebruchs an Körper und Geist deutlich. Es heißt I 519–522 Haud ignota, reor, vobis stat cautio legis / corpus adulterio prohibens, sed nunc mea iussa / occulta internae frenant molimina mentis / nec minus optati quam facti poena luenda est. So wird bei Iuvencus das Verhältnis von Körper und Geist gegenüber der Vorlage deutlicher bestimmt, jedoch noch ohne dass dabei etwas gesagt wäre, das entscheidend über diese hinausgeht. Diese Lehre präzisiert er dann aber wie folgt: Aus Mt 5,29 expedit enim tibi, ut pereat unum membrorum tuorum, quam totum corpus tuum eat in gehennam wird I 525–527 Nam membrum perdere refert / exiguum, flammis quam totum dedere corpus / perpetuisque animam pariter convolvere poenis. Eindeutig spürt Iuvencus die Notwendigkeit, dem totum corpus der Vorlage auch die anima hinzuzufügen, von der in der Vorlage nicht die Rede ist. So „übersetzt“ er die Aussage der Vorlage, die unter corpus / σῶμα schon den ganzen Menschen verstand, in seine eigene, deutlich spätere und griechisch geprägte Gedankenwelt. 7 8

Vgl. Luz (1990) 126. Ibid.

Exkurs

211

Ganz ähnlich verfährt er mit Mt 19,5f relinquet homo patrem et matrem et adhaerebit uxori et erunt duo in carne una. Itaque iam non sunt duo, sed una caro, das er III 469f iussitque uno de corpore necti / amborumque animas iunctis inolescere membris wiedergibt. Eigentümlich ist, dass membra und corpus hier nebeneinander genannt werden, hinsichtlich der Seele aber ist die Aussage klar. In der Vorlage ist diesmal nicht von corpus, sondern von caro die Rede, was in der Tradition häufig als sexuelle Einheit verstanden wurde.9 Der Dichter aber definiert die rechte Ehe als Zusammenkunft aller Aspekte des Menschen, ähnlich wie Orig. in Matth. XIV 16 (GCS 40, 323,15–22 Klostermann/Benz) καὶ ὅπου γε ὁμόνοια καὶ συμφωνία καὶ ἁρμονία ἀνδρός ἐστι πρὸς γυναῖκα , τοῦ μὲν ὡς ἄρχοντος, τῆς δὲ πειθομένης τῷ „αὐτός σου κυριεύσει“, ἀληθῶς ἔστιν εἰπεῖν ἐπὶ τῶν τοιούτων τὸ „οὐκέτι εἰσὶ δύο“10 oder Hier. in Matth. III 19,5 (CCL 77, 166,734–736 Hurst/Adriaen) praemium nuptiarum e duabus unam carnem fieri. Castitas iuncta spiritui unus efficitur spiritus. Besonders häufig ist von Körper und Seele im Kontext von Tod und Auferstehung die Rede. So ist der Tod als Trennung dieser beiden vorgestellt, wie auch Tertullian erklärt.11 Es heißt in der Lazarusperikope Joh 11,34 et dixit: ubi posuistis eum, bei Iuvencus IV 370f inquirit tumuli sedem, quo condita nuper / membra forent animae volucris spoliata calore 12 und nach Mt 27,50 Iesus autem iterum clamans voce magna emisit spiritum, etwas näher an der Vorlage IV 701f Tum clamor Domini magno conamine missus / aetheriis animam comitem commiscuit auris.13 Zwar ist es ein bekannter Topos, dass eine Seele sich, gerade beim Tod, in die Lüfte hebt (siehe oben zur Stelle), in letzerem Fall klingt aber gar Lukrez’ Lehre über Körper und Seele an, nämlich III 398–401 nam sine mente animoque nequit residere per artus / temporis exiguam partem pars ulla animai. / Sed comes insequitur facile et discedit in auras / et gelidos artus in leti frigore linquit. Auch für die Lazarusperikope kann man einen Bezug zu dieser Stelle annehmen, da Lukrez von leti frigor und Iuvencus von animae calor (christlich erstmals verwendet bei Lact. Div. Inst. II 9,22 (167,5f Heck/Wlosok) materia corporis in umore est, animae in calore) spricht. Eine philosophisch-ideologische Übernahme 9 Vgl. Luz (1997) 94, besonders Anm. 28. 10 „Und wo es Einvernehmen und Gleichklang und Harmonie zwischen Mann und Frau gibt, wenn nämlich er gewissermaßen herrscht, sie aber dem Wort ‚Er wird über Dich herrschen’ (Gen 3,16) gehorcht, da kann man von den beiden wahrhaft sagen: ‚Sie sind nicht mehr zwei’“ (Übersetzung Vogt 1990). 11 Vgl. auch Tert. Anim. 51f (CCL 2, 857–859 Waszink). Beide Kapitel sprechen in Gänze über dieses Thema, als Exzerpt soll das folgende genügen: Anim. 51,4 (CCL 2, 857,19–21 Waszink) Sed nec modicum quid animae subsidere in corpore est decessurum quandoque et ipsum, cum totam corporis scenam tempus aboleverit. – „Doch kein noch so geringer Teil der Seele kann im Körper zurückbleiben, weil auch selbst der einmal sterben müßte, wenn die Zeit das ganze Gerippe des Körpers vernichtet hat (Übersetzung Waszink 1980). Siehe weiter Waszink 526–534. 12 Von anmia volucris, gerade im Zusammenhang mit einer dichotomischen Anthropologie, spricht zuerst Ov. Met. XV 456f quoniam non corpora solum, / verum etiam volucres animae sumus [...]. 13 Siehe zur Frage danach, ob die Seele comes clamoris oder comes aurae ist, oben zur Stelle.

212

Körper und Seele bei Iuvencus

der epikureischen Lehre ist angesichts deren Materialismus nicht anzunehmen, eine deutliche Auseinandersetzung nicht angezeigt, die Vorstellung von der Trennung der Seele vom Körper beim Tod ist Iuvencus und Lukrez aber gemein. Ein ständig wiederkehrender Topos, der wiederum implizit die Unsterblichkeit der Seele deutlich macht, ist der der Rückkehr der Seele in die membra oder das corpus, wodurch die Auferstehung bewirkt wird.14 Das gilt II 522 Ad corpus remeans animae iam libera virtus, 658–660 nec vobis mirum videatur, corpora cuncta / vocis ad auditum propriis exsurgere bustis, / iustorumque animas redivivo corpore necti [...], IV 392f Lazare, sopitis redeuntem suscipe membris / en animam [...] und 708 iustaeque animae per membra reversae. An einer dichotomischen Anthropologie des Dichters, die über die Vorlage hinausgeht, ist also nicht zu zweifeln. Dennoch ist eine tiefe Auseinandersetzung mit der Seelenlehre des Lukrez nicht zu finden. Eine philosophische Auseinandersetzung geschieht zwar implizit, da ja bei Lazarus und Christus die Seele des Toten nicht einfach in ihre Atome zerfällt (siehe oben zur Stelle), so wie es später zur Auferstehung und zur Wiederkehr von Seelen in ihre Körper kommt, nicht aber explizit. Zum einen meidet der Bibeldichter solche Exkurse aus Treue zur Vorlage, zum Zweiten bezeichnet er die Seele nicht explizit als unsterblich oder ewig. Am wichtigsten jedoch ist, dass die Lukrezreminiszenz bei der Beschreibung des Todes Jesu ungenutzt bleibt. Wenn er sich dort mit der Seelenlehre des Epikureers auseinandersetzt, offenbart die Beschreibung der Auferstehung ein seltsames Desinteresse an dieser, die Seele Jesu wird nämlich gar nicht mehr erwähnt; siehe dazu in diesem Kapitel unten zur Auferstehung selbst (S. 215–216), die vielmehr mit Lichtmotivik durchzogen ist.15 Auffällig ist ferner die Umsetzung von Mt 11,14, wo Jesus Johannes den Täufer mit folgenden Worten als den wiedergekehrten Elias bezeichnet: ipse est Helias, qui venturus est. Iuvencus schreibt nämlich II 544f corpus Ioannis felix habitabile sumpsit / Helias. Für corpus sumere gibt es nur wenige Belege. So erklärt Donatus zu Aen. VI 730-732: [...] ut spiritus e partibus caeli sumitur videatur, corpus ex terra. Damit ist eine allgemeine anthropologische Aussage getroffen, die kaum auf die Iuvencusstelle passt. Später gebraucht Boethius die Wendung vier Mal, um deutlich zu machen, dass Christus in der Tat einen menschlichen Körper hatte: Boeth. c. Eut. V (204,64 Peiper) und VII (214,93 Peiper) sowie zweimal VIII (214,2f und 214, 6f Peiper). Für Iuvencus eine Aussage zu treffen fällt schwer. In der altkirchlichen Exegese hat sich die Lehre durchgesetzt, dass Johannes als alter Elias mit dessen Autorität und Geisteskraft auftritt, es sich aber nicht um dieselbe Person handelt. Daher wird die Seelenwanderung abgelehnt, vgl. Hier. in Matth. II 11,14 (CCL 77, 122–126 Hurst/Adriaen) Helias ergo Iohannes dicitur non secundum stultos philosophos et quosdam hereticos qui 14 So geht es auch aus den sehr differenzierten Erläuterungen Tertullians hervor, vgl. Tert. Anim. 51–58 (CCL 2, 857–869 Waszink). 15 Thraede (1996) 510 Anm. 26 äußerte den Bedarf einer Untersuchung, ob hier eine „womöglich christologisch gemeinte [...] Aueinandersetzung mit dem epikureischen Lehrdichter gesucht“ werde. Eine solche ist nicht deutlicher nachzuweisen als geschehen.

Exkurs

213

μετεμψύχωσιν introducunt, sed quo iuxta aliud testimonium evangelii venerit in spiritu et virtute Heliae et eandem sancti Spiritus vel gratiam habuerit vel mensuram.16 Zuvor hatten schon Tertullian17 und Origenes18 sich so geäußert. Elia war nach dem von Iuvencus aus dem AT übernommenen Zeugnis, wie aus den folgenden Versen hervorgeht (quondam quem turbine missa corusco / flammipedum rapuit simulatio quadriiugorum nach 2 Kön 2,11), nicht gestorben, sondern entrückt worden, könnte hier also wiederkehren. Daher scheint Elia in irgendeiner Form in Johannes einzudringen. Möglicherweise handelt es sich hier um die Spur einer früheren heidnisch-philosophischen (z.B. neoplatonischen) Überzeugung des Dichters. Da der Dichter ansonsten aber keine problematischen Positionen vertritt,19 ist schwerlich denkbar, dass Iuvencus einer der von Tertullian und Hieronymus als Häretiker Bezeichneten ist, die eine Seelenwanderung annehmen; ebenso möglich ist nämlich, dass er die ihm aus der zeitgenössischen Philosophie bekannte Ausdrucksweise zur Illustration der orthodoxen Auslegung, Johannes sei spiritu et virtute (aber nicht corpore) mit Elia identisch, verwendet. Leider lässt sich nicht mehr darüber aussagen; die vorliegende Stelle ist die einzige in den Evangeliorum Libri Quattuor, die eine solche Diskussion möglich macht. Bis hierher ist die Vorstellung, die Iuvencus vom Menschen, seinem Tod und seiner Auferstehung hat, schlüssig. Schwierig sind die Rede von der Selbstverleugnung, und, damit auffällig verwandt, ein Satz aus der Kreuzigungsszene. Mt 16,24f Tunc Iesus dixit discipulis suis: „si quis vult post me venire, abneget se sibi et tollat crucem suam et sequatur me. Qui enim voluerit animam suam salvam facere, perdet eam; qui autem perdiderit animam suam propter me, inveniet eam entspricht Iuvenc. III 304–307 Sed si quis vestrum vestigia nostra sequetur / abneget ipse sibi corpusque animamque recusans / atque crucem propriam comitatibus addere nostris / gaudeat, amissam redimet cui gloria vitam / nam servata perit terris possessio lucis. Wie ist vereinbar, dass bei der Auferstehung die Seele zurückkehrt, auf die man zuvor – im Gegensatz zu seinem corpus – achten sollte (s.o. zu II 488f), während man sie hier, um das ewige Leben zu erlangen – nun zusammen mit dem corpus – verleugnen soll? Dadurch wird zunächst erneut deutlich, dass Iuvencus die Begriffe corpus und anima nicht mit philosophischer Schärfe und Akribie benutzt. Das ewige Leben wird nämlich III 307 mit einem der vielen Licht-Begriffe als possessio lucis bezeichnet, die anima wird nicht mehr genannt. Die Junktur corpusque animamque taucht nun IV 673 et crucis e poena corpusque animamque resolvat wieder auf. Dort wird Mt 27,40 et descende 16 Das von Hieronymus genannte aliud testimonium evangelii bezieht sich auf das von ihm zitierte Lk 1,17, das Iuvencus in der Rede des Engels an Zacharias nicht wiedergibt. 17 Anim. 35,5 (CCL 2, 837f Waszink) Spero huiusmodi haereticos Heliae quoque invadere exemplum, tamquam in Iohanne sic repraesentati, ut metempsychosi patrocinetur pronuntiatio domini: ‚Helias iam venit [...].‘ Siehe weiter Waszink 415f. 18 In Matth. X 20 (GCS 40, 27,25f Klostermann/Benz) Λέγοι δ’ ἄν τις τὴν τῆς μετενσωματώσεως ψευδοδοξίαν γεγονέναι ἐν τῷ Ἡρώδῃ καί τισι τῶν ἀπὸ τοῦ λαοῦ [...]. – „Es könnte aber jemand sagen, daß Herodes und einige Leute aus dem Volke der irrigen Lehre von der Seelenwanderung anhingen [...]“ (Übersetzung Vogt 1983). 19 Vgl. Glei 144 Anm. 29.

214

Körper und Seele bei Iuvencus

de cruce umgesetzt. Im Kontext sind die beiden Perikopen nun gut erklärbar. Iuvencus lässt nämlich Jesus zu völliger Selbstverleugnung aufrufen, wozu dieser selbst ebenfalls bereit ist. So erklärt Bauer, corpusque animamque entspreche „der biblischen Vorstellung von Leib und Seele als Komponenten menschlichen Seins“, es handle sich um ein deutliches „Hendiadyoin als Periphrase für das ‚Selbst‘ der biblischen Vorlage [...].“20 Jesus fordert von seinen Jüngern, ihm ganz nachzufolgen und das Kreuz auf sich zu nehmen, und kommt diesem Ruf, passenderweise in der Kreuzigungsszene durch die wiederkehrende Junktur ausgedrückt, selbst nach. Zu weiteren Gedanken zu Jesu Tod und dessen Bedeutung siehe unten zur Frage, ob Jesus einen besonderen Körper hat, zu 757 devicta morte sowie im Exkurs zur Auferstehung als Sieg S. 274–276. Es ist offenbar geworden, dass Iuvencus sich den Menschen als aus Körper und Seele bestehend vorstellt. Dabei kann der Körper nicht ohne weiteres als obsolet bezeichnet werden (s. unten zur leiblichen Auferstehung), ist gegenüber der Seele aber regelmäßig weniger wichtig. Die Gleichung Mensch = (sterblicher) Körper + (unsterbliche) Seele geht so nicht auf, auch, da der Gebrauch des Wortes anima offen ist. Iuvencus schließt die lebenserhaltende Funktion ebenso wie die metaphysische ein. GIBT ES EINE DEZIDIERTE LEIBFEINDLICHKEIT BEI IUVENCUS? Unzweifelhaft ist, dass, wie ganz zu Beginn gesagt, in die Rede und den Lobgesang des Simeon die neoplatonische Vorstellung des Körpers als Gefängnis, aus der dessen Ablehnung resultiert, eindringt. Das ist auch an einigen weiteren Stellen der Fall, zunächst I 511–515 est tibi praeterea semper contraria virtus / corporis; hoc casti celeri curetur amore, / dum rapidae tecum graditur per compita vitae. / Accusabit enim polluti corporis usus / et te sublimi statuet sub iudice vinctum. Damit gibt der Dichter Mt 5,25 esto consentiens adversario tuo cito, cum es cum illo in via, ne forte tradat te adversarius iudici et iudex tradat te ministro et in carcere mittaris wieder. Green verweist darauf, dass diese Interpretation des adversarius als Körper auch in den Matthäuskommentaren des Hilarius und Hieronymus zu finden ist.21 Sie wird dort jedoch abgelehnt. Dass dieses Theologumenon also auf Iuvencus selbst zurückgeht, darf angesichts dessen, dass Hilarius und Hieronymus jeweils von plures sprechen, bezweifelt werden, dass es aber in 20 Bauer 167. 21 Vgl. Green (2006) 94. Hieronymus äußert sich in Matth. I 5,25f (CCL 77, 29,574–579 Hurst/Adriaen) skeptisch: plerique arbitrantur de carne dictum et anima, vel de anima et spiritu, quod penitus non stat. Quomodo etiam aut caro mittenda erit in carcerem, si anima non consenserit, cum et anima et caro pariter recludendae sint nec quicquam possit caro facere nisi quod animus imperaret [...]? Ähnlich äußert sich Hil. in Matth. 4,19 Quid autem a pluribus in hoc capite sensum sit, non putavi esse tractandum. Hoc enim quod adversario reconciliari benevolentia iubemur, ad corporis et spiritus adversantium sibi concordiam retulerunt, sed nos ordinem doctrinae tenentes et opus legis evangelicis profectibus excedentes non putavimus intelligentiae continuationem oportere convelli.

Exkurs

215

der orthodoxen Theologie Anklang gefunden hat, ist nahezu auszuschließen. Eine platte Ablehnung des Körpers kann man Iuvencus nun trotzdem nicht unterstellen. Er präzisiert schließlich I 514 polluti corporis usus. Es geht um den rechten Umgang mit der eigenen Körperlichkeit. Weiterhin relevant ist III 274–276 Petre beatus eris, nam talia pandere certe / humanus sanguis vel terrae portio corpus / haud umquam poterit für Mt 16,17 quia caro et sanguis non revelavit tibi ... Der Körper ist ausdrücklich terrae portio, was dort natürlich in den Zusammenhang von Offenbarung gesetzt werden muss. Darin universale Leibfeindlichkeit zu sehen wäre falsch, es stehen sich ja irdische Weisheit und göttliche Gnade gegenüber, jedoch in einem konkreten Fall. Siehe weiter oben im Exkurs zur Darstellung des Petrus Seite 46–61. Abgesehen von einigen wenigen Stellen steht Iuvencus der Körperlichkeit des Menschen nicht eindeutig negativ gegenüber, sondern ruft vielmehr zum rechten Umgang mit dieser auf. Angesichts der zahlreichen Stellen, an denen die Auferstehung als Zusammenführung von Körper und Seele geschildert wird, stellt sich nun aber die Frage nach der leiblichen Auferstehung. ZUR LEIBLICHEN AUFERSTEHUNG Neben der oben bereits ausgeführten Dichotomie seien hier zunächst die Stellen betrachtet, an denen von der Auferstehung des corpus ohne Einfluss der anima gesprochen wird, zunächst II 640–642 sicut enim genitor demortua corpora reddet / ad claram vitae lucem sic omnia natus / quae volet ad lumen surgentia corpora ducit. Gegenüber der Vorlage, Joh 5,21 sicut enim Pater suscitat mortuos et vivificat sic et Filius quos vult vivificat fügt Iuvencus also den Körper dazu, ohne von der Seele zu sprechen. Gleiches gilt II 653 adveniet tempus cum mortua corpora vocem / accipient nostram et vitam cum voce tenebunt für Joh 5,25 amen amen dico vobis quia venit hora et nunc est quando mortui audient vocem Filii Dei et qui audierint vivent. Dort ist die mangelnde Wiedergabe von et nunc est, die die Erwartung einer nahen Parusie zurückdrängt, relevanter. Auch IV 754–757 Nam manifesta fides, sanctum vos quaerere corpus / quod crucis in ligno scelerata insania fixit. / Surrexit Christus aeternaque lumina vitae / corpore cum sancto devicta morte recepit für Mt 28,5f Scio enim, quod Iesum, qui crucifixus est, quaeritis. Non est hic, surrexit enim, sicut dixit ist auffällig. Man sucht nach dem Körper Jesu (hier wie IV 643, 662, 673, 681 und 712 ist corpus schlicht als „Leichnam“ zu verstehen), der aber auferstanden und daher nicht zu finden ist. Dabei ist Iuvencus bewusst „präziser“ als die Vorlage, in der man Jesus sucht. Auch die doppelte Nennung des Körpers, der erstens nicht mehr da und zweitens Empfänger des Lebens ist, spricht für seine große Bedeutung. Wiederum ist jedoch nicht von „Seele“ die Rede. Das Fehlen des Seelenbegriffs (Jesus hauchte z.B. seine Seele bei seinem Tod aus (IV 673), gewinnt aber IV 756f nicht diese wieder, sondern aeterna lumina vitae) an diesen Stellen lässt sich mit der schon mehrfach genannten mangelnden Begriffsschärfe erklären. Eindeutig ist, dass für Iuvencus der Körper keineswegs einfach obsolet ist, sondern er die

216

Körper und Seele bei Iuvencus

Vorstellung einer leiblichen Auferstehung teilt. Die Theologie der Kirche zur Zeit des Dichters Iuvencus ist unübersichtlich, da die Auseinandersetzung mit der Gnosis immer neue Definitionen und Analogien der ursprünglichen Formel εἰς σαρκὸς ἀνάστασιν nötig machte.22 Wirklich für irrelevant wurde der irdische Körper dabei jedoch wie hier bei Iuvencus nie erklärt. Kaum aufschlussreich ist Vers 769 occurrunt illae et genibus plantisque prehensis für Mt 28,9 Illae autem accesserunt et tenuerunt pedes eius et adoraverunt eum. Im Umfassen der Füße wollte Wiefel einen Hinweis auf die leibliche Auferstehung sehen, 23 was Luz m.E. zu Recht zurückweist: es gehe um Ehrerbietung.24 Iuvencus wendet sich dort also keineswegs gegen die Vorstellung eines leiblichen Auferstandenen, bemüht sich aber auch nicht, diese Deutung zu unterstützen; er gibt die Vorlage sehr treu wieder, die Nennung der Knie fügt nicht etwa der physischen Erfahrbarkeit Jesu, sondern der Unterwürfigkeitsgeste der Jünger etwas hinzu. Sein Anliegen ist daher eher psychologisch und exegetisch (das Verhalten der Jünger wird begründet und zum Vorbild gemacht) als philosophisch. DER KÖRPER JESU An die Wertung des Körpers schließt sich, da ja drängende dogmatische Fragen der Zeit, wie etwa der Arianismus, für Iuvencus, wie gezeigt,25 eine Rolle spielen, notwendigerweise die Frage nach Jesu Leiblichkeit an. Petrus bezeichnet Christi Körper als sanctus, vgl. III 297f „Absint, Christe, tuis,“ inquit, „tam tristia sanctis / monstra procul membris.“ Gleiches geschieht auch IV 754 und 756, die oben schon zitiert wurden. Nun wird Jesus selbst regelmäßig von Iuvencus als sanctus bezeichnet, so dass nahe liegt, dass hier corpus bzw. membra nur wenig bedeuten und der Dichter nur ein weiteres Mal dieses Epitheton auf Jesus beziehen wollte. Zu nennen ist aber die Parallele zwischen der genannten Leidensankündigung und der Szene am Ostermorgen, in der eben gerade das sanctum corpus Jesu nicht gefunden werden kann. Die Junktur sanctum corpus findet sich vor Iuvencus an einigen interessanten Stellen, vor allem Lucr. I 38, 1015 und VI 76, dabei stets auf die konkreten Leiber von Göttern oder (gut materialistisch) als pars pro toto auf Götter als solche bezogen. Jesu Körper ist dabei nicht stets herausgehoben, er hat nicht grundsätzlich einen vom Menschen explizit verschiedenen, göttlichen Körper. Das macht II 656f sic tribuit nato vitam et ius dicere iussit / in terras hominis quoniam cum corpore venit, wo Iuvencus Joh 5,27 et potestatem dedit ei et iudicium facere quia Filius hominis est bearbeitet, deutlich. Den Begriff „Menschensohn“ meidet er gewöhnlich nicht (z.B. hominis suboles III 341, suboles hominis IV 320 und 439), so dass hominis cum corpore gewiss eine eigenständige Bedeu22 23 24 25

Vgl. A. Oepke, Art. Auferstehung II (des Menschen), in: RAC 1 (1950) 936f. Vgl. Wiefel 490. Vgl. Luz (2002) 418. Z.B. von Green (2004) passim.

Exkurs

217

tung hat. Jesu Körper ist also der eines Menschen, Gnosis und Doketismus werden abgelehnt. Ebenso wenig findet sich die Lehre vom „Auferstehungsleib“, da das einzige in diese Richtung deutende Adjektiv clarus in Vers IV 767 ist, das jedoch auch an weniger auffälligen Stellen auf Jesus bezogen gebraucht wird und somit keine wesentliche Bedeutung tragen kann; siehe weiter oben zur Stelle. Selbst wenn man corpus hominis schlicht als homo verstehen will, was angesichts von Wendungen wie corpora iuvencum26 möglich ist, ist diese Interpretation leicht zu halten: Der Sohn Gottes kommt als Mensch in die Welt; seine Göttlichkeit, ausgedrückt durch Eposreminiszenzen, bleibt erhalten (siehe oben zu 672 suboles veneranda Tonantis und 786 proles veneranda Tonantis). In die gleiche Richtung weisen die schon oben genannten Aussagen über Tod und Auferstehung Jesu, v.a. die Verse 702, 754 und 756, in denen sein Tod und seine Auferstehung sich von denen anderer Menschen nicht unterscheiden. Darauf, die (erst nach seiner Zeit dogmatisch formulierte) Zwei-Naturen-Lehre philosophisch genauer zu erklären oder überhaupt deutlicher zu machen, verzichtet Iuvencus; der Befund legt jedoch nahe, dass er diese, so weit er sie kannte, akzeptierte.27 Wie häufig ist aber auch dieses Theologumenon nur selten und kaum ausdrücklich nachzuweisen, so dass man sich mit der Entdeckung einer Tendenz zufriedengeben muss. Iuvencus zeigt im Ganzen einige Parallelen mit der herrschenden Seelenlehre seit Tertullians de anima, jedoch ohne mit dogmatisch-philosophischer Genauigkeit dieser zu folgen.

26 Vgl. zur Wendung einer Vokabel der Vorlage in einen verwandten Begriff mit dem der Vorlage im Genitiv daneben Abbolito 305. 27 Vgl. Glei 144 zum Weinwunder zu Kana: „Der erste Bibeldichter zeigt damit nicht nur ausdrückliche ‚dogmatical correctness‘ (sit venia verbo), sondern sogar vorauseilenden christologischen Gehorsam [...].“

DIE GRABLEGUNG (IV 714–726) EINPASSUNG DER SZENE Die Zuordnung der Verse Mt 27,55f und 61 zu einzelnen Perikopen ist ebenso wie die ihrer Pendants Iuvenc. IV 714f und 726 auf den ersten Blick nicht eindeutig klar. So trennt Wiefel nach Vers 56 und zieht damit die erste Nennung der Mütter zur Kreuzigungsszene selbst,1 Fiedler dagegen integriert sogar noch den Hauptmann am Kreuz in die vorliegende Szene und teilt die Verse Mt 27,54–61 ab. 2 Sand und Luz teilen die Verse Mt 27,55f in eine eigene Perikope ein, die sie „die Frauen als Zeugen“3 bzw. „die Frauen beim Kreuz“4 nennen. Macht man nun bei Iuvencus, wie hier geschehen, einen Einschnitt hinter Vers 713, ist ein erneuter Einschnitt vor der Sonnenuntergangsbeschreibung in Vers 716, wie es sonst geschah, nicht sinnvoll; siehe zu solchen Überleitungen sonst unten S. 320. Es wird aber offenbar, dass der Dichter die vorliegende Szene durch die sehr ähnlichen Verse 714 und 726 rahmt. Zudem macht er sich diese Rahmung und vor allem die genannten Mütter, die daher in diesem einen Kapitel behandelt werden sollen, weiter zu Nutze; siehe dazu unten. KOMMENTAR Einleitende Rahmung (IV 714–716) Mt 27,55f: 55 Erant autem ibi mulieres multae a longe videntes, quae secutae erant Iesum a Galilaea ministrantes ei, 56 inter quas erat Maria Magdalena et Maria Iacobi et Ioseph et mater filiorum Zebedei.

Iuvenc. IV 714–716: 714 E speculis matres miracula tanta tuentur 715 omnes, obsequium Christo quae ferre solebant.

e speculis matres: Den Versbeginn entnimmt Iuvencus aus Aen. XI 877 e speculis ... percussae pectora matres. Green verweist auch auf Aen. II 489 766; V 654– 656 und auf die „Latin mothers who answer the call of Amata in Book 7, and the same mothers who witness the downfall of their city in Books 11 and 12.“ 5 Bald 1 2 3 4 5

Vgl. Wiefel 481f. Vgl. Fiedler 419. Sand 567. Luz (2002) 371. Green (2006) 64.

IV 714–726

219

überall in der Aeneis haben die matres ein schlimmes Schicksal vor sich. Bei Iuvencus dagegen verhält es sich anders; hier ist eine der stärksten Kontrastimitationen im Werk des Bibeldichters zu finden. Das kriegerische Ideal der Aeneis wird dem christlichen Ideal entgegengestellt;6 siehe dazu auch unten zu 755 scelerata insania, 757 devicta morte, 764 laetitia, 767 laetum und 770 victorem leti sowie den Exkurs „Die Auferstehung – Christi Krieg und Sieg“, Seite 274–276. Luz sah schon bei Matthäus einen Vorverweis auf Ostern angelegt: „Ich denke, daß erst von der nun folgenden Geschichte her ihre [sc. der Frauen] Bedeutung sichtbar wird. Die Frauen werden wieder auftauchen (27,61; 28,1–10). Sie werden am Ostermorgen die entscheidenden Empfängerinnen der Botschaft von Gottes rettendem Handeln sein. Sie stellen, noch verborgen im Dunkel des Kreuzes, den Anfang einer Geschichte des Handelns Gottes dar, die am Ostermorgen in hellem Licht erscheinen wird. In diesem Sinn sind sie die Hoffnungsträgerinnen Gottes.“7 Iuvencus rückt diese Verbindung deutlich in den Vordergrund. Zunächst verzichtet er darauf, die als Individuen kaum wichtigen matres genauer vorzustellen, sie werden deindividualisiert, die historischen Personen spielen keine Rolle. Arevalo meint, der Dichter sei nicht einmal an der Mutterschaft der Frauen interessiert, sondern gebrauche matres als Ehrentitel für „ältere Frauen“, analog zum auch in der Moderne gebrauchten Titel Pater;8 vgl. Cypr. Gall. Ex. 544 sowie Serv. Aen. II 489 matres: honoris nomen und Aen. IX 215 e matribus: e nobilibus, nam matres non nisi nobiles dicimus: unde et matronae dictae sunt.9 Stark für eine solche Bedeutung der Vokabel spricht auch der Umstand, dass sowohl hier als auch IV 744, Maria Magdalena und die andere Maria (Mt 28,1) als matres bezeichnet werden, obwohl erstere gar nicht Mutter ist. Auch wird die Vokabel häufig bei Schlachtbeschreibungen verwendet,10 worauf ja hier, wie Green zeigt, besonders angespielt wird. Später, v.a. in christlicher Literatur, findet sich mater mit Genitiv häufig als Ehrentitel,11 was hier aber noch kaum eine Rolle gespielt haben kann. Wichtig ist nicht ihre Person, sondern ihr Verhalten, das im nächsten Vers beschrieben wird. Nach der Auferstehung werden die matres 768 als fidae bezeichnet, ihre Treue zu Jesus, die bis über den Tod hinausreichte und letztlich belohnt wurde, hervorgehoben. Sie müssen daher, als Jesus ihnen erscheint, keine Furcht haben, da sie ihm ja diese Treue erwiesen haben; s.u. zu 772 fidis und S. 272. 6

Vgl. ibid: „quiet, patient, and soon to be rewarded (4. 768). This contrast, highlighted by the simple word matres and Juvencus’ allusive e speculis [...] captures a contrast of values between the male-oriented warfare of the Aeneid which subordinates women and makes victims of them and the more universal and internalized virtues that are highlighted, from the outset, in the gospel narratives. Christ is certainly engaged in a conflict, but it is one where the quiet virtues of faith, patience, and suffering are the victorious ones.“ 7 Luz (2002) 375. Ähnlich deutet auch Fiedler 421 die Szene. 8 Vgl. Arevalo ad loc. 9 Claud. Don. äußert sich nicht zu dieser Bedeutung, aber wortreich Aen. IX 215 über das Durchhaltevermögen der Frauen. 10 Vgl. ThLL VIII 438,83 (Bulhart 1939). 11 Vgl. ThLL VII 438,55–439,3 (Bulhart 1939).

220

Die Grablegung

Vor allem aber wirkt die Verbindung zwischen den matres, der Auferstehung und dem Kontrast zur Aeneis auch auf einer höheren Ebene. Iuvencus’ grundsätzliches Anliegen, der kriegerischen Aeneis die siegreiche Friedensbotschaft Christi entgegenzustellen, zeigt sich ähnlich deutlich wieder im Epilog, Verse 806–812; siehe weiter dort. Nicht überzeugend ist es, hinter der Auslassung der Namen Antijudaismus zu vermuten, wie es Poinsotte in seinem Abschnitt „Le Silence“ hier tut.12 Den Namen Zebedaeus gebraucht Iuvencus an anderen Stellen (I 433; III 319, 590; IV 482), und an der Auslassung des metrisch sehr sperrigen Magdalena (im gesamten Werk) ist kein planvoller Antijudaismus zu erkennen. In der altkirchlichen Exegese ist überraschend selten besprochen, dass in Mt 27,55 von drei, in Mt 27,62 von zwei Frauen die Rede ist.13 Der Dichter macht es sich leicht und übernimmt aus seiner Vorlage mulieres multae, einzig ihr Verhalten, nicht ihre Person, ist für ihn interessant. Siehe dazu auch weiter unten S. 226. Einen ähnlichen Versanfang wie hier findet man II 69f at vero e speculis miracula tanta paventes / diffugiunt. Die Schweinehirten, die am Ende der Heilung des Besessenen von Gerasa14 fliehen, werden zuvor über den biblischen Bericht hinausgehend als Zuschauer von den Anhöhen beschrieben. Es handelt sich in beiden Fällen um eine epische Ausschmückung, jeweils mit Vorbild in der Aeneis. Die Parallele zwischen jener Stelle und dieser geht aber über diese situations- und beschreibungsbedingte Ähnlichkeit nicht hinaus. Die Junktur e speculis findet sich episch vor der vorliegenden Stelle nur noch Aen. IV 586; VII 511 und Stat. Theb. XII 252. Zwischen Aen. VII 511 at saeva e speculis tempus dea nacta nocendi / ardua tecta petit stabuli, wo Allekto die Schlacht anheizt, und Iuvenc. II 69, wo die in Panik versetzten Hirten nach dem Sturz der Schweine in den See fliehen, ist eher eine bewusste Imitation denkbar als hier.

miracula tanta: Die Wendung findet sich vor Iuvencus im Epos nur Luc. X 196, beim Bibeldichter aber noch II 69 (s.o. zu e speculis matres) und III 202. Mit miracula sind die Geschehnisse gemeint, die sich während der Kreuzigung und des Sterbens Jesu ereigneten. Der Dichter amplifiziert also die Vorlage deutlich und wertet das Geschehene, auf das Matthäus gar nicht mehr explizit hindeutet. Man könnte auch wegen dieser Bindung die beiden Verse leicht zum vorherigen Abschnitt ziehen, was aus den oben in der Einleitung genannten Gründen hier nicht geschieht.

omnes, quae obsequium ... ferre: Biblisch sieht Sand die Mütter durch „Nachfolge und Dienstbereitschaft“15 gekennzeichnet; im Gegensatz zu den anderen, männlichen Jüngern (außer Petrus, der eine Sonderrolle hat, und Judas, der aus dem Kreis der Jünger schon ausgeschlossen ist) werden die Frauen überhaupt während der Passion genannt. Das passt gut zu Iuvencus’ sonst erkennbarem Verständnis vom rechten Jüngertum, denn für ihn ist der, der Jesu Gebote befolgt, sein Jünger; alles Weitere ist unwichtig; siehe dazu unten S. 374–379, S. 305–307 12 Vgl. Poinsotte 56. 13 Nur Orig. Ser. 144 (GCS 38, 297,10–20 Klostermann/Benz) stellt diese Frage und kommt zu dem Schluss, die Mutter der Söhne des Zebedäus (bzw. Salome) sei wohl zu schwach gewesen, weiter auszuharren. 14 Die einzige Perikope, die Iuvencus aus dem Markusevangelium übernimmt, nach Mk 5,1–20. 15 Sand 568.

IV 714–726

221

und S. 346–373. So kann man auch die („deindividualisierende“) Zusammenfassung der individuellen Charaktere der Vorlage als omnes, quae verstehen: implizit sind alle, die Jesus dienen möchten, bei seinem Grab versammelt. Siehe dazu auch I 429 praecepta ... sequuntur und unten zu 720 aures praebebat. Die Grablegung (IV 716–725) Mt 27,57–60: 57 Cum sero autem factum esset, venit quidam homo dives ab Arimathia, nomine Joseph, qui et ipse discipulus erat Iesu. 58 Hic accessit ad Pilatum et petit corpus Iesu. (quidam homo dives ab Arimathia, nomine Joseph, qui et ipse discipulus erat Iesu)16 Tunc Pilatus iussit reddi corpus. 59 Et accepto corpore Iesu involvit illud in sindone munda. 60 Et posuit eum in monumento suo novo, quod excidit in petra. Et advolvit saxum magnum ad ostium monumenti et abiit.

Iuvenc. IV 717–725: 716 Iam decedenti vesper succedere soli 717 coeperat, et procerum solus tum iustior audet

718 corpus ad extremum munus deposcere Christi. 719 Hic ab Arimathia, nomen gestabat Ioseph, 720 qui quondam verbis aures praebebat Iesu. 721 Pilatum tunc iste rogat, sibi cedere membra, 722 quis nuper tulerat vitam vis horrida poenae. 723 Concessit praeses, et corpus fulgida lino 724 texta tegunt saxique novo componitur antro.

725 Limen concludunt immensa volumina petrae. 716 decidenti R1 V1 V2 : recedenti K1 K2 T Bb H 717 cum C M P Huemer : qui coni. Green 723 sed C R M C2 Hl K1 K2 P P2 S T B2 Bb Mb P3 Sg Al L Mp Matr V2 Ph Bx C3 Ca N Ca2 G

decedenti … soli: Die Lesart recedenti ist, da die erste Silbe kurz gemessen wird, metrisch unmöglich, 17 decidenti ist unverständlich. Sol und decedere finden sich zusammen Verg. Ecl. II 67, Hor. Ep. I 16, 6f, Ap. Met. VIII 11, Lact. Div. Inst. VI 2, 8. succedere soli: Den Versschluss borgt Iuvencus bei Lucr. V 286 quod simul ac primum nubes succedere soli und ersetzt damit das unelegante sero factum est. Eine direkte Imitation ist kaum erkennbar, es handelt sich um eine der vielen typisch epischen Beschreibungen von Sonnenauf- und untergängen. 16 Dieser Abschnitt wird zwei Mal gedruckt, um anzuzeigen, mit welchem Vers Iuvencus das Geschilderte wiedergibt. 17 Vgl. Knappitsch ad loc.

222

Die Grablegung Durch seine große Langsamkeit mit fünf Spondeen leitet der Vers den Abend auch metrisch

ein. tum: Nur Huemer liest mit den Codices C, M und P cum. Dies ist mit dem Konnektor et aber kaum vereinbar18 und so nicht verständlich. Green schlug jüngst vor, qui zu lesen und hinter iustior ein Komma einzufügen, das zum einen ein Beispiel des „verbless relative clause favoured by Vergil“ wäre, zum anderen auf Aen. VII 536f iustissimus unus / qui fuit hinweise.19 Letztlich sei es zu bevorzugen, da tum an einer ungewöhnlichen Stelle stehe. Aus paläographischer Hinsicht ist qui allerdings nur dann zu rechtfertigen, wenn man quum als primäre Verschreibung auffasst; zudem kann tum im Gegensatz zum abgelehnten cum problemlos mit et stehen und gibt durch seine pointierte Stellung i.S.v. „dann endlich“ (tum demum) sehr guten Sinn.

procerum solus: Während für Matthäus neben dem guten Charakter des Joseph auch dessen sozialer Stand interessant ist, da auch Reiche zur Jüngerschaft Jesu gehörten,20 nutzt Iuvencus die Chance zu einem weiteren Seitenhieb auf die proceres. Die Information, dass Joseph Ratsmitglied ist, gewinnt er aus Lk 23,50f oder Mk 15,43 (siehe zu iustior und zu 720 verbis aures praebebat). Nur ein einziger der proceres hat den Anstand, Jesus „die letzte Ehre zu erweisen“. 21 Interessant ist, dass es sich nicht ausschließt, zu den proceres zu gehören und Christ zu sein. Es ist also nicht so, dass nach Iuvencus die jüdische Religion an sich verurteilenswert wäre, sondern die Taten und Inkonsequenzen Einzelner bzw. einzelner Gruppen. Es war schließlich schon im Neuen Testament ein Motiv, dass es für einen gläubigen Juden zwingend gewesen wäre, auch Jesus zu akzeptieren, dessen Ankunft die Schriften ankündigen. Zu Iuvencus’ Umgang mit dieser Frage siehe besonders unten zu 727–729 und S. 322–340. iustior: Den Komparativ sieht Knappitsch hier als ohne Unterschied zum Superlativ gebraucht.22 Hatfield dagegen bringt einige überzeugende Beispiele dafür, dass der Komparativ auch im Sinne eines in der Spätantike längst entwickelten „nachdrücklich betonten Positiv[s]“23 gebraucht wird.24 Dennoch ist ein vergleichender Aspekt nicht abzuweisen. Die einzige Information, die das Matthäusevangelium (gegenüber den anderen Evangelien) exklusiv hat, nämlich, Joseph sei reich gewesen, macht Iuvencus nicht explizit; dass ein Ratsherr grundsätzlich zur (reichen) Oberschicht gehört, darf natürlich vorausgesetzt werden. Seine Darstellung des Joseph ist von Lk 23,50f et ecce, vir nomine Ioseph, qui erat decurio, vir bonus et iustus, hic non consenserat consilio et actibus eorum, ab Arimathia civitate Iudaeae, qui expectabat et ipse regnum dei 18 19 20 21

Vgl. Knappitsch ad loc. und Petschenig (1891) 142. Vgl. Green (2010) 15. Siehe weiter Luz (2002) 377f. Vgl. Fiedler 420: „Als reicher Einwohner Jerusalems kann er sich ein Felsengrab leisten. Doch vor allem ist er durch seine Menschlichkeit ausgezeichnet,“ weiter ibid. 421, Anm. 163. Gleiches schreibt Luz (2002) 378: „Sein Beispiel zeigt nicht nur, daß es in den matthäischen Gemeinden auch Reiche gegeben haben dürfte, sondern auch, daß es offenbar für sie nicht völlig unmöglich ist, mit Gottes Hilfe den Weg durch das Nadelöhr zu finden (vgl. 19,24– 26).“ 22 Vgl. Knappitsch ad loc. 23 Kühner-Stegmann II 475, Anm. 19 und 20; zurückhaltender Leumann-Hofmann-Szantyr II 168f. 24 Vgl. Hatfield 32.

IV 714–726

223

beeinflusst. Genau wie dort wird hier Joseph von den proceres, die als Vergleichspunkt des Komparativs iustior gelten müssen, abgesetzt. Während bei Lukas allerdings zwei Aussagen getroffen werden, drängt Iuvencus diese in einer zusammen. Im Evangelium stimmt Joseph anders ab als die anderen Ratsherren; er ist zudem gut und gerecht. Iuvencus sagt über das Abstimmungsverhalten und die Meinung Josephs zunächst nichts, sondern bezeichnet ihn nun gegenüber seinen Amtsbrüdern als gerechter und trifft nur eine relative Aussage. Durch die wichtige Vokabel iustus25 wird Joseph aber zumindest in die Nähe der Jünger gerückt. In der Verwendung von procer also starke antisemitische Klischees zu sehen ist nicht nötig, erfolgt doch die Wertung Josephs über dessen Charakter. Dessen wichtigstes Element folgt hier jedoch erst mit 720 verbis aures praebebat; siehe weiter dort. extremum munus: Einen ähnlichen Ausdruck, ultima munera, gebrauchte Iuvencus schon II 20. Während die Wendung extremum munus als solche auch Verg. Ecl. VIII 60, Aen. IV 429 und Ciris 267 belegt ist, ist die Bedeutung „letzte Ehre“ außerhalb von Iuvencus erstmals bei Petrus Chrysologus, Serm. 19,5 (CCL 24, 113,70 Olivar) belegt, dort mit Bezug auf Mt 8,18–22 („lasst die Toten ihre Toten begraben“), das Iuvencus oben II 20 verarbeitet hatte. Hic ab Arimathia: Die Stellung von ab Arimathia deutet darauf hin, dass man den Ausdruck als „dieser stammte aus Arimathäa und ...“ verstehen muss. Diese explizite Nennung deutet auf die Verehrungstradition, denn bis heute wird sein Grab in der Grabeskirche in Jerusalem gezeigt. nomen gestare: Der sehr plakative Ausdruck findet sich vor Iuvencus nur Sil. XVI 607f. verbis aures praebebat: Für Iuvencus ist das Hören auf die Botschaft Jesu und das Handeln nach ihr das wichtigste Zeichen der Jüngerschaft. Einige Beispiele: Bei der Berufung der ersten Jünger I 429 ist ihre Nachfolge durch praecepta ... sequuntur zum Ausdruck gebracht; Jesus wird III 501f angeredet: o bone praeceptor, dic nunc, quae facta sequamur / ut mihi perpetuam liceat comprendere vitam; der letzte Auftrag Christi lautet in Verbindung mit der Taufe IV 798f nostra insinuate docentes / praecepta, ut vitam possint agitare perennem. Siehe auch zur Stelle, die über das Anliegen der Evangeliorum Libri Quattuor entscheidende Auskunft gibt, oben zu 715 omnes, quae obsequium ... ferre sowie unten 346–379. Das hier gebrauchte Motiv findet sich konkret I 715–717 quisque meis monitis auresque et facta dicabit, / hunc aequabo viro solidis fundamina saxis / ponenti [...], außerdem ähnlich II 547, 812 und III 147. Joseph verhält sich also wie es I 715–717 verlangt wird: Er hört Christi Worte und handelt danach. Den Begriff discipulus füllt der Dichter so also auch bei Joseph von Arimathäa mit einer festen Eigenschaft und ruft seine Leser zur Nachahmung auf. Bei Lukas und Markus heißt es von Joseph, er warte auf das Reich Gottes. 26 Darauf gestützt führt Iuvencus hier seine eigene Idee von echter Jüngerschaft ein. Arevalo will ferner auf Grund

25 Siehe zu iustus oben 594 iusti. 26 Matthäus gibt diesen Aspekt nach Fiedler 420 nicht wieder, um einen stärker christologischen Schwerpunkt zu setzen. Siehe auch Luz (2002) 377f.

224

Die Grablegung

des Metrums praestabat statt praebebat lesen, wobei sein Argument, praebebat sei metrisch unpassend, nicht nachvollziehbar ist.27 Zudem finden sich für aures praebere zahlreiche Belege.

membra: Wie schon häufiger 28 für corpus verwendet, hier nicht aus metrischen, sondern stilistischen Gründen; siehe weiter oben S. 208–217. quis nuper ... vitam: Vers 722 geht ganz auf Iuvencus zurück, der durch Josephs Frage auch erneut auf die Kreuzigung zurückverweist, gewissermaßen einen „Durchblick“29 bietet. Es bieten sich zwei Erklärungsmöglichkeiten für den Vers. Entweder wird Josephs Rede vor Pilatus referiert und damit seine Motivation angegeben: wegen der grausamen Strafe will er wenigstens ein ordentliches Begräbnis erwirken. Oder es handelt sich um einen auktorialen Zusatz im Stile von 634 quod dare tum licitum, cum sanguis distraheretur oder 655f quo dominum lucis iussis suffigere saevis / instans urgebat saecli immutabilis ordo (s. weiter jeweils dort). Sowohl aus Josephs als auch aus der auktorialen Perspektive ist dieser Zusatz als epische amplificatio verständlich, und auch in letzterem Fall ist gut möglich, dass Joseph fokalisiert.30 Da dieser aber schon einmal durch iustior von seinen Amtsbrüdern positiv abgesetzt wurde (s.o. zu 717 iustior), bevorzuge ich hier die erstere Erklärung. tulerat vitam: Tulerat kann keinesfalls schlicht „bringen“ bedeuten. Man muss hier tulerat wie abstulerat im Sinne eines simplex pro composito verstehen. Für eine solche Vermischung zwischen ferre und tollere, vor allem im Perfekt, gibt es zahllose Belege.31 Iuvencus gebraucht nur hier ein Perfekt von ferre, I 554 cede libens pariterque ferat tua pallia secum ist ferat jedoch wie auferat zu verstehen. vis horrida poenae: Arevalo verweist auf vis livida für den Teufel I 384. 32 Vis horrida mit Genitiv findet sich vor Iuvencus nur bei Lucr. III 170 vis horrida teli. Lukrez argumentiert an der genannten Stelle für die Körperlichkeit der Seele. Möglich, aber wegen der schwachen Parallele nicht schlagend ist hier ein Kontrast zwischen der Vergänglichkeit der Seele bei Lukrez und der Auferstehung bzw. der Dauerhaftigkeit der Seele nach christlicher Überzeugung.

praeses: Pilatus spielt persönlich weder für Matthäus noch für Iuvencus hier eine Rolle, so dass er statt durch seinen Namen nur durch seine Funktion bezeichnet werden kann; zu seiner sonstigen Wertung siehe oben zu 618 vi victus, 625 victus und S. 87–89 sowie unten zu 730 onerantque simul sic iudicis aures. et: Knappitsch lehnt sed als sinnlos und durch Dittographie entstanden ab.33 Hanssons Beispiele dafür, dass sed auch ohne adversative Bedeutung für et in der Vorlage gebraucht wird, ver-

27 Vgl. Arevalo ad loc. 28 Vgl. ThLL VIII 634,39f (Hofmann 1939) saepe tamen (praecipue ap. poetas) plur. collectivus ponitur pro corpore. 29 So Röttger 122 zu den Versen 655f, siehe weiter dort. Von „Meditation“ zu sprechen (Herzog (1975) 146) geht dagegen angesichts eines sich so gut einfügenden und knappen Zusatzes zu weit. 30 Siehe zu Ironie und Fokalisierung oben S. 172–178. 31 Vgl. ThLL VI 529,42–559,41 (Hey 1915). 32 Vgl Arevalo ad loc. 33 Vgl. Knappitsch ad loc.

IV 714–726

225

mögen hier nicht zu überzeugen, da oft zumindest ein leichter Gegensatz erkennbar ist.34 Einen solchen zwischen den glänzenden Gewändern und der vis horrida poenae anzunehmen ginge angesichts der Satzlogik aber zu weit; siehe andererseits unten zu 736 sed.

fulgida lino texta: Lino bezeichnet das Material der texta, wobei das Partizip als Substantiv gebraucht wird.35 Fulgida ist dabei eine starke Kontrastierung zur Hässlichkeit des Todes (siehe oben zu et), zugleich auch ein Vorverweis auf die Herrlichkeit der Auferstehung. novo ... antro: Jesu Grab ähnelt dem des Lazarus, das Iuvencus IV 372f als sepulchrum / rupe sub excisa beschreibt.36 Es handelt sich jeweils um Höhlengräber,37 die Entsprechung ist auch in der Vorlage (bei Lazarus Joh 11,38) festzustellen. Siehe zu weiteren (wohl eher situationsbezogenen als theologischen) Parallelen zwischen Jesus und Lazarus zur Beschreibung der Auferstehung unten zu 759 nulla istic ... membra und 762 laetum. componitur: Componere für sepelire ist nicht selten;38 episch auch Val. Flacc. VII 207f und Iuvenc. IV 377.

limen concludunt immensa volumina petrae: Es handelt sich um eine Enallage für immensae volumina petrae, wobei die Wortwahl, wie Widmann feststellte, auf Aen V 408 huc illuc vinclorum immensa volumina versat zurückgeht.39 Dort rüstet sich Eryx zum Faustkampf. Eine Kontrastimitation zu sehen ist allerdings kaum sinnvoll, wenn auch Roberts – sehr vorsichtig – dem Grab eine „special monumentality and superhuman status“ durch den Vergleich mit dem legendären Heroen zuweisen möchte.40 Die Größe des Steins ist in der altkirchlichen Exegese kaum Thema, nur Origenes erwähnt sie, wenn er sagt, der Stein sei nicht von insidiantes, sondern nur von Engeln zu bewegen gewesen. 41 34 Vgl. Hansson 57f. Er verweist u.a. auf II 278–281 Tum mulier: „sanctum te certum est esse profetam.“ / Sed nostri istius venerandum montis in arce / praeceptum nobis quondam liquere parentes / at vos in Solymis orandum dicitis oris für Joh 4,19f dicit ei mulier: „Domine, video quia propheta es tu.“ Patres nostri in monte hoc adoraverunt et vos dicitis quia Hierosolymis est locus ubi adorare oportet. Zwischen dem Verhalten der Samariter und dem der Israeliten gibt es einen eindeutigen Gegensatz. Weniger deutlich ist I 731–735 Denique linquentem celsi fastigia montis / stipabat gaudens populorum turba sequentum / ecce sed horrenda confixus viscera tabe, / quem toto obsessum foedarat corpore lepra, / procubuit venerans iuvenis Christumque precatur für Mt 8,1f cum autem descendisset de monte secutae sunt eum turbae multae et ecce leprosus veniens adorabat eum dicens [...]. Dort beschreibt sed höchstens den Gegensatz im Verhalten: während die Masse Jesus nur folgt, wirft dieser eine Aussätzige sich vor ihm nieder. Weiter nennt Hansson (ohne eigenen Anspruch auf Vollständigkeit) I 443 (Mt 4,24), II 7 (Mt 8,16), 44 (Mk 5,2), 130 (Joh 2,3), 361 (Mt 9,14). 35 Knappitschs Fußnote, in der er fulgido lino texta schreibt, deutet darauf hin, dass er eine Enallage annahm, die verständlich, aber nicht nötig ist. 36 Vgl. Opelt 206f. 37 Siehe zu Gräbern in Israel und im Westen oben zu 707f repulsis / obicibus. 38 Vgl. ThLL III 2116,22–56 (Hofmann 1911). 39 Vgl. Widmann 61. 40 Vgl. Roberts (2004) 56f. 41 Vgl. Ser. 143 (GCS 38, 297,1–5 Klostermann/Benz) Volvit autem Ioseph non lapides multos ad ostium monumenti sed unum, et magnum, et maiorem quam poterat esse insidiantium virtus, non tamen maiorem quam virtus erat angeli descendentis de caelo et revolventis ab eo lapidem, et sedentis super eum [...]. – „Joseph aber wälzte nicht viele Steine vor den Eingang

226

Die Grablegung

Siehe zum Verschlusstein und was mit ihm geschieht weiter unten zu 741 saxique ingentia pondera volvunt. Die beiden Szenen sind sachlich, aber auch durch die Wortwahl (hier volumina, dort volvunt) verbunden. Abschließende Rahmung (IV 726) Mt 27,61: Erat autem ibi Maria Madgalena et altera Maria sedentes contra sepulcrum.

Iuvenc. IV 726 E speculis servant matres et cuncta tuentur.

e speculis … matres: Siehe oben zu 714 e speculis matres und unten S. 226. servant … cuncta: Die Verse 714 und 726 sind sehr ähnlich, entsprechen sich aber nicht vollkommen. Hier von miracula zu sprechen wäre unsinnig, so dass durch cuncta und servant der Rahmen e speculis … matres … tuentur aufgefüllt wird. Servant passt zudem zur Charakterisierung der Frauen 715 obsequium … quae ferre solebant. Sie weichen nicht von Christi Seite, sondern geben Acht auf alles, was mit ihm geschieht. DIE MATRES ALS IMPLIZITE LESER UND VORBILDER FÜR DIE REZIPIENTEN Die vorliegende Perikope wird, wie oben gesagt, von den Versen 714f und 726 gerahmt. Dort wird jeweils berichtet, wie die matres das Gesehene betrachten. Dies geschieht jeweils gut vorstellbar e speculis, das Geschehen ist im ersten Falle näher als miracula tanta – noch auf die Kreuzigung bezogen – definiert, im zweiten durch cuncta ausgedrückt. Somit sind die matres die ersten Rezpienten und, neben dem Hauptmann vor dem Kreuz, die ersten Gewährsleute des Geschehens. Dass sie dabei nicht alles wahrnehmen können, was zwischen den rahmenden Versen geschildert wird, z.B. das Gespräch zwischen Joseph von Arimathäa und Pilatus, spielt eine untergeordnete Rolle; dem Leser bieten sie eine Perspektive, die übrigen Geschehnisse zu betrachten. Somit wird der Leser auch gleich angeregt, sich mit ihnen und ihrem Verhalten zu identifizieren, also auch zu handeln wie sie. Dadurch, dass der Leser Jesu Taten und Passion betrachtet – wenn auch nicht wie die matres direkt, sondern nur indirekt vermittels des evangelischen Berichtes bzw. des Iuvencustextes –, ist auch er dazu aufgerufen, nun Christi Worten und Vorbild Folge zu leisten (obsequium ferre). Diese Vorbildfunktion der matres endet nicht hier, sondern erstreckt sich noch auf den weiteren Karsamstag und den Ostermorgen. Dazu Luz: „Die Leser/innen werden diese zweite des Grabes, sondern einen, und zwar einen großen, der größer war als die Kraft derer sein konnte, die ihm nachstellten, nicht aber größer als die Kraft des Engels, der ‚vom Himmel‘ herabstieg und ‚den Stein‘ vom Grab wegwälzte und sich ‚auf ihn setzte‘ [...]“ (Übersetzung Vogt 1993).

IV 714–726

227

Notiz über sie wieder als eine Leerstelle empfunden haben. Für diejenigen unter ihnen, welche die Geschichte noch nicht kennen, weckt sie Spannung, während sie die Gedanken derjenigen, welche sie bereits kennen, zum Ostermorgen hinlenkt. Erst dann wird sich herausstellen, wie wichtig diese beiden Frauen für die Geschichte sind, die Gott mit Jesus vorhat.“42 Es zeigt sich in der kurzen Betrachtung dieser Figuren die für Iuvencus essentielle Verzahnung von literarischem Mittel (nämlich der Gestaltung der „internen Rezipienten“) und katechetischer Funktion (Aufruf zur Christusnachfolge). Siehe dazu weiter unten S. 346–379. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Der Dienst der Frauen Die Mütter werden in der Exegese der Alten Kirche häufig gelobt. Vielfach versuchen die Exegeten, der Nennung der einzelnen Frauen, vor allem ihrer Namen, einen besonderen Sinn abzugewinnen, was aber für Iuvencus, der diese nicht nennt, keine Rolle gespielt haben kann. Als wichtig erweist sich aber für den Dichter gerade, dass die Frauen im Gegensatz zu allen anderen noch bei Christus sind und sich ihm als dienstbar erweisen (715 obsequium Christo quae ferre solebant). Auch dieser Dienst wird vielfach gelobt. Beispielhaft seien einige besondere Interpretationen herausgegriffen. Origenes stellt gerade die dienende Dimension in den Vordergrund, vgl. in Matth. frg. 563 (GCS 41, 232,10–14 Klostermann/Benz) πολλῶν δὲ οὐσῶν κατ’ ἐξοχὴν ὠνομάσθησαν αἱ μᾶλλον θεωροῦσαι καὶ μᾶλλον διακονοῦσαι καὶ κρεῖττον ἀκολουθοῦσαι.43 Weiter vergleicht er den Dienst der Frauen, den er auf jeden, der so handelt, erweitert, gar mit dem der Engel, vgl. Ser. 141 (GCS 38, 293,20–27 Klostermann/Benz) „secutae sunt Iesum“ non otiosae, sed facientes quae mandabantur ab eo, et delectabant eum; „ministrantes“ enim sequebantur eum. Omnis autem anima divisionem gratiarum et ipsum dominum participans, ministrat Iesu ministerium simile ministeriis angelorum. Bei Hieronymus werden die Frauen positiv gegenüber den Aposteln abgesetzt, so in Matth. IV 27,61 (CCL 77, 278,1890–1893 Hurst/Adriaen) ceteris relinquentibus Dominum, mulieres in officio perseverant, exspectantes quod promiserat Iesus, et ideo meruerunt primae videre resurgentem, quia „qui perseveraverit usque in finem hic salvus erit“(vgl. Mt 10,22; 24,13); Gleiches findet sich Ambr. in Luc. X 132 (CCL 14, 383,1264–384,1266 Adriaen), der darin, dass die Frauen sich der Gefahr aussetzen, ihre „Mütterlichkeit“ begründet sieht. Ähnlich wie Iuvencus fordert er seine Leser zur Nachahmung auf: Docet lectio quid maternus debeat adfectus imitari [...], ut illae se offerant in filiorum periculis [...]. Ambrosius verzichtet im Folgenden aber nicht auf Klischees, vgl. in Luc. X 144f 42 Luz (2002) 382. 43 „Weil es viele waren, wurden entsprechend ihrer besonderen Bedeutung die genannt, die mehr sahen, mehr dienten und entschiedener folgten.“

228

Die Grablegung

(CCL 14, 387,1376–1379 Adriaen) Sollicitae tamen et a monumento posteriores recedunt et ad monumentum priores revertuntur. Etsi deest constantia, non deest diligentia. Sexus nutat, devotio calet.44 Ebenso argumentiert Johannes Chrysostomos, der die Frauen trotz und wegen ihres Geschlechts in einer besonders prominenten Rolle sieht, vgl. Hom. in Mt. 88,2 (PG 58, 777) ταῦτα θεωροῦσιν αἱ γυναῖκες γινόμενα, αἱ μάλιστα συμπαθέστεραι, αἱ μάλιστα θρηνοῦσαι. Καὶ σκόπει πόση αὐτῶν ἡ προσεδρεία. Ἠκολούθουν αὐτῷ διακονούμεναι, καὶ μέχρι τῶν κινδύνων παρῆσαν. [...] Καὶ αὗται πρῶται ὁρῶσι τὸν Ἰησοῦν, καὶ τὸ μάλιστα γένος κατακριθὲν τοῦτο πρῶτον ἀπολαύει τῆς τῶν ἀγαθῶν θεωρίας· τοῦτο μάλιστα ἐπιδείκνυται τὴν ἀνδρείαν. Καὶ οἱ μὲν μαθηταὶ ἔφυγον, αὗται δὲ παρῆσαν.45 Joseph von Arimathäa Während auf Grund der Beschreibung Josephs als iustior (717) und als jemand, der „sein Ohr Christi Worten geneigt hatte“ (720), eine Parallelität zwischen ihm und den anderen Jüngern oder gar Aposteln angenommen werden kann, scheint er bei den Kirchenvätern kaum Beachtung gefunden zu haben. Zwar spielt seine Identität als Reicher oder als Ratsherr (etwa für Hier. in Matth IV 27,57 (CCL 77, 278,1869–1872 Hurst/Adriaen) bisweilen eine Rolle, zu seiner Jüngerschaft im Besonderen äußern sich aber nur wenige, z.B. Hil. in Matth. 33,8 (SC 258, 258,7– 9 Doignon) Ioseph apostolorum habet speciem et idcirco quamquam in duodecim apostolorum numero non fuerit, discipulus Domini nuncupatur.46 Ambrosius äußert sich in Luc X 136–141 deutlich und ausnehmend und in Abgrenzung von den Aposteln über Nikodemus, 47 besonders aber über die iustitia Josephs von Arimathäa, die ihn ja auch bei Iuvencus im Besonderen auszeichnete. AUSBLICK Sedulius schildert die vorliegende Passage gar nicht, sondern geht nach einer kurzen Nennung des Begräbnisses (Carm. Pasch. V 295f) mit einer erneuten Ankün44 „In Unruhe versetzt entfernen sie sich dennoch sowohl später vom Grab als auch kommen sie früher zum Grab zurück. Wenn auch die Standfestigkeit fehlt, fehlt nicht die Sorgfalt. Ihr Geschlecht schwankt, aber ihre Hingabe ist glühend.“ 45 „Die Frauen, die doch ungemein mitfühlend, ungemein geneigt zum Weinen sind, sehen die Vorgänge mit an. Beherzige auch, wie anhänglich sie sind. Sie hatten den Herrn begleitet und bedient und blieben auch in Gefahr an seiner Seite [...]. Diese Frauen sehen Jesum zuerst wieder; das am härtesten vom Fluche getroffene Geschlecht genießt zuerst den Anblick seines Lohnes; sie sind es, die am meisten Mut an den Tag legten. Die Jünger waren geflohen, sie harrten bei ihm aus“ (Übersetzung Naegle). Ähnlich auch Hom. in. Joh. 85,4 (PG 59,464f) ausdrücklich über Maria Magdalena. 46 „Joseph hat die Merkmale der Apostel und wird deshalb, auch wenn er nicht in der Zwölfzahl der Apostel war, als Jünger der Herrn bezeichnet.“ 47 Siehe zu dessen Rolle bei Iuvencus Heinsdorff 91–213, anders Poinsotte 212–226.

IV 714–726

229

digung der Auferstehung (Carm. Pasch. V 297) gleich zur Bewachung des Grabes durch die Gegner Jesu über. Siehe weiter unten S. 242.

DIE BEWACHUNG DES GRABES (IV 727–742) EINPASSUNG DER SZENE Die Erzählfolge des Matthäusevangeliums ist nicht verändert. Mit einem typisch epischen Sonnenaufgang lässt Iuvencus den Sabbat, an dem sich das auf Jesu Tod und Begräbnis Folgende abspielt, beginnen, um nach der Szene ebenso poetisch den nächsten Tag folgen zu lassen; siehe dazu unten S. 244 und S. 320. Moderne Bibelkommentare sehen die vorliegende Szene (überzeugend) einhellig als spätere Einfügung, um der jüdischen Polemik zuvorzukommen, die Jünger seien Grabräuber; ebenso natürlich auch als Vorbereitung von Mt 28,11–15, dem zweiten Teil der dann antijüdischen Polemik, man habe die tatsächliche Auferstehung als Grabraub verheimlichen wollen. Zur Frage, inwiefern sich Iuvencus diese Polemik zu eigen macht oder gar verstärkt, siehe neben dem vorliegenden Kapitel auch unten S. 322–340. KOMMENTAR Sonnenaufgang und Einleitung (IV 727–729) Mt 27,62a: Altera autem die, quae est post parasceuen (conveniunt principes sacerdotum et Pharisaei)1

Iuvenc. IV 727–729: 727 Iamque dies rutilo complebat lumine terras, 728 otia qui semper prisca de lege iubebat, 729 nulla sed inmitis procerum furor otia servat.

iamque dies ... servat: Der Gegensatz zwischen Schlaf und Wachen, hier verarbeitet als Gegensatz zwischen Ruhe und Aktivität, ist ein im Epos unzählbar häufig auftretendes Motiv, dessen bekannteste Beispiele Ap. Rhod. III 743–750 (Medea kann wegen Jason nicht schlafen), Aen. IV 522–532 (Dido wegen Aeneas) und Stat. Silv. V 4 (der schlaflose Dichter bittet Somnus um seine Gabe) sein dürften. 2 iamque dies ... terras: Wie immer gestaltet Iuvencus den Sonnenaufgang episch aus. Huemer verweist auf Aen. IX 459 et iam prima novo spargebat lumine terras. Während die wörtliche Imitation sich auf den Versschluss lumine terras 1 2

Den Halbvers drucke ich hier und im nächsten Absatz, da die in der Vorlage nach dem Verb genannten principes sacerdotum et Pharisaei bei Iuvencus vor ihrer Handlung eingeführt werden. Mehr Beispiele finden sich bei Pease 434–436.

IV 727–742

231

beschränkt, ist die syntaktische Struktur des Verses (Beginn mit iamque bzw. et iam, rutilo entspricht novo, complebat entspricht spargebat) sehr ähnlich. Eine inhaltliche Anspielung ist nur knapp erkennbar: In der Aeneis stachelt Turnus sein Heer weiter an (vgl. Aen. IX 462f Turnus in arma viros armis circumdatus ipse / suscitat), während hier die Oberen keine Ruhe geben, sondern weiter gegen Jesus agitieren. Für die Bezeichnung des Lichts als rutilum findet sich vor Iuvencus nur eine Parallele, nämlich Cic. Aratea 107f namque pedes subter rutilo cum lumine claret / fervidus ille canis. Die rote Farbe des Lichtes kann dabei, da sie auf Leben und Macht hindeutet3 und zu allen Zeiten mit der (eigentlichen und metaphorischen) Sonne assoziiert wurde,4 in beide Richtungen deuten, da die vorliegende Szene genau zwischen Tod und Auferstehung steht. Zu der Zeit, in der Jesus im Grabe liegt, zeigt sich erneut die Sympathie der Natur, die den grausamen Tod Jesu, aber auch seinen kommenden Sieg reflektiert. complebat terras: Siehe zur Vorstellung vom Anfüllen der Erde mit Licht oben zu 587 terras ... implens.

prisca de lege: Siehe zum Umgang mit der jüdischen lex unten S. 322–340. Die Präposition de ist überflüssig,5 aber weder in der Spätantike, die de freier gebrauchte als die Klassik, noch bei Iuvencus unüblich.6

nulla sed ... servat: Iuvencus lehnt nicht den Sabbat an sich ab, sondern nutzt ihn als Mittel der Polemik, den jüdischen Oberen die Verletzung der Sabbatruhe vorzuwerfen. Zunächst amalgamiert er die Hohenpriester und die Pharisäer zu proceres. Mag eine Unterscheidung dieser Gruppen für Matthäus noch eine (geringe)7 Rolle gespielt haben, genügt es für Iuvencus, sie als diffuse Gruppe von proceres zu bezeichnen (siehe dazu unten S. 334), aus denen im letzten Absatz nur Joseph von Arimathäa positiv herausragte. Iuvencus geht in einigen Aspekten über Matthäus hinaus. Zunächst löst er die Bezeichnung des Tages als die[s], quae est post parasceuen auf, zum einen, um deutlicher zu machen, dass es sich um den Sabbat handelt, zum anderen, um das Gebot der Sabbatruhe in Vers 728 inklusive einer respektvollen Erwähnung des Gesetzes eindeutig zu nennen. Den gebotenen otia am Beginn von Vers 728 steht dann zu Beginn des Verses 729 nulla pointiert entgegen. Die jüdischen Oberen wenden sich also nicht nur gegen Jesus, sondern verletzen bei ihrem Handeln gegen ihn sogar ihr eigenes Gesetz! Ähnlich interpretiert Origenes (und evtl. auch Iuvencus) den späteren Betrug, siehe unten zu 778 sed manus amens. 3 4

5 6 7

Vgl. C. Rowe, Colour in the Ancient World, in: A. Portmann / R. Ritsema (Hgg.), The Realms of Colour, Leiden 1974 (Eranos 1972), 327–357. Vgl. E. Wunderlich, Die Bedeutung der roten Farbe im Kultus der Griechen und Römer. Erläutert mit Berücksichtigung entsprechender Bräuche bei anderen Völkern, Gießen 1925, 96–108. Deutlich ausführlicher H. Stulz, Die Farbe Purpur im frühen Griechentum. Beobachtet in der Literatur und in der bildenden Kunst. Stuttgart 1990 (BzA 6, Diss. Köln 1990), besonders die Literaturhinweise dort 8–14. Vgl. Knappitsch ad loc. Vgl. Colombi (1997b) 10–13. Es ist communis opinio der modernen Exegese, dass die Hohenpriester und die Pharisäer kaum zusammengearbeitet hätten; schon Matthäus scheint diese Trennung aber nicht ernstzunehmen.

232

Die Bewachung des Grabes

Einen ähnlichen Vorwurf gegen Jesu Jünger wegen des Ausreißens von Ähren am Sabbat (Mt 12,1–8) entkräftet das Evangelium; Iuvencus drückt den berechtigten Ruf nach Ruhe am Sabbat ähnlich aus wie hier, vgl. II 564f Ille dies veteri poscebat lege quietem, / sabbata nam priscis repetebant otia iussis,8 Jesus wird aber gleich darauf II 568 legum completor genannt und bringt das Beispiel Davids, der die Schaubrote im Tempel isst (Mt 12,3f). Seinen Gegnern fehlt diese Rechtfertigung. Dadurch wird nicht das gesamte jüdische Gesetz aufgelöst, sondern nur je nach Situation (durch Jesus richtig) interpretiert. Für das (falsche) Verhalten der proceres liefert Iuvencus dem Leser eine psychologische Begründung. Zu Grunde liegt nämlich wiederum der furor, der schon oft Erklärung für Feindschaft Jesus gegenüber war; siehe zur Wertung des Gesetzes sowie einem möglichen furor Iudaicus unten S. 322–340. Das Lukas- und das Johannesevangelium äußern sich aus anderer Perspektive über das Halten des Sabbats. Lk 23,56 berichtet, die Frauen hätten den Sabbat nach der Grablegung gehalten, Joh 19,42 spricht von der Grablegung „wegen des Rüsttages“. Für Iuvencus ist das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Umgang der proceres mit ihrem eigenen Gesetz und die damit verbundene Ironie (siehe dazu unten S. 240) wichtiger als der Charakter der Frauen, der in der vorherigen Perikope zu Genüge besprochen wurde. Er greift zwar in seine Vorlage interpretierend ein, jedoch, wie meistens, nicht auf ein anderes Evangelium zurück. Für einen geneigten Leser wirken die proceres hier allerdings als Folie, gegenüber der die richtig handelnden Frauen, von denen gerade noch die Rede war, abgesetzt werden; ein Eindruck, der für einen mit dem Lukasevangelium gut vertrauten Leser noch stärker sein dürfte. Die Rede der Hohenpriester vor Pilatus (IV 730–738)9 Mt 27,62b–64: 62b convenerunt principes sacerdotum et Pharisaei ad Pilatum 63 dicentes: „Domine, rememorati sumus, quod seductor ille dixit adhuc vivens: Post tertium diem resurgam.‘ 64 Iube ergo custodiri sepulcrum usque in tertium diem, ne forte veniant discipuli eius et furentur eum et dicant plebi: ‚Surrexit a mortuis, 8 9

Iuvenc. IV 730–738: 730 Conveniunt onerantque simul sic iudicicis aures: 731 „Erroris laqueos iustissima poena resolvit. 732 Nunc meminisse decet, quoniam planus ille solebat 733 vulgari semper iactans promittere plebi, 734 e mortis sese tenebris ad lumina vitae 735 cum trino solis pariter remeare recursu. 736 Sed petimus, custos miles nova funera servet, 737 ne fera discipulis furandi audacia corpus

Vgl. Poinsotte 94 Anm. 305. Wiefel 486 fasst den Dialog zwischen den Hohenpriestern und Pilatus in einem Gliederungspunkt zusammen, ich entscheide mich, da der Dialog deutlich zweigeteilt ist, und aus praktischen Gründen für eine weitere Unterteilung.

IV 727–742 et erit novissimus error peior priori.‘“

233

738 consurgat turbetque recens insania plebem.“ 734 limina Hl P H 736 hoc R1 Hl K21 P2 T1 Sg Matr V2 Ph Marold Hansson 738 replens R1 T B1 Bb1 L V1 V2 in marg.

conveniunt onerantque: Iuvencus leitet sowohl diesen Vers als auch Vers 741 mit conveniunt und einer weiteren Handlung ein. So eng zusammen findet sich conveniunt mit einem anderen Verb zuvor nur Ov. Fast. II 657: conveniunt celebrantque dapes. onerantque simul sic iudicis aures: Knappitsch verweist auf Hor. Sat. I 9f est brevitate opus, ut currat sententia neu se / impediat verbis lassas onerantibus auris. Dort mahnt Horaz zur Kürze. Im Sinne von „in den Ohren liegen“ ist die Wendung aures onerare sonst nur Prop. II 30,15 antiquis onerantur legibus aures belegt. So nutzt Iuvencus die Signalwirkung wörtlicher Reden (siehe unten S. 319), hier wie oben in Vers 676 motuque caput linguasque ... quatiunt besonders negativ eingeleitet. Mit dem vorliegenden Vers bestimmt er erneut das Verhältnis zwischen den Oberen und Pilatus sowie dessen (Un-)schuld an der Passion. Der Dichter hat auf die Nennung dessen Namens bewusst verzichtet, um den Blick noch weniger auf den Statthalter zu richten. Die Anrede Domine, die davon zeugt, dass die Macht ja eigentlich bei Pilatus liegt, wird getilgt. Dass der Statthalter die Möglichkeit hatte, dem Drängen der Juden nicht zu entsprechen, wird also verwischt. Es sind die Oberen alleine, die Pläne schmieden und die dem anscheinend unwilligen Pilatus diese aufdrängen (siehe oben zu 618 vi victus und 625 victus sowie S. 87–89, unten zur Auslassung von Mt 28,14f nach 783), ihn schlicht überreden; Poinsotte spricht gar von „une entreprise d’intimidation“.10 erroris laqueos iustissima poena resolvit: Schon III 12 gebrauchte Iuvencus die Wendung erroris laqueos, die bei ihm zum ersten Mal belegt ist, bei der Deutung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen (nach Mt 13,36-42) und III 402 bei der Warnung vor Verführung zum Abfall (Mt 18,6–9) als Ausdruck für die Verführung zum Bösen. Den gesamten Vers 731 fügt er dem Matthäusevangelium gegenüber hinzu und gibt dem Leser so einen Einblick in das Denken der Oberen, den er sich zugleich wieder ironisch zu Nutze macht. Es ist doch nicht Jesus, der eine gerechte Strafe verdient hat, da er zum Abfall verführte, sondern die Oberen, 11 die das Gesetz missachten (zum Beispiel gerade das der Sabbatruhe) und sich gegen den Gerechten (iustus war schon öfter, z.B. 642, als Epitheton Jesu aufgefallen)12 wendeten. Damit spricht Iuvencus die Emotionen der Leser an und provoziert durch diese offenkundige Paradoxie Empörung. 10 Poinsotte 134 Anm. 436. 11 Eine solche Ironie sah Sand 572 Mt 27,64c: „[...] und dieser letzte Betrug wäre noch schlimmer als alles zuvor.“ Dort nämlich unterstellen die jüdischen Oberen den Jüngern einen Betrug, während sie selbst einen begehen. Genauso ist an verwandter und sehr nahe liegender Stelle die Wendung erroris laqueos zu verstehen. 12 Vgl. Green (2006) 120–122.

234

Die Bewachung des Grabes

decet: Hier wie zu I 351–353 Dixit Iohannes, cui talia reddit Iesus: / „nunc sine, nam decet hoc, sic sancta per omnia nobis / iustitiae consectandus complebitur ordo“ mit moralischem Unterton, nur diesmal aus Sicht der Gegner Jesu, gebraucht.13 Weitere Belege bei Iuvencus gibt es nicht, so dass über seinen Umgang mit der Vokabel sonst keine Aussage getroffen werden kann.

quoniam: Vgl. I 379 nam memini scriptum, quoniam non sola tenebit [...]. In der Spätantike, vor allem im Christentum, da die Vetus Latina häufig ὅτι mit quia oder quoniam wiedergibt, wird der AcI bisweilen durch diese Konstruktion verdrängt.14 planus: „πλάνος, praestigiator, circulator“,15 besser wohl „deceptor, fraudator“.16 Möglicherweise griff Iuvencus hier auf den griechischen Matthäustext zurück, in dem sich πλάνος findet. Lateinisch wird die Vokabel bei den Kirchenvätern ganz gebräuchlich. Die Bezeichnung Jesu als Aufschneider (auch durch iactans) und Scharlatan wendet sich durch die Auferstehung, die den Beweis für seine Sendung liefert, gegen seine Gegner;17 siehe zur Ironie unten S. 240. vulgari ... plebi: Nach Knappitsch gebraucht Iuvencus hier das Adjektiv vulgaris, weil Jesus ja wirklich gemeines Volk um sich scharte. 18 Die Herkunft der Jünger ist bei Iuvencus aber nie über die Vorlage hinausgehend ein Thema. Eher ist daran zu denken, dass der Dichter den Oberen eine möglichst despektierliche Rede in den Mund legt, um bei seinen Lesern Empörung und Ablehnung zu provozieren. Gleiches gilt auch für iactans, das ja auf Jesu Verhalten nicht zutrifft. Wieder ist die Gegenüberstellung von vulgaris plebs und proceres mit Ironie durchzogen: im Gegensatz zur Oberschicht hat das gemeine Volk die Wahrheit erkannt; vgl. II 550f Celasti nunc quod sapientibus ista superbis / parvulaque infantum vis haec comprendere corda für Mt 11,25 quia abscondisti haec a sapientibus et prudentibus et revelasti ea parvulis. Die verächtliche Geisteshaltung der sapientes superbi dort ist auch hier bei den proceres erkennbar. e mortis ... tenebris ad lumina vitae: Vom „Schatten des Todes“ ist in der liturgischen Übersetzung des Lobgesanges des Zacharias (Lk 1,79) die Rede, und auch Iuvencus gebraucht bei dessen Wiedergabe I 128 mortisque tenebras. Ähnlich heißt es IV 334 mersasque atris de morte tenebris / germanas luctus lacrimosaque tecta tenebant für Joh 11,17 invenit eum quattuor dies iam in monumento habentem. Direkte Parallelen finden sich bei Luc. III 714 mortisque illas putat esse tenebras und Apul. Met. VI 31 mortisque quidem maturatae festinas tenebras accersere. Hier ist, ähnlich Tert. de Spect. 26,4 (CCL 1, 249,12f Dekkers) quid luci cum tenebris, quid vitae et morti, der Dunkelheit des Todes das Licht des Lebens entgegengestellt. Röttger schweigt in seiner Untersuchung der Lichtmotivik bei Iuvencus zur vorliegenden Stelle größtenteils, zeigt aber in sei13 Vgl. ThLL V 135,41–136,12 (Gudeman 1910) zur Unterscheidung zwischen generatim i.q. congruens, conveniens, aptus [...] und speciatim i.q. pulcher, decorus [...]. 14 Vgl. Leumann-Hofmann-Szantyr II 578 Anm. 3. Quia ist allgemein häufiger als quoniam, Letzteres jedoch belegt; vgl. Fichtner 124f. 15 Knappitsch, ad loc. 16 ThLL X 2347,8f (Reineke 2005). 17 Vgl. Santorelli (2011) 423f. 18 Vgl. Knappitsch ad loc.

IV 727–742

235

nem Rück- und Ausblick durch die Zahl der Belege, dass „ins/zum Licht gelangen/bringen“19 ein besonders häufiges und populäres Motiv bei Iuvencus ist, z.B. für die Auferweckung des Lazarus IV 345 Lazarus haec vitae recidiva in lumina surget. Zwischen Lazarus und Jesus gibt es ohnehin einige (wohl eher situationsbezogene als theologische) Parallelen: s. oben zur Beschreibung des Grabes 724 novo ... antro, unten zu 740 tellure sepultum und zur Beschreibung der Auferstehung 759 nulla istic ... membra und 762 laetum. Während hier lumina neben tenebris auch angesichts der Variante limina nicht bestreitbar sein kann, lohnt sich wohl ein kurzer Überblick über die anderen derartigen Stellen (nur lumen / limen vitae, nicht lumen / limen im Allgemeinen; zu letzterem Problem siehe oben zu 574 primo sub limine cernens). Die Junktur taucht noch IV 27f si venient igitur cuncti sub limina vitae, / cuius conubiis mulier reddenda resurget, 345 Lazarus haec vitae recidiva in lumina surget, 440– 442 miserabilis ille per aevum, / qui iustum dedet; quanto felicior esset, / si numquam terris tetigisset lumina vitae und 756f Surrexit Christus aeternaque lumina vitae / [...] recepit auf. Im Epos vor Iuvencus sind beide Junkturen regelmäßig belegt. Limina wird dann gebraucht, wenn jemand in das Leben ein- oder aus dem Leben hinausgeht (d.h. entweder bei Geburt oder Tod, vgl. Lucr. III 681 tum cum gignimur et vitae cum limen inimus; Stat. Silv. II 1,3820 stantes in limine vitae, IV 2,13 haec aevi mihi prima dies, hic limina vitae, Theb. V 260 semineces pueri trepidas in limine vitae, V 535f tune hoc vix prima ad limina vitae / hoste iaces) oder gerade hinein- oder hinausgegangen ist (vgl. Luc. II 106f nec primo in limine vitae / infantis miseri nascentia rumpere fata). Auch die entgegengesetzte Wendung ist belegt, jedoch vor Iuvencus nur Stat. Silv. IV 6,104, bei Iuvencus IV 353 horrida non umquam continget limina mortis für Joh 11,26 non morietur in aeternum. Lumina findet sich in verschiedenen, jedoch jeweils sehr klaren Motiven (Lucr. I 227f unde animale genus generatim in lumina vitae / redducit Venus, III 848f post obitum rursumque redegerit ut sita nunc est / atque iterum nobis fuerint data lumina vitae, V 988f Nec nimio tum plus quam nunc mortalia saecla / dulcia linquebant lamentis lumina vitae; Verg. Aen. VI 828f si lumina vitae / attigerint, VII 770f tum pater omnipotens aliquem indignatus ab umbris / mortalem infernis ad lumina surgere vitae). Zunächst zu IV 27 si venient igitur cuncti sub limina vitae, / cuius conubiis mulier reddenda resurget. Sowohl lumina als auch limina wäre verständlich. Da allerdings eine Übergangssituation, präziser sogar eine Gerichtssituation (die Rede ist von der Frage nach der Ehe nach Auferstehung und Gericht, die Jesus Mt 22,23–28 gestellt wird) vorliegt, ist die Schwelle, das Durchschreiten des Himmelstores, wohl die zu Grunde liegende Vorstellung, so dass man mit den „besseren“ Iuvencusmanuskripten limina lesen sollte. Schwieriger ist IV 440–442 miserabilis ille per aevum, / qui iustum dedet; quanto felicior esset, / si numquam terris tetigisset lumina vitae, auch wegen der Parallele mit Aen. VI 828. Dort ist nicht nur das von allen Aeneiseditoren gelesene lumina, sondern in den jüngeren Codices auch limina belegt. Donatus kommentiert lumina, in Servius’ Kommentar findet der Vers keine Beachtung; so ist zwar wahrscheinlich, aber nicht zweifelsfrei bewiesen, dass Iuvencus in der Aeneis lumina gelesen hatte. In beiden Werken, in der Aeneis und den Evangeliorum Libri Quattuor, sind beide Lesarten verständlich, wenn man tangere / attingere limina als Übergangsformel versteht. Die Beleglage spricht für lumina.

trino solis ... recursu: Die ungewöhnliche Junktur recursus solis borgt Iuvencus von Stat. Theb. IV 307f funereae tunc namque dapes mediique recursus / solis, et hic alii miscebant proelia fratres. Dort handelt es sich allerdings um die 19 Röttger 140. Freilich lässt der Audruck sich bis zum platonischen Höhlengleichnis oder den Psalmen zurückverfolgen, jedoch ist die Zahl der Hinzufügungen dieses Gedankens bei Iuvencus auffällig. 20 Siehe zu dieser Stelle weiter auch P. Papinius Statius Silvae Book II. A Commentary by H.-J. van Dam, Leiden 1984 (Mnemosyne Suppl. 82) 93.

236

Die Bewachung des Grabes

Beschreibung einer Sonnenfinsternis, die hier keine Rolle spielen kann.21 Matthäus spricht hier, 16,21 und 17,23 nach der Itala von der Auferstehung post diem tertium (jeweils ist alternativ auch tertio die belegt), 20,19 von post tertium diem. Iuvencus wechselt ebenfalls ohne erkennbares Muster, er schreibt bei der Wiedergabe von Mt 16,21 in III 293 Ast ubi lucifluum reddet sol tertius ortum, gibt Mt 17,23 nicht wieder und gebraucht schließlich bei der Wiedergabe von Mt 20,19 in III 589 post tertia lumina. Für ihn machen die Bezeichnungen offenbar keinen Unterschied.22 Ob hier trino solis oder solis trino die richtige Lesart ist, ist fast unmöglich zu klären, inhaltlich allerdings ohne Belang. Wegen der stilistisch besseren Stellung des Genitivs zwischen Adjektiv und Nomen folge ich wie Huemer den „besseren“ Handschriften.

remeare: Der Infinitiv Präsens an Stelle des (erwarteten) Infinitivs Futur ist bei den Dichtern, besonders den Komikern, nicht ungewöhnlich. 23 Iuvencus gebraucht ihn so noch I 66, 257; III 346 und 443.24 Zur Verwendung der Vokabel (re-)surgere, die Iuvencus hier, aber keineswegs konsequent vermeidet,25 siehe unten zu 756 surrexit; die Vokabel remeare wird nach der Auferstehung in Vers 761 wieder aufgenommen, siehe weiter dort. sed: Hoc als Korrelat zu einem AcI (nach dem Muster hoc sentio + AcI) ist gebräuchlich,26 so dass die Verwendung des Demonstrativpronomens zur Vorbereitung des im Konjunktiv von petimus abhängig gebrauchten servet durchaus verständlich wäre.27 Bei Iuvencus ist eine solche Konstruktion aber nicht belegt. Das in den meisten Codices zu findende und von Arevalo bevorzugte sed kann allerdings, so für diese Stelle überzeugend Hansson, bei Iuvencus rein anknüpfend und ohne einen Gegensatz auszudrücken gebraucht sein.28 Zudem zeigt Hansson anhand einiger Beispiele, dass „Aufforderungen in der Bibel, die [...] aus einem Imperativ mit ergo oder ideo, bestehen, von Juvencus mehrfach durch sed mit folgendem Imperativ wiedergegeben werden.“29 Daher ist mit Arevalo und Hansson die lectio difficilior sed zu lesen. Siehe auch oben zu 723 et.

custos miles: An Stelle des schlichteren custos (aus custodiri in der Vorlage bzw. aus Mt 27,65 abzuleiten) gebraucht der Dichter zusätzlich miles. Dieser adjektivische Gebrauch eines Substantivs ist bei den Dichtern weit verbreitet, „im Spätlatein findet sich der Gebrauch [...] massenhaft.“30 Der Ausdruck ist daher in der Übersetzung durch „militärische Wache“ wiedergegeben. Die moderne Bibelexegese gibt einhellig zu bedenken, dass auch Matthäus an eine militärische Wa21 Vgl. J. Steininger, P. Papinius Statius, Thebais. Kommentar zu Buch 4, 1–344, Stuttgart 2005 (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 14) 165. 22 Anders etwa für das Matthäusevangelium, vgl. Sand 571. 23 Vgl. Kühner-Stegmann I 690 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 357f. 24 Vgl. Hatfield 5. 25 Gegen Flury (1968) passim und Flury (1988) 295f. 26 Vgl. Kühner-Stegmann I 624f und Leumann-Hofmann-Szantyr II 413. 27 Nach Knappitsch ad loc. ist sogar kein Zweifel an hoc möglich. 28 Vgl. Hansson 58. 29 Ibid. Er nennt I 330 (nach Mt 3,8), 573 (nach Mt 5,48), 629 (nach Mt 6,25), 662 (nach Mt 7,5); II 337 (nach Joh 4,50), 458 (nach Mt 10,16); III 288 (nach Mt 16,20), 694 (nach Mt 21,28); IV 89 (nach Mt 24,2), 100 (nach Mt 24,6), 182 (nach Mt 24,44), 486 (nach Mt 26,38) und 498 (nach Mt 26,41). 30 Kühner-Stegmann I 232f. Üblicher ist dieser Gebrauch für die Verbalsubstantive auf –tor bzw. –trix, die Belege für andere Substantive sind jedoch ebenfalls mannigfach. Siehe auch Leumann-Hofmann-Szantyr II 157f.

IV 727–742

237

che gedacht hat (die Itala-Codices h und r1 haben Mt 27,65 milites), die ja schließlich von den Römern gewährt wird, so dass kaum wahrscheinlich ist, dass Iuvencus hier eine besondere „Militarisierung“ oder Betonung der Grobheit der Soldaten im Sinn hatte. Die Wache wird von hier an in den Versen 739, 742, 750 und 780 als miles oder gar milites bezeichnet, in letzterem Falle analog zur Vorlage, die den Dichter also ebenfalls dazu gebracht haben könnte, sich die Wache als Soldaten vorzustellen. Die einzige Ausnahme hinsichtlich dieser Bezeichnung bildet Vers 776, wo er gemäß der Vorlage Mt 28,11 (dort heißt es custodes) von custodum exterrita corda spricht. Ansonsten sieht der Dichter von Verurteilungen der (römischen) Soldaten größtenteils ab, siehe dazu oben S. 136. Man kann also hier keine besondere Interpretation seitens Iuvencus’ nachweisen. custos ... servet: Iuvencus verzichtet auf die Angabe der Dauer usque in tertium diem, wohl aus erzählökonomischen Gründen, da er zuvor ja in epischer Weise (735 trino solis ... recursu) die Auferstehung am dritten Tage zum Ausdruck gebracht hatte. fera ... audacia: Siehe zur feritas und der Frage, ob sie bei Iuvencus ein besonderes Attribut der Juden ist, oben 573 tectisque feris und unten S. 322–340. Hier ist eine leichte Ironie erkennbar, da die sonst rücksichtslos-wilden proceres gerade den Jüngern feritas vorwerfen, ähnlich wie sie es schon 731 mit den erroris laqueos getan hatten. Ähnlich verfährt der Dichter unten 783 mit audacia; siehe für weitere Interpretationen dort. Wozu die fera audacia die Jünger bringe, nämlich dazu zu sagen, Jesus sei auferstanden, wird im Gegensatz zur Vorlage nicht ausdrücklich erwähnt. Ferner präzisiert Iuvencus eum zu corpus. Eine Konnotation dürfte mit der Vokabel hier nicht verbunden sein. Siehe weiter unten zu 782 corpus und den Exkurs S. 208–217. Der Dichter lässt den Halbsatz et dicant plebi: „surrexit a mortuis“ hier aus. Das hat erzählökonomische Gründe, hatte er doch nur drei Verse vorher die proceres die Auferstehungsankündigung Jesu repetieren lassen. Dadurch wird der Sinn hinter der Vorkehrung gegen Diebstahl auch ohne genaue Wiedergabe der letzten Worte ganz klar. consurgat: Das Kompositum consurgere gebraucht Iuvencus neun Mal, jeweils ohne Unterschied zum Simplex surgere. Während consurgere in iras allein bei Iuvencus drei Mal zu finden ist (I 27; II 27 und IV 563), ist audacia (con-)surgat (alci) ohne Parallele im klassischen Latein und taucht erst bei Arnob. Nat. IV 33 (CSEL 4, 168,12f Reifferscheid) auf. recens: Recens gibt novissimus gut wieder, die alternative Lesart replens, wohl durch den Einfluss von plebem im Vers davor durch Verschreibung entstanden, ist kaum verständlich.

insania: Wieder ist Ironie zu erkennen, ist doch sonst Wahn ein Motiv, mit dem Iuvencus die Gegner Jesu charakterisiert, die es hier ihrerseits (aus christlicher Perspektive natürlich zu Unrecht) auf die Jünger bzw. das Volk anwenden wollen. Gerade insania kehrt 779 wieder, siehe dort zu iam semel ... furori, außerdem oben zu 731 erroris laqueos, besonders Anm. 11 und unten S. 322–340.

238

Die Bewachung des Grabes

Die Reaktion des Pilatus (IV 739f) Mt 27,65: Ait illis Pilatus: „Habetis custodes; ite custodite, sicut scitis.“

Iuvenc. IV 739f 739 Et Pilatus ad haec: „Miles permittitur,“ inquit, 740 „servare, ut vultis, corpus tellure sepultum.“

custodes : a aur b c f f ff2 g1 q : custodiam ff1 l : milites h r1

740 servate B1 Poelm. Arevalo : si vera K21 T

et Pilatus ad haec: Eine ähnliche Redeeinleitung wie Christus ad haec, das Iuvencus zwölf Mal verwendet. Eine besondere Wirkung der Rede ist hier nicht auszumachen; siehe zu Redeeinleitungen sonst unten S. 319. miles: Siehe oben zu 736 custos miles. permittitur ... servare: Das Passiv vermeidet, dass Pilatus selbst aktiv etwas tut; er gibt, anders als in der Vorlage (ite custodite) nicht einmal einen Befehl. So rückt er aus dem Mittelpunkt. Es zeigt sich erneut, dass Iuvencus sich bemüht, den Statthalter schuldlos und generell blass darzustellen, 31 siehe weiter oben zu 618 victus, 625 vi victus, 730 onerantque simul sic iudicis aures und S. 87–89 sowie unten zu 740 ut vultis. Der in nur einer Handschrift überlieferte und von Arevalo und Poelmann bevorzugte Imperativ servate liegt zweifellos näher an der Vorlage32 und ist zunächst leichter zu verstehen. Der in der großen Mehrzahl der Codices überlieferte Infinitiv servare ist jedoch als ungewöhnlicher und daher lectio difficilior zu bevorzugen, da es sich bei servate um eine spätere Vereinfachung (und Angleichung an die Vorlage) handeln dürfte. Permittere ist nämlich im späteren Latein auch mit NcI (im Sinne von militi permittitur servare) belegt,33 vgl. z.B. Aug. Mor. Eccl. II 14 (CSEL 90, 106,11 Bauer) nemo ignorare permittitur, Aug. Ep. 213,5 (CSEL 57, 377,8f Goldbacher) non permittor, at quod volo, vacare und Aug. in Evang. Joh. 52,2 (CCL 36, 446,4f Willems) nec permittor tantummodo mirari, sed iubeor imitari.

tellure sepultum: Angesichts dessen, dass Jesus in einem Höhlengrab beigesetzt wurde, klingt tellure sepultum wie eine Formel, die sich vor Iuvencus allerdings nicht belegen lässt. Da Höhlengräber im Westen praktisch unbekannt waren, könnte es sich hier – auch wenn Iuvencus eindeutig bei der Grablegung und zuvor an ein Höhlengrab denkt (siehe oben zu 707 repulsis / obicibus und zu 724 novo ... antro) – um einen Hinweis auf die ihm bekannte Begräbnistradition handeln. Ähnliches findet sich wiederum in der Lazarusperikope IV 377 membra solo composta. Iuvencus geht über die Vorlage damit leicht hinaus, er lässt Pilatus bezeugen, dass Jesus wirklich begraben ist (und damit auch wirklich auferstehen kann); ebenso deuten Ambrosius und Johannes Chrysostomos die spätere Perikope vom

31 Nach Sand 571 ist der Unwille des Statthalters, einen Soldaten zu bestellen, schon bei Matthäus erkennbar. 32 So auch Knappitsch ad loc. 33 Vgl. Kühner-Stegmann I 705f und Leumann-Hofmann-Szantyr II 365.

IV 727–742

239

Gerücht, Jesu Leichnam sei geraubt worden (Mt 28,14f), denn es kann nur weggenommen werden bzw. auferstehen, was wirklich begraben wurde. 34 ut vultis: Die Wendung ut vultis ist zunächst leichter zu verstehen als sicut scitis in der Vorlage. Letzteres verstehen Luz und Sand als Ironie seitens Pilatus’, nämlich dass dieser, wenn er „so gut ihr könnt“ sagt, impliziert, dass die jüdischen Oberen nicht viel vermögen. 35 Bei Iuvencus ist Pilatus auf andere Weise ironisch: einen Begrabenen, tellure sepultum, bewachen zu wollen, ist absurd. Weiter spricht er wiederum die gesamte Verantwortung den proceres zu – Pilatus selbst will ja keine Wache aufstellen, er entspricht nur wiederum dem Willen der Oberen. Der Dichter exkulpiert also lieber den römischen Statthalter und bringt zugleich einen Seitenhieb auf das Unvermögen der proceres an. Ausführung (IV 741f) Mt 27,66 Illi autem euntes munierunt sepulcrum signantes lapidem cum custodibus.

Iuvenc. IV 741f: 741 Conveniunt saxique ingentia pondera volvunt, 742 et limen signis et saxum milite servant.

conveniunt saxique: Siehe oben zu 730 conveniunt onerantque. saxique ingentia pondera volvunt: Auf den ersten Blick scheint es, als sicherten die proceres das Grab mit einem zweiten Stein.36 Das ist aus mehreren Gründen nicht vorstellbar. Erstens ist in der Vorlage nicht von einem zweiten Stein die Rede, zweitens ergibt diese zusätzliche Sicherung keinen Sinn, drittens deutet der archäologische Befund hinsichtlich der Höhlengräber auf die Sicherung durch einen einzelnen Stein hin. Zuletzt ist bei der Öffnung des Grabes durch den Engel in Vers 747 nur von saxum die Rede. Der Vers ist erstaunlich parallel zur ersten Nennung des Steins in Vers 724. 37 Es entsprechen sich saxique / petrae, volvunt / concludunt (volumina) und ingentia / immensa. Es muss sich also um dieselben volumina petrae handeln. Knappitsch meint nun, man habe wohl den schon vorhandenen Stein bewegt (volvunt), geprüft, ob der Tote wirklich im Grab liegt (davon ist nicht die Rede, es ergibt aber durchaus Sinn – warum sollte man den vorhandenen Stein sonst überhaupt bewegen?), und dann das Grab wieder geschlossen.38 Dass Iuvencus überhaupt davon spricht, dass ein Stein bewegt wird, geht gewiss darauf zurück, dass er munierunt ... signantes ... cum custodibus missverstand, nämlich munierunt für eine erneute physische Befestigung hielt, während in der Vorlage „sie sicherten ... indem sie versiegelten“ gemeint ist. Der Dichter fügt aber dem Text, so wie er ihn verstand, durch eine Kontrastimitation eine wichtige 34 Vgl. Ambr. in Luc. X 136f (CCL 14, 384,1296–1314 Adriaen), Joh. Chrys. Hom. in Mt. 89,1 (PG 58, 781f). 35 Vgl. Sand 571 und Luz (2002) 393. 36 So etwa Opelt 207 und Roberts (2004) 56. 37 Vgl. Arevalo ad loc. 38 Vgl. Knappitsch ad loc.

240

Die Bewachung des Grabes

Interpretation hinzu. Eine schon von Huemer angemerkte Parallele findet sich nämlich Aen. VI 616 saxum ingens volvunt alii. Roberts erkannte darin zu Recht eine Anspielung auf Sisyphus (dass Vergil diesen meinte, weiß schon Servius39) und sah, wenn auch m.E. zu zögerlich formuliert, die Parallele zu den proceres hier darin, dass beide Parteien sich gegen die göttliche Ordnung wenden und zum Scheitern verurteilt sind, also sich umsonst mühen.40 Die hier implizite Ironie sah Luz schon in der Vorlage angelegt, da trotz aller Bemühungen der Oberen der Leser sicher gar nicht damit rechnete, dass diese Erfolg haben. 41 Iuvencus gestaltet diese Ironie also durch einen Rückgriff auf Vergil nur noch deutlicher aus. et limen signis et saxum milite: In der Vorlage handelt es sich beim Aufstellen einer Wache für das Grab und der Besiegelung des Verschlusssteines offenbar um zwei verschiedene Handlungen. Entweder ahmt Iuvencus diese Zweischrittigkeit nach, kehrt die Zugehörigkeit aber um (das Grab wird mit einem Siegel versehen, der Felsen zusätzlich von Soldaten bewacht), oder er drängt hier beide Handlungen zu einem einzigen, durch einen Parallelismus ausgedrückten zusammengehörigen Vorgang zusammen. IRONIE Die gesamte Szene hat schon grundsätzlich etwas Ironisches, da der geneigte Leser damit rechnet, dass Christus auferstehen wird und die Maßnahmen seiner Gegner sich als wirkungslos erweisen werden. Die Bezeichnung Jesu als seductor bzw. planus wirkt daher aus der Perspektive dessen, der an die Auferstehung glaubt, unanständig bzw. absurd. Wie schon oben während des Kreuzweges stehen sich hier aber besonders oft Worte und Handlungen bzw. Anspruch und Wirklichkeit in den Handlungen der proceres gegenüber. Diese Diskrepanz macht der Dichter sich zu Nutze, sei es durch Verdeutlichungen schon in der Vorlage angelegter Ironie, sei es durch eigene Hinzufügungen. So beginnt er in den Versen 727–729 mit der Beschreibung des Sabbats und stellt der gebotenen Sabbatruhe die Missachtung dieser durch die Hohenpriester gegenüber. Es wiederholt sich ein schon im Kreuzwegkapitel aufgefallener und in der antijüdischen Polemik nicht unüblicher Topos, nämlich der, dass gerade auf Grund des Gesetzes und der Schrift die Juden dazu verpflichtet waren, Jesus anzuerkennen (s.o. zu 672 suboles veneranda Tonantis und 680f en regem ... debuimus sowie die dortigen Verweise). Das Gesetz selbst ist dabei für Iuvencus und viele andere nicht schlecht.42 Stattdessen gehören die Verletzung der Sabbatruhe und die Ablehnung Jesu zusammen; beide zeugen von der Verdorbenheit der 39 Vgl. Serv. Aen. VI 616. 40 Vgl. Roberts (2004) 56: „Although the specific actions in the two cases are identical, the larger contexts of each action show few situational parallels, though both actors in their different ways defy divinity. Perhaps the most obvious point of comparison is that neither action achieves its purpose.“ 41 Vgl. Luz (2002) 394. 42 Anders als von Paulus Gal 4f dargelegt.

IV 727–742

241

proceres. Das ist insofern als dramatische Ironie zu bezeichnen, als gerade die Wächter über die Einhaltung des Gesetzes ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht werden. In Vers 731 lässt der Dichter die proceres von erroris laqueos sprechen. Dass diejenigen, die gerade erst selbst gegen das Gesetz verstoßen haben, nun von Verführung zum Abfall sprechen, ist geradezu zynisch. Diese dramatische Ironie wird durch den Ausdruck, den der Dichter schon zuvor für Fehlverhalten verwendet hat, markiert. Sie gerät so in die Nähe der doppelten Ironie (siehe zu diesem Begriff oben S. 169–174). Die Nachfolger und Jünger Jesu werden zwei Verse später als vulgaris plebs bezeichnet. Auch damit wird ein Topos der Apologetik aufgegriffen und ironisch gewendet, sind es doch die unteren Bevölkerungsschichten, die im Gegensatz zu den oberen Jesus als Christus erkannt haben. Dieser Topos spielt ansonsten bei Iuvencus, betrachtet man etwa die Jüngerberufungen oder andere Aussagen über diese, keine gesteigerte Rolle. Freilich handelt es sich zum Beispiel bei Petrus und Andreas um Fischer (vgl. I 421–425); der Dichter trifft dazu, etwa zum sozialen Stand dieses Berufes, aber keine eigenständige Aussage. Hier wird vulgaris plebs schließlich zum Ausdruck des arroganten Auftretens der proceres genutzt, wiederum fällt aber ein despektierlicher Ausdruck der Gegner Jesu in gewissem Sinne auf sie selbst zurück. Die Begründung der Bestellung der Wachen, nämlich zum Schutz gegen den Raub der Leiche (736–738), ist bei Iuvencus nicht anders als in der Vorlage. Dort sah Sand Ironie insofern angelegt, als die Oberen zwar vorgeben, sich gegen einen error schützen zu wollen, dabei selbst aber einen begehen. 43 Iuvencus macht das nicht offensichtlich, greift aber auf den von ihm sonst gerade gegen die Gegner Jesu gerichteten Topos von Wildheit (ferus) und Wahnsinn (hier insania) zurück: sie werfen den Jüngern das vor, wovon sie selbst geschlagen sind. Das zeigt sich dann auch in Pilatus’ Reaktion, der zwar eine Wache genehmigt, diese aber (wie man in ut vultis erkennen mag) nicht ernst nimmt. Auch in der aufwändigen Sicherung des Grabes durch Felsen, Siegel und Soldaten (741f) erkannte Luz Ironie, da der Leser damit rechnet, dass alle diese Bemühungen ohnehin scheitern. Iuvencus macht sich dabei durch seinen Rückgriff auf Aen. VI 616 geradezu den Archetyp vergeblicher Anstrengungen, Sisyphus, zur Illustration der dramatischen Ironie zu Nutze. Für den vergilkundigen Leser ist die Ironie damit offensichtlich; der Dichter verbindet letztlich ein klassischheidnisches Motiv mit seiner christlich-theologischen Aussage. Nur an einer Stelle sehen moderne Exegeten Ironie angelegt,44 die Iuvencus seinerseits kaum zu erkennen bzw. zu missachten scheint. Es handelt sich dabei um ut vultis in Vers 740, das ut scitis in Mt 27,65 entspricht. Iuvencus trifft keine Aussage über ein Vermögen der proceres, sondern über ihren Willen, dem sich Pilatus beugen muss, und rückt somit das Verhältnis zwischen Statthalter und jüdischer Oberschicht in den Vordergrund. Im Gegensatz zur Darstellung des 43 Vgl. Sand 572 und oben Anm. 11. 44 Vgl. ibid. 571 und Luz (2002) 393.

242

Die Bewachung des Grabes

Kreuzweges verzichtet der Dichter dabei größtenteils auf rhetorische Ironie (und damit notwendigerweise auch auf doppelte Ironie), nutzt und verstärkt jedoch dramatische Ironie merklich. Mit dieser Technik erzeugt Iuvencus große Empathie, er gestaltet die proceres zunehmend unsympathisch, paradox und ablehnenswert. In Iuvencus’ Version der Evangelien lässt sich so, bisweilen recht offensichtlich, bisweilen, wie gesehen, sehr subtil, eine „Leserlenkung“ erkennen. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Im vorliegenden Kapitel lassen sich kaum mehr als zwei theologisch interessante Punkte ausmachen. Mit der Vorlage stimmt überein, dass das Verschließen und Bewachen des Grabes durch die proceres von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist. Iuvencus intensiviert das nur, indem er vom procerum furor spricht. Auch die Kirchenväter legen Wert darauf, die Handlungen der jüdischen Oberen als fehlgeleitet und zwecklos darzustellen, z.B. Hil. in Psalm. 2,12 (CSEL 22, 45,5–46,4 Zingerle) und Hier. Hom. in Joh. I 14 (CCL 78, 521,161–523,219 Morin), jedoch kann eine direkte Verwandtschaft, etwa wegen einer Erwähnung von Wahnsinn durch die Kirchenväter, nicht gezeigt werden. Hieronymus (s.o.) und Orig. Ser. 145 (GCS 38, 298,8 Klostermann/Benz) sprechen stattdessen von impietas, Hil. in Matth. 33,8 (SC 258, 258,25f Doignon) von stultitia und infidelitas. Den Topos (neben den o.g. Stellen u.a. auch Orig. Ser. 129 (GCS 38, 266,19–267,3 Klostermann/Benz) sowie Chrys. Hom. in Mt. 89,1 (PG 58,781f)), dass die genaue Bewachung des Grabes gerade die Macht der Auferstehung betont, verarbeitet Iuvencus nicht bzw. nur durch Ironie. Eigenständig von Iuvencus stammt dann die positive Wertung des Sabbats, der die Missachtung des Ruhegebots durch die proceres entgegensteht. In der einschlägigen Kirchenväterliteratur findet sich dazu nichts Ergiebiges. Ohnehin scheint Iuvencus hier vor allem die vielfach erkennbare Ironie, die der Verstärkung des schon in der Vorlage Ausgesagten dient, am Herzen zu liegen. AUSBLICK Nachdem Sedulius das Begräbnis Jesu durch Joseph von Arimathäa gar nicht geschildert hatte, macht er sich die vorliegende Szene Carm. Pasch. V 295–314 wieder in auffälliger Weise zu Nutze. In den ersten zweieinhalb Versen schildert Sedulius, was geschieht, nämlich dass Jesus begraben wurde und damit, vor allem aber mit der folgenden Auferstehung, den Ort, an dem er begraben wurde, adelt: sein Leichnam ist 295 thesaurum corporis amplum, der Ort 296f nobilis [...] nobilior surgente tamen. Die Verse 297b – 302, die vordergründig die Sorge der jüdischen Gegner Jesu, die Jünger könnten seinen Leichnam stehlen, und die Vorsichtsmaßnahme dagegen, nämlich die Aufstellung von Wachen, wiedergeben,

IV 727–742

243

dienen wesentlich, bemerkbar vor allem durch die Bezeichnung jener als generatio fallax (297), und ihrer Handlungen als nefas (298), als Einleitung für die folgende Invektive, die Sedulius in für ihn üblicher Manier direkt an sie richtet. Die Topoi, auf die der Dichter in diesen Versen zurückgreift, sind wohlbekannt: nach all den Leiden (303f post vincla crucis, post vulnera ferri, post obitum mortis), die sie verursachten, haben die brutalen carnifices (305) jetzt endlich genug. Zudem haben sie trotz der Zeichen, die Jesus gewirkt hat (306 qui totiens imis animas produxit ab umbris) noch immer nicht zum Glauben gefunden (307 posse suam revocare magis). In den folgenden Versen macht Sedulius sich über die freilich vergeblichen Bemühungen lustig. Er fordert spöttisch die Gegner Jesu durch die Imperative armate dolos, signate sepulchrum, / ponite custodes, monumento advolvite saxum (308f) dazu auf, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, die sich ohnehin, ausgedrückt in der 310f gestellten rhetorischen Frage quis poterit servare Deum, cui cardine rerum / cuncta patent, als sinnlos erweisen werden. Dem folgt 311f die geradezu doxologische Aussage undis habitat, per tartara regnat, / et caeli de nube tonat, bevor der Dichter den Absatz mit einer weiteren rhetorischen Frage nach dem Sinn und Nutzen der ergriffenen Maßnahmen und einer nach der Unmöglichkeit, Unwillige zum Glauben zu führen, schließt (313f quid niteris illam / explorare fidem, cui non vis credulus esse?). Während Iuvencus sich bemühte, die Geschehnisse auf seine Weise wiederzugeben, dabei aber, vor allem vermittels der Ironie, die proceres nicht schont, gibt Sedulius nur kurz (nämlich in acht Versen) die Geschehnisse wieder, bevor er selbst in Herzogs Worten „in das Epos eindringt“ und als narrator in zwölf Versen die Handelnden anspricht und angreift, ja sogar verspottet. Die theologische Aussage beider Dichter ist dabei auffälligerweise dieselbe: Es ist sinnlos und unmöglich, die Auferstehung Jesu, die durch seine Göttlichkeit garantiert ist, zu verhindern. Während Iuvencus aber noch immer die Rolle eines (scheinbar) neutralen Erzählers einnimmt, verzichtet Sedulius völlig auf solche Zurückhaltung.

DIE VERKÜNDUNG DER AUFERSTEHUNG (IV 743–766) EINPASSUNG DER SZENE Durch den Sonnenaufgang am Ostersonntag wird der Einschnitt zwischen der vorhergehenden Szene und dieser deutlich markiert. Die kurze Folge zweier Sonnenaufgänge, nämlich in den Versen 727f und hier, kann man zwar als Mangel in der epischen bzw. narrativen Technik bezeichnen, dieser ist jedoch der Vorlage geschuldet. Nach dem Gespräch zwischen den matres und dem Engel setze ich einen Einschnitt, der durch den in den Versen 765f ausgedrückten Ortswechsel gerechtfertigt wird. KOMMENTAR Sonnenaufgang, Gang der matres zum Grab und Erscheinung des Engels (IV 743– 747) Mt 28,1f: 1 Vespere autem sabbati, quae lucescit in prima sabbati, venit Maria Magdalena et altera Maria videre sepulchrum. 2 Et ecce terrae motus factus est magnus. Angelus enim Domini descendit de caelo et accedens revolvit lapidem et sedebat super eum.

Iuvenc. IV 743–747: 743 Sidera iam noctis venturo cedere soli 744 incipiunt, tumuli matres tum visere saeptum 745 concurrunt. Motus sed terram protinus omnem 746 concutit et caelo lapsus descendit aperto 747 nuntius et saxum tumuli de limine volvit.

746 discendit M K1 K2 P T Bb Huemer

Sidera iam ... incipiunt: Hier fehlt im Gegensatz zur vorherigen Szene jeder Bezug zum Sabbat, den sich Iuvencus dort polemisch zu Nutze machte (s.o. zu 727– 729). Da es sich nur um eine Zeitangabe handelt, ist für den Dichter dieser Bezug nicht notwendig;1 er verzichtet auch im Folgenden, anders als Sedulius (s.u. S. 263), auf eine polemische Nutzung. Auch macht der Dichter die sehr schwierige Beschreibung der Vorlage, aus der kaum klar hervorgeht, um welche Zeit es sich eigentlich handelt – logisch ist angesichts von lucescit der Morgen, der aber 1

Vgl. Poinsotte 75f Anm. 243.

IV 743–766

245

mit vespere nicht zusammenpassen will –2, eindeutig: es handelt sich nämlich um die Zeit des Sonnenaufgangs, der wie üblich episch ausgestaltet ist; siehe dazu unten S. 320. Mit sidera iam ... concedunt begann schon der Pilatusprozess, die Beschreibungen der Sonnenaufgänge ähneln sich also, wie oben zu 586f weiter beschrieben. Siehe auch dort zu früheren Belegen für die Wendung sidera (con-)cedunt. iam ... incipiunt, ... tum ... concurrunt, ... sed ... concutit ... nuntius: iam ... tum versteht man am besten in der Bedeutung „gerade ... da“.3 Incipiunt ist dann das erste in einer Reihe von drei (bzw. vier) Enjambements, es folgen concurrunt, concutit und nuntius; siehe zu Letzterem weiter dort. Durch iam ... incipiunt, tum ... concurrunt und sed ... concutit wird die Unruhe und die schnelle Folge der Ereignisse betont. Die Stellung ist bewusst gewählt, „so daß sich die enjambierte Wortgruppe von ihrer Umgebung deutlich abhebt.“4 Vor allem Verben werden beim „Ein-Wort-Enjambement“, das die stärkste Form darstellt, bewusst verwendet. Dabei ist diese v.a. in der Aeneis (12 % der Gesamtverszahl) und in der Thebais (20 % der Gesamtverszahl) belegt;5 besonders bei Vergil sind die im Enjambement stehenden Begriffe von herausgehobener Bedeutung;6 siehe auch unten zu 794 institui, vestrum est. Schon mit dem ersten Licht der Sonne, dem Beginn des Sonnenaufgangs, sind die matres also unterwegs zum Grab, an ihrer Ungeduld wird offenbar, dass ein besonderes Ereignis bevorsteht. Am Beginn des nächsten Verses wird dann ihr Laufen, concurrunt, das über das simple venit der Vorlage hinausgeht, herausgehoben. Den Enjambements folgt jeweils sofort die Trithemimeres, nach der jeweils ein Blickpunktwechsel folgt (Sonne – matres – Erdbeben). Ähnlich gestaltet ist der Übergang vom Erdbeben zur Erscheinung des Engels. Das Prädikat concutit folgt im Vers nach der Beschreibung aller anderen Merkmale des Erdbebens, im Gegensatz zu den beiden Enjambements zuvor aber ohne anschließende Trithemimeres. Der Engel ist zuletzt ebenfalls nach der Beschreibung seines Herabsteigens in den folgenden Vers gerückt. Dabei steht nicht wie zuvor dreimal das Prädikat im Enjambement, sondern, nicht weniger wesentlich, das Subjekt. So enthält ein einzelner, mit poetischen Mitteln durchgestalteter Satz alle die Szene einleitenden Informationen in rapider Folge. Knappitsch weist zudem auf die spärlichen Verbindungen hin. 7 Um echte Asyndeta handelt es sich nicht (Überlei2 3 4 5 6

7

Vgl. auch Sand 581, Wiefel 489 und Luz (2002) 401. Vgl. ThLL VII 115,76–116,35 (1933). E.D. Kollmann, Zum Enjambement in der lateinischen Hexameterdichtung, RhM 125 (1982) 117–134. Vgl. ibid. 130–133. Vgl. J. Blänsdorf, Einige Beobachtungen zum vergilischen Enjambement, in: Forschungen zur Römischen Literatur. Festschrift zum 60. Geburtstag von K. Büchner, hrsg. v. W. Wimmel 10–13 sowie K. Büchner, Beobachtungen über Vers und Gedankengang bei Lukrez, Berlin 1936 (Hermes-Einzelschriften 1) 68: „Bei Vergil hat fast jedes Enjambement seine Funktion für den Gedanken, hilft ihn ausschöpfen und läßt den Vers im Rhythmus des Gedankens schwingen.“ Vgl. Knappitsch ad loc.

246

Die Verkündung der Auferstehung

tungen durch tum, sed, protinus, et, et), die knappen, bald wie Partikeln gebrauchten Übergänge dienen aber in der Tat der Beschleunigung der Szene. venturo ... soli: Die Junktur ist hier erstmals belegt, später bei christlichen Autoren üblicher, nach Iuvencus beginnend mit Ambr. Ep. IX 68,10 (CSEL 82, 173,10 Zelzer). Christus wurde (und wird) häufig mit der Sonne identifiziert, so dass nicht nur die Logik gegenüber der Vorlage verbessert wurde (siehe oben zu 743 sidera iam ... incipiunt), sondern auch eine theologische Aussage eindringt. matres: Siehe oben zu 714 e speculis matres und die Verweise dort. tumuli ... saeptum: Tumulus muss nicht streng als Grab-Hügel verstanden werden8 – Jesu Grab war in Vers 724 eindeutig als Höhlengrab beschrieben worden, ebenso das des Lazarus IV 372f, obwohl es IV 370 noch als tumulus bezeichnet wurde. Es mag sich bei tumuli saeptum um eine (bei Iuvencus übliche) 9 Aufsprengung des sepulchrum der Vorlage in einen neuen Begriff mit einem der Vorlage verwandten Genitiv handeln. Ähnlich konnotationslos verwendet der Dichter die Vokabel III 755: ite igitur propere per publica saepta viarum für Mt 22,9: ite ergo ad exitus viarum; gemeint ist jeweils nichts anderes als „auf die Straßen“. Arevalo stellt sich unter saeptum eine Einfriedung vor.10 Womöglich will der Dichter damit erneut daran erinnern, dass das Grab bewacht ist. visere: Finaler Infinitiv. Visere gebraucht Iuvencus häufiger als die Epiker vor ihm, 11 ohne erkennbaren Unterschied zu videre, z.B. nebeneinander II 528–530 cur in deserto voluistis visere nuper / stramen harundineum vento vibrante moveri? / Cur etiam molli vestitum veste videre; siehe auch IV 278 non meminit nostrum quisquam te visere nudum oder ganz ähnlich IV 295f haud umquam nostrum meminit te visere quisquam / aut sitis aut saevae famis aegrum agitare laborem [...]. motus sed ... volvit: Die gesamte Beschreibung bleibt auffällig nah an der Vorlage. Zu einzelnen dichterischen Mitteln siehe weiter zu den entsprechenden Stellen. motus sed terram protinus omnem concutit: Im Vergleich zur Beschreibung des Erdbebens bei Jesu Tod in den Versen 705f et tremebunda omni concussa est pondere tellus / dissiliuntque suo ruptae de corpore cautes bleiben die vorliegenden Verse recht nüchtern und stärker an der Vorlage orientiert. Iuvencus war das Erdbeben als Zeichen der Natursympathie beim Tod Christi wichtiger als dieses, wo nur der Engel herabsteigt. Es gibt jedoch einige wenige Ähnlichkeiten: in beiden Fällen wird eine Form von concutere zur sonst simplen Beschreibung motus est bzw. mota est hinzugefügt, ebenso eine Form von omnis. Bei Letzterem mag es sich – neben einer offensichtlichen amplificatio – auch um eine theologische Aussage handeln: die Ereignisse betreffen die ganze Welt. 8

Anders Knappitsch ad loc, der den Ausdruck streng wörtlich versteht und eine Beschreibung des heiligen Grabes in Jerusalem bietet. 9 Vgl. Abbolito 305 und unten zu 749 velamina vestis. Bauer 326 verweist auf Aen. I 422; II 332, 725; V 695; VI 633; VII 221; Lucr. II 1100 und Hor. Carm. IV 12, 19. Seit Ennius, v.a. aber im späteren Latein ist dieser Gebrauch belegt, vgl. Kühner-Stegmann I 230. 10 Siehe auch Arevalo ad loc.: „solebant enim ita fieri tumuli, ut septo (sic) concluderentur.“ 11 Vgl. Flieger 171.

IV 743–766

247

terram ... concutit: Die Wendung findet sich vor Iuvencus schon bei Ennius (XVII 439 it eques et plausu cava concutit ungula terram). Recht nahe an der vorliegenden Wendung sind Sil. V 70f ac super haec divum genitor terrasque fretumque / concutiens und Claudian, Carm. Min. 29,5f trepidae quis viscera terrae / concutiat motus, vergleichbar auch mit terra als Subjekt Lucr. V 551 terra supra quae se sunt concutit omnia motu. Thraede schreibt zwar zu Recht, die Angelophanie hier müsse gegenüber der Vorlage „nicht weiter aufgeladen“ werden,12 einige Einzelaspekte sind aber einer näheren Betrachtung wert. caelo ... descendit aperto: Der Versschluss descendit aperto ähnelt stark I 11 visus ... descendere aperto, nah ist auch I 160 descendere caelo (dort keine explizite Öffnung des Himmels). An beiden genannten Stellen und hier fügt Iuvencus diese Öffnung gegenüber der Vorlage hinzu. Die Vokabel aperire ist dabei „in der Bibel wie auch in der Bibeldichtung [...] das Standardwort für das ‚Öffnen des Himmels‘ [...].“13 Zahlreiche Beispiele dafür wie auch für die griechische Entsprechung ἀνοίγειν bietet Fichtner.14 Auch außerhalb der biblischen Literatur ist die Wendung belegt, etwa Aen. I 155 prospiciens genitor caeloque invectus aperto und 394f aetheria quos lapsa plaga Iovis ales aperto / turbabat caelo [...] oder Ov. Met. VI 693 ideo ego [sc. Boreas] cum fratres caelo sum nactus aperto, dort jedoch jeweils in der Bedeutung „klarer Himmel.“15 lapsus descendit: Lapsus gebraucht Iuvencus nur hier in der Bedeutung „gleiten“, sonst (das Verb und das korrespondierende Substantiv) negativ (vgl. u.a. I 391 ut lapsum studeant casu defendere corpus oder I 686 planities suasit deformi lubrica lapsu). Die Verwendung von labi in jener Bedeutung ist aber keineswegs unüblich, vgl. z.B. Val. Flacc. I 686f: ecce autem molli zephyros descendere lapsu / aspiciunt, dort ganz ohne Ausdruck von Gefahr, sondern für sich legende Winde,16 ähnlich Prud. Perist. VIII 11 spiritus aeterno solitus descendere lapsu [...]. Abgesehen von diesem Detail, das den sanften Abstieg des Engels vor Augen stellt, erweitert Iuvencus aber „des Engels Herabkunft vom Himmel [...] kaum.“17 Zur von Huemer gewählten Schreibweise discendit siehe zu 672 descendat.

nuntius: Das griechischstämmige angelus vermeidet Iuvencus wie üblich und ersetzt es durch das lateinische nuntius,18 Domini lässt er aus.19 12 13 14 15

16 17 18 19

Vgl. Thraede (1996) 508. Fichtner 63f. Vgl. ibid. Quint. Inst. VII 9,10 zitiert coelo decurrit aperto und erklärt: utrum per apertum coelum, an cum apertum esset. Das Zitat ist wohl aber falsch nach Aen. V 212 pelago decurrit aperto; zur Identifikation der Aeneisstelle siehe M. Fabii Quintiliani de Institutione Oratoria Libri Duodecim, rec. et expl. G.L. Spalding, Bd. III, Leipzig 1808 ad loc. Vgl. Zissos 365f. Thraede (1996) 508. Vgl. dazu weiter Green (2006) 100–103 in der Auseinandersetzung mit Flury (1968) passim, bes. 40–44. Die Identifikation des Engels mit dem im Alten Testament herausgehobenen „Engel des Herrn“ ist schon im Neuen Testament nicht durchgängig zu erkennen (selbst innerhalb des

248

Die Verkündung der Auferstehung

Thraede spricht zu Recht bei allen Epiphanien davon, dass die Überwindung der „Kluft Himmel – Erde“ für Iuvencus ein wesentliches Motiv ist, 20 was durch caelo lapsus ... aperto eindeutig ausgedrückt ist. Damit wird auch ohne Domini die göttliche Sendung des Engels klar: was aus dem Himmel kommt, stammt von Gott her.21 Es fehlt jedoch hier der Aphanismos des Engels, da hier der Inhalt seiner Botschaft wichtiger als das genannte Motiv ist; s.u. nach 762 praecedere. saxum de limine: Der (eine, s. dazu oben zu 741 saxique ingentia pondera volvunt) Felsen wird weggerollt. Die Ortsangabe fügt Iuvencus indes hinzu, sie nimmt das Verschließen des limen aus 725 und 742 wieder auf. Bei Iuvencus fehlt nun eine Entsprechung von Mt 28,2d et sedebat super eum sowie zuvor des Partizips accedens. Ähnliches galt schon I 11, wo davon, dass der Engel konkret an der rechten Seite des Altares steht (so Lk 1,11), nicht die Rede ist; I 57 ad quam tranquillum sermonem nuntius infit fehlt ingressus angelus ad eam (Lk 1,28); I 160 ecce Dei monitu visus descendere caelo / nuntius findet stetit (für ἐπέσθη) aus der Vorlage Lk 2,9 keine Entsprechung. Im ersten und dritten Fall ist bei Iuvencus nur von der Erscheinung des Engels die Rede, im zweiten beginnt gleich die Rede. Zur Frage nach der Körperlichkeit der Engel äußert sich Iuvencus freilich nicht explizit, legt aber durch das Fehlen von Verben wie stehen oder sitzen nahe, dass er sich Engel im Wesentlichen nicht-körperlich vorstellte. I 42 sese teneris immiscuit auris (siehe auch oben zu 702 aetheriis animam comitem commiscuit auris)22, 79 vacuis se condidit auris und 175 caeli secreta revisunt schildert Iuvencus nun, in ersterem Fall gegenüber der Vorlage ganz eigenständig, jeweils einen Aphanismos, der sprachlich stark von klassischen Vorbildern geprägt ist.23 Das in den ersten beiden Fällen vorliegende Motiv des In-LuftAuflösens hilft bei der Frage nach der Körperlichkeit der Engel kaum weiter; Gleiches gilt für die schwache Parallele zum sich legenden Wind zwischen 746 lapsus descendit hier und Val. Flacc. I 686f. An der vorliegenden Stelle kommen nun noch andere Faktoren hinzu. Zum einen ähnelt die in den Versen 748f geschilderte Beschreibung des Engels derjenigen Jesu bei der Verklärung (siehe weiter zu den genannten Versen). Zum Zweiten heißt es hier nicht mehr, dass man den Engel herabsteigen sah (descendere visus), sondern dass er konkret herabstieg (descendit). Zuletzt wälzt er den Stein fort, handelt also doch physisch. Nun kann

20 21

22 23

Matthäus- und Lukasevangeliums wechseln sich die Bezeichnungen mit und ohne Artikel zu ἄγγελος ab) und daher vom Bibeldichter kaum zu erwarten. Vgl. Thraede (1996) passim, bes. 504 und 512. Ähnlich Fontaine (1981) 79. Sonst ist gerade diese Dimension bei himmlischen Botschaften wesentlich: I 11 hatte der Dichter durch iussas ... loquellas und I 160 durch Dei monitu eindeutig darauf verwiesen (vgl. Thraede (1996) 502). Ohne Mittlerschaft eines Engels heißt es bei Iuvencus nach Mt 1,20 ecce angelus Domini apparuit ei in somnis dicens [...] I 138 audivitque Dei super horrida somnia vocem und nach Mt 2,13 ecce angelus Domini apparuit in somnis Ioseph [...] I 255f ipsum etiam puerum monitis caelestibus actus / Aegyptum cum matre simul transportat Ioseph. Zu I 42 siehe weiter Fontaine (1981) 78, bes. Anm. 107 mit Parallelen in den Georgica. Siehe zu den Vorbildern Thraede (1996) 510.

IV 743–766

249

man Letzteres auch durchaus kausativ verstehen, also „er ließ den Stein (von selbst) wegrollen“, und eine Verbindung zwischen konkretem Herabsteigen und Körperlichkeit leugnen. Iuvencus ist im Ganzen also offenbar zögerlich, was menschliche Attributionen angeht (Stehen, Hineingehen, Sitzen), tritt aber der Vorstellung von (in irgendeiner Form) körperlichen Engeln nicht entschieden entgegen. Das frühe Christentum hatte im Allgemeinen Probleme mit dieser Frage. Dass die Engel einen vom Menschen unterscheidbaren Leib haben, ist communis opinio, dass sie aber völlig unkörperlich wären, wird von vielen angesichts ihrer Sichtbarkeit oder ihrer physischen Handlungen bestritten.24 Siehe weiter zum hier (in der Vorlage und bei Iuvencus) fehlenden Aphanismos zu den Versen 763f. Beschreibung des Engels (IV 748–751) Mt 28,3f: 3 Erat autem aspectus eius sicut fulgur et vestimenta eius candida sicut nix. 4 A timore autem eius exterriti sunt custodes et facti sunt velut mortui.

Iuvenc. IV 748–751 748 Illius et facies splendet ceu fulguris ignis, 749 et nivis ad speciem lucent velamina vestis. 750 Militibus terror sensum discluserat omnem 751 et iacuere simul ceu fusa cadavera leto. 748 fulgoris R K1 K2 P T1 Bb

illius: Die daktylische Messung ist seit klassischer Epik üblich, bei Iuvencus noch I 127, 342; II 221, 708 belegt. facies splendet ... vestis: Die Beschreibung des Engels ähnelt der Christi bei der Verklärung, III 321 continuo Christus faciem fulgore chorusco / mutatur, vestemque nivis candore nitescit.25 Beide zeigen ihre Zugehörigkeit zum göttlichen (himmlischen) Bereich; siehe oben zu Vers 747 nuntius. facies: Im Rahmen der Frage nach der menschlichen Gestalt des Engels (siehe oben nach 747 saxum de limine) ist zu klären, ob mit facies die Gesamtgestalt des Engels oder sein Gesicht gemeint ist. Die Kommentare zu Matthäus äußern sich gar nicht, nur Bovon gibt zur Verklärung Lk 9,29 seine Unsicherheit zu. Species vultus meint dort nicht notwendigerweise nur das Gesicht. 26 Iuvencus gebraucht facies für Gesicht (I 604 faciem foedare für Mt 6,16 faciem demoliuntur; IV 566 sanctam Christi faciem sputa improba complent für Mt 26,67 expuerunt in faciem eius, 658 faciem lavere salivis für Mt 27,30 et expuentes in faciem eius), aber auch allgemeiner bzw. metaphorisch (III 231 faciem discernere caeli für Mt 16,4 faciem ergo caeli diiudicare und IV 74f similes ... tectis sepulchris / quis facies nitida est für Mt 23,27 quae a foris parent hominibus speciosa), nicht aber für das 24 Vgl. J. Michl, Art. Engel IV (christlich), in: RAC 5 (1960) 119–121. 25 Green (2004) 152 Anm. 93 konjizierte dort vestis, da ihm vestem als Parallele zu faciem eingedrungen zu sein schien. 26 Vgl. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 1. Teilband, Zürich 1989 (EKK 3,1) 495, der zwar das „Gesicht“ versteht, aber zu bedenken gibt, es könne auch die gesamte Gestalt gemeint sein.

250

Die Verkündung der Auferstehung

Aussehen eines ganzen Menschen. Man muss also annehmen, dass der Dichter hier nur vom Gesicht des Engels spricht. ceu: Nur zwei Mal gebraucht Iuvencus das sonst im Epos häufige ceu (allein 19 Mal in der Aeneis, 75 Mal bei Silius, bei Sedulius jedoch nur ein Mal im Op.Pasch., ebenso bei Arator), beide Male in dieser Szene.

fulguris: Sowohl fulgoris (z.B. Lucr. V 284, 291; VI 316, allein bei diesem Dichter fünf Belege in anderen Kasus) als auch fulguris (z.B. Lucr. VI 391, sechs Belege in anderen Kasus) finden sich parallel (gleich nebeneinander Varro, Ling. lV 10 und Tert. Adv. Marc. IV 39 (CCL 1, 653,15 Kroymann)) und ohne Bedeutungsunterschied, Ersteres ist hier allerdings metrisch unpassend, da die paenultima lang gemessen werden müsste. Inhaltlich ergibt sich kein Unterschied. Die Junktur fulguris ignis findet sich außerhalb von Iuvencus erstmals Auson. Cupido Cruciatus 18, ein ähnlicher Ausdruck, fulgurat ignis, allerdings schon Sil. VI 220 und XII 724. Die Aufsprengung des fulgur der Vorlage in ein neues Substantiv und die Vokabel der Vorlage im Genitiv ist typisch27 für Iuvencus und dient der amplificatio. nivis ad speciem: Noch einmal bezieht Iuvencus die Vokabel der Vorlage (nix) im Genitiv auf ein neues Substantiv. Überraschend ist, dass der Dichter das Adjektiv candida trotz seiner Vorliebe für solche nicht wiedergibt; offenbar genügte ihm der Vergleich mit Schnee. Dieser und Leuchten sind indes auch vor Iuvencus in der Literatur verbunden (z.B. Aen. III 538 candore nivali und XII 84 qui candore nives anteirent),28 bei Iuvencus (auch dort der Vorlage entsprechend) III 322 vestemque nivis candore nitescit;29 eine direkte Parallele für species nivis, nix lucet oder Ähnliches findet sich indes nicht. Nahe kommt nur Ps.-Tib. III 3,25 o niveam ... lucem. Interessant ist auch Servius’ Deutung des Leuchtens in Aen. III 538, hoc ad victoriae omen pertinet.30 Auch Christus hat einen Sieg errungen. Das biblische Motiv ist mit paganen Vorstellungen, die bis auf Homer zurückgehen (Il. I 437)31, kompatibel. velamina vestis: Velamina ist bei Iuvencus Standwort, er gebraucht es noch I 323; III 631f und IV 703; im Falle von III 631f wie hier mit vestis. Der Dichter gibt Mt 21,7 imposuerunt super eum vestimenta dort so wieder: mollique super velamine vestis / insternunt. 32 Bauer verweist auf Sil. III 236 rubrae velamine vestis, Stat. Theb. V 315 regum velamina vestis sowie die vorliegende Stelle. Möglich sei, dass durch den Kontext (Hypsipyle spricht von ihrem Vater) bei Statius ein königlicher bzw. prunkvoller Einzug evoziert werden soll. 33 Das ist besonders dort beim Einzug Jesu in Jerusalem plausibel. Ferner deutet die Vokabel darauf

27 28 29 30 31 32

Vgl. Abbolito 305, oben zu 744 tumuli ... saeptum und unten zu 749 velamina vestis. Vgl. Green (2007a) 154 und 167 Anm. 101. Siehe weiter oben zu 748f facies splendet ... vestis. Serv. Aen. III 538. So Serv. Aen. XII 84 Homeri versus, verbum ad verbum. Arevalo ad loc. erklärt super als zu insternunt gehörig (Tmesis), Knappitsch ad loc. sieht es als Adverb. Mit Sicherheit ist jedenfalls velamine vestis instrumentaler Ablativ zu insternunt. 33 Vgl. Bauer 240.

IV 743–766

251

hin, dass der Engel in irgendeiner Form verhüllt, also nicht in reiner Gestalt, sichtbar ist. Zum dritten Mal nach fulguris ignis und nivis ad speciem gebraucht Iuvencus die Vokabel der Vorlage – hier eine damit verwandte; vestis für vestimenta – im Genitiv neben einem neuen Wort und nimmt dabei hier den Sprachgebrauch Statius’ und Silius’ auf. So gebraucht er Ausdrücke, die „colorito più tradizionalmente poetico e [...] più aulica ascendenza“34 vermitteln. militibus: Zur Person des Wächters als Soldat siehe oben zu 736 custos miles und zu 739 miles; zu Soldaten im Allgemeinen S. 136. terror: Die Vokabel gebraucht Iuvencus noch I 160, 163 und 367, in jedem Fall bei einer Epiphanie bzw. Angelophanie. Die Vorlage spricht I 160 und 163 von timor bzw. timere, im dritten Fall ist von nichts dergleichen die Rede. Besonders interessant ist, dass sich dort sogar der Teufel vor Jesu Macht fürchtet. Hier geht terror auf exterriti in der Vorlage zurück und ist deutlich stärker als das folgende pavor 753 (nach dem ebenfalls schwächeren timere). Die Frauen, von denen dort die Rede ist, sind verängstigt und werden beruhigt, die Soldaten hier mit Absicht in Panik versetzt. Zur Furcht bei Epiphanien im Allgemeinen siehe zu 753 pavor. Hieronymus macht in seinem Kommentar zur Stelle (in Matth. IV 28,4f (CCL 77, 280,1940– 1943 Hurst/Adriaen)) ebenfalls auf den Unterschied zwischen der Furcht der Soldaten und der Furcht der Frauen aufmerksam, bezieht sie aber weiter auf seine Leser. Er schreibt: Custodes timore perterriti instar mortuorum stupefacti iacent, et tamen angelus non illos, sed mulieres consolatur. „Nolite timere vos.“ Illi, inquit, timeant, in his perseveret pavor, in quibus permanet incredulitas.35 Eine Beziehung zwischen Iuvencus und dieser Auslegung ist kaum wahrscheinlich, für den Dichter ist der Aspekt des Wunders und der Überwindung der Macht der Soldaten (und des Todes) wichtiger. Diese Zurschaustellung von Macht ist ein genuin episches Element.

sensum discluserat omnem: Knappitsch verweist auf III 162 vos etiam duro discluditis omnia corde / iussa nec admittit mentis dubitatio lucem.36 Die Junktur sensum discludere oder überhaupt sensum mit einem Kompositum von claudere findet sich nur hier. Auch die Aussage der Vorlage wird leicht verändert. Während dort nur von Furcht und einem todesähnlichen Zustand die Rede ist, fügt Iuvencus die Empfindungsunfähigkeit hinzu. Das dient zunächst dem größeren Detailreichtum der Darstellung; weiterhin ist eine Aussage über die Erkenntnisart denkbar: es fehlt, wie Hieronymus sagt (s. den letzten Abschnitt), nicht nur an Wahrnehmung, sondern vor allem an Glauben und Einsicht. fusa cadavera leto: Fusa auf menschliche Körper bezogen ist regelmäßig belegt (z.B. Aen. IX 317 corpora fusa von betrunkenen Schlafenden, ähnlich Ov. Pont. III 3,8 fusaque erant ... languida membra). Interessant ist auch der Versschluss fugere cadavera letum Luc. VI 532, wo genau Umgekehrtes, nämlich die Auferstehung von Toten in der Erichthoszene, beschrieben wird. Jene Stelle ist nach Aen. VIII 264 und Georg. III 557 die erste, an der ein Epiker cadaver, „die34 Abbolito 305. 35 „Die Wachen, völlig in Schrecken versetzt, liegen gleich wie Tote erstarrt da, und dennoch tröstet der Engel nicht jene, sondern die Frauen: ‚Fürchtet euch nicht!’ Jene, sagt er, sollen sich fürchten, in denjenigen soll die Angst bleiben, in denen auch der Unglaube bleibt.“ 36 Vgl. Knappitsch ad loc.

252

Die Verkündung der Auferstehung

sen ansonsten vorwiegend prosaischen Ausdruck[,] seiner Schockwirkung wegen [...] einsetzt.“37 Inhaltlich näher an der vorliegenden Stelle sind Sil. XV 766f iamque per extentos alterna strage virorum / corpora fusa iacent [...] und Aen. XI 102 corpora, per campos ferro quae fusa iacebant, da es sich beide Male um Tote handelt. Siehe zu Letzterem auch Servius’ Deutung: „fusa“ modo interempta, alias fugata; sed discernuntur epithetis, ut si dicas „ferro fusus“, vel „metu fusus.“ 38 Daher ist leto kaum Dativus finalis, wie Knappitsch meint,39 zumal ein cadaver schon tot ist und nicht mehr „dem Tode hingestreckt“ werden müsste,40 sondern Ablativus causae im weiteren Sinne; man kann „vom Tode“ übersetzen. Insgesamt wird die recht nüchterne Angabe facti sunt velut mortui der Vorlage durch die stärkeren Vokabeln cadaver und letum deutlich amplifiziert, durch fusa episiert. Die Rede des Engels (IV 752–762) Mt 28,5–7: 5 Respondens autem angelus dixit mulieribus: „Nolite timere vos. Scio enim, quod Iesum, qui crucifixus est, quaeritis. 6 Non est hic, surrexit enim, sicut dixit; venite et videte locum, ubi positus est Dominus. (non est hic) 41 7 Et cito euntes dicite discipulis eius, quia surrexit. Et praecedit vos in Galilaeam; ibi eum videbitis; ecce dixi vobis.“

Iuvenc. IV 752–762: 752 Ille sed ad matres tali cum voce profatur: 753 „Vestra pavor nullus quatiens nunc corda fatiget; 754 nam manifesta fides, sanctum vos quaerere corpus, 755 quod crucis in ligno scelerata insania fixit. 756 Surrexit Christus aeternaque lumina vitae 757 corpore cum sancto devicta morte recepit. 758 Visere iam vobis licitum est, quod sede sepulchri 759 nulla istic iaceant, fuerant quae condita membra. 760 Dicite praeterea celeri properoque recursu 761 discipulis, Christum remeasse in luminis oras, 762 inque Galilaeam laetum praecedere terram.“

7 post et habb. ecce aur f ff1 g1 l q vg e

matres: Siehe oben zu 714 e speculis matres und zu 744 matres. tali cum voce: Bei Iuvencus eine typische Redeeinleitung, außer hier noch II 394, IV 240, 432 und 697, jeweils an gleicher Stelle im Vers belegt, vor ihm je-

37 M. Korenjak, Die Erichthoszene in Lukans Pharsalia. Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar, Frankfurt 1996 (Studien zur klassischen Philologie 101; Diss. Heidelberg) ad loc. 38 Serv. Aen. XI 102. 39 Vgl. Knappitsch ad loc. 40 So implizit Thraede (1996) 508. 41 Dieser Abschnitt wird zwei Mal gedruckt, um anzuzeigen, wie Iuvencus die Erzählreihenfolge ändert.

IV 743–766

253

doch nirgends (nur ähnlich Aen. I 406 und IX 17 tali fugientem est voce secutus).42 profatur: Bei allen Epikern Standwort, stets an letzter Stelle im Vers (z.B. Lucr. I 739; Aen. I 561; Ov. Met. IX 473; Luc. IV 701; Val. Flacc. II 289; Sil. I 124; Stat. Achill. II 16, bei Iuvencus zehn Mal, I 67, 201; II 179, 365, 757, 806; III 399; IV 52, 484 und hier), in der Prosa erstmals und einmalig bei Apul. Met. II 29. Den Engel lässt Iuvencus hier direkt sprechen, anstatt seine Rede in indirekte Rede umzusetzen. Das liegt einerseits an der Wichtigkeit seiner Botschaft, andererseits würde die Eindringlichkeit der beiden Aufforderungen, sich nicht zu fürchten und den Jüngern von der Auferstehung zu erzählen, bei einer Umsetzung in indirekte Rede verkleinert oder ginge gar verloren. Andererseits fehlt das biblische ecce dixi vobis aus Mt 28,7, das die wörtliche Rede rahmt; es wird nur durch his dictis in Vers 763 festgestellt, dass die Rede geendet hat. Diese Auslassung dient aber demselben Ziel wie sonst der Umgang mit wörtlichen Reden, nämlich der größeren Emotionalisierung. Siehe dazu weiter unten S. 319 und nach 762 laetum. vestra ... corda: Der Dichter nennt nicht die Menschen, sondern gleich ihre von Furcht betroffenen Herzen und emotionalisiert so. pavor: Die Vokabel bezieht sich zumeist nicht auf eine innere Qualität (Furchtsamkeit), sondern eine plötzliche Zögerlichkeit bzw. Furcht.43 Daher ist die Vokabel pavor hier passender als etwa timor, was dem in der Vorlage gebrauchten Verb, timere, näher käme. Typischerweise tritt pavor ferner im religiösen bzw. bei Berührungen mit dem göttlichen Bereich auf,44 so auch I 14 und 161. Abgesehen von der Vorlagentreue ist Furcht ohnehin ein geradezu zwingend zu einer Epiphanie gehörendes Motiv.45 Iuvencus gebraucht den Begriff auch für die Reaktionen auf die nachösterlichen Erscheinungen, vgl. unten zu 770 pavidae und 772 pavor. quatiens: Wie schon die Nennung der Herzen dient auch dieses Partizip der emotionalen Intensivierung und will die Furcht und das folgende Erbeben körperlich erfahrbar machen. Gleiches galt, wenn auch mit ansonsten anderen Mitteln, schon IV 711 quatiuntur corda pavore, siehe weiter dort,46 auch zu Parallelen. corda fatiget: Die Wendung ist vor Iuvencus nur bei Sil. I 63 dat mentem Iuno ac laudum spe corda fatigat und XIII 142f dum pavitant, spumantis equi fera 42 Vgl. de Wit 95. 43 Vgl. ThLL X 838,65–67 (Hickson 1991) respicitur plerumque affectio temporaria, quae eventu sive praesenti inopinatoque sive imminenti movetur; raro dicitur de qualitate alicui inhaerente. 44 Vgl. ThLL X 839,41 (Hickson 1991) causa divina, rebus sacris sim. 45 Vgl. Thraede (1996) 506: „Zur Epiphanie gehörte von jeher (Il. XX 130f; Od. I 323), daß der sie erlebende Mensch in Furcht geriet.“ 46 Vgl. Thraede (1996) 510: „Die Amplificatio des nolite timere (Matth. 28,5) läßt uns aber noch einmal einen Blick in seine Werkstatt tun [...]. Der Satz hat im Ausdruck erstaunlich viel mit dem Vers gemeinsam, in dem Matth. 28,54 (Jesu Bewacher unter dem Kreuz) sein Pendant erhielt (quatiuntur corda pavore ...). Vor Jesu Grab dagegen raubt der Schock den bewachenden Soldaten alle Wahrnehmung (terror sensum ...).“

254

Die Verkündung der Auferstehung

corda fatigans / evehitur belegt, in ersterem Fall wie hier in der Bedeutung „quälen“ bzw. „zusetzen“ statt bloß „müde machen“, im zweiten an derselben Stelle im Vers wie hier, aber ohne direkten Zusammenhang mit Furcht. Die körperliche Erfahrbarkeit der Furcht wird wie durch quatiens auch durch fatiget verstärkt. manifesta fides: Die bei Iuvencus erwartungsgemäß häufige Vokabel fides (42 Belege) kann hier nicht in der Bedeutung „Glaube“ (im spirituellen Sinne) gebraucht sein, wie es sonst häufig der Fall ist; das simple und weniger ambivalente scio der Vorlage wird durch ein episches Versatzstück ersetzt. So entspricht der Ausdruck, wenn auch die Vokabel bewusst gewählt ist, etwa manifestum est, quod. Manifesta fides ist nämlich vor Iuvencus häufig zu finden, zumeist, wie z.B. Stat. Theb. VI 638 auditum manifesta fides im Sinne von „man glaubte fest, was man gehört hatte“ (ähnlich Aen. III 374f), allerdings auch bisweilen in der Bedeutung „Beweis“ o.ä., so z. B. Luc. I 523f addita fati / peioris manifesta fides oder Aen. II 309 tum vero manifesta fides, Danaumque patescunt / insidiae. 47 Fichtners Erklärung „Das Adjektiv [...] qualifiziert in IV 754/56 (als Vergilzitat: manifesta fides) ebenfalls die Auferstehung (von Jesus: surrexit)“,48 ist falsch, da auf manifesta fides nur der AcI sanctum vos quaerere corpus folgt, während die Auferstehung erst im nächsten Satz berichtet wird. Santorelli sieht die „fede manifestata delle sante donne“49 den Listen der Griechen entgegengestellt. Zwar bezieht sich manifesta fides wie gesehen nicht auf die matres, jedoch dürfte der Rückgriff von Aen. II 309 als Kontrast zur Stelle hier durchaus bewusst sein. sanctum ... corpus: Zu Jesu Körper, der Junktur sanctum corpus und einer möglichen Theologie von der Auferstehung des Leibes siehe oben S. 208–217. Zur möglichen Auseinandersetzung mit Lukrez siehe ebenfalls dort. scelerata insania: Wie häufig ein abstractum pro concreto. Zudem wird das passive qui crucifixus est der Vorlage durch einen aktiven Satz ersetzt. Es ist hier offensichtlich, dass Iuvencus mit scelerata insania wie schon oben 595 sceleris facundia die Gegner Jesu bezeichnet. Deerberg spricht von einer Verschmelzung der negativen Charaktereigenschaften mit handelnden Personen. 50 Hier kehren so gleich zwei Motive wieder, nämlich die Klassifikation der Auslieferung und Tötung Jesu als Verbrechen und als Wahn, siehe oben zu 595 sceleris facundia, 627 furentem sowie unten S. 322–340. Den Ausdruck borgt Iuvencus von Aen. VII 460f arma amens fremit, arma toro tectisque requirit / saevit amor ferri et scelerata insania belli. Siehe zur Bedeutung dieser Imitation weiter unten zu 757 devicta morte, 762 laetum, 764 laetitia, 770 victorem leti und S. 274–276 zur Auferstehung als Sieg Christi. Diese Wertung steht nun nur durch ein Wort (fixit) von der Osterbotschaft surrexit im nächsten Vers getrennt. Die Verse 754–757 bilden eine Ringkomposi47 Williams und J. D. Duff, Lucan, The Civil War, Cambridge (Mass.) 1928 übersetzen daher jeweils „proof“. 48 Fichtner 60. 49 Santorelli (2011) 425. 50 Vgl. Deerberg 271.

IV 743–766

255

tion, nämlich Körper – Kreuzigung – Auferstehung – Körper. Dabei stehen sich die Kreuzigung, mit scelerata insania in Verbindung gebracht, und die Auferstehung, die aeterna lumina vitae wiedergebracht hat, direkt gegenüber; das Motiv, dass die Kreuzigung nicht das von den Gegnern Jesu gewünschte Ergebnis erzielt hat, kehrt wieder. Durch diese antithetische Verarbeitung wird deutlich die Intensität der Szene gesteigert. Mt 28,6a: non est hic gibt Iuvencus erst unten 759 wieder, siehe weiter dort, auch zu erzähltechnischen Gründen dieser Umstellung. surrexit: Flury bezeichnet die Vokabel als „Christianismus“, der noch einige Zeit brauche, um regelmäßige Verwendung zu finden. 51 Das ist angesichts der Beleglage falsch. Fünf Mal gebraucht Iuvencus vorlagengemäß surgere oder dessen Komposita (II 700; III 589; IV 28, 345 und 346), zwei Mal fügt er es gar hinzu (II 642 und IV 321), nur vier Mal vermeidet er es (III 294f; IV 708, 734f und 761). Das Simplex surgere gestaltet Iuvencus allerdings häufig aus, vor allem mit Hilfe von Lichtmotivik (II 642; III 294f; IV 27f, 345f52), wie es auch hier der Fall ist. Während der Engel in der Vorlage nur konstatiert: surrexit enim, fügt Iuvencus sowohl das eindringliche aeterna lumina vitae als auch das theologischexplizierend motivierte devicta morte hinzu; siehe weiter jeweils dort. Metrisch ist der Vers durch die Penthemimeres nach den fünf Längen surrexit Christus, auf die das schnellere aeternaque lumina vitae folgt, elegant gestaltet. Die Hebung einer kurzen Schlussilbe ist vor Zäsuren seit Ennius (oder gar seit Homer) durch die gesamte Klassik lizensiert,53 z.B. Ov. Met. XV 217 spesque hominum primae matris habitavimus alvo vor der Hepthemimeres, Ecl. III 91 omnia vincit amor et nos cedamus amori vor der Penthemimeres und Aen. III 91 liminaque laurusque dei totusque moveri vor der Trithemimeres. aeternaque lumina vitae: Während die Junktur aeterna vita häufig vorkommt (erstmals bei Lucr. V 1175, dann Aen. XII 879, christlich seit Tertullian, z.B. Nat. I 7,29 (CCL 1, 21,2 Borleffs), Apol. 8,1 (CCL 1, 100,3 Dekkers), 18,3 (CCL 1, 118,14 Dekkers), Bapt. 1 (CCL 1, 277,2 Borleffs) u.ö., bei Iuvencus II 650; III 161,54 530; IV 114, 811), ist von aeterna lumina vor Iuvencus nirgends die Rede, von lumen aeternae vitae erstmals bei Cypr. Ep. 69,14, später häufiger bei Ambrosius. Das wäre hier metrisch nur schwer möglich, so dass Iuvencus sich mit einer Enallage behilft. Lumina vitae findet sich dann wieder häufiger, s.o. zu Vers 734 e mortis ... tenebris ad lumina vitae, dort auch allgemein zur Verbindung von Lichtmotivik und ewigem Leben. corpore cum sancto: Zu Jesu Körper, der Junktur sanctum corpus und einer möglichen Theologie von der Auferstehung des Leibes siehe oben S. 208–217. 51 52 53 54

Vgl. Flury (1988) 295f. Siehe auch jeweils Röttger ad loc. Vgl. Crusius 28. Siehe dazu Bauer ad loc., der von einem „kontextbezogene[n] Epitheton“ als „Handlungsinterpretament“ und „Grundform des Kommentars“ spricht. Erstere Erkenntnis ist zweifellos wahr, Letzteres, im Anschluss an Herzog (1975) 181, eine Überinterpretation.

256

Die Verkündung der Auferstehung

Zur möglichen Auseinandersetzung mit Lukrez siehe dort und unten zu 761 remeasse. devicta morte: Die Wendung ist zuerst ausdrücklich bei (Ps.-)Sen. Herc. Oet. 1553 belegt, christlich von Tertullian gebraucht, nämlich adv. Prax. 23,12 (CCL 2, 1193,65 Kroymann/Evans) per resurrectionem morte devicta. Siehe zum Sieg über den Tod weiter oben zu 714 e speculis matres und unten S. 274–276. recepit: Christus war wirklich tot, musste das Leben also wieder annehmen (re-cipere). Das mag man als Abwehr von Gnosis oder Doketismus verstehen. Für sicut dixit gibt es bei Iuvencus keine Entsprechung. Dabei konnte das Motiv, dass das, was Jesus sagt, auch tatsächlich eintrifft, den Dichter, gerade nachdem er die Perikope von der Bestellung der zusätzlichen Wache wiedergegeben hat, nicht gestört haben. Zur Diskussion dieses Motivs siehe oben zu 584 mentemque Simonis ... Christi, dort v.a. den textkritischen Teil sowie unten zu 761 remeasse. Als Erklärungsmöglichkeit für die Auslassung von sicut dixit bleibt hier also nur Erzählökonomie; der Dichter legt offenbar mehr Wert auf eine poetische Ausgestaltung der eigentlichen Auferstehung. visere iam vobis licitum est: Die Formulierung mit licitum statt der Imperative der Vorlage beseitigt das Problem, dass von einem tatsächlichen Nachsehen nirgends die Rede ist: zwar erfährt der Leser in Vers 766 mit tumulumque relinquunt, dass die Frauen an das Grab herangetreten waren, jedoch nicht, ob sie es wirklich auch betraten. Einer Erlaubnis (wohl aus Glaubensgründen) nicht zu folgen ist unproblematisch, ja sogar aus der Perspektive eines Glaubenden beispielhaft, den direkten Befehl eines göttlichen Boten zu missachten dagegen problematisch. Zur Vokabel visere siehe oben zu 744 visere. quod: Quod an Stelle eines AcI gebraucht Iuvencus häufiger, s.o. zu 666 quod; dort auch weitere Literaturhinweise. sede sepulchri: Die Wendung entspricht Jesu Frage nach tumuli sedem in der Lazarusperikope, IV 370. Die Parallele hat dabei kaum eine inhaltliche Bedeutung, sondern ist vielmehr situationsbedingt, da beide auferstehen. Einen Unterschied zwischen tumulus und sepulchrum kann man kaum erkennen, siehe zur Gestalt des Grabes weiter oben zu 744 tumuli ... saeptum. Die Junktur sedes sepulchri ist außerhalb von Iuvencus nur bei Auson. Parentalia 16,15 und Comm. prof. Burd. 26,11 belegt.55 nulla istic ... membra: Nulla steht emphatisch zu Beginn des Verses, während das korrespondierende membra erst am Ende genannt wird. In diesem Vers wird das oben noch ausgelassene non est hic (Mt 28,6a) wiedergegeben, die Erzählreihenfolge etwas verändert. Statt: „er ist nicht hier, er ist nämlich auferstanden“ gibt Iuvencus die Auferstehungsbotschaft triumphal und ununterbrochen in den beiden stark ausgeschmückten Versen 756f wieder, um (logischer) von der Abwesenheit des Körpers Jesu erst darauf folgend zusammen mit der Erlaubnis, nachzusehen, zu berichten. Auffällig ist, dass Iuvencus den Titel Dominus, den die Vorlage gebraucht, durch das nüchternere membra tilgt. Das spricht klar gegen eine „starre“ 55 R. Green, The Works of Ausonius, Oxford 1991 bemerkt jeweils nichts, die Wendung macht an keiner der genannten Stellen Probleme.

IV 743–766

257

Verwendung von Hoheitstiteln (s.o. zu 590f Dominus ... Iesus) und für eine bewusste Gestaltung: gerade dass auch der Körper Christi nicht mehr im Grab zu finden ist, ist ein entscheidender Beleg für seine tatsächliche Auferstehung. Siehe zur Wertung des Körpers oben S. 208–217. Zwar gebraucht Iuvencus Tempora in der Regel ungenau, 56 hier fuerant auch aus metrischen Gründen, jedoch kann man im (Hyper-)Plusquamperfekt 57 durchaus auch einen bewusst stilisierten Ausdruck dessen, dass Jesu Körper zwar begraben gewesen war, jetzt allerdings nicht mehr aufzufinden ist, erkennen. Das lässt sich durch eine weitere Parallele aus der Lazarusperikope, nämlich IV 370f inquirit tumuli sedem, quo condita nuper / membra forent [...], illustrieren. Es ist eine bewusste Verwendung der Tempora an den vorliegenden Stellen erkennbar. Condita ... forent legt nahe, dass Lazarus’ membra noch im Grab sind, während fuerant das Gegenteil erkennen lässt. Zu condere für Begräbnisse im Allgemeinen siehe II 22 ut liceat miseri genitoris condere corpus und 24 et sine defunctis defunctos condere terrae, ähnlich Aen. V 47f ex quo reliquias divinique ossa parentis / condidimus terra.58 praeterea: Die Verwendung von praeterea als Überleitung wirkt hier übermäßig. Iuvencus verwendet es noch drei Mal, I 511, III 92 und 747, jeweils innerhalb einer Beispiel- oder Argumentationskette, wie man es erwarten würde. Hier ist es von einer Partikel kaum zu unterscheiden und am ehesten in der Bedeutung praesertim, maxime59 als Verstärkung des Auftrages zu verstehen. celeri properoque recursu: Das schlichte cito der Vorlage wird deutlich erweitert, um die Eile deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Dem dient auch das Metrum, der Vers besteht ausschließlich aus Daktylen. Schon die Ankunft der Frauen war durch eine Vielzahl von Enjambements beschleunigt worden (s. oben zu 743–747), um deren Bemühen, schnell zum Grab zu gelangen, auszudrücken. Gleiches soll jetzt für die Weitergabe der Botschaft gelten. Recursus ist Standwort (noch I 765, II 332 und IV 735), celer recursus findet sich noch Ov. Met VI 450 und Stat. Achill. I 232, ohne dass damit eine inhaltliche Abhängigkeit verbunden wäre. discipulis: Das Enjambement dient wie oben celeri properoque recursu der Beschleunigung der Szene. Zudem sind dicite und discipulis weitestmöglich voneinander getrennt und nach discipulis mit der Trithemimeres ein Einschnitt gemacht. Der Halbsatz ist also durch diese Rahmung kunstvoll und bewusst gestaltet. Christum remeasse in luminis oras: Iuvencus drückt die Auferstehung nicht direkt mit surrexit wie die Vorlage aus (siehe zu seiner sonstigen Gewohnheit oben 756 surrexit), sondern greift auf ein weiteres Lichtmotiv zurück. Die Junktur 56 Vgl. Hatfield 4f. 57 Vgl. ibid. 5 für weitere Belege der Konstruktion Partizip Perfekt + Plusquamperfekt von esse bei Iuvencus, die zumeist, wie auch 571 fueras comes additus, ohne Unterschied zum Plusquamperfekt oder gar Perfekt gebraucht werden. Siehe zur weiteren Verbreitung KühnerStegmann I 140–142 und Leumann-Hofmann-Szantyr II 43*. 58 Vgl. de Wit 17. 59 ThLL X 1008, 68 (Reijgwart 1993).

258

Die Verkündung der Auferstehung

luminis oras ist recht selten belegt, nämlich bei Ennius I 108f (Skutsch) tu [sc. Romule] produxisti nos intra luminis oras / o pater, o genitor, o sanguen diis oriundum (später zitiert von Lact. Div. Inst. I 15,31 (69,5f Heck/Wlosok)) und II 135 (Skutsch), dann öfter bei Lukrez, gerade im Zusammenhang mit Leben und Entstehung, z.B. Lucr. I 21f quae quoniam rerum naturam sola gubernas / nec sine te quicquam dias in luminis oras / exoritur und V 224–226 nudus humi iacet, infans, indigus omni / vitali auxilio, cum primum in luminis oras / [...] matris natura profudit, und zuletzt einmal bei Vergil, Aen. VII 660 furtivum partu sub luminis edidit oras und Georg. II 47 sponte sua quae se tollunt in luminis oras [...]. Iuvencus gebraucht es I 105f fundere partum [...] / in luminis oras von der anstehenden Geburt des Johannes, III 486 progigni in luminis oras für ein allgemeines „Geborenwerden“ und auffälliger II 342 in luminis oras ... remeasse von der Auferstehung des Knaben des königlichen Beamten. 60 Dabei gilt, was schon oben zu Reminiszenzen an die Lazarusperikope gesagt wurde: die Parallelen sind situationsgebunden (Auferstehungen) und nicht unbedingt theologisch relevant. Zu einer möglichen Auseinandersetzung mit Lukrez’ Philosophie, signalisiert durch die Übernahme seiner Terminologie, siehe oben S. 208–217. remeasse: Möglicherweise nimmt Iuvencus bewusst die Formulierung aus den Versen 734f. Wie schon mehrfach in der Kreuzigungsszene von der Gottessohnschaft (s.o. zum Kreuzweg S. 140, weiter v.a. zu 672 suboles veneranda Tonantis und 684 propriam subolem veneranda), sprechen die Gegner Jesu dort auch abfällig von seiner Ankündigung, aufzuerstehen. Eine Neigung zu solcher Ironie hat Iuvencus schon mehrfach gezeigt (s. vor allem oben S. 169–174 und S. 240). Er verzichtet hier jedoch darauf, Jesu Vorherwissen und damit einen Bezug zu seinen vorherigen Ankündigungen deutlich zu machen, indem er 756f sicut dixit nicht wiedergibt; siehe weiter dort. inque Galilaeam ... terram: Anstatt des Namens Galilaea allein hier von Galilaea terra zu sprechen entspricht der Gewohnheit des Dichters, simple Begriffe aufzusprengen, s. z.B. oben zu 749 velamina vestis. So verfährt er mit Galilaea schon I 435 per terram Galilaeam, das er für Mt 4,23 totam ... Galilaeam gebraucht. Dass Iuvencus Galiläa beibehält, spricht gegen eine einfache Entjudaisierung. Siehe weiter unten zu Vers 775 inque Galilaeam ... terram. laetum: Dass Christus „freudig“ ist, macht zunächst stutzig – man hätte es von gewöhnlichen Menschen erwartet, und so heißt es auch vom auferstandenen Lazarus IV 397 tum solvi iussit laetumque ad tecta remittit. Hier wird jedoch ein episches Motiv, nämlich die Freude epischer Heroen, umgekehrt. Siehe zur Freude unten zu 764 laetitia; zur Umkehrung anderer epischer Motive oben zu 714 e speculis matres und 755 scelerata insania, zu Christi Sieg über den Tod unten S. 274–276. praecedere: Der Dichter betrachtet et praecedit vos offenbar als einen Teil des Übermittlungsauftrages und gibt es daher im AcI wieder. 60 Iuvencus erzählt die heute für dieselbe gehaltene Perikope zwei Mal, nämlich I 741–766 nach Mt 8,5–13 als Heilung des Knechtes des Hauptmanns in Kapernaum und II 328–346 nach Joh 4,46–54.

IV 743–766

259

Mt 28,7 ibi eum videbitis, ecce dixi vobis lässt Iuvencus aus. Entweder schien ihm die Information ibi eum videbitis an die Frauen falsch, denn schon im übernächsten Vers der Vorlage begegnen diese Jesus in Jerusalem, nicht in Galiläa. Daran störte sich nach Fiedler Matthäus nicht.61 Oder der Dichter hielt wie zuvor praecedit auch videbitis noch für dem Übermittlungsauftrag an die Jünger zugehörig. Hat Iuvencus den Vers so verstanden, tilgte er ihn aus erzählökonomischen Gründen und vermied so eine Dopplung mit dem elaborierteren, aber inhaltlich gleichen Befehl Jesu in den Versen 774f; siehe weiter dort. Die Auslassung der Schlussphrase ecce dixi vobis wiegt nicht schwer; durch his dictis im nächsten Vers ist die wörtliche Rede klar als beendet markiert. Des Weiteren fehlt ein nach Thraede „gattungsgerecht[er]“62 Aphanismos. Der offensichtlichste Grund dafür ist freilich, dass es in der Vorlage keinen gibt. Insgesamt liegt hier das Augenmerk nicht, wie Thraede sonst zu Recht sagt, auf dem Wunder der Überwindung der unendlichen Entfernung zwischen Himmel und Erde in der Erscheinung, sondern auf der viel wichtigeren österlichen Botschaft, deren Dringlichkeit in den rahmenden Versen zum Ausdruck kommt. Die Notiz des Engels ecce dixi vobis schließt dessen Rede in der Vorlage auch formal ab, während ein solcher Abschluss bei Iuvencus fehlt. Der Dichter ändert daraufhin auch die Erzählreihenfolge. Während der Engel in der Vorlage seine Rede beendet und die Frauen daraufhin cito ... cum timore et gaudio magno aufbrechen, verwendet Iuvencus in typisch emotionalisierender Weise zwei Verse darauf, diese Gefühle erfahrbar darzustellen. Erst danach, durch denique in Vers 765 getrennt,63 kommt er auf das Verlassen des Grabes zu sprechen und versetzt so Mt 28,8a et exierunt cito de monumento ein wenig nach hinten. Diese Reihenfolge ist deutlich glatter, da sie die Gefühle stärker an die Epiphanie, durch his dictis visisque zusammengefasst, bindet. Was dann zunächst wie ein narrativer Makel scheint, dass nämlich die Epiphanie-Szene nie wirklich zum Abschluss gebracht wurde, ist durchaus absichtsvoll geschehen. Die Frauen verlassen das Grab praecipiti ... cursu (765, siehe weiter dort), „Hals über Kopf“ – die Abfolge der Ereignisse ist bewusst schnell und in diesem Fall ungeordnet.

61 Vgl. Fiedler 424f, besonders 425 Anm 176: „Wenn der Engel den Frauen das Vorausgehen Jesu mitteilt, liegt es wohl daran, dass 26,32 nur zu den Zwölf gesagt wurde. Mt hat sich offenbar nicht daran gestoßen, dass die Frauen gleich anschließend eine Begegnung mit dem Auferstandenen in Jerusalem haben.“ Vgl. auch Sand 582: „Die dahinter stehende Absicht ist, den Jüngern zu sagen, daß sie ihn in Galiläa sehen werden“, ähnlich Luz (2002) 405. 62 Thraede (1996) 509. 63 Vgl. ibid. 506: Trennung „der Epiphanie-Reaktion der Frauen von ihrem Verlassen des Grabes.“

260

Die Verkündung der Auferstehung

Erste Reaktion der matres und Gang zu den Jüngern (IV 763–766) Mt 28,8: Et exierunt cito de monumento cum timore et gaudio magno currentes nuntiare discipulis eius. (exierunt cito de monumento)64

Iuvenc. IV 763–766: 763 His dictis visisque animos perfuderat ardens 764 laetitia attonitis stupor ancipitique pavore. 765 Denique praecipiti celebrantes gaudia cursu 766 talia discipulis referunt tumulumque relinquunt. 763 ingens coni. Arevalo 764 laetitiae K1 K2 Mp T1 favore Poelm. : stupore M Bb L 765 celerantes Hl K1 K2 P S T1 B1 Bb H V1 V2 Arevalo Knappitsch : celantes Matr

dictis visisque: Thraede spricht überzeugend von einer Einheit von visus und loquellae in der Perikope, in der der Engel Zacharias erscheint (I 11f). 65 Bisher war hier diese Einheit nicht ausdrücklich hergestellt worden, das Homoioteleuton fasst aber elegant das Vorangegangene zusammen. Für die Junktur dictis visisque gibt es keine Belege vor Iuvencus. animos perfuderat ardens ... stupor: Bei Gefühlsregungen gebraucht Iuvencus animos, auch zumeist unterschieden von anima, sehr häufig.66 Während animos/-as perfundere nur in Prosa, häufig jedoch bei Christen belegt ist (Liv. X 38,8, Cic. Brut. 38; Tusc. IV 9,20, Gell. XI 13,5, Paul. Nol. Ep. 21 (CSEL 29, 153,14 Hartel), Ambr. Ep. IV 12, 9 (CSEL 82, 96,92 Faller), Aug. c. Acad. II 7,17 (CCL 29, 27,45 Green); in Psalm. 63,11 (CCL 39, 814,13f Dekkers/Fraipont); 93,2 (CCL 39, 1301,4 Dekkers/Fraipont); Catech. 2 (CCL 46, 122,13 van den Hout); Civ. Dei XVIII 51 (337,25f Dombart/Kalb); XIX 8 (368,10f Dombart/Kalb), Hil. in Psalm. 142,7 (CSEL 22, 808,23 Zingerle)), findet sich die Junktur in Dichtung gar nicht.67 Das Bild ist anschaulich; durch ardens, das erstmals Iuvencus mit stupor verbindet, wird zudem das Gefühl für den Leser physisch erfahrbar gemacht. Vor allem deshalb, und weil durch die beiden Ablative Gründe für das auffällige „Brennen“ des stupor genannt werden, ist Arevalos ingens stupor weniger wahrscheinlich. Eine mögliche Quelle dafür ist die Beschreibung der Emmausjünger Lk 24,32, die sagen: nonne cor nostrum erat in nobis ardens (optusum l : excecatum c : coopertum d) [...]? Dieses Feuer wird zwar meist positiv gedeutet (z.B. mit Verweis auf Jer 20,9 bei Ambr. in Psalm 118, 18,19 (CSEL 62, 406,25– 64 Dieser Abschnitt wird zwei Mal gedruckt, um anzuzeigen, wie Iuvencus die Erzählreihenfolge ändert. 65 Vgl. Thraede (1996) 502. 66 Vgl. Flieger 47, auch zur Unterscheidung der beiden Vokabeln. 67 Einige Komposita von fundere mit animos/-as sind belegt, jedoch die Stellen keineswegs mit der hiesigen vergleichbar, vgl. z.B. Verg. Aen. I 98 non potuisse tuaque animam hanc effundere dextra; X 907f accipit ensem / undantique animam diffundit in arma cruore oder Ov. Met. IV 765f postquam epulis functi generosi munere Bacchi / diffudere animos [...].

IV 743–766

261

407,4 Petschenig/Zelzer) oder bei Orig. Hom. in Jer. 20,8 (SC 238, 290,83 Nautin)), jedoch auch bisweilen mit Lk 12,49 ignem veni mittere in terram et quid volo si accendatur in Verbindung gebracht (z.B. durch Orig. Hom. in Jesu Nave 15,3 (GCS 30, 385,10 Baehrens), Hier. in Psalm. 20 (CCL 72, 198,26–30 Antin) und Ambr. in Psalm. 38,15 (CSEL 64, 195,3–24 Petschenig/Zelzer)). Ein Bezug zur vorliegenden Stelle ist bei den Kirchenvätern nicht auszumachen, die Annahme, Iuvencus könnte Lk 12,49, Lk 24,32 und Mt 28,8 hier zusammengebracht haben, ist gewagt.

laetitia attonitis ... pavore: Der Schlussvers besteht ausschließlich aus Daktylen und vermittelt so die Unruhe der matres. Zur Geschwindigkeit der Darstellung der Geschehnisse um die eigentliche Osterbotschaft siehe oben zu 743–747 und zu 760 celeri properoque recursu. Eine Verbindung von pavor und attonitus ist belegt (Ov. Pont. III 6,47; Luc. VI 131; Val. Flacc. V 15f; Stat. Theb. VII 127), jedoch nirgends mit der vorliegenden Stelle vergleichbar. laetitia: Hierbei muss es sich, was metrisch nicht gleich zu erkennen ist, um einen Ablativ handeln, da sonst mit laetitia und stupor zwei Subjekte unverbunden nebeneinander stünden. Zudem entsprechen laetitia und pavore korrespondierend timore et gaudio magno der Vorlage. Laetitia greift hier Jesu Freude (s. oben zu 762 laetum) wieder auf. Die matres, die auf Christi Seite stehen, teilen seine Freude. attonitis: Dativus (in-)commodi. Das Partizip Perfekt darf hier wieder nicht streng vorzeitig, sondern muss resultativ verstanden werden, da die matres durch den genannten stupor ja erst attonitae werden. Attonitos in Codex P ist gewiss eine spätere Vereinfachung.68 pavore: Stupore ist offensichtlich durch stupor im selben Vers bewirkte Verschreibung. Poelmanns Konjektur favore ist unverständlich: die in der Vorlage und auch bei Iuvencus zuvor unmissverständlich ausgedrückte Furcht würde einfach verschwinden. Zudem ist die Wiederaufnahme der Vokabel pavor, die der Dichter schon in Vers 753 bei der Wiedergabe des nolite timere des Engels gebraucht hatte, gut verständlich – obwohl der Engel die Frauen aufmuntert, können sie die für Epiphanien typische Furcht (s.o. zu 753 quatiens) nicht ablegen.

Die Ambivalenz der Gefühle der Frauen ist für Matthäus typisch, 69 Iuvencus gibt sie hier unverändert wieder, er nimmt seinen handelnden Personen nicht ihre Menschlichkeit. denique: „Im denique trennt Iuvencus die Anweisung des nuntius [...] und die Epiphanie-Reaktion der Frauen von ihrem Verlassen des Grabes (v. 76 im Hysteronproteron [...]).“70 Die Abfolge der Ereignisse ist also umgekehrt im Vergleich zur Vorlage geschildert. Der Ablauf der narratio wird dadurch glatter. Furcht und Freude sind mit der Epiphanie, wohin sie natürlich gehören (und deutlich mehr Raum bekommen als in der Vorlage; s. oben zu 763f), verbunden, während das Verlassen des Grabes sofort zur Begegnung mit Jesus auf dem Weg führt. Da denique aber keine abrupte, starke Trennung wie zwischen zwei Szenen ausdrückt, trenne ich die Kommentarabschnitte analog zur biblischen Verszählung und Erzählfolge. praecipiti ... cursu: Die Junktur taucht in der Dichtung erstmals bei Lukan auf, dort häufig, jedoch meist an anderer Stelle im Vers, vgl. Luc. II 706; III 391; 68 Vgl. auch Knappitsch ad loc. 69 Vgl. Luz (2002) 406. 70 Thraede (1996) 506.

262

Die Verkündung der Auferstehung

VI 496; X 508. Iuvencus gebraucht sie an gleicher Stelle im Vers wie hier IV 131 anceps praecipiti turbet trepidatio cursu in Jesu Rede von den Zeichen des Jüngsten Tages nach Mt 24,1–44. An gleicher Stelle im Vers findet sie sich Luc. VII 334–336 si totidem Magni soceros totidemque petentes / urbis regna suae funesto in Marte locasses, / non tam praecipiti ruerent in proelia cursu. Parallel zu Lukan stellt Iuvencus der enormen Eile der Soldaten die Eile der Frauen gegenüber – mit ganz unterschiedlichen Zielen. Die Soldaten stürmen in die Schlacht (durch funesto in Marte im Vers zuvor emphatisch ausgedrückt), während die Frauen die Osterbotschaft mitteilen wollen. Auch zur Rede vom Weltuntergang würde dann die Imitation der Lukanpassage passen.

celebrantes: Petschenig liest ohne weitere Begründung hier mit einigen Codices celerantes.71 Diese Information ist, da die Eile der matres in praecipiti cursu schon ausgedrückt ist, überflüssig. Celebrantes ist dabei nicht oder nicht ausschließlich als Bezug auf die Freude der Frauen zu verstehen, zumal diese noch mit Furcht gepaart ist. Vielmehr gebraucht Iuvencus die Vokabel i.S.v. „bekannt machen“72, bisweilen sogar zusammen mit dem Synonym frequentant,73 z.B. II 93f tunc timor et laudes Domini per pectora plebis / concelebrata simul miracula laeta frequentant,74 dort ebenfalls mit der Mischung aus Freude und Furcht, die also auch an der vorliegenden Stelle kein Problem mit celebrare bereiten kann, ferner III 202f tum populi pariter miracula tanta frequentant / aeternoque patri laudes gratesque celebrant.75 talia discipulis: Mit denselben Worten eröffnet Iuvencus den Vers II 509, es ist aber keine weitere Verbindung erkennbar.

referunt tumulumque relinquunt: Dass es sich um ein Hysteronproteron handelt, hat schon Arevalo erkannt.76 Dadurch rückt das wichtigere Element, nämlich die Meldung der Frauen an die Jünger, nach vorne vor das unwichtigere Verlassen des Grabes.77 Knappitsch merkt zudem an, dass es sich bei referunt ... relinquunt um ein Homoioteleuton handelt.78 Durch dieses Klangmittel wird das an sich auffällige Hysteronproteron gut in den Satz eingebunden.

71 Vgl. Petschenig (1891) 142. 72 Vgl. ThLL III 746,52f (Probst 1908) i.q. divulgare, notum reddere (ubique fere in bonam partem). 73 Vgl. OLD s.v. celebro 1, 6 und 7. 74 Vgl. Knappitsch ad loc.: „frequentare = concelebrare.“ 75 Laudes celebrare ist, so Bauer 143, zwar selten, aber gebräuchlich und Cic. Marcell. 9 sowie Ov. Pont. IV 8,87 belegt. 76 Vgl. Arevalo ad loc. 77 Kühner-Stegmann II 625 Anm. 1: „Sie [die Satzfolge Hysteronproteron, MM] wird dann angewandt, wenn der in der natürlichen Ordnung nachfolgende Begriff oder Gedanke als der gewichtigere, als der Hauptbegriff oder Hauptgedanke dargestellt werden soll, zu dem der zweite die nähere Ausführung gibt. So besonders häufig bei Dichtern [...].“ Siehe auch Leumann-Hofmann-Szantyr II 414. 78 Vgl. Knappitsch ad loc.

IV 743–766

263

THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Der Absatz zur Theologie kann hier angesichts der Kapitel „Die Auferstehung – Christi Krieg und Sieg“ (S. 274–276) und „Zu Körper und Seele bei Iuvencus“ (S. 208–217), die auf die beiden hier relevanten Theologumena eingehen, knapp ausfallen. Eine Suche in der Exegese nach der Wertung der Auferstehung als Sieg über den Tod ist müßig; dieses Motiv ist ubiquitär und bereits biblisch, z.B. 1 Kor 15,54f: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“, die selbst Jes 25,8 und Hos 13,14 rezipieren. AUSBLICK Sedulius gibt kein eigentliches Gespräch in wörtlicher Rede zwischen dem Engel und den Frauen wieder. Von der Christuserscheinung am Grab, die erst im nächsten Kapitel behandelt wird, berichtet er gar nicht. Stattdessen geht er vom Auferstehungsbericht gleich zum Betrug der Hohenpriester über; siehe dazu unten. Sedulius greift wie üblich deutlich stärker ein als Iuvencus. Noch mit der biblischen narratio vereinbar ist die polemisch-antijüdische Bezeichnung des Sabbats als tristia sabbata, dem der felix dies, Ostern, gegenübersteht (Carm. Pasch. V 315f coeperat interea post tristia sabbata felix / irradiare dies, s. dagegen oben zu 743f, sidera iam ... incipiunt). Auf diese anderthalb Verse folgt aber gleich, jegliche erzählerische Spannung sofort lösend, die Erklärung, dieser Tag habe den Herrn herrschen (ausgedrückt durch eine figura etymologica), die Welt entstehen und Christus auferstehen sehen (Carm. Pasch. V 316–318 qui [...] / a Domino dominante trahit primusque videre / promeruit nasci mundum atque resurgere Christum). Diese heilsgeschichtliche Deutung Osterns findet sich heute etwa im Exsultet der Osternacht, in dem die Entstehung der Welt, Exodus, Vergebung der Sünden und Auferstehung in Beziehung gesetzt werden. Ähnlich legt Sedulius die Stelle aus. Der Sabbat wird in Vers 319f nun gewendet, aus seinem jüdischen Kontext gelöst und mit ausdrücklichem Rückgriff auf die Genesis als orbis caput bezeichnet, als der Tag, an dem die Herrlichkeit des Königs der Welt sich bei dessen Sieg zeigt (Carm. Pasch. V 320–322 hunc orbis caput esse diem, quem gloria regis / nunc etiam proprii donans fulgore tropaei / primatum retinere dedit). Zusammengefasst: Auf etwas mehr als einen erzählenden Vers folgen sechs auslegende, zur Meditation der Schrift und der Schöpfung einladende Verse. So gelingt es Sedulius, seine heilsgeschichtliche Theologie wiederzugeben, und sein gewissermaßen aitiologischer Exkurs fügt sich gut ein. Die folgenden beiden Verse sind aus narrativer Perspektive interessant. Die Frauen – Maria wird als virgo parens neben den aliae herausgehoben – treten, mit Salböl in den Händen und trauernd (Carm. Pasch. V 324 gementes), zum Grab, und ohne dass vom Engel oder der Öffnung des Grabes die Rede gewesen wäre, wird dieses Carm. Pasch. V 325f schon proleptisch als vacuum corpore und plenum virtute bezeichnet. Die Reaktion der Frauen auf den Engel und ihre Furcht folgen so erst nach der Feststellung, das Grab sei leer, die erzähltechnisch simpel eingebaut wird. Darauf, diese Bot-

264

Die Verkündung der Auferstehung

schaft weiterzugeben, liegt aber auch gar nicht mehr das Augenmerk des Dichters. Wichtiger ist die oben schon genannte Gegenüberstellung vacuum corpore – plenum virtute. Die Beschreibung des Engels in den folgenden sechs Versen nimmt dann mehr Raum als die Erzählung des Kernstücks der christlichen Heilsgeschichte ein. Seine leuchtende Erscheinung wird zunächst recht nah an der Vorlage wiedergegeben (Carm. Pasch. V 326–328), dann aber ausgelegt. Zwar bringt der Engel Furcht und Freude, jedoch beziehen sich diese im Evangelium ambivalenten Gefühle der Frauen bei Sedulius auf verschiedene Menschen, der Engel erscheint gemina specie (Carm. Pasch. V 329), nämlich für die Wächter bedrohlich (Carm. Pasch. V 330f custodibus igne minaci / venerat in forma), für Christen dagegen rein positiv, keineswegs beängstigend; seine Gestalt ist schlicht weiß (Carm. Pasch. V 331 Christum quaerentibus alba). Dabei ist zu bemerken, dass nicht etwa nur von den Frauen, sondern von „denen, die Christus suchen“, die Rede ist. Die Szene deutet also über sich selbst hinaus. Durch diese Gegenüberstellung wird die folgende Perikope, die vom Betrug der Hohenpriester handelt, vorbereitet. Die Wächter sind nämlich wahrhaft durch ein göttliches Eingreifen überwunden worden und nicht bloß von den Jüngern, an deren Aufrichtigkeit kein Zweifel bestehen kann, bestochen worden; siehe dazu weiter unten S. 277. Die eigentliche Osterbotschaft, dass Christus den Tod überwunden hat (das macht Sedulius explizit) und auferstanden ist, gibt Sedulius überraschenderweise nur sehr kurz wieder (Carm. Pasch. V 332f illae igitur Dominum calcata vivere morte / Angelica didicere fide). Angesichts der Verse 325f wirkt dies hier verspätet, da das leere Grab und die Auferstehung kaum direkt in Bezug gesetzt werden. Die göttliche Autorität und Zuverlässigkeit der Botschaft wird allerdings in angelica fide betont. Da der Dichter dem Matthäusevangelium nicht strikt weiter folgt, lässt er den Auftrag des Engels, zu den Jüngern zu laufen und sie aufzufordern, nach Galiläa zu gehen, aus. Der Abschluss der Szene ist also knapp und unspektakulär gestaltet, die wesentlichen Punkte genannt bzw. vorbereitet. Auffälligerweise ist hier also für Sedulius die emotionale Durchdringung des Geschehens, gerade wenn der Leser sich mit den Frauen identifizieren kann, kaum von Interesse; deutlich wichtiger sind ihm exegetische Einfügungen, die sowohl theologische als auch kontemplativ-erbauliche Ziele verfolgen dürften. Er erzählt kaum von den Geschehnissen an Ostern, sondern fügt sie stattdessen exegetisch in einen heilsgeschichtlichen Kontext, der mit antijüdischen Topoi und Invektiven durchsetzt ist. Die für die Wächter und diejenigen, die Christus suchen, verschiedene Erscheinung des Engels kann eschatologisch gelesen werden: Durch Christi Heilshandeln ist bewirkt worden, dass, wer Christus sucht, freundlich begrüßt werden wird, anderen aber das Feuer droht.

DAS ERSTE GESPRÄCH MIT DEM AUFERSTANDENEN JESUS (IV 767–775) EINPASSUNG DER SZENE Meine Trennung zwischen der Verkündung der Auferstehung durch den Engel und dem Gespräch der Frauen mit dem auferstandenen Jesus gründet größtenteils auf praktischen Gründen. Die handelnden Personen (die matres) sind dieselben, auch befinden sie sich weiter auf derselben Reise. Iuvencus übernimmt aus der Vorlage das Signalwort ecce, durch das der leichte Einschnitt nach dem Ortswechsel markiert ist. Zum Übergang zwischen den beiden Szenenteilen siehe oben zu den Versen 762 praecedere und 765 denique, zu Übergängen allgemein unten S. 320. KOMMENTAR Die Begegnung der matres mit Jesus (IV 767–770) Mt 28,9: Et ecce Iesus occurrit illis dicens: „Havete.“ Illae autem accesserunt et tenuerunt pedes eius et adoraverunt eum.

Iuvenc. IV 767–770: 767 Ecce iteris medio clarus se ostendit Iesus 768 et fidas matres blandus salvere iubebat. 769 Occurrunt illae et genibus plantisque prehensis 770 victorem leti pavidae venerantur Iesum. 768 blande R K2 T L Arevalo

ecce iteris medio: Der Versbeginn ecce iterum ist im Epos mehrfach belegt (Aen. IV 576; Val. Flacc. IV 302; Stat. Theb. VI 802; XII 429; Sil. XIV 405). Die lautlich analoge Phrase ecce iteris dient also wie schon I 243, wo sie ebenfalls ohne direkte Parallele in der Vorlage war, der epischen Kolorierung. Der Vorlage fehlt hier jegliche Ortsangabe, so dass die (unpräzise) Angabe des Dichters die Geschwindigkeit der Szene hält („mitten auf dem Weg“ meint schließlich wenig anderes als „unvermittelt“) und zudem die Szene leichter vorstellbar macht. Die Form iteris statt des üblicheren itineris, bei Iuvencus mehrfach (I 243, 290, 318, 557; II 184; III 585; jeweils wohl aus metrischen Gründen) zu finden, ist zwischen Naev. F 10 TrRF, 419, Acc. trag. F 11 TrRF, Pacuv. trag. F 57 TrRF und Iuvencus nur Hyg. frg. ap. Char. gramm. 134, 12 (GLK) belegt1 und wird später Thema bei 1

Vgl. auch ThLL VII 538,45–48 (Teßmer 1967).

266

Das erste Gespräch mit dem auferstandenen Jesus

Char. gramm. I (83,3 GLK) und Prisc. gramm. II (229,1 GLK). Diese beziehen sich explizit auf Pacuvius und erklären dort weiter wohl richtig iteris und itineris als von verschiedenen Worten, iter und itiner, stammend (ähnlich Char. gramm. I [28, 24; 48,20; 49,11 GLK] ohne explizite Nennung der Genitive).2 Der Bibeldichter wählt sie also sicherlich nicht, um jemanden zu imitieren, und auch angesichts der wenigen Belege kaum als bekannten Archaismus, sondern aus metrischen Gründen mehrfach (I 243, 290, 318, 557; II 184; III 585). Die Wendung iteris medio findet sich vor Iuvencus gar nicht, nach Iuvencus nur zwei Mal (Beda, vit. Cuth. m. 584 und Sedulius Scotus, in Mt. I 2,9 (69,49–52 Löfstedt) als ausdrückliches Iuvencuszitat). Der Ablativus loci steht indes bei Iuvencus oft ohne Präposition, ohne dass ein System erkennbar wäre. 3 clarus ... Iesus: Das Epitheton clarus trägt Jesus bei Iuvencus noch drei Mal, nämlich II 128 in regione Chanan, ubi clari mater Iesu, III 3 clarus quibus haec depromit Iesus und IV 790 tunc sic discipulis clarus compellat Iesus (siehe auch dort). Bei den beiden nachösterlichen Erscheinungen handelt es sich um einen Hinweis auf eine verklärte, leuchtende Gestalt Jesu. Das gilt hier, besonders aber vor dem Missionsbefehl IV 790 angesichts des Zweifels mancher Jünger. II 128 rekurriert auf II 126 [cernetis] inde hominis nato claram deferre coronam, die Ankündigung Jesu an Nathanael unter dem Feigenbaum. Dabei handelt es sich also um eine textinterne Bestätigung der Messianität Jesu: Durch das Weinwunder zu Kana (II 127–152) wird diese erneut belegt. III 3 spielt mit der Lichtmotivik. Das dritte Buch der Evangeliorum Libri beginnt mit einem Sonnenaufgang und einer Frage der Jünger, auf die dann clarus Iesus antwortet. Dieser erscheint, wie seine folgende Erklärung, klar und deutlich. Es handelt sich bei clarus also nicht nur um ein unbedacht gesetztes Epitheton, sondern es ist mit einer jeweils eigenen Funktion versehen. Von einem ausdrücklichen „Auferstehungsleib“ ist jedoch nirgends die Rede, siehe oben S. 208–217. In christlicher Literatur hat sich clarus als Epitheton Jesu nicht durchgesetzt, es ist außerhalb von Iuvencus nur ein Mal (Rabanus Maurus, In Honorem Sanctae Crucis I 23) belegt, dazu kommt clarus Christus bei Jodocus Badius und Jan van Ruysbroek (ein bzw. drei Mal). se ostendit: Die Wendung ist in Prosa völlig gewöhnlich, jedoch in Poesie selten, nämlich nur Cat. LXIV 207, Verg. Aen. II 388, Ov. Her. XV 135 und Luc. VI 697 zu finden.

fidas matres: Das wichtige Epitheton fidas unterstreicht, dass die Frauen die Einzigen sind, deren Treue zu Jesus über den Tod hinausreichte, und dient analog zum Verhalten der Frauen als „Leseanleitung“ oben bei der Grablegung (S. 226) auch als Appell zur Nachahmung. Auch die typische Weisung 771f, keine Furcht zu haben, wird damit verbunden, dass die Frauen eben ob ihrer Treue (mentibus fidis, s. dort) beruhigt sein können. Zur Rolle der matres in Passion und Auferstehung siehe oben zu 714 e speculis ... matres und unten S. 272. 2 3

Vgl. Lateinisches Etymologisches Wörterbuch v. A. Walde, 3. neubearb. Aufl. v. J.B. Hofmann, Bd. I, Heidelberg 1938 s.v. iter und 408f. Vgl. Hatfield 16: „Prepositions are used or omitted differently.“ Siehe weiter Colombi (1997b) 13–15, bes. 15, vgl. auch Knappitsch ad IV 776 (ohne Seitenangabe).

IV 767–775

267

ostendit: Die ganze Perikope ist im üblichen historischen Präsens gehalten; 4 Gleiches gilt daher für die ambivalente Form ostendit. blandus: Die ebenfalls überlieferte und von Arevalo bevorzugte Lesart blande zeugt davon, dass blandus prädikativ zu verstehen ist. Knappitschs Verteidigung der Lesart blandus mit dem Argument, es handle sich mit clarus und Iesus um ein Homoioteleuton,5 wirkt mechanisch, ist aber nicht unplausibel, da Iuvencus solche Klangmittel gern gebraucht. An Stelle des wörtlichen, aber sehr knappen havete (zu Iuvencus’ Umgang mit wörtlichen Reden siehe unten S. 319) dient das Adjektiv der richtigen Stimmung: Jesus wendet sich positiv den matres zu. Iuvencus gebraucht die Vokabel noch I 563f; III 269, 338; IV 275 und IV 517, wobei keine dieser Parallelen auffällig ist; siehe allgemein weiter unten S. 272. Iuvencus gebraucht blandus nicht nur für Christus,6 sondern I 563f; IV 275 und 517 auch für andere bzw. deren Handlungen, in letztem Falle gar für Judas’ Anrede Jesu vor dem Kuss. Siehe dazu weiter Flieger 113.

salvere iubebat: Salvum te esse iubeo oder Ähnliches ist in der Komödie eine übliche Begrüßung, auch in Briefen verwendet, im Epos vor Iuvencus allerdings nirgends belegt. Man kann den Ausdruck also evtl. als Mangel hinsichtlich der epischen Hochsprache sehen, auf Grund der vielen kolloquialen Parallelen (Plaut. Asin. 296, 593; Cas. 1, 969; Men. 776; Merc. 713; Most. 568, 1128; Rud. 262; Trin. 435f; Truc. 577; Ter. Ad. 460f; sonst nur Hor. Ep. I 7,66; 10,1; Cic. Att. IV 14,2; 15,10; VII 7,7; X 1,1; XII 17,11), jedoch nicht als sprachliches Problem. Siehe zur Alltagssprache auch unten zu 781 argento redimit. genibus plantisque prehensis: Bei plantis handelt es sich um pars pro toto. 7 Genua und plantae bzw. genua und pedes stehen nirgends vor Iuvencus so eng zusammen wie hier. Das Umfassen des Knies ist eine bekannte Supplikationsgeste,8 die zu der in der Vorlage gemeinten Prostration tritt,9 die im römischen Kontext nur Göttern zukommt (bei Iuvencus auch Jesus, siehe unten zu 787 procumbens). Dass neben der üblichen römischen Geste die starke Prostration steht, ist ein gutes Beispiel für das Anliegen des Iuvencus, einerseits die Vorlage wiederzugeben, andererseits zu romanisieren, zuletzt aber auch theologische Aussagen zu treffen (hier nämlich die Göttlichkeit Jesu anzudeuten). Die Überlieferung des Johannesevangeliums, in dem (20,17) Jesus Maria gebietet, ihn nicht zu berühren, und die in der Exegese vielfach mit der vorliegenden Stelle harmonisiert wurde, 10 spielt für Iuvencus wie üblich keine Rolle.

4 5 6

Zum Tempusgebrauch siehe Hatfield 4. Vgl. Knappitsch ad loc. Anders Flieger 113, der zu IV 517 schreibt, blandus werde „sonst nur für Christus“ verwendet. Ähnlich Poinsotte 226 Anm. 874, der I 563f außer Acht lässt. 7 Vgl. Knappitsch, ad loc. 8 Vgl. OLD s.v. genu. 9 Von Wiefel 490 als „die höchste Form der Huldigung“ bezeichnet. 10 Z.B. Hier. Ep. 59,4 (87f Labourt 3) und 120,5 (133–136 Labourt 6), Ambr. Isaac V 43 (CSEL 32,1 667f Schenkl), besonders detailliert Ambr. in Luc X 147–184 (CCL 14, 387–400 Adriaen).

268

Das erste Gespräch mit dem auferstandenen Jesus

In der modernen Exegese herrscht keine Einigkeit, ob das Umfassen der Füße auch der Sicherung der Leiblichkeit Jesu dient,11 wie es Orig. in Matth. frg. 568 (GCS 41, 234,1–3 Klostermann/Benz) sagt.12 Zur Leiblichkeit des Auferstandenen siehe den Exkurs zu Körper und Seele bei Iuvencus, S. 208–217.

victorem leti: Siehe oben zu 714 e speculis ... matres und unten S. 274–276 zu Christi Sieg. pavidae: Siehe oben zu 753 pavor. Hier fügt Iuvencus diese Emotion, den Schauder vor dem Göttlichen, hinzu. Dieser begründet sich darin, dass die matres so plötzlich dem Sieger über den Tod gegenüberstehen. Neben der üblichen Psychologisierung dient die Hinzufügung von pavidae auch der Erzähllogik. Jesus sagt den Frauen nämlich zwei Verse später, sie mögen sich nicht fürchten, was in der Vorlage unbegründet zu sein scheint. Zwar ist „Fürchtet euch nicht“ in der gesamten Bibel eine übliche Einleitung göttlicher Botschaften, die für einen mit dem Alten Testament vertrauten Leser nicht unbedingt eine Erklärung benötigt, bei Iuvencus ist sie aber, zumal da mit dieser Vertrautheit mit biblischer Sprache seitens seiner Leser nicht zwingend zu rechnen ist, logisch besser verbunden. Dass Hieronymus sie für erklärungsbedürftig hielt und auf das Alte Testament rekurriert, spricht für genau diese Deutung der Hinzufügung, vgl. Hier. in Matth. IV 28,10 (CCL 77,1965–1968 Hurst/Adriaen) Et in veteri et in novo instrumento hoc semper observandum est, quod quando augustior aliqua apparuerit visio, primo timor pellitur, ut sic mente placata possint quae dicuntur audiri.13 Die Rede Jesu (IV 771–775) Mt 28,10: Tunc ait illis Iesus: „Nolite timere; ite nuntiate fratribus meis, ut eant in Galilaeam, ibi me videbunt.

Iuvenc. IV 771–775: 771 Talibus ille dehinc praeceptis pectora firmat: 772 „mentibus absistat fidis pavor omnis et ista 773 fratribus en nostris propere mandata referte: 774 Nostri conspectus si cura est, ite volentes 775 inque Galilaeam propere transcurrite terram.“ 772 fidis conieci : fides K2 in marg. B1 : om. Hl : fidei rell. 773 haec R V1 Arevalo : hinc M L Mp P B2 H Hl : en rell. 774 noster conspectus si curae est coni. Poelm.

11 Dafür Wiefel 490, dagegen Luz (2002) 418, der dieses Anliegen nur Lk 24,26–43 und Joh 20,24–29 ausgedrückt sieht. 12 Ähnlich angedeutet bei Ambr. in Luc. X 163 (CCL 14, 393,1547–1558 Adriaen), der jedoch auf Joh 20,17 verweist. 13 „Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament muss man immer darauf achten, dass, wenn irgendeine erhabene Erscheinung auftritt, zunächst die Furcht vertrieben wird, damit so mit ruhigem Sinn das, was gesagt wird, gehört werden kann.“

IV 767–775

269

ille dehinc: Die Phrase, die bei Iuvencus selbst erstmals belegt ist, gebraucht er oft als Redeeinleitung, dabei meist ohne Verb, nämlich II 36, 695; III 154, 510; IV 470; mit Verb IV 438, 555. Zu seinem Umgang mit Reden siehe unten S. 319. praeceptis: Zur Bedeutung der Vokabel bei Iuvencus siehe unten zu 799 praecepta. Hier ist mit praecepta nicht, wie sonst oft, etwas Heilsnotwendiges oder zumindest Weitergehendes gemeint, sondern nur die folgenden Weisungen, zunächst „Fürchtet euch nicht“, dann auch der weitere Auftrag an die Frauen, der die dauernde Präsenz Jesu verspricht. pectora firmat: Die Junktur kommt vor Iuvencus nur Val. Flacc. I 79f tandem animi incertum confusaque pectora firmat / religio vor, auch dort als Versschluss. Jason zweifelt, ob er nach Kolchis fahren soll, als sein Gottvertrauen 14 ihm neuen Mut gibt. Mit der sprachlichen Imitation der Argonautica ist verbunden, dass Jesu Zuspruch die alte Religion überbietet. Siehe zum Zusammenhang von fides und Herzensstärkung auch II 339 pulchra fides animum laetanti in pectore firmat. fidis: Das von allen bisherigen Editoren gelesene fidei ist hochproblematisch. Pavor fidei ist zunächst in der klassischen Literatur ohne Parallele, ähnliche Ausdrücke finden sich erst bei Hil. in Psalm. 66,9 (CSEL 22, 276,2f Zingerle) timoris Dei .... timor Domini; 118 Heth 7,8 (CSEL 22, 433,10f Zingerle) timor fidei und 127,2 (CSEL 22, 692,11f Zingerle) fidei timor, jeweils in der Bedeutung „Gottesfurcht“ bzw. „(heilige) Ehrfurcht“. In ähnlichem Zusammenhang findet sich fides ja auch bei Iuvencus, nämlich im Epilog, 802f has mea mens fidei vires sanctique timoris / cepit [...]. Die Kraft „des Glaubens und der Ehrfurcht“ stehen nebeneinander. Diese Bedeutung kann Iuvencus an der vorliegenden Stelle aber nicht im Sinn gehabt haben, da Jesus gewiss nicht den Frauen gebietet, keine Ehrfurcht zu zeigen. Für pavor als „Skepsis“, also pavor fidei als „Skepsis davor, zu glauben“ gibt es keine Belege. Fidei auf mentibus zu beziehen und es als „Seelen im Glauben“, übertragen also „fromme Seelen“, zu verstehen ist gänzlich ohne Parallele und ohnehin schwierig. Konjiziert man fidis (gestützt durch die in K2 und als Marginalnotiz in B überlieferte Lesart fides), ist es aber leicht möglich, den Vers so zu verstehen. Für den Bezug von fidus auf mens gibt es einige Parallelen, nämlich Stat. Silv. V I 207; Sil. XVI 22; Prud. Symm. II 387f; Paul. Nol. Carm. 14,6 (CSEL 30, 46 Hartel); 27,515 (CSEL 30, 285 Hartel); Ep. V 7 (CSEL 29,6–30,11 Hartel/Kamptner); Ambr. in Psalm. 39,16 (CSEL 64, 221,6 Petschenig/Zelzer). Dabei ist zwar die Form mentibus fidis nie belegt (wohl aber der Akkusativ Plural mentes fidas bei Sil. XVI 22), jedoch ohne Weiteres verständlich. Zwar vergrößert der Gebrauch von Formen von fidus in so bald aufeinander folgenden Versen nicht die variatio, jedoch verfährt Iuvencus bisweilen ähnlich, etwa IV 795 ablutos und 798 ablutis (siehe weiter dort) oder sogar in der vorliegenden Szene 773 und 775 propere. Zur Bedeutung der Treue siehe weiter unten S. 272. pavor: Siehe zu pavor im Kontext von Epiphanien oben zu 753 pavor.

14 Vgl. P. Langen, C. Valeri Flacci Setini Balbi Argonauticon Libri Octo, Bd. I, Berlin 1896 ad loc.: „Religio hoc loco explicatur spes auxilii divini.“

270

Das erste Gespräch mit dem auferstandenen Jesus

en: En wird hier nicht, wie zumeist, im Sinne von ecce gebraucht, sondern als Verstärkung des Imperativs;15 vgl. IV 392f Lazare, sopitis redeuntem suscipe membris / en animam tuque ipse foras te prome sepulchro. Das in einigen Handschriften überlieferte und von Arevalo gedruckte haec ist neben ista unsinnig. Hinc, das Knappitsch mit Verweis auf die besseren Codices ablehnt, ist ebenfalls bei Iuvencus belegt (18 Mal) und bestens verständlich, dürfte jedoch eine Korruptel auf Grund von dehinc zwei Verse zuvor sein. Es ist also en zu lesen. nostris: Entspricht meis, das metrisch nicht möglich gewesen wäre.

fratribus: Den Ausdruck gebraucht Iuvencus für die Jünger sonst nie, er übernimmt ihn hier aus der Vorlage. Über die Absicht des Dichters (will er die Brüderlichkeit unter den Jüngern betonen?) ist daher nur schwer etwas auszusagen. Zur weiteren Bezeichnung derer, die Jesus in Galiläa sehen, siehe unten zu 784f anxia ... turba. In der Exegese der Alten Kirche finden sich zwei mögliche Erklärungen. Ambrosiaster erklärt die Christen nach Gen 49,8 zum neuen Juda, vgl. in Rom. 2,17 (CSEL 81, 81,30–82,1 Vogels) quia in Iuda hoc significatum „dux vester“, et „Juda, te collaudant fratres tui.“ Schon Hier. in Matth. IV 28,10 (CCL 77, 281,1970f Hurst/Adriaen) verweist auf Ps 22,23: „Ich will deinen Namen den Brüdern verkünden.“ Der von Hieronymus genannte Psalm mag für Matthäus der Grund gewesen sein, hier von Brüdern zu sprechen, ist für Iuvencus aber vermutlich kaum von Bedeutung.

propere: Iuvencus gebraucht die Vokabel zweimal in nah beieinanderliegenden Versen (auch 775). Eile wegen der Wichtigkeit der Botschaft ist ihm ein besonderes Anliegen. mandata referte: Huemer und Roberts verweisen auf Aen. XI 175–177 sed infelix Teucros quid demoror armis? / Vadite et haec memores regi mandata referte: / quod vitam moror invisam Pallante perempto / dextera causa tua est, Turnum gnatoque patrique / quam debere vides. Abgesehen davon ist die Junktur nur noch Aen. VII 266f pars mihi pacis erit dextram tetigisse tyranni / vos contra regi mea nunc mandata referte und hier belegt, jeweils als Versschluss. Eine Kontrastimitation ist jeweils schwer auszumachen. Dass es sich jeweils um wichtige Botschaften handelt (Euander lässt Aeneas holen und ihm Lavinia versprechen bzw. ruft um Rache für Pallas), kann man kaum als solche bezeichnen. Iuvencus rekurriert also nicht auf die Aussage der Aeneis, sondern nur auf die Sprache Vergils. Die Vokabel mandata findet sich bei der Erfüllung des hiesigen Auftrags wieder; siehe dazu unten zu 785 mandatis Christi concurrens. Ich weiche hier von der Interpunktion aller Editoren ab und setze einen Doppelpunkt an Stelle eines Punktes, da der Inhalt des Befehls sich an die Jünger, nicht (nur) an die Frauen richtet.16 Richtete sich ite direkt und nur an die Frauen, wäre gar nicht ausgedrückt, worin die mandata Jesu, die die Frauen den Jüngern überbringen sollen, bestehen. Eine leichte Ambivalenz verschwindet durch diese schwache Trennung jedoch nicht (anders als in der Vorlage, in der Luz m.E. zu Recht die Frauen eindeutig von den Erscheinungen in Galiläa ausgeschlossen sieht17), und es scheint, dass nicht bloß eine ausgewählte Gruppe nach Galiläa zieht; s. dazu unten zu 784f anxia ... turba.

15 Vgl. ThLL V 547,26–45 (Burckhardt 1934). 16 So sieht es auch Luz (2002) 405 mit Anschluss an Wainwright für das Matthäusevangelium. 17 Vgl. ibid. 419.

IV 767–775

271

nostri conspectus si cura: Conspectus ist hier analog zu cura est alicuius rei Genitiv, 18 so z.B. auch Georg. III 404 nec tibi cura canum fuerit postrema und Aen. III 341 ecqua tamen puero est amissae cura parentis. Verständlich wäre zwar auch conspectus als Nominativ, die Belege für eine Konstruktion mit Genitiv sind aber, zumal in der Dichtung, häufiger. 19 Von mei ist nostri wie 800 nostri praesentia inhaltlich nicht zu unterscheiden. Poelmanns Konjektur noster ... curae ist unnötig.

ite volentes: Diese Hinzufügung verstärkt neben propere (zwei Mal), en und transcurrite weiter den Ausdruck der gebotenen Eile, spielt aber auch auf die rechte Geisteshaltung in der Christusnachfolge an. Der Versschluss findet sich zuvor nur bei Stat. Theb. IV 692f ite volentes / ite, wo Liber den Nymphen Anweisungen gibt. Iuvencus gebraucht das Partizip von velle nur zwei Mal, nämlich I 704f illi sed merito gaudebunt munere regni, / qui facient nostri genitoris iussa volentes und hier. Eine Beziehung zwischen den beiden Stellen ist abgesehen von volentes kaum angedeutet, inhaltlich ließe sich aber ein Bezug herstellen: Jesus lobt in der Bergpredigt diejenigen, die gern den Geboten Gottes folgen; daher verlangt er hier von seinen Jüngern genau diese Haltung. Zum Adressaten des Imperativs siehe oben zu Vers 773 mandata referte. Arevalo verweist auf Schoettgen, der sowohl im zitierten Statiusvers als auch hier volantes i.S.v. celeriter euntes lesen will. In beiden Fällen ist die Beleglage dafür äußerst schlecht (kein Beleg in den Iuvencushandschriften, nur eine Statiushandschrift hat volantes).

inque Galilaeam ... terram: Der Vers ähnelt stark 762 inque Galilaeam laetum praecedere terram. Nicht nur ist die Ortsangabe identisch, auch die sonstige Struktur ist vergleichbar: inque Galilaeam Adjektiv/Adverb Verb terram. In Vers 762 hatte Iuvencus zwar gesagt, dass Jesus nach Galiläa vorangegangen sei, dass er aber dort für die Jünger zu sehen sein werde, ausgelassen. Iuvencus komplettiert hier also mit eindeutiger Zitation des obigen Verses dessen Aussage und verbindet sie mit der Aufforderung, zu gehen. So macht Iuvencus aus der Not, die die moderne Exegese mit der Interpretation der sehr ähnlichen Verse Mt 28,5–7 und 9f hat,20 eine Tugend, indem er die beiden Aussagen poetisch geschickt komplementär in Beziehung setzt. An Harmonisierungen der Evangelien, nach denen Jesus den Jüngern entweder in Galiläa (Matthäus) oder im Geheimen (Lukas, Johannes) erscheint, hat der Dichter wie üblich kein Interesse. Opelt kritisiert hier die „bekannte Ungenauigkeit des Iuvencus“21 bei der Beschreibung von Landschaften. In der Tat geht der Dichter nicht über die Vorlage hinaus und zeigt wenig Interesse an topographischen Gegebenheiten; siehe dazu weiter unten S. 288. propere: S.o. zu 773 propere.

Von einer Ausführüng des Befehls berichten weder Matthäus noch Iuvencus. Die „Schar“ (siehe zu 784f anxia ... turba) der Anhänger Jesu wird erst nach der 18 19 20 21

Vgl. ThLL IV 1455,13–62 (Gudemann 1909). Vgl. ibid. Vgl. exemplarisch Wiefel 488 und Luz (2002) 396. Opelt 197.

272

Das erste Gespräch mit dem auferstandenen Jesus

Perikope, in der der Betrug der Hohenpriester geschildert wird, durch die Nennung von Galiläa gleich zu Beginn wieder aufgegriffen. So hat die Perikope dazwischen (wie in der Vorlage) den Charakter eines Einschubes; siehe aber weiter dort. Eine Glättung wie oben bei der Verschiebung des Selbstmordes des Judas wäre aber nicht möglich gewesen: den Betrug der Hohenpriester vor die Auferstehung zu ziehen ist sinnlos, ihn hinter den Missionsbefehl zu versetzen wäre zwar grundsätzlich möglich, würde aber Letzterem viel von seiner Deutlichkeit und Bedeutung nehmen. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Jesus als Sieger über den Tod Zu Jesus als victor leti siehe den Exkurs: „Die Auferstehung – Christi Krieg und Sieg“, Seite 274–276. Die Treue der Frauen als Grundlage für ihre Wertschätzung Origenes setzt die Frauen, die den Auferstandenen sehen können, von denen ab, die seine Herrlichkeit nicht erkennen konnten, sondern ihn am Kreuz verspotteten. So heißt es Ser. 132 (GCS 38, 269,22–24 Klostermann/Benz) ipse autem filium Dei se deridentibus quidem non ostendebat, ostendit autem credentibus sibi. Dort wird also, ähnlich wie hier Beharrlichkeit, der Glaube als Bedingung dafür, Christus zu sehen, angegeben. Schon bei der Grablegung sprach Hieronymus von der Treue der Frauen; siehe oben S. 226. Diese wird hier in den Versen 768 und 772 noch einmal hervorgekehrt. Hieronymus wird in seinem Kommentar zu vorliegender Stelle noch deutlicher: die Frauen haben es, weil sie sich so ausgezeichnet haben, sogar verdient (merebantur), als Erste Jesus zu sehen. 22 Diesen Zusammenhang zwischen Treue und Lohn drückt Iuvencus durch die Bezeichnung der Frauen als fidas auch hier aus. Dazu tritt aber noch das Epitheton blandus für Jesus. Er grüßt sie nicht einfach nur, sondern, gerade weil sie ihm die Treue gehalten haben, ist er besonders freundlich zu ihnen. Weiterhin wird in Vers 772 eine Beziehung zwischen der Treue und der Aufforderung, sich nicht zu fürchten, hergestellt. Auf Grund ihrer Frömmigkeit, auf Grund ihrer schon in Vers 768 positiv hervorgehobenen Konstanz, kann Jesus die Herzen der Frauen stärken (vgl. auch II 339 pulchra fides animum laetanti in pectore firmat); es gibt für sie also nichts zu fürchten. So legt auch Ambr. Isaac 5,43 (CSEL 32,1, 667,7–19 Schenkl) die Szene aus: tenetur ergo Iesus, sed delectatur sic teneri, quia fide tenetur [...]. 22 Hier. in Matth. IV 28,9 (CCL 77, 281,1956–1958 Hurst/Adriaen) quae sic quaerebant, quae ita currebant, merebantur obvium habere Dominum resurgentem et primae audire. – Dass dabei Frauen die Umwendung des von Eva gewirkten Schicksals als Erste erleben, spielt für Iuvencus keine erkennbare Rolle.

IV 767–775

273

Denique [...] habes quia tenentibus pedes et adorantibus dixit: „nolite timere“. Tene ergo tu, anima, sicut tenebat et Maria [...]. Die Bedeutung von Glauben und Glaubensstärke, des „Christus-Festhaltens im Glauben“, auch in Gegenüberstellung zu Zweifel (und hier Furcht), ist im ganzen Werk immens, sie war zudem schon in der Beschreibung des Petrus hervorgehoben worden, siehe dazu den Exkurs zu dessen Darstellung, S. 39–61, besonders zu III 119–123, S. 42–46. Die matres waren schon zuvor zu Identifikationsfiguren für den Leser geworden (siehe oben zu 734 e speculis matres und S. 226), daher sind sie auch hier als implizite Leser und Vorbilder für die Rezipienten zu interpretieren. AUSBLICK Sedulius gibt das Gespräch zwischen Jesus und den Frauen nicht wieder.

EXKURS: DIE AUFERSTEHUNG – CHRISTI KRIEG UND SIEG „Christ’s greatest battle, and his great victory, concerns death itself. His suffering is, as in the gospel, not hidden in advance, and the achievement of overcoming death is not only underlined at the end of the book (4. 770 victorem leti, ‚conqueror of death‘; 4. 757 devicta morte, ‚with death conquered‘), but foreshadowed in various earlier additions, as at 2. 405 leti victor vitaeque repertor, and 3. 342 in lucem referens mortis de sede tropaea. This interpretation of Christ’s death and resurrection is prominent in Patristic thought and is emphatically presented in Juvencus, in keeping with the emphasis on mors as spiritual as well as physical death throughout his work.“1

Dieses zutreffende Urteil von Green soll hier noch ein wenig ausgeweitet werden. Zu den zitierten Stellen kommt zunächst das Fehlen expliziter Verweise auf das Leiden des Gottesknechts (nach Jesaja) hinzu. Wird Jesus noch Mt 12,17–21 als sanftmütig bezeichnet, als jemand, der nicht schreit und nicht streitet, so fehlt dieser Absatz, der nach Vers II 601 hätte folgen müssen, bei Iuvencus ganz. Obwohl Sanftmut für Iuvencus nicht grundsätzlich problematisch ist, ist doch der Sieg, der Streit mit dem Tod, ihm offenbar ein wichtigeres Thema als das (freiwillige) Leiden: „c’est un roi, non un agneau, que doit célébrer l’épopée du Christ.“2 Aus Joh 3,14 et sicut Moses exaltavit serpentem in deserto ita exaltari oportet filium hominis, ut omnis qui credit in ipso non pereat, sed habeat vitam aeternam wird bei Iuvencus II 217–223 ut serpens olim regionibus in desertis / Moysei manibus summo sublatus honore est, / sic hominis natum tolli in sublime necesse est. / Ut, quicumque fidem mentis penetralibus altis / illius ad nomen statuit, sub turbine saecli / proculcet pedibus letum et trans sidera surgens / sublimis capiat donum inviolabile vitae. Zwar ist auch in der Vorlage davon die Rede, dass das ewige Leben erlangt werden soll, jedoch ist der Ausdruck proculcet pedibus letum auffällig stark, geradezu triumphal, 3 der Aspekt der Überwindung des Todes, zumal bereits in dieser (hier negativ gewerteten4) Welt, deutlich amplifiziert. Der direkte Bezug zu Ostern ist dabei ebenfalls gegeben, wenn auch von Iuvencus nicht verstärkt. 5 Christus ist also schon dort als der Sieger angekündigt, der seinen Feind, den Tod, niedertritt und selbst dadurch zur höchsten Ehre erhoben wird. III 339–342 spricht Jesus bei der Verklärung zu den Jüngern: surgite et abiectum fortes calcate timorem / nec cuiquam praesens pandatur visio verbis, / ni prius huc hominis suboles speciosa reportet / in lucem referens mortis de sede tro1 2 3 4 5

Ibid. 68. Poinsotte 91. Vgl. Heinsdorff 181 mit Verweis auf Arevalo. Bei Heinsdorff findet sich auch eine Vielzahl von Parallelen. Vgl. ibid. 179–181 mit vielen Belegen. Vgl. ibid. 172f.

Exkurs

275

paea. Bauer erkennt hier richtig einen Bezug zur Lehre von der Höllenfahrt, siehe dazu oben nach 710. Der Sieg über den Tod durch die Höllenfahrt ist „überaus häufig in der Liturgie und im Kirchenlied der Spätantike sowie in der Ikonographie“6 zu finden. Der Ausdruck tropaea für den Sieg über den Tod ist bei den Kirchenvätern belegt, vgl. Aug. Serm. 279 (PL 38, 1277, 7), Ambr. de Virg. 3,14 (PL 16, 269f) und Tert. adv. Marc. IV 20 (CCL 1, 595,11f Kroymann). Tertullian spricht dort im Allgemeinen über die kriegerische Natur des Sieges über den Tod; weitere Bezüge zu Iuvencus sind nicht auszumachen. Alle weiteren wesentlichen Stellen finden sich direkt in der Passions- und Auferstehungserzählung. Schon zu 714 e speculis matres war erklärt worden, wie Iuvencus die Ideale der Aeneis verkehrt, indem er den Frauen eine andere Rolle zuweist. Auffällig ist, wie auch die Auferstehung hier mit Kriegsvokabular beschrieben und somit Jesu Rolle als Sieger über den Tod deutlich gemacht wird. Dabei sticht zunächst der Ausdruck scelerata insania (u.a. 755) heraus. Diesen borgt Iuvencus von Aen. VII 460f arma amens fremit, arma toro tectisque requirit / saevit amor ferri et scelerata insania belli. Für Vergil ist der Wahn des Krieges ein Topos (noch Ecl. X 44 insanus amor duri Martis und Aen. VIII 327 belli rabies).7 Iuvencus gebrauchte ihn schon II 467 prodet enim fratrem scelerata insania fratris für Mt 10,21 tradet autem frater fratrem in mortem.8 Außerhalb der Aeneis und der Evangeliorum Libri Quattuor ist der Ausdruck nur (Ps.-)Tert. Carm. adv. Marc. I 16 (CCL 2, 1421 Willems) belegt. Der Bibeldichter stellt hier den Kampf Jesu und seiner Nachfolger, die ebenso wie er leiden müssen, den Kriegen der Aeneis doppelt gegenüber: Auch Jesus siegt, jedoch ist sein Sieg von größerer Bedeutung, außerdem wird er auf entschieden andere Weise errungen. Die Wendung devicta morte (757) findet sich zuvor nur bei (Ps.-)Sen. Herc. Oet. 1554 auf den Ausgang aus der Unterwelt bezogen, dann erst wieder bei Tert. adv. Prax. 23,12 (CCL 2, 1193,64 Kroymann/Evans) per resurrectionem morte devicta. Dort wird die Auferstehung so als Sieg über den Tod interpretiert. Dieser Gedanke findet sich nun 770 victorem leti wieder, war aber schon II 405 leti victor vitaeque repertor, wo Jesus die Tochter des Synagogenvorstehers erweckt, angedeutet worden.9 Während dort Christus noch eines anderen Tod überwand, kommt er nun hier selbst zum Leben zurück. Die Vokabel victor verdient nun eine genauere Betrachtung. Vergil gebraucht victor häufige 56 Mal, stets im kriegerischen Kontext, Lukrez dagegen nur ein Mal, nämlich I 75, wo Epikur als Sieger über die Furcht vor den Göttern und Bringer der ratio gefeiert wird. An Hand dieser Vokabel lässt sich also das Ziel und Hauptanliegen der jeweiligen Werke erkennen: für Vergil geht es um Kriegstaten, die Eroberung Italiens, für Lukrez um Vernunft, für Iuvencus um das (ewige) Leben. Typisch episch ist zuletzt, dass 6 7 8 9

Bauer 178. Siehe zur Entwicklung dieser Lehre oben S. 202. Vgl. Fletcher ad loc. Vgl. Diederich 403 Anm. 14. Diesen dort gefassten Gedanken hält Fontaine (1981) 69 für den wesentlichen des Gesamtwerks; siehe dazu das Kapitel zur Gattungsfrage, S. 355–383.

276

Die Auferstehung: Christi Krieg und Sieg

Christus auf seine Auferstehung, seinen Sieg freudig reagiert; er wird 762 als laetus bezeichnet. Dazu Deproost: „Le Christ le fait alors délier et le renvoie ‚joyeux dans ses foyers‘, de cette joie qui est un sentiment tôt ou tard partagé par tous les héros d’épopée et d’autant plus prégnant ici qu’il n’apparaît pas dans le récit évangélique.“10

Die Beispiele für laetum im kriegerischen Kontext sind zahllos (Aen. IX 819; X 738; Stat. Theb. III 618; XII 164; 62 Belege bei Silius). Diese Freude teilen zudem die matres (764 laetitia) Sie kommt ihnen als den exemplarischen Nachfolgern Christi zu, siehe dazu oben S. 226. Es wird also offenbar, dass Iuvencus nicht nur aus der Exegese und der kirchlichen Tradition, sondern auch aus der epischen Tradition Motive gewinnt, die seinen „Helden“ Christus als Sieger über den Tod, als größeren Sieger als die „Helden“ der vorherigen Epen charakterisieren.

10 Deproost 142. Siehe dort auch Anm. 55: „,Laetus‘ est un des adjectifs les plus fréquents dans l’épopée virgilienne.“ In der Tat finden sich 80 Belege.

DER BETRUG DER HOHENPRIESTER (IV 776–783) EINPASSUNG DER SZENE Die Erzählabfolge ist gegenüber der Vorlage nicht verändert. An Stelle einer deutlichen Überleitung durch quae cum abissent, ecce, was eindeutig die Betrachtung von den Frauen, die das Grab verlassen haben, auf die Wächter lenkt, kann die einfache temporale Überleitung interea bei Iuvencus den Eindruck, er verstehe die Szene eher als einen Einschub zwischen den Erscheinungen des Engels und Jesu und dem folgenden Missionsbefehl, nicht vertreiben; siehe dazu weiter unten zu 776 interea selbst, die Einleitung zur folgenden Perikope (S. 288) und zu 784 iamque, zu (stärkeren) Überleitungen im Allgemeinen S. 320. Es gibt weiter einige Bezüge zur Bestellung der Wache in den Versen 727– 742,1 die vor allem darin bestehen, dass die Wache aufgestellt wurde, um einen Diebstahl zu verhindern, wobei gerade ein Diebstahl hier als Erklärung der Auferstehung vorgebracht wird. Dabei handelt es sich über die Vorlage hinausgehend aber weniger um sachliche Parallelen als um Wertungen, ausgedrückt in furor (779) und audacia (783); siehe weiter jeweils dort. KOMMENTAR Die Soldaten verlassen das Grab (IV 776–778) Mt 28,11: Quae cum abissent ecce quidam de custodibus venerunt in civitatem et nuntiaverunt principibus sacerdotum omnia quae facta sunt.

Iuvenc. IV 776–778a: 776 Interea tumuli custodum exterrita corda 777 mittunt e numero partem, quae tanta referret 778 Iudaeis rerum miracula.

776 tumulo M C2 K1 K2 P S T B Bb Sg L Mp Matr V2 Ph P3 Huemer Marold Knappitsch

interea: Diese sehr schlichte und gewöhnliche Überleitung (zwölf Belege bei Iuvencus) zwischen der Epiphanie Jesu und der vorliegenden Szene entspricht epischem Sprachgebrauch.2 Luz versteht die Geschehnisse in der Vorlage (Abzug der Frauen, Reaktion der Wächter auf die Auferstehung) als gleichzeitig (der griechi1 2

Für die Bezüge zwischen den beiden Perikopen im Matthäusevangelium siehe Luz (2002) 420. Vgl. OLD s.v.

278

Der Betrug der Hohenpriester

sche Text lautet πορευομένων δὲ αὐτῶν),3 während die Itala-Übersetzung mit abissent auf Vorzeitigkeit schließen lässt. Interea ist nun nicht eindeutig. Es bringt üblicherweise Gleichzeitigkeit zum Ausdruck,4 dient Iuvencus aber als reine Überleitung zwischen Handlungsebenen. 5 Es lässt sich also nicht sicher zeigen, ob Iuvencus, wie in der Einleitung zur vorliegenden Perikope vermutet, diese als (gleichzeitigen) Einschub zwischen Auferstehung und Missionsbefehl sieht 6 oder sie nur an das Vorherige anschließen möchte; siehe zur Einleitung der nächsten Szene auch unten S. 288 und zu 784 iamque. tumuli: Zu tumulus für das Grab Jesu siehe oben zu 744 tumuli ... saeptum. Arevalo liest als Einziger mit einigen Handschriften tumuli, alle anderen Editoren lesen tumulo. Huemer, Marold und Knappitsch setzen nach corda ein Semikolon, Arevalo nicht. Damit zeigen die Editoren, ob sie corda als Subjekt zu mittunt (Arevalo) oder Vers 776 als eigenen Halbsatz verstehen, auf den ein weiterer Halbsatz folgt, in dem das Subjekt zu mittunt die Wächter sind, die der Leser aus custodum ergänzen müsste (die übrigen Editoren). Mir scheint das Satzzeichen hier aber überflüssig, da Iuvencus gerne Eigenschaften, Charakterzüge oder Seelen und Herzen als Subjekt gebraucht, z.B. in dieser Szene 783 audacia, II 431 bisseno pectora coetu für die zwölf Apostel, III 153 scribarum pectora für die Schriftgelehrten oder IV 595 facundia für die Gegner Jesu (siehe weiter dort). Zwar findet sich bei Iuvencus kein Beleg für den Gebrauch von corda für Personen, es ist jedoch in Analogie zu pectora hier gut verständlich. So entsteht eine elegantere Periode, die das Bild der exterrita corda mit der Handlung verbindet und zudem nicht mit einem Versende, sondern in der Mitte des Verses 778 schließt. Tumulo custodum müsste nun, da der Ablativus loci ohne Präposition bei Iuvencus häufig7 ist, im Sinne von „Wächter im Grab“ als Umschreibung für Grabwächter verstanden werden. Das ist auch als lectio difficilior schwer zu rechtfertigen. Daher ist tumuli zu lesen. exterrita corda: Als stark in Unruhe versetzt waren die Wächter schon bei der Erscheinung des Engels beschrieben worden; siehe zu 750 terror. Der Dichter gewährt dem Leser hier also einen erneuten Einblick in die Gefühle der Wächter. Hier dienen sie einerseits der Erklärung der folgenden Handlungen der Wächter, die mit der Auferstehung und dem Eindruck, gescheitert zu sein, umgehen müssen, andererseits helfen sie, die Stimmung der Szene näher zu bestimmen – die handelnden Gruppen sind in Schrecken versetzt bzw. von Wahn umfangen (siehe zu 778f amens und insano furori), und zwar angesichts der göttlichen miracula (778), die der Leser im Gegensatz zu ihnen zu deuten versteht. e numero: Der simple Ausdruck ist in der Dichtung selten, er findet sich nur Luc. VIII 231, Manil. V 717, Sil. X 601, bei Iuvencus noch II 361, 511. Dabei 3 4 5 6 7

Vgl. Luz (2002) 421. Vgl. ThLL VII 2182,56 (Löfstedt 1963) de eis, quae aguntur, dum alia fiunt. Vgl. Thraede (2000) 891: „Handlungsebenen verknüpfte der röm. Epiker gern durch interea; I. übernimmt das [...], allerdings 1, 307 [...] im Widerspruch zum Kontext (Fichtner 11).“ Vgl. Luz (2002), 420f, anders Wiefel 491. Vgl. Hatfield 16: „Prepositions are used or omitted differently.“ Siehe weiter Colombi (1997b) 13–15, bes. 15.

IV 776–783

279

steht e numero überhaupt nur hier ohne Genitiv oder Possessivpronomen; zu ergänzen ist also suo (für corda) bzw. inhaltlich custodum auch auf e numero zu beziehen. mittunt ... partem: Gegenüber der Vorlage quidam de custodibus venerunt ist Iuvencus deutlicher. Während dort bloß faktisch von einigen Wächtern berichtet wird, erfuhren wir von Iuvencus schon einen möglichen Grund dafür, dass nicht alle gehen: sie sind nämlich (zu sehr) in Schrecken versetzt. In der Vorlage sind ferner Gehen und Meldung (ohne Ausdruck einer Absprache oder Planung) mit einem schlichten et verknüpft. Hier wird ein Teil der Wächter explizit geschickt, um Bericht zu erstatten, ausgedrückt durch den finalen Relativsatz. tanta ... rerum miracula: Die Junktur rerum ... miracula taucht bei Iuvencus regelmäßig auf, außer hier noch II 123, 639; III 116, 572; IV 402. Rerum steht dabei als „metrisches Füllwort“8 hinter dem wichtigen Wunderbegriff zurück. Durch die Sperrung wird miracula pointiert an den Schluss des Satzes gestellt. Das dient einerseits dazu, diese Wertung so weit wie möglich herauszuzögern, andererseits, die Wunder dem Wahn der Gegner Jesu in den folgenden Versen direkt gegenüberzustellen; siehe weiter dort zu amens und insano ... furori. Ähnlich hatte Iuvencus schon III 116 das Wunder des Wasserwandels dem Kleinglauben Petri gegenübergestellt, siehe dazu oben im Exkurs zur Darstellung des Petrus S. 39–61. In der modernen Exegese wird diskutiert, worum es sich bei omnia, quae facta fuerant handelt. Luz wendet sich dabei gegen Schweizer und sagt, es handele sich nicht um eine eindeutige Feststellung der Auferstehung, da die Wächter von dieser nichts wüssten. Sie könnten höchstens von der Engelerscheinung und dem leeren Grab berichtet haben. 9 Wir erfahren von Iuvencus nicht, was genau er sich unter miracula vorstellte, man muss aber annehmen, dass er die wissenschaftliche Skepsis moderner (v.a. protestantischer) Exegese nicht teilte.

Iudaeis: Gegenüber der Vorlage, in der eindeutig von den Hohenpriestern die Rede ist, verallgemeinert Iuvencus und spricht pauschal von Iudaei. Die Zusammenfassung völlig verschiedener jüdischer Gruppen findet sich häufiger (siehe oben zu 729 nulla sed ... servat; dort werden Pharisäer und Hohepriester zu proceres; siehe zur bisweilen misslungenen Unterscheidung zwischen den Gruppen zu 674f), wobei die gegen Jesus handelnde Oberschicht in der Regel zumindest differenziert als sacerdotes oder proceres und nicht bloß als Iudaei bezeichnet wird. Die letztere, ethnische Bezeichnung findet sich sonst nur da, wo sie auch in der Vorlage schon gebraucht wird; siehe weiter unten S. 322-340. Erzählökonomisch lässt sich nun aber erklären, warum die Ortsangabe in civitatem fehlt. Da die Wächter einige aus ihren Reihen zu „den Juden“ schicken, ist diese Präzisierung überflüssig. Luz weist zuletzt darauf hin, dass es auf den ersten Blick seltsam erscheint, dass die römischen Wächter sich an die jüdischen Hohenpriester wenden.

8 9

Bauer 116. Er weist auch auf die Parallele Georg. IV 441 hin. Von Pentheus heißt es dort omnia transformat sese in miracula rerum. Der Vers unterscheidet sich vom Vorliegenden zu stark, als dass eine Kontrastimitation anzunehmen wäre. Vgl. Luz (2002) 421. Anders Fiedler 426f.

280

Der Betrug der Hohenpriester

Das liegt aber daran, dass sie von ihrem Statthalter Letzteren (739f bzw. Mt 27,65) zur Verfügung gestellt wurden.10 Der Betrug der Hohenpriester (IV 778–783) Mt 28,12–15: 12 Et congregati cum senioribus consilium acceperunt pecunias copiosas dederunt militibus 13 dicentes: „dicite quia discipuli eius nocte venerunt et furati sunt eum nobis dormientibus.

Iuvenc. 778b–783: 778

Sed manus amens,

779 iam semel insano penitus devota furori, 780 praemia militibus certatim magna rependit 781 et famam argento redimit, quod limine rupto 782 furtim sustulerit corpus defensa tenebris 783 occulte rapiens audacia discipulorum.

14 et si hoc auditum fuerit a praeside nos persuadebimus ei et securos vos faciemus.” 15 At illi accepta pecunia fecerunt sicut erant docti. Et divulgatum est verbum istud apud Iudaeos usque in hodiernum diem. 781 redemit K1 K2 T1 Bb Mp : redimet V2

amens ... insano ... furori: Alle drei Wertungen treffen zuvor in gleicher Reihenfolge Judas (422 amens, 437 insano ... corde, 514 furentis). Siehe zu diesen Ausdrücken unten zu den jeweiligen Stellen, oben zu 627 furentem und zum Judasbild (S. 111–117). Zu einer möglichen Assoziation zwischen Judas und „den Juden“ oder einer antijüdischen Deutung siehe unten S. 322–340. sed manus amens: Mit manus bezeichnet Iuvencus nur III 572 und hier Gruppen von Menschen. Dort handelt es sich um die Arbeiter, die nach Mt 20,1– 14 als erste in den Weinberg gegangen waren; eine Beziehung zwischen den beiden Szenen ist nicht zu erkennen. Durch diese Bezeichnung wird aber die Verallgemeinerung und Deindividualisierung der Gegner Jesu weitergetrieben (siehe auch zu 595 sceleris facundia, besonders, da mit der vorliegenden Szene zusammenhängend, zu 729 nulla sed ... servat). Das Detail, dass die Hohenpriester sich mit den Ältesten zusammentun, wird gegenüber der Vorlage getilgt; ebenso fehlt eine Entsprechung für consilio accepto. Während das Matthäusevangelium gerade zum Ausdruck einer „offiziellen“11 Handlung vom consilium spricht, liegt Iuvencus’ Intention anders: er will nicht von planvollem, sondern von ganz und gar wahnsinnigem Handeln berichten. Der Dichter gebraucht ferner amens nur hier und IV 422, dort für Judas. Judas war dort nicht pathologisch wahnsinnig, sondern eher momentan nicht bei klarem Verstand (s. auch oben zur Stelle, S. 112–113). Zu Recht weist Poinsotte darauf hin, dass sich hier die Wunder vom Ostermorgen 10 Vgl. ibid. 11 Luz 422.

IV 776–783

281

und amens / devota furori entgegenstehen.12 Das ist nun nicht nur inhaltlich erkennbar, sondern auch dichterisch ausgedrückt, indem miracula und amens nur vom adversativen sed (und manus) getrennt werden. Für Iuvencus ist insgesamt (wertende) Psychologie und damit poetische Emotionalität interessanter als Politik; siehe weiter unten nach 783 audacia discipulorum. Deutlich interpretiert Origenes diesen Mangel gerade der Hohenpriester an Erkenntnisfähigkeit als Gottlosigkeit.13 Einen ähnlichen Gedanken hatte Iuvencus oben bei der Bestellung der Wache: gerade die Hohenpriester handeln gegen das Gesetz, so wie sie hier gegen den als sicher gedachten Bericht der Soldaten handeln; vgl. zu 729 nulla sed ... servat. iam semel ... furori: Als die Gegner Jesu die Wache am Grab aufstellen ließen, gaben sie vor, gegen den Wahnsinn zu handeln bzw. das Aufkommen neuer Fehler zu vermeiden, sie begehen nun aber selbst welche; siehe zu 731 erroris laqueos iustissima poena resolvit, 737 fera ... audacia und 738 insania und unten zu 783 audacia discipulorum. Dieser Widerspruch wird auch durch die Wortwahl deutlich: insano weist auf insania (738) zurück (deutlicher noch als auf Judas, der ja ebenfalls 437 als insano ... corde bezeichnet wurde14). Dazu tritt der schon mehrfach zur psychologischen Erklärung gebrachte furor; siehe dazu unten S. 322–340. Die Gegner Jesu sind nicht nur in der vorliegenden Situation, sondern seit einiger Zeit schon von Wahn befallen, ausgedrückt durch iam semel ... devota. Waren sie ein Mal betroffen, blieben sie auch in ihm verhaftet. Zudem sitzt dieser Zustand tief, penitus. Bezüglich devota verweisen Huemer und Arevalo auf Aen. I 712 praecipue infelix, pesti devota futurae. Auf kleinere Parallelen zwischen Dido und Judas war schon hingewiesen worden, siehe oben zu 628 infelix und zu 435 scelerato corde (S. 112–113). Die Parallele hier ist zunächst klanglich, endet der Vers doch in beiden Fällen mit p[...] devota f[...]. Vergil weist schon im ersten Buch auf Didos unglückliches Ende hin. Während einige der Charakterzüge und Merkmale des Schicksals der karthagischen Königin, nämlich ihr späterer Wahnsinn und die Vergeblichkeit all ihrer Bemühungen, Aeneas zu halten, sowie letztlich ihr Selbstmord, sich leicht auf Judas sowie mit geringen Abstrichen auch auf die vorliegende Szene beziehen lassen, sind die tragischen Elemente der Dido-Geschichte (Dido kann sich aus einer unglückbringenden Situation, in die sie von den Göttern gebracht wurde, nicht befreien15) nicht alle direkt mit dem Neuen Testament und der Aussage des Iuvencus zu verbinden; Iuvencus geht es schließlich auch um eine moralische Dimension. Eine Entsprechung mit der Dido-Tragödie kann jedoch darin gefunden werden, dass weder die Königin noch die jüdischen Gegner Jesu den göttlichen (Heils-)plan

12 Vgl. Poinsotte 224. 13 Vgl. Ser. 145 (GCS 38, 299,2–4 Klostermann/Benz) non aliis, sed ipsis „principibus sacerdotum omnia quaecumque fuerant facta“, ut ex omni parte inexcusabilis eorum constituatur impietas. 14 Gegen Poinsotte 224, der in dieser Assoziation zwischen Judas und „den Juden“ Iuvencus’ Hauptanliegen sieht. 15 Vgl. Austin (1971) 213f.

282

Der Betrug der Hohenpriester

erkennen können oder wollen. 16 Hier ist die falsche Reaktion auf die Offenbarung dieses Plans durch die Gegenüberstellung von miracula und sed manus amens im vorherigen Vers zum Ausdruck gebracht: man hätte anhand der Wunder in jedem Fall, viel mehr noch als anhand von Aeneas’ Erklärungen, zur Erkenntnis gelangen können. Fraglich ist, ob die Juden von Natur aus verdorben oder hier einmalig verblendet sind; siehe dazu und zum möglichen furor Iudaicus unten S. 322–340. Als Versbeginn findet sich iam semel nur noch Lucr. VI 1041, wobei mit den dortigen Beschreibungen der Beschaffenheit von Eisen keine Parallele anzunehmen ist. Auch die Verbindung zwischen furor und insanus, die angesichts Iuvencus’ Vorliebe für diese psychologische Erklärung nicht verwunderlich ist, ist selten, sie findet sich (indirekt) nur Aen. IX 760f: sed furor ardentem caedisque insana cupido / egit in aversos. Eine Kontrastimitation ist angesichts der sehr schwachen Parallele kaum anzunehmen.

certatim: Iuvencus gebraucht das Wort wie alle Epiker vor ihm regelmäßig, so noch I 440, II 6,17 III 493, 643, IV 233, dabei stets, außer in letzterem Fall, von Menschen, die Jesus um Heilung ersuchen. Es unterstreicht hier den besonderen Eifer, den die jüdischen Gegner Jesu an den Tag legen. Eine engere Übersetzung, etwa „um die Wette“, ist kaum sinnvoll.

famam argento redimit: Iuvencus macht die wohl intendierte, aber unklare Aussage der Vorlage eindeutig. Zwar ist auch dort ersichtlich, dass die jüdischen Gegner Jesu die Verbreitung eines Gerüchtes erkaufen, jedoch geht Iuvencus’ Ausdruck famam redimere über das schlichtere oder neutralere dicentes der Vorlage hinaus; zudem verzichtet der Dichter wie öfters darauf, die wörtliche Rede der Gegner Jesu wörtlich wiederzugeben; siehe dazu S. 319. Wiefel erkennt eine Parallele mit der Judasperikope, in der ebenfalls Geld aufgewendet wurde, um gegen Jesus zu agitieren.18 Das sah schon Hier. in Matth. IV 28,12–14 (CCL 77, 282,1982–1984 Hurst/Adriaen) pecuniam ... vertunt in redemptionem mendacii, sicut ante triginta argenteos Iudae dederant proditori. Iuvencus verstärkt diese Parallele durch das Wort argentum, das sich drei Mal im Zusammenhang mit Judas, ein Mal hier und nur zwei Mal in anderem Kontext (II 441 zur grundsätzlichen Ablehnung von Reichtum nach Mt 10,9 und IV 243 im Gleichnis von den anvertrauten Talenten nach Mt 25,14–28) findet. Der Beleg II 441 passt in diesen Kontext, da auch die Judasperikope als Mahnung gegen Gier und Reichtum gelesen werden konnte. Die Wendung famam redimere ist selten und vor Iuvencus nur Mart. I 8,5f nolo virum facili redimit qui sanguine famam, / hunc volo, laudari qui sine morte potest belegt, dort in der Bedeutung „sich einen Ruf erwerben.“ Argento redimere findet sich vor der Spätantike nur ein Mal (Plaut. Asin. 672), seit Ambrosius bei christlichen Autoren häufig. Denkbar ist ein Wortspiel mit der christlichen Bedeu-

16 Siehe zu tragischen Elementen in Vergils Aeneis auch P. Hardie, Virgil and tragedy, in: The Cambridge Companion to Virgil, ed. by C. Martindale, Cambridge 1997, 312–326 sowie die Literaturhinweise dort, bes. Quinn, K., Virgil’s Tragic Queen, in: Ders. (Hg.), Latin Explorations. Critical Studies in Roman Literature, London 1963, 29–58. 17 Vgl. Hansson 97. 18 Vgl. Wiefel 492.

IV 776–783

283

tung von redimere / redemptor. Während Jesus durch seinen Tod zum Erlöser geworden ist, gelingt es seinen Gegnern nur, eine Lüge zu erwirken. Die vielfach überlieferte Lesart redemit ist aus metrischen Gründen als Perfekt nicht möglich, als alternative Form des Präsens nicht belegt.19

quod: Einen quod-Satz an Stelle eines AcIs bildet Iuvencus häufig, siehe, auch zum folgenden Konjunktiv, oben zu 578 eque sono ... loquellam. limine rupto: Iuvencus fügt hinzu, dass der Verschluss (Stein und Siegel) des Grabes gebrochen wurde. Durch diese durchaus logische Hinzufügung (wie sonst sollten die Jünger eingedrungen sein?) wird das Geschehen anschaulicher dargestellt. furtim sustulerit: Vergil gebraucht furtim sustulerat Aen. IX 546f, eine Kontrastimitation ist nicht zu erkennen. Diese Wendung entspricht durch die Aufspaltung des simplen furati sunt der Vorlage in ein verwandtes Verb mit Adverb der Gewohnheit des Dichters20 und klingt dadurch eleganter und durchdachter. corpus: Iuvencus präzisiert eum aus der Vorlage zu corpus. Auch diese Vokabel verweist zurück auf die Aufstellung der Wache, wo Iuvencus sie 737 für eum gebraucht. defensa tenebris occulte rapiens: Wieder macht Iuvencus die Vorlage anschaulicher, indem er das schlichte nocte zu defensa tenebris occulte erweitert und damit deutet. Der Hauptaspekt der Erzählung wird zudem deutlich verschoben: Während Matthäus noch von schlafenden und damit pflichtvergessenen Wächtern spricht (nobis dormientibus), ist für Iuvencus die Hinterhältigkeit des angeblichen Grabraubs bedeutender; siehe auch zu 783 audacia discipulorum. Zunächst nimmt er damit der Erzählung eine logische Schwäche. Die moderne Exegese wundert sich wie schon Origenes21 zu Recht über die angebliche Undiszipliniertheit der römischen Soldaten: „Würden römische Wachsoldaten wirklich in aller Öffentlichkeit sagen, daß sie während der Wache geschlafen hatten? Sie hatten doch Angst vor ihrem römischen Kommandanten! Die jüdischen Führer in der Erzählung spüren, daß hier ein möglicher Schwachpunkt in ihrer Intrige steckt.“22 Dadurch fehlt dann auch der Aufhänger für den Vers Mt 28,14, den Iuvencus nicht wiedergibt. Wenn die Soldaten keinen direkten Fehler gemacht haben, müssen die Hohenpriester ihnen auch nicht anbieten, ihrem Statthalter gut zuzureden. Einen doppelten Zweck hat rapiens. Zum einen dramatisiert die Vokabel gegenüber furati, zum Zweiten spiegelt sich auch dort ein Teil der (bei Iuvencus besseren als in der Vorlage) Entschuldigungsstrategie der Soldaten wider: Der Raub geschah überfallartig schnell. Dabei verschwindet dann auch Pilatus aus der vorliegenden Szene; siehe zu dessen Darstellung als schwache Person oben S. 87–89. So offenbart der Dichter durch diese positivere Gestaltung der Soldaten seine mindestens latente Römerfreundlichkeit; siehe dazu oben das Kapitel zur Verspottung Jesu durch die Solda19 20 21 22

Vgl. Neue-Wagener s.v. und ThLL V 511,10–12 (Burckhardt 1933). Vgl. Abbolito 305. Vgl. Orig. Ser. 145 (GCS 38, 299,16–20 Klostermann/Benz). Luz (2002) 423. Ähnlich urteilt Wiefel 492.

284

Der Betrug der Hohenpriester

ten, S. 136. Der Leser wird zuletzt durch die explizite Nennung der Dunkelheit statt ihrer impliziten Erwähnung im biblischen nocte an Jesus als Lichtbringer 23 erinnert, der eine Rettung in der Dunkelheit natürlich nicht nötig hat. Für die Wendung defensa tenebris gibt es etwas überraschend nur eine einzige Parallele, nämlich Aen. VIII 656f Galli per dumos aderant arcemque tenebant / defensi tenebris et dono noctis opacae. Auf eine militärische Beschreibung zurückzugreifen liegt nahe, wobei keine weitere Kontrastimitation erkennbar ist.

audacia discipulorum: Nach der Penthemimeres steht das Subjekt als eindrückliches Ende der Szene. Gemeint sind „discipuli audaces“,24 die Eigenschaft verschmilzt mit den Jüngern, wie es bei Iuvencus häufig geschieht (s.o. zu 595 sceleris facundia und zu 755 scelerata insania).25 Wichtig ist vor allem die Paradoxie zwischen dem Vorwurf der audacia und dem Kauf eines Gerüchts. Poinsotte wies darauf hin und sieht so erneut den Wahn der jüdischen Gegner Jesu ironisch ausgedrückt: der Vorwurf, den sie machen, trifft sie selbst (unter der sehr plausiblen Prämisse, dass audacia aus Sicht der Hohenpriester, nicht der Soldaten gesprochen ist). Audacia findet sich auch als Personifikation des Teufels in I 396; Judas’ Handeln wird IV 436 als talibus ausis26 bezeichnet. Siehe zu dieser Wortwahl unten S. 322–340. All das dient dazu, die Juden bzw. die Hohenpriester erneut unsympathischer erscheinen zu lassen. Ob der Leser dabei Christ ist oder nicht, ist kaum relevant, da die Gegner Jesu als offensichtlich im Unrecht dargestellt werden und gerade das Missverhältnis zwischen ihren eigenen Handlungen und den Vorwürfen gegen die Jünger der Entfremdung zwischen Leser und Juden bzw. Hohenpriestern dient. Auf dieses Missverhältnis wies auch Origenes hin, der auf das Verbot, falsches Zeugnis zu geben, in Ex 20,16 zurückgreift, um die Paradoxie der Handlung der Hohenpriester, die nicht nur gegen ihr eigenes Gesetz verstoßen, sondern sogar andere dazu anstiften, negativ hervorzuheben. Im selben Zuge wird auch die hier, vor allem aber beim Selbstmord des Judas verurteilte Geldgier kritisiert.27 Siehe weiter unten S. 285. Die letzten beiden Verse fehlen. Das dient zunächst der positiveren Darstellung der römischen Soldaten und des Pilatus: „Juvencus also omits Matt. 28:14–

23 Vgl. Röttger passim. 24 Knappitsch ad loc. 25 Zum Begriff „Verschmelzung“ siehe Deerberg 344, weiter Fichtner 144 für weitere Belege von „abstrakte[n] Subjekten“, z.B. im hier zitierten Vers I 396, ferner zur Technik in der epischen Tradition H.C. Nutting, The Hero of the Pharsalia, in: AJPh 53 (1932) 44. 26 Vgl. Poinsotte 171f., bes. Anm. 634. 27 Vgl. Orig. Ser. 145 (GCS 38, 299,8–16 Klostermann/Benz) congregati cum senioribus et consilium accipientes „darent pecuniam“ avaris ut dicant, „quia discipuli eius venientes noctu furati sunt eum dormientibus nobis“, et qui legebant in lege: „non falsum testimonium dices“ (Ex 20,16) etiam alios ad falsum testimonium invitabant, expendentes pecuniam multam ut milites quidem falsum testimonium dicant (propter avaritiam periculis se subdentes si furatum esset corpus Iesu) [...].

IV 776–783

285

15, perhaps to free Pilate from any suspicion of complicity in a cover-up.“28 Ähnlich sieht es Poinsotte: „montrer Pilate victime d’une entreprise d’intimidation est une chose, révéler comme ici qu’il est un pantin entre les mains des notables en est une autre. C’est sans doute la raison pour laquelle Juvencus élimine le verset de Matthieu.“29

Den ohnehin schwachen Pilatus, damit aber auch die römischen Autoritäten völlig zu entwerten und als Marionetten darzustellen, geht Iuvencus im Gegensatz zu Matthäus, für den die Wertung der Römer eine geringere Rolle spielt, offenbar zu weit. Es fehlt allerdings so auch ein weiterer Vorwurf gegen die Juden, nämlich der, dass sich diese (falsche) Geschichte bis zum heutigen Tag erhalten habe. Es ist wahrscheinlich, dass das für Iuvencus’ eigene Umgebung und Adressaten schlicht nicht zutraf, da es sich im Matthäusevangelium primär um eine Notiz für dessen eigene Leserschaft handelte. 30 Anstatt den Vers nun leicht zu ändern und allgemein für antijüdische Polemik zu nutzen, lässt Iuvencus ihn also aus, was dagegen spricht, dass der Dichter eine bewusst antisemitische Zielsetzung hat; 31 siehe dazu weiter unten S. 322–340. Der Sinn der Perikope verschiebt sich insgesamt deutlich. Während diese bei Matthäus eine Reaktion auf erwartete32 oder tatsächliche antichristliche Polemik gegen die Auferstehung 33 war, geht es Iuvencus um das Verhältnis von Wundern und Glauben sowie um das Fehlverhalten (bzw. den zugrunde liegenden Wahn) der Gegner Jesu. Dabei vernachlässigt der Dichter aus verschiedenen Gründen andere Aspekte, nämlich den Schlaf der Wächter, die Nennung des Pilatus und den Hinweis auf die Aktualität der Debatte. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Das interessanteste exegetische Element dieser Szene, die Motivation der Handlungen der Gegner Jesu, wird im Exkurs zum Antijudaismus bei Iuvencus S. 322– 340 behandelt. Zu Pilatus’ Rolle siehe S. 87–89. Es bleibt der Einsatz von Geld gegen Jesus, der, wie oben zu 781 famam argento redimit gesagt, für Hieronymus von Bedeutung war. Häufig finden sich von der Exegese der Alten Kirche bis zur heutigen Zeit 34 Paränesen gegen die Geldgier, z.B. bei Tert. Apol. 21,22 (CCL 1, 126 118f Dekkers) ut fides, non mediocri praemio destinata, difficultate constaret. Ähnlich 28 29 30 31

Green (2006) 111. Poinsotte 134 Anm. 436. Vgl. Luz (2002) 423. Vgl. Green (2006) 111f. Über seine grundsätzliche Treue zur Vorlage hinaus macht Iuvencus sich hier keine ungewöhnliche Mühe, den Vers in seine Zeit zu transportieren und antijüdisch zu nutzen. 32 Vgl. Wiefel 491. 33 Vgl. ibid. 493 und Luz (2002) 423. 34 Vgl. Sand 593.

286

Der Betrug der Hohenpriester

lehrt Hilarius, dass es nur deshalb möglich sei, die Auferstehung zu verheimlichen, weil in dieser Welt Ehre durch Reichtum völlig verdorben worden sei. 35 Hieronymus zieht eine doppelte Parallele zu Judas: Wieder benutzen die Hohenpriester Geld zum falschen Zweck, wieder veruntreuen sie Geld aus dem Tempelschatz. Das dürfe in der Kirche keinesfalls geschehen, sonst mache man sich am Blut Jesu schuldig.36 Während Iuvencus in der Judasperikope darauf noch sehr deutlich hingewiesen hat, ist das hier weniger der Fall. Sein Hauptanliegen bleibt die psychologische Motivation der Gegner Jesu. AUSBLICK Sedulius folgt hier zum letzten Mal dem Matthäusevangelium, bevor er sich stärker am Johannesevangelium orientiert, mit dessen Schluss er auch sein Werk beendet. Er gibt die vorliegende Szene Carm. Pasch. V 333–364 wieder. Der Dichter verbindet nun die Reaktion der Soldaten auf die Auferstehung, ihren Schrecken und ihr weiteres Vorgehen. So wird durch perterritus miles (333f) eben das nachgeholt, was oben bei der Wiedergabe von Mt 28,5 noch fehlte. Sedulius zeigt sehr wenig Interesse daran, das Verhalten der Soldaten zu entschuldigen. Zwar nutzt er 336 mit vera refert gratis die Beschreibung ihrer emotionalen Reaktion als Beleg ihrer Ehrlichkeit, bezeichnet sie aber zugleich als deserta statione fugax (335) und später als improbe custos (339) und scelerata cohors (340). Dazu Smolak: „durch fugax werden die Soldaten, die ja, wie man im folgenden erfährt, falsch aussagen, zu Deserteuren und sogleich auch in ihren militärischen Qualitäten moralisch herabgesetzt“. 37 Die Motivation der Soldaten, Geld, nutzt er als Aufhänger für diese Invektive (336 postquam data munera). Pilatus findet auch bei Sedulius hier keinen Platz, nachdem er beim Prozess von Sedulius noch scharf verurteilt worden ist; siehe oben S. 92–95. Mit einer für ihn üblichen Apostrophe (nämlich an die Soldaten) bemüht er sich dann, auf logischer Ebene die Version der Geschichte, dass die Jünger den Leichnam gestohlen hätten, zu widerlegen (339–349) Er verwendet „Stilmittel der Gerichtsrede“ und „überführt“ am Ende den „Angeklagten“, nämlich diejenigen, die behaupten, dass Jesus nicht auferstanden sei. 38 Diese Vorgehensweise ist typisch für Sedulius und wäre in Iuvencus’ engerer narratio nicht denkbar; in der Exegese findet sich Ähnliches, nämlich der Versuch eines Nachweises, warum die 35 Vgl. Hil. in Matth. 33,9 (SC 258, 260,19–22 Doignon) emitur vero a custodibus, qui omnia haec viderant, argento resurrectionis silentium et mendacium furti, honore scilicet saeculi et cupiditate, quia in pecunia honor eius est, gloria denegatur. 36 Vgl. Hier. in Matth. IV 28,12–14 (CCL 77, 282,1983–1987 Hurst/Adriaen) pecuniam quae ad usus templi data fuerat vertunt in redemptionem mendacii, sicut ante triginta argenteos Iudae dederant proditori. Omnes igitur qui stipe templi et his quae conferuntur ad usus ecclesiae abutuntur in aliis rebus, quibus suam expleant voluntatem, similes sunt scribarum et sacerdotum redimentium mendacium et sanguinem Salvatoris. 37 Smolak (1979) 29 Anm. 17. 38 Vgl. ibid. Anm. 25.

IV 776–783

287

Version der jüdischen Gegner Jesu unglaubwürdig wäre, bei Joh. Chrys. Hom. in Joh. 72 (PG 59, 392f),39 Hom. in Mt. 110,1f (PG 58,787–789) und Hom. in I Cor. V 4f (PG 61, 44–46). Sedulius lässt anschließend an die Verdächtigung, dass Christi Leichnam angeblich gestohlen wurde, eine lange Invektive gegen die Juden folgen, die als Volk des Heils abgelöst sind (348–350: tamen ista figuram / res habet egregiam: Iudaeis constat ademptum / quem nos devoto portamus pectore Christum). Christus ist nämlich nicht aus dem Grab gestohlen worden, sondern den Juden genommen, die Christen tragen nicht seine Leiche, sondern ihn als Christus in ihrem Herzen. Ebenfalls findet sich ein Zeugnis für Aeneis- und möglicherweise Iuvencusrezeption mit 351f plange sacerdotes perituros, plange ministros / et populum, Iudaea, tuum pro talibus ausis. Iuvencus hatte IV 436 dieselbe Junktur talibus ausis verwendet, um das Verbrechen des Judas mit denen der Griechen in Troja zu kontrastieren; siehe oben S. 115 zur Stelle. Sedulius stellt nun die Juden sämtlich in diese Reihe. Die weitere Invektive ist sowohl mit rhetorischen Fragen, die die Ablösung der Juden weiter klar machen (343 non tuba, non unctus, non iam tua victima grata est), als auch mit Verweisen auf christliche Glaubensinhalte besetzt (Christus als König der Juden (354), Christus als Hirt (356), Bräutigam der Kirche (358)). Letztlich gleitet Sedulius in ein Christus- und Marienlob hinüber und spricht explizit von der Jungfräulichkeit Mariens (359–361) und der einstigen Wiederkehr Christi (363f). Der spätere Dichter verwendet also von den vorliegenden 32 Versen wieder bestenfalls sieben auf eine eigentliche narratio und bietet im Übrigen eine Auslegung bzw. Interpretation seiner Vorlage. Abgesehen von der besonderen Verwerflichkeit des Faktums, dass die Soldaten für Geld ihrer Pflicht untreu werden, gibt es hier kaum Übereinstimmungen zwischen ihm und Iuvencus.

39 Vgl. Luz (2002) 435.

DER MISSIONSBEFEHL (IV 784–801) EINPASSUNG DER SZENE Der Dichter verzichtet auf den ersten Blick fast vollständig darauf, einen deutlich spürbaren Übergang zwischen der vorhergehenden Szene und der letzten Erscheinung des Auferstandenen herzustellen. Opelt spricht in Hinsicht auf die Beschreibung der galiläischen Landschaft, die es freilich bei Matthäus (schlicht in Galilaeam in monte) auch nicht gibt, von „der bekannten Ungenauigkeit des Iuvencus“, 1 charakteristisch sei ein „Überwiegen der Rede vor topographischen Elementen“.2 Iuvencus hatte offenbar weder Interesse an der Topographie Galiläas3 noch daran, eine episierte und idealisierte Szenerie zu formen, sei es aus Treue zur Vorlage, sei es aus anderen Gründen; siehe zu Überleitungen im Allgemeinen unten S. 320. Durch den Ortswechsel ist zwar klar, dass eine neue Szene beginnt, jedoch hat einzig die Zeitangabe iam in Vers 784 eine überleitende Funktion und unterstreicht, dass inzwischen der Auftrag, den Jesus den Jüngern durch die Frauen übermittelt hatte (773–775), erfüllt wurde. Zwei Verse später wird durch ecce eine weitere Wendung angezeigt, um von der kurzen Reisenotiz zur folgenden Begegnung zwischen Jesus und seinen Jüngern überzuleiten. Diese kleinen, subtilen Änderungen stehen (so Opelt) hinter hoher epischer Technik zurück, bewirken aber aus narrativer Hinsicht durchaus eine Verbesserung der Vorlage.4 Auffällig sind vor allem im zweiten Teil der Szene einige Bezüge zum Johannesevangelium. Iuvencus hält sich hier also nicht streng nur an Matthäus, sondern lässt einige ihm wichtig erscheinende Punkte aus dem vierten Evangelium eindringen.

1 2 3 4

Opelt 197. Ibid. 207. Selbst wenn er Berichte von Pilgern kannte, scheint er nirgendwo auf deren Informationen zurückzugreifen. Vgl. Opelt 207.

IV 784–801

289

KOMMENTAR Jesus erscheint seinen Jüngern in Galiläa (IV 784–789) Mt 28,16f: 16 Undecim autem discipuli abierunt in Galilaeam in monte, ubi constituerat illis Iesus. 17 Et videntes eum adoraverunt; quidam autem dubitaverunt.

Iuvenc. IV 784–789: 784 Iamque Galilaeos conscenderat anxia montes 785 mandatis Christi concurrens turba suorum. 786 Cernitur ecce suis proles veneranda Tonantis; 787 illum procumbens sancte chorus omnis adorat. 788 Nec tamen in cunctis pariter fundata manebat 789 pectoribus virtus, nam pars dubitabat eorum. 787 sanctus Mp V1 Arevalo

iamque: Nachdem die Perikope vom Betrug der Hohenpriester ein wenig wie ein Einschub wirkte (siehe oben die Einleitung zum entsprechenden Kapitel, S. 129), greift iam die Weisung Jesu in den Versen 774f wieder auf. Zur gleichen Zeit, als die Soldaten sich von den Hohenpriestern bestechen ließen, hatten die Jünger (siehe genauer unten zu anxia ... turba) sich schon auf den Weg nach Galiläa gemacht und sind inzwischen angekommen. Mit iamque beginnt nun ein unbestimmter späterer Zeitpunkt; wie lange man von Jerusalem nach Galiläa braucht (freilich mehr als einen halben Tag), ist für Iuvencus irrelevant. iam ... conscenderat: Die Abfolge der Ereignisse bei Iuvencus wirkt glatter als in der Vorlage. Dort folgt mit abierunt ... adoraverunt ... dubitaverunt alles im Perfekt aufeinander, während hier zuerst wie eine Vorbedingung berichtet wird, dass die Jünger den Berg schon bestiegen hatten (Plusquamperfekt), um dort mit einem Mal, ausgedrückt durch das Präsens cernitur, Jesus zu sehen.5 Die Ortsangabe orientiert sich sehr eng an der Vorlage. anxia ... turba: Iuvencus gibt dem Leser einen Einblick in die Psyche der Jünger. Knappitsch weist zu Recht darauf hin, die Jünger seien sowohl aus Sorge um die Zukunft als auch aus Furcht vor den Juden unruhig;6 die letzte Szene klingt also noch nach. Interessant ist dabei, dass Iuvencus die Jünger nicht überhöht, sie nicht bloß in freudiger Erwartung und unerschütterlicher Glaubensstärke darstellt, sondern genuin menschliche Sorgen um die Zukunft nicht verheimlicht. Auch drückt er in den Versen 788f den Zweifel einiger Jünger deutlich aus. So eignen sie sich gut als Identifikationsfiguren für seine Leser; siehe zu solcher Technik auch S. 39–61 zum Petrusbild, anders S. 226 zu den matres am Grab. Die Zahlangabe undecim der Vorlage fehlt, ohne dass dafür ein zwingender Grund erkennbar wäre. Offenbar legt Iuvencus an dieser Stelle keinen Wert auf 5 6

Siehe zum sonst ungenauen Tempusgebrauch Hatfield 4. Vgl. Knappitsch ad loc.

290

Der Missionsbefehl

die besondere Stellung der Apostel, deren Zwölfzahl (wohlgemerkt auch ohne Nennung ihrer Namen) er ja noch bei ihrer Berufung durch fortia ... bisseno pectora coetu (II 431) zum Ausdruck gebracht hatte. Da Iuvencus sich nicht um die Apostelgeschichte (und damit die Nachwahl des Matthias) kümmert, kann die Auslassung der Elfzahl hier aus erzählokönomischen Gründen erfolgt sein. Angesichts der unten folgenden Mission zu allen Völkern ist jedoch auch eine bewusste Verwischung von Exklusivität und Schaffung von größerer Inklusivität denkbar; siehe weiter oben zu 773 mandata referte sowie unten S. 303. Anxius wird bei den späteren Epikern häufiger gebraucht (ein Beleg bei Vergil, sechs bei Ovid, zehn bei Val. Flacc., 21 bei Statius), dabei gern an vorletzter Stelle im Vers. Die Junktur anxia turba findet sich vor Iuvencus im Epos nur ein Mal, nämlich Sil. XV 7, dort am Versbeginn. Silius beschreibt XV 1–6 die Verzweiflung des Senats nach dem Tode der beiden Scipionen (Africanus Maior und Gnaeus Scipio). Ihre anxia turba hofft dann auf und betet um Rettung, die in Form von Scipio Africanus Minor kommt. Gleiches gilt bei Iuvencus: Die Jünger haben Jesus (scheinbar) verloren, der aber ihrer anxia turba erscheinen wird. montes: Dieser Berg ist nach Knappitsch mit dem Berg der Seligpreisungen identisch, ohne dass er einen Beleg für diese Tradition anführen kann.7

mandatis Christi concurrens: Concurrere entspricht hier consentire bzw. oboedire.8 Damit entspricht mandatis Christi concurrens der Vorlage (ubi) constituerat illis Iesus, spielt aber darüber hinaus mit concurrens (die Jünger gehorchen nicht nur, sondern laufen zu Christus hin) und greift wörtlich mandata aus Vers 773 wieder auf, siehe weiter dort. suorum: In der Bedeutung als Substantiv „die Seinen“ sind Formen von suus bei Iuvencus nur hier und im nächsten Vers belegt.

cernitur [...] suis: Diese Formulierung ist ohne Parellele. Jesus bleibt jedoch durch den passivischen Ausdruck Subjekt. Der Vers setzt mit zwei Daktylen nach dem letzten aus fünf Spondeen und einem Daktylus aufgebauten sehr schnell ein. proles veneranda Tonantis: Der Ausdruck greift auf 672 suboles veneranda Tonantis und 684 propriam ... subolem veneranda potestas zurück (siehe jeweils weiter zur Stelle), erinnert aber auch an II 55 Domini certissima proles. Während sich an den ersten beiden Stellen noch die Volksmenge über Jesus am Kreuz lustig macht und ihn auffordert, herabzusteigen, hat er sich inzwischen durch seine Auferstehung als wahrer Gottessohn erwiesen und wird daher auch als solcher wahrgenommen. Siehe zur Junktur und ihrer ironischen Nutzung weiter oben zu 672 suboles veneranda Tonantis, 684 propriam ... subolem veneranda potestas, S. 169–174 und unten zu 790 clarus. Der Ehrentitel ist zudem metrisch nach der Penthemimeres vom Rest des Verses abgesetzt. ecce: Diese Vokabel gebraucht Iuvencus gerne nach einleitenden Versen oder besonders Reisenotizen, so I 731–734; II 44, 75f; III 220f, 353f und IV 765–767.

procumbens: Die Prostration bzw. Proskynese, die hier gewiss mit der verwandten Vokabel procumbere gemeint ist, kommt im westlichen Kontext ausschließlich Göttern zu,9 ist also passend der suboles veneranda Tonantis gegen7 8 9

Vgl. ibid. Vgl.ThLL IV 108,70–76 (Burger 1906). Die vorliegende Stelle ist als Beispiel aufgeführt. Vgl. J. Wiesehöfer, Art. Proskynesis, in: DNP 10 (2001) 443f.

IV 784–801

291

über. So hatte sich schon der Hohepriester verhalten, der um Heilung für seine Tochter bat, vgl. II 378 ecce sacerdotum princeps procumbit adorans. Die Jünger erkennen die Verehrungswürdigkeit Christi (veneranda) und handeln entsprechend. Da sie oben in Vers 784f (anxia ... turba) schon als Identifikationsfiguren für die Leser charakterisiert wurden, verbindet sich damit implizit eine Aufforderung an diese, ebenfalls Jesus zu verehren. Siehe zu dieser Technik auch oben zu 598 miranda. sancte: Das Adverb zu sanctus ist im Epos vor Iuvencus nicht belegt und steht in anderen Gattungen nicht im Zusammenhang mit Anbetung. Iuvencus verwendet es auch bei der Schilderung des letzten Abendmahles 446 divisumque dehinc tradit sancteque precatus in gleichem Zusammenhang. Verständnisschwierigkeiten ergeben sich, versteht man sancte als „in heiliger Ehrfurcht“, nicht. Knappitsch lehnt die alternative Lesart sanctus ab: „nam discipulorum turba nondum sancta erat, sed anxia eum propter ea, quae evenerant, sancte adorare debebat.“10 Die Endung von chorus mag durchaus einen Schreibfehler bewirkt haben, zudem ist sanctus zwar häufig auf Jesus oder den Heiligen Geist, selten aber auf Menschen bezogen. Das geschieht nur I 125 für Johannes den Täufer, II 104 und 772 für die Propheten kollektiv, III 323f für Elias und Mose und IV 209 für Gerechte beim Jüngsten Gericht. Da schon im nächsten Vers von Zweifeln und Glaubensschwäche einiger Jünger berichtet wird, ist Knappitschs Argument, die Jünger seien keineswegs heilig, schlüssig.

chorus: Schon bei der Ankündigung der vorliegenden Ereignisse lässt Iuvencus Jesus seine Jünger als choros bezeichnen, vgl. IV 464–466 post ubi vita novos caeli mihi reddet honores, / praeveniam vestrosque choros genitalibus arvis / grata Galilaeae volitans per rura docebo. Hier mag bei chorus eine christliche Konnotation, etwa societas fidelium,11 intendiert sein, anders benutzt Iuvencus die Vokabel IV 214 sed quoniam sapiens pavitat chorus im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen, ebenso chorea I 292; II 366 und III 57 ohne Konnotation. omnis: Dass alle Jesus anbeten, scheint angesichts der folgenden Information, dass nicht der Glaube aller fest gewesen sei, zunächst paradox.12 nec tamen ... eorum: Iuvencus verheimlicht wie üblich die Schwächen der Jünger nicht, lässt sie allerdings hier auch völlig unkommentiert. Ähnlich war er schon mit den regelmäßig auftretenden Schwächen Petri verfahren, siehe dazu oben S. 39–61. in cunctis ... pectoribus: Pectus als pars pro toto für Menschen hatte der Dichter schon II 431 fortia conglomerat bisseno pectora coetu verwendet, was seit Aen. II 348 iuvenes, fortissima ... pectora in der Dichtung belegt ist.13 Dabei offenbart Iuvencus wieder sein psychologisches Interesse. Die Apostel wurden zunächst wegen ihrer „Herzensstärke“ ausgewählt, nun ist der Zweifel in ihre Herzen (bzw. in die Herzen der Jünger, s.o. zu 784 anxia ... turba) eingedrungen, sie sind ganz menschlich. 10 11 12 13

Knappitsch ad loc. Vgl. ThLL III 1026,12–14 (Reisch 1909). Santorelli (2011) 425f. Vgl. ThLL X 913,21–61 (Gatti 1991).

292

Der Missionsbefehl

fundata ... virtus: Besonders fundata erinnert an Lucr. I 422–425 corpus enim per se communis dedicat esse / sensus; cui nisi prima fides fundata valebit, haud erit occultis de rebus quo referentes / confirmare animi quicquam ratione queamus. Arevalo weist also zu Recht darauf hin, dass mit virtus Glaubensstärke gemeint ist,14 wie es schon I 761; II 793; III 278, 676 und IV 382 der Fall war, dabei II 793 gar im Zusammenhang mit praecepta salutis; siehe dazu unten zu 799f praecepta, ut [...] perennem. Gerade im Kontext der nachösterlichen Erscheinungen ist, auch wenn Iuvencus nicht vom ungläubigen Thomas berichtet, die Frage nach dem Verhältnis von sinnlicher Wahrnehmung und Glaube interessant. Er selbst hält offenbar Glauben unabhängig von Wahrnehmung für eine Tugend, die hier einigen der Jünger fehlt. Green hatte mit Blick auf den Lobgesang des Simeon (I 192f carcere corporis aegri / deposito nach Lk 2,26 visurum se mortem) zu bedenken gegeben, ob Iuvencus durch neuplatonische Einflüsse zu einer Leibfeindlichkeit gelangt war.15 Wenn das auch generalisierend zu weit ginge, steht er einer materialistischen Weltsicht jedoch sicher feindlich gegenüber und thematisiert das auch bisweilen. Die Verwendung von pectora für homines steht dem nicht im Wege, da pectus nicht die leibliche, sondern die innere Qualität der Apostel meinte. nam: An Stelle von nam würde man zunächst ein adversatives sed o.ä. erwarten. Daher ist nam hier kaum eine kausale, sondern rein überleitende bzw. explikative Funktion zuzuweisen („nämlich“).16 Der damit eingeleitete Teilsatz ist zudem durch die Penthemimeres nach virtus abgesetzt. dubitabat: Diese Vokabel gebraucht Iuvencus im Zusammenhang mit Glaubensschwäche schon III 123 et dubitata fides verbis mulcatur amaris, jeweils der Vorlage entsprechend. Siehe zur genannten Stelle oben S. 42–46.

Der Missionsbefehl (IV 790–801) Mt 28,18–20: 18 Et accedens Iesus locutus est eis dicens: „Data est mihi omnis potestas in caelo et in terra. 19 Euntes nunc docete omnes gentes, baptizantes eos in nomine patris et filii et spiritus sancti 20 docentes eos servare omnia quaecumque mandavi vobis, et ecce ego vobiscum sum omnibus diebus usque ad consummationem saeculi.“

14 Vgl. Arevalo ad loc. 15 Vgl. Green (2006) 14. 16 ThLL IX 11,33–56 (2011).

Iuvenc. IV 790–801: 790 Tunc sic discipulos clarus compellat Iesus: 791 „In caelo et terris genitor mihi cuncta subegit; 792 me pater est vobis dignatus mittere lucem. 793 Gentibus haud aliter nunc vos ego mittere cunctis 794 institui, vestrum est cunctas mihi iungere gentes. 795 Pergite et ablutos homines purgantibus undis 796 nomine sub sancto patris natique lavate, 797 vivifici pariter currant spiramina flatus. 798 Ablutisque dehinc nostra insinuate docentes 799 praecepta, ut vitam possint agitare perennem. 800 Nec vobis umquam nostri praesentia deerit, 801 donec consumens dissolvat saecula finis.“

IV 784–801 19 nunc a aur b d h n : ergo c f ff1 ff2 g1 l q e 20 mandavi codd. Itala : praecepi Afra

293

800 nostra V1 Arevalo

Tum sic ... Iesus: Jesus geht auf die Zweifel der Jünger nicht ein, gebietet ihnen nicht „Fürchtet euch nicht“ oder kritisiert ihren Unglauben, sondern spricht sie bloß an; diesen narrativ unbefriedigenden Sprung der Vorlage verwischt Iuvencus nicht. clarus: Siehe oben zu 767 clarus ... Iesus. Iuvencus gebraucht das Epitheton (auch) hier, um nach Vers 786 suboles veneranda Tonantis erneut Jesu göttliche Natur zu thematisieren, sowie als Absage an den Zweifel, da Jesus nun klar und offensichtlich erkennbar ist. compellat: Eine typisch vergilische, aber auch bei anderen Epikern (seltener) belegte Vokabel für „anreden“, zumeist entweder mit einer eindringlichen oder einer negativ-unfreundlichen Konnotation. Diese ist hier weder notwendig noch zu erkennen, bei Iuvencus ebensowenig II 79, wo sogar miserans dazukommt, dafür allerdings IV 555 compellat voce superbum. Weitere Belege gibt es in den Evangeliorum Libri Quattuor nicht. Bei der neutestamentlichen Formulierung locutus est eis dicens handelt es sich um einen Semitismus analog zu ‫ויאמר לאמר‬, den Iuvencus aus stilistischen Gründen vermeidet. Dass Jesus dort noch zu seinen Jüngern herantritt (accedens), spielt für den Dichter offenbar keine besondere Rolle, es ist in compellat sinngemäß enthalten.17 Es zeugt erneut von der Signalwirkung wörtlicher Reden, dass Iuvencus seinen epischen Helden am Ende des Werkes erneut sprechen lässt; siehe dazu unten S. 319. genitor mihi subegit: Iuvencus integriert zunächst data est potestas in den „Verbalbegriff“18 subegit. Auch die moderne Bibelexegese weist ferner darauf hin, dass data est / ἐδόθη nach einem Gebenden verlangt, der natürlich Gott-Vater ist. Iuvencus macht das explizit, indem er den genitor nennt. Die Vokabel genitor ist bei Iuvencus sehr häufig, v.a. für Gott als Vater Jesu (vgl. oben zu 693 genitore Deo), in der Bedeutung „Schöpfer“ jedoch schon im vierten Vers des Proömiums. Pater ist seltener, aber für Gott zu finden (I 16, 586, 592; II 289; III 65). Hier ist kaum ein Bedeutungsunterschied zwischen genitor und pater im nächsten Vers festzustellen; es dürfte sich um einfaches Streben nach variatio handeln. Die aktivische Gestaltung des Verses spricht gegen ein antiarianisches Gesamtkonzept, das über eine solche Tendenz an einigen Einzelstellen (vgl. oben zu 692–694a) hinausgeht; wäre Iuvencus bewusst sehr sensibel mit Subordinatianismus umgegangen, hätte er sich hier anders ausdrücken müssen. me pater ... gentes: Iuvencus fügt Vers 792 gegenüber dem Matthäusevangelium hinzu und bringt damit gleich zwei interessante Neuerungen. Zum einen lässt er Jesus seine Sendung mit der (im nächsten Vers folgenden) Aussendung der Apostel vergleichen, zum anderen lässt er ihn von sich als lux sprechen. Das Mo17 Vgl. ThLL III 2028,46f: „i.q. alloqui ([...] προσαγορεύει)“ (Hofmann 1911). 18 Röttger 125.

294

Der Missionsbefehl

tiv der Sendung (Jesu durch den Vater und der Jünger durch Jesus) stammt aus Joh 20,21 Sicut misit me pater, et ego mitto vos,19 was Cypr. Ep. 63,18 (CSEL 3,2, 716,8–24 Hartel) mit Joh 8,12 ego sum lux mundi verbunden hatte.20 Zwar findet sich bei Iuvencus die „Motivkette“ der Sendung von Licht sowie eine vielfach verwendete Lichtmotivik (s.o. zu 655 und unten zu 812 dominum lucis), weitere „treffende Vorbilder der Gesamt-Phrase ‚Gott sendet Jesus als Licht’ fehlen“ 21 jedoch. Die Entsprechung der Sendungen ist hier sprachlich durch vobis – vos – vestrum und haud aliter eindeutig klargemacht, die Sendung an gentibus cunctis ist also göttlich legitimiert, was durch die parallele Verwendung von mittere an vorletzter Stelle im Vers mit zugehörigem Dativ erkennbar ist. Die Sendung Jesu ist ohnehin ein wichtiges johanneisches Thema, wie in der Lazarusperikope II 389 sed populus praesens me missum credere discat (nach Joh 11,42) und in Vers II 649 mox me mittentis genitoris dona patescent / aeternamque dabit praesens constantia vitam (nach Joh 5,24), dort sogar mit der (auch in dieser Perikope später thematisierten) Gabe des ewigen Lebens verbunden, erkennbar ist. 22 Dabei unterscheidet sich jedoch die Sendung Jesu nach Iuvencus (im Anschluss an Matthäus) von derjenigen nach Johannes darin, dass vom Heiligen Geist und der Sendung dessen zu bzw. mit den Aposteln keine Rede ist;23 zu dessen Rolle mehr unten zu 797 vivifici pariter currant spiramina flatus und S. 301–303. Es ist nun durchaus möglich, dass Iuvencus dabei auch seine eigenen Leser ermutigen wollte, sich mit den Jüngern zu identifizieren und diesen Auftrag zu erfüllen, zumal da er ja die besondere Stellung der Apostel in der gesamten Perikope tilgt (siehe oben 784f anxia ... turba). Ob und wie weit Iuvencus ferner ein besonderes Augenmerk auf geweihte Personen offenbart bzw. auf eine successio apostolica rekurriert, wird unten in der Auseinandersetzung mit dem Taufverständnis des Dichters sowie Fichtners und Heinsdorffs Analyse geklärt werden (Seite 301 und 303); Gleiches gilt für einen möglichen Einfluss der altkirchlichen Exegese auf die vorliegende Passage. pater: Siehe oben zu 791 genitor mihi subegit.

dignatus est: Iuvencus gebraucht die Vokabel häufig, auch, wie hier, ohne nennenswerte Konnotation in der Bedeutung „für angemessen halten “.24 gentibus ... cunctis ... cunctas ... gentes: Durch die Doppelung der Wendung, noch verstärkt durch den Chiasmus, der die Verse 793f mit einer Form von gens sowohl eröffnet als auch schließt, betont Iuvencus den Missionsbefehl deutlich und rückt die weltumspannende Geltung des Evangeliums in den Vordergrund, 19 In der lateinischen und syrischen Version von Tatians Evangelienharmonie ist diese Verbindung nicht hergestellt, nur in einer arabischen Übersetzung. Das wäre ein weiteres Argument gegen eine Abhängigkeit Iuvencus’ von Tatian. Siehe dazu weiter Heinsdorff 74–77. 20 Vgl. Röttger 125. 21 Ibid. passim. 22 Vgl. M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes, Bd. I, Regensburg 2009, 388f, 394–396, 742f, Dietzfelbinger I 197f, 354 sowie II 337, zur weltumspannenden Bedeutung Thyen 766. 23 Luz (2002) 457. 24 Vgl. OLD s.v. 2: „to think fit.“ Siehe weiter Fichtner 38 zu möglichen Implikationen an anderen Stellen.

IV 784–801

295

die schon in der Alten Kirche (bisweilen als Kontrast zur Sendung an Israel) festgestellt wurde.25 Durch die weite Sperrung zwischen gentibus und cunctis sieht Poinsotte die weltumspannende Wirkung des Evangeliums auch dichterisch ausgedrückt.26 Iuvencus verwendet die Junktur gens cuncta noch I 206 quam cunctis hominum lustratis gentibus addit analog zu Lk 2,32 ante faciem omnium populorum ... ad revelationem gentium und IV 261f tum gentes cunctae analog zu Mt 25,32 omnes gentes, sowie I 99f erigit ex humili celsam cunctisque beatam / gentibus et saeclis voluit Deus aequus haberi, um Lk 1,50 omnes generationes in die räumliche und zeitliche Dimension (gentibus et saeclis) aufzusprengen und ferner den Lobgesang Mariens aus dem jüdischen Kontext in einen weltumspannenden zu heben. 27 Letzteres ist freilich auch hier das Ziel, wobei möglicherweise eine Rolle gespielt haben könnte, dass Iuvencus als Spanier selbst zu den (fernen) gentes gehört. Siehe zur Wertung des Missionsbefehls in der altkirchlichen Exegese unten S. 304. Vor Iuvencus ist die Junktur cunctae gentes nur bei Luc. (VII 659, 718f; VIII 19f) und Val. Flacc. (I 196, 822) belegt. Bei Ersterem spricht Pompeius VII 569 parcite [...] superi, cunctas prosternere gentes, kurze Zeit später sagt der Dichter selbst zu Pompeius VII 718f teque minor solo cunctas impellere gentes / rursus in arma potes rursusque in fata redire. In beiden Fällen steht cunctas ... gentes an derselben Stelle im Vers wie bei Iuvencus, in beiden Fällen geht es um Unheil, das allen Völkern droht. Iuvencus kehrt dieses Unheil um und lässt Jesus seinen Jüngern gebieten, allen Völkern die Heilsbotschaft, die zum Leben führt (s. unten zu 799 praecepta ut ... perennem), zu verkünden. Die beiden genannten Belege bei Val. Flacc. sind von Iuvencus weiter entfernt. haud aliter: Entspricht sicut ... et ego aus Joh 20,21. Im Übrigen ist die Wendung episch häufig belegt (7 Mal bei Vergil, 9 Mal bei Ovid, weitere 4 Male bei Iuvencus). nunc: Heinsdorff weist darauf hin, dass nunc hier in einigen Vetus - Latina - Codices (neben ergo) oft belegt ist.28 Über Iuvencus’ Vorlagencodices belastbare Aussagen zu treffen ist schwierig, Heinsdorffs Argument hier jedoch einleuchtend.

mittere: Fichtner sieht hier einen Beleg dafür, dass Iuvencus auf den griechischen Text zurückgegriffen hat, da mittere eher an πορεύθεντες im griechischen Text als an euntes in der Itala erinnere. 29 Das vermag nicht recht zu überzeugen; der eigentliche Grund für die Wahl von mittere liegt m.E. in der Parallelität der beiden Sendungen in Vers 792 und hier. Zur Verwendung des griechischen Textes siehe unten zu 794 mihi iungere. Der eigentliche Auftrag an die Jünger, loszuziehen (sei es πορεύθεντες oder euntes), findet sich erst durch pergite (795) ausgedrückt. Röttger weist auf Stat. Theb. II 115f ipse deum genitor tibi me miseratus 25 Z.B. [Ps.-]Cypr. adv. Iud. V 5 (CSEL 3,3, 137,15–138,21 Hartel), Orig. in Matth. X 18 (GCS 40, 23–25 Klostermann/Benz); Hom. 13,3 in Gen. (GCS 29 116–118 Baehrens), Hier. Epist. 46,4 (104 Labourt); Hom. in Ier. VI 27, 5 (CCL 74, 321, 19–30 Reiter), Chrys. Hom in Mt. 25,2 (PG 58, 681f), 69,1 (PG 58, 647f); in Joh. 66,2 (PG 59, 367f), 80,1 (PG 59, 433f). 26 Vgl. Poinsotte 121 Anm. 392. 27 Vgl. ibid. 120f. 28 Vgl. Heinsdorff 452. 29 Vgl. Fichtner 31.

296

Der Missionsbefehl

ab alto / mittit hin: „vgl. die Paare: genitor/pater, tibi/vobis, me/me, miseratus/dignatus, mittit/mittere)“30. Dort spricht Laius zu Eteocles von seiner göttlichen Sendung, die hier durch die Sendung Jesu als Licht der Welt überboten wird; siehe dazu oben zu 792–794 me pater ... gentes. institui, vestrum est: Das Verb des ersten Teilsatzes steht pointiert enjambiert. Siehe zu dieser Technik oben zu 743–747 iam ... incipiunt, ... tum ... concurrunt, ... sed ... concutit ... nuntius. Vestrum est steht dann vor der Penthemimeres, der eigentliche Inhalt des Auftrags folgt erst auf diese Zäsur. mihi iungere: Fichtner sieht mihi iungere eher von der griechischen Vorlage μαθητεύσατε als vom lateinischen docete abhängig.31 Das ist angesichts der näher liegenden Wortbedeutung kaum abzuweisen: μαθητεύειν ist freilich mit μανθάνειν und damit docere verwandt, den Unterschied zwischen „zum Jünger/Schüler machen“ und „lehren“ verwischt Iuvencus aber deutlich weniger als die lateinische Bibelübersetzung, der eine Vokabel dafür fehlt. Es geht nämlich nicht um „momentane Belehrung, sondern Lebensgemeinschaft mit einem Lehrer“,32 iungere steht folglich in der Bedeutung „to unite as friends, allies or sim.“33 Röttger spricht dagegen nur von der Vermeidung einer „begrifflichen Dublette“34 in den Versen 794 und 798, ist damit aber m.E. zu vorsichtig. Während in der Vorlage der Imperativ docete durch die Partizipien baptizantes und docentes näher bestimmt wird, 35 folgen bei Iuvencus drei Imperative (796 lavate und 798 insinuate mit der Hinzufügung von pergite in Vers 795). Die Unterordnung des Taufens und Lehrens unter den Oberbegriff „zu Jüngern machen“ wird damit zwar nicht zwingend aufgehoben, da vestrum est mihi iungere keine direkte Anweisung ist, zumindest aber verändert. Zu exegetischen Gesichtspunkten, etwa dem von Hieronymus bezeugten Dreischritt „zu Jüngern machen – taufen – lehren, die Gebote zu halten“, siehe unten S. 305–307. Iungere wurde in Form des Partizips Futur schon einmal in Verbindung mit dem ewigen Leben gebraucht, nämlich II 224–226 namque Deus mundum tanto dilexit amore, / eius ut in terras descenderet unica proles / credentes Domino vitae iunctura perenni. Während dort vitae iunctura perenni direkt zusammengehört, führt hier die Verbindung mit Jesus mittelbar (über das Halten der praecepta, siehe unten zu 799) zum ewigen Leben, Christus ist also „das bindende Glied, der Mittler [...], der die Menschen zu Gott und zum ewigen Leben führt.“36 Mihi iungere findet sich nur Val. Flacc. I 198 an derselben Stelle im Vers wie hier, dort auch in unmittelbarer Nähe zu cunctis gentibus. Jason spricht dort, 196–199, zu Neptun: scio me cunctis e gentibus unum / inlicitas temptare vias hiememque mereri: / sed non sponte feror, nec nunc mihi iungere montes / mens tamen aut summo deposcere fulmen Olympo. Ein direkter Bezug zwischen cunctis e gentibus in den Argonautica und cunctis gentibus bei Iuvencus ist auf Grund der Präposition e, ein direkter Bezug zwischen den beiden Belegen von mihi iungere wegen der völlig verschiedenen Bedeutung kaum denkbar. Eine inhaltliche Kontrastimitation wäre eventuell denkbar, da es in beiden Reden um die 30 31 32 33

Vgl. ibid. Vgl. ibid. Diese sicherlich richtige Annahme bestätigt Green (2006) 388. Fichtner 31. OLD s.v. 7, vgl. ThLL VII 656,84–657,14 (v. Kamptz 1970), zum folgenden Dativ ibid. 657,49f. 34 Röttger 125. 35 Ebenso im griechischen Text. Vgl. weiter Wiefel 496. 36 Heinsdorff 186. Er verweist auch auf Lact. Div. Inst. IV 25, 5 (409f Heck/Wlosok).

IV 784–801

297

göttliche Legitimation einer Sendung geht, wobei sie von Neptun erbeten wird, von Christus jedoch gewährt.

pergite et ... undis: Der ganze Vers geht über die Vorlage deutlich hinaus und fügt mit ablutos und purgantibus undis eigene Gedanken hinzu; siehe weiter dort. pergite: Siehe oben zu Vers 793 mittere.

ablutos homines purgantibus undis ... lavate: Ablutos kann hier neben lavate unmöglich vorzeitig verstanden werden. Vielmehr hat als Prolepse „das Partizip die Geltung eines attributiven Adjektivs, das den aus der vollendeten Handlung sich ergebenden Zustand ausdrückt.“37 Das Verständnis der Taufe als Reinigung ist nicht unüblich und auch bei Iuvencus mehrfach belegt (lavare findet sich III 263 und 680, abluere I 338, 340, lavacra I 312, 322, 347, 350).38 Baptizare gebraucht Iuvencus nie, zum einen aus metrischen Gründen (ohne dass es gänzlich unmöglich wäre),39 zum anderen, um die Interpretation der Taufe als Reinigung einfließen zu lassen, jedoch kaum, weil er den spezifisch christlichen Begriff vermeiden will (Iohannes Baptista findet sich II 541).40 So ist auch die Rede von purgantibus undis kaum überraschend. III 38 wird auch Johannes als puris undis taufend beschrieben, von purgare bei der Taufe ist noch I 341 die Rede, das Wasser der Taufe ist I 349, 354 und 361 mit undis bezeichnet. Undis war im Epos vor Iuvencus meist mit bedrohlichen Epitheta, fast nie mit positiven besetzt (Aen. VII 588 und Sil. III 471 latrantibus, Ov. Met. III 190 ultricibus, XI 515 letalibus, Luc. III 195 und Stat. Theb. IX 445 furentibus, um nur einige zu nennen; dem gegenüber steht Ov. Met. XI 125 puris). sub: Iuvencus verwendet sub gerne für in, wie es schon in der Klassik bisweilen geschah (mit nomine z.B. (Ps.-)Tib. III 7,33, Prop. II 14,26, Ov. Ars I 193; Her. XVI 245; Met. I 410; IV 524, IX 558, Luc. IV 222; V 343 u.ö.) Auch die Wendung sub nomine ist nicht ungewöhnlich für ihn, sie findet sich noch I 709f, 712; III 311, 432.41 vivifici pariter currant spiramina flatus: Vivifici sieht Fichtner von Gen. 2,7 spiraculum vitae (Vulg., nach ‫ )נשמת חיים‬beeinflusst.42 Das ist m.E. nicht zwingend, da einerseits die ganze Perikope auf vita hinausläuft, andererseits die Rede vom spiritus vivificans, die schließlich in der Formel Dominum et vivificantem ins Nizäno-Constantinopolitanum einging, nicht unüblich war. Verwandte Begriffe für den Heiligen Geist (flamen, flatus, spiracula, spiramen) bei Iuvencus zählt Fichtner auf; er verweist zu currere ferner auf II 201 quamque petant eius curren37 Kühner-Stegmann I 758α und Leumann-Hofmann-Szantyr II 392. Für (basale) Beobachtungen zu Partizipien bei Iuvencus siehe Hatfield 18–20. 38 Zu mehr Belegen für lavacrum als Begriff für die Taufe, das seit Tertullian belegt ist (vgl. auch Flury (1968) 41), wobei z.B. bei Laktanz lavacrum und baptisma nicht mehr zu unterscheiden sind, siehe Fichtner 28–30.33f. Interessant sind auch die Ausführungen zur Taufe als Wiedergeburt mit Bezug zu II 193 liquido si quis de fonte renatus (nach Joh 3,3–5). Siehe dazu unten S. 309–311. 39 Vgl. Green (2006) 101. 40 Vgl. ibid. 103 in der Auseinandersetzung mit Flury (1968). Siehe auch Heinsdorff 29. 41 Vgl. Colombi (1997b) 20, dort auch mit weiteren klassischen Belegen. 42 Vgl. Fichtner 32.

298

Der Missionsbefehl

tia flamina partem.43 Eine Glosse zum Codex C2, et spiritus sancti, zeigt, dass der Eingriff in die Taufformel späteren Schreibern aufgefallen war. 44 Der Heilige Geist wird aber aus dieser nicht getilgt, im Gegenteil, es kommt ihm eine Sonderrolle als vivificus zu. Siehe weiter dazu und zur damit verbundenen Frage nach Iuvencus’ Haltung zur Trinitätslehre unten S. 301–303. ablutis: Im Gegensatz zu 795 ablutos (siehe weiter dort) muss ablutis hier klar vorzeitig verstanden werden. insinuate docentes: Die Konnotation von Subtilität, die auch das deutsche „Insinuieren“ nahe legt, tritt in der silbernen Latinität und bei christlichen Autoren allmählich zurück.45 Episch ist insinuare 28 Mal bei Lukrez belegt, dabei kein einziges Mal in der Bedeutung „lehren“, sondern stets in der Bedeutung „eindringen“, dazu ein Mal bei Vergil (II 229) und zwei Mal in Statius’ Epen (Theb. V 448; VII 110), dabei stets von (heimlich) eindringenden Gefühlen. Iuvencus gebraucht die Vokabel I 436 in der Bedeutung „lehren“, beim Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen II 814 für das Saatkorn, das in die Erde dringt, und III 20 gleich nach der Auslegung des Gleichnisses für Jesu Lehre, dort im Versschluss insinuando docebat, was Knappitsch mit „ferner lehrt er mit Nachdruck“ übersetzt. Iuvencus spielt mit dem Begriff und bringt so Kombination aus offener Lehre und tiefem „Eindringen“ zum Ausdruck, wie etwa im Deutschen „ans Herz legen.“ Damit ist hier servare aus der Vorlage zum Ausdruck gebracht, allerdings mit (auch emotionaler) „Durchdringung“ der Lehre verbunden. Zur weiteren Bedeutung der „postbaptismalen Unterweisung“46 siehe unten S. 305. praecepta, ut ... perennem: Green erkennt hier, dass eines der Ziele des Dichters in „enabling men and women to live eternal life“ liegt. Das ist ohnehin eines der Hauptziele Gottes.47 Die Verbindung zwischen vita und praecepta verdient hier eine genauere Betrachtung. Häufig (23 Mal) ist diese bei Iuvencus belegt. Interessant sind im vorliegenden Kontext die Stellen I 128f, 429 und IV 468, an denen nicht von konkreten Aufträgen die Rede ist, sondern praecepta allgemein gebraucht wird. I 128f prophezeit Zacharias von Johannes dem Täufer: errorem per te spernent mortisque tenebras / abrumpent omnes, tua qui praecepta sequentur, wobei es sich beim Halbvers tua qui praecepta sequentur um die Interpretation von Lk 1,77 ad dandam scientiam salutis handelt: die Kenntnis genügt nicht, das Halten der Gebote ist wichtig. I 429 heißt es: retibus abiectis pariter praecepta sequuuntur für Mt 4,20 at illi continuo relictis retibus secuti sunt eum. Die ersten Jünger folgten Jesu praecepta und nicht bloß eum wie in der Vorlage. IV 467f cunctos, si credere fas est, / quod tua labanter possint praecepta negare / sed mea non umquam mu43 44 45 46 47

Vgl. ibid. Vgl. McKee 406. Vgl. ThLL VII 1916,81–1917,65 (Hugenschmidt 1958). Wiefel 497. Siehe auch Arevalo ad loc. und Knappitsch ad loc. Ähnlich verhält es sich IV 79f „O Solymi, Solymi, ferro qui saepe profetas / ad vestram missos vitam sine fine necastis“ für Mt 23,37 Hierusalem Hierusalem, quae occidis prophetas et lapidas eos, qui ad te missi sunt. Das simple ad te aus der Vorlage wird durch die Nennung des Zwecks der Sendung präzisiert: ad vestram vitam.

IV 784–801

299

tabit pectora casus entspricht Mt 26,33 etiam si oportuerit me mori tecum non te negabo. Petrus verwehrt sich dagegen, Jesu praecepta zu verleugnen, nicht (bloß) Jesus selbst (te). Wenn die Vokabel auch noch deutlich häufiger abstrakt (etwa I 7 und 548 praecepta legis, IV 15 praecepta legum) oder ohne weitere Konnotation (etwa IV 771 praeceptis, siehe auch dort) gebraucht wird, lässt sich aus einigen Belegen erkennen, dass Jesus zu folgen notwendigerweise bedeutet, seinen praecepta zu folgen (ähnlich auch III 536 et tua iussa sequi nobis spes unica restat), und dass schon zuvor eine Verbindung zwischen praecepta und ewigem Leben hergestellt wurde (ähnlich auch II 791 praecepta salutis und III 501f o bone praeceptor, dic nunc, quae facta sequamur / ut mihi perpetuam liceat comprendere vitam sowie ähnlich I 433f illi Zebedeum genitorem in puppe relinquunt / ilico sectantes pulcherrima iussa salutis; III 19 salubria iussa und I 704f illi sed merito gaudebunt munere regni, / qui facient nostri genitoris iussa volentes). Das Ziel der letzten Anweisungen Jesu, dass die Menschen das ewige Leben haben sollen, wird also eindeutig geklärt, aber auch konkret an das Halten der praecepta gebunden. 48 Man kann den Finalsatz ut vitam possint agitare perennem zwar zusammen auf die Folge der Imperative pergite, lavate und insinuate beziehen, durch das Enjambement praecepta folgt er aber unmittelbar auf Letztere. Dieser Gedanke findet sich an einigen Stellen im Evangelium, z.B. Mt 7,21 „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“, wobei Iuvencus die negative Umkehrung der Verheißung Jesu hier nicht einschließt. Damit macht sich Iuvencus auch selbst den Aufruf Jesu, dessen Lehre zu verbreiten, zu eigen. Zur Frage, inwiefern sich die Ermöglichung ewigen Lebens als Zweckbestimmung auf das gesamte Werk beziehen lässt (so wie etwa der erste Schluss des Johannesevangeliums 20,31: „Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“), siehe unten S. 305–307, zu einem (angeblichen) besonderen Augenmerk des Dichters auf geweihte Personen S. 303, zum Schluss von Sedulius’ Carmen Paschale S. 307. So wie Iuvencus es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch seine Dichtung sich selbst und seinen Lesern die praecepta, die zum ewigen Leben führen, nahezubringen, kann Konstantin dieses iustis dignior actis erreichen. Siehe dazu unten zu 811 aeternam ... vitam. Praecepta ist im Übrigen im Epos nicht ungewöhnlich; auffällig ist vielleicht, dass es nur ein Mal bei Lukrez, nämlich III 10, belegt ist. Eine Abhängigkeit vom Afra-Codex e, der praecepi anstatt mandavi überliefert, ist angesichts der Vielzahl der Belege für praecepta bei Iuvencus nicht wahrscheinlich. Die Junktur vita perennis ist bei christlichen Autoren seit Tertullian reichlich belegt, z.B. Tert. Paen. 6 (CCL 1, 330,25f Borleffs), [Ps.-]Tert. Carm. adv. Marc. III 237 (PL 2, 1076), Lact. Div. Inst. VII 11,1 (CSEL 19, 616,15f Brandt), Ambr. in Psalm. 118, 13,22 (CSEL 62, 294,16 Petschenig/Zelzer: vitae perennitas); Hymn. 15,20 (106 Walpole), Paul. Nol. Carm. 31,13, 560; 32,234, bei Iuvencus noch II 226; III 309 und 547.

agitare: Iuvencus gebraucht Intensiva und Frequentativa wie im späteren Latein üblich ohne Unterschied von den Simplicia, vgl. oben zu 694 vocitare. 48 Ähnlich Cypr. Ep. 63,18 (CSEL 3,2, 716,8–24 Hartel), evtl. auch Hil. in Psalm. 142,14 (CSEL 22, 812,12–813,3 Zingerle), sonst in der Alten Kirche überraschend selten.

300

Der Missionsbefehl

Fichtner verweist für agitare, das bei Iuvencus sonst nur IV 296 aut sitis aut saevae famis agrum agitare laborem belegt ist, auf Aen. X 235 aevumque agitare sub undis.49 Der Ausdruck vitam agitare ist also, wenn auch bei Iuvencus erstmals belegt, verständlich. nec vobis ... finis: Die letzten beiden Verse enthalten jeweils nur als fünften Fuß einen Daktylus. So wird am Ende des narrativen Werkes und der finalen Verheißung Jesu die „gravité“, die Longpré allumfassend in der Metrik des Iuvencus entdecken wollte, offenbar.50 nostri praesentia: Praesentia mit Genitiv findet sich auch in der Dichtung vor Iuvencus fünf Mal, nämlich Aen. IX 73 praesentia Turni, Ov. Met. IV 612 praesentia veri, XII 4 Paridis praesentia tristi, Fast. II 777 placitae praesentia formae und Sil. V 217f praesentia saevi ... ducis. Eine (unkommentierte) Aufzählung weiterer Belege für praesentia bietet Fichtner.51 Nostri ist ohne Unterschied von mei gebraucht; ähnlich II 267 sed nostri dona liquoris (für Joh 4,14 aqua quam dabo), 524 adventus gloria nostri (hinzugefügt zu Mt 11,5), 788 semina sic nostri sermonis pressa gravantur (für Mt 13,22 suffocat verbum) und zuletzt IV 774 nostri conspectus in direkter Vorbereitung der vorliegenden Szene bei zwölf Belegen insgesamt; mei hingegen findet sich ohnehin nur drei Mal (II 622, 732; IV 420). Ohne Bedeutungsunterschied werden in enger Folge ego und nobis II 665– 667 gebraucht: namque ego si proprio testis pro nomine surgam, / falsa loquar; aliusque itidem quia testis habetur / pro nobis, semper mihi talia temnere fas est. Den Plural nostri als Verweis auf die Trinität (gegenüber der Einzahl Jesu) zu sehen ist also ausgeschlossen. Arevalo liest bzw. konjiziert52 nostra praesentia. Das ist metrisch nur dann möglich, wenn man vor pr- eine Positionslänge in nostra annimmt. Die Junktur ist belegt (III 430f namque in concilium semper praesentia nostra / adveniet), es handelt sich aber um einen unnötigen Eingriff.

deerit: Die Synizese bei deerit ist vor Iuvencus selten, jedoch bei klassischen Autoren belegt; vgl. Ov. Met. XV 354, Hor. Sat. II 2, 97. Martial gebraucht es zwei Mal in einem Vers, vgl. XIV 105, 1 frigida non deerit, non deerit calda petenti. Dort ist der zweite Beleg spondeisch zu messen, beim ersten zwischen Daktylus und Spondeus nicht sicher zu unterscheiden. Der Bibeldichter gebraucht deerit in gleicher Weise noch I 488. consumens: Consumens, nur hier und IV 95 gebraucht, ersetzt in beiden Fällen consummatio in der Vorlage (dort nach Mt 24,3: signum ... consummationis saeculi). Den dritten Beleg für consummatio bei Matthäus, den Iuvencus verarbeitet (13,39f; Mt 13,48 ignoriert er), gibt er mit extremus mundi finis wieder, einem mit der vorliegenden Stelle stark verwandten Begriff. 53 Iuvencus spricht also nicht 49 Vgl. Fichtner 32. 50 Vgl. Longpré 129 und passim. Insgesamt legt er m.E. zu viel Gewicht auf solche metrischen Beobachtungen, an der vorliegenden Stelle fällt die Langsamkeit der Verse jedoch sehr auf. 51 Vgl. Fichtner 60. 52 Arevalo ad loc. gibt weder im Apparat noch im Kommentar Auskunft darüber. 53 Vgl. Ambr. in Psalm. 118, 12,45 (CSEL 62, 277,19–278,9 Petschenig/Zelzer) consummatio ergo saeculi finis saeculi est, finis autem omnium Christus. Ähnlich argumentiert er Hex. 1,3,10 (CSEL 32, 9,1–19 Schenkl) dafür, dass es überhaupt ein Weltende gibt, ebenso Orig.

IV 784–801

301

von einer (wie auch immer gearteten54) Erfüllung der Welt, sondern rekurriert auf die im Proömium (pr. 1–5, 21–24) schon vorgebrachte Lehre vom Ende der Welt (dort mit Berührungen zur stoischen Weltenbrandlehre). Siehe weiter unten zu finis und S. 305. dissolvat saecula finis: Die Benutzung der Vokabel finis als letztes Wort des narrativen Teils ist auffällig. Green vergleicht das Ende hier mit den Schlüssen der Aeneis und Paradise Lost, da in beiden Fällen zwar etwas zum Ende kommt, aber auch eine neue Ära anbricht (Herrschaft über Latium bzw. Anbruch einer neuen heilsgeschichtlichen Ära). Hier wäre analog die christliche Heilszeit angebrochen. Interessanter noch ist Greens Verweis auf die Verse IV 117–120 Regnorum caeli celebratio pervolitabit / in cunctas terrae metas; gens omnis habebit / testem lucifluo sancti sermone salutis / et tunc finis erit currentia saecula solvens (nach Mt 24,14),55 deren Ende stark an die vorliegenden Verse erinnert. In beiden Fällen steht die Verkündigung des Evangeliums (bzw. die Kunde vom Reich Gottes) in Zusammenhang mit dem Ende der Welt; Iuvencus selbst stellt nur eine deutlich stärkere Verbindung zwischen den Perikopen her als Matthäus. Zu weiteren Bezügen siehe unten S. 305. THEOLOGISCHE BERÜHRUNGSPUNKTE Trinität und Taufverständnis Die Belege dafür, dass Mt 28,19 in der Exegese der Alten Kirche zur Verteidigung des Dogmas der Trinität und der Gültigkeit der Taufe unter Anrufung der Trinität (auch durch Häretiker und Schismatiker) herangezogen wurde, sind erwartungsgemäß zahllos, 56 in der Bibeldichtung ist explizit Arator, II 584–618 zu

in Matth. XII 34 (GCS 40,146–149 Klostermann/Benz), in Joh. X 8 (GCS 10, 179,25–180,47 Preuschen) und Hier. in Jer. VI 27, 5 (CCL 74, 321,19–30 Reiter). 54 Vgl. für einen Überblick über mögliche Deutungen Luz (2002) 418–420, auch Sand 480.569f. 55 Vgl. Green (2006) 126. Der persönliche Ausdruck gens omnis habebit / testem an Stelle des biblischen evangelium praedicatur legt nahe, dass Iuvencus die Lehre, die Apostel hätten die Welt zur Mission unter sich aufgeteilt, kannte. Siehe dazu Luz (2002) 444, dort auch Anm. 85. 56 Vgl. Th. Söding, Art. Trinität, I. Biblisch-theologisch, in: LThK 10 (2001) 239–242, J. Werbick, Art. Trinität II. Theologie- und dogmengeschichtlich, in: LThK 10 (2001) 242– 246 und E.-M. Faber, Art. Taufe, III. Theologie- und dogmengeschichtlich, in: LThK 9 (2001) 1285, konkreter Heinsdorff 139. Beispielhaft seien genannt: Tert. adv. Prax. 26,9 (CCL 2, 1197,47–1198,60 Kroymann/Evans), Cypr. Ep. 73,5 (CSEL 3,2, 781–783 Hartel), Hil. Trin. I 22 (CCL 62, 20f Smulders); II 1 (38 Smulders), 5 (41 Smulders); XII 57 (CCL 62A, 627 Smulders), Ambr. Spir. I 5,73 (CSEL 79, 45,91–46,96 Faller), 13,132 (72,1–9 Faller), 15,137 (74,43–49 Faller); II 8, 71 (114,13–115,21 Faller); III 19,148 (212,30–213,36 Faller); Fid. I 1,8–10 (CSEL 79,7,16–23 Faller); IV 8,91 (188,107–119 Faller); V 9,116 (259,1–260,1 Faller), Hier. in Matth. IV 28,19 (CCL 77, 282,2000–2006 Hurst/Adriaen); Epist. 69,6 (Labourt 201).

302

Der Missionsbefehl

nennen. 57 Daher ist es kaum vorstellbar, dass Iuvencus sich bewusst gegen eine solche Lehre hätte stellen wollen. Auffällig ist dennoch die Loslösung des Heiligen Geistes aus der in Vers 796 ausgedrückten eigentlichen Taufformel nomine sub sancto patris natique. Unkenntnis der Debatte ist, wie Heinsdorff mit Belegen und einer differenzierten Unterscheidung zwischen Fragen der Subordination (die die wichtigsten Anliegen des Konzils waren) und Fragen der Trinität darlegt, quasi ausgeschlossen. 58 Er erklärt weiter, dass Wiedergeburt und Taufe in christlicher Poesie (Paul. Nol. Carm. 6, 71, 265f; Prud. Cath. VI 76f; Sedul. Carm. Pasch. I 77; V 291; Arator I 844, 960, 1028; II 250, 543, 600 u.ö.; Mar. Vict. prec. 99; II 557f59) häufig verbunden werden. Gleiches gilt auch für Iuvencus, der II 193 liquido si quis de fonte renatus für Joh 3,3 nisi quis natus fuerit denuo schreibt 60 und hier vivificus als Attribut des Heiligen Geistes hinzufügt. Das Nikodemusgespräch nach Joh 3 erweitert Iuvencus nicht nur um diese Deutung, sondern auch Joh 3,6 quod natum est ex carne caro est et quod natum est ex Spiritu spiritus est um Vers 198 Spiritus hic Deus est, cui parent omnia mundi, wobei er vermutlich auf einen Zusatz zu Joh 3,6 quia Deus Spiritus est – belegt durch Tert. Carn. 18,5 (CCL 2, 906,25–33 Kroymann) und adv. Prax. 27,16 (CCL 2, 1200,78–88 Kroymann/Evans), nach Ambr. Spir. III 10 (CSEL 79, 174–176 Faller) von Arianern entfernt 61 – zurückgreift. Dies zieht Fichtner „zum Erweis der Orthodoxie des Spaniers“62 heran. Die flamina des Geistes werden zuletzt in Vers 201 als currentia bezeichnet, womit zur vorliegenden Szene ein Bezug hergestellt ist: Dass Iuvencus hier die Trinität anzweifelt, ist keineswegs denkbar, vielmehr kommt dem Heiligen Geist, der, wie zuvor gesagt wurde, eindeutig Gott ist, bei der Taufe die Rolle des wichtigsten Agenten zu, 63 worauf auch durch die Anrufung desselben zur irrigatio und Inspiration im Proöm angespielt wurde;64 siehe dazu auch unten S. 346–373. Ähnliches erklärt Origenes in Auseinandersetzung mit 1 Kor 12,4–6.65 Es handelt sich zwar um einen Gott, wobei aber jede der drei göttlichen Personen auf verschiedene Weise handelt. Dabei hat der Heilige Geist gerade die reinigende Rolle; vgl. de Princ. I 8 (SC 252, 162,296–163,302 Crouzel/Simonetti), wo Tertullian von puritas, sinceritas, aber auch sapientia und scientia spricht, die an Stelle der maculae

57 Vgl. Fichtner 33, detaillierter, auch mit Hinweisen auf die altkirchliche Exegese, Heinsdorff 29–32. 58 Vgl. Heinsdorff 139. 59 Vgl. ibid. 34. 60 Siehe zu dieser Stelle mit zahlreichen Belegen aus der altkirchlichen Exegese Heinsdorff 126–131. Eine Verbindung zwischen beiden Stellen stellt Tert. Bapt. XIII 3 (CCL 1, 289,10– 17 Borleffs) her. 61 Vgl. ibid. 137f. 62 Fichtner 33. 63 Vgl. Heinsdorff 139. 64 Vgl. ibid. 140 und 30f mit wesentlichen Literaturhinweisen. 65 „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen.“

IV 784–801

303

pollutionis und ignorantiae treten. Ähnlich argumentieren Heinsdorff66 und Green: „This verse, the foundation of the dogma of the Trinity according to one document submitted to the council, is versified by Juvencus, it is argued, in a way that suggests ignorance of this development. But to argue this from his manner of expression greatly underestimates his literary inclinations (especially towards variatio), and the argument could even be turned around: the elaboration of the second line might be interpreted as a sign of particular interest in the 67 Holy Spirit as a member of the Trinity, and hence of anti-Arian orthodoxy.“

Es ist schwierig, hier Iuvencus’ theologischen Standpunkt genau zu ermitteln; Gleiches galt oben bei der Auslassung des Rufs nach Gott am Kreuz (s. oben zu 692–694a). Bisweilen scheint Iuvencus sich schwierigen theologischen Fragen einfach entziehen zu wollen (Fichtner sieht ein „geringes Interesse an derartigen dogmatischen Fragen“),68 wobei bezüglich seines Verständnisses dieses Dogmas und seiner Orthodoxie in Hinsicht auf die Trinität kaum Zweifel mehr bestehen dürfte. Heinsdorff legt ferner überzeugend dar, dass bereits in der Johannestaufe, die üblicherweise als Vorläufer („mit Wasser“) der Christustaufe („mit dem Heiligen Geist“) interpretiert wird, die vollständige christliche Taufe zu erfahren ist. Darin ist der Heilige Geist bereits enthalten (wie oben mit Verweis auf II 198 gesagt), so dass bereits die Johannestaufe universalisiert werden konnte; er spricht von der „Christianisierung der Johannestaufe.“69 Durch diese Umgestaltung und durch die Gestaltung der vorliegenden Perikope „gewinnt der Taufbericht auch für den entfernten Leser in Italien oder Spanien an Aktualität: Er ist universal zu verstehen und beschreibt nicht mehr nur eine religiöse Handlung innerhalb des Judentums.“70 Gibt es bei Iuvencus ein besonderes Augenmerk auf geweihte Personen? „Als ‚Kleriker’ deutet Juvencus Matthäus um: Bleibenden Besitz ewigen Lebens ermöglicht erst (possint) die Unterordnung unter die Gebote (praecepta) Jesu, also die verbindliche Anerkennung der kirchlichen Lehrgewalt bzw. der Amtsträger. V 798f interpretiert erneut μαθητεύειν (vgl. V. 794).“71

So legt Fichtner die Verse 798f aus. Auf den ersten Blick scheint das durch die Legitimation der Lehre der Kirche durch göttlichen Auftrag, der aus den Versen 792–794, die ihrerseits von Joh 20,21 beeinflusst sind, hervorgeht, gestützt zu werden. Der Johannesvers ist allerdings auffällig unwichtig in der Exegese der Alten Kirche. Außerdem ist der einzige Hinweis auf eine besondere Stellung der 66 Vgl. ibid. 138. 67 Green (2006) 118. 68 Fichtner 33. Ähnlich Green (2006) 119 mit Blick auf die Verse 692–694a. Siehe auch oben zu 628 aegris zur Frage nach der Effektivität von Judas’ Reue. 69 Heinsdorff 32–39. 70 Fichtner 24, ebenfalls zitiert von Heinsdorff 37. 71 Fichtner 32.

304

Der Missionsbefehl

Apostel, die Zahlangabe undecim, nirgends wiedergegeben, Adressat von Jesu Anweisungen ist eine anxia turba suorum, über deren Mitglieder wir nichts erfahren. Zwar versuchte man in der altkirchlichen Exegese bisweilen, neben den elf Aposteln noch andere auf dem Berg zu sehen, um den Zweifel, den man für unangemessen hielt, diesen zuzuschreiben, 72 davon findet sich bei Iuvencus aber keine Spur. Eine Sonderstellung Einzelner ist hier unwahrscheinlich, vielmehr ist ein göttlicher Auftrag an alle Menschen (bzw. unspezifische sui) denkbar, wie es in der Alten Kirche zweifellos für die Verheißung der immerwährenden Präsenz Jesu gilt. Diese göttliche Legitimation des Auftrags, zu lehren und den Menschen das ewige Leben zu vermitteln, ist Iuvencus wichtig; die Betonung eines kirchlichen Amtes ist aus der Betonung der praecepta allerdings nicht erkennbar; siehe dazu oben zu 799 praecepta, ut ... perennem. Die „Unterordnung unter die Gebote Jesu“ wird ja auch von den ersten Jüngern berichtet und nirgends ausdrücklich an ein kirchliches Amt gebunden; siehe dazu auch zur Figur des Petrus S. 39–61 und zur Darstellung der Frauen am Grab zu 714 e speculis matres und die Verweise dort. Begründung der Mission an alle Völker Interessanterweise hat die Alte Kirche kaum auf die vorliegenden Verse zurückgegriffen, um ihre eigene Mission zu begründen. 73 Auffällig ist jedoch Iuvencus’ Dopplung der Junktur cunctae gentes, da er sonst im Streben nach variatio solche Wiederholungen eher vermeidet. Ihm selbst scheint also die Mission durchaus wichtig zu sein. Denkbar ist, dass er als Spanier autobiographisches Interesse an der weltumspannenden Wirkung des Evangeliums hatte, sowie sein Werk an der Verbreitung der praecepta Christi mitwirkte. Dass sich der Missionsbefehl ausschließlich an die Apostel richtete, ist ferner für Iuvencus, wie im letzten Absatz dargelegt wurde, kaum denkbar. Auch ist der eigentümliche Ausdruck terrae regnator apertae im Epilog (807) bisher meist rein historisch-politisch interpretiert worden. Ebenfalls möglich ist jedoch eine Öffnung der Welt für die christliche Botschaft durch Konstantin. Siehe dazu weiter unten zum Epilog, S. 309–318 und zur Gattungsfrage S. 346–373. Gar nicht thematisiert wird durch Iuvencus die Frage, ob die Juden zu den gentes gehören, obwohl diese Frage die Alte Kirche häufig beschäftigte.74 Gens bei Iuvencus meint keinesfall immer „Nichtjuden“ oder „Heiden“ (‫)גויים‬, wie schon I 1 Rex fuit Herodes Iudaea in gente cruentus erkennbar ist.

72 Vgl. Luz (2002) 438. 73 Vgl. ibid. 444. 74 Vgl. ibid. 447–452.

IV 784–801

305

Zur Zweckbestimmung des Evangeliums Die Diskussion um den Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor wird unten S. 346–373 ausführlicher geführt werden; an dieser Stelle genügt ein Blick auf das, was aus dem Missionsbefehl selbst im Vergleich mit der Exegese der Alten Kirche hervorgeht. Hieronymus gliedert in seinem Matthäuskommentar die christliche Lehre in drei Schritte, nämlich Bekehrung, Taufe und Belehrung. Die Taufe könne nur dann geschehen, wenn die Seele schon von der Wahrheit erfüllt sei, und müsse im Namen des dreifaltigen und einen Gottes erfolgen. Danach aber solle man – gemäß Jesu Befehl – lehren, welche Gebote zu halten seien. Das sei eine schwierige Aufgabe, da Jesus schließlich auffordert, omnia quaecumque mandavi vobis (Mt 28,19) zu lehren.75 Auch bei Iuvencus ist, wie oben zu 794 mihi iungere herausgearbeitet wurde, ein solcher Dreischritt denkbar; sicher ist jedenfalls, dass Iuvencus großen Wert auf die Weitergabe der Lehre (praecepta) legt. Das Halten der Lehre verbindet der Dichter dann aber mit dem großen Thema der Evangelien, nämlich dem (ewigen) Leben. Damit rekurriert er auf die ausdrückliche Zweckbestimmung des Johannesevangeliums, die dort im Vers 20,31 genannt wird: „Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“76 Auch ein Bezug zu Mk 16,16: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet“ ist denkbar, jedoch steht das Johannesevangelium m.E. wegen der ausdrücklichen Nennung des (ewigen) Lebens dem Iuvencustext näher. 77 Ferner sind Bezüge zwischen dem Prolog und der vorliegenden Szene offensichtlich, so dass man einen Rahmen zwischen Prolog und Ende erkennen kann (so wie auch zwischen dem Beginn des narrativen Teils und dem Epilog ein Rahmen gesehen werden kann; siehe dazu weiter im nächsten Kapitel). Den Prolog beginnt der Dichter mit seinen Gedanken über die Vergänglichkeit der Welt, um im letzten Vers des narrativen Teils wieder auf das Ende der Welt zu sprechen zu kommen. Er orientiert sich damit zwar nah an der Vorlage, rückt aber einerseits z.B. durch das pointiert am Schluss stehende dissolvat saecula finis diesen Gedanken in den Vordergrund und verzichtet andererseits auf die Wiedergabe anderer durchaus nicht ungeeigneter nachösterlicher Geschehnisse, etwa der Begegnung mit dem ungläubigen Thomas oder der Emmausperikope. Zu Recht wurde in der Forschung immer die Wichtigkeit der Proömiumsverse 19f nam mihi carmen erit Christi vitalia gesta / divinum donum populis sine crimine falsi betont. Diese kurze Inhaltsangabe von Iuvencus’ Werk spiegelt sich in 75 Vgl. in Matth. IV 28,19f (CCL 77, 282,2001–2014 Hurst/Adriaen) Baptizantur autem in nomine Patris, et Filii, et Spiritus sancti, ut quorum est una divinitas, sit una largitio, nomenque trinitatis unus Deus est. [...] Ordo praecipuus. Iussit apostolis ut primum docerent universas gentes, deinde fidei tingerent sacramento, et post fidem ac baptisma quae essent observanda praeciperent. Ac ne putemus levia esse quae iussa sunt, et pauca addidit: „omnia quaecumque mandavi vobis,“ ut qui crediderint, qui in trinitate fuerint baptizati, omnia faciant quae praecepta sunt. 76 Vgl. weiter Dietzfelbinger II 349f. 77 Anders Heinsdorff 19.

306

Der Missionsbefehl

dessen letzter (narrativer) Perikope auffällig wieder. So gestaltet der Dichter einen Rahmen um sein Werk. Dieser wird auch durch die Verbindung zwischen dem Weltenbrand (pr. 1–5 und 23f) und der Rede vom Ende der Welt im letzten Vers vor dem Epilog deutlich. Sein carmen ist an alle Völker gerichtet, so wie Jesus in göttlichem Auftrag seine Apostel an alle Völker aussandte. Da nun die verschiedenen Begriffe für „Volk“ von Iuvencus größtenteils unterschiedslos gebraucht werden, 78 macht die Verwendung von populus im Proöm und gens hier keine Probleme. Der Inhalt der Sendung an alle Völker, im Proöm als Geschenk bezeichnet, ist lebensspendend. Green wies zwar darauf hin, man könne vitalia gesta nicht einfach mit vita gleichsetzen,79 da neben Christi Taten auch seine Lehre eine große Rolle spiele. Lebensspendung durch ebendiese ist jedoch ein zentrales Thema. Zunächst finden sich einige Belege für lebensspendende Worte: II 452 und III 255 vitalia verba, 547 dictis vitalibus, 725 vitalia dicta; siehe dazu auch unten zu 804 divinae gloria legis. Im Laufe des Werkes spricht Iuvencus z.B. II 405 bei der Auferweckung der Tochter des Hohenpriesters von Jesus als repertor vitae, und vor der Auferweckung des Lazarus heißt es 349–351 en ego sum clarae vobis reparatio vitae. / In me qui credit, mortem deponere sumptam / et vitam poterit iugi componere saeclo. Das zu Grunde liegende ἐγώ εἰμι – Wort aus Joh 11,25 ist das einzige der sieben, das Iuvencus wiedergibt. Das spricht zunächst dafür, dass sich v.a. Jesu Taten als lebensspendend erweisen. Es gibt jedoch auch Belege für eine Verbindung von vita und praecepta, z.B. III 501–503 „O bone praeceptor, dic nunc, quae facta sequamur, / ut mihi perpetuam liceat comprendere vitam?“ / His auctor vitae tum talia reddit Iesus [...]. Da Iuvencus so sowohl auktorial als auch mittelbar durch Jesus in der vorliegenden Szene ganz ausdrücklich das Halten seiner Lehre und deren Umsetzung im Leben verbindet, sind Lehre und Taten in dieser Hinsicht komplementär. Dazu treten auch Ausdrücke wie I 595 vitalis panis im Vaterunser. Die vitalia gesta im Proöm dürfen also keinesfalls exklusiv als Taten verstanden werden. Da das gesamte Gedicht der Vermittlung von Leben gilt und es sich bei insinuate docentes praecepta um den letzten Auftrag des Auferstandenen handelt, liegt nahe, dass Iuvencus sich diesen Auftrag zu eigen macht und sich „within this evangelizing process“, 80 der, wie oben S. 303 dargelegt, nicht mit den Aposteln endete, lokalisiert. Auch hat Emotionalität darin einen Platz: lässt der Dichter Jesus doch von insinuare sprechen, also einem tiefen Eindringen der Lehre. Die gewöhnliche Verwendung dieser Vokabel im Zusammenhang mit Gefühlen macht der Dichter sich dabei zu Nutze. Oben zu 801 dissolvat saecula finis war darauf hingewiesen worden, dass Iuvencus zwischen der Ankündigung, erst müsse das Evangelium allen Völkern verkündet werden (und zwar durch individuelle testes; vgl. IV 119), und dem Ende des narrativen Teils eine starke Verbindung herstellt. Auch darin lässt sich m.E. erkennen, dass Iuvencus es für seine eigene Aufgabe hält, entweder konkret 78 Siehe oben zu 674 vulgi proceres vaecordis dicta und Hansson 47 Anm. 33. 79 Vgl. Green (2006) 20f. 80 Ibid. 126.

IV 784–801

307

einer dieser testes zu sein, was schwierig zu belegen ist, oder eher abstrakt zumindest seinen Platz in der Verbreitung der Botschaft, der regnorum caeli celebratio (IV 117), zu haben. Da Iuvencus sich so an den letzten Auftrag Jesu hält, die Menschen zu lehren, verdient er sich auch, wie im Prolog in den Versen 22–24 ausgedrückt, das ewige Leben für sich selbst – diese Verse können also kaum mehr zur Begründung einer „spirituellen Gattung“ dienen. Hinsichtlich der Gattung befinden sich die Evangeliorum Libri damit logischerweise zwischen narrativem Epos, das die Geschichte Jesu bis Ostern und darüber hinaus erzählt, und didaktischem Epos, das darauf zielt, allen Menschen die praecepta Jesu nahe zu legen und sie zu ermutigen, diese zu halten, damit sie das ewige Leben erlangen. 81 Denkt man zurück an Hieronymus’ Dreiteilung der christlichen Unterweisung, ist zwar nicht eindeutig geklärt, ob Iuvencus sich an Christen oder Nichtchristen wendet, es liegt aber nahe, dass er vor allem Katechumenen und Neugetaufte im Blick hatte, die nach Laktanz eben häufig schwankend im Glaubenswissen waren;82 siehe dazu weiter unten S. 374–379. AUSBLICK Sedulius orientiert sich nach Ostern stark an Johannes, der die meisten nachösterlichen Erscheinungen berichtet. Er geht nur kurz auf den Matthäusschluss ein; vgl. Carm. Pasch. V 416–421 Inde sequenda docens, „pacem omnes,“ inquit, „habete, / pacem ferte meam, pacem portate quietam, / pacem per populos monitis dispergite sanctis / et mundum vacuate malis: gentesque vocari / finibus e cunctis, latus qua tenditur orbis, / iussis mando meis omnesque in fonte lavari. Der erste Teil hat dabei seinen Ursprung in Joh 14,27 pacem relinquo vobis, pacem meam do vobis. Diesen Frieden zu verbreiten beauftragt Jesus seine Jünger bei Sedulius. Frieden steht dabei in Verbindung mit der Verbreitung der heiligen Lehre (monitis ... sanctis), die die Welt vom Bösen befreien soll (et mundum vacuate malis). Auch Sedulius scheint die weltumspannende Mission wichtig zu sein, da er in Vers 420 latus qua tenditur orbis hinzufügt. Der Taufbefehl ist auffällig kurz; Sedulius legt an dieser Stelle, anders als Iuvencus, kaum Wert auf die trinitarische Formel. Bei ihm folgen hierauf noch 17 weitere Verse, in denen die Himmelfahrt sowie der letzte Vers des Johannesevangeliums (Joh 21,25 sunt autem et alia multa quae fecit Iesus, quae si scribantur per singula, nec ipsum arbitror mundum capere eos qui scribendi sunt libros) verarbeitet werden. Sedulius’ Umgang mit dem Text bleibt hier verhältnismäßig unauffällig. Auch spielt der eigentliche Taufbefehl aus dem Matthäusevangelium für ihn eine 81 Opelt 207 hatte eine solche Ausrichtung schon sehen wollen und auch eine Verbindung zwischen diesem Auftrag und dem „Konstantinischen Kirchenfrieden“ hergestellt, war jedoch nicht en détail auf den Text des Missionsbefehls eingegangen. 82 Vgl. Green (2006) 131 und 373, jeweils mit Verweis auf Lact. Div. Inst. V 1,9 (437,9–14 Heck/Wlosok). Ähnlich Fontaine (1981) 69: „Le poème de Juvencus est aussi l’expression littéraire de cette mission.“

308

Der Missionsbefehl

geringe Rolle. Der wichtigste Berührungspunkt zu Iuvencus liegt daher in dessen Verbindung mit Joh 20,31.

DER EPILOG (IV 802–812) ALLGEMEINES Der Epilog ist wie das Proöm, da er einige der wenigen poetologischen und biographischen Selbstaussagen Iuvencus’ beinhaltet, schon häufig thematisiert worden. 1 Das folgende Kapitel beschränkt sich auf Wesentliches und eine grundsätzliche philologische Betrachtung, die sich aber auch der wichtigen Frage nach dem Verhältnis des Dichters zu den ornamenta terrestria linguae (805) widmet. Iuvencus verortet die gesamte Entstehung seines Gedichts sowohl theologisch (pax Christi) als auch politisch (pax saecli, Konstantin). Somit reflektiert er am Ende, wie etwa Vergil in seinen Georgica (siehe dazu unten zu 804 divinae gloria legis und zu 806 haec ... tribuit), über den aktuellen Herrscher und dessen Verdienste. Die durch diesen geschaffene Situation ermöglicht nämlich nicht nur die offenere Mission,2 sondern auch die Entstehung eines Werkes wie der Evangeliorum Libri Quattuor überhaupt. Zum Text: KOMMENTAR (IV 802–812) Iuvenc. IV 802–812: 802 Has mea mens fidei vires sanctique timoris 803 cepit et in tantum lucet mihi gratia Christi 804 versibus ut nostris divinae gloria legis 805 ornamenta libens caperet terrestria linguae. 806 Haec mihi pax Christi tribuit, pax haec mihi saecli, 807 quam fovet indulgens terrae regnator apertae 808 Constantinus, adest cui gratia digna merenti 809 qui solus regum sacri sibi nominis horret 810 imponi pondus, quo iustis dignior actis 811 aeternam capiat divina in saecula vitam 812 per dominum lucis Christum qui in saecula regnat. 803 luxit Arevalo3 809 numinis R K2 Mp P T1 V2 B1 Bb H

1 2 3

Vgl. van der Nat, Quadlbauer, Fontaine (1984), sowie die jeweiligen Kapitel bzw. Absätze bei Herzog (1975), Kartschoke, Herzog (1979), Roberts (1985), Roberts (1989), Kirsch (1989), Green (2006) und Deerberg. Vgl. Fontaine (1981) 69 und Opelt 207. Marold liest als Erster lucet, nachdem zuvor alle Editionen luxit gelesen hatten.

310

Der Epilog

has mea mens fidei vires sanctique timoris: „Am Schluß des Werkes benennt Juvencus Frömmigkeit und Glaubensstärke als subjektive, die Gnade Christi und den weltlichen Frieden als objektive Bedingungen für sein Schaffen.“4 Letzteres meint das 806 Ausgedrückte, siehe weiter dort. has ... fidei vires: Welche konkreten Kräfte mit has vires gemeint sind, ist auf den ersten Blick unklar. Der 804 folgende Finalsatz hängt wohl nicht nur von 803 in tantum ab, sondern schließt logisch auch an die poetischen Kräfte, gewissermaßen den Enthusiasmos an, die Iuvencus zuteil wurden. mea mens: Mens ist bei Iuvencus nicht eindeutig konnotiert, die emotionalpsychische Dimension (die bis zur Bedeutung „Seele“ reicht) nicht von der rein verstandesmäßigen zu trennen. Hier weist der Dichter auf pr. 26f et puro mentem riget amne canentis / dulcis Iordanis zurück. Seine dortige Bitte an den Heiligen Geist und den (personifizierten) Jordan, ihm Inspiration zu verschaffen, ist also, so sagt er selbst, erfüllt worden.5 Siehe zu Iuvencus’ Vorstellung von der Seele oben S. 208–217. sanctique timoris: Sancti ist Attribut zu timor, nicht substantiviert und Genitivus obiectivus dazu. Letztere Verwendung ist gar nicht belegt, erstere bei den christlichen Schriftstellern gebräuchlich und vor allem ein Psalmzitat (Ps 19,10). Der Psalmist spricht dort über die Verbreitung der Ehre Gottes – ein weiteres Dokument für den Anspruch, den Iuvencus mit seinem Werk verbindet. Weitere Belege für timor sanctus sind zweimal Ambr. in Psalm. 118 5,38 (CSEL 62, 103,5–8 Petschenig/Zelzer), dreimal in Psalm. 8,1 (CSEL 62, 149,15–23 Petschenig/Zelzer), Paenit. I 8 (CSEL 73, 137,30f Faller). Siehe zur Ehrfurcht auch oben zu 772 fidis und pavor.

cepit: Siehe zu den möglichen Nuancen dieser Vokabel unten zu 805 ornamenta libens ... linguae. in tantum: Poetisch eine seltene Junktur, vor Iuvencus nur Aen. VI 876; Prop. III 5, 11 und III 11, 17 belegt, wobei nur in der Aeneis und hier tantum kein Bezugswort (sei es ein Substantiv oder ein partitiver Genitiv) hat. lucet: Luxit erscheint nach cepit auf den ersten Blick sinnvoller, ist doch Iuvencus’ Gedicht jetzt zu Ende gebracht; dazu kommt die consecutio temporum mit dem Imperfekt caperet im Finalsatz. Angesichts des grundsätzlich ungenauen Tempusgebrauchs6 und der möglichen Aussage, dass das Licht Christi auch bisher nicht aufgehört hat zu leuchten (noch dies tun wird), ist es aber nicht sinnvoll, gegen das einhellig überlieferte lucet zu entscheiden. Überzeugend erklärt Röttger: „‚Erleuchtung durch gratia’ ist ein typisch christlicher Gedanke [...]; ganz entsprechend schließt die Iuvencus-Paraphrase lucet mihi gratia Christi an die Begriffe fides und sanctus timor [...]. Das Stichwort gratia paßt aber nicht nur innerhalb des Glaubensmotivs, sondern es

4 5 6

Kirsch 90. Vgl. ibid. 91. Vgl. Hatfield 4f.

IV 802–812

311

fungiert außerdem als Scharnier für den vielleicht zunächst befremdlich wirkenden Übergang zum Thema ‚poetische Inspiration‘ [...].“7

versibus ut ... linguae: Die beiden Verse 804f sind häufig diskutiert worden. An ihrer Interpretation zeigt sich deutlich, ob die jeweiligen Philologen den epischen oder den theologisch-exegetischen Aspekt der Evangeliorum Libri Quattuor für wesentlicher halten. Wie zuvor versucht dieser Kommentar, einen Mittelweg einzuschlagen. Kirsch stellt überzugend zwischen Proöm und Epilog eine Beziehung her. Er führt die „ästhetische Qualität der Verse des Dichters“ (IV 804) auf die „Bewässerung der Seele durch den lieblichen Jordan“ (pr. 26f) und die „Wahrheit der Aussage“ auf „Reinheit des Stromes, [...] Beistand des Heiligen Geistes, [...] Gnade Christi [...], Glaubensstärke des Dichters“ zurück. Der Heilige Geist sei „der eigentliche Schöpfer [...] eines Werkes, in dem sich das Gotteswort in schöner Menschensprache darbietet“.8 Damit greift Iuvencus auf die christliche Umdeutung des Musenanrufs im Proöm9 zurück und dokumentiert nach Abschluss des Werkes, für das er um Inspiration gebeten hat, dass er wirklich durch Christus dessen Würdiges gesungen hat, und damit den Erfolg seines Unternehmens.10 Gratia als Inspiration findet sich schon bei Ov. Fast. V 109 gratia Pieridum nobis aequliter adsit, so dass sich hier pagane Topik mit dem im Proöm geäußerten Anspruch verbindet.11 Als Warnung gegenüber allen poetologischen Überinterpretationen kann man Kartschoke verstehen: „Juvencus zeigt sich merkwürdig unberührt von den patristischen Kontroversen über Wert oder Unwert der Poesie [...]. Er tritt auf als einer der im vierten Jahrhundert noch seltenen Fürsprecher des hohen Stils im Dienste der Heilsreligion. Die ornamenta linguae sind ihm nicht fragwürdiges Akzidens zum christlichen Gehalt, sondern als Kunstleistung Wirkung der 12 Gnade Gottes und geistliches Verdienst.“

Iuvencus beansprucht also nicht selbst den Ruhm für die sprachliche Gestal seines Werkes, sondern dieser gebührt Christus bzw. dem Heiligen Geist. Weitergehend und anders argumentiert Deerberg: „Nicht die ,Herrlichkeit der Heiligen Schrift‘ wird eingekleidet, sondern sie selbst hat den irdischen Redeschmuck (ornamenta ... terrestria linguae) ergriffen, ja gefangengenommen (caperet).“13 7 8 9 10

Röttger 127. Kirsch 91. Er nimmt dort v.a. Bezug auf pr. 25f und IV 802–805. Deerberg 349 Anm. 102 spricht von einer „Ringkomposition.“ Ähnlich auch Quadlbauer 191, Fontaine (1981) 75 und v.a. van der Nat 255: „In der Praefatio wird nicht davon gesprochen, aber es liegt nahe zu vermuten, daß die Worte ut Christo digna loquamur sich auf die sprachliche Form beziehen. Iuvencus betrachtet es als sein Verdienst, das Evangelium in eine schöne, poetische Form gekleidet zu haben – auch diese wird damit ein Argument der Legitimation.“ Darüber hinaus muss aber wie oben mit Kirsch darauf hingewiesen werden, dass Iuvencus dieses Verdienst gleich wieder auf Christi Inspiration bzw. die des Heiligen Geistes zurückführt. 11 Vgl. Röttger 127. 12 Kartschoke 58. Daran schließt sich erneut Röttger 127, wiederum mit Kritik an Herzog (1975) 165, an. 13 Deerberg 349.

312

Der Epilog

Auch er sieht einen Zusammenhang zwischen Christo digna loquamur und der abschließenden Selbstevaluation des Dichters, in der diese Würdigkeit auch in der sprachlichen Gestalt anerkannt wird.14 Wesentlicher als diese sprachliche Gestalt ist es nach Deerberg aber, dass der heilige Text libens, gerne, den sprachlichen Schmuck annimmt, da das nicht der „offiziellen kirchlichen Haltung gegenüber der paganen Dichtungs- und Rhetoriktradition“ (wenn auch eine „offizielle“ Haltung schwer zu finden ist) entspreche. 15 Somit seien Inhalt und Funktion der ornamenta christlich legitimiert.16 Diese „Gefangennahme“ der ornamenta scheint mir aber aus zwei Gründen problematisch. Zum einen wird die ausschlaggebende Vokabel capere nur zwei Verse zuvor in Vers 803 und sechs Verse später in Vers 811 ganz ohne einen solchen Unterton verwendet; sie mit „gefangen nehmen“ zu übersetzen scheint also eine Überinterpretation zu sein. „Ergreifen“, „Annehmen“ und „Gewinnen“ ist eines der wesentlichen Themen des Epilogs. Zum anderen scheint mir die Rolle der gratia Christi, die für die ornamenta terrestria linguae ja direkt verantwortlich gemacht wird, hier nicht richtig bewertet. Freilich sorgt die Gnade Christi dafür, dass Mission durchgeführt und die Christen „erbaut“ werden können (so später aber auch die pax saecli). Daraus lässt sich aber nur folgern, dass Iuvencus seinen Erfolg Christus verdankt, nicht aber, dass die Wahl der sprachlichen Mittel hier metapoetisch begründet wird. Daher ist auch libens „im Sinne eines ‚quod erat demonstrandum‘“17 (es ist möglich, ein solches Werk zu verfassen) zu verstehen.18 Der Dichter bescheinigt sich selbst und selbstbewusst den Erfolg seines im Proöm dargelegten Projektes, mit göttlicher Hilfe (sprachlich und sachlich) Würdiges zu singen – es ist nämlich der wichtigen Botschaft des Evangeliums gerade die hohe Sprache des Epos angemessen. 19 Die Wichtigkeit der sprachlichen Schönheit als solche kann ebenso kaum geleugnet werden, wie dass Iuvencus sie im Ganzen in den Dienst der Verkündigung und Erbauung stellt. Diese Polyvalenz der ornamenta sieht auch Green, der von „Episierung“ ausgehend zur theologischen Bedeutung kommt: „This embellishment, as has been shown in the foregoing analyses, is much more than cosmetic, but extends to vocabulary, phraseology, themes, and various patterns of narration and presentation. It should not be thought of as something mechanical [...] or a necessary aid to composition. It is pervasive and integral, and not restricted to particular contexts, such as the passages of particular theological significance where, according to Herzog, it tends to cluster. One may admit its contribution to edification without denying the influence of epic-style empathy or what used to be called, by Heinze and others, Affekt or Gefühl.“20

14 15 16 17 18 19

Vgl. ibid. Ibid. Vgl. Ibid. 350. Röttger 129. Ähnlich Roberts (1985) 70, scharf kritisiert von Deerberg 350 Anm. 106. Vgl. zu diesem Verhältnis von Sprache und Inhalt Fontaine (1981) 77. Für einen Bezug zum Proöm spricht sich auch Sandnes (2011) 55 aus, der von einem „baptismal echo“ spricht. 20 Green (2006) 127f.

IV 802–812

313

Auch sei das Verhältnis zur paganen Tradition gar nicht negativ, wie aus dem Proöm (vor allem pr. 12 [fama] quae manet aeternae similis und pr. 9f celsi cantus [...] / dulcedo Maronis) hervorgehe. Iuvencus hat vor der paganen Dichtung großen Respekt.21 Siehe zur weiteren Diskussion über Adressaten, Zweck und Gattung der Evangeliorum Libri Quattuor unten S. 346–379. terrestria: „No great negative charge should be seen in the qualification terrestria; when consulted by Nicodemus, Christ began by trying to explain things in ,earthly‘ language (2. 209: John 3:12).“22 Der Unterschied zwischen divina gloria und ornamenta terrestria soll betont werden. Für Iuvencus ist schon vom Prolog her der Inhalt, das Evangelium, die wesentlichere Qualität seines Werkes als die Sprache, ohne dass dabei Letztere entwertet wird; siehe den vorherigen Kommentarabsatz. linguae: Als Genitivus epexegeticus zu ornamenta terrestria zu verstehen: ornamenta an sich ist noch ungenau, linguae präzisiert. divinae gloria legis: Der Vers erinnert stark an Georg. I 168 divini gloria ruris.23 Damit spielt Iuvencus einerseits poetologisch auf die Gattung Lehrgedicht an, 24 stellt andererseits aber den Mythen, die Vergil in den Georgica berichtet, die Wahrheit des Christentums, die divina lex, die jene ablöst, entgegen. Siehe zur folgenden Gegenüberstellung Augustus’ und Konstantins unten zu 806 haec ... tribuit. Lex divina wird in der Bibeldichtung unscharf für beliebige (oft alttestamentliche) Inhalte gebraucht und meint häufig in der Alten Kirche auch biblische Weisungen.25 Am Ende des Werkes bietet sich das Wort gerade aufgrund dieser paränetischen Nuance und komplementär zu den vitalia gesta im Proöm als Zusammenfassung des Werkinhalts an. 26 Green bemerkte im Anschluss an Nestler, dass Christi vitalia gesta im Proöm nicht als Zusammenfassung des Werkes taugen kann, da der paränetische Aspekt fehlt.27 Dieser wird zuvor auch durch vitalia verba (II 452; III 255) und vitalia dicta (II 547, 725) genannt und pointiert erneut hier geboten. Siehe dazu auch oben S. 305–307. haec ... tribuit: Von hier an bis zum Schluss des Werkes handelt es sich um einen langen Satz, der die historische Situation mit einer Aussage zur Mission, zur Eschatologie und einem gebetsartigen Schluss umfasst. Roberts erkennt einen Bezug zu Georg. IV 559–566 Haec super arvorum cultu pecorumque canebam / et super arboribus, Caesar dum magnus ad altum / fulminat Euphraten bello victorque volentes / per populos dat iura viamque ad21 Vgl. ibid. 128: „As in the Preface, where the fame accruing from classical poetry was described as ‘similar to eternal’, not eternal, and the ‘sweetness’ of Vergil is acknowledged as well as the inspiration of the Holy Spirit, the relation of classical poetry and Christian truth is not presented as one of polar opposition. The traditional ideas and language of rhetoric and poetry are respected, not demonized.“ 22 Ibid. 23 Darauf wies zuerst Roberts (1989) 48f hin. 24 Vgl. ibid. 25 Vgl. Röttger 128 mit einigen Belegen. 26 Vgl. ibid. 129. 27 Vgl. Green (2006) 20.

314

Der Epilog

fectat Olympo. / Illo Vergilium me tempore dulcis alebat / Parthenope studiis florentem ignobilis oti, / carmina qui lusi pastorum audaxque iuventa, / Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi. Wenn auch nur eine geringe direkte sprachliche Übereinstimmung (haec ... canebam zu haec ... tribuit) besteht, ist der Blick zum Ende der Georgica hilfreich: der Epilog hier hat wie die zitierten Verse Sphragis-Charakter; die Georgica thematisieren häufig, wie Iuvencus hier, pax. Steht oben jedoch der kriegerische Augustus, der Zivilisation schafft und sich damit den Weg zum Olymp erkämpft, unterscheidet sich im Folgenden Konstantin in der Wahl seiner Mittel und seines Ziels. Dass der aktuelle Herrscher für die Entstehung des jeweiligen Werkes von Bedeutung ist, ist noch eine Übereinstimmung, Konstantin aber ist im Gegensatz zu Augustus nicht wegen seiner Kriegserfolge (terrae regnator apertae ist chiffriert genug), sondern wegen seiner Ehrfurcht (horret) und des von ihm begünstigten Friedens (pax ... saecli, quam fovet)28 lobenswert, und der Lohn, den er sich so erwirbt, ist nicht etwa der heidnische Olymp durch Apotheose, sondern das ewige Leben, das Christus vermittelt.29 Die pax saecli und pax Christi korrespondieren.30 Mit der Zeit des neuen Herrschers ist also auch die Zeit der neuen, wahren Religion gekommen, die den Kriegen und dem Irrtum ein Ende macht. Diese Bedingung, pax in beiderlei Sinne, ermöglicht es erst, dass Iuvencus die Evangeliorum Libri Quattuor abfasst, und auch, dass diese zum gewünschten Ziel führen können, wie oben S. 305–307 und unten S. 346–373 dargelegt. Eine geringe Parallele findet sich letztlich auch zwischen den Georgica und Iuvencus’ Proöm, wird doch Parthenope, in Georg. IV 563f (oben zitiert) Subjekt zu alebat, hier als dulcis bezeichnet.

terrae regnator apertae: Iuvencus nennt II 265 Christus regnator mundi und überbietet damit Aen. II 779 und VII 558 regnator Olympi.31 Christus, dem Herrscher der gesamten Welt, gegenüber ist Konstantin ‚nur‘ Herrscher der Erde. Marold will an Hand von terra aperta das Werk auf nach 332, nach Konstantins Sieg über die Goten, datieren. 32 Terra aperta ist in dieser Bedeutung ohne Parallele, Junkturen mit mare oder Synonymen sind jedoch belegt;33 dass unummauerte Städte (als Hinweis auf Frieden) gemeint sind, wie Fontaine vorschlägt, 34 ist reizvoll, aber in der Tat „over-literal“35 und ohne Parallele. Überzeugender ist Greens zurückhaltenderes Urteil: „Certainly the words terrae ... apertae refer to widespread power, but there is no reason why they should not refer, especially in an encomiastic context, to any time after September 324,

28 29 30 31 32 33 34 35

Collier 33f stellt die pax Augusta ausdrücklich der pax Constantina entgegen. Vgl. Roberts (1985) 48f und Green (2006) 126f. Vgl. Fontaine (1981) 68. Vgl. Santorelli (2011) 426. Vgl. Marold (1890) 392, weiter dazu Roberts (1985) 75 Anm. 52. Vgl. ThLL II 223,44–56 (Prinz 1901) mit Hinweis auf u.a. Tac. Ann. II 23. Vgl. Fontaine (1981) 68 Anm. 87. Vgl. Green (2006) 4 Anm. 14.

IV 802–812

315

when Constantine secured his supremacy by defeating Licinius in the battle of Chrysopolis.“36

Hieronymus’ Datierung der Evangeliorum Libri auf 329 kann also nicht einfach zurückgewiesen werden.37 Neben all diesen historischen Deutungen hat aperta gewiss auch eine Bedeutung für das Christentum: Die Welt steht durch Konstantins Sieg für eine weitere Mission offen. 38 Siehe zu apertus weiter oben zu 746 caelo ... descendit aperto. gratia digna: Digna wird in dignior unten gleich wiederholt. Durch diese Wiederholung nach nur zwei Versen wird eine Verbindung zwischen der gratia Gottes und dem Verdienst des Kaisers hergestellt – beides zusammen sorgt für dessen ewiges Leben. 39 Vgl. auch Ov. Trist. I 6,15 hunc tua per fortes virtus submovit amicos, / nulla quibus reddi gratia digna potest. qui solus ... pondus: Die beiden Verse 809f sind von großer Bedeutung und bergen einige Probleme. Zunächst liest Huemer als Einziger und anscheinend gegen die gesamte Überlieferung regnum statt regum. Das ist von Huemer selbst, später erneut von Santorelli als Tippfehler identifiziert worden. 40 Dennoch versucht sie, auch regnum zu interpretieren. Das sacrum regnum sei nämlich das heilige römische Reich, das seine „Heiligkeit“ Konstantin verdankt, was der aurea aetas des Augustus gegenüberstehe. Horret drücke dann aus, dass Konstantin als Einziger genügend Ehrfurcht für ein so großes Vorhaben zeigt. Diese Interpretation kann angesichts dessen, dass regnum kaum haltbar ist, vernachlässigt werden. Der Titel rex war für Römer seit dem Ende der Königszeit und für die Christen zur Zeit der Verfolgungen (häufig wurde Diokletian abschätzig als rex bezeichnet) hochgradig problematisch. 41 Inwiefern es sich aber bei rex um den Titel handelt, den Konstantin ablehnt, wird unten diskutiert. Zudem kann man nicht nur mit Blick auf Epilog und Prolog, sondern auch auf Epilog und Beginn des narrativen Teils von einer Ringkomposition sprechen. So beginnt das Werk in Vers I 1 mit den Worten rex fuit Herodes Iudaea in gente cruentus. Iuvencus eröffnet also seine Erzählung mit einem Beispiel für einen schlechten, nämlich blutrünstigen König, um am Ende seines Werkes Konstantin diesem als Anti-Herodes entgegenzustellen (neben seiner Rolle als neuer, besserer Augustus s. oben zu Vers 806: haec ... tribuit).42

36 37 38 39

Vgl. ibid. 4. So nicht ohne Skepsis auch Fontaine (1984) 132. Vgl. ibid. 7. Vgl. Santorelli (2011) 15. Vgl. Fontaine (1984) 132: „de plus, la suite de l'éloge montre - en particulier la reprise de digna en dignior - que la relation de decus instaurée entre la grâce divine et le mérite humain ne trouvera son achèvement que dans l'au-delà, dans le don final de l'éternelle vie, et cela est tout à fait conforme aux promesses expresses du Christ des Évangiles, et à l'accomplissement de la Justice de Dieu.“ 40 Vgl. Huemer XLIV, Santorelli (1986/1987) 19. 41 Vgl. Green (2006) 5f. 42 Vgl. ibid. 6 und 67.

316

Der Epilog

Unklar ist auch, wie horret imponi verstanden werden soll. Green weist auf die Ambivalenz der Konstruktion hin: „There is ambiguity here, since although the accusative and infinitive construction might be taken to indicate a state of affairs, one cannot rule out the possibility that the construction is used to indicate what it is feared may happen, not what is happening. In the case of horreo there is no single, standard usage (TLL VI. 3. 2981, 42–3 and 52–5). Compare the confusion, not uncommon in Late Latin, between fearing to do something and fearing that something is happening, in e.g. Ausonius, Moselle 147, 428.“

Das macht die Frage danach, welches denn eigentlich der Titel sei, vor dem Konstantin zurückschreckte, schwieriger – schließlich ist kaum mehr möglich, nur nach Titeln, die er zurückwies, zu suchen, wenn man auch die Titel, die er zwar annahm, vor denen er aber erschauderte, bedenken muss. Kirsch vermutete nun vorsichtig, dass pontifex maximus der Titel sei, den Konstantin ablehnte. Das ist, wie Green überzeugend darlegt, unwahrscheinlich.43 Ähnliches gilt für die Anrede als deus oder (posthum) als divus. Konstantin scheint sich dazu gar nicht geäußert zu haben. 44 Interessant ist Fontaines Erklärung, es handle sich um die Titel invictus oder comes solis, die beide mit dem für den Kaiser wichtigen Sonnenkult verbunden sind. Gerade dass Christus kurze Zeit später, in Vers 812, als dominus lucis bezeichnet wird, spricht für eine Bedeutung jener Titel auch für Iuvencus; 45 jedoch ist Christus als dominus lucis Konstantin nicht so eindeutig gegenübergestellt, wie Fontaine glaubt; siehe weiter zur Stelle. Green zeigt ebenfalls Sympathien für diese Erklärung, bietet jedoch zudem die etwas einfachere Lösung, es handle sich nur um Dominus (noster). Dieser Titel verschwinde nämlich nach 324 von Münzen und bleibe nur in Inschriften, die schwerer als Münzen zentral zu steuern sind, erhalten.46 Am naheliegendsten aber sei es, dass Konstantin den Titel rex ablehnt. Dieser sei ohnehin undenkbar und daher geeignet für Panegyrik, zudem passend angesichts der Stellung Konstantins als Anti-Herodes und aus zeitgenössischer Perspektive Anti-Diokletian, ebenso wie als Verhältnisbestimmung gegenüber Christus, der wahrlich in saecula regnat und damit sowohl über Konstantins Herrschaft herrscht als auch sich durch Demut auszeichnet. Diese Implikationen mit irdischem und himmlischem Königtum machen rex nach Green für Iuvencus sehr attraktiv.47 Regum muss zunächst logisch auf solus bezogen sein: Konstantin ist der einzige Herrscher, kaum aber der einzige Mensch, der vor einem solchen Titel zurückschreckt. Dazu aber kann man regum ἀπὸ κοινοῦ auf sacri nominis beziehen, dann als Genitivus epexegeticus. Konstantin schaudert vor dem zugleich an sich ehrwürdigen, aber in diesem Falle verfluchten (ein Spiel mit der Ambivalenz von sacer) Königstitel. Imponi pondus steht enjambiert, wodurch der Infinitiv, der horret komplettiert, betont wird. 43 Vgl. ibid. 5, dort Anm. 17 auch mit Literaturhinweisen. 44 Ein Panegyricus auf Theodosius aus dem Jahr 389 enthält ferner diesen Titel, vgl. Fontaine (1984) 132. 45 Vgl. ibid. 138–141. 46 Vgl. Green (2006) 5f. Erst fünfzig Jahre später ist eine solche Ablehnung sicher belegt. 47 Vgl. ibid.

IV 802–812

317

Die alternative Lesart numinis ist als Schreibfehler zu deuten, möglicherweise thematisch durch sacri eingedrungen.

iustis dignior actis: Iustis ... actis ist als Ablativus causae, nicht als Ablativus comparationis zu dignior zu verstehen. Konstantin sieht seinen Aufstieg in den Himmel nicht als selbstverständlich an, sondern erkennt die Notwendigkeit für Demut und gute Werke. Daher stellt ihn Iuvencus durch die Vokabel iustus in die Reihen der Christen, die in seinem Werk ebenfalls häufig als iusti bezeichnet wurden; siehe dazu oben zu 594 iusti. Im christlichen Glauben und im christlichen Verhalten liegt also auch für Konstantin der Schlüssel zum ewigen Leben, nicht in von Menschen verliehenen Titeln oder, wieder im Vergleich mit Augustus, in kriegerischen Erfolgen. Durch die Versstruktur steht iustis dignior actis nahe bei Konstantins Titelverzicht, der Lohn, den er dafür erhält, folgt erst im nächsten Vers, also enjambiert. aeternam ... vitam: Die Junktur findet sich erstmals Lucr. V 1175, dann Aen. XII 879 und ist seit Tertullian christlich in Gebrauch (s. dazu oben zu 756 aeternaque lumina vitae). Lukrez setzt sich mit den Attributen auseinander, die Menschen den Göttern zusprechen, unter anderem in Vers V 1175: aeternam dabant vitam. Wenn auch dabant abschätzig klingt, so als ob es alleine die Menschen seien, die den Göttern Unsterblichkeit zusprechen, wird diese an sich von der epikureischen Philosophie nicht abgelehnt.48 In der Aeneis beklagt Iuturna ihre Unsterblichkeit: quo dedit vitam aeternam, da sie nichts mehr gegen die Niederlage der Rutuler tun, aber auch ihrem Leben kein Ende bereiten kann. 49 Iuvencus greift zur Beschreibung des ewigen Lebens, das auf Jesus Christus zurückzuführen ist, der III 161 als sator aeternae ... vitae bezeichnet wird, also auf einen in der Dichtung negativ, in der christlichen und platonischen Literatur freilich positiv geprägten Begriff zurück. Für Lukrez handelt es sich schlicht um Aberglauben, in der Aeneis ist es ein Ärgernis. Dennoch ist eine Kontrastimitation, da aeterna vita im christlichen Kontext nicht ungewöhnlich ist, nicht unbedingt zwingend, wenn auch reizvoll. Der Dichter schließt so mit einem Gedanken an den ewigen Lohn, den er sich für sich selbst pr. 15–19 schon erhofft hatte, dessen er sich auf Grund seiner Themenwahl und seiner Leistung gewiss ist und den er auch für Konstantin erwartet. Schlüssel zum ewigen Leben ist für Iuvencus und seine Leser der Glaube und das Halten der praecepta Christi, wie oben zu 799 praecepta, ut ... perennem gesagt wurde; das kommt den iustis actis des Kaisers gleich. capiat: Siehe oben zu 803 cepit und zu 804f versibus ut ... linguae. 48 Vgl. dazu und zur weiteren Analyse der Stelle Lucretius, De Rerum Natura V, Edited with a Translation, Introduction and Commentary by M.R. Gale, Oxford 2009, 198. 49 Besonders eindringlich ist die Interpretation von Claud. Don. Aen. XII 879 in contrarium vertit quod mihi pro munere beneficioque concessum est, quando nec fratri subvenire ut immortalis possum nec interire cum fratre quae sum nata mortalis. Finirentur quippe dolores mei et quicquid animum cruciat condicio mortis auferret, certe irem ad infernum pariter et sociata fratri sedes Erebi libenter adpeterem. Alia apostropha ad ipsum fratrem cum necessaria propositione: „immortalis ego!“ Immortalis, inquit, dicor, inde infelix unde me beatam existimant alii, non honor est iste, sed poena.

318

Der Epilog

divina in saecula: Die Junktur ist vor Iuvencus ohne Parallele, gemeint ist die kommende Welt, in der Konstantin das ewige Leben zuteil werden soll. Saecula kann bei Iuvencus sowohl die Welt (z.B. oben 802), als auch die Ewigkeit wie hier oder pr. 17f. meinen.50 dominum lucis: Siehe zu diesem Titel oben zu 655 dominum lucis sowie Fontaines ausführliche Erläuterungen.51 Dessen Darlegung, Christus stehe, wie schon durch 806 pax Christi ... pax ... saecli angekündigt, Konstantin komplementär gegenüber, lehnt Röttger teilweise ab. Christus sei nämlich nicht, wie Fontaine argumentiert, durch den Titel dominus lucis, sondern qui in saecula regnat dem Kaiser, dem terrae regnator apertae (807), entgegengestellt.52 Christus kommt zwar, wie an dieser exponierten Stelle ausgedrückt ist, die Herrschaft über das Licht und damit das Leben (vgl. Joh 1,4) zu, 53 ob jedoch durch diesen Titel ausgesagt ist, dass Konstantin gerade auf einen solchen Titel verzichtete (siehe oben zu 809f qui solus ... pondus), ist keineswegs sicher. Zur Wichtigkeit der Lichtmotivik bei Iuvencus überhaupt siehe Röttger, zur christlichen Appropriation der Sonnenmotivik Wallraff. qui in saecula regnat: Eine liturgisch wirkende Formel (vgl. et in saecula saeculorum),54 die den von Knappitsch und Fontaine zu Recht als Doxologie bezeichneten Schluss des Epilogs beendet.55 Das Thema des Werkes, die Ewigkeit, wurde in pr. 1 durch immortale nihil kundgetan; im Gegensatz zur Welt aber ist die Herrschaft Christi von Dauer, wie aus diesen letzten Worten hervorgeht. Siehe zur Vokabel saeculum oben zu 811 divina in saecula.

50 51 52 53 54

Zur Ameliorisierung der Vokabel siehe Mohrmann II 117 und III 105. Vgl. Fontaine (1984) passim. Vgl. Röttger 130f gegen Fontaine (1984) 138–140. So sowohl Röttger als auch Fontaine. Leider lässt sich nichts Genaueres sagen, Röttgers Klage hat Bestand: „Abermals wünscht man sich für die Iuvencus-Interpretation genauere Kenntnis der spanischen Liturgie(n) des beginnenden 4. Jahrhunderts“ (130). 55 Vgl. Knappitsch ad loc., Fontaine (1981) 68 und (1984) 132. Anders Röttger 130. Gegen Fontaine (1984) kann vorgebracht werden, dass nicht der ganze Epilog die Bezeichnung „Doxologie“ verdient, das Ende ist aber gewiss, auch ohne dass δόξα ausdrücklich genannt wird (so Röttgers Argument), so zu bezeichnen.

BEMERKUNGEN ZUR TECHNIK DES DICHTERS Im Allgemeinen ist die dichterische Technik des Iuvencus gut erforscht; siehe dazu oben S. 16 und unten S. 348–350. In den hier kommentierten Versen sind vor allem der Umgang mit wörtlichen Reden sowie die Überleitungen zwischen einzelnen Perikopen, vor allem mit Blick auf Tagesübergänge und Ortswechsel, betrachtungswürdig. DER UMGANG MIT WÖRTLICHER REDE Insgesamt werden ca. 18 % der wörtlichen Rede der Bibel bei Iuvencus in indirekter Rede wiedergegeben.1 Rodríguez Hevia und Herzog stellen fest, dass Iuvencus die wörtliche Rede vornehmlich für seinen „Helden“ reserviert.2 Dafür gibt es nach Green vornehmlich zwei Gründe: Iuvencus vermeidet zum einen simple Redeeinleitungen, die in einem Dialog häufig gebraucht werden müssten, und macht sich dann zum anderen die Signalwirkung von Reden zu Nutze.3 Vor allem kurze Aussagen, die etwa „ja“ und „nein“ entsprechen oder schlicht, wie im hebräischen Stil nicht unüblich, Wiederholungen des vorher Gesagten wären, haben im Epos keinen Raum. Während sich nun manche Einleitungen wie z.B. 739 et Pilatus ad haec kaum vermeiden ließen, finden sich Reden mit entscheidender Signalwirkung auch während Passion und Auferstehung. So wertet Iuvencus regelmäßig durch Verben oder Adjektive: negativ, wenn die Gegner Jesu zur Wort kommen (676 motu quatiunt, 730 onerant), bzw. positiv-psychologisch, wenn Jesus selbst spricht (768 blandus, 790 compellat). Besonders wesentlich ist die Signalwirkung der Reden dann, wenn doppelte Ironie vorliegt: die mit viel Wut vorgetragenen Verwünschungen und Spott der Oberen werden dadurch umso unpassender; siehe zu 670 hic est, qui ... meatu. Die christlichen Leser wissen, dass Jesus auferstehen wird, die interessierten heidnischen Leser müssen es ahnen. Die Empörung der Gegner Jesu wird dadurch umso unglaubwürdiger. Gleiches gilt zu 672 suboles veneranda Tonantis. Auch der Verzicht auf direkte Wiedergabe von Reden geschieht bisweilen bewusst und nicht nur aus Gründen der Glättung. So kann der Betrug der Hohenpriester in Vers 781 eindeutiger als fama klassifiziert werden; siehe weiter dort. Jesu eigene Worte werden zuletzt noch einmal dadurch herausgehoben, dass er selbst das letzte Wort des Werkes (finis) sprechen darf. 1 2 3

Vgl. Rodríguez Hevia 270. Vgl. ibid. und Herzog (1975) 128f. Letzterer (91f) hält dies für eine der Hauptleistungen des Dichters. Vgl. Green (2006) 78–83.

320

Bemerkungen zur Technik des Dichters

Neben der grundsätzlichen Signalwirkung wörtlicher Reden legt Iuvencus auch Wert auf den Ton der Reden. Das gilt z.B. IV 537, wo die Abhängigkeit der Menschen gegenüber Christus deutlich gemacht werden soll; siehe oben auf S. 52 zu 537 omnia nostrorum ... precamur. Überhaupt sind die Redeanteile Petri in den Perikopen, in denen er mehr spricht als Jesus selbst, interessant; siehe S. 43. Ähnlich verhält es sich beim „Blutruf“; siehe zu 622 hoc magis ... inclamant und nos, nos ... redundet. ÜBERLEITUNGEN ZWISCHEN DEN EINZELNEN SZENEN Zu den Überleitungen zwischen den einzelnen Perikopen und Szenen finden sich in der Literatur vornehmlich negative Urteile, z.B. Roberts zur Geographie: „It is characteristic [...] to dissolve the biblical narrative into a series of disparate episodes with only the slightest temporal and local connection with what precedes and follows. This, combined with a tendency to omit individualizing details within a narratio, undermines the sense of the biblical narrative as a sequence of events taking place in a chronological continuum, in a definite cultural and geographical setting. [...] The reader is inclined to see here the influence of Christian figural interpretation, which typically detaches biblical events from their historical context and elevates them to the status of universal truth.“4

Das spezifisch Christliche dieser Arbeitsweise relativiert Roberts sogleich mit Verweisen auf Ovid; siehe dazu unten S. 346–373. Green5 geht ausführlich auf dieses Urteil ein und aktualisiert es mit einer leichten Abmilderung, grundsätzlich aber stimmt auch er der These von nicht immer sorgfältig verbundenen „Geschehensinseln“ 6 zu, die sich natürlich so auch bisweilen schon in der Vorlage finden. Diese Beobachtungen sind zunächst richtig. Während aber in der Tat vielfach geographische Angaben vereinfacht werden7 und „Unschärfen in der Szenerie“ 8 auftreten, sind doch die Übergänge zwischen einzelnen Perikopen oft episch oder dramatisch ausgestaltet. Häufig ist natürlich in der Vorlage gar kein Übergang gestaltet, so dass die Eigenleistung des Iuvencus, überhaupt Übergänge herzustellen, nicht abzumindern, sondern eher herauszuheben ist. Anders verhält es sich bei temporalen Angaben. Vor allem Sonnenauf- und –untergänge gestaltet Iuvencus episch aus, wie schon Thraede gezeigt hat.9 Zu den einzelnen Überleitungen hier: Iuvencus gestaltet den ersten Übergang des hier kommentierten Abschnitts, den Sonnenaufgang vor dem Prozess, mit einigen Anleihen bei früheren Dichtern (v.a. Ovid) deutlich aus. Dabei nutzt er die 4 5 6 7 8 9

Roberts (1985) 180. Vgl. Green (2006) 71–83. Vgl. ibid. 72: „In other places the narratives are, so to speak, dissolved already, and he treats the accounts as he found them, as disconnected islands of narrative and speech.“ Den Begriff „Geschehensinsel“ prägte für Iuvencus Herzog (1975) 126. Vgl. Opelt passim. Flieger 137. Vgl. Thraede (1998).

Auswertung

321

Symbolik der schnellen, flackernden Sonne (zu 586 rapidus sol und zu 587 progreditur radiis ... trepidantibus), um eine passende Stimmung für die Szene zu schaffen. Die Bezüge zu den Überleitungen zu den ebenfalls deutlich episch ausgestalteten Sonnenaufgängen am Karsamstag und Ostersonntag sind dort analysiert; siehe oben S. 62. Neben der Licht- spielt auch die Farbsymbolik des rutilum lumen an Karsamstag eine wesentliche Rolle. Dort gestaltet Iuvencus altera autem die der Vorlage deutlich aus und schafft einen angemessen epischen Übergang. Auch der folgende Ostersonntag wird mit Lichtsymbolik eingeleitet: die Sterne weichen der aufgehenden Sonne, die natürlich mit Christus identifiziert wurde. Hier paaren sich also theologische Aussage und epische Konvention. Ein weiterer Sonnenuntergang, vor der Grablegung Jesu in Vers 716f, ist zwar (ein wenig) ausgestaltet, aber nur als schwache Überleitung zu begreifen, da die Rahmung der Szene durch die Verse 714 und 726 zu deutlich ist. Die Technik des Dichters, Sonnenauf- und -untergänge auszugestalten, wird aber auch hier offenbar. Andererseits gibt es zum Selbstmord des Judas keine erneute Überleitung. Schon in der Vorlage fehlt eine solche im eigentlichen Sinne, außerdem gehört der Selbstmord des Judas inhaltlich zur vorhergehenden Szene. Es heißt 626 postquam se talia cernit – der Bezug zur vorherigen Szene bleibt also bestehen. Die so nur angedeutete Überleitung mag aus der Perspektive des Epos nicht befriedigen, ist aber sinnvoll gestaltet. Ähnliches gilt für die Überleitung zur Verspottung Jesu durch die Soldaten. Es gibt keinen eigens markierten Szenenwechsel, wobei dieses Fehlen eben die Soldaten „deromanisiert“, sie also der aufgebrachten Volksmenge bzw. den Hohenpriestern, die im Prozess noch gegen Jesus agitiert hatten, zuordnet. Siehe dazu oben S. 129. Diese Strategie findet sich noch einmal beim nächsten Abschnitt, dem Kreuzweg. Ein echter Szenenwechsel ist nicht nötig, da der (eigentliche) Kreuzweg sich auch chronologisch direkt an die Verspottung durch die Soldaten anschließt. Die episch ausgestaltete Sonnenfinsternis beim Tod Jesu taugt dabei nicht als Überleitung, sondern ist integraler Bestandteil der Szene. Letztlich gestaltet der Dichter auch zwischen dem Sonnenaufgang am Ostersonntag und den drei folgenden Szenen, dem Gespräch mit den Frauen, dem Betrug der Hohenpriester und dem Missionsbefehl, keine Überleitung. Dies geschieht einerseits aus Treue zur Vorlage, andererseits, weil Iuvencus die Szenen eng verbinden möchte: alle drei Szenen sind logische Folgen der Auferstehung. Die geographische Ungenauigkeit, dass nämlich Geschehnisse in Jerusalem und Galiläa einfach aneinandergereiht werden, nimmt er also aus diesem Grund in Kauf; siehe weiter zur Stelle S. 288. Für Passion und Auferstehung gilt also: zwar gibt es fraglos einige nicht sehr genau verbundene „Geschehensinseln“, jedoch keine Überleitung, sei sie temporal, sei sie lokal, die ohne – literarischen oder theologischen – Bedacht gestaltet wäre. Ferner sind viele Überleitungen aufeinander bezogen und gehen weit über die oft karge Vorlage hinaus, da sie sehr gewählt, stimmungsvoll und episch ausgestaltet sind. Zu Konsequenzen dieser Beobachtungen für die gattungstheoretische Bewertung der Evangeliorum Libri Quattuor siehe unten S. 346–373.

ANTIJUDAISMUS BEI IUVENCUS Poinsotte hat in seiner Monographie „Iuvencus et Israël“ mit sehr tiefgehenden Analysen dafür argumentiert, dass es sich beim Bibeldichter um einen dezidierten Polemiker gegen Israel und die Juden handelt. Ein milderes Urteil fällt Hilhorst, der Iuvencus in einer antijüdischen Tradition „learnt at his mother’s knee, in a tradition ultimately going back to the New Testament“,1 sieht. Daran schließt sich Green an, der bei Iuvencus keinen persönlichen Hass, sondern die Zugehörigkeit zu dieser von Hilhorst angenommenen Tradition erkennt.2 Sein Kapitel „Jews and Romans“ revidiert überzeugend einige der scharfen Urteile Poinsottes und kommt selbst zu dem Schluss, dass Iuvencus zwar hart urteilt, aber nicht bewusst in antijüdischer Absicht über die Vorlage hinausgeht, sondern mit jeder Gruppe, die gegen Jesus steht, so verfährt. Die vorliegende Untersuchung hat nun zum Ziel, die in dieser Arbeit kommentierten Stellen neu zu bewerten. An die Frage, ob es eine Negativzeichnung von Juden überhaupt gibt, schließt sich also notwendigerweise die Frage nach Mitteln, Stoßrichtung und Gründen für diese Negativzeichnung an, da vor allem in letzterem Punkt zwischen Poinsottes und späteren Untersuchungen Uneinigkeit besteht. UMGANG MIT DEM AT UND WERTUNG DES JÜDISCHEN GESETZES Das Alte Testament begegnet, gerade im Matthäusevangelium, sehr häufig. So muss auch Iuvencus oft mit Schriftbezügen oder -zitaten umgehen. Dazu Poinsotte: „La position de polemiste antijuif est ici fort délicate: la présence constante de l’Ancien Testament dans le Nouveau, d’autant plus sensible que Matthieu est son modèle principal, est moins pour lui un lointain problème théologique qu’une hantise quotidienne, à laquelle le tra3 ducteur de l’Evangile n’échappe pas.“

Zunächst zu Fragen der Tilgung alttestamentlicher und allgemein jüdischer Begriffe, Namen und Perikopen. Poinsotte hat eine Tabelle der (lateinischen, griechischen und hebräischen) Orts-, Länder- und Volksnamen erstellt, die zeigt, dass Iuvencus 70 der 167 Belege aus verschiedenen Gründen (Episierung, „Entjudaisierung“, Metrik usw.) auslässt.4 Dabei handelt es sich nicht nur, wie Poinsotte meinte, um konsequente Verwischung des jüdischen Hintergrundes Jesu; eine Vielzahl von Namen übernimmt Iuvencus schließlich. Green hatte vielmehr rich1 2 3 4

Hilhorst 68. Vgl. Green (2006) 105. Poinsotte 84. Vgl. ibid. 40f.

Auswertung

323

tig erkannt, dass Iuvencus die Genealogie zu Beginn des Matthäusevangeliums nicht etwa auslässt, um Jesu jüdische Herkunft zu verschleiern, sondern, weil die metrische Herausforderung so vieler Namen, die zudem für seine Leser keine Bedeutung haben, der Mühe nicht wert gewesen wäre;5 Jesu jüdische Herkunft wird schließlich II 254 von der samaritanischen Frau unwidersprochen anerkannt. Grundsätzlich gilt nämlich bei der Behandlung von Namen: „Juvencus is not averse to contextualizing Jewish practices where necessary, but presumably decided that these were relatively minor details which in view of their metrical difficulty and unimportance to their particular narratives might be sidestepped.“6

Für diese Arbeit sind nur wenige Stellen direkt relevant. Zwar wird der Name Golgotha nicht vermieden (657), dafür aber die Namen der Frauen am Ostermorgen getilgt, sie selbst als matres bezeichnet (714 und 726) sowie der Ruf Eli, Eli, lema sabachtani stark verändert (692–694). Zunächst zu Golgotha. Iuvencus lässt die Übersetzung bzw. Erklärung des Evangeliums, quod est Calvariae locus aus, möglicherweise, um keinen Raum für etymologische Spekulation zu geben. Er zeigt auch ansonsten kein Interesse an der in seiner Zeit üblichen Diskussion, wie es zu dem Namen komme, wobei diese Diskussion für seine Leserschaft vermutlich irrelevant oder unverständlich gewesen wäre. Es ist hier dennoch plausibel, dass der Dichter Golgatha wie schon in 478 Gessemaneia rura7 gern übernimmt, da die Christen seiner Zeit zu diesen Namen einen emotionalen Zugang hatten bzw. die nichtchristlichen Leser einen Zugang erhalten sollten. 8 Iuvencus muss hier also nicht, um verständlich zu bleiben, „entjudaisieren“; 9 im Gegenteil, den Namen zu ersetzen hätte seinem Ziel geschadet. Aus dem negativ konnotierten hebräischen Wort eine antisemitische Nuance zu lesen wäre allerdings zu gewagt und wird auch von Poinsotte nicht vorgebracht. Der Ruf nach Gott am Kreuz, der als Psalmzitat für die Leser des Matthäusevangeliums große Bedeutung gehabt haben dürfte, ist für die Leser des Bibeldichters weniger leicht verständlich. „Entjudaisierung“ als Erklärung genügt hier keinesfalls, schließlich ruft Jesus Hebraeae in morem linguae, und Elia wird ausdrücklich genannt. Da aber auch die Übersetzung des Rufs, die Matthäus in seinem Evangelium bietet, ausgelassen wird, liegt es nahe, hier theologische und dramatische Gründe zu vermuten: Iuvencus vermeidet offenbar eine (starke?) Subordination Christi unter Gott den Vater und nutzt zudem die Verständnislosigkeit des umstehenden Volkes zur Polemik gegen dieses: es ist die nescia plebes, die im nächsten Vers den Ruf Jesu nicht versteht. Siehe zu dieser Polemik gegen das (jüdische?) Volk unten in diesem Kapitel, zur Subordination oben zur Stelle. Somit ist nicht die Auslassung der hebräischen Worte, sondern die Nutzung des Verbleibenden hier relevant.

5 6 7 8 9

Vgl. Green (2006) 105. Ibid. 107. Siehe zu diesem Namen auch Flieger 15f. Vgl. Poinsotte 43. Da es sich, so Poinsotte ibid., schon um christliche Begriffe handelt.

324

Antijudaismus bei Iuvencus

Zuletzt fehlen die Namen der Frauen am Ostermorgen, Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus und Joseph, und die Mutter der Zebedäussöhne (s. Iuvenc. IV 714f nach Mt 27,55f). Den Namen Zebedaeus gibt Iuvencus an anderen Stellen wieder (I 433; III 319, 590; IV 482), so dass an der vorliegenden Stelle wiederum andere Gründe zu suchen sind. Hier sind schlicht nicht die individuellen Personen, sondern ihr Verhalten von Bedeutung, nämlich ihre Treue zu Jesus über den Tod hinaus. Siehe dazu und zur Kontrastierung mit den Frauenrollen der Aeneis oben zu 714 e speculis matres. Das Alte Testament begegnet nun vornehmlich in Prophezeiungen bzw. wird in seiner Gesamtheit als prophetisch verstanden, wie der Umgang mit Psalmen nahelegt (etwa in Vers 660f). Über den Umgang mit direkten Prophezeiungen urteilt nun Roberts: „[I]t is clear in many passages that he is striving to produce an unusually faithful version of the biblical text [...]. The reason is not far to seek. The evangelist draws a parallel between the Old Testament text cited and the events of the Gospels. The cogency of his argument depends on the letter of the prophets being fulfilled. To quote the Old Testament text in anything but a literal form would undermine the whole argument.“10

Zwar hat sich bei der Betrachtung der Prophezeiung vom Töpferacker in der Judasperikope (637–641) gezeigt, dass Iuvencus wirklich einen sehr treuen Umgang mit Prophezeiungen zeigt, zumal er das Wortmaterial auch da übernimmt, wo er auf die gegebene Information keinen Wert legt, und damit sogar eine Inkonzinnität zwischen Bericht und Prophezeiung in Kauf nimmt (641 figuli ... agellum), siehe dazu oben zur Stelle. Dennoch wird auch dort der Prophetenspruch genutzt, um die Gegner Jesu als profani zu bezeichnen (639) sowie ein Werturteil über den geringen Preis für Jesu Körper schon dem Alten Testament gewissermaßen in den Mund zu legen (640). Darüber hinaus rekurriert der Dichter auf allgemein bekannte Parallelen zum Alten Testament (s.o. zu 656f und besonders 660f). Prophezeiungen und Vorbestimmtheit als solche, ungeachtet ihrer Quelle und ihrer wörtlichen Wiedergabe, waren für Iuvencus und somit wohl auch für seine Leser offenbar wichtig. Iuvencus gibt diese also wieder, er will das Alte Testament nicht tilgen, sondern geht im Gegenteil auch über seine Vorlage hinaus und nutzt Prophezeiungen, freilich vorsichtig, um seine eigenen theologischen Überzeugungen deutlich zu machen. Gleiches gilt für die in der populären Exegese bekannten Parallelen, die nicht im Evangelium ausdrücklich gemacht werden. Somit appropriiert er das Alte Testament für seine eigene Sache, nutzt es situationsabhängig zur antijüdischen Polemik und zeigt damit gewisse Verwandtschaft zur Lehre von der Kirche als wahrem Israel; siehe dazu oben S. 288–307. Auch das jüdische Gesetz taucht regelmäßig auf. Interessant ist zunächst die Wertung der verschiedenen Vokabeln, die für die Bezeichnung des Gesetzes als alt verwendet werden. Formen von antiquus finden sich drei, von priscus vier, von vetus sogar 18 Formen. 11 Viele dieser Wendungen sind Iuvencus’ eigene Hin10 Roberts (1985) 136. 11 Vgl. ibid. 95 Anm. 307. Die Liste dort ist leider teils fehlerhaft, Abhilfe schafft Wacht s.v.

Auswertung

325

zufügungen. Poinsotte wies darauf hin, dass Iuvencus’ Leser bestimmte Konnotationen von Vergil her kannten – antiquus und priscus seien positiv besetzt, vetus dagegen trage die Konnotation „caduc“, „überholt“.12 Für diese Konnotation lassen sich Beispiele bringen, etwa aus der Bergpredigt I 496–499 Audistis veteris iussum moderamine legis [...] / ast ego praecipiam [...] für Mt 5,21f Audistis, quia dictum est antiquis [...]. Ego autem dico vobis [...], wo Iuvencus an Stelle von antiquis aus der Vorlage veteris gebraucht. Negativ konnotiert ist auch die Bezeichnung der Schriftgelehrten als veterum scribarum factio (III 344), ferner III 504–513 Nunc demum quaeris, veteri quae lege tenentur“ [...]. Nunc si perfecta requiris / prendere praecelsis meritis fastigia vitae für Mt 19,17–21 Sed si vis in aeternam venire, serva man-data [...]. Si vis perfectus esse [...]. Das Alte Gesetz (Iuvencus fügt das Adjektiv hinzu) ist also offenbar nicht vollkommen bzw. führt nicht zur Vollkommenheit, die Vokabel perfectus ist der Vorlage entnommen. Die Hinzufügung der Metapher vom perfekten Weg weist wiederum auf die Christusnachfolge durch Gebotsbefolgung, siehe dazu oben S. 305–307 und unten S. 346– 373. Überblickt man den gesamten Iuvencustext, so fallen jedoch neben den genannten einige Stellen auf, an denen ein so strenger Gebrauch von vetus und antiquus nicht oder nur kaum zu halten ist, z.B. I 483f Non ego nunc priscas leges dissolvere veni / vertere nec, veteres ponunt quae iussa prophetae sowie 564f ille dies veteri poscebat lege quietem, sabbata nam priscis repetebant otia iussis. Dort finden sich gleich zwei verschiedene Vokabeln für das Alter nebeneinander, eine Konnotation ist demnach unmöglich auszumachen. In der Bergpredigt werden andererseits auch antiquae leges neu ausgelegt, z.B. I 536f antiquae leges prohibent periuria linguis, / sed nostris cedat iurandi audacia iussis. Außerdem sind die Prophetenworte II 825 und I 484 (s.o.) keineswegs negativ konnotiert, ebensowenig I 234 quique profetarum veterum praedicta recensent, II 103f „En nostris,“ inquit, „concessum est surgere saeclis, / quem voces veterum et sancti cecinere prophetae“13, wo veteres, womit wiederum in universalisierender Absicht „Mose im Gesetz“ gemeint ist, in einem Atemzug mit sancti prophetae gebraucht wird, und III 633 hinc veteris quondam fluxit vox nuntia vatis. Weitere Beispiele sind I 307 interea veteris scripti per debita currens / omnia saeclorum series promissa trahebat, wo vom Aufwachsen Johannes des Täufers, wie es seit jeher feststeht, berichtet wird, und II 676–678 Quaeratur veterum scriptorum lectio vobis, / perpetuam cunctis vitam quam ferre putatis. / Haec etiam nostrum testatur lectio donum. Dort sagt Christus ausdrücklich, dass in den alten Schriften er und damit die Gabe des ewigen Lebens für alle – erneut eine Universalisierung – zu finden ist. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Nutzung des Alten Testaments zur Polemik gegen die Schriftgelehrten, die ihre eigenen Texte nicht recht kennen; siehe dazu unten das Beispiel IV 727–729. Die Beschreibung der Propheten und der Schriften des Alten Testamentes als alt, wenn sie entweder erfüllt oder beim Streit mit den Pharisäern als Argument 12 Ibid. 13 Dies entspricht Joh 1,45 [...] quem scripsit Moses in lege et prophetae invenimus [...].

326

Antijudaismus bei Iuvencus

herangeführt werden, ist üblich. In all diesen Fällen scheint dem Epiker nötig, Adjektive hinzuzufügen, das Gesetz zu klassifizieren, ohne damit eine so scharfe Aussage zu treffen, wie Poinsotte meint. Es handelt sich also zunächst um eine deskriptive und, je nach Einzelfall, positive oder negative Aussage. Man müsse das Alte Testament also so lesen, wie der matthäische Christus und die Christen (dann v.a. in der Nachfolge Pauli) es getan haben. Das Gesetz bindet nicht in dem Maße, wie die Juden es glauben, es ist aber nicht obsolet, sondern bisweilen verbesserungswürdig, bisweilen auch unverändert gültig. Hauptsächlich wird das Gesetz nun aber zur antijüdischen Polemik genutzt. Diese ist jedoch größtenteils situationsgebunden, da in der Passion die Gegner Jesu selbstverständlich negativ dargestellt werden. Relevant ist dafür zunächst IV 727–729: Iamque dies rutilo complebat lumine terras, / otia qui semper prisca de lege iubebat. / nulla sed inmitis procerum furor otia servat. Iuvencus lehnt den Sabbat hier nicht ab, sondern nutzt ihn: Zunächst wird die Bedeutung des Sabbats als Ruhetag erklärt, um den folgenden Vorwurf zu verdeutlichen: Gerade das Gesetz, hier emphatisch als prisca (das, wie gesehen, positiv besetzt ist) bezeichnet, das otia gebietet, wird von den angeblich gesetzestreuen Juden (zu furor siehe unten) übertreten, otia wird wiederholt; ähnlich verfuhr Iuvencus schon in den oben zitierten Versen II 676–678, auch in den im Kommentar besprochenen Versen IV 692–694 mit nescia plebes. Eine systematische Ablehnung des jüdischen Volkes oder der Schriften und Gebote des AT ist hier nicht zu entdecken, und dass die Juden, die im Neuen Testament auftauchen, negativ gewertet werden, ist schon angesichts der Tendenz der Vorlage nicht verwunderlich. Iuvencus verstärkt also nur die dort zu Grunde liegende Tendenz, ohne ein besonderes, antijüdisch motiviertes Interesse zu offenbaren, und geht lediglich individuell und situationsgebunden über die Vorlage hinaus. Dennoch lohnt es sich, die Frage nach der Wertung der Hinrichtung Jesu (mehrfach als Verbrechen bezeichnet) und der Gründe der Juden dafür (mehrfach als Wahnsinn charakterisiert) genauer zu untersuchen. DIE WERTUNG DER HANDLUNGEN DER JUDEN scelus / sceleratus Poinsotte spricht vom „crime sanglant des Juifs“, 14 legt aber in diesem Kapitel viel Wert auf den Aspekt der crudelitas, der hier erst im nächsten Absatz betrachtet werden soll. Hier sei zuerst der Blick auf scelus bzw. das zugehörige Adjektiv sceleratus gerichtet. Iuvencus gebraucht sceleratus fünf Mal (II 422, 467; III 67; IV 435, 755), scelus 14 Mal (I 374, 707; III 42, 61, 711, 734; IV 427, 595, 623, 627, 636, 642, 643, 686).15 Dabei können die Belege für scelus, in denen kein Bezug zum jüdischen Volk oder irgendwelchen direkten Gegnern Jesu festgestellt

14 Poinsotte 135–151. 15 Siehe zu den Konjekturen in den Versen 595 und 643 jeweils zur Stelle.

Auswertung

327

werden kann, nämlich I 706f und III 707–711, im Wesentlichen ausgelassen werden. 16 Der Erste, der mit scelus in Verbindung gebracht wird, als personifizierte horrendi [...] sceleris fallacia bezeichnet wird, ist I 374 der Teufel selbst. Dort will er Jesus versuchen, sich aus Steinen Brot zu erschaffen. 17 Doch es bleibt nicht bei diesem Frevel, der auf den Teufel zurückgeht. Auch die Hinrichtung Johannes des Täufers, eindeutig als scelus bezeichnet, hat ihn zum Urheber. Es heißt III 40–42 tunc petit Herodem pestis saevissima regem / et facile iniusti penetrans habitacula cordis / accumulare feris subigit scelera impia gestis. Zwar ist Herodes, der ein „ungerechtes Herz“ hat, leichte Beute für den Widersacher, dieser ist es jedoch, der ihm letztlich eingibt, die Frau seines Bruders gewinnen zu wollen. Johannes kritisiert dies und wird dafür zu Tode kommen. Kaum hat Herodes also der Tänzerin Salome versprochen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, heißt es III 61 illa sed horrendae servans scelera impia matris, nach vollbrachter Tat III 67 illa – nefas – matri scelerata ad gaudia portat. Die Wiederholung der Wertung als scelus bzw. durch scelerata gaudia macht erneut deutlich, dass der Teufel hinter den Freveln des auch sonst äußerst negativ gewerteten Königs18 steht. Der zweite „Verbrecher“ ist nun Judas. 19 Alleine in Perikopen, in denen er auftritt, werden sceleratus (IV 435) und scelus (IV 427, 627, 636) vier Mal verwendet. Zunächst bieten die proceres (IV 422) dem Verräter (nach dessen Initiative!) Geld an, welches dieser animmt, vgl. IV 427 his Iudas sceleri se subdidit alto. Dass der Verrat als scelus bezeichnet wird, ist nicht überraschend, jedoch wird hier eine explizite Aussage darüber getroffen, wo Judas’ Motivation lag, dieses zu begehen, nämlich im Geld. Dadurch verändert sich dann auch Judas psychische Konstitution. Iuvencus lässt Jesus nämlich nur acht Verse später beim Letzten Abendmahl fragen, wer scelerato corde (IV 435) darauf sinne, ihn zu verraten. Der Aufrag wird im Folgenden aber nicht nur auf die proceres zurückgeführt, die ihm das Geld gaben, sondern er handelt 512 procerum iussu populique ferocis. Es sind also nicht nur die proceres, sondern, völlig unvermittelt, auch das Volk verantwortlich für Verrat und Auslieferung. Dies wird durch den „Blutruf“ später noch intensiviert werden. Dass Judas’ Verderbtheit sowie sein furor (siehe dazu unten) ihre Wurzel im Geld haben, ist auch zu 627 accepto sceleris pretio signasse furentem herausgearbeitet worden. Judas ist furens bzw. offenbart seinen furor, weil bzw. indem er Geld für das scelus angenommen hat. Dass Iuvencus die Abwehr von Geldgier ein Anliegen war, zeigt sich auch in Vers II 442, wo er von nummorum scelerata cu-

16 III 707–711 vobis nam venerat ante / iustus Iohannes, sed non est credere vestrum. / Namque fidem potius meretricum pectora certam / hauserunt sordesque animi posuere pudendas. / At vox tantorum scelerum nil paenitet umquam sind die proceres zwar direkt angesprochen, mit scelera aber allgemein „Sünden” gemeint, die Johannes zu bereuen aufgerufen hatte. Es klingt wohl aber die Bezeichnung der Hinrichtung des Täufers als scelus mit. 17 Siehe zur Stelle selbst Fichtner 120f, zu Personifikationen oben zu 595 sceleris facundia. 18 Vgl. Poinsotte 205–212. 19 Siehe dazu umfassender oben S. 98–130.

328

Antijudaismus bei Iuvencus

pido spricht – Geldgier führt also fast naturgemäß zu Skrupellosigkeit. 20 Zuletzt schließt der narrative Teil der Judasperikope (vor der Wiedergabe der Prophezeiung IV 637–641) mit dem Kauf des Ackers, von Iuvencus mit horrendo signant scelera impia facto beschrieben (IV 636). Die scelera impia sind offenbar, da ein Plural gebraucht wird, sowohl die Taten der Hohenpriester als auch des Judas, wenn auch nur Judas’ Motivation deutlich (und für die Leser des Dichters möglicherweise apotreptisch) dargelegt wurde. Zuletzt ist auch die eigentliche Folterung und Hinrichtung Jesu ein scelus. Das beginnt schon mit dem Gleichnis von den bösen Winzern nach Mt 21,33–46. Diese töten nach den Dienern auch den Sohn ihres Herrn, darauf folgt dessen Reaktion III 733f post haec iam dominus veniet poenasque reposcet / tantorum scelerum. Wiederum ist mit dem Plural scelera mehr gemeint als bloß die Tötung des Sohnes (nämlich auch die Misshandlung und Tötung der zuvor gesandten Knechte sowie der generelle Unwille der Winzer), jedoch klingt die Wertung der Hinrichtung Jesu als scelus klar mit. Diese Bezeichnung kehrt in der Passion wieder. Die (falschen) Zeugen, die IV 595 gegen Jesus auftreten, werden als sceleris facundia bezeichnet, nach der Auferstehung lässt Iuvencus den Engel IV 755 [sc. corpus] quod crucis in ligno scelerata insania fixit sagen. In beiden Fällen werden dabei die Eigenschaften personifiziert, die Handlung also intensiviert und emotionalisiert.21 Facundia war I 374 schon der Teufel genannt worden, die Gegner Jesu teilen also eine ihrer Eigenschaften mit dem Widersacher selbst; zur insania siehe unten die Behandlung des furor Iudaicus. Durch den Einschub der Judasperikope nach Mt 27,26 (statt nach Mt 27,2) werden nun die im Evangelium gleich danach, bei Iuvencus erst IV 642 folgenden Soldaten von ihrem Dienstherrn Pilatus getrennt. Statt als „Soldaten des Statthalters“ werden sie dann als truces sceleris ministri bezeichnet. Sie handeln also auch nicht (nur) aus eigenem Antrieb, sondern sind nur die Diener des unpersönlichen scelus, ihr Opfer wird antithetisch als iustus bezeichnet. Das wird durch den folgenden Vers sceleri ludibria corpore praebet erneut unterstrichen. Die Vokabel ludibria gebraucht Iuvencus nur von den dort geschilderten Ereignissen, also noch in Vers 650 in dieser Perikope und in der Ankündigung derselben nach Mt 20,18f filius hominis tradetur principibus sacerdotum et scribis et condemnabunt eum morti et tradent eum gentibus ad deludendum et flagellandum [...]. Iuvencus gibt diese Verse in III 587f wie folgt wieder: filius hic hominis prodetur ad ultima mortis / scribarum procerumque ferens ludibria membris. Die gentes der Vorlage kommen dort gar nicht zur Sprache, stattdessen werden die scribae proceresque als Urheber der ludibria genannt.22 Es sind also auch schon dort nicht die Heiden, sondern die Oberen der Juden, die für Jesu Leiden verantwortlich sind. Poinsotte überbewertet die Trennung, die durch die Versetzung der Judasperikope entsteht, jedoch als eindeutige

20 Vgl. Ov. Met. I 131 amor sceleratus habendi. Zur Überlieferungsgeschichte dieser Verse siehe Hansson 98f. 21 Siehe auch jeweils zur Stelle. 22 Vgl. dazu auch Poinsotte 134, dort auch Anm. 437.

Auswertung

329

„Deromanisierung“ der Soldaten.23 Wahrscheinlicher ist nämlich, dass Iuvencus den narrativ kaum geeigneten Übergang zwischen Mt 27,2 und 3 glätten wollte; siehe dazu auch oben S. 96 und S. 129. Zuletzt werden auch die Räuber, die mit Jesus gekreuzigt wurden, durch die Begründung für ihre Hinrichtung 686 scelerum pro sorte in eine Reihe mit den Gegnern Jesu gestellt. Sie beschimpfen Jesus am Kreuz und fügen so ihren bisherigen scelera implizit ein weiteres hinzu. Auffällig und vieldiskutiert ist nun der so genannte „Blutruf“ IV 623f24 „Nos, nos cruor iste sequatur, / Et genus in nostrum scelus hoc et culpa redundet.” Dieser folgt auf Pilatus’ Begründung der Händewaschung 621 ut genti tantum macula illa maneret. Green sieht darin nun „Pilate’s reasoning and not the poet’s own.” 25 Pilatus ist sehr schwach gezeichnet, ob also die Händewaschung nach Iuvencus wirklich die Schuld ganz den Juden belässt oder nur Pilatus’ eigener Gedanke an eine mögliche Exkulpierung ist, ist nicht sicher zu zeigen. Dennoch bleibt der Ruf der Menge, die sich doch bewusst zu sein scheint, gerade ein Verbrechen zu begehen und Schuld auf sich zu laden.26 Es ist denkbar, aber leider nicht nachzuweisen, dass Iuvencus damit spätere Pogrome gegen Juden, wie es durch alle Zeiten hindurch geschah, begründen wollte. 27 Eine antijüdische Haltung ist an dieser Stelle jedenfalls unverkennbar. Gegen eine durch das ganze Werk geplante und auch auf Iuvencus’ eigene Zeit zielende antisemitische Absicht spricht jedoch, dass Mt 28,15 ausgelassen wurde: Die Leugnung der Auferstehung und damit Verkennung des Heils durch Juden in seiner eigenen Zeit ist für den Dichter offenbar kein Thema bzw. nie persönlich im Kontakt mit jüdischen Gemeinden, sofern es diesen gab, erfahren worden. Iuvencus urteilt, wie schon zuvor, hart gegen die Gegner Jesu und bringt diese sogar in Bezug mit dem Teufel. Es sind nicht nur die Hohenpriester und proceres, sondern das ganze Volk, das hinter der Auslieferung Jesu steht. Dennoch ist ein bewusst geplantes antijüdisches Programm nicht zu zeigen. Es handelt sich zunächst um die beiden zentralen Figuren des Neuen Testaments, Jesus und Johannes, die zu Tode kommen – eine harte Wertung als scelus ist zu erwarten. Dass Herodes oder der Teufel als Exponenten der Juden zu betrachten sind, ist nicht nachweisbar, bezüglich Judas ist das unten zum furor Iudaicus noch zu klären. Dass „die Juden“ eine allgemeine Schuld haben, geht zunächst nur aus dem Blutruf und der Ankunft des Judas in Gethsemane, nicht aber aus den anderen Stellen hervor. Diese sind als Dramatisierungen und Emotionalisierungen hinreichend erklärt.

23 Vgl. Green (2006) 111: „[Poinsotte] went too far in implying that their ferocity and compliance in the crime was designed to highlight the Jews’ own wickedness.“ 24 Siehe auch zur Stelle selbst sowie die Wertung im entsprechenden Kapitel, S. 94. 25 Green (2006) 110. 26 Siehe zur Frage nach Fokalisierung zur Stelle. 27 Zu Juden in Spanien und Pogromen gegen diese siehe Green (2006) 105f.

330

Antijudaismus bei Iuvencus

Grausamkeit Poinsotte versucht, mit Hilfe einer Sammlung von Belegen der Vokabeln trux, saevus, efferus, truculens, ferox und immitis zu zeigen, dass Iuvencus daran interessiert war, eine bestimmte jüdische Grausamkeit zum Ausdruck zu bringen. Seine Vorgehensweise hat jedoch einige Schwächen, ausgedrückt wiederum durch Green: „There is a palpable heightening of dramatic effect [...], but neither this nor the panoply of condemnatory adjectives such as trux (,ferocious‘) and efferus (,savage‘) is sufficient to support the charge that he has gone beyond his normal practice. Such words are used widely by Juvencus, and, very clearly, against non-Jews [...].“28

Poinsotte lässt nämlich eine große Zahl der Stellen, an denen die genannten Vokabeln nicht auf Juden bzw. nicht auf die Gegner Jesu bezogen werden, aus. Allein ferus kann dabei als Beispiel dienen. Zwar sind die Juden feris animis (II 706), jedoch lassen Bezüge auf den ohnehin negativ dargestellten Herodes (I 257), Strafen, Folter (II 462f; IV 110f) oder Dornen (II 749 im Gleichnis vom Sämann) schon rein zahlenmäßig keine typisch jüdische feritas erkennen. Herodes ist dabei ein Sonderfall, da er schon im ersten Vers des narrativen Werkes negativ eingeführt wurde: Rex fuit Herodes Iudaea in gente cruentus. Darin erkennt Poinsotte zurecht (anders Green) eine Themensetzung: Leser dürften die Blutrünstigkeit des Königs im jüdischen Volke auch auf dieses bezogen haben, statt ihn scharf davon zu trennen;29 siehe zur gens Iudaea weiter unten S. 334. Auch wird dieses Urteil über Herodes wiederholt, und zwar I 257f ast ubi sopitus furor est et saeva tyranni / infantum horribili feritas satiata cruore; siehe zum furor unten S. 332–339. Hier soll ein kurzer Überblick über die in dieser Arbeit behandelten Stellen genügen: IV 596 respondere nihil trucibus dignatur Iesus, 603f trucibus somno sed territa visis / Pilati coniux, 642 traditus est trucibus iustus scelerisque ministris, 678 nonne alios quondam trucibus servare solebat / morborum vinclis, 614 plebs incensa malo saevos miscere tumultus, 655 quo dominum lucis iussis suffigere saevis und 729 nulla sed immitis procerum furor otia servat. Die Lesart feris war IV 573 abgelehnt worden, siehe weiter dort. Als weitere Beispiele sollen daraus trux und saevus genügen. Insgesamt ist die Vokabel trux neun Mal belegt (I 565; II 228, 598; III 352, 604, IV 596, 603, 642 und 678). Poinsotte lässt die Belege in I 565; II 228; III 604; IV 603 und 678 aus. In all diesen Fällen ist trux nicht auf Juden oder Gegner Jesu, sondern sogar bisweilen auf Sachen, die sich zudem nicht gegen Jesus richten (IV 603 trucibus visis und IV 678 trucibus morborum vinclis), bezogen. Aus den übrigen Belegen, II 598 conciliis trucibus conclamant decipiendum, III 352 en hominis nato trucibus laniatibus instat sowie den oben zitierten Versen IV 596 und 642 kann man nur wenig erkennen. Die Beschreibung trucibus laniatibus als Vorankündigung der Passion ist kaum überraschend, ebensowenig die der Soldaten, die Jesus zu 28 Green (2006) 110. 29 Vgl. Poinsotte 205–212, anders Green (2006) 110, bes. Anm. 467.

Auswertung

331

verspotten und zu quälen im Begriff sind. In beiden Fällen ist Jesus das Opfer. Ungewöhnlich ist der außerhalb von Iuvencus nicht belegte Ausdruck concilium trux. Nach der Heilung eines Mannes am Sabbat (nach Mt 12,9–14) fassen die proceres (II 599) Beschlüsse gegen Jesus. Auch diese Beschlüsse deuten letztlich auf die Passion hin. Dass also diese mit Grausamkeit assoziiert wird, lässt, selbst wenn man, wie oben zur Stelle dargelegt, die Soldaten als „Werkzeuge“ der Juden versteht, kaum eine besondere Grausamkeit dieses Volkes, sondern mehr eine besondere Härte der Passion erkennen. Etwas klarer verhält es sich mit saevus. Die Vokabel ist 24 Mal belegt, wobei Poinsotte fünf Stellen analysiert, nämlich II 631 quando veneniferi serpentis saeva propago, III 351 demersit leto, mox saevior altera caedes, IV 7 ille sed inspiciens saevi penetralia cordis, IV 614 plebs incensa malo saevos miscere tumultus und 655f quo dominum lucis iussis suffigere saevis / instans urgebat saecli immutabilis ordo. Bezeichnungen wie pestis saevissima für den Teufel (III 41, wiederum in Beziehung mit Herodes) oder daemon saevus (III 180) unterstützen zunächst Poinsottes Argument. Die Bezeichnung der Juden als „Schlangenbrut“ (II 631) stammt aus Mt 12,34, die Bezeichnung als saeva ist nicht ungewöhnlich30 oder überraschend. Gleiches gilt für die Bezeichnung der Passion als saevior caedes (III 351); in diesem Fall ist jedoch die rabies, also ein erneuter personifizierter negativer Begriff (wie zuvor 595 facundia und 755 insania), Urheber. Hinter der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Steuer erkennt Jesus IV 7 die böse Absicht, ausgedrückt durch saevi penetralia cordis, ebenso beschrieben wird das Geschrei vor Pilatus IV 614. Allgemein scheint eine gewisse saevitia der jüdischen Gegner Jesu also erkennbar. Problematisch sind nun die Verse 665f. Hier ist nämlich der saecli immutabilis ordo Subjekt, womit die iussa saeva durch die göttliche Weltordnung und nicht durch die Verdorbenheit der Gegner Jesu legitimiert werden. Daran lässt sich erkennen, dass Iuvencus grundsätzlich dramatisiert, die Juden also daher als Gegner Jesu negativ gewertet werden, ohne dass damit ein planvoller Antijudaismus verbunden sein muss. Wie durch trux werden auch hier wieder andere Personen oder gar Sachen (z.B. IV 73 saevae flammae) durch dieses Adjektiv beschrieben. Es ist also insgesamt kaum zu zeigen, dass die jüdischen Gegner Jesu eine besondere, von der negativen Wertung anderer verschiedene Aufmerksamkeit des Dichters bekommen haben. Exkulpierung der Römer Es ist communis opinio, dass Iuvencus die Römer nicht im selben Maße negativ darstellt wie andere Völker. Daraus geht nach Green jedoch nicht automatisch hervor, dass die Juden negativ bewertet werden.31 Green kann zudem Beispiele vorbringen, dass auch andere gentes oder die Samaritaner negativ beurteilt werden

30 Vgl. Knappitsch ad loc. 31 Vgl. Green (2006) 111f.

332

Antijudaismus bei Iuvencus

(I 650; II 433f);32 siehe zur Vokabel gens unten S. 334. Das Interesse des Dichters liegt also offenbar mehr in der positiv(er)en Bewertung der Römer als in einer negativen Bewertung der Juden. Relevant für die Frage nach der Wertung der Juden ist dabei in der in dieser Arbeit behandelten Passage vornehmlich das Pilatusbild, das oben S. 87–89 eingehend besprochen wurde. Pilatus wird schwach dargestellt, er hat zudem durch die Auslassung der Verse Mt 28,14f nichts mit der Streuung des Gerüchts, die Jünger hätten Jesu Leichnam gestohlen, zu tun; siehe dazu weiter oben S. 277–287. Dazu, Barabbas freizulassen, ist er nicht durch seine eigene Gewohnheit, sondern ein Gesetz gezwungen (Verse 599f), wird zudem zwei Mal als victus bezeichnet (Verse 618 und 625). In beiden Fällen wird er dabei vom Geschrei und vom Drängen der Volksmenge besiegt, auf die die Schuld (ausdrücklich in den Versen 623f) zurückfällt. Die Volksmenge ist aber gerade in dieser Perikope nicht ausdrücklich als jüdisch bezeichnet, so dass zwar Pilatus von Schuld befreit wird, diese aber nicht „den Juden“, sondern einer gesichtslosen Masse zufällt. Gleiches gilt für die „Deromanisierung“ der Soldaten. Diese werden zwar von ihrem „Dienstherrn“ Pilatus getrennt, indem die Judasperikope nicht nach Mt 27,2, sondern nach Mt 27,26 folgt, jedoch geschieht diese Trennung nicht, um einen Einschub zwischen dem Pilatusprozess und der Verspottung durch die Soldaten zu schaffen, 33 sondern, um die Erzählfolge zu vereinfachen; das Ende des Judas fügt sich bei Iuvencus deutlich besser ein als in der Vorlage. 34 Siehe dazu oben S. 96–128 und 277–287. furor Iudaicus Poinsotte widmet der Untersuchung, ob es einen furor Iudaicus gibt, 32 Seiten. Deren erster Teil mit dem Titel „Le refus obstiné“ legt detailreich dar, wie die Ablehnung Jesu durch die Juden bei Iuvencus dargestellt wird. 35 In der Passion handelt es sich nun um mehr als Zurückweisung, nämlich um direkte Agitation gegen Jesus und seine Anhänger. Iuvencus charakterisiert diese Ablehnung gern als Wahn. Es lohnt sich nun also, die entsprechenden Vokabeln (amens, insanus / insania, furere / furor, rabies, vaesanus) erneut im Zusammenhang zu untersuchen und Poinsottes Urteil, Iuvencus habe in planvoller antisemitischer Absicht eine negative Aussage über alle Juden treffen wollen, zu prüfen. Besonders häufig werden die genannten Vokabeln im Zusammenhang mit dem Teufel oder seinen Dämonen verwendet. Dem Teufel, I 398 als furibunda fallacia beschrieben, wirft Jesus in der Versuchungsperikope I 404 an den Kopf: effuge, pestiferi rabies vaesana veneni!36 Der Zustand des mondsüchtigen Knaben I 445f wird so beschrieben: animae ipsius morbi saevique furores / et lunae cur32 33 34 35 36

Vgl. ibid. So Poinsotte 134f. Vgl. Deerberg 334. Vgl. Poinsotte 153–166. Einen Kommentar zu beiden Stellen bietet Fichtner 146 und 152f.

Auswertung

333

sum comitata insania mentis, andere Besessene II 5 als von furibunda daemonis arte betroffen. Sehr auffällig ist die Perikope vom Besessenen von Gerasa, die Iuvencus (als einzige) dem Markusevangelium (Mk 5,1–20) entnimmt. Der Mann ist II 46 von immunda [...] virtute furoris geschlagen, niemand kann ihn in seinem Wahn bändigen (II 48 nec poterat rapidum quisquam retinere furorem; hier furor wieder personalisiert), die Dämonen bitten zuletzt, ihren Wahn doch an den in der Nähe weidenden Schweinen ausleben zu dürfen (II 61 his saltem liceat rabiem satiare repulsam), ein Wunsch, den Jesus gewährt (II 65 porcorum sinit gregibus finire furores). Rabies und furor sind dabei offenbar äquivalent, ebenso insania, da es von der Volksmenge der Gerasener II 72f heißt: insanum vero iuvenem postquam resipisse / credere cernentum populorum turba coacta est. Ein weiterer Beleg findet sich II 721 septem similes [...] furores, wo furores direkt für die Dämonen, nicht bloß ihre Wirkung steht. Auch Lästerungen sind auf Wahn zurückzuführen. Für Mt 15,19 blasphemiae schreibt Iuvencus III 173 et rapidae caelum pulsans vaesania vocis. Vergeben werden können weiterhin Schmähworte, nicht aber Lästerungen gegen den Heiligen Geist, wie aus Mt 12,30–32 hervorgeht. Beides ist aber durch Wahn erklärbar, so II 624–630: [...] tantum ne Spiritus umquam / vocibus insana laceretur mente profusis. / Siue furens hominis nato convicia quisquam / ingeret, haec etiam poterunt peccata remitti. / Spiritus at sanctus tantum cuicumque profana / verborum rabie violabitur, irrevocatis / suppliciis nunc et semper torrebitur ignis. Dabei sind die Begriffe insanus, furens und rabies wiederum offenbar unterschiedslos gebraucht. Zuletzt sind Gewalt und Verrat Zeichen von Wahn, vgl. II 467 Prodet enim fratrem scelerata insania fratris und II 485–487 despicite illorum rabiem, qui corpora vestra / prosternent ferro, non est his ulla potestas / vivacem leto pariter dimittere mentem37. Der Verrat unter Brüdern mag dabei schon auf Judas’ Wahn hindeuten. Auch die Gräueltaten Herodes’ sind so interpretiert, z.B. gleich nach dem Kindermord von Bethlehem I 267f ast ubi sopitus furor est et saeva tyranni / infantum horribili feritas satiata cruore. Dabei steht die oben behandelte feritas gleich im Verbund mit Wahn. Die Tötung Johannes des Täufers, die oben schon eindrücklich als scelus bezeichnet wurde, wird bei der Verklärung erneut Thema, wo Jesus zugleich sein eigenes Ende ankündigt, III 349–352 sed si quis credit, iam venerat ante renascens, / ignotum veluti rabies quem caeca furoris / demersit leto; mox saevior altera caedes / en hominis nato trucibus laniatibus instat. Wieder wird Grausamkeit (zu saevus und trux, auch an der zitierten Stelle, siehe oben S. 330) mit Wahn begründet, zudem wird mit rabies furoris aus den bislang anscheinend unterschiedslos gebrauchten Begriffen eine deutliche Junktur gebildet. Bei der Passion ist dieses Thema ubiquitär. Schon bei der Ankündigung des Leidens nach Mt 16,21 lässt Iuvencus Jesus von direkt zusammengehörigen rabies und furor sprechen, vgl. III 290f iam lux adveniet properis mihi cursibus instans, / moenibusque in Solymis rabies cum 37 Siehe zum Verhältnis von Körper und Geist oben S. 213–222.

334

Antijudaismus bei Iuvencus

prona furore / eximios vatum saturabit sanguine nostro. Diese beiden Begriffe werden hier ausdrücklich in Zusammenhang mit den Hohenpriestern gesetzt. Daher ist ein Exkurs über den Begriffsgebrauch von vatum, sacerdotes, factio, veteres und proceres nötig. Exkurs: Differenzierungen zwischen einzelnen Gruppen38 Vatum sieht Poinsotte wie sacerdotes, factio oder veteres unpräzise und zumeist negativ gebraucht. Das ist für vates ganz falsch, wie aus der Bezeichnung der Dichter vor ihm als vatum (pr. 11), des Zacharias (I 6, 31, 47, 130), der Propheten (I 122, 141, 195, 233, 237, 275, 313; III 235, 633), positiv besetzter Priester (I 186; II 575) und Johannes des Täufers (I 348) als vates (17 aus 21 Belegen insgesamt!) hervorgeht. Weniger klar zu bewerten ist procer / proceres. In der Mehrzahl der Belege sind die Oberen negativ besetzt (II 599; III 64, dort sogar negativ gegenüber dem ein Mal schwachen, sonst äußerst negativ dargestellten Herodes; III 588, 684, 691; IV 423, 512, 538). Anders verhält es sich II 178, wo der sonst nicht negativ dargestellte39 Nikodemus als einer der proceres bezeichnet wird, oder IV 337, wo sich auch Iudaeae gentis proceres zur Trauergemeinde des Lazarus dazugesellen. Diese proceres handeln am Ende der Lazarusperikope nicht einheitlich, vgl. IV 400–402 pars credens sequitur tantae virtutis honorem; / ast alii repetunt urbem procerumque superbis / cuncta Pharisaeis rerum miracula narrant. Die proceres sind keine geschlossene Gruppe, einige von ihnen glauben, andere werden zu Boten für die Pharisäer, die zudem durch superbi explizit negativer bewertet werden. Schwieriger einzuordnen sind III 738 und 754, ebenso IV 717. Im ersten Fall werden die Hochzeitsgäste, die nicht erscheinen (nach Mt 22,1–14), als proceres bezeichnet. Das ist innerhalb der Erzählung ganz logisch, könnte jedoch auf der höheren Ebene darauf hindeuten, dass es ja gerade die jüdischen Oberen sind, die Jesus ablehnten und für die die proceres des Gleichnisses stehen. Im zweiten Fall wird Joseph von Arimathäa als procerum solus iustior bezeichnet. Daraus lässt sich erkennen, dass es nach Iuvencus nicht unmöglich ist, als procer ein guter Mensch, geradezu ein Christ zu sein, er nutzt jedoch die Figur Josephs für einen erneuten Seitenhieb auf die anderen, zuvor im vierten Buch negativ dargestellten proceres; siehe weiter zur Stelle. Auch gens ist nicht grundsätzlich negativ gebraucht. Poinsotte weist zunächst zu Recht auf I 1 rex fuit Herodes Iudaea in gente cruentus, wo eine starke Aussage gleich zu Beginn getätigt wird (siehe oben S. 330 zur Frage, ob cruentus sich implizit auch auf die gens Iudaea bezieht), und auf Jesu Klage III 364 o gens nullius fidei, gens effera semper. 40 Ein Gegenbeispiel ist I 224 die Nennung der Abkunft der Magier mit gens est ulterior surgenti conscia soli. Es gibt nun aber 38 Poinsotte 184–202 überschreibt sein abgesehen von der hier im Einzelnen vorzubringenden Kritik sehr überzeugendes Kapitel mit „Amalgames et analogies.“ 39 Überzeugend Heinsdorff passim gegen Poinsotte 212–217. 40 Vgl. Poinsotte 187 Anm. 713.

Auswertung

335

auch Stellen, an denen gerade das jüdische Volk positiv konnotiert als gens bezeichnet wird, nämlich in der Wiedergabe des Lobgesangs des Zacharias (nach Lk 1,67–80) I 120f En beat antiquam gentem cornuque salutis / erecto indulget Davidis origine lumen, von Green als Beispiel gegen eine konsequente Entjudaisierung herangezogen,41 und in der Wiedergabe des Lobgesangs des Simeon (nach Lk 2,29–32) I 206f quam cunctis hominum lustratis gentibus addit / Istrahelitarum cumulatae gloriae plebis, außerdem die Nennung der proceres Iudaeae gentis als Teil der Trauergemeinde um Lazarus, siehe dazu oben. Den Titel „König der Juden“ behält Iuvencus bei; zum ersten Mal II 254 rex inclite gentis aus dem Mund Nathanaels. Auch während des Pilatusprozesses (IV 592 tu rex Iudaeae gentis, quod dicitur, adstas?) taucht der Titel wieder auf. Die Iudaea gens ist nicht erkennbar negativ konnotiert. Die gesamte Passion ist von Ironie durchzogen, besonders in dem Sinne, dass die gesetzestreuen Juden Jesus hätten anerkennen müssen. An der zitierten Stelle lässt der Dichter den Titel aber unkommentiert, was gegen einen besonders bewussten (und über eine direkte Paraphrase hinausgehenden) Gebrauch spricht. Ähnlich verhält es sich 665f et scriptum causae titulum meritique locarunt / quod rex Iudaeae plebis gentisque fuisset. Auch dort wird der Titel des rex Iudaeorum beibehalten, jedoch durch meriti und den Ton der gesamten Szene, in der die Verspottungen der Menschen sehr deutlich ironisch gewendet werden, gedeutet; siehe oben S. 169–174. Jesus ist wirklich König der Juden, wird von diesen jedoch nicht anerkannt. Schwieriger zu bewerten ist II 285 sed nunc certa salus Iudaeis surget ab oris, für Joh 4,22 quoniam salus ex Iudaeis, worin Heinsdorff im Anschluss an Poinsotte eine Verschiebung vom Ursprung aus dem jüdischen Volk zur Herkunft aus dem Land Judäa hin erkennt, Letzterem jedoch nicht darin folgt, dass daraus Antijudaismus des Dichters erkennbar sei. 42 Gleiches gilt für die Anrede an Nikodemus II 205 Solymorum magne magister. Bis dahin ist Jerusalem gar nicht negativ genannt worden, so dass es hier nicht als „la ville aux muraille cruelles“43 (so III 291 moenibus in Solymis rabies cum prona furore und IV 78f O Solymi, Solymi, ferro qui saepe profetas / ad vestram missos vitam sine fine necastis klar zu erkennen) verstanden werden kann. 44 Eine kritische Haltung Jerusalem gegenüber ist also an zwei Stellen deutlich, jedoch nicht bei jeder Nennung der Stadt nachzuweisen. Es gibt keinen über das ganze Werk ausschließlich negativ gebrauchten und bewusst so gesetzten Begriff für die jüdischen Gegner Jesu. Jeder Begriff muss von Stelle zu Stelle neu interpretiert werden, wobei sich einige Parallelen, aber keine sichere, dauernde Konnotation zeigen lassen.

41 42 43 44

Vgl. Green (2006) 105. Vgl. Heinsdorff 289f und Poinsotte 195. Poinsotte 115. Heinsdorff 149f.

336

Antijudaismus bei Iuvencus

Weiter zum furor. Bei der Planung der Passion nach Mt 26,5 einigt sich der Hohe Rat darauf, Pessach für die Beseitigung Jesu zu meiden, um keinen Aufruhr entstehen zu lassen. Dieser Gedanke kommt IV 406–408 so zum Ausdruck: Illic complacuit Christum prosternere leto, / sed vitare dies paschae, ne plebe frequenti / discordes populi raperent in bella furorem. Dass diejenigen, die so häufig als wahnsinnig beschrieben werden, nun gerade an der Vermeidung von furor interessiert sind, ist ein weiterer Beleg für Iuvencus’ geschickten Einsatz von Ironie. 45 Ebenso verhält es sich IV 737f. Die proceres fordern von Pilatus, eine Wache aufzustellen, ne fera discipulis furandi audacia corpus / consurgat turbetque recens insania plebem. Die vorgebliche Abwehr von insania ist ein erneuter Beleg für die eigentliche insania der Gegner Jesu; Gleiches gilt für die audacia, die den Jüngern vorgeworfen wird. Diese kehrt nämlich nach der Auferstehung, bei der Streuung des Gerüchts, Jesu Leichnam sei geraubt worden, wieder; vgl. IV 783 occulte rapiens audacia discipulorum; siehe auch oben zur Stelle. Als audacia personifizierte Iuvencus zuvor schon den Teufel (I 396) und beschrieb Judas’ Handeln als talia ausa (IV 436); Parallelen zwischen dem Widersacher und Gegnern Jesu waren schon zuvor aufgefallen.46 Überhaupt ist Judas’ Handeln sehr von Wahn, ausgedrückt durch verschiedene Vokabeln, geprägt. Als er sich vor dem Abendmahl von der Gruppe davonschleicht, wird er als amens (IV 422) bezeichnet, beim Abendmahl selbst wird er von Jesus als insano corde (IV 437) benannt. Die Soldaten, die Jesus festnehmen sollen, folgen IV 514 signa Iudae furentis, erneut nennt Iuvencus ihn IV 627 furentem. Den jeweiligen Vokabeln unterschiedliche Konnotationen nachzuweisen ist nicht möglich, das seltene amens aber als Rahmung der Passion relevant, siehe dazu unten S. 338. In jedem Falle ist Judas nicht als „wutschnaubend“ vorzustellen, sondern als unvernünftig und sündhaft. Siehe zum Judasbild im Allgemeinen oben S. 111–117. Ein Sonderfall ist dann der oberste Hohepriester, der sacerdotum princeps, der explizit als von furiae befallen beschrieben wird. Diese Vokabel bleibt für ihn reserviert,47 es heißt IV 550 insistit frendens furiis ac talia fatus und IV 561 exsultans furiis et caeco corde sacerdos, wobei auch frendens und caecus das negative Bild vom Hohenpriester deutlich verstärken. 48 Die Misshandlungen, denen Jesus auf dem Kreuzweg und bei der Kreuzigung selbst ausgesetzt wird, gehen ebenfalls auf furor zurück. Dieser wird bei der Tränkung mit Galle sogar personifiziert, vgl. IV 661 nec tamen insultans hominum furor omnia posset.49 Schon zuvor, als die Diener des Hohenpriesters Jesus 45 Siehe dazu oben S. 172–178. 46 Zur audacia siehe Poinsotte 225 Anm. 865. 47 Siehe auch Flieger 154: „Es [sc. das Wort furia, Vf.] rahmt in den Versen 550 und 561 das Redenpaar, wird im Zwischenvers 555 durch superbum angedeutet und setzt furori aus 545 fort.“ Auch Hieronymus läßt Kaiphas furore superatus agieren (in Matth. IV 26,63f (CCL 74, 260,1403 Hurst/Adriaen)). 48 Siehe zu caecus und frendens die guten, parallelenreichen Erklärungen bei Poinsotte 158 und 169, auch Flieger 154f und 181–184. 49 Siehe zu Personifizierungen wiederum oben zu 595 facundia.

Auswertung

337

schlugen, war insultare verwendet worden (IV 568). Die Verbindung zu furor kehrt schon kurz darauf wieder, vgl. IV 668f sed caeca furentis / insultat plebis fixo vaesania Christo. Der schon am Kreuz hängende Christus wird verspottet. Die psychologische Erklärung dafür ist durch furentis plebis vaesania überdeutlich ausgedrückt, es ist aber nicht deutlich gemacht, ob die plebs als jüdische Masse oder als diffuse Masse der Gegner Jesu vorgestellt ist. Auf die wörtliche Wiedergabe der Lästerungen in den nächsten Versen folgen nun die Verse 674f haec vulgi proceres vaecordis dicta sequuntur: / atque Pharisaei scribaeque et factio demens / illudunt motuque caput linguasque loquellis / insanis quatiunt aeternae ad vincula poenae. Über die Identität des vulgus vaecors ist wieder nichts Genaueres ausgesagt, es verhält sich aber genauso wie die Pharisäer, Schriftgelehrten und die factio demens, womit hier wohl die Hohenpriester gemeint sind. 50 Zusammen lästern sie weiter Jesus, und zwar loquellis insanis. Alle drei Begriffe, vaecors, vaesanus und vaesania sind also bei Iuvencus nur auf Lästerungen bezogen, womit Christuslästerung mit Gotteslästerung gleichgesetzt wird sowie eine Beziehung zum als rabies vaesana bezeichneten Teufel (I 404) hergestellt wird. Als demens werden außerdem nur die Soldaten, die Jesus verspotten (IV 650), bezeichnet; eine besondere Bedeutung, die über eine negative, in der Situation jeweils verständliche Wertung hinausgeht, ist nicht auszumachen. An einigen anderen Stellen ist weniger sicher, um wen es sich handelt. Im Prozess vor dem Hohen Rat heißt es Mt 26,60, die Zeugen hätten nichts gegen Jesus vorbringen können. Iuvencus intensiviert dies und verschiebt das Augenmerk auf die psychologische Dimension, vgl. IV 542 ecce sacerdotes falsos conquirere testes / incumbunt fictasque volunt contexere causas, / quis mortem insonti possent imponere Christo. / Sed nullus tanto visus satis esse furori. Dabei handelt es sich nicht zwingend um den furor der Priester; ebenso denkbar ist, dass mit furor die gesamte Handlung gemeint ist, der Wahnsinn, überhaupt gegen Jesus vorzugehen. In jedem Falle werden die sacerdotes aber mit diesem furor assoziiert. Problematischer jedoch sind die folgenden Beispiele, zunächst die Lästerungen IV 698–700. Diese werden eingeleitet mit 697 cetera turba furens tali cum voce cachinnat. Es bleibt unklar, um wen es sich bei turba handelt, der Begriff ist zudem nicht nennenswert negativ besetzt, wie aus Ausdrücken wie I 108 turba propinquorum bei der Geburt Johannes des Täufers, I 731f Denique linquentem celsi fastigia montis / stipabat gaudens populorum turba sequentum am Ende der Bergpredigt und III 74f ille ubi credentum turbas in valle remota / convenisse videt nach Mt 14,14 hervorgeht.51 Auch ist IV 661 vom hominum furor die Rede, als man Jesus den mit Galle vermischten Trank anbietet. Bei diesem Angebot in Vers 658 permixtum felli vinum dant pocula Christo gibt es kein klares logisches Subjekt, im vorherigen Vers heißt es ventum est, das letzte Subjekt davor sind ungenannte egressi in Vers 653, bei denen es sich wohl um wiederum unpräzise, 50 Siehe oben zur Stelle. 51 Anders Poinsotte 199.

338

Antijudaismus bei Iuvencus

aber negativ dargestellte mil(it)es aus Vers 650 handelt, die, wie oben zu Vers 642 dargelegt, kaum als „Werkzeug der Juden“ gesehen werden können. Daher muss mit hominum nur eine nicht näher definierte Menschenmenge gemeint sein, möglicherweise verbunden mit einer allgemeinen Aussage über die Macht des furor über Christus; siehe dazu zur Stelle. Bei der Auferstehung wird auf die Kreuzigung rekurriert, vgl. IV 754f nam manifesta fides, sanctum vos quaerere corpus, / quod crucis in ligno scelerata insania fixit. Hier werden die Gegner Jesu als scelerata insania „depersonalisiert“, die Kreuzigung als scelus bezeichnet (s.o.), die Motivation dahinter als Wahnsinn. Es bleibt aber an dieser Stelle unklar, wen der Wahn getroffen hat. Iuvencus spricht nicht von „den Juden“, sondern scheint auf die Grausamkeit und Falschheit der Kreuzigung hinweisen zu wollen, statt die Schuldfrage zu thematisieren. Zuletzt schließt Iuvencus einen Rahmen um die Passion. 52 In der Betrugsperikope wird die letzte Agitation gegen Jesus mit gleich drei Vokabeln für Wahn eingeleitet, vgl. 779f sed manus amens / iam semel insano penitus devota furori. Bei der manus amens handelt es sich zweifellos um die (stark verallgemeinerten) Juden, wie aus den vorherigen Versen hervorgeht, vgl. IV 777f mittunt e numero partem, quae tanta referret / Iudaeis rerum miracula. Mit derselben Vokabel war nun ganz zu Beginn der Passionserzählung, IV 422, schon Judas bezeichnet worden. Die Vokabel amens wird hier jedoch nicht ausschließlich verwendet, um diesen Rahmen herzustellen. Während nämlich in der Vorlage Mt 28,12 die Juden einen Beschluss fassen (consilium acceperunt), also planvoll und nicht rein emotional handeln, fehlt dieser Aspekt bei Iuvencus ganz, es bleibt nur amentia. Dennoch ist, da amens sonst in den Evangeliorum Libri gar nicht auftaucht, eine Beziehung zwischen Judas und der gesichtslosen manus hier geschaffen. Auch die Bezeichnung des Judas als furens (627) musste genauer betrachtet werden: Dort ist zwischen dem furor und der Geldgier, die wiederum ihrerseits mit dem Teufel in Beziehung steht und explizit als scelerata bezeichnet wird (s.o.), eine Verbindung hergestellt worden; siehe weiter zur Stelle. Offenbar teilen Judas, der Teufel und die jüdischen Gegner Jesu diese zentrale Eigenschaft, den Wahnsinn, wobei oben bei der Betrachtung des Judasbildes festgestellt wurde, dass dieser bei Iuvencus (anders als bei Sedulius) nicht gewissermaßen als Inkarnation des Bösen, sondern als eine gebrochene Gestalt dargestellt wurde.53 Eine engere Beziehung als zwischen den Gegnern Jesu IV 779f und Judas besteht ohnehin zwischen der Aufstellung der Wache und dem Betrug danach. Es ist nämlich der furor, der IV 729 überhaupt dafür sorgt, dass am Sabbat weiter gegen Jesus agitiert und eine Wache aufgestellt wird. Dieser furor kehrt dann, wenn festgestellt werden muss, dass die Wache nicht den erwünschten Erfolg hatte, wieder. Es bleibt die insania. Damit werden zwei Mal Besessene bezeichnet (I 446; II 72), ein Mal Lästerungen (II 625), ein Mal Verrat im Allgemeinen (II 467, jeweils S. 333 zitiert), die Mehrzahl der Belege jedoch findet sich in der Passion. 52 Vgl. Poinsotte 222, dort mit anschaulicher Grafik. 53 Vgl. oben das Kapitel „Judas“, ähnlich gar Poinsotte 226, nach dem Judas explizit „kein Triumphator“ ist.

Auswertung

339

Dabei ist auch dort die Verwendung sehr breit: von scelerato corde (IV 437) über erneute Lästerungen (IV 677) zur Kreuzigung als solcher (IV 755, ebenfalls mit scelerata) und zu Betrugsvorwürfen und tatsächlichem Betrug (IV 738, 779). Ein besonderes Muster ist nicht zu erkennen, die Rahmenfunktion des Verses, die Poinsotte erkennt, von dessen Fehlen aber unberührt. Dabei wird aber, wie gesehen, nicht unbedingt eine Gleichsetzung zwischen Judas und „den Juden“ angestrebt, sondern eine allgemeine psychologische Begründung für die Handlungen der Gegner Jesu vorgebracht. FAZIT Bereits in der biblischen Vorlage besteht die Tendenz, Juden eindeutig negativ zu bezeichnen, wenn auch dabei nicht die jüdische Überlieferung verworfen wird. Iuvencus amplifiziert die Urteile der Vorlage sehr deutlich, jedoch nicht mit einem besonderen Augenmerk auf die Juden als Ganzes, sondern stets auf die Gegner Jesu in konkreten Situationen, bei denen es sich in der Vorlage natürlich häufig um Juden handelt. Ein Antijudaismus, der nicht zur Gesamterzählung passt, also unprovoziert wäre, ist nicht auszumachen. Der Hauptgrund für deren deutliche Negativzeichnung liegt also in der Bearbeitung der Vorlage nach epischen Konventionen. Übeltäter, besonders die Gegner Jesu, werden regelmäßig als unverständig, wahnsinnig oder gar besessen charakterisiert. Dabei werden aber alle, die seine Botschaft nicht hören oder gegen ihn vorgehen, mit denen gleichgesetzt, die vom Teufel oder seinen Dämonen befallen sind. 54 Insbesondere Judas kommt dabei eine wesentliche negative Rolle zu. Vielfach werden die Gegner Jesu „entmenschlicht“, indem die gerade passenden negativen Eigenschaften personifiziert für sie verwendet werden (z.B. IV 595 facundia, 659 und 729 furor, 738 insania). Das geschieht aber auch außerhalb der Passion und ohne Bezug zu Juden (z.B. II 467 insania). Ein besonderer furor Iudaicus ist daher nicht zu erkennen, vielmehr handelt es sich – neben dem Gebrauch von Wahn als allgemeines Erklärungsmuster – um eine Art furor antichristianus. Es scheint dem Dichter nicht daran zu liegen, eine Aussage über die Juden zu treffen, sie als besonders irrational oder wahnsinnig darzustellen, sondern eine Erklärung für die Ablehnung des Anspruchs Jesu zu liefern, und zwar psychologisch und mit epischen Mitteln. Auch in Iuvencus primärem Vorbild, der Aeneis, sind furor (24 Belege) und furere (35 Belege) sehr häufige und bedeutsame Vokabeln; sie stehen dort den Kernbegriffen pietas, fatum und ratio gegenüber.55 Iuvencus übernimmt also dieses psychologische Erklärungsmuster, hebt auch, wie hier durch Parallelen klargeworden ist, den Widerstand gegen Christus von einer menschlich-politischen auf eine dämonische Ebe54 Siehe auch die Tabelle bei Poinsotte 232. 55 So anhand einiger überzeugender Beispiele J. Korpanty, Furor in der augusteischen Literatur, KLIO 67 (1985) 248–257.

340

Antijudaismus bei Iuvencus

ne. Auch das ist durch Alectos Handeln im siebten Aeneisbuch (mit zwölf Belegen für furor und verwandte Begriffe) schon in der Gattung angelegt. Es ist offenbar geworden, dass die jüdischen Gegner Jesu selten in ihre einzelnen Gruppen (Pharisäer, Sadduzäer, Hohepriester, Volk) geteilt werden, sondern gewissermaßen gesichtslos werden, wie sich am unscharfen Gebrauch der entsprechenden Vokabeln zeigt. Die Urteile, die Iuvencus über ihre Handlungen fällt, sind hart und vorwiegend negativ, die Hinrichtung Jesu ist ein Verbrechen, seine Gegner vom Wahn geschlagen. Es finden sich jedoch auch positive Urteile über Juden (z.B. IV 337, wo sich die Trauergemeinde für Lazarus versammelt, die auch Iudaeae gentis proceres enthält) oder Nennungen von Jesu eigener jüdischer Abstammung (z.B. II 119, 205 oder 254). Eine dauerhafte, geplante Verwerfung der Juden, wie die Bearbeitung des „Blutrufs“ IV 623f sie nahelegt, wird durch die Auslassung von Mt 28,15 unwahrscheinlicher. Es findet also eine starke Negativcharakterisierung der Gegner Jesu mit den für Iuvencus typischen Mitteln statt, wobei deren Religions- oder Volkszugehörigkeit über die grundsätzlich in der Vorlage herrschende, dem Judentum gegenüber ablehnende Stimmung hinaus nicht weiter in den Vordergrund gerückt wird. Greens Urteil bewahrheitet sich: „The Romans here are treated favourably, but this is not to say that the Jews are systematically blackened. As adversaries of Christ they receive a severe judgement, heightened as often happens in Juvencus with a typically vehement array of adjectives in a typically dramatized presentation, but Juvencus does not abandon or modify his policy of substantial fidelity to the gospel accounts.“56

56 Vgl. Green (2006) 111f.

DIE THEOLOGISCHEN ANLIEGEN DES IUVENCUS Bei der Untersuchung der theologischen Absichten und Einstellungen, die in den Evangeliorum Libri Quattuor zu Tage treten, gibt es zwei wesentliche Schwierigkeiten. Zunächst dringen Iuvencus’ exegetische Absichten nur sehr subtil und verborgen in den Text ein; er kommentiert selten, fast nie offen. Seine Theologie findet sich in geringen Auslassungen, Umstellungen, Epitheta, ironischen Wendungen und Kontrastimitationen. Daher sind kleinschrittige philologische Untersuchungen wie die obige notwendig, um etwas Haltbares über die Evangeliorum Libri Quattuor auszusagen. Weiterhin schreibt Iuvencus vor den großen Exegeten der lateinischen Kirche, wobei er, nimmt man an, dass auch diese Kirchenväter ihrerseits auf mündliche Traditionen zurückgriffen, in einer bestimmten Traditionslinie zu verorten ist; zu einigen methodischen Bemerkungen siehe oben S. 17– 18. Hier sei nun das oben in den einzelnen Kommentarteilen Herausgearbeitete zusammengefasst und, soweit möglich, daraus ein theologisches Programm konstruiert. In dieser Auswertung wird bewusst auf erneute Stellenangaben verzichtet, da sich diese jeweils in den Kommentarparagraphen finden. Die erste Person, die in der hier kommentierten Passage begegnet, ist Petrus, der Christus verleugnet. Der langsame Ausgang Petri aus dem Palast zeigt einige schwache Berührungen mit Origenes’ Erklärung desselben. Diese Ähnlichkeiten sind jedoch, wie gesehen, gering und sicher nicht genug, eine Abhängigkeit zu zeigen. Der Exkurs über die Darstellung des Petrus im Ganzen hat die Erkenntnis gebracht, dass er als ambivalente Figur zwischen den Polen der Glaubensstärke und regelmäßiger menschlicher Schwächen auftritt. Die für Iuvencus so wichtige Glaubensstärke ist auch fast der gesamten altkirchlichen Exegese wichtig. Sie sichert auch nach Origenes, Hilarius und Ambrosius die Unüberwindlichkeit der Kirche; vornehmlich Tertullian sieht dazu die Person Petri selbst als notwendig an. Damit wird die Verheißung an Petrus zu einer Verheißung an alle Christen, die diese Eigenschaft mit ihm teilen, Petrus wird zum „Exponent[en] der Jünger“. 1 Auch diese Interpretation findet sich in der Alten Kirche, z.B. bei Cyprian oder Augustinus, s.o. S. 39–61. Obwohl Petrus nun nicht perfekt war, steht es den Christen der Spätantike, so Origenes und Hieronymus, nicht zu, hart über ihn zu urteilen – auch sie haben Erfahrungen von Glaubensschwäche gehabt und gesündigt. Somit können sie sich wiederum mit Petrus identifizieren. Diese rein typologische Lektüre der Petrusfigur wird dadurch behindert, dass die Verheißung der Binde- und Lösegewalt an die anderen Jünger (Mt 18,18) bei Iuvencus fehlt, also eine Bindung dieser Macht an Petrus als Person von Iuvencus ausgedrückt sein könnte. Da er jedoch Dopplungen – mit Ausnahme der beiden verschiedenen Peri1

Vgl. R. Feldmeier, Die Darstellung des Petrus in den synoptischen Evangelien, in: Stuhlmacher, P. (Hrsg.), Das Evangelium und die Evangelien. Vorträge vom Tübinger Symposium 1982, Tübingen 1983 (WUNT 28).

342

Die theologischen Anliegen des Iuvencus

kopen vom Hauptmann von Kapernaum – üblicherweise auslässt, muss sich hinter diesem Fehlen kein starkes theologisches Programm verbergen. Zuletzt fehlt nämlich beim Missionsbefehl, bei dem nach Matthäus „die Elf“ zusammenkommen, diese Zahlangabe, Jesus wird von der turba suorum (785) gesehen. Es gibt also gewiss keine deutliche Konzentration auf geweihte Personen (s.o. S. 303), so dass sich zeigt, dass durch die Darstellung des Petrus weniger eine „kirchentragende“ als eine für einzelne Christen katechetische oder „erbauliche“ Wirkung intendiert ist. Nach der Verleugnung durch Petrus kommt es zum Prozess vor Pilatus. Dieser ist als sehr schwache Person dargestellt. Das Gesetz, nicht sein eigener Wille oder seine eigene Gewohnheit zwingt ihn dazu, dem Volk einen Verbrecher freizulassen (599 und 610), er selbst wird vom Ansturm der Volksmasse besiegt (victus), nicht überzeugt, Jesus zu verurteilen (618 und 625); diese Deutung findet sich, ebenfalls mit victus ausgedrückt, auch bei Laktanz. Zuletzt fehlt Pilatus in der Betrugsperikope ganz. Diese Darstellung kann, ebenso wie die allgemein positive Darstellung der Römer,2 zur Adressatenorientierung gerechnet werden. Iuvencus schreibt im lateinischen Westen, die Konstantinische Wende liegt einige Jahre zurück, der Kaiser wird sogar im Epilog explizit gelobt. Eine negative Darstellung der Römer bzw. römischer Autoritäten verbietet sich dadurch beinahe. Besonders fällt darüber hinaus das verdeutlichte Christusbekenntnis des Centurio (bei Iuvencus im Plural) vor dem Kreuz (713) auf. Die weitere Herausstellung dieser Figur ist ebenfalls überall in der Exegese zu finden. Dass Pilatus in seiner Entscheidung nicht frei ist, lehrt auch Hieronymus, bei Origenes und sehr stark bei Tertullian wird er beinahe zum Christen. Mit einer Exkulpierung des Pilatus ist fast notwendigerweise eine Schuldzuweisung an die übrigen Gegner Jesu, zuvörderst die Juden, verbunden, wie auch aus einigen anderen Stellen hervorgeht; siehe oben zum Selbstmord des Judas und zur Misshandlung durch die Soldaten. Dabei handelt es sich um exegetische Topoi, deren Ursprung unmöglich zurückverfolgt werden kann. Zuletzt ist eine deutliche Steigerung des „Blutrufs“ in den Versen 622f sichtbar. Auch dabei handelt es sich gewissermaßen um exegetische communis opinio: „Alle Autoren [sc. bis zum Jahre 430] gingen davon aus, daß in Mt 27,25 ein Wort der Juden bezeugt ist, mit dem diese beim Prozeß vor Pilatus das Blut Christi, also die Schuld an seinem Tod, auf sich nahmen. Da Mt 27,25 als offizielle Schulderklärung der Juden verstanden wurde, verband man mit dem Vers auch die Vorstellung, daß er strafende Folgen für die Rufer nach sich zog. Schuld und Strafe treffen aber auch die zeitgenössischen Juden, da die Rufer ihre Nachkommen in die Schulderklärung aufnahmen.“3 Es ist nicht zu klären, ob Iuvencus diese so gestaltete, um Pogrome seiner eigenen Zeit zu rechtfertigen. Seine Quelle kann wegen der Vielzahl der Möglichkeiten nicht ausgemacht werden. Auf den Pilatusprozess folgt der Selbstmord des Judas. Judas wird durch einige Begriffe (422 amens, 437 insano corde, venenum, 627 furentem) in die Nähe 2 3

Siehe auch oben die Einleitung zur Verspottung Jesu durch die Soldaten, S. 131, zum Antijudaismus S. 330–348 und Green (2006) 103–112. Kampling 116.

Auswertung

343

des Teufels gerückt, was letztlich bis auf Lk 22,3 zurückgeht und in der Exegese daher überall auftritt. Wiederum ist eine Einordnung des Iuvencus in eine eindeutige exegetische Tradition nicht möglich. Es wurde nun oben bei der Betrachtung der Darstellung des Judas herausgearbeitet, dass vor allem Geldgier, die auch II 442 von Iuvencus mit nummorum ... scelerata cupido scharf abgewehrt ist, hier das zentrale Motiv ist. Diese ist auch das „Einfallstor“ für den Teufel, eine Lehre, die sich zuerst bei Origenes, später auch bei Eusebius findet. Zwar wird im weiteren Judas’ Geldgier geradezu sprichwörtlich, diese Übereinstimmung mit Origenes ist jedoch auffällig. Judas taugt freilich, anders als Petrus, nicht als Identifikationsfigur. Da er aber menschliche Eigenschaften trägt und sein Fall vom Apostel zum Verräter durch die Herausstellung der Geldgier erfahrbar gemacht wurde, dient sein Verhalten und sein Schicksal als schlechtes Beispiel; Weiteres dazu findet sich oben zur Stelle. Die Schuld am Tode Jesu trägt natürlich nicht Judas allein, sondern auch die Hohenpriester. Diese offenbaren zudem durch die Zurückweisung des „Blutgeldes“ ihre mangelhafte Logik, wie Iuvencus in seinem Kommentar in Vers 629f deutlich macht. Auch darauf machen wiederum beinahe alle Exegeten aufmerksam. Die eigentliche Passion durchzieht nun das Motiv des Spotts, das jedoch vielfach ironisch gewendet wird. Christus wird von den Soldaten als König bezeichnet. Diese Verspottung und die Nennung der regalia wird von vielen Exegeten, so sehr deutlich Origenes, weiter zum Beispiel Ambrosius, Hilarius und Hieronymus, als eine Ehrung sub specie contrarii gesehen; Gleiches gilt für die Anbringung des Titulus am Kreuz. In beiden Fällen ist Iuvencus’ Eingriff sehr schwach, nur bei genauestem Blick zu erkennen, dass er sich der allgemein üblichen Interpretation, die Soldaten und Peiniger Jesu hätten ihm gewissermaßen gegen ihre eigene Absicht gehuldigt, verschreibt. In der gesamten Kreuzigungs- und Todesszene ist nun der Aspekt der Gottverlassenheit abgemildert, Christus wird, wenn auch mit friedlichen Idealen, zum epischen Sieger; siehe dazu auch den entsprechenden Exkurs, S. 274–276.4 Der wichtigste Aspekt ist dabei die Auslassung bzw. starke Veränderung des Rufes „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen;“ siehe dazu oben zu den Versen 692f. Es ist letztlich nicht zu zeigen, ob es sich bei dieser Vorgehensweise um „didaktische Reduktion“ bzw. „Plausibilisierung“ handelt, ob also Iuvencus eine so schwierige Stelle seinen Lesern nicht zumuten wollte, oder ob er selbst mit der Machtlosigkeit Jesu am Kreuz, die auch für die Exegese aller Zeiten problematisch ist, zu große Schwierigkeiten hatte. Christus wird zwar nach wie vor verspottet, jedoch sind diese Szenen sämtlich von starker doppelter Ironie durchzogen: Was die Gegner Jesu spöttisch nennen, seine Gottessohnschaft und Allmacht, ist in Wirklichkeit die Wahrheit. Das legen einige der Wendungen, die Iuvencus verwendet, nahe; siehe zu dieser Technik weiter oben S. 169–174. Schwierig ist jedoch die Frage nach dem „selbstbewussten Sterben“ Jesu. Dadurch, dass clamor zum Subjekt der Verse 701 wird, also der Schrei Jesu seine Seele gewissermaßen „hinauspresst“, mag angezeigt 4

Vgl. auch Diederich passim.

344

Die theologischen Anliegen des Iuvencus

sein, dass Jesus selbst über seinen eigenen Tod der Herr ist, selbst Subjekt seines eigenen Sterbens ist. Das wiederum ist auf Origenes zurückzuführen, hat allerdings, wie Belege bei Hieronymus und Chrysostomos zeigen, seinen Platz in der späteren Exegese gefunden. Hier eine sichere Abhängigkeit zu zeigen ist wiederum wegen der subtilen Eingriffe des Dichters schwerlich möglich, einzig eine Tendenz ist festzustellen. Nach dem Tode Christi bleiben nach Matthäus und damit auch nach Iuvencus nur die Frauen zurück, die die Grablegung betrachten. Sie rahmen die Grablegung (714f und 726) und werden mehrfach als treu bezeichnet (715, 768, 771f). Diese Darstellung der wesentlichen Charaktereigenschaft lädt den Leser, wie bei Petrus, sehr dazu ein, sich mit den Frauen zu identifizieren. Sie sind gewissermaßen „interne Leser“, die ersten Rezipienten von Passion und Auferstehung, die sich genau so verhalten, wie man es von rechten Christen erwarten müsste. Ihr Verhalten wird in der altkirchlichen Exegese häufig gelobt, vor allem durch Hieronymus. Im letzten narrativen Stück des Werkes, dem Missionsbefehl, ändert Iuvencus die Taufformel stark (vgl. 769f). Mit Heinsdorff und Green komme ich zu dem Schluss, dass die Macht des Heiligen Geistes nicht etwa getilgt, sondern eher dadurch, dass sie explizit aus der Aufzählung der Personen der Trinität gelöst wird, als wirkmächtigste Kraft bei der Taufe herausgestellt wird. Für diese genaue Auseinandersetzung der göttlichen Personen bei der Taufe ließ sich keine sichere Parallele anbringen; einzig mit Origenes, der in De Principiis dem Geist eine reinigende Rolle zuweist, zeigt sich eine (schwache) Berührung. Die Belege für die Wichtigkeit der Anrufung der Trinität sind freilich zahllos. Zuletzt bleiben, an der Grenze zwischen theologischen und narrativen Anliegen des Dichters, die vielen psychologischen Wertungen. Häufig werden die Gegner Jesu als wahnsinnig charakterisiert; zu diesem furor siehe oben S. 332–339. Für diese Deutung ist in der Exegese keine Parallele auszumachen. Dass „Psychologisierung“ ein episches Mittel ist, ist seit Heinze für Vergil bekannt, man muss diese Entwicklung also der epischen Seite der Evangeliorum Libri Quattuor zurechnen. Dieser kurze Überblick über die theologischen Nuancen, die hier aufgedeckt werden konnten, legt folgenden Schluss nahe: Iuvencus zielt stark darauf, sinnvolles bzw. falsches Verhalten darzustellen, und bietet dafür Identifikationsfiguren (Petrus), schlechte Beispiele (Judas), einige folienhaft dargestellte Charaktere (Soldaten am Kreuz, matres) sowie allgemein eine Öffnung der Gruppe der Apostel (durch 785 turba suorum). Dazu offenbart die nur wenig negative, bisweilen sehr unauffällige Darstellung der Römer, insbesondere des Statthalters, sowie der Verzicht auf Konfrontation mit der Frage nach der Subordination Jesu unter den Vater sozusagen einen „Primat der Narrativität“. Iuvencus stellt nicht hochtheologische Fragestellungen in die Mitte seiner Arbeit, sondern schreibt ein Werk, das für seine Adressaten im römischen Spanien gut verständlich war und nach Möglichkeit keinen unnötigen Anstoß erregte; siehe auch zur Adressatenfrage S. 374– 379. Es gibt nun auch einige exegetische Nuancen, die nicht direkt von pro- oder apotreptischem Interesse geleitet sind, nämlich die Darstellung Jesu als König oder die Frage nach der Schuld an der Passion.

Auswertung

345

Widmanns oft zitiertes Urteil „theologus superat poetam“5 kann also, nebst aller nötigen Relativierung, auch ein wenig präzisiert werden: Der Dichter ist nicht einfach ein „Theologe“, sondern genauer zugleich Exeget, Katechet und Epiker. Siehe zu Gattung und Zweck des Werkes im Allgemeinen wiederum oben S. 305– 307 und S. 346–373. Schwierig ist nun, eine wirkliche Abhängigkeit von bestimmten exegetischen Traditionen zu zeigen. Theologie dringt deutlich zu subtil ein. Flieger, Fichtner, Heinsdorff und Colombi hatten immer wieder Berührungspunkte mit Origenes zeigen können, was auch in dieser Arbeit einige Male gelang. Dennoch mahnt Colombi zu Recht zur Vorsicht: Es ist nicht sicher zu klären, ob Iuvencus wirklich mit origenistischer Theologie in Berührung gekommen war, so dass die Parallelen, die sich aufdecken lassen, ebenfalls aus mündlichen und daher für uns unrekonstruierbaren oder auf anderen Wegen verworrenen Traditionen stammen könnten. Weiterhin sind Übereinstimmungen mit Hilarius, Hieronymus und Ambrosius wohl dem Faktum geschuldet, dass diese konsequente Kommentare schreiben und somit ein umfassendes Bild der zeitgenössischen und von ihnen akzeptierten, also orthodoxen Exegese bieten. Mehr Übereinstimmungen mit Laktanz (über die Bezeichnung des Pilatus als victus (618, 625) und der Christen als iusti (594) hinaus) hätten den Verdacht, dass Iuvencus auf dessen Aufforderung, stilistisch hochwertige christliche Literatur zu schaffen, reagierte, erhärten können, lassen sich aber nicht eindeutig finden. Echte Berührungen mit Chrysostomos’ Tradition sind beinahe auszuschließen, auch wenn es mit seinen exegetischen Schriften und v.a. Homilien Übereinstimmungen gibt. Das illustriert zweierlei: Erstens, dass Iuvencus’ Theologie mit Homiletik kompatibel ist, er also katechetische Absichten haben dürfte, zweitens, dass die durch ihn eingeflossenen Theologumena sehr mit der Hauptdenkrichtung der Exegese übereinstimmen. Es hat der Überlieferung des Iuvencus sicher geholfen, dass er, sei es bewusst, sei es zufällig, sich die katholische Position zu eigen machte und somit in den christlichen Bildungskanon eingehen konnte.6 Iuvencus nicht für einen theologisch denkenden Autor zu halten, wäre also ein fataler Fehler, wer sich aber von der Beschäftigung mit ihm Ergebnisse erhofft, wie sie bei Sedulius, Arator oder Alcimus Avitus zu Tage treten, wird enttäuscht werden müssen.

5 6

Widmann 14. Vgl. Glei 144 zum Weinwunder zu Kana, das die Zwei-Naturen-Lehre zu antizipieren scheint: „Der erste Bibeldichter zeigt damit nicht nur ausdrückliche ‚dogmatical correctness’ (sit venia verbo), sondern sogar vorauseilenden christologischen Gehorsam [...].“

ZUR GATTUNGSFRAGE EINLEITUNG Die Frage danach, was die Gattungskonstituenten und der Zweck der Bibeldichtung, v.a. der hexametrischen Bibeldichtung, sind, wird seit etwa vierzig Jahren immer wieder gestellt, jedoch ohne dass bisher Einigkeit erreicht worden wäre. Auch die beiden 2011 erschienenen Werke, die sich mit dieser Frage beschäftigen, Daniel Deerbergs „Der Sturz des Judas“ und Karl Olav Sandnes’ „The Gospel ‚According to Homer and Virgil‘“ kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Sandnes sieht die hexametrische Bibeldichtung von der Unzufriedenheit der Christen des vierten und fünften Jahrhunderts mit dem einfachen Stil der Evangelien, später von der Schulgesetzgebung des Julian Apostata beeinflusst und spricht daher von einem literarischen und einem historischen Grund. 1 Deerberg dagegen sieht „Erbaulichkeit“ (aedificatio) und damit ein theologisch-didaktisches Konzept als eigentliche Grundlage der hexametrischen Bibeldichtung. 2 Beide Konzepte werden unten genauer erläutert werden. Der folgende vornehmlich chronologische Abriss über die Forschungsgeschichte soll letztlich dazu führen, die genannten Ansätze zu versöhnen, die Polyvalenz der Bibelepik zu würdigen und die bei der Kommentierung mit Anwendung der oben im Einleitungskapitel dargelegten kleinschrittigen und textzentrierten Methode gewonnenen Erkenntnisse auf die Gattungsfrage zu beziehen. Das erste Urteil über das Werk des Iuvencus findet sich bei Hier. de Vir. ill. 84 Iuvencus, nobilissimi generis Hispanus, presbyter, quattuor evangelia hexametris versibus paene ad verbum transferens quattuor libros composuit [...].3 Mit der vielfach beachteten Phrase paene ad verbum ist zunächst gemeint, dass Iuvencus sich nah am Wortmaterial der Vorlage orientiert, ohne dass dabei eigenständige exegetische Elemente notwendigerweise ausgeschlossen wären. 4 Der Kirchenvater erwähnt Iuvencus aber auch Ep. 70,5 Iuvencus presbyter sub Constantino historiam domini salvatoris versibus explicavit nec pertimuit evangelii maiestatem sub metri leges mittere. 5 Gerade im Kontext dieses Briefes, in dem Hieronymus dem Magnus Christen nennt, die auch in Philosophie, Literatur und Rhetorik glänzten, 1 2 3 4 5

Vgl. Sandnes (2011) passim, v.a. 65–97. Vgl. Deerberg 327–460. „Iuvencus, ein Spanier aus vornehmstem Geschlecht, ein Priester, dichtete vier Bücher, indem er die vier Evangelien beinahe wortgetreu in Hexameter setzte.“ Vgl. Green (2006) 43–48. Green antwortet dort überzeugend auf Colombi (1997a), Roberts (1985) 75f und zuletzt Herzog (1975) 69–97. „Iuvencus, ein Priester, erzählte unter Kaiser Konstantin die Geschichte des Herrn und Erlösers in Versen und scheute nicht davor zurück, die Erhabenheit des Evangeliums den Regeln der Metrik zu unterwerfen.“

Auswertung

347

sieht Sandnes eine Billigung der stilistischen Verbesserung der Evangelien durch Iuvencus, 6 die offenbar nicht selbstverständlich war,7 da das Verhältnis der Alten Kirche zur paganen Bildungstradition lange ambivalent war; dazu unten mehr. Auch das decretum Pseudogelasianum (161) und Venantius Fortunatus (Vita Mart. I 14) verweisen lobend auf Iuvencus; es gibt viele Belege dafür, dass sein Werk verbreitet war und auch als Schultext genutzt wurde.8 Im Weiteren bleibt die Rezeption in der Spätantike relativ dunkel. Äußerungen zu Iuvencus werden bis in die jüngere Neuzeit selten. Widmann übernimmt 1905 für Iuvencus abgemildert9 das Urteil Schillers über Klopstocks „Messias“: „So ist mir die Messiade als ein Schatz elegischer Gefühle und idealistischer Schilderungen teuer [...], wie wenig sie mich auch als Darstellung einer Handlung und als ein episches Werk befriediget.“10 Den Titel als christlicher Vergil verdiene er weiterhin nur in Hinsicht auf seinen Umgang mit Sprache, nicht aber als eigenständiger Dichter: „Quodsi Iuvenco cognomen ‚Vergilio Christiano‘ datum est, ut poeta honore non dignus est, ut dictionis artifex haud indignus videtur.“11 Die Frage nach dem Hauptanliegen der Bibelepik, ob diese nämlich eine Paraphrase zur Stilverbesserung oder eher exegetische und damit theologische Dichtung sei, findet sich bei Widmann schon in nuce: „Poeta Iuvencus certat cum theologo Iuvenco. In hoc certamine plerumque superat theologus poetam.“12 Auch nach Widmann dauerte es einige Zeit, bis sich wieder jemand eingehender mit Iuvencus beschäftigte. Stark rezipiert wurde auch das Urteil Ernst Robert Curtius’, der die Bibeldichtung als „genre faux“ bezeichnet. So gehe die „kraftvolle, einmalige, autoritative Prägung“ des Evangeliums verloren, zwischen Evangelium und Dichtung gebe es einen faulen Kompromiss, der nur mit dem Bedürfnis, der paganen Literatur christliche Literatur entgegenstellen zu können, begründet werden könne. 13 Zwar urteilt Wehrli, der sich dafür ausspricht, die Bibeldichtung ernstzunehmen, da diese sich die „Rolle der Aeneis als National- und Sakralgedicht“ 14 zu eigen mache, anders, doch sollte die Ablehnung der hexametrischen Bibeldichtung in der Nachfolge Curtius’ bis mindestens zu Kartschokes und Herzogs Schriften 1975, teils sogar bis heute, Bestand haben. Dabei ist Curtius’ Argument sehr problematisch, es ist nämlich weder literarisch noch historisch begründet, sondern dringt in die Frage der Legitimierung des Textes tief ein. Dass die Bibel durch eine dichterische Adaption verfälscht wurde, ist bestenfalls ein theologisches, schlimmstenfalls ein Geschmacksargument. Eminent wichtig für die Dis6 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Sandnes (2011) 66f, mit Verweis auf Sandnes (2009) 200–205. Vgl. Roberts (1985) 76: „[C]onsidered bold even in Jerome’s day.“ Vgl. Norton passim und Green (2006) 351–371. Widmann 85: „Modus vituperandi nobis est tenendus.“ Ibid. Ibid. Ibid. 14. Vgl. Curtius 459. Siehe zur Auseinandersetzung mit dem Begriff „verfehlte Gattung“ Smolak (1979) passim. 14 Wehrli 51f.

348

Zur Gattungsfrage

kussion über die Bibelepik sind die folgenden Gattungsgeschichten von Herzog und Roberts, die ganz verschiedene Schwerpunkte setzen. ERSTE MODERNE GATTUNGSGESCHICHTEN: PARAPHRASE UND ERBAULICHKEIT Die Bibelepik als paraphrastische Gattung (Roberts) Michael Roberts machte 1985 in seiner Dissertation die These stark, dass die hexametrische Bibeldichtung vornehmlich von der Schulübung der rhetorischen Paraphrase abhängt – eine These, die schon früher von Nestler und Curtius betont wurde. Er zeigt materialreich (vornehmlich auf Quintilians Institutio gestützt), welche Methoden dem Dichter vermittels seiner schulischen Ausbildung zur Verfügung standen.15 Zu unterscheiden sind zunächst zwei verschiedene Formen der Paraphrase, nämlich die grammatische und die rhetorische, wobei die rhetorische Paraphrase diejenige ist, die einen eigenen stilistischen Zweck hat und nicht zwingend zusammen mit dem Vorlagentext gelesen werden muss. 16 Die grammatische Paraphrase dient dabei ausschließlich dem Verständnis eines Textes und dessen Demonstration (von Schülerseite) oder Erleichterung (von Lehrerseite) 17 und ist daher für unsere Belange weniger relevant. Im Rahmen der rhetorischen Paraphrase wurde nun ein längeres Textstück literarisch bearbeitet, sei es, um die Stelle zu interpretieren, sei es mit dem Ziel einer echten aemulatio, womit die paraphrastische Technik zur Grundlage eines eigenständigen Werkes wurde. Dies gilt explizit auch für dichterische Versionen simpler Prosastoffe. 18 Roberts kann dafür – vornehmlich griechische, aber auch lateinische – Beispiele bringen. 19 Anhand dieser werden ein relativ hohes Niveau und die auf dem Weg dahin angewendeten paraphrastischen Methoden, die wohl auch Iuvencus kannte, offenbar.20 Doch nicht nur christliche Texte wurden so bearbeitet, auch Versparaphrasen von Platos Kritias oder Philostrats vita Apollonii sind belegt.21 Dass die Christen des vierten und fünften Jahrhunderts die pagane Schultradition (trotz anfänglich großer Skepsis) übernahmen und daher solche Methoden auch ihnen wohlbekannt waren, ist communis opinio.22

15 16 17 18 19 20 21 22

Roberts (1985) 61–160. Vgl. ibid. 37. Vgl. ibid. 38. Vgl. ibid. 38f, bes. die Übersicht 39; weiter 53. Vgl. ibid. 45–53. Vgl. ibid. 53. Vgl. ibid. Vgl. ibid. 62f.

Auswertung

349

Die wesentlichen Techniken, die Iuvencus dabei zur Verfügung standen, sind abbreviatio, omissio, transmutatio, amplificatio und Modalvariation. 23 Wenige Beispiele sollen genügen. a) Iuvencus lässt aus Gründen der Erzählökonomie einige Details aus (abbreviatio bzw. omissio). Mt 27,24 sieht Pilatus, von den Gegnern Jesu bedrängt, dass der Aufruhr vor dem Gericht schlimmer wird: videns autem Pilatus, quia nihil proficit, sed magis tumultum fieri. Iuvencus lässt dieses Detail aus (omissio) wodurch eine durchgängigere Darstellung der Szene erreicht wird, vgl. IV 618f denique vi victus detestatusque cruentum / officium increpitans se libera sanguinis huius [...]. Auf Pilatus’ Verzweiflung folgt gleich die Händewaschung, der Blick wird nicht von ihm gewendet. Pilatus’ Verhalten wird zudem weit deutlicher beschrieben als in der Vorlage (vi victus, detes-tatus, increpitans), ein Beispiel für eine amplificatio, durch die jedoch schon das Eindringen eigener exegetischer Anliegen (zu Charakter und Verhalten des Pilatus siehe oben S. 87–89) offenbar wird. b) Die wesentliche transmutatio in der in dieser Arbeit behandelten Passage ist die Versetzung des Selbstmordes des Judas, der nicht mehr auf Mt 27,2, sondern auf Mt, 27,26 folgt. Dadurch wird die Erzählabfolge deutlich geglättet; zu weiteren Effekten siehe oben zur Stelle. c) „Modalvariation“ meint hier die Änderung des Sprechmodus. Iuvencus setzt viele der direkten Reden seiner Vorlage in indirekte Rede um (siehe oben S. 319 und beispielhaft S. 42–46) und verstärkt so die Signalwirkung der direkten Reden, die er als solche wiedergibt. Neben der stilistischen Verbesserung der Vorlage wird auch „exegetical reinforcement of the text“24 durch die Technik der rhetorischen Paraphrase möglich, wobei Letzteres nach Roberts bei Iuvencus deutlich hinter Ersterem zurücktritt; dem Dichter gehe es vornehmlich um einen hohen Stil, nicht aber um eine theologische Kommentierung.25 Auf die Frage nach der Gattung der neuen Dichtung stellt Roberts fest: „By its very nature the project of recasting the Gospels in Vergilian hexameters raises questions of form and genre. The biblical text, despite its large narrative content, includes much preaching and Christian protreptic. If I am right, Juvencus turns to the Vergilian corpus to explore the generic implications of his Gospel poem. His framing allusions to the Aeneid and Georgics point to a work that combines elements of epic narrative with instruction and exhortation in the manner of didactic. Juvencus’ own poem exemplifies this combination; the simultaneous presence of narrative and didaxis/exegesis was to remain a defining feature of the sub-genre of biblical epic throughout late antiquity.“26

Bei den genannten „framing allusions“ in Proöm und Epilog handelt es sich um folgende:

23 24 25 26

Vgl. Deerberg 330f. Roberts (1985) 220. Ibid., bes. Anm. 2. Roberts (1989) 58.

350

Zur Gattungsfrage

Iuvencus schließt das Proöm mit einer Anrufung des sanctificus ... spiritus, die einem Musenanruf gleicht, und greift dann auf Vergils Beschreibung der Dichter im Elysium zurück. Pr. 27 ut Christo digna loquamur zeigt deutliche Verwandtschaft mit Aen. VI 662 quique pii vates et Phoebo digna locuti. Einen ähnlichen Lohn, jedoch zum christlichen Himmel gesteigert, erhofft sich auch Iuvencus. 27 IV 803–805 in tantum lucet mihi gratia Christi, / versibus ut nostris divinae gloria legis / ornamenta libens caperet terrestria linguae, wo Iuvencus auf Verg. Georg. I 168 divini gloria ruris zurückgreift (siehe weiter oben zur Stelle), interpretiert Roberts so: „Juvencus himself describes the Gospel poem as a stylistic elaboration of the Scriptures.“28 Roberts sieht also zwar bewusste Anspielungen auch auf die Gattung(en) von Aeneis und Georgica, jedoch im Wesentlichen stilistische Verbesserung als Hauptanliegen der Evangeliorum Libri Quattuor. Die zitierten Stellen werden unten, auch auf die Erkenntnisse aus der neuen Kommentierung des Epilogs gestützt (siehe besonders zur Gegenüberstellung zwischen Augustus und Konstantin durch die Rezeption der Georgica unten zu 806 haec ... tribuit), einer genaueren Untersuchung unterzogen werden. Völlig anders interpretierte nämlich Herzog diese Verse, siehe dazu unten S. 351. Während Roberts damit eine sehr wertvolle Einführung in die dichterische Technik der Bibelepiker gegeben hat, ist seine Konzentration auf die „klassische“ Seite der Bibelepik (an Stelle der „christlichen“ Seite) aus zwei Gründen problematisch. Die Schulübungen mögen Iuvencus die nötigen Mittel für sein Unternehmen gegeben haben, sie genügen aber nicht, um seine Entwicklung zu einem (Bibel-)epiker zu erklären. 29 Zudem wird der exegetische Anspruch, den die Evangeliorum Libri Quattuor in einem gewissen Maße haben, dabei zwar nicht ausgeblendet, aber unterbewertet. Da dem Dichter (wie auch seinen Nachfolgern) klar ist, dass er gerade einen heiligen Text bearbeitet, bleibt Exegese nicht aus. 30 Daher muss jede christliche Dichtung immer auch als Aktualisierung (und damit Auslegung) heiliger Schriften gesehen werden. Diese „christliche“ Seite der Bibelepik betont – seinerseits auf Kosten der „klassischen“ Seite – Reinhart Herzog. Die Bibelepik als erbauliche Gattung (Herzog, Deerberg) In seiner 1975 erschienenen Habilitationsschrift „Die Bibelepik der lateinischen Spätantike, Formgeschichte einer erbaulichen Gattung I“31 versuchte Herzog in sehr anspruchsvoller Sprache,32 die Bibelepik als neue, eigenständige Gattung von der traditionellen Epik zu lösen. Dazu bedient er sich – im Anschluss an Jauss – der rezeptionsästhetischen Methode.33 Er sieht die Bibelepik vor allem als Ant27 28 29 30 31 32 33

Siehe zu pr. 26 mentem auch oben zu IV 802 mea mens. Roberts (1985) 69. Malsbary 59f. Vgl. ibid. Der zweite Teil konnte leider nie erscheinen. Besonders kritisiert in Kartschokes Rezension, MLatJb 1979, 300–307, bes. 307. Vgl. Herzog (1975) XXXVI.

Auswertung

351

wort auf die Forderung und das Bedürfnis nach ruminatio, einer „nicht didaktischvermittelnde[n] Haltung zum Text, ein[em] ‚Wiederkäuen‘, ein[em] poetische[n] Nachvollziehen des Sakralen – man kann es als Andachtsbedürfnis bezeichnen, seine Einlösung als Erbauung.“34 Diese Begriffe, Andacht (bzw. Andachtsbild 35) und Erbauung, sind sehr schwierig und müssen im Laufe dieses Kapitels erklärt bzw. erarbeitet werden. Ferner muss geprüft werden, ob, wie Herzog vorbringt, „ein derart rhetorisch orientiertes literarisches Vergnügen als ‚Andacht‘ zu bezeichnen und nicht mehr literarisch-immanent zu deuten“36 ist. Dass die explizite Forderung nach der oben zur Grundlage gemachten ruminatio erst durch Alkuin und damit lange Zeit nach Iuvencus gestellt wurde (implizit sieht Herzog ein solches Bedürfnis natürlich schon früher), veranlasst Herzog zu einer Untersuchung des Proöms und des Epilogs, die er – anders als zuvor Roberts – in Diskontinuität zur Gattung Epos auslegt.37 Iuvencus greift auf die stoische Weltenbrandlehre zurück und bringt zum Ausdruck, dass nichts in der Welt ewig sei. Durch die Werke großer Dichter – Homer und Vergil werden ausdrücklich genannt – sind viele Menschen aber auf sehr lange Zeit bekannt; Gleiches gilt auch für die Dichter selbst. Der Vers nam mihi carmen erit Christi vitalia gesta (pr. 19) ist nun nach Herzog zwar noch „zugleich epischer Anspruch und Kontrast zum antiken Epos“38, da aber die früheren Epen mendacia enthalten – ihre entscheidende Schwäche –, überbietet Iuvencus diese.39 Weiter geht Herzog mit Blick auf die folgenden Verse 21–24: „Das Verdienst durch das Werk erscheint hier zur Erlösung durch das Werk gesteigert, ohne daß diese Steigerung sich noch auf einen literarischen Kontrastbegriff reduzieren ließe. Die Poetisierung wird als geistlicher Dienst am Wort, als Heilsmittel, also als Erbauung begriffen [...]. [D]as Proömium zu den ‚Evangelien‘ proklamiert zum erstenmal [sic] eine geistliche Gattung, die literarische Betätigung nur nichtliterarisch begründete, zur Literatur ein hetero40 nomes Verhältnis fand.“

Diese „Erlösung durch das Werk“ spiegele sich dann auch im auf Aen. VI 662 gestützten Vers pr. 27 ut Christo digna loquamur wider. Diese „heteronome Bestimmung“ zeige sich nun nicht nur im Proöm, sondern auch im Epilog. Die Verse IV 803–805 interpretiert Roberts wie oben dargestellt als Hinweis auf eine „stylistic elaboration of the Scriptures.“41 Ganz anders urteilt

34 Ibid. XXXIX, Hervorhebungen Herzog. 35 Vgl. ibid. 45f: „An Stelle des biblischen Texts und des Bibelepikers stehen Andachtsbild und Gläubiger.“ 36 Ibid. XLIIIf. 37 Es ist hier, da sich schon viele mit dem Pröom beschäftigt haben, nicht nötig, eine vollständige Analyse zu bieten. Siehe neben der schon genannten Analyse Herzogs die Arbeiten von Carubba, Green (2004), ders. (2006) 15–23, van der Nat, Quadlbauer, Roberts (1985), ders. (2004) und Thraede (1993). 38 Herzog (1975) XLV. 39 Siehe zu diesem Topos auch Roberts (1989) 48, Gärtner 424f und Sandnes (2011) 54. 40 Herzog (1975) XLVIII, Hervorhebungen Herzog. 41 Roberts (1985) 69.

352

Zur Gattungsfrage

im Anschluss an Herzog Deerberg, der von einer Gefangennahme der Rhetorik durch die divinae gloria legis spricht.42 Erneut bleibt der Begriff der „Erbauung“ unklar, Herzog selbst bezeichnet eine Begriffsgeschichte als „Desiderat“,43 dessen sich Deerberg jüngst für die Bibelepik annahm. Später zu diskutieren ist, wie sinnvoll die Rede von einer „Gefangennahme“ der Dichtkunst und das Postulat eines „heteronomen Verhältnisses“ sind. Zum Begriff „Erbaulichkeit“ Deerberg bietet eine weit deutlichere Erklärung des wesentlichen Begriffs „Erbaulichkeit“ als Herzog und setzt ihn mit „literarischer aedificatio“44 in Beziehung. Schon im Neuen Testament wird der Begriff verwendet, Deerberg zitiert 1 Kor 14,3: „Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen: Er baut auf, ermutigt, spendet Trost (loquitur aedificationem et exhortationem et consolationes).“ Diese Tätigkeiten sind zentrale Elemente des „innergemeindlichen und zwischenmenschlichen erbaulichen Verhaltens,“45 wobei die aedificatio sich hier wohl stärker auf den Zusammenhalt der Gemeinde als auf individuelle Ansprache bezieht.46 Eine wirkliche Theorie der aedificatio entwickelte sich dennoch lange Zeit nicht,47 erst Hier. Eph. 2 bonus sermo est ad aedificationem opportunitatis, dans gratiam audientibus, qui docet virtutes sequendas, vitia fugienda, nennt die wesentlichen Aspekte, nämlich einerseits gratia, schließt andererseits aber auch einen didaktischen Aspekt, docet virtutes sequendas, vitia fugienda, ein. Im Zentrum jeglicher Betätigung steht „ganz der gewandelten kirchlichen Situation entsprechend – die aedificatio fidelium als Erbauung der Gläubigen. Ziel wird die christliche Tugendhaftigkeit [...]. Medium der Erbauung ist in allen Zeiten die Heilige Schrift: divinis nos aedificemus eloquiis, sagt Ambrosius.“48 Auch 42 43 44 45 46

Deerberg 349f. Herzog (1975) LXXVII. Deerberg 351. Ibid. 352. L. Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, Stuttgart 2013 (ThKNT 7) 271: „Prophetie richtet sich nicht nur an Individuen, sondern auch an die Glieder des Körpers Christi. Das Haus Gottes wird aufgebaut [...].“ Ähnlich auch H. Merklein / M. Gielen, Der Erste Brief an die Korinther. Kapitel 11,2–16,24, Gütersloh 2005 (ÖTKNT 7,3) 173f: „Aus der Verquickung von Hoffen und Handeln entsteht Konstruktives, das die Gemeinde stärkt und die gestärkte Gemeinde bestehen und wachsen lässt. Eben das ist von Paulus mit ‚Erbauung‘ oder ‚Aufbau‘ [...] der Gemeinde gemeint“, J. Kremer, Der Erste Brief an die Korinther, Regensburg 1997 (RNT 6) 300 und A. Lindemann, Das Erste Korintherbrief, Tübingen 2000 (HNT 9,1) 299. Sehr differenziert auch W. Schrage, Der Erste Brief an die Korinther. 1 Kor 11,17–14.40, Zürich/Düsseldorf 1999 (EKK VII/2) 386f mit Verweis auf O. Michel, Art. οἰκοδομεῖν und οἰκοδομή, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 5 (1954) 139–150. 47 Vgl. ibid. 351–354. 48 Ibid. 358. Deerberg zitiert Ambr. Serm. Sess. 3,10 (PL 18, 140).

Auswertung

353

die Exegese wird eingebunden, so ist nämlich ihr Ziel, ganz erbaulich, zu lehren, vgl. Eucher. Form. 8 (CSEL 31, 48,18 Wotke) aedificare: bona opera facere vel bene docere. 49 Das Gesagte bezieht sich zwar auf Predigt und Exegese, ist aber auf Dichtung durchaus anwendbar. „,Religiöse Dichtung ... appelliert an ihren Leser ... sich gewisse theologische Inhalte gefühlsmäßig [bzw. in der Antike „lebenswirklich“] zu eigen zu machen.‘“50 Das sah Herzog noch anders bzw. legte es missverständlich dar, ist doch der problematische Begriff „Andacht“ im Sinne Herzogs bzw. eine rein innere Spiritualität keineswegs ausreichend, um Erbaulichkeit zu fassen. Löst man also die Erbauung von der ausschließlich spirituellen, „andächtigen“ Deutung und versteht sie als Durchdringung des Glaubens mit praktischer Konsequenz, so fasst sie den theologisch-exegetischen Anspruch der Bibelepik. Zum Begriff „Heteronomie“ An die Erklärung dieses Begriffs schließt sich notwendigerweise die Frage nach dem Verhältnis von Erbauung und Dichtung an, also die Frage nach der von Herzog angenommenen „Heteronomie“. Neben Herzog sehen auch andere ein im Proöm ausgedrücktes ambivalentes Verhältnis zur Gattung Epos, so heißt es etwa bei van der Nat: „Damit [mit dem Rückgriff auf Vergil und Homer, nicht aber ihre mendacia] wird sein Werk ausdrücklich als Epos bezeichnet, aber zugleich scharf kontrastiert mit der profanen Epik.“51 Ähnlich werten Quadlbauer, 52 Smolak,53 Šubrt,54 Roberts55 und, an dieser 49 Vgl. Deerberg 359: „Durch die Einbeziehung der Lehre ist auch einer Einschränkung der Erbaulichkeit auf ‚pietistisch-affektische‘ Rührungen der Weg versperrt.“ 50 Ibid. nach H.R. Picard, Dichtung und Religion. Die Kunst der Poesie im Dienst der religiösen Rede, Konstanz 1984, 88f. Der Zusatz stammt von Deerberg. 51 Van der Nat 251. 52 Vgl. Quadlbauer 196: „Neben dem gesicherten Sieg über den Rivalen im Bereich des Wahrheitsgehaltes ist dabei an den Wettbewerb in künstlerischer Hinsicht zu denken“. 53 Vgl. Smolak (1979) 18: „Im ersten (1–14) Teil kritisiert der Dichter die traditionellen Vorstellungen vom Wesen des Epos und der Unsterblichkeit der Dichter. Im zweiten (15–27) entwickelt er aus dieser Kritik ein Epos-Konzept unter dem neuen weltanschaulichen Gesichtspunkt. Damit stellt er sich in Gegensatz zur bisherigen Dichtung. Diese Haltung, sich als Dichterpersönlichkeit abzuheben, beruht aber ihrerseits auf einem herkömmlichen Motiv, dem sog. „alii-ego-Topos“ [...].“ 54 Vgl. Šubrt 16: „A new independent literary form arises which can neither be unambiguously regarded as a prolongation of the original ‚pagan‘ epic nor can it be clearly separated from this tradition.“ 55 Vgl. Roberts (1989) 47f: „Juvencus clearly understands his poem as epic. He compares it with the songs of Homer and Vergil. [...] But whereas classical epic celebrates wordly glory, Juvencus’ subject is the ‚living/life-bringing actions of Christ‘: that is, not just the actions of his life, but the actions that bring salvation to humankind. The formulation already implies a challenge to classical epic. Though epic is essentially a narrative genre, in its Christian exponents it is capable of taking on a further spiritual dimension that transcends the historical sequence of events.“

354

Zur Gattungsfrage

Stelle noch skeptisch gegenüber der Epik, später aber als vehementer Anwalt der Gattungskontinuität Green. 56 Ähnlich argumentiert Kirsch, 57 lehnt aber zuletzt „Herzogs Juxtaposition autonome antike Dichtung – heteronome und deshalb nicht eigentlich poetische christliche Dichtung“58 ab. Diese Ablehnung findet sich auch bei Green wiederholt,59 ähnlich urteilt Trout: „Juvencus at once claims and transforms such familiar epic themes as poetic rivalry, divine inspiration, literary immortality (on multiple levels) [...].“60 Auch Deerbergs Rede von der „Gefangennahme“ der Rhetorik, ausgedrückt durch IV 805 caperet, ist in dieser Form problematisch. Capere wird im Epilog noch zwei Mal (803 und 811) ohne einen solchen Unterton verwendet, eine solch scharfe Ablehnung der eigenständigen Bedeutung der sprachlichen Schönheit ist nicht indiziert. Man muss bedenken, dass auch die Aeneis kaum „Literatur um ihrer selbst Willen“ war, sondern einen hohen politischen und philosophischen Anspruch in der Auseinandersetzung mit der Reichsideologie und der Stoa hat, damit also mindestens teilweise „heteronom“ war. Gleiches gilt auch für die Georgica, auf die Iuvencus in seinem Epilog ja sogar deutlich rekurriert (siehe oben zu 804 divinae gloria legis und zu 806 haec ... tribuit). Diese Anspielungen ordnen Iuvencus also im Bereich zwischen Lehrgedicht (also einem „Grenzfall des Epos“61) und Epos ein. Unter diesem Gesichtspunkt scheint der Begriff ohnehin ein Anachronismus zu sein, da kaum eine Periode der gesamten Literaturgeschichte wirklich beanspruchen konnte und kann, Literatur ohne Ziel, nur um ihrer selbst willen, zu schaffen;62 für das klassische Epos ist sicher, dass es eine identitätsstiftende Wirkung (etwa als Nationalepos) hatte. Wenn auch ein solcher Anspruch nicht gattungskonstitutiv ist – Ovids Metamorphosen haben ja bestenfalls in geringen 56 Vgl. Green (2004) 220: „Juvencus claims that his work is superior in various ways to that of the poets, even Homer and Virgil, who have been singled out as the most famous. (Whether they are singled out as specifically epic poets, and whether Juvencus hereby marks them as his particular predecessors, is less certain.).“ Diesen Gedanken bestätigt Green (2006) 19f. 57 Vgl. Kirsch 88f. „Den Alten gegenüber bietet Juvencus Wahrheit. Diese wird zugleich neu bestimmt. Sie besteht nicht in der historischen Treue der Darstellung, auch nicht in philosophischer Stimmigkeit, sondern ist eine Glaubenswahrheit, die seit den Paulusbriefen für christliches Verständnis eine Wahrheit eigener Art ist. Damit überbietet der Dichter von vornherein alle ältere Poesie. Er begreift sein Verhältnis zu seinen Vorläufern nicht als eines der aemulatio, des poetisch-stilistischen Wettbewerbs, sondern sieht allein schon durch das neue Thema seine Überlegenheit gesichert.“ 58 Ibid. 117 Anm. 210, Hervorhebung Verf. 59 Vgl. Green (2006) 23: „In the ultimate scheme of things the classical poets are inferior, and transitory; but here and now their aesthetic value is not negligible, and they are an integral contribution to his poetic appeal, part of the ornamenta which, as he claims in the Epilogue, the divine law willingly takes upon itself in his poem“ und ibid. 134: „Juvencus, within the limitations of his paraphrase, similarly takes over what he can from Vergil and post-Vergilian epic in a way that shows respect, even affection, for Vergil and was intended to exploit, not expunge, his unparalleled claim on the affections of late Romans.“ 60 Trout 552. 61 Pöhlmann 820. 62 Vgl. Stella 21, der mit ebendiesem Argument die Rede von Autonomie ablehnt. Siehe auch Fontaine (1981) 76.

355

Auswertung

Zügen in den Büchern 14 und 15 eine solche Wirkung, sind aber dennoch, so inzwischen kaum mehr angezweifelt, episch – ist er dennoch vielfach vertreten worden und zur Gattung Epos besser passend als zu jeder anderen. Eine christlichidentitätsstiftende Wirkung ist also auch unter diesen Bedingungen vorstellbar. Das Argument, Iuvencus sei nun der Erste, der überhaupt eine nichtliterarische Dichtungsmotivation so offen zugibt, ist nicht haltbar; man denke nur an die Selbstaussagen des Lukrez.63 Das Lehrgedicht, das Iuvencus, wie aus dem Rückgriff auf die Georgica hervorgeht, zumindest im Hinterkopf hatte, wurde in der gesamten Literaturgeschichte vor allem an seinem Verhältnis zum Epos gemessen; man fragte sich, ob es dieser Gattung zuzurechnen sei – für eine große Inklusivität des Begriffs Epos spricht zum Beispiel Toohey64 – bzw. wie seine Verwandtschaft zu ihr zu werten ist.65 Zweifellos ist nicht (nur) literarischer Genuss, sondern auch ein externes Ziel, sei es philosophische, sei es praktische Unterweisung, Zweck der Dichtung. Zu Recht schreibt Effe: „Wo ferner der Gesichtspunkt der ästhetischen Autonomie, des ‚sprachlichen Kunstwerkes‘ bestimmend in den Mittelpunkt gerückt wird, steht die Lehrdichtung notwendigerweise ‚als zweckbestimmte und also nicht mehr autonome Literatur außerhalb der eigentlichen Dichtung.‘ Ein derartig eingeengter Begriff der Dichtung – er wird in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft [...] abgelöst durch den weniger restriktiven Begriff des literarischen Textes – setzt sich in fatalen Widerspruch zur literarischen Wirklichkeit, zumal derjenigen vergangener Jahrhunderte.“66

Auch Effe lehnt wie oben Kirsch also die Unterscheidung zwischen „autonomer“ und „heteronomer“ Dichtung ab. Das gilt ferner nicht nur für das Lehrgedicht, sondern ebenfalls für jede andere Gattung, da man den Vorwurf gegen jeden Text führen könnte.67 Zwar erweist sich die Rede von streng „heteronomer Literatur“ nicht als hilfreich, um „eigentlich“ poetische Texte abzugrenzen. Dennoch muss dort, wo ein äußerer Zweck erkennbar ist – und das ist in geradezu jedem literarischen Werk der Fall – dieser erkannt, eingeordnet und untersucht werden. Dies geschieht hier zum Teil in der theologischen Untersuchung (siehe oben S. 341– 342). Die erbauliche Gestaltung der Evangeliorum Libri Quattuor Einige weitere Ansätze Herzogs zu Technik und Zielsetzung des Dichters sind unbedingt einer näheren Betrachtung wert. Er fordert nämlich zu Recht eine Untersuchung der Besonderheiten des Werkes als (neuen) Sonderfall des Epos.68

63 64 65 66

Das Fehlen einer solchen Untersuchung wird besonders von Röttger 129f kritisiert. Toohey 5–7. Vgl. Pöhlmann 835. Effe 13, mit Rückgriff seinerseits auf W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk, Bern 334. 67 Vgl. ibid. Anm. 9. 68 Herzog (1975) LVIIIf.

11

1965,

356

Zur Gattungsfrage

So findet er ein Kriterium für die von ihm angenommene „Destruktion des Epos“:69 „Iuvencus hat die Bibel nach seinem Verständnis zu vermitteln versucht, er hat jedoch weder auf eine ästhetisch eigenwertige Handlung noch auf eine konsistente Handlung überhaupt Wert gelegt.“70

Mit anderen Worten: Da, wo die narratio der biblischen Vorlage auf der Ebene des Gesamtwerks und/oder der Ebene der Perikope durchbrochen wird, kann zu Recht von der „Destruktion des Epos“ gesprochen werden – wo das nicht der Fall ist, nicht. Ähnlich urteilt später auch Roberts, der zugeben muss, dass die narratio anders als im paganen Epos sehr häufig durch „lyric hymns of praise to God, passages of polemic or apologetic, moral instruction or protreptic and allegorical exegesis of the text“71 unterbrochen wird. Die Technik, die der Dichter dabei nutzt, beschreibt Herzog mit den Termini „Applanierung“, d.h. Beseitigung all dessen, was ihm unwichtig erscheint, und „erbauliche Reliefierung“, d.h. Einsetzung von Epitheta, genaue Beschreibungen und ähnliche Merkmale des „epische[n] Affektschema[s]“ mit dem Ziel, die Erbaulichkeit zu fördern. 72 Problematisch ist Herzogs weitere Definition dieses „erbaulichen Reliefs“: „Man bemerkt aber bald, daß diese Zusätze zuweilen quer zum Kontext stehen, m.a.W.: die Paraphrasten übertragen nicht nur die Hülsen traditioneller Epitheta passend zur Vorlage auf ihre neuen Personen, sondern entwickeln eigene Stereotypen, die die Vorlage durchschlagen. [...] Es handelt sich bei diesen Bezeichnungen um erbauliche Konstanten, dem Text starr aufgesetzte Andachtsmanifestationen. Sie bilden den Kernpunkt erbaulicher Reliefformen.“73

Wenn es sich dabei auch um aus dem paganen Epos entnommene Epitheta handele, seien sie doch völlig verschieden gebraucht: „Was sie [nämlich die christlichen Epiker] rezipieren, waren poetische Vorprägungen, affektive und bildliche Klischees, nicht die Technik einer primären Epik.“74 Nach Herzog die „ausgebildetste Form“ dieser Technik sind die Verse IV 642–646 traditus est trucibus iustus scelerisque ministris / militibus; sceleri 75 ludibria corpore praebet. / Purpureamque illi tunicam clamidemque rubentem / inducunt spinisque caput cinxere cruentis, / inque vicem sceptri dextram comitatur harundo. Die Szene wird stark antithetisch ausgestaltet. Für solche Gestaltungen finden sich noch mehr Beispiele, etwa IV 653–656 ecce sed egressi quendam cepere Simonem / Cyrena genitum lignumque afferre iubebant / quo dominum lucis iussis suffigere saevis / instans urgebat saecli immutabilis ordo. Diese sehr ergiebigen Verse stellen den dominus lucis auf engstem Raum seinem vom ordo saecli, also der christlichen Umdeutung des vergilischen ordo saeclorum, vorher69 70 71 72 73 74 75

So die Überschrift eines ganzen Kapitels. Herzog (1975) 89, aktualisiert als „exegetische Auflösung der narratio“ in Herzog (1989) 57. Roberts (1985) 220. Herzog (1975) 148. Ibid. 132. Deerberg 334 nach Herzog (1975) 154. Siehe zu dieser Konjektur oben zur Stelle.

Auswertung

357

bestimmten harten Schicksal entgegen. Wichtig sind für Iuvencus psychologische Erklärungen, besonders bei der Beschreibung derer, die gegen Jesus agitieren, wie mit Blick auf einen möglichen furor Iudaicus oben S. 332–339 diskutiert wurde. Ein eindrückliches Beispiel hier sind die Verse IV 778f sed manus amens, / iam semel insano penitus devota furori [...]. Die drei dort verwendeten Begriffe amens, insanus und furor sind wesentlich für die Beschreibung der inneren Motivation der Gegner Jesu. Dennoch sind sie nicht unepisch, sondern schlicht wertend – der Begriff furor ist z.B. schon in der Aeneis zentral (siehe weiter oben zur Stelle). Ähnlich verhält es sich mit der narratio. Zwar sind Übergänge, der Vorlage geschuldet, weniger ausgestaltet und glatt als im klassischen Epos (siehe oben S. 320), es wird aber offenbar, dass Iuvencus sich bemüht, der epischen Tradition gerecht zu werden. An einem der vielen Sonnenauf- oder untergänge (allein in dieser Arbeit IV 586f, 716f, 727–729, 743f und die Sonnenfinsternis 687–691) kann dieses doppelte Anliegen gezeigt werden; 586f sidera iam luci concedunt et rapidus sol / progreditur radiis terras trepidantibus implens. Die Ausdrücke sind episch bzw. poetisch (sidera concedunt bei Ov. Her. 18,71f und 20,55f, ähnlich Sil. VII 544f; rapidus sol bei Catull. 66,1, Ov. Met. VII 225 und öfter, flackerndes Licht als tremulum lumen bei Verg. Aen. VIII 22–24, terras im-plere bei Lucr. V 591–593 und Sil. VIII 192), wie überhaupt die Beschreibung von Tagesanbrüchen und -enden. Dennoch verbindet Iuvencus auch exegetische Ziele mit dieser Versgestaltung; die schnelle Sonne und das flackernde Licht z.B. schaffen eine der Passion angemessene Atmosphäre. Dass Ausgestaltungen, wie die Beispiele sie zeigen, der persönlichen Andacht einzelner Christen zuträglich sein konnten, ist kaum bestreitbar. Dass sie aber dabei, obwohl sie die Merkmale, Vokabeln und Techniken des antiken Epos übernehmen, die Bibelepik bei Iuvencus aus dessen Tradition lösen, ist m.E. nicht zu halten: „Dès lors, comment accepter la brutale formule d’un critique moderne, pour qui l’épopée biblique aurait ‚detruit’ l’épopée antique? Ce serait bien méconnaître les mutations de l’épopée antique, en amont de Juvencus. Ici encore, les ruptures sont moins frappantes que la continuité [...].“76

Die genuin christlichen Anliegen, die Herzog zu Recht erkennt, haben ihren Platz in der Gattung Epos. „Primäre“ und „sekundäre“ Epik Was ist zunächst mit der oben angesprochenen „Technik einer primären Epik“, die Herzog bei den christlichen Dichtern vermisst, gemeint? Hainsworth definiert sie wie folgt:

76 Fontaine (1981) 80.

358

Zur Gattungsfrage „primary epic is heroic poetry writ large, its range extended and its insights deepened. At the very least the epic puts people, and therefore feelings, hope, despair, sorrow, and triumph, in77 to the events of the heroic lay [...].“

Nach Hainsworth folgt auf Homer, den einzigen Dichter, dessen Werk wirklich als „primary epic“ bezeichnet werden könne, sogleich das „literary epic“. Dessen Kriterien sind folgende: „[...] the poet of a literary epic is not the anonymous spokesman for his age, and he cannot help but add a private note to his public voice [...]. Poets continued to respond to the idea of heroic action but blended it with other themes. National and party patriotism are prominent and gave rise to their own subgenre, the historical epic. Religion, a weak force in the main classical periods, enters at the end of antiquity [...].“78

Man wird Herzog und vor allem Deerberg nicht unterstellen dürfen, dass sie Iuvencus ausschließlich mit Homer vergleichen wollten, Hainsworths weitere Definition des literarischen Epos schließt aber Iuvencus und vor allem auch seine persönlichen exegetischen Punkte grundsätzlich mit ein und verunmöglicht eine scharfe Trennung zwischen den Anliegen etwa Vergils und Iuvencus’. 79 So argumentiert Hardie zu Recht: „The Christian epic tells of a universal struggle of a particular sort, that between the forces of Heaven and Hell. But in this respect too the necessary adjustment had already been made by Virgil. So far as we can tell, in the absence of so much earlier Hellenistic and Roman Epic, the Aeneid innovates by the introduction of a radical dualism into the epic conflict, a dualism which then enters the Roman tradition to flow in an uninterrupted stream into the Christian 80 successors [...].“

Ohnehin sieht Herzog die von ihm postulierte erbauliche Technik als erst „von Sedulius zur Perfektion gebracht.“81 Er hat nun, um zu zeigen, dass sich der Epiker im Laufe der Zeit immer stärker „in das Epos hinein“ bewegt, einen Vergleich zwischen den Todesszenen des Anchises (III 707–715) bei Vergil, des Hamilkar bei Silius und Johannes des Täufers bei Iuvencus angestellt. Er kommt zu dem Schluss, dass schon Vergil das „primäre Epos“ hinter sich lässt, dadurch dass er „noch hinter der Maske einer Person in die Handlung“ eindringt, 82 indem er nämlich beim Bericht vom Tod des Anchises vor allem Aeneas über seine psychische Situation sprechen lässt. „Der Tod ist kein Schicksal des Opfers; er ist eine Veränderung in der Innenwelt der Erzählenden, eine letzte Realisierung seiner labo-

77 Hainsworth 7. 78 Hainsworth 9f. Vergils Dualismus setzt sich bei den christlichen Dichtern fort. 79 Interessant ist hier, aus anderer Perspektive, D. Fowler, The Didactic Plot, in: M. Depew / D. Obbink, Matrices of Genre. Authors, Canons, and Society, London / Cambridge (Mass.) 2001, 205–219, der für die Wichtigkeit einer Handlung, eines „Plot“ in „Didactic Poetry“ spricht. Umgekehrt ist natürlich Unterweisung und zumindest eine gewisse Lenkung für das (sekundäre) Epos kaum verzichtbar. Mit Blick auf Iuvencus lehnt auch Collier 43f die Suche nach einem (ohnehin nicht existenten) Idealepos ab. 80 Vgl. Hardie 58–60. 81 Ibid. 82 Herzog (1975) 76.

Auswertung

359

res.“83 Das ist angesichts dessen, dass Aeneas selbst Dido von seinen Irrfahrten erzählt, nicht verwunderlich, der innere Erzähler (Aeneas) spricht schließlich von sich selbst. Silius, als erster paraphrastischer Epiker, habe dann die narrative Intention gegenüber einer „sekundären Handlung“84 ganz hinter sich gelassen, während Iuvencus „weder auf eine ästhetisch eigenwertige Handlung noch auf eine konsistente Handlung überhaupt Wert gelegt“85 habe. Wenn auch Herzog nicht überzeugen kann und geringe Mängel bzw. Änderungen in der epischen Technik (etwa eine episodale Struktur bei Silius oder das häufigere Auftreten psychomachischer Elemente bei Iuvencus) zu einer „Destruktion des Epos“86 überbewertet – vor allem Green weist Herzogs Überlegungen überzeugend zurück – 87, kann hier ein gemäßigterer Blick auf Vergil, Silius, Iuvencus und Sedulius illustrieren, wie sich die narrative Haltung verändert, kann ferner gezeigt werden, dass der wesentliche Wandel (aber nicht „Bruch“ oder „Destruktion“) zwischen Iuvencus und Sedulius mit dem entscheidenden Wechsel der Rezeptionssituation stattfindet. Ein gutes Beispiel für die Entwicklung von Vergil über Silius und Iuvencus zu Sedulius ist die jeweilige Behandlung von Selbstmorden, nämlich dem der Amata, der Taurea und natürlich des Selbstmordes des Judas, der oben im entsprechenden Kapitel (S. 96–128) bereits verglichen wurde. Zu lang, um sie hier in Gänze zu zitieren, ist die (erste) Rede der Dido vor ihrem Selbstmord (Aen. IV 590–629). Eine lange Klage über Aeneas und ihr Schicksal beschließt Dido mit dem Schwur: exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor, / qui face Dardanios ferroque sequare colonos / nunc olim, quocumque dabunt se tempore vires. / Litora litoribus contraria, fluctibus undas / imprecor, arma armis: pugnent ipsique nepotesque (625–629). Auch die zweite und letzte Rede vor der eigentlichen Handlung schließt so: hauriat hunc oculis ignem crudelis ab alto / Dardanus, et secum nostrae ferat omina mortis (661f). Erst nach diesen Verwünschungen tötet sie sich; eine Tat, die in nur zweieinhalb Versen beschrieben ist. Für eine Bedeutung, die über die eigentliche handlungsimmanente Dimension hinausgeht, gibt es also in der Aeneis – Herzog bringt mit dem Tod des Anchises schließlich ein weiteres Beispiel – einige Belege. Dafür, dass eine solche externe Dimension im Epos fehlen sollte, gibt es jedoch keinen Grund. Von einer „Destruktion“ kann keine Rede sein. Zu Silius. Im dreizehnten Buch der Punica tötet sich Taurea, vom Dichter gelobt (Sil. XIII 369–380). In einem knappen auktorialen Kommentar in den Versen 369f lässt der narrator kurz seine Stimme erklingen, ohne dabei jedoch in die eigentliche Handlung einzudringen; er kommentiert für seinen Leser nur, warum er das Folgende schildert. Dabei werden nun die beiden Reden genutzt, um über 83 84 85 86 87

Ibid. 74. Ibid. 83. Ibid. 89. Ibid. 156. Vgl. Green (2006) 48f. Er bezeichnet das Kapitel bei Herzog zu Recht als „one of the most opaquely argued and most rarely discussed passages of his book“.

360

Zur Gattungsfrage

die Natur der Todesstrafe und des Todes im Kriege, wobei der letztere Tod Taurea deutlich ehrenvoller scheint, nachzusinnen. Die Szene weist so über das rein Narrative hinaus, nach Herzog eines der Hauptziele der Punica88 (dass sich auch die Aeneis über ihre eigene Handlung hinausdeutende oder gar überzeitliche Ziele zu eigen macht, mit welcher voice auch immer, übersieht er). Dabei handelt es sich um die Technik, die Herzog bei Vergil als Eindringen des narrators „hinter der Maske einer Person“89 bezeichnet. Diese Technik ist aber eben seit Vergil im epischen Repertoire fest verankert (wie oben gesehen). Der Tod, in immerhin etwas mehr als zwei Versen und deutlich beschrieben, ist nicht für sich selbst relevant, sondern die Interpretation, die Taurea bzw. Fulvius in ihrer jeweiligen Antwort geben, jedoch ist ebendiese auch das, was man vom Epos erwartet – nicht bloß eine grausame, sondern auch eine deutende Darstellung. Iuvencus’ Version des Selbstmordes des Judas ist von der Technik seiner Vorgänger kaum verschieden. Er beginnt in den Versen IV 626f mit der Erkenntnis des Verräters, der seinen furor begreift. Dieser reagiert darauf infelix – ein vergilisches Epitheton – und wirft das Geld fort. In den folgenden Versen 630f wird der Tod selbst berichtet und bewertet: es handelt sich um eine Selbstbestrafung, der Tod ist informis. Hierbei ist der narrator selbst nicht spürbar, die Einblicke in die Psyche des Judas sind ebenso konstruiert wie die in die Psyche der Amata bzw. der Latiner im zwölften Aeneisbuch. Erst im nächsten Absatz, der Reaktion der Hohenpriester, dringt 634f der narrator ein Mal kommentierend ein, wenn er sagt: quod dare tum licitum, cum sanguis distraheretur, / credebant. Dieser Eingriff ist jedoch minimal, er verändert die Erzählhaltung kaum merklich und ist gegenüber der sonstigen narratio nicht abgesetzt; rekursive Kommentare dieser Art sind nichts Ungewöhnliches. Gleiches gilt für die Prophezeiung, die ebenfalls nur als erfüllt berichtet wird, ohne dass der narrator sich bemerkbar macht. Erst bei Sedulius ändert sich, wie oben genauer dargelegt (siehe S. 122–128), die Erzählhaltung erheblich. Eine Apostrophe ist im Epos nicht unüblich. Er gibt jedoch jegliche neutrale Erzählhaltung bzw. den Schein derselben ganz auf und stellt stattdessen Judas harte, wertende rhetorische Fragen; eine bemerkenswerte Invektive (Carm. Pasch. V 59–66; siehe S. 123). Besonders deutlich sind die Verse 59–62: Tune cruente, ferox, audax, insane, rebellis, / perfide, crudelis, fallax, venalis, inique, / traditor immitis, fere proditor, impie latro, / praevius horribiles comitaris signifer enses. Eine eigentliche narratio kommt auch außerhalb dieser Anrede nicht mehr zustande. In den Worten Deerbergs gibt es eine Unterordnung „der imitativ-aemulativen Paraphrase gegenüber ihrer kommentierendexegetischen Schwester“. 90 An dieser Stelle wird der Wandel vom narrativen zum exegetischen Epos ganz offenbar. Iuvencus stößt also, in theologischer Umdeutung epischer Technik, aber auch durch seltenes Eindringen von auktorialen, exegetischen Kommentaren, eine Entwicklung an, hält sich in seiner Paraphrase- und Arbeitsweise jedoch recht streng 88 Herzog (1975) 79f. 89 Ibid. (1975) 76. 90 Deerberg 421.

Auswertung

361

an die Techniken seiner epischen Vorbilder. Erst Sedulius nimmt die Rolle des Exegeten an Stelle der des biblischen narrators an und „substituiert“ sich nicht mehr für diesen.91 Sedulius’ Paraphrase ist deutlich weniger vorlagengebunden als die des Iuvencus, seine Bindung zum narrativen Epos fast gekappt, eine innerhalb der Gattungstradition auffälliger werdende (Roberts: „increasingly“ 92) Trennung von einer reinen narratio also deutlich. Bei Iuvencus aber ist eine narrative Grundhaltung noch immer klar erkennbar, seine Technik ist nicht spezifisch christlich, sondern die christliche Appropriation älterer Techniken: „Unfortunately, it is notoriously difficult to isolate what is specifically Christian in their aesthetic. Concentration on the individual episode (in the New Testament tradition), melodramatic enhancement of the conflict between good and evil, heightened emotional contrast (especially between joy and grief) – all can be paralleled in fourth-century pagan authors.“93

Bei Sedulius dagegen überwiegt der auslegende Anspruch. Diese Unterscheidung macht Glei sehr deutlich: „Auch künstlerisch bleibt das Werk des Sedulius unbefriedigend. Während Juvencus bei aller Texttreue doch eine echte epische Umsetzung gelungen ist, erstickt Sedulius in didaktischem Übereifer jede Handlung unter dem Mantel auktorial verordneter Erbaulichkeit [...].“94

Ein ambivalentes Verhältnis zum (paganen) Epos bleibt, angesichts der eindeutigen Überbietung der paganen Epik schon durch den Inhalt der christlichen in Iuvencus’ Augen, wie im Proöm ausgedrückt, nicht aus; eine scharfe Trennung von der Gattungstradition darin auszumachen ist jedoch, wie gesehen, nicht gut möglich. Polyvalenz der Bibelepik (Green) Es hat sich also gezeigt, dass eine genaue Untersuchung der Bibelepik unter dem Aspekt der literarischen Gestaltung (mit den Methoden der Paraphrase) und unter dem Aspekt des theologisch-exegetischen Anspruchs (unter dem Begriff „Erbaulichkeit“) sehr sinnvolle und notwendige Ansätze sind, die jedoch alleine stets einen Aspekt der Gattung ausblenden, daher also sinnvoll synthetisiert werden müssen.95

91 92 93 94 95

Herzog (1975) 93. Weiter und differenzierter Green (2006) 132f und 376. Roberts (1985) 220. Ibid. Glei 147. Vgl. Malsbary 95: „Regardless of how closely they [sc. Bibeldichter] seem to keep to the text or how drastically they seem to reshape it, we should never forget two things: first, that they are all, as poets, equally faithful to certain fundamental requirements of the traditional hexameter epic medium, and second, that they are all, as Christian poets, equally engaged in the traditional Judaeo-Christian enterprise of actualizing sacred history for a particular human audience.“ Siehe auch ibid. 62.

362

Zur Gattungsfrage

Daher können die beiden von Roberts und Herzog bzw. Deerberg vorgebrachten Gattungskonstituenten jeweils alleine nicht Bestand haben. Diese Polyvalenz der Bibelepik, für die Malsbary argumentiert, verteidigen auch Fontaine, der sich vor allem gegen die „Destruktion“ des Epos wendet, und Green. Dessen Monographie „Latin Epics of the New Testament“ bietet eine grundlegende Einführung in alle Bereiche der Bibelepik. 96 Green legt, wie es schon im letzten Kapitel angesprochen wurde, großen Wert darauf, gerade in der Auseinandersetzung mit Herzog und Roberts, das Epische der Bibelepik und die große Fassungskraft der Gattungsdefinition zu zeigen. 97 Für seine Arbeit lehnt Green zunächst die Verurteilung der Gesamtgattung als genre faux, die er für falsch und zu weiteren falschen Annahmen führend hält, deutlich ab – die Bibelepik sei kein fauler Kompromiss, sondern echte, originäre Literatur.98 Green leugnet dabei keinesfalls, dass Erbaulichkeit eine Rolle spielt – einzig ihre Absolutheit bestreitet er entschieden. „They [gemeint sind Adjektive, die Herzog als „starr aufgesetzte Andachtsmanifestationen“ bezeichnet] not only emphasize elements of the narrative or teaching, but also serve as a major source of the intense unity of moral and emotional focus in the four books, importing what Herzog has called Erbaulichkeit or edification, and Kirsch Psychologisierung.“99 Mindestens Letzteres ist seit Heinze, wie mehrfach gesagt, für Vergil bereits belegt. Erbaulichkeit ist also wesentlich, steht aber neben der narratio (wichtig ist „not only“), ohne sie zu überbieten. Der „Tod des Epos“ war keineswegs eingetreten, was die Bedeutung Vergils zu allen Zeiten eindeutig beweist. 100 Dass z.B. Augustinus Vergil sehr schätzte, ist etwa aus seinem Bekenntnis in Conf. I 13,20f, er habe häufig mit der von Aeneas verlassenen und verzweifelten Dido geweint, klar erkennbar.101 Green sieht die Hauptaufgabe des Philologen, der sich auch die 96 Greens Werk wurde sehr positiv aufgenommen, z.B. von Fr. A. Dykes, Christian Latin Epics, in: CR 58.1 (2008) 174–176 und von P. Schierl, in: Gnomon 81,8 (2009) 709–713. 97 Vgl. Green (2004) 209: „It is probably fruitless to discuss whether the work is or is not epic; for even when allowance is made for the poet’s great fidelity to various formal and substantive features of the Gospels, as it should be, the general epic colouring cannot be denied. There can be no doubting that it fits ancient definitions very neatly: it is a long poem in hexameters, narrative in form, which treats the life and achievement of one individual, and deals with divine and human beings [...]. Juvencus’ project is a most interesting example of the inclusiveness of epic, because what is embraced here is a pattern of writing and thought that has come from a completely different tradition.“ 98 Vgl. Green (2006) 384. 99 Ibid. 42. 100 Vgl. ibid. 377f: „This concept [Erbaulichkeit] is certainly helpful and illuminating, and indeed not so foreign to the classical tradition as it might at first seem [...]. Why Erbauung should be given the primacy over the epic element is not made entirely clear [...]. The death of epic seems to have been greatly exaggerated. More importantly, in this period as in others, Vergil was there, all ready for use, and frequently read and expounded, his influence in so many areas still plain to see.“ 101 Augustinus selbst schreibt (CCL 27, 11,8–14 Verheijen) nam utique meliores, quia certiores, erant primae illae litterae quibus fiebat in me et factum est et habeo illud ut et legam, si quid scriptum invenio, et scribam ipse, si quid volo, quam illae quibus tenere cogebar Aeneae nes-

Auswertung

363

vorliegende Arbeit stellt, in der Interpretation der Nuancen, die sich durch Iuvencus’ Arbeit mit dem Text ergeben – seien sie stilistisch oder theologisch. 102 Dabei sei selten etwas außerhalb der kontinuierlichen narratio stehend oder „exuberant“, 103 sondern passe stets zu Iuvencus’ eigenem Verständnis der Bibel, die er auf eine gewisse Deutung festlegt. Dennoch sind die sprachlichen Allusionen und Vergilia, die bei Iuvencus zweifelsohne in großer Menge zu finden sind, nicht bloß wie Versatzstücke aus dem Epos herausgebrochen, das, nach Herzog, als „Übersetzungsmedium“ diene, sondern haben einen eigenen Zweck, der sich aus dem Epos in Vergilimitation erklärt und jeweils interpretiert werden muss:104 „The influence of epic is certainly present in edificatory passages, as Herzog well illustrates, and it is certainly an element of the paraphrase, as Roberts allows, but Juvencus’ predilection for epic-style expansion within his strict limits should be given greater weight. Vergil and other epic poets, such as Lucan and Statius, are an important part of contemporary culture, and well within the horizons of the learned reading public, and this factor should not be underestimated. Theological and spiritual purposes are certainly integral to Juvencus’ undertaking, and he is indubitably concerned to give a strictly faithful and thoroughgoing paraphrase, but these are not reasons to exclude him from the rank of epic poets.“ 105

Verortung und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor Mag es auch der engen Bindung an die Vorlage geschuldet sein, dass Iuvencus mit dem Missions- bzw. Taufbefehl in Mt 28,19f schließt, so spannt er damit doch einen Rahmen um sein Gesamtwerk, der auch in der (von ihm selbst hinzugefügten) Begründung für die Mission und Unterweisung zu erkennen ist, siehe dazu oben den Kommentar zum Missionsbefehl und S. 305–307. Jesus sendet bei Matthäus die Jünger aus, alle Völker zu taufen. Dieses ausdrückliche Ziel der Sendung nennt Iuvencus zwei Mal (IV 793f gentibus ... cunctis [...] cunctas ... gentes). Diese Sendung an alle Völker klingt schon im Proöm an, nämlich pr. 20 divinum populis falsi sine crimine donum.106 Alle Menschen sollen dann getauft wer-

102 103 104 105 106

cio cuius errores, oblitus errorum meorum, et plorare Didonem mortuam, quia se occidit ab amore, cum interea me ipsum in his a te morientem, deus, vita mea, siccis oculis ferrem miserrimus. – „Denn wertvoller, weil sicherer, waren jedenfalls diese elementaren Kenntnisse. Mit ihrer Hilfe erreichte ich, daß ich alles Geschriebene lesen und alles schreiben kann, was ich will, bis heute. Dieser Unterricht war besser als der spätere, der mich zwang, die Irrfahrten irgendeines mir unbekannten Aeneas zu behalten und darüber meine eigenen Irrwege zu vergessen, den Tod der Dido zu beweinen, die aus Liebe Selbstmord beging, während ich es in meinem tiefen Elend ungerührt hinnahm, daß ich durch solche Bücher wegstarb von Dir, Gott, mein Leben.“ (Übersetzung Flasch 2005). Belege dafür, dass es sich wirklich um die Didogeschichte in der Aeneis (und nicht einer anderen Quelle) handelt, und weitere Beispiele finden sich in O’Donnells Kommentar zur Stelle. Vgl. Augustine, Confessions II. Commentary on Books 1–7, J.J. O’Donnell, Oxford 1992. Vgl. ibid. 37. Ibid. Vgl. ibid. 51–71, besonders 79 und 377. Ibid. 50. Vgl. Fontaine (1981) 69.

364

Zur Gattungsfrage

den, damit sie das ewige Leben haben, vgl. IV 799 ut vitam possint agitare perennem.107 Schon Heinsdorff betonte die Bedeutung der Taufe und damit der Mission für Iuvencus’ Werk und setzte sie mit den Johanneseinschüben, die er kommentiert, in Verbindung.108 Neu ist hier die konkrete Verbindung zwischen Taufe (bzw. Konversion) und Leben, die wohl aus Joh 20,31 „Diese aber sind aufgeschrieben [...], damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ stammt. Vitalia gesta und vita sind zwar nicht direkt gleichzusetzen, ein „soteriological sense“109 im Proöm und am Ende des narrativen Werkes (vor dem Epilog) ist aber eindeutig; siehe weiter oben zu 799 praecepta, ut ... perennem. Ferner wird dort, IV 798f Ablutisque dehinc nostra insinuate docentes / praecepta, ut vitam [...], geklärt, wie das ewige Leben zu erlangen ist, nämlich indem man den praecepta, den Anweisungen Jesu nach der Taufe, folgt. Zusammengefasst: In Iuvencus’ Werk wie in den Evangelien sind die praecepta Christi enthalten und vermittelt, die in Wahrheit zum ewigen Leben führen. Dabei tut es diesem Anspruch keinen Abbruch, dass Iuvencus sich durch sein Werk, wie oben nach Herzog dargelegt, selbst Erlösung erhofft. Eine solche Verbindung wie auch die zwischen der Errettung der Apostel und deren Weitergabe des Heils hatte schon Ambr. Ios. 12,71 (CSEL 32,2, 116,9–11 Schenkl) haec enim est merces et vita sanctorum, quod etiam alios redemerunt nahegelegt. Alle weiteren Implikationen der für Iuvencus bei der Beschreibung von (wahrer) Jüngerschaft äußerst wichtigen praecepta sind oben, im Kommentar zur Stelle, erörtert worden. Hier muss zunächst nur festgestellt werden, dass dem Werk eindeutig auch eine missionarisch-didaktische Absicht, die in ihm selbst formuliert ist, zu Grunde liegt, dass das Gedicht zu Glauben und Gehorsam führen soll. Damit folgte Iuvencus etwa, wenn auch ohne es genauer philosophisch zu begründen, dem Ruf des Laktanz, obwohl die Wahrheit für sich selbst sprechen könne, die Poesie zu nutzen, um Interessierten bzw. Konvertiten die christliche Lehre näher zu bringen110 und die Schwankenden zu ermutigen und zu belehren. 111 Eine direkte Abhängigkeit von Laktanz lässt sich allerdings nicht nachweisen. Gleiches verlangt auch Augustinus, der das genus grande explizit mit Blick auf Katechumenen für nützlich hält;112 siehe zu den verschiedenen Adressaten unten S. 374–379. Eine Lokalisierung der Evangeliorum Libri Quattuor innerhalb des „evangelizing process“ sahen schon Green113 und Opelt.114 Ähnlich argumen107 108 109 110

111 112 113 114

Siehe weiter unten im Kommentar zur Stelle. Vgl. Heinsdorff 14–40 und 77–81. Vgl. Green (2006) 20f, dort auch Anm. 102 mit Literaturverweisen. Ähnlich Fontaine (1981) 69f und Green (2006) 127–129. Er zitiert 129 Anm. 538 besonders Lact. Div. Inst.: I 1,10 (3,13–16 Heck/Wlosok) [veritatis…] quae licet possit sine eloquentia defendi[…] tamen claritate ac nitore sermonis illustranda et quodammodo adserenda est, ut potentius in animos influat et vi sua instructa et luce orationis ornata. Vgl. ibid. 131f mit Verweis auf Lact. Div. Inst. V 1,9 (437,13–438,1 Heck/Wlosok). Deerberg 455–458, mit Verweisen auf einige Stellen beim Kirchenvater, v.a. Doctr. christ. IV 55–59 (CCL 32, 160–164 Martin). Vgl. Green (2006) 126. Vgl. Opelt 207.

Auswertung

365

tiert Fontaine,115 der Iuvencus’ Werk für Skeptiker als „miel lucrétien“, für offene Nichtchristen als Suasorie, die durch ihre poetische Gestaltung überzeugen kann und für Katechumenen und Christen als eine „pieuse lecture, portant vers la méditation et l’oraison“ sieht.116 Bezeichnet man dieses Ziel als „Erbaulichkeit“, sind die Evangeliorum Libri Quattuor freilich ein erbauliches Werk. Das träfe dann aber eben auch auf De Rerum Natura zu. Die Möglichkeit, ein solches christliches Werk zu schaffen, wird dabei durch Konstantin entscheidend begünstigt; zuvor aber muss ein Blick auf die Haltung der Alten Kirche zum Stil der Evangelien und zur (paganen) Poesie geworfen werden. Die soziopolitische Situation Der aktuellste Versuch einer Annäherung an Bibelepik aus soziopolitischer Sicht stammt von Sandnes, der sowohl einen literarischen (niedriger Stil der Evangelien) als auch einen politischen Grund (Julians Ausschluss der Christen von höherer Bildung) für die Entstehung der Bibelepik sieht. Zuvor untersuchte Hose die Haltung der Alten Kirche zur paganen Bildung sowie die Lage zur Zeit Konstantins und sah die Bibelepik in dieser Situation also zum ersten Mal als möglich und vielleicht sogar geboten. Die Bewertung des niedrigen Stils der Evangelien fiel den Apologeten schwer: einerseits erregte die literarische Anspruchslosigkeit Anstoß, andererseits wird der sermo piscatorius gerade zum Argument gewendet. Häufig wurden Angriffe von paganer Seite mit Verweis auf die historische, philosophische und innere Unzuverlässigkeit und Inkonzinnität, aber auch auf den niedrigen Stil der Evangelien geführt.117 Daher muss sich zum Beispiel Origenes in Contra Celsum mit dem Vorwurf mangelnder Bildung auseinandersetzen (Cels. 6,2 (SC 147,180,1–3 Borret) περὶ τῆς κατηγορουμένης ὑπὸ Κέλσου καὶ ἑτέρων ἐν λέξεσιν εὐτελείας τῶν γραφῶν118, wobei Sandnes feststellt: „The Greek εὐτέλεια means shabby, mean or cheap“119). Er wendet jedoch mit Verweisen auf 1 Kor 1,27 „das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen“ und 1 Kor 2,4 „Meine Botschaft und Verkündigung war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden“ dieses Argument um: Gerade wegen der Einfachheit der Evangelien können diese wirken, vgl. Cels. 6,5 (SC 147,188f Borret).120 Eine ähnliche Ambivalenz findet sich bei Laktanz. Einerseits muss er feststellen, dass die Evangelien wegen ihrer schlichten Sprache beklagenswerterweise bei gebildeten Menschen 115 116 117 118

Vgl. Fontaine (1981) 69.74f.79f. Ibid. 79f. Sandnes (2011) 68f. „[...] Was das anbelangt, dass durch Kelsos und andere die Schäbigkeit bei der Wortwahl der Schrift hart kritisiert wird [...].“ 119 Sandnes (2011) 71. 120 Vgl. ibid.

366

Zur Gattungsfrage

nichts erreichen können. 121 Die Schrift wird mit sehr harten Vokabeln als Ammenmärchen, Dummheit und vulgär (sordida, anilia, inepta, vulgaria) abgelehnt. Auch einige derjenigen, die schon Christen geworden waren, waren nicht fest im Glauben: das gilt vor allem für diejenigen, die Bildung genossen hatten.122 Daher muss die Bildung mit der Religion und umgekehrt zusammengebracht werden, um dafür zu sorgen, dass durch Bildung nicht Schaden, sondern Tugend weitergegeben wird. 123 Auch Laktanz verteidigt selbst an anderer Stelle – unwillig – den Stil der Evangelien: er selbst wollte einen höheren, ciceronianischen Stil, Gott aber eine simple und nackte Wahrheit (simplex et nuda veritas).124 Gottes Plan muss Laktanz freilich akzeptieren. Direkt gegenübergestellt finden sich diese Argumente Div. Inst. VI 21,4–6 (620,6–17 Heck/Wlosok) carmen autem compositum et oratio cum suavitate decurrens capit mentes et quo voluerit impellit. Inde homines litterati cum ad religionem dei accesserint ab aliquo imperito doctore fundati, minus credunt. Wer von Unkundigen unterrichtet wurde, kann scheinbar nicht fest glauben. Der niedrige Stil ist aber Gottes Absicht, damit er von jedem verstanden werden kann: num igitur deus et mentis et vocis et linguae artifex diserte loqui non potest? Immo vero summa providentia carere fuco voluit ea quae divina sunt, ut omnes intellegerent quae ipse omnibus loquebatur. Zuletzt zeigt sich eine solche Einstellung auch bei Augustinus. Als er das erste Mal auf die Evangelien stieß, fand er den Text geradezu abstoßend, besonders im Vergleich mit dem hohen Stil Ciceros.125 Er kommt jedoch im Laufe der Confessiones zu der Erkenntnis, dass es sich bei der paganen Literatur nur um scheinbar hohe Lehre handelt, denn wirklich Entscheidendes fand Augustinus dort nicht.126 Augustinus las Plato und die Dichter, konnte aber nichts finden, dass sich mit etwa dem Johannesprolog vergleichen ließe und ihn dazu befähigte, selbst „Kind Gottes“ zu werden, wie Jesus es denen, die an ihn glauben, dort verheißt. 121 Vgl. Div. Inst. V 1,15–18 (439,3–10 Heck/Wlosok) nam haec in primis causa est cur apud sapientes et doctos et principes huius saeculi scriptura sancta fide careat, quod prophetae communi ac simplici sermone ut ad populum sunt locuti. Contemnuntur itaque ab iis qui nihil audire vel legere nisi expolitum ac disertum volunt nec quicquam haerere animis eorum potest nisi quod aures blandiore sono mulcet, illa vero quae sordida videntur, anilia inepta vulgaria existimantur. 122 Vgl. Div. Inst. V 1,9 (437,13–438,1 Heck/Wlosok) [...] quorum non est stabilis et solidis radicibus fundata et fixa sententia. Nutant enim plurimi ac maxime qui litterarum aliquid attigerunt. Siehe dazu auch Green (2006) 131 und Sandnes (2011) 76. 123 Vgl. Div. Inst. V 1,11 (438,5–9 Heck/Wlosok) ob eamque causam volui sapientiam cum religione coniungere, ne quid studiosis inanis illa doctrina possit officere, ut iam scientia litterarum non modo nihil noceat religioni atque iustitiae, sed etiam prosit quam plurimum, si is qui eas didicerit, sit in virtutibus instructior, in veritate sapientior. 124 Vgl. Div. Inst. III 1,1–3 (201,5–202,4 Heck/Wlosok) Vellem mihi [...] etsi non qualis in Marco Tullio fuit, [...] aliquam tamen proximam eloquentiae contingere facultatem [...]. Sed quoniam deus hanc rei voluit esse naturam, ut simplex et nuda veritas esset [...]. 125 Vgl. Conf. III 5,9 (CCL 27, 31,1–7 Verheijen) et ecce video rem non compertam superbis neque nudatam pueris, sed incessu humilem, successu excelsam et velatam mysteriis [...]. Visa est mihi indigna, quam Tullianae dignitati comparerem. Siehe weiter Sandnes (2011) 78. 126 Vgl. Conf. VII 9,13–15 (CCL 27, 101,1–103,66 Verheijen).

Auswertung

367

Letztlich verteidigt er auch den Stil der Evangelien als zielführend und einzig angemessen, vgl. Doctr. Christ. IV 6,9 (CCL 32, 122,13–16 Green) hac illi locuti sunt nec ipsos decet alia nec alios ipsa; ipsis enim congruit; alios autem, quanto videtur humilior, tanto altius non ventositate, sed soliditate transcendit.127 Insgesamt ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Zwar bemühte man sich sehr, die Sprache der Evangelien als gottgewollt, notwendig und zweckdienlich darzustellen, jedoch müssen die zitierten Apologeten und Exegeten, sei es unterschwellig, sei es offen, zugeben, dass diese ein Glaubenshindernis für viele war. Daher stellte sich auch die Frage, inwiefern aus der paganen Schul- und Bildungstradition Rhetorik und Poesie genutzt werden konnten, genutzt werden durften, um das Evangelium zu verbreiten. Tertullian stand paganer Literatur (und Kultur) noch distanziert gegenüber, wie geradezu die gesamte Schrift De Spectaculis illustriert.128 Auch danach ist die pagane Bildung nicht gut gelitten, sie wird z.B. in der Didascalia Apostolorum ganz abgelehnt.129 Eine andere Haltung entwickelt Origenes, dessen Ausspruch von der „Plünderung der Ägypter“ geradezu namensgebend geworden ist. So wie die Israeliten nämlich Schätze aus Ägypten mitnahmen und für ihren Kult gebrauchten, so ist es angemessen, auch die artes liberales bei der Interpretation und Verbreitung des Evangeliums zu benutzen. 130 Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Appropriation paganer Werke sind Laktanz’ Darlegungen in den Divinae Institutiones, in denen er Vergil geradezu „christianisiert“, vgl. Div. Inst. I 5,11–13 (16,18f Heck/Wlosok) nostrorum primus Maro non longe afuit a veritate [...]. Er zitiert daraufhin Aen. VI 724–727131 und Georg. IV 221–224132 und sieht in beiden Fällen gewissermaßen verborgen ein christliches Gottesbild (in der Aeneis als mens ac spiritus, in den Georgica als allmächtiger Gott) ausgedrückt. Ebenfalls prägt er den Begriff der licentia poetica. Die Dichter sagen nämlich nicht einfach die Unwahrheit, sondern es ist ein Teil ihrer Eigenart, Dinge auszuschmücken, die Wahrheit allerdings in ihren Werken verborgen einzuschließen.133

127 „So haben sie gesprochen und nichts anderes ziemt ihnen, noch (ziemt) ihre Redeweise anderen. Sie passt nämlich zu ihnen. Andere aber übertrifft sie, je bescheidener sie erscheint, desto mehr nicht durch windige Eitelkeit, sondern durch Festigkeit.“ Vgl. ibid. 81, wobei Sandnes dort falsch auf IV 26 verweist. Das Argument wird Serm. 87,12 sinngemäß wiederholt. 128 Vgl. Hose (2006) 78–80. 129 Vgl. ibid. 130 Vgl. Sandnes (200) 144–147. Gnilka spricht von Chresis, dem Begriff des rechten Gebrauchs. Er entwickelt eine Theorie, die hier darzulegen zu ausführlich wäre. Siehe dazu C. Gnilka, Der Begriff des rechten Gebrauchs, Basel 1984. 131 Principio caelum ac terras camposque liquentis / lucentem globum lunae Titaniaque astra / spiritus intus alit totamque infusa per artus / mens agitat molem et magno se corpore miscet. 132 Deum namque ire per omnis / terrasque tractusque maris caelumque profundum; / hinc pecudes armenta viros genus omne ferarum, / quemque sibi tenuis nascentem accersere vitas. 133 Vgl. Div. Inst. I 11,23f.30 (45,12–47,2 Heck/Wlosok) non ergo res ipsas gestas finxerunt poetae [...], sed rebus gestis addiderunt quendam colorem. Non enim obtrectrantes illa dicebant, sed ornare cupientes [...]. Nihil igitur a poetis in totum fictum est, aliquid fortasse traductum et obliqua figuratione obscuratum, quo veritas involuta tegeretur [...].

368

Zur Gattungsfrage „Mit diesen Überlegungen des Laktanz wird jedoch nicht allein die pagane Poesie rehabilitiert – seine Grundannahme von der in der Poesie verborgenen Wahrheit, der veritas involuta, erweist sich als Ansatzpunkt für eine regelrechte christliche Poetik [...]. Poesie, so kann man daraus schließen, ist für Laktanz keine lediglich andere sprachliche Codierung einer – christlichen – Botschaft, sondern hat eine eigene Dignität und erfordert eine eigene Exegese.“134

Ein Beispiel dafür liefert er gleich selbst mit dem Carmen de Ave Phoenice, einem nicht explizit christlichen Gedicht, das sich jedoch sehr deutlich für christologische Lektüre anbietet.135 Weitere Möglichkeiten für den Einsatz der Poesie im Dienste des Christentums skizziert Augustinus in derselben Schrift, in der er zuvor den niedrigen Stil der Evangelien verteidigt hatte, nämlich De Doctrina Christiana. Die Kernaufgabe eines christlichen Redners bzw. Autors bestehe im bona docere et mala dedocere. 136 Die Fähigkeit hoher Dichtung, innerlich zu bewegen, kann dabei eingesetzt werden, vgl. Doctr. Christ. 4,55 (CCL 32, 160,14f Martin) persuadet in grandi, ut agantur, quae agenda esse iam sciuntur nec aguntur. 137 Dabei steht dieser Schritt explizit hinter der Lehre, die vom genus submissum durchgeführt werden muss.138 Eine Leseanweisung für jegliche Poesie im selben Sinn wie bei Laktanz findet sich Ord. I 8,24 (CCL 29, 100f Green). Einem jungen Dichter namens Licentius, der ein Gedicht auf Pyramus und Thisbe verfasst hat, rät Augustinus, „seinem Werk einen christlichen Schluss zu geben, den Mythos also allegorisch zu verstehen [...].“139 Die heidnische Poesie kann also in ihrer Gänze christianisiert werden, der Einsatz der Poesie im Dienste der christlichen Verkündigung und Lehre ist durch Augustinus legitimiert. Dass die Lehre des Laktanz für die Zeit des Iuvencus als größtenteils offiziell akzeptiert gelten kann, wird durch Konstantins Oratio Ad Sanctorum Coetum klar, „einer Karfreitagsbotschaft, die wohl 325 Kaiser Konstantin an die Synode von Antiochien richtete.“140 Zwar verwirft der Kaiser dort zunächst die mythologische Poesie, da die Dichter dort nicht die Wahrheit sagen. 141 Nur wenige Kapitel später aber zitiert er Verg. Ecl. 4,4 und deutet diese als Verkündigung der Geburt Christi und benutzt zudem Laktanz’ Begriff von der poetica licentia, ποιητικὴ ἐξουσία.142 Hose sieht Proba 23 Vergilium cecinisse loquar pia munera Christi als direkte Reaktion auf dieses Programm. Proba wurde dabei z.B. von Hieronymus Ep. 53 nicht positiv aufgenommen. Im selben Brief, in dem er Proba verwirft, lobt der Kirchenvater jedoch Iuvencus, dessen Dichtung also, wie gesehen, durch einen innertheologischen Diskurs, aber auch durch die Haltung des Kaisers – wenn auch nicht ohne jeglichen Vorbehalt gegenüber der Dichtung – insgesamt legitimiert 134 135 136 137 138 139 140 141 142

Hose (2006) 83. Vgl. Wlosok 250–278. Deerberg 455f nach Doctr. Christ. 4,6 (CCL 32, 119,1–5 Martin). Vgl. ibid. 457. Vgl. ibid. Hose (2006) 93. Ibid. 89. Vgl. Hose (2007) 544. Vgl. Hose (2006) 89.

Auswertung

369

und begünstigt wurde. Während Sandnes mit Blick auf die weitere Entwicklung der christlichen Poesie auf Julians Schulgesetzgebung sieht, kann diese aus rein chronologischen Gründen für Iuvencus kaum eine Rolle gespielt haben. Julian trennt die Christen von der paganen höheren Bildung, was durchaus zu einer Reaktion, nämlich der Gestaltung einer eigenen Bildungstradition, geführt haben könnte – jedoch ist das für Iuvencus nicht zu zeigen, zudem in dieser Klarheit nicht belegt.143 So mag das für die Bedeutung und Rezeption der Evangeliorum Libri wichtig sein (auch das lässt sich nicht belegen), kann aber nicht als Motiv für ihre Entstehung gelten. Daher versteht auch Sandnes das „neue Klima“ des vierten Jahrhunderts unter Konstantin als für Iuvencus, Julian als für die folgenden christlichen Dichter von Bedeutung.144 Auch innerliterarisch gibt es einen Grund für die Entwicklung einer neuen Gattung Epos. Nemesian klagt in seinen Cynegetica, erschienen wohl „zwischen Dezember 283 und September 284,“145 dass alle mythologischen Stoffe, die er behandeln könnte, schon behandelt wurden, vgl. 46f haec iam magnorum praecepit copia vatum / omnis et antiqui vulgata est fabula saecli. „Das Problem, an dem sich das Proöm abarbeitet, ist ein [...] ‚innerliterarisches‘. Das traditionelle epische Dichten ist an ein Ende gelangt: fabula omnis vulgata est. Diese Klage Nemesians greift sogar auf einen Gedanken der griechischen Literatur zurück, auf die Persika des Choirilos von Samos [...].“146 Dieser findet nämlich, da er alle Mythen schon behandelt sieht, im historischen Epos einen Ausweg. Nemesian findet sich also wie Choirilos in einer „poetischen Krise, die es durch einen Neuansatz zu bewältigen gilt. Neuansatz wohlgemerkt – nicht aber eigentlich Neuanfang.“147 Das Aufkommen eines neuen Stoffs in der epischen Gattung, nämlich des Evangeliums, ist so auch innerliterarisch zu begründen; zur Gattungsentwicklung mehr im nächsten Abschnitt. Zusammengefasst: Eine einheitliche Meinung zur Wertung des Stils der Evangelien oder zum Umgang mit paganer Bildung kann nicht gefunden werden, wobei zur Zeit Konstantins (vornehmlich durch Laktanz) die Nutzung rhetorischer und poetischer Traditionen weitgehend legitimiert war. Ob Iuvencus auf diesen Anspruch bewusst antwortet, ist nicht zu zeigen, da Iuvencus erst in den letzten Lebensjahren des Laktanz in Erscheinung trat und Letzterer in Konstantinopel, also von Iuvencus’ Heimat Spanien weit getrennt, wirkte. Dass mit Ossius von Cordoba ein Spanier beim Konzil von Nizäa war, kann dabei nicht als Beleg für eine Bekanntschaft zwischen Iuvencus und Laktanz gelten. 148 In dieser Lage, in der die Akzeptanz der Dichtung im Christentum zunimmt, aber noch nicht unumstritten ist, trifft Iuvencus also offenbar eine Entscheidung für den Einsatz sprachlicher Mittel, was unter Konstantin erstmals sinnvoll möglich wurde. Zur Leitreli143 144 145 146 147 148

Vgl. Sandnes (2011) 85–93. Vgl. ibid. 95. Hose (2007) 536. Ibid. 537. Ibid. 538 mit Rückgriff auf Wlosok 233–249. Vgl. Green (2006) 119f.

370

Zur Gattungsfrage

gion Christentum unter Konstantin musste also auch die Leitkultur Christentum treten. Dass die Evangelien dies gern, libens, taten, ist also keine „dreiste Verdrehung der nach außen gezeigten offiziellen kirchlichen Haltung gegenüber der paganen Dichtungs- und Rhetoriktradition“, 149 sondern die Festlegung auf ein mögliches Verhältnis zur paganen Tradition, nämlich das der Adaption und Appropriation. Dass dabei der Inhalt gegenüber der Form im Vordergrund steht, tut dem literarischen Anspruch überhaupt keinen Abbruch. „Iuvencus’ Bibelepos repräsentiert damit ‚Konstantinische Literatur‘“.150 Es zeigt sich auch hier, dass weder rein literarische noch rein politische noch rein theologische Gründe ausreichen können, um die Entstehung der Bibelepik zu beschreiben. Vielmehr ist eine Synthese all dieser Bereiche notwendig, die auch bei der Kommentierung eines Werkes wie der Evangeliorum Libri Quattuor bedacht werden müssen. Auch die soziopolitische Lage ist ein Argument für die Polyvalenz der Bibelepik. Der nächste Abschnitt soll zeigen, wie dieser neue, christliche Stoff und der christliche Anspruch in ein fortlaufendes theoretisches Konzept der Gattung Epos passen, das somit nicht destruiert, sondern transformiert und erweitert wird. Die Entwicklung der Gattung zum Bibelepos (Kirsch, Harrison) Um die Gattungsentwicklung theoretisch zu fassen, eignet sich als theoretischer Unterbau besonders die Beschreibung einer dynamischen Gattungsentwicklung von Wolfgang Kirsch, verbunden mit dem jüngst von Stephen Harrison neu geprägten Begriff „Generic Enrichment“. Fast alle Schulen moderner Literaturtheorie, sofern sie nicht die Bestimmung von Gattungen als solche ganz ablehnen, erkennen, dass Gattungen keine statischen, sondern dynamische Gebilde sind, die sich entweder innerhalb eines weiten Rahmens entwickeln, also einzelne Merkmale haben, die je nach Werk stärker oder schwächer ausgeprägt sind, sich untereinander kreuzen, oder, so v.a. von Kirsch in Anschluss an die Russischen Formalisten vertreten, durch Einschluss von äußerem bzw. zuvor nichtliterarischem Material bereichert werden.151 Kirsch betrachtet dabei „das Kunstwerk als System von Strukturelementen“. 152 Diese werden im Laufe der Zeit immer wieder ausgetauscht und verschoben, so dass immer neue Gattungen und Subgattungen entstehen, die sich dann in den Augen des „kunstsinnigen Publikums“ wandeln.“153 Das gilt auch für die Begegnung verschiedener Gattungen und der Vermischung ihrer Strukturelemente. Harrison definiert nun „Generic Enrichment“ als

149 150 151 152 153

Deerberg 350. Hose (2007) 558. Harrison 12–14. Vgl. Kirsch 24. Ibid. 24f. Die Rede vom „kunstsinnigen Publikum“ würde heute eher als die auch von Herzog verwendete „Reader Response Theory“ bezeichnet werden.

Auswertung

371

„the way in which generically identifiable texts gain literary depth and texture from detailed confrontation with, and consequent inclusion of elements from, texts which appear to belong 154 to other literary genres“.

Während Harrison in fast allen Werken der augusteischen Literatur Berührungen und Vermischungen verschiedener Gattungen erkennt, kann die spätere „Bibelepik“ als Beispiel dafür dienen, wie weit oder weniger weit entfernte Gattungen ins Epos eingeschlossen werden.155 Dieses als „host genre“ nimmt Elemente aus dem Evangelium und dessen Exegese auf, die ihrerseits als „guest genre“ das Epos bereichern und dem Repertoire von Merkmalen, die das Epos hat, einige neue hinzufügen bzw. bestehende umdeuten, ohne dabei das Epos selbst ungültig zu machen. Dieses Repertoire teilt Harrison im Folgenden in drei Teile, nämlich ein „formal repertoire“, ein „thematic repertoire“ und „metageneric signals“. 156 Weiter untergliedert er das formale Repertoire in a) Titel, b) Metrum, c) „linguistic register“, d) Länge und Struktur, e) Adressat und Erzählhaltung, das thematische Repertoire in f) Thema, g) Handlungskonventionen und h) Ton und Narrativität. Als metagenerische Signale werden beispielhaft die Nennung von Autoren (Verg. Ecl. VI 1 Syracosio ... versu) und von Eröffnungen (Verg. Ecl. I 1 Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi) genannt.157 Auf die Bibelepik angewendet ändert sich das formale Repertoire des Epos nur leicht, nämlich durch eine stärker perikopenartige Erzählfolge und einige neu geschaffene Vokabeln. 158 Thematisch sind Christus und seine Lebensmittlerschaft gänzlich neu – das Aufkommen eines neuen Themas im Epos gab es nach Kirsch nur zwei Mal, nämlich mit Choirilos von Samos, der sich von der „abgemähten Wiese des Mythos“159 zu einem historischen Stoff bewegt, und mit Iuvencus. Handlungskonventionen und Narrativität sind im Wesentlichen unverändert. Christus steht weiter fast immer im Mittelpunkt und tritt im weiteren Sinne als epischer Held auf, 160 während Iuvencus eine grundsätzlich narrative Haltung einnimmt, da er, zwar perikopenartig, aber linear von Geburt bis Auferstehung das Evangelium berichtet. Metagenerisches findet sich da, wo Zitate aus dem Alten Testament (als „Gesetz“, „Schrift“ oder Prophetenworte) oder aus anderen Gattungen auftauchen oder von dem Evangelium eigenen Anliegen, etwa der Vermittlung von (ewigem) Leben, gesprochen wird. 154 Harrison 1. 155 In der augusteischen Zeit erkennt Harrison 33 ein Spiel mit den Gattungen, das für gebildete Leser attraktiv war. Das trifft für die Bibelepiker kaum zu, die von Harrison gebotenen „Werkzeuge“ sind jedoch m.E. anwendbar. 156 Ibid. 22. 157 Vgl. ibid. 22–33. Kirsch 22–26 spricht von „Strukturelementen“. Für uns ist dabei v.a. die Erschließung neuer Stoffbereiche (Historienepos des Choirilos, Bibelepos des Iuvencus, 26) relevant. Zwar lehnt Kirsch eine „Kreuzung der Gattungen“ zu Recht ab, m.E. präzisiert Harrison aber genügend, dass es ihm um Einfluss und Aufnahme von Merkmalen einzelner Gattungen, nicht um eine bloße „Kreuzung“ von monolithischen Gattungsgebilden geht. 158 Siehe dazu auch Flury (1968), der aber nicht immer richtig liegt. Einzelne dort besprochene Stellen werden in diesem Kommentar erneut und mit häufig anderen Ergebnissen untersucht. 159 Kirsch (1989) 26. 160 Differenzierter Šubrt passim.

372

Zur Gattungsfrage

Diese Betonung der organischen Entwicklung von Gattungen ist nicht neu, doch klagt Hinds zu Recht, dass zuletzt zu oft das Un-epische als solches betont wird. Neue Elemente sollen also nicht mehr die Essenz der Gattung bedrohen, sondern helfen, sie zu bestimmen.161 Cum grano salis sagt daher Hinds über Statius, aber implizit auch über alle „Epiker“, es sei offenbar „first, that Statius would have failed just as surely as did all his Roman predecessors to come up with an essentially epic epic; and second, that the idea of an essentially epic epic would have emerged stronger, not weaker, at the end of the Achilleid’s innovative negotiations with the genre.“162

Hier lohnt sich auch ein kurzer Blick auf die Gattung, mit der das Epos in Berührung kommt, nämlich das Evangelium. Während man lange Zeit das Evangelium für eine Biographie Jesu hielt,163 kam es durch Rudolf Bultmann zur Entwicklung der Formkritik, die nicht mehr das ganze Evangelium, sondern individuelle Kleinformen untersuchte, aus denen die eigenständige Gattung Evangelium sich zusammensetzt.164 In jüngerer Zeit hat die Biographiethese jedoch wieder Anhänger gefunden, zumal diese Gattung apologetische, polemische und didaktische Aspekte, die den Evangelien häufig zu Grunde liegen, leicht einschließen kann: 165 „The gospels are Christology in narrative form, or less technically, the story of Jesus.“166 Die Evangelien sind also eine neue Form innerhalb der Biographien, die durch ihren schwachen Rahmen (es gibt eine große Zahl kaum ähnlicher Biographien) einen solchen Wandel ermöglichen.167 So schließt die Gesamtgattung Evangelium die „kleinen Formen“ mit ein. Bezüglich des Ziels der Evangelien sind sich beide Seiten der Gattungsdebatte dort einig: Die Evangelien dienen „der Glaubensweckung und Glaubensstärkung [...]. Bücher für den Gemeindegebrauch, zur Vorlesung im Gottesdienst, Missionsschriften sind die Evv., in denen die Schriftsteller ganz zurücktreten hinter der Sache, auch wenn sie ihre Theologie in ihrer Form des Ev. zum Aus168 druck bringen.“

Der „literarische Charakter der Evangelien entspricht ihrer Funktion im innerkirchlichen Gebrauch als Grundlage in der Verkündigung, im Gottesdienst und in der Katechese.“169 „Eine narrative Grundstruktur verbindet sich mit biographischen, historiographischen, dramatischen und kerygmatischen Elementen.“ 170 Das kann man nun auf Iuvencus anwenden. Fraisse untersuchte das Bibelepos vor allem unter dem Gesichtspunkt der Biographie und konnte zeigen, welchen Einfluss 161 162 163 164 165 166 167 168

Vgl. Hinds 223: „threatening the essence of the genre [...], helping to constitute it [...].“ Ibid. Vgl. Burridge 5f. Vgl. ibid. 6. Vgl. ibid. 7. Ibid. 8. Dormeyer 214. Kümmel 13. Es ließen sich noch weitere, auch neuere Definitionen bringen, die aber alle in den für uns relevanten Punkten von Kümmel nicht abweichen. 169 Schnelle 179. 170 Ibid. 184.

Auswertung

373

diese Gattung über die reine Rezeption der „Evangelienbiographie“ hinaus auf das Werk des Iuvencus hat.171 Das, was von Herzog Erbaulichkeit genannt wurde, ist auch dem Evangelium nicht fremd – auch dessen Ziel liegt in „Glaubensweckung und Glaubensstärkung.“172 Auch stellen Herzog und im Anschluss an ihn Green richtig fest, dass Iuvencus sich für den Sprecher der Evangelien „substituiert“, 173 also gleichermaßen hinter seinem Werk und seiner Sache zurücktritt. Erneut zeigt sich also, dass die Einführung eines neuen Begriffs „Erbaulichkeit“ den Gattungen, die den Evangeliorum Libri Quattuor zu Grunde liegen, nichts Wesensfremdes hinzufügt. SCHLUSS Es ließ sich zeigen, dass Iuvencus’ Werk organisch aus der Begegnung des Epos mit dem Evangelium in einer konkreten historischen Situation hervorging. Durch die „Bereicherung“ (enrichment) der Gattung Epos durch das Evangelium erfuhr diese einen Dynamisierungsschub und entwickelte sich somit weiter. Als neuer Horizont drang die christliche Heilsbotschaft in das wesentlichste Großgenre der Antike ein. Eine solche Entwicklung ereignete sich nicht zum ersten Mal, sondern sie ist gerade bei einer Gattung, die mehr als ein Jahrtausend umspannt hat, natürlich: wie schon Vergil in seinen Werken neue Wege beschritten hat, tut dies auch Iuvencus. Das Bibelepos ist also eine spezifische Weiterentwicklungsform des klassischen, paganen Epos und darf nicht scharf von diesem getrennt werden. Ferner ist deutlich geworden, dass die Evangeliorum Libri Quattuor besonders die Verbreitung und Stärkung der christlichen Lehre (also „Erbaulichkeit“ im Sinne Deerbergs) zum Ziel haben, wie es dem Evangelium, dem Lehrgedicht und zu Teilen auch dem Epos zu eigen ist. Der Umgang mit dem Missionsbefehl legt ein solches didaktisches Ziel für Iuvencus selbst ja nahe, das Bibelepos steht also im Dienst der christlichen Verkündigung. Damit neigt es sich bisweilen vom Epos zum Lehrgedicht, wofür es jedoch auch schon Präzedenzfälle gibt (Lukrez, Vergil). Ein eigenes theologisches und didaktisches Interesse des Bibeldichters darf seit Herzog, spätestens aber seit Deerberg nicht mehr aus dem Blick der Forschung verdrängt werden.174 Das durch Iuvencus neu entstandene (Sub-)genre „Bibelepik“ muss daher in seiner ganzen Polyvalenz erfasst werden, als literarisch und theologisch motiviertes Werk.175 171 172 173 174

Vgl. Fraisse, passim. Kümmel 13. Herzog (1975) 93. Weiter und differenzierter Green (2006) 132f und 376. Auch Flieger und Fichtner untersuchen theologische Nuancierung, ohne von Erbauung zu sprechen. Dafür gebraucht Flieger den neutraleren Begriff „Aspektverschiebung“ (ibid. 102). 175 Zu einem ähnlichen Urteil wie ich kommt auch A. Cullhed, The Shadow of Creusa. Negotiating Fictionality in Late Antique Latin Literature (Beiträge zur Altertumskunde 339), Berlin 2015, das erst kurz vor Drucklegung dieser Arbeit erschien und daher nicht mehr in Gänze berücksichtigt werden konnte.

DIE ADRESSATENFRAGE – VERSUCH EINER ANTWORT AUS DEM TEXT Häufig schon hat sich die Forschungsgemeinschaft der Frage gestellt, wer die Adressaten des Iuvencus sind. Diese Frage ist mit der Betrachtung der Gattung oben verbunden, da die Adressatenfrage auch direkt die Zweckfrage betrifft. Neben den gattungstheoretischen, literarischen, theologischen und politischen Perspektiven, die oben im Blick waren, geht dieses Kapitel also noch einmal dezidiert vom auf uns gekommenen Text aus. Nicht nur aus welchen Gründen und in welcher Umwelt sich die Evangeliorum Libri Quattor entwickeln konnten, sondern auch, wie sehr sie diesem postulierten Anspruch gerecht werden können, ist daher zu prüfen. Dazu werden drei Fragen gestellt. Zunächst: Welche Informationen fehlen dem Leser, der mit dem Neuen Testament und der neutestamentlichen Materie nicht vertraut ist? Der erste Vorlagenvers, der keine Entsprechung hat, ist Mt 27,1b consilium acceperunt omnes principes sacerdotum et seniores plebis adversus Iesum, ut eum morti traderent. Dieser ist ausgelassen, da schon zuvor (IV 403–408) vom Plan, Jesus hinrichten zu lassen, berichtet wurde. Grund für die Auslassung ist also Erzählökonomie, siehe auch oben zu 588 e concilio. Gleiches gilt für die Verschiebung von Mt 27,17f hinter den Traum der Frau des Pilatus (IV 603b–605). Weiterhin fehlt bzw. ist deutlich umgewandelt Mt 27,18 sciebat enim, quod per invidiam tradiderunt eum. Dieses Fehlen fällt narrativ jedoch nicht auf. Dadurch, dass von Pilatus’ Wissen um die invidia der Gegner Jesu nicht berichtet wird, verändert sich das Pilatusbild, es bleibt einem unkundigen Leser aber nichts verborgen, das für sein Textverständnis zentral wäre. Das Grundanliegen des Textes, eine Auslieferung Jesu an Pilatus, der seinerseits vom übermächtigen Drängen der Gegner Jesu überwältigt wird, bleibt völlig intakt (vgl. zu 618 vi victus und S. 87–89). Nicht nur das Pilatusbild, auch das Judasbild gestaltet der Dichter nach seinen eigenen Vorstellungen, wenn er Verse aus der Vorlage auslässt. Mt 27,3d–4 retulit triginta argenteos principibus sacerdotum et senioribus dicens: „Peccavi, quod tradiderim sanguinem iustum.“ At illi dixerunt: „Quid ad nos, tu videris“ fehlen bzw. sind in Vers 628 knapp zusammengedrängt, jedoch ohne eine kontinuierliche narratio in den Versen 626–631 zu verhindern; siehe auch oben zur Stelle. Dadurch wird der biblische Text auf einen bestimmten Sinn festgelegt, jedoch nicht im engeren Sinne verfälscht oder verkürzt. In der Tat problematisch sind die Verse 635f agrum mercati nomine vero / sanguinis, horrendo signant scelera impia facto. Dort sind Mt 27,7f stark zusammengedrängt, die Zweckbestimmung des Ackers fehlt, der Name „Blutacker“ wird knapp wiedergegeben. Die Darstellung ist zwar nicht völlig befriedigend, jedoch ist die narratio nicht übermäßig stark durchbrochen. Iuvencus romanisiert

Auswertung

375

und „plausibilisiert“ die biblische Botschaft gewissermaßen. Die Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen, wie es 637–641 der Fall ist, bleibt als solche wesentlich, sie wird jedoch aus dem Kontext gelöst, deutlich vereinfacht und (vor allem aus sich selbst heraus) verständlicher. Es ist also dem Verständnis der Leser nicht ab-, sondern zuträglich, hier zu verkürzen. In der folgenden Perikope, der Misshandlung Jesu durch die Soldaten, fehlt der Halbvers Mt 27,27b in praetorio et congregaverunt ad eum universam cohortem. Dabei werden die Soldaten aus ihrem historischen Kontext als Kohorte des Praetoriums gelöst, ihre Funktion wird auf eine (von außen motivierte, siehe zu 642 traditus est trucibus scelerisque ministris militibus) Rolle als Folterknechte festgelegt; der Sinn der Perikope verschiebt sich leicht, sie ist ohne äußere Erklärung oder Kenntnis verständlich. Matthäus erklärt seinen Lesern die Bedeutung des Namens Golgotha Mt 27,33 als Calvariae locus. Iuvencus gibt diese Erklärung nicht weiter, so dass der Leser die Bedeutung des Namens nicht erfährt. Darin lässt sich ein Zeichen dafür sehen, dass Iuvencus von seinen Lesern eine gewisse Vertrautheit mit diesem Namen erwartete, oder zumindest an der etymologischen Deutung kein Interesse wecken wollte. Sehr stark narrativ und nicht exegetisch orientiert sind die Verse 662–664. Iuvencus berichtet, dass das Gewand Jesu ungeteilt bleibt, erklärt aber nicht weiter, warum das bedeutsam ist. Der naheliegende und exegetisch etablierte Rekurs auf Psalm 21 ist nicht in allen Matthäushandschriften enthalten, und Iuvencus’ starke Vorlagenbindung verhindert hier eine weitere Auslegung. Dem Leser fehlt also nicht etwa eine Information aus dem Evangelium, sondern eine weitergehende Information, die offenbar nicht durch die Evangeliorum Libri Quattuor vermittelt werden sollte. Siehe zur wichtigen textkritischen Diskussion oben zur Stelle. Deutlich verändert ist der hebräische Ruf Jesu am Kreuz, Eli, Eli, lema sabachtani, der nicht nur in der Originalsprache, sondern auch in der lateinischen (bzw. griechischen) Übersetzung vom Dichter nicht wiedergegeben wird. Das geschieht, wie oben zur Stelle dargelegt wurde, weil Jesu Machtlosigkeit, aber auch ein Konflikt zwischen Christus und seinem Vater getilgt werden musste. Durch eine solche Plausibilisierung der Botschaft wird eine Wendung an Nichtchristen bzw. junge Konvertiten wahrscheinlicher, wird doch eine wichtige, aber sehr schwierige theologische Frage vermieden. Dass nach dem Tod die Namen der als matres bezeichneten Frauen fehlen (714, 726, 744 und 768), ist kaum überraschend, tilgte Iuvencus doch regelmäßig solche Details (siehe auch das Kapitel zum möglichen Antijudaismus bei Iuvencus, S. 322–340). Die ausgelassenen Informationen sind also für die deutliche Mehrzahl der Leser ohne Bedeutung, der Fortgang der narratio bleibt ungehindert. Gleiches gilt für die Vielzahl der „Amalgame“ der Gruppen, die sich gegen Jesus wenden (Pharisäer, Schriftgelehrte, Hohepriester) – ohne genaue Differenzierung ist der Text der Evangeliorum Libri Quattuor leichter zu lesen, ohne dass für die meisten Leser relevante Informationen fehlen. Zuletzt lässt Iuvencus jeglichen Hinweis auf eine Verstrickung des Pilatus in den Betrug nach der Auferstehung aus (Mt 28,14f). Darin zeigt sich die Absicht, Pilatus nach Möglichkeit zu

376

Die Adressatenfrage

exkulpieren, ohne dabei die narratio zu durchbrechen; diese bleibt nach Vers 783 verständlich. Das Publikum der Evangeliorum Libri Quattuor ist also vollkommen offen: es kann von Kennern des Evangeliums bis zu interessierten, aber noch uninformierten Lesern reichen. Es schließt sich also die Frage an, ob Letztere eventuell durch einen besonderen exegetischen Fokus überfordert sein könnten. Es ist zunächst communis opinio, dass Iuvencus „universalisiert“, also eine Heilsbotschaft, die sich zunächst an Israel richtete, auf die ganze Menschheit bezieht. Daraus allein lässt sich nur schwerlich ein Argument für seine Adressaten gewinnen, aber: seine Verortung in Spanien, wohl ohne großen Kontakt mit Judenchristen, ist sicher. Die Auslassung von Semitismen (siehe oben S. 322–340) geschah also größtenteils aufgrund der allgemeinen Adressatenorientierung; der Dichter rechnet offenbar nicht damit, dass seine Leser besondere Kenntnisse im Alten Testament bzw. der jüdischen Religion haben. McClure argumentiert weiter, dass die gerade am Ende des vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts blühende Exegese der lateinischen Tradition Iuvencus deshalb wenig zitierte, weil er gerade die Informationen ausließ, die für genaue Exegeten wichtig waren. 1 Ihre Beobachtung ist richtig, das weitere Argument für eine geringe Rezeption der Evangeliorum Libri Quattuor in den unmittelbar folgenden Generationen ist jedoch nicht schlüssig: Iuvencus wertet häufig, auch in derselben Weise wie spätere Exegeten, z.B. indem er auf die fehlerhafte Logik der Hohenpriester, die das „Blutgeld“ von Judas nicht in Empfang nehmen wollen (634), hinweist, die Missachtung des Sabbats durch die Gegner Jesu herausstreicht (727–729) oder die matres in Vers 768 als fidae bezeichnet. Damit wäre er als Quelle vollkommen geeignet gewesen. Es zeigt sich, dass Iuvencus kaum den Anspruch gehabt haben kann, die Bibel zu ersetzen; ein Ziel, das in der Forschungsgemeinschaft inzwischen von niemandem mehr angenommen wird. 2 Iuvencus’ eigene theologische Überzeugungen dringen in einer Weise ein, die die narratio selten, beinahe nie unterbrechen. Der einzige echte Kommentar zu den Handlungen, die er beschreibt, findet sich 634f quod dare tum licitum, cum sanguis distraheretur / credebant, und auch dieser lässt die Lektüre glatt voranschreiten. Auch andere Wertungen entfernen sich von absoluter Vorlagentreue, durchbrechen den Fortlauf nicht. Das gilt für 661 nec tamen insultans hominum furor omnia posset, was zwar ein klar erkennbarer Kommentar des Dichters ist, sich allerdings wegen seiner geringen Länge und dadurch, dass es das zuvor Geschehene zusammenfasst, in die narratio einfügt. Ähnlich verhält es sich mit 779 iam semel insano penitus devota furori, einem verslangen Attribut zur vorher genannten manus amens. Nun dringen nicht nur sehr wenige solcher Unterbrechungen ein, sondern der Ablauf der narratio ist sogar merklich verbessert, sei es durch Schilderungen von Sonnenaufgängen (584f, 734f) oder die Versetzung der Judasperikope sowie einiger weiterer, im Kommentar angemerkter Stellen. Das hebt Iuvencus nicht auf das Niveau etwa Vergils, wie schon von einigen ange1 2

Vgl. McClure 314. Vgl. Green (2006) 135 gegen Herzog (1975).

Auswertung

377

merkt wurde.3 Die Übergänge zwischen einzelnen Szenen sind nämlich verbessert, jedoch ohne die „Geschehensinseln“ 4 völlig befriedigend, v.a. räumlich, zu verbinden; bisweilen bleiben Übergänge zwar deutlich, aber sehr knapp (siehe z.B. oben zu 570 at). Diese theologischen Überzeugungen sind aber weniger Auslegungen auf höchstem Niveau, die eine Auseinandersetzung seitens der Leser erwarten würden, sondern Festlegungen des Textes auf eine bestimmte in der Exegese mögliche Lesart. Ein exegetisch ungebildeter Leser kann also mit Gewinn den Iuvencustext lesen und würde dabei wie als Nebeneffekt mit dieser bestimmten Auslegung vertraut gemacht. Gleiches gilt für die Verwendung von Ironie. Die Gegner Jesu verspotten ihn, als er am Kreuz hängt, und sprechen dabei gewissermaßen aus Versehen die Wahrheit: er ist der Sohn Gottes, wahrhaftig der König Israels. Um diese Ironie richtig einordnen zu können, scheint der Leser auf den ersten Blick diese christlichen Überzeugungen teilen zu müssen. Diese ironische Wendung ist so für einen bereits christlichen Leser zwar logischer und verständlicher als für einen Heiden, jedoch kann auch Letzterer das literarische Mittel richtig rezipieren: Am Ende des vierten Buches ist längst klargeworden, dass Jesus in der Tat der Messias ist. Selbst wenn während der Passion Zweifel aufkamen, sich ein Leser dem Spott der Gegner Jesu innerlich anschließen wollte, macht Iuvencus durch spätere eindeutig positive Repetition einiger spöttisch-ironisch gebrauchter Phrasen das richtige Verständnis jener deutlich; vgl. etwa 786 cernitur ecce suis proles veneranda Tonantis, das als Echo von 672 sed nunc discendat suboles veneranda Tonantis, dort noch im Munde der Spötter, gesehen werden muss. Zum Vergleich sei, wie nach jedem einzelnen Kommentarkapitel oben, der Blick kurz auf Sedulius gerichtet, der in einer deutlicher christianisierten Gesellschaft, nach eigener Angabe sogar in einer asketischen christlichen Gemeinschaft lebte,5 dessen Adressaten also mit gewisser Sicherheit im Kern der Kirche zu verorten sind. Dabei sollen zwei Perikopen als Beispiele genügen, nämlich Verrat und Selbstmord des Judas sowie der Pilatusprozess. Zunächst zu Judas. Die Besprechung dieser Perikope kann hier kurz bleiben, da sie jüngst von Deerberg umfassend kommentiert und oben im Kommentar zu Judas bei Iuvencus behandelt worden ist. Auf vier Verse, in denen Sedulius berichtet, dass der Teufel in Judas eindrang und ihn anstachelte, für Geld gegen den Herrn „Krieg zu beginnen“ (Carm. Pasch. V 38–41), folgen neun Verse, die den geringen Preis dem übermäßig wertvollen Leben Christi gegenüberstellen. Diese langen, theologisch relevanten Überlegungen durchbrechen die narratio erheblich und lassen einen Leser, der mit dem Neuen Testament nicht vertraut ist, ratlos zurück – was ist mit dem Krieg, den Judas gegen Christus beginnt, gemeint? Sedulius fährt in ähnlicher Weise fort. Auf Mt 26,24 Vae autem homini illi, per quem filius hominis traditur. Bonum erat homini illi non nasci gestützt gestaltet er neun Verse (Carm. Pasch. V 50–58), die den Tod bzw. den Zustand, nicht geboren worden zu sein, als besser als Judas’ Leben darstellen. Diese sind eindringlich, emotional und sehr hart, je3 4 5

Vgl. Herzog (1975), Roberts (1985), Opelt und zuletzt Deerberg. Herzog (1975) 126. Vgl. McClure 311 mit Bezug auf Sedul. Ep. ad Maced. 1.

378

Die Adressatenfrage

doch bringen sie die narratio nicht entscheidend voran. Gleiches gilt für die folgenden Verse 58–61, eine starke Invektive mit vierzehn harten Angriffen auf Judas. Zwischen diesen Versen und 66–68, weiteren Überlegungen zur schändlichen Natur des Judaskusses, verschwinden die zumindest teilweise narrativen Verse 62–65 geradezu, zumal sie als Fragen formuliert sind. Sedulius beschließt die Perikope mit einer Metapher, aut truculenta pio lupus oscula porrigit agno. Für den unkundigen Leser bleiben wenige Informationen, für denjenigen, der auslegende Dichtung sucht, ist Sedulius’ Vorgehensweise höchst interessant. Nur wenig verschieden verhält es sich beim Selbstmord des Judas. Carm. Pasch. V 116–118 berichtet, dass Judas erkennt, was mit Jesus geschieht bzw. geschehen wird, und das Geld zurückzugeben beschließt. Es folgen sieben Verse (119–125), die über die Zwecklosigkeit der zu späten Reue sprechen, sowie sechs weitere Verse (126– 133), die einen Zusammenhang zwischen der Todesart – Erhängen – und der Art seines Verbrechens – Verrat, also einer münd-lichen Äußerung – herstellen. Der Dichter schließt mit weiteren fünf Versen (134–138), die das Erhängen einordnen – von oben, von seiner Stellung als Apostel, ist Judas herabgefallen, was durch seinen in der Luft hängenden Leichnam kundgetan wird. Hier erfährt der Leser also durchaus, dass Judas das Geld zurückgab und sich erhängte, jedoch sind diese Informationen zwischen deutlich wichtigeren theologischen Überlegungen verborgen. Zwar bleibt der „sense of the base text“ unverändert,6 der Fokus verschiebt sich aber deutlich. Auch an anderen Perikopen (z.B. beim Prozess vor Pilatus) ist solches erkennbar, siehe dazu oben zur Stelle. Sedulius’ Absicht ist also nicht im faktisch-narrativen Sinne instruktiv, sondern ausschließlich im erbaulichen bzw. katechetischen, dazu sehr deutlich Glei: „Während Juvencus bei aller Texttreue doch eine echte epische Umsetzung gelungen ist, erstickt Sedulius in didaktischem Übereifer jede Handlung unter dem Mantel auktorial verordneter Erbaulichkeit.“7

Greens Verortung des Carmen Paschale kann für ein argumentum ex negativo genutzt werden: „It is clear, then, that certainly by the time that Sedulius wrote, the writer of a Scriptural paraphrase might anticipate that some at least of his readers would be familiar not only with the text, but also with homiletic and expository works devoted to its detailed interpretation.“8

Das war für Iuvencus’ Adressaten, wie gesehen, offenbar nicht notwendigerweise der Fall. Die Evangeliorum Libri Quattuor liefern zu den Evangelien ein Supplement, das auf dem Weg der Dichtung die Beschäftigung mit diesen erleichtert. Daraus geht die dritte Frage hervor, nämlich, welchen Gewinn das Werk dann denen, die bereits entschiedene Christen waren, bot. Notwendig ist für gelingende Lektüre ein gewisser Bildungshintergrund, der es dem Leser möglich macht, die zahlreichen Anspielungen auf und Zitate aus den Epen vor Iuvencus – vornehmlich, jedoch keineswegs ausschließlich aus Vergil –, 6 7 8

Roberts (1985) 162, im Anschluss an ihn Deerberg 409–421. Glei 147f. McClure 312.

Auswertung

379

von denen auch in den in diesem Kommentar behandelten Passagen eine Vielzahl offenbar wurde, zu erkennen und zu verstehen, vor allem da, wo es sich um echte Kontrastimitationen handelt. Dass Vergil dabei genutzt, nicht ersetzt werden soll („exploit, not expunge“9), ist inzwischen communis opinio. Diese Rezeption Vergils und seiner Nachfolger ist für diejenigen, die sie wertschätzen können (Christen und Nichtchristen), hochinteressant und reizvoll. Dass also durch Iuvencus und seine zahlreichen Nachfolger die christliche Dichtung ihren Platz in der Bildungsgemeinde beansprucht und letztlich auch gefunden hat, ist daher sicher. Für Kenner des Evangeliums bietet Iuvencus also ein Werk, das nur einen geringen expliziten exegetischen Anspruch hat, andererseits auch nicht vollständig auf diesen verzichtet: eine gewisse Form von Exegese bleibt bei der Vereinigung von Epos und Evangelium freilich nicht aus und wird somit zum natürlichen Teilziel. Stärker aber bietet Iuvencus ästhetischen Genuss und eine Wiederholung bekannten Inhalts, den seine Leser gern erneut rezipieren. Zusammengefasst: Auch diese kurze Werkanalyse bestätigt, dass sich Iuvencus’ Evangeliorum Libri Quattuor in der Gattungstradition des Epos, mit einem durch sie dort eingeführten exegetischen und auch erbaulichen Anspruch, verorten lassen. Sie richten an ihre Leser den Anspruch, mit der Sprache des paganen Epos vertraut zu sein, da sonst intertextuelle Bezüge nicht erkannt werden können. Der ideale Leser muss gegenüber dem Christentum zumindest aufgeschlossen sein, aber nicht bereits erfolgreich missioniert. In einer modernen Phrase: Vorkenntnisse sind wünschenswert, aber nicht erforderlich. Es bewahrheitet sich das Urteil Greens: „It is not a matter of choosing between ignorant pagans who need delight as well as enlightenment if they are to show interest and Christians safely within the flock who knew it all, or who as eager Bible readers or fully converted hearers of the word soon would. Juvencus will have been aware that there was a broad spectrum of people to whom his poem might appeal.“10

9 Vgl. Green (2006) 134f. 10 Green (2007) 161. Ebenso urteilt später Glei 152: „Juvencus hat sich mit einigem Erfolg als erster bemüht, den Originaltext in ansprechendes Dichterlatein zu übertragen – keine geringe Leistung. Er hat die Vorlage auch inhaltlich geglättet, entschlackt und plausibilisiert, so dass ihm auch ein gebildetes, anspruchsvolles Heidenpublikum folgen konnte.“

LESETEXT 570 571 572 573 574 575 576 577 578 579 580 581 582 583 584 585

Iuvenc. IV 570–585 At Petrum mulier tristem quod viderat intus, „tune etiam, iuvenis, fueras comes additus,“ inquit, „isti, quem ludens procerum sententia damnat?“ Ille negat tectisque foras se promere temptat. Ecce sed egressum primo sub limine cernens altera consimili prodebat voce ministris. Rursus ait iurans, illum se nosse negabat. Tum percontatum multi accessere sequentes eque sono vocis sese cognoscere dicunt, cuncta Galilaeam streperent quod verba loquellam. Et Petrus iurans devotis omnia verbis nescire adfirmat, quisquis foret ille, negando. Hanc vocem, plausum quatiens sub culmine tecti, ales prosequitur cantu, mentemque Simonis circumstant tristem verbi praesagia Christi; egressumque dehinc ploratus habebat amarus.

586 587 588 589 590 591 592 593 594 595 596 597 598 599 600 601 602 603 604 605

Iuvenc. IV 586–625: Sidera iam luci concedunt et rapidus sol progreditur radiis terras trepidantibus implens. Iamque e concilio Christum post terga revinctum praesidis ad gremium magno clamore trahebant. Interea celsum Dominus stans ante tribunal talia Pilati verbis excepit Iesus: „Tu rex Iudaeae gentis, quod dicitur, adstas?“ Respondit Christus: „Vestris haec audio verbis.“ Exhinc terribilis iusti accusatio surgens infremit et sanctum sceleris facundia pressat. Respondere nihil trucibus dignatur Iesus. Pilatus quaerit, quae tum sit causa tacendi. Ille magis perstans miranda silentia servat. Sollemni sed forte die concedere leges unum damnatum capitis de more iubebant; et fuit in vinclis famoso nomine latro quem Christo infensus populus dimittere vitae ardebat: trucibus somno sed territa visis Pilati coniux, iusti discedere poena, mandatis precibusque virum suspensa rogabat.

ÜBERSETZUNG Die Verleugnung des Petrus Aber da eine Frau Petrus traurig drinnen gesehen hatte, sprach sie: „Warst du, junger Mann, nicht auch Gefolgsmann dessen da, den spöttisch das Urteil der Oberen trifft?“ Jener leugnete und versuchte, sich aus dem Haus nach draußen zu begeben. Doch siehe, gerade als er hinausging, bemerkte ihn an der äußersten Schwelle eine zweite (Frau) und verriet ihn mit ähnlichen Worten den Dienern. Wiederum leugnete er unter Schwüren, jenen zu kennen. Dann kamen viele Diener hinzu um nachzuhaken und sagten, sie könnten (ihn) am Klang seiner Stimme erkennen, weil all seine Worte einen hässlichen galiläischen Klang hätten. Und Petrus stritt alles ab und bekräftigte unter Schwüren und Flüchen, dass er nicht wisse, wer immer jener sei. Auf dieses Wort folgte unmittelbar, unter dem Dachfirst mit den Flügeln schlagend, der Hahn mit seinem Schrei, und die Prophezeiung des Wortes Christi umfing den Verstand des traurigen Simon. Als er von dort herausgetreten war, überkamen ihn bittere Tränen.

Der Pilatusprozess Schon weichen die Sterne dem Licht und schnell kommt die Sonne zum Vorschein, mit flackernden Strahlen die Erde füllend. Und schon schleppten sie aus der Versammlung Christus, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, unter großem Geschrei vor den Richterstuhl des Statthalters.Als er indes vor dem hohen Tribunal stand, vernahm der Herr Jesus Folgendes durch die Worte des Pilatus: „Du stehst hier, wie es heißt, als König des jüdischen Volkes?“ Christus antwortete: „Aus euren Worten höre ich das.“ Dann erhebt sich aufbrausend eine furchtbare Anklage gegen den Gerechten, und die verbrecherische Redegewandtheit bedrängt den Heiligen. Jesus lässt sich nicht im Geringsten dazu herab, den Grobianen zu antworten. Pilatus fragt, was nun der Grund für das Schweigen sei. Jener bewahrt, weiter ausharrend, bewundernswerte Stille. Zufällig aber befahlen die Gesetze, wie es Brauch war, am Festtag einen zum Tode Verurteilten freizulassen; und es war im Gefängnis ein Räuber berüchtigten Namens, den das Christus feindliche Volk ins Leben zu entlassen brannte: Aber von schrecklichen Traumbildern in Unruhe versetzt bat die Frau des Pilatus mit Bittbotschaften ängstlich ihren Mann, von einer Strafe gegen den Gerechten Abstand zu nehmen.

382

Text und Übersetzung

606 607 608 609 610 611 612 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 624 625

Tum iudex iterum procerum disquirere mentem temptat et instanti cuperent quem solvere poena plebis ad arbitrium mitti de lege requirit. Sed proceres populum fusa ambitione rogabant latronem legi peterent Christumque negarent. At postquam procerum incendit sententia vulgum latronisque petit potius sibi cedere vitam, consuluit praeses populum, quid vellet Iesum. Plebs incensa malo saevos miscere tumultus et crucis ad poenas iterumque iterumque petebant, qui regis nomen cuperet, qui Caesaris hostem confessus sese proprio damnaverit ore. Denique vi victus detestatusque cruentum officium increpitans se libera sanguinis huius corda tenere sibi, coramque a crimine palmas abluit, ut genti tantum macula illa maneret. Hoc magis inclamant: „Nos, nos cruor iste sequatur, et genus in nostrum scelus hoc et culpa redundet.“ Pilatus donat plebi legique Barabban Et crucis ad poenam victus concedit Iesum.

626 627 628 629 630 631 632 633 634 635 636 637 638 639 640 641

Iuvenc. IV 626–641 Proditor at Iudas, postquam se talia cernit accepto sceleris pretio signasse furentem, infelix aegris damnans sua gesta querellis proiecit templo tunc detestans argentum. Exorsusque suas laqueo sibi sumere poenas Informem rapuit ficus de vertice mortem. Inde sacerdotes, pretium quod sanguinis esset, illicitum fantes adytis concedere templi, – quod dare tum licitum, cum sanguis distraheretur, credebant, – agrum mercati nomine vero sanguinis, horrendo signant scelera impia facto. Haec quondam cooperta canens vox vera prophetae eventum rerum patefecit in ordine saecli: „argenti triginta minas posuere profani hoc pretium pretiosi corporis instituentes, quod mox ad figuli rursus transfertur agellum.“

642 643 644 645 646

Iuvenc. IV 642–652 Traditus est trucibus iustus scelerisque ministris militibus: sceleri ludibria corpore praebet. Purpureamque illi tunicam clamidemque rubentem induerunt spinisque caput cinxere cruentis, inque vicem sceptri dextram comitatur harundo.

Anhang

383

Dann versuchte der Richter wiederum, die Meinung der Oberen zu erfahren, und verlangte, dass derjenige gemäß dem Gesetz freigelassen werde, den sie nach dem Willen des Volkes von der drohenden Strafe zu befreien wünschten. Aber die Oberen legten sich ins Zeug und beredeten das Volk, den Räuber für das Gesetz zu verlangen und Christus abzulehnen. Doch nachdem die Meinung der Oberen die Masse entflammt hatte, und diese gefordert hatte, dass ihr lieber das Leben des Räubers gewährt werde, befragte der Statthalter das Volk, was es mit Jesus wolle. Die Menge, vom Bösen angestachelt, löste einen schlimmen Aufruhr aus und forderte wieder und wieder die Kreuzesstrafe für den, der den Königstitel begehre, der mit eigenem Mund, indem er bekannt habe, ein Feind des Kaisers zu sein, das Urteil über sich gesprochen habe. Schließlich verfluchte er (sc. Pilatus), von der Gewalt besiegt, seine blutige Aufgabe, rief, er bewahre sein Gewissen rein von diesem Blut, und wusch sich öffentlich seine Hände von der Anschuldigung, damit allein dem Volk dieser Makel bleibe. Umso mehr schrien sie: „Uns, uns soll dieses Blut treffen, und unser Volk sollen dieses Verbrechen und diese Schuld überströmen.“ Pilatus schenkte dem Volk und dem Gesetz den Barabbas, und zur Kreuzesstrafe lieferte er, besiegt, Jesus aus.

Der Selbstmord des Judas Der Verräter Judas aber, nachdem er begriffen hatte, dass er im Wahn solches besiegelt hatte, da er Lohn für sein Verbrechen angenommen hatte, verdammte unglücklich seine Tat mit bitteren Klagen und warf dann das Geld, es verfluchend, in den Tempel. (Dann) machte er sich daran, sich selbst mit einem Strick zu strafen, und riss sich einen hässlichen Tod vom Wipfel eines Feigenbaums. Daher sagten die Priester, da es ja Blutgeld sei, sei es nicht erlaubt, (es) in den Tempelschatz zu geben – damals, als das Blut(geld) entnommen wurde, glaubten sie, es sei erlaubt, es zu zu zahlen – , und besiegelten, indem sie einen Acker, der zu Recht den Namen des Blutes trägt, kauften, die frevelhaften Verbrechen durch eine schauerliche Tat. Dies, einst noch verdeckt, deckte dichtend die wahre Stimme des Propheten als Ausgang der Dinge in der Weltordnung auf: „Dreißig Silberminen bezahlten die Gottlosen, indem sie diesen Wert für den wertvollen Leib bestimmten, der bald wieder für den Töpferacker übergeben wird.“

Die Verspottung Jesu durch die Soldaten Der Gerechte wurde den groben Dienern des Verbrechens übergeben, den Soldaten: er gewährte mit seinem Körper dem Verbrechen einen Gegenstand für Spott. Jene zogen ihm ein Purpurhemd und einen roten Mantel an und bekränzten ihn mit blutigen Dornen; und an Stelle eines Szepters schmückte eine Rute seine Rechte.

384

Text und Übersetzung

647 648 649 650 651 652

Tum genibus nixi regem dominumque salutant Iudaeae gentis. Faciem lavere salivis vertice et in sancto plagis lusere nefandis. Haec ubi transegit miles ludibria demens, indutum propriae ducebat tegmina vestis et crucis ad poenam sanctum iustumque trahebat.

653 654 655 656 657 658 659 660 661 662 663 664 665 666 667 668 669 670 671 672 673 674 675 676 677 678 679 680 681 682 683 684 685 686

Iuvenc. IV 653–686 Ecce sed egressi quendam cepere Simonem Cyrena genitum lignumque adferre iubebant, quo dominum lucis iussis suffigere saevis instans urgebat saecli inmutabilis ordo. At postquam ventum est, ubi ruris Golgatha nomen, permixtum felli vinum dant pocula Christo. Ille sed in summo gustu tractata recusat; ut satis antiquis fieret per talia dictis, nec tamen insultans hominum furor omnia posset. Iamque crucis fixum pendebat in arbore corpus intactumque dedit tunicae sub sorte per omnes militis unius servans possessio textum. Et scriptum causae titulum meritique locarunt quod rex Iudaeae plebis gentisque fuisset. Accidit, ut pariter poenae consortia ferrent latrones hinc inde duo; sed caeca furentis insultat plebis fixo vaesania Christo: „Hic est, qui templum poterat dissolvere solus, hic est, qui trino lucis reparare meatu. Sed nunc descendat suboles veneranda Tonantis et crucis e poena corpusque animamque resolvat.“ Haec vulgi proceres vaecordis dicta sequuntur: atque Pharisaei scribaeque et factio demens inludunt motuque caput linguasque loquellis insanis quatiunt aeternae ad vincula poenae: „nonne alios quondam trucibus servare solebat morborum vinclis? Sese cur solvere poenis non valet? En regem nostrae quem credere gentis debuimus: solvat ligni de robore corpus! Tunc sanctis digne poterimus credere signis. Confidit genitore Deo: dimittere poena cur propiam non vult subolem veneranda potestas?“ Nec minus increpitant dextra laevaque gementes adfixi crucibus scelerum pro sorte latrones.

Anhang

385

Dann gingen sie auf die Knie und grüßten ihn als König und Herrn des jüdischen Volkes. Sein Gesicht nässten sie mit Speichel und vergingen sich an seinem heiligen Haupt mit ruchlosen Hieben. Als das Militär im Wahn diesen Spott getrieben hatte, führte es ihn (hinaus), wieder bedeckt mit seiner eigenen Kleidung, und schleppte den Heiligen und Gerechten zur Strafe am Kreuz. Kreuzweg und Kreuzigung Doch siehe, als sie ausgezogen waren, ergriffen sie einen gewissen Simon, einen gebürtigen Cyrenäer, und befahlen ihm, das Holz (zur Hinrichtungsstätte) zu tragen, an das in ihrem schrecklichen Plan die unveränderliche Weltordnung den Herrn des Lichts drohend zu schlagen drängte. Aber nachdem man dahin gekommen war, wo die Gegend „Golgatha“ heißt, gaben sie Christus Wein, mit Galle vermischt, als Getränk. Jener aber wies es, nachdem er es mit gespitzten Lippen gekostet hatte, zurück, damit so den alten Worten Genüge geleistet wurde, nicht aber der zügellose Wahn des Volkes alles vermochte. Schon hing der Körper angeheftet am Holze des Kreuzes, und der Umstand, dass ein einziger Soldat in Besitz der Tunica kam, als unter allen das Los geworfen wurde, gewährte ihr erhaltend ihr ungeteiltes Gewebe. Und sie hängten ein Schild auf, auf dem der Grund (für das Urteil) und warum er es verdient hatte, stand; dass er (nämlich) König des jüdischen Volkes gewesen sei. Es geschah (dann), dass zugleich zwei Räuber, der eine auf der einen Seite, der andere auf der anderen, das gemeinsame Los der Strafe ertrugen. Aber der blinde Wahn der wütenden Volksmenge beleidigte den gekreuzigten Christus: „Dieser ist es, der den Tempel alleine zerstören, dieser ist es, der ihn nach drei Sonnenläufen wiederaufbauen konnte! Aber jetzt soll er herabsteigen, der verehrenswerte Sohn des Donnerers, und Körper und Seele von der Kreuzesstrafe befreien!“ Diesen Worten des rasenden Volkes folgten die Oberen: und zwar verspotteten ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten und die verblendete Bande, schüttelten heftig den Kopf und plapperten mit wahnsinnigen Worten, die Fesseln ewiger Strafe erwirkend: „Rettete er nicht einstmals gewöhnlich andere von den schrecklichen Fesseln der Krankheit? Warum kann er sich selbst nicht von der Strafe befreien? Seht, den wir für den König unseres Volkes halten sollten: Soll er seinen Leib doch vom Holz des Kreuzes lösen! Dann werden wir den heiligen Zeichen angemessen glauben können. Er vertraut auf Gott den Vater: Warum will die ehrwürdige Macht nicht ihren eigenen Sohn von der Strafe befreien?“ Nicht weniger schreien ihn stöhnend auch die zur Rechten und zur Linken als Lohn für ihre Verbrechen ans Kreuz geschlagenen Räuber an.

386

Text und Übersetzung

687 688 689 690 691 692 693 694 695 696 697 698 699 700 701 702 703 704 705 706 707 708 709 710 711 712 713

Iuvenc. IV 687–713 Iam medium cursus lucis conscenderat orbem cum subito ex oculis fugit furvisque tenebris induitur trepidumque diem sol nocte recondit. Ast ubi turbatus nonam transegerat horam consternata suo redierunt lumina mundo. Et Christus magna genitorem voce vocabat Hebraeae in morem linguae; sed nescia plebes Heliam vocitare putat. Tum concitus unus cogebat spongo turpi calamoque revincto impressum labiis acidum potare saporem. Cetera turba furens tali cum voce cachinnat: „Spectemus pariter, caelo ne forte remissus Helias veniat, celsa qui sede quiescit, liberet et misero confixum stipite regem.“ Tum clamor Domini magno conamine missus aetheriis animam comitem commiscuit auris. Scinduntur pariter sancti velamina templi carbasaque in geminas partes disrupta dehiscunt et tremebunda omni concussa est pondere tellus dissiliuntque suo ruptae de corpore cautes. Tum veterum monumenta virum patuere repulsis obicibus iustaeque animae per membra reversae; et visum passae populi per moenia lata erravere urbis: sic terrent omnia mundum. Militibus primis quatiuntur corda pavore dedita qui saevae servabant corpora poenae, et subolem dixere Dei Christumque fatentur.

714 715 716 717 718 719 720 721 722 723 724 725 726

Iuvenc. IV 714–726 E speculis matres miracula tanta tuentur omnes, obsequium Christo quae ferre solebant. Iam decedenti vesper succedere soli coeperat, et procerum solus tum iustior audet corpus ad extremum munus deposcere Christi. Hic ab Arimathia, nomen gestabat Ioseph, qui quondam verbis aures praebebat Iesu. Pilatum tunc iste rogat, sibi cedere membra, quis nuper tulerat vitam vis horrida poenae. Concessit praeses, et corpus fulgida lino texta tegunt saxique novo componitur antro. Limen concludunt immensa volumina petrae. E speculis servant matres et cuncta tuentur.

Anhang

387

Der Tod Jesu Schon hatte der Lauf des Lichtes die Mitte seiner Kreisbahn erstiegen, als sich plötzlich die Sonne den Blicken entzieht, sich in pechschwarzer Finsternis birgt und den unruhig flackernden Tag in Nacht taucht. Aber als sie (sc. die Sonne) erschüttert die neunte Stunde vollendet hatte, kehrten die erschreckten Lichtstrahlen wieder in ihre Welt zurück. Und Christus rief mit lauter Stimme seinen Vater, so, wie man auf Hebräisch ruft. Aber das unwissende Volk meinte, er rufe den Elia. Rasch zwang dann einer ihn, indem er es ihm mit einem Schwamm, dreckig und an ein Rohr gebunden, an die Lippen drückte, ein essigsauer schmeckendes Getränk zu trinken. Die übrige Menge spottete im Wahn laut mit folgenden Worten: „Wir wollen einmal sehen, ob nicht vielleicht, vom Himmel zurückgesandt, Elia kommt, der am hohen Thron ruht, und den König, der am elenden Stamm aufgehängt ist, befreit!“ Dann mischte der Schrei des Herrn, unter großer Anstrengung ausgestoßen, seine Seele den Lüften des Äther als Begleiterin bei. Zur gleichen Zeit zerriss der Vorhang des heiligen Tempels und der Musselin, in zwei Teile zerfetzt, klaffte auseinander, und die Erde, in ihrer ganzen Masse erschüttert, bebte, und von ihrem Gefüge abgebrochene Felsen zersprangen. Dann öffneten sich die Gräber der Alten, da die Verschlussteine weggesprengt waren, und die gerechten Seelen kehrten in ihre Glieder zurück; sie zogen überall den Blick des Volkes auf sich und irrten innerhalb der weitläufigen Mauern der Stadt. So versetzten alle Geschehnisse die Welt in Schrecken. Den Soldaten, die die Leiber, die der schrecklichen Strafe anheimgegeben waren, bewachten, klopften als ersten die Herzen vor Furcht, und sie bezeichneten ihn als Gottes Sohn und bekannten ihn als Christus.

Die Grablegung Von den Anhöhen aus beobachteten die Frauen so große Wunder; alle, die Christus stets dienstbar waren. Schon hatte auf die sinkende Sonne der Abendstern zu folgen begonnen, und da wagte es nur ein einziger Gerechterer unter den Oberen, sich Christi Leichnam auszubitten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Dieser stammte aus Arimathäa und trug den Namen Joseph; er hatte einst Jesu Worten sein Ohr geneigt. Nun bat dieser den Pilatus, ihm den Körper zu überlassen, dem gerade die schreckliche Macht der Strafe das Leben genommen hatte. Das gewährte der Statthalter, und den Körper bedeckten glänzend weiße Leinentücher und er wurde in einem neuen Höhlengrab beigesetzt. Die Schwelle schloss das Davorwälzen eines gewaltigen Felsens. Von den Anhöhen her betrachteten und beobachteten die Frauen alles.

388

Text und Übersetzung

727 728 729 730 731 732 733 734 735 736 737 738 739 740 741 742

Iuvenc. IV 727–742 Iamque dies rutilo complebat lumine terras, otia qui semper prisca de lege iubebat, nulla sed inmitis procerum furor otia servat. Conveniunt onerantque simul sic iudicis aures: „Erroris laqueos iustissima poena resolvit. Nunc meminisse decet, quoniam planus ille solebat vulgari semper iactans promittere plebi, e mortis sese tenebris ad lumina vitae cum trino solis pariter remeare recursu. Sed petimus, custos miles nova funera servet, ne fera discipulis furandi audacia corpus consurgat turbetque recens insania plebem.“ Et Pilatus ad haec: „Miles permittitur,“ inquit, „servare, ut vultis, corpus tellure sepultum.“ Conveniunt saxique ingentia pondera volvunt, et limen signis et saxum milite servant.

743 744 745 746 747 748 749 750 751 752 753 754 755 756 757 758 759 760 761 762 763 764 765 766

Iuvenc. IV 743–766 Sidera iam noctis venturo cedere soli incipiunt, tumuli matres tum visere saeptum concurrunt. Motus sed terram protinus omnem concutit et caelo lapsus descendit aperto nuntius et saxum tumuli de limine volvit. Illius et facies splendet ceu fulguris ignis, et nivis ad speciem lucent velamina vestis. Militibus terror sensum discluserat omnem et iacuere simul ceu fusa cadavera leto. Ille sed ad matres tali cum voce profatur: „Vestra pavor nullus quatiens nunc corda fatiget; nam manifesta fides, sanctum vos quaerere corpus, quod crucis in ligno scelerata insania fixit. Surrexit Christus aeternaque lumina vitae corpore cum sancto devicta morte recepit. Visere iam vobis licitum est, quod sede sepulchri nulla istic iaceant, fuerant quae condita membra. Dicite praeterea celeri properoque recursu discipulis, Christum remeasse in luminis oras, inque Galilaeam laetum praecedere terram.“ His dictis visisque animos perfuderat ardens laetitia attonitis stupor ancipitique pavore. Denique praecipiti celebrantes gaudia cursu talia discipulis referunt tumulumque relinquunt.

Anhang

389

Die Bewachung des Grabes Schon erfüllte die Erde mit rötlichem Licht der Tag, der stets nach altem Gesetz Ruhe gebot; doch keine Ruhe hält das arge Wüten der Oberen. Sie kommen zusammen und liegen dem Richter alle zugleich so in den Ohren: „Die völlig gerechte Strafe hat die Schlingen des Irrtums gelöst. Jetzt müssen wir uns daran erinnern, dass dieser Scharlatan dem gemeinen Volk prahlend immer zu versprechen pflegte, dass er zugleich mit der dritten Wiederkehr der Sonne aus den Schatten des Todes zum Licht des Lebens zurückkehren werde. Wir bitten aber darum, dass eine militärische Wache das neue Grab bewache, damit nicht kühner Wagemut bei den Jüngern aufkomme, den Leichnam zu stehlen, und ein frischer Wahn das Volk in Unruhe versetzt.“ Und Pilatus antwortet darauf: „Militär wird (euch) zugestanden, den Körper, der in der Erde begraben liegt, wie ihr wollt, zu bewachen.“ Sie kommen zusammen und wälzen das riesige Gewicht des Felsens (vor), und sichern Schwelle und Stein mit einem Siegel und dem Militär.

Die Verkündung der Auferstehung Die Sterne der Nacht beginnen bereits, der kommenden Sonne zu weichen, da laufen die Frauen zusammen, um das Grab zu sehen. Aber gleich darauf erschüttert ein Beben die ganze Erde und aus dem offenen Himmel steigt gleitend ein Engel herab und wälzt den Felsen von der Schwelle des Grabes. Und sein Antlitz strahlt wie das Leuchten eines Blitzes, und wie Schnee leuchtet der Stoff seiner Kleidung. Den Soldaten hatte der Schrecken jede Empfindung genommen und sie lagen zusammen da, wie Leichen vom Tode hingestreckt. Jener aber sprach folgendermaßen zu den Frauen: „Euren Herzen soll nun keine Furcht, die euch erbeben lässt, zusetzen, denn es ist offensichtlich, dass ihr den heiligen Leib sucht, den der verbrecherische Wahn ans Holz des Kreuzes geschlagen hat. Christus ist auferstanden und hat das ewige Licht des Lebens, nachdem er den Tod besiegt hatte, mit seinem heiligen Körper wieder an sich genommen. Euch ist jetzt erlaubt, selbst zu sehen, dass am Ort des Grabes, dort, kein Körper, der bestattet war, liegt. Meldet weiter sofort in schnellem Lauf den Jüngern zurück, dass Christus in die Gestade des Lichts zurückgekehrt ist und ihnen fröhlich ins Land Galiläa vorausgeht.“ Nachdem sie das gesehen und gehört hatten, durchströmte brennendes Erstaunen den im Wechsel von Freude und Furcht Bewegten die Gemüter. Schließlich verließen sie Hals über Kopf das Grab, machten solche Freudenbotschaften bekannt und brachten sie den Jüngern.

390

Text und Übersetzung

767 768 769 770 771 772 773 774 775

Iuvenc. IV 767–775 Ecce iteris medio clarus se ostendit Iesus et fidas matres blandus salvere iubebat. Occurrunt illae et genibus plantisque prehensis victorem leti pavidae venerantur Iesum. Talibus ille dehinc praeceptis pectora firmat: „Mentibus absistat fidis pavor omnis et ista fratribus en nostris propere mandata referte: Nostri conspectus si cura est, ite volentes inque Galilaeam propere transcurrite terram.“

776 777 778 779 780 781 782 783

Iuvenc. IV 776–783 Interea tumuli custodum exterrita corda mittunt e numero partem, quae tanta referret Iudaeis rerum miracula. Sed manus amens, iam semel insano penitus devota furori, praemia militibus certatim magna rependit et famam argento redimit, quod limine rupto furtim sustulerit corpus defensa tenebris occulte rapiens audacia discipulorum.

784 785 786 787 788 789 790 791 792 793 794 795 796 797 798 799 800 801

Iuvenc. IV 784–801 Iamque Galilaeos conscenderat anxia montes mandatis Christi concurrens turba suorum. Cernitur ecce suis proles veneranda Tonantis; illum procumbens sancte chorus omnis adorat. Nec tamen in cunctis pariter fundata manebat pectoribus virtus, nam pars dubitabat eorum. Tunc sic discipulos clarus compellat Iesus: „In caelo et terris genitor mihi cuncta subegit; me pater est vobis dignatus mittere lucem. Gentibus haud aliter nunc vos ego mittere cunctis institui, vestrum est cunctas mihi iungere gentes. Pergite et ablutos homines purgantibus undis nomine sub sancto patris natique lavate, vivifici pariter currant spiramina flatus. Ablutisque dehinc nostra insinuate docentes praecepta, ut vitam possint agitare perennem. Nec vobis umquam nostri praesentia deerit, donec consumens dissolvat saecula finis.“

Anhang

391

Das erste Gespräch mit dem Auferstandenen Siehe, mitten auf dem Weg zeigte sich ihnen der strahlende Jesus und grüßte die treuen Frauen freundlich. Sie laufen ihm entgegen, umfassen seine Knie und Füße und verehren ihn furchtsam, Jesus, den Sieger über den Tod. Mit folgenden Weisungen bestärkt er daraufhin ihre Herzen: „Von euren gläubigen Seelen bleibe fern jede Furcht; (und) bringt sofort meinen Brüdern folgendes Geheiß: ‚Wenn ihr Verlangen danach habt, mich zu sehen, geht bereitwillig los und lauft unverzüglich nach Galiläa hinüber.‘“

Der Betrug der Hohenpriester Indes senden die völlig erschütterten Gemüter der Grabwächter aus ihrer Zahl einen Teil, der solche Wunder den Juden berichten soll. Aber die wütende Schar, nun ein für alle Mal völlig dem irren Wahn hingegeben, zahlt den Soldaten eifrig großen Lohn und kauft für Geld das Gerücht, dass klammheimlich die Kühnheit der Jünger, im Schutze der Dunkelheit, nachdem sie den Eingang aufgebrochen habe, den Körper geraubt und davongetragen habe.

Der Missionsbefehl Und schon hatte, in Übereinstimmung mit den Weisungen Christi, die besorgte Schar der Seinen die galiläischen Berge bestiegen. Siehe, da erscheint den Seinen der ehrwürdige Sohn des Donnerers; jenen betet, sich zu Boden werfend, der gesamte Kreis in heiliger Ehrfurcht an. Und dennoch blieb nicht in allen Herzen gleichermaßen die Tugend gefestigt: ein Teil von ihnen zweifelte nämlich. Dann sprach der hell strahlende Jesus so zu seinen Jüngern: „Im Himmel und auf Erden hat der Vater mir alles unterworfen; mich als Licht zu euch zu senden hat der Vater geruht. Nicht anders habe ich beschlossen, euch jetzt zu allen Völkern zu senden; eure Aufgabe ist es, alle Völker mit mir zu verbinden. Geht und wascht (tauft) die Menschen, damit sie rein werden, in reinigenden Fluten, im heiligen Namen des Vaters und des Sohnes, (und) zugleich soll der Hauch des lebensspendenden Geistes (dazu)strömen. Den Reinen sollt ihr dann lehrend meine Anweisungen beibringen, damit sie das ewige Leben führen können. Auch wird euch niemals meine Gegenwart fehlen, bis das verzehrende Ende die Welt zunichte macht.

392

802 803 804 805 806 807 808 809 810 811 812

Text und Übersetzung

Iuvenc. IV 802–812 Has mea mens fidei vires sanctique timoris cepit et in tantum lucet mihi gratia Christi versibus ut nostris divinae gloria legis ornamenta libens caperet terrestria linguae. Haec mihi pax Christi tribuit, pax haec mihi saecli, quam fovet indulgens terrae regnator apertae Constantinus, adest cui gratia digna merenti qui solus regum sacri sibi nominis horret imponi pondus, quo iustis dignior actis aeternam capiat divina in saecula vitam per dominum lucis Christum qui in saecula regnat.

Anhang

393

Der Epilog Mein Geist hat diese Kraft des Glaubens und der heiligen Ehrfurcht erlangt, und so sehr leuchtet mir die Gnade Christi, dass in meinen Versen der Ruhm des göttlichen Gesetzes gerne den irdischen Schmuck der Sprache angenommen hat. Das gewährte mir der Friede Christi, das der Friede der Welt, den der milde Herrscher der weiten Erde begünstigt, Konstantin, dem wegen seines Verdienstes würdiger Dank abgestattet wird, der als einziger der Herrscher davor zurückschreckt, dass ihm die Last des heiligen (verfluchten) Namens (der Könige) auferlegt wird, damit er so würdiger durch seine gerechten Werke das ewige Leben für das himmlische Zeitalter erlange, durch Christus, den Herrn des Lichts, der in Ewigkeit herrscht.

BIBLIOGRAPHIE PRIMÄRQUELLEN Bibelepik Arator Subdiaconus, De Actibus Apostolorum, ed. A.P. McKinlay, Wien 1951 (CSEL 72). Iuvencus, Evangeliorum Libri Quattuor, ed. Th. Poelmann, Basel 1537. ed. F. Arevalo, Rom 1794 (Nachdruck PL 19, 53–344). ed. C. Marold, Leipzig 1886. ed. J. Huemer, Wien u.a. 1891 (CSEL 24). Rez. M. Petschenig, BPhW 11 (1891), 137–143, K. Marold, BPhW 12 (1892), 843–847. ed. und dt. Übers. A. Knappitsch, Graz 1910–1913. Sedulius, Opera Omnia, ed. J. Huemer / V. Panagl, Wien 2007 (CSEL 10).

Pagane Schriftsteller Claudius Donatus, Interpretationes Vergilianae, ed. H. Georges, Leipzig 1905–1906. Servius, Commentarius in Vergilii Opera, ed. G. Thilo / H. Hagen, Leipzig/Berlin 1923. ed. E.K. Rand et. al., Lancaster 1946–1965 (Harvardiana).

Bibel Itala, Das Neue Testament in altlateinischer Überlieferung, ed. A. Jülicher, Berlin 1938. Novum Testamentum Graece, ed. E. Nestle / K. Aland, 27. verb. Aufl. Stuttgart 1993.

Alte Kirche Acta Apostolorum Apocrypha, ed. R.A. Lipsius / M. Bonnet, Darmstadt 1891–1903. Ambrosiaster, Commentarius in Epistulam ad Romanos, ed. H.J. Vogels, Wien 1966 (CSEL 81). Ambrosius Mediolanensis, Explanatio super Psalmos XII, ed. M. Petschenig / M. Zelzer, Wien 1999 (CSEL 64). ---, Expositio Evangelii secundum Lucam, ed. M. Adriaen, Turnholt 1967 (CCL 14). ---, Expositio de Psalmo CXVIII, ed. M. Petschenig / M. Zelzer, Wien 1999 (CSEL 62).

Anhang ---, ---, ---, ---, ---, ---, ---,

395

de Fide, ed. O. Faller, Wien 1962 (CSEL 78). Hexaemeron, ed. C. Schenkl, Wien 1897 (CSEL 32,1). Hymni, ed. A.S. Walpole, Cambridge 1922 (Nachdr. Hildesheim/Zürich/New York 2004). de Incarnationis Dominicae Sacramento, ed. O. Faller, Wien 1964 (CSEL 79). de Isaac, ed. C. Schenkl, Wien 1897 (CSEL 32,1). de Paenitentia, ed. O. Faller, Wien 1955 (CSEL 73). de Virginitate, PL 16, 239–304.

Augustinus, contra Academicos, ed. W.M. Green, Turnholt 1970 (CCL 29). ---, de Catechizandis Rudibus, ed. M.P.J. van den Hout, Turnholt 1969 (CCL 46). ---, Confessiones, ed. L. Verheijen, Turnholt 1981 (CCL 27). Dt. Übers. K. Flasch, Stuttgart 2005. ---, de Civitate Dei, ed. B. Dombart / A. Kalb, Stuttgart/Leipzig 51993. Dt. Übers. A. Schröder, Kempten/München 1911–1916 (Bibliothek der Kirchenväter 1/16/28). ---, de Doctrina Christiana, ed. J. Martin, Turnholt 1962 (CCL 32). ---, Enarrationes in Psalmos, ed. D.E. Dekkers / I. Fraipont (CCL 39). ---, Epistulae 185–270, Pars IV ed. A. Goldbacher, Wien 1911 (CSEL 57). ---, de Excidio Urbis Romae, ed. M. Vianney O’Reilly, Washington, D.C. 1955. ---, de Moribus Ecclesiae, ed. J.B. Bauer, Wien 1992 (CSEL 90). ---, de Ordine, ed. W.M. Green, Turnholt 1970 (CCL 29). ---, Sermones, PL 38. Beda Venerabilis, Vita Cuthberti Metrica, ed. W. Jaager, Leipzig 1935 (Palaestra 198). Chromatius, Tractatus LXI in Evangelium Matthaei, ed. R. Étaix / C. Lemarié, Turnholt 1974 (CCL 9a). Johannes Chrysostomos, Homiliae in I Cor (PG 61, 9–380). ---, Homiliae in Johannem (PG 59). ---, Homiliae in Matthaeum (PG 57f.). Dt. Übers. C. Baur Kempten/München 1916 (Bibliothek der Kirchenväter 27). ---, Homilia in Paralyticum Demissum per Tectum (PG 51, 47–64). ---, Homiliae in Principum Actoru, (PG 51, 65–112). ---, de Proditione Judae (PG 49, 373–392). Cyprianus Carthaginiensis, Epistulae, ed. G. Hartel, Wien 1871 (CSEL 3,2/3,3). ---, de Montibus Sina et Sion, ed. G. Hartel, Wien 1871 (CSEL 3,3). Eucherius, Formulae, ed. C. Wotke, Wien 1894 (CSEL 31). Eusebius Emesenus, in Proditione Judae (PG 86, 525–536). Gregorius Nazianzenus, Epistulae 32–37 ed. P. Gallay, Paris 1985 (SC 318). 38–41 ed. P. Gallay, Paris 1990 (SC 358). Hieronymus, Commentarii in Evangelium Matthaei ed. D. Hurst / M. Adriaen, Turnholt 1969 (CCL 77). ed. M.E. Bonnard, 2. Bd., Paris 1978/1978 (SC 242/259). ---, Commentarioli in Psalmos, ed. P. Antin, Turnholt 1969 (CCL 72). ---, Epistulae, ed. J. Labourt, Paris 1949–1963.

396

Bibliographie

---, in Ieremiam Prophetam, ed. S. Reiter, Turnholt 1960 (CCL 74). ---, Homilia in Ioannem Evangelistam, ed. G. Morin, 2. verb. Aufl. Turnholt 1958 (CCL 78). Hilarius Pictaviensis, Commentarius in Matthaeum, ed. P. Doignon, Paris 1978–1979 (SC 256 und 258). ---, Tractatus super Psalmos, ed. A. Zingerle, Wien 1891 (CSEL 22). ---, de Trinitate, ed. P. Smulders, Turnholt 1979/80 (CCL 62 und 62A). Irenaeus Lugdunensis, adversus Haereses (PG 7, 433–1224). Lactantius, Divinae Institutiones ed. E. Heck et A. Wlosok, 3. Bd., Berlin / New York 2005–2009. ed. S. Brandt, Wien 1890 (CSEL 19). Maximus Taurinensis, Sermones, ed. A. Mutzenbecher, Turnholt 1962 (CCL 23). Origenes, contra Celsum, lib. V et VI ed. M. Borret, Paris 1969 (SC 147). ---, Homiliae in Hexateuchum, ed. W.A. Baehrens, Leipzig 1920 (GCS 29). ---, Homiliae in Jeremiam, ed. P. Nautin, Paris 1977 (SC 238). ---, Commentarius in Johannem, ed. . E. Preuschen, Leipzig 1903 (GCS 10). ---, Commentarius in Matthaeum, ed. E. Klostermann / E. Benz, Leipzig 1935 (GCS 40). Dt. Übers. H.J. Vogt, Erster Teil (X–XIII) Stuttgart 1983 (Bibliothek der Griechischen Literatur 18), Zweiter Teil (XIV–XVI) Stuttgart 1990 (Bibliothek der Griechischen Literatur 30). ---, Commentariorum Series, ed. E. Klostermann / E. Benz, Leipzig 1933 (GCS 38). Dt. Übers. H.J. Vogt, Stuttgart 1993 (Bibliothek der Griechischen Literatur 38). ---, de Principiis, ed. H. Crouzel / M. Simonetti, Paris 1978 (SC 252). Paulinus Nolanus, Epistulae, ed. G. de Hartel / M. Kamptner, Wien 1999 (CSEL 29). ---, Carmina, ed. G. de Hartel / M. Kamptner, Wien 1999 (CSEL 30). Petrus Chrysologus, Sermones, ed. A. Olivar, Turnholt 1975–1982 (CCL 24 und 24a). Quodvultdeus, Sermo de Cataclysmo, ed. R. Braun, Turnholt 1976 (CCL 60). Sedulius Scottus, Commentarius in Matthaeum, ed. B. Löfstedt, Freiburg 1989 (Vetus Latina 14). Tertullian, Apologeticum, ed. E. Dekkers, Turnholt 1954 (CCL 1), 77–172. ---, de Spectaculis, ed. E. Dekkers, Turnholt 1954 (CCL 1), 225–254. ---, de Baptismo, ed. J.G. Ph. Borleffs, Turnholt 1954 (CCL 1), 275–296. ---, de Paenitentia, ed. J.G. Ph. Borleffs, Turnholt 1954 (CCL 1), 319–340. ---, adversus Marcionem, ed. A. Kroymann, Turnholt 1954 (CCL 1), 437–726. ---, de Anima, ed. J.H. Waszink, Turnholt 1954 (CCL 2), 731–750. Dt. Übers. J.H. Waszink, Zürich/München 1980. ---, de Corona, ed. A. Kroymann, Turnholt 1954 (CCL 2), 1037–1066.

SEKUNDÄRLITERATUR1 J. Allenbach, Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique, 8 Bd., Straßburg / Paris 1975–2000. 1 Nur einmal benutzte Werke sind oben jeweils in der entsprechenden Fußnote angegeben.

Anhang

397

R.G. Austin, P. Vergilii Maronis Aeneidos Liber Primus with a Commentary, Oxford 1971. ---, P. Vergilii Maronis Aeneidos Liber Secundus with a Commentary, Oxford 1964. ---, P. Vergilii Maronis Aeneidos Liber Quartus with a Commentary, Oxford 1955. ---, P. Vergili Maronis Aeneidos Liber Sextus with a Commentary, Oxford 1976. M. Bauer, Philologischer Kommentar zum dritten Buch der „Evangeliorum libri“ des Juvencus, Diss. Wien 1999. R. Berliner, „The Freedom of Medieval Art“ und andere Studien zum christlichen Bild, hrsg. von R. Suckale, Berlin 2003. A. Blaise, Dictionnaire Latin-Français des Auteurs Chrétiens, Turnhout 1954. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, 4. Teilband, Lk 19,28–24,53, Neukirchen-Vluyn 2009 (EKK 3,4). E. Borell, Un ejemplo de trasposición temática virgiliana en Juvenco, AFB 14 (1991) 11–17. L. Braun, / A. Engel, „Quellenwechsel“ im Bibelepos des Iuvencus, ZAC 2 (1998) 123–138. C. Braun-Irgang, Untersuchungen zum Verhältnis von spätantiker und mittellateinischer Bibelepik, in: Festschrift für Paul Klopsch, Göppingen 1988, 1–44. E. Burck, Das Römische Epos, Darmstadt 1979. R. Burridge, Four Gospels, One Jesus? A Symbolic Reading, Guildford 1994. ---, What Are The Gospels? A Comparison with Graeco-Roman Biography, 2. verb. Auflage Grand Rapids / Cambridge / Dearborn 2004. S. Campagnuolo, Caratteri e tecniche della parafrasi di Giovenco, VetChr 30 (1993) 47–84. R. W. Carrubba, The preface to Juvencus’ biblical epic, AJPh 114 (1993) 303–312. D. Collier, Nam mihi carmen erit Christi vitalia gesta: Book One of the Evangeliorum Libri IV of Juvencus and the Evolution of Latin Epic in Late Antiquity. Missouri-Columbia 2008. Nur online verfügbar unter: https://mospace.umsystem.edu/xmlui/bitstream/handle/10355/578 4/research.pdf?sequence=3 (Stand 09.03.2011). E. Colombi, Paene ad verbum: gli Evangeliorum libri di Giovenco tra parafrasi e commento, Cassiodorus 3 (1997a) 9–36. ---, Sull´uso delle preposizioni negli Evangeliorum libri IV di Giovenco, in: Discentibus Obvius, Festschrift für D. Magnino, Como 1997b, 9–21. ---, Poesia ed Esegesi Christiana: Interferenze tra i Vangeli di Matteo e Luca negli Evangeliorum Libri di Giovenco, in: Prospettive sul tardoantico. Atti del convegno di Pavia, a cura di G. Mazzolo e F. Gasti, Como 1999, 151–156. ---, Iuvenciana I, VChr 37 (2000) 235–269. J. Conington and H. Nettleship, P. Vergili Maronis Opera, The Works of Virgil, with a Commentary, Vol. III, Containing the Last Six Books of the Aeneid, 2. rev. ed., London 1975. V. Cristobal, Tempestades Epicas, CIF 14 (1988) 125–148. E.R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, Bern 71969. E. Dassmann, Die Szene Christus-Petrus mit dem Hahn. Zum Verhältnis v. Komposition u. Interpretation auf frühchristlichen Sarkophagen, in: Pietas. Festschrift für E. Kötting (JbAC Erg.Bd. 8), Münster 1980, 517. D. Deerberg, Der Sturz des Judas. Kommentar (5, 1–163) und Studien zur poetischen Erbauung bei Sedulius, Münster 2011 (Orbis Antiquus 43). P.A. Deproost, La mort de Judas dans l’Historia apostolica d’Arator (1,83–102), Revue des Études Augustiniennes 35 (1989) 135–150. ---, La résurrection de Lazare dans le poème évangélique de Juvencus, RBPh 78 (2000) 129–145. J.D.M. Derrett, Figtrees in the New Testament, in: Ders., Studies in the New Testament II, Leiden 1978. S. Diederich, Quid memorem infandas caedes? Krieg und Gewalt in der Aeneisrezeption spätantiker Bibelepik, in: Vergil und das antike Epos. Festschrift für H. J. Tschiedel, München 2008, 401–414. C. Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes, Zürich, 2. verb. Aufl. 2004 (ZBK.NT 4). M. Donnini, L´Allitterazione e l´Omeoteleuto in Giovenco, AFLPer 12 (1974/1975) 128-159. ---, Un Aspetto della Espressività di Giovenco: L´Aggettivazione, Vichiana 2 (1973) 54–67.

398

Bibliographie

D. Dormeyer, Das Neue Testament im Rahmen der Antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung. Darmstadt 1993. B. Effe, Dichtung und Lehre. Untersuchungen zur Typologie des antiken Lehrgedichts, München 1977 (Zetemata 69). J. Ernst, Das Evangelium nach Markus, übers. u. erkl., Regensburg 1981 (RNT 1). H.R. Fairclough / G.P. Goold, Virgil, Aeneid VII–XII, Appendix Vergiliana, with an English Translation, Cambridge (Mass.) / London 2000. R. Fichtner, Taufe und Versuchung Jesu in den Evangeliorum libri quattuor des Bibeldichters Juvencus, Stuttgart 1994 (BzA 50). P. Fiedler, Das Matthäusevangelium, Stuttgart 2006 (ThKNT 1). F. Fletcher, Virgil, Aeneid VI, edited with Introduction and Commentary, Oxford 1941. M. Flieger, Interpretationen zum Bibeldichter Iuvencus (Gethsemane, Festname Jesu und Kaiaphasprozess (4. 478–565)), Stuttgart 1993 (BzA 40). P. Flury, Juvencus und Alcimus Avitus, Philologus 132 (1988) 286–296. ---, Zur Dichtersprache des Juvencus, in: Lemmata, Festschrift für W. Ehlers, München 1968, 38–47. G. Flammini, La struttura dell´esametro degli „Evangeliorum Libri“ di Giovenco, in: Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia dell´ Università di Macerata 32 (1997) 259–288. J. Fontaine, Naissance de la poésie dans l’occident chrétien, Paris 1981 (= Etudes Augustiniennes 85). ---, Christentum ist auch Antike, JbAC 25 (1982) 5–21. ---, Dominus lucis. Un titre singulier du Christ dans le dernier vers de Juvencus, in: Mémorial Festugière, Genf 1984, 131–141. ---, Unité et diversité du mélange des genres et des tons chez quelques écrivains latins da la fin du IVe siecle: Ausone, Ambroise, Ammien, in: J. Fontaine, Etudes sur la poésie latine tardive d´Ausone a Prudence, Paris 1980, 25-82 (= Christianisme et formes littéraires de l´Antiquité tardive en Occident (Entretiens sur l´Antiquité classique, t. 23), Fondation Hardt, Vanoeuvres-Genève 1997, 425–482). C.J. Fordyce, P. Vergili Maronis Aeneidos Libri VII–VIII with a Commentary, Glasgow/Oxford 1977. A. Fraisse, Éléments biographiques dans l´épopée biblique de Juvencus, Latomus 66 (2007) 673– 689. T. Gärtner, Die Musen im Dienste Christi: Strategien der Rechtfertigung christlicher Dichtung in der lateinischen Spätantike, VChr 58 (2004) 424–446. P. Gemeinhardt, Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung, Tübingen 2007. Rez.: S. Selbmann, Rezension zu: P. Gemeinhardt, Das lateinische Christentum und die antike pagane Bildung, H-Soz-u-Kult, 05.01.2009 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-001). R. Glei, Jesus als Gottmensch in lateinischer Bibelepik, in: Gottmenschen. Konzepte existenzieller Grenzüberschreitung im Altertum, hrsg. v. G. Binder/B. Effe/R. Glei, Trier 2003, 133–154. C. Gnilka, Der Seesturm beim echten und unechten Iuvencus, WJA N.F. 25 (2001) 213–227. ---, Spuren antiker Vergilerklärung bei Juvencus, in: Vergil und das antike Epos. Festschrift für H. J. Tschiedel, hrsg. v. S. Freund, Stuttgart 2008, 387–400. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, 2 Bde., Solothurn u.a. 1978/79, 1. Bd. durchges. u. um Literatur erg. 1994 (EKK 2). ---, Das Matthäusevangelium, 2 Bde., Freiburg i.Bg. u.a. 1986/8 (HThKNT 1). R. P. H. Green, Approaching Christian Epic: The Preface of Iuvencus, in: M. Gale (Hrsg.), Latin Epic and Didactic Poetry. Genre, Tradition and Individuality, Swansea 2004, 209–222. ---, Latin Epics of the New Testament. Juvencus, Sedulius, Arator. Oxford 2006. Rez.: Fr. A. Dykes, Christian Latin Epics, CR 58.1 (2008) 174–176; P. Schierl, in: Gnomon 81,8 (2009) 709–713. ---, Birth and transfiguration: some Gospel episodes in Juvencus and Sedulius, in: J.H.D. Scourfield (Hrsg.), Texts and Culture in Late Antiquity. Inheritance, Authority and Change, Swansea 2007a, 135–172.

Anhang

399

---, The Evangeliorum Libri of Juvencus: Exegesis by Stealth? in: W. Otten and K. Pollmann (Hrsgg.), Poetry and Exegesis, Leiden 2007b, 65–80. ---, Problems in the Text of Juvencus. Vigiliae Christianae 64 (2010) 1–15. J.B. Hainsworth, The Idea of Epic, Berkeley / Los Angeles / Oxford 1991 (EIDOS 3). N. Hansson, Textkritisches zu Iuvencus mit vollständigem Index verborum, Lund 1950. P. Hardie, The Epic Successors of Virgil, Cambridge 1993. J.T. Hatfield, A Study of Iuvencus, Diss. Bonn 1890. C. Heinsdorff, Christus, Nikodemus und die Samaritanerin bei Juvencus. Mit einem Anhang zur lateinischen Evangelienvorlage (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 67), Berlin / New York 2003. Rez.: R. Ph. Green, CR 55.1 (2005) 163–164. G. Kreuz, WS 118 (2005) 290. R. Heinze, Virgils epische Technik, Darmstadt 41957. M. Hengel, The Four Gospels and the One Gospel of Jesus Christ, London 2000. R. Herzog, Die Bibelepik der lateinischen Spätantike. Formgeschichte einer erbaulichen Gattung, I, München 1975. ---, Exegese-Erbauung-Delectatio. Beiträge zu einer christlichen Poetik der Spätantike in: W. Haug (Hrsg.), Formen und Funktionen der Allegorie, Stuttgart 1979, 52–65. A. Hilhorst, The Cleansing of the Temple (John 2,13–25) in Juvencus and Nonnus, in: Early Christian Poetry, hrsg. v. J. den Boeft/A. Hilhorst, Leiden 1993, 61–76. S. Hinds, Essential Epic. Genre and Gender from Macer to Statius, in: M. Depew/D. Obbink, Matrices of genre. Authors, canons and society, Cambridge (MA)/London 2000. M. Hose, Konstantin und die Literatur – oder: Gibt es eine Konstantinische Literatur? Gymnasium 114 (2007) 535–558. ---, Die Entstehung der christlichen Poesie, in: R. Kussl (Hrsg.), Präsenz der Antike (Dialog Schule Wissenschaft – Klassische Sprachen und Literaturen Bd. 40), Speyer 2006, 75–103. A. Hudson-Williams, Virgil and the Christian Latin Poets, in: V.S. Lectures 79 (1966) 11–21. R. Kampling, Das Blut Christi und die Juden, Münster 1983 (Diss. Münster). D. Kartschoke, Bibeldichtung. Studien zur Geschichte der epischen Bibelparaphrase von Juvencus bis Otfrid von Weissenburg, München 1975. W. Kirsch, Die Lateinische Versepik des 4. Jahrhunderts, Berlin 1989 (Schriften zur Geschichte und Kultur der Antike 28). H.H. Kievits, Ad Iuvenci evangeliorum librum primum commentarius exegeticus, Diss. Groningen 1940. R. Kühner / F. Holzweissig, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Elementar-, Formen- und Wortlehre, Hannover 21912 (Nachdr. Darmstadt 1974). R. Kühner / C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Satzlehre, mit Berichtigungen von A. Thierfelder, Hannover 51976. W. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 211983. S. Läuchli, Origen’s Interpretation of Judas Iscariot, ChH 22 (1953) 253–268. M. Leumann/J.B. Hofmann/A. Szantyr, Lateinische Grammatik, 3 Bd., München 1928/1965/1979. M. Limbeck, Matthäusevangelium, Stuttgarter Kleiner Kommentar, NT 1, Stuttgart 1986. A. Longpré, Aspects de Métrique et de Prosodie chez Juvencus, Phoenix 29 (1975) 128–138. G. Luck, P. Ovidius Naso, Tristia. Herausgegeben, übersetzt und erklärt, 2 Bd., Heidelberg 1967/77 (Wissenschaftliche Kommentare zu Griechischen und Lateinischen Schriftstellern). U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 4 Bde., Zürich u.a. 1985–2002 (EKK 1). G. Malsbary, Epic exegesis and the use of Vergil in the early biblical poets, Florilegium 7 (1985) 55–83. M. Manitius, Zu Juvencus und Prudentius, RhM 45 (1890) 486. J. McClure, The Biblical Epic and its Audience in Late Antiquity, Papers of the Liverpool Latin Seminar 3 (=ARCA 7), Liverpool 1981, 305-321. H. McKee, Juvencus, Codex Cantabrigiensis. A Ninth-Century Manuscript Glossed in Welsh, Irish and Latin. Facsimile Edition with Introduction, Aberystwyth 2000. M. Meiser, Judas Iskariot. Einer von uns, Leipzig 2004 (Biblische Gestalten 10).

400

Bibliographie

C. Mohrmann, Études sur le Latin des Chrétiens, 3 Bd., 2. verb. Aufl. Rom 1961–1965. P. G. van der Nat, Die Praefatio der Evangelienparaphrase des Iuvencus, in: Romanitas et Christianitas, Festschrift für J.H. Waszink, Amsterdam 1973, 249–257. F. Neue / C. Wagener, Formenlehre der lateinsichen Sprache, 4 Bd., Leipzig 1892–1905. H. Nestler, Studien über die Messiade des Juvencus, Diss. München 1910. E. Norden, P. Vergilius Maro, Aeneis Buch VI, erklärt, Berlin 31926. M. A. Norton, Prosopography of Juvencus, in: J.M.F. Marique (Hrsg.), Leaders of Iberian Christianity, Boston 1962, 114–120. R. Nünlist, Rhetorische Ironie – Dramatische Ironie. Definitions- und Interpretationsprobleme, in: J.P. Schwindt (Hrsg.), Zwischen Tradition und Innovation. Poetische Verfahren im Spannungsfeld Klassischer und Neuerer Literatur und Literaturwissenschaft, München/Leipzig 2000, 67–87. T.C. Oden, Ancient Christian Commentary on Scripture, 28 Bd., Chicago 1998–2008. OLD = P.G.W. Glare, Oxford Latin Dictionary, Oxford 1982. I. Opelt, Die Szenerie bei luvencus. Ein Kapitel historischer Geographie, VChr 29 (1975) 191– 207. A. P. Orbán, Juvencus als Bibelexeget und als Zeuge der „Afrikanischen“ Vetus-Latina-Tradition, VChr 49 (1995) 334–352. ---, Die Versifikation von Lk 1,5–80 in den Evangeliorum Libri Quattuor des Juvencus. Eine Analyse von Juvenc. I, 1–132, ZNTW 83 (1992) 224–244. R. Palla, Aeterna in Saecula in Giovenco, Praefatio 17, SCO 26 (1977) 277–282. A. S. Pease, Publii Vergilii Maronis Aeneidos Liber Quartus, Cambridge (Mass.) 1935. R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 1. Teilband, Apg 1–12, Neukirchen-Vluyn 1986 (EKK 5,1). ---, Das Markusevangelium, 2 Bde., Freiburg i.Bg. u.a. 1976/77 (HThKNT 2). M. Petschenig, Zur Latinität des Iuvencus, Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik 6 (1889) 267–268. E. O. Pereira, Las primeras biografias de Christo, in: Scripturus vitam. Festschrift für W. Berschin zum 65. Geburtstag, Heidelberg 2002, 175–184. E. Pöhlmann, Charakteristika des römischen Lehrgedichts, in: ANRW I, 3 (1973) 813–901. J.M. Poinsotte, Juvencus et Israël. La représentation des Juifs dans le premier poème latin chrétien, Paris 1979. F. Quadlbauer, Zur Invocatio des Iuvencus (praef. 25–27), GB 2 (1974) 185–212. C. Ratkowitsch, Vergils Seesturm bei Iuvencus und Sedulius, JbAC 29 (1986) 40–58. V. Reichmann, Art. Feige I (Ficus carica), in: RAC 7 (1969) 640–682. M. Roberts, Biblical Epic and Rhetorical Paraphrase in Late Antiquity, Liverpool 1985 (ARCA 16). ---, Vergil and the Gospels. The Evangeliorum libri IV of Juvencus, in: R. Rees (Hrsg.), Romane Memento. Vergil in the Fourth Century, London 2004, 47–61. V. Rodríguez Hevia, Las Formulas de Transicion en Juvenco, SPhS 5 (1980) 255–271. W. Röttger, Studien zur Lichtmotivik bei Iuvencus, Münster 1996 (JbAC Suppl. 24). Rez. W. Schneemelcher, ZKG 109 (1998) 433. Rez. R. P. H. Green, Gnomon 74 (2002) 73–75. S.J. Rollins, The parables in Juvencus' Evangelorum libri IV, Diss. Liverpool 1984. A. Sand, Das Evangelium nach Matthäus, Regensburg 1986 (RNT 1). K.-O. Sandnes, The Challenge of Homer. School, Pagan Poets and Early Christianity, London 2009. ---, The Gospel „according to Homer and Virgil.“ Cento and Canon, Leiden 2011. P. Santorelli, Nota a Giovenco IV, 809, Annali della Fac. di Lettere e Filosofia dell´Univ. di Napoli 29 (1986/1987) 17–20. ---, Il Vangelo secondo Giovenco, Auctores Nostri 4 (2006) 479–499. ---, Aquilino Giovenco, Il Poema dei Vangeli, Introduzione, commento e apparati, Mailand 2011. K. Schade, Andachtsbild. Die Geschichte eines kunsthistorischen Begriffs, Weimar 1996. W. Schetter, Das römische Epos, Wiesbaden 1975.

Anhang

401

J. Schicho, C. Vettius Aquilinus Juvencus. Untersuchungen zur poetischen Kunst des ersten christlichen Epikers, Diss. Graz 1987. R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium. III. Teil, Kommentar zur Kap. 13–21, Freiburg i. Bg. u.a. 1975 (HThKNT 4). ---, Matthäusevangelium, 1. Bd. Würzburg 42005, 2. Bd. Würzburg 1987 (NEB 1). G. Schneider, Die Apostelgeschichte, I. Teil. Einleitung, Kommentar zu Kap. 1,1 – 8,40, Freiburg / Basel / Wien 1980 (HThKNT 5,1). U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 4. neubearb. Aufl. Göttingen 2002. E. Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen 151981 (NTD 1). J. Schwind, Arator-Studien, Göttingen 1990 (Hypomnemata 94). G. Simonetti Abbolito, Osservazioni su alcuni procedimenti compositivi della tecnica parafrastica di Giovenco, Orpheus 6 (1985) 304–324. K. Smolak, Die Bibel als Dichtung, Litterae Latinae 33 (1978/79) 17–32. ---, Die Bibelepik als „verfehlte Gattung“, WHB 41 (1999) 7–24. F. Spaltenstein, Commentaire des Punica de Silius Italicus, 2 Bd., Genf 1986/90. J. Šubrt, Jesus and Aeneas, LF 116 (1993) 10–17. W. Suerbaum, Vergils Aeneis. Epos zwischen Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1999. M. Testard, Juvencus et le sacré dans un épisode des Euangeliorum libri IV, BAGB 49 (1990) 3– 31. ThLL = Thesaurus Linguae Latinae. K. Thraede, Art. Epos, in: RAC 5 (1962) 983–1042. ---, Die Anfangsverse der Evangeliendichtung des Juvencus, in: Philantropia kai Eusebeia. Festschrift für A. Dihle, Göttingen 1993, 473–481. ---, Epiphanien bei Juvencus. Ausgangstext: Evangeliorum Libri 1,1/26, in: Stimuli. Festschrift für E. Dassmann (JbAC Erg.-Bd. 23), Münster 1996, 499–511. ---, Buchgrenzen bei Juvencus, in: Chartulae. Festschrift für W. Speyer, Münster 1998, 285–294. ---, Art. Juvenvus, in: RAC 19 (2000) 881–906. ---, Juvencus. Der Übergang zur Bergpredigt des Matthäusevangeliums, in: Alvarium. Festschrift für C. Gnilka (JbAC Erg.-Bd. 33), Münster 2002, 277–284. ---, Zum Beginn der Täuferperikope beim Bibeldichter Juvencus (Iuvenc. 1, 307/12), in: Hortus litterarum antiquarum. Festschrift für H. A. Gärtner, Heidelberg 2000, 537–546. ---, Anfänge frühchristlich-lateinischer Bibelepik. Buchgrenzen bei Juvencus, in: La poesia tardoantica e medievale, Atti del I Convegno Internazionale di Studi Macerata, 4–5 maggio 1998, a cura di Marcello Salvatore, Alessandria 2001, 13–23. H.-G. Thümmel, Judas Ischariot im Urteil der altkirchlichen Schriftsteller des Westens und in der frühchristlichen Kunst, Diss. Greifswald 1959 (nicht publiziert). H. Thyen, Das Johannesevangelium, Tübingen 2005 (HNT 6). P. Toohey, Epic Lessons. An Introduction to ancient Didactic Poetry, London / New York 1996. D. E. Trout, Latin Christian Epics in Late Antiquity, in: J.M. Foley (Hrsg.), A Companion to Ancient Epic, Oxford 2005, 550-561. M. Wacht, Concordantia in Iuvenci evangeliorum libri, Hildesheim 1990. M. Wallraff, Christus Verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike, Münster 2001 (JbAC Erg. Bd. 32). J.H. Waszink, Quinti Septimi Florenti Tertulliani De Anima. Leiden/Boston 2010. M. Wehrli, Sacra Poesis. Bibelepik als europäische Tradition, in: Ders., Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze. Zürich/Freiburg 1969, S. 51-71. H. Widmann, De Gai Vetti Aquilini Iuvenci carminis evangelici poeta et Vergili imitatore, Diss. Bratislava 1905. W. Wiefel, das Evangelium nach Matthäus,Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament 1, Leipzig 1998. J. de Wit, Ad Iuvenci evangeliorum librum secundum commentarius exegeticus, Diss. Groningen 1947. ---, De textu Iuvenci poetae observationes criticae, VChr 8 (1954) 1145–1148.

402

Bibliographie

R.D. Williams, P. Vergilii Maronis Aeneidos Liber Tertius, edited with a Commentary, Oxford 1962. A. Wlosok, Die Anfänge christlicher Poesie in lateinischer Sprache: Laktanzens Gedicht über den Vogel Phoenix, in: Dies., Res humanae – res divinae. Kleine Schriften, Heidelberg 1990, 250–278. A. Zissos, Valerius Flaccus Argonautica Book I, ed. with Introduction, Translation and Commentary, Oxford 2008.

REGISTER Abendmahl 113–17, 123 Aeneas 58–61 Ambrosius 50, 56, 87, 91, 171, 201, 226– 27, 237–38, 245, 271–72, 274, 301–2, 342, 344, 352, 364 Andreas 240 Antiarianismus 301–2 Antijudaismus / Juden bei Arator 94 bei Sedulius 93, 241–42, 262–63, 286 Betrug 276–86 Blutgeld 104, 108 Deindividualisierung 208, 278–79, 333–34, 336 Deromanisierung 84–86, 89–93, 129– 30, 138–39, 232, 237, 328, 331, 341– 42, 374–76 Doppelmoral 104 Entjudaisierung 23, 29–30, 181, 219, 257, 321–25, 376 feritas 236 Geldgier 119–21, 281 Gesetz 230, 321–25 Gottlosigkeit 108, 114–15 Grausamkeit 329–30 Hohepriester 155, 290, 335 Leichenraub 89, 229, 238, 241–42, 331, 375–76, 375 Religion 221, 262–63, 321–25 Sabbat 230–31 Schuld 89, 92, 121–22, 123–24, 129– 30, 138–39, 156, 330–31 Tempel 190 Unverständigkeit 182 Verbrechen 68, 113, 114, 129–32, 253– 54, 274, 276–86, 325–28 Wahnsinn 112, 115, 123–24, 123–24, 123–24, 135, 146–47, 155, 159–60, 185, 236, 240, 253–54, 279–80, 331– 38 Apuleius Met. V 31 233 Arator I 191-201 94–95 I 356-364 94 I 83-100 125–26

II 585-618 300–301 Judas 125–26 Pilatusprozess 94–95 Arianismus 215 Arnobius 80 Auferstehung, leibliche 214–15 Augustinus 46, 122, 167–68, 274, 340, 366–69 Ausonius Comm. prof. Burd. 26,11 255 Parentalia 16,15 255 Barabbas 72–74, 77–78, 85 Besessenheit Siehe Dämon Bibel Genesis 2, 7 296 Deuteronomium 27, 11-26 85 2. Buch der Könige 2, 1-18 182–83 2, 11 212 Psalm 19, 10 309 21, 19 149 68, 22 145–46, 184 Jesaja 53, 7 70 53, 12 153–54 Matthäusevangelium 2, 13 208 4, 18a-20 41–42 4, 20 297 4, 23 257 5, 21f 324 5, 25 213 5, 27-29 209–10 6, 25 209 7, 21 298 9, 6 208 10, 9 281 10, 17 209 10, 21 274 10, 28 209 11, 14 211–12 11, 25 233 12, 1-8 231

404

Register 12, 9-14 330 12, 17-21 273 12, 30-32 332 12, 34 330 12, 49 208 13, 36-42 232 14, 14 208, 336 14, 27-31 42–46 15, 15 54–55 15, 16 40 15, 19 332 16, 15-20 46–50 16, 17 214 16, 18 206 16, 21 233–35, 332 16, 22f 50–51 16, 24f 212 17, 4 40 17, 12 182–83 17, 14 208 17, 23 233–35 17, 24 54–55 18, 6-9 232 18, 21f 40 19, 5f 207, 210 19, 12 207 19, 17-21 324 19, 27-28a 52–53 20, 18f 327 20, 19 86, 233–35 21, 33-46 181, 327 22, 1-14 333 22, 9 245 22, 22 208 24, 14 300 24, 29 177 25, 14-18 281 25, 32 294 26, 3f 64 26, 5 335 26, 14-16 112–13 26, 21b-25 113–17 26, 33 297 26, 33-35 53–54 26, 60 173, 336 26, 60b-61 156 26, 69-75 21–39 27, 18 374 27, 1b 374 27, 1f.12-26 62–95 27, 2 327–28, 331 27, 3-10 96–111 27, 3d-4 374

27, 7f 374 27, 25 341 27, 26 327–28, 331 27, 27-31 129–39 27, 27b 375 27, 32-44 140–69 27, 33 375 27, 40 212–13 27, 45-54b 176–206 27, 46bc 184 27, 50 210 27, 54 217 27, 55-61 217–28 27, 62-66 229–42 28, 1 218 28, 1-8 243–63 28, 2d 247–48 28, 11-15 276–86 28, 12 337 28, 14 331, 375–76 28, 14f 89, 237–38 28, 15 328, 339 28, 16-20 287–307 28, 19f 363–64 28, 5 214 28, 5-7.9f 270 28, 6a 254–55 28, 7 258 28, 9 215 28, 9f 264–72 Markusevangelium 5, 1-20 332 14, 66-68 25 14, 70 30 15, 23 144–45 15, 43 221 Lukasevangelium 1, 11 247 1, 28 247 1, 36 207 1, 50 294 1, 67-80 334 1, 77 297 1, 79 233 2, 29-32 334 2, 32 294 22, 3 341–42 22, 59 30 23, 17 71 23, 18 73–74 23, 20 82 23, 39-42 164 23, 50f 221

405

Register 23, 56 231 Johannesevangelium 2, 19 172–73 3, 6 301 3, 1-21 159 3, 14 273 4, 22 334 5, 21 214 5, 24 293 5, 25 214 5, 27 215 8, 12 293 11, 17 233 11, 34 210 11, 38 224 11, 40 192–93 11, 42 293 14, 27 306–7 19, 5 28 19, 28-30 146 19, 32 75, 81 19, 42 231 20, 17 266 20, 21 293 20, 31 298, 306–7, 364 21, 25 306–7 Apostelgeschichte 2, 36-40 94–95 3, 14 82 1. Korintherbrief 14, 3 352 Blutacker 103–5, 126 Blutruf 91–92, 328, 331, 339–41 Boethius 211 Buße 37 Christusnachfolge Siehe praecepta Christi Cicero Aratea I 107f 230 Claudian Carm. Min. 29,5f 246 Cyprian 293, 340 Cyprian von Karthago 46 Cyprianus Gallus Ex 544 218 Dämon 51, 115, 332 Deiphobus 100–101 Dido 22, 98–99, 280–81 Donat Aen. II 500 100 Aen. VI 730-732 211 Aen. VII 99f 176–77

Dracontius Judas 126–28 Laud. Dei I 515-576 126–28 Dunkelheit 32, 54, 177, 204, 233–34, 282– 83 Ehrfurcht Siehe Furcht Elia 181, 182–83, 185–86, 211–12, 342, 375 Engel 67, 189, 224, 226, 238, 243–63, 250, 252, 263, 277 Enjambement 68, 73, 74, 131, 134, 155, 193, 244, 256, 298 Ennius I 108f 257 XVII 439 246 Entjudaisierung Siehe Antijudaismus / Juden Epiphanie 189, 247–48, 250–52, 258–60, 268, 276 Erbaulichkeit 143, 340–41, 350–53, 355– 63, 373, 374 Erzählhaltung Siehe narratio Erzählökonomie 83, 236, 255–57, 278, 348, 369, 374–75 Eucharistie 206 Eucherius 353 Eusebius 120 Evangelienharmonie 29, 96 Ewiges Leben 287–307, 316 Fama 32–33 Feigenbaum 102 Frau des Pilatus 74–75 Frauen 217–19, 225–27 Furcht 43, 51, 55, 267, 274, 288, 309 furor Iudaicus Siehe Antijudaismus / Juden Wahnsinn Galiläa 23–24, 30, 257, 270 Gattung der Evangeliorum Libri Quattuor 310–12, 346 Gebote Christi Siehe praecepta Christi Geldgier 98, 104, 116–21, 281–85, 337, 341–42 Glaubensbekenntnis 198–99, 202–3 Glaubensstärke 40–48, 52–58, 218, 253, 265–72, 290–91, 323, 340–41, 376 Golgotha 322, 375 Gottesmord Siehe Antijudaismus / Juden Schuld Gottvertrauen Siehe Glaubensstärke

406

Register

Grab 24, 25, 89, 192–93, 217–42, 245, 255, 261, 277, 282, 286 Hahn 32–33 Händewaschung 82–86, 90–91 Heilige Schrift Siehe Bibel Heiliger Geist 293 Heiliger Rock 147–51, 166–67 Heilsökonomie 107, 142, 166 Herodes 314, 329–33 Herodot I 35,1 90 Heteronomie 353–55 Hieronymus 37, 50, 56, 86–92, 120, 166, 171, 183, 189, 196, 201, 210–13, 226– 27, 241, 267, 281, 340–44, 346–47, 368 Hilarius 50, 88–90, 118–19, 168, 171, 196, 227, 241, 342–44 Hohepriester Siehe Antijudaismus / Juden Hohepriester Hölle 161, 177 Höllenfahrt Siehe Jesus, Höllenfahrt Horaz Sat. I 9f 232 Intertextualität 16 Ironie 54–55, 65–66, 169, 199–200, 239– 41, 342, 377 iusti 57, 68–69, 193, 221–22, 316, 344 Iuvencus pr. 11 333 pr. 15-19 316 pr. 19-24 351 pr. 19f 304–5 pr. 20 363–64 pr. 26 309–10 pr. 27 350 I 11 I 31 I 42 I 47 I 74 I 79 I 99f I 105f I 108 I 120f I 122 I 128 I 128f I 130 I 141

246–48 333 189, 247 333 207 189, 247 294 257 336 334 333 233 297–98 333 333

I 160 I 175 I 186 I 192 I 195 I 202f I 205 I 206f I 224 I 233 I 237 I 250 I 257 I 257f I 267f I 271 I 307 I 312 I 313 I 338-340 I 348 I 361 I 374 I 384 I 396 I 398 I 404 I 421-425 I 421f I 422 I 428f I 429 I 433f I 435 I 445f I 446 I 466f I 483f I 484 I 496-499 I 511-515 I 519-527 I 536f I 565 I 565f I 595 I 632 I 650 I 686 I 704f I 715-717 I 731f

246–48 247 333 207 333 207 294 334 333 333 333 75 329 329 332 207 324 83 333 83 333 83 326 223 335 331 331, 336 240 41–42 55 41–42 222, 297–98 298 257 331–32 337 67 324 324 324 213 209–10 324 329 67 305 209 330–31 246 270 222 336

407

Register II 5 II 44 II 46-73 II 69f II 72 II 89f II 103 II 119 II 128 II 177f II 178 II 205 II 217-223 II 228 II 254 II 265 II 285 II 323 II 342 II 351 II 389 II 405 II 422 II 433f II 441 II 442 II 452 II 460 II 462f II 467 II 485-487 II 485-489 II 488f II 522 II 543-546 II 544f II 550f II 568 II 575 II 598 II 599 II 601 II 624-630 II 625 II 631 II 640-642 II 649 II 650 II 653 II 658-660 II 676-678 II 706 II 721

332 25 332 219 337 208 324 339 265 159 333 334, 339 273 329 334, 339 313 334 322 257 330 293 274, 305 341–42 330–31 281 326–27 305 209 329 209, 274, 332, 337, 338 332 209 212 211 182–83 211–12 233 231 333 329 330, 333 273 332 337 330 214 293 254 214 211 324–25 329 332

II 729-731 II 784 II 791 II 825

208 67 298 324

III 3 III 12 III 19 III 40-42 III 41 III 61 III 64 III 67 III 74 III 76 III 107-123 III 123 III 159f III 161 III 162f III 173 III 180 III 202 III 235 III 255 III 264-267 III 269-287 III 271 III 273 III 274-276 III 277-282 III 290f III 291 III 293 III 296-302 III 297f III 302 III 304-307 III 325-327 III 339-342 III 341 III 344 III 347-349 III 349-352 III 351 III 352 III 357-360 III 364 III 381f III 402 III 469f III 484 III 486

265 232 298 326 330 326 333 326 336 208 42–46 55 54–55 254, 316 40 332 330 219 333 305 182–83 46–50 55 55 214 55 332 334 233–35 50–51 215 55 212 40 273–74 215 324 182–83 332 330 329–30 208 333 54–55 232 207, 210 207 257

408

Register

III 501 III 501f III 504-513 III 534 III 534-540a III 536 III 543 III 547 III 587f III 588 III 589 III 604 III 633 III 685 III 691 III 725 III 727f III 733f III 755

222 298 324 55 52–53 298 49 305 86, 327–28 207, 333 233–35 329 324, 333 333 333 305 181 327 245

IV 7 IV 20f IV 73 IV 110f IV 114 IV 117-120 IV 131 IV 149-151 IV 243 IV 261f IV 279 IV 320 IV 334 IV 337 IV 345 IV 349-351 IV 370 IV 370-373 IV 370f IV 375 IV 377 IV 384f IV 392f IV 393 IV 397 IV 400-402 IV 403-408 IV 406-408 IV 422 IV 422-435 IV 423 IV 436 IV 437

330 208 330 329 254 300 260–61 177 281 294 329 215 233 333, 339 234 305 255 245 210 22 237 192–93 211 24 257 333 64, 374 335 279, 335, 337, 341–42 326 333 283, 335 279, 335, 338, 341–42

IV 439 IV 467-477 IV 468 IV 470f IV 473 IV 473f IV 478 IV 497f IV 501-503 IV 512 IV 514 IV 537 IV 537-540 IV 538 IV 539-541 IV 542 IV 546-548 IV 547f IV 550 IV 561 IV 568 IV 584f IV 586f IV 592 IV 595 IV 596 IV 599 IV 599f IV 603 IV 603b-605 IV 603f IV 610 IV 614 IV 618 IV 621-624 IV 623f IV 625 IV 626 IV 626-631 IV 626-635 IV 627 IV 629f IV 634 IV 634f IV 635f IV 636-641 IV 637-641 IV 637-642 IV 642 IV 642-646 IV 643 IV 650

215 53–54 297–98 63 55 32–33 322 84 305 326, 333 279, 335 319 22 333 40 336 173 156 335 335 336 376 178, 319–20 334 327, 330, 338 329 341 331 329 374 329 341 329, 330 331, 341, 374 328 331, 339 331, 341 319 374 360 326–27, 335, 337, 341– 42 341–42 376 376 374 326–27 323 375 327, 329, 337 356 207 327, 337

409

Register IV 653 IV 653-656 IV 655 IV 655f IV 656f IV 657 IV 658 IV 659 IV 660f IV 661 IV 662-664 IV 665f IV 666 IV 668f IV 672 IV 673 IV 674f IV 676 IV 677 IV 678 IV 692-694 IV 692f IV 697-700 IV 701 IV 701f IV 702 IV 705f IV 707 IV 708 IV 711 IV 713 IV 714 IV 717 IV 724 IV 725 IV 726 IV 727 IV 727-729 IV 729 IV 730 IV 734f IV 737f IV 738 IV 741f IV 743f IV 744 IV 753 IV 754 IV 754-757 IV 754f IV 755

25, 336 356 329 330 323 322 184, 336 338 323 335, 336, 376 375 334 255 336 216, 318, 377 212–14 336 318 338 329 322, 324–25 342 336 342–43 210 216 245–46 237 211 195 341 319–20, 322–23, 343, 375 333 192–93, 237, 238 247 319–20, 322–23, 343, 375 63 324–25, 376 337, 338 318 376 335 333, 338 247 63 218, 255, 277, 375 198 216, 333 214 337 327, 330, 338

IV 756 IV 756f IV 759 IV 762 IV 764 IV 768 IV 769 IV 770 IV 771f IV 775 IV 777-780 IV 778f IV 779 IV 781 IV 783 IV 785 IV 786 IV 787 IV 78f IV 790 IV 793f IV 795 IV 796f IV 798 IV 798f IV 799 IV 803 IV 803-805 IV 805 IV 80f IV 811

216 214 224 224 257 318, 343, 375, 376 215 274 343 257 337 358 338, 376 318 335, 376 269, 341 216, 377 266 334 265, 318 363–64 83 343 83 222, 364 42 354 350–51 354 207 254, 354

Jesus als Christus 66, 198, 341 als clarus 265, 292 als Dominus 65–66, 255–56 als Dominus Lucis 142, 317 als epischer Held 257, 274–75 als Erstgeborener von den Toten 195– 97 als Gottessohn 157, 162–63, 173–74, 179–81, 198, 199–200, 216, 239–40, 266, 289–90, 292–93, 377 als Hohepriester 151 als iustus 64–66, 67, 74, 115, 131, 136 als König 65–67, 66, 75, 81, 133–34, 137–38, 139, 162, 175, 187, 334, 342–43 als Menschensohn 215–16 als sanctus 68, 136, 215 als Sieger über den Tod 177, 203–6, 230, 249, 255, 267, 273, 342

410

Register

Gottverlassenheit 180–83, 200, 342, 375 Höllenfahrt 195–97, 204–5, 273–74 Kreuzesinschrift 151–52, 167 Tod 187–89, 200, 342–43 Tränkung mit Essig 183–84 Tränkung mit Galle 143–47 Triumphator Siehe Jesus, Als Sieger über den Tod Verurteilung 82 Johannes Chrysostomos 120, 201, 227, 237–38, 241, 344 Joseph von Arimathäa 89, 221–22, 227 Judas 96–128, 219, 283, 341–42 bei Arator 125–26 bei Sedulius 122–25, 360 Geldgier 98, 104, 116–21, 337, 341–42 Kuss 123 Reue 99–100, 116–17 Satan 116–19, 124–27, 283, 326, 341– 42 Tod 96–103, 360 Verbrechen 113, 114 Wahnsinn 98, 112, 116–17, 123–24, 337, 341–42

III 714 VII 334-336 VII 569 VII 718f X 196 Lukrez I 21f I 38 I 75 I 422-425 I 1015 III 170 III 398-401 V 224-226 V 286 V 551 V 591-593 V 1175 VI 76 VI 1041

Kirche 48–52, 206, 340–41 Klerikalismus 302–3 Konstantin der Große 314–15, 369–70 Kontrastimitation 16, 23–25, 33, 45–46, 49, 64, 73, 164, 180, 187, 192, 218, 238–39, 295–96, 312 Körper und Seele 158, 207, 247, 254–56, 265, 291 Kreuz 148, 187 Kreuzesinschrift 151–52 Kreuzweg 140–69 Kreuzzeichen 153

narratio17, 35–37, 61, 80, 93, 97, 110, 122–23, 127–29, 143, 146, 160, 197, 200, 243, 254, 258–60, 287, 292, 311, 318–20, 328, 331, 343–44, 355–63, 370–78 Natursympathie 176–80, 191, 201–2, 245–46 Nikodemus 159, 301, 333, 334

Laktanz 257, 341, 365–68 Div. Inst. II 9,22 210–11 Lazarus 23–24, 188–89, 196, 210–11, 224, 234, 237, 245, 255, 257, 305 Leib Siehe Körper Leibfeindlichkeit 213–14 Licht 36–37, 44, 47, 63, 115, 156–57, 176–80, 204, 212–14, 229–30, 243–45, 254–57, 293, 317, 314–20 Lobgesang des Simeon 334 des Zacharias 334 Lucan I 523f 253

233 260–61 294 294 219 257 215 274 291 215 223 210 257 220 246 63 254, 316 215 281

Marius Victorius Aleth. III 374f 198 matres 247, 259–75, 322–23, 343, 375 Mezentius 180

Olymp 313 ordo saeclorum 107, 142, 166 Origenes 36, 50, 56, 73–74, 88, 90–92, 117–20, 166–67, 171–73, 179, 196, 201, 210, 219, 226, 241, 271–72, 282– 83, 301–2, 340, 341–42, 343–44, 365 Ovid Ars II 127 80 Fast. II 657 232 Fast. V 93-96 144 Fast. V 109 310 Met. II 236 185 Met. II 314 179 Met. III 716 185 Met. VI 639 246 Met. XV 739 191 Trist. III 9,15 116 Trist. III 11, 31 45

Register

Pandarus 191 parallelismus membrorum 109, 149 Paulus 127 Personifikation von Eigenschaften 44, 68, 253, 277, 283, 335 Pessachamnestie 71–75 Petron 122, 131 191 Petrus 39–61, 125, 214, 219, 240, 340–41 Binde- und Lösegewalt 49, 60–61 epischer Charakter 56–61 Glaubensstärke 271–72 Identifikationsfigur 56–61 Primat 46–50, 60 Simon 34, 41–44, 48 Verleugnung 20–38 Wasserwandel 42–46 Pilatus 87–89, 223, 232, 237–38, 283–84, 330–31, 341–42, 374–76 bei Arator 94–95 bei Sedulius 93–94 Pilatusprozess 62–95 Plausibilisierung 342, 374–75 praecepta Christi 42, 217–19, 222, 225– 27, 269, 287–307, 289, 297–98, 364 Primat Siehe Petrus, Primat Proba 368 Properz II 30, 15 232 Prophetie 22, 32–33, 38, 54, 106–11, 143– 46, 166, 290, 297, 323–27, 333, 370, 375 Prudentius VIII 11 246 Psychologisierung 16, 46, 51, 58–60, 73– 75, 98–100, 110, 113–17, 115–17, 135, 159, 215, 231, 280, 285, 290, 318, 336– 38, 343, 356, 361 Reue 35, 37, 127 Römer Siehe Antijudaismus / Juden, Deromanisierung Sarkasmus 45–46 Satan 69, 124–27, 223, 283, 326, 330–32, 335–36, 341–42 Schuld der Römer Siehe Antijudaismus / Juden Deromanisierung Sedulius Carm. Pasch. V 38-138 377–78 Carm. Pasch. V 59-66 360 Carm. Pasch. V 104-112 38

411 Carm. Pasch. V 112 35 Carm. Pasch. V 113-116.139-163 92–94 Carm. Pasch. V 139 80 Carm. Pasch. V 164-175 139 Carm. Pasch. V 232-294 204–6 Carm. Pasch. V 295-314 241–42 Carm. Pasch. V 315-332f 262–63 Carm. Pasch. V 333-364 285–86 Carm. Pasch. V 351 115 Carm. Pasch. V 416-421 306–7 Op. Pasch. V 11 94 Ereignisse nach Ostern 306–7 Betrug der Hohepriester 285–86 Bewachung des Grabes 241–42 Frauen am Grab 262–63 Jesus als Sieger über den Tod 203–4 Judas 122–25, 360 narratio 38, 92–94, 122–23, 139, 203– 4, 241–42, 262, 285–86, 357–60, 377–78 Petrus 38 Pilatusprozess 92–94 Verspottung durch die Soldaten 139 Seele 158, 188–89, 193 Seelenwanderung 211–12 Selbstmord 101–2 Seneca Herc. Oet. 1553 255, 274 Servius Aen. II 62 64 Aen. II 489 218 Aen. IX 215 218 Aen. XII 603 101 Sieg über den Tod Siehe Jesus, als Sieger über den Tod Silius Italicus I 63 252–53 V 70f 246 VII 1 53 VII 200a 23 VII 683f 177 VIII 116-120 177 VIII 192 63 X 48 53 XI 71 64 XI 209 45 XII 697 115 XIII 142f 252–53 XIII 369-380 359–60 XIII 58 23 XIII 694 35 XIV 21f 33

412 Simon Petrus Siehe Petrus Simon von Cyrene 41, 140–43, 165 Sinon 64, 73 Sisyphus 238–39, 240 Soldaten 198, 235–36, 282–83, 336 Sonnenaufgang 63, 229–30, 233–35, 243– 45, 319–20, 358, 376–77 Sonnenfinsternis 176–80 Spondiacus 100 Statius Silv. III 5, 54-57 52 Theb. II 115f 294–95 Theb. II 660f 45–46 Theb. IV 692f 270 Theb. VIII 10 177 Theb. VIII 182-184 23 Theb. XII 252 219 Sympathie der Natur Siehe Natursympathie Tagesanbruch 156–57 Taufe 83–84, 287–307 Technik 16–17, 318–20 Tertullian 91, 119, 167, 211, 216, 233, 254–55, 274, 301–2 Teufel Siehe Satan Tränen 35 Trinität 296–302, 343 Turnus 74, 230 Valerius Flaccus I 79f 268 I 196-199 295 I 686f 246, 247 VI 92-94 178 Verbrechen 68, 253–54, 274, 325–28 Vergil Aen. I 155 246 Aen. I 712 98, 280–81 Aen. I 749 98 Aen. II 57f 25, 64 Aen. II 72 73 Aen. II 145f 64 Aen. II 152 64 Aen. II 195 64 Aen. II 390 253 Aen. II 535-537 114–15 Aen. II 576 100–101 Aen. II 717 90 Aen. II 718-720 84 Aen. II 770 80 Aen. II 779 313 Aen. III 102 192

Register Aen. III 374f Aen. III 436 Aen. III 707-715 Aen. IV 1f Aen. IV 296f Aen. IV 429 Aen. IV 586 Aen. IV 590-629 Aen. IV 657 Aen. IX 462f Aen. IX 752 Aen. IX 760f Aen. V 75 Aen. V 94 Aen. V 138 Aen. V 215f Aen. V 408 Aen. V 707 Aen. VI 186 Aen. VI 255 Aen. VI 258 Aen. VI 261 Aen. VI 394f Aen. VI 456 Aen. VI 487-493 Aen. VI 501 Aen. VI 511 Aen. VI 528f Aen. VI 616 Aen. VI 662 Aen. VI 828f Aen. VII 97-99 Aen. VII 266f Aen. VII 455f Aen. VII 460f Aen. VII 558 Aen. VII 660 Aen. VIII 327 Aen. VIII 356 Aen. VIII 499f Aen. VIII 625 Aen. X 368 Aen. X 446f. Aen. X 591 Aen. X 707-711 Aen. X 873 Aen. XI 175-177 Aen. XI 351f Aen. XI 775-777 Aen. XI 877 Aen. XII 603 Aen. XII 606f Aen. XII 610

253 80 358–59 22 22 222 219 359 115 230 191 281 64 84 198 32–33 224 107 32–33 27 108 42 246 98 164 100–101 219 23 238–39, 240 350–51 115 176–77 269 32–33 274 313 257 274 192 192 150 45–46 74 45 68 180 269 114–15 135 217–18 101 185 101

Register Aen. XII 777-779 Aen. XII 879 Ciris 267 Ecl. I 1 Ecl. IV 5 Ecl. VI 1 Ecl. VIII 60 Ecl. X 44 Georg. I 168 Georg. I 479 Georg. II 47 Georg. III 39

108–9 254, 316 222 371 107 371 222 274 312 191 257 48–49

413 Georg. III 106 198 Georg. III 432 191 Georg. IV 559-566 312–13 Wahnsinn 98, 112, 116–17, 123–24, 135, 146–47, 155, 159–60, 185, 236, 240, 253–54, 279–80, 331–38, 341–42 Zebedäus 219 Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor 304–6, 310–12, 373–78 Zwei-Naturen-Lehre 216

pa l i ng e n e s i a Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft

Begründet von Rudolf Stark, herausgegeben von Christoph Schubert.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0552–9638

53. Georg Wöhrle Hypnos, der Allbezwinger Eine Studie zum literarischen Bild des Schlafes in der griechischen Antike 1995. 123 S., kt ISBN 978-3-515-06738-6 54. Poulheria Kyriakou Homeric hapax legomena in the Argonautica of Apollonius Rhodius A Literary Study 1995. X, 276 S., kt. ISBN 978-3-515-06596-2 55. Michaela Kostial Kriegerisches Rom? Zur Frage von Unvermeidbarkeit und ­Normalität militärischer Konflikte in der römischen Politik 1995. 192 S., kt. ISBN 978-3-515-06775-1 56. Friedhelm L. Müller Eutropii Breviarium ab urbe c­ ondita / Eutropius, Kurze ­Geschichte Roms seit Gründung (753 v. Chr. – 364 ­n. Chr.) Einleitung, Text und Übersetzung, ­Anmerkungen, Index nominum 1995. IX, 336 S., kt. ISBN 978-3-515-06828-4 57. Rigobert W. Fortuin Der Sport im augusteischen Rom 1996. VIII, 440 S., kt. ISBN 978-3-515-06850-5 58. Theokritos Kouremenos Aristotle on Mathematical Infinity 1995. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-06851-2 59. Bruno Vancamp Platon Hippias Maior – Hippias Minor 1996. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-06877-2 60. Karsten Thiel Aietes der Krieger – Jason der Sieger Zum Heldenbild im hellenistischen Epos 1996. XI, 100 S., kt.

ISBN 978-3-515-06955-7 61. Paul Dräger Untersuchungen zu den ­Frauenkatalogen Hesiods 1997. VII, 171 S., kt. ISBN 978-3-515-07028-7 62. Karin Luck-Huyse Der Traum vom Fliegen in der Antike 1997. VIII, 264 S., kt. ISBN 978-3-515-06965-6 63. Friedhelm L. Müller Das Problem der Urkunden bei Thukydides Die Frage der Überlieferungsabsicht durch den Autor 1997. 213 S., kt. ISBN 978-3-515-07087-4 64. Anika Strobach Plutarch und die Sprachen Ein Beitrag zur Fremdsprachenproblematik in der Antike 1997. VIII, 258 S., kt. ISBN 978-3-515-07007-2 65. Farouk Grewing (Hg.) Toto notus in orbe Perspektiven der Martial-Interpretation 1998. 366 S., kt. ISBN 978-3-515-07381-3 66. Friedhelm L. Müller Die beiden Satiren des Kaisers Julianus Apostata (Symposion oder Caesares und Misopogon oder ­Antiochikos) Griechisch und deutsch. Mit Einleitung, Anmerkungen und Index 1998. 248 S., kt. ISBN 978-3-515-07394-3 67. Reinhard Markner / Giuseppe Veltri (Hg.) Friedrich August Wolf Studien, Dokumente, Bibliographie 1999. 144 S., kt. ISBN 978-3-515-07637-1 68. Peter Steinmetz Kleine Schriften Aus Anlaß seines 75. Geburtstages

69. 70.

71. 72. 73.

74. 75. 76. 77.

­ erausgegeben von Severin Koster h 2000. X, 506 S., geb. ISBN 978-3-515-07629-6 Karin Sion-Jenkis Von der Republik zum Prinzipat Ursachen für den Verfassungswechsel in Rom im historischen Denken der Antike 2000. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-07666-1 Georgios Tsomis Zusammenschau der früh­ griechischen monodischen Melik (Alkaios, Sappho, Anakreon) 2001. 306 S., geb. ISBN 978-3-515-07668-5 Alessandro Cristofori / Carla Salvaterra / Ulrich Schmitzer (Hg.) La rete di Arachne – Arachnes Netz Beiträge zu Antike, EDV und Internet im Rahmen des Projekts „Telemachos“ 2000. 281 S., geb. ISBN 978-3-515-07821-4 Hans Bernsdorff Hirten in der nicht-bukolischen Dichtung des Hellenismus 2001. 222 S., geb. ISBN 978-3-515-07822-1 Sibylle Ihm Ps.-Maximus Confessor Erste kritische Edition einer Redaktion ­ des sacro-profanen Florilegiums Loci communes, nebst einer vollständigen Kollation einer zweiten Redaktion und ­weiterem Material 2001. 12*, CVIII, 1153 S., geb. ISBN 978-3-515-07758-3 Roderich Kirchner Sentenzen im Werk des Tacitus 2001. 206 S. mit 4 Tab., geb. ISBN 978-3-515-07802-3 Medard Haffner Das Florilegium des Orion Mit einer Einleitung herausgegeben, ­übersetzt und kommentiert 2001. VII, 267 S., geb. ISBN 978-3-515-07949-5 Theokritos Kouremenos The proportions in Aristotle’s Phys. 7.5 2002. 132 S., geb. ISBN 978-3-515-08178-8 Christian Schöffel Martial, Buch 8 Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar

78.

2002. 723 S., geb. ISBN 978-3-515-08213-6 Argyri G. Karanasiou Die Rezeption der lyrischen P ­ artien der attischen Tragödie in der ­griechischen Literatur Von der ausgehenden klassischen Periode bis zur Spätantike 2002. 354 S., geb. ISBN 978-3-515-08227-3 79. Wolfgang Christian Schneider Die elegischen Verse von Maximian Eine letzte Widerrede gegen die neue christliche Zeit. Mit den Gedichten der ­Appendix Maximiana und der0 I­ mitatio ­Maximiani. Interpretation, Text und ­Übersetzung 2003. 255 S., geb. ISBN 978-3-515-07926-6 80. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Antike Fachschriftsteller Literarischer Diskurs und sozialer Kontext 2003. 208 S., geb. ISBN 978-3-515-08243-3 81. Konstantin Boshnakov Die Thraker südlich vom Balkan in den Geographika Strabos Quellenkritische Untersuchungen 2003. XIV, 399 S., geb. ISBN 978-3-515-07914-3 82. Konstantin Boshnakov Pseudo-Skymnos (Semos von ­Delos?) Ta; ajristera; tou` Povntou Zeugnisse griechischer Schriftsteller über den westlichen Pontosraum 2004. X, 268 S., geb. ISBN 978-3-515-08393-5 83. Mirena Slavova Phonology of the Greek inscriptions in Bulgaria 2004. 149 S., geb. ISBN 978-3-515-08598-4 84. Annette Kledt Die Entführung Kores Studien zur athenisch-eleusinischen ­Demeterreligion 2004. 204 S., geb. ISBN 978-3-515-08615-8 85. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Wissensvermittlung in dichterischer Gestalt 2005. 348 S., geb. ISBN 978-3-515-08698-1 86. Robert Gorman

87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95.

The Socratic Method in the Dialogues of Cicero 2005. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-08749-0 Burkhard Scherer Mythos, Katalog und Prophezeiung Studien zu den Argonautika des Apollonios Rhodios 2006. VI, 232 S., geb. ISBN 978-3-515-08808-4 Mechthild Baar dolor und ingenium Untersuchungen zur römischen ­Liebeselegie 2006. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-08813-8 Evanthia Tsitsibakou-Vasalos Ancient Poetic Etymology The Pelopids: Fathers and Sons 2007. 257 S., geb. ISBN 978-3-515-08939-5 Bernhard Koch Philosophie als Medizin für die Seele Untersuchungen zu Ciceros Tusculanae ­Disputationes 2007. 218 S., geb. ISBN 978-3-515-08951-7 Antonina Kalinina Der Horazkommentar des Pomponius Porphyrio Untersuchungen zu seiner Terminologie und Textgeschichte 2007. 154 S., geb. ISBN 978-3-515-09102-2 Efstratios Sarischoulis Schicksal, Götter und Handlungs­ freiheit in den Epen Homers 2008. 312 S., geb. ISBN 978-3-515-09168-8 Ugo Martorelli Redeat verum Studi sulla tecnica poetica dell’Alethia di Mario Claudio Vittorio 2008. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-09197-8 Adam Drozdek In the beginning was the apeiron Infinity in Greek philosophy 2008. 176 S. mit 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09258-6 Eckart Schütrumpf Praxis und Lexis Ausgewählte Schriften zur Philosophie von Handeln und Reden in der klassischen

Antike 2009. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-09147-3 Theokritos Kouremenos Heavenly Stuff The constitution of the celestial objects and the theory of homocentric spheres in Aristotle’s cosmology 2010. 150 S., geb. ISBN 978-3-515-09733-8 Bruno Vancamp Untersuchungen zur hand­ schriftlichen Überlieferung von Platons „Menon“ 2010. 115 S., geb. ISBN 978-3-515-09811-3 98. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Condensing texts – condensed texts 2010. 776 S., geb. ISBN 978-3-515-09395-8 99. Severin Koster Ciceros Rosciana Amerina Im Prosarhythmus rekonstruiert 2011. 178 S., geb. ISBN 978-3-515-09868-7 100. Theokritos Kouremenos Aristotle’s de Caelo Γ Introduction, Translation and Commentary 2013. 121 S., geb. ISBN 978-3-515-10336-7 101. Hendrik Obsieger Plutarch: De E apud Delphos / Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi Einführung, Ausgabe und Kommentar 2013. 417 S., geb. ISBN 978-3-515-10606-1 102. Theokritos Kouremenos The Unity of Mathematics in Plato’s R ­ epublic 2015. 141 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11076-1 103. Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum 2015. 219 S., geb. ISBN 978-3-515-11174-4 104. Sonja Nadolny Die severischen Kaiserfrauen 2016. 257 Seiten mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11311-3 96. 97.

Im vierten Jahrhundert, in dem das Christentum noch seinen Platz suchte, in dem man es noch wegen der mangelhaften Qualität seiner wichtigsten Schrift, des Evangeliums, angriff, versuchte der spanische Dichter Iuvencus – getragen von Bewunderung für sein Vorbild Vergil – auch das Evangelium in eine Form zu gießen, die dem literarischen Geschmack seiner Zeit angemessen war. So wurde er einer der Ersten, der die ästhetische Dimension des Glaubens nicht ausblendete, sondern bewusst literarischen Genuss mit seinem innersten Bedürfnis, das Evangelium zu lesen und zu verbreiten, verband.

Sein Werk ist bisher nicht vollständig erschlossen und kommentiert. Michael Müller schließt mit dieser Kommentierung der Schlüsselstelle des christlichen Glaubens, der Passion und Auferstehung Jesu Christi, eine wichtige Lücke. Dabei wirft er ein neues Licht auf die Frage nach den Merkmalen der im vierten Jahrhundert gerade erst durch Iuvencus ins Leben gerufenen Gattung „Bibelepik“. Ferner nimmt Müller die Wechselwirkung zwischen Theologie und Exegese auf der einen und christlicher Literatur auf der anderen Seite in den Blick. Somit richtet sich dieses Buch sowohl an Philologen als auch an Theologen.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-11340-3