Auferstehung und Offenbarung: Über den Ort der Frage nach der Auferstehung Jesu Christi in der heutigen deutschen evangelischen Theologie 9783666562310, 9783525562314

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Auferstehung und Offenbarung: Über den Ort der Frage nach der Auferstehung Jesu Christi in der heutigen deutschen evangelischen Theologie
 9783666562310, 9783525562314

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Adriaan Geense Auferstehung und Offenbarung

voor Anneke Ravestein

ADRIAAN GEENSE

Auferstehung und Offenbarung Über den Ort der Frage nach der Auferstehung Jesu Christi in der heutigen deutschen evangelischen Theologie

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 27

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1971 - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus vervielfältigen.

Satz

und

auf foto- oder akustomechanischem Druck:

Guide-Druck,

Hubert & Co., Göttingen

Tübingen.

Wege zu

Bindearbeit:

Vorwort Die Rechenschaft über die im folgenden eingenommene Position möchte der Text dieses Buches selber geben. Ein paar Worte der Begründung für die Beschränkung des Themas unserer Untersuchung auf die deutschsprachige evangelische Theologie der vergangenen vierzig Jahre seien jedoch erlaubt, damit die Ausführungen nicht nur theologiegeschichtlich verstanden werden und die systematische Absicht des Buches übersehen wird. Einerseits ist die Beschränkung der Untersuchung auf die deutsche evangelische Theologie durch den besonderen Sitz im Leben dieser Arbeit bestimmt. Der Verfasser hatte das Vorrecht, in den Jahren 1962-1969 zuerst als Studentenpfarrer in der Nähe von und anschließend als wissenschaftlicher Assistent an der Heidelberger Theologischen Fakultät zu verkehren. Der erste Abschnitt dieser sieben Jahre stand im Zeichen der damals virulenten hermeneutischen Fragen, als deren Kern sich immer wieder die Fragen nach der Auferstehung Christi herausstellte. Um das Jahr 1966 herum wandte sich dann das Interesse der spes academica mehr oder weniger schlagartig gesellschaftlichen Fragen zu. Um in den vielen Diskussionen einigermaßen Boden gewinnen zu können, hat der Verfasser sich dann etwas nachdrücklicher den Fragen nach der Auferstehung Christi zugewandt. Dabei waren diejenigen Autoren, die in Deutschland das Niveau der Diskussion bestimmten, die naheliegenden Gesprächspartner. In diesem durch viele subtile Einzeluntersuchungen und kühne Entwürfe gleichermaßen reich differenzierten Kampffeld, das durch das Auftreten der sogenannten Bekenntnisbewegung und die kirchenkritischen Aktionen der Studenten auch mehr als akademische Relevanz bekam, versucht diese Untersuchung ihren Standort zu gewinnen. Daß dieser Versuch der Standortbestimmung dann bisweilen die Gestalt einer Auseinandersetzung mit denen annahm, „die für Säulen angesehen werden" (Gal. 2,9), darf man, wenn man so will, aufs Konto des Ausländersyndroms schreiben, das überall dort auftritt, wo der (in diesem Fall theologische) Gastarbeiter sich von dem Übergewicht der fremden Umgebung bedrängt fühlt und sich zu befreien versucht. Nicht nur jedoch durch diesen besonderen Sitz im Leben soll die Beschränkung des Untersuchungsgebietes auf die deutsche evangelische Theologie gerechtfertigt werden; auch vom Thema her: die Untersuchung des Ortes der Frage nach der Auferstehung Christi legt die Beschränkung auf diesen Ort nahe. An keiner anderen Stelle, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart hat die Frage nach der Auferstehung Jesu Christi eine so üppige Vegetation hervorgerufen wie gerade in der deutschen evan5

gelischen Theologie. So hat diese Theologie für die hier anstehende Frage exemplarische Bedeutung. Der leidenschaftliche Versuch, sich mit der Frage nach der Auferstehung Christi bis zum letzten Detail im akademischen Raum zu behaupten und, durch die Beschaffenheit des Erfragten veranlaßt, zugleich diesen Raum zu transzendieren, gibt der deutschen evangelischen Theologie eine Spannung, die in dieser phänotypischen Reinheit sonst nirgends zu studieren ist. An dieser Spannung haben die zwölf Theologen, die im folgenden befragt werden sollen, alle auf ihre eigene Weise teil. So betrachtet sind die zwölf keine Einzelgänger, sondern ein moderner Jüngerkreis, und es steht in dieser von ihnen durchgehaltenen Spannung des Wesen der Theologie als wissenschaftliche Besinnung auf das, was das Gegebene transzendiert, selber auf dem Spiel. Der Weg, den ich hier zwischen diesen zwölf Baken zu gehen versuche, soll die Verlockungen des Historismus zur einen und des Existentialismus zur anderen Seite vermeiden, wie es Hermann Diem für eine verantwortliche systematische Theologie gefordert hat. Die These des Buches ist, daß wir die Gefahren auf diesem Gelände nur dann wirksam abwehren können, wenn wir unseren Ort fest in der Kirche eingenommen haben, also kirchliche Dogmatik treiben. Diese These ist zusammenhängend in dem dritten Kapitel ausgeführt, das einerseits den Verlegenheiten, die die beiden ersten Kapitel gezeitigt hatten, begegnen möchte und andererseits als eine Art permanente Raumstation für die weiteren kritischen Bemühungen in den folgenden Kapiteln verwendet wird. Noch eine Schlußbemerkung zu dem sechsten Kapitel über die Zukunft Israels sei erlaubt. Dieses Kapitel geht in gewissem Sinn über das Thema dieses Buches hinaus, aber es hat sich bei dem Durchdenken des zurückgelegten Weges gleichsam als Abschluß aufgedrängt. Es ist, bei aller unfertigen Ausarbeitung, eine Extrapolation der im dritten Kapitel eingenommenen Position, nachdem die eschatologische Fragestellung des fünften Kapitels dafür den Weg freigemacht hat. Das Kapitel ist ein Versuch, die von der Synode der niederländisch reformierten Kirche herausgegebene Denkschrift „Israel. Volk, land en Staat" auch in diesem theologischen Zusammenhang zur Sprache zu bringen. Es hat in Holland um diese Veröffentlichung eine leidenschaftliche Debatte gegeben. Auch in Deutschland ist das Gespräch über die besondere Rolle des heutigen Volkes Israel und seine künftige Rolle dabei dogmatisch salonfähig zu werden. Die drei ersten Veröffentlichungen in der Reihe „Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog" sind dafür ein verheißungsvolles Zeichen. Das ständige Schielen auf die spätjüdische Apokalyptik als hermeneutischen Horizont für die Auferstehung Christi hat den Blick für das wirkliche und konkrete Volk Israel, das in diesem Jahrhundert übrigens genügend Zeichen seiner konkreten Historizität gegeben hat und nicht aufhört 6

zu geben, getrübt. Bei der Auslegung der Auferstehung Christi wird allzuoft die wirkliche Geschichte Israels, die, exemplarisch für alle Geschichte, in dem Kreuz des verheißenen Messias gipfelt, zugunsten der Vorstellungsgeschichte zur Seite geschoben. Wenn nun im folgenden von diesem Horizont zurückgerufen wird, so bedeutet das auch die Konsequenz, die wirkliche Geschichte Israels als O r t der Antwort auf die Frage nach den in der Auferstehung Christi liegenden Verheißungen f ü r die Z u k u n f t zu bedenken und alle Vorstellungen an dieser wirklichen Geschichte zu messen. So wurde der Weg frei, die paulinische Israel-Lehre Rom. 9-11 nicht als erratischen Block in dem wohlgeordneten dogmatischen Feld liegen zu lassen, sondern sie mit der anderen paulinischen Perspektive 1. Kor. 15 in Einklang zu bringen. Darin würden sich Anfang und Ende unseres Weges dann wieder begegnen. In der Hoffnung für die Welt würde dann auch wieder die Hoffnung für Israel sichtbar werden und wiederum in der Hoffnung f ü r Israel die Hoffnung f ü r die Welt. Darin würde audi das ökumenische Anliegen der fälschlich so genannten oder verdächtigten „Israel-Theologie" sich offenbaren. Auch darin möchte der Verfasser ein dankbarer Schüler jener drei Theologen bleiben, die sich eine ökumenische Theologie nicht ohne das Volk Israel vorstellen können und das Thema „Christus, die Hoffnung der Welt" (Evanston) auch als Hoffnung f ü r Israel auszulegen nicht müde wurden: H . Berkhof, Κ. H . Miskotte und E. Schlink. Diese Arbeit wurde im Sommer 1971 als Dissertation von der Theologischen Fakultät der Universität Leiden angenommen. Ohne den Rat und die ständige Ermutigung durch den Doktorvater Professor Dr. H . Berkhof wäre sie kaum zustande gekommen. Ihm dankt der Verfasser f ü r alle Hilfe und Freundschaft. Das niederländische Ministerium f ü r Erziehung und Wissenschaften hat dankenswerterweise durch einen Zuschuß die Herausgabe dieser Arbeit mit ermöglicht. Herrn Professor Schlink dankt der Verfasser f ü r die Aufnahme dieser Abhandlung in die von ihm herausgegebene Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie". Der Verlag hat erfreulicherweise die Herausgabe dieses Buches kurzfristig ermöglicht. Insbesondere dankt der Verfasser Frau G. Chappuzeau Μ. A. im Hause Vandenhoeck & Ruprecht für alle Mühen, die sie sich mit dem Manuskript gegeben hat. Leiderdorp, Ostern 1971

7

Inhalt Vorwort Kapitel I: Auferstehung, A. B. C. D.

5 Offenbarung,

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Karl Barths „Die Auferstehung der Toten" Die Reaktion Rudolf Bultmanns Rudolf Bultmanns „Neues Testament und Mythologie" Der Ort der Frage nach der Auferstehung Christi

Kapitel II: Die Gestalt der historischen Christi A. B. C. D.

Existenz

Frage nach der

13 30 33 44

Auferstehung

Die Entdeckung des leeren Grabes (Hans von Campenhausen) Die Erscheinungen Jesu vor seinen Jüngern (Hans Grass) Die Entstehung des Osterglaubens (Willi Marxsen) Die Überlieferungsgeschichte der Auferstehung Jesu Christi (Ulrich Wilckens)

Kapitel III: Der Ort der historischen Christi

Frage nach der

Kapitel IV: Der Grund der Kirche und der irdische

Auferstehung Jesus

der Kirche und die Zukunft

99

138 151

der Welt

160 162 177

(Wolfhart Pannenberg)

Literaturverzeichnis

87

128

A. Die Anfänge und die Apokalyptik (Ernst Käsemann) B. Die Auferstehung Christi und das Kreuz der Welt (Jürgen Moltmann) C. Auferstehung, Apokalyptik und Anthropologie

Kapitel VI: Die Auferstehung

56 63 75

126

A. Das Sprachereignis (Ernst Fuchs) B. Der Zeuge des Glaubens als der Grund des Glaubens (Gerhard Ebeling) C. Die Begegnung (Gerhard Koch)

Kapitel V: Der Ursprung

50

189

der Toten und die Zukunft

Israels

207 232

9

K A P I T E L

I

Auferstehung, Offenbarung, Existenz Die Frage nach der Auferstehung Christi, die das Material unserer Untersuchung liefert, ist eine Frage, die nicht isoliert, ohne Berücksichtigung des gesamttheologischen Kontextes gestellt werden kann, obwohl sie gelegentlich als eine solche begegnet, sei es als Prüfstein des Zweifels, sei es als Kriterium der Rechtgläubigkeit. Wer sich auf sie einläßt, läßt sich auf die Struktur der Theologie überhaupt ein. Diese Schlüsselposition der Lehre von der Auferstehung Christi ist nicht in jeder Epoche des theologischen Denkens gleich sichtbar gewesen. In den altkirchlichen Kämpfen um das trinitarische und das christologische Dogma, die als Fragen nach der Gottheit und der Menschheit Christi im Grunde Fragen nach Offenbarung waren, hat sich die Diskussion fast ausschließlich an der Inkarnation orientiert und die hier gefällten Entscheidungen haben gleichsam einen ähnlichen Streit um die Auferstehung Christi erübrigt. Auch die reformatorische Theologie des sechzehnten Jahrhunderts, die doch durch die Rückwendung zur Exegese ein starkes historisches Gefalle besaß und die Soteriologie als Christologie auf weiter Strecke vom Kreuz her entwickelte, hat die Auferstehung kaum thematisch werden lassen. Sie wurde selbstverständlich bekannt, inhaltlich funktionierte sie aber schon in dem Evangelium vom Kreuz. Als Ausgangspunkt der Frage nach Offenbarung blieb, wie im altkirchlichen Dogma, die Inkarnation maßgeblich. Man kann deshalb wohl sagen, daß die ganz besondere Rechenschaft, die die Theologie in unseren Tagen von der Auferstehung Christi geben muß, ihr durch das historische Denken der letzten hundertfünfzig Jahren auferlegt worden ist. In drei Modifikationen des historischen Denkens hat sich das besonders offenbart. a) Der Abbau der supranaturalen und heilshistorischen Betrachtungsweise in der Theologie, die sich seit Schleiermacher durchgesetzt hat, führt zur Ablehnung der bis dahin für das Verständnis der Offenbarung zentralen Idee der Präexistenz und der Inkarnation. Wo die Theologie des 19. Jahrhunderts bei dem irdischen Jesus einsetzt 1 , und zwar unter bewußter Überspringung der Inkarnation, melden sich alle Schwierigkeiten, die man durch die Ablehnung der Inkarnation als Offenbarung 1 Dieser E i n s a t z w a r in gewissem, naivem Sinn schon in dem, v o m D o g m a abgewiesenen, Ebionitismus gegeben.

altkirchlichen

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des Sohnes Gottes am Anfang des Lebens Jesu meinte umgehen zu können, in verstärktem Maße am Ende dieses Lebens 2 . Es ist ein Ende, das so stark als Anfang der Kirche erscheint, daß gerade ein sich weiter entwickelndes historisches Bewußtsein unmöglich umhin konnte, sich von diesem Ubergang Rechenschaft zu geben. b) Das historische Denken sieht sich selbst von einem allgemeineren naturgesetzlichen Horizont umfangen. Die Formulierung der Naturgesetze macht, zwar nicht zum ersten Mal, aufmerksam auf die Unmöglichkeit, daß Tote auferstehen — solches kann man wohl auch ohne formulierte Naturwissenschaft vermuten —, sie legt aber einen atmosphärischen Druck auf die Herzen und fordert zu einer besonderen Rechenschaft über die Auferstehung Christi auf, weil es sich hier nicht um eine beliebige Wundergeschichte, sondern um das zentrale Thema des Neuen Testamentes handelt. c) Die durch den Historismus neu akut gewordene Frage nach dem Sinn der Menschheitsgeschichte im ganzen läßt auch die Frage nach dem Horizont der Menschheitsgeschichte neu ins Bewußtsein treten 3 . Die christliche Verkündigung verhandelt diese Fragen unter dem Titel: „Die Auferstehung der Toten", unter denen Jesus Christus der Erste ist (1. Kor. 15, 20fF.). Das bedeutet aber, daß die Auferstehung Jesu Christi von den Toten kein Thema ist, das innertheologisch behandelt und in der Konfrontation mit der Welt zunächst verschwiegen werden kann: sie ist, im Gegenteil, gerade der Ort, wo die Konfrontation mit der Welt des Geistes (Apg. 17, 32) und mit der Welt des Fleisches (1. Kor. 15, 32) zustande kommt und auf die äußerste Spitze getrieben wird. Die Frage nach der Auferstehung Christi ist also, als Frage nach Offenbarung, die Frage nach dem Bezug Gottes und seiner Geschichte zu unserer Welt und unserer Geschichte. Diese drei Grundfragen, die wir nur äußerst summarisch umrissen haben, bestimmen das Klima der Theologie seit dem 19. Jahrhundert. Selbstverständlich ist es, im Rahmen unserer Arbeit, unmöglich, diese Fragen soweit zurück zu verfolgen. Wir müssen, aus methodischen Gründen, einen Anfangspunkt unserer Untersuchung wählen, und zwar, in Hinblick auf die spätere, oft komplizierte Entwicklung, in einer möglichst einfachen und übersichtlichen Gestalt. Diese Aufgabe ist nicht unerfüllbar. Wir setzen ein an dem Punkt, wo die Theologie unserer Zeit ihre stärksten Impulse empfangen hat, bei den Anfängen der dialektischen Theologie. Aus der erwähnten Notwendigkeit, einen möglichst 2 Schleiermaclier selber konnte diesen Schwierigkeiten insofern noch entgehen, als er das Offenbarungsdatum im steten Gottesbewußtsein Jesu sah und die Lehre von der Auferstehung als für die Christologie nicht-konstitutive Größe eliminierte. Der Christliche Glaube II, § 99. 3 Vgl. K a r l Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 15 f. und passim.

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konzentrierten und übersichtlichen Einstiegspunkt zu finden, wählen wir für eine erste Darstellung und Entwicklung der Probleme nicht das Hauptdokument des neuen Anfangs, Karl Barths „Römerbrief" in der zweiten Auflage, sondern dessen Erklärung des 1. Korintherbriefes, mit dem Titel: „Die Auferstehung der Toten" (1923). Diese Schrift hat nicht weniger als der „Römerbrief" einen ausgeprägten, programmatischen Charakter und spannt, in den äußerst konzentrierten Ausführungen, das Maß der Fragen; sie setzt auch, in der Intensität und Leidenschaft, womit die Fragen gestellt werden, ein Niveau, das die weitere Diskussion nur schwer halten kann. Zu dieser Schrift gesellte sich dann eine Besprechung von der Hand Rudolf Bultmanns4, die einen Dialog in Gang bringt, die den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Richtpunkt aller weiteren Diskussionen, die mit einer immer noch wachsenden Zahl der Teilnehmer geführt werden, bildet. Das Gespräch hat inzwischen lange genug gedauert, um einen gewissen Überblick über seine verschiedenen Phasen und über die Motive, die sich darin geltend machen, zu ermöglichen. So liefert dieser Dialog das Material unserer Arbeit, die nicht so sehr alle inhaltlichen Phasen der Diskussion überprüfen möchte, als vielmehr den Ort dieser Fragen nach der Auferstehung Christi aufzuspüren beabsichtigt und dabei die zentrale dogmatische Frage nach Offenbarung als treibendes Motiv in allen Phasen des Gesprächs verfolgen will. Wir wollen nun, in diesem einleitenden Kapitel, versuchen, solche Momente aus Barths Schrift hervorzuheben, die fruchtbare Ansätze zur Weiterentwicklung der Frage nach Auferstehung geboten haben (A), anschließend die Reaktion Bultmanns einbeziehen (B), sodann Bultmanns eigene systematische Position befragen und zwar nach seiner Schrift: „Neues Testament und Mythologie", insofern es diese Schrift war, die die Diskussion aus den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg neu entfacht hat und dann auch wieder für Barths eigene Lehre von der Versöhnung, von Kreuz und Auferstehung, den unverkennbaren Hintergrund bildet 5 (C), und endlich zusammenfassen welche Aporien und Aufgaben sich aus dieser ersten Phase der Diskussion für den weiteren Verlauf ergeben (D). A. Karl Barths „Die Auferstehung

der

Toten"

1. Die Einheit der Sache. Wer sich von dem heutigen Stand der Diskussion um die Auferstehung Christi aus aufmacht, die Grenzgebiete 4 K a r l Barths „Die Auferstehung der Toten", jetzt in: Glauben und Verstehen I, 38—64 5 Vgl. K a r l Barth, Kirchliche Dogmatik, IV/1, V o r w o r t .

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zwischen exegetischer, historischer, systematischer und praktischer Theologie auszukundschaften, und sich dabei an den von den Einzeldisziplinen der Theologie herausgegebenen Karten orientieren möchte, macht, wenn er auf Barths obengenannte Schrift stößt, die Entdeckung, daß die Grenzen auf diesen mitgebrachten Karten der Wirklichkeit nicht entsprechen, jedenfalls einmal, am Anfang der Diskussion, nicht entsprochen haben. Wenn es jetzt Grenzen gibt, so sind sie, den Grenzen mancher National-Staaten ähnlich, nicht ursprünglich, sondern eine Späterscheinung und, gemessen an dieser ursprünglichen Einheit der Fragestellung, eine Erscheinung des Zerfalles. Hier geht die Einheit der Frage von der Einheit der Sache aus: sie muß man gesehen haben, um zu wissen, was auf dem Spiel steht und woran man sich zu halten hat. Hier ist die Theologie noch nicht der Markt der vielen diskursiven Fragen, sondern der Umschlagplatz der einen Frage, der Frage nach Gott, man kann auch sagen: die Predigt von dem Einen, was not tut. Hier brennt noch die Leidenschaft des „Alles oder Nichts", die wohl imstande ist, all unser theoretisierendes und distanziertes Gebaren auf diesem Felde zu Schanden zu machen. Wirklichkeit Gottes und noch keine „Probleme" Leben und noch keine Theorie. Eine Zusammenschau von dem, was wir uns oft nur vereinzelt vorzunehmen vermögen: Auferstehung der Toten und die Auferstehung Jesu, ja, Schöpfung, Auferstehung Christi und das Ende aller Dinge als ein einziges Geschehen6; Zeitgeschichte des Neuen Testaments und die Situation unserer Zeit, Vorstellung und Interpretation, Tatsache und Bedeutung, historische Begründung und Leben aus dem Glauben, die Wahrheit des Evangeliums und die Wahrheiten des Apostolikums, Dogmatik und Exegese, Hermeneutik und Sendung. Vor aller Systematik liegen die Texte, aber vor allen Texten liegt die Sache. Auslegung der Texte ist Auslegung der Sache: daran werden sie gemessen, daran werden wir gemessen. Die Formen schillern, die Sprache ist expressionistisch, was getrieben wird, das ist alles: „Notarbeiten einer Übergangszeit" 7 , aber die N o t ist in der Tat nur eine Not der Form, nicht der Sache8. Denn wo Wasser ist, gräbt sich der Fluß wohl sein Bett, wer aber nur ein Bett ausgräbt, hat damit noch lange kein Wasser. Wo Substanz ist, kann die Methodenfrage nicht künstlich hochgespielt werden; angesichts des letzten Ernstes mutet der Ernst, in dem wir zuweilen unsere Begrifflichkeit klären wollen, an wie Frivolität. Selbstverständlich: man vermutet, wo bei diesem verwegenen Versuch, die Einheit der Theologie wiederherzustellen, nachher die Bruchstellen sich offenbaren und β Karl Barth, Die Auferstehung der Toten, 119. Wenn im Folgenden Belegstellen ohne Titel erscheinen, beziehen sie sich auf diese Sdirift. 7 Seite IV 8 Das Umgekehrte läßt sich freilich audi von der Position Barths aussagen, der gerade davon ausgegangen war, daß wir von Gott reden sollen, aber es nicht können.

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die zentrifugalen K r ä f t e sich manifestieren werden. Wer sich so exponiert, muß damit rechnen, die Beschwörungen des Chores zu provozieren, der jeden Ausbruch aus der wohletablierten Ordnung des akademischen Betriebs als Hybris brandmarkt. Dem Fleiße, der dem Aufdecken von exegetischen Gewalttätigkeiten gewidmet wurde 9 , wurde aber kein kongeniales Verständnis f ü r die tiefste Intention des neuen Unternehmens an die Seite gestellt: kein Verständnis für den starken Willen, die verlorengegangene Unmittelbarkeit wiederherzustellen, nachdem das historische, also das vermittelnde und distanzierende Denken in die Theologie eingebrochen war. In dem gleichen Jahr des Erscheinens von Barths akademischer Vorlesung über den 1. Korintherbrief heißt es (in dessen Briefwechsel mit A. von Harnack), daß die reformatorische Theologie die negative Disziplin der radikalen Bibel Wissenschaft, f ü r die Barth seine Sympathien ausgesprochen hatte, deshalb nicht nötig hatte, „weil sie noch den Mut hatte, das Ärgernis der Offenbarung nicht zu umgehen, und darum die Frage nach einem historisch erkennbaren Mittelpunkt des Evangeliums überhaupt nicht aufwarf. Wir haben sie nötig, weil wir auf der Flucht vor dem Ärgernis auf diese unmögliche Frage verfallen sind." Der Heilige Geist, das Testimonium spiritus sancti sei nötig. Dabei geht es aber, „wie in der Parabel vom verlorenen Sohn, um die Erweckung eines Toten, also ebenso wie bei der Offenbarung, um das Wunder Gottes" 10 . Wird es gelingen, solche Ausdrucksmittel zu finden, um angesichts der durch die Moderne zerbrochenen Unmittelbarkeit die Einheit der Sache, die Einheit von Auferstehung und Offenbarung, neu zur Sprache zu bringen? Wird es gelingen, die Spitze der negativen, radikalen Bibelkritik so umzudrehen, daß sie — darin der Positivität des reformatorischen „ad fontes" entsprechend — nicht auf die „Ursprünge des Christentums" gerichtet bleibt, sondern umgekehrt auf die Gegenwart des kirchlichen Lebens? 2. Implizite und explizite Rede von der Auferstehung. Barth unternimmt die Erklärung von 1. Kor. 15 im Zusammenhang der Auslegung des gesamten 1. Korintherbriefes. Seine These ist, daß das Kapitel von der Auferstehung der Toten nicht so isoliert dasteht, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte. Das Kapitel bildet den Schlüsselpunkt, von dem aus Licht auf das Ganze fällt. Paulus deckt hier seinen Mittelpunkt, seinen Hintergrund und seine Voraussetzung auf, wie er es sonst in dieser Ausführlichkeit nicht getan hat. Hier, in 1. Kor. 15, redet Paulus thematisch von dem, was er sonst mehr nur andeutet. Wo die 1. Kor. 1—14 behandelten Gegenstände sehr disparat und zufällig zu sein scheinen, so 9 In Holland hat sich darum G. J. Streeder, Een beoordeling van Barths Exegese van lCor. 15, Diss. Leiden 1937, bemüht. 10 Karl Barth, Theologische Fragen und Antworten, Ges. Aufsätze III, 24 f.

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sind doch die Überlegungen des Paulus zu diesen Gegenständen das keineswegs11. Mit diesem Rahmen, den Barth für die Erklärung des 15. Kapitels des 1. Korintherbriefes aufstellt, ist zugleich gesagt, daß man von der Auferstehung der Toten auf zwei Weisen reden kann: implizit und explizit. Oder besser, es ist die Frage, ob man das kann. Die Frage stellt sich in beiden Richtungen: die Frage, ob man implizit von der Auferstehung der Toten reden kann, ist die Frage, ob man überhaupt sinnvoll Texte erklären und über „Themen" predigen kann, nämlich im Lichte der Offenbarung. Barth stellt sich hier diese Frage, indem er die Antwort in der Erklärung der ersten 14 Kapitel des 1. Korintherbriefes tatsächlich durchzuführen versucht. Die Frage, ob man explizit von der Auferstehung Christi und der Toten reden kann, erhebt sich hier angesichts des Inhaltes von 1. Kor. 15, hat aber eine viel größere Tragweite: kann man die Voraussetzung der Kirche, des christlichen Glaubens überhaupt explizit und isoliert zur Sprache bringen, d. h. ohne ihre Anwendungen im vollzogenen Glauben und Gehorsam? Paulus unternimmt, nach Barth, diesen Versuch. Aber er tut dabei im Grunde etwas Unmögliches. Es scheint, als ob es unvermeidlich wurde, in der korinthischen Gemeinde, mit den vielen vorletzten Worten, nun auch einmal das letzte Wort in unerhörter Weise herauszusagen12. Sonst hat Paulus es nur kurz und beiläufig getan, denn so etwas sagt man nicht alle Tage. Das Kapitel handelt nicht von diesem und jenem Besonderem, sondern von Sinn und Nerv des Ganzen. Besser denn als Eschatologie würde man deshalb die in 1. Kor. 15 entwickelten Gedanken als Methodologie der Apostelpredigt bezeichnen. Die Frage, ob man davon an sich isoliert reden kann, richtet sich an alle Methodologie. Kann man von den Voraussetzungen an sich, abgesehen von ihren Anwendungen auf irgendeinem Gebiet, auch nur ein einziges, zutreffendes und wirklich erhellendes Wort sagen? Kann man den Vogel im Flug zeichnen?13 Mit dem Schema „implizit-explizit" ist im Grunde die ganze hermeneutische Frage nach der Auferstehung Jesu Christi und der Auferstehung der Toten gegeben. 3. Die formale Funktion der Rede von der Auferstehung. Die Auferstehung der Toten und die Auferstehung Christi sind, sofern sie Inbegriff der neuen Welt Gottes sind, unserer Welt gegenüber so totaliter aliter, daß ein inhaltliches Reden darüber also im Grunde ein unmögliches Unternehmen ist. In Hinblick auf den Inhalt der apostolischen Predigt bekommen sie, gerade indem sie das Neue des neuen Inhalts sagen möchten, als Ausdruck der Qualifizierung als Offenbarung eine stark formale "

1 2 63 f. 2 62 f. Das gleiche Bild in der allgemeineren Charakteristik des neuen theologischen Aufbruches: Der Christ in der Gesellschaft, 40, jetzt in: Die Anfänge der dialektischen Theologie I, 10 13

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Funktion. Dadurch soll innerhalb der Theologie des Wortes Gottes nicht etwas Abwertendes oder gar Negatives ausgesagt sein. Es macht ja immerhin einen Unterschied, ob diese Aussage der Auferstehung in ihrer formalen Funktion damit motiviert wird, daß der intendierte Inhalt eigentlich unsagbar ist, weil er die Offenbarung, Gott selber ist, oder ob man Auferstehung als letztlich zufälliges Ausdrucksmittel f ü r andere Sachverhalte (Bedeutsamkeit des Kreuzes oder: die Sache Jesu geht weiter) betrachtet. Darauf kommt es uns aber jetzt an dieser Stelle noch nicht an. Ebensowenig soll damit etwas vorentschieden sein in der Frage, ob dieser formalen Funktion der Rede von der Auferstehung — innerhalb der dogmatischen Besinnung — nicht ein „reelles Geschehen", nicht die „Tatsache" oder die Tat der Auferstehung zugrunde liegen muß, um wirklich diese Offenbarungsfunktion ausüben zu können. Hier kommt es nur darauf an zu erheben, in welchem Sinn das Schema „implizit-explizit" bei der Aussage der Auferstehung die Möglichkeit eines doppelten Ansatzes bietet und systematisch die Bestimmung des „Wesens" der Auferstehung nicht mehr ausschließlich von der expliziten Behandlung des Auferstehungskerygmas und der Auferstehungsberichte abhängig sein läßt. Nicht nur die Evangelien, sondern auch die übrigen Schriften des Neuen Testaments können unter der hermeneutischen Regel des „spirant resurrectionem" 14 gelesen werden, im Lichte der Auferstehung, d. h. der Offenbarung, ohne immer die Quelle dieses Lichtes explizit aufzudecken. Diese Möglichkeit eines doppelten Ansatzes ist aber nicht alternativ zu verstehen. Die formale Funktion der Rede von der Auferstehung indiziert in ihrer bewußten Beschränkung auf das Formale darüber hinaus etwas letztlich inhaltliches. Sie qualifiziert das Letzte als Geheimnis. 4. Die komprehensive Bedeutung der Rede von der „Auferstehung von den Toten" Direkt mit der formalen Funktion der Rede von der Auferstehung zusammenhängend ist die Feststellung, daß „Auferstehung von den Toten" oder „Eschatologie" als Deutungszusammenhang und Beziehungsbegriff der Auferstehung Christi bei Barth eine komprehensive Bedeutung hat und alle anderen Auslegungsdimensionen übergreift, also kein Deutungszusammenhang neben anderen ist. Der Problemhorizont der Eschatologie ist — wie in Barths „Römerbrief" — der totale Horizont der Theologie. Leugnung davon, wie es bei den Korinthern geschah (1. Kor. 15, 12), ist Leugnung dessen, was das Christentum zum Christentum macht 15 . Natürlich ist dann der Terminus „Eschatologie", wenn er nicht gründlich geklärt wird, eine irreführende und unzureichende Bezeichnung f ü r das, was Paulus in 1. Kor. 15 vorträgt 1 6 . Zu nahe läge hier eine Verwechslung von Endgeschichte mit Schlußgeschichte. Gerade als letztere verstanden, wäre der Begriff nicht in der 14

J . A. Bengel

15

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Geense, Auferstehung

Lage, das auszudrücken, woran Barth liegt: das Verständnis des Endes zugleich als Ursprung (vgl. unten sub 8). 5. Die nicht-thematische Entmythologisierung. Zur systematischen Einordnung in einer Reihe von dogmatischen „loci" eignet sich diese „Eschatologie" also nicht; ebensowenig aber als Thema einer programmatischen Entmythologisierung. Insofern diese letzte sich vollzieht, geschieht sie nebenbei und unthematisch. Sie kann schon deshalb kein erstes Anliegen sein, weil alle Worte und Bilder und Begriffe, die wir an die Stelle von „Auferstehung von den Toten" setzen möchten, das Rätsel der Sache kaum geringer machen und eine größere Anschaulichkeit auch nicht herbeizuführen vermögen. Von der biblischen Vorstellungswelt heißt es: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis: daß auch die Gegenstände der biblischen Anschauungswelt zum Vergänglichen gehören, daß sie dienen und nicht herrschen, bedeuten und nicht sein wollen (kursiv von uns), darüber läßt uns die Bibel selbst jedenfalls nicht im Zweifel." 17 Es ist aber die Tauglichkeit, diesen Dienst zu leisten, worauf die Bilder angesehen werden, nicht ihre Untauglichkeit für den modernen Menschen. „Wie die Verknüpfungen der Erscheinungen in der Erfahrung, so ist auch die im Denken eine selbstverständliche Notwendigkeit, auch sie nur ein Bild, aber immerhin ein Bild der Auferstehung, der radikalen grundsätzlichen Neuprädikation des Menschen bei beharrendem Subjekt." 18 Die Stellen, wo Paulus offenbar von Schlußgeschichte spricht, deutet Barth so um, daß Paulus selbst hier keine eschatologische Mythologie entwickelt habe (und dadurch erübrigt sich natürlich eine thematische Entmythologisierung!). Wenn die letzte Posaune schallen „wird", sollen wir keinen Augenblick vergessen, dieses „wird" in Anführungsstriche zu setzen: „es handelt sich um dieses ganz besondere Futurum resurrectionis oder aeternum." 19 Es ist unschwer einzusehen, daß diese und ähnliche, dem Exegeten als Gewaltsamkeiten anmutenden Ausführungen die Frage aufkommen lassen, um welchen Preis man eine thematische Entmythologisierung hier vermeiden kann, eine Frage, die zu stellen Bultmann nicht versäumte (vgl. unten sub Β)20. Trotzdem dürfte aber im Anliegen des frühen Barth und Bultmann eine Einheit bestehen bleiben: Der Sinn von Barths Enteschatologisierung (im Sinn der Eschatologie als Schlußgeschichte) und Uminterpretierung ist nämlich nicht so sehr negativ und formell, durch 17 59 20

18 1 1 3

19 126

E. Hübner, Entmythologisierung als theologische Aufgabe (in: Parrhesia, Festschrift für Barth, 238—260), hat nochmals explizit entwickelt, daß die als ,Entmythologisierung' bezeichnete theologische Aufgabe Barth keineswegs unbekannt ist, daß er aber die Aufgabe noch radikaler als Bultmann ausführt, indem er das Phänomen des Mythos theologisch qualifiziert: „Entmythologisierung heißt für Barth in erster Linie Aufdeckung des mythischen Charakters, der Absolutsetzung solcher innerweltlichen Prinzipien, Relativitäten, Mächte und Gewalten" (259).

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die Erwägung der Unvollziehbarkeit der Vorstellungen bestimmt, als viel mehr durch das Anliegen, die endgeschichtlichen Aussagen direkt auf uns zu beziehen. Dadurch, daß Barth das Ende auch als Anfang auslegt, werden wir von hinten und vorne durch die Offenbarung, durch die Auferstehung der Toten umfangen, und gibt es kein Entschlüpfen mehr in irgendeine religiöse Verklärung des Gegebenen. 6. Der existentielle Sinn der Rede von der Auferstehung. Wozu dienen die Gegenstände der biblischen Anschauungswelt, was wollen sie bedeuten? „Ganz unzweifelhaft ist ja das Wort ,Auferstehung der Toten' für ihn (sc. Paulus) nichts anderes als eine Umschreibung des Wortes ,Gott'." 21 Die Umschreibung ist nicht die Sache selbst. Aber sie ist eine notwendige Umschreibung, keine willkürliche. Warum? Weil ich sonst diesem Gott abwartend, unbeteiligt, zuschauend gegenüberstehe. Weil „Gott" oder die Bedingtheit des Universums der Dinge durch Gott sonst „ein frommer, aber ebenso gewiß kein mich tatsächlich und wirklich für Gott in Anspruch nehmender Gedanke ist" 22 . Das Interpretament „Auferstehung" ergibt sich aus der Sorge um den existentiellen Bezug unseres Gottesgedankens. Barth bringt die Verbindung zwischen Gott und Existenz über den Begriff „Auferstehung der Toten" dadurch zustande, daß er sagt: „Gott ist der Herr des Leibes. Jetzt ist die Gottesfrage akut und unausweichlich gestellt. Der Leib ist der Mensch, der Leib bin ich. Jetzt erst habe ich keinen Schlupfwinkel mehr vor Gott." 23 Es wundert uns nicht, daß an dieser Stelle Bultmann seinen stärksten Beifall spendet: „Hier ist die wahre Meinung des Paulus glänzend zum Ausdruck gebracht und der eigentliche Sinn des soma- wie des pneuma-Begriffs, mit großer Sicherheit geltend gemacht."24 7. Die kritische Funktion der Rede von der Auferstehung. Aber noch ist damit die letzte Spitze der Rede von der Auferstehung nicht getroffen. Nicht nur existentiellen Charakter, sondern gerade darin eine für die Existenz kritische Funktion bekommt der Gottesbegriff, wenn er, als Offenbarungsbegriff, umschrieben wird mit „Auferstehung von den Toten" In der Auslegung von 1. Kor. 6 heißt es: „Das Christentum bringt nicht Ruhe, sondern Unruhe in das natürliche Leben, es verwandelt es zum söma Christou, zum Glied am Leibe des auferstandenen Herrn, der als solcher geheiligt werden s o l l . . . Wieder ist von einer neuen Seite etwas von dem in Umrissen sichtbar geworden, was er Kap. 15 als Auferstehung von den Toten verkündigen wird." 23 Und zu 1. Kor. 15, 44: „Auferweckt wird ein (Gott-)geistlicher Leib, das Ende der Wege Gottes ist die Leiblichkeit. Mit dieser Bestimmung erst hat der Gottesgedanke, um den es Paulus in der Tat allein zu tun ist, jene unzweideutige Überlegenheit bekommen, jene kritische Schärfe, jene Ge21 24

22 Ebd. 115 Glauben und Verstehen I, 62

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ladenheit mit letztem Gericht und höchster Hoffnung, deren Verkennung eben die agnosia theou, keine Ahnung von Gott haben (v. 34), bedeuten würde" 26 . Die kritische Funktion des Bekenntnisses zur leiblichen Auferstehung bezieht sich letztlich auf unsere Religion und unsere Moral. „Selbstverständlich ist die leibliche Auferstehung gemeint. Und eben darum stoßen sie (sc. die Auferstehungsleugner) sich daran. Gerade hier prallt ihr christlicher Monismus unversöhnlich auf die Diskontinuität, auf die Dialektik des paulinischen Denkens, auf das Nein, das sie in seiner Botschaft ihrer Hoffnung auf Christus in diesem Leben entgegengestellt sehen. Das Fortleben nach dem Tode, das auch sie annehmen, muß doch ein nur geistiges, ein immaterielles sein! Warum? Nun natürlich, damit es neben diesem jetzigen leiblichen Leben Raum hat, in einer befriedigenden Gesamtweltanschauung . . . Auferstehung des Leibes aber, desselben Leibes, den wir offenkundig sterben und vergehen sehen, Behauptung also nicht einer Dualität von Diesseits und Jenseits, sondern einer Identität beider, aber nun doch nicht gegeben, nicht direkt festzustellen, nur zu hoffen, nur zu glauben, gerade das ist offenbar die erbarmungslose Zerreißung jener Einheit, Skandal und Unvernunft und religiöser Materialismus . . . Um diesen Anstoß handelt es sich."27 „In dem Streit um die Auferstehung stoßen zwei Welten aufeinander (die Frage der Leiblichkeit ist nur ihre beiderseitig äußerste Spitze), die Welt des Evangeliums (sagen wir einmal: wie Paulus es versteht) und die Welt einer Religiosität und Moral, die fast ganz so aussieht wie Christentum . . ." 28 „Der Streit um die Leiblichkeit der Auferstehung ist auch nicht mehr als der Exponent eines Ringens von viel tiefer- und weitergreifenden Gegensätzen." Für den, der das nicht merkt, hat der Streit um die Leiblichkeit der Auferstehung „immer etwas seltsames"29. 8. Das Ende als Ursprung. Die kritische Funktion der Auferstehungsbotschaft ist aber keine negative Funktion. Die Aufhebung des Seienden ist die Erwählung des Nicht-Seienden, heißt es in Auslegung von 1. Kor. 1, 29, wo die proletarische Zusammensetzung der Gemeinde zum Gleichnis für das Paradox der christlichen Gemeinde wird. Aus diesem Gott, der das Nicht-Seiende erwählt, ist die Gemeinde30. Die Gemeinde ist aus dem Gott, der im Vergleich zu den vielen Göttern, die existieren, nicht „existiert" 31 . „In der Welt der Dinge des Existierenden sind jene (Götter) — dieser, der uns Offenbarte, ist der Ursprung, der Schöpfer aller Dinge." 32 „Von letzten Dingen würde nur reden, wer vom Ende aller Dinge reden würde, von ihrem Ende so schlechthin, so grundsätzlich verstanden, von einer Wirklichkeit so radikal überlegen allen Dingen, daß die 27 28 29 30 2β 67 69 68 8 31

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Existenz aller Dinge ganz und gar in ihr, in ihr allein begründet wäre, also von ihrem Ende würde er reden, das in Wahrheit nichts anderes wäre als ihr A n f a n g . . . Endgeschichte müßte für ihn gleichbedeutend sein mit Urgeschichte, die Grenze der Z e i t . . . müßte . . . der Ursprung der Zeit sein" 33 . „Das ist unsere Hoffnung, der Sinn der Auferstehung Jesu besteht darin, daß Auferstehung der göttliche Horizont auch unseres Daseins ist. Das Leben, die Welt wird endlich. Gott ist das Ende. Er ist darum und damit auch der Anfang" 34 . Barths Absicht ist, das Letzte als Erstes zu verstehen und damit fruchtbar zu machen35. 9. Die Denkmöglichkeit der Auferstehung. Wir fanden: das Letzte muß als Erstes verstanden und damit fruchtbar gemacht werden. In welchem Sinn kann es sich hier um ein Verstehen handeln? Wir werden etwa 1. Kor. 15, 39—42 an das Problem des Ursprungs erinnert, vor dem wir beständig stehen. Wir sollen es aber verstehen. Damit haben wir freilich noch nicht Gott und die Auferstehung verstanden, wohl aber die Möglichkeit sie zu verstehen, wenn sie sich zu verstehen geben36. Die Kategorie Ursprung ist eine gleiche Hilfe wie die Analogie zwischen Fleisch von Menschen und von Tieren, zwischen himmlischen und irdischen Leibern. Wo in jeder Analogie die Ungleichheit immer größer ist als die Gleichheit, würde, meint Barth, doch nur ein Tor darum, weil sich auch hier eine schöpferische und insofern eine unanschauliche Synthese vollzieht, darauf verzichten, die verschiedenen Dinge zu begreifen, d. h. in Begriffe zu fassen, also gerade von dieser unbegreiflichen Synthese Gebrauch zu machen. Es geht dabei nicht um einen Beweis, sondern darum: Raum zu schaffen im Denken 37 . Dabei handelt es sich also — wir können uns das aus dem über die kritische Funktion der Auferstehung Gesagten vergegenwärtigen — keineswegs um einen Naturprozeß, auf Grund dessen wir wie Oetinger und ehrwürdige Zeitgenossen eine Naturphilosophie von der Auferstehungskraft Gottes, die als unvergänglicher Keim in jedem Ding schlummre, entwickeln könnten. Es handelt sich nicht um das „Innere" der „Natur", das das 18. Jahrhundert so interessierte, sondern um den Ursprung der „Natur", um ihre Schöpfung und Erlösung38. Paulus philosophiert hier nicht, sondern er verkündigt. Er weist nicht die Wahrheit, d. h. dann eben die Denkmöglichkeit einer 33 5 9

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60. Die Begriffe Anfang, Ursprung und Urgeschichte stammen von Franz Overbeck, dessen .unerledigte Fragen an die heutige Theologie' Barth um den Anfang der zwanziger Jahre herum stark bewegen. Vgl. Barths Aufsatz mit diesem Titel in: Die Theologie und die Kirche, Ges. Aufsätze II. Barth möchte Overbecks grundlegende kritische Lehre von Urgeschichte und Tod mit der darin ausgesprochenen tiefen Erkenntnis der Dialektik von Schöpfung und Erlösung „als eine Uberwindung aller .Ideologie' auffassen und den Verfasser neben dem Sokrates des Phädon zu denjenigen heidnischen Verkündigern der Auferstehung rechnen, von denen es heißt: Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden." (8) 35

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Idee auf, sondern er zeigt, wie man von Christus, von der offenbarten Wahrheit aus, notwendig denken muß39. Der Abschnitt 1. Kor. 15, 35—44 a, den man als „die Denkmöglichkeit der Auferstehung" charakterisieren könnte, lebt schon aus dem Schluß des Kapitels: die Auferstehung als Wirklichkeit. Verglichen damit hat dieser Abschnitt etwas Vorbereitendes. Es wird ein großes, störendes Mißverständnis aufgerollt und bezeichnet. Das ist deshalb keine Apologetik, weil das ganze Kapitel viel weniger Verteidigung des Glaubens als Angriff, und zwar nicht auf die Welt, sondern um der Errettung der Welt willen auf die Christenheit ist, Angriff von der Offenbarung aus. Der Einwand, mit dem man kommt (v. 35: wie werden die Toten auferstehen?), ist denn auch nicht der Grund und Nerv des Widerspruchs, sondern nur die Einkleidung, der gedankliche Ausdruck, um nicht zu sagen die Entschuldigung, für eine entgegenstehende christlich-unchristliche Gesamtanschauung40. 10. Die praktische Bewährung der Wahrheit der Auferstehung. Wir haben jetzt gehört von dem existentiellen Sinn (6) und von der kritischen Funktion der Rede von der Auferstehung (7). Wir haben das Ende auch als Ursprung zu verstehen gelernt (8) und befinden uns also auf beiden Seiten von dieser Wirklichkeit umschlossen. Das bedeutet, daß die Auferstehung als Wahrheit (9) keine Naturphilosophie sein kann. Die Aufräumungsarbeit für das Denken der Auferstehung orientiert sich aber nicht so sehr — apologetisch — an intellektuellen Schwierigkeiten (diese sind, so hörten wir, nicht der Kern des Widerspruchs) als viel mehr — als Angriff — an der praktischen Trägheit der Christenheit. Diesen Punkt wollen wir nun auch noch besonders aus Barths Schrift hervorheben. Die Praxis des Gehorsams hat für das Verstehen der Bilder, der Begriffe, der Theorie, eine eminente Wichtigkeit. Wenn wir uns auf die ursprüngliche und auf die erlöste Schöpfung berufen, berufen wir uns nicht auf ein Seiendes, ein Gegebenes. Paulus stellt „den Menschen gewaltig in das Licht oder vielmehr in das Zwielicht der Wahrheit, daß er von Gott geschaffen ist mitten hinein zwischen Adam und Christus, und sagt ihm: Du bist beides oder vielmehr du gehörst zu beiden, und wie beide miteinander den Weg Gottes bezeichnen, von der alten zur neuen Kreatur, so ist auch dein Leben der Schauplatz, über den dieser Weg führt, so mußt auch du mit von hier nach dort. Mit anderen Worten: er reißt den Frager und Zuschauer aus seiner behäbigen Stellung heraus und stellt ihn hinein mitten in den Kampf, in dem die Auferstehung Wahrheit ist. Wer sich selbst in Adam und Christus erkennt, der fragt ja eben nicht mehr: in welchem Leibe werden wir wiederkommen? als ob es sich um ein wundersames Märchen handle, das er ,glauben' müsse. Er weiß, daß es sich um seinen, diesen Leib handelt (aber um die Auferstehung dieses 39

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Leibes), und gibt Gott die Ehre in Furcht und Zittern, aber auch in Hoffnung. Nicht in der Theorie, nur in der Praxis dieses Kampfes ist sie eben zu begreifen: die Auferstehung als Wahrheit, aber hier ist sie zu begreifen" 4 1 . 11. Die Auferstehung der Toten und die Auferstehung Jesu Christi. Wir haben bis jetzt die Position Barths zunächst unter formalen Gesichtspunkten umrissen (1—5) und nachher versucht, die eigentliche und letzte Intention, die Spitze der Sache (des Redens von) der Auferstehung der Toten, herauszuarbeiten (6—10). Im Grunde besagen diese 10 Punkte alle das gleiche: die Beziehung der Offenbarung auf unser Leben. Wir haben dabei fortwährend noch undifferenziert von der Auferstehung der Toten und von der Auferstehung Jesu Christi gesprochen. Auch das hängt mit dieser Grundintention der Herstellung einer Beziehung zusammen. Es liegt Barth gerade alles daran, daß diese Differenz in der Sache nicht zustande komme. Die Sache vereint uns und Christus. Alles wird zusammengedacht in der Mitte, nicht der Historie, sondern der Sache. Die Historie schafft das Problem der Distanz, der Vermittlung, sowohl nach rückwärts (Christus) als auch nach vorwärts (Auferstehung der Toten). In der Historie können wir uns distanzieren und Gott entrinnen. Ursprung und Ende liegen in der Mitte, bei uns, und das erübrigt die Vermittlung, diese lange Brücke, von der die meisten unterwegs herunterfallen. Aber wer unterscheiden will, muß sagen: Erst kommt die Sache, der allgemeine Sinn, und dann kommt Christus. Prädestination, Inkarnation und Anhypostasie besagen nichts anderes. „Ist die Offenbarung nicht schlichte Le&eraswahrheit, so ist sie auch keine historische Wahrheit" 4 2 . Wer die Offenbarung leugnet, leugnet auch das Kerygma, leugnet auch Christus. Wenn die korinthischen Leugner der allgemeinen Totenauferstehung recht haben, gilt: „Christus ist nicht auferstanden, sondern, wie man über seine Auferstehung auch denke, auch nur eine Partikel des allgemeinen L e b e n s . . . keine Kategorie für sich. Das letzte Wort, das streng sachlicherweise über ihn zu sagen ist, wird ja doch dahin lauten müssen, daß er ein Mensch gewesen und als solcher gestorben ist" 43 . „Diese taube Nuß mag sich mit etwas Flittergold bestrichen recht schön und erbaulich ausnehmen, aber irgendwo in der Mitte wohnt die Verzweiflung der Aufrichtigkeit, die sich klar wird darüber, daß Jesus eben doch gestorben ist." 44 Diese allgemeine Auferstehung ist der „Sinn des Glaubens" überhaupt 45 . Unter diesem umgreifenden Sinn tritt nun auch Christus auf. Seine Auferstehung wird von den Korinthern bejaht, aber nicht als der Sinn seiner historischen Erscheinung. Sie hat für sie keine prinzipielle, keine Lebensbedeutung. Sie denken nicht von da aus. Sie bejahen die 4i 122 45

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Auferstehung Christi, „aber sie betrachten sie als ein isoliertes, historisches Ereignis, das zu uns jedenfalls nicht in der Beziehung steht, daß auf Grund davon unsere eigene Auferstehung bejaht werden müßte" 46 . Wie aber „kann man die Auferstehung von den Toten leugnen, wenn der Inhalt der Christusverkündigung, die man glaubt, der ist, daß Christus von den Toten erweckt i s t ? . . . Der Schluß von Christus auf uns andere beruht auf der weit tiefer liegenden Voraussetzung (kursiv von uns), daß es sich in der Auferstehung C h r i s t i . . . um die Offenbarung Gottes handelt. Ist das wahr, ist hier das von Gott gesetzte Ende der Geschichte, hier der von Gott gesetzte neue Anfang erschienen, nun, dann ist es eben so, dann gilt das, was von Gott erschienen ist, für die ganze von diesem Horizont umgebene Geschichte, dann ist das Wunder Gottes an Christus sofort und gleichzeitig das Wunder Gottes an uns"47. Die Frage der „Anwendung" von Christi Auferstehung auf unsere Auferstehung, die Frage der dogmatischen oder kirchlichen Vermittlung, wird hier also von Barth von vornherein dadurch überholt, daß er die Auferstehung Christi, in Auslegung der Paulus, unter die allgemeine Totenauferstehung subsumiert. Wer von dieser Wirklichkeit her denkt und sich nicht erst über den Weg der historischen Vermittlung durch Christus auf die Frage der allgemeinen Totenauferstehung bringen läßt, kann nicht so tun, als ob er davon abhängig ist, daß die historische Sinngebung und die Vermittlung von Bedeutung erst noch zustande kämen. Er ist von vornherein mitten drin. „Es ist die Hinterlist dieses Abschnitts, daß Paulus in das von den Korinthern Zugegebene, die Auferstehung Christi, zum vornherein einen Sinn hineinlegt, der ihnen so fremd ist, wie das von ihnen nicht Zugegebene, die allgemeine Totenauferstehung, und sie nun von daher überrumpelt und aufrollt" 48 . Die Besonderheit der Kategorie Christus, die Offenbarung in der Geschichte, hängt ab von dem Allgemeinen, daß Gott erkannt wird als Herr und Schöpfer und Ursprung, von der Offenbarung überhaupt 49 . In letzter Instanz gründet der Glaube in der Sache, nicht in dem historischen Bezug. Unter Beschwörung wohl der Schatten Kants und W. Herrmanns heißt es über die naheliegenden MißVerständnisse von 1. Kor. 15: „Welch übler Heteronomismus des Glaubens und des Gehorsams kann man aus v. 12—34 herauslesen, wo beide statt in ihrer eigenen Freiheit (kursiv von uns) scheinbar so unzweideutig in einem Dritten und Vierten, in einem historischen Ereignis und in Blick auf das Jenseits begründet werden" 50 . 12. Die Historizität der Auferstehung Christi und das Problem des historischen Bezuges. Jetzt stellt sich natürlich eindringlich die Frage 4

47 48 « 66 88 f. 89 91. Vgl. Kirchliche Dogmatik 1/2, 64: Offenbarung ist kein Prädikat von Geschichte, sondern Geschichte Prädikat von Offenbarung. 60 63 49

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nach der Funktion der historischen Bezugnahme auf die Auferstehung Christi und damit zugleich die Frage nach deren „Historizität" Der Text 1. Kor. 15,3—11 erfordert auf diese Frage eine Antwort. Das im Grunde unmögliche Unternehmen explizit von der Auferstehung zu reden (vgl. oben sub 2) gibt auch hier Anlaß genug zum Mißverständnis: die Verse 3—11 „mit den Augen einer historisierenden Verständigkeit zu lesen, wobei es für die Unfruchtbarkeit des Ertrages einen kleinen Unterschied macht, ob man dabei entschlossen ist, das sogenannte Wunder zu leugnen oder anzuerkennen" 51 . Und was die historische Vermittlung betrifft, so gilt von der ,paradosis' des Abendmahls, was auch von der ,paradosisc der Erscheinungen gilt: „Nicht in der ältesten, bestbezeugten, und glaubwürdigsten Tradition lebt und redet für ihn der ,kyrios' — warum sollte gerade das der ,kyrios' sein, was dort lebt und redet? —, sondern in seiner höchst gegenwärtigen Offenbarung an seine Gemeinde, in concreto in dem ihm, dem Paulus gewordenen kerygmatischen Auftrag. Er berichtet direkt aus der Quelle: Der Herr selbst ist die Tradition" 5 2 . „Was will denn Paulus anderes sagen als dieses: die Botschaft, deren Bote an euch ich war, ist (vom Menschen aus gesehen) in der Tat unvermittelt und unbegründet" 53 . Es handelt sich in 1. Kor 15, 3—7 nicht um einen „Auferstehungsbericht" oder gar einen historischen Beweis für die Auferstehung Jesu. Sie in diesen Versen zu suchen, hat nur dann einen Sinn, wenn man beharrlich an dem Zweck dieser Verse im Zusammenhang, in dem sie stehen, vorbeisehen will und sich nicht die Frage stellen will, ob „nicht alles, was Paulus hier sagen will, darauf hinauslaufen könnte, die historische Fragestellung als solche, wenn nicht auszuschalten, so doch zu relativieren."5i Es liegt zwar nahe, in den vier Verben und der damit bezeichneten Tatsachenreihe apethanen, etaphe, egegertai, öphthe die eigentliche Substanz von dem, was Paulus selbst empfangen hat, zu sehen. Dann läge ein sogenannter Auferstehungsbericht vor. Aber so chronikartig ist es nicht gemeint: peri tön hamartiön hemön ist ein ganz „unhistorischer" Zusatz zu apethanen, der Zusatz kata tas graphas hat in einem historischen Beweis keinen Sinn: und das öphthe breitet sich fächerförmig aus zu einer ganzen Reihe von öphthe, bis hin zu dem öphthe des Paulus selbst, und ist kein erläuternder (wie es der Fall sein müßte, wenn ein historischer Beweis beabsichtigt wäre), sondern ein eigener, vierter Gesichtspunkt. Vor allem das egegertai widersetzt sich einer „historischen" Deutung, wenn man es mit Vers 13 zusammenhält: Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferweckt. „Was ist das für ein historisches Faktum, dessen Wirklichkeit oder jedenfalls dessen Erkenntnis in der ausdrücklichsten Weise gebunden wird an die Erkenntnis einer allgemeinen, ja, ihrem Wesen nach 51

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gerade nicht in der Geschichte, oder sagen wir genauer: nur an der Grenze aller Geschichte, an der Todesgrenze auftauchenden Wahrheit?" 55 Die Geschichte kommt nur in dem etaphe zu Worte, aber dann beleuchtet von der Grenze der Geschichte her. Das öphthe ist die Wiedergabe und der Ursprung des vielstimmigen Zeugnisses, daß die Grenze der Geschichte gesehen worden ist 56 . Wenn hier historische Tatsachen behauptet werden, so sprengen sie als solche die Historie: „Dieses Ende, das Ende unsrer Sünden, die doch nur enden können, wenn die Geschichte endet, und dieser Anfang, der Anfang eines neuen Lebens, das doch nur anfangen kann, wenn und wo eine neue Welt anfängt" 5 7 . Die einzige unzweideutige banale historische Tatsache ist das „er wurde begraben", aber das ist gerade das an Christus, was so zweideutig ist, wie alles Menschliche, Irdische überhaupt. „Hoffnung und Furcht, Glaube und Skepsis ist gleich möglich angesichts dieses Grabes. Dieses Grab mag bewiesen werden als endgültig verschlossen oder als offenes Grab, es bleibt sich wirklich gleich. Was hilft das so oder so bewiesene Grab bei Jerusalem im Jahre 30? Christus gestorben f ü r unsere Sünden, Christus am dritten Tage auferweckt, Christus Ende und Anfang ist damit nicht bewiesen . . . " 5 8 Das leere Grab ist nicht Voraussetzung f ü r die Erscheinungen, denn das Sehen des leeren Grabes und das Sehen des Auferstandenen ist etwas toto coelo anderes 59 . Es ist auch ein so anderes Sehen, daß O r t und Zeit vollkommen gleichgültig sind: „Was diese Augen sehen, von dem kann man ja wirklich ebensogut sagen, daß es nie und nimmer wie daß es immer und überall möglich war, ist und sein wird" 6 0 . „Nicht von Kephas, den Zwölfen, den Fünfhundert und ihrem Sehen redet der Apostel, sondern von Christus, der ihnen erschien, und das muß uns als zweierlei verständlich sein, wenn wir für die Kategorie der Offenbarung auch nur ein kleinstes Sensorium haben" 6 1 . Es muß deshalb als eine Taktlosigkeit bezeichnet werden, mit den Liberalen zur Bezeichnung von diesem öphthe von Visionen zu reden oder mit den Positiven ebenso brutal von historischen Tatsachen: „Als ob nicht auch diese ,positive' Art, die Auferstehung Jesu zu behaupten, die heimliche Leugnung dessen wäre, was man doch gerade behaupten möchte, die Auferstehung als der Tat Gottes, die kein Auge gesehen, kein O h r gehört, die in keines Menschen Herz gekommen ist, nicht äußerlich und nicht innerlich, nicht subjektiv und nicht objektiv, nicht mythisch und nicht spiritistisch und nicht platt-historisch, sondern als geschichtliche Gottestatsache, die als solche nur in der Kategorie der Offenbarung zu fassen ist und in keiner anderen?" 62 Diese allgemeinere Kategorie „Offenbarung", in die hinein Barth die „Erscheinungen" bringt, ermöglicht nun auch die Würdigung des Zu55 7 7

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satzes kata tas graphas in Vers 3 und 4. „Was Gegenstand eines historischen Beweises wäre, das bedürfte dieses Zusatzes nicht, wohl aber was als Gegenstand des Zeugnisses von Offenbarung a u f t r i t t . . . Der ,Schriftbeweis' ist die Bewährung eines Zeugnisses von Offenbarung durch andere . . ." 6 3 Paulus „sieht die Väter des Alten Testamentes alle in weitem Kreis um diesen einen Punkt herumstehen, um diese Wendung vom Tod zum Leben, vom Ende zum Anfang, von einer alten zu einer neuen W e l t . . . Alle, bei allen geschichtlichen Schranken menschlichen Verstehens, verstehen das. Alle bei aller geschichtlichen Dunkelheit, die über ihren Persönlichkeiten und Gedanken liegt, werden von hier aus verständlich" 64 . Wo es hier um das Ganze geht, hat Paulus mit gutem Grund keine Stelle zitiert; „wieviel beredter wirkt das solemne kata tas graphas, ,nach den Schriften', das wie ein ausgestreckter Arm auf die heilige Geschichte verweist, als alle Zitate. Im Zusammenhang unserer Stelle soll dieser Hinweis natürlich den Eindruck verstärken, den Paulus erwecken will, die Korinther sollen in keiner Weise meinen, das Evangelium, an das er sie erinnert, sei eine zufällige Größe, die allenfalls audi anders sein könnte. Der Gedanke könnte ihnen ja kommen, wie an Paulus so auch an der Urgemeinde vorbei nach einem anderen, passenderen Evangelium zu fragen. Sie sollen wissen, daß sie dann Hiob in die Arme laufen und den Psalmsängern, Jeremia und Abraham, und daß sie auch dort nichts besseres zu erwarten haben als das eine, dem sie entgehen möchten" 65 . Die Frage nach dem Verständnis der Auferstehung ist also als Frage nach dem Verständnis der Offenbarung nur dann legitim, wenn der Prozeß des Verstehens nicht bei einem vollzogenem Wissen um die Historizität des zu Verstehenden einsetzen soll, sondern dort, wo Auferstehung in die Reihe aller Zeugnisse von Offenbarung eingegliedert wird. „Daß Offenbarung Offenbarung ist, das kann freilich nur durch Offenbarung selbst bewiesen werden" 66 . Der „Schriftbeweis" ist der Nachweis der Übereinstimmung der Offenbarung in sich selber. Der „historische Bezug" auf die Erscheinungen Christi hat keinen anderen Sinn als den, daß man, dort angekommen, noch wieder weiter (zurück) auf die Schrift, auf alle anderen Zeugnisse von Offenbarung verwiesen wird. Als historischer Beweis für die Auferstehung Christi haben die aufgezählten Erscheinungen keinen Sinn, schon deshalb nicht, weil die Auferstehung Christi in Korinth gar nicht bestritten war. Bestritten war die prinzipielle, radikale Anwendung der anastasis tön nekrön67, d. h. die Eingliederung der Auferstehung Christi in die Kategorie von Offenbarung. Die Frage nach der Auferstehung Christi soll hier also nicht als Frage nach deren Historizität, sondern gerade weg von deren Historizität gestellt werden. Einsicht in Historizität ist keine Hilfe, sondern Hindernis für das Verständnis der Offenbarung. Wo die Korinther einen «3 81

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vor-thematischen, nicht ausdrücklich historischen Bezug auf die Auferstehung Christi haben, indem sie die Auferstehung Christi „glauben", statuieren sie in milder Form ein Exempel davon, wozu ein nachdrückliches, thematisches Fragen nach Historizität noch führen kann. Uber ihr positives Wissen läuft der Weg des Verständnisses nicht. 13. Kreuz und Auferstehung. Was ist das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung Jesu? In dem Zusammenhang der Auslegung des 1. Korintherbriefes finden wir bei Barth keine Antwort auf diese Frage. In der Auslegung von 1. Kor. 1, 1768 hat das Kreuz eine selbständige Funktion: es wird zwar gedeutet als das Heil, das bei Gott ist, aber seine Funktion ist auszusagen, daß es nur bei Gott ist. Es ist gegen die religiöse Vitalität der Korinther gerichtet: das Kreuz ist das unauflösbare Paradoxon, der Engel mit dem blitzenden Schwert vor der Pforte des verschlossenen Paradieses. Deshalb, so meint Barth, rede Paulus in diesem Abschnitt absichtlich noch nicht von der Auferstehung. Das Kreuz hat kritische Kraft gegen die religiöse Weisheit der Korinther. Mit anderen Worten: die Predigt des Kreuzes hat den gleichen Stellenwert wie die Beziehung der Auferstehung Christi auf die Auferstehung der Toten. Das Problem des Verhältnisses von Kreuz und Auferstehung, das oft als das Problem des Verhältnisses des Historischen zum Unhistorischen behandelt wird, sieht plötzlich anders aus, wenn in diesem Zusammenhang audi das Kreuz nicht „historisch" genannt werden kann. In der kerygmatischen Formel, die Paulus 1. Kor. 15, 3 zitiert, ist das „gestorben" keine historische Aussage: das geht aus dem unhistorischen Zusatz: „für unsere Sünden" und „nach den Schriften" hervor. Es steht zwar in der Geschichte, aber als Grenze der Geschichte69. Die kerygmatische Aussage, daß Christus für unsere Sünden gestorben ist, wird erst durch die Offenbarung in der Auferstehung ermöglicht. Sofern der Tod Christi isoliert zur Sprache gebracht werden muß, ist er gerade das Gegenteil des Heils. „Eignet sich das Kreuzessterben mit der bitteren Frage an Gott, mit der es endigt, zur Grundlage der allgemeinen Religionswahrheit, daß die Sünde von uns genommen werden solle? Ist zu unserer Absolution nicht ein ,und Gott sprach' nötig, und wo bleibt das auf Golgatha oder wie könnten wir es dort höreil, wenn wir es nicht jenseits aller Gräber als Osterbotschaft schon gehört hätten?" 70 Das Kreuz ist zwar auch Offenbarung, aber Offenbarung von der Macht der Sünde, nicht der Macht der Sündenvergebung. Wenn aber die Sünde eine Macht ist, so muß auch „die Vergebung eine Macht sein, ebenso universal, nein, noch universaler, noch ursprünglicher, noch beherrschender als jene" 71 . Die Sünde ist „eine Herrschaft über den Menschen, . . . mit seinem Dasein als Adams Kind gegeben und nur mit seinem Dasein zu überwinden . . . Es gibt keine mnerweltliche Uberwindung der Sünde. Ist die christliche 71 es 7 f. ee 77 το 82 f. 83. 28

Wahrheit nur /renerweltlich, so ist sie nicht das Ende aller Dinge, so seid ihr noch in euren Sünden" 72 . Die Uberwindung und Vergebung der Sünde wird also nicht durch einen selbständigen Gedankengang mit dem Kreuz verbunden, sondern direkt abgeleitet aus der Neuprädizierung der Qualität des Kreuzes in der Offenbarung, in der Auferstehung. Das Sterben Jesu ist eine Macht erst durch die Auferstehung, die der Anbruch der neuen Welt ist. Es wird am Kreuz keine Leistung Jesu verrechnet, sondern in der Auferstehung wird der neue Ursprung gesetzt, der als neuer Ursprung das alte bedeckt und als Ursprung neu frei macht für das Leben in der Geschichte. Die umfassende Kategorie bleibt dabei: Auferstehung der Toten, Offenbarung, Ursprung, bezogen auf das Leben. Die Vergebung der Sünden wird in die Auferstehung der Toten integriert, nicht umgekehrt. Die Erlösung ist umfassender als die Versöhnung, wie auch die Schöpfung breiter ist als der Fall, und das Heil in letzter Instanz nur supralapsarisch ausgesagt werden kann. Das führt uns zur letzten Charakterisierung der Auferstehung Christi. 14. Die Auferstehung Christi als Verheißung. Von der allgemeinen Totenauferstehung, von der Offenbarung, von Gott her fällt das Licht über Christus. D. h. aber, von dem letzten Sinn der Welt, nicht von einer Vorstellung her bekommt Christus seinen Ort. Christus ist als der zweite Adam der Anfang der Totenauferstehung. Die Vollendung ist die Auferstehung audi der Seinigen, als gerade das Prinzipielle, das in Korinth geleugnet wurde. Diese Vollendung ist als Aufhebung des Todes überhaupt sein höchster und zugleich sein letzter Herrschaftsakt. Noch ist er nicht vollzogen, noch ist seine Macht im Streit mit anderen vorletzten Mächten, und insofern stehen wir jetzt in seinem Reich, jenes letzte erwartend, aber eben erst erwartend. Ist die Aufhebung des Todes vollzogen, so ist sein Reich als ein besonderes Reich neben dem Reich Gottes zu Ende 73 , damit Gott alles in allem sei. Also: dieses „Gott alles in allem" und darum die allgemeine Totenauferstehung ist der in Korinth verkannte Sinn der Auferstehung, der Sinn des christlichen Glaubens. Das Bild von der aparche stammt aus dem Alten Testament. „ ,Gott fordert diesen Teil der Ernte für sich und gibt dadurch zu erkennen, daß auch der übrige Teil, das Ganze ihm gehört'. Das ist unsere Hoffnung, der Sinn der Auferstehung Jesu besteht darin, daß Auferstehung der göttliche Horizont auch unseres Dasein ist. Das Leben, die Welt wird endlich. Gott ist das Ende. Er ist darum und damit auch der Anfang" 74 . Nun steht aber die zwischen Christus und Adam vollzogene Entscheidung für uns unter einem „noch nicht". Ein jedes an seiner Stelle (in der Ordnung Gottes). „Ein anderes ist Christus, ein anderes sind wir. Die Offenbarung in Christus erkennen, heißt, sich in ihre Verheißung, nicht proleptisch in eine vermeintliche Erfüllung hineinstellen"75. „Der Irrtum 72

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der Korinther läßt sich auch so verstehen: sie fassen das in Christo in der Welt Geschehene als etwas Fertiges und in sich Befriedigendes auf. In Wirklichkeit ist es nur ein Anfang, ja, nur eine Andeutung... Die feindlichen Mächte sind alle selbständigen Anfänge und Kräfte, deren Beziehung zu Gott noch nicht klar ist. Wir müssen Christus in Spannung sehen zu allem in diesem Sinn Unklaren, nicht in Frieden damit. Der christliche Monismus der Korinther, der das Reich Gottes für schon aufgerichtet hält, ist eine fromme Gottlosigkeit. Nein, das Reich Gottes ist im Kommen, und das ist bezeichnend für unsere Lage in Christus... da ist keine Beruhigung, kein Befriedigtsein mit einem vorhandenen christlichen Zustand möglich."76 B. Die Reaktion Rudolf

Bultmanns

Die erste, kurze Konfrontation, die zu Beginn des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts zwischen Bultmann und Barth stattgefunden hat, ist, besonders von der Erkenntnis der späteren Entwicklung aus, lehrreich. Man spürt in Bultmanns Rezension die große Sympathie, die er für Barths Unternehmen hegt und die wohl größer ist als seine Bedenken. Zugleich aber zeichnen sich auch an Stellen, wo Bultmann Barth zustimmend paraphrasiert, die später auseinanderlaufenden Wege ab. Selbstverständlich sind Barths und Bultmanns Positionen insofern hier nicht vergleichbar, als es sich bei Bultmanns Beitrag um eine relativ kurze Rezension von Barths programmatischen Ausführungen handelt. Erst mit seinem Vortrag „Neues Testament und Mythologie" (siehe unten C) und den dort gebotenen Ausführungen über die Auferstehung Christi stellt Bultmann das Gleichgewicht insofern wieder her, als er sich von seinen systematischen und exegetischen Voraussetzungen ausführlich Rechenschaft gibt. Wo als gemeinsames Anliegen von Barth und Bultmann auch die Überwindung der Dualität von exegetischer und systematischer Theologie gelten kann, interessieren uns hier nicht die von Bultmann besprochenen Einzelexegesen Barths, sondern das Grundsätzliche: was von Bultmann und Barth gemeinsam formuliert werden kann, und wo sich die Differenzen offenbaren. Bultmann begrüßt es als einen großen Fortschritt, daß bei Barth die Frage nach der Einheit in der Disparatheit der Gegenstände als Leitgedanke festgehalten wird77. Der Titel „Auferstehung der Toten" als Umschreibung für diese Einheit ist der Sache angemessen78, obwohl Bultmann selber 1. Kor. 13 als sachlichen Höhepunkt des Briefes sieht79. 100 Karl Barth, Die Auferstehung der Toten, in: Glauben und Verstehen I, 3 8 — 6 4 ; 39. Belegstellen ohne nähere Angaben beziehen sich auf diesen Aufsatz. 76

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Jedenfalls kommt in diesem Titel „zum Ausdruck, daß die Predigt des Paulus eschatologische Verkündigung ist, d. h. daß das, wovon er immer redet, das Ende dieses irdischen Menschen und seiner Welt ist, oder anders ausgedrückt, daß Paulus das Sein des Gläubigen als ein solches bestimmt, das durch den Glauben an Christi Auferstehung und die Hoffnung auf die eigene Auferstehung charakterisiert ist" 80 . Bei behaupteter Übereinstimmung setzt hier schon eine leise Verschiebung gegenüber Barth ein: die Paraphrase Barths durch Bultmann redet nicht von Offenbarung als die gegenüber unserem Sein andere, neue Welt, sondern von einem Sein des Gläubigen, das bestimmt wird als durch Glaube und Hoffnung charakterisiert. Diese Verschiebung bewirkt auch, daß die Interpretation von „Auferstehung der Toten" in eine individualistische Richtung erfolgt, die so bei Barth nicht gegeben ist. Die Enteschatologisierung (im Sinne von Eschatologie als Schlußgesdiichte), die bei Barth unter Zustimmung Bultmanns stattfindet, hat bei Barth nicht ihr positives Gegenstück in dem Bezug auf die einzelne Existenz, sondern viel mehr auf das heutige geschichtliche Leben des Einzelnen, der Gemeinde und der Welt in ihrer Gesamtheit. Nicht der Einzelne soll eschatologisch leben, sondern das Christentum soll eschatologisch sein. Daß Paulus jedes Thema unter eschatologischem Gesichtspunkt behandelt, bedeutet, daß der Christ „in einem eigentümlich gebrochenen Verhältnis zur Welt steht, daß das Sein der Christen in der Welt ist, aber nicht der Welt gehört, sondern der Zukunft Gottes (1. Kor. 7, 29—31)" 81 . Die Hervorhebung dieses Textes für die Umschreibung der eschatologischen Existenz ist sicher nicht zufällig. Sie steht in dem Zusammenhang einer Frage nach der individuellen Ethik, wo doch sonst die meisten Probleme des 1. Korintherbriefes Probleme der Gemeinde in der Welt sind. Nach Bultmann ist nicht 1. Kor. 15, sondern 1. Kor. 13 der Höhepunkt des Briefes. Es handelt sich nämlich nicht um „letzte Dinge" als Gegenstand der Spekulation, sondern als Wirklichkeit im Leben der Christen82. Aber diese von Barth audi bejahte Unterscheidung ist für letzteren kein Anlaß, auf das individuell deutbare 1. Kor. 13 als hermeneutischen Kanon auszuweichen; es kommt Barth gerade darauf an, zu zeigen, wie 1. Kor. 15 Wirklichkeit im Leben der Christen ist und gerade deshalb keine Spekulation. Nicht die Frage, ob etwas existentiell ist, steht zwischen Barth und Bultmann als Streitpunkt, sondern wie es das wird und auf was es sich bezieht, und wie die Existenz in dem großen Zusammenhang des Reiches Gottes und der Gesellschaft integriert worden ist. Bultmann meint nun, Barth zu der weiteren Konsequenz zwingen zu müssen, an Paulus Sachkritik zu üben, und zwar auf Grund eines an Paulus selbst gewonnenen kritischen Maßstabs83. Man kommt 1. Kor. 15 80 3 9

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nicht ohne durchgehende Sachkritik aus 84 . Audi Paulus verwendet für die Konstruktion einer in Wahrheit gar nicht endgeschichtlichen Schlußgeschichte Material der jüdisch-gnostischen Apokalyptik. Er kann und will aber nicht von einer solchen Schlußgeschichte reden. Er ist nur gezwungen, wie jeder andere, das was er sagt, in der Begrifflichkeit seiner Weltanschauung zu sagen. Und es geht nicht an, die weltanschaulichen, in diesem Fall mythologischen Elemente, einfach zum Gleichnis zu erklären, oder sie durch Umdeutung zu beseitigen 84 . Zu der zentralen Aussage Barths, daß „Auferstehung der Toten" für Paulus nichts anderes ist als eine Umschreibung des Wortes „Gott", sagt Bultmann: „Ich halte all das für richtige Interpretation des Paulus. Ich bedaure aber, daß Barth nicht anerkennt, daß man nur auf Grund sachlicher Kritik diesen Sinn wirklich bei Paulus finden kann, wie er denn selbst wider Willen auch sachliche Kritik treibt in seinen künstlichen Umdeutungen." 85 Diese Scheidung, Kritik ist aber nicht so leicht zu vollziehen, denn es handelt sich nicht um ein einfaches Nebeneinander von zeitgeschichtlichen und eigentlich paulinischen Aussagen im Text, sondern um ein Ineinander und Durcheinander 86 . Diese kritischen Ausführungen Bultmanns können aber auch nicht befriedigen. Sachkritik ist Kritik der Sache, nicht der Form, der Einkleidung. Letztere wird interpretiert, um auf die Sache zu stoßen. Auch nach Bultmann will Paulus nicht von einer solchen Schlußgeschichte reden, obwohl er es tut. Die Sache ist aber das, was man will, die Intention. Die Form, Schlußgeschichte, ist unvermeidlich. Wenn aber die Sache des Paulus bei Barth richtig interpretiert worden ist, kann es keine Sachkritik mehr geben, allenfalls noch Interpretation der Form. Bultmanns Forderung der Sachkritik scheint zu implizieren, daß es bei Paulus zwei Intentionen (Sachen) gibt, von der die eine interpretiert wird und die andere eliminiert. Diese zwei Intentionen möchte Barth unter keinen Umständen wahrhaben, und deshalb wohl interpretiert er Paulus aus einem Guß, aus einer Intention. Nach Bultmann aber ist Paulus des öfteren in Widerspruch mit sich selbst 87 . Die gleiche Frage wiederholt sich bei der Auslegung der ersten sieben Verse von 1. Kor. 15. Bultmann wendet sich dort gegen Barths Versuch, 1. Kor. 15, 1—11 als nicht-historisierend zu deuten. „Ich kann den Text nur verstehen als den Versuch, die Auferstehung Christi als ein objektives historisches Faktum glaubhaft zu machen" 88 . Bultmann bietet aber keine weiteren Argumente für dieses „ich kann nur" und geht dabei auch nicht auf Barths Argument ein, daß die Korinther schon die Auferstehung Christi glauben und sie deshalb gar nicht glaubhaft gemacht zu werden braucht. Die Konsequenz ist dann, daß Bultmann meint, Paulus gerate durch seine Apologetik in Widerspruch mit sich selbst, „denn von einem objektiven historischen Faktum 52

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kann allerdings das nicht gesagt werden, was Paulus V. 20—22 von Tod und Auferstehung Jesu sagt" 89 . Abgesehen davon, daß diese Begründung des Widerspruchs gar nicht zwingend ist (ein „objektives Faktum" erschöpft sich doch nie in seiner Faktizität) 90 , ist die Annahme eines Selbstwiderspruchs und die Inanspruchnahme der Möglichkeit einer Sachkritik immer nur eine ultima ratio. Eine genauere Erwägung des Gewichtes von Barths Argumenten hätte vielleicht Bultmann von der Kategorie „objektives historisches Faktum" abgehalten, eine Kategorie, die nachher so viele falschen Fragestellungen heraufbeschworen hat. Die Aufführung der Zeugen in 1. Kor. 15, 1—11 hat zwar begründenden Sinn, aber nur, und darauf kommt alles an, innerhalb des Glaubens, der nach seinem Grund fragt. Es ist nicht Grundlegung, geschweige denn Glaubhaftmachung, sondern Erinnerung an den Grund, auf dem die Gemeinde bereits steht (1. Kor. 15, 1). So kündigen sich hier in dieser kurzen Stellungnahme bereits die Themen an, die in dem späteren Gespräch über die Auferstehung Jesu Christi die beherrschenden sein werden. Bultmann91 rechnet es Barth als ein Verdienst an, daß er die für die Exegese wichtige begriffliche Analyse, die seit F. C. Baur stark in den Hintergrund getreten war, wieder aufgenommen und in eine neue Richtung gewiesen hat. Es wird nun nachzuprüfen sein, inwiefern diese begriffliche Analyse, oder besser, diese von Barth gebotene begriffliche Zusammenschau der Grundworte ,Auferstehung der Toten', ,Auferstehung Christi', Offenbarung', ,Gott', die noch keinen systematischen Anspruch erhebt, sich als Wegweiser und Perspektive aller künftigen Arbeit bewährt. Die Arbeit ist nicht erledigt, so beschließt Bultmann seine Rezension, sondern wir stehen wieder an einem neuen Anfang. In der Tat. Und es ist Bultmann selber, der nach 15 Jahren, in einer zweiten Runde, den Faden der Diskussion wieder dort anknüpft, wo er 15 Jahre vorher abgebrochen war. C. Rudolf Bultmanns „Neues Testament und

Mythologie"

Der Aufsatz „Neues Testament und Mythologie" erschien zum ersten Male in dem Band: „Offenbarung und Heilsgeschehen", 1943 (S. 27 bis 61), wo er mit dem Aufsatz „Die Frage der natürlichen Offenbarung"92 eine Einheit bildet93. 55 Vgl. Karl Lehmann, Auferweckt am dritten Tage nach der Schrift, Quaestiones Disputatae 38; 326 f.: Das von ihm verwendete Existenzverständnis ist nicht umfassend genug, um die Wirklichkeit der Geschichte Jesu angemessen auszulegen. Von der modernen Antithetik und formalen Abstraktion „eschatologisches Ereignis" — „factum brutum" her wird Paulus ein .Widerspruch' vorgerechnet. 91 63 92 Später in: Glauben und Verstehen II, 7 9 — 1 0 4 . 93 Erstgenannter Aufsatz erschien gesondert in dem Band: Kerygma und Mythos I, 89

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Geense, Auferstehung

Bultmann behandelt in dieser Schrift die Kernfrage der Theologie, die Frage der Offenbarung, unter expliziter Rechenschaft der Situation, die der Theologie seit dem Einbruch des historischen Denkens in ihr Gebiet erwachsen ist, also unter den drei Gesichtspunkten, die wir eingangs als Ursachen der neuen Frage nach der Auferstehung Christi beschrieben haben: a) die Frage nach dem historischen Ursprung der Christologie (nach Wegfall der Inkarnationsvorstellung); b) die Unmöglichkeit der Auferstehung unter den Voraussetzungen unseres Weltbildes; c) die Frage nach der Existentialität (im breitesten Sinn) der Offenbarung. Es geht an diesem Ort nicht darum, die gesamte Problematik der Entmythologisierung und der existentialen Interpretation, wie Bultmann sie (neu) zur Debatte gestellt hat, ausführlich zu besprechen. In dem genannten Aufsatz ist sie das eigentliche Thema: was über Kreuz und Auferstehung gesagt wird, ist davon nur, wenn auch exemplarische Illustration am Schluß des Aufsatzes. Wir wollen hier den umgekehrten Weg gehen und Bultmanns Aufsatz von diesem Schluß her lesen. Auf diese Weise belasten wir unsere Beschreibung nicht unnötigerweise mit den Verwirrungen, die der vieldeutige Mythus-Begriff Bultmanns verursacht, wenn man sich im allgemeinen auf ihn einläßt. In der konkreten Anwendung des Programms der Entmythologisierung und der existentialen Interpretation auf die Auferstehung Christi muß sich zeigen, was dieses Programm dogmatisch zu leisten vermag zum besseren und moderneren Verständnis der Offenbarung Gottes, wie sie uns im Neuen Testament, konzentriert in Kreuz und Auferstehung, bezeugt wird. Wenn unsere Darstellung, stärker als bei der Beschreibung der Position des frühen Barth, die Gestalt einer immanenten Kritik annimmt, so ist das vor allem bedingt durch den größeren Grad der Geschlossenheit und deshalb des systematischen Anspruchs, der Bultmanns Aufsatz innewohnt und der bei Barth durch die Bindung an dem auszulegenden Text des 1. Kor.-Briefes nicht zu erreichen war. Der Übergang der beiden Theologen in ihre „systematische" Periode, die sich bei Barth schon am Ende des dritten Jahrzehnts vollzogen hatte, bedeutet auch für den Kritiker die Notwendigkeit eines stärkeren Achtens auf den Zusammenhang der Motive und der Ausführung, als es in der ersten Periode der expressionistischen Theologie möglich und nötig war. Bultmanns zentrale These ist, daß die Rede von der Auferstehung Christi nichts anderes als der Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes 94 sein kann, oder auch, daß der Auferstehungsglaube nichts anderes ist als der Glaube an das Kreuz als Heilsereignis 95 . Es empfiehlt sich nicht, durch den polemisch-reduzierenden Ton (des „nichts-anders-als") dieser 15—48. Die Seitenzahlen hier beziehen sich auf den Abdruck dieses Aufsatzes in B. Klappert, Diskussion um Kreuz und Auferstehung. 9 5 70 68

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Formulierung sich schon zur Aggression reizen zu lassen. Sie ist einmal so lange nicht zu beanstanden, als nicht gesagt ist, wie die an sich formalen Begriffe Bedeutsamkeit und Heilsereignis inhaltlich gefüllt werden. Man kann sich durchaus vorstellen, daß sie eine inhaltliche Füllung bekommen, die ein Maximum an biblischen Gehalt in sich birgt, und sachlich und intentional funktionieren, wie es etwa in der reformatorischen Theologie das Evangelium vom Kreuze tut. Es besteht angesichts des Gesamtwerks Bultmanns Anlaß genug, diese Möglichkeit der optimalen Auslegung seiner Absichten immer wieder zu erwägen. Zum anderen ist von dieser Formulierung positiv zu sagen, daß man sie, auch in ihrem reduzierenden Ton, als einen Protest gegen eine selbständige, isolierte und mirakulöse Funktion der Auferstehung lesen und verstehen kann, wie es nicht zu verneinen ist, daß sie sie in manchem religiösen Kopf noch ausübt. Es ist nicht nur ein berechtigtes exegetisches Anliegen, sondern ebenso eine dogmatische Notwendigkeit, sich von dem Zusammenhang der Rede von der Auferstehung Christi mit dem Ganzen der Heilsverkündigung Rechenschaft zu geben. Endlich ist zu bemerken, daß die reduzierende Formulierung nicht die Absicht hat, den Auferstehungsglauben in dem Glauben an das Kreuz zum Verschwinden zu bringen. Sie möchte den Glauben an das Kreuz als Heilsereignis prädizieren, also etwas Zusätzliches, ja, Unentbehrliches ausdrücken. Man mag darüber streiten, welches Motiv bei Bultmann vorherrschend gewesen ist: das Unvermögen, den Mythos der leiblichen Auferstehung Jesu als Realität zu bejahen, oder das Anliegen, den unlöslichen Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung und die kerygmatische Struktur des Neuen Testamentes neu zur Sprache zu bringen. Dogmatisch fruchtbar wird Bultmann erst für die Diskussion, wenn man versucht ihm zu folgen, wo er die Diskussion über das Wesen der Rede von der Auferstehung auf das Thema Kreuz und Verkündigung verlagert. In der Frage nach der Auferstehung Christi geht es also nach Bultmann um die Frage nach dem Kreuz als Heilsereignis. Man kann auch sagen: es geht in der Auferstehung um die Offenbarung des Kreuzes oder, wie es auch heißt, um die Bedeutsamkeit des Kreuzes. Diese Bedeutsamkeit ist aber eine besondere, bestimmte Bedeutsamkeit: nicht schon jede beliebige Deutung. Denn: wenn Bultmann davon redet, daß das Kreuz, abgesehen von dem Heilsereignis, das tragische Ende eines edlen Menschen ist 96 , ist das natürlich auch schon eine (Be-)Deutung. Das Begriffspaar: Tatsache-(Be-)Deutung ist nicht identisch mit dem Begriffspaar: Geschichte-Offenbarung. Offenbarung vollzieht sich nicht schon dort, wo überhaupt Sinngebung geschieht. Es muß deshalb zwischen Sinngebung und Sinngebung kritisch unterschieden werden: zwischen Deutung als Heilsereignis und Deutung aus den innerweltlichen Zusam96

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menhängen. Jesu Geschichte und sein Kreuz sind nicht auf ihre historischen Gründe hin zu befragen 97 , denn dem historischen Ereignis des Kreuzes ist seine Bedeutung nicht anzusehen98. Wenn aber unterschieden werden muß, muß es auch ein Kriterium geben, nach dem man zwischen wahrer und falscher Deutung der Ereignisse unterscheidet. Dieser Maßstab ist nach Bultmann kein formulierter dogmatischer Satz, sondern eine Frage, die die Verkündigung des Kreuzes als des Heilsereignisses an den Hörer stellt: nämlich ob er sich diese Bedeutung aneignen will, ob er sich mit Christus kreuzigen lassen will. Das heißt also: die Auferstehung ist der Auferstehungsglaube: sie ist Offenbarung in dem Sinn, daß darin Anerkennung und Schaffung von Bedeutsamkeit als Sinnerschließung direkt zusammenfallen mit dem Vollzug der existentiellen Entscheidung. Es gibt keine „objektive" Bedeutung des Kreuzes mehr, keine von außerhalb unseres Existenzvollzuges darin gelegte oder gewollte, die wir uns erst nachträglich, als ein gesonderter Akt aneignen könnten. Nur der Vollzug des Gehorsams stiftet die wahre Bedeutung. D. h. das ist so für uns, die nicht vorher von der Bedeutsamkeit Christi überzeugt sind. Für die ersten Verkündiger, die Jünger, mag das anders gewesen sein. Aus der persönlichen Verbundenheit, in der das Kreuz für sie ein Ereignis ihres eigenen Lebens war, wurde das Kreuz ihnen zur Frage und erschloß es ihnen seinen Sinn99. Nur weil Bultmann sagt, daß der christliche Osterglaube an der historischen Frage nicht interessiert ist, braucht er auf die Frage, was denn diese Sinnerschließung ermöglicht, nicht einzugehen. Denn die Frage müßte dann doch wohl lauten, wie aus Verbundenheit Sinnerschließung folgen kann, wenn diese Verbundenheit gerade beim Kreuz die Frage erzeugt hatte? Wenn aber auch die Jünger im Kreuz nur die Frage hören und sie diese Frage sich selbst beantworten, indem sie sich mit Christus kreuzigen lassen, gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen den Jüngern und uns, kein apostolisches Fundament, auf dem sich unser Existenzvollzug erst verwirklicht. Dann braucht die Verbundenheit der Jünger mit Jesus auch nicht reproduziert zu werden, etwa durch historische Forschung. Uns wird der Gekreuzigte verkündigt. Offenbarung ist also: das Kreuz wird uns vermittelt und erschlossen, indem es in der Verkündigung qualifiziert wird als Frage an uns, nicht nachdem es durch einen gesonderten Akt Gottes als Heilsereignis qualifiziert wurde. Will Offenbarung das Neue Gottes sein, so soll das Kreuz durch einen besonderen Akt Gottes qualifiziert werden, wobei es vorerst dahingestellt bleiben mag, durch welchen besonderen Akt. Bultmann versucht nun, dieses Besondere des neuen Aktes Gottes dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß er zwischen dem ungedeuteten Kreuz und dem Vollzug der Existenz, die Verkündigung einschaltet, die selbst als Wort « 66

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Gottes „eschatologisches Heilgeschehen"100 ist. „Wie ist es dem Kreuze anzusehen, daß es das Kreuz Christi, daß es das eschatologische Ereignis ist? Wie kommen wir dazu, an das Kreuz als das Heilsgeschehen zu glauben? Hier scheint es mir nur eine Antwort zu geben: Weil es als solches verkündigt wird, weil es mit (gemeint ist wohl: als — Anm. von uns) der Auferstehung verkündigt wird. Christus der Gekreuzigte und Auferstandene (sagt Bultmann in seinem Sinne tautologisch, A. G.) begegnet uns im Wort der Verkündigung, nirgends anders. Eben der Glaube an dieses Wort ist in Wahrheit der Osterglaube"101. Was zu dem Kreuz „hinzukommt" und es als Heilsgeschehen verständlich macht, ist also das Wort der Verkündigung oder der Dienst der Versöhnung, 2. Kor. 5, 18 f. 102 . Die (eschatologische) Verkündigung, das Kerygma, ist die Instanz, die leisten muß, was in der traditionellen Dogmatik Auferstehung-Geistausgießung und Verkündigung zusammen aussagen sollten. Es hat sich bei Bultmann eine starke Konzentration des Inhaltes dieses Prozesses auf seine letzte Phase vollzogen, die Phase also, die den Bezug des Kreuzes zu uns herstellt: die Verkündigung. Alles was den direkten Bezug des Kreuzes auf uns aufhält, was noch an „objektivem" Gehalt dazwischen gedacht werden kann, wird als Moment (der „eschatologische Charakter") in die Verkündigung selbst hineingenommen. Es ist aber nicht zu übersehen, daß durch dieses In-einander-Schieben der drei Phasen auch eine Vernebelung der Probleme verursacht wird, an die der traditionelle diskursive Aufriß Auferstehung-Ausgießung des Geistes und Verkündigung noch klar erinnerte. Die Rede von der Auferstehung ist also wesentlich Rede von dem noetischen Prozeß der Verkündigung und Aneignung des Kreuzes. Der echte Osterglaube ist der Glaube an das Wort der Verkündigung, und zwar der verstehende Glaube an das Wort der Verkündigung103. Es handelt sich beim Glauben bzw. Unglauben nicht um einen blinden, willkürlichen Entschluß, sondern um ein verstehendes Ja oder Nein. Was ist damit gemeint? Worauf richtet sich das Verstehen? Was wird in dem verstehenden Glauben verstanden? Nicht irgend etwas Historisches, das der Verkündigung als Ursprung zugrunde liegen sollte. Denn das würde bedeuten: den Glauben durch historische Untersuchung begründen zu wollen104. Wir können dem Wort Gottes gegenüber nicht die Legitimationsfrage stellen, sagt Bultmann. Das gilt aber nur beschränkt. Denn es geht ja um einen verstehenden Glauben. Und Verstehen ist niemals willkürlich: es orientiert sich am Objekt und legitimiert sich an der eigenen (Wieder-)Erkennung. 100

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Der Fehler Bultmanns ist hier, daß er das Fragen nach dem Objekt des Glaubens bzw. Verstehens schon als das Fragen nach der historischen Begründung des Glaubens interpretiert, das dann natürlich sofort, in der Linie W . Herrmanns, unter den 104

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Das Wort, die Verkündigung, fragt uns so, daß es, indem es uns gebietet (sie!) an Tod und Auferstehung Christi als das eschatologische Geschehen zu glauben, uns die Möglichkeit des Verständnisses unsrer selbst eröffnet. Die Legitimation der Verkündigung im Verstehen geschieht also nicht dadurch, daß sie sich auf irgend etwas Historisches, sondern auf das Selbst des Menschen bezieht. Aber das ist nicht weniger eine Legitimation. Das Selbst des Menschen ist sofort dabei, wo verstehender Glaube an das Kreuz vollzogen wird, d. h. wo ich mich mit Christus kreuzigen lasse. Dazwischen kann es dann eigentlich keine objektive Vorstellungen über die Bedeutung des Kreuzes geben. 1 0 5 Man pflegt in diesem Zusammenhang den Bultmannschen Begriff des neuen Selbstverständnisses als wesentlichen Inhalt der Auferstehungsoffenbarung anzugreifen. Ebensowenig aber als bei der (formalen) Reduktion des Auferstehungsglaubens auf die Bedeutsamkeit des Kreuzes, fallen an dieser Stelle schon die letzten theologischen Entscheidungen oder werden die Weichen gestellt. Auch der Begriff „Selbstverständnis" ist an sich ein formaler Begriff, und alles hängt davon ab, wie das Selbstverständnis inhaltlich gefüllt wird: als wen ich mich im Glauben verstehen darf und warum. Die entscheidende Frage ist allein, in welcher Weise das neue Selbstverständnis mit dem Christus-Geschehen in Verbindung gebracht worden ist. Audi Bultmann weiß, daß im Unterschied zu einem natürlichen oder philosophischen Seinsverständnis der christliche Glaube zugleich Glaube an Christus ist 106 . Das christliche Selbstverständnis wird nicht aus freier Hand entworfen, sondern ist erst ab einer bestimmten Zeit vorhanden und möglich, und zwar infolge des Christusgeschehens. An dieser Stelle nun stellt Bultmanns Aufsatz uns vor das schwierige Problem der Interpretation. Einerseits gibt Bultmann sich, sobald er die konstitutive Funktion des Christusgeschehens für das Selbstverständnis festgestellt hat, ausführlich und in vollen evangelischen Tönen davon Rechenschaft wie Paulus und Johannes von dem neuen Sein in Christus reden. „Das in Christus sich ereignende Geschehen ist also die Offenbarung der Liebe G o t t e s . . . Glaube an die Liebe Gottes ist aber so lange Eigenmächtigkeit, solange Gottes Liebe ein Wunschbild, eine Idee ist, solange Gott seine Liebe nicht offenbart h a t . . . Nur wer schon geliebt hat, kann lieben . . . Der christliche Glaube weiß von einer Tat Gottes, welche die Hingabe, welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben des Menschen erst möglich macht" 107 . Positiver und strenger als so kann wohl nicht von der zwingenden biblischen PhänoVerdacht der Pervertierung des Wesens des G l a u b e n s f ä l l t . In Wirklichkeit ist die F r a g e nach dem G r u n d , nach der Möglichkeit des G l a u b e n s eine zweite F r a g e neben der F r a g e nach dem O b j e k t des G l a u b e n s .

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menologie der Liebe geredet werden. Aber zugleich stellt Bultmann gerade an dieser Stelle eindringlich die Frage, ob damit nicht der Entmythologisierung des Neuen Testamentes eine Grenze gesetzt ist. Ist der Ubergang des Menschen aus seiner vorgläubigen Existenz in seine gläubige Existenz nur als eine Tat Gottes begreiflich? Kann der Glaube nur als Glaube an die in Christus offenbare Liebe Gottes wirklich sein 108 ? Letztlich stellt sich die Frage so, ob die Ermöglichung unseres neuen Selbstverständnisses, unserer Liebe durch die Liebe Gottes audi anders denn als Tat Gottes zu verstehen sei, ohne den Charakter der Ermöglichung preiszugeben. Denn sie bildete ja die eigentliche spezifisch christliche Begründung des neuen Selbstverständnisses. Auf diese Frage gibt nun Bultmann zunächst selbst die Antwort, daß es keine Frage ist, daß das Neue Testament das Christusgeschehen als ein mythologisches Geschehen vorstellt. Es ist nur die Frage, ob das auch notwendig so sein muß. Kann nicht die mythologische Rede einfach den Sinn haben, die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und seiner Geschichte, nämlich als Heilsgestalt und Heilsgeschehen zum Ausdruck zu bringen? Im Rahmen der anstehenden Frage soll das also heißen: den unser eigentliches Leben ermöglichenden Charakter der historischen Gestalt Jesu und seiner Geschichte. Wo das natürliche Selbstverständnis das eigentliche Leben des Menschen nicht ermöglicht, soll es von außerhalb seiner diese Ermöglichung empfangen, und zwar von der historischen Gestalt Jesu und seiner Geschichte her, auf die sich der Glaube bezieht. Denn davon drückt ja die mythologische Rede nur die Bedeutsamkeit (d. h. die Ermöglichung) aus. Also: auch wenn „ihr objektivierender Vorstellungsgehalt" preiszugeben wäre 109 , müßte doch der Charakter der Ermöglichung bewahrt bleiben. Soweit ist die Fragestellung relativ klar entwickelt. Die Frage nach der Auferstehung Christi, von der wir ausgingen, stellte sich dar als die Frage nach der Bedeutsamkeit des Kreuzes Christi, und diese Bedeutsamkeit wiederum war als Heilsereignis entscheidend als Ermöglichung unseres christlichen Existenzvollzuges aufzufassen. Die Frage nach Offenbarung ist die Frage nach dem göttlich Neuen, das sich der Mensch nicht selbst geben kann. Zu dem Thema Kreuz gekommen, stellt Bultmann sich nun die Frage: ist das Kreuz Christi, sofern es das (gemeint ist: unsere christliche Existenz ermöglichende) Heilsereignis ist, nur als mythisches Ereignis zu verstehen, oder kann es als ein geschichtliches Ereignis verstanden werden? Bultmann kompliziert nun aber die Fragestellung dadurch, daß er, wo wir uns nun, von der „mythologischen" Auferstehung weg auf das nichtmythologische Kreuz haben mitführen lassen (immer mit der Frage nach der Ermöglichung der christlichen Existenz im Kopf), bei dem Kreuz angekommen, auch dort noch erst wieder allerhand mythische und objek108

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tivierende Vorstellungen des Neuen Testamentes (abgesehen von der Auferstehung) vorzufinden meint. Nicht nur die Präexistenz und die Menschwerdung des Gekreuzigten, sondern audi die Aussagen über die Sündlosigkeit Jesu, über das Opfer, dessen Blut unsere Sünden sühnt, darüber, daß er stellvertretend die Sünde der Welt trägt, daß er, indem er die Strafe der Sünde, den Tod, übernimmt, uns vom Tod befreit. Was im ersten Teil seines Aufsatzes als ein Katalog des „non possumus" des modernen Menschen erschien, innerhalb deren Grenzen sich jede neue Interpretation wohl bewegen muß110, wird nun von Bultmann selber übernommen: „diese mythologische Interpretation, in der sich Opfervorstellungen und eine juristische Satisfaktionstheorie mischen, ist für uns nicht nachvollziehbar."111 Zum Schaden seines eigenen Unternehmens unterläßt Bultmann es, all diese Vorstellungen und Bilder auf ihre Intention im Kontext nachzuprüfen. An Stelle davon wirft er sie mit allem, was mythisch und objektivierend ist, auf einen Haufen. Dadurch bekommt sein ohnehin vager Mythosbegriff eine Ausdehnung auf alles Objektivierende: auch dort, wo in einer überhaupt nicht mythologischen, sondern allgemein-menschlich, phänomenologisch entwickelbaren Grundstruktur wie Opfer, Satisfaktion, Stellvertretung usw. Bedeutung ausgesagt wird. Die Frage, ob diese „objektivierende" Aussagestrukturen nicht für die Antwort auf die von Bultmann selbst gestellte Frage nach Ermöglichung der christlichen Existenz notwendig sind, unterbleibt. An Stelle davon stellt Bultmann im Neuen Testament ein Mißverhältnis von Gesagtem und Gemeintem fest: die mythologische Interpretation . . . besagt „innerhalb der Anschauung des Ν. T. gar nicht was sie besagen soll". Warum nicht? „Weil sie höchstens (?) besagen kann, daß dem Menschen die seitdem begangenen Sünden vergeben werden in dem Sinne, daß die Strafe für sie erlassen wird" 112 . Wenn es zu Bultmanns eigenen positiven Formulierung von dem kommt, was faktisch gesagt sein soll, so hören wir, daß der Glaubende durch das Kreuz Christi von der Sünde als der ihn beherrschenden Macht, vom Sündigen frei geworden ist. Damit ist aber die erfragte Ermöglichung nur behauptet und in 110 Nämlich: der moderne Mensch kann den Tod nicht als Strafe für die Sünde verstehen, sondern nur als Naturvorgang, er kann keine Erbsünde anerkennen, keine stellvertretende Genugtuung, keine primitiven Opferbegriffe und Rechtsanschauungen, er kann keinen Wert in einem Sterben sehen, wo ein Bewußtsein ist, nach drei Tagen wieder aufzuerstehen, er kann die Auferstehung nicht verstehen a) als Ereignis, das b) eine Lebensmacht auslöst, die c) sakramental anzueignen ist. Denn darin ist d) Gottes Handeln mit einem Naturgeschehen verflochten und deshalb e) unverständlich als ein ihn betreffendes Handeln. 59 f. 111 66 1 1 2 Ebd. Aber: Sündenvergebung und Straferlaß sind zwei verschiedene Dinge. Die Sünde hat ein eigenes Gewicht, das, auch abgesehen von der Strafe, getragen werden muß. Stellvertretendes Sündenleiden darf daher nicht sofort auf die Strafe bezogen werden.

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keiner Weise verständlich gemacht. Es fragt sich, ob, wenn man Bultmann bitten würde, diese Aussage näher zu verdeutlichen, damit sie im Glauben verstanden werden kann, er sich nicht auch gezwungen sehen würde, sich solcher objektivierenden Vorstellungen zu bedienen, die er dem Neuen Testament vorwirft. Ist die Beschreibung der Befreiung durch das Kreuz Christi, wenn sie überhaupt etwas besagen soll, nicht auch schon eine „objektivierende" Vorstellung? Und sind diese Vorstellungen nicht unvermeidlich, wenn man die Ermöglichung des eigentlichen Lebens von außerhalb unseres natürlichen Selbstverständnisses lehren möchte? Als Erläuterung von dem, was faktisch gesagt sein soll, zitiert Bultmann den Text Kol. 2, 13—15 über die Entwaffnung der Mächte und Gewalten durch Gott in Christus und sagt, daß das historische Ereignis des Kreuzes in kosmische Dimensionen emporgehoben wird. Darin werde seine Bedeutsamkeit als eines geschichtlichen Ereignisses deutlich gemacht. Genau besehen gibt es also nach Bultmann mindestens eine dreifache Mythisierung des Kreuzesereignisses im Neuen Testament: a) durch objektivierende Vorstellungen und Theorien (Stellvertretung, Satisfaktion, Opfer); b) durch Erhebung des Kreuzes in kosmische Dimensionen und c) durch die Vorstellung der Auferstehung. Bultmann selber gibt sich von dieser Differenz nicht näher Rechenschaft: alle haben nur eine Funktion: Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes. Nichtsdestoweniger liegt in dieser Differenz eine wichtige Anfrage an die Konsistenz von Bultmanns systematischer Position. Nach ihm ist die Erklärung, das Verständnis der Auferstehung auf den Beziehungszusammenhang mit dem Kreuz angewiesen. Umgekehrt aber ist das Verständnis des Kreuzes als Heilsereignis offenbar nicht exklusiv auf die Vorstellung „Auferstehung" angewiesen. Die Bedeutsamkeit kann auch mit anderen Mitteln ausgesagt werden. Die Vorstellung „Auferstehung" ist letztlich nicht notwendig. Bultmann bleibt uns aber eine Erklärung d a f ü r schuldig, warum es zu dieser doppelten oder gar dreifachen Mythisierung des Kreuzesereignisses gekommen ist und warum sogar o f t im Neuen Testament zwei dieser Objektivierungsweisen nebeneinanderstehen. Weshalb ist dann, wo die Bedeutsamkeit des Kreuzes auch in den objektivierenden Beschreibungen: Satisfaktion, Opfer, Stellvertretung, Loskauf etc. ausgesagt werden kann, die Rede von der Auferstehung als Bedeutsamkeit des Kreuzes überhaupt noch notwendig? Sie kann, nachdem die letztgenannte „objektive" Beschreibung die materiale („verstehende") Auslegung des Kreuzes war, überhaupt nur noch formelle Funktion haben. Mit anderen Worten: die Frage unterbleibt, die Bultmann im Rahmen seines Programms durchaus hätte stellen können, was denn wohl die besondere Funktion dieser Rede von der Auferstehung neben den anderen Bedeutsamkeitsaussagen über das Kreuz sei. Er hätte seine Reduktion der Rede von der Auferstehung auf „nichts anderes als die Bedeutsamkeit des Kreuzes" 41

nicht in dieser formellen Bestimmung belassen dürfen, sondern die Vorstellung „Auferstehung" auch auf die hermeneutischen Hinweise, die in ihr selbst enthalten sind, abhören müssen. Die einzige Stelle, wo er das tut 113 — „drückt sich nicht eben diese Wahrheit (nl. daß das Gericht Gottes als solches den Tod entmächtigt) in dem Satz aus, daß der Gekreuzigte nicht im Tode geblieben ist, sondern auferstanden sei" —, reicht nicht aus, weil damit allenfalls der Sinn der Auferstehungsvorstellung im Symbol einer allgemeinen Wahrheit — daß das Gericht Gottes den Tod entmächtigt — gesucht wird, und darin nichts ausgesagt wird über das, was sich spezifisch und exklusiv an Jesus, dem Gekreuzigten (die Ermöglichung unserer neuen christlichen Existenz!) vollzogen hat. Wenn es wahr bleiben soll, daß erst seit Christus das neue Selbstverständnis möglich ist, so muß diese Ermöglichung eine personale Struktur besitzen und als Ermöglichung ein bleibendes Prius, und zwar ein personales Prius gegenüber dem, was durch sie ermöglicht werden soll, bewahren. Die hermeneutischen Hinweise, die in der Vorstellung „Auferstehung Christi" auf eine — wie auch immer gedachte oder vorgestellte — personale Kontinuität enthalten sind, dürfen bei dem Bezug der Auferstehung auf das Kreuz nicht außer acht gelassen werden. Denn sonst wird nicht so sehr das Verständnis der Auferstehung als vielmehr das vom Kreuz verdorben. Wo eine nicht-personale Lehre von der Bedeutsamkeit des Kreuzes hervorgebracht wird, ist die abstrakte Bedeutsamkeit nicht an einem ermöglichenden Gegenüber unseres Existenzvollzuges gebunden, kann sie also an allen beliebigen Stellen wiederholt und vollzogen werden. Daß diese Gefahr nicht imaginär ist, wird an Bultmanns Ausführungen klar. Das Kreuz Christi kann als Gegenüber keine Stellvertretung bedeuten, wo uns etwas zum Guten angerechnet wird 114 , sondern an das Kreuz Christi glauben heißt: Das Kreuz Christi als das eigene übernehmen, sich mit Christus kreuzigen lassen. Christi Kreuz und Leiden sind also Gegenwart, und wie wenig sie auf das vergangene Ereignis beschränkt werden dürfen, zeigt sich, wenn ein Paulusschüler den Paulus sprechen läßt: „Jetzt freue ich mich, für euch zu leiden, und ergänze, was noch fehlt an dem Leiden Christi! . . . Kol. 1, 24" 1 1 5 . Auch Bultmanns Anliegen ist es, den Begriff der Offenbarung maximal mit Gegenwartsbezug aufzuladen. Je weniger die Offenbarung auf ein vergangenes Ereignis beschränkt ist, um so besser. In keiner Weise darf eine Distanz zwischen dem Heil und uns bestehen bleiben. Deshalb kann es nur in dem Mitvollzug bestehen. Und doch impliziert die Vorstellung einer Ermöglichung durch das Christusgeschehen eine Distanz. Das seit der Lessingfrage für das Verständnis von Offenbarung zentrale Problem der Distanz wird anders zu lösen sein, wo von dem Kreuz Stellvertretung als Bedeutsamkeit auszusagen sein wird, als dort, wo die Verstei f 68

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Ebd.

henskategorie die des ,sich-mit-Christus-kreuzigen-lassenc ist. In der Stellvertretung kommt die Beziehung gerade deshalb zustande, wo — um dieser Heilsbedeutung willen — die Distanz der fides historica bewahrt geblieben ist; im zweiten Fall verschwindet das historisch Abständige in der Identität des präsentischen existentiellen Vollzuges. Man sehe dabei aber zu, ob dann die so dringend gestellte Frage nach Ermöglichung mehr ist als eine nur rhetorische. Wir haben es anfangs als positiv gewertet, daß Bultmann die Rede von der Auferstehung Christi in Beziehung zu dem Kreuz gebracht hat. Denn: nicht in den einzelnen Lehrstücken, sondern nur dort, wo die Beziehungen aufgedeckt werden, fallen die theologischen Entscheidungen. So wurde die Frage nach der Auferstehung Christi bei Bultmann auf die Frage nach der Auslegung des Kreuzes verlagert. Wer aber bis dorthin mitgegangen ist, bemerkt zu seiner Enttäuschung, daß auch dort keine objektive Auslegung zustande kommt. Wir werden weiter auf unsere Existenz verwiesen. Das Kreuz Jesu ist an sich kein Heilsereignis. „Nicht weil es das Kreuz Christi ist, ist es das Heilsereignis, sondern weil es das Heilsereignis ist, ist es das Kreuz Christi" 116 . Auferstehung als Offenbarung des Kreuzes Christi bedeutet, daß das Kreuz erst in unserem verstehenden Glauben zu dem, was es ist, werden soll. Abgesehen davon ist es historisch das tragische Ende eines edlen Menschen. Es soll aber audi nach Bultmann nicht auf seine historischen Gründe befragt werden 117 . Trotzdem wagen wir eine historische Frage, die uns dann aber weiter durch alle kommenden Phasen unserer Untersuchung begleiten wird: Ist das Kreuz Christi historisch nicht ein Kreuz in Israel? Ist das Kreuz nicht die historische Wirklichkeit des Widerstandes des erwählten Volkes der Offenbarung gegen eben diese Offenbarung, audi wenn es sich dessen am wenigsten bewußt war? Daß das Volk Israel das Volk der Offenbarung ist und als solches einen besonderen Ort innerhalb der Geschichte der sonstigen Menschheit einnimmt, ist, genau so wie für Israel selber, für uns nun wahrlich eine Sache des Glaubens. Aber, wenn das Kreuz innerhalb dieses Glaubens historisch ist, bekommt es ein anderes Vorzeichen als dort, wo es als ein bloßes Geschehen von der Profangeschichte registriert zu werden pflegt. Die „Tatsache" des Kreuzes ist so nackt und ungedeutet nicht, wie Bultmann will. Israel ist das historische Subjekt dieses Kreuzes. Es wird in diesem Geschehen zum Gegenspieler des Gekreuzigten. Es wird am Kreuze schuldig. Dieses Geschehen ist von objektiver Bedeutung, denn nur so kann Israel seinen Messias bekommen. Und wo die Schuld historisch ist, muß die Entgegnung der Schuld auf der gleichen Ebene stattfinden, in der Geschichte, um so die Geschichte, die Geschichte der Schuld, zu sprengen. iie 70 117

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D. Der Ort der Frage nach der Auferstehung

Christi

Wir haben nun, in einem ersten Rundgang, das Feld der Fragen, die sich nach der Auferstehung Christi stellen lassen, mittels zwei Diagonalen zu durchmessen versucht. Diese Linien haben sich, bei aller Verschiedenheit der Perspektiven, die sich von beiden aus eröffneten, in einem Punkt geschnitten. Dieser Schnittpunkt ist der theologische Ort der Frage nach Auferstehung. An diesem Ort sollte deutlich geworden sein, daß wir es in der Auferstehung Christi mit nichts Geringerem als mit der Offenbarung, mit Gott selbst zu tun bekommen, mit Gott so, wie er unser Leben und unsere Welt für sich beansprucht, mit Gott, vor dem es kein Entrinnen mehr geben kann. In der Besonderheit dieses Ortes, der sich von allen anderen Orten, von denen aus Fragen gestellt werden können, grundsätzlich unterscheidet, verrät sich schon das Geheimnis der Antwort auf die Frage. Diesen existentiellen Sinn der Frage nach Auferstehung, der den Fragenden in Anspruch nimmt, der ihn mitreißt aus seiner Zuschauerstellung, der ihm zumutet, bei seinem Fragen selber in Frage gestellt zu werden, dürfte unsere Beschreibung der zwei theologischen Positionen doch wenigstens vermittelt haben. Bei Karl Barth geht dieser Sinn aus jeder Seite hervor: es geht um die Beziehung der Offenbarung auf unser Leben. Nichts weniger aber war bei Rudolf Bultmann gemeint — nur hat die Verbindung dieser Absicht mit einem thematisch vorgenommenen Programm der Entmythologisierung den Blick der Beurteiler zu oft auf Letzteres abgelenkt (siehe oben S. 34). Bultmann hat aber nie Zweifel daran gelassen, daß das Programm der Entmythologisierung nicht der Absicht einer Eliminierung entsprang, sondern daß es, umgekehrt, darauf zielte, die Rede von der Auferstehung zu interpretieren, damit sie wieder fruchtbar werden konnte. Bultmanns Umschreibung der Rede von der Auferstehung Christi als „Nichts anderes als die Bedeutsamkeit des Kreuzes" hat durch den reduzierenden Ton des „Nichts anderes als" umgekehrt gewirkt als beabsichtigt war: das eigentliche Pathos der Bultmannschen Theologie liegt in dem Bedeutsamwerden des Kreuzes, die in der an uns gerichteten Frage, uns mit Christus kreuzigen zu lassen, gipfelt. Diese Frage soll uns von der nur historischen Betrachtung wegrufen; mit dieser Frage, die die Rede von der Auferstehung Christi mit dem Kreuz verbindet, soll dasselbe bezweckt werden, als Barth durch die Hineinnahme der Auferstehung Christi in die Auferstehung der Toten erreichen möchte: das Wegrufen des Interesses von dem historischen Phänomen zu dem allgemeinen und gerade darin existentiellen Sinn der erfragten Auferstehung. Alle Fragen, die Bultmann Barth zu stellen hatte, und alle Fragen, die wir im letzten Abschnitt Bultmann gestellt haben, dürfen über diesen grundlegenden Sachverhalt der gemeinsamen Intention nicht hinweg-

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täuschen. Diese Intention entwirft den Horizont der Frage nach der Auferstehung Christi und setzt das Maß der möglichen Antworten fest: um weniger als um Offenbarung wird es dabei nicht gehen können. Daß der Untertitel von Barths Auslegung des 1. Korintherbriefes: „eine akademische Vorlesung" ironisch gemeint war, wurde nicht sofort bemerkt, wohl aber, daß die Ausführungen über die Auferstehung der Toten eine ungeheuere Herausforderung an die akademische Theologie bedeuteten. So verstärkte diese Schrift die Wirkung, die einige Jahre zuvor von der zweiten Auflage des „Römerbriefes" ausgegangen war. Sowohl Barth wie Bultmann wissen, daß die akademische Frage nach der Historizität des Ereignisses der Auferstehung Christi ein Alibi sein kann. Ein nur historischer Bezug, sei er fundamentalistisch zu einem „positiven" Faktum, sei er historisch-kritisch zu einem rekonstruierten Bild der Ereignisse oder gar zu der Fehlanzeige eines positiven Faktums, ist eben kein der Offenbarung gemäßer Bezug. Diese Erwägung kann sich nach zwei Seiten auswirken: bei Barth wird der Begriff des Historischen, des Objektiv-Geschichtlichen durch den Begriff der Urgeschichte an der objektiven Seite gesprengt und verbreitert, bei Bultmann geschieht das Gleiche an der subjektiv-geschichtlichen Seite, wo Existenz und Engagement die Energie des historischen Fragens erzeugen. Der eigentlich wirksame Unterschied in der Position der beiden Großmeister liegt nicht an diesem Ort, nicht in der Frage: Offenbarung Ja oder Nein, sondern in der Bestimmung des Kontextes, innerhalb der die Offenbarung zum Tragen kommen soll. Bei Bultmann ist der Adressat des Kerygmas, der Verkündigung vom Kreuz, die einzelne Existenz, und die bezweckte Wirkung dieser Verkündigung ist ein neues Selbstverständnis, die eschatologische Existenz, die sich mit Christus kreuzigen läßt, das Leben aus dem Unverfügbaren und die Entweltlichung des persönlichen Ichs. Die Abweisung des historischen Charakters der Auferstehung Christi und die damit verbundene positive kerygmatische Interpretation des Kreuzes hat bei Bultmann zur Folge, daß die Geschichte als der Ort der Bewährung des Gehorsams überhaupt verschwindet. Die entmythologisierende, nichtreligiöse Interpretation der Auferstehung Christi steht nicht im Dienst einer neuen kräftigen Zuwendung zur Welt und ihrer Probleme, als Vorgriff und als zeichenhafter Ausdruck der Einheit Gottes mit der Welt im Eschaton, sondern umgekehrt im Dienst der Entweltlichung118. Das Ergebnis der nicht-mythologischen, nicht-religiösen Interpretation der Auferstehung Christi bei Bultmann ist dann eben wiederum Mythos und Religion, aber jetzt in dem Sinne wie Barth sie interpretiert: daß im Mythos und in der Religion Gott und Welt geschieden werden 1 1 8 Das dürfte noch neulich D . Solle, Hoffnung verändert die Welt. Kritische Auseinandersetzung mit der Theologie Rudolf Bultmanns, Evangelische Kommentare, 4. Jahrgang, 1 (Jan. 1971), 15—20, klar gezeigt haben.

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oder, was dasselbe ist, in eine monistische Gesamtkonzeption aufgenommen wurden, wie Barth es bei den korinthischen Leugnern der Auferstehung meinte wahrnehmen zu können (siehe oben S. 20). Dagegen steht bei Barth, der die Entmythologisierung nicht, wie Bultmann, thematisch treibt, die Interpretation von „Auferstehung der Toten" ganz im Dienste der Religionskritik und sogar der Kirchenkritik, insofern die Kirche audi die Produktionsstätte des Mythos, d. h. der Trennung von religiöser Überwelt und Welt geworden ist. In einem erleuchtenden Aufsatz: „Religionskritik und Entmythologisierung" 119 hat F.-W. Marquardt die gängige Auffassung, als sei die Entmythologisierung schon eo ipso Zuwendung zur Welt, einer gründlichen Revision unterzogen. „Das Entmythologisierungsthema ist zu niedrig angesetzt, wenn es nur als Kritik des mythologischen Weltbildes, des vorstellenden Denkens, des objektivierenden Redens, d. h. als Kritik der formalen Apperzeption von Wirklichkeit . . . angesetzt ist. Das Entmythologisierungsproblem ist aber auch dann zu niedrig angesetzt, wenn es als existentiale Interpretation auf das sich zu sich selbst verhaltende Dasein a n s e t z t . . . Denn nur die nicht-begriffene und selber nichts Allgemeines von sich selber wissende, nur die konkrete Existenz ist weltlich und gehört Gott. Lebensakt ist gemeint. Der Ort aber dieses Lebensaktes, das Kampffeld um Weltlichkeit der Welt und Realität Gottes, ist nicht das Denken, nicht der ontologische Wurf, Entwurf und Gegenwurf. Er ist die Kirche" 120 . Entmythologisierende Theologie ist die in höchsten sozialen und existentiellen Kategorien denkende Theologie121. So wirkt sich der gemeinsam neu entdeckte Ort der Frage nach Auferstehung doch noch als ein Ausgangsort für verschiedene Wege aus, die dann in den von Barth und Bultmann ausgehenden theologischen Bewegungen noch weiter hervortreten werden. Davon soll im IV. und V. Kapitel dieses Buches die Rede sein. Aber audi dort wird die Frage nach der Ermöglichung der Existenz, nach dem Ort, den die Kirche, als Raum der Versöhnung, in diesen Entwürfen einnimmt, nichts von ihrer Brisanz verloren haben. Das Ringen um das Verständnis von Offenbarung hat sich, wie wir nun in einem ersten Überblick gesehen haben, zugespitzt in der Frage nach dem Verständnis von Auferstehung. Wenn wir uns auch in dieser Untersuchung vor allem mit der Auferstehung Christi befassen, so kann die Hineinnahme der Auferstehung Christi in die Auferstehung der Toten, die bei Barth (in Auslegung von Paulus) vollzogen wird, die Richtung für die theologische Methode weisen, in der das Verständnis der Auferstehung Christi gesucht werden sollte. Wenn sie historisch ist, kann sie es nicht in dem Sinne sein, als sie 119 In: Theologie zwischen Gestern und Morgen, Interpretationen und Anfragen zum Werk Karl Barths, herausgegeben von W. Dantine und Kurt Lüthi, 88—123

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sich nur auf ein Ereignis in der Vergangenheit richtet. „Und entsprechend stellt sich das Problem des historischen Verstehens keineswegs nur in der Dimension der verfallenden, vergehenden und darum von uns erst wieder zu überbrückenden Zeit, also nicht nur in der Augustinus- oder Lessing-Form, sondern erst recht in der Dimension der politischen und gesellschaftlichen Bewältigung der eigenen Zeit. Historische Kritik sucht nicht nur die Rekonstruktion vergangener, sondern audi die Konstruktion kommender Zeit. Diese Doppelfunktion ist das qualitativ andere der Barthschen gegenüber der sonstigen akademischen historischen Kritik" 1 2 2 . Für Barth und Bultmann bedeutet das tatsächliche Geschehen der Verkündigung, daß der angemessene O r t der Frage nach Auferstehung schon gegeben ist. Keinem der beiden Theologen kann es somit mehr um einen nur historischen Ursprung der Kirche gehen. Bultmann sieht in der Frage sogar den Versuch, den Glauben zu begründen, und er weist sie deshalb ab (siehe oben S. 37). Barth sieht in Schrift und Verkündigung die Offenbarung immer neu entspringen, und er stellt die historische Frage nach einer Rekonstruktion der Ereignisse hinter der Verwirrung der Texte deshalb nicht. Er hat auch einen viel längeren Atem, die Fremdheit der Texte, die die Auferstehung bezeugen, auszuhalten, ohne daß er sich sofort zur Aggression reizen läßt. Das ist kein Fundamentalismus, sondern Leben aus der Einsicht der Kirche, die ruhig und überlegen macht: daß die Sache die Art ihrer Bezeugung immer transzendiert. Aber, sagt wiederum Marquardt: „Barth sieht die Transzendenz der Texte noch im Text selbst" 123 . N u n ist es aber, trotz der erklärten Absage der beiden Theologen an die historische Bemühung in Sachen Auferstehung Christi, in der deutschen Theologie immer wieder zu solchen Bemühungen gekommen und kommt es noch immer. Man braucht darüber nicht unwillig zu werden, weil etwa die Ebene, auf die die Frage von Barth und Bultmann gestellt wurde, nicht immer eingehalten worden ist. Bekundet sich in der historischen Frage ja auch ein ganz berechtigtes Anliegen: der Glaube hält es in der dünnen Luft des Unhistorischen nicht aus, und möchte einen Boden unter den Füßen gewinnen, um darauf zu stehen. Die Frage wird aber sein, wie dieser Boden beschaffen sein wird, wie dieser Boden zu beschaffen sein wird. Grade die Bemühungen, die, nach Barth und Bultmann, unternommen worden sind, um zu einer historischen Bestimmung der Auferstehung Christi zu kommen, bieten einen willkommenen Anlaß, die Tragfähigkeit des von Barth und Bultmann gelegten Bodens zu erproben und, nach einem erneuten Durchgang durch die historischen Fra122 F.-W. Marquardt, Exegese und D o g m a t i k in Karl Barths Theologie, zum Registerband der Kirchlichen D o g m a t i k , 674 123 Ebd. 666

Nachwort

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gen, die dort gegebenen Antworten zu überprüfen. Mit der Gestalt dieser historischen Frage nach der Auferstehung Christi werden wir uns dann in unserem nächsten Kapitel beschäftigen (Kap. II). Das sich anschließende Kapitel soll nun, in dem Bewußtsein der von Barth und Bultmann aufgeworfenen Fragen und in Hinblick auf die Aporien, die die erneute historische Zuwendung zur Auferstehung Christi hervorgebracht haben wird, versuchen, die historische Frage nach der Auferstehung Christi neu zu stellen, und zwar von dem Ort aus, von dem sie sinn vollerweise nur gestellt werden kann: von dem Ort der ergehenden und ergangenen Offenbarung, von der Kirche her. Wenn die Sache der Offenbarung sich historisch auswirkt, soll es keine unmögliche Aufgabe sein, von der Historie her, in der wir sind, umgekehrt das Gefalle zu verfolgen, das bis zum Rätsel der auslösenden Sache vorstößt. Fides quaerit intellectum, auch einen intellectum historicum. Der Glaube, der innerhalb des Bereiches der Offenbarung lebt, sucht seinen eigenen Grund. Er findet ihn in der Selbstoffenbarung Gottes in dem Opfer des Leibes Jesu Christi am Kreuz (Kap. III). Auf Grund dieser Antwort wird es nun möglich, die immanente Anfrage an der Konsistenz der Position Rudolf Bultmanns, die sich in der Frage nach dem Grund des Kerygmas und der Ermöglichung der Liebe stellen läßt (siehe oben S. 38 f.), weiter zu verfolgen, und zwar in einer Befragung der Ausführungen, die über die Auferstehung Christi in der Schule Bultmanns dargeboten werden (Kap. IV). War die neue Frage nach dem Grund der gläubigen Existenz in der von Bultmann inspirierten, aber über ihn hinausgehenden Theologie vornehmlich rückwärts auf den irdischen Jesus gewandt und auf das Individuum bezogen, so wirkten sich die von Barth gegebenen eschatologischen Impulse in der Frage nach der Zukunft und dem Reiche Gottes aus, übrigens nicht ohne daß Motive aus der Theologie Rudolf Bultmanns wirksam bleiben (besonders bei Käsemann und Moltmann). In diesem Zusammenhang muß auch die Theologie Wolfhart Pannenbergs, der wir schon am Anfang des dritten Kapitels in ihrer Verbindung mit der historischen Frage nach der Auferstehung Christi begegnen werden, ein weiteres Mal auf der Bühne erscheinen, vornehmlich um die Aporien seiner großartigen Zusammenschau der Auferstehung Christi und der Auferstehung der Toten zu demonstrieren (Kap. V). Am Ende der Untersuchung, wo auch das Eschaton in den Blick gekommen sein wird, wendet sich dann der Blick zu den Anfängen zurück, zu dem Grund dessen, was zu erwarten ist, und sucht den Ort der ersten Offenbarung. In der Auslegung Barths des ersten Korintherbriefes, der von Paulus an die Griechen gerichtet worden war, war die moria, die die Auferstehung den Griechen bedeutete, so in den Vordergrund gerückt, daß dem skandalon des Kreuzes für die Juden nur wenig Raum zuge48

messen wurde. Aber das Volk der Offenbarung, das Volk Israel, der Ort, in dem das Kreuz historisch wurde (siehe oben S. 43), war auch in der Auslegung f ü r die Griechen dabei. Die kerygmatische Formel 1. Kor. 15, 3—5 sprach von dem Sterben Christi f ü r unsere Sünden nach den Schriften, von dem Auferweckt-werden am dritten Tage nach den Schriften, und damit war weit mehr gemeint als nur ein lokaler altchristlicher Schriftbeweis. Paulus „sieht die Väter des alten Testamentes alle im weiten Kreis um diesen Punkt herumstehen, um diese Wendung vom Tod zum Leben, vom Ende zum Anfang, von einer alten zu einer neuen Welt." 124 U n d so wie die Frage nach dem Ende die Frage nach dem Ursprung wurde (siehe oben S. 20 f.), und so wie dieser Ursprung der Gemeinde die Vergebung der Sünden in dem stellvertretenden Opfer des Leibes des Messias Israels ist (Kap. III), so wird auch umgekehrt die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung noch im Ende gültig sein. Denn Gott kann seine Gnadenverheißungen und seine Berufung nicht bereuen (Rom. 11, 29), gerade hier nicht, wo in der Offenbarung des stellvertretenden Opfers der Ungehorsam des berufenen Volkes von seinem Erbarmen weit übertroffen werden wird (Rom. 11, 32). Das Ende aller Wege Gottes ist die Leiblichkeit, aber der erste Leib der Offenbarung ist das leibliche Volk Israel, das Volk Gottes in der Weltgeschichte. War die Geschichte des Volkes Israel nur ein Scheitern, wie Bultmann meinte? 125 Ist für den christlichen Glauben das Alte Testament nicht mehr Offenbarung? 1 2 6 Oder wird die Frage nach Offenbarung die Frage nach der Kontinuität und Treue des Gottes Israels, der am Anfang und am Ende diese Geschichte umklammerte, weil er in der Mitte den Ungehorsam und die Schuld seines berufenen Volkes und damit der Menschheit auf sich nahm? (Kap. VI). So gliedert sich der Gang unserer Untersuchung nach dem Ort der Frage nach der Auferstehung Christi in der folgenden Weise: Kap. II: Die historische Frage nach der Auferstehung Christi. Kap. I I I : Der O r t der historischen Frage ist die Kirche. Kap. IV: Wie ist es um den Grund dieser Kirche bestellt? Kap. V: In welchem Grund gründet die Erwartung? Kap.VI: Der O r t der endgültigen Antwort auf die Frage nach Auferstehung ist das Volk Israel.

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Karl Barth, Die Auferstehung der Toten, 82 Vgl. Glauben und Verstehen II, 162 ff. Dazu auch: Κ. H. Miskotte, Wenn die Götter schweigen, 172. 126 Glauben und Verstehen I, 333 125

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Geense, Auferstehung

KAPITEL

II

Die Gestalt der historischen Frage nach der Auferstehung Christi Wer, aus der dünnen Höhenluft um Barth und Bultmann kommend, in das Gestrüpp der historischen Forschung nach der Auferstehung Christi gerät, mag die schnelle Wandlung, die sich in der Landschaft vollzieht, in mehr als einem Sinn als einen Abstieg empfinden. Man kommt nur mühsam voran, jeder Schritt ist schwierig und wer sich ganz hinein begibt, wird nicht selten von der Verzweiflung überfallen. Gibt es denn wirklich keinen anderen Weg zu dem zentralen Geheimnis der christlichen Kirche als nur, wenn man bereit ist, sich durch diesen Pfannkuchenberg hindurchzufressen? Die Literatur ist unabsehbar — wer, wie audi wir, seinen Mund aufmacht, vergrößert das Übel nur —; schlägt man einen Kopf des Drachen ab, so wachsen sieben andere an der Stelle. Es gibt keinen Text in der Weltliteratur, der so von vorne und von hinten, von oben und von unten, von drinnen und von draußen analysiert worden ist wie das Osterzeugnis der Bibel. Wenn das Mysterium der Auferstehung das letzte und tiefste Mysterium der Welt überhaupt ist, wird einem vieles in der wissenschaftlichen Betriebsamkeit auf diesem Gebiet oft unerträglich. Mysterien werden zu Schleuderpreisen verhandelt, die Inflation der theologischen Substanz, aus der die Kirche lebt, greift schnell um sich. Zynismus, Frivolität und das schmerzliche Lächeln der wissenden Auguren, die sich begegnen, hier; positivistisches Pathos, Kundgebungen und Krampf dort. Aber alle Stufen und Vehemenzen der Fragestellung ebnen sich ein in der Konfrontation mit dem Rätsel der Sache selbst, das jede methodologische Verfeinerung verspottet. Diese Verspottung fordert aber heraus zu noch höherer Anstrengung: je mehr das Rätsel uns entweicht, um so stärker zieht es uns Fragende in seinen Bann; gibt es denn wirklich keine letzte Methode, dieses Mysterium magnum zu meistern, es selber zu verstehen, es anderen zu dolmetschen oder es endgültig als Betrug zu entlarven? Gibt es eine Methode, um darzulegen, ob das Evangelium aus Gott ist oder aus den Menschen? Wir wollen uns vor diesen Fragen aber nicht wieder sofort in die Höhenluft zurückziehen und den Vergleich mit Barth und Bultmann ziehen. Gerade durch ihre Impulse in Gang gebracht, gab es nachher bei 50

vielen viel ernsthaftes Ringen um die Sache der Offenbarung und einen sehr langen Atem, um bis ins letzte allen Bedenken Rechnung zu tragen. Wir wollen versuchen, neu und unbefangen wieder anzufangen. Wir wollen in diesem Kapitel darüber berichten, in welchem Sinn die deutsche evangelische Theologie die historische Frage nach der Auferstehung Christi aufgenommen hat. Vieles davon ist bekannt, darum soll die Wiedergabe einiger repräsentativen Bemühungen knapp gehalten werden, um dadurch mehr Raum für das Aufspüren der Voraussetzungen und der bleibenden Verlegenheiten zu haben. Daß diese Voraussetzungen unvermeidlich systematischer Art sind, und daß die historischen Verlegenheiten die systematische Fragestellung profilieren, ja, daß die historische Frage letztlich identisch ist mit der systematischen Frage, möge aus diesem Kapitel hervorgehen und so dann den Übergang zu dem nächsten Kapitel rechtfertigen. So fragen wir in diesem Kapitel nach der Gestalt der historischen Frage und in Kap. III nach dem Ort der historischen Frage. Dabei leitet uns die Absicht zu zeigen, daß an den Grenzen der historischen Frage nach der Auferstehung, die uns herausfordern, der Ort bedacht werden soll, von dem aus wir die Fragen zu stellen pflegen. Nur so bleibt die historische Frage nicht in einem luftleeren Raum stehen: sie wird erschlossen als die Frage nach Offenbarung. Die historische Frage nach der Auferstehung Christi von den Toten gliedert sich in drei Fragenkomplexe: 1. Die Frage nach dem Ereignis der Auferstehung 2. Die Frage nach den historischen Zusammenhängen der Auferstehung 3. Die Frage nach der Art der Bezeugung der Auferstehung. 1. Selbstverständlich ist die erste Frage die Wurzelfrage der historischen Bemühung. Wäre die Auferstehung Christi selber nicht das große Rätsel, um das herum sich alle Forschungen konzentrieren, so wären auch die Fragen nach ihren historischen Zusammenhängen und der Art der Bezeugung als Anmarschwege nicht so unausweichlich. Zugleich aber bedeutet dieser Sachverhalt, daß, obwohl die eigentliche Absicht des Fragens auf das Ereignis der Auferstehung selbst zielt, die tatsächlichen historischen Bemühungen sich auf dem Gebiet der zweiten und der dritten Frage abspielen. Dabei zeigt sich, daß die drei Gestalten der historischen Frage eine Einheit bilden und nicht voneinander isoliert werden dürfen. Fragt man ζ. B. in einer isolierten Weise nach dem Ereignis und dem Wesen der Auferstehung Christi, so sieht man bald, daß die Frage in dieser Gestalt, die oft als die historische Frage ausgegeben wird, gar keine echte historische Frage mehr ist, sondern eine naturwissenschaftliche, phänomenologische Frage. 51 4·

Man versucht in ihr dann nicht mehr die Zusammenhänge einer Reihe von Ereignissen sichtbar zu machen, sondern isoliert das eine behauptete Glied der Ereignisreihe, um es in einer Sondervernehmung auf seine Zuständigkeit, ein solches Glied im Kausalnexus darzustellen, zu prüfen. Die Kette der Zusammenhänge ist ja so stark wie ihr schwächstes Glied. Nur wird in diesem Fall, bei der Suche nach den Kriterien für die Zuständigkeit der Auferstehung Christi ein solches erklärendes, kausales Moment abzugeben, nicht darauf geschaut, daß sie es laut biblischem Zeugnis tatsächlich gewesen ist, sondern sie soll ihre Möglichkeit von anderer Stelle als von ihrer tatsächlichen Wirklichkeit in diesem Kontext her begründen. Sie wird, als Phänomen, nicht in ihrem Kontext mit qualitativ verschiedenen Phänomenen gelassen, sondern, in einseitiger Anwendung des Prinzips der Analogie, als analogielos und deshalb unhistorisch bezeichnet. Analogien bietet nur das Phänomen des Todes, für dessen Endgültigkeit die Naturwissenschaft verantwortlich zeichnen soll. Damit ist sie zu einer „naturwissenschaftlichen" Frage geworden; man kann es auch weniger pathetisch sagen (denn wo beschäftigt sich die Naturwissenschaft mit der Frage oder dem Projekt: Auferstehung von den Toten?): zu einer Frage, in den meisten Fällen schon zu einer Antwort des gesunden Menschenverstandes, der weiß, daß im allgemeinen Tote nicht aufzuerstehen pflegen. Aber auch die theologisch-dogmatische Frage nach der Auferstehung Christi kann nie ohne Schaden versuchen, von der Frage nach dem historischem Zusammenhang und der Art der Bezeugung abzusehen, um in einem isolierten locus de resurrectione Wesen und Bedeutung der Auferstehung zu bedenken oder auch die Faktizität der „Heilstatsache" Auferstehung auf Großkundgebungen einzuklagen. Sobald aber die Frage nach der Auferstehung nicht schon im nächsten Augenblick am positiven oder negativen Ziel ist, sondern einen Weg beschreitet, zeigt sich der unlösliche Zusammenhang der drei Stadien auf dem Fragewege, die ebensowenig isoliert werden können als die sechzig Stadien auf dem Frageweg nach der Auferstehung, der von Jerusalem nach Emmaus führte (Lk. 24, 13). Die pauschale Antwort der Orthodoxie, die unsere Vorstellungen weitgehend bestimmt: „Die Auferstehung Jesu Christi ist das WiederLebendig-Werden des Leibes des gestorbenen Jesus von Nazareth", hat in dieser Form die Fragen nicht beendet, sie vielmehr erst hervorgerufen. Aber ebensowenig vermögen Auskünfte wie die der Scheintodhypothese, der subjektiven oder der objektiven Visionshypothese, die ζ. T. bis in die heutige Zeit als Erklärung ausgegeben werden, den Fragenden zu befriedigen. Damit wird nämlich entweder die Auferstehung nicht erklärt, oder an Stelle der zu erklärenden Auferstehung tritt der Auferstehungsglaube als Thema der Untersuchung. Eine historische Erklä52

rung für das isolierte „Phänomen" Auferstehung gibt es nicht, weil es eine dazu dienende rein historische Kategorie nicht gibt. Die Auferstehung Christi ist, wo sie als Bericht faktisch nicht beschrieben ist (etwa wie die visionäre Beschreibung der Auferstehung des Gottesvolkes in Ez. 37), auch nicht für historische Untersuchung zugänglich. Dieses faktische Nichtbeschrieben-Sein kann schließlich in zwei Richtungen eine prinzipielle Unbeschreibbarkeit indizieren: entweder so, daß, wo Auferstehung eines Toten nicht geschehen kann, sie deshalb auch nicht als geschehen beschrieben werden kann, oder so, daß das (als unmittelbare Tat Gottes) geglaubte Wesen der Auferstehung die historische Beschreibung und Erforschung ausschließt, weil die Tat Gottes, wie sehr sie auch Geschichte hervorruft, selber, ihrem Wesen nach, unanschaulich ist. Nun bedeutet aber das Eintreten für die Zusammenschau der historischen Frage nach der Auferstehung Jesu Christi an sich mit den Fragen nach dem historischen Kontext und der historischen Bezeugung noch nicht ohne weiteres, daß die Isolierung der Frage nach dem Wesen der Auferstehung an sich schon durchbrochen ist. Es kann sein, daß man nur deshalb sich um die Fragen nach historischen Folgen und Art der Dokumentation bemüht, weil heimlich schon eine Vorentscheidung in Beziehung zu der isolierten Frage nach der Möglichkeit der Auferstehung gefallen ist. Wo die Auferstehung von vornherein als unmöglich gedacht wird, wird die Pflicht, sich von den historischen Folgen und der literarischen Bezeugung dieses unmöglichen Ereignisses Rechenschaft zu geben, eine um so dringlichere Aufgabe. Man soll aber sehen, daß in diesem Fall die Frage nach der Auferstehung „selbst" schon beantwortet ist und nicht zugleich noch, als oifene Frage, mit den anderen zwei Gliedern der Frage voran getrieben wird. Wir wollen nun in unserem Zusammenhang keine expliziten Beschreibungen der Theorien geben, die zur Erklärung der Auferstehung Christi vor allem seit dem 19. Jahrhundert entwickelt worden sind, und zwar erstens nicht, weil sie in dieser Form gar keine vollständigen historischen Erklärungen, sondern mehr oder weniger pauschale Bejahungen oder Verneinungen der Auferstehung sind, Rationalisierungen von Einzelaspekten aus den Auferstehungszeugnissen mit Hilfe von innerweltlichchen Phänomenen; und zweitens, weil diese isolierende Fragestellung in der heutigen Besinnung weitgehend durchbrochen worden ist und ihre positiven Ergebnisse oder bleibenden Verlegenheiten in die breitere Problemstellung integriert worden sind. Die Frage: was ist denn eigentlich „Auferstehung" kann nicht am Anfang, sondern ganz behutsam nur am Ende des Weges gestellt werden. 2. Die kontextuelle historische Fragestellung stößt auf die Auferstehung, nicht weil sie gezielt nach dem isolierten Phänomen fragt, sondern weil sie bei dem Unternehmen, die wichtigsten Erscheinungen und Er53

eignisse des Urchristentums genetisch zu erklären, in der Nähe des Auferstehungszeugnisses zum Stillstand kommt und doch weitergehen möchte. Die Fragen nach dem Entstehen der Kirche, der Verkündigung und der Überlieferung des Lebens Jesu stoßen bei der Auferstehung Christi auf eine vorläufig letzte Barriere. Es ist zwar möglich, das Entstehen der Kirche, der Verkündigung und der Uberlieferung im Leben des irdischen Jesus zu verankern, und in dieser historischen Frage die Auferstehung gleichsam zu überspringen, aber die Chiffre für die Bezeichnung des Umschlags von Jesus als Verkündiger in Christus den Verkündigten, des Ortes der Entstehung der Kirche bleibt: Auferstehung, Auferstehungsglaube, Auferstehungslicht, Ostern oder wie man im einzelnen diese Chiffre auch benennen mag. Diese historische Fragestellung ist, auch bei größter Zurückhaltung in der Bestimmung der Auferstehung Christi, jedenfalls an sie intendiert. Sie versucht die Antworten bis an die Grenzen dieses Geschehens zu geben und stellt diese Antworten in einem Kreis, in ehrfürchtigem Abstand um dieses letzte „non liquet" herum, auf. Was kann aus allen diesen verschiedenen, aber bekannten Wirkungen auf die eine unbekannte Ursache geschlossen werden? Inwiefern kann „Auferstehung" diese Wirkungen erklären und verständlich machen? Leuchtet in diesen Anfängen (principia) auch das „Prinzip" der zu erklärenden Phänomene, nämlich „Auferstehung" auf? Denn die Kirche, die Verkündigung, die Tradition sind selber auch nicht ohne weiteres „restlos" erklärbar. Sie sind zwar, gemessen an der unbekannten Ursache, die bekannten Wirkungen, aber auch die bekannten Wirkungen tragen ein Geheimnis mit sich. So geschieht das Fragen in dem Wissen darum, daß nicht nur der historische, chronologische Anfang unbekannt ist und alles weitere bekannt, sondern vielmehr, daß das Geheimnis des Anfangs jede weitere Stufe der Entwicklung begleitet. Es kann dann diese Frage in der Hoffnung gestellt werden, das Geheimnis, wenn nicht am Anfang, so doch in der späteren Erscheinung zu attrapieren und es damit zugleich für die Erklärung des Anfangs zu besitzen. Umgekehrt dürfte dann die dort gefundene Umschreibung für das Geheimnis des Anfangs das Geheimnis von Kirche, Verkündigung und Tradition mit „erklären" Daß darin ein Zirkel der Erklärung liegt, ist ebenso klar wie unvermeidlich. 3. Das zweite Glied der historischen Frage nach der Auferstehung Christi, die Frage nach der Auferstehung in ihren historischen Zusammenhängen, die bis heute weiterlaufen (Kirche, Verkündigung und Tradition), führt automatisch über in die dritte Stufe der Frage nach der Auferstehung, die Frage nach der Art ihrer Bezeugung. Obwohl die Kirche, wenn sie auf der Auferstehung Christi gebaut ist, darauf auch gegründet bliebe, wenn davon keine schriftliche Bezeugung bestünde, ist der Weg (wenn es ein Weg sein soll) des historischen Zugangs zur Auf-

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erstehung nur über die uns bekannten Auferstehungszeugnisse und -berichte möglich. Bezieht man diese Auferstehungszeugnisse mit in die Fragestellung ein, und versucht man nicht nur aus einer im Heute geübten Wesensschau von Kirche, Verkündigung und Überlieferung die historischen Anfänge aus der freien H a n d zu skizzieren, so bekommt die historische Fragestellung Ansatzpunkte in die Hand, die zwar methodisch unentbehrlich sind, aber doch nicht unreflektiert hantiert werden können. Im Gegenteil, alle Fragen brechen gerade an dieser Stelle, woher doch auch alle Antworten scheinen kommen zu müssen, erst recht auf. Zweifel und Unsicherheit sind nicht da, wo die Urkunden fehlen, sondern gerade dort am stärksten, wo die Urkunden reden. Die Diskussion über die historisch möglichen Einsatzpunkte für den Zugang zum A u f erstehungsgeschehen ist deshalb vorerst und auf langer Strecke eine Diskussion über den Wert der Quellen, die die Auferstehung bezeugen. Sie wird nicht geführt unter vorausgesetzter Unmöglichkeit der Auferstehung, sondern vor allem deshalb, weil zwischen den evangelischen Berichten untereinander und zwischen den Evangelien und Paulus erhebliche Diskrepanzen bestehen, die einer Erklärung bedürfen. Diese biblischen Zeugnisse nun, befragt auf die Auferstehung Christi als Anfang von Kirche, Verkündigung und Tradition, bieten drei in der Forschung ganz verschieden bewertete mögliche Ansatzpunkte für die historische Frage nach dem Ereignis der Auferstehung. Mehr noch als an die Anmarschwege, die zu diesen Ansatzpunkten führen, sind wir an diesen Ansatzpunkten selber interessiert. W i r wollen nachsehen, zu welchen theologischen Konsequenzen diese historischen Ansatzpunkte führen. Hier wird es möglich, das auf diese Weise zutage gekommene historische Rätsel des Anfangs, unbeschadet seines rätselhaften C h a r a k ters, zur Erklärung der „Wirkungen" Kirche, Verkündigung und T r a dition heranzuziehen, in der Hoffnung, das Rätsel des Anfangs im Vollzug des historischen Lebens der Kirche als Geheimnis wiederzufinden. W i r wollen nun diese drei Ansatzpunkte, gegliedert nach dem Gesichtspunkt der größten historischen N ä h e zu dem Ereignis der Auferstehung, wie die Ostergeschichten der Evangelien sie bieten, diskutieren, indem wir die Position von je einem ihrer wichtigsten Vertreter beschreiben. Die Auswahl dieser Forscher zur Darstellung der hier relevanten Positionen bedeutet nicht, daß nur sie besagte Positionen einnehmen. Sie sind aber deshalb gewählt worden, weil in ihren Ausführungen der Anspruch auf historische Forschung am Konsequentesten erhoben und am Geschlossensten durchzuführen versucht wird. Sie treten hier auf, mehr um die Problematik jedes Ansatzpunktes zu demonstrieren, als um eine umfassende Beschreibung und Würdigung ihrer Position im ganzen zu erlangen. W i r wollen jetzt nacheinander reden von a) Die Entdeckung des leeren Grabes (nach H . von Campenhausen);

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b) Die Erscheinungen Jesu vor seinen Jüngern (nach H . Grass); c) Die Entstehung des Osterglaubens (nach W. Marxsen). Weil aber die Frage nach dem am weitesten zurückliegenden Einsatzpunkt für die historische Behandlung der Auferstehung Christi jetzt auch in der überlieferungsgeschichtlichen Fragestellung eingebettet ist, wollen wir in einem abschließenden Gang auch noch die Prinzipien des überlieferungsgeschichtlichen Entwurfes, wie ihn U. Wilckens in den letzten Jahren dargeboten hat, betrachten: d) Die Überlieferungsgeschichte der Auferstehung Jesu (U. Wilckens).

A. Die Entdeckung des leeren Grabes (Hans von

Campenhausen)

In den Osterberichten der Evangelien steht die Entdeckung des leeren Grabes an erster Stelle. Erst in Anschluß an diese Entdeckung kommt es zu den Erscheinungen. Zwar begegnen die Erscheinungen in dem ältesten Osterbericht, 1. Kor. 15, 1—8, ohne die Erwähnung des leeren Grabes. Aus diesen und ähnlichen Beobachtungen hat die Forschung gelegentlich zwei gesonderte Uber lief erungsstränge zu konstruieren versucht: die Grabestradition und die Erscheinungstradition, die sich in einem späteren Stadium dann verbunden haben sollen. Man hat sich viel Mühe gegeben, darzulegen, daß überall, wo das leere Grab nicht erwähnt wird, es auch nicht vorausgesetzt gewesen sein kann und man votiert folglich für die Erscheinungstradition als die ursprüngliche, weil sie ja die weniger massive und materielle Form der Auferstehungsverkündigung sei. Wir werden aber in diesem Kapitel versuchen zu zeigen, daß die größere historische Verständlichkeit, die man sich von der geringeren Materialität der Erscheinungstradition erhofft, auf einer optischen Täuschung beruht. Sagt man, daß das leere Grab historisch an die Erscheinungen des Auferstandenen gebunden sein muß, um es aus seiner mehrfachen Deutbarkeit (Leichenraub durch die Jünger, Verlegung durch Gärtner usw.) zu lösen, so gilt das Umgekehrte von der Erscheinungstradition nicht weniger: ohne das leere Grab sind die etwaigen historischen Erscheinungen genau so vieldeutig und ist nicht einzusehen, warum sie gerade zu der Deutung „Auferstehung" führen sollen. Wenn man in der Verkündigung der Auferstehung Christi nach einem ihr zugrunde liegenden historischen Kern sucht, so hat die Tradition der Erscheinungen im Vergleich zu der Tradition des leeren Grabes nichts Wesentliches voraus. Wer schon nach einem historischen Unterbau der Verkündigung der Auferstehung Christi sucht, tut nichts Ungereimtes, wenn er dann bei dem frühest denkbaren historischen Ansatzpunkt, dem leeren Grab, einsetzen möchte. Unter diesen Voraussetzungen ist das Unternehmen von Hans Frei56

herr von Campenhausen, die Historizität der Entdeckung des leeren Grabes darzulegen, zu würdigen 1 . Wir setzen deshalb mit der Besprechung seiner Position ein, allerdings um uns gerade durch die Ausführung und die Ergebnisse des Programms noch klarer vor die Frage nach der Geltung dieser Voraussetzungen bringen zu lassen. Dieses Unternehmen ist deshalb so auffallend, weil es nicht naiv historisierend, sondern im vollen Bewußtsein der modernen form- und redaktionsgeschichtlichen Arbeit durchgeführt worden ist. Der Verfasser meint nun aber, daß die letztgenannten Arbeitsmethoden die Frage nach dem einfach Geschichtlichen über Gebühr haben zurücktreten lassen 2 . Sie soll aufs neue gestellt werden, und zwar unter Verwendung des kritisch gesichteten Materials. Geboten wird dabei nicht nur die Beweisführung für die historische Wahrscheinlichkeit der Priorität der Entdeckung des leeren Grabes; diese Beweisführung wird unternommen im Rahmen eines größeren Programms, nämlich der Rekonstruktion der äußeren Vorgänge nach Jesu Tod, bis hin zu den ersten Osterbegegnungen, die für das Entstehen der Kirche schließlich entscheidend geworden sind. Es ist also der Kirchenhistoriker, der es unternimmt, das Stoffgebiet der Kirchengeschichte bis hin zum letztmöglichen Anfangspunkt der Kirchengeschichte auszudehnen, und sich nicht zufrieden gibt mit den paar förmlichen Bemerkungen, die die meisten Lehrbücher der Kirchengeschichte dem Anfang ihres Themas widmen. Die Frage nach der Auferstehung ist also in einer sehr eindringlich gestellten Frage nach dem Ablauf der Osterereignisse aufgenommen. Von Campenhausen meint mit Recht, daß das so gewonnene Ergebnis auch für das theologische Verständnis der Auferstehungsbotschaft nicht einfach gleichgültig bleiben kann, will aber diese Seite der Sache in der Untersuchung völlig beiseite lassen. Die historische Frage kann also nicht verleugnen, in einem breiteren Frage-Zusammenhang zu stehen, klammert diesen aber vorerst methodisch aus. Erst am Schluß der Abhandlung stellt sich heraus, daß der Gang der Untersuchung in dieser methodischen Beschränkung notwendig bei den letzten Fragen herauskommen muß, Fragen, die nicht mehr von dem Historiker beantwortet werden können. Die Frage nach der Ursache des leeren Grabes kann man zwar noch eine historische Frage nennen: sie fragt nach dem Zusammenhang in einer Ereignisreihe. Der Zusammenhang dieser Ereignisreihe wird aber von der auslösenden Ursache konstituiert, die darum dem Historiker nicht gleichgültig sein kann. Das historische Interesse für das leere Grab als Erfragtes ist aber letztlich nie „bloß" historisch. Es ist als solches auch von dem Verlangen nach „Verstehen" der Auferstehung geführt. Nur setzt der Verstehensvorgang anderswo 1 Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, S A H 1958, phil. histor. Klasse, hier zitiert nach dem Sammelband: Tradition und Leben, Tübingen 1960, 4 8 — 1 1 3 . 2 48

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als in der theologischen Fragestellung ein, nämlich bei dem Ablauf der Osterereignisse, d. h. bei dem kritisch gesichteten Bericht über diese Ereignisse. Es kommt uns nun hier nicht darauf an, den ausgeführten Beweisgang in allen Einzelheiten zu beschreiben oder auf seine schwachen Stellen zu prüfen. Das letzte ist verschiedentlich geschehen, am ausführlichsten von Hans Grass. Es geht uns hier vor allem darum, uns davon Rechenschaft zu geben, daß an einem Ort in der heutigen Diskussion die Osterberichte nicht nur als Gestaltungen des Gemeindeglaubens betrachtet und auf ihre Motive hin untersucht werden können, sondern auch ein positives Unternehmen wie eine historische Rekonstruktion des Ablaufs der Osterereignisse zuzulassen scheinen3. In diesem historischen Anliegen ist von Campenhausen der „nachösterliche" Pendant der Forscher aus der BultmannSchule, die, in vollem Bewußtsein der formgeschichtlichen Grenzen für ihr Unternehmen, trotzdem die „neue Frage nach dem historischen Jesus" zu stellen für unbedingt geboten halten. Dabei läßt sich auf den ersten Blick der angenommene begrenztere Zeitraum der Osterereignisse besser für eine lückenlose Rekonstruktion der Ereignisse verwenden als die erratischen historischen Blöcke in der vorösterlichen Überlieferung der Evangelien. Was sind nun die Ergebnisse dieser kühnen Exploration in einem Niemandsland, in das sich bisher nur streitbare, aber ahnungslose Fundamentalisten wagten und von der Erde Verseilungen wurden? Wie beurteilt der Forscher sie selber, und was sind die bleibenden Verlegenheiten? Zunächst was die Quellen betrifft: Für die Rekonstruktion der Jerusalemer Vorgänge bietet das übliche Ausgangskapitel für die historische Frage nach der Auferstehung Christi, 1. Kor. 15, nach von Campenhausen nichts. Deshalb sind wir für diese Phase der Ereignisse von den Evangelien abhängig, die später als Paulus und unter ungünstigeren historischen Umständen geschrieben worden sind. Dieser Eindruck wird gemildert, wenn man sich entscheidet, Markus zu folgen, der als Quelle für alle weiteren Evangelien verwendet worden ist. Die entscheidende Frage ist dabei, ob Mk. 16, 1—8 grundsätzlich anders beurteilt werden soll als das, was Markus sonst an konkreten geschichtlichen Angaben zu überliefern weiß. Im Grunde berichtet die Perikope nichts Legendarisches. Eine nachträglich entworfene Legende hätte anders aussehen müssen. Wohl hat Markus dem Bericht vom leeren Grab eine gewisse Bearbeitung zukommen lassen, und das ist ein Beweis dafür, daß der Bericht älter ist als das Evangelium. 3 J. M. Robinson berichtet (in: Neuland in der Theologie, herausgegeben von J. M. Robinson und J. B. Cobb, Band 3, 18—25), wie das Unternehmen v. Campenhausens dann für die noch stärker programmatische Abwendung von Bultmann in der Pannenberg-Schule Pate gestanden hat.

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D a s ist jedoch noch kein Beweis dafür, daß der Bericht historisch ist. Wenn er Legende ist, kann man die Frage aufwerfen, ob man überhaupt nach einem historischen Kern forschen darf, um ihn rationalistisch herauszuschälen. Von Campenhausen meint aber, daß die Geschichte nicht einfach apologetische Tendenzlegende sein kann, weil sie dann nicht drei nach jüdischem Recht nicht zeugnisfähige Frauen zu entscheidenden Zeugen gemacht hätte 4 . Zusammenfassend sagt von Campenhausen 5 über die Nachricht vom leeren Grab, daß vieles für sie und nichts Durchschlagendes und Bestimmtes gegen sie spreche, daß sie also wahrscheinlich historisch ist. Ist nun aber dieses Ergebnis, abgesehen davon, daß in dem vielen, was für die Nachricht spricht, audi einige Vermutungen des Forschers verdiskontiert worden sind, die ihm nicht ohne weiteres abgenommen werden können, ein positives Ergebnis? Das „wahrscheinlich" ist von Campenhausens eigene Rechenschaft von der Ungesichertheit des Ganzen. D a s Prädikat „historisch" ist in diesem ersten Stadium der Beweisführung nicht aus einer Rekonstruktion der Ereignisse gewonnen, sondern — notwendigerweise — aus dem negativen Befund in der Frage nach dem angeblich legendären und tendenziösen Charakter der Berichte. Dabei spielen aber so viele Imponderabilia mit, daß dieses Ergebnis noch nicht überzeugend wirkt. Die Alternative: entweder tendenziös-legendär oder historisch, die aus der Formgeschichte stammt, ist nicht die einzig mögliche. In einem weiteren Teil 6 seiner Untersuchung benutzt nun von C a m penhausen dieses „Ergebnis", um es, wenn auch nicht als gleichwertig, neben das audi bei Paulus vorkommende Zeugnis der galiläischen Erscheinungen zu stellen, die bis jetzt von der liberalen Forschung einseitig bevorzugt wurden. Von hier aus beginnt nun die zusammenhängende Rekonstruktion der Ostergeschichte. Sie sei zwar hypothetisch, aber nicht aussichtslos. „Einiges ergibt sich fast von selbst, wenn man die gewonnenen Daten nebeneinanderstellt, und anderes läßt sich in vorsichtiger Kombination wohl noch erschließen, zumal dann, wenn man es nicht von vornherein verschmäht, die weiteren Angaben, die Lukas beisteuert, ergänzend heranzuziehen." 7 Aus diesem lukanischen Material kann sich nämlich ergeben, daß die Jünger, namentlich Petrus, an der Kreuzigung nicht ganz irre geworden sind, sich auch nicht fluchtartig nach Galiläa begeben haben (eine Legende der Kritik), sondern miteinander noch in Jerusalem den Sinn des scheinbar ganz unbegreiflichen Geschehens zu er4 H . v . C a m p e n h a u s e n ist damit aber in Widerspruch zu der v o n ihm S. 88 gebotenen E r k l ä r u n g f ü r das Schweigen der F r a u e n : die T e n d e n z nämlich, darzulegen, d a ß die J ü n g e r nichts mit dem leeren G r a b zu tun hatten. Wer k o m m t in diesem Fall denn sonst als Entdecker des G r a b e s in F r a g e als gerade die Frauen? 5 96 7 97 » I I I , 96 f.

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gründen suchten. In dieser Situation hat die Nachricht der Entdeckung des leeren Grabes, die nicht ohne weiteres schon als Beweis für die Auferstehung genommen sein dürfte, erregende Wirkung hervorgerufen. Sie war der entscheidende Anstoß, der alles ins Rollen brachte und die Jünger veranlaßte, unter Führung und Aufmunterung von Petrus nach Galiläa zu ziehen. Die Engelsbotschaft ist gewiß legendär, gibt aber genau wieder, wie es gewesen ist. Daß das Grab leer war, konnte auch als Auferstehung interpretiert werden. Zwischen der Entdeckung des leeren Grabes und der ersten Erscheinung bleibt aber dieses „Interpretament Auferstehung" wohl gewissermaßen noch in der Schwebe: es ist mehr die Begeisterung des Petrus auf die erwartete Deutung hin, die die Jünger nach Galiläa führt, als die ausgeführte, rückprojizierte Interpretation des leeren Grabes durch den angelus interpres, dessen Tätigkeit sich ohnehin „in engen und bescheidenen Grenzen" hält 8 . Hier, in Galiläa, wird dann endgültig, durch die Erscheinungen, der Osterglaube begründet. Die Rüdkkehr darauf nach Jerusalem und die Proklamation der Auferstehung setzen den Anfang der Geschichte der christlichen Kirche. So scheint es Petrus zu sein, der das leere Grab als Pfand der erfolgten Auferstehung verstanden hat, und bis auf Gewisseres, Weiteres auch die anderen in diesem Sinn beeinflußt hat. Nach von Campenhausen wird also zwar auch der Osterglaube bei der galiläischen Erscheinung begründet, aber es erfolgt doch schon eine erhebliche Reduktion der Mehrdeutigkeit dieses leeren Grabes vorher, in der Deutung des Petrus. Bis jetzt ist der Ablauf der Osterereignisse von dort her dargestellt, was sie auf Seiten der Zeugen in Gang gebracht hat: die Entdeckung des leeren Grabes, und der Zusammenhang der Ereignisse ist von diesem Punkt an vorsichtig rekonstruierbar. Nur: die Frage nach dem Zusammenhang der Ereignisse möchte bei diesem Anfang nicht stehenbleiben: die Frage nach der Ursache des leeren Grabes, nach dem Verbleib des Leichnams Jesu kann für uns ja nicht durch einen Zug nach Galiläa ihre Lösung finden. Wo die Jünger vorwärts fragen, fragen wir zurück. Hier gelangt aber auch die historische Arbeit von Campenhausens, wo er sich zu der leiblichen Auferstehung als Erklärung für das leere Grab bekennt, an ihre Grenze, und er ist sich dessen voll bewußt. Für das Ergebnis der Forschung genügt es, „daß diese Grenze gesehen und respektiert wird" 9 . Die historische Grenze besagt nicht, daß die geglaubte Auferstehung nicht die Ursache des leeren Grabes sein kann und deshalb nicht „historisch" Die Frage nach dem Zusammenhang der Ereignisse kann als solche in der Tat diese Antwort nicht von vornherein ausschließen. Wenn die leibliche Auferstehung Jesu geschehen ist und sich an dem begrabenen Jesus vollzogen hat, ist sie natürlich auch die historische Ursache für das leere Grab. Der historische Zusammenhang und Troeltschs β 72

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zweites Kriterium, das Prinzip der Korrelation, der durchgehenden Wechselbeziehung alles Geschehens, wäre damit nicht verletzt. Es ist damit aber ein Erklärungsfaktor für das Geschehen eingeführt worden, der audi, wo er das Prinzip der Korrelation nicht verletzt, den „Bereich des analogisch Verständlichen" verläßt 10 . Nur unter Geltung dieses Prinzips der Analogie wird bei der Voraussetzung der Auffindung des leeren Grabes die Auferstehung als nicht historisch zu gelten haben. Sie kann zwar als historische Ursache eingesehen werden, nur in ihrer Eigenart (abgesehen also von ihrer kausalen Wirkung) nicht verstanden werden. So steht am Anfang der historischen Kette, als Glied dieser Kette, das Rätsel der Sache, das historisch nicht weiter auflösbar ist. In der Ausführung von Campenhausens, der auf Grund seiner Rekonstruktion die Entdeckung des leeren Grabes als historisch betrachtet, stellt sich das Rätsel des Anfangs in dieser Form dar. Auch der Historiker mit dem längsten Atem und den verfeinertsten Methoden stößt auf diese Grenze. So fällt es schwer, die Frage zu unterdrücken, was denn eigentlich der lange Weg mehr zu bieten vermocht hat als das, was auch schon vorher als Grenze einleuchtete. Wo die historischen Wirkungen straffer und zusammenhängender, d. h. also: verständlicher rekonstruiert worden sind, ist die auslösende Ursache an sich nicht verständlicher geworden als dort, wo die Wirkungen im bunten Durcheinander der Berichte darin genau so eindeutig auf das Rätsel des Ursprungs zeigen. Zwar hat auch von Campenhausen selber ein starkes Empfinden für die letzte Inadäquatheit der Methode der historischen Rekonstruktion in Hinblick auf die in diesen Ereignissen bezeugte Sache. Er sagt, daß im Neuen Testament die bloßen Daten niemals in dieser methodisch präparierten Nacktheit und Profanität begegnen. Die Glaubwürdigkeit der Botschaft ruhe nicht auf rein historischen Beweisen, sondern auf der existentiellen Bewährung im Geist und auf dem Schriftbeweis. Trotzdem möchte von Campenhausen die historische Bemühung nicht unterlassen. Die Geschichte gehört in das Zeugnis mit hinein, das ohne sie seinen Sinn verlieren würde11. Dann stellt sich aber die Frage: Wovon zeugt denn das Zeugnis? Von dem Ablauf der Osterereignisse oder von der Auferstehung Christi? Und auf welcher Geschichte beruht das Zeugnis, ohne welche Geschichte verliert das Zeugnis seinen Sinn, wenn wir, bei der Auferstehung angekommen, auf eine Grenze stoßen, die respektiert werden soll? In welchem Sinn soll die Verkündigung der historischen Prüfung nicht entzogen werden? Konkret gefragt: Welchen Sinn haben die Bemühungen des Verfassers nun für die Verkündigung der Auferstehung erworben? Wenn wir ihn richtig verstanden haben, ist es nicht die Auferstehung „an sich", die sich ja jenseits der historisch erreichbaren Grenze befindet, sondern die Auffindung des leeren Grabes. Sie soll also das Auferstehungszeugnis als geschichtlich be10

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gründet herausstellen. Aber versuchen die Evanglien, in ihrer prä-reflexiven Historizität, in den Geschichten vom leeren Grab etwas anderes darzustellen? Brechen nicht alle Fragen nun an diesem Punkt erst auf, der der gleiche ist bei nur bezeugter wie bei rekonstruierter Geschichte? Bleibt es trotzdem nicht möglich, auch die evangelischen Geschichten vom leeren Grab (auf deren Material das Rekonstruktionsverfahren von Campenhausens im 2. Teil beruht) als historisierende Verkündigung der Auferstehung zu betrachten, in einigen Fällen vielleicht schon dem Judentum gegenüber, das sich nach von Campenhausen eine Auferstehung ohne leeres Grab überhaupt nicht vorstellen kann? Und bricht bei diesen guten apologetischen Absichten den Juden gegenüber, denen das leere Grab als Zeugnis für die wirklich erfolgte Auferstehung vorgehalten wird, nicht genau dasselbe letzte Rätsel hervor, das auch für uns die Grenze anzeigt und das Juden und Profanhistoriker dann natürlich auf ihre Weise zu erklären veranlaßte? Wer das leere Grab als historischen Faktor in den Vordergrund schiebt, um die Botschaft der Auferstehung zu bezeugen, sei es nun die evangelische Uberlieferung, sei es die moderne Geschichtswissenschaft, muß mit einer jüdischen und profanhistorischen Erwiderung rechnen, die sich auf der gleichen Ebene bewegt. Und darauf ist nun wieder nur die Antwort möglich, die auch schon möglich war, bevor das leere Grab unsere Verkündigung begleitete· und unsere Forschung krönte: Er ist wahrhaft auferstanden! Der peinliche Ausweg, den von Campenhausen denjenigen bescheinigt, die das leere Grab für überflüssig oder unannehmbar halten, in dem Bekenntnis zum Auferstandenen nämlich den alten Christen, in dem aber, was dies Bekenntnis hervorgerufen hat, vielmehr den Juden zu folgen, ist doch nur dann peinlich, wenn man sich erst auf diese Bestimmung von dem, was das Auferstehungszeugnis hervorgerufen hat, hat festlegen lassen. Daß Paulus, wie von Campenhausen in einer Diskussion mit Grass einräumt 12 , möglicherweise noch nicht mit einer Erneuerung des toten Leibes Jesu gerechnet hat und deshalb auch nicht mit einem „Leer-werden" des Grabes zu rechnen braucht, stellt ihn sicher zu allen jüdischen leiblichen Auferstehungserwartungen in Gegensatz, wie von Campenhausen befürchtet. Aber das ist kein Argument gegen diese Position, sondern wäre, wenn er es gebraucht hätte, umgekehrt ein Argument dafür: Paulus hat sich öfters den jüdischen Erwartungen entgegengestellt, vor allem in der Verkündigung der Freimacht Gottes, in seinem Heilshandeln einen ganz neuen Anfang zu setzen und nicht dort anzuknüpfen, wo die vorhandene Substanz das nahe zu legen scheint (Rom. 4, 16—25).

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Β. Die Erscheinungen

Jesu vor seinen Jüngern (Hans

Grass)

Das, was wir als Anfrage an von Campenhausen wagten, bedeutet nun aber nicht, daß Hans Grass, dessen Ergebnis dem Ergebnis von Campenhausens entgegengesetzt ist, nun eher von dem Gewicht der Aporien seines Unternehmens befreit werden soll. Im Gegenteil: wo Grass die historische Fragestellung in dem Prozeß über das leere Grab noch breiter als sein Kontrahent ausbaut, und diese Fragestellung noch nachdrücklicher als eine Art praeambula fidei entwerfen möchte, gibt er sich entsprechend auch mehr Blößen, die zu bedecken deshalb kein Anlaß besteht, weil der Autor sein eigenes Unternehmen explizit motiviert mit den „Gefahren", die die Unterlassung der historischen Frage in der Kerygma-Theologie zeitigt. Wenden wir uns deshalb unserem zweiten Gesprächspartner zu. Die Methode, die Hans Grass in seinem weitausholendem Buch „Ostergeschehen und Osterberichte" 13 entwickelte, ist grundsätzlich die gleiche wie bei von Campenhausen: die kritische Sichtung der Osterberichte soll den Weg für die historische Frage nach dem Ostergeschehen freilegen. Dabei werden die Weichen entscheidend schon bei der historischen Arbeit der Sichtung der Osterberichte gestellt: anders als für von Campenhausen, der, wie wir sahen, von dem Markus-Bericht als im Grunde nicht legendär meinte ausgehen zu können, sind für Grass sämtliche Berichte der Evangelien über das leere Grab legendär. Das Kriterium für dieses Urteil ist nicht so sehr eine vorgängige rationalistische Erwägung der Unmöglichkeit einer leiblichen Auferstehung, als vielmehr das Ergebnis aus einem Komplex von Kriterien und Erwägungen, von denen die wichtigsten folgende sind: 1. Die lange zeitliche Distanz zwischen dem Ostergeschehen und den evangelischen Osterberichten und die daraus sich ergebende Möglichkeit und Wirklichkeit der legendären Uberwucherung der Berichte. 2. Die Widersprüchlichkeit der evangelischen Darstellungen untereinander. 3. Das Maß der theologischen oder apologetischen Interessiertheit der Verfasser der Berichte. 4. Die Bestimmtheit der Darstellung des Geschehens durch vorgegebene jüdische Vorstellungen. 5. Das Maß von „Materialität" der behaupteten leiblichen Auferstehung, das das Verstehen erschwert. In diesem Argument ist natürlich eine Affinität zu der vorgefaßten Auffassung der Unmöglichkeit einer leiblichen Auferstehung nicht zu verkennen. Als Ergebnis einer im ersten Teil des Buches unternommenen Unter1 3 Göttingen 1964 3 . Anmerkungen ohne nähere Angaben beziehen sich auf dieses Werk.

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suchung der evangelischen Osterberichte bleibt der folgende historische Kern bestehen: die Vermutung (!), daß die ersten Erscheinungen in Galiläa (am See) geschahen, in einem zeitlichen Abstand von Ostern, daß der Jüngerkreis der Erscheinungen teilhaftig wurde, und daß Petrus dabei hervortrat (das Nachtragskapitel Joh. 21 bietet dafür noch eine historische Reminiszenz). Aus den Erscheinungen entstand der Osterglaube: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden. Die Begegnung mit dem Herrn wurde als Auftrag verstanden, sein Werk fortzusetzen. Unsicher bleibt, ob dahinter noch die Kunde vom leeren Grab steht 14 . Dieses vorsichtige „non liquet", was das leere Grab betrifft, soll nun in einem zweiten und dritten Untersuchungsgang weiter hinterfragt werden. Zunächst: Das Osterzeugnis des Paulus 15 . Die Befragung geschieht nach den gleichen Kriterien, die auch schon für die evangelischen Berichte galten. Dabei ist das erste das wichtigste: die Nähe der Berichte in 1. Kor. 15 zu den Ereignissen bürgt für die Gesichertheit ihrer Angaben16. Im Falle des Widerspruchs der paulinischen mit den evangelischen Angaben verdienen also erstere den Vorzug. Das Kriterium der „Materialität" oder „Realität" der Auferstehung klingt mit in der Formulierung des Ergebnisses der Untersuchung des paulinischen Zeugnisses17: „Der am dritten Tage nach seinem Tode in die himmlische Herrlichkeit aufgenommene Herr zeigte sich in der Anfangszeit seiner Gemeinde in bestimmten Abständen und einem bestimmten Personenkreis. Erst als man sich die Erscheinungsweise des Herrn sehr viel realistischer dachte als P a u l u s . . . , entstand das Bedürfnis, den quasi-menschlichen Zustand des Auferstandenen bzw. die mehrmalige Rückkehr in denselben abzukürzen und alle Erscheinungen möglichst nahe an Ostern heranzurükken." Die Fehlanzeige des leeren Grabes in dem paulinischen Osterbericht treibt die Frage weiter voran. Denn das leere Grab ist ein „Schlüsselproblem" 18 . Weil immer wieder der Versuch gemacht wird, durch den Nachweis der Geschichtlichkeit des leeren Grabes die Geschichtlichkeit der Auferstehung zu erweisen, muß besonders kritisch auf die Schlüssigkeit der Beweise geachtet werden 19 . Die einzelnen Züge in den evangelischen Berichten über das leere Grab, die auf Grund der genannten Kriterien als stark legendär zu gelten haben, können nur dann an (historischer) Bedeutung gewinnen, wenn sie sich durch andere, besser beglaubigte Zeugnisse bestätigen lassen. Als solche kämen in Betracht: 1. die paulinische Auferstehungsverkündigung mit einer Erörterung über das Verständnis der Auferstehungsleiblichkeit bei Paulus, 2. Apg. 2, 29—36, eine Anspielung auf das Grab Christi?, 3. die Grablegungsgeschichten in den Evangelien, 4. archäologische Daten i4 9 3

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und 5. allgemeine Erwägungen über einen notwendigen Zusammenhang zwischen urchristlicher Osterverkündigung und dem leeren Grab. In der ersten Frage, ob Paulus das 1. K o r . 15 nicht erwähnte leere Grab trotzdem voraussetzt, muß unterschieden werden, ob Paulus an das leere G r a b glaubt, es von seiner Auferstehungstheologie her voraussetzt oder ob er darüber hinaus auch historisch davon wußte. D a s Ergebnis der Untersuchung der ersten Frage, die vor allem an die eschatologischen Vorstellungen der Auferstehungsleiblichkeit Christi (Phil. 3, 21) und der Menschen (1. K o r . 15, 35 ff., 2. K o r . 5, 1—10) gestellt werden, ist, daß keine der paulinischen Aussagen zu der Annahme nötigt, daß die alte, im Grabe liegende Leiblichkeit zur Bildung der neuen Leiblichkeit dient. Paulus hat sich von der vulgären jüdischen Auffassung weitgehend gelöst. Wenn er das G r a b leer gedacht hat, so hat er das allenfalls aus dogmatischen Gründen gedacht. Leider erfahren wir von Grass nicht, welche dogmatischen Gründe ggf. Paulus dazu hätten veranlassen können, das Grab leer zu denken. Denn das wäre in unserem Zusammenhang nicht unwichtig. Ebensowenig nun als die Untersuchung der paulinischen Vorstellungen führen auch die anderen genannten Zeugnisse (2—5) weiter. Es muß also die Möglichkeit offenbleiben, daß Jesus unbekannt begraben wurde und daß die Jünger, als sie nach Wochen nach Jerusalem zurückkehrten und mit der Verkündigung vom auferstandenen Herrn begannen, keine sichere Auskunft mehr über den Verbleib des Leichnams erhalten konnten, daß das Nachforschen von Freunden auch nicht mit besonderem Eifer betrieben wurde, weil man des auferstandenen Herrn durch die Erscheinungen gewiß war. Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Lücke in der historischen Beweisführung für das leere Grab sehr schmal ist, aber sie ist vorhanden. Die Auferstehungsbotschaft hat sich ursprünglich nicht auf den Aufweis des Grabes gestützt, sondern auf die Erfahrung des lebendigen Herrn. Erst eine spätere Zeit, die über die Auferstehungsleiblichkeit viel realistischer dachte als Paulus, war an dem leeren Grabe direkt interessiert 20 . Bevor wir nun in die Diskussion der allgemeinen systematischen Erwägungen, die Grass seinem historischem Befund folgen läßt, treten, wollen wir erst hören, wie der Autor das durch den Wegfall des leeren Grabes ins Zentrum gekommene letztzugängliche historische D a t u m der Erscheinungen nun näher identifizieren möchte. Was die Orte der Erscheinungen betrifft, so ist, sagt Grass 2 1 , die Forschung an deren Feststellung interessiert, weil nur auf diesem Wege sich ein klares Bild von dem Ablauf der Osterereignisse gewinnen läßt und weil von daher dann umgekehrt auf die einzelnen Ostergeschichten ein kritisches Licht fällt. Wie für von Campenhausen ist auch für Grass der 20

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Geense, Auferstehung

Ablauf der Osterereignisse ein Thema der historischen Untersuchung, aber noch nicht das eigentliche Thema. Die These von Campenhausens war ja, daß die Ereignisse (sc. nach der Auferstehung) am besten erklärt werden können, wenn die Auffindung des leeren Grabes am Anfang steht. Das historische Verstehen spielt sich ab in dem umschriebenen Gebiet: der Ablauf der Osterereignisse, der hier aufgezeigte Zusammenhang soll auf das leere Grab hinweisen, das, obschon selber (historisch) ein X , trotzdem diesen verständlichen Ereigniszusammenhang konstituieren konnte. Bei Grass dagegen soll sich das eigentliche historische Verstehen in der historischen Identifikation eines weniger weit zurückliegenden Punktes vollziehen, nämlich der Erscheinungen, und zwar in der Weise, daß bei ihm eigentlich kein unerforschlicher Rest mehr übrig bleibt, wie es bei von Campenhausen noch der Fall ist. Historische Forschung soll bedeuten, daß jedes Ereignis so weit wie möglich identifiziert wird und daß es am Anfang möglichst keinen Bruch oder Glaubenssprung geben soll, jedenfalls nicht, wo es die Identifikation des Ereignisses betrifft. Daß Grass, wie wir merken werden, sich trotzdem gezwungen sehen wird, diesen Sprung zu machen, tut seiner erklärten Absicht, die historische Identifikation bis zum letzten zu vollziehen, keinen Abbruch. Er hat es dabei auch (scheinbar) leichter als von Campenhausen, der ein leeres Grab als letzten Gegenstand der Erklärung vorfindet: eine — weniger „materielle" — Erscheinung hat entsprechend weniger gegenständliches Gewicht. Also: schon rein traditionsgeschichtlich läßt sich, sagt Grass 22 , zeigen, daß nicht das leere Grab, sondern die Erscheinungen der entscheidende Anstoß waren, der alles ins Rollen brachte. Daß die ersten Erscheinungen in Galiläa stattgefunden haben, bestreitet auch von Campenhausen nicht: nur muß er dann den Zug der Jünger nach Galiläa motivieren. Das ist ihm aber nicht gelungen. So bleibt die Lösung des Lokalisierungsproblems der Osterereignisse nicht: Jerusalem—Galiläa—Jerusalem, sondern nur: Galiläa—Jerusalem. Erst im weiteren Verlauf der Traditionsgeschichte entwickelt sich die Tendenz, die Erscheinungen näher mit dem Grab zu verbinden. Gerade die Tradition vom leeren Grab, wie immer sie zu erklären ist, scheint es gewesen zu sein, welche die Erscheinungen unwiderstehlich an sich zog. So setzt sich Jerusalem als „der" Erscheinungsort in den Vorstellungen der Gläubigen fest. Eine nachträgliche Verlegung der Erscheinungen nach Galiläa wäre aber schwer verständlich. Das bestätigt dann, daß sie dort geschehen sind 23 . Auf die spöttische Frage von Reimarus, warum das Osterereignis erst zu Pfingsten verkündigt wurde, gibt es also eine gute Antwort. Nimmt man nämlich an, genötigt durch die unerfindbare Tradition galiläischer Erscheinungen, daß die Jünger nach Galiläa geflohen sind, dort vom Herrn eingeholt 2 119

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und auf den Kampfplatz zurückgeschickt wurden, so würde sich audi der rätselhafte siebenwöchige Zeitraum zwischen Ostern und Pfingsten mit edit geschichtlichen Vorgängen füllen 24 . Was aber sind nun die Vorgänge, die diesen Raum füllen? Scheidet die Entdeckung des leeren Grabes als Ausgangspunkt für die Osterereignisse aus, so konzentriert sich das ganze Gewicht der historischen Forschung auf die Erscheinungen. Ihre Behauptung in den Quellen muß, wie wir hörten, mit weit geringerer Skepsis aufgenommen werden als die Entdeckung des leeren Grabes, weil sie in dem ältesten Bericht 1. Kor. 15 bezeugt werden. Historische Bezeugung und historische Identifikation sind aber zwei verschiedene Dinge. Darum: was ist eine Erscheinung? Danach forscht Grass in Kap. IV: „Die Art der Erscheinung (Das ώφθη)". Und die Gründlichkeit, mit der Grass dieser Frage in diesem Kapitel nachgeht, weist darauf hin, daß der Forscher hier sein eigentliches Thema probandum gefunden hat. Grass fragt zunächst nach der Terminologie des öphthe und nach analogen Phänomenen. Die Terminologie unterstreicht die Aktivität Jesu bei den Erscheinungen. Damit ist primär die objektive Tatsache des Erscheinens gemeint und erst in zweiter Linie die subjektive Tatsache der Wahrnehmung. Rein sprachlich ist aber dem öphthe weiter nichts über den Charakter der Erscheinung zu entnehmen. Deshalb muß der Vergleich mit sonstigen pneumatischen und visionären Erlebnissen angestellt werden: mit den Gesichten und Offenbarungen bei Paulus, mit pneumatischen und ekstatischen Phänomenen in der Urgemeinde, vor allem aber mit dem Damaskusgeschehen, wo Paulus seine eigene Erscheinung gewährt bekam. Der Vergleich bringt zutage, daß es sich bei den Begegnungen mit dem Auferstandenen um Visionen gehandelt hat 2 5 . Die Erscheinungen seien „für die unvoreingenommene Betrachtung" in der Kategorie des visionären Sehens zu verstehen 26 . „Denn, wer etwas sieht, was der andere neben ihm nicht zu sehen vermag und was sich nicht als sichtbar nachweisen läßt" — etwa mit einer Filmkamera —, „der hat eben eine Vision." So einfach ist das. Dagegen, so fährt der Verfasser fort, lösen die evangelischen Berichte dieses Problem auf eine zu einfache Weise. Und die Klage des Historikers hört sich fast so an, wie wenn die Presse sich beschwert, unfairerweise von einem Ereignis ausgeschlossen worden zu sein. „Sie (sc. die Evangelien) lassen die Begegnungen mit dem Auferstandenen in der Einsamkeit, hinter verschlossenen Türen geschehen und schließen auf diese Weise den neutralen Beobachter aus. Aber solche gleichsam mechanische Ausschließung der Öffentlichkeit ist keine grundsätzliche und auch keine sachgemäße" 27 . Um eine leibhafte reale Begegnung kann es sich in den Erscheinungen selbstverständlich nicht handeln. 24

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Wenn aber die Auferstehungsvisionen innerhalb der visionären Erlebnisse im allgemeinen besonders ins Auge gefaßt werden können, so kann das nur von ihrem Inhalt her geschehen. So heißt es: „Gesehen wurde Christus als der Auferstandene, das heißt aber als der erhöhte Herr, denn für das älteste Zeugnis fallen Auferstehung und Erhöhung zusammen" 2 8 . Wir fragen: Soll das nun eine historische Feststellung sein, die dadurch, daß das Sehen als Vision (Kategorie mit Analogiefähigkeit) bezeichnet wurde, schon dieses Prädikat verdient? Ist der Inhalt des Sehens selbstverständlich das, was unsere Forschung als das älteste Zeugnis ausmacht: der Christus als der Auferstandene, das heißt der Erhöhte? Ist, wenn Auferstehung keine historische Kategorie ist, Erhöhung vielleicht dann eine solche? Ist der historische Charakter dieser Kategorisierung als Vision wirklich ausreichend, um den historischen Unterbau des Auferstehungskerygmas, auf den Grass abhebt, zu gewähren? Gewiß, man kann sich durchaus vorstellen, daß der Begriff „Vision" es dem Forscher ermöglicht, eine Strecke lang historisch zu landen. Wer wollte ihm auch bestreiten: der Begriff ist zu formal, um letztlich entscheidend zu sein. Das alles noch abgesehen von der Frage, ob die historische Forschung sich letztlich mit der Kategorie „Vision" zufrieden geben wird. Grass verrät da seine eigene Unsicherheit, wo er 29 sagt, daß visionäre Vorgänge uns modernen Menschen (im Gegensatz zum Urchristentum) fremd sind. Mit Fug kann man ihn deshalb fragen, warum er sich dann so viel von dieser pseudo-historischen Kategorie „Vision" für die Ermöglichung des Verstehens durch den modernen Menschen erhofft. Aber noch schwerer wiegt die folgende Frage: Kann, wo einmal der visionäre Charakter historisch feststeht, die Füllung mit beliebigem Inhalt geschehen, ohne dem historischen Charakter des Erscheinungsereignisses zu schaden? Wohl spürt der Autor die Verlegenheit, in die er geraten ist, fährt sich aber durch die weiteren Ausführungen noch fester in die Sackgasse hinein. Sagt er nämlich, daß nur der formale Charakter als Vision die Erscheinungen berechtigt, in die Historie aufgenommen zu werden, so besteht das Historische in der Tat aber auch lediglich in einem psychologischen Phänomen: die Vision wäre psychogen oder subjektiv, und es ließe sich kein Glaube auf diesen unsicheren historischen Gesellen bauen. Soll der Glaube aber auf den bestimmten Inhalt des visionär Geschauten bauen, so darf dieser Inhalt nicht der Willkür der psychogenen Verursachung ausgesetzt sein. Somit muß er von außerhalb verursacht sein: eine objektive Vision. Tatsächlich wählt Grass diese letzte Möglichkeit, verliert dabei aber wieder alles, was er erst mit dem historischen Begriff „Vision" meinte gewonnen zu haben. Denn wo das Entscheidende in dem objektiven Charakter des Inhalts des Gesehenen liegt, verliert die 29 243 28 Ebd. 68

formale Feststellung, daß es sich bei der Aneignung des Geschauten um eine Vision handelt, jede Bedeutung. Dem objektiven, gegenständlichen Charakter des Geschauten kann dann diese Prädizierung als Vision nichts mehr anhaben. Mit einem größeren oder geringeren Grad der Materialität oder Leiblichkeit des Geschauten hat das dann audi nichts mehr zu tun: innerhalb des visionären Vorganges kann das Objekt so material oder leiblich gedacht werden, wie es der Vision nur immer gefällt, ohne daß es dadurch außerhalb der visionären Subjekt-ObjektBeziehung leiblicher wird. Es ist letztlich nur der Unterschied, ob man die erwünschte Immaterialität der Erscheinung am Subjekt- oder am Objekt-Pol der Beziehung fixiert: ob man also bei einem „normalen" Sehen den erscheinenden Herrn, das Objekt der Wahrnehmung, als immaterial, transparent, pneumatisch-leiblich denkt, oder ob man bei einem visionären Sehen das Objekt als leiblich-material, undurchdringlich-gegenständlich, objektiv denkt. Man bewegt sich dann immer noch innerhalb von Erwägungen aus der Psychologie der Wahrnehmung, und man hat damit noch nichts theologisch Erhebliches zur „wahren oder falschen Begründung des Osterglaubens" beigetragen. Trotzdem meint aber Grass30, daß es ein Unterschied sei, ob das Wunder in der pneumatischen Schau oder auch in der räumlich-körperlichen Welt als Mirakel erscheint, bei dem die „konstatierende Offentlichkeit" nur mechanisch, durch zufällige Abwesenheit ausgeschlossen ist. Das können wir nicht mehr mitmachen. Die pneumatische Schau ist für uns durch Wissen um ähnliche Erlebnisse von Gottesmännern und durch unser eigenes Erleben noch mitvollziehbar. Als ob nicht die konstatierende Öffentlichkeit audi bei Grassens eigener pneumatischer Schau durch zufällige Abwesenheit ausgeschlossen wäre! Wenn es ein Erleben von Gottesmännern einschließlich des Marburgers eigenem inneren Erleben gibt, so lassen sie sich doch nur ihrem formalen Aspekt nach analogisch verstehen. Und darauf kommt es nun ja eben nicht an, wohl aber auf den Inhalt des Geschauten. Nach beiden Seiten aber möchte Grass sich abdecken: „Es besteht aber keine Notwendigkeit und für eine historische Betrachtung auch keine Möglichkeit, um der Sonderstellung der Ostererscheinungen willen ihren visionären Charakter zu bestreiten"31. Aber andererseits ist jede immanente Erklärung theologisch untragbar32. „Wer aber darum weiß, daß Gott auch heute noch zu uns redet, uns das Herz bewegt der wird zwar nicht ohne weiteres das Ostern der Jünger verstehen aber er wird offen dafür sein, daß Gott selbst aus abgefallenen . . . Jüngern Zeugen und Bekenner machen konnte. Er wird auch nicht bestreiten, daß Gott sich dazu bestimmter visionärer Vorgänge bedient hat, die uns modernen Menschen zunächst fremd erscheinen, die aber jedenfalls für das Urchristentum entscheidende Ereig30

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nisse waren" 3 3 . „Der Glaube wird in den Visionen der Jünger Gott am Werke sehen", audi dann noch, wenn eine psychogene Erklärung dafür überzeugender gelänge. Audi dann wären die Visionen das Mittel, dessen sich Gott bedient, um sich zu offenbaren 34 . Worauf aber kommt es Grass dann an? Auf ein historisches Ergebnis? Auf den visionären Charakter der Erscheinungen? Der darf aber nicht subjektiv interpretiert werden. Wenn das aber trotzdem gelingen würde: keine Not! Die objektive Verursachung durch Gott gilt auch dann! Sie gilt wohl — weil sie theologisch apriori gelten muß — bei jedem beliebigen Ergebnis der historischen Untersuchung. Bei von Campenhausen diente die göttliche Verursachung wenigstens dazu, das leere Grab, hier bei Grass aber, wenn es hoch kommt, dazu, die psychogene (!) Vision ursächlich zu erklären! So wird unsere Frage, die wir schon von Campenhausen stellten, hier um so dringlicher: Welchen Sinn hat es denn überhaupt noch, den letztzugänglichen historischen Punkt herauszuarbeiten? Daß Gott sich dessen bedient, kann dann von jedem letztlich zugänglichen Punkt behauptet werden, und es mag der Historie gleichgültig sein, ob nun hier oder dort der Sprung in den Glauben vollzogen wird. Um den Bruch mit der historischen Methode zu signalisieren, genügt es, daß er irgendwo vollzogen wird. Grass hat deshalb keinen Grund, sich über eine „theologische Betrachtung" zu beklagen, die „die mangelnde Schlüssigkeit aller psychologischen und historischen Erklärungsversuche der Auferstehungserscheinungen mit Genugtuung konstatiert" 35 . Hätte er selber wirklich lieber (vorausgesetzt, sie wäre möglich gewesen) eine historische Erklärung bzw. einen historischen Beweis bekommen? Die ist aber nach Gottes Willen offensichtlich nicht möglich 36 ! Sind nun diese Unausgeglichenheiten zufällige Betriebsunfälle? Oder ist ihre Entstehung auch mit einer gewissen Notwendigkeit durch das Programm des Forschers bedingt? Ein abschließender kritischer Gang durch das Programm, das Grass sich in seinem Buch aufgegeben hat, soll hier die Antwort ermöglichen. In seinem Vorwort erklärt der Verfasser, warum er, als Systematiker, sich so weitgehend auf das Feld der neutestamentlichen Forschung hat wagen müssen. Die Notwendigkeit dazu sei aus der Tendenz der heutigen Theologie erwachsen, die historisch-kritischen Fragen zu übersehen. Die Dogmatik aber kann nicht ohne ständige Berücksichtigung der Fragen der historisch-kritischen Forschung geschehen. Der Dualismus von Glaube und Wissen, der oft audi noch theologisch gerechtfertigt wird, ist bedenklich, besonders im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit unserer Theologie. Diese Klage, so darf man vermuten, sollte dann das neue Unternehmen als ein solches erscheinen lassen, das diesen Dualismus meint beheben zu können. Man erwartet somit als Ergebnis eine Einheit 33 Ebd.

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von Glaube und Wissen, wenn es auch zunächst nicht klar ist, wo diese Einheit zustande kommt: im Akt des Glaubens und Wissens oder im gemeinsamen Objekt. Was aber vernehmen wir, nachdem der geneigte Leser alle historischen Gänge und Katakomben mit diesem Cicerone gegangen ist? „Von der historischen Konstatierung des plötzlichen, rätselhaften völligen Umschwungs in der Stimmung und Haltung der Jünger nach der Katastrophe zur Anerkennung, daß sie in ihren Visionen wirklich den von Gott auferweckten und erhöhten Herrn geschaut haben, ist noch ein gewaltiger Schritt, der Schritt vom Wissen zum Glauben"37. Wer also diese historische Reise in der Hoffnung mitgemacht hat, eine bessere Glaubwürdigkeit der Theologie zu erlangen, steht, jedenfalls in bezug auf diesen Dualismus, noch genau so klug und glaubwürdig da als wie zuvor. Denn „ob es Hilfen für diesen Sdiritt gibt, oder ob man hier einfach an das Wagnis des Glaubens appellieren darf, muß später (!), bei der Frage nach der Aneignung (!) des Osterglaubens durch uns, noch erwogen werden" 38 . Alle historischen Bemühungen haben eine solche Hilfe offenbar nicht eingebracht, geschweige denn die Einheit von Glaube und Wissen herbeigeschafft. Die erklärte Absicht des Buches ist aber, nicht durch eine Potenzierung des Glaubens, sondern gerade durch eine Intensivierung des vernachlässigten historischen Fragens zur Überwindung dieses Dualismus beizutragen. Denn: „Wer darauf verzichtet und hinter die vorliegende Form des Osterkerygmas nicht zurückgehen will, mag zusehen, daß ihm das Osterkerygma und schließlich Ostern selbst nicht zum geschichtslosen Mythos werden, wodurch jeder noch so schönen ,Theologie der Auferstehung' der Boden fehlt" 3 9 . Und auch: Die „Frage nach dem Grund und Recht dieses [seil. Auferstehungs-]Zeugnisses [bleibt] doch die entscheidende. Ohne diesen Grund ist jede Theologie der Auferstehung, audi die neutestamentliche eine bodenlose Spekulation" 4 0 . „Das Recht und die Notwendigkeit dieses Versuchs sollte jedenfalls nicht bestritten werden, denn der Glaube hat das Recht und als theologisch bewährter audi die Pflicht, sich des Ereignischarakters des Geschehens zu vergewissern, von dem das Kerygma zeugt" 41 . Es soll also — ein anderer Schluß ist nicht möglich — die historische Untersuchung Grund und Recht des Auferstehungszeugnisses (inklusiv des neutestamentlichen) verschaffen. Eine gleiche Begründung des historischen Fragens nach der Auferstehung Christi hörten wir bei von Campenhausen (siehe oben S. 61). Wir hörten sie aber bei ihm, weil er damit rechnete, durch seine historische Forschung ein positives Ergebnis auf die Frage nach der Historizität des leeren Grabes zu erlangen, und als eine solche wäre sie jedenfalls im Rahmen seines Programms sinnvoll, also abgesehen von der systema37 39

246 f. Kursiv von uns. 40 13 14

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247. Ausrufezeichen von uns. 41 Ebd. 71

tischen Frage nach der Möglichkeit der Begründung von Offenbarung. Bei Grass jedoch erscheint diese Begründung des historischen Forschens ausgeredinet unter Voraussetzung des negativen Ergebnisses der Frage nach dem leeren Grab. Was soll also die geschichtliche Begründung des Auferstehungszeugnisses sein? „Es dürfte für die systematisch-theologische Besinnung jedoch besser sein, mit kritischen (kursiv von uns) Lösungen der historischen Frage zu rechnen"42. Konkret heißt das43: „Für den Theologen, vor allem auch für den Dogmatiker, ergibt sich aber aus der Tatsache, daß sich die Historizität des leeren Grabes nicht zwingend erweisen läßt, die Aufgabe, das Problem der Auferstehung zu durchdenken, audi unter der Voraussetzung, daß das Grab möglicherweise nicht leer gewesen ist. Er muß das selbst dann tun, wenn er der wissenschaftlichen Uberzeugung ist, daß die Berichte recht haben, welche bezeugen, daß man das Grab am Ostermorgen leer fand. Er hat mit der kritischsten Möglichkeit zu rechnen und von daher zu fragen, ob damit dem christlichen Osterglauben an den auferstandenen und lebendigen Herrn jeder Boden entzogen ist." Daß die systematische Theologie die Auferstehung Christi zu durchdenken hat, ohne sich auf einen sicheren historischen Befund stützen zu können, ist auch unsere Meinung. Was aber Grass fordert, ist ein völlig hybrides Gebilde: eine Auferstehungstheologie, die sowohl auf ein positives wie auf ein negatives Ergebnis der historischen Forschung paßt, aber trotzdem einen historischen Grund haben muß, denn sonst wäre sie Mythos. Das letzte ist eine Befürchtung, die man oft hören kann (Künneth c. s.), und diese Befürchtung ist verständlich. Hier aber wird die gleiche Befürchtung vor Abgleiten in den Mythos umgekehrt gegen Künneth gebraucht: das geschichtliche Ergebnis, auf dem die Auferstehungsbotschaft ruht, ist das nicht-leere Grab: das nicht-leere Grab bewahrt die Auferstehung vor dem Mythos! Der notwendige historische Unterbau einer (noch so schönen) Theologie der Auferstehung, den Grass immer wieder fordert, ist also nicht ein bestimmtes Faktum, sondern der (vorläufige) Befund der historisch-kritischen Forschung, auch wenn sie (im Gegensatz zu von Campenhausen) negativ, als „kritische Lösung" ausfallen würde. Die Auferstehungstheologie muß also auf einem Fundament ruhen, das der gemeinsame Nenner zwischen leerem und nicht-leerem Grab ist, also das Grab völlig außer Betracht läßt. Trotzdem soll die Auferstehung theologisch auf einem historischen Ergebnis beruhen. Ist dann aber die Forderung nach einem historischen Fundament nicht die Forderung nach etwas Formalem, das inhaltlich so oder so beschaffen sein mag, wenn wir es nur „historisches Fundament" nennen? Im Vergleich mit der Begründung, die von Campenhausen für sein Forschen gibt, die Grass dem Buchstaben nach übernimmt, hat bei letzterem eine formelle 42

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Vorwort

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Hypostasierung des Begriffes „Geschichte" (als Rechtfertigung des Kerygmas) stattgefunden: „Geschichte" ist nichts anderes als beliebiges, u. U. konträres Ergebnis einer historischen Forschung. Daß Grass nachher, an Stelle des nun nicht-leeren Grabes, die „objektive Vision" als letztzugängliches Ergebnis in den Mittelpunkt stellt, mildert diesen schlechten Eindruck keineswegs: hier wiederholt sich allenfalls, was sich auch bei der Behandlung des leeren Grabes ereignete: das historische Fundament ist der gemeinsame Nenner von u. U. psychogener und nicht-psychogener Vision. Auch der Begriff „objektive Vision" ist ein hybrides Produkt, das zwei unvereinbare Betrachtungsweisen nur ganz mangelhaft in eine Formel zusammenzuflicken vermag. Denn wenn das letzte, historische Ergebnis „Vision" ist, so vermag es (wegen der psychogenen Deutbarkeit) kein Fundament zu sein 44 , prädiziert man aber die Vision als „objektiv", so ist sie kein historisches Ergebnis mehr, was Grass selber zugibt, wenn er sie 4 5 eine theologische und keine historische Hypothese nennt. Die objektive Visionshypothese hat den Versuch gemacht, die Ergebnisse der historischen Kritik und den Glauben an den lebendigen Herrn zusammenzudenken, sagt Grass 46 . Als ob ein Name und eine Formel schon ein Zusammendenken wäre, das die Ansprüche dieses Forschers auf historische Begründung befriedigen könnte. Carl Stange habe — so berichtet Grass weiter — schon 1923, vom Standpunkt der positiven Theologie her, den Kompromißcharakter der objektiven Visionshypothese angeprangert, für Grass aber (leider!) nicht überzeugend. Denn: dieser „Kompromiß" ist „das einzig mögliche Verfahren moderner wissenschaftlicher Theologie Versuche zu vermitteln [verdienen] den Vorzug gegenüber jenen Versuchen, die den Unterschied zwischen Glauben und Wissen überspannen" 47 . Das klingt, mit dem Programm verglichen, bereits viel bescheidener. Eingetauscht werden soll also der „oft bequemere Weg einer in historischen Fragen konservativen oder gar apologetischen Theologie" 4 8 , einer Theologie der Auferstehung, die nicht durch die historische Frage hindurchgeht 49 , für diese Hypothese, das heute einzig mögliche Verfahren einer modernen, wissenschaftlichen Theologie. Wenn nun aber das historische Ergebnis der modernen wissenschaftlichen Theologie kein Millimeter breiter ist als eine Theologie, die vielleicht aus anderer Quelle schon um die letzte Unergiebigkeit dieses mystischen „Hindurchgehens" durch die historischen Fragen weiß, so darf man doch fragen: wozu denn all dieses Pathos für die historische Begründung der Auferstehungstheologie gegen die Kerygmatheologie? Die objektive Visionshypothese ist, wohl weit davon entfernt, eine Aufhebung des Dualismus zwischen Glauben und Wissen zu sein, gerade dessen Fixierung und endgültige Apotheose. 44 47

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Nicht als wissenschaftliches Ergebnis, wohl aber als Kennzeichnung und Apostrophierung des ungeklärten Verhältnisses von systematischer und historischer Theologie ist die „objektive Visionshypothese" wichtig. Der Systematiker ruft aus Angst vor „Spekulation" alle historischen Energien auf, ihm den heiß ersehnten Boden unter den Füßen zu verschaffen, sieht sich aber gezwungen von der Auferstehung zu reden, die „ein Unerhörtes bleiben [soll], das mit menschlichen Beweisen nicht zu erreichen ist" 50 . Man möchte sagen: das gilt dann doch wohl überhaupt: nicht nur von der Unmöglichkeit mit Hilfe des leeren Grabes die Auferstehung zu beweisen, sondern genau so für die von Grass ersatzweise angebotene Hilfe der objektiven Visionshypothese. Wenn es gilt: daß „Gott das Grab nicht leer zu machen [brauchte], um sein Osterwunder zu tun" 51 , so dürfte sich diese Unabhängigkeit Gottes in seinem Wunderwirken auch auf die Vision ausdehnen. Und wirklich: so wie es heißt: „Wir glauben nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen Herrn" 52 , so heißt es am Schluß des Buches: „Unser Glaube [ist] nicht primär Glaube an die Erscheinungen, an die von Gott und Christus gewirkte Wirklichkeit der Erlebnisse der Jünger, sondern Glaube an den auferstandenen, gegenwärtig lebendigen Herrn" 53 . Wo das ganze Buch in unüberhörbarer Weise eine historische Begründung des Osterzeugnisses suchen möchte, heißt es am Schluß todernst, daß „die Gewißheit vom lebendigen Herrn die Gewißheit von seinem Lebendigwerden und von der gottgewirkten Realität seiner Erscheinungen trägt" 54 . Wer sich über diese späte Einsicht freut, drückt aber damit zugleich seine milde Verwunderung darüber aus, daß dieses Ergebnis so offensichtlich überhaupt nicht auf die Frage paßt, mit der das Buch unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er wird es dann — nach einem solchen Schluß — zwar verstehen, aber dem Forscher nicht leicht abnehmen können, wenn er im Vorwort versichert, daß er die kritische Position seiner Arbeit nicht nur gymnastikös eingenommen hat. Für unseren Zweck sind aber letztlich nicht die Motive und die persönliche Deutung eines Autors, sondern der objektive Fortschritt in der systematischen Klärung der Problematik relevant. Am Ende auch dieses Forschungsweges kann man das Fazit ziehen, daß nur soviel geklärt ist, daß die Kluft zwischen Glauben und historischem Wissen, die zu überbrücken Grass ausgezogen war (dazu als Systematiker zugleich mit langem Atem für alle historische Kleinarbeit gerüstet), nach seiner Arbeit nur um so schmerzlicher empfunden wird von allen denen, die auf deren Überbrückung ihre Hoffnung zur Hebung der Glaubwürdigkeit ihrer Theologie gestellt hatten. Wo ebenso wenig als das leere Grab die Erscheinungen das letztzugängliche historische Faktum zur Uberbrückung der besagten Kluft abzu50 185

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geben vermögen, werden wir uns noch weiter umzusehen haben und die Möglichkeit eines historischen Zugangs zum Ostergeschehen noch einen weiteren Schritt zurück erwägen müssen. C. Die Entstehung des Osterglaubens (Willi

Marxsen)

Die dritte der drei möglichen Antworten auf die Frage nach dem letztzugänglichen historischen Datum, das uns die Möglichkeit verschaffen könnte, die Rede von der Auferstehung Jesu Christi näher zu bestimmen, nennt als ein solches Datum: Der Osterglaube der ersten Jünger. Es ist die Antwort, die schon F. C. Baur gab55, die Bultmann wiederholte und ebenso, bei aller Modifikation in der Erklärung, von den meisten der Schüler Bultmanns geboten wird 56 . Wir wollen diese Position an der Arbeit von Willi Marxsen demonstrieren, der Bultmanns Antwort am nachdrücklichsten aufgenommen und ausgebaut hat. Seine Untersuchung: „Die Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem" 57 erhebt offensichtlich einen Anspruch auf historische und systematische Geschlossenheit und eignet sich somit besonders für unseren Zweck. Dazu kommmt, daß Marxsens Aufsatz sich auch mit unserem vorigen Gesprächspartner Grass auseinandersetzt und uns so die Möglichkeit bietet, die Kontinuität der Problematik zu demonstrieren. Hatte Hans Grass die Berichte von der Entdeckung des leeren Grabes, in denen von Campenhausen einen historischen Kern erforscht haben möchte, in ihrer Gesamtheit als späte, kerygmatische, unhistorische Bildungen deklariert und an Stelle davon historisch für den Einsatz bei den Erscheinungen plädiert, die ihrer historischen Seite nach „Visionen" und der theologischen Seite nach „objektiv" heißen sollen, so ist bei Marxsen dieser Einsatzpunkt weiter zurückgenommen, indem nicht einmal mehr die Visionen als historisch gesichertes Ergebnis gelten dürfen. Letztzugängliches historisches Faktum ist nicht die — wie immer zu interpretierende — Vision an sich, sondern: die Behauptung eines Sehens. Diese ,Behauptung eines Sehens' ist die nach außen gekehrte Seite des Osterglaubens als subjektive Überzeugung nach innen. Sie hat die gleiche subjektive Struktur und wir können deshalb in unserer Behandlung Marxsens ,Behauptung eines Sehens' als paradigmatische Struktur mit Bultmanns,Entstehung des Osterglaubens' identifizieren. Letztzugänglicher Vgl. Grass o. c. 233 Vgl. Günther Bornkamm, Jesus von Nazareth, 1 6 5 ; Hans Conzelmann, in: R G G 3 I, Sp. 700; ders., Grundriß der Theologie des Neuen Testamentes, 87 5 7 Gütersloh 1964, jetzt audi in F. Viering (Herausg.): Die Bedeutung der Auferstehungsbotsdiaft für den Glauben an Jesus Christus, Gütersloh 3 1966. Wir zitieren nach dieser Ausgabe. 55

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Punkt ist also nicht das Objekt des Osterglaubens oder des behaupteten Sehens, sondern die „objektive" Tatsache dieses subjektiven Glaubens und Behauptens. Wo Marxsen 58 sein Ergebnis folgendermaßen zusammenfaßt: „Wir können mit großer Sicherheit sagen, daß Zeugen ein Sehen des Gekreuzigten widerfuhr", korrigiert er sich selber nachdrücklich, um „noch genauer" zu formulieren: „Zeugen behaupten nach dem Tode Jesu, ihn gesehen zu haben." Das von den Zeugen intendierte Objektive wird nicht wie noch bei Grass als Tatsache zu der Tatsache des Bezeugens hinzugenommen, sondern, seiner intentionalen Struktur entkleidet, in die Subjektivität von Glaubenden und Zeugen zurückgenommen. Das besagt noch nicht, daß Marxsen eine Neuauflage der subjektiven Visionshypothese bieten möchte, sondern nur, daß er das strukturell mit der Bezeugung gegebene intendierte Objekt als solches nicht schon deshalb gleichfalls als historisch gelten läßt, weil es mit einer — historisch feststellbaren — Bezeugung gegeben ist. Er rundet also seine Feststellung der subjektiv gegebenen Überzeugung der Zeugen nicht mit einer geschlossenen Erklärung über den psychologischen Ursprung ihrer Bezeugung ab, wie es die subjektive Visionshypothese tut. Er bleibt bei einem methodischen „non liquet" stehen: „Der Historiker wird hier urteilen müssen: die Möglichkeit solcher Erklärung ist nicht auszuschließen, sie ist jedoch auch keineswegs zu beweisen . Geht man darüber hinaus, konstruiert man — jedoch ohne sich auf Texte berufen zu können" 59 . Marxsens Bedenken gegen Grass kann man vielleicht so umschreiben, daß letzterer mit der objektiven Feststellung, daß Visionen stattgefunden haben, zugleich auch die Objektivität des Inhaltes der Visionen und die Objektivität ihrer Verursachung hineinzuschmuggeln versucht. „Das Fatale an der Gedankenführung von Grass ist nun, daß er auf dem Wege über den ,Glauben' nun doch zur Konstatierung von so etwas wie Ereignissen kommt." Grass gebe zwar die Zweideutigkeit von visionären Erlebnissen zu, und er hat völlig recht, wenn er sagt, daß nur der Glaube die Zweideutigkeit überwinde. „Nur kann das doch heutiger Glaube nicht leisten angesichts damaliger visionärer Erlebnisse."60 „Sieht man genauer hin, entdeckt man, wo hier der Fehler liegt. Sind es bei der subjektiven Visionshypothese die Jünger, die durch ihren Glauben die Visionen sozusagen schaffen, so ist es bei der objektiven Visionshypothese der gegenwärtige Glaube, der mit objektiven Visionen rechnet. Die sogenannte objektive Visionshypothese ist also bei Licht besehen auch eine subjektive — nämlich vom eigenen Glauben aus" 61 . Von seinen Voraussetzungen aus legt hier Marxsen den Finger auf die gleiche schwache Stelle in Grass' Theorie, die wir oben als eine Kombination von zwei heterogenen Betrachtungsweisen (einer historischen und einer theologischen) innerhalb einer Theorie beanstandet haben. 58

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Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß Marxsens eigener Entwurf, den er in Anschluß an Bultmann und in Auseinandersetzung mit Grass vorgelegt hat, in Wirklichkeit so geschlossen ist, wie er ihn gerne darbieten möchte. Sehen also auch wir hier genauer hin, um zu entdecken, wo der Fehler liegt. Die historische Frage nach dem Entstehen des Osterglaubens, die zu stellen unterlassen zu haben man Bultmann vorgeworfen hatte — ein Vorwurf, auf den Marxsen sich bei der Umreißung der Aufgabe bezieht, die er sich selber stellt 62 —, wird nun von Marxsen lediglich nach einer Seite als Aufgabe unternommen und dabei gerade nicht nach der Seite, die, historisch gesehen, die Interessanteste und Verheißungsvollste wäre. Wirft man nämlich Bultmann vor, er habe sich davon dispensiert, die Entstehung des von ihm als letztzugängliches historisches Faktum gelehrten Osterglaubens befriedigend zu erklären, so ist der Kern in diesem Vorwurf natürlich (wie wir es oben S. 39 ausgeführt haben), daß Bultmann es unterlassen habe, nach dem Grund des christlichen Glaubens überhaupt, bzw. nach Ermöglichung des christlichen Existenzverständnisses von außerhalb zu fragen, oder auch, daß er diesen Grund in die existierend sich entwerfende Subjektivität des einzelnen verlegt habe. Audi Marxsen bietet diese Erklärung nicht, sondern beschränkt das Thema auf unsere zweite Frage an Bultmann (siehe oben S. 41 f.), indem er nur erklärt, wie sich der christliche Glaube als Osierglaube entwickelt hat. Historisch stellt Marxsen ein behauptetes Sehen von Jesus (dem Gekreuzigten, nicht dem Auferstandenen) fest. Dieses letzte Faktum wird nicht weiter hinterfragt. An anderer Stelle 63 äußert Marxsen sich dazu im gleichen historischen Desinteresse oder Agnostizismus, wie wir ihn bei Bultmann fanden: „Denn hinter diese Behauptung: ,wir haben ihn gesehen' kommen wir ohnehin nicht weiter zurück. Darum lohnt es sich auch nicht, auf spekulativem Wege hinter diese historische Grenze kommen zu wollen. Es lohnt sich nicht, danach zu fragen, was zuvor geschehen ist, so daß die Jünger Jesus sehen konnten. Auf diese Frage gibt das Kerygma keine Antwort mehr. Vom Kerygma erfahren wir vielmehr nur noch, wie man dieses Sehen interpretierteWas Marxsen von der (von ihm wohl als selbständige und isolierte Größe betrachteten) Logienquelle sagt, gilt wohl von seiner Position überhaupt: „Der Auslösungsakt des Weiter-Bringens wird nicht expliziert, schon gar nicht reflektiert" 6 4 . Statt eine Erklärung der Entstehung des Kerygmas zu bieten, beantwortet Marxsen eigentlich nur die Frage, die wir auch aufgeworfen hatten, die aber nicht der Kern und die Wurzel der historisch-systematischen Anfrage an Bultmann war (das war ja die Frage nach Ermöglichung): wieso kam es, daß das behauptete Sehen so und so ausgelegt wurde. Mehr «2 14 63 Das Neue Testament als Buch der Kirche, 102

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nicht. Die Frage nach dem Grund des Glaubens wird mit einer historischen Theorie über die Entstehung des Interpretamentes „Auferstehung" beantwortet. Daß „Auferstehung" ein (eins der möglichen) Interpretament des Sehens ist, bedeutet natürlich bei Marxsen auch, daß er meint, damit die historische Frage nach der Auferstehung „selbst" als unsachgemäß entlarvt zu haben. Diese Entstehung der Vorstellung „Auferstehung" impliziert selbstverständlich die Nicht-Historizität der „Auferstehung". Aber die historische Frage ist ja breiter als die nach der Vorstellung „Auferstehung" Eigentlich ist sie (innerhalb dieses Fragezusammenhanges) auf den Ursprung und den Grund des die christliche Kirche konstituierenden Glaubens gerichtet. Am Schluß seines Aufsatzes65 setzt Marxsen, nachdem er festgestellt hat, daß die Auferweckung Jesu nicht das Zentraldatum der Kirche ist, sich — aber nur scheinbar — mit unserer Frage auseinander: „Aber, wie steht es dann mit dem Satz des Paulus: wäre Christus nicht auferstanden, so gäbe es keine ,Kirche'." In der Antwort wird, systematisch korrekt, zwischen Grund und historischem Ursprung unterschieden. Dort heißt es: „Der Satz (sc. Pauli) bleibt selbstverständlich richtig. Er darf nur nicht so verstanden werden, daß ohne das Geschehen-Sein der Auferstehung Jesu die Kirche ohne Grund wäre. Der Grund liegt in Jesus, liegt in seinem Wirken. Dennoch: ohne das Widerfahrnis des Sehens des Gekreuzigten wäre es (so weit wir das durchschauen können) nicht zur Weiter-Ereignung der ,Sache Jesu' als seiner Sache gekommen. Insofern ist dieses Widerfahrnis des Sehens historisch für die Kirche konstitutiv." Indem aber Marxsen es im nächsten Satz unternimmt, „das noch korrekter zu formulieren", nimmt er zugleich die historische Erklärung, die er (wenn auch durch das ,soweit wir das durchschauen können' begrenzt) immerhin gegeben hatte, wieder zurück, wo die „korrektere" Formulierung lautet: „Fragen wir die Quellen nach dem konstitutiven Grund für die Weiterereignung ,der Sache Jesu' und damit für die Kirche, dann nennen sie uns dafür das Widerfahrnis des Sehens." Dadurch hat aber Marxsen sich von der Behauptung der Quellen als historischer Anwort wieder distanziert. Eben diese Distanz dürfen wir deshalb als seine Grundposition betrachten. Aber: Bei der Weiterentwicklung dieser Theorie, wo der Verfasser zu seinem eigentlichen Thema kommt, der Erklärung nämlich der Transformation des Glaubens zum spezifischen Osterglauben, geht Marxsen tatsächlich — und programmwidrig — von der Wahrheit oder der Wirklichkeit des Inhaltes dieser Behauptung aus. Diese Wirklichkeit hat er aber nicht erst historisch „festgestellt", es auch gar nicht vermocht. Trotzdem heißt66 das Widerfahrnis des Sehens, wenngleich zweideutig, konstatierbar: „Wir können also feststellen, daß das Widerfahrnis des «5 37

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Sehens in zweifacher Weise zur Sprache kam." 67 Und, auf derselben Seite, bei der Besprechung, in welchen Vorstellungszusammenhängen das Widerfahrnis reflektiert wurde, findet sich der von Marxsens Voraussetzungen her völlig unverständliche Satz: „Sieht man nun aber einen Verstorbenen lebendig (kursiv von uns), dann legt es sich ja einfach nahe, die Vorstellung (sc. der allgemeinen Totenauferstehung) aufzunehmen und die (an sich erst erwartete) Auferweckung als für Jesus bereits geschehen auszusagen." Der ganze Tenor des Kontextes ist doch, daß man diesen Verstorbenen nicht lebendig sah, allenfalls den Gekreuzigten, und das war ja noch eine Behauptung. Auf S. 31 spricht Marxsen von einer „Uberzeugung, von der wir einerseits erkennen können, wodurch sie ausgelöst wurde (durch das Sehen des Gekreuzigten)" Hier gehört also das Sehen selbst noch nicht zu der Überzeugung, sondern zu der Erkenntnis. Man versteht schon, warum Marxsen hier das „behauptet" nicht verwenden kann: er müßte dann nämlich eigentlich von „einer Überzeugung von einer Behauptung" reden. Nur durch das wirkliche, nicht schon durch das behauptete Sehen werden Interpretamente ausgelöst. Marxsen bemerkt nicht, daß er mit zwei verschieden „sicheren" Ausgangspunkten durcheinander operiert 68 . Daß die eigentliche Grundintention Marxsens, trotz dieser Abweichung der Grundposition pour besoin de la cause, in dem „behauptet" liegt, das als neutrales „non liquet" auch die Möglichkeit des negativen Urteils über den Inhalt des behaupteten Sehens bietet, geht aus einer Stelle ganz klar hervor. Dort wird nämlich das „Sehen" nicht nur dadurch wieder eine zweifelhafte Ausgangsbasis, daß es als nur „behauptet", also noch nicht in seiner Wirklichkeit „kontrolliert" ausgesagt wird, sondern dadurch69, daß das Sehen selber als Interpretament ausgesagt wird, wo es doch in der Hauptkonstruktion Ausgangsbasis der zwei angeführten Interpretamente (Auslösung von Funktion und Auferstehung) sein sollte. Dort heißt es nämlich: „In der Tatsache, im ,Daß' ( d a ß es diese Tradition als Kerygma gibt, genauer, daß es diese Tradition nach Karfreitag als Kerygma gibt) liegt implizit das Widerfahrnis des Sehens" 70 . Damit ist also das Sehen vom primären Ausgangspunkt zum abhängigen Interpretament geworden, und zwar des ursprünglichen Datums des Sich-weiter-Ereignens-des-Kerygmas. Fortan hat nicht mehr das Sehen, sondern gerade die Reflexion begründenden Sinn für die Weiterereignung des Kerygmas 71 . Jetzt soll Reflexion (nachher!) begründen. Damit ist aber Marxsens eigene Basis vollständig in Wegfall gekommen, «' 28 6 8 Audi in der Terminologie läuft einiges durcheinander. D a s W o r t „Widerfahrnis" begegnet in zwei Bedeutungen: a) Ereignis (21 unten) und b) Ereignis, das als v o n der anderen Seite k o m m e n d gedeutet wird ( 2 2 oben).

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Ebd.

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wo das behauptete Sehen als Grunderfahrung in zwei Richtungen interpretiert werden konnte. Wir fanden, daß Marxsen nicht so sehr die Entstehung des Glaubens als solche, sondern die Entstehung des Auferstehungsglaubens, die Genese dieses Interpretamentes als Thema seiner Untersuchung gesetzt hatte. Dabei hatte sich ergeben, daß das ursprüngliche Widerfahrnis nicht nur personal, als Auferstehung, interpretiert werden konnte, sondern auch (und schon im Neuen Testament) funktional, als Auslösung von Funktionen. Letzteres Interpretament ist dann dasjenige, das wir nach Marxsen noch mitmachen können und auch neu fruchtbar machen, während ersteres nicht mehr vollziehbar ist oder nur, sofern es wieder ins Funktionale zurück transformiert werden kann. Die Wahrheitsfrage, die in der historischen Untersuchung als Frage nach dem Ursprung des Kerygmas an der Wirklichkeit und Objektivität des Widerfahrnisses des Sehens interessiert ist, hatte sich, so sahen wir, unter der Hand bei Marxsen verschoben. In der weiteren Behandlung hängt die Wahrheit nicht mehr von der Wahrheit der Behauptung des Sehens ab, sondern von der Wahrheit und Angemessenheit des Interpretamentes des (als wirklich angenommenen) Sehens. Marxsen gibt sich aber davon keine Rechenschaft, daß das Damokles-Schwert des nur behaupteten Sehens, ja, des Sehens, das selber nur Interpretament ist, damit auch noch über der Richtigkeit des von ihm begrüßten und mitgemachten Interpretamentes „Auslösung von Funktionen" hängenbleibt. Wenn der Autor am Schluß seines Aufsatzes erklärt, daß es keineswegs so ist, „daß das Widerfahrnis des Sehens jener Menschen, erst recht nicht ihre Interpretation dieses Widerfahrnisses als Auferstehung Jesu, die Wahrheit der Botschaft begründen oder gewährleisten" 72 , so liegt das auf der gleichen Linie wie die Erklärung der Weiter-Ereignung des Jesus-Kerygmas in der Logienquelle nach Karfreitag, die auch das Widerfahrnis des Sehens implizierte. Der ganze Sinn der zuvor entwickelten Genese des Auferstehungsglaubens hängt aber davon ab, daß am Anfang wirklich ein Widerfahrnis des Sehens bestanden habe. Wo das Unternehmen Marxsens insofern weitergehen möchte als Bultmann, daß er den spezifischen Auferstehungsglauben erklären möchte, so hat sich herausgestellt, daß eine solche Erklärung auf der Basis des Bultmannschen historischen Desinteresses oder Agnostizismus (behaupteten Sehens) gerade nicht möglich ist. Daß Marxsen damit, nach einem langen Umweg, bei genau dem Punkt ankam, an dem auch Bultmann schon war, wird ihn — auch wenn er wähnte weiter zu sein — wahrscheinlich nicht verdrießen. Es bedeutet nur, daß auch nach Marxsens Mühen, die systematischen Fragen genau so (wenig) weit beantwortet, die Aporien genau so groß sind, wie sie uns in unserem ersten Kapitel bei Bultmann ent72

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gegentraten. Denn weder die Frage nach Ermöglichung (des christlichen Glaubens, bzw. des Weiter-Ereignens des Kerygmas) noch die (in Marxsens Konstruktion davon abhängende) Frage nach dem Sinn und Ursprung des spezifischen Redens von „Auferstehung" haben eine überzeugende Antwort gefunden. Betrachten wir deshalb diese beiden Grundfragen noch in dem systematischen Zusammenhang, in dem sie uns bei Marxsen begegnen, mit den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Marxsen möchte ja selbst die Frage der Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem zur Ausführung bringen. In welcher Weise bedingen die historischen Antworten, wie Marxsen sie gibt, seine theologische Position? Und umgekehrt, inwieweit ist Marxsens vorgefaßte theologische Position konstitutiv für die Rekonstruktion der neutestamentlichen Überlieferungsgeschichte? Fragen wir Marxsen nach der Ermöglichung des Glaubens und des Kerygmas, wie wir es auch bei Bultmann getan haben, so ist der Vergleich mit Bultmann interessant. Wir sahen bei Bultmann, daß der Auslegungszusammenhang der Rede von der Auferstehung grundsätzlich der des Kreuzes ist. Von diesem Zusammenhang distanziert sich Marxsen nachdrücklich. Wenn auch Karfreitag einen Moment die Frage bedeutet, ob sich das Jesus-Kerygma noch weiter ereignen wird, so ist die Sache Jesu selbst der Grund, daß diese Weiterereignung trotzdem geschieht. Die Sache Jesu ist aber nicht sein Tod, sondern seine Verkündigung und die „Ereignung Gottes", die darin geschieht. Und die Weiterereignung dieser Sache, die Ereignung Gottes, die mit seinem Tod eigentlich vorbei war, geschieht grundsätzlich, theologisch ohne einen besonderen Grund, der sich auf diesen Tod bezöge. Sie geschieht allenfalls — historisch gesprochen — durch das Widerfahrnis des Sehens neu ausgelöst (wenn wir die diesbezüglichen Widersprüche in Marxsens Darstellung einen Moment nicht beachten). Nicht nur, daß die „Quellen" überhaupt nicht mehr erkennen lassen, wie Jesus seinen Tod verstand: auch der Eindruck, den die Evangelien (im Unterschied zu dem ihnen zugrunde liegenden Einzelmaterial) erwecken, daß nämlich Jesu Weg zum Kreuz und dann zur Auferstehung führte, ist eine nachträgliche Interpretation des Weges Jesu 7 3 . Die ursprünglichen Traditionen reden von einem unmittelbaren Vollmachtsanspruch Jesu, von einem Wirken, das keineswegs auf Ratifikation aus war 7 4 . Denn das irdische Wirken war in sich selbst eschatologisch, heißt es in einer deutlichen, vorösterlichen Parallele zu Bultmanns Prädizierung des nachösterlichen Kerygmas (siehe oben S. 37). Und genau so, wie die Frage nach dem tragenden Grund des nachösterlichen Kerygmas von Bultmann (allenfalls) mit dem Verweis auf den Glaubensvoll73 74

36 Ebd., in Diskussion mit Wilckens.

81 6

Geense, Auferstehung

zug in der Entscheidung beantwortet wird (siehe oben S. 37 f.), heißt es bei Marxsen, daß der irdische Jesus als Antizipation des Eschatons, als der, der in den Glauben hineinstellt, als der, der das Gericht vorwegnahm, als der, der Sünder und Zöllner an seinen Tisch rief, erfahren wurde75. Aber genau wie bei Bultmanns nachösterlichem Kerygma unterbleibt bei Marxsens vorösterlichem Werk Jesu die Frage, was dieser Erfahrung als Ermöglichung (in dem vollbrachten oder noch zu vollbringendem Werk) zugrunde liegt. So fehlt bei Marxsen an zwei Stellen die Frage nach dem Grund: bei der Erfahrung der Vollmacht des irdischen Lebens und bei dem Widerfahrnis des Sehens Jesu nach seinem Tod. Wir werden später sehen, daß es in beiden Fällen die Frage nach demselben Grund ist: nach dem stellvertretenden Opfertod Christi. Dadurch ist, obwohl der Beziehungszusammenhang der „Auferstehung" bei Marxsen das Leben Jesu und bei Bultmann das Kreuz Jesu ist, der Unterschied in der theologischen Struktur nicht erheblich. Denn auch bei Bultmann ist ja das Kreuz nicht eigentlich Grund, kein eigenes freies Werk Christi, sondern nackte Tatsache, die erst in unserem Glauben bzw. Erfahren zum Heilsereignis wird. Welche Konsequenzen das bei Bultmann für die Rechtfertigungslehre und für die Lehre vom stellvertretenden Opfer hatte, haben wir gesehen (siehe oben S. 42: das Kreuz Christi als das eigene übernehmen, sich mit Christus kreuzigen lassen). Die gleichen Konsequenzen heißen bei Marxsen (nur aus dem individuellen Glaubensvollzug in ekklesiologische Termini übersetzt): „Die ganze Fülle der Antizipation des Eschaton, die sich durch und in Jesus ereignet hatte, ereignet sich nun durch die Kirche und in ihr. Sie steht nun an der Stelle Jesu (kursiv von uns). Die Urgemeinde . . . antizipiert das Gericht, indem sie selbst Sündenvergebung übt. Und eben darin — in dieser ihrer Funktion — weiß sie Jesus gegenwärtig"76. Es gibt also keine personale, sondern nur eine funktionale Kontinuität. Wenn es nun auch beim irdischen Jesus letztlich nicht auf seine Person, sondern ausschließlich auf seine Funktion — Ereignung Gottes — angekommen ist, kann auch jetzt kein letztes Interesse an der Kontinuität des Trägers der Funktion bestehen. Denn das Charakteristikum von Funktionen ist gerade, daß sie übertragbar sind. Sie können sich überall ereignen, darum ist der Träger letztlich irrelevant, darum hat das Kerygma keinen Grund und das (behauptete) Widerfahrnis des Sehens keinen Ursprung. Wenn Marxsen es wirklich meint, was er sagt, daß eben darin, in dieser ihrer Funktion (sc. der Sündenvergebung) die Kirche Jesus gegenwärtig weiß, so folgert er mit recht: „Sie ist es ja gar nicht selbst, die das tut" 77 , denn auch die Kirche selbst ist dann nur Trägerin von Funktionen. Aber es ist von seiner Position aus dann inkonsequent und unmöglich, darauf wieder folgen zu lassen: „aber in ihrem 37

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Ebd.

Tun, in ihrem Kerygma ist Jesus lebendig"78. Denn Jesus ist audi nur ein Funktionsträger und die an ihn gebundene Ereignung Gottes ist mit seinem Tode eigentlich vorbei79. Wenn schon diese Ereignung Gottes neu ausgelöst wird, ist sie personal nicht mehr an ihn gebunden. Unbedacht aber bleibt dabei, daß die Kirche bei der Sündenvergebung nicht aus sich selber schöpfen kann. Überall, wo Sünden vergeben werden, müssen sie von einem anderen getragen werden. Sünden zu vergeben ohne Sünden zu tragen, ist ein Akt ohne Grund, Ausgabe von Währung ohne Deckung. Das soll nicht erst aus dem „Befund" oder aus den (späten) Quellen des Neuen Testamentes „belegt" werden können: es ist eine biblischphänomenologische Grundstruktur, die es einzusehen gilt, noch bevor er in actu in irgendeinem Textverband begegnet. Wer heute gültiges Heil aussagen will, wie die Sündenvergebung, ist von der Frage nach dem Grund dieses Austeilens genau so wenig dispensiert, wie der irdische Jesus es war, als er die Fragen der Pharisäer nach seiner Vollmacht, die Sünden zu vergeben, hörte und wußte, daß er sie selber zu tragen haben würde. Die Frage nach dem Grund ist also nicht aus historischer Neugier erwachsen. Es ist nun weiter Marxsens Uberzeugung80, daß es sowohl in der Auferstehungslehre als in der Christologie in breiterem Sinne ursprünglich ein funktionales Jesus-Kerygma gegeben hat, das erst in einem späteren, wenn auch bald einsetzenden Stadium von einem personalem ChristusKerygma abgelöst wurde. Der Verkündiger wird zum Verkündigten (auf Grund des Heilshandelns — welches?), ohne daß dafür ein zwingender Grund in der Person und in dem Werk Christi besteht. Bestimmte Daten seines Lebens: Geburt, Tod am Kreuz, werden als Heilsdaten qualifiziert. Diese Qualifizierungen sind legitim, sofern sie das von Jesus gebrachte Heil richtig „verschlüsseln" und die neue Auslösung der Funktion, die Ereignung desselben Heils ermöglichen81. In Gegensatz zu seiner Person ist also das Werk Christi wiederholbar. Und nur durch ein MißVerständnis oder durch den an sich unnötigen Umweg des „ Verschlüsseins" wurde aus einer ursprünglich funktionalen Christologie eine ontologische Christologie. Es gibt kein bleibendes, vollbrachtes Werk Christi, sondern immer nur das Auslösen von Funktionen. Die systematische Konsequenz, namentlich für die Rechtfertigungslehre, deuten wir an dieser Stelle nur an. Wo die ontologische, personale Christologie der dogmatisch notwendige Ausdruck der Stellvertretung ist, hat die funktionale Christologie eine starke Affinität zum Synergismus. (So wie die Ekklesiologie Marxsens: die Kirche steht und vergibt an Jesu Statt, zu einer bestimmten Gestalt der Römisch-katholischen Lehre von der Kirche Affinität besitzt. Dort ist aber immerhin die Sündenvergebung, die die 78 80

Ebd. 38

*> 37 Ebd.

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Kirche spendet, durch die Realpräsenz Christi in seinem Opfer garantiert.) Ist nun nach Marxsen nicht, wie doch noch für Bultmann, Jesu Kreuz der Beziehungspunkt und der Beziehungszusammenhang der Rede von der Auferstehung, sondern das Leben Jesu, so ist die spezifische Rede von der Auferstehung noch unerklärlicher geworden als bei Bultmann, wo immerhin der polare Sinnzusammenhang „Tod-Auferstehung" zu einem gewissen Grad Bultmann davon dispensieren konnte, eine besondere Erklärung der Rede von der Auferstehung als eine der möglichen Bedeutsamkeitsausdrücke des Kreuzes zu geben. Dadurch verstärkt sich für Marxsen die Notwendigkeit, eine besondere Erklärung der Rede von der Auferstehung zu geben. Von der Beantwortung dieser zweiten Anfrage, die wir schon an Bultmann stellten (siehe oben S. 41 f.), zieht Marxsen sich nicht zurück, wie er das doch von der Beantwortung der ersten Frage getan hat. Wir haben diese Antwort in unserer Diskussion bisher nur gestreift, wollen sie aber nun, abschließend, explizit diskutieren. Die Entstehung des spezifischen Auferstehungsglaubens ist nach Marxsen so zu denken: Am Anfang stand für die Urgemeinde ein „Widerfahrnis des Sehens", präziser ausgedrückt: sie behauptete ein solches Sehen. Marxsen schließt dazu aus der Beobachtung, daß Paulus einige Male seine Begegnung mit dem Herrn so wiedergibt, daß darin keine explizite Erwähnung der Auferstehung, sondern nur des Sehens geschieht. Solches wird auch für die Urgemeinde, von der Paulus seine Auslegung des Sehens als Auferstehung bezieht, gegolten haben. Dieses Urdatum „Sehen" wird nun, nach der Konstruktion Marxsens, wohl ähnlich wie der Stoff der Wahrnehmung in der Erkenntnislehre Kants, in verschiedenen Kategorien verarbeitet, die nicht dem Stoff der Wahrnehmung, sondern dem Subjekt entstammen. In der „praktischen Vernunft" wird nun dieses Sehen zur Konstituierung der Gemeinde und zur Auslösung von Funktionen, besonders des Apostolates82. Das geht aus der Analyse von 1. Kor. 15,1 — 11 hervor, wo das öphthe von verschiedenen Personen ausgesagt wird, um sie als Gemeindeführer zu legitimieren. Dem entspricht der ursprüngliche Vorgang, wo das Widerfahrnis des Sehens nicht eigentlich reflektiert wurde, sondern sofort — gleichsam ohne Zwischenstufe der Reflexion, ohne daß der Gedanke „Auferstehung" überhaupt Gelegenheit hat, aufzukommen — Funktionen auslöste. Es ist, als ob Marxsen das „Sehen" als Reiz einer Gehirnpartie auffaßt, der, ohne durch das Bewußtsein hindurchzugehen, sofort in Funktionen, in Reflexe (nicht „Reflexionen") umgesetzt wird. Sogar Pawlows berühmte Theorie des bedingten Reflexes wäre für Marxsens Vorgehen illustrativ: denn die Funktion kann sogar ohne den echten, ursprünglichen Reiz ausgelöst werden: „in der Tatsache, im Daß (daß es diese Tradition nach Kar82

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"

freitag als Kerygma gibt), liegt implizit das Widerfahrnis des Sehens" 83 . Die computerhafte Geschwindigkeit84, in der dieser Urprozeß sich gleichsam mechanisch abwickelt, unterdrückt sofort auch nur die Möglichkeit, daß dabei Gedanken, nicht einmal „Vorstellungen" aufkommen. Vorstellungen kommen erst nachher auf, nachdem die Gemeinde konstituiert und das Apostolat ausgelöst worden ist, nachdem also das Eigentliche, um das es auch jetzt noch geht, schon zustande gekommen ist. In keiner Weise sind die Vorstellungen schon in dem auslösenden Reiz des Sehens mitgegeben. Diese Annahme würde nämlich die Frage nach dem (historischen) Grund oder, psychologisch gesehen, nadi der Realität der Außenwelt, aus der die Reize kommen, unvermeidlich machen. Diese behaviouristische Beschreibung des Ursprungs der christlichen Kirche erweist aber sofort ihre Untauglichkeit, wo es systematisch darum geht, bei Unterbrechung der Funktionen und Wegfall der auslösenden Reize neue Funktionen zu begründen. Das von Marxsen gelehrte Primat der Funktionen kann ebensowenig, wie Melanchthons „beneficia Christi" die Frage nach seinen „Naturen" überflüssig macht, die Frage nach dem Seinsgrund dieser Funktionen vermeiden. Auch in dem immanenten Zusammenhang von Marxsens Theorie ist die von ihm aufgestellte Alternative: funktional oder reflexiv, falsch, besonders wenn sie auf dem gemeinsamen Ausgangspunkt: Behauptung des Widerfahrnisses des Sehens ruhen soll. Eine Behauptung ist die Folge eines reflexiven Aktes. Wird sie dem Widerfahrnis vorangestellt, so verliert das Widerfahrnis den Charakter des vor-reflexiven Urdatums, und die Behauptung bringt beide Interpretamente unter das Vorzeichen des Reflexiven. Ein in Marxsens Sinne konsequenter Aufriß wäre: 1. Sehen, 2. Reflektieren, 3. Behaupten. Man kann aber nicht beides haben: das Behaupten und das vorreflexive Sehen. Wenn hier bei den Jüngern nach dem Sehen die Vorstellung „Auferstehung" zwischengeschaltet wird, so ist sie, obwohl Vorstellung, doch Zeugnis von der Freiheit der Zeugen, in denen Vorstellungen ausgelöst werden. Das „Sehen" wird erst verarbeitet, bevor sie sich auf den Weg begeben. Von „Sehen" bis „Sendung" läuft ein Weg, ein Prozeß der Inkubation, in dem die Vorstellung „Auferstehung" ausbricht und (sagen wir es mit der Chronologie der Apostelgeschichte) nach fünfzig Tagen erst die Sendung auslöst. Wie kommt nun nach Marxsen die Vorstellung „Auferstehung" tatsächlich zustande? Auch hier wie bei der Auslösung von Funktionen, die nach dem auslösenden Reiz nicht über die Freiheit der Reflexion zustande kommen, gibt Marxsen eine Antwort, die man nur als deter83

30

Auch die Terminologie entstammt Widerfahrnis löst Funktionen aus. 84

wohl

diesem

kybernetischen

Gebiet:

Das

85

ministisch bezeichnen kann. Die Vorstellung „Auferstehung", von Christus ausgesagt, kommt zustande, weil sie eine vorgegebene Vorstellung ist. Sie ist ein „Sprachmittel", um das Widerfahrnis des Sehens zum Ausdruck zu bringen, „und die Zeugen hatten ja überhaupt keine anderen Sprachmittel als die, die ihnen ihre Tradition zur Verfügung stellte" 8 5 . Wohlverstanden, das gilt nicht nur für den Bedeutungszusammenhang der Vorstellung „Auferstehung", sondern zuerst für die Vorstellung „Auferstehung" selbst. Die ersten Zeugen sind sozusagen selber nicht imstande, aus den beiden Prämissen, daß Jesus gestorben war und jetzt gesehen wird, den freien Schluß zu ziehen, daß er dann wohl auferstanden sein muß. Nicht einmal Paulus ist das. Auf die Frage, wie er dazu kommt, etwas, was ihm selbst nie widerfahren ist (Auferstehung), als Ereignis zu verstehen, dürfte nach Marxsen die Antwort völlig eindeutig sein: Paulus hat, ehe er vor Damaskus Christ und Apostel wurde, von der Behauptung der Christen gehört: Der gekreuzigte Jesus ist auferstanden 86 . Seine eigene Überzeugung, daß Christus auferstanden ist, ist auch das Ergebnis eines Schluß Verfahrens, aber nicht das aus den beiden obengenannten Prämissen. Es läuft erst über die Behauptung der Christen. U n d wiederum bei den Christen ruht die Uberzeugung nicht auf einem eigenen Schlußverfahren, sondern auf vorgegebenen, in diesem Falle apokalyptischen Denkmitteln. „Sieht man nun aber einen Verstorbenen lebendig (aber sah man ihn nach Marxsen lebendig?), dann legt es sich einfach nahe, die Vorstellung aufzunehmen und die (an sich erst erwartete) Auferweckung als für Jesus bereits geschehen auszusagen" 8 7 . So einfach ist das. Leider kann aber diese simplicitas unmöglich das sigillum veri sein. Wie so vieles verwirrt Marxsen — der sich so bestechend geschlossen denkend aufführt, daß auch W. Künneth ihm Gründlichkeit und Scharfsinn nachrühmt 88 — auch hier wieder die Vorstellung der Auferstehung an sich und den Bedeutungshorizont der apokalyptischen Vorstellung „Auferstehung der Toten". In Wirklichkeit stellt sich die Vorstellung „Auferstehung" von alleine ein, ohne daß sie vorgegeben ist, aus den zwei Prämissen T o d und Erscheinung Jesu. Erst in zweiter Instanz, wenn man schon auf die Auferstehung Jesu geschlossen hat, kann unter Umständen in der theologischen Reflexion die Assoziation mit der bekannten (aber nicht determinierenden) Vorstellung „Auferstehung der Toten" vollzogen werden, um von hier aus einen möglichen, aber nicht monopolistischen Bedeutungshorizont zu erschließen. Die systematische Konsequenz seiner Konstruktion des Entstehens der Auferstehungsvorstellung umschreibt der Verfasser wie folgt: Ist sie, die Auferstehungsvorstellung Leitmotiv, so wird Jesus in sie hineingenommen. Wenn man von dieser Vorstellung bestimmt (!) wird, wie soll man es 24 88

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Entscheidung heute, 56

ββ i g

β7 28.

dann das Sehen eines Gekreuzigten anders deuten denn als Folgeereignis einer geschehenen Auferweckung. Das Christliche wäre lediglich eine Modifizierung des Apokalyptischen, und der irdische Jesus sozusagen nur der Vorläufer des Auferstandenen89. Dagegen stellt Marxsen dann die andere, von ihm begrüßte Möglichkeit, wo das Leitmotiv des Deutens des Widerfahrnisses des Sehens Jesus selbst ist 90 . Er war zwar gekreuzigt, wurde dann aber gesehen. Nicht die Auferstehung ist das entscheidende Datum, sondern „Jesus" war das Datum, sein Reden und Tun 91 . Aber audi diese Alternative ist falsch: als ob es gerade bei der Auferstehung nicht um Jesus selbst, um sein Reden und Tun bis ans Kreuz, sondern um eine Vorstellung ginge! Als ob nicht das Grundanliegen von jeder Predigt, die von der Präsenz des erhöhten Herrn ausgeht, ist: Jesus selbst, in seinem Reden und Tun! Nur eben nicht der Jesus selbst, bei dem die an ihn gebundene Ereignung Gottes mit seinem Tode „eigentlich" vorbei war 92 . Nur eben nicht Jesus selbst, der nur ein Exponent der Funktion der Sündenvergebung ist, die die Kirche nun selbst übt 93 , sondern Jesus als der bleibend gegenwärtige Grund der Sündenvergebung, aus dem die Kirche nur schöpfen, den sie aber nicht funktional ersetzen kann. Die Analyse der Genese der Vorstellung „Auferstehung" als „die verbotene Historisierung eines Interpretamentes"94 heißt systematisch, daß dadurch auch die Frage nach Deckung, Garantie und Grund der Sündenvergebung, die die Kirche vollmächtig aussagt, eine verbotene Frage ist. Die Erklärung der Genese dieser Vorstellung, die Marxsen im Unterschied zu Bultmann unternommen hat, ist historisch wie auch phänomenologisch unhaltbar und hilft uns darum nicht aus der Verlegenheit, in der uns Bultmanns Aufsatz gelassen hatte. Man wird sich deshalb noch weiter umsehen müssen. D. Die Uberlieferungsgeschichte der Auferstehung Jesu Christi (Ulrich Wilckens) Wie wir gesehen haben, waren schon bei Hans Grass überlieferungsgeschichtliche Erwägungen mitbestimmend für seine Entscheidung, den letztzugänglichen historischen Ansatzpunkt der Auferstehung Jesu Christi nicht in dem leeren Grab, sondern in den Erscheinungen zu suchen. Auch Marxsens Entwurf war entscheidend überlieferungsgeschichtlich orientiert. Historisch war ja von dem, was der Behauptung des Widerfahrnisses des Sehens zugrunde liegt, nichts zu sagen, um so mehr aber darüber, in welcher Gestalt, mit welchem Interpretament dieses behaup89 92

35 Ebd.

90 93

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91

Ebd. Ebd.

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tete Sehen nun weiter überliefert wurde. Die kritische Besprechung, die wir beiden Entwürfen zuteil werden ließen, betraf sowohl die Art der Durchführung, den Mangel an immanenter Geschlossenheit, als auch die unzureichende Durchdenkung der systematischen Konsequenzen. Noch nichts aber wurde in unserer Diskussion über die Frage, ob und in welchem Sinn „Auferstehung" tatsächlich auch eine Vorstellung ist, entschieden. Es wurde lediglich ausgeführt, daß die Prädizierung der Auferstehung als „Vorstellung" nicht bedeuten kann, daß sie nur Vorstellung sei, d. h. also ausschließlich in der Willkür der Subjektivität des Sich-Vorstellenden95, oder in dem Determinismus der sich einstellenden apokalyptischen Vorstellung beschlossen sein kann. Die Vorstellung muß 1. eine Vorstellung von Etwas, von einer Sache sein, die ihr zugrunde liegt (die aber nicht immer eine Tat-Sache in unserem positivistischen Sinne zu sein braucht), und 2. eine notwendige Beziehung zu dieser Sache aufweisen. Bultmanns Position erfüllte (in der „Bedeutsamkeit des Kreuzes") das erste Postulat, nicht aber das zweite. Marxsen möchte beide Postulate erfüllen, erfüllt aber keines, indem er die Notwendigkeit der Vorstellung „Auferstehung"nicht in eine Sache, sondern in den Determinismus der sich bei dem Widerfahrnis des Sehens einstellenden Assoziation „Auferstehung der Toten" legt. Gelten aber diese beiden Postulate wirklich, so ist trotzdem noch ein großer Spielraum zwischen Sache und Vorstellung vorhanden, und es ist dieser Spielraum, in dem sich die Uber lief erungsgeschichte bewegt, eine Geschichte, die, durch diese Bewegung, zugleich auch Interpretationsgeschichte heißen darf. Die Vorstellungen weisen hin auf die Sache, gehen ihr aber ontisch nie voraus, und die Sache füllt, wenn man sie einmal in den Blick bekommen hat, die Vorstellungen. Nicht aber dieWucht der Vorstellungen, sondern die Macht der Sache ist die treibende Kraft der Uberlieferung, aller echten Überlieferung. Darum vergeudet, wer gegen Vorstellungen kämpft, seine gute Energie genau so sehr, wie andere zu Schanden werden, die alle Einsicht letztlich von der interpretativen Kraft der Vorstellungen erwarten. Wer die Macht der Sache kennt, empfindet die Vorstellungen nicht mehr als Obstakel, die den Zugang zur Sache versperren und die es aufzuräumen gilt, sondern er hat die Freiheit, die Vorstellungen als Zeichen für die Sache zu benutzen96. 9 5 Vgl. E. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden: „. während die Vorstellung ein Sein bei der Sache gerade verstellen kann, sofern nämlich der Vorstellende im Horizont seiner Vorstellungen gefangen bleibt. Vorstellungen sind als solche alles andere als Garantie für Objektivität, sondern vielmehr die objektivierte Form des Subjektivismus". 52, Anm. 149 96 Es gibt deshalb keinen guten Sinn, wenn Hans Grass, o. c. 186, sagt, daß man das leere Grab deshalb nicht als „Zeichen" erwähnen soll, weil es nicht „historisch"

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Diese Bemerkungen seien der Beurteilung eines Entwurfs der Überlieferungsgeschichte der Auferstehung, wie ihn Ulrich Wilckens bereits an verschiedenen Stellen vorgelegt hat, vorangeschickt 97 . Wie wird, nachdem bei Marxsen eine letzte Beziehungslosigkeit von Vorstellung und Sache angetroffen wurde, das Verhältnis von Wilckens bestimmt, und wie bestimmt seine Auffassung über die „Sache" der Vorstellung „Auferstehung" zugleich die Hypothese über den Verlauf der Überlieferungsgeschichte der Auferstehung? Mit Recht gibt sich der Verfasser darüber Rechenschaft 98 , daß die Schwierigkeit seines Unternehmens darin besteht, daß eine Überlieferungsgeschichte der Auferstehungszeugnisse eigentlich nicht aus dem Zusammenhang der urchristlichen Uberlieferungsgeschichte zu isolieren ist. D a s soll doch auch bedeuten, daß es einen festen sachlichen Zusammenhang zwischen Auferstehungsüberlieferung und zentraler Heilsüberlieferung gibt, daß also die Vorstellung „ A u f erstehung" nicht auch noch auf den Wogen der Überlieferung mitschwimmt, wie so manches andere, sondern viel eher, daß die A u f erstehung die K r a f t der Wellen selbst ausmacht. Wie sieht nun das Programm und die Durchführung der Uberlieferungsgeschichte der Auferstehung, wie Wilckens sie im Rahmen unserer Problematik bietet, aus? A m A n f a n g des Aufsatzes in „ D o g m a und Denkstrukturen" (weiter zitiert als „ D o g m a " ) spendet Wilckens von Campenhausen Beifall dafür, daß er nach einer Welle von Form-, Motivund Überlieferungsgeschichte wieder nach dem einfach Geschichtlichen fragen möchte (vgl. oben S. 57). Trotzdem möchte Wilckens selber wiederum eine gewisse Rückkehr zu der überlieferungsgeschichtlichen Forschung unternehmen. Zwar ist die Frage nach dem einfach Geschichtlichen, dem historischen Kern in der T a t die Grundfrage, die die Fragerichtung aller dieser besonderen methodischen Aspekte bestimmt. Man kann aber grundsätzlich nicht geschichtliche Ereignisse aus ihrem Geschehenszusammenhang isoliert, als sie selbst, in den Blick bekommen. Was ist nun der Geschehenszusammenhang der Osterereignisse? Wilckens dehnt mit Recht den Zusammenhang der Auferstehung mit der Anfangsgeschichte des Urchristentums auch auf das Leben Jesu aus. D a z u kommt aber noch als Geschehenszusammenhang „die religiöse Vorstellungsgeschichte, die für die Osterzeugnisse den Horizont ihrer Sprache bildet" 9 9 . ist. D e r Begriff „Zeichen" setzt gerade v o r a u s , d a ß es keine K o i n z i d e n z v o n Zeichen und Sache gibt. W o sie koinzidieren, zeigt die Sache sich selbst. 9 7 E s handelt sich hier, neben A u s f ü h r u n g e n in: O f f e n b a r u n g als Geschichte, 4 2 — 9 0 , vor allem um den A u f s a t z in: D o g m a und Denkstrukturen, Festschrift f ü r E . Sdilink, mit dem T i t e l : D e r U r s p r u n g der Ü b e r l i e f e r u n g der Erscheinungen des A u f e r s t a n d e n e n , hier zitiert als „ D o g m a " , und um den B e i t r a g : D i e Überlieferungsgeschichte der A u f erstehung Jesu, in: F. Viering (Herausg.), D i e Bedeutung der Auferstehungsbotschaft f ü r den G l a u b e n an Jesus Christus, Gütersloh 1966, hier zitiert als „ V i e r i n g " . 9 8 Viering 46 9 9 D o g m a 57

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Damit hat Wilckens aber den Begriff „Geschehenszusammenhang" mit einem heterogenen Element erweitert. Die Vorstellungsgeschichte kann in keiner Weise konstitutiv für die Ereignisse als Ereignis sein. Sie bezieht sich allenfalls auf die Sprache, in der die Ereignisse nachträglich zu Wort kommen. Man muß darum dem Autor widersprechen, wenn er es als Aufgabe nennt, daß gleichzeitig mit der Frage nach der historischen Identifikation der hier bezeugten Ereignisse zwei weitere Fragen zu stellen sind: 1. Welche Funktion in der urchristlichen Kirchengeschichte haben die durch Analyse zu ermittelnden Einzelüberlieferungen ursprünglich gehabt? 2. Welche Vorstellungen sind in der Sprachgestalt der Überlieferung vorausgesetzt? Denn: die vorstellungsgeschichtliche Untersuchung geht entweder der historischen Identifikation voraus, um zu erörtern, wie viel von dem als historisch Behaupteten aufs Konto der Vorstellungsgeschichte geht, oder aber sie folgt, nach der Identifikation, um zu sehen, wieviel von dem Ereignis noch in der Sprachgestalt des Berichtes enthalten ist. Audi in der ersten Aufgabe hat sich, schon kurz nachdem sie als die Erforschung des Geschehenszusammenhanges (Leben Jesu-Urgeschichte des Christentums) bestimmt wurde, von Wilckens unbemerkt, eine Verschiebung eingeschlichen, indem es sich jetzt um die Funktion der Einzelüberlieferung handeln soll. Audi der Begriff „Funktion" gehört nicht in den Geschehenszusammenhang, sondern in den Überlieferungszusammenhang. Fragen nach dem historischen Ursprung der Kirche ist etwas anderes als Fragen nach der Funktion der Uberlieferung dieses Ursprungs. Ist doch die Kirche da, bevor sie überliefert, bevor in ihr Tendenzen und Funktionen, die Lieblingskinder der Formgeschichte, gezeugt werden. Man kann zwar fragen (und wir werden in unserem nächsten Kapitel das auch explizit tun), welche Funktion das Uberliefern des Grundes, des Ursprungs hat. Das ist aber die Frage, warum man überhaupt qua talis weiterleben will. Wildkens Ausführungen ist nun aber zu entnehmen, daß er tatsächlich bei der erweiterten Aufgabe nicht den historischen Geschehenszusammenhang der Auferstehungsereignisse, wie ihn von Campenhausen interessiert, vor Augen hat als vielmehr den historischen Geschehenszusammenhang der Auferstehungsberichte. Dadurch ist, trotz des für von Campenhausen gelüfteten Hütchens, die erweiterte Aufgabe, die Wilckens sich stellt, in beiden Punkten ausschließlich überlieferungsgeschichtlich. Das Ergebnis der überlieferungsgeschichtlichen Untersuchung ist der Rahmen der historischen Frage 100 . Aber dieser Rahmen ist nicht der Ort, von dem aus wir fragen; er ist selber ein ausgearbeitetes theoretisches Produkt. So kann man schon hier die Frage andeuten, die uns in Kap. III weiter beschäftigen wird: Existieren wir, bevor wir in der Kirche selbst existieren, in den Funktionen der Gemeinde, etwa in der Überlieferung, und 100

90

Ebd.

innerhalb einer Sprachgeschichte? Oder ist es gerade umgekehrt? Und wenn ja, ist dann auch die Frage nach dem Geschehenszusammenhang selbst, nach dem Grund, dem Ursprung unseres Existierens in der Gemeinde nicht primär vor der Frage nach Sprache und Funktionen? Soll nicht diese Frage den Rahmen abgeben für alles andere Fragen nach Sprache und Funktionen? Als Ergebnis der Untersuchung nach dem Ort der Uberlieferung der Erscheinungen heißt es 101 , daß die Erwähnung der Erscheinungen zu den Stoffen der Erstüberlieferung gehört, nicht aber unmittelbar zum Kerygma der Auferstehung. Die Erscheinungen dienen mehr als Beleg des letzteren, aber auch das nicht ursprünglich: ursprünglich sind sie Legitimationsformeln zur Begründung besonderer Autorität bestimmter Gemeindeführer. Sie setzen die Auferweckung voraus, erweisen sie nicht. Erst in der Mission verlagern sich die Gewichte, so daß die gleiche Formel nicht so sehr den Verkündiger als die Verkündigung zu legitimieren hatte. Als ob die Legitimierung der Verkündiger nicht letztlich auf die von ihnen gebrachte Verkündigung zielt. Jede Trennung der beiden Motive ist hier künstlich. Wenn die Erkenntnis dieses Geschehens, sc. der Auferweckung, das Ziel der Erscheinung Jesu ist 102 , also für die Jünger eine noetische, eine Offenbarungsfunktion hatte, kann das Motiv und die Funktion der Überlieferung der Erscheinung davon doch nicht grundsätzlich verschieden sein. In allem, was sie überliefert, überliefert doch die Gemeinde primär ihren eigenen Grund mit, noch bevor sie diesen Grund in bestimmten Situationen, mit bestimmten Zwecken zur Sprache bringt. Nicht, ob es bei der Überlieferung des Grundes vielleicht menschlich allzu menschlich zugeht, interessiert uns jetzt, sondern nur, ob der Grund selber menschlich ist oder aber aus Gott. Gewiß ist Wilckens der letzten Ansicht. „Das Ereignetsein der Auferweckung Jesu von Nazareth durch Gottes Tat ist als der Grund des Auferstehungskerygmas und alles Christseins in der Kirche zu beurteilen" 103 . Dieses Ereignetsein wird aber nicht weiter thematisch: Thema ist vielmehr der „geschichtliche Charakter, und damit die notwendige Wandelbarkeit aller theologischen Aussagen" 1 0 4 . Im Zusammenhang mit unserer historischen Frage nach der Auferstehung Christi jedoch ist die Frage nach der Überlieferungsgeschichte dieser Auferstehung eigentlich allein interessant, insofern mit der jeweiligen frühesten Front und dem frühestem Sitz im Leben auch der primäre Grund und Inhalt der Uberlieferung selbst zur Sprache kommt, also die Frage nach der Konstanz des Tradendum innerhalb der Bewegung des Interpretandum. Wie verhalten sich diese beiden in der Sicht von Wil101 104

Dogma 75 Ebd. 95

102

Viering 55

103

Dogma 56, Anm. 1

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ckens? Inwiefern ist das Prinzip der Uberlieferungsgeschichte zugleich ihr Principium, ihr Anfang? Um darin Wilckens richtig zu verstehen, müssen wir sehen, daß bei ihm die Traditionsgeschichte der Auferstehung Christi nicht mit der Auferstehung ihren absoluten Anfang hat, sondern selber wiederum in einem breiteren überlieferungsgeschichtlichen Kontext steht, der nach rückwärts auch das Alte Testament und besonders die jüdische Apokalyptik umfaßt. Weil es aber noch keine brauchbare Form- und Traditionsgeschichte der apokalyptischen Vorstellungen gibt, können alle Bemerkungen, die hier gemacht werden, nur ganz vorläufig sein, sagt Wilckens105. Das schließt aber nicht aus, daß wir den grundsätzlichen Gebrauch, den Wilckens von der Apokalyptik machen möchte, der Intention nach schon beurteilen können. Wilckens bringt das jüdische apokalyptische Material im Zusammenhang mit der historischen Frage zur Sprache, wie es sich eigentlich erklären läßt, daß die Erscheinungswiderfahrnisse am Anfang bei Petrus und den Zwölfen überhaupt zu der Gewißheit geführt haben, daß Jesus auferstanden sei 106 . Die Erscheinungen waren doch das einzige (!) Mittel: woran lag es dann, daß diese (geringen?) Widerfahrnisse eine solche Wirkung hatten? Wilckens pflichtet hier Marxsen bei, indem er sagt, daß es methodisch unzulässig sei, diese Frage dem Historiker abzuschneiden, um sie für eine reine Glaubenserkenntnis zu reservieren. Die Regel der Analogie alles Geschehens sei zwar nicht allbeherrschend, aber gänzlich Kontingentes gebe es nirgends in der Geschichte, und das gelte auch für die Erscheinungen des Auferstandenen. Was ist die Ermöglichung dieser weitgreifenden Wirkung der Erscheinungen? Die Ermöglichung liegt nach Wilckens in drei Voraussetzungen. Die erste, die uns an dieser Stelle noch nicht zu interessieren braucht, ist die konkrete gemeinsame Geschichte der Jünger mit dem irdischen Jesus 107 . Die zweite Voraussetzung aber dafür, daß die Jünger auf Grund von Jesu Erscheinungen sagen konnten: Jesus ist auf erweckt worden, ist die Tradition jüdischer Auferstehungserwartung 108 . Man kann deshalb, sehr formal, mit Marxsen sagen: „Die Aussage: J e s u s ist auferstanden', ist ein ,Interpretament\ Die in das Erscheinungswiderfahrnis mitgebrachte jüdische Auferstehungserwartung interpretierte' ihnen, was sie in der Erscheinung sahen. Nur muß man dann auch sehen, daß dieses Interpretament: ,Auferweckt von den Toten', nicht beliebig gewählt war, sondern im Rahmen der überkommenen jüdischen Enderwartung der betroffenen Jünger dem Geschehen an Jesus selbst entsprach, dessen Erkenntnis das Widerfahrnis der Erscheinung des Auferstandenen für ihr Verständnis galt" 1 0 9 . Dazu ist folgendes zu bemerken: Erstens ist durch diese Auskunft die 105 107

92

Dogma 86, Anm. 72 Viering 51

106 108

Viering 54

Dogma 89 f., Viering 51 f. 1 0 9 Viering 55

Frage nach Ermöglichung dieser Interpretation der Erscheinungen nicht gelöst, sondern nur in ein weiter zurückliegendes Stadium zurückgespielt. Dort bleibt die Frage: wie kommen denn die jüdischen Apokalyptiker zu dieser Vorstellung? Wenn es nicht aus freier Bildung ist, muß die Vorstellung eine Beziehung zu irgendeiner Sache haben, aber zu welcher Sache? Eigentlich müßte diese Sache dann die gleiche Qualität haben wie die, die bei den Erscheinungen Jesu diese Interpretation „Auferstehung" hervorruft. Erst wenn es gelänge, diese Qualität zu formulieren, wäre ein Vergleich mit der Weise, in der die Erscheinungen zur Sprache kamen, interessant. Zweitens: Wenn ein Toter wiedererscheint, wird das — wenn anders die Erscheinung wirklich ist, was Wilckens annimmt — aus eigenem Recht und Inhalt als Auferstehung geglaubt und nicht erst dadurch, daß eine vorgegebene Vorstellung bereitliegt. Das ist noch keine „Glaubenserkenntnis", wie Wilckens und Marxsen vermuten, keine metabasis eis alio genos. Der Zusammenhang bleibt völlig historisch und bedarf für den Schluß auf „Auferstehung" einer überlieferungsgeschichtlichen Erklärung überhaupt nicht. Es war ja jemand gestorben und, wenn dieser erscheint, bedeutet das, daß er auferstanden ist. Diese Deutung ist keine Glaubenssache, sondern — wir sagten das schon bei der Besprechung von Marxsen — ein Schluß aus zwei Prämissen. Die Konzession, die Wilckens Marxsen hier macht, indem er formal von Interpretament wohl reden will, wird für Marxsen ohne Bedeutung sein. Denn es gibt zwei Arten der Interpretamente: Die, die aus den Folgen (c. q. Erscheinungen) auf die richtige Ursache (Auferstehung) schließen, ohne die selbständige und vorrangige Wirklichkeit der Ursache zu bestreiten; das Interpretament trifft dann das Faktum genau so, wie es, vom Faktum aus gesehen, das einzige angemessene Interpretament ist. Daneben gibt es Interpretamente (und solche meint wohl Marxsen), die nur Interpretamente sind und später liegen als die Tatsache (Erscheinung), die sie interpretieren. Im letzten Falle wäre man bei den Erscheinungen nicht bereit, von „Folge" zu sprechen, der die Auferstehung als Ursache zugrunde liegt. Sondern umgekehrt: das Interpretament „Auferstehung" wäre die Folge der Ursache „Erscheinung", die darin nicht weiter reduzierbare Ur-Saclie bleibt. Glaubenssache, Deutung, ist viel mehr das, was Wilckens hier als alttestamentlichen und apokalyptischen Erwartungshorizont zur Interpretation der Tatsache der Auferstehung ins Feld führt. Diese Deutung ist nicht notwendig, wenn man sie auch nicht prinzipiell zu bestreiten braucht. Aber gerade ihre letzte Nicht-Notwendigkeit für die Vorstellung „Auferstehung" an sich ist eine Indikation dafür, daß sie sich nicht auf Grund des Klanges und ein paar weiteren Assoziationen totalitär als zwingender Deutungszusammenhang in den Vordergrund schieben sollte. 93

Die letzte Voraussetzung für die Vorstellungen, die die ältesten Träger der Erscheinungsüberlieferung mit den von ihnen bezeugten Erscheinungen des Auferstandenen verbanden, ist, nach Wilckens, die Frage warum und inwiefern gerade durch die Erscheinung Jesu als solche die Erkenntnis seiner Auferweckung gewonnen worden ist. Nicht nur die Interpretation mit Mitteln der alttestamentlichen Erwartung, sondern auch das Widerfahrnis selbst und als solches habe eine gewisse Autorität gehabt, indem es die Funktion hatte, die Erkenntnis der Auferweckung zu vermitteln. Wer mit unserem zweiten Punkt auch hier antworten möchte: die Autorität war wohl keine andere als die der zwingenden K r a f t des logischen Schlußverfahrens, wird durch Wilckens von solchen Selbstverständlichkeiten zurückgeholt. Man soll sich nämlich klar machen, daß Auferweckung von den Toten als ein endzeitlich erwarteter Akt Gottes verstanden worden ist: die Jünger sahen im Blick auf den auferweckten Jesus endzeitliche Wirklichkeit 110 . Petrus und die Zwölf sahen Jesus in seiner endzeitlichen Lebensgestalt, und sie konnten das Geschehen in diesem Sinne auffassen, nicht nur (freilich in erster Linie), weil es Jesus war, den sie sahen, sondern auch, weil die Form solcher Art widerfahrenen Sehens, von der apokalyptischen Uberlieferung des umgebenden Judentums her, als Widerfahrnis der von Gott eröffneten endzeitlich verborgenen Wirklichkeit ihnen bekannt und vertraut war, nicht aus eigener, wohl aber aus überlieferter Erfahrung. Auch die Kenntnis dieser Form hat zu der Eindeutigkeit beigetragen, in der die Jünger das von ihnen Gesehene und seine Bedeutung erkannt und diese Erkenntnis weiter verkündigt haben 111 . Machen wir uns klar, was das bedeutet. Alles, was die Offenbarung noch bringen könnte, war den Jüngern schon bekannt. In einer Offenbarungsmächtigkeit gelang es ihnen, die Erscheinung Jesu, die offenbar ihre Bedeutung nicht in sich trug, eindeutig als Auferstehungswirklichkeit zu identifizieren, auf Grund von überlieferter (nicht eigener) Erfahrung. Ebensowenig als bei Bultmann, der den Bedeutungszusammenhang aus der Frage an die gläubige Existenz aufkommen läßt, bekommt bei Wilckens das Erscheinungsereignis selbst Gelegenheit, sich zu interpretieren. Die Jünger wissen sofort: „das ist endzeitliche Lebensgestalt", was immer sie und Wilckens sich dabei auch vorstellen mögen. Aber trotz dieses besonderen Vermögens der Wiedererkennung sind nicht die Jünger die eigentlichen, autorisierten, bevollmächtigten Deuter oder Offenbarungsempfänger. Die eigentlichen Offenbarungsempfänger sind die anonymen jüdischen Apokalyptiker, die zum erstenmal die Vorstellung „endzeitliche Lebensgestalt" sich vorgestellt und ausschließlich als solche überliefert haben. Insofern ist die Konstruktion von Wilckens das Umgekehrte von Bultmanns Konstruktion: geht bei Bultmann eine nackte 110

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Viering 56

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Viering 57

Tatsache (Kreuz) voraus, um nachträglich seine Bedeutsamkeit zu erlangen, so liegt bei Wilckens schon im voraus ein ganzes Bündel Kleider bereit, um die nackte Tatsache (hier: der Auferstehung), wenn sie einmal geboren wird, sofort zu kleiden. Es fehlt nur noch die Tatsache, um die Sache vollständig zu machen. Im nächsten Kapitel werden wir versuchen, die Wahrheitsmomente dieser beiden Positionen richtig zu honorieren: die vorausgehende Deutung und die nachfolgende deutende Aneignung. Das wird aber nur in einem viel strengeren Bezug auf die Sache, die zwischen dem Leben Jesu und dem Anfang der Kirche in der Mitte liegt, geschehen können. Wir erinnern uns, daß wir mit der Frage an Wilckens herangegangen sind, die wir bei Marxsen nicht befriedigend beantwortet fanden, nämlich: welche notwendige Verbindung von der Sache her (und nicht von dem Zwang der Assoziationsmechanismen her) eigentlich zwischen dem Widerfahrnis der Erscheinungen und der Vorstellung „Auferstehung" gedacht werden müsse, damit diese Vorstellung nicht einfach unbegründet in der Luft hänge und deshalb auch beliebig von anderen Vorstellungen und Aussagestrukturen ersetzt werden könne. Die Antwort, die wir bei Wilckens fanden, gründet also die Vorstellung „Auferstehung" sowohl wiederum, wie bei Marxsen, in einer weiter zurückliegenden Vorstellung der jüdischen Apokalyptik als auch in einer Wirklichkeit, die diesem Interpretament entspricht. Wir haben nun auf den verwirrenden Gebrauch, den Wilckens von dem Begriff „Interpretament" macht, hingewiesen, wodurch nicht klar wird, was Wilckens eigentliches Anliegen ist: entweder einen Bedeutungshorizont für die Interpretation einer Tatsache (Auferstehung) oder den inneren historischen Grund zu finden, durch den eine andere Tatsache (Erscheinung) als Auferstehung ausgesagt werden kann. Das letzte ist im Zusammenhang dieses Kapitels unsere Frage. Wilckens aber beantwortet faktisch nur die erste Frage. Fallen bei Marxsen Uberlieferungsgeschichte (bereitliegende Vorstellung) und Geschichte in dem Sinn zusammen, daß Momente der Uberlieferungsgeschichte die Geschichte konstituieren, so möchte zwar Wilckens die Uberlieferungsgeschichte nur den Rahmen für die geschichtliche Frage sein lassen, und er wehrt sich 112 gegen Mißdeutungen, die ihm unterschieben könnten, daß nach ihm die Auferstehung Christi aus frühjüdischer Tradition etwa „ableitbar" sei. Diese Mißdeutung beruhe auf einem ungeschichtlichen Verständnis von Überlieferungsgeschichte, in der sich gerade viele kontingente Ereignisse bemerkbar machen. Aber isoliert kontingentes Geschehen gebe es in der Geschichte auch nicht. Trotzdem muß man sagen, daß Wilckens faktisch doch über dieses Programm hinausgeht. Denn der überlieferungsgeschichtliche Rahmen überschreitet schon, indem er kon112

Dogma 88, Anm. 80

95

struiert wird, seine erklärte Funktion, und der Bedeutungszusammenhang der Vorstellung Auferstehung entscheidet mit über die Seinsfrage: wie kam es, daß sie das Widerfahrnis des Sehens als Auferstehung aussagten? Die Uberlieferungsgeschichte möchte der Geschichte so sehr ihre Liebe bezeugen, daß sie die Geschichte in ihrer Umarmung fast zerdrückt, und dem nächstliegenden historischen Beziehungspunkt der Erscheinung, nämlich dem Tod Jesu, keine Gelegenheit gibt, zur Sprache zu kommen. Nach Wilckens haben die erfahrene Tatsache der Auferweckung Jesu vom Tode und die Vorstellung des im Himmel als Heilsmittler befindlichen Menschensohnes sich hier von Anfang an „aufs innigste verschmolzen"; erst in dieser Verschmelzung wird das Charakteristische am urchristlichen Kerygma sichtbar. Diese Verschmelzung wurde mit ermöglicht durch die in der Tradition bereitliegende Vorstellung der Erhöhung Henochs zum Menschensohn113. Freilich gibt es auch Neues dieser Tradition Henochs gegenüber: es handelt sich bei Jesus um eine Erhöhung aus dem Tode, d. h. aber um seine Auferweckung. Damit war dies Ereignis als unmittelbar selbst eschatologisches Ereignis offenbar114. Das bedeutet nun aber wieder keineswegs bei Wilckens, daß damit etwas über den Tod Christi offenbar ist: offenbar wird darin allenfalls etwas über die Verkündigung des historischen Jesus, der den Anspruch erhoben hat, in seinem Verhältnis zu seinen Jüngern das künftige Heilsverhältnis des himmlischen Menschensohnes zu den auserwählten Gerechten als seinen Jüngern letztgültig zu präjudizieren115. Tod und Auferstehung dagegen sind in dem frühesten Kerygma „relativ unverbunden"116. Die Auferstehungsaussage trägt sogar für sich allein die Heilsaussage. (1. Kor. 15, 17. Hier würde man die Beziehung auf die Sühnekraft des Todes Christi vermissen, wenn Vers 3 und 4 eine organisch geprägte Einheit wäre!) Paulus zitiert nach Wilckens die Aussage über den Sühnetod Christi, 1. Kor. 15, 3 (eine Aussage, die Wilckens Exegese von 1. Kor. 15, 17 widerspricht), offenbar nur deshalb, weil sie zum ganzen der missionarischen Erstüberlieferung wohl wesentlich dazu gehört, jedoch in einem besonderen Zusammenhang, nämlich der Abendmahlsüberlieferung. Dort jedenfalls hat die Aussage über die Sühnekraft des Todes Christi ,für uns' „ihren festen Ort". Diese Vermutung bedarf aber noch einer umfassenderen Behandlung und Begründung, gibt Wilckens zu. Wir können darauf wirklich gespannt sein. Denn welch eine Konstruktion liegt jetzt vor uns! Alle sonstigen möglichen und unmöglichen Vorstellungszusammenhänge, auch die weitliegendsten, dürfen, wenn auch modifiziert, zur Deutung der Auferstehung Christi herangezogen werden, nur nicht der Tod Christi und dessen Sühnekraft. Ob die Heilsaussage, die Sündenvergebung (1. Kor. 15, 17), die mit der Auferstehung verbunden wird, überhaupt davon gesondert gedacht werden 113

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Dogma 92

111

Ebd.

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Ebd., Anm. 85

" e Dogma 74

kann, ob Sündenvergebung ohne Sühnetod überhaupt möglich ist, das erwägt Wilckens nicht. Jeder innere, phänomenologische, theologische Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung muß dem allgemeinen Horizont von „Vorstellungen" weichen. Wie der Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Auferstehung wesentlich ist, das möchte Wilckens nicht weiterverfolgen 117 . Erst von der Auferstehung her kann über die Heilsbedeutung von Jesu Tod gesprochen werden. Aber, so fragen wir, trägt nicht das Opfer des Todes die Auferstehung (Phil. 2, 8 f.)? Als ob nicht, bevor über die Heilsbedeutung des Todes gesprochen werden kann, dieser Tod erst das Heil sein müsse. Warum eigentlich kann Wilckens nicht zu einer klaren und überzeugenden Verhältnisbestimmung von Kontingenz und Überlieferungsgeschichte gelangen? Daß innerhalb der Uberlieferungsgeschichte kontingente Ereignisse diese Geschichte nachher mitbestimmen, ist klar. Aber das heißt nicht, daß das Verhältnis umkehrbar ist und umgekehrt die Uberlieferungsgeschichte die Ereignisse mitbestimmt. Die Verkündigung der Auferweckung Jesu war ein Novum, führt Wilckens aus, um anschließend festzustellen: „Aber isoliert kontingentes Geschehen gibt es in der Geschichte nicht. Wo solches in neuerer Zeit in der theologischen Diskussion in Blick auf die Auferweckung Jesu behauptet worden ist, da handelt es sich um eine moderne theologische Idee, die mit der Geschichtlichkeit der Auferweckung Jesu als solcher nichts zu tun haben will und kann: ein bloßes ,Daß' (Bultmann) ist kein geschichtliches Ereignis" 118 . Nur: Bultmann hat das „Daß" nicht von der Auferstehung ausgesagt, sondern von dem Gekommensein Jesu. Bultmann hat nicht die Kontingenz der Auferstehung gelehrt. Bultmann hat, im Gegenteil, wenigstens formal die Beziehung des Auferstehungsglaubens auf das Kreuz unterstrichen. Nicht, daß er nicht genügend auf die Uberlieferungsgeschichte und religiöse Vorstellungsgeschichte geachtet hat, ist Bultmann vorzuwerfen, sondern daß er nicht genügend auf die Geschichte, das heißt auf das wirkliche Kreuz als ein Kreuz in Israel geachtet hat (vgl. oben S. 43). Das aber ist in noch viel stärkerem Maße Wilckens vorzuwerfen. Die Alternative zu Bultmanns Geschichtlichkeit der Existenz ist nicht die Geschichtlichkeit der Vorstellungen, die in der Uberlieferungsgeschichte eingebettet sind. Dadurch bleiben die Vorstellungen letztlich nämlich bei Wilckens genau so wenig notwendig wie bei Bultmann. Die Spannung zwischen Kontingenz und Uberlieferungsgeschichte kann, insofern sie auf die Auslegung der Auferstehung Christi bezogen ist, nur dadurch gelöst werden, daß wir zu der Einsicht kommen, daß nicht so sehr die Auferweckung eine Vorstellung in Israel, als viel mehr, daß das Kreuz eine Tat in Israel gewesen ist. Es war die Tat Israels, mit einem 117

Dogma 90, A n m . 82

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D o g m a 88, A n m . 80

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Geense, Auferstehung

Kopf voller Vorstellungen und apokalyptischer Erwartungen, Jesus an das Kreuz zu bringen. Und da kann man schon fragen, was mehr zählt: die Überlieferungsgeschichte der Vorstellungen oder die wirkliche Geschichte der Taten. Mit der allgemeinen Feststellung, daß es wirklich Kontingentes in der Geschichte nicht gebe, kommen wir hier keinen einzigen Schritt weiter. Dagegen gibt es für die „Kontingenz" der Auferstehung einen zwingenden Grund. Er liegt in dem eph'bapax, in dem „ein für allemal", in dem Christus diese Tat Israels als Opfer auf sich nimmt und stellvertretend für Israel dessen Taten trägt, die doch aus so vielen gutgemeinten Vorstellungen geboren worden waren. Christi Auferstehung sagt, daß Gott mit uns nicht nach unseren Vorstellungen, sondern nach unseren Taten handelt: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk. 23, 34). Darum kann keiner, an welcher noch so frühen Stufe der Uberlieferung auch immer, die Auferstehung „isoliert" aussagen, ohne das stellvertretende Werk zu predigen. Denn wer die Auferweckung isoliert vom Kreuz aussagen will, hat nichts, wovon er sagen kann, daß es die Qualität hat, die die Auferweckung verdient. Unsere Vorstellungen haben wohl am wenigsten die Qualität, bestätigt zu werden. Nicht nach einer Vorstellung, sondern nach einer Person und nach einem Werk, nicht nach Uberlieferungsgeschichte, sondern nach Geschichte fragen wir also, wenn wir nach der Auferstehung fragen. Diese Geschichte ist das Kreuz.

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KAPITEL

III

Der Ort der historischen Frage nach der Auferstehung Christi Ubersehen wir unseren bisherigen Weg, so finden wir ( K a p . I) als Folie f ü r die Darstellung der weiteren Entwicklung den Einstieg f ü r unsere Untersuchung in den A n f ä n g e n der dialektischen Theologie. Sie kennzeichnete sich durch die scharfe Absage an alle historische Vermittlung der Auferstehung, eine Absage, die die Kehrseite der positiven Bestimmung der Auferstehung als die Offenbarung kat'exochen, als O f f e n b a rung, die unsere Existenz trifft und betrifft, darstellte. D i e in unserem ersten K a p i t e l weiter beschriebene Bestimmung der Auferstehung Christi als ein Ausdruck f ü r die Bedeutsamkeit des Kreuzes, die durch Bultmann in einem späteren S t a d i u m gelehrt wurde, war, unter anderem, auch ein Versuch, den gemeinsamen A u s g a n g s p u n k t des A n f a n g s beizubehalten, audi dort, w o die theologische Entwicklung Barths inzwischen zu neuen Wegen aufgebrochen w a r . Auch abgesehen von der eigenen Entwicklung in der Theologie Barths konnte die Reaktion auf die Potenzierung des Unhistorischen nicht ausbleiben. Wurden audi die darin wirksamen M o t i v e der Sicherung der Nicht-Gegenständlichkeit, der U n v e r f ü g b a r keit, mithin der Freiheit Gottes, weitgehend anerkannt, so gab die Reflexion über die Offenbarung, die sich in ihrer historischen A u ß e n f o r m als Entstehen der Kirche, der mündlichen und schriftlichen Tradition und der Verkündigung niederschlug, so viele Fragen auf, daß m a n meinte, dem G r u n d der Kirche nicht anders als im Hindurchzug durch die historischen und exegetischen Probleme, die sich v o m A n f a n g der Kirche her stellten, näher kommen zu können. Einigen typischen Gestalten der neuen historischen F r a g e nach der Auferstehung Christi sind wir in unserem zweiten K a p i t e l nachgegangen. Wir sind diese Wege mitgegangen, geleitet von der Frage, ob nicht vielleicht doch eine Verheißung auf diesem Wege liegt: wenn die Sache, um die es in der Auferstehung Christi geht, die historische Vermittlung stiftet, so muß diese Vermittlung auch an der Sache Anteil haben. G i b t es also einen Weg über die Geschichte zu dieser einzigartigen Sache? Vier Wege, die sich alle als historische Bemühungen verstanden wissen möchten, die sich aber in ihrem Ergebnis so voneinander unterscheiden, d a ß sie als typische Modelle gelten können, sind wir mitgegangen. Unsere Absicht bei diesem Mitgehen w a r nicht, alle Einzelglieder der Kette der Beweisführung zu überprüfen oder durch andere zu ergänzen. D a m i t 99 7*

wären nur die zahlreichen Bemühungen auf diesem Gebiet um einen weiteren Rekonstruktionsvorschlag vermehrt, bei dem sich, mutatis mutandis, am Ende genau die gleichen Aporien herauskristallisiert hätten wie die, die bei den vier gewählten Repräsentanten der historischen Frage zutage gekommen sind. Wir haben nach der Regel: in dubiis pro reo den Autoren, so gut es ging, in ihren historischen Bemühungen das Maximale, was sie ihrer eigenen Ansicht nach erreicht haben, hypothetisch konzediert. Was aber war erreicht? Wenn es hoch kommt: ein leeres Grab, aber ein leeres Grab, das in unserem historischen Fragezusammenhang genau so wenig vor Zweideutigkeit geschützt ist als in der ersten Ostergeschichte, wo der angelus interpres das Eigentliche sagen mußte, das also dort, wo es dem intendierten historischen Ereignis am nächsten zu kommen scheint, nicht ohne die Hilfe des nicht mehr forschenden, sondern im Namen Gottes verkündigenden Predigers auskommt. Oder, wenn es nicht so hoch kommt, Visionen. Nur: Visionen, die genau so wenig vor Zweifeln geschützt sind, als sie es dort waren, wo sie nach der biblischen Erzählung zum erstenmal im Freundeskreis erzählt wurden (Joh. 20,25), Visionen also, die nur im Glauben eindeutig werden und im Glauben zugleich ihre Beweiskraft verlieren (Joh. 20, 29). Oder wir haben eigentlich nichts gefunden, nichts weiteres als die Behauptung eines Sehens und die Folgen dieser Behauptung, die selbst letztlich nur eine Folge davon ist, daß es Kerygma nach Karfreitag gab 1 — das aber wußten wir schon, bevor wir den Weg antraten. Wir haben schließlich Menschen und Gemeinden am Werk gesehen beim Überliefern, bei der Interpretation, aber die letzten Motive, warum sie gerade jetzt weiter überlieferten und interpretierten, fanden wir nicht, weil sie ja nicht nur in den Vorstellungen liegen konnten, die ihnen nachgesagt wurden und weil die Erscheinungen als das einzige auslösende Mittel (vgl. oben S. 92) unter der gleichen historischen Unbestimmbarkeit liegen, die wir Grass vorgerechnet haben. An keiner Stelle also ist es gelungen, eine überzeugende und lückenlose, rein historische Rekonstruktion der Ereignisse von Karfreitag bis zum Anfang der Gemeinde zu geben. Das gemeinsame Ergebnis dieser vier sehr verschiedenen Positionen besteht also eigentlich nur in einer Konstante der Verlegenheit, mehr oder weniger gut verdeckt. Es scheint zwar so zu sein, als ob bei jedem weiteren zurückliegenden Ergebnis der historischen Frage, beginnend bei dem leeren Grab über die Erscheinungen bis zum Entstehen des Osterglaubens, nicht nur die optische Chronologie der evangelischen Auferstehungsberichte maßgebend war, sondern zugleich auch ein entsprechend geringeres Maß an Materialität des Auferstehungsereignisses. Dieser jeweils geringeren Materialität, Objek1

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Marxsen, a. a. O. 30

tivität oder Gegenständlichkeit schien dann ein proportional umgekehrtes Maß an historischer Verständlichkeit zu entsprechen. Trotzdem hatte jeder dieser möglichen Einsatzpunkte seine eigene spezifische Schwierigkeit. Es stellte sich heraus, daß die historische Verständlichkeit nie formal auf eines dieser drei Ergebnisse, seien sie nun mehr oder weniger „mythologisch" oder materiell, bezogen werden konnte. Was bedeutet dieser Tatbestand? Und welche systematischen Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Das ist das Thema unseres dritten Kapitels. Es könnte natürlich sein, daß die Verlegenheit nur einen Antrieb zu noch höherer und differenzierterer Anstrengung bedeuten würde: weiter zu forschen, bis die Einheit eines historischen Konsensus erreicht sein würde und von dort aus die Übereinstimmung mit dem kirchlichen Bekenntnis oder die Ablehnung desselben ausgesprochen werden könnte. Bei negativem Ausgang der Untersuchung bliebe dann die Wahl, entweder den Grund der Kirche irgendwo anders als in der Auferstehung Christi zu suchen, oder die Unausgeglichenheit von Glaube und Wissen an diesem O r t einfach hinzunehmen. Alle behandelten Autoren, die die historische Frage zu beantworten unternommen haben, betonen nämlich mit Nachdruck sowohl gegen Barth als Bultmann: „Wir müssen die historische Frage stellen." Es gibt also kein Zurück aus diesem historischen Bewußtsein. Aber die Betätigung dieses Bewußtseins führt immer wieder — von dem Anspruch, das Letzte zu erreichen, aus gesehen — in eine Verlegenheit, „an eine letzte Grenze, die gesehen werden muß" (von Campenhausen). Und das bedeutet letztlich eine methodische Schizophrenie. Denn, so scheint es doch zu sein, im „Glauben" wissen wir mehr von der Auferstehung als im historischen „Wissen". Wenn Marxsen dagegen protestiert, so vermag er das nur deshalb, weil er zuvor die Auferstehung als die Historisierung eines Interpretamentes eliminiert hat. Aber der Ursprung des behaupteten „Sehens" bleibt bei ihm ungeklärt: er geht also auch in einem „Glauben" davon aus. In der Position von Campenhausens wirkt sich diese methodische Gespaltenheit am wenigsten aus, und zwar dadurch, daß daß das s. E. letzterreichbare historische Datum, das leere Grab, ohne Bruch an das Urdatum der leiblichen Auferstehung anschließt. Bei Grass wird, wie wir sahen, trotz erklärter Absicht, den Dualismus zu überwinden, dieser gerade in dem Begriff der „objektiven" Vision fixiert. Marxsen überspielt die Verlegenheit, indem er es unterläßt, die Frage nach dem Sein hinter den Funktionen zu stellen, und Wilckens versucht, das historische Problem durch den Einbau der Geschichte in die Überlieferungsgeschichte zu entschärfen. Wie kann man bei dieser Lage der Dinge überhaupt weiterkommen? N u r dadurch, daß man das Ergebnis weiter hinterfragt, und zwar nicht 101

an erster Stelle in Hinblick auf die Art und Weise der Verarbeitung des historischen Materials, sondern vor allem in Hinblick auf die Art des historischen Fragens, das zu diesem und jenem Ergebnis gekommen ist. Ein erster und wichtiger Versuch, bei diesem unausgeglichenen Ergebnis nicht stehenzubleiben, ist, im Rahmen der deutschsprachigen evangelischen Theologie, von Wolfhart Pannenberg unternommen worden 2 . Wenn es die konsequente Handhabung der historischen Methode war, die zu obengenannten Verlegenheiten führte, so ist die Aufgabe zweifach: es ist sowohl das Ergebnis wie auch die Methode des historischen Denkens weiter zu untersuchen. Im Zusammenhang dieses Kapitels interessiert uns nun nicht an erster Stelle, wie Pannenberg die historische Frage neu aufrollt, indem er sich in eine inhaltliche Diskussion des vorhandenen Materials begibt, und die ihn dazu führt, mit von Campenhausen die Historizität des leeren Grabes zu behaupten und die Ausführungen des letzteren noch um einige allgemeine Erwägungen zu ergänzen (ζ. B. daß die Predigt von der Auferstehung Christi sich in Jerusalem keine Stunde hätte halten können, wenn dort das nicht-leere Grab hätte aufgefunden werden können) 3 . Wir haben ja diese Position schon in den Ausführungen über von Campenhausen besprochen und das Ergebnis in unserer Aporie honoriert. Aber bei von Campenhausen war die Entdeckung des leeren Grabes an sich noch nicht die restlose Identifizierung der Auferstehung, dazu bedurfte sie noch des Glaubenssprunges in der Annahme einer leiblichen Auferstehung Christi. Pannenbergs Anliegen ist es nun, der Nötigung zu diesem Glaubenssprung, zur „Erklärung" dieses bei von Campenhausen noch stehengebliebenen Restes, dadurch zu entgehen, daß er seinen Angriff auf die Voraussetzungen der historischen Methode richtet, namentlich auf das Prinzip der Analogie allen Geschehens. Dieses Prinzip läßt es nicht zu, daß eine nur einmalig bezeugte, wunderbare Sache, wie es das Wieder-lebendig-Werden eines Toten ist, in vollem Sinne historisch heißen darf. Pannenberg versucht nun, die historische Methode zu heiligen, bevor sie an ihr besonderes Objekt herantreten darf, damit auch nicht an irgendeiner Stelle die Geschichte in die Auferstehung, in die Kategorie der Offenbarung, gebracht zu werden braucht, sondern umgekehrt die Auferstehung in der Geschichte ihren Ort finden kann. Diese Heiligung geschieht dadurch, daß die historische Wissenschaft aufgefordert wird, das Vorurteil der notwendigen Anwendung des Prinzips der Analogie alles Geschehens abzulegen. Der Begriff 2 W o l f h a r t Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 1964, hier zitiert als „Grundzüge"; Dogmatische Erwägungen zur Auferstehung Jesu, in: Kerygma und Dogma, 14. Jahrg. H e f t 2, 1 0 5 — 1 1 8 , hier zitiert „KuD". Ein ähnlich gerichteter Versuch veröffentlichte in den Vereinigten Staaten Richard R. Niebuhr: Resurrection and historical reason, 1959, deutsch: Auferstehung und geschichtliches Denken, 1961. 3 Grundzüge 9 7 f., mit Paul Althaus, Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens.

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des Historischen wird dadurch so erweitert, daß u. U. auch ein einmaliges, analogieloses Geschehen als historisch bezeichnet werden darf, wenn dafür nur genügend andere historische Indizien sprechen und es ausreichend bezeugt ist. „Ob vor zweitausend Jahren ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat oder nicht, darüber verschafft nicht etwa der Glaube uns Gewißheit, sondern die historische Forschung, soweit überhaupt Gewißheit über derartige Fragen zu gewinnen ist" 4 . Wer den etwaigen gut belegten positiven Ergebnissen der historischen Forschung zum Thema „Auferstehung" mit Naturgesetzen vor die Füße laufen möchte, sei daran erinnert, daß die Naturwissenschaft heute viel vorsichtiger urteilt und von den dort geltenden Voraussetzungen her auch ein kontigentes, analogieloses Geschehen nicht a priori zu den Unmöglichkeiten gerechnet werden darf 5 . Offenbar hat weder die Naturwissenschaft zur Linken ein negatives Urteil, noch hat der Glaube zur Rechten letztlich ein positives Urteil darüber zu fällen, ob ein Ereignis passiert ist oder nicht. Dafür ist nur die Geschichtswissenschaft zuständig. „Wenn aber die Historie sich für außerstande erklärt festzustellen, was zu Ostern eigentlich' geschehen ist, dann vermag der Glaube das erst recht nicht.. ." 6 . Aber der Historiker erklärt sich nicht außerstande. Pannenberg behauptet die leibliche Auferstehung Jesu aus dem Grabe, allerdings mit nicht weniger als vier Einschränkungen. Und es dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß gerade diese Einschränkungen, würden sie weiter hinterfragt, bei den gleichen oder ähnlichen Verlegenheiten auskommen müssen, in die wir oben (Kap. II) die anderen Historiker geraten sahen. Die ersten zwei Einschränkungen betreffen die Tatsache, daß die Historizität der Auferstehung nur bei Berücksichtigung der Überlieferungsgeschichte sinnvoll ausgesagt werden kann. „In diesem Sinn wäre die Auferwedkung Jesu als ein historisches Ereignis zu bezeichnen: Wenn die Entstehung des Urchristentums . . . nur verständlich wird, wenn man es im Lichte der eschatologischen Hoffnung einer Auferstehung von den Toten betrachtet. . ., auch wenn wir nichts Näheres darüber wissen"7. Die Bedenken, die wir oben zu Wilckens' Position angeführt haben (S. 92 f.), gelten audi hier. Die dritte Einschränkung fanden wir schon in dem oben zitierten: „soweit überhaupt Gewißheit über derartige Fragen zu gewinnen ist" Wie breit ist hier der Spielraum des „soweit"? Wenn er auch nur ganz klein ist, so reicht er doch für die systematische Betrachtung aus, um hier keine lückenlose historische Beweisführung anzuerkennen. Die letzte Einschränkung findet sich in der Besprechung des Verhältnisses der Grabes- und Erscheinungstraditionen, wo nach Pannenberg zwei unabhängige Stränge sich gegenseitig ergänzen. Sie machen die Tatsächlichkeit wahrscheinlich „und das heißt in historischen UntersuGrundzüge 96 • Grundzüge 1 0 7 4

5 7

Grundzüge 95 Grundzüge 95, kursiv von uns

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chungen immer: es ist bis auf weiteres vorauszusetzen"8. Betrachten wir diese letzten drei Einschränkungen als implizite Zugeständnisse der Fraglichkeit des historischen Zugangs, so wirken sie verheerend, wenn man bedenkt, daß diese Art eingeschränkter Historizität das Fundament abgeben soll, auf dem der Glaube der Kirche (bis auf weiteres? soweit überhaupt Gewißheit zu gewinnen ist? auch wenn wir nichts Näheres darüber wissen?) zu ruhen hat. In einem späteren Aufsatz9 dokumentiert Pannenberg, gerade in seiner Absicht, den Glauben der Kirche solide in der Geschichte zu verankern, noch deutlicher den unkirchlichen Charakter dieses Fragens, indem er sich einerseits noch stärker als in den „Grundzügen der Christologie" davon Rechenschaft gibt, wie wenig die Behauptung der Historizität der Auferstehung inhaltlich gefüllt werden kann, aber dadurch sich nicht bewegen läßt, diese Behauptung grundsätzlich zu revidieren. Pannenberg erwägt hier10, daß es zu einem historischen Ereignis jedenfalls gehört, daß es in Zeit und Raum stattgefunden habe. Ereignisse aber, die im Raum stattfinden, pflegen eine Fortsetzung in Folgeereignissen zu haben, die ebenfalls im Raum stattfinden, und zwar in einem kontinuierlichen Zusammenhang mit dem Vorhergegangenen. Die Auferstehung Jesu hat aber keine Folgeereignisse im Raum und auch keine unmittelbaren in der Zeit. Schlicht gesagt: der weitere Fortgang des Geschehens, so weit es Jesu selbst betrifft, bleibt unbekannt. Der Feststellung ist kaum zu entgehen, daß er seitdem aus unserer Welt verschwunden ist. Und: „ob das Leben des Auferstandenen tatsächlich unvergänglich ist, muß sich in Zukunft noch zeigen" 11 . Wenn nicht schon früher, so offenbart sich spätestens hier die Spannung, in die eine konsequent historisch arbeitende Theologie gerät, nicht nur im eigenen Inneren (durch das große Gefälle zwischen dem Angestrebten und dem Erreichten), sondern die sie auch innerhalb des Lebensvollzuges der Kirche, von der sie doch eine Funktion sein möchte, aufruft. Von den Ergebnissen der historischen Forschung, wenn anders sie die Basis für ein Programm „Offenbarung als Geschichte" bilden sollen, sollte doch verlangt werden können, daß sie mindestens mit der Gewißheit, aus der die Gemeinde lebt („siehe, ich bin mit euch, alle Tage, bis an der Welt Ende", Mt. 28, 20), konvergieren oder aber daß die Forschung, wenn sie die Abwesenheit des Herrn kostatiert, das unter einem positiven Vorzeichen (ζ. B. Joh. 14,15 f.; 16,7) unternimmt. Mag die Gemeinde auch in vielen Spannungen leben, die sich alle daraus ergeben, daß die Verheißungen des Glaubens oft in einem schroffen Gegensatz zu unserer Wirklichkeit stehen: die Spannung, ob das Leben des Auferstan8 9 10

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Grundzüge 103, kursiv von uns In „Kerygma und Dogma", siehe Anm. 2 K u D 112 f.

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KuD 114

denen tatsächlich unvergänglich ist, die Frage, ob der Auferstandene vielleicht „verschwunden" ist, hat sie nicht vor, sondern hinter sich; sie ist auch durch die Bezeichnung „Leben des Auferstandenen" schon a limine unmöglich. Pannenberg ist in solche Erwägungen über die Abwesenheit des Auferstandenen hineingeraten, weil die Absicht der von ihm unternommenen Taufe des historischen Denkens (nach der Bekehrung von dem Prinzip der Analogie) gerade war, die Auferstehung im Sinne einer Wiederbelebung Jesu aus dem Grabe zu lehren. Aber damit ist das Problem von Ostern nicht wirklich gelöst, sondern nur nach „Himmelfahrt" verlagert. Dort aber ist Pannenberg nicht bereit, das dreistöckige Weltbild zu taufen und den Ort des Auferstandenen genauso „historisch" zu behaupten12. Trotzdem findet in dem erwähnten Aufsatz eine gewisse Aufweichung der Position Pannenbergs statt, die den massiven Charakter der früher behaupteten Historizität durchbricht. Es heißt hier13, daß aus den Ostererscheinungen nur der Schluß möglich ist, daß „lebendig" hier etwas ganz Verschiedenes von dem, was hier auf Erden „Leben" heißt, gewesen sein muß. Das Ereignis stehe damit in einem undurchdringlichen Dunkel vor uns oder auch, wenn man will, in einer ebenso undurchdringlichen Helligkeit, wie sie die Damaskuserscheinung des Paulus gekennzeichnet zu haben scheint. Das sei kein negatives Ergebnis der historischen Frage nach der Auferstehung Christi. Der Historiker hat etwas ganz Positives und theologisch sehr Wichtiges zu sagen: Daß ein Ereignis stattgefunden habe, dessen nähere Beschaffenheit sich seinem Urteil entzieht. Das sei keineswegs nur ein abstraktes „Daß". Mit einer derart kritisch begrenzten, trotz ihrer negativen Form durch die konkrete Bestimmtheit dieser Negation eminent positiven Aussage, hütet die Historie das Mysterium der Auferstehung Jesu 14 . An diesem Ort müßte das Gespräch mit Pannenberg anknüpfen, und das nun Folgende soll auch als ein solches implizites Gespräch verstanden werden. Es ist ein Gespräch, das dort ansetzt, wo nicht die positiven, sondern die negativen Ergebnisse der historischen Frage nach der Auferstehung Christi in ihrem systematisch positiven Charakter bedacht werden wollen. Die „negative Form" der positiven Aussage, von der Pannenberg reden möchte, heißt bei uns das negative Ergebnis, das erst durch den anderen Zusammenhang, in den es gestellt wird, positiv wird. Man kann sagen, daß es systematisch notwendig ist, bei einer historischen Verlegenheit auszukommen, und daß gerade, wo die Verlegenheit vertuscht wird, das Verständnis der Offenbarung als das, was sich in der Geschichte von der Geschichte unterscheidet, gefährdet werden muß. In Unterschied zu Pannenberg meinen wir nun, daß nicht so sehr die Methode als vielmehr der Ort des historischen Fragens nach Aufer12

Vgl. KuD 114 f.

13

KuD 112 f.

14

KuD 113

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stehung geheiligt werden soll. Das heißt, das nicht an erster Stelle die Kategorie der Analogie alles Geschehens mit ihrem negativen Effekt auf die Historizität der Auferstehung Christi abgeschossen werden soll (das impliziert, wie Moltmann15 mit Recht bemerkt hat, noch nicht die Entdeckung einer theologischen Kategorie), als vielmehr, daß unser ganzes historisches Fragen nach der Auferstehung Christi nur dann sinnvoll ist und eine Verheißung hat, wenn wir bedenken, daß wir innerhalb des Bereiches der Offenbarung und der Kirche fragen, das heißt, daß unser Fragen aus der Uberzeugung lebt, daß der Grund, und nicht erst das Ziel unseres Fragens, schon die Auferstehung Christi ist. Die Bestreitung des Prinzips der Analogie, das in unserem Zusammenhang besagt, daß Tote nicht auferweckt werden, hat nämlich historisch kein größeres Ergebnis erzielt als seine Geltung. Die Schlüsse, die aus der Bestreitung der Kategorie der Analogie für die Historizität der Basis des christlichen Glaubens gezogen werden, werden kaum jemanden der Außenstehenden, für die der Beweis geführt werden soll, überzeugen. Und für die Gemeinde, die weiß, daß mit „Leben" des Auferstandenen etwas anderes gemeint ist als biologisches Leben, sind sie überflüssig. Wir können uns wissenschaftlich nicht so aufstellen, wie es die Ketzer 2. Tim. 2, 18 taten, als sie glaubten, daß die Auferstehung bereits geschehen sei; das heißt hier: als ob wir um die Aufhebung des Analogieprinzips historisch wüßten. Anstelle der Eliminierung des Analogieprinzips zugunsten der historisch möglichen Kontingenz, anstelle des Verzichts auf den Vergleich von historischen Einzelphänomenen ist ein anderer Weg möglich. Er besteht darin, daß wir versuchen, das zweite von E. Troeltsch formulierte Prinzip der historischen Wissenschaft: das Prinzip der Korrelation, der durchgehenden Wechselbeziehung allen Geschehens, fruchtbar zu machen. Die historische Identifikation der Auferstehung Christi auf dem Weg des Vergleiches mit anderen ähnlichen historischen Phänomenen ist ausgeschlossen. Dieses Fazit muß zur Kenntnis genommen und ausgehalten werden. Denn damit sind nicht automatisch alle Möglichkeiten, sinnvoll nach diesem Phänomen zu fragen, in Wegfall gekommen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, unter vorläufigem methodischem Verzicht auf die Identifikation der Auferstehung als Ereignis, den Ereigniszusammenhang der Auferstehung näher zu befragen. Wir setzen also in unserem Fragen die historische Bekanntschaft mit einem entweder allgemeinen oder kontigenten Phänomen „Auferstehung" nicht voraus. Man könnte, obwohl das Zeichen der Sache, für die es steht, unangemessen ist, dafür das Zeichen „ X " aus einer mathematischen Gleichung einsetzen. Dieses X nimmt, obwohl in seiner Qualität noch unbestimmt, trotzdem einen 15

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Theologie der Hoffnung, 162

bestimmten Raum in der kausalen Kette ein, die vom Kreuz Jesu zum Anfang der Gemeinde führt. Schon im 19. Jahrhundert meinte F. C. Baur, daß in der geschichtlichen Betrachtung des Christentums auch das Wunder des absoluten Anfangs in den geschichtlichen Zusammenhang einzureihen sei, soweit das überhaupt möglich ist. Baur meint aber, daß dort ein tiefes, undurchdringliches Dunkel liege16. Wir fragen aber, ob es wirklich nötig ist, diesen Sachverhalt historisch so negativ zu formulieren, ob es nicht möglich ist, diese Stelle des Dunkels von ihren beiden Grenzen her zu beleuchten. Das operationelle Kriterium der historischen Frage ist dann nicht Selbständigkeit, die nach Analogien sucht, oder Selbständigkeit, die auf die Suche nach Analogien verzichtet, sondern Bezogenheit und die Fähigkeit eines Ereignisses, andere historische Ereignisse zu interpretieren und in ein klareres Licht zu stellen. Oft weisen die Formulierungen, in denen die historische Forschung die Unerreichbarkeit ihres letzten intendierten Objektes ausdrücken möchte, gerade auf den Ubergangscharakter dieses Geschehens hin. Man spricht von einer „Grenze, die gesehen werden muß" (von Campenhausen), von dem „historischen Rätsel" des Ursprungs der Kirche 17 , von einem „historischen Rand" der Auferstehung18 (bzw. unhistorischem Rand der Geschichte der Kirche). Diese Ausdrücke, die sich noch vermehren ließen, sind, formal gesprochen, Verlegenheitsausdrücke der historischen Forschung. Aber sie sind das nicht ausschließlich. Denn, ist audi die Möglichkeit der Analogie erschöpft und können wir von dort aus nichts über die Leiblichkeit und damit über die Historizität der Auferstehung sagen, so ist die Korrelation es noch nicht. Es mag zwar letztzugängliche Fakten geben, aber es gibt keine letzten Fakten, denn sie würden Fakten ohne Ursache sein19. Nur Gott ist causa sui. Wer deshalb von dem „Rätsel des Anfangs" spricht, betont, auch indem er das Rätsel betont, zugleich den Übergang des Rätselhaften in das nicht mehr Rätselhafte; wer von einem „historischen bzw. unhistorischen Rand" redet, redet von einer Grenze, die sowohl am Bekannten wie am Unbekannten teilhat. So kann man unter Geltung (und nicht unter vorgängiger Eliminierung) des Prinzips der Analogie und damit unter erzwungenem Verzicht auf die analogische Identifizierung der leiblichen Auferstehung noch Folgendes sagen: Vor dem, wo auch immer angesetzten, letztzugänglichen historischen Punkt, rückwärts von unserem Standort aus gesehen, gibt es einen Raum, der zwar inhaltlich noch nicht identifizierbar Nadi Mitteilung bei Grass, a. a. O. 233 L. Goppelt in: Die Kirche und ihre Geschichte, Abt. A : Das Apostolische Zeitalter, A 5 18 Β. Klappert, Diskussion um Kreuz und Auferstehung, 10 19 Vgl. Alan Richardson, History, sacred and profane, 196, in Auseinandersetzung mit G. Bornkamm. 16

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ist, von dem man aber sagen kann, daß er in jedem Fall von der Ursache des Osterglaubens bzw. der Erscheinungen bzw. des leeren Grabes eingenommen wird. Nach dem letztzugänglichen Punkt vom Leben Jesu aus gesehen gibt es ebenfalls einen Raum. Dieser Raum ist nur leer, insofern er sich nicht durch irgend etwas analogisch Bestimmbares füllen läßt. Er ist nicht leer, insofern er zwischen Kreuz und Kirche als Feld, als Raum des Ubergangs gedacht werden muß, um die Korrelation zustande zu bringen. Das Kreuz hätte, im Gegensatz zum Osterglauben, der nicht ohne Ursache gedacht werden kann, sehr wohl ein Faktum ohne historisch relevante Folgen sein können, wie man davon spricht, daß ein Geschichtsabschnitt mit dem Tode dieses oder jenes Menschen beendet wird. Unter Geltung des Prinzips der Analogie käme als Träger der Korrelation nur der Leib des Gekreuzigten in Betracht. In unserem Fragezusammenhang muß dieser Raum des Übergangs nun so beschaffen sein und daher näher so bestimmt werden, daß sowohl diese bestimmten Folgen dabei anschließen, als audi das letzte Faktum vor dem noch zu bestimmenden Raum, über diesen Raum hinweg, auf diese Folgen hinzielt. Das wäre auch dann noch erforderlich, wenn wir zu wissen meinten, was wir sagen, wenn wir „Auferstehung" sagen. Denn der allein mögliche Inhalt dieses vermeintlichen historischen Wissens: die Wiederbelebung des Leichnams Jesu, hätte noch nicht als solcher eine sachlich zwingende Verbindung mit dem letzten historischen Punkt: „Kreuz" zustande gebracht. Denn warum würde der am Kreuz Gestorbene, im Gegensatz zu so vielem endgültigen Tod, die Wiederbelebung verdienen? Und auch die Verbindung mit dem Anfang der Gemeinde wäre bei dieser vermeintlich möglichen Antwort noch nicht zustande gebracht: denn warum würde die Gemeinde sich auf Grund eines Mirakels, eines Geschehens, das sich nicht auch an ihr selbst oder an einem bleibend bei ihr gegenwärtigen Herrn vollzogen hätte, konstituieren? Das Kreuz muß also, sei es als Einzelereignis, sei es als Kulminationspunkt einer Reihe vorangehender Ereignisse, eine solche Bedeutung in sich tragen und aus sich entlassen, daß es, über diesen (vorläufig noch) leeren Raum hinweg, die Konstituierung der Gemeinde ermöglicht. Es muß in oder nach dem Kreuz Jesu ein solcher Tatbestand geschaffen worden sein, daß die Gemeinde darin wohnen kann, wie sie auch tatsächlich sagt, daß sie darin wohnt. Wäre nur isoliert an Jesus etwas geschehen, so bestünde kein ausreichender Grund für die Konstituierung einer neuen Gemeinschaft, einer Gemeinde, die alle Gemeinschaften, in denen man sonst primär lebt wie Familie oder Volk, in den Schatten stellt und relativiert. „Auferstehung" als neues Leben für ein Individuum kann ein solches Zusammentreten nicht veranlassen. Sie wäre nicht auf unsere Existenz bezogen. In dem Versuch, ein Verhältnis zu einem solchen Individuum zu finden, blieben Lessings „garstige breite Graben", 108

nur um ein Wenig schmäler geworden, bestehen, wäre nichts mehr als eine Approximation (wie Kierkegaard zu sagen pflegt) möglich und die volle Koinzidenz der Gleichzeitigkeit nicht zu erreichen. Eine weitere Bestimmung und Füllung des leeren Raumes muß also sein, daß darin die Konstituierung der Gemeinde mitgegeben ist. Auch wenn man, mit der lukanischen Chronologie, die Konstituierung der Gemeinde erst bei „Pfingsten" ansetzt, so ist damit der leere Raum (hier: der historisch nicht bestimmbaren Erscheinungen) zwar um vierzig oder fünfzig Tage ausgedehnt, aber grundsätzlich nicht bestritten. Es hat deshalb einen theologischen Grund, wenn die Gemeinde von der isolierten historischen Frage nach der Identifizierung der Auferstehung „an sich" zur kontextuellen Frage umschaltet. Die kontextuelle Frage kann also sinnvoll nur innerhalb der Gemeinde, d. h. innerhalb des Ausstrahlungsund Wirkungsbereiches des noch unbekannten Raumes gestellt werden. Denn sie fragt nach dem Anfang, der zugleich der Grund der Wirklichkeit ist, aus der die Gemeinde selbst lebt (vgl. 1. Kor. 15, 1). Die historische Frage nach der Auferstehung ist sinnvoll nur als Frage nach einem Ursprung, nicht als Frage nach bloßer Faktizität, und deshalb muß auch die Antwort an erster Stelle in der Kategorie Ursprung und Grund gegeben werden. Nicht jedes Faktische hat Ursprungscharakter. „Anfang ist nicht der erste Moment in einer Reihe zahlreicher vergleichbarer Momente, sondern die Begründung eines Ganzen, die dessen Geschichte erst ermöglicht: der Begriff des Anfangs übersteigt darum den Begriff einer formalen äußeren Zeit. Der Anfang setzt dem Ganzen sein Wesen und die mit ihm gegebenen konkreten Bedingungen seiner Verwirklichung vor. Er ist dem Anfangenden entzogen, denn er ist unverfügbare Voraussetzung des als Vollzugs erfahrenen Daseins" 20 . Die weitere Frage lautet: Warum wird ein Faktum zu einem Ursprung? In unserem Zusammenhang: Warum wird der gekreuzigte Jesus Ursprung der Gemeinde? Denn er ist es als solcher noch nicht: die Gemeinde war an dem letztzugänglichen historischen Punkt, bei dem Kreuz, nicht schon mit Jesus als Gemeinschaft konstituiert. Im Gegenteil: sofern die Jünger bei seinem irdischen Leben um ihn gewesen waren, waren sie geflüchtet oder zu Verleugner und Verräter geworden. Darum kann der Anfang der Kirche zwar theologisch, aber nicht historisch oder soziologisch bei der Inkarnation gedacht werden. Die Jünger, die Jesus um sich versammelte, verlassen ihn erst wieder. „Als Jesus gefangen wird, verlassen ihn alle Jünger, und am Kreuz ist Jesus völlig allein. Die Gemeinde scheint gesprengt. Das hat seinen theologisch-bedeutsamen Sinn, ist nicht einfach abzutun als Schwäche oder Untreue der Jünger. Es ist ein Geschehen von objektiver Bedeutung, es mußte so kommen, ,damit alles 20

K. Rahner und H . Vorgrimler, Kleines theologisches Wörterbuch, s. v. Anfang, 20

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erfüllet werde', möchte man hinzusetzen" 21 . Man kann das audi so ausführen, daß gerade die Schwäche oder Untreue der Jünger nicht von psychologischer, sondern von objektiver Bedeutung ist. Die „Zwölf" sind die Repräsentanten Israels und stehen bei dem Kreuzesgeschehen mit Judas, der ihn überliefert (nicht: „verrät") und dem Sanhedrin zusammen gegen Jesus, nicht mit ihm. Die Frage nach der Heilung der gebrochenen Gemeinschaft, die im Folgenden aufgeworfen wird, darf daher nicht an dem vorösterlichen Jüngerkreis per exclusionem demonstriert werden, sondern hat als äußersten Horizont ganz Israel und darin die ganze Menschheit. Daß nicht das ganze ihn verwerfende Volk Israel historisch in der Kirche aufgeht, spricht nicht dagegen, sondern bringt vielmehr eine Spannung in das Anfangsgeschehen hinein, von der in unserem letzten Kapitel noch zu handeln sein wird. Als Träger der historischen Kontinuität, der Korrelation kommen die Jünger deshalb nicht in Betracht. Auch eine etwaige generatio spontanea des Osterglaubens in ihnen, die also nicht durch einen von außen kommenden Moment ausgelöst würde, wäre nicht imstande, einer Konfrontation mit diesem Bruch aus dem Wege zu gehen. Daß der Inhalt des Ostergeschehens tatsächlich eine solche Konfrontation bedeutete, geht aus dem Erscheinungsbericht Joh. 21, 15 ff., in dem sich auch nach Bultmann alte Tradition bekundet 22 , klar hervor. Wir wagen die Hypothese, daß Petrus seinen Primat, seine hervorgehobene Stellung gerade in der ältesten Uberlieferung der Osteroffenbarung, dieser Konfrontation verdankt. Sie besteht in der Vergebung der Schuld des Bruches. Das heißt, daß die historische Korrelation, wenn sie sich auf die Jünger bezieht — und das tut sie, weil wir von der konstituierten Kirche aus fragen —, nur eine Korrelation unter Verrechnung des Bruches sein kann. Diese Verrechnung muß innerhalb des Raumes zwischen Kreuz und Osterglauben stattfinden, denn der Osterglaube setzt schon voraus, daß der Gekreuzigte und seine Jünger wieder zusammengekommen sind: nicht so, als wäre nichts geschehen, sondern so, daß der Bruch geheilt worden ist. Die Liebe, die der Auferstandene bis zu dreimal Petrus abverlangt, ist das Korrelat zu der dreimaligen Verleugnung, die der Bekenner par excellence sich hatte zuschulden kommen lassen. Eine neue Gemeinschaft nach dem Bruch, der nicht vom Gekreuzigten ausgegangen war, sondern den die Jünger sich in Solidarität mit denen, die ihn kreuzigten, zuschulden hatten kommen lassen (das ist die objektive Bedeutung der literarisch ausgemalten Geschichten vom „Ver21 D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 101. Audi Schleiermacher, so berichtet Bonhoeffer (102 Anm. 1), habe das Sich-Zerstreuen der Jünger theologisch begründet (Gl. 2 § 122, 2). 22 Die Geschichte der synoptischen Tradition, 277 f., 3 1 3 ; Das Evangelium des Johannes, 551

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rat" des Judas, von der Verleugnung Petri, von der Flucht der Jünger), kann, wenn anders die Jünger (und Israel) sich nicht selbst vergeben haben, nur von dem ausgehen, mit dem sie gebrochen hatten. Die Verrechnung des Bruches, die in dem leeren Raum zwischen Kreuz und Anfang der Gemeinde stattfindet, heißt Versöhnung, Vergebung. Vergebung aber heißt, daß derjenige, der den Verlust oder die Beleidigung des Bruchs der Gemeinschaft und des Bundes erleidet, diesen Verlust auf seine Rechnung nimmt und den Schaden des Bruches selber trägt. Wo eine Schuld entstanden ist, r u f t sie nach Ausgleich der Schuld. Die Frage ist nie, ob die Schuld überhaupt bezahlt werden muß — jede Schuld muß bezahlt werden —, sondern wer die Schuld bezahlen wird: der Schuldner oder der Gläubiger oder ein dritter, der nur im Namen einer der beiden Parteien auftreten kann. Es gibt keine Sündenvergebung, ohne daß die Sünde getragen wird (vgl. oben S. 83). Vergebung kann nicht bloß deklarativ gedacht werden, so wenig die Schuld eine bloße Deklaration gewesen ist. Wenn also das Wesen der Kirche die Gemeinschaft mit Christus ist, die Gegenwart des Gekreuzigten, in welcher Form sie auch immer zur Sprache gebracht wird, so ist für alle Formen wesentlich, daß es wiederhergestellte Gemeinschaft war, Gemeinschaft also auf Grund von Vergebung. Und wenn diese Vergebung im Raum zwischen dem Kreuz und dem Anfang der Gemeinde zustande kam, so war dieser Raum mit der Ermöglichung dieser Vergebung gefüllt. Wenden wir hier die Regel: keine Sündenvergebung ist möglich, ohne daß die Sünden getragen werden, an, so bedeutet das, daß dieser Raum mit einer Kontinuität solcher personalen Elemente, die die Ermöglichung der Vergebung garantieren, gefüllt gewesen sein muß. Als vorläufiges Ergebnis der historischen Frage nach der Auferstehung Christi im Kontext der Kirche, in der wir wohnen, kann also formuliert werden: Darauf gründet sich auf jeden Fall der „Osterglaube": auf einer Vergebung der Schuld des Bruches, die den Träger der Schuld des Bruches auch innerhalb der neuen Gemeinschaft personal voraussetzt. Dieses Ergebnis kann also von den zu denkenden Voraussetzungen eines Osterglaubens, die die Gemeinde konstituieren, her formuliert werden. In dem Lebensvollzug der Kirche und in der Fülle des Materials der neutestamentlichen Tradition, das diesen Lebensvollzug begleitet, wird dieses Ergebnis, das unabhängig vom exegetischen Material an der historischen Korrelation zwischen Kreuz und Anfang der Kirche erarbeitet wurde, bestätigt. Von der geschehenen Versöhnung her, die in der Existenz der Gemeinde bezeugt wird, kann nun gerade das Kreuz, das, historisch gesprochen, den Bruch zwischen Jesus und denen, die ihn verwerfen und verleugnen, dokumentiert, in der Überlieferung zur Bezeichnung und zum Inbegriff des Heiles werden. Wie ist das zu erklären? Denn, wenn wir uns, von unserer Warte 111

diesseits des leeren Raumes, über jenen leeren Raum hinweg, mit dem Kreuz als letztem Glied der vorhergehenden Geschichte befassen, so ist darin die Gemeinschaft, die Vergebung noch nicht gegeben. Zwar wird berichtet, der Gekreuzigte habe die Bitte ausgesprochen: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun: von der Erhörung dieser Bitte aber ist noch nicht die Rede. Betrachtet man diese Bitte als ein Theologoumenon, das nachträglich in die „historische" Darstellung geraten ist, so spricht das nicht gegen, sondern für die hier gegebene Rekonstruktion. Befassen wir uns historisch, auf der einen Seite der gesuchten Korrelation, mit dem Kreuz, so treffen wir dort Jesus, von der Gemeinschaft des Gottesvolkes ausgestoßen, von der Gemeinschaft des neuberufenen Gottesvolkes, der Jünger, verlassen. Befassen wir uns auf der anderen Seite der gesuchten Korrelation mit dem Kreuz, so hören wir von der Bedeutsamkeit des Kreuzes, von einem Kreuz als Inbegriff des Heiles. Der Wechsel in der Qualifikation des Kreuzes muß also durch einen Wechsel des Ortes zustandegekommen sein, in dem das gleiche Kreuz einen anderen Inhalt bekommt. Das heißt: wir selber, die Fragenden, sind in dem Zwischengeschehen zwischen Kreuz und Anfang der Gemeinde an einen anderen Ort versetzt worden. Nicht das Kreuz hat sich geändert, wir sind es, die geändert worden sind. Nicht das Kreuz wurde von uns schöpferisch qualifiziert, sondern wir sind, in diesem Zwischengeschehen, vom Kreuz schöpferisch qualifiziert worden. Wenn aber nicht das historische Datum, das Kreuz sich geändert hat, sondern wir es sind, die an einen anderen Ort versetzt worden sind, so muß die Kontinuität des Kreuzes, der wir auf die Spur zu kommen versuchen, um die Korrelation zwischen Kreuz und Anfang der Kirche zustande zu bringen, als historisch leerer Raum, historisch mit dem Leib des gestorbenen Jesus gefüllt gewesen sein. Wie aber kann ein gestorbener Leib „Raum" bedeuten? Ein Raum, in dem man wohnen, aus dem man leben kann? Das ist die Kernfrage. Wird diese Frage nicht beantwortet, so wohnt die Gemeinde auch nicht in diesem Raum, so wohnt sie nicht in der Vergebung (1. Kor. 15, 17) und sind wir also noch in unseren Sünden. Wir halten einen Moment inne, um uns noch einmal zu vergewissern, von wo aus wir fragen. Wir fragen nach Vergebung, so bemerken wir plötzlich. Der Historiker fragt aber nicht nach Vergebung, sondern nach Identifikation eines Tatbestandes. Wir sind aber auf die Frage nach Vergebung gebracht worden, weil wir die neue Gemeinschaft, die Kirche, sonst nach der Katastrophe des Kreuzes historisch nicht erklären können. Man kann auch sagen: weil wir diese besondere Gemeinschaft sonst in ihrer Besonderheit überhaupt nicht erklären können. Das wäre natürlich noch kein Grund, eine Erklärung zu forcieren, wenn uns nicht a limine bewußt wäre: wir stehen in dieser Gemeinschaft. Wenn es um das Spezifische dieser Gemeinschaft geht, geht es um unsere eigene Existenz. 112

Die historische Frage nach dem Anfang und Grund dieser Gemeinschaft ist also für uns eine Wesensfrage nach uns selbst in der Kirche. Wir haben aber, so sahen wir, schon eine Antwort für den heutigen Vollzug des kirchlichen Lebens. Die Kirche lebt aus der Vergebung der Sünden. Sie ist das Geschehen der Predigt, der Inhalt der Sakramente. Das ist keine hermeneutische Verengung auf nur einen (nach manchen Exegeten: schmalen) Strang der Uberlieferung. Vergebung der Sünden ist ein totales Geschehen: sie heißt nach ihrer positiven Seite zugleich: Wiedereinsetzung in die Universalität der Berufung des Gottesvolkes Israel. Darum bekennt die Kirche die Vergebung der Sünden audi, wenn sie nicht spezifisch historisch fragt oder wenn sie die Sündenvergebung, die Jesus laut Überlieferung der Evangelien in seinem irdischen Leben geübt hat, historisch scheinbar unreflektiert auch auf sich anwendet. Dann aber entsteht wieder die Erwägung: Vergebung ist vollmächtig nur möglich durch die Präsenz des Vergebenden. Denn wie ist die Deckung der Kraft der Vergebung (und damit der Autorität der neuen Berufung) sonst zu denken? Stehen wir nicht im Zusammenhang mit dem berufenen Volk Israel, so gibt es keinen Anlaß, eine damalige Vergebung ohne weiteres auf uns anzuwenden. Wir fragen, wenn wir historisch nach dem Raum zwischen Kreuz und Anfang der Kirche fragen, also eigentlich nach dem Grund der Möglichkeit unserer eigenen Geburt als Kirche und nach der Ermöglichung des Bleibens des damals geborenen Lebens. Man kann eine Dogmatik als wissenschaftliche Selbstprüfung der Kirche an ihrer eigenen Norm, die sie in der Heiligen Schrift, in dem hermeneutischen Kanon der Vergebung der Sünden, vor sich hat, entwerfen. Es besteht aber auch die Möglichkeit eines umgekehrten Verfahrens: die Beleuchtung der Anfänge der Kirche von dem Vollzug ihres heutigen Lebens her. Nicht die kritische Messung der Gegenwart an die Anfänge (an das „Gegenüber") ist dann die Intention des Verfahrens, sondern die hermeneutische Klärung der Anfänge aus dem Vollzug. Wir können das natürlich nur unter der Voraussetzung sagen, daß „Kirche" damals und heute in der Wurzel dieselbe ist, daß im Wechsel des Interpretandum eine Kontinuität des Tradendum waltet. Aber diese Voraussetzung ist mit unserer Geburt als Kirche gegeben. Die Geburt der Kirche muß historisch sein, denn sonst wären wir nicht da. Die Ermöglichung aber der Historizität unserer Geburt liegt in einem historisch nicht bestimmbaren Raum. Dieser Raum, den wir oben mit dem Wort „Versöhnung" oder „Vergebung" vorläufig gefüllt haben, muß also als Bedingung der Möglichkeit unserer Historizität als Kirche verstanden werden. Wir stellen mit der Frage nach diesem Raum die transzendentale Frage nach der Ermöglichung des tatsächlichen Vollzuges unseres Lebens in der Kirche. Wir fragen nach der Offenbarung, von der unsere Geschichte Prädikat ist. Die Aussage der Historizität ist noch keine letzte Aussage. Wir haben 113 8

Geense, Auferstehung

oben die Frage gestellt: warum wird ein Faktum zu einem Ursprung? Wenn ein Phänomen es nicht verdient, historisch wirksam und fruchtbar zu werden, so kann es nicht eine dauernde Gemeinschaft begründen. Fragen wir also nach dem ausreichenden Grund unserer Geburt, so tun wir das aus dem Bedürfnis, unsere Existenz zu sichern, weil wir spüren: die Geschichte, in und aus der wir leben, kann keine generatio spontanea sein. Sie muß zu dieser Geburtsgeschichte auf Grund einer Qualität geworden sein. Was ist diese Qualität? Diese Qualität kann als Grund der Ermöglichung unserer Geschichte nicht selbst unsere Geschichte sein. Sie muß also in dem ermöglichenden Vorraum unserer Geschichte als Gemeinde liegen. Was liegt dort? Wir fanden: in dem unhistorischen Vorraum, auf den die Gemeinde sich als auf die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Geburt bezieht, liegt das gleiche Kreuz, das vor dem leeren Raum lag. Das ist der Sinn der von Bultmann formulierten Einsicht: In der Auferstehung wird die Bedeutsamkeit des Kreuzes erschlossen. Das Kreuz bleibt also, auch insofern es Chiffre für den transzendentalen Ort der Ermöglichung der Kirche ist, ein Faktum, eine Tatsache, eine historische Tatsache. Bultmann spricht sogar von einer „nackten" Tatsache oder, wenn das Kreuz außerhalb des Lebensvollzuges der Kirche gedeutet wird, von dem „Scheitern" eines edlen Menschen. Dagegen wird die Gemeinde immer sagen: das Scheitern ist „historisch" nicht zu verneinen. Aber „Scheitern", das klingt noch unpersönlich und auch historisch noch zu „nackt", um vollständig zu sein. Denn woran war dieser edle Mensch gescheitert? An seinem Anspruch? An etwas aus sich selbst also? Wir können doch historisch sagen: er scheitert an Israel (vgl. oben S. 43). Das Kreuz ist kein Widerfahrnis ohne weiteres: das Kreuz ist eine Tat in Israel. Aber Israel ist nicht ein beliebiger Ort. Es ist das berufene Volk. Es ist auch das Volk, aus dem heraus die Jünger, die ihn jetzt verlassen haben, berufen worden sind. Und die nicht-jüdische Gemeinde sagt noch mehr: „Es sind die Juden nicht, Herr Jesu, die dich kreuzigten" (Revius). Das bedeutet: Wir waren es, wir sind auch in dieser Schuld auf Israel aufgepfropft. Die „nackte Tatsache" des Kreuzes ist nicht unpersönlich. Wo die Gemeinde sie „füllt" und „deutet", setzt sie sich in eine Beziehung zu diesem Kreuz. Aber das ist keine beliebige Setzung oder Deutung, mit der die Gemeinde das Kreuz tendenziös als Projektion ihres eigenen Lebens manipuliert. Wenn die Gemeinde sagt: er ist gescheitert, ist das keine nackte historische „Feststellung", sondern Bekenntnis der Schuld. Und Schuldbekenntnis ist das Ende der Manipulation und der eigenmächtigen Deutung der Geschichte durch eine Gemeindetheologie. Im Schuldbekenntnis entwirft sich nicht die Gemeinde, sondern findet sich vor. Das Kreuz als Kreuz in Israel bedeutet, daß Jesus beim Kreuz ein „Gegenüber" hat: eben Israel, das ihn in die Hände der Heiden überliefert, um gekreuzigt zu werden. Durch dieses „Gegenüber" verliert 114

das Kreuz den Charakter eines „Geschickes", einer nackten Tatsache, und es wird zum Faktor eines personalen Rechtshandelns, eines Bezuges, und es kann so, nachher, als Versöhnung zwischen zwei Parteien ausgesagt werden. Die Beziehung zu dem transzendentalen Vorraum der eigenen Geschichte, dem Kreuz, ist also schon in dem Moment gesetzt, wo wir uns im Akt des Schuldbekenntnisses mit dem ihn kreuzigenden Israel auf eine Linie stellen. Es ist die nicht-eigenmächtige, nichtschöpferische, sondern sich selbst in den Stand der Anklage setzende Qualifizierung des Kreuzes. In dieser Qualifizierung an sich liegt noch nicht die Qualität, auf die wir bauen können. Denn: Bauen auf das Kreuz, im Akt des Schuldbekenntnisses als das Scheitern an uns gesehen, wäre nichts als bauen auf die eigene Sünde. Bauen wir aber auf das Kreuz, was wir beanspruchen zu tun, so muß es eine Qualität von dem aus haben, der das Kreuz erleidet, und zwar eine Qualität, an der auch wir teilhaben dürfen, die uns in dem Ortswechsel zugesprochen worden ist, weil sie ja der Grund der Möglichkeit unserer neuen Geschichte ist. Der Ortswechsel bedeutet: die Qualität des Kreuzes kann nicht nur unsere Sünde, das Scheitern-an-uns, sondern muß auch das Scheitern-fürunsy uns zum Guten, sein. Das Scheitern ist ein schöpferischer Akt: es schafft nämlich Raum. In diesem schöpferischen Charakter ist es historisch unergründbar aus innerweltlichen Gründen, wie jeder wahrhaft schöpferische Akt. Aber das bedeutet nicht, daß das Kreuz als Scheiternan-uns als schöpferischer Raum historisch unauffindbar wäre. Der Begriff des Raumes ist der Begriff einer positiven Beziehung. Das Kreuz verschafft uns Raum, eben den Raum, in dem wir wohnen. So kann die letzte historische Identifikation vollzogen werden: der Raum des Leibes Christi, der dadurch frei wird, daß er an uns zugrunde geht, ist der gleiche Raum, in dem er für uns zugrunde geht. Indem er sich aus seinem Raum wegdrängen läßt, räumt er uns den Raum ein, versöhnt er uns mit sich. Er nimmt den Kreuzestod freiwillig auf sich und entwaffnet damit die Feindschaft, die in diesem Kreuz zum Ausdruck kommt. Aber nicht die Gesinnung Jesu ist das letzte Datum: sie führt ihn zwar in diesen Tod hinein, gibt aber alles Subjektive, das darin noch mitklingen dürfte, hin, um in dem Leib des Gekreuzigten vollkommen objektiv zu werden. Die vorösterliche Verkündigung Jesu, die offenen oder verschleierten Hinweise auf sich selbst werden in dem Augenblick seines Sterbens vollendet: jetzt ist er vollständig identisch mit seinem Werk, mit seinem Auftrag geworden. Jetzt erst kann aus dem Verkündiger der Verkündigte werden. Jesus ist sein Kreuzesleib geworden: Grund und Inbegriff des Kerygmas. „Denn ich beschloß, nichts unter euch zu wissen als Jesus Christus, und zwar als gekreuzigten" (1. Kor. 2, 2). Indem sein Sterben Vollendung der Sendung seines Lebens ist, ist es kein Ende, sondern Eröffnung in die Zukunft hinein, Korrelation, die jede sonstige 115 8»

historische Korrelation als einen ganz willkürlichen Zusammenhang in den Schatten stellt. Dieser Leib bleibt, gerade indem er sich hingibt. Hingabe ist Vernichtung und Stiftung einer Beziehung über den leer gekommenen Raum des Leibes hinweg. Hingabe ist, als Endgeschehen, ein Übergangsgeschehen, das die Korrelation mit dem Anfang der Gemeinde in dem Moment der vollendeten Hingabe etabliert. Der, der den Widerstand der Sünde in seinem Leibe zu Tode trägt, bleibt darin, ja, wird erst darin vollständig der, der er war. Das Aufleuchten dieser Identität des Sterbens Christi am Kreuz mit der Gründung der Gemeinde ist Offenbarung, Auferstehung Christi, und die Besinnung auf dieses gründende Geschehen ist die transzendentale Bestimmung, oder besser: Explikation des eigenen Anfangs. Wenn wir an diesem Ort von einem „X", von einem „Rätsel des Anfangs" sprechen, so ist das der Ausdruck dafür, daß der Grund unserer Geburt als Kirche selber nicht zu dem geschichtlichen Leben der Kirche gehört, sondern unverfügbare Bedingung der Möglichkeit des Vollzuges unseres geschichtlichen Lebens ist. Der Gekreuzigte ist unserem Leben vorangestellt, daher ist der Auferstandene nur als der Gestorbene vorstellbar. In der Auferstehung, in der Offenbarung, schüttelt er dieses Sterben nicht von sich ab, um es dann hinter sich zu lassen: er offenbart es als unseren Raum, als Versöhnung. „Berücksichtigt man die Realitätstiefe des Todes Jesu, dann kann das Wunder der Auferstehung — sofern es überhaupt so etwas im Ν. T. gibt — eben nur im Rückgang auf das Gestorben-sein Jesu zur Sprache gebracht werden"23. Das Abendmahl ist der Ort, an dem diese Korrelation zwischen dem Kreuzesleib Jesu und unserem Leben in seinem Leben immer wieder als vollzogen gefeiert wird. Es ist das Urgeschehen der Kirche. Darin wird der Tod des Herrn verkündigt, bis daß er kommt. Das ist kein Rückfall „hinter die Auferstehung", die etwa den freudigen Charakter des letzteren wieder rückgängig machen könnte, sondern Feier der Gegenwart des Gekreuzigten, Feier der Auferstehung. „Man kann also Kreuzesleib und Leib des Erhöhten nicht scheiden, denn dieser ist der Kreuzesleib in seiner fortdauernden Wirkung, er ist der Raum der Kirche" 24 . Es ist sicher richtig, wenn E. Schweizer25 betont, daß im Deute wort zum Brot 1. Kor. 11, 24 ,to söma' mit dem interpretierenden Zusatz ,to hyp er hymön' der Ton nicht auf der Substanz, auf der Körperlichkeit, sondern auf der damit bezeichneten Aktion liege. Aber es braucht hier kein Gegensatz konstruiert zu werden. „Christi Leib für euch gegeben" ist Aktion, nicht weil er keine Substanz ist, sondern weil er Raum ist. Aber dieser Raum hat leiblichen Charakter. Auf Grund nun der Wirklichkeit, der Gegenwart des gekreuzigten 23 24 25

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Karl Lehmann, Auferweckt am dritten Tage nadi der Sdirift, 342 E. Schweizer, ThW VII, 1066 s. ν. σώμα A. a. Ο. 1065

Herrn, fragt die Gemeinde nach der Möglichkeit dieser Gegenwart. Sie fragt also nicht in dem Sinne, daß erst die Antwort auf die Möglichkeit die Entscheidung über die Wirklichkeit hervorrufen würde. Sie steht in der Wirklichkeit. Aber sie möchte ihr eigenes Stehen auch verstehen. Sie kann ihr Stehen nicht aus allgemeinen menschlichen Möglichkeiten verstehen. Sie ist eine besondere Gemeinschaft, die sich innerhalb der allgemeinen menschlichen Verwirklichungen als eine besondere Wirklichkeit aufstellt. Sie hat einen besonderen historischen Ursprung, den sie in seiner Besonderheit verstehen möchte. Ihr Glaube ist ein fides quaerens intellectum historicum, und diese Rechenschaft hat, wie die ganze Tradition, innerhalb der der Glaube sich vollzieht, überall den Charakter eines historischen Rekurses, sei es in der Gestalt eines bloßen „Daß", sei es in der Gestalt einer mit breiten historisierenden Mitteln gestalteten Grundlegung der eigenen Existenz. Sie fragt, welches Faktum am Anfang ihres Lebens stand und warum dieses Faktum zu einem Ursprung wurde. Der Glaube als quaerens intellectum historicum kann sich nicht nominalistisch zufrieden geben mit einer kontingenten noetischen Setzung der Gegenwart Christi. Das wäre in der Tat nur eine „Behauptung" Diese Setzung muß einen realen Grund in der Qualität des Gegenwärtigen haben. „Die ontische Necessität geht der noetischen voran" 26 . Diese Qualität wird von dem Auferweckten ausgesagt, wenn man ihn den Gekreuzigten nennt. Die Möglichkeit der Wirklichkeit seiner Gegenwart ist also nicht unhistorisch. Das Kreuz ist in seinem negativen Modus historischer, als es uns wahrscheinlich lieb ist. Die Qualität, die der Setzung der Gegenwart Christi innewohnt, ist nicht in einem mythologischen kontingenten Akt eines mythologischen Gottes verankert und noch weniger in einem kontingenten Akt unseres gläubigen Existierens, sondern in dem Kreuz, das, indem es unsere Tat war, sein Gehorsam wurde. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja, zum Tode des Kreuzes. Darum hat Gott ihn auch erhöht (Phil. 2, 8 f.). Der tiefste Grund der Einsetzung Christi zum Herrn ist durch und durch historisch. Der tiefste Grund für die Annahme des Opfers ist die Qualität des Opfers. Aber das Wissen um den tiefsten Sinn dieser Geschichte, das Wissen darum, daß das Kreuz kein Scheitern „an sich", sondern ein Scheitern an uns, ein Scheitern für uns, ein Opfer war, ist nicht aus der Geschichte abzulesen: ,Fleisch und Blut haben uns das nicht offenbart, sondern unser Vater, der im Himmel ist'. Nur eine innergeschichtliche Deutung dieser Geschichte ist möglich: sie besteht in der „Öffnung der Schriften", das heißt, in der Beziehung der tiefsten Ausrichtung der Geschichte Israels auf die Auslegung des Kreuzesgeschehens. Aber auch diese Er2 6 Karl Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, Zollikon 2 1958, 48

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kenntnis wird keine objektive neutrale Erkenntnis sein, so wenig die Teilnahme an der Geschichte Israels ohne Glauben möglich war. Diese Erkenntnis ist nur möglich im Akt des Glaubens und des damit gegebenen Bekenntnisses der Schuld. Aber es ist dann auch der Glaube, der sagt: das Sterben Jesu ist, als Opfer für mich, historisch. Ich war dabei. Aber daß ich jetzt dabei bin, und zwar, daß ich jetzt anders dabei bin als damals, beruht auf dem Ortswechsel, den ich erfahren durfte, als der Tod, den ich verursachte, das Opfer wurde, aus dem ich leben darf. Und die Fruchtbarkeit dieses Opfers lebt aus dem Gesetz, das Jesus seiner irdischen Gemeinde als Grundgesetz ihrer Existenz mitgegeben hatte, das er aber erst als hermeneutischen Kanon für sein eigenes Werk formuliert hatte: daß, wer sein Leben verlieren will, es gewinnen wird, gewinnen nicht „in privatum usum", sondern für andere, „ut inopes locupletaret" 27 . So heißt es darum auch: wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bringt es keine Frucht. Die Auferstehung als Geburt der Kirche, der neuen Menschheit „in Christus" ist im tieferen Sinne ein historisches Geschehen: nicht weil sie mit historischen Mitteln feststellbar ist, sondern weil das Gesetz der göttlichen Ökonomie des fruchtbringenden Weizenkornes gilt. Dieses Gesetz ist zuerst das Gesetz des Lebens Christi, bevor es das Gesetz des christlichen Lebens wird. Auf Grund dieses Gesetzes kann die Gemeinde rückschließend explizit die Qualität des Kreuzes bestimmen als „Opfer", in dem Christus sein Leben hingegeben hat, denn sie ist, stellt sie selber verwundert und noch nicht ganz verstehend fest, als Frucht dieses Sterbens geboren. Das ist die historische Korrelation, von der die Gemeinde weiß. Dieser Begriff der Historizität hat den existentiellen Bezug in sich aufgenommen und hat deshalb einen anderen Klang und eine andere Orientierung als dort, wo die isolierte historische Tatsache anvisiert wird. Wenn schon die Anwendung des Prinzips der Analogie, das die historische Forschung leitet, sich nicht nur zur Destruktion der „Historizität" einer isoliert verstandenen Auferstehung Christi auswirken, sondern auch zum tieferen Verständnis der Korrelation von Tod und Auferstehung führen soll, so darf sie die Analogie nicht an dem biologischen Phänomen des fruchtlosen Sterbens messen. Die Analogie des sterbenden Weizenkornes ist im Punkt des „Sterbens" ungenau: das Korn stirbt nicht, sofern es sich vermehrt, aber gerade durch diese Ungenauigkeit wird es für die Analogie zum Sterben und Auferstehen Christi brauchbar. Nur innerhalb des Bereiches der Offenbarung erschließt sich dem Fragen nach Auferstehung der historische Zusammenhang zwischen Kreuz und Raum des Kreuzes und Kirche. Wenn dem aber so ist, so ist auch die Sicherheit der Auferstehung nicht durch irgendwelche Kritik, die am Prinzip der Analogie orientiert ist, zu erschüttern. Denn die Auf27

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Calvin, Institutio Christianae Religionis, III, 1 , 1 .

erstehung wird dann sachlich und nicht vorstellungsmäßig abgeleitet. Die Sache ist, daß die Gemeinde da ist. Das reicht an sich noch nicht aus, um hier schon von „Sache" zu reden. Dasein muß begründet sein. Dasein ohne hinreichenden Grund ist nichtiges Sein. Der Grund aber des Daseins der Gemeinde ist die Versöhnung als Überwindung des nichtigen, verwirkten Daseins des berufenen Gottesvolkes. Der Vollzug der Grundlegung der Gemeinde, der Aufhebung des nichtigen Daseins ist die stellvertretende Vernichtung des Leibes des Messias Israels, in dem die Erwählung und Berufung des Volkes Israel jetzt konzentriert ist. Der Ertrag dieser Stellvertretung ist die Sache, an der alle Vorstellungen und Kategorien, in denen die Auferstehung Christi ausgesagt werden soll, zu messen sind. Nur so wird es uns gelingen aus den nicht weiter begründbaren Vorstellungen, etwa einer leib-geistlichen Materialität, herauszukommen. Audi eine allgemein-anthropologisch aufweisbare Struktur des Über-sich-selbst-Hinaushoffens, wie sie Pannenbergs Einbettung der Historizität der Auferstehung Christi in die Überlieferungsgeschichte der spätjüdischen Apokalyptik wiederum zugrunde liegt 28 , darf hier nicht als Begründung gelten, weil hier kein Bezug mit der besonderen Geschichte Israels, abgesehen von der Vorstellungsgeschichte, zur Geltung gebracht worden ist. Wenn es nämlich nicht gelingt, einen realen Grund für das Auftauchen der Vorstellung „Auferstehung der Toten" anzuzeigen (die Treue Jahwehs und die Vergebung der Schuld Israels wären solche Gründe, nicht aber auch außerhalb Israels mögliche Strukturen der Hoffnung), blieben die Vorstellungen der schlechthinnigen Subjektivität anheimgegeben. Von dieser Subjektivität ist die Vorstellung einer individuellen Wiederbelebung (nicht von der Wiederbelebung des Gottesvolkes, wie sie Ez. 37 vorherrscht) dann der Exponent. Alle Sprachverwirrungen und Irritationen zwischen fundamentalistischer und historischkritisch operierender Theologie in Sachen Auferstehung rühren daher, daß beide sich an der Vorstellung der Wiederbelebung orientieren, über die außerhalb des gesamttheologischen Kontextes nichts Sinnvolles auszusagen ist. Aber wo die „glaubensfreien" historischen oder exegetischen Rekonstruktionen beim letztlich intendierten Erfragten: bei der Identifikation der Auferstehung Christi an sich, Fehlanzeige erstatten mußten, nimmt dieses Fazit (unseres zweiten Kapitels) der Kirche nicht ihren Grund. Es kann nur dazu beitragen, die eigene Verstehensweise, die innerhalb der Kirche als Ort der Offenbarung vollzogen wird, klarer zu profilieren. Nicht die aus immer raffinierteren Einzelanalysen der Auferstehungstexte herausdestillierten historischen Fakten bilden in ihrer Rekonstruktion den schlüssigen Beweis der Auferstehung. Wo es zu „verstehen" oder zu „beweisen" gilt, vollzieht sich das Verfahren innerhalb des 28

Grundzüge 69—85. Siehe auch unten K a p . V, C.

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Glaubens nach der Regel: fides quaerens intellectum. Intelligere heißt dann: ein vertieftes ,intus legere'29. Der Text, der vertieft gelesen wird, ist nicht an erster Stelle das historisch erarbeitete Material, sondern das „Credo". In diesem Credo stehen „historische" Sätze (gekreuzigt, gestorben und begraben) neben solchen, die den Ort und den Vollzug des Glaubens (eine heilige Kirche, die Vergebung der Sünden) und die daraus extrapolierte Hoffnung (Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben) anzeigen. Sie alle sind der geglaubte Grund der Kirche. Dem geglaubten Grund soll nun aber eine anerkannte Begründung entsprechen, der ontischen eine noetische Necessität30. Diese dem Glauben entsprechende (und nicht erst begründende) Bemühung um Erkenntnis orientiert sich in unserem Fall an anderen feststehenden und vorstellungsmäßig (nicht unbedingt: sachlich) leichter zugänglichen Glaubenssätzen wie das Kreuz als Heilsereignis und die Existenz der Kirche. „Der Ursprung der rationes necessariae liegt aber in allen Untersuchungen Anselms anderswo, als wo er bei einem das Credo α priori deduzierenden Philosophen liegen dürfte, nämlich auf derselben Ebene, auf der auch die zu beantwortende Frage aufgeworfen ist: Innerhalb des Credo selbst, in welchem jetzt dieser, jetzt dieser Artikel als das unbekannte χ figuriert, das in der Untersuchung mittels der als bekannt vorausgesetzten Glaubensartikel a, b, c, d . . . (ohne Voraussetzung der Bekanntschaft mit χ und insofern: sola ratione) aufgelöst wird" 31 . Das Verfahren, das wir oben angewandt haben, hat somit den Charakter des vor allem in der mittelalterlichen Theologie bekannten Konvenienzbeweises. Es ist nicht ein Beweis in dem strikten Sinn des Wortes, sondern „eine Betrachtungsweise einer theologischen Wirklichkeit, die deren .Angemessenheit' (gemessen an anderen geoffenbarten Tatsachen, an den Eigenschaften Gottes usw.) aufzeigt, ohne den Anspruch zu machen, auf diese Weise die notwendige Existenz dieser Wirklichkeit nachzuweisen. Wo die Existenz einer solchen Wirklichkeit schon feststeht, ist ein Konvenienzargument nichts anderes als die sinnvolle Vertiefung in das Wesen dieser Wirklichkeit und in ihre Zusammenhänge mit anderen Wirklichkeiten" 32 . Erst von dem auf dieser Weise erreichten Ergebnis her kann dann in einer Art Rückkoppelung die Verbindung mit dem historischen oder exegetisch aufgearbeiteten Material vollzogen werden. Sie wird die Ergebnisse dieser Arbeit nicht präjudizieren, setzt sie jedoch unter das Vorzeichen, daß sie in diesen Ergebnissen den Grund der Kirche nur zu bestätigen und zu vertiefen, niemals aber aufzuheben vermag. Barth, Fides quaerens intellectum, 39 f. Barth, a. a. O. 50 3 1 Barth, a. a. O. 52 f. 3 2 Rahner-Vorgrimler, Kleines Theologisches Wörterbuch, ment, 210 f. 29

30

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. v.

Konvenienzargu-

Nur in dieser aufgezeigten Weise kann die seit der Aufklärung sich anbahnende Schizophrenie des historischen Fragens beseitigt werden. Auf diese Beseitigung haben die Antipoden Bultmann und Pannenberg es beide abgesehen. Bultmann möchte entschieden den Prozeß des Glaubens und Verstehens innerhalb der Bezogenheit des Heils auf die Existenz stattfinden lassen. Trotzdem scheint er die nicht-bezogene Weise des historischen Fragens noch nicht gründlich ausgerottet zu haben, indem er den Prozeß des Verstehens immer wieder anfangen läßt bei dem nackten Kreuz, wie es dem Profanhistoriker erscheint, und immer wieder eine Bedeutsamkeit sich entwerfen läßt, indem wir aufgefordert werden, dieses nackte Kreuz auf uns zu nehmen. Aber diese Bedeutsamkeit wird bei Bultmann nicht transzendental als der Ursprung und Grund der Gemeinde bestimmt. Immer wieder ist der Theologe sowohl Historiker außerhalb der Kirche, der das nackte Kreuz feststellt, als auch sich im Glauben entwerfend in eine dadurch erst noch zu konstituierende Kirche hinein. Offenbarung ist nicht der transzendentale Grund der Kirche, sondern der Vollzug der Existenz im Hören der Frage, sich mitkreuzigen zu lassen. Dadurch wird die historische Schizophrenie der Methoden nicht aufgehoben, sondern bestätigt. Pannenberg, umgekehrt, möchte die Schizophrenie dadurch beheben, daß er einen historischen Beweis, eine historische Grundlage für die Auferstehung Christi zu etablieren versucht. War Bultmanns Fragen von der Einsicht in die Unerreichbarkeit einer solchen historischen Grundlage geleitet, so ist Pannenberg, unter den von uns oben hervorgehobenen Beschränkungen, von der Möglichkeit einer solchen Grundlage überzeugt. Aber auch er verläßt in seinem Fragen den Ort der Kirche, wenn nicht im Ergebnis, so doch im Ansatz: ob vor zweitausend Jahren ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat, darüber entscheidet allein die historische Forschung, nicht der Glaube. Wird einerseits bei Bultmann bei der Frage nach dem Grund des Glaubens die historische Forschung ausgeschlossen, so andererseits bei Pannenberg der Glaube, audi wenn es in der Intention geschieht, den Glauben zu begründen. Auch dadurch bleibt die Spaltung bestehen, und sie wird immer wieder auftauchen, solange man in den Fragen nach der Auferstehung Christi seinen Ort nicht innerhalb der dort begründeten Kirche hat. Nur durch eine optische Täuschung sind Bultmann und Pannenberg Antipoden. Bultmann sucht die historische Substanz in dem nackten Kreuz, Pannenberg in der materialen Auferstehung. So unterschiedlich diese historischen Ausgangspunkte auch zu sein scheinen, es ist ihnen gemeinsam, daß sie nur Substrate für eine nachträgliche Interpretation hergeben: bei Bultmann geschieht diese Interpretation, dieser Vollzug der Bedeutsamkeit durch die Einzelexistenz, bei Pannenberg durch die Einpflanzung dieser historischen Grundlage des Glaubens in die Uberlieferungsgeschichte der Apokalyptik, die er nur deshalb gegen 121

den Vorwurf der Spekulation verteidigen kann, weil er diese Apokalyptik wiederum solide in eine allgemeine anthropologische Struktur, in eine Makro-Existenz, in eine kollektive Hoffnung mithin, eingenistet hat. Weil die Überlieferungsgeschichte bei Pannenberg das notwendige geschichtliche (geschichtlich im Sinne der Geschichtlichkeit des Daseins) Moment dieser objektivistischen Konstruktion ist, holt er Bultmann, den er durch die Vordertür herausgeschmissen hat, durch die Hintertür wieder herein. Ob nun die Auslegung der Auferstehung Christi sich an der Mikroexistenz (Geschichtlichkeit des Daseins) oder an der Makro-existenz (überlieferungsgeschichtlicher Zusammenhang) orientiert, bleibt sich gleich, solange weder Bultmann noch Pannenberg den Ort der Interpretation nicht in der Kirche eingenommen haben, die den eigentlichen historischen Zusammenhang mit Kreuz und Auferstehung stiftet. Die Interpretation des Anfangs ist nicht innerhalb eines schon gelegten Grundes verwurzelt. Bei Bultmann hat nicht das Kreuz, bei Pannenberg hat nicht die Auferstehung eine notwendige Beziehung zum Ort der Kirche. Die Augenzeugen oder die Jünger, die den ersten Osterglauben glauben, sind nicht primär empfangende Versöhnte: sie sind schöpferische Interpreten: diese durch den Vollzug der Existenz, der Entscheidung, sich mit Christus kreuzigen zu lassen, jene durch die Herstellung der Beziehung zur Überlieferungsgeschichte. Es geht bei diesen Fragen um nichts weniger als darum, ob der Grund der Gemeinde aus Gott ist oder aus den Menschen. Wenn es in der Auferstehung Christi als Offenbarung des Kreuzes um die letzte und eigentliche Selbstkundgabe Gottes im Leben und Sterben des Messias Jesus von Nazareth geht, muß als menschlicher Grund jede Gründung der Gemeinde in einem interpretativem Akt, sei er nun existentiell im Nachvollzug des Kreuzes, sei es spekulativ in der Eröffnung eines apokalyptischen Horizontes, zu gelten haben. Die Offenbarung Gottes stiftet aber selber den Ort ihres Verständnisses im Kreuz: versöhnend holt sie die Jünger in den Raum des Kreuzesleibes herein und stiftet damit Beziehung, stiftet damit den Grundraum der Kirche. In dieser Kirche findet man sich vor. Man erkennt, daß man im Kreuz von Gott erkannt und daß einem vergeben worden ist. Darum ist die historische Frage nach Auferstehung als Grund der Kirche die Frage nach einem prä-reflexiven, prä-exegetischen, prä-hermeneutischen Grund. Es ist die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der Historizität, das heißt, der Selbstauslegung der Kirche. Die Kirche ist da als Ort, bevor in ihr Tendenzen, Funktionen und Auslegungen zustande kommen. Die Frage nach dem transzendentalen Grund der Kirche ist nicht die Frage nach einem Ereignis, sondern die Frage nach der Ermöglichung unseres Seins in der Kirche. Wird hier also Auferstehung historisch aus der Kirche abgeleitet, so ist Kirche hier keine Lehre von der Kirche, Einzellehre, sondern Ort, an 122

dem alles Fragen geschieht, ein Ort, an dem alle Interpretationen, die die Variation des Kerygmas ausmachen, erst vollzogen werden können. Dieser Ort kann nur der leibliche Raum der Versöhnung sein, der in dem Opfer des Kreuzes für die Gemeinde eröffnet wurde. Alle anderen Anfänge sind arbiträr in dem Sinne, daß sie keinen notwendigen Ort der Interpretation stiften, sondern nur Vollzug irgendeiner Interpretation im freien Raum darstellen. Hier aber handelt es sich um den Grund, in dem die Gemeinde als Gemeinde mitgegeben ist und darum auch Thema des historischen Fragens werden kann. Nur durch diesen Grund, den wir innerhalb der Kirche erkennen, machen wir uns theologisch unabhängig von den wechselnden „Ergebnissen" der historischen Forschung und Rekonstruktion in Hinblick auf das Osterereignis, heißen sie nun das leere Grab, objektive Vision, Osterglauben oder die interpretative Kraft der Vorstellungen. Wir haben diesen Grund nachdrücklich gesucht als Antwort auf die Destruktion der historisierenden Antworten, die wir im zweiten Kapitel unternommen haben. Der entscheidende Mangel dieser Antworten ist, daß sie im Rahmen ihrer Fragestellung keine Möglichkeit besitzen, das „Prae", den zuvorkommenden, initiativischen Charakter, die Freiheit der Liebe Gottes in der historischen Darstellung zum Ausdruck zu bringen. Wenn die Liebe Gottes Ursache aus sich selbst nimmt, hat sie darin ihr auch historisches „Prae" Diese vorgängige Liebe hat es nicht nötig, sich auch als solche in dem frühesten erreichbaren Stadium der Uberliefeferung niederzuschlagen. Von dieser Liebe können wir umfangen sein, bevor sie im expliziten Bewußtsein zum Ausdruck kommt. Das frühest erreichbare literarische Stadium ist nicht unbedingt das ontisch Ursprüngliche. Wenn wir geliebt worden sind, bevor wir lieben (1. Joh. 4, 10), bedeutet diese zuvorkommende Liebe den gleichen unaufholbaren Vorsprung, wie ihn der Ort der Gemeinde gegenüber den an diesem Ort sich vollziehenden Interpretationen besitzt. Um diese zuvorkommende Liebe handelt es sich, wenn wir von der fides quaerens intellectum reden; sie ist der Raum, in dem wir das Verständnis unseres Geliebtseins nachträglich vollziehen dürfen. Es ist eine bleibende Einsicht der Formgeschichte, daß erst von „Ostern" her die Bedeutung des Kreuzes erschlossen wurde. Diese Aussage der Formgeschichte ist aber solange noch zweideutig, als die Tendenz besteht, „Ostern" in diesem Zusammenhang als die auslegende Gemeinde, als den Vollzug der Gemeindetheologie zu bestimmen. „Ostern" ist aber der Grund der Gemeinde, der die Gemeindetheologie erst ermöglicht. Wir haben schon vorgreifend bemerkt (vgl. S. 91), daß die Kirche da ist, bevor sie überliefert, und daß die Gemeinde in allem, was sie überliefert (etwa die Erscheinungen an die Jünger als Legitimation ihres Apostolates), primär ihren eigenen Grund mit überliefert. Die 123

evangelische Uberlieferung des Lebens und Sterbens Jesu ist Folge des in der Auferstehung gelegten Grundes der Kirche, weil dort erkannt wurde, daß das Leben und Sterben Jesu von Gott zum Grund des eigenen neuen Lebens in der Kirche gemacht worden war. U n d das fundamentum apostolicum, die normative Auslegung des Kreuzes durch die ersten Jünger, liegt in nichts anderem als darin, daß sie tatsächlich den Raum, den Jesus durch sein Sterben als Gott erschlossen hat, eingenommen haben, darin also, daß sie die göttliche Einladung, in diesem Raum zu wohnen, nicht sich selbst gegeben, sondern vernommen und daß sie gehorcht haben. Das ist der Sinn der evangelischen Erscheinungsberichte. Sie historisieren die Offenbarung, die göttliche Initiative, die die Kehrseite der menschlichen Taten sind. Erscheinung ist Versöhnung, Zuwendung an der Stelle, wo wir Jesus verlassen haben und zum Verschwinden bringen möchten. Erscheinung ist Liebe, ist Darbietung der anderen Backe, wenn einer ihn auf die rechte Backe schlägt (Mt. 5, 39). Solche Liebe stiftet Zusammenhang, wo wir ihn abreißen lassen. Ostern ist Sieg der Liebe Gottes, wo der H a ß gegen ihn seinen Höhepunkt erreicht. Das ist die historische Korrelation, die wir durch unsere Taten zustandebringen. D a ß das Kreuz, als Menschentat, nicht das Heil ist, auf dem die Gemeinde ruht, bedeutet nicht, daß es das nackte, ungedeutete Kreuz ist, das „bloß historische" Kreuz, sondern wohl, daß unser Anteil an diesem Geschehen immer nur negativ sein kann. Es handelt sich bei der Auferstehung in der Tat um einen Ubergang, und darum können wir von einer historischen Korrelation reden. Es ist aber nicht der Ubergang vom ungedeuteten Kreuz zum gedeuteten Kreuz, sondern von Sünde, durch die Jesus stirbt, nach Gnade, indem die gleiche historische Tat, die wir gegen ihn begangen haben, uns von Gott zum Guten gewendet worden ist. Die Historizität des Kreuzes ist nicht die einer positivistischen Faktizität, sondern sie besteht in der Härte, in der Materialität des Widerstandes des Menschen gegen Gott. Das Kreuz ist historisch, weil die Sünde des Menschen sich externalisiert und eine historische Breite und Dichte angenommen hat. Wo in den Evangelien die Breite des historischen Stoffes entfaltet wird, heißt das nicht: historischer Jesus, Positivismus, sondern: Anti-Doketismus, Bezogenheit auf die reale Begegnung Gottes mit dem Widerstand des Menschen, Begegnung im Fleische, in der Geschichte. Und umgekehrt: die Auferstehung ist unhistorisch und zwar nicht, weil noch nie jemand einen Toten wieder lebendig werden gesehen hat, sondern weil sie die als Schuld qualifizierte Geschichte durchbricht und schöpferisch-versöhnend einen neuen Grundraum stiftet, in dem sich erst neugewordene Geschichte vollziehen kann. Dieser Grundraum ist der Ort, von dem her wir nach Auferstehung fragen. N u r von diesem O r t her können die übrigen Auslegungszusam124

menhänge der Auferstehung Christi sich entfalten. Hier erschließt sich Schöpfung und das Ende der Geschichte. Die Auslegung der Auferstehung Christi fängt nicht mit der Schöpfung an und geschieht nicht von dem Ende der Geschichte her. Sie beginnt an dem Ort, der durch die Stellvertretung für uns frei geworden ist, innerhalb der Kirche. Von hier aus zieht die Auslegung weitere, konzentrische Kreise zur Schöpfung, zum Weg des Volkes Israel in der Welt, zur Vollendung. Aber die Kreise sind nur möglich, wenn das Kreuz die Mitte bleibt als der Ort, wo Gott und Mensch historisch am engsten zusammen sind: in der Feindschaft des Menschen gegen Gott, die hier zur letzten historischen Offenbarung kommt, historischer als sie am Anfang der Geschichte war; und in der Versöhnung, die Gott hier als letzte Antwort auf die Feindschaft stiftet, indem er den Widerstand des Menschen in seinem Sohn auf sich nimmt und ihn in den Tod gibt. Das ist die letztmögliche Antwort Gottes auf die Geschichte der Menschen in ihrer Totalität. So ist der Ort der Gemeinde kein esoterischer Ort, wo wie in den Mysterien sterbende und auferstehende Götter gefeiert werden, sondern ein Ort in der Geschichte, wo auf Grund der Versöhnung Entscheidungen getroffen werden. Durch diesen besonderen, aus der Allgemeinheit abgesonderten Ort wird gerade die Hoffnung für die Welt bewahrt.

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KAPITEL

IV

Der Grund der Kirche und der irdische Jesus Das Ergebnis unseres zweiten Kapitels: die Konstatierung der Unmöglichkeit einer analogischen historischen Identifizierung der Auferstehung Christi, hat uns im dritten Kapitel dazu veranlaßt, bei der Frage nach der Auferstehung Christi das Kriterium der Korrelation stärker heranzuziehen und innerhalb des Geltungsgebietes des Glaubens nach dem Zusammenhang der Ereignisse: Kreuz-Osterglaube-Entstehung der Kirche zu fragen. Dieser Zusammenhang kann, wenn anders das Kreuz als das freiwillig übernommene Opfer Christi, des Sohnes Gottes, als zentraler Inhalt des Evangeliums gepredigt wird, audi als ein historischer gelten. Der Begriff Zusammenhang oder Korrelation kann nicht von einer solchen Betrachtungsweise monopolisiert werden, die es nur „ungedeuteten", „glaubensfreien" Tatsachen erlaubt, zueinander in Beziehung zu treten. Wenn der Weg Jesu bis ans Kreuz sich der Kirche als ein stellvertretend unternommener Opfergang offenbart, treten die Konsequenzen aus dieser Betrachtung mit dem Betrachter in eine auch historische Korrelation. Wenn es in der Tat die antwortende Liebe, die Existenz oder der Osterglaube ist, die die Beziehung zu einem Ereignis registriert, verliert das Ereignis nicht schon dadurch seinen historischen Gehalt. Sie ist, als Liebe, durch die Liebe Gottes getragen, Motiv und Ursprung des Überlieferns. Was zu erklären ist (nicht: was „problematisch" ist), ist dann nicht so sehr „der Ablauf der Osterereignisse", die äußere, sondern die innere Korrelation: das Werden der Liebe, des antwortenden Glaubens der Gemeinde, die die Beziehung zu dem nunmehr nicht bei ihr verweilenden Jesu in einer neuen Weise, als es zuvor geschehen war, aufnimmt. In dieser inneren Korrelation kann, ja, muß sogar der Bruch, die Zerreißung des Zusammenhanges, mit als Faktor der — von Gott gestifteten — Kontinuität aufgenommen werden. Gerade der Gedanke der Stellvertretung fordert, wie wir es kurz in Kapitel I (S. 42 f.) ausgeführt haben, die Distanz, die Unterbrechung der historischen Kontinuität von Jüngern des irdischen Jesus und Gemeinde. Sie sind, als historische Subjekte, dabei, indem sie abwesend sind: die Kontinuität wird ausschließlich von Jesus getragen: wir sind mit Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren (Rom. 5, 10). Daß also die Erklärung der Kontinuität innerhalb des Glaubens stattfindet, bedeutet keinen Verzicht auf historischen Rang. Die Frage nach 126

dem Anfang der Kirche verliert als historische Frage diesen Charakter nicht deshalb, weil wir einsehen, daß sie nach dem Anfang einer historisch nicht restlos einsichtigen Größe, der Kirche, fragt. Wie gesagt (oben S. 54): das Rätsel der Fortsetzung der historischen Institution Kirche ist prinzipiell genauso groß wie das Rätsel ihres Anfangs. Die historische Frage nach der Auferstehung als Anfang der Kirche ist nur deshalb gescheitert, weil sie es nicht vermocht hat, die innere Korrelation zwischen Kreuz und Anfang der Gemeinde aufzuzeigen, weil sie von vornherein methodisch die in der Gemeinde in Geltung stehende Offenbarung des Sinnes des Kreuzes aus dem Ereigniszusammenhang ausgeklammert hat. Und so stand auch die von uns bei Bultmann beanstandete Unverbundenheit zwischen der richtigen grundsätzlichen Einsicht: „Nur wer geliebt ist, kann lieben" und seinem erklärten Agnostizismus in Hinblick auf die Ursachen des Osterglaubens noch immer als Problem lebensgroß vor uns. In Kapitel III haben wir dann versucht, diese Verbindung herzustellen, ohne darin von der auch von uns bejahten Unmöglichkeit einer historischen Identifizierung der Auferstehung gehemmt zu werden. Unter Voraussetzung des Opfercharakters dieses Todes Jesu und des Wirksamwerdens des Glaubens an dieses Opfer ist keine gesonderte historische Bestimmung des zwischenliegenden Gliedes der Kette notwendig. Der — nur ,historisch' — leere Raum des geopferten Leibes Christi ist diese Verbindung: einmalig und ein für allemal, dauernd gegenwärtiger, personaler, sakramentaler Grund der Gemeinde. Wer den inneren Grund der Gemeinde so versteht, kann von der historischen Schwierigkeit, den äußeren Anfang zu bestimmen, nicht bleibend frustriert werden. Wir haben also die Gedanken in dem dritten Kapitel vorläufig als Antwort auf die Aporie, die die Kategorie der Analogie für die Bestimmung von Auferstehung gezeitigt hatte, entwickelt und zugleich als Folie für die Beurteilung einiger Entwürfe, die wie wir vorläufig (d. h. bis zur „Wiederkunft" Christi) auf die analogische1 Bestimmung von Auferstehung verzichten und die Frage nach dem Entstehen des Osterglaubens trotzdem nicht mit einem „non liquet" beantworten möchten. Es sind die Entwürfe, die von Ernst Fuchs, Gerhard Ebeling und Gerhard Koch in der Tradition der von Bultmann inaugurierten Problematik unternommen worden sind und die denkerischen Möglichkeiten innerhalb dieser Tradition auf diesem Gebiet vorläufig erschöpft haben dürften. Der Verzicht auf die historische Identifikation der Auferstehung Christi ist hier nicht primär dem unzureichenden Charakter der Quellen oder dem Veto des Weltbildes abgezwungen: diese etwaige 1 .Analogisch' ist hier sowohl auf die Nicht-Einmaligkeit eines historischen Faktums als auf die Analogie von Vorstellungen aus dem Alten Testament oder der jüdischen Apokalyptik zu beziehen.

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historische Identifikation wird von dem Versuch eines Aufweises der inneren Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens weit überboten. Auf diesen Aufweis verzichtet zu haben (trotz eines gelegentlichen: „Jesu Entscheidungsruf impliziert eine Christologie"), ist der Hauptvorwurf, den die Bultmannschüler dem Meister machen, so wie die Tatsache, daß die Söhne ihn überhaupt versucht haben, dem grauen Vater eine Bitterkeit des Geistes ist2. Es ist hier nun nicht der Ort, die vielen Implikationen, die diese Entwürfe für den Aufbau einer Christologie haben, zu bedenken. Wir beschränken uns hier auf die Frage, wie die innere, allgemeine Kontinuität des irdischen Jesus mit dem geglaubten Christus auch in der besonderen historischen Korrelation zwischen dem Ende des Lebens Jesu und dem Anfang der Gemeinde zum Ausdruck gebracht werden kann, wie also „Auferstehung" den Stellenwert von — die Gemeinde konstituierender — Offenbarung haben kann. Es ist nicht verwunderlich, daß die von uns hier zu behandelnden Positionen wesentlich von Systematikern vorgetragen worden sind3. Sind es die Historiker, die den äußeren Zusammenhang an Hand der „Quellen" erforschen, so sind die Systematiker für den Aufweis des inneren Zusammenhangs verantwortlich. Wenn das Wesentliche sich auswirkt, kann Einsicht in das Wesentliche sodann auch historische Zusammenhänge, über die der Quellenbefund dürftig ist, neu zum Leuchten bringen. A. Das Sprachereignis (Ernst Fuchs) Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Auferstehung Jesu Christi und dem Anfang der Kirche hat Ernst Fuchs seit seiner Bonner Habilitationsvorlesung4 durch seine ganze theologische Arbeit hindurch begleitet. In fast jedem der nunmehr in drei Bänden vorliegenden Aufsätze5 und in den beiden Ausgaben der „Hermeneutik" findet sich Einschlägiges zu diesem Thema. In der immanenten Entwicklung der von Bultmann inaugurierten Problemstellung ist nun die — von Bultmann nicht gewollte — Wende zum „historischen" Jesus nach Fuchs die Antwort auf die von Bultmann 2 Vgl. Rudolf Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, SAH, Phil. Hist. Klasse, 1960, 5—27, jetzt auch in R. Bultmann, Exegetica, herausgegeben von Erich Dinkier, Tübingen 1967, 4 4 5 — 4 6 9 . 3 Ernst Fuchs ist dabei ein interessanter Pendler zwischen historisdi-exegetischer und systematischer Theologie. 4 1932, jetzt in: Gesammelte Aufsätze III, 48 ff. 5 I. Zum hermeneutisdien Problem in der Theologie; II. Zur Frage nach dem historischen Jesus; III. Glaube und Erfahrung; im Folgenden werden diese Aufsatzbände einfach zitiert als I, II, III.

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gleichfalls offengelassene Frage nach dem Grund des Osterglaubens: Der „Schritt zurück" zum historischen Jesus führt das Bekenntnis zur Auferstehung seiner Begründung gerade erst zu 6 . Bei Bultmann ruht das Osterkerygma, versteht man es nun als Ursache oder als Folge des Osterglaubens, mehr oder weniger hypostatisch in sich selbst. Das „Daß" des Gekommenseins Jesu, in dem sich bei Bultmann der Bezug zum irdischen Jesus noch manifestiert, wird ja auch erst vom nachösterlichen Kerygma her aussagbar. Nach Fuchs aber ist der Schritt zum historischen Jesus die „uns auferlegte Form des christologischen Problems" 7 . Welcher Art ist nun aber dieser Schritt? Wie wird er ausgelöst? „Als der Gekreuzigte den Seinen erschien, zuerst dem Petrus . . . , kam alles darauf an, ob sie durch ihre Erfahrungen ebenfalls zu der definitiven Sprache bewegt wurden, auf die es bereits dem historischen Jesus angekommen war" 8 . Die Begründung des Osterglaubens bzw. Osterkerygmas soll im Unterschied zu Bultmann bei Fuchs also unbedingt stattfinden. Sie ist aber keine spezifische Begründung, die sich deutlich von der Begründung, die die vorösterliche Verkündigung bereits besaß, nämlich das Gekommen-sein der Zeit, abhebt und unterscheidet. Die historische Unbestimmbarkeit der Ostererfahrungen muß von der, wenn nicht historischen, so doch existentialen Übersichtlichkeit des vorösterlichen Verhaltens Jesu gleichsam wettgemacht werden: von dorther kann dann der Grund des Osterglaubens extrapoliert werden. Wenn es aber keinen spezifischen Grund des Osterglaubens gibt, so ist es folgerichtig, daß Fuchs auch nicht von einem spezifischen „Osterglauben" reden möchte: Die Rede von einem spezifischen „Osterglauben" separiert in Wahrheit den Glauben von Jesus und macht für apokalyptische und historische Spekulationen anfällig 9 . Die Konstante ist das Sprachereignis, die Verkündigung: 1. Jesus hatte schon verkündigt, 2. die Verkündigung ging nach Jesu Tod weiter 10 . Die Frage, was dieses Weiterereignen der Verkündigung ausgelöst hat, ist für Fuchs nicht so brennend wie die Frage, wie die Ostererfahrungen (von denen die Beteiligten ja wohl nicht „absehen" wollten) und das Kreuz (das auch nicht „übersehen" werden konnte) in die (bestehende) Verkündigung eingeordnet werden konnten 11 . In keinem Fall kann aber das formale „Neu-Auslösen" der Verkündigung von einem etwaigen grundsätzlich neuen Inhalt der nachösterlichen Verkündigung her motiviert werden. Der Osterglaube ist jedenfalls nicht darin spezifisch, daß er die Erneuerung eines „zerbrochenen" Glaubens ist (wie G. Bornkamm meint), sondern „die Reinigung und neue Bewährung des in die Nachfolge eingetretenen Glaubens" 1 2 . Bornkamms Feststellung, daß der (erste?) Glaube am Kreuze Jesu zerbrechen mußte, um in seinem III, 27 » III, 27 12 II, 188 11

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III, 1 I, 303

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Geense, Auferstehung

Kreuz und seiner Auferstehung sich neu zu begründen, heißt bei Fuchs „vieldeutig, wenn nicht sogar falsch" 13 . Alle Evangelien bemühen sich sogar, die Gemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern durchaus vor Jesu Passion und Kreuz, mit Jesu Auftreten beginnen zu lassen14. Ebensowenig wie der erste Glaube ist auch die Gemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern zerbrochen gewesen. Die „Jüngerflucht" ist genau wie „der Verräter" einfach ein literarisches Motiv, „Topos" 15 . Es existiert schon eine vorösterliche Gemeinde, im israelischen Volksverband eingebettet, als Trägerin des Glaubens, und diese Gemeinde hat sich, „vor die Frage gestellt, ob sie angesichts von Jesu Hinrichtung passiv werden solle, dafür entschieden, fortan in Jesu Namen als Gottes Kirche aktiv Verantwortung für die ganze Welt zu übernehmen"16. Der Glaube gewann „Entscheidungscharakter" und wurde damit eine Parallele zu Jesu eigenem Verhalten 17 . Etwas auf Grund von Jesu Tod grundsätzlich anderes als diese, Jesuparallele Entscheidung kann es nach Fuchs nicht geben. Was sind nun die Voraussetzungen, in Folge deren es bei Fuchs eigentlich keine spezifische nachösterliche Begründung des Glaubens geben kann, sondern nur die gleiche Begründung, die auch schon vorösterlich dem Glauben zukam und für heute keine andere ist? Der Aufsatz: „Der Ursprung des christlichen Glaubens" gibt darüber Auskunft18. Die Ausgangsfrage ist, was eigentlich geschieht, wenn geglaubt wird. Als Methode für diese Strukturanalyse des Glaubens steht die existentiale Interpretation zur Verfügung. Diese Interpretationsweise begreift die Lebensäußerungen des menschlichen Daseins als bestimmt aus der Frage, worumwillen einer lebt, oder anders gesagt, worum es dem Menschen geht, wenn er bedenkt, was ihm fehlt. „Was sich im ,worumwillen' verbirgt, nennen wir den Ursprung, im Unterschied von einer lediglich Abläufe auslösenden Ursache" 19 . Die Gemeinde wird also nicht als Bund in dem Blute Christi gestiftet, sie ist vielmehr das „Worumwillen" und erst damit der Ursprung des Glaubens. Denn es muß dem Glauben an Chri1 4 Ebd. 1 5 III, 18 13 II, 174 I, 60, kursiv von uns 1 7 II, 163. In einer gewissen Spannung zu dem soeben Gesagten steht Fuchsens retractatio von 1964, in der er die Einordnung der Berufung der Zwölf und die Einsetzung des Petrus vor Ostern zurücknimmt (III, 4 9 Anm.). Das mag sich aber mehr auf die Idee der „Zwölf" und das Amt des Petrus als auf die von Fuchs zentral gelehrte vorösterliche Glaubensgemeinschaft beziehen. Immerhin ist in der Vorlesung von 1932 eine große Sympathie für K . L. Schmidts These, die die Auferstehung Christi und den Anfang der Kirche — gegen E. Peterson — in einen unmittelbaren Kausalzusammenhang bringt, zu verzeichnen. In der Grundposition der Geschichtlichkeit der Kirche steht wiederum der alte Fuchs E. Peterson (der die Kirche erst auf Grund einer historischen Entscheidung der Jünger, Jerusalem zu verlassen, hatte entstehen lassen) näher als der junge. 1 8 I, 45 f. 1 9 I, 48 16

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stus seiner Struktur nach, also in der Liebe, ja allererst um Gemeinde gehen 20 . Nur insofern sie dieses Worumwillen ist, also Ziel, Tendenz des Glaubens, kann sie auch Ursprung des Glaubens sein: „Wir sind im Ursprung, wenn wir wagen, was Jesus gewagt hat" 2 1 . „Der Ursprung ist ja nie nur ein Anfang, sondern das, was allem, was folgt, im Ganzen vorgeordnet ist. Im Unterschied von Anfang muß beim Ursprung alles, was folgt, in gleicher Weise, räumlich unmittelbar, auf den Ursprung beziehbar sein. Anders hat es keinen Sinn, speziell von einem Ursprung zu reden. Im Schema der Zeitkontinuität kann der Ursprung sogar als ein Späteres erscheinen" 22 . Es ist, mit anderen Worten, die in Jesu vorösterlichem Auftreten schon vorweggenommene Allgemeinheit, die es verbietet, bei Ostern von einem besonderen Ursprung zu reden. Die Allgemeinzugänglichkeit des Glaubens, in der Jesus uns (nur) exemplarisch vorangeht, ist gleichsam ein Existential: eine Möglichkeit der Verwirklichung des Menschen überhaupt, nicht des besonderen, zu einer besonderen Geschichte berufenen israelitischen Menschen. Das, was nach Eph. 2 erst Frucht des Todes Christi ist, daß die Trennung zwischen Juden und Heiden, zwischen besonderer Erwählung und universaler Absicht, niedergerissen wird, ist nach Fuchs grundsätzlich schon vorösterliche Gegebenheit. Jesus war der Anlaß und Anfang eines neuen Selbstverständnisses für seine echten Jünger. „Aber es wäre schon historisch gesehen nicht zureichend, Jesus nur aus der Relation zu seinen Jüngern verstehen zu wollen. Jesus wollte ja, daß sich jedermann in seiner Umgebung als Mensch der Zukunft verstehe" 23 . Die Allgemeinheit der Ausrichtung des Evangeliums soll, so interpretieren wir, sofort ohne die Zwischenstufen Israels, der Jünger als Repräsentanten Israels und dann auch wohl ohne Vermittlung durch den Leib der Kirche garantiert sein. Fuchs sagt dann weiter (er spricht hier im Rahmen des Themas: die biblische Auffassung vom Menschen): „Vermutlich stecken wir immer noch zu sehr in dem MißVerständnis, als wäre der Ursprung gleich dem Anfang so etwas wie ein fixierter Punkt. Aber der Ursprung ist kein Punkt, kein Zeitpunkt, auch nicht bloß eine Kraft, die hervorbringt. . . , sondern ein Raum, der sich auf tut, nicht Quelle, sondern Meer, um im Bilde zu bleiben. Der Ursprung setzt nicht aus sich heraus, sondern er läßt ein und gibt so Raum und auch Zeit. Der Ursprung des Menschen wäre demnach das, was ihm Raum und Zeit gewährt." Jesus ist auch Ur-sprung, in jenem „ersten Sprung, mit dem einer zeigt, wer er ist. Denn er sprang ja doch den weitesten Sprung, den Sprung durch den Tod, und bahnte uns so den Weg" 2 4 . Fuchs entwickelt diesen treffenden, schönen Gedanken nun aber nicht in der Weise, daß er dabei verweilen möchte, daß es für unser Gehen auf diesem Weg grund20 23

I, 63 I, 273

21 24

1,279 I, 276 f.

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9'

legend ist, daß dieser Weg gebahnt worden ist: daß also das Bahnen dieses Weges, das Jesu Gang durch den Tod bedeutet, bleibt gegenwärtiger, nicht einholbarer Ursprung und damit auch bleibender Vorsprung für die Gemeinde ist, sondern er fährt direkt fort: „Paulus möchte mit ihm zusammen den gleichen Sprung tun, um ebenfalls mit ihm ins Leben zu gelangen."25 Jesu Sprung in den Tod heißt zwar ein Opfer der Liebe, aber das Opfer erscheint nicht so sehr als Angebot eines Raumes, in dem wir leben können, als vielmehr als Frage (im Namen Jesu), ob auch wir unsere Zeit als die Zeit des Lebens in der Gottesherrschaft in Anspruch nehmen wollen26. Das Opfer Christi wird direkt in unserem Opfer fortgesetzt: Leben in der Macht der (allgemeinen) Liebe, nicht aus dieser (besonderen) Liebe Christi als der Liebe Gottes. Was bedeutet das alles nun für unsere Frage nach der Auferstehung, die als Anfang der Kirche zugleich der Grund der Kirche ist? Auferstehung als Ursprung der Kirche ist bei Fuchs grundsätzlich nicht in einem Punkt fixierbar, niemals in diesem Sinne „besonder" Der ungebrochene Übergang von dem Verhalten Jesu in das Verhalten der Jünger, die zu ihrem Meister in dem Verhältnis der Nachfolge stehen, macht es unmöglich, auch von der Christologie her an dieser Stelle eine grundsätzliche Zäsur zu denken. Der von Fuchs selbstverständlich auch beobachtete Übergang vom Glauben Jesu zum Glauben an Jesus findet erst später statt, ist jedenfalls nicht mit innerer Notwendigkeit an dem Freikommen des Raumes im Tod Jesu gebunden. Ein Teil der Jünger (Kephas!) hat nach Jesu Tod an ihn „geglaubt"27. „Man" hat die Aussage der Auferstehung „sehr früh" mit der Erzählung von Jesu Kreuzigung verbunden28. „Es gibt also ein kirchliches Urbekenntnis, mit dem die Apostel auf Gottes Tat zum ersten Mal geantwortet haben, aber dieses Bekenntnis bedürfte von vornherein der Erneuerung"29. „Diesem Ärgernis (des Kreuzes) war durch die Ostererfahrungen der ersten Generation keineswegs für immer abgeholfen"30. Und: „Die Geschichte der Kirche Jesu Christi beginnt nicht einfach mit dem Bekenntnis zu J e s u s . . . , sondern . . . mit dem Neuen Testament" 31 . Umgekehrt verdankt das Neue Testament seine Entstehung gerade gewissen Unterschieden des Glaubens und nicht etwa einem Glauben oder einer Kirche (die es historisch niemals gegeben hat) 32 . Es gibt keinen die Kirche freisetzenden Augenblick, kein mit dem Tod Jesu verbundenen eph'hapax; es gibt nur Glaube, daß die Zeit gekommen ist. Nach dem Tode Jesu fängt ein geschichtlicher Inkubationsprozeß an: „Das ging nicht von heute auf morgen und nicht ohne innere Kämpfe 25 27 29 31

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277, kursiv von uns 1, 143 II, 58, kursiv von uns II, 5 8

29 28 30 32

2 78 II, 373 II, 163 II, 169

und äußere Nöte, wie denn auch die Ostererfahrungen ihre Zeit brauchten, bis sie abgeklärt waren" 3 3 . Die Geschichtlichkeit der Existenz bedingt bis zum letzten „Punkt" die Geschichtlichkeit des Grundes der Kirche. „Der geschichtliche Zusammenhang, in welchem Jesus angetroffen sein will, wird also die Geschichte der Macht der Liebe sein" 34 . Freilich redet nun auch Fuchs, wie wir schon hörten, von den besonderen Ostererfahrungen, denen ein gewisser kausaler Wert nicht abgesprochen werden kann. Diese Kausalität bringt es aber niemals zum Rang einer eigentlichen Begründung: sie, die Ostererfahrungen, sind Anlaß, in gewissem Sinne Anfang, kein Grund. „Während aber die Gemeinde zu Jesu Zeit noch in dem israelitischen Volksverband eingebettet war, löste sie sich nach Jesu Hinrichtung unter dem Einfluß der Ostererscheinungen . . . von ihrem alten Volksverband und ging zur Weltmission über" 35 . Aber nur dieser Übergang zur Weltmission ist das Neue 36 . Es besteht kein innerer Grund f ü r diesen Übergang. Die Ostererfahrungen beziehen sich nicht klärend, abklärend, offenbarend auf die Hinrichtung Jesu, sondern brauchten selbst ihre Zeit, bis sie abgeklärt waren 3 7 . Die „echt historische Frage", wie Paulus dazu kam, an Jesu Auferstehung zu glauben, obwohl er den Jüngern Jesu gegenüber im Nachteil war, wird mit dem Hinweis auf Paulus' Vision beantwortet 3 8 . Aber diese Vision oder diese Bekehrung ist nur der (äußere) Anstoß. Entscheidend f ü r Paulus blieb, daß er sich dem Herrn als doulos zu eigen gab38". Was auch immer von den Ostererfahrungen zu sagen ist, von allen gilt, daß sie nur persönliche Bedeutung f ü r die davon Betroffenen gehabt haben. Sie waren eine Hilfe von Gott und insofern eine Wirkung des Heiligen Geistes 39 . Die Osterereignisse sind daher als geschichtliche nur persönliche und keine apostolische, amtliche Bedeutung besitzenden Erfahrungen, mit anderen Erfahrungen oder Verhaltensweisen austauschbar. „Wie einst die Osterereignisse, so kann heute die Klarheit und Tapferkeit eines Predigers mit dazu helfen, daß sich ein Mensch zum Wagnis des Glaubens entschließt. Aber die eigentliche Hilfe des Glaubens liegt in ihm selbst" 40 . Wie verhält sich dann dieser Glaube zu dem bei Ostern bezeugten Sehen? Diese Frage kann nur beantwortet werden, indem wir dabei bedenken, daß sich Glauben und Sehen auf jeweils verschiedene Objekte, nämlich Kreuz und Auferstehung beziehen können. Fuchs: Paulus sieht klarer 4 1 als Petrus die innere Zusammengehörigkeit von Kreuz und Auferstehung: „War er zur Rechten Gottes erhöht, wie die Visionen sagten, so mußte auch sein Kreuz als Tat Gottes verstanden werden" 4 2 . Petrus 33 38 38> 41

1,60 Ebd. 149 1, 278

34 37 39 42

II, 216 f. Ebd. II, 163, kursiv v o n uns 1, 299

35 38 40

1,60 II, 147 f. II, 165

133

dagegen glaubt zunächst noch trotz des Kreuzes43. „Audi die Botschaft von der Auferstehung Jesu könnte vielleicht noch als verzweifelte Reaktion eines ehemaligen Johannes-Jüngers wie des Apokalyptikers Petrus gedeutet werden" 44 . Unter Einfluß des Petrus kommt es dann (später?) zu der Kategorie des Augenzeugen, der Heilstatsache45. Aber die Botschaft hängt nicht von der Zeugenreihe 1. Kor. 15 ab 46 . Der Akt der Verkündigung geht dem Sehen voraus47. Das gilt sogar auch für Paulus: Paulus selber stand als Verfolger durchaus schon unter dem Einfluß der Verkündigung48. Und wie die Verkündigung so geht audi der damit wesentlich zusammengehörige Glaube49 dem Sehen voraus. Die Ostererfahrungen selbst darf man nicht als Glaubenserfahrungen bezeichnen. Sie sind etwas anderes, weil sie sich selbst genügen50. „Im Blick auf die ersten Verkündiger der Botschaft von Jesus heißt das alles doch, daß sie nicht wegen, sondern trotz ihres Gesehenhabens zu glauben hatten" 51 . „Die Ostererfahrungen eignen sich auch ohne Theologie (sc. des Kreuzes) zur Erzählung" 52 . Die Ostererfahrungen rangieren unter die Qualitäten oder Affekte des Menschen. „Ginge es nur um sie, so würde man sich für die Wirklichkeit der Ostererlebnisse gegen die Wirklichkeit der Predigt zu entscheiden haben" 53 . Nicht aber die Ostererfahrungen, sondern Jesus selbst und seine Verkündigung ist die Wirklichkeit, an der die Wirklichkeit, die die ersten Jünger visionär gesehen hatten, zu messen war 54 . Die Jesus-Tradition sollte nicht zu einem Moment in der Biographie von Visionären degradiert werden55. Es ist klar, was die Grundabsicht von Fuchs ist. Die Korrelation Verkündigung und Glauben ist als Deutungsschema sowohl für das vorösterliche als auch für das nachösterliche Geschehen absolut konstitutiv. Sogar der noch nicht glaubende, ja ausdrücklich den Glauben verweigernde Paulus wird in dieses Schema hineingepreßt. Aber ist nicht gerade das Scheitern der Verkündigung, also das Nicht-zustande-kommen dieser Korrelation das Wesentliche der Evangelien, das Wesentliche auch in der Biographie des Paulus, wo er als Repräsentant Israels, das gewiß unter der Verkündigung stand, den Glauben verweigerte? Und ist es nicht gerade diese Verweigerung des Gehorsams, die den Einsatz des Leibes Jesu in den Tod herbeiführt, ein Einsatz, der erst durch diesen Tod hindurch die Korrelation von Wort und Glaube wieder, oder besser: zum erstenmal echt herstellen kann? Erst wo dieser Leib gesehen wird, kann es zum Glauben und zur Verkündigung kommen. Fuchs erkennt den Bruch, die Verleugnung des Petrus, den Verrat des Judas, die Ver«» I, 300 « II, 273 4 » Ebd. 5 1 I, 304, kursiv von uns 53 I, 304

134

44 46 49

I, 300 I, 302 52

54

Ebd.

I, 278, kursiv von uns 4 7 I, 301 5 0 I, 303 I, 303 6 5 Ebd.

folgung des Paulus nicht an. Er kann darum auch keine rechte Sicht auf den Opfertod Christi bekommen, der gerade diesen Bruch und Gottes Bemühung damit zentral thematisiert. Die Grundlegung der Gemeinde erst jenseits dieses Bruches würde das vorösterliche konstitutive Sprachgeschehen zwischen dem Verhalten Jesu und dem Glauben gefährden, und deshalb darf es in der Nähe des Kreuzes auf keinen Fall zu irgendeinem grundlegenden „Sehen" kommen. „Sehen" hat bei Fuchs einen gnostischen, historisierenden Nebenklang. Fuchs meint es nicht als Lob, wenn er bemerkt, daß Petrus derjenige ist, der die Kategorie des Augenzeugen, der Heilstatsache hereingebracht hat 56 . Petrus würde der Gefahr einer Gnosis erliegen, wenn er bei seinem Gesehenhaben verharrt 57 . Petrus ist auch derjenige, der in der Urgemeinde an Jesus glaubt 58 . Wenn es bei Petrus zum Glauben kommen sollte, so geschieht das also sowohl trotz des Kreuzes 59 als auch trotz des Gesehenhabens (in einer Auferstehungsvision) 60 , obwohl Kreuz und Gesehenhaben selber zueinander in Spannung stehen. M. a. W.: Der echte Glaube hat überhaupt keinen historischen Bezug, und Petrus mag dann zu denen gehört haben, denen dieser von Fuchs verlangte „Glaube-trotz-des-Gesehenhabens" nicht gelungen ist 61 . Wir fragen: Uberzeugt dieses Schema, in das gerade Petrus, der erste „Augenzeuge" und der Fels, auf dem die Kirche gebaut ist, hineingezwungen wird? Wenn das ,öphthe' nicht mit dem Sehen des Gekreuzigten als des für uns Geopferten verbunden wird, muß es natürlich von anderswoher eine Füllung bekommen, und dann wird der Begriff „Vision" (dessen Tücken wir bei der Besprechung von Grass schon feststellen mußten; vgl. S. 68 f.) als psychologisierende oder historisierende Hilfskonstruktion geradezu unvermeidbar, obwohl er audi bei Fuchs theologisch unbrauchbar ist und nicht zur Verwendung kommt. Es läuft darauf hinaus, daß der im Neuen Testament bezeugte direkte und indirekte Bezug von gerade Petrus (als „Prototypus des Bekennens und Verleugnens" 62 ) auf das Leiden, das Kreuz und die Erscheinung des Herrn förmlich eliminiert wird. Das, was der zentrale Inhalt der Erscheinung an Petrus gewesen sein dürfte (Joh. 21, 15 f) 6 3 : die Gnade der Berufung zur Predigt der Gnade nach der Verleugnung, wird gerade Petrus aberkannt: „Zieht man die Petruslegende aus der Passionsgeschichte heraus, so wird der Gedanke akut, daß Petrus auch das Wort Gnade schwerlich so betont wie Paulus" 6 4 . Zu einer solchen Konstruktion kann man aber "

5 8 I, 143 11,273 « I, 3 0 5 I, 278 «» I, 304 « Ebd. 62 Als „Prototypus des Bekennens und Verleugnens", H. Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft, 112 63 Audi Bultmann sieht hier einen Reflex von sehr alter Oberlieferung, vgl. Anmerkung Kap. III, 22 64 I, 301 59

59

135

nur dann kommen, wenn man vorher in der Tat die „Petruslegende", die dem ganzen Geschehen um das Kreuz herum seine letzte Profilierung gibt (der Bekenner als Verleugner, der Bekenner, der nicht will, daß der Messias leidet — in beider Hinsicht der Repräsentant Israels —, Petrus, der dafür sorgt, daß der Messias am Kreuz von der Jüngergemeinde verlassen ist, und dessen Glauben nur in dem stellvertretenden Gebet des Messias seine Kontinuität findet; vgl. Lk. 22, 31—34), aus dem Evangelium herausgezogen hat. Daß Petrus Jesu Kreuz eher analog zu den Opfern Israels gedeutet haben mag65, bedeutet dann für Fuchs, daß unter diesen Umständen der Glaube für Petrus kaum mehr nötig war und insofern fast unerschwinglich. Dabei hängt es aber nur davon ab, was unter „Glauben" verstanden wird. Fuchs versteht unter „Glaube" das sich auf Jesu hin entwerfende Wagnis, das auch dessen Kreuz noch mit in das Wagnis der Deutung hereinnimmt. Insofern ist es von Fuchs richtig empfunden, daß das Verständnis des Kreuzes analog zu den Opfern Israels diesen wagenden Glauben unnötig macht. Ist aber Jesu Opfer, wie die Opfer Israels, in der Tat ein stellvertretendes Opfer, so liegt das Wagnis, die Paradoxalität des Glaubens, so man will, ganz auf Jesu und ganz und gar nicht auf unserer Seite. Man braucht dann in der Tat „nur" noch zu „sehen", zu sehen, was war: daß dieser Leib ein Opferleib war, ein Raum-machen für andere, für uns, seine Kontrahenten. Der Glaube hat als Objekt nicht die Menschlichkeit des Kreuzes (um es in einem Trotzdem des Glaubens mitvollziehend zu transzendieren), sondern die Göttlichkeit: das „sehen" ist bemerken, daß dieses Kreuz unter dem göttlichen „Muß" (Lk. 24, 26) stand und als solches versöhnenden Raum gewährt. Gerade Petrus war, in der Vollendung des Ungehorsams des berufenen Volkes, dazu berufen, das Kreuz als unsere Tat (Apg. 2, 23 dürfte Petrus sich bei dem: Ihr habt ihn getötet, mit einschließen) zugleich als Gottes Raum für uns zu entdecken (Apg. 2, 24). Das haben Fleisch und Blut ihn nicht gelehrt (Mt. 16, 17 und 23), das ist Offenbarung. Dabei gehen Glauben und Sehen aber Hand in Hand: Der Glaube an die Messianität Jesu (Fuchs: Petrus hat an Jesus geglaubt) offenbart die Sicht auf den versöhnenden Raum seines gestorbenen Leibes. Der Glaube stellt nicht in den Glauben Jesu hinein — um sich dort wiederzuerkennen —, sondern in die Frucht des Glaubens Jesu, in den Raum dieser besonderen, uns von Gott gewährten Liebe (Joh. 3, 16). Der Leib des Messias ist gerade dadurch, daß er in den Tod gegeben wurde, da: erst dieser Tod offenbart das Wesen (telos) seines leiblichen Lebens. Jesus ist leiblich, in, mit und unter diesem Opferleib, auferstanden. In dem Opfer des ganzen leiblichen Lebens offenbart Jesus sein wahres Sein. Die Inkarnation wird von Ostern her erschlossen. 65

136

Ebd.

Die Frage nach dem Grund des Glaubens bei Fuchs kann man somit auch als die Frage nach dem Verhältnis von Leiblichkeit und Sprache diskutieren. Man kann auch sagen: von Leiblichkeit und Zeitansage. Die Vorstellung der leiblichen Auferstehung, sagt Fuchs, trägt zunehmend die Züge einer Rekonstruktion der Vergangenheit. An einigen Stellen im Neuen Testament wird sogar gesprochen über: Essen mit Jesus. Das erinnert an das Abendmahl. Es mag nun, so Fuchs, „angemerkt sein, daß dieser an das Herrenmahl erinnernde Zug dennoch etwas historisch Wesentliches in sich birgt. Denn in der Tat gab Jesus denen, die mit ihm aßen, in seiner Feier das, was später das ,Leben' hieß. Es war das Leben, das wir nur in ihm ,haben' und das wir deshalb von ihm haben, weil er es heute noch mit uns einübt. Deshalb gab er seinen ,Tischreden' darüber in einigen Gleichnissen eine behaltbare Form. Er zeigte damit aber nicht auf sich, sondern auf die Zeit, die durch ihn erfüllt war" 0 6 . Die Form des Behaltens des Lebens ist also nicht Christi Leib, sondern die Zeitansage, die uns in den Gleichnissen als Sprachereignis gewährt wird. Das „Haben" des Lebens in Christus hängt davon ab, ob er es heute mit uns einübt. Die Form der Leiblichkeit, des Auf-sich-zeigens, würde einer ontologischen (wenn nicht gar physischen) Christologie wohl Vorschub leisten. Die Leiblichkeit Christi steht nicht auf der Seite der Grundlegung, sondern auf der Seite der Einübung des Glaubens. Die Auferstehung ist f ü r Paulus das entscheidende Ereignis, das den Menschen die Möglichkeit gewährt, sich dem Leiblichen gegenüber neu zu orientieren. Dieses Ereignis kommt zum Zuge, indem der Glaube eingeübt wird 6 7 . Einübung des Glaubens ist Einübung der Auferstehung. In einem Exkurs über das „est" in dem: „das ist mein Leib" sagt Fuchs 68 : „Es ist das nicht einfach eine verwandelte physische Substanz, die der Priester mitschafft, sondern genau das, was allein angeboten werden kann: Christi hingegebener Leib und sein vergossenes Blut, der Leib und das Blut Christi, die nach Jesu Kreuzestod nichts mehr f ü r sich selbst sind, aber die Wundergabe ,für mich' werden möchten". Und er sagt dann sehr schön: „Gott denkt nicht aristotelisch, sondern sakramental". Dabei ist allerdings die Frage, ob Fuchs selber dieses göttliche Niveau des Denkens eingehalten hat. Ist es nicht, wenn auch in dem negativen Bezug, aristotelisch gedacht, wenn er sagt, daß Leib und Blut Christi nach Jesu Kreuzestod nichts mehr für sich selbst sind? Sind sie denn überhaupt je etwas für sich selbst gewesen? Ist nicht die schon in der alten Kirche gelehrte Anhypostasie der menschlichen N a t u r Christi die wirksamste Waffe gegen den Aristotelismus? Aber das bedeutet keineswegs, daß wir nicht im Hinblick auf den Leib Christi in Seins-Kategorien reden dürfen. Vorösterlicher und nachösterlicher Leib und Blut Christi sind gerade das, was sie sind, indem sie nichts für sich selbst sein wollen. ββ

II, 241

ff.

67

II, 250

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I, 37 f.

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Der Leib des Messias ist als solcher gerade dadurch, daß er in den Tod gegeben wurde, da. Offenbart ja dieser Tod erst den Sinn, das Sein dieses leiblichen Lebens. Das Sein dieses geopferten Leibes, das leibliche Sein dieses Opfers, ist die Objektivität, auf die sich der Glaube als auf seinen Grund richtet. B. Der Zeuge des Glaubens als der Grund des (Gerbard Ebeling)

Glaubens

Der theologische Entwurf, den Gerhard Ebeling uns vorgelegt hat, setzt noch nachdrücklicher und präziser, als Ernst Fuchs es tat, bei der von Rudolf Bultmann heraufbeschworenen Problematik ein und nimmt seine Position in expliziter Auseinandersetzung mit dem Meister ein. Die Schrift „Theologie und Verkündigung" heißt auf dem Titelblatt: „Ein Gespräch mit Rudolf Bultmann" 69 . Die in einigen Teilen zu der Position Bultmanns antithetische Entwicklung der Theologie Ebelings ergibt sich nicht aus von vornherein antithetischen theologischen Ansätzen, sondern aus immanenten Widersprüchen und Unausgeglichenheiten, die notwendig auf weitere Klärung drängen. In unserem ersten Kapitel erschien die Grundfrage nach der Konsistenz von Bultmanns Position (insofern sie in dem besprochenen Aufsatz erschien) als die Frage nach der Ermöglichung der christlichen Existenz durch die vorangehende Tat Gottes (siehe oben S. 39). Wir haben dort gesehen, daß Bultmann sich durchaus der grundlegenden Bedeutung der Liebe Gottes, die die Liebe des Menschen erst möglich macht, bewußt ist. Unsere Kritik an Bultmann war dabei nicht an einer etwaigen verbotenen Entmythologisierung der Auferstehung Christi orientiert, sondern an dieser zentralen Frage nach Ermöglichung (wir können jetzt sagen: an dem transzendentalen Bezug der christlichen Existenz in der Gemeinde) unserer Liebe orientiert, und wir fanden, daß es Bultmann nicht gelungen war, diese von ihm selbst als grundlegend ausgegebene Frage nach Ermöglichung der christlichen Existenz in dem Vollzug des Programms der Entmythologisierung zur Geltung und Entfaltung zu bringen (S. 40 ff.). Die gleiche Frage stellt sich nun Ebeling (der sich dabei auf das ganze Schrifttum Bultmanns bezieht) in der Gestalt der Frage nach dem Grund des Glaubens und der Autorisierung des Kerygmas bei Bultmann 70 . Die Erklärung, die Bultmann für das Unterbleiben dieser Frage gibt, will Ebeling nicht gelten lassen. Bultmann meint (vgl. oben S. 37), daß der Glaube nur dann Glaube bleiben kann, wenn man von der ganzen Frage nach dem Grund des Glaubens abzusehen bereit ist. Ebeling dagegen «» Hier zitiert als ThV

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70

ThV 31 f.

sagt71, daß die Frage nach dem Grund des Glaubens keineswegs im Sinne einer dem Wesen des Glaubens fremden, ihn ganz oder zum Teil überflüssig machenden „Begründung" zu verstehen ist, sondern vielmehr gerade als Frage nach dem, was den Glauben zum Glauben m a c h t . . . , was den Glauben dabei erhält, reiner Glaube zu sein. Diese Antwort auf die von ihm bei Bultmann scharf analysierte Aporie wirft nun zwar selbst wiederum nicht weniger große Probleme auf, mit denen wir uns unten befassen wollen, wenn wir von dem Glaubensbegriff Ebelings reden werden. Vorerst aber wollen wir hier weiter sehen, wie Ebeling die Inkonsequenz bei Bultmann aufdeckt. Ebeling nimmt es Bultmann nicht ab, daß er das Kerygma als eschatologische Größe prinzipiell ohne Begründung und Autorisierung sein lassen will. Er weist nach72, daß es im Werke Bultmanns selbst, trotz schärfster Ablehnung der Frage nach der Legitimation des Kerygmas, gelegentlich Formulierungen gibt, die in bezug auf das Kerygma von einer Autorisierung sprechen. Wenn ζ. B. die Frage: Warum mußte der Verkündiger zum Verkündigten werden? als Frage nach einer „inneren Notwendigkeit" interpretiert wird, so stellt sich damit letztlich ebenfalls die Frage der Autorisierung des Kerygmas73. Die historische Vorhandenheit des Kerygmas ist, auch wenn wir dieses Kerygma mit einem schweren eschatologischen Akzent versehen, noch keine Antwort auf die Frage nach dem „Quo iure" des Kerygmas. Ein Faktum ist daher nicht in seiner Faktizität, sondern in seinem Ursprung begründet. In dem Begriff Ursprung vereinigen sich aber die historische und die Rechtsfrage: die kausale Verbindung ist an dieser Stelle nicht ein bloßes Nebeneinander von Ursache und Folge (D. Hume), sie ist auch nicht nur kraft der dem Geiste immanenten Kategorie der Kausalität vorhanden (Kant), sondern sie liegt in der Fruchtbarkeit der Ursache beschlossen. So kann Ebeling sich fragen, wie es denn dazu kommt, daß überhaupt, mit welchen Titeln und Wendungen audi immer, Kerygma entsteht74. Das Entscheidende am Kerygma ist nicht, daß diese oder jene Wirklichkeitsaussagen vorgegeben waren, die die Interpretamente lieferten, mit deren Hilfe zu sagen versucht wurde, was sich in Jesus ereignet hat. Das Entscheidende ist vielmehr das Eintreten einer die Situation qualifizierenden Herausforderung, die das Kerygma ermächtigt. Und: es bleibt solange bei einem nur historischen Verstehen, als nicht die Notwendigkeit kerygmatischer Aussage überhaupt deutlich wird. Das Problem der Verkündigung heute ist: „Das Fehlen des Beanspruchtseins durch seine Notwendigkeit" 75 . Abgesehen von den Begriffen „Herausforderung" und „Beanspruchtsein", die zu dem, was wir als Inhalt der eingetretenen 71 73

ThV 32 ThV 33

72 74

ThV 32, Anm. 3 ThV 48 f.

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qualifizierenden Situation bezeichnet haben (nämlich das Vollbrachtsein des Werkes, die Stellvertretung, für die unsere Antwort auf die Herausforderung gerade nicht konstitutiv ist), in Spannung stehen, ist darin das Problem treffend formuliert. Ebeling sagt dann 76 : Wir „müssen die Frage nach dem Grund des Glaubens durchhalten als Frage nach dem, was die Situation konstituiert, in der das Kerygma als Kerygma, d. h. in seiner Notwendigkeit verstanden wird", und findet dann so den Übergang zu dem „historischen" Jesus: „hier wird es notwendig, von Jesus zu sprechen" Diese Notwendigkeit ergab sich aus der Reflexion über das Kerygma im Hinblick auf seine Eindeutigkeit und im Hinblick auf seine Verständlichkeit, d. h. die Einsicht in das, „was den Grund und die Notwendigkeit des christologischen Dogmas ausmacht"77. Die neue Frage nach dem historischen Jesus vollzieht sich nun nicht so sehr aus einer Änderung der „Forschungssituation" seit Bultmann, sondern aus der Nötigung der hermeneutischen Situation: „in der Frage nach dem historischen Jesus geht es um den hermeneutischen Schlüssel zur Christologie" 78 . In diesem Zusammenhang nun präzisiert Ebeling seine Kritik an Bultmann, der das Zurückfragen hinter das Kerygma kategorisch verbietet, und zwar deshalb, weil er darin einen Versuch der Legitimierung und Begründung des Kerygmas sieht. Ebeling: „eines ist die Warnung vor unsachgemäßem Zurückfragen zur Legitimation' und ein anderes ist die Notwendigkeit sachgemäßen Zurückfragens zur Interpretation. Dabei sei noch dahingestellt, ob nicht in anderer Weise, als Bultmann diesen Terminus gewöhnlich gebraucht, die Frage der Legitimation des Kerygmas auch angemessen verstanden werden kann und dann identisch wird mit der Frage seiner Interpretation"79. Hier liegt das eigentliche Motiv Ebelings, über das bloße „Daß" Bultmanns hinaus zu fragen. Daß ein solches Fragen nicht verboten oder unmöglich sein kann, behauptet er gegenüber dem Verdikt des Lehrers, indem er ihm eine Doppeldeutigkeit in dem Gebrauch des „Daß" vorrechnet. „Von dem ,Daß c einer historischen Erscheinung weiß ich nur, indem ich irgendein Wissen von ihrem ,Was' und ,Wiec habe... Das Interesse kann mehr an einem oder mehr am andern haften, aber nie nur am einen oder nur am anderen . . . Bultmann überträgt den — setzen wir dies einmal voraus — legitimen theologischen Gebrauch der Redeweise vom ,Daß c des eschatologischen Ereignisses, das ausgesagt ist in Hinsicht auf ein geschichtliches Ereignis, m. E. unberechtigterweise in ein Reden vom ,Daßc im rein historischen Sinn der bloßen Faktizität eines historischen Ereignisses"80. Dagegen Ebeling: „Das ,Daß' ist das ,Was', in dem Jesus und urchristliches Kerygma konvergieren"81. „Das Urchristentum hat, so wenig die 75 78 81

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76 ThV 51 ThV 49 ThV 55, letzte Kursivierung von uns ThV 73

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ThV 51

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ThV 52 ThV 68

Art der Formulierung seiner Antwort von Jesus intendiert war, Jesus nicht mißverstanden, sondern verstanden"82. Letzteres sagt auch Bultmann. Ebeling sieht Bultmanns ganze Arbeit als eine Auseinandersetzung mit dem positivistischen Geschichtsverständnis, das auf Tatsachen aus ist, die die Forschung ihm nicht mehr liefern kann und audi nicht liefern möchte, weil sie nach Begründung schmecken. Wir können aber sagen, daß Bultmann deshalb seine Auseinandersetzung mit dem historischen Positivismus nicht scharf hat durchführen können, weil er die Frage nach dem Grund von vornherein mit der Frage nach Begründung identifizierte. In Bultmanns Angst vor Begründung („das Beweisenwollen") steckt noch die echte Intuition und das Wissen darum, daß Offenbarung nur durch Offenbarung gekannt wird. Und doch haben die Fragen nach dem Grund und die Frage nach Begründung einen grundverschiedenen Ort. Letztere wird erfragt, wenn kein Grund vorhanden ist oder der behauptete Grund (etwa die leibliche Auferstehung) nicht gelten darf und ein anderer Grund gesucht oder gelegt werden muß. Die Frage nach dem Grund dagegen will nicht von außen her begründen, sondern den Grund, auf dem man steht und der in Geltung steht, fragend besser verstehen. Die Frage nach dem Grund hat den Ort innerhalb des Glaubens. Das Erfragte ist nicht der Beweis für den Grund, ohne welchen der Grund hinfällig wird, sondern das Verständnis des eigenen Lebens aus dem Grund. Bei Ebeling ist nun allerdings zu fragen, ob die neue hermeneutische Situation, die das neue Fragen nach dem historischen Jesus notwendig macht, nicht doch eigentlich in dem Maße durch die Situation des modernen Menschen auch außerhalb der Kirche bestimmt ist, daß die Interpretationsaufgabe sich nicht mehr ausschließlich auf den Boden des fides quaerens intellectum stellt, sondern unbemerkt doch die Funktion des Beweisen-wollens erlangt hat. Die Differenz mit dem positivistischen „Beweisenwollen" läge dann nur in einem tieferen als nur rationalistischen Appell, nämlich in dem existentiellen Appell an den Menschen. Der Ort des Fragens könnte dann nicht mehr genau als innerhalb oder außerhalb der Kirche bestimmt werden, sondern läge irgendwo auf der Grenze, in einem Ubergangsfeld zwischen der Frage nach bestehendem und geltendem Grund und der Frage nach Begründung, nach dem Aufweis eines noch nicht vorhandenen Grundes. Wie verbindet nun Ebeling, im Gespräch mit Bultmann, das Zurückfragen hinter das Kerygma mit dem Aufweis von Kontinuität und Diskontinuität zwischen der Verkündigung des historischen Jesus und dem urchristlichen Christus-Kerygma? Die entscheidende Frage ist: „Läßt sich bestimmen, worin historischer Jesus und urchristliches Kerygma so konvergieren, daß ihre Differenz nicht aufgehoben, aber sinnvoll wird, in82

ThV 72

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dem das Verschiedene sich gegenseitig erhellt?" 83 . Nach Bultmann macht nun die Verhältnisbestimmung, daß Jesus und urchristliches Kerygma sich als implizite und explizite Christologie zueinander verhalten, verständlich, wie aus dem Verkündiger der Verkündigte wurde84. Dieses große Rätsel der neutestamentlichen Theologie löst sich in der Einsicht, daß das „Daß" seiner Verkündigung das Entscheidende ist. Und es ist dann nicht nur für Ebeling überraschend, daß Bultmann diese Einsicht in das Verhältnis zwischen Jesus und urchristlichem Kerygma im Grunde als unwesentlich beurteilt85. Auf diese Weise könne man nach Bultmann nur die historische Kontinuität zwischen dem Wirken Jesu und dem Kerygma verständlich machen, bleibe man noch in der Frage nach der Kausalität des historischen Vorgangs hängen. Bultmann beanstandet, daß in diesem Problemkreis die Frage nach der historischen Kontinuität nicht klar von der Frage nach dem sachlichen Verhältnis zwischen Jesus und dem Kerygma unterschieden wird. Ebeling bemerkt dazu, daß die beiden Fragen eng ineinandergreifen. Auf Grund des eingangs dieses Abschnittes über den Begriff des Ursprungs und über die Fruchtbarkeit der Ursache Gesagten stimmen wir Ebelings Feststellung zu, daß das Problem der Kontinuität gar nicht erörtert werden kann, ohne daß das sachliche Verhältnis zur Sprache kommt. „Denn wenn in historischer Verwendung die Kategorie der Kontinuität nicht formalisiert werden soll auf ein Raum- und Zeitkontinuum hin im älteren naturwissenschaftlichen Verständnis, so muß ein Sachverhältnis im Blick sein, das zugleich Gemeinsamkeit und Verschiedenheit umfaßt" 86 . Ebeling fragt sich, ob man nicht lieber überhaupt auf die Terminologie von Kontinuität und Diskontinuität verzichten soll87, weil sie entweder keine Alternative darstellt oder so formal verstanden wird, daß Kontinuität als das bloße Faktum des Angrenzens in Zeit und Raum noch gar nichts über die Art des Verhältnisses sagt. Mag darin Ebeling zuzustimmen sein, so soll das aber nicht bedeuten, daß die Frage nach der Art des Angrenzens in Zeit und Raum unwichtig ist oder als nur formal bezeichnet werden kann. Wir sahen ja in unserem dritten Kapitel, daß sich darin das Problem des Übergangs vom Kreuz als Ende des Lebens Jesu zum Anfang der Gemeinde meldet, dem eine eminent inhaltliche Bedeutung beizumessen ist. Es muß in dem Inhalt des letzten Augenblickes des Leben Jesu, dem Kreuz, eine Kraft verborgen sein, die den Grund der Gemeinde und zugleich auch den historischen Anfang der Gemeinde in einer Weise freigibt, die vor dem Eintreten dieses Todes nicht möglich gewesen wäre. Wenn Ebeling in den „Leitsätzen zur Ekklesiologie" davon redet, daß die Kirche durch den Tod Jesu gleichsam freigesetzt worden ist als der Leib, das heißt, als die 83 88

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ThV 69 ThV 57

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ThV 57 f.

Ebd.

geschichtliche Präsenz des Auferstandenen 8 8 , so hat er damit einen wichtigen Gesichtspunkt gewonnen, der es ihm erlaubt, sich von der biblizistischen Auffassung einer vorösterlichen Gründung der Kirche durch kontingente Anordnung des irdischen Jesus zu distanzieren und nach dem sachlich die Kirche auslösenden Moment zu fragen. Aber was nun Ebelings Alternative zu der Entstehung der Kirche durch Anordnung des irdischen Jesus betrifft: die „befreiende Freiheit als Bevollmächtigung zu vollmächtigem Wort" 8 9 , so ist zu fragen, in welchem Sinne diese Freiheit zwingend nur durch den T o d Jesu freigesetzt werden kann, wenn das Wortgeschehen nicht an dem durch den Opfertod Jesu freigesetzten R a u m des Leibes Christi gebunden ist, sondern als Glaube Jesu schon vorher zur Sprache kommen konnte. Der Übergangscharakter des Geschehens bestünde dann nur in einem Ubergang auf andere Subjekte des Glaubens, nicht auf ein anderes Objekt. Die Frage ist also, inwiefern das Kreuz wirklich die K r a f t hat, inhaltlich den Glauben als seinen Grund auszulösen und die Gemeinde zu konstituieren. Müßte man nicht doch, an Stelle des Schemas Kontinuität-Diskontinuität, das einen Vergleich zwischen dem Ganzen des Lebens Jesu und dem Kerygma anvisiert, den Begriff der Korrelation, der also die Ereignisse straffer zusammenbringt, bevorzugen? Muß die Frage, wie der Verkündiger zum Verkündigten wurde, nicht in strenger Konzentration auf diesen besonderen Ubergang beantwortet werden? Zwar möchte Ebeling gegen Bultmann das sachliche Verhältnis zwischen Jesus und dem Kerygma nicht unter Absehen davon, daß es ein geschichtliches Verhältnis ist, als rein ideellen Strukturvergleich zweier Weisen des Selbstverständnisses erörtern 9 0 . Aber was bedeutet hier geschichtlich? Es bedeutet gewiß Bezogenheit auf das, was in dem historischen Jesus inhaltlich zur Sprache gekommen ist. Aber das Faktische, das das Rückgrat des Historischen bildet, ist bei Ebeling historisch unbestimmt. Was „zur Sprache kommt" ist ein Analoges zu dem, was bei Wilhelm Herrmann das „innere Leben J e s u " heißt, und das auch bombensicher über allen historisch-kritischen Ergebnissen thront. Als solches fehlt ihm die substantielle K r a f t des Faktischen, die es, durch die Erschaffung eines objektiven Raumes, erlauben würde, die Korrelation der Ereignisse streng zu fassen. Ebeling wehrt sich gegen den Versuch, die Andersartigkeit des urchristlichen Kerygmas gegenüber der Verkündigung Jesu durch das Auftreten neuer, zusätzlicher Fakten, nämlich die Auferstehung Jesu, zu erklären, und er fändet uns in diesem Zusammenhang damit an seiner Seite. Eine solche Meinung, sagt Ebeling 9 1 , verdeckt den entscheidenden Gesichtspunkt wahrer christologischer Orthodoxie, daß Jesus nicht erst nach seinem Tod zum Sohn Gottes wurde, sondern daß er, der historische ThV 95 »® ThV 59

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Ebd. ThV 63, Anm. 1

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Jesus, Sohn Gottes war. Richtig! Aber ist der Tod Jesu auch ein solches zu dem Leben Jesu zusätzliches Faktum? Doch wohl nicht. Es wird aber an dieser Stelle klar, daß dieser entscheidende Gesichtspunkt christologischer Orthodoxie, daß nämlich der historische Jesus der Sohn Gottes war, auch und gerade bei dem Verständnis des zu seinem Leben gehörenden Sterbens durchdacht werden soll. Lebt nicht nur Jesus, sondern stirbt er auch als Gottes Sohn (Mk. 15, 39), so kann sein Sterben nicht nur, und nicht einmal entscheidend, unter dem Gesichtspunkt der „Vollendung des Glaubenszeugnisses"92 betrachtet werden. Das, was den Übergang des historischen Jesus zum Glauben der Gemeinde ausmacht, ist nicht die Kontinuität des Menschen Jesus und seines Glaubens, sondern die Treue Gottes, unserem Unglauben zum Trotz. Gott bringt in Jesus das Opfer, aber Gott braucht nicht zu glauben. Die Objektivität des Opfers transzendiert jeden Glauben als die transzendentale Bedingung seiner Möglichkeit. So wie nach Ebeling der Grund der Kirche nicht selber Kirche sein kann 93 , so kann Jesus als Grund des Glaubens nicht selber Glaube sein. Dann macht aber auch die Bestimmung, die Ebeling dem uns beschäftigenden Ubergangsgeschehen zukommen läßt: der Zeuge des Glaubens wird Grund des Glaubens94, wenn anders die Frage nach dem Grund des Glaubens ernst genommen wird, mit rückwirkender Kraft die eigene Bestimmung von Jesus als Zeugen des Glaubens unmöglich. Wie auch uns geht es Ebeling um das Verstehen des Ubergangs. Das Verstehen der Diskontinuität, sagt er mit Recht95, besteht in dem Fragen nach der darin trotzdem wirksamen Kontinuität. Es kommt nur darauf an, wo man den Faden der Kontinuität aufnimmt und entweder weiterspinnt (ζ. B. der Glaube Jesu wird in dem Glauben der Gemeinde fortgesetzt) oder zurückrollt (ζ. B. vom Glauben der Gemeinde auf den Grund des Glaubens). Die Feststellung, daß Kontinuität vorhanden ist, ruht auf der vorgängigen Entscheidung, welche Qualität die beiden zu vergleichenden Größen besitzen. War der Zeuge des Glaubens Gott oder Mensch? Und sollen wir daher die Kontinuität aus Gott oder aus dem Menschen Jesus verstehen? Wer auf diese Frage antwortet „aus Gott", begibt sich damit — in diesem Fall — keineswegs der Verständlichkeit. Ebeling sieht aber das Göttliche nicht an erster Stelle in der Qualität des historischen Jesus, sondern in dem unerwarteten Charakter der Fortsetzung: die Fortsetzung „ist nur als Gottes Tat zu erfassen" 96 . Diese Feststellung kann nach dem obenbeschriebenen Programm nur befremden und mutet wie ein deus ex machina an. Warum ist nicht schon — Ebelings Grundsatz gemäß, daß der historische Jesus Gottes Sohn war — 92

Wort und Glaube I, 315; weiter zitiert als „WuG" 94 95 ThV 94 WuG 3 1 4 Ebd. 88 Das Wesen des christlichen Glaubens, Siebenstern Taschenbuch, München—Hamburg 1964, 53; weiter zitiert als „Wesen" 93

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Jesu Sterben als Gottes Tat verstanden? Könnte Ebeling nicht bereit gefunden werden, diesen Gesichtspunkt für die Bestimmung der positiven Qualität des Sterbens Jesu und damit für die Erklärung des Ubergangs auszuwerten? Er denkt jedenfalls zugleich auch in diese Richtung, wo er sagt, daß die Vollmacht Jesu auf ein Fruchtbringen zielt, „gerade indem sie bis in die äußerste Ohnmacht durchgestanden wurde" 97 . An dieser Formulierung ist einiges zu beanstanden (wie kann eine Vollmacht durchgestanden werden, als ob sie etwas Widriges wäre), aber nicht der darin verborgene Ansatz, nach einer Verbindung von Sterben und Fruchtbringen zu suchen. Für das wirkliche Verstehen dieser Verbindung hängt aber alles daran, daß Jesus als Gott gestorben ist. Sein Sterben hat dann — von vornherein — das Ziel, Frucht zu bringen: die Früchte sind in diesem Sterben schon angelegt und mitbegriffen. Das ist es wohl, was Ebeling meint, wenn er von einer „impliziten Ekklesiologie" redet. Die Vollmacht in der Ohnmacht, wenn man so will, kann nur die Vollmacht des Raum-schaffenden Opfers sein, die Vollmacht, Sünden zu vergeben, die nur auf dem Selber-tragen der Sünde beruhen kann. Ebelings Satz, daß die Fortsetzung nur als Gottes Tat verstanden werden kann, impliziert doch wohl, daß Jesu Sterben nur als eine Tat der ihn tötenden Menschen verstanden werden kann. Die Fortsetzung als Gottes Tat ist dann — dem chronologischen Schema von Act. 2 gemäß — ein von Gott gesetzter, neuer Anfang, der zwar eine neue historische Korrelationsreihe inauguriert, dafür aber den Zusammenhang mit dem Tod Jesu auf die negative Bedingung für seine Auferweckung beschränkt. Damit fällt aber auch die Möglichkeit weg, sinnvoll von einem fruchtbringenden Sterben zu reden. Nun wird aber Ebeling einwenden: unter „Gottes Tat" soll nicht ein zum Leben Jesu zusätzliches Faktum verstanden werden, sondern die Qualifizierung des irdischen Lebens Jesu als solches. Einverstanden. Dann aber muß gewählt werden: entweder der Gesichtspunkt der Qualifizierung des irdischen Lebens Jesu — er war Gott — wird für das Verständnis des Übergangs fruchtbar gemacht, oder aber „Gottes Tat" wird mit dem Begriff „Fortsetzung" verbunden. Wir stoßen damit auf den merkwürdigen Sachverhalt (merkwürdig aber nur insofern wir gewohnt sind, das „Verstehen" nur auf menschliche Komponenten der geschichtlichen Korrelation zu beziehen), daß, wo der Übergang des Sterbens Jesu zum Anfang der Gemeinde von Jesus als von Gott aus gedacht wird, dieser Ubergang verständlich wird (als ein uns Einräumen des versöhnenden Raumes des Opferleibes) und daß umgekehrt das Sterben Jesu als Mensch nur die Endgültigkeit seines Scheiterns zu unterstreichen, nicht aber den Ubergang zur Konstituierung der Gemeinde in seinem Blut verständlich zu machen vermag. Die Formulierung: „der Zeuge des Glaubens wird Grund des Glaubens" 97

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Geense, Auferstehung

ist zwar insofern verständlich, als man sie (in Analogie etwa zu der oben S. 133 erwähnten Konstruktion von Ernst Fuchs über die heute den Glauben auslösende Tapferkeit eines Predigers) in der Weise denken kann, daß der bis in den Tod durchgehaltene Glaube die prinzipielle Möglichkeit des Glaubens demonstriert und so für andere „Grund" wird. Aber abgesehen von der Möglichkeit des bleibenden Zweifels, ob Jesus, trotz seines durchgehaltenen Glaubens, nicht doch gescheitert ist, wird bei dieser Konstruktion überhaupt nicht verständlich — und darum geht es doch in unserer Frage —, warum dieser Übergang nur beim Tod des Glaubenszeugen stattfinden kann. Es ist an dieser Stelle, daß die Widersprüche, in die wir Ebeling verwickelt sehen, die Unhaltbarkeit des doppelten Ausgangspunktes, im Glauben Jesu und im Glauben der Gemeinde, am klarsten indizieren. Einerseits heißt es: „Allerdings fand Jesus nicht schlechthin erst jetzt Glauben" und: „Das Erscheinungsgeschehen . . . ist nicht typisch für das Zum-Glauben-Kommen überhaupt" 9 8 . Andererseits: „An der Entstehung des Osterglaubens ist das Neue nicht ein neuer Glaubensgegenstand, sondern die Entstehung, das Erwecktwerden, das Lebendigwerden des Glaubens selbst" 99 . Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Diejenigen, die schon vorösterlich geglaubt haben (ob es viele oder wenige waren, tut nichts zur Sache, weil die typische Struktur des Zum-Glauben-Kommens nicht mit Ostern verbunden ist), müssen dafür auch einen Grund gehabt haben, und zwar audi in Jesus. Dann aber hat der Ubergang von dem Zeugen des Glaubens zum Grund des Glaubens schon dort stattgefunden und trägt zur Erklärung des historischen Ubergangsgeschehens zwischen Kreuz und Anfang der Gemeinde prinzipiell nichts mehr bei. Ebeling empfindet offenbar selber diese Schwierigkeit und macht deshalb sowohl über das Ostergeschehen als auch über den vorösterlichen Glauben nähere Bestimmungen. Uber das österliche Erscheinungsgeschehen heißt es, daß es darin um das Verkündbarwerden des durch Jesus erweckten und auf ihn sich gründenden Glaubens geht. Es ist ein „zeitlich begrenztes Ausnahmegeschehen, das Berufungscharakter hat und mit der Konstituierung des Kerygmas zu tun hat" 1 0 0 . Was den vorösterlichen Glauben betrifft, so ist er nicht so sehr voller Glaube als vielmehr „ein Angegangensein von der Frage nach dem Glauben" 1 0 1 . Zu Ostern vollzieht sich ein besonderes Erkennen, das sich zum vorösterlichen Erkennen verhält wie ein Wiedererkennen, dasjenige, das für das weitere Verkündigungsgeschehen konstitutiv ist 102 , das aber inhaltlich von Ebeling nicht weiter bestimmt wird in dem, wodurch es für die weitere Verkündigung konstitutiv ist. Weiter sagt Ebeling: „Wenn die Berufung auf Jesus sinnvoll sein soll, besteht die ekklesiologische Relevanz des Ostergeschehens nicht 98 101

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in der Herstellung des Grundes der Kirche, sondern in seiner Proklamation und damit in der Unterscheidung der Kirche von ihrem Grund" 1 0 3 . Damit wird die Frage nach dem Grund des Kerygmas von der Frage nach dem Grund der Kirche als Trägerin des Kerygmas abgespalten und letztere Frage wird noch einmal zum historischen Jesus zurückgespielt, indem gesagt wird, daß die Erscheinung Jesu als implizite Ekklesiologie verstehbar sein muß. Wenn dem aber so ist, warum soll dann die Unterscheidung der Kirche von ihrem Grund noch ekklesiologisch relevant sein? Der Begriff „Unterscheidung von ihrem Grund" deckt dann zwar die formgeschichtlich zentrale Position des Unterschiedes von historischem Jesus und kerygmatischem Christus, verschafft aber nicht das von Ebeling gesuchte Verständnis der in der Diskontinuität wirksamen Kontinuität. Warum eigentlich ist die Proklamation des Grundes eine Unterscheidung der Kirche von ihrem Grund? Warum nicht viel eher eine Verbindung? Offenbar weil die Einsicht in die notwendige Verbindung von dem Grund der Kirche mit der Proklamation dieses Grundes es noch schwieriger machen würde, das Ostergeschehen als qualifizierende Herausforderung zu retten. Was bedeutet schon jetzt noch das Ostergeschehen als „zeitlich begrenztes Ausnahmegeschehen, das Berufungscharakter hat" und mit der Konstituierung des Kerygmas „zu tun hat", wenn sowohl der Grund des Glaubens, der Glaube als auch die Verkündigung und die Berufung sich schon am Geschehen um den historischen Jesus herum ablesen lassen? Kann nicht der Grund, sobald er da ist, Früchte bringen? Und wenn nicht, muß dann nicht genau bestimmt werden, welches zu dem Grund zusätzliche Moment die qualifizierende Herausforderung abgibt? Warum ist, wo das konstitutive Merkmal in der Vielfalt der Erscheinungsformen der Kirche „vollmächtiges Wortgeschehen unter Berufung auf Jesus" ist und zugleich „Kirche das Geschehen ihres Grundes ist" 104 , das Ostergeschehen zeitlich begrenzt und Ausnahme? Warum geschieht nicht bei jedem Vollzug von Kirche Vollmacht und damit Berufung? Warum wird diese einsichtige Korrelation an einer bestimmten Stelle von einem „Ausnahmegeschehen" unterbrochen? Das von Ebeling angewandte Schema „implizit — explizit" (implizite Ekklesiologie) ist ein noetisches Schema zur Erfassung eines historischen Sachverhaltes (nämlich des Unterschiedes von historischem Jesus und kerygmatischem Christus), das, strenggenommen, nicht mehr erlaubt, daß unterwegs, während der Explikation, noch neue ontische Sachverhalte aufgenommen werden, die nicht schon in nuce mitgegeben waren. Die Explizierung des Impliziten vollzieht sich aus eigenem Inhalt nach organischen Gesetzen. Wie aber soll man nun den Widerstand Israels und die Untreue der Jünger der Verkündigung und dem Glauben des irdischen Jesus gegenüber noch in dieser organischen Entfaltung mitdenken, wenn 104 los ThV96 ThV 93 147 10*

die Korrelation „Wort und Glaube" schon jenseits des Widerstandes, des Unglaubens konstituiert worden ist, die Kirche also auch in der Erscheinung Jesu als solche schon impliziert ist und die Explikation sich gleichsam an jedem beliebigen Moment vollziehen kann? An jedem Moment war ja vollmächtiges Wortgeschehen da, und zwar: erfülltes Wortgeschehen, das zum Ziel kommt, das heißt, trifft 105 . Diese so umschriebene, erfüllte Vollmacht kann von jeder „Vollmachtsäußerung" des irdischen Jesus ausgesagt werden: von seinen Lehren, Dämonenaustreibungen, seiner Sündenvergebung, Freiheit von Gesetzlichkeit und Berufung zur Nachfolge106. Diese Vollmachtsäußerungen sind darin eins, so wiederum Ebeling, daß sie als exousia des Wortes die Nähe Gottes befreiend geltend machen107. Dann aber muß auch expliziert werden, was diese Befreiung genau beinhaltet. Die Nähe Gottes ist ja kein allgemeiner Trost, sondern sie ist unsere überwundene und aufgehobene Ferne, sie ist die Nähe des Lammes Gottes, das die Sünde trägt. Die Nähe Gottes muß unseren Widerstand brechen, bevor sie als bleibende Nähe aussagbar und tröstlich wird. Das heißt also, daß keine „Vollmachtsäußerung" ausgesagt werden kann, ohne daß darin die in dem Tod Christi überwundene Feindschaft mit ausgesagt worden ist. Die Begriffe nun, die Ebeling in diesem Zusammenhang als Hinweise auf die die Situation qualifizierende Herausforderung benutzt, nämlich: Erfüllung, Vollendung, Zum-Ziel-kommen, lassen nicht deutlich erkennen, daß diese Vollendung und Erfüllung nicht nur eine Potenzierung des Glaubens Jesu bedeuten oder die Herstellung einer ungebrochenen Korrelation, sondern vor allem den aufgehobenen Unglauben. Wo die Rede ist von einem erfülltem Wortgeschehen, das zum Ziel kommt108, von einem im Sterben sich vollendenden Glaubenszeugnis109, von einem Glauben, der sich als das Zum-Ziel-gekommen-sein Jesu versteht110, so sind diese Ausdrücke nicht grundsätzlich an der Vollendung des Lebensweges bis ans Kreuz (als Tat derjenigen, die hätten glauben sollen) und damit an diesem besonderen historischen Übergang orientiert. Ebeling zitiert in diesem Zusammenhang die Stelle Hebr. 12, 2, Jesus als Anführer und Vollender des Glaubens, als Beleg für die These, daß Jesus als Zeuge des Glaubens Grund des Glaubens ist, übersieht dabei aber den Kontext Hebr. 12, 3, wo die Vollendung des Glaubens nicht in einem Glauben besteht, der sich versteht als Zum-Ziel-gekommen-sein Jesu, sondern gerade darin, daß Jesus den Widerspruch der Sünder wider sich ertragen hat und dadurch alles, was an Korrelation zwischen Wort und Glaube vorösterlich bestanden haben mag, weit hinter sich zurückläßt. Man kann das alles auch so sagen: Die „Vollmachtsäußerungen" des 105

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irdischen Jesus, von denen Ebeling spricht, brauchen nicht bestritten zu werden: sie sollen nur alle zugleich als Äußerung der Übermacht des Werkes Jesu gerade unserem Unglauben gegenüber gelehrt werden. Um diese Übermacht zu erlangen, genügt kein Wortgeschehen, sondern ein realer Kampf unter Einsatz des Leibes. In diesem versöhnenden Einsatz stiftet Jesus die Bedingungen des Glaubens. Bei Ebeling aber ist die Korrelation zweiseitig: Nicht nur der Glaube ist angewiesen auf Jesus, sondern auch Jesus auf den Glauben 111 ; Jesus wird als Zeuge des Glaubens erkannt, indem man ihm, selbst glaubend, sein Zeugnis abnimmt 112 . Nicht Jesus setzt sich zu uns in Beziehung, damit wir glauben, sondern der Glaube setzt sich zu Jesus in Beziehung 113 . An Jesus glauben heißt: „ihn als Zeugen des Glaubens Glaubensgrund sein lassen" 114 , eine genialisch-bestechliche Formel, die das Objektive und das Subjektive im Prozeß des Glaubens in einem Indifferenzpunkt zusammenfallen lassen möchte: Jesus ist der Glaubensgrund, wir aber lassen ihn das sein. Aber dieser Indifferenzpunkt hat ein labiles Gleichgewicht: kann man denn jemanden Grund sein lassen, ohne in diesem — wenn auch scheinbar überlassenden — Akt selbst Grund zu werden? Das Ausschlagen des Gleichgewichts beobachten wir auch bei Ebelings Ausführungen über das österliche Erscheinungsgeschehen. Er befaßt sich dort mit dem schon aus dem Altertum bekannten Einwand, daß keinem Nicht-Glaubenden Erscheinungen des Auferstandenen widerfahren sind: das gehe völlig in Ordnung, weil es ja gerade um solche geht, die in diesem Geschehen zu Glaubenden wurden. Hier dürfte die Priorität des Erscheinungsgeschehens gegenüber dem Glauben anvisiert sein. Aber dann heißt es: das Erscheinen und das Zum-Glauben-kommen der Zeugen ist ein und dasselbe115. Diese Identifikation und diese Gleichzeitigkeit hebt eigentlich wieder auf, daß es um solche geht, die in diesem Geschehen zu Glaubenden wurden. Das volle Durchschlagen der Waage nach der subjektiven Seite wird endlich dann vollzogen, wenn es von den Erscheinungen (die erst noch, wenn nicht als Begründung des Glaubens, so doch als Begründung der Zeugenschaft gelehrt waren) heißt, daß nicht in ihnen als solchen, sondern im Glauben die Zeugenschaft begründet sei 116 . Immer wieder versucht Ebeling sich in Formulierungen, die den Indifferenzpunkt von Subjekt und Objekt anvisieren: das Gleiche im Hinblick auf das Verhältnis von Glauben und Sehen bei den Erscheinungen ausgedrückt heißt: es handelt sich dort um ein „glaubendes Sehen" Von der Erscheinung des Erhöhten an Paulus bei Damaskus heißt es: „es wäre doch unsinnig, hier von einem Nacheinander zu reden, als habe Paulus zuerst den Auferstandenen gesehen und sich von dessen Wirklichkeit überzeugt und erst daraufhin sich dann zum Glauben entschlossen. Hier vollzieht 1,1 114

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sich doch vielmehr ein einziges unteilbares Geschehen: das glaubende Niederfallen vor der sich als übermächtig aufdrängenden Wirklichkeit des Gekreuzigten" 117 . Aber ist das nicht doch ein Nacheinander: erst drängt sidi eine Wirklichkeit auf: wie könnte man sonst glaubend niederfallen? Die emphatische Betonung der Unteilbarkeit dieses Geschehens kann das Problem, das hier liegt, wohl vertuschen, aber nicht lösen. Damit sind wir schließlich dann wieder bei dem, was wir eingangs dieses Abschnittes (S. 138 f.) als das Problematische in Ebelings Begriff des Glaubens schon angedeutet haben: auch Ebeling bewegt sich, trotz seiner Kritik an Bultmann, innerhalb des Glaubensverständnisses Bultmanns (und W. Herrmanns), indem von einer Begründung des Glaubens die Pervertierung des reinen, unbegründeten, unverfügbaren Glaubens befürchtet wird. Von hier aus ist es konsequent, daß die Begründung des Glaubens der Gemeinde nur der Glaube Jesu sein kann. Nicht als Stütze für den Glauben, die den Glauben zum Teil erübrigt, sondern als das, was den Glauben Glauben sein läßt 118 . Was die Erscheinungen und das damit verbundene Sehen betrifft: man soll daraus kein Ideal einer höheren Begegnungsweise machen. Eine höhere Begegnungsweise als den Glauben gibt es nicht. Das Erscheinungsgeschehen ist keine Erleichterung, eher eine Erschwerung des Glaubens, weil es u. U. verdunkeln kann, was Glauben heißt. Man soll sich also die Erscheinungen nicht so erklären, als ob dadurch jenen ersten Zeugen das Glauben durch einen wunderbaren Vorgang erleichtert worden sei. Das liefe groteskerweise darauf hinaus, daß diejenigen, die als ersten den Glauben predigten, selber nicht darauf angewiesen waren zu glauben, sondern durch das Sehen vom Glauben dispensiert waren 119 . Ist das aber nicht in vieler Hinsicht eine groteske Problemstellung? Wird denn „der Glaube" gepredigt oder Christus? Und warum soll der Glaube als reiner Glaube schwer sein, so daß das Verlangen nach Erleichterung aufkommen könnte? Das Sehen und das Glauben der Zeugen schließen sich nicht aus: als berufene Zeugen sehen sie, als Glaubende glauben sie ihrem eigenen Sehen des Grundes der Kirche, wie auch wir ihrem Sehen Glauben schenken, das heißt, in den Grund der Kirche uns schon hineinbegeben haben, in den Raum des Kreuzes, durch Jesu Opfertod erschlossen. Gerade das Kreuz ist nun aber bei Ebeling die Gewähr dafür, daß hier nichts zu sehen und zu stützen ist: Jesus ist darum zum Grund des Glaubens geworden, weil „sich auf Gott einlassen" angesichts des Gekreuzigten Zeugen des Glaubens nun einen radikalen Sinn erhalten hat: Die Präsenz des Gekreuzigten sorgt dafür, daß der Glaube reiner Glaube bleibt. Das Kreuz zeigt somit nicht die Größe der Liebe Gottes für uns, sondern die Größe des Wagnisses des Glaubens: „Es heißt: Gott und das Kreuz Jesu so zusammen zu reimen, daß dieses Kreuz ein für allemal 117

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gültig aussagt, was es heißt, sich auf Gott einlassen" 120 . Wir suchten aber, seit dem ersten Kapitel, innerhalb der Problematik Bultmanns, nach der Ermöglichung unseres Uns-auf-Gott-einlassens, unserer Liebe. Nur wer geliebt wird, kann lieben, sagte Bultmann und brachte damit sein eigenes Programm in Verlegenheit: denn er müßte dann auch nach dem Grund der Liebe und des Glaubens des Menschen fragen. Ebeling möchte der Frage nach dem Grund des Glaubens nicht aus dem Wege gehen, sagt aber weniger, als Bultmann in seiner glücklichen Inkonsequenz sagte. Denn, sagte er genau so viel, so hieße es: Gott und das Kreuz Jesu so zusammen zu reimen, daß dieses Kreuz ein für allemal gültig aussagt, was es heißt, daß Gott sich auf uns einläßt.

C. Die Begegnung (Gerhard

Koch)

Von allen im deutschen Sprachgebiet erschienenen Abhandlungen über die Auferstehung Christi ist das Buch von Gerhard Koch „Die Auferstehung Jesu Christi" 1 2 1 die am wenigsten diskutierte, aber weitaus anregendste, sowohl im Hinblick auf die systematische Geschlossenheit als auch auf die K r a f t der Sprache. Koch entwickelt seine Position unter ausdrücklicher Verantwortung vorangegangenen Lösungsversuche gegenüber nicht nur systematisch, sondern auch in der Exegese der neutestamentlichen Osterberichte. Wenn audi Koch in unserer Darstellung im Zusammenhang mit der Schule Rudolf Bultmanns erscheint, sucht er gerade seinen Ort zwischen Barth und Bultmann. Das zentrale Anliegen Kochs ist die Frage nach der Gegenwart Jesu Christi. „Wer ist Jesus Christus?" 1 2 2 Mit Bultmann schließt er aus, daß die Antwort auf diese Frage auf dem Umwege über die Jenseitigkeit der Geschichte, der überweltlichen Erhöhung der damaligen Geschichte erreicht werden kann 123 . Mit Barth aber verbindet ihn die Einsicht, daß die erfragte Gegenwart keine vom Menschen zu beschaffende Gegenwart sein kann 1 2 4 . Die Auferstehung Jesu Christi ist der Ort, wo die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Geschichte ihre zentrale Beantwortung finden soll. Wer Geschichte sagt, sagt Einmaligkeit: Kann man dann zugleich noch Gegenwart sagen? Wie verhält sich die damalige Geschichte zu unserer Geschichtlichkeit? „Theologie sucht nach der explizierten Antwort vom Grund christlichen Glaubens. Sie darf den Grund ja nicht mit einer historischen Ursache verwechseln, denn die Ableitung des Glaubens aus einer Ursache 120 121

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1965. Nicht näher bezeichnete Belegstellen beziehen sich auf dieses 123

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schafft nodi längst nicht seine Gewißheit" 125 . Bei dieser Fragestellung wollen wir schon jetzt darauf aufmerksam machen, daß sie nicht nach dem Grund der Kirche fragt, sondern direkt und unvermittelt nach dem Grund des christlichen Glaubens. Die Kirche wird in dieser Fragestellung übersprungen, um sofort zum Glauben zu gelangen. Dadurch wird es selbstverständlich nötig, den Grund des Glaubens von der historischen Ursache zu lösen, und es wird auch eine Fragestellung, wie wir sie hier versuchen, daß wir nämlich innerhalb der Kirche, des Bereiches von Offenbarung, in dem wir uns schon befinden, nach der Korrelation zwischen Leben Jesu und Anfang der Kirche fragen, unmöglich. Wir sahen aber: Durch die Kirche, in der wir uns befinden, sind wir auch mit dem historischen Ursprung des Glaubens verbunden, und das Rätsel des Anfangs ist grundsätzlich nicht verschieden von dem Rätsel ihres Grundes heute. Wer das eine Rätsel beantwortet, hat auch die andere Antwort gefunden. Die historische Ursache der Kirche erschöpft sich nicht in ihren damaligen Wirkungen, und wir brauchen uns darum innerhalb des Fragens in der Kirche nicht von dem polemischen Gegenüber, das Koch vor sich sieht: die Aufteilung der Theologie in objektives historisches Wissen und Applikation, betroffen zu fühlen. In keinem Fall darf die Frage der Gewißheit, die Koch bei einer nur historischen Ableitung gefährdet sieht, in das Programm des fides quaerens intellectum historicum hineinspielen. N u n hat ohne Zweifel auch Koch gesehen, daß der O r t der Frage nach der Auferstehung die Gemeinde ist. „Er (sc. der Exeget) geht ja auch mit einer Voraussetzung an die Texte heran, die f ü r das Verstehen wichtig ist: er hat aus der Gliedschaft der Glaubenden die ihn nun selber bewegende Frage nach der Gegenwartsmächtigkeit Jesu Christi." Aber dieser O r t wird in dem Augenblick f ü r Koch ein wackliger Boden, wo er fortf ä h r t : „Diese Frage mag ihn in der Gestalt der Gewißheit oder in der Weise eines kritischen Fragens leiten" 126 . Der gemeinsame O r t ist dann nicht mehr a limine die Gewißheit der Gemeinde, sondern die Frage als solche, sie sei nun positiv oder kritisch. „ N u r in dieser Bewegung eines Grund suchenden Fragens, einer innersten und wesenhaften Beteiligung, ist das Fragen nach Offenbarung möglich" 127 . Damit bewegt Koch sich in dem gleichen Übergangsfeld zwischen der Frage nach Grund und zwischen der Frage nach Begründung, wie wir es bei Ebeling vorgefunden haben (vgl. oben S. 141). Diese Ambivalenz bleibt in den weiteren Ausführungen, wie geschlossen sie sich auch immer darstellen mögen, spürbar. Die Frage nach der Auferstehung ist also die Frage nach der Gegenwart Jesu Christi, nach dem Sein Jesu Christi heute. „Die Bemühung der Theologie läuft jetzt in diejenige Richtung, Auferstehung als N ä h e Jesu 125

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Christi und als Beziehungswirklichkeit zu interpretieren" 128 . Die Wirklichkeit Jesu Christi vermag nun nur aus der Begegnung erfaßt zu werden 129 . Die Schwierigkeit wird dabei darin bestehen, daß das unauflösliche Ineinander des Ereignisses nur im Nacheinander der Darstellung entfaltet werden kann. Dadurch wird auch die Sprache schwierig. Denn die Begriffe, die der Richtung entsprechen, in welche hier gefragt wird, stehen nicht zur Verfügung. Begriffe, die aus dem objektivierenden Denken über Ostern geformt worden sind, erweisen sich oft im Gebrauch eher hindernd als helfend 130 . Auferstehung ist keine „Tatsache" aus der Vergangenheit, nicht einmal ein historisch nicht erfaßbares Moment in einer historischen Ereignisreihe. Koch möchte überhaupt nicht nach dem Wie von Ostern, sondern nur nach dem Wesen von Auferstehung fragen. Er möchte weder außerhalb noch innerhalb des Glaubens einer historischen Ereignisreihe nachgehen, innerhalb welcher „Auferstehung" dann das noch zu lösende Rätsel wäre. Er holt die Frage nach Auferstehung aus der Fixierung auf die Lücke zwischen Kreuz und Anfang der Gemeinde heraus und möchte das Wesen von Auferstehung phänomenologisch erörtern. Historisch gibt es nur Leben und Tod Jesu. Was danach kommt, ist das, was je und je sich ereignen kann: die Offenbarung der Geschichte Jesu in der Begegnung und im präsentischen Vollzug des Glaubens. Das Kriterium für die Unterscheidung des Ereignisses der Auferstehung von den zeitbedingten Zeugnisberichten ist: die Ereignung dieses Ereignisses selbst 131 . Auferstehung Jesu ist sein Erscheinen in der Geschichte, und zwar nicht nur oder vorrangig in der damaligen Geschichte, sondern in der Geschichte überhaupt: „Jesus ist in die Geschichte hinein auferstanden" 132 . Auferstehen und Erscheinen sind identisch 133 . Wer erscheint, ist Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, nicht ein Wesen, das zu einem zweiten Bios auferweckt worden ist, das als mirakulöse Verlängerung des ersten Lebens alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das irdische Leben des Menschen Jesus von Nazareth zu einer bloßen Vorstufe des eigentlichen machen würde. Seine Auferstehung darf dann auch nicht unter der Kategorie der Rehabilitierung oder der Bewährung gesehen werden. Wo es nicht um einen zweiten „Bios" geht, gibt es auch keinen direkten, demonstrativen Zusammenhang zwischen der Auferstehung und der Problematik des Todes. Die Zusammenhänge, die hier bestehen, sind eigener Art und verwickelter 134 . Hier möchte die Nähe von Kochs Ausführungen zu der von uns Kap. III entwickelten Position ins Auge springen. Das gilt um so mehr, als die inhaltliche Füllung des Osterkerygmas von Koch in Anschluß an das Neue Testament beschrieben wird: Gott war in Christo und schuf Ver128

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söhnung. Im Lebensopfer für die Menschen legte Christus den Grund. Und die Erscheinung des Gekreuzigten ist die Offenbarung dieses im Opfer gelegten Grundes. In seiner Gegenwart erfährt die Gemeinde, daß Gott sich zu diesem Lebensopfer Jesu bekannt hat. Das Kreuz war keine Katastrophe, sondern die Rettung des Menschengeschlechtes aus Sünde und Verfallenheit 135 . „Im Erscheinen Jesu werden aber die Augen für das geöffnet, was sich im Daseinsvollzug wirklich vollzogen hat: daß Gott nämlich in ihm Gestalt geworden war, um so sein göttliches Wesen, das Wesen, das die Welt durchwaltet, zu olfenbaren und in diesem Opfergang zu bekunden, daß er der menschensuchende Gott ist" 136 . „Die Gottestat — wahrlich eine Entgegnung Gottes auf das Tun des Menschen — geschah, um seiner Gerechtigkeit, die auf die dikaioosis des Menschen zielt, zum Siege zu verhelfen" 137 . Wir bejahen und unterstreichen jedes hier gesagte Wort. Es ist nun aber nicht verständlich, daß Koch die Erscheinung als Offenbarung des im Opfer gelegten Grundes nur in einer solchen Weise aussagen möchte, daß der gründende Charakter des einmal gelegten und verkündigten Grundes vollständig in jedem Vollzug von Offenbarung zugleich ganz aufgeht und wieder untergeht. In der Ereignung von Offenbarung bleibt kein Raum übrig, um das Sein Gottes in der Freiheit oder die Kirche als Kontinuität des Grundraums der Versöhnung auszusagen. Damit das klar wird, haben wir erst noch weiter die Position Gerhard Kochs zu entwickeln. „Erscheinen ist ein Letztes, das keiner Erklärung zugänglich ist, und das selber nicht aus einem höheren, dahinterliegenden Sein abgeleitet werden kann" 138 . Erscheinen als Vollzug der Begegnung ist der Grund, und zwar, wie wir sahen, des Glaubens, nicht der Kirche. Daß diese zwei bei Koch im Vollzug des Gottesdienstes als Ort des Erscheinens koinzidieren, verändert diese Position nicht wesentlich. Der Gottesdienst ist der Ort des Vollzugs, nicht des sakramentalen Grundraums der Kirche. Koch verbietet ein Fragen nach Wirklichkeit jenseits der Beziehung, und er macht auch klar, welche Absicht ihn dabei leitet. Er möchte das Verständnis von Offenbarung endgültig aus dem Schema Urbild — Abbild bzw. Übernatur — Natur befreien. Audi der letzte Gedanke einer außerhalb der Offenbarung zurückbleibenden Substanz muß verschwinden, auch der letzte Vorbehalt eines Urheber-Gottes muß geopfert werden zugunsten der Geschichte139. Erscheinen ist nämlich nichts Abgeleitetes140. Und damit wird der übliche Weg, „Erscheinen Jesu im Sinne einer Christophanie, eines plötzlichen gestalthaften Auftretens aus dem Dunkel, einer Materialisierung des Un- und Überweltlichen zu interpretieren, für das Verstehen des Osterglaubens schlechthin 137 "β 263 54 67 138 1 79 139 Ebd. 180 154

ungangbar" 141 . In der personalen Beziehung scheint die einzige Gewähr zu liegen, die fatale Subjekt-Objekt-Relation aufzusprengen142. Was bringen beide Partner, beide Personen in diese personale Beziehung ein? Der Auferstandene kein Sein jenseits der Erscheinung, sondern vielmehr eine Frage, die den Zeugen ins Treffen ruft. Und der Zeuge keine sich selbst-objektivierenden Absichten. „Es g i l t . . . heute, der Subjektivität in der Ostertheologie wieder ihr Recht einzuräumen"143. Der Mensch ist der Gefragte, der ins Treffen Gerufene. Das Fundament der Aneignung ist die verstehende Person. Es gibt kein Sein, das nicht an Verstehen gebunden wäre. „Ohne diesen Menschen als Partner ist kein Erscheinen; auf ihn sich beziehend kommt Jesus Christus — und nun wirklich er selber — ins Erscheinen. Jetzt kann ohne Gefahr gesagt werden: Ohne den Partner gibt es die Auferstehung Jesu Christi nicht" 144 . Zum Erscheinen des Auferstandenen gehört seine Gemeinde145. Die Gestalt Christi erschließt sich allein denjenigen, die sich ihm öffnen146. Diese so gelehrte Korrelation von Gott und Mensch im aktuellen Vollzug der Offenbarung steht nun aber in spürbarer Spannung zu dem Grund, dem gerade die Offenbarung entspringt: die Hingabe des Sohnes Gottes in den Tod als Uberwindung der Feindschaft des Menschen. Der Widerspruch des Menschen ist aber bei Koch nur ein Aspekt, an dem sich der Einsatz Jesu orientiert: sein Leiden ist nur mitbedingt durch den Widerspruch des Menschen. Wesentliche Orientierung bleibt die willentliche Weise seines Einsatzes147. Jesus ist die erfüllende Beantwortung der Aufgabe Israels: Himmel und Erde zusammen zu denken148. Das Problem Israels ist: die Unheimlichkeit der Welt. Und der Inhalt der Christus-Offenbarung innerhalb Israels, der Erscheinung ist dann auch: offenbar gewordene Wirklichkeit149, Erhellung des Daseins150, aber nicht grundsätzlich: versöhnend zugeteilte Wirklichkeit. Wäre sie bei Koch grundlegend das, so hätte das auch für die Bestimmung des Ortes des Offenbarungspartners Konsequenzen: Denn Vergebung der Schuld würde bedeuten, daß der Partner im Geschehen der Offenbarung als Sünder überwunden und versöhnt, daß er Partner also nur aus Gnade und nur auf Grund der göttlichen Initiative sein darf und kann. Die Jünger, die in dem Erscheinen des Gekreuzigten zu Aposteln wurden, bekamen als Vertreter des erwählten und ungehorsamen Israels die Offenbarung versöhnend zugeteilt. Wenn die hingebende Liebe Christi gerade darin ihre höchste Vollendung findet, daß sie unseren Widerstand überwindet, stammt die Bewegung der Offenbarung aus der Kraft und der Bewegung des hingebenden Opfers. Diese Liebe muß sich äußern Ml £bd.

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und kann nicht verborgen bleiben. Sie wird aber offenbar als Stellvertretung, in der unsere Antwort auf die Liebe versöhnend vorweggenommen ist. Und das wiederum bedeutet, daß Stellvertretung eine Begrenzung der Kategorie der personalen Beziehung ist. Durch die Stellvertretung Christi ist der Raum der Kirche als der Raum des geopferten Leibes möglich. Als solche umgreift und übersteigt sie unsere persönliche Entscheidung, unseren Glauben, unseren Beitrag in der Begegnung. Audi die Taufe und das Abendmahl entstammen diesem Raum und kommen der Begegnung zuvor. Unser Hauptbedenken gegen Koch ist, daß er diesen Raum, der noch vor der Begegnung liegt und den die Apostel Petrus und Paulus als Verleugner und Verfolger des Herrn entdecken durften, nicht zur Geltung gebracht hat, ja ausdrücklich ablehnt. Im Zusammenhang mit der Auslegung des „Leib für euch" in 1. Kor. 11 sagt Koch: „Nun wird man nicht daran zu denken haben, daß hier ein Depositum gesetzt wäre, das, einmal statuiert, bis zum jüngsten Tage in Kraft zu bleiben hat" 1 5 1 . Koch wehrt sich gegen die Verkehrung von Erscheinen in Erscheinung. Es gibt nur Erscheinen, den präsentischen Vollzug, die Jünger hatten darin keine Sonderstellung. Erst die spätere Begrenzung des Erscheinens auf die ersten vierzig Tage haben aus dem Erscheinen die Erscheinungen gemacht. In Wirklichkeit aber gibt es kein abgeschlossenes Geschehen152. Wenn Paulus sich 1. Kor. 15, 8 den ,eschatos pantön' nennt, bezieht sich das auf seine Wirksamkeit über den ganzen Erdkreis 153 . Es gibt also kein fundamentum apostolicum der Kirche. Die besondere Stellung der Zeugen besteht in der Bestätigung der Identität des Erscheinenden mit der des Gekreuzigten, dessen Geschichte sie teilnehmend erlebt hatten. Koch hat ihre Zeugenschaft gleichsam nur in ihrer hermeneutischen Funktion gesehen, aber nicht anerkannt, daß jede Auslegung in einem prähermeneutischen, präreflexiven Raum gründet, eben in dem Raum des geopferten Leibes, der die Auslegung erst aus sich entläßt. Inwiefern haben nämlich die Jünger nicht nur das Erscheinen und die vorgängige Geschichte zusammengeschaut (und auf Grund davon den Schriftbeweis geführt), sondern auch diese Zusammenschau an sich selbst als die ersten Glieder des neuen Bundesvolkes, des Bundes in seinem Blut, als vollzogen empfunden? An sich nämlich als Vertreter der Untreue Israels, das aus sich selbst, nicht einmal in seinen berufenen Vertretern, den verlangten Gehorsam zu leisten vermag? Koch sieht nur die Gefahr, daß die Augenzeugenschaft zu Ostern als Auszeichnung der wenigen interpretiert wird und daß dadurch ihr Zeugnis zu einer in Augenschein genommenen Tatsächlichkeit verkürzt wird 154 . Aber ist das die einzige Alternative? Die Besonderheit der Zeugen kann sehr wohl darin liegen, 151

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daß sie als Vertreter des auserwählten und ungehorsamen Volkes Israel den Raum der Versöhnung zwischen Gott und Israel an ihrem eigenen Leben ausgemessen bekamen, und daß deshalb in ihnen das Biographische — man darf auch sagen: das Geschichtliche — zu einer Geschichte gründenden amtlichen apostolischen Qualität erhoben wurde. Ihre Einzigartigkeit liegt dann schon in dem tetelestai des Kreuzes als Ende des exklusiven geschichtlichen Weges Israels beschlossen. Fortan wird Israel, die Gemeinde, auf Grund des neuen Bundes, der in der Vergebung der Sünden mit den Jüngern geschlossen wurde, bestehen. Fortan kann es nicht mehr die fortlaufende Geschichte der Dialektik zwischen Gehorsam und Ungehorsam geben. K r a f t des stellvertretenden Opfers Christi hört Israel in den berufenen Aposteln auf, das ungehorsame Israel zu sein. Gewiß sind die Jünger auch Zeugen dafür, daß Gott seine Verheißungen an Israel wahrgemacht hat, aber sie sind mehr: in der Erscheinung, in der Offenbarung des Gekreuzigten wurden sie zu einem neuen Volk gemacht. Das ist der Ort, an dem ihre Auslegung der Geschichte steht, und zugleich der Ort, an dem sich unsere Frage nach Auferstehung nur sinnvoll stellen läßt. Koch k ä m p f t leidenschaftlich gegen ein hinter dem Erscheinen ruhendes Sein der Erscheinung. Er vermag diese Hinterwelt nur metaphysisch zu deuten, nicht als einen Raum in der Geschichte, den Christus durch seinen Opfergang innerhalb der Geschichte und im Gegenüber zu den geschichtlichen Menschen, für alle Zeiten freigemacht hat. Koch vermag diesen Grundraum nur als vertrocknetes Blut Christi zu sehen, und Oslander harret zwischen Klammern seiner Rehabilitierung 155 . Geschichtliches Denken ist vom pro me getrieben 156 . Auch der letzte Vorbehalt eines Urheber-Gottes muß zugunsten der Geschichte geopfert werden. Die Sache läßt keine Objektivierung zu 157 . Aber hängt nicht die K r a f t des pro me gerade von der Freiheit und primären Gegenständlichkeit Gottes in seiner Offenbarung (Barth) ab? Wenn die Auferstehung ganz Erscheinen, ganz Bewegung, ganz Begegnung ist, wird auch klar, warum Koch sich gegen den Heiligen Geist als Schaltstelle zwischen Gott und uns absetzen muß 158 . Die Auferstehung hat gleichsam die dogmatische Funktion des Heiligen Geistes übernommen. Sie ist Grund und Vollzug in einem, Grund, insofern sie Vollzug ist. Die Konsequenzen dieses Begegnungsdenkens reichen weit: es steht noch nicht von vornherein fest, was je ein Partner in dieser Begegnung zu sein hat. Sonst wäre die Begegnung nur gedacht: Selbst der Kyrios, der Partner in dieser Begegnung, darf nicht fixiert sein 159 . Die Faktizität der Theologiegeschichte mit allen ihren voneinander verschiedenen Christo177 158 293

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logien fordert, diesen Gedanken zu bejahen. Sie wären ja im Grunde unmöglich, wenn es ein gefügtes Christusbild gäbe, das seit der Urkirche unveränderlich objektiv feststehen würde160. Erst wo das Erscheinen des Kyrios vernommen und geglaubt wird, kommt er selbst zum Stand 161 . Koch möchte offenbar im Interesse des Vollzugs des Glaubens, der nicht als totes Kapital irgendwo liegenbleiben darf, die Geschichtlichkeit der Kirche bis zu dem Punkt durchziehen, daß nicht nur der menschliche Partner, sondern auch der Kyrios in der Begegnung neu zum Stand kommen soll. Die Namensumschreibung des Kyrios am Anfang der Geschichte des Bundesvolkes: Ich werde dasein als der ich dasein werde (Ex. 3, 14) wird bis in den Neuen Bund durchgezogen, ohne daß das Opfer dessen, der in dieser Weise dagewesen ist, in diese Geschichtlichkeit als dessen Grund aufgenommen werden kann. Es kann gegen Koch nicht darum gehen, die Geschichtlichkeit der Kirche und der Theologie zu verneinen. Selbstverständlich ist die Begegnung nur sinnvoll, wenn ein menschlicher Partner da ist, dessen Eigenheit in der Begegnung nicht beeinträchtigt wird. Bevor aber die ganz besondere Geschichte in der Begegnung anfangen kann, treten die Partner in einer vorgeschichtlichen Struktur einander gegenüber: der Kyrios als der Offenbarer, der der Versöhner ist, und der geschichtliche Mensch in seiner vorgeschichtlichen Qualität als Sünder. Mag auch der Lebensweg Jesu noch geschichtlich heißen, sein Tod ist es nicht mehr. Der Leib, als Träger der Geschichtlichkeit Israels, wird in den Tod gegeben und verwandelt sich in den versöhnenden Raum des geopferten Leibes. Dieser Raum ist vor und unabhängig von aller Begegnung da. Diesen Raum schuf uns Gott in dem Leib seines Sohnes, als die Begegnung bekanntlich nicht zustande kam. Dieser Raum ist der Grundraum der neuen Geschichtlichkeit der Kirche. Innerhalb dieses Grundraums kann sich die Theologie geschichtlich entwickeln. Aber sie kann in ihrem Vollzug diesen Ort, diesen Raum nicht mehr verlassen. Keine Interpretation des Werkes Christi kann fortan diesen Grund noch in Frage stellen, ohne den Ast abzusägen, auf dem sie selber sitzt. Mag auch die Theologie noch zögern, den Tod Christi endgültig als Opfer auszusagen, so kann sie doch nicht verhindern, daß, wo Opfer war, das Opfer sich auswirkt, sich zur Not auch unabhängig von und gegen unsere Auslegung auswirkt. Wer in der Geschichtlichkeit der Kirche als letzten Grund steckenbleibt, verlängert den Weg Israels ins Endlose hinein als Gestalt des immer sich neu auslegenden Menschen. Gott hat vorzeiten manchmal und auf mancherlei Weise durch die Propheten geredet. Jetzt aber hat der Sohn die Reinigung von unseren Sünden vollbracht und sich gesetzt zu Rechten der Majestät in der Höhe (Hebr. 1, 1—3). Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er einmal erschienen, durch Ebd.

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sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben (Hebr. 9, 26). Koch verneint nicht, daß das Leben Jesu ein Opfergang war, er möchte es nur im Vollzug der Begegnung verstehen, die nach beiden Seiten offen ist. Versteht man aber, daß das Leben und der T o d Jesu ein stellvertretend unternommener Opfergang war, so war er das auch unabhängig von unserem Verstehen. Keine geschichtliche Auslegung und Anwendung des Werkes Christi kann je diesen Grundraum des Opfers noch zunichte machen. Dieser Grundraum ist nicht eine Überwelt, eine Hinterwelt, ein himmlischer platonischer Raum, aus dem heraus sich Christus je und je zeigen würde und in die der Mensch sich hineinträumen möchte 162 . Dieser R a u m ist auf Erden gestiftet worden als Antwort auf die Geschichtlichkeit des irdischen, berufenen Volkes Israels, als Asylum, wo es sich vor der U n heimlichkeit der eigenen sündigen Geschichtlichkeit bergen kann. Der Grund der Christologie ist nicht die Begegnung, der Grund der Kirche ist nicht der Gottesdienst. Der Opferleib Christi ist der Grund. Der irdische Jesus begleitet seinen Lebensweg mit seiner Verkündigung. Aber er trägt auch seine Verkündigung mit seinem Leibe. Wo er am Ende seines Lebens seinen Opfergang vollbracht hat, ist der Leib ganz dahingegeben, ganz für uns aufgehoben. U n d darin wird der Ubergang von der Verkündigung Jesu zu der Verkündigung von Jesus, der der Theologie gemeinhin soviel Schwierigkeit bereitet, sachlich vollkommen einleuchtend. Der Grund des Glaubens, der historische Ubergang vom Leben Jesu zum A n f a n g der Gemeinde ist nicht in die Geschichtlichkeit des Menschen, in ihren verstehenden Vollzug des geschichtlichen Lebens eingebettet, sondern umgekehrt: unsere Geschichtlichkeit ruht in dem Grund, der am Anfang gelegt wurde. Jesus will nichts für sich selbst sein, führt Koch aus 1 6 3 . Aber hat er nicht gerade darin sein eigentliches Sein? U n d ist der geopferte Leib nun da oder nicht? Die Leiblichkeit des Auferstandenen wird von Koch ganz als Gestaltung im Dienst der Begegnung gedeutet. Die Osterberichte der Evangelien sind Gestaltungen der Begegnung, die auch wieder zur Begegnung hinführen möchten. Aber der R a u m des geopferten Leibes ist gerade in seinem Leer-sein objektiver da, als je eine Materialisation aus dem Uberweltlichen bewirken könnte. Steht es fest, daß die Sendung Jesu von Gott geschah, so ist sein gestorbener Leib uns zum Guten d a : als der Grund der Gemeinde, der Inhalt des Sakraments, die Autorität des Augenzeugen und des einmaligen Apostelamtes, die Quelle der Tradition und der Lehrgewalt der Kirche, der Ursprung der apostolischen Sukzession und der Grund der Verkündigung.

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f.

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KAPITEL V

Der Ursprung der Kirche und die Zukunft der "Welt Vergegenwärtigen wir uns, bevor wir das Ende unserer Untersuchung ansteuern, noch einmal den Weg, den wir bisher gegangen sind. Die eigentliche Absicht und Stoßrichtung unserer Ausführungen dürfte dabei schon sichtbar geworden sein. Bei Karl Barths unakademischer Akademischen Vorlesung hatte es angefangen. „Die Auferstehung der Toten", das ist ein seltsames Thema in der akademischen Welt. Das ist keine Wissenschaft mehr. Auf dem Areopag des Geistes läßt sich über Vieles reden, aber man soll sich an die Themen des Gegebenen halten. Daß es, in diesem Gegebenen, die Vorstellung der Totenauferstehung gibt, ist ein interessantes Phänomen, aber wo das interessante Phänomen seine kritische Kraft über den akademischen Betrieb mit Vollmacht zur Geltung bringt, hört das akademische Interesse auf und wird das Gespräch auf dem Areopag abgebrochen (Apg. 17, 31 f.). „Auferstehung der Toten" ist keine Vorstellung, abstrus oder interessant, sie ist keine Lehre, die man je nach Belieben im geistigen Gepäck mittragen oder liegen lassen kann: sie ist nichts weniger als ein anderes Wort für Gott, für Offenbarung, das heißt, für den Bezug Gottes auf unsere Welt und unser Leben. Und so hatte es auch Bultmann von der Auferstehung Christi gelehrt: Die Auferstehung Christi ist keine Vorstellung, und wäre sie die Vorstellung von einem historischen Faktum, sondern sie ist der Bezug unserer Existenz auf die Heilstat Gottes in Christus. Kamen auch beide von der entgegengesetzten Richtung her: Barth von Gott und Bultmann von der Existenz, so suchten sie doch beide Anschluß an den anderen Pol der Beziehung. Selbstverständlich suchten auch die Historiker, denen wir darauf begegneten, den Anschluß. War doch die Auferstehung nicht nur eine freischwebende Vorstellung aus der Geistesgeschichte, sondern die ausdrückliche Motivierung des Zusammentretens einer neuen historischen Gemeinschaft geworden. Es war eine Gemeinschaft, in der die Historiker sich selber befanden, aber es bereitete Mühe, ihre Teilhabe an dieser Gemeinschaft nach außen mit der ursprünglichen Begründung der Auferstehung einleuchtend zu machen. So machten sie sich auf den Weg zum Anfang. Springt eine deutliche Tatsache als klarer historischer Grund dieser Gemeinschaft aus der Forschung heraus, so ist der Bezug zugleich gegeben, 160

meinten sie, und zwar nicht nur für sie, sondern für die Draußenstehenden ebenfalls. Ein objektives Faktum verschaffe sich immer Hausrecht in der Welt des Gegebenen und in der Wissenschaft, die sich mit dem Gegebenen befaßt. O b das objektive Faktum auch die Gelegenheit bekommt, eine kritische K r a f t in der Welt des Gegebenen auszuüben, das stand noch aus. Schon Vater Abraham wußte um die letzte Unergiebigkeit eines objektiven Faktums: Auferstehung aus den Toten. „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht gewinnen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht" (Lk. 16, 31). Mit anderen Worten: O b sie sich wirklich ändern, das steht auf einem anderen Blatt. Dieses andere Blatt haben wir dann mit unserem dritten Kapitel aufzuschlagen versucht. Es ging uns dort auch um Geschichte, aber um Geschichte, in der Gott von vornherein dabei ist. Eine Geschichte war es, die wir nur von dem Ort her, wohin wir durch diese Geschichte versetzt worden waren, erkennen konnten. Schon die Geschichte Israels war eine solche Geschichte. Wer außerhalb ihrer stand, nahm nichts Besonderes wahr, konnte den Ursprung dieser Geschichte aus Gott nicht verstehen, konnte deshalb auch die Kritik dieses Gottes auf diese Geschichte nicht verstehen. U n d darum konnte er auch nicht den Grund der neuen Geschichte innerhalb dieses Volkes verstehen, als Gott die Schuld dieser Geschichte, die eigentlich ihr Ende bedeuten sollte, in seinem Gesalbten auf sich nahm und so einen neuen geschichtlichen Lebensraum eröffnete. Nicht durch einen erträumten Lebensraum, nicht durch eine erträumte Vorstellung „Auferstehung von den Toten", sondern durch einen realen, im Leib Christi erschaffenen, neu-gestifteten Lebensraum durfte das neugewordene Volk Gottes und mit ihm alle Völker leben. D a s war der Ertrag der historischen Besinnung, innerhalb dieses Raumes unternommen, gewesen. Diese Einsicht haben wir dann zuletzt an einigen theologischen Positionen, die den Grund des neuen Lebens in dem Objekt unseres historischen Bezuges, in Jesus, suchen wollten, nachgeprüft. U n d wir haben gefunden, daß es für die Suche nach dem Grund unbedingt notwendig ist, den besonderen Ort, auf den wir durch das Kreuz Jesu versetzt worden sind, nicht zu verlassen. Gründet sich unser Bezug zu diesem Geschehen in uns selbst, oder sind wir durch dieses Geschehen an diesen Ort heimgeholt worden? D a s war die wesentliche Frage. Jetzt bleibt uns aber noch die Aufgabe, die Tragfähigkeit des gelegten Grundes in einer anderen Richtung zu erproben, nämlich dort, wo die vollständige Auslegung des Grundes unserer Existenz durch die Erwägung, daß wir noch nicht wissen, was wir sein werden, in der Schwebe gehalten wird. Nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft stellt sich kritisch zu unserer Gegenwart. Oder besser: die Vergangenheit, insofern sie die kritische K r a f t der Zukunft ist. Wir hörten schon, daß 161 11

Geense, Auferstehung

historische Kritik nicht primär der Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern der Konstruktion der Zukunft dienlich sein muß. So gesehen ist es in letzter Instanz unerheblich, von welcher Modifikation der Zeit aus die Offenbarung unsere Gegenwart kritisch und versöhnend trifft. Es wird sich in diesem Kapitel nun darum handeln zu zeigen, daß ebenso wie die historische Frage nach der Auferstehung Christi einen bestimmten Ort haben muß, um eine Antwort erlangen zu können, so auch die Frage nach der Auferstehung Christi und der Toten im Modus der Zukunft einen Ort haben muß, will sie die Antwort nicht verfehlen. Die in die Zukunft gerichtete Frage des Menschen nach der Sinnerschließung seines Daseins wird nicht durch die interpretative Kraft einer Vorstellung zu beantworten sein. Die Antwort kann nur Gott selber geben, der sich in der Mitte der Geschichte offenbart hat.

A. Die Anfänge und die Apokalyptik

(Ernst

Käsemann)

Es war also nicht ausgeblieben: die von Bultmann wohl gestellte, aber nicht eigentlich beantwortete Frage nach der Ermöglichung (siehe oben S. 38 ff.) des neuen, mit Ostern auftretenden Selbstverständnisses, hatte ihren Platz in die Schule Bultmanns mit zäher, der Sache entsprechenden Energie zurückerkämpft. Das Hausverbot, das Bultmann dieser Frage auferlegt hatte, erwies sich bald als nicht ausreichend begründet, wie wir es im vorigen Kapitel an den Beispielen von Fuchs und Ebeling darzutun versucht haben. Trotz der mit Bultmann geteilten Anerkennung der Geschichtlichkeit des Daseins, auch derjenigen Existenzen, die als Apostel das neutestamentliche Kerygma getragen haben, hatten die Rekurse auf das Sprachereignis, die Zeitansage bzw. den Glauben Jesu die Intention, den auslösenden Grund der gläubigen Existenz außerhalb dieser Existenz selber zu fixieren. Innerhalb der Bultmann-Schule war diese systematisch notwendige Wendung historisch durch den als bahnbrechend empfundenen Aufsatz Ernst Käsemanns: „Das Problem des historischen Jesus" 1 vorbereitet worden. Der Verfasser beschreibt darin die Motive, die zur Bildung der synoptischen Evangelien veranlaßt haben, als den Versuch, durch das Festhalten an der Historie das extra nos des Heils als Vorgegebenheit des Glaubens herauszustellen2. Die so erfolgte Bestimmung der Motive der Abfassung der synoptischen Evangelien hatte die Absicht, eine historische Bestimmung über einen schon damals empfundenen systematischen Bedarf zu sein. Daß die Synoptiker ihre historische Arbeit unter der 1 Z T h K 51, 125—153, jetzt auch in Exegetische Versuche und Besinnungen I, 187 bis 2 1 4 ; hier weiter abgekürzt als „Ex I"

2

162

Ex I, 202

Nötigung dieses dogmatischen Gesichtspunktes vollziehen, bedeutet aber für Käsemann noch nicht ohne weiteres, daß der vorösterliche Jesus für den nachösterlichen Glauben im strengen Sinn des Wortes der Grund des Glaubens ist. Historischer Jesus und nachösterlicher Glauben stehen zueinander nicht in einem Verhältnis von Grund der Existenz zur Existenz. „Die Frage nach dem historischen Jesus ist legitim", so sagt Käsemann, „die Frage nach der Kontinuität des Evangeliums in der Diskontinuität der Zeiten und in der Variation des K e r y g m a s " 3 . Die Frage nach der Kontinuität stellt sich bei Käsemann als Frage nach der Kontinuität, ja, der Identität des Inhaltes, nicht nach der Kontinuität von Grund und Ausführung. Vor und nach Ostern ist die Offenbarung grundsätzlich gleich, indem Jesus sich in beiden Zeiten den Seinigen als der Herr offenbarte, „indem (kursiv von uns) er sie vor den nahen Gott und damit in die Freiheit und Verantwortung des Glaubens stellte" 4 . In die gleiche Richtung weist die Stelle: „ E r wird, mag man auch sagen, schon irdisch Herr, indem er in die Freiheit der Gotteskindschaft stellt und diese selber lebt. Zu Ostern ist das seinen Jüngern in einer vorher offensichtlich nicht erkannten Tiefe aufgegangen" 5 . Es ist ein quantitativer Unterschied, das „ M e h r " bezieht sich nicht auf den Inhalt an sich, sondern nur auf die Tiefe des Erfassens. Trotz dieser Darlegung der Kontinuität des Inhaltes gibt es nun aber bei Käsemann eine deutliche Unterscheidung zwischen vorösterlichem und nachösterlichem Glauben. Wenngleich der Osterglauben nicht ohne Anhalt im Leben Jesu ist, besagt das freilich nicht, daß er sich in Jesu Botschaft begründen ließe 6 . Die Botschaft Jesu von der Unmittelbarkeit des nahen Gottes war nämlich nicht konstitutiv — wie der Osterglaube es war — durch die Apokalyptik geprägt 7 . Bevor wir auf diese Bestimmung, die Käsemann vom Inhalt des Osterglaubens gibt, näher eingehen, wollen wir also hervorheben, daß die Wendung zum historischen Jesus bei Käsemann, der den Bann des Bultmannschen Skeptizismus in dieser Hinsicht wenigstens zum Teil gebrochen hatte, nicht so sehr aus der auch heute als brennend empfundenen Frage nach dem Grund des (Oster-)Glaubens geboren war, sondern aus der Frage nach der inhaltlichen Kontinuität des Evangeliums in der Variation des Kerygmas. Kerygma ist nicht mehr ein typisch nachösterliches Gebilde (wie es Bultmann lehrte), das einen Grund entweder in sich selbst oder außerhalb seiner selbst haben muß, sondern es ist Bezeichnung für die weiter fortlaufende Betätigung des freimachenden Evangeliums. Insofern bedeutet die Position Käsemanns, an Fuchs und Ebeling gemessen, systematisch einen Schritt zurück. Käsemann selber ist sich seiner Beschränkung be4 E b d . , kursiv v o n uns E x I, 213 Exegetische Versuche und Besinnungen II, 119; weiter zitiert als „ E x I I " " E x i l , 111 ' E x II, 99 3 5

163

wußt: er möchte bei „den Anfängen" bleiben und auf „Grund" nur Seitenblicke werfen 8 . Ebeling sei eben mehr an der Struktur, er an dem historischen Phänomen interessiert9. Immerhin: wenn Käsemann an der letzten Stelle, wie er es äußerst salopp ausdrückt, „den auferstehenden Toten als drittes Glied der Struktur" (gemeint ist wohl des Glaubens und seines Grundes) nicht „mitliefern" kann, trifft er in seiner bescheidenen Beschränkung auf das Historische eine verborgene systematische Entscheidung: „Ostern" ist in sich selbst gegründet. Damit sagt Käsemann noch immer dasselbe wie Bultmann und weniger als Fuchs und Ebeling. Der Unterschied ist nur, daß bei Bultmann die Auslegung des Osterglaubens die „Bedeutsamkeit des Kreuzes" ist, ohne Rekurs auf den Inhalt des Kreuzes, während bei Käsemann „Ostern" — er vermeidet bezeichnenderweise durchgängig den Ausdruck „Auferstehung" — meistens mit „Enthusiasmus" oder „Gegenwart des Geistes" umschrieben wird. Das soll nun weiter ausgeführt werden. Nach Käsemann ist dieser „Enthusiasmus" noch ein sehr vieldeutiges Phänomen, das sich in alle, u. U. entgegengesetzte Richtungen noch differenzieren kann 10 . Die erste und älteste Ausprägung (wir reden ja von den „Anfängen") dieses Enthusiasmus ist nun aber die „Apokalyptik". Die Wiederkunft Jesu als des himmlischen Menschensohnes ist der eigentliche Osterglaube, direkt aus der Ostererfahrung abgeleitet 11 . Die (an sich grundlose) Gegenwart des Geistes ist nicht, wie Ebeling es sieht, Komplement, sondern der Grund der nachösterlichen Naherwartung 1 2 . Wenn der „Enthusiasmus" sich auszuwirken beginnt, ist die Apokalyptik die erste Frucht, die sie zeitigt: die nachösterliche Apokalyptik ist die älteste Variation und Interpretation des Kerygmas. Dabei scheint „Enthusiasmus" und „Geisterfahrung" nichts anderes zu bezeichnen als eben eine Art formelle, an sich leere Energie: sie ist, obwohl in sich selber gegründet, Nichts in sich selber, „löst" nur bestimmte Phänomene „aus" oder „veranlaßte sie": Die Apokalyptik wurde durch die Geisterfahrung ausgelöst 13 . „Ostern und der Geistempfang veranlaßten die Urchristenheit, die Predigt Jesu vom nahen Gott erneut apokalyptisch zu beantworten" 13 " Diese so ausgelöste Apokalyptik wird dann inhaltlich nicht einmal aus der Predigt Jesu gespeist (die war ja nicht apokalyptisch), sondern aus der jüdischen Apokalyptik 1 4 . Mit anderen Worten: die nachösterliche Antwort der Jünger auf die Predigt Jesu war inhaltlich überhaupt nicht aus dem Wort oder dem Werk Jesu gespeist. Es ist dann aber auch nicht einzusehen, welchen „Anhalt" der Osterglaube noch im Leben Jesu hat. Käsemann kann allenfalls strukturelle Parallelen meinen, wenn in diesem Zusammenhang als Anhalt im Leben Jesu dessen Ex II, 105 Ex II, 110 13a Ex II, 100

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E x i l , 112, Anm. 7 Ex II, 112, Anm. 7 Ex II, 106 Anm.

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Ex II, 88 Ex II, 106

Machttaten als Vorzeichen der Basileia genannt werden15. Aber was soll eine solche Veranlassung zu einer Antwort, die sich nicht auf das Wort bezieht? Dazu Ebeling, mit vollem Recht: „Ferner aber hilft der Hinweis auf Ostern und Geistempfang wenig, wenn nicht interpretiert wird, was das heißt. Die Notwendigkeit einer Interpretation ist aber um so dringlicher, als Ostern und Geistempfang (obschon zunächst nur als Veranlassung der Antwort bezeichnet) doch nach Käsemann offenbar den Grund angeben sollen für eine Antwort, die, wie es scheint, nicht zu verstehen ist als begründet in dem, was sie beantwortet, und schon darum gar nicht als Antwort zu verstehen ist" 16 . An einer anderen Stelle heißt es, daß Ostern ursprünglich die Erwartung der allgemeinen Totenauferstehung gewesen sei und „relativ spät" auf Jesus selbst beschränkt wurde17. Das sei dann vor allem das Werk des Lukas gewesen18. Das Werk oder das „Schicksal" Jesu ist dann in keiner Weise echter Ursprung oder Grund von „Ostern" gewesen in dem Sinne, daß es „Ostern" als eine notwendige Folge aus sich heraus gelassen hätte. Die überdies zu den übrigen Ausführungen Käsemanns auch noch in Widerspruch stehende Motivierung der Rede von der Auferstehung bei den Jüngern, daß sie nämlich das Kreuz durch die Auferstehung beantwortet haben 19 , oder daß qualitativ — in die Freiheit der Gotteskindschaft stellend — nicht das letzte sein konnte, was es nicht auch zeitlich war 20 , versucht zwar eine Erklärung der Antwort der Jünger zu geben, bringt aber das vorösterliche Leben Jesu in kein notwendiges Verhältnis zu Ostern. Sobald nämlich das Verhältnis als ein notwendiges eingesehen ist („Mußte nicht der Christus dies leiden und dann in seine Herrlichkeit eingehen?" Lk. 24, 26), ist „Ostern" nicht mehr leer, bzw. durch beliebige andere Inhalte je nach der Lage der Gemeinde (palästinensisch oder hellenistisch) oder nach dem Gegenüber der jeweiligen Interpretation (enthusiastisch oder rationalistisch) zu füllen. Der absolute Bruch in der historischen Korrelation, die mit dem Tode Jesu in der Ereignisreihe auftritt, kann nicht von Seiten der Jünger geheilt worden sein. Das würde nämlich besagen, sie hätten sich das Heil selbst gegeben, indem sie die historische Lücke, die zwischen dem Tode Jesu und dem Anfang der Gemeinde klafft, von sich aus überbrückten. Ihre Existenz als Gemeinde wäre in dem psychologischen Kraftakt des Transzendierens ihrer Enttäuschung gegründet. Eine einfache Parataxis der historischen E x II, 111. Gerhard Ebeling, Der Grund christlicher Theologie, Z T h K 58, 1961, 236, jetzt auch in: Wort und Glaube II, 82 17 E x i l , 110 18 Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen 1968, 34 19 Die Heilsbedeutung des Todes Jesu nach Paulus, in: F. Viering (Herausgeber): Zur Bedeutung des Todes Jesu, Gütersloh 1967, 32; weiter zitiert als „Heilsbedeutung" 20 E x i l , 119 15

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Phänomene: Predigt Jesu—Tod Jesu—„Ostern"—Anfänge der Theologie —Apokalyptik, trägt zur Einsicht in ihre wesentlichen Zusammenhänge nichts bei. Wer, wie Käsemann, es nicht liebt, „Heilstatsachen" aneinander gereiht zu sehen, ist von seiner theologischen Aufgabe noch nicht suspendiert, wenn er die Reihe „Heilstatsachen" durch eine Reihe „einfacher" Tatsachen ersetzt, in der allenfalls die vorige die nächste veranlassen, aber nicht gründen kann. Sollen wir auf eine Antwort auf die Frage nach dem Grund von „Ostern" verzichten? Sollen wir die Einsicht, die Käsemann einzupauken nicht müde wird: „die eine biblische Theologie, die aus einer einzigen Wurzel erwachsen, sich in ungebrochener Kontinuität durchhält, ist ein Wunschtraum und Phantom" 21 , nun so verwerten, daß wir im Strudel der Geschichtlichkeit der urchristlichen Phänomene aufhören nach dieser einzigen Wurzel zu suchen und zu greifen? Sind wir dann weniger dogmatischer „Willkür" ausgeliefert als vorher, als es darum ging, in dem Rekurs, den die Kirche auf den Kanon der heiligen Schrift nahm, den damalig gelegten Grund der heutigen Existenz als Kirche zu suchen? Auch Käsemann kann nicht umhin, in den Anfängen der christlichen Theologie nach einer Mutter zu suchen, und er findet sie auch: Die Apokalyptik ist die Mutter der christlichen Theologie22. Ist denn damit nicht doch so etwas wie eine einzige Wurzel ausgegraben, die das Kriterium abgeben soll, an dem die späteren Auswüchse der Theologie gemessen werden sollen? Der geheime systematische Anspruch dieses nur scheinbar historischen Kriteriums enthüllt sich in Käsemanns Frage, ob christliche Theologie je ohne dieses apokalyptische Motiv auskommen kann, welches der Ostererfahrung entsprang und den Osterglauben bestimmt hat 23 . Die Frage ist dann nur, ob diese Wurzel tragfähig genug ist, das ganze Gewächs der Theologie und der Kirche zu tragen, wenn sie nämlich nur aus „Ostern" als „Enthusiasmus" und allenfalls aus der jüdischen Apokalyptik gespeist werden soll. Auf diese Frage lassen wir uns nun hier ein. „Wieder gehe ich von einem grundlegenden Sachverhalt aus und charakterisiere die Haltung der frühesten Gemeinde durch das Stichwort ,nachösterlicher Enthusiasmus"' 24 . „Die Wiederkunft Jesu als des himmlischen Menschensohnes ist ja die zentrale Hoffnung, welche die ältesten Jünger direkt aus der Ostererfahrung ableiten, und als solche ihr eigentlicher Osterglaube. So wird das Ostergeschehen auch erst relativ spät auf Jesus selber beschränkt, ursprünglich jedoch als Anbruch der allgemeinen Totenauferweckung verstanden, also apokalyptisch, nicht als isolierbares Mirakel gedeutet" 25 . Der Abwehr gegen das isolierbare Mirakel in allen Ehren, aber: wie kommt es zu diesem Verständnis der 21 24

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Ex II, 27 Ex II, 110

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Ex II, 130 u. ö. Ebd.

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Ex II, 104

allgemeinen Totenauferweckung? Um den Inhalt: „Allgemeine Totenauferweckung" hergeben zu können, muß doch so etwas wie Totenauferweckung an Jesus selber stattgefunden haben, wie immer man das nun näher bestimmen mag. Daß das „Mirakel" nicht auf Jesus isolierbar ist, heißt keineswegs, daß es nicht in Jesus seinen Ursprung und Anhalt findet. Wenn, wie doch auch Käsemann zugibt, der „anfängliche Osterenthusiasmus" in enger Nähe zu der Kreuzigung Jesu stattfindet, das ganze Geschehen mithin in Ereignissen um und an Jesus seinen Ursprung findet, kann man dann sagen: es wurde relativ spät auf Jesus beschränkt? Soll es nicht heißen: es wurde relativ bald auf alle ausgedehnt? N ä m lich sobald man verstanden hatte, daß im Tode Jesu Stellvertretung stattgefunden hatte? Betrachten wir weiter den nachösterlichen Enthusiasmus. Käsemann verwendet den Begriff als eine religionsgeschichtliche Kategorie zur Umschreibung von Ostern oder den Osterglauben. Wie wir oben schon hörten, kann sich der Begriff aber noch in verschiedene, u. U. entgegengesetzte Richtungen differenzieren. Ohne Zweifel hängt das mit dem formalen Charakter dieses Begriffes zusammen. „Zwischen Enthusiasmus und Enthusiasmus ist eben genau so wie zwischen Geist und Geist zu unterscheiden" 26 . Der Enthusiasmus als Gegenwart des Geistes ist einerseits der Grund der nachösterlichen Naherwartung, des eigentlichen Osterglaubens, der die Wiederkunft Jesu als des himmlischen Menschensohnes zum Inhalt hat 2 7 . Der Enthusiasmus ist aber andererseits gerade der Grund des Verzichtes auf Naherwartung, eben im von Käsemann so genannten eschatologischen Enthusiasmus. Musterbeispiel dafür ist die Rekonstruktion des Bildes der korinthischen Gemeinde, die Käsemann unternimmt. Kennzeichnend f ü r seine religionsgeschichtliche Methode ist dabei, daß er die Mißstände in der korinthischen Gemeinde und die Front, gegen die Paulus sich im 1. Korintherbrief zu wehren hat, zu einem weit einheitlicheren Bild aufbauen möchte 28 als das, was Paulus explizit als Entgegnung sagt. Käsemann verfährt damit entgegengesetzt zu dem Verfahren Karl Barths, der, wie wir sahen (oben S. 15 f.), die Auslegung des 1. Korintherbrief es so vornimmt, daß er die Einheitlichkeit der Antwort des Paulus auf die vielen disparaten und nicht zu einem geschlossenen religionsgeschichtlichen Bild zusammenpassenden MißStände herausarbeitet. Es darf nach Käsemann heute ja als ausgemacht gelten, daß die dominierende Gruppe in Korinth das Erlösungsziel bereits mit der Taufe erreicht zu haben wähnte 2 9 . Die Parole der Irrlehrer, die 2. Tim. 2, 18 begegnet: die Auferstehung der Toten sei bereits geschehen, wird auch für die Auslegung der Position der Gegner des Paulus in 1. Kor. 15 herangezogen. Sie sei eine Grundanschauung jener 2

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Ex II, 110 Ex II, 120 167

gesamten Christenheit, welche im hellenistischen Bannkreis das Christentum als Mysterienreligion verstand 30 . Die Korinther, die laut 1. Kor. 15, 12 behaupten, es gibt keine Auferstehung der Toten, sind alles andere als Rationalisten, Anhänger einer aufgeklärten Weltanschauung 31 von der Sorte der Sadduzäer; sie behaupten damit eigentlich, daß die Auferstehung schon geschehen sei. Dieses Bild, das sich die religionsgeschichtliche Schule von der polemischen Front des Paulus in 1. Kor. 15 gemacht hat, steht für Käsemann so a priori fest, daß er zu der Behauptung kommt, daß sogar Paulus die Front der Gegner, eine Theologie und Praxis der Auferstehungswirklichkeit, nach den ihm übermittelten Informationen nicht völlig durchschaut32. „Es sieht so aus, als hätten die korinthischen Enthusiasten die Auferstehung Jesu und die eigene und allgemeine Auferweckung geleugnet, und schon Paulus scheint es so verstanden zu haben, wie er über die Gefahren in der Gemeinde nur durch Boten erfuhr und sich so nicht in allem ein rechtes Bild davon zu machen vermochte" 33 . Weil die Antwort des Paulus 1. Kor. 15 in der Rekonstruktion, die sich Käsemann zurechtgelegt hat, nicht recht passen will, hat Paulus die Sache nicht durchschaut. Aber wem anders als Paulus verdankt Käsemann die Bausteine für seine Rekonstruktion? Die Lage kompliziert sich noch dadurch, daß die Irrlehre der Korinther nach Käsemann nicht ein deutlich als Häresie fixierbares Phänomen ist, sondern uns im Neuen Testament in der Theologie der hymnischen Fragmente entgegentritt, wie Eph. 2, 5 f.; 5, 14; Kol. 2, 12 34 . Die darin vorherrschende Anschauung kann man so umschreiben: „Als Teilhaber an Christi Kreuz sind die Getauften zugleich Teilhaber an Auferwekkung und Inthronisation Christi, die aus dem alten Äon des Todes und der Mächte befreit und in den neuen des Reiches Christi versetzt worden sind" 3 5 . Die Grundintention dieser deuteropaulinischen Fragmente, die alle die in Christus geschehene Heilstat und Erlösung preisen, wird nun antithetisch zu Paulus herausgearbeitet, als Sakramentsrealismus apostrophiert 36 und mit den Irrlehrern von Korinth und aus 2. Tim. 2, 18 in einen Topf geworfen. Diesem als einheitliches Phänomen apostrophierten Enthusiasmus gegenüber kämpft nun aber Paulus seinen Kampf zutiefst im Zeichen der Apokalyptik durch37. Darin sei die paulinische Theologie, mit den Augen der Gegner gesehen, bestimmt als retardierendes, ja reaktionäres Stadium der Entwicklung zu bezeichnen38. Alle Äußerungen des Paulus über die Auferstehung werden von Käsemann in diesen polemi3 0 Ex II, 120; Der Ruf der Freiheit 3 , 86, 91; weiter zitiert als „ R u f " ; Jesu letzter Wille, 32 f., Erwägungen zum Stichwort „Versöhnungslehre im Neuen Testament", in: Zeit und Geschichte, Festschrift für Rudolf Bultmann, 52; weiter zitiert als „Zeit" 3 2 Ruf 91 3 3 Ruf 86 si Ruf 8 6 34 Ex II, 120; Zeit 52; Jesu letzter Wille 52 f. 3 5 Ex II, 120 36 Ex II, 121 3 7 Ex II, 126 3 8 E x II, 126

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sehen Kontext hineingezogen, sogar wenn sie in einem aufweisbar anderen polemischen Kontext stehen. Ein starkes Beispiel d a f ü r ist die Behandlung, die Käsemann Rom. 6,4 ff. angedeihen l ä ß t : unter der H a n d verschiebt Käsemann die anti-judaistisdie Front zugunsten der eben neu entdeckten anti-enthusiastischen F r o n t . Die polemische F r o n t ist die der Libertinisten, die nicht wissen (wollen), d a ß sie der Sünde abgestorben sind und d a ß sie daraus nun die Konsequenzen zu ziehen haben. D a ß von dem Anteil an der Auferweckung nicht perfektisch, sondern futurisch gesprochen wird, ist richtig 39 . Das gibt aber Käsemann noch nicht das Recht, audi hier eine anti-enthusiastische Front aufzubauen. Der N e r v der A u s f ü h r u n g ist gerade, die Realität des Heilsgeschehens in der T a u f e zu betonen, und die A u f f o r d e r u n g an die Libertinisten ist: werdet in dem neuen Gehorsam, was ihr schon seid. Es geht nicht an, hier die gegenwärtige Realität des Heilsgeschehens 40 gegen die zukünftige Auferweckung auszuspielen und zu behaupten, Paulus habe hier die gegenwärtige Teilhabe am Kreuz von der zukünftigen an der Auferstehung getrennt und die Realität des neuen Lebens allein in der nova oboedientia erblickt 41 . Noch überspitzter heißt es anderswo 4 2 : Paulus „bestreitet ausdrücklich, d a ß die Taufe, die uns in Jesu Sterben hineinstellt, zugleich an Jesu A u f erweckung partizipieren lasse". Dagegen ist zu sagen, d a ß „partizipieren" auch bedeuten k a n n : die Früchte pflücken. Die Realität des neuen Lebens liegt ja darin, d a ß wir der Sünde abgestorben sind (Rom. 6, 2). D a ß wir Anteil haben am „Erlöserschicksal" ist eine religionsgeschichtliche Umschreibung, die zu einem Mysterienspiel macht, was der Geist als Frucht der Stellvertretung hat verstehen gelernt. Die Analogie, auf die es entscheidend ankommt, steht Rom. 6, 4: daß, so wie Christus aus den Toten auferweckt ist, auch wir in einem neuen Leben des Gehorsams wandeln. Christi A u f erweckung h a t eben primär die Offenbarung der Sündenvergebung zum Inhalt (vgl. 1. Kor. 15, 17): „Nicht mehr in der Sünde leben" ist der Skopus dieser Heranziehung der Auferstehung Christi. Käsemann möchte aber den futurischen C h a r a k t e r der A u f erweckung hervorheben, weil sie ihm dazu dient, uns vor Überheblichkeit zu schützen, uns zu ermahnen, d a ß es eine von Christus noch nicht unterworfene Welt gibt, zu bedenken, d a ß der Glaube immer noch auf die Frage antworten muß, welche irdische Realität der Erlösungsbotschaft entspricht 43 . Es ist die Frage, die immer wieder von außen her an die Kirche gestellt wird, und im Gefälle der Beantwortung dieser Frage kommt es dann zu jener Verschiebung der neutestamentlichen Gewichte und Akzente, die f ü r Käsemann und alle, die auf seiner Position systematisch weiter bauen (wie etwa J. Moltmann, siehe unten sub Β), so charakteristisch ist.

Der Ort, den Paulus nach Käsemann den Enthusiasten gegenüber einnimmt, ist eigentlich der gleiche Ort, von dem Käsemann die heutigen Enthusiasten, die Vertreter einer „Theologie der Auferstehung" 44 bekämpfen möchte. Bultmanns Paulusdeutung, die die präsentische Eschatologie des Apostels entschlossen zur beherrschenden Mitte macht, wird deshalb abgewiesen, weil dadurch der Apostel zu einem höchst gewichtigen Repräsentanten der hellenistischen Gemeinde gemacht wird 45 und, so darf man wohl folgern, systematisch eine gerade Linie von Bultmanns eigener, an Paulus orientierter Position zu den heutigen Vertretern einer 39 42 45

Ex II, 127 Heilsbedeutung 32 E x II, 125

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Ex II, 126 Ex II, 123

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Ex II, 120 Ruf, Kapitel 3

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Theologie der Auferstehung laufen würde! Es ist nun aber wirklich die Frage, ob die Apokalyptik, die Käsemann über Paulus als Abwehr des Enthusiasmus ins Feld führt, systematisch diese ihr zugedachte Funktion erfüllen kann, ob sie nicht wie der Enthusiasmus so doppeldeutig ist, daß sie audi genauso gut das Gegenteil bewirken kann, wie alle von Käsemann aufgestellten geistesgeschichtlichen Erscheinungsformen wie Bühnenstücke je nach Belieben verschoben werden können. Wo keine einheitliche Wurzel vorhanden ist, aus der alle theologischen Aussagen, wie differenziert auch immer sie in der Interpretation erscheinen mögen, erwachsen, muß es eben zu diesem willkürlichen Spiel und Gegenspiel von Kräften und Anti-Kräften, Erscheinungen und Motiven kommen. Käsemanns Intention wird noch deutlicher, wo er neben der Apokalyptik auch das Kreuz Jesu in dieses Spiel der wechselseitigen Korrekturen der verschiedenen Strömungen in der Gemeinde einbezieht. Das Kreuz und die Auferstehung Christi, die bei Paulus eine Einheit bilden und zusammen den für die Gemeinde gelegten Grund auslegen, werden bei Käsemann dissoziiert, und zwar in der Weise, daß die Auferstehung als Chiffre für die erst künftige Erfüllung steht, das Kreuz dagegen als Chiffre der bleibenden Unerlöstheit oder der Gebrochenheit des Heiles. Bei genauerem Hinsehen bekommen bei Käsemann also das Kreuz und die Auferstehung gesondert die gleiche theologische Funktion: auszusagen, daß das Heil noch aussteht: das Kreuz, indem es uns mahnt, nicht vorzeitig in eine erträumte, sakramental realisierte „Wirklichkeit" des Heiles zu flüchten, und die Auferstehung, indem sie nur in der futurischen Form, im Zeichen der Apokalyptik aussagbar ist. Der eigentliche Inhalt des Osterglaubens war ja ihre Naherwartung. Beide, Kreuz und Auferstehung, können diese ihnen von Käsemann zugedachte Funktion und Aufgabe aber nur leisten, indem sie gesondert und direkt, das heißt nicht durch den Gedanken der Stellvertretung hindurch auf uns bezogen werden. Das Kreuz Jesu ist auch das Kreuz des Apostels, unser Kreuz, und von der Auferstehung Christi hat Paulus nach Käsemann nur als Anfang der allgemeinen Totenerweckung gesprochen, die als die unsrige selbstverständlich nur die zukünftige sein kann. Mit anderen Worten: Die Dissoziation von Kreuz und Auferstehung Jesu, die als Einheit den Grund der Gemeinde bildeten, nimmt hier zugunsten einer allgemeinen Verwendbarkeit der Begriffe Kreuz und Auferstehung die Form einer Flucht aus der Mitte an. Die Mitte ist kein Punkt, wo, und hat keinen Grund, auf dem man stehen kann. Der „Enthusiasmus" in der korinthischen Ausprägung täuscht nur einen Grund vor, ist aber Treibsand; in der apokalyptischen Ausprägung verspricht er nur einen Grund in der Zukunft. Kann das Kreuz, wie Käsemann es sieht, zugleich diese grundlegende Funktion übernehmen? Diese Frage muß sich an der Behandlung, die 170

Käsemann der Versöhnungslehre zuteil werden läßt, beantworten lassen. Audi die Frage nach der Heilsbedeutung des Kreuzes Jesu ist für Käsemann zutiefst in der Geschichtlichkeit des Urchristentums eingebettet, das heißt, sie fändet erst allmählich und nie in eindeutiger Weise ihre Beantwortung. Zwar heißt es an einer Stelle ganz deutlich und sicher auch als Meinung Käsemanns, daß für Paulus das Kreuz Jesu der Grund der Kirche und das uns vorgegebene Heil ist 46 . Wir interpretieren den Satz Käsemanns so, daß das Kreuz als das uns vorgegebene Heil Grund der Kirche ist. Realisiert Käsemann die Tragweite dieses Satzes für all seine weiteren Ausführungen? Wer Grund sagt, sagt damit etwas ganz Fundamentales aus über den Ort, auf dem er steht, das heißt, über einen Grund, von dem bei allen weiteren Aussagen über das, was auf diesem Grund geschieht, nicht mehr abstrahiert werden kann. Sicher ist auch Käsemann auf diesem Grund engagiert. Wirkt nun aber die Vorausgegebenheit des Heiles sich in einer solchen Weise aus, in der Käsemann die Anfänge der Theologie nachzeichnet? Kaum! Der Grund dafür ist u. E. der Standortwechsel, der sich in Käsemann zwischen dem Historiker und dem Theologen ständig vollzieht. Käsemann fragt nicht innerhalb der Kirche nach dem besseren Verstehen des gelegten Grundes, sondern er ist als Historiker daran interessiert, wie die Motive Kreuz und Auferstehung als Korrekturen zueinander ins Spiel gebracht werden. Dabei spielt der Historiker dem Polemiker Käsemann ständig Bälle zu. Die Ortsverschiedenheit spitzt sich auf folgende Alternative zu: Entweder das Kreuz, das Heil ist real vorgegeben, oder aber auch diese Vorgegebenheit beruht auf nachträglicher Interpretation, ist also mit eingebettet in der Geschichtlichkeit der um Interpretation ringenden Gemeinde. Dann ist der eigentliche Grund der Gemeinde nicht mehr das Kreuz, sondern der Osterglaube als Enthusiasmus, wie immer und wie gegensätzlich er sich auch differenzieren mag. Käsemann stimmt Ebeling zu, daß es das eine Kerygma jenseits aller Interpretationen nie fixierbar gegeben hat, und audi darin, daß „es dieses eine Kerygma, welches ich das Evangelium nennen würde, gleichwohl als die Mitte und das Kriterium aller variierender Verkündigung und Interpretation gibt" 4 7 . Das ist ein verheißungsvoller Gesichtspunkt, der deutlich macht, daß Käsemann die Bemühung um die Mitte (in diesem Fall gleichbedeutend mit Grund) als seine Aufgabe betrachtet. Dazu kommt die Einsicht, daß man in der Fülle der Variationen so etwas wie eine historische Reihenfolge herausstellen muß, die nicht unbedingt sachliche Prävalenz bezeichnet48. Die Schwierigkeit ist nur, daß Käsemann die sachliche Prävalenz (das Sich-geltend-machen des Grundes, des Evangeliums, des ungeschriebenen Kerygmas) zu oft mit dem Wechsel der theologischen Intentionen in der 46

Heilsbedeutung 33

« E x i l , 111

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jeweiligen Interpretation verbindet. Wie sieht der historische Aufriß der Anfänge der Theologie, insofern er das Kreuz mit einbezieht und auf den Wechsel der Intentionen acht gibt, aus? Nach Käsemann ist das Kreuz in der vorpaulinischen Theologie eine Frage, die durch die Auferstehung beantwortet und gelöst wird. Mit dieser Antwort wird dann die Frage, auf die sie Antwort ist, aus dem Gesicht verloren. Der apokalyptische Enthusiasmus geht über in einen Zustand, wie Käsemann ihn für die korinthische Gemeinde beschreibt. Nach Käsemann ist es dann Paulus, der dem korinthischen Enthusiasmus gegenüber das Kreuz wieder betont. Die Auferstehung wird jetzt umgekehrt gleichsam zur Frage, die durch das Kreuz beantwortet wird, nicht in dem Interesse, das dort vollbrachte Heil darzutun (das war durch den „Enthusiasmus" mehr als gesichert), sondern um gerade gegen den Enthusiasmus den ursprünglichen Fragecharakter des Kreuzes darzutun, um daran zu erinnern, daß wir noch in einer unerlösten Welt leben. So wird das Kreuz zur bleibenden Signatur einer noch unerlösten Welt: das Kreuz ist kein Durchgangsstadium (durch das Kreuz zur Krone), sondern mahnt uns, daß wir „drunter bleiben" sollen. Wo Käsemann auf die Deutung des Kreuzes als Stellvertretung zu unseren Gunsten zu sprechen kommt, heißt es, daß diese Aussage einen Ort, einen Sitz hatte, und zwar wahrscheinlich in der Abendmahlspredigt49. Ist es denn dem Historiker unmöglich, innerhalb der Kirche den Ort, auf dem die Kirche steht, auszusagen, ohne einen solchen Satz sofort auf seinen besonderen „Sitz" abzuklopfen? Der Satz soll und muß auf eine Funktion innerhalb des Lebens der Gemeinde oder ihrer Polemik bedacht werden und dadurch bleibt ihm etwas Zufälliges anhaften. Die Deutung als „Stellvertretung" hätte auch anders ausfallen können. Wir meinen: Wenn schon „Stellvertretung" einen „Sitz" hatte, und zwar in der Abendmahlspredigt, dann doch nur, wo das Abendmahl der „Quellort der Kirchenidee" (F. Kattenbusch) überhaupt ist und die konstitutive Rolle des Kremesleibes für die Versöhnung als Gründung der Gemeinde zentral bedacht wird. Käsemann konstatiert, daß es eine das ganze Neue Testament bestimmende Versöhnungslehre nicht gibt50, nicht einmal einen einheitlichen Oberbegriff für die soteriologischen Termini und Motive51. Eine Fülle verschiedener Aspekte dienen im Neuen Testament dazu, das Wesen des eschatologischen Heiles zu charakterisieren. Die Variation sei für das Ganze konstitutiv52. Die neutestamentliche Botschaft von der Versöhnung ist von der Urchristenheit als eine soteriologische Variante unter anderen aufgegriffen worden53. Trotzdem nimmt auch Käsemann irgendeine Wurzeltradition an, die den Anfang des ÜberlieferungsproHeilsbedeutung 18 52 Ebd. 49

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Zeit 48 Zeit 56

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Zeit 55

zesses darstellt. Als eine solche nennt er die Tradition von der innerkosmischen Versöhnung54 des kosmischen Friedens und eschatologischen Heilszustandes. Und er verbindet die Annahme dieses bestimmten Anfangs nachdrücklich mit der Sachproblematik: „Denn nur von solchen Annahmen aus kann die Sachproblematik der verschiedenen Versionen erhellt und zugleich geschichtlich eingeordnet werden" 55 . Die Sache „Versöhnung" fehlt also in den Anfängen nicht. Nur: Versöhnung meint ein apokalyptisches Phänomen56, und Käsemann vermeidet es geflissentlich, das historische Kreuz Jesu anders als negativ mit dem Anfang des Überlieferungsprozesses in Verbindung zu bringen. Erst im Laufe einer geschichtlichen, das heißt durch die Situation bestimmten Entwicklung kommt das Kreuz ins Gesichtsfeld, und zwar infolge einer Verschiebung von der kosmologischen zur anthropologischen Versöhnungsbotschaft. Diese Verschiebung erfolgte nach Käsemann aus den Gefahren des anfänglichen Enthusiasmus, wo der einzelne Christ das ihm widerfahrene Heil (Frage: wo ist das Heil ihm schon widerfahren, wenn es kosmologisch einsetzt?) als unangefochten versteht und sich nicht mehr in die Zukunft und zum Dienst ausstreckt. Die Anthropologie kommt dann auf die Bühne, um in der Paränese die Aufgabe zu betonen, ebenso das Kreuz Christi im Zuge der Anfechtungsproblematik, als Korrektur also auf den unangefochtenen anfänglichen Enthusiasmus. Es liegt weiter im Zuge der Verschiebung, daß das Gewicht nicht mehr auf dem Kosmokrator, sondern auf dem Gekreuzigten ruht57. Der Tod Jesu wird soteriologisch als Grund dafür begriffen, daß wir Zugang zu Gott und Frieden mit ihm gerade als die Angefochtenen haben. Das heißt: Das Kreuz dient nicht eigentlich dazu, den Grund des Heils, sondern dazu, die Form der Angefochtenheit, in dem das Heil (seit dem anfänglichen Enthusiasmus?) zu uns kommt, auszusagen. Erst an dieser Stelle verbinden sich nach Käsemann nun auch die Motive weltweiter Versöhnung und die mit Jesu Sterben gewirkte Sühne. Sofort erfolgt aber auch wieder die Aufrichtung der Grenzen dieser Feststellung: Die Sühneaussagen charakterisieren „allein das grundlegende Versöhnungsereignis des Kreuzestodes Jesu, nicht die gesamte Geschichte Jesu und schon gar nicht die Weitergabe der Versöhnungsbotschaft"58. Aber wie kann ein Ereignis grundlegend heißen, wenn es nicht auch die Wurzel aller weiteren Entwicklungen ist, der Weitergabe der Versöhnungsbotschaft einbegriffen? Der nicht nur theoretisch-theologische Vollzug des Lebens der Kirche selbst ist die Explikation dieses Grundes. Warum liegt Käsemann so viel daran festzustellen, daß im Neuen Testament eine sachliche Explikation der Versöhnung durch das Sühnemittel des Gekreuzigten nicht gegeben wird? „Das Neue Testament selber s a g t . . . kaum mehr als daß Jesus Zeit 51 " Ebd.

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sterbend in den Riß zwischen Gott und uns getreten ist." Und: die Eigenart des Neuen Testamentes „bleibt nur solange gewahrt, wie einseitige Festlegungen nicht erfolgen" 59 . — Was aber ist mit der Bewahrung einer solchen formellen Eigenart für das sachliche Verständnis gewonnen? Steht hinter den verschiedenen Anschauungen, Explikationen keine Sache? Käsemann will es offensichtlich vermeiden, die Variation der neutestamentlichen Aussagen in eine dogmatische Versöhnungstheorie einzuebnen. Das gilt insbesondere im Blick auf die sakrifizielle und juridische Lösung der hier vorliegenden Problematik. Man darf den Sachverhalt, daß neutestamentliche Vorstellungen über Sühne auf den kultischen Traditionen des Alten Testamentes ruhen, nicht strapazieren 60 . Wir meinen aber, daß die verschiedenen Vorstellungskreise in denen das Heilsgeschehen des Kreuzes ausgesagt wird, nicht so isoliert voneinander vorkommen, wie es in der gesonderten Analyse der Vorstellungsbereiche zunächst den Anschein hat. Audi die sakrifizielle und juridische „Lösung" der Problematik erheben nicht den Anspruch, gesondert die totale Erklärung des Kreuzesgeschehens abzugeben, können andererseits auch nicht ohne weiteres auf die Ebene der zeitgebundenen Vorstellungen abgeschoben werden. Das wollen wir schließlich noch an Käsemanns Behandlung der Opfervorstellung im Neuen Testament explizieren. Käsemann wendet sich dagegen, daß der Gedanke des Opfertodes Jesu häufig ungebührlich betont wird 61 . Zwar hat Paulus den allgemeinen Opfergedanken selbstverständlich gekannt und hat ihn vielleicht sogar auch christologisch anklingen lassen. Er hat aber nie eindeutig Jesu Tod als Opfer bezeichnet, zumal dieser im allgemeinen als Gottes Tat gilt, und Gott sich nicht gut selber Opfer bringen kann. Die Auswirkung des Kreuzes auf die Menschen beherrscht die Aussagen derart, daß die auf Gott überhaupt nicht in den Blick gerät. Schon deshalb kann dem Opfermotiv keine wesentliche Bedeutung zugestanden werden. In diesen Ausführungen liegen die Motive Käsemanns ebenso klar zutage wie seine Mißverständnisse. Käsemann möchte den Sühne- und den Satisfaktionsgedanken, wie er später in der dogmatischen Besinnung auf den Tod Jesu eine große Rolle gespielt hat, aus exegetischen Gründen ausschließen, und ihm mag darin weithin Recht gegeben werden. Sind es ja Vorstellungen, die Gott primär als den fordernden, auf Ausgleich bedachten Herrn vorstellen, der den Ausgleich nach dem Schema do-ut-des dem Menschen abverlangt. In der allgemeinen Phänomenologie der Religion sieht die Sache auch so aus. Sobald es aber die fides ist, die das Verständnis des Todes Jesu innerhalb des Bezirkes, des Ortes der Offenbarung sucht (und als eine solche fides dürfen wir doch die Bemühungen der neutestamentlichen Schriftsteller wohl qualifizieren), ist es nicht mehr 5» Ebd.

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Ebd.

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Heilsbedeutung 21

Jesus, der in seiner menschlichen Initiative den Ausgleich bewirkt, sondern Jesus als Sohn Gottes, der sich im Namen Gottes, seines Vaters hergibt. Wenn „Auferstehung" primär den neuen Ort der Offenbarung herstellt, wenn Auferstehung besagt: es ist Gott selber, der hier in Jesus handelt und leidet, ändert sich auch die Struktur des Opfers: die göttliche Initiative (die übrigens audi in Anselms Satisfaktionstheorie nicht fehlte) wird hier für die Richtung des Opfers entscheidend: es ist in der Tat, wie Käsemann sagt, auf den Menschen gerichtet, aber das schließt u. E. nicht aus, sondern ein, daß Gott sich selbst ein Opfer bringt. Der Gedanke der Stellvertretung hält gerade die göttliche Initiative, den göttlichen Verlust im Opfer und die Richtung auf den Menschen zusammen. Wer innerhalb der Offenbarung, das heißt, trinitarisch denkt, darf den Tod Jesu als das Moment des Verlustes in Gott selber bedenken, ein Verlust, der daraus entsteht, daß Gott die Schuld, die er sowohl einfordert als auch vergeben will, selber auf sich nimmt. Innerhalb dieses trinitarischen Zusammenhanges bleibt die Tat Jesu am Kreuz unverkürzt historisch. Es ist der Offenbarungszusammenhang, der über ihre Heilsbedeutung entscheidet. Ein Opfer ist immer ein Tragen der Schuld und der Folgen der Schuld, ein Opfer ist auch immer stellvertretend. Der Verlust Gottes muß an einem historischen Objekt effektiv werden. Man darf daher sagen: Gott muß Mensch werden (Fleisch, Leib), damit er sich opfern kann. Der Tod Jesu ist also gerade als Gottes Tat ein Opfer. Das MißVerständnis Käsemanns ist zweierlei: einmal daß die Opfervorstellung nur auf das menschliche Opfer bezogen werden kann, zum andern daß der Opferbegriff nur kultisch zu verwenden wäre. Er ist wieder auf der richtigen Fährte, wenn er 62 die Liebe Gottes umschreibt als: die Bekundung des Daseins für andere, besonders im Sterben. Was ist das anderes als ein Opfer, wenn anders das „für uns", wie Käsemann sagt, das zentrale Motiv bildet? Käsemann weiter: „Versöhnung meint im ganzen Neuen Testament nichts als beendete Feindschaft", sie wird ausgesagt im Raum überlieferter Thematik, die mit dem Kult zunächst überhaupt nichts zu tun hat 63 . Aber bedeutet der Kult phänomenologisch etwas Selbständiges? Ist audi Kult nicht eine Gestalt des Versuches, die Feindschaft zwischen Gott und Mensch zu beenden? Die Frage dabei ist nur, wie die Feindschaft beendet wird. Doch nur dadurch, daß einer der „Feinde" bereit ist, sein Leben zu verlieren, damit er das Leben des anderen und darin sein eigenes gewinne. Wer den Opfergedanken als nur eine geschichtliche und nicht einmal zentrale Interpretation des Kreuzesgeschehens verwirft, beraubt sich der Möglichkeit, den Übergang vom Kreuz zum Anfang der Gemeinde wirklich von der Sache her zu bedenken. In dem zentralen Motiv der Deutung des Kreuzes als „für uns" erlitten, als Stellvertretung, ist die 62

Heilsbedeutung 18

«3 Heilsbedeutung 21 f.

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Gemeinde mitgegeben, ohne daß sie das Kreuz als Durchgangsstadium hinter sich zu lassen hätte oder nur als Chiffre für das noch — nicht — vollbrachte zu lehren hätte. Keine andere Auslegung des Kreuzes als die des Opfers bietet eine in der Sache gegründete Motivierung des Ubergangs. Nur das Opfer der Liebe bindet. Nur das Opfer stiftet Gemeinschaft. Wenn das Opfer als eine nur zeitgebundene Vorstellung aus der Auslegung des Kreuzes eliminiert wird, kann auch die Bindung der Zeit des irdischen Jesus an der Zeit der Gemeinde nicht recht einsichtig werden. Die Wurzeltradition der Kirche ist der hingegebene überlieferte Leib Christi. Die „Anfänge der christlichen Theologie" sollen somit in der Nähe dieses Opferleibes, in der Versöhnung der Schuld der Sünde gesucht werden. Auch Käsemann sieht ein, daß es diese Versöhnung nicht gibt ohne das Rom. 3, 25 genannte Sühnemittel, das der sterbende Christus selbst ist, nicht ohne seine Mittlerschaft und Stellvertretung 64 . Für Paulus aber sei dieses Motiv nicht so zentral, und wo das doch der Fall zu sein scheint (wie eben Rom. 3,25), schöpft er aus einer überkommenen Tradition, aus einem judenchristlichen hymnischen Fragment, das Heilsgeschichte in der Vergebung angehäufter Sündenschuld erblicke. Demgegenüber lege Paulus selbst den ganzen Ton auf die Befreiung von der Sünden macht. Wenn dem durch eine Stelle wie etwa 2. Kor. 5, 21 deutlich widersprochen wird, läßt die Stelle sich leichter als „Zitat" verstehen 65 . Und Käsemann folgert dann: „Ob er (Paulus) von seinem Begriff der Sünde als Macht sagen konnte, Jesus sei für uns zur Sünde, d. h. doch wohl dem Träger aller irdischen Schuld, gemacht worden, sollte ernsthaft überlegt werden." Hier, wo die phänomenologischen Folgen dieser Position unausweichlich werden, zeigt die Exegese ihre Befangenheit: Ein exegetisches Vorurteil wird jetzt als Ausgangspunkt für einen weiteren Schluß verwendet, der das Vorurteil noch stärken soll. Als ob die Sünden macht anders denn als Sünden schuld ihre Macht bekommen könnte! Wer nach einer Wurzeltradition sucht und bei der Aufhebung der Sündemacht stehen bleibt, beraubt gerade die Sünde ihres Schuldcharakters und kann ihre Aufhebung nicht mit dem Tragen der Schuld durch das Kreuzesopfer verbinden. Er muß dann die Durchbrechung der Sündenmacht mit irgendeinem äußerlichen, naturalistischen Machtakt in Verbindung bringen, wie es eine von Käsemann nicht beabsichtigte Auslegung der Auferstehung Christi wäre. Aber auch dann wäre noch nicht von innen her einsichtig, wie die Durchbrechung der physischen Gewalt des Todes gerade Durchbrechung der SziWeramacht wäre, geschweige denn Durchbrechung der Todesmacht als „der Sünde Sold". Irgendein „anfänglicher Enthusiasmus" könnte diese Lücke der Erklärung nicht schließen. Nemo potest «" Zeit 49

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Zeit 50

habere „Apokalypsin" theologiae matrem, qui non habet Jesum filium Dei crucifixum patrem. B. Die Auferstehung Christi und das Kreuz der Welt (Jürgen Moltmann) „Christliche Eschatologie . . . erkennt die Wirklichkeit der Auferwekkung Jesu und verkündet die Zukunft des Auferstandenen. Darum ist für sie die Begründung aller Aussagen über die Zukunft in der Person und der Geschichte Jesu Christi der Prüfstein der eschatologischen und utopischen Geister" 66 . Das ist das Programm der Theologie der Hoffnung. Diesen beiden Sätzen kann man nur zustimmen: sie betonen den Ursprung der Eschatologie in der Erkenntnis der Auferweckung Christi und sehen die Begründung dieser Erkenntnis in der Person und in der Geschichte Jesu. Wir haben oben keinen anderen Weg gefunden. Gleich eingangs registrieren wir, daß die Formulierung lautet: „christliche Eschatologie . . . erkennt die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu", nicht: christliche Theologie. Gewiß sind die Begriffe für Moltmann identisch, insofern Gott immer ein Gott der Verheißung ist und Aussagen über Gott Aussagen über die Verheißung sind. Die Auferstehung Jesu wird in ihrer Wirklichkeit nur im Modus der Verheißung erkannt und wahrgenommen und wird also die letzte Begründung ihrer Wirklichkeit erst aus der Zukunft erfahren. Immerhin heißt auch die Person und die Geschichte Jesu die Begründung aller Aussagen über die Zukunft. Die Anfangsfrage aller Eschatologie ist also, wie sich die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu zu der Person und der Geschichte Jesu verhält. Wäre sie so gestellt und durchgeführt worden, so hätten wir für den weiteren konzentrischen Kreis der eschatologischen Fragestellung, den wir nun in unsere Erwägungen einbezogen haben, einen direkten Anschluß an der in den vorigen Kapiteln gewonnenen Position gefunden. Dem steht aber Verschiedenes im Wege. In dem großangelegten dritten Kapitel der „Theologie der Hoffnung", das als Pendant des zweiten alttestamentlichen Kapitels nach dem Verständnis der Offenbarung Gottes im Neuen Testament fragt („Auferstehung und Zukunft Jesu Christi"), hören wir nun sehr viel über die Auferstehung Jesu Christi, sehr wenig oder gar nichts über seine Person und über seine Geschichte. Moltmann stimmt auch später noch Walter Kreck bei, daß christliche Eschatologie in ihrem Kern Christologie in eschatologischer Perspektive sei67: „Sie ist sachlich bezogen auf die Perββ Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung, München 2 1965, 13; weiter abgekürzt als „Th" «7 Th 175

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Geense, Auferstehung

son Jesu von Nazareth und auf das Ereignis seiner Auferweckung und spricht von der Zukunft, die in dieser Person und in diesem Geschehen angelegt ist" 6 8 . In der einfachen Parataxis von „Person" und „Ereignis seiner Auferweckung" steckt aber das Problem. Denn sie haben nicht den gleichen theologischen Stellenwert. Die Auferweckung Christi wird aus dem Eschaton gefüllt und verstanden, nicht aus der Person und der Geschichte Jesu. Zwar heißt es weiter, daß an die zentrale Stelle der Thora in der spätjüdischen Apokalyptik die Person und das Kreuz Christi tritt 69 . Wir werden aber unten sehen, daß bei Moltmann das Kreuz Christi primär eine formelle Qualifizierung des Inhalts der Auferstehung darstellt und selber nicht als inhaltliche Füllung, als anschauliches Moment der Auferstehung oder auch als Zusammenfassung des irdischen Lebensganges Jesu erscheint. In der Ausführung des eingangs erwähnten Programms kommt also tatsächlich nur die Auferstehung Christi zur Sprache. Kann diese aber, so fragen wir jetzt mit Fuchs, Ebeling und Koch zurück, wirklich zur Sprache kommen, ohne dabei das Leben und — fügen wir Fuchs, Ebeling und Koch hinzu — das Kreuz Jesu Christi ständig inhaltlich vor Augen zu halten? Versuchen wir aber zunächst den Weg des Entwurfes einer Lehre der Auferstehung Christi als Begründung einer Theologie der Hoffnung nachzuzeichnen. Moltmann versucht, formell ähnlich wie wir es jetzt gemacht haben, den eigenen Standort an der Kritik der verschiedenen Weisen des Fragens nach der Wirklichkeit der Auferstehung Christi zu gewinnen. Zunächst 70 ist es die historische Weise des Fragens nach der Auferstehung Christi, die ihre Unzulänglichkeit eingestehen muß. Die historische Rückfrage impliziert ein bestimmtes Vorverständnis des Historisch-Möglichen, das sich seit der Geburt der Neuzeit nicht mit dem Verständnis des Historisch-Möglichen als des Gott-Möglichen deckt, das diese Texte selber haben. Der Begriff des Historisch-Möglichen ist in der Neuzeit an anderen Erfahrungen der Geschichte entwickelt worden als an der Erfahrung der Auferweckung Jesu von den Toten 71 . Aber haben die biblischen Ostertexte wohl ein solches abstraktes Vor- bzw. NachVerständnis des Historisch-Möglichen als des Gott-Möglichen deckt, das entwickelt? Der Zweifel, der auch in den evangelischen Osterberichten herumgeistert, gestattet wohl kaum die Annahme irgendeines abstrakten Vorverständnisses. Nun sieht Moltmann richtig, daß durch eine Erweiterung der historischen Betrachtungsweise um die Beachtung der Kontingenz die Wirklichkeit der Auferstehung selber noch nicht in Sicht kommt 72 . Aber in der gleichen Weise ist zu sagen, daß man der Auferstehung Jesu nicht näher kommt, wenn man sich, wie Moltmann, ausführlich mit der Fraglichkeit des historischen Umgangs mit der Geschichte «8 Th 174 Th 157

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Th 175 Th 162

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Th, Kapitel III, § 6.

überhaupt beschäftigt. Das historische Weltverständnis, das an die Texte, die von der Auferstehung Jesu reden, herangetragen wird, muß ebenso aufs Spiel gesetzt werden, wie die verkündete Auferstehung Jesu historisch aufs Spiel gesetzt wird 73 . Die Abwehr der „Substanzmetaphysik des historischen Universums"74, die hinter der Idee der prinzipiellen Gleichartigkeit alles Geschehens stecke, ist aber allenfalls nachträgliche Folge des Verständnisses der Auferstehung Christi und kann nicht im ersten Anlauf schon zur Erleichterung des historischen Fragens nach der Auferstehung Christi zur Verfügung stehen. Wir haben daher in unserem dritten Kapitel auf die Eliminierung des Analogieprinzips in der historischen Frage verzichtet, weil wir ja über die Aufhebung des Analogieprinzips historisch nichts wissen. Moltmann möchte aber der historischen Forschung eine Art fair play oder ein Tauschgeschäft anbieten: das historische Weltverständnis muß im Vorgang des Verstehens ebenso aufs Spiel gesetzt werden, wie die verkündete Auferstehung Jesu historisch aufs Spiel gesetzt wird. Wäre die Kirche aber dazu bereit? Kann sie auch nur einen Moment davon absehen, daß sie historisch in der Auferstehung als in ihrem eigenen Grund und Ursprung wurzelt? Soll außer des Themas der Frage auch noch der Ort der Frage schwebend gemacht werden? Hier wäre mutatis mutandis dasselbe zu sagen, was zu Ebeling bemerkt wurde (oben S. 141): daß der Ort der Frage nicht mehr genau innerhalb oder außerhalb der Kirche bestimmt werden kann, sondern irgendwo auf der Grenze, in einem Ubergangsfeld zwischen der Frage nach dem bestehenden und in Geltung stehenden Grund und der Frage nach historischer Begründung, läge. Moltmann redet positiv von der Möglichkeit, hinter das Kerygma zurückzufragen, um nach der Wirklichkeit zu suchen, die seine Aussagen deckt und sie zuverlässig und glaubwürdig macht75. Aber, ist die Existenz der Kirche dann solange bedroht, als diese glaubwürdige Grundlage der Kirche noch nicht erbracht werden konnte? Audi Moltmann möchte nach dem Ort suchen, an dem die Antwort auf die Frage nach der Wirklichkeit der Auferstehung Christi einleuchten kann 76 . Der Ort ist aber nicht die Kirche oder der Glaube, sondern eine solche Frage, die die ganze heutige Welt-, Selbst- und Zukunftserfahrung umschließt. Denn die Frage nach der Wirklichkeit der Auferstehung Christi kann von sehr verschiedenen, heute möglichen Verständnissen der Wirklichkeit geleitet sein77. Als ein solcher Ort kann, wenn es auch schwer ist, die Situation auf einen Nenner zu bringen, die Situation des Satzes „Gott ist tot" gelten. „Alle Fragemöglichkeiten nach der Wirklichkeit der Auferstehung, die mit der Fragerichtung diese Wirklichkeit ,historisch' oder ,existential' oder .utopisch' fixieren, gründen in 73 78

Th 15 8 Th 151

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Th 159 Ebd.

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Th 157

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der atheistischen Gestalt der historischen Erfassung der Geschichte, der Selbsterfassung des Menschen und der utopischen Erfassung der Zukunft. An keiner dieser Umgangsweise mit der Wirklichkeit stellt sich der Gottesgedanke als notwendig ein" 78 . „Nur wenn der ,Gott der Auferstehung' zusammen mit der Erkenntnis der Auferstehung Jesu an dem aus der Geschichte, aus der Welt und aus der eigenen Existenz bekannt gewordenen ,Tod Gottes' als ,Gott c erwiesen werden kann, ist die Verkündigung der Auferstehung, sind Glaube und Hoffnung auf den Gott der Verheißung etwas Notwendiges, etwas Neues und etwas real-objektiv Mögliches" 79 . Wie soll dieser Erweis erbracht werden? Moltmann befaßt sich nun mit der Frage, wie eine Theologie der Auferstehung das dergestalt an sie herangetragene Problem der Geschichte zu lösen versuchen kann. Eine Möglichkeit ist, daß die Rede von der Auferweckung Jesu durch Gott als „unhistorisch" gilt. Diese Möglichkeit ist von Barth und Bultmann in Aussicht genommen. Aber damit überläßt die Theologie das Feld des Erkennens und Umgehens mit Geschichte historischen Weltauslegungen. Die fides quaerens intellectum muß dann auf den intellectus fidei auf dem Felde der Geschichte verzichten 80 . Diese Schlußfolgerung ist nicht richtig. Hier wird der Begriff „Geschichte" in zwei Bedeutungen gebraucht. Der intellectus fidei der Geschichte Jesu als Ganzheit hängt keineswegs von der Möglichkeit ab, die Auferstehung Jesu als solche historisch in den Blick zu bekommen. Und umgekehrt ist der intellectus fidei der Geschichte im allgemeinen keine Garantie für den intellectus fidei der Auferstehung Christi. Ebensowenig bedeuten beide Feststellungen, daß es auf dem Felde der fides die Möglichkeit des intellectus der Auferstehung Jesu nicht geben kann, wenn man sie als den Übergang, die Offenbarung des Kreuzes Jesu und die Ermöglichung der Gemeinde betrachtet. Damit hängt die Auferstehungsverkündigung nicht „in der Luft" 8 1 , sondern sie ist gerade als Kategorie der Offenbarung deutlich zwischen zwei historischen Grenzen festgemacht. Übrigens: Wo findet sich die fides in der Bestimmung des Ortes der Frage nach Auferstehung als die Situation des „Gott ist tot". An keiner dieser Umgangsweisen mit der Wirklichkeit stellte sich ja 8 2 der Gottesgedanke als notwendig ein. Die Kirche als der Ort der Frage nach dem tieferen Verständnis ihres eigenen Grundes ist hier zwar nicht völlig aus der Situation der Frage ausgeklammert (die Gemeinde steht in einem Prozeß um die Wahrheit — aber mit der Gesellschaft, in der sie lebt 83 ), aber sie ist nicht grundsätzlich der Ort der Frage. „Nimmt man den neuzeitlichen, historischen Zugang zur Geschichte als den heute einzig möglichen, redlichen und verbindlichen an, so ist man genötigt, das darin vorausgesetzte Verständnis der Wirklichkeit und der Geschichte als Geschick audi für ™ Th 152 ei Th 161

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das theologische Denken zu akzeptieren. Dieses Wirklichkeitsverständnis ist dann ,uns viel mehr mit unserem geschichtlichen Standort auferlegt*. Es ist das dieser Gesellschaft, in der Christen und Nicht-Christen zusammenleben, Selbstverständliche, in dessen Rahmen man allein ,verstehen' kann und will" 8 4 . Womit hängt die Vermeidung der Kirche als exklusiver Ort der Frage nach der Auferstehung Christi nun zusammen? Warum ist bei Moltmann die Frage nach der Historizität der Auferstehung direkt mit dem Angriff auf die Weise des historischen Fragens, das sich selbst nicht in Frage stellen lassen will und in dem Prinzip der Analogie alles Geschehens einer Substanzmetaphysik hörig geworden sei, verbunden? Es ist der Gedanke, daß die Auferstehung der Toten, die am Ende der Geschichte zu erwarten ist und die ein universales Geschehen sein soll, für die Auslegung der Auferstehung Christi bestimmend ist, gerade in dem Sinne, daß auch letztere sich der allgemeinen Einsehbarkeit und tatsächlichen Zustimmung erfreuen soll. N u n tut sie das bekanntlich nicht, und sie kann sich auch nicht verifizieren. Moltmann verzichtet aber keineswegs auf die Verifikation, sondern macht von der historischen N o t eine eschatologische Tugend. D a s Mißlingen der historischen Frage nach der Auferstehung Christi ist für Moltmann kein Anlaß, einen anderen Ort der Frage, den Bereich der Offenbarung, die Kirche zu suchen; er sucht einen anderen Modus der Zeit: die Zukunft. Die A u f erstehung Christi kann eben noch nicht historisch erfragt werden, weil in dem Geschehen ,etwas steckt', was noch nicht verwirklicht ist 85 . Noch stärker: In der Wirklichkeit (!) der Erhöhung Christi steckt etwas, was sich noch nicht verwirklicht hat 8 6 . Die Auferstehung Christi wird gleichsam in einen verwirklichten und einen noch nicht verwirklichten Teil aufgespalten: aber auch der erste ist nur aussagbar von dem zweiten her. Die Auferstehung Christi ist „ein eschatologisches Geschehen, für das die verifizierende Analogie erst in Aussicht gestellt ist" 8 7 . Die Auferstehung Christi ist vielleicht zwar die Wirklichkeit, aber nicht die Wahrheit, aus der die Gemeinde jetzt schon lebt: Sie ist vielmehr die Wirklichkeit, die weder die Gemeinde noch die Welt wirklich schon sieht. Sie sieht sie nicht, weil es keine Analogien gibt und weil in der Welt T o d und Vergänglichkeit genau so weiter gehen als zuvor. Die Analogie wäre die Parusie des Auferstandenen, aber die Parusie verzögert sich. Das Problem der Parusieverzögerung ist daher im Grund das Problem des Widerspruchs von Glaube und Erfahrung 8 8 . Daher kann Moltmann auch T h 164, inwendiges Z i t a t v o n F. Mildenberger, E v . Theol. 23, 1963, 274 T h 171 8 8 J ü r g e n M o l t m a n n , Perspektiven der Theologie, München 1968, 88; weiter zitiert 8 7 T h 179 als „ P " 88 J ü r g e n M o l t m a n n , Probleme der neueren evangelischen Eschatologie, in: Ver84

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181

das christliche Geschichtsbewußtsein als das Bewußtsein um den Widerspruch dieser unerlösten Welt bezeichnen89. Und: Der Geschichtsprozeß ist der Rechtsprozeß um die Wahrheit Gottes90. Die Gemeinde ist zwar gegründet, aber noch nicht auf allgemein verbindlicher Wahrheit: Sie muß sich gleichsam selbst noch in diesen Rechtsprozeß hineinbegeben, um die Wahrheit ihres Grundes zu erlangen. Daß sie verbindliche Wahrheit ist, soll nicht nur geglaubt, sondern irgendwo schon in der Tendenz des Geschehens geschaut und antizipiert werden. Die Theologie der Auferstehung möchte gleichsam schon die allgemeine Wahrheit — wenn auch unter dem Vorzeichen des „Noch-nicht" — im Modus der Hoffnung in sich hinneinnehmen, statt sie als Wahrheit des Christus präsens im Modus des Glaubens für die Gemeinde auszulegen. Dieses Verfahren ist nicht unmöglich und kann auch, wie es die Theologie der Hoffnung tut, auf weite Strecken überzeugen. Es kommt aber, gerade weil die Auferstehung Jesu Grund der Hoffnung sein soll, alles auf das tatsächliche Gegründetsein in dem an, was den Grund zum Grund macht. Es wundert nicht, daß der Nachdruck, den Moltmann auf die verifizierende Füllung der Auferstehung Christi erst vom Ende her legt, seine Konsequenzen für die Interpretation des Verhältnisses von Kreuz und Auferstehung hat. An diesem Punkt steht Moltmanns Position im Widerspruch zu dem, was wir zu entwickeln versuchten, und wir wollen uns das hier vergegenwärtigen. Der Entwurf Moltmanns wäre sicher in der Lage, den eschatologischen Bedeutungshorizont der Auferstehung Christi breiter zu füllen, als wir es bisher zu tun in der Lage waren. Es stellt sich aber heraus, daß die Entwicklung der Auslegung der Auferstehung Christi vom Eschaton her es umgekehrt schwierig macht, dem Kreuz als ontischem Grund und Inhalt der Offenbarung in der Auferstehung Rechnung zu tragen. Tatsächlich bleibt bei Moltmann im Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung für das Kreuz nur eine formelle Rolle übrig: Die Qualifizierung der Auferstehung Christi durch das Schema des „Noch-nicht" Kreuz und Auferstehung sind ursprünglich historisch keine korrelativen, sondern gesonderte Begebenheiten. Christus erscheint nicht als der Gekreuzigte, sondern als der Auferstandene91. Die Identität vom Gekreuzigten und Auferstandenen wird also nicht in, sondern nach der Erscheinung Christi als Auferstandener vollzogen. Aber sie ist auch dann nicht einmal die erste Identifikation, die stattgefunden hat. Am Anfang steht die unmittelbare Identifizierung der Ostererscheinungen Jesu mit der eschatologischen Ankunft des weltverwandelnden Reiches Gottes92. kündigung und Forschung, Beihefte zur „Evangelischen Theologie" 2/1965, 1 2 3 ; weiter zitiert als „VF"

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Th 179, § 9 Überschrift.

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Audi Moltmann spricht, in Anlehnung an Ernst Käsemann 93 , von einem anfänglichen „Osterenthusiasmus". Dieser Osterglaube wurde dann bald des Widerspruchs noch unerlöster Welt gewahr. Diese Erfahrung, die der Glaube machte, warf ihn offensichtlich in der Frage nach Christus zurück (war der Auferstandene dann nicht Christus, oder war er in der Tat nur anfänglicher Osterenthusiasmus? A. G.) und ließ ihn erkennen, daß der Auferstandene, von dessen Erscheinungen und Geist er lebte, nicht nur der ,Erstling aus der allgemeinen Totenauferstehung' ist, sondern der Gekreuzigte. Das Kreuz ist also nicht die erste Erfahrung oder das erste Wissen der Gemeinde, sondern die zweite oder die dritte! Der Osterglaube muß durch Kreuzestheologie modifiziert, ja gleichsam ententhusiasmiert werden: nur so war sie in der Lage, sich im Widerspruch einer unerlösten Welt als Osterglaube zu bewahren 94 . Die Aufnahme des Kreuzes in die Ostertheologie erscheint so als eine zusätzliche Maßnahme, die keine konstitutive Bedeutung für die Füllung der Ostertheologie als solche hat, sondern die auf Grund der in der noch unerlösten Welt gemachten Erfahrungen nachträglich thematisch wird. Wäre der Widerspruch der unerlösten Welt nicht so groß und die Parusie nicht verzögert gewesen, so hätte es auch mit dem anfänglichen Osterenthusiasmus wohl sein Bewenden haben können. Die Offenbarung des Kreuzes ist nicht der prähermeneutische Grund der Kirche, sondern Folge des geschichtlichen Rahmens, in dem der Osterenthusiasmus auftrat. Das Kreuz ist eine Stütze für den Osterglauben, der sich angesichts des Widerspruchs von eschatologischen Glauben und Erfahrung nur als Glaube an die Vermittlung der Auferstehung durch den Gekreuzigten halten kann 95 . Die Kreuzestheologie wird zu einer Art Heilmittel, wenn der anfängliche Osterenthusiasmus sich übernommen hat und nun von der bleibenden Realität der unerlösten Welt zurückgepfiffen wird. Sie soll dann besagen: Aber so begeistert haben wir es in unserem anfänglichen Osterenthusiasmus audi wieder nicht gemeint! „Das Problem der Parusieverzögerung sollte dann nicht durch weltgeschichtliche, existenzgeschichtliche oder heilgeschichtliche Deutungen in theoretischen Lösungen überwunden, sondern durch Kreuzestheologie begriffen werden" 96 . Moltmann sagt dann weiter: „Nicht der .Glaube an Jesus', sondern der Glaube an die Heilsbedeutung des Kreuzes Jesu modifiziert urchristlidie Apokalyptik und ist darum Grund und Anfang christlicher Theologie" 97 . Was soll aber hier „Heilsbedeutung" heißen, wenn das Kreuz gerade die Chiffre für das Noch-nicht-Erlöstsein ist? In Moltmanns Ausführungen besteht eine formelle Ähnlichkeit in der Weise, in der das Kreuz vorher die spätjüdische Apokalyptik „modifi93 85 97

Th 140, Anm. 12 VF 115, Anm. 54 Ebd.

VF 123 »· VF 123

M

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ziert" hatte und wie es jetzt die urchristliche Apokalyptik tut. Der spätjüdischen Apokalyptik gegenüber heißt es, daß die Totenauferwekkung nicht an einem Gesetzesgetreuen, sondern an einem Gekreuzigten geschehen sei und daher zukünftige Auferstehung nicht aus dem Gesetzesgehorsam, sondern aus der Rechtfertigung des Sünders und dem Glauben an Christus zu erwarten sei98. Welche dogmatische Konsequenz steckt in dem „daher"? Die Formel ist richtig, hängt aber bei Moltmann völlig in der Luft. Denn, ist es ein Gegensatz, wenn von Jesus gesagt wird, er sei gesetzestreu und gekreuzigt? War es nicht gerade er, der als Einziger gesetzesgetreu und gehorsam war, und war nicht dieser Gehorsam der Grund für seine Erhöhung? Christus steht, als Gekreuzigter, nicht Modell für die Rechtfertigung des Sünders", sondern ist der Grund für die Rechtfertigung von allen anderen, von den Sündern. Es bedeutet grundsätzlich etwas anderes, von der Auferstehung des Gekreuzigten zu sprechen als von dem Kreuz des Auferstandenen zu sprechen, wie es Moltmann tut 100 . Daß es keine gelegentliche ungenaue dogmatische Redeweise ist, sondern eine beabsichtigte Position, macht Moltmann ganz deutlich in dem weiteren Verlauf des obenerwähnten § 9 des 3. Kapitels der „Theologie der Hoffnung" Die Verkündigung der Jünger, er sei von den Toten auferweckt, entspringt nicht besonderer Imagination oder eigenartiger Inspiration, sondern sie wird „nötig aus dem Vergleich ihrer beiden widersprüchlichen Christuserfahrungen. Die Erfahrung des Kreuzes Jesu bedeutet für sie die Erfahrung der Gottverlassenheit des Gottesgesandten; also ein absolutes Gott einschließendes nihil. Die Erfahrung der Erscheinung des Gekreuzigten als des Lebendigen bedeutet darum für sie die Erfahrung der Nähe Gottes am Gottverlassenen, der Gottheit Gottes am gekreuzigten und toten Christus; also ein neues, das totale nihil vernichtendes totum. Beide Erfahrungen stehen in einem radikalen Widerspruch zueinander, wie Tod und Leben, Nichts und Alles, Gottlosigkeit und Gottheit Gottes. Wie aber kann es möglich sein, beide Erfahrungen auf ein und dieselbe Person zu identifizieren, ohne die eine oder die andere Erfahrung aufzulösen und belanglos zu machen?"101. Zur Lösung dieser Frage begibt sich Moltmann dann doch in eine Art historisierende Rekonstruktion der Erscheinungen. Die Identifizierung des Gekreuzigten mit dem Auferstandenen soll nicht aus der Sache, also aus der Qualität des Gekreuzigten stattfinden, sondern: „Um diesen Vorgang der Identifizierung verständlich zu machen, muß man wohl davon Th 175 Th 175: „An die Stelle des Lebens im Gesetz tritt die Christusgemeinschaft in der Nachfolge des Gekreuzigten" 101 Th 180, kursiv von uns. 100 y f 106 98 99

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ausgehen, daß es sich in den Ostererscheinungen nicht nur um stumme Visionen, sondern zugleich damit und im Kern wohl zuerst um sogenannte Auditionen gehandelt h a t . . . Ohne vernommene Rede wäre es unwahrscheinlich und doch auch unmöglich gewesen, den Erscheinenden mit dem gekreuzigten Jesus zu identifizieren" 102 . Das ist ein Schritt zurück bei Lukas 24, wo die Identifikation hermeneutisch durch die Öffnung der Schrift und sakramental durch die Brechung des Brotes zustande kommt. Moltmann: „In seinen Reden muß so etwas wie eine Selbstidentifikation vorgelegen haben (,Ich bin es'). Dann kann die Selbstidentifikation des im Glänze des verheißenen göttlichen Lebens Erscheinenden mit dem Gekreuzigten als Akt der Selbstoffenbarung Jesu angesehen werden. Das grundlegende Geschehen in den Ostererscheinungen liegt dann offenbar in der Offenbarung der Identität und Kontinuität Jesu im totalen Widerspruch von Kreuz und Auferweckung, von Gottverlassenheit und Gottes Nähe" 103 . Man beachte hier: Es findet eigentlich eine doppelte Identifikation statt: Christus erscheint a) im Glänze des verheißenen göttlichen Lebens und b) als der Gekreuzigte. Offenbar ist die erste Identifikation für den Inhalt der Offenbarung bestimmend. Denn dadurch muß der Inhalt der grundlegenden Offenbarung eine Identität und Kontinuität im totalen Widerspruch bleiben, nämlich von Gottverlassenheit und Gottes Nähe, Kreuz und Auferweckung. Wir fragen: Wie kann eine Identifikation im Widerspruch stehenbleiben? Selbstverständlich kann sie es nicht. Audi Moltmann sieht das Rätsel dieser geheimnisvollen Identität als das treibende Motiv in den christologischen Streitigkeiten der Urchristenheit an 104 . Trotzdem soll die Identität im Widerspruch bleiben. „In Anbetracht dieser Entwürfe wird man sagen müssen, daß die Identität Jesu nur als eine Identität in, nicht aber oberhalb von Kreuz und Auferstehung verstanden werden kann, daß sie also mit der Dialektik von Kreuz und Auferweckung verbunden bleiben muß. Dann gehören die Widersprüche von Kreuz und Auferweckung zu seiner Identität. Weder kann dann die Auferstehung auf das Kreuz als dessen Bedeutsamkeit, noch kann das Kreuz auf die Auferstehung als dessen Vorstufe reduziert werden. Es handelt sich formal um eine dialektische Identität, die nur durch den Widerspruch besteht, und um eine Dialektik, die in der Identität besteht"105. „Dann liegt der Identitätspunkt nicht in der Person Jesu, sondern extra se in dem Gott, der aus dem Nichts Leben und neues Sein schafft"106. Diese Beobachtung ist an der Bestimmung des Kreuzestodes als Nichts und des Kreuzes als Gottverlassenheit gewonnen. Daß heißt: an der Beobachtung des Kreuzes von außen her, und nicht von der Gemeinde her. Die Gemeinde, die auf Grund der Offenbarung zu Ostern das Kreuz als Gottes Tat verstehen gelernt hat, 102 105

Th 180 Th 182

103 loe

Th 180 f. Ebd.

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Th 181

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kann es letztlich nicht als Gottverlassenheit interpretieren, ohne daß sie damit den Ort des fides quaerens intellectum verläßt. Und die Gemeinde, die den Tod des Gekreuzigten als für unsere Schuld erlitten, bekennen gelernt hat, kann diesen Tod nicht als das Nichts aussagen. Dieser Tod ist der Tod des Todes. Der Identitätspunkt liegt dann zwar auch in Gott, aber nicht erst in einer bleibend widersprüchlichen Erfahrung zu Ostern, sondern in dem Beschluß Gottes zu Weihnachten, die Sünden der Menschen in seinem Sohn zu seinen eigenen Sünden zu machen. Wo das Leben für uns nicht schon in diesem Tod steckt, sondern erst nach diesem Tod kommt, bleibt der Widerspruch der beiden „Erfahrungen" bestehen. Wo aber der Tod Jesu als stellvertretend für uns erlitten erscheint107, ist der Widerspruch aufgehoben und ist das Kreuz nicht in dem Sinn bleibende Signatur seiner Herrschaft 108 , daß es die Unerlöstheit der Welt indiziert, sondern gerade aufgerichtetes Zeichen der Versöhnung und Erlösung. Moltmann muß mit der offenen Dialektik auf den Weg. Und er entscheidet sich auch dafür. „Kreuz und Auferstehung sind dann nicht nur modi an der Person Christi. Ihre Dialektik ist vielmehr eine offene Dialektik, die ihre aufhebende Synthese erst im Eschaton aller Dinge finden wird" 109 . Er wählt diesen Weg angesichts der Alternative, die er sieht: „Werden Kreuz und Auferstehung hingegen an der ewigen Person Jesu differenziert, so wird jenes Geschehen zwischen Kreuz und Ostern nicht als Offenbarung der Gottheit Gottes am Tode verstanden und nicht mehr als Schöpfertat Gottes angenommen, sondern es wird als ,autobasileia' verstanden: der Gekreuzigte ist auferstanden. Er ist auch ohne besonderen Eingriff Gottes auferstanden, weil er selbst Gott ist. Diese Auffassung macht aus Ostern die Geburt eines neuen Kultkyrios und kann sich nur schwer gegen die wirkliche Erfahrung der bestehenden Herrschaft des Todes und der Mächte des Nichtigen über den Menschen behaupten" 110 . Immer wieder vollzieht sich der Wechsel des Standortes zu diesen wirklichen Erfahrungen der bestehenden Herrschaft des Todes! Sie sollen die anfänglichen Ostererfahrungen modifizieren. Die Realität ist nicht die Realität des Glaubens, sondern die Realität der Welt des Todes, die sich nach dem Wort der Verkündigung immer wieder zu Worte meldet. Sie tut das a) innertheologisch in der Gestalt der historischen Kritik: „historische Kritik bringt die christliche Erinnerung aus der glorifizierenden Vergoldung isolierter Ostertatsachen zum realen Kreuz des Auferstandenen zurück" 111 . Sie wirft so „den Glauben auf das Glauben zurück" und raubt ihm alle allgemeingültigen Beweisstützen im Sichtbaren und Erfahrbaren. Nutzen und Nachteil der Historie für den Glauben liegen nicht darin, ihn in den Konflikten der Geschichte auf 107 110

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VF 106 Ebd.

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sicheren Boden zu stellen, sondern darin, ihn „in den Konflikt des Kreuzes zu bringen" 112 . Diese den Glauben entsichernde und so erst wahrhaft als Glauben sichernde Funktion der historischen Kritik liegt noch völlig auf der Linie Herrmann — Bultmann — Ebeling. Aber Moltmann baut sie weiter aus, indem er diesen Gedanken mit b) der umfassenderen Frage der Theodizee, wie sie aus der Welt des Leidens zu uns klingt, verbinden möchte. Die Welt des Leidens ist der eigentliche Ort, von dem aus Moltmann die Frage nach Gott und nach Auferstehung stellen möchte. Mit dieser letzten konkreten Zuspitzung der Frage nach dem Ort der Auferstehung, wie sie in Moltmanns Tübinger Antrittsvorlesung begegnet, wollen wir uns abschließend befassen. Die Vorlesung „Gott und Auferstehung"113 trägt den programmatischen Untertitel: „Auferstehung im Forum der Theodizeefrage." Es wird heute wieder erkannt, „daß christliche Theologie im Horizont der Theodizeefrage ihren weitesten und konfliktreichsten Weltbezug bekommt" 114 . Die Gottesfrage ist nur oberflächlich die theoretische Frage nach der Denkbarkeit der Existenz Gottes. Hinter der Frage steht ein konkretes Elend. Feuerbach und Marcuse bestimmen den Ort der Frage: Dem Denken geht das Leiden voran 115 . Auch vor dem christlichen Denken liegt das Leiden. Ich leide, darum bin ich116. Die christliche Theologie, die Gott um Christi willen bedenken soll, wird erst relevant, wenn sie die Solidarität mit dem Leiden dieser Zeit aufnimmt 117 . Und: „Man kann Gott nicht vor der Welt zur Sprache bringen, wenn man nicht zuvor und zugleich die Welt vor Gott zur Sprache bringt" 118 . In diesem Tauschgeschäft ist also der Mensch als erster am Zuge. Denn: War auch die Auferstehung Christi greifbar als eine Realantizipation der umfassenden Zukunft Gottes, so hilft doch eine solche Realantizipation qualitativ verändernder Zukunft denen nichts, die in Finsternis und Todesschatten leben. Sie fragen: Wieso ist das Reich der Freiheit nicht mit einemmal da? Was rechtfertigt seine Verzögerung? In der Gestalt der Parusieverzögerung kehrt dann das Theodizeeproblem ins Christentum zurück119. Aber wir fragen: kehrt das Theodizeeproblem wirklich ins Christentum zurück? Hat nicht die Fürbitte für die Welt und ihre Not die Rolle 112

Ebd.

us ρ 37

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Ρ 36, Anm. 1

ιΐ7 ρ

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us ρ 40. Daß darin ein Grundzug genuinen biblischen, wenn audi primär außerisraelitisdien Glaubens sich ausspridit, sollen wir aber nicht vergessen zu bedenken, bes. angesichts Perikopen wie Mt. 8, 5 — 1 3 und Mt. 15, 2 1 — 2 8 , wo der Hauptmann zu Kapernaum bzw. die Syrophönizierin ihr Leid vor Jesus zur Sprache bringen. Aber sie bringen das Leid der Welt vor Jesus zur Sprache in einem so großen Glauben, wie ihn Jesus in Israel nicht gefunden hat. 119

Ρ 48 f.

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dieses „Problems" übernommen? Und ist diese Fürbitte nicht zutiefst von dem Geist getragen, der selbst für uns eintritt mit unaussprechlichen Seufzern (Rom. 8, 26)? Das Theodizeeproblem kehrt nur ins Christentum zurück, indem Moltmann „Fragen der jüdischen Religionsphilosophie in Amerika aufnimmt" 120 . Hiob und Bloch, Susman, Rubinstein, Borowitz sind die Zeugen. Sie alle fragen nach dem „Warum" des Leidens des Gerechten, weil sie das „Darum" des Leidens des einen Gerechten (Luk. 24, 26; Phil. 2, 8) nicht vor Augen haben. Diese jüdischen Fragen werden eine Antwort bekommen, ganz auf sie zugeschnitten, aber es wird keine andere Antwort sein als die Antwort, die die Gemeinde gründete (siehe Kap. VI). Moltmann: „Lissabon war eine Naturkatastrophe. Was ist Auschwitz? Diese Frage dringt erst lange nach dem Geschehen ins Bewußtsein" 121 . Aber warum dringt eine mögliche Antwort: Auschwitz war Schuld, eine Auflehnung apokalyptischen Ausmaßes gegen den frei sein Volk erwählenden Gott von Seiten des sich seine Erwählung anmaßenden Menschen, überhaupt nicht ins Bewußtsein? Moltmann fragt: „Was entsteht hier: Eine Frömmigkeit des Unglaubens gegen die erklärenden Lösungen der Theodizeefrage?" Das mag sein. Aber sollen wir diese Frömmigkeit in der Kirche bejahen, bevor wir die eine mögliche Erklärung, die in der Kirche das Schuldbekenntnis ist, ausgesprochen haben? Darf man die Frage nach der Rechtfertigung Gottes stellen, bevor man auf die Frage nach der Rechtfertigung des so fragenden Menschen eine Antwort bekommen hat? Ja, in dem Leiden stellt der Mensch die Gottesfrage: „Denn der Mensch ist nur dort bei der Sache, wo er interessiert ist" 122 . Es ist nicht von ungefähr, daß die Welterklärungen, die Apokalypsen der Welt, sich nicht an ihrer eigenen Schuld und sehr an der Schuld Gottes interessiert zeigen. Was steht dahinter, wenn wir die Rollen zwischen Ankläger und Angeklagten vertauschen? Ist es nicht, bei aller Aufrichtigkeit und Tiefe des Mitleidens, der Versuch, das Leid der Welt tiefer zu verstehen, als Gott es offenbar selber versteht, und unsere Analysen Ihm immer wieder vorzutragen? Moltmann versucht, wie wir schon sahen, diesen letzten Fragen und Klagen des Menschen ihren theologischen Ort in dem letzten Schrei Jesu am Kreuz: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" zu geben. „Für christliche Theologie ist der Kreuzesschrei Jesu der tiefste Fragehorizont nach Gott. Alle ihre Antworten müssen immer wieder zu dieser fundamentalen Frage zurückkehren, denn sie läßt sich durch geschichtliche Antworten nicht schließen . . . Darum bezeichnen christlich die Worte ,Gott' und ,Auferstehung' jenes Zukunftsgeschehen, das durch den Schrei und den Schmerz des Gekreuzigten auf Erden erfragt wurde. Was immer an neuer und überraschender Wirklichkeit ankommt, was immer ,Gott' und ,Auferstehung'... genannt zu werden verdient, das tritt in den konkre121 Ebd. 122 Ρ 37 12» P 39 188

ten Horizont der fragenden und klagenden Offenheit des Gekreuzigten ein und kann nur in diesem Horizont als ,christlich' erwiesen werden" 1 2 3 . Aber es ist keine Überheblichkeit der Gemeinde, diesseits der Auferstehung Jesu Christi bei dem Kreuz als Antwort stehenzubleiben und nicht mehr f ü r den Erweis des Christlichen zu dem Schrei der Verlassenheit zurückzukehren 124 . Die Frage ist nur möglich auf dem O r t der Antwort. Die Solidarität mit dem Leiden der Kreatur, die Moltmann so bewegend predigt, ist durch die Antwort des Kreuzes viel besser als durch die Frage des Kreuzes gesichert. Denn die Antwort, die wir in der Auferstehung Christi vernehmen dürfen, bezieht Gott in diese Solidarität mit ein und überläßt es darum getrost auch Ihm, die Ursachen unserer Leiden zu diagnostizieren. „Was denket ihr in euren Herzen? Was ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben oder zu sagen: stehe auf und wandle?" Lk. 5, 22 f).

C. Auferstehung, Apokalyptik und Anthropologie (Wolfhart Pannenberg) Noch einmal, am Ende unseres Weges — eine Wüstenwanderung von vierzig Jahren, seit dem Erscheinen von Karl Barths „Auferstehung der Toten" 1926 — finden wir uns, plötzlich und unerwartet an dem Punkt wieder, von wo aus der Marschbefehl erklungen war, der es uns erlaubt nunmehr zu fragen, was aus der Parole geworden ist: „Eine Zusammenschau von dem, was wir uns o f t nur vereinzelt vorzunehmen vermögen: Auferstehung der Toten und die Auferstehung Jesu Christi, ja, Schöpfung, Auferstehung Christi und das Ende aller Dinge als ein einziges Geschehen" (siehe oben S. 14). Wie gewandelt hat sich aber inzwischen die Landschaft. Was wir schon am Ende unseres ersten Kapitels kommen sahen, ist gekommen: die hohe dünne Luft des Unhistorischen hat nach dem Gesetz des horror vacui das Historische angezogen und in sich aufgenommen. Wolfhart Pannenberg hat die Herausforderung angenommen (siehe oben S. 23), daß die Historie die lange Brücke ist, von dem die meisten unterwegs herunterfallen. Wie viele haben wir nicht herunterfallen sehen. In einem Balance-Kraftakt, bei dem es dem Akrobaten nicht, allenfalls seinem Zuschauer schwindlig wird, erklettert er das Seil der Fragestellung nach Auferstehung, nachdem er es zuvor mit den beiden Enden an Schöpfung und Eschaton festgemacht hat. Schauen wir dem kühnen Künstler zu. Das Bestechende der Ausführungen Pannenbergs ist, daß sie innerhalb eines geschlossenen systematischen Gesamt123 ρ

41

124

Vgl. Helmut Gollwitzer, Krummes H o l z — aufrechter Gang, München 1970, 253—259

189

entwurfs begegnen. Wie kaum ein anderer Systematiker hat Pannenberg darüber hinaus versucht, den heutigen Stand der neutestamentlichen Forschung einschließlich der Frage nach dem historischen Jesus zu berücksichtigen. Mit dieser Frage, die sowohl den Unterschied zu Moltmann als den Anschluß an Kapitel IV markiert, setzen wir ein. Der Leitsatz von § 3 der „Grundzüge der Christologie" lautet: „Die Auferweckung Jesu als Grund seiner Einheit mit Gott" 1 2 5 . Mit anderen Worten: die Auferweckung Jesu ist der Ursprung der Christologie. Verbündet sich hier Pannenberg wenigstens im Formalen mit der kerygmatischen und dialektischen Theologie und gibt diese These seiner Christologie das Gepräge einer „Christologie von oben", so will Pannenberg zugleich darin den heute üblichen christologischen Entwürfen entsprechen, daß auch er „unten" anfängt und von dorther die Kontinuität mit dem urchristlichen Kerygma entwickelt. Setzen dort aber die meisten Ansätze der Erklärung der Genese der Christologie bei dem Selbst- oder Vollmachtsbewußtseins Jesu ein, so ist das Pannenberg nicht genug. In dem Vollmachtsanspruch des vorösterlichen Jesus steckt wesentlich ein proleptischer Zug. Was ist damit gemeint? Pannenberg führt aus, daß ein Anspruch, der im vorösterlichen Auftreten Jesu enthalten ist, an sich nicht genügt, um die Einheit mit Gott herzustellen. Als ob es nur um die „Entscheidung" ihm gegenüber ginge 126 . Eine solche Entscheidung bliebe ohne Grundlage. Es geht um einen Anspruch, der erst noch durch Gott bestätigt werden muß. Und: Der Anspruch Jesu ist folglich eine Vorwegnahme einer erst von der Zukunft zu erwartenden Bestätigung. Das lasse sich an dem Wort Jesu zeigen: „Ich sage euch aber, wer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes." Die Unterscheidung zwischen Jesus und dem endzeitlichen Richter (Menschensohn) ist es, worauf es hier ankommt 127 . Das Urteil, der Anspruch Jesu habe proleptischen Charakter, stützt sich jedoch nicht nur auf diese Gruppe von Sprüchen, sondern auf die Konvergenz ihres Sinnes mit dem Gesamtcharakter des Auftretens Jesu in seiner Bestimmtheit durch den apokalyptischen Hintergrund 128 . Darin ist Jesus den Propheten ähnlich, die Worte empfinden, die, durch künftige Erfüllung bestätigt, als Wort Jahwehs erwiesen werden mußten 129 . Das Verhalten des Menschen jetzt zu Jesus ist das Kriterium ihres Bestehens oder Nicht-Bestehens im künftigen Gericht. Und wenn in dem Auftreten Jesu von einer Gegenwart des Heils gesprochen werden kann, so wird sie durch diesen Spruch Jesu in ihrer genauen Struktur sichtbar, nämlich als Vorwegnahme der künftigen Entscheidung 130 — 1 2 5 Wolfhart Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 1964, 47; weiter zitiert als „ C "

!26 C 6 1

129

190

C 55

127 C 53 130

Ebd.

128 C 57

gemeint ist wohl die künftige Entscheidung des Menschensohnes auf Grund der Entscheidung, des Bekenntnisses des Menschen. Diese Bestätigung oder Bewährung oder Beglaubigung 131 bekommt nun der Anspruch Jesu mit seiner Auferweckung. Freilich war diese Gestalt der Bestätigung nicht notwendig in der proleptischen Struktur des Auftretens Jesu enthalten. Es geht Jesus um Bestätigung überhaupt, und um diese zu erlangen, zieht er nach Jerusalem 132 . Gemessen an der unmittelbaren Nähe des bevorstehenden Weltendes und der damit verbundenen Auferstehung von den Toten, mußte es für Jesus von zweitrangiger Bedeutung sein, ob er audi selbst zuvor noch durch den Tod hindurch mußte. Daran braucht die Wahrheit seiner Verkündigung nicht zu hängen 133 . Wesentlich ist nur, daß Jesus in der Hingabe an die Entscheidung Gottes seinen Weg geht. Person-Sein ist übrigens wesentlich: Hingabe, sagt Hegel 134 . Scheint es auch, daß bei der Beschreibung, die Pannenberg vom Leben Jesu gibt, eine Spannung zwischen Anspruch (Jesus beansprucht etwas für sich) und Hingabe (Jesus beansprucht nichts für sich) besteht, so gelingt es doch, diese beiden Elemente in dem Gedanken der Prolepse zu vereinigen. Jesus stellt es Gott anheim, seinen Anspruch zu bestätigen. Und gerade in diesem Sidi-Gott-anheim-stellen, man kann auch sagen, seinem Glauben, wird er bestätigt. Auferweckt ist Jesus als der so Gott hingegebene 135 . Durch die Auferweckung ist Jesus gerade insofern der Offenbarer der Gottheit Gottes, als er durch sie darin bestätigt wird, der ganz und gar Gott Hingegebene gewesen zu sein 136 . Die Gesichtspunkte einer Christologie von oben und von unten scheinen hier glänzend verbunden worden zu sein. Trotzdem erheben sich schon diesem ersten Teil des Pannenbergschen Entwurfes gegenüber große Bedenken. Sie betreffen a) die Eigenart der Leistung Jesu, b) die konstitutive Kraft der Entscheidung des Menschen Jesus gegenüber und c) die nicht-notwendige Rolle, die das Kreuz in diesem Aufriß spielt. Daß diese Punkte eng miteinander zusammenhängen, wird sich bald zeigen. Ad a) Jesus steht in der prophetischen und apokalyptischen Tradition. Die Unterschiede, die Pannenberg zu dieser Tradition aufzählt 137 , fallen nicht ins Gewicht, wenn man sie an dem gemeinsamen Horizont zwischen Jesus und seinen Zeitgenossen mißt: die Erwartung einer künftigen Herrschaft Gottes, die Jesus bei seinen Hörern voraussetzt 138 . Die Differenzierung zwischen Jesus und seinen Hörern findet innerhalb dieOffenbarung als Geschichte, Göttingen 2 1963, 1 0 7 1 3 3 Ebd. 1 3 4 C 347 C 60 1 3 5 Ebd. 1 3 8 Ebd. 1 3 7 C 55 1 3 8 Die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth, in: Neuland in der Theologie, herausgegeben von James M. Robinson und John B. Cobb Jr., Band III, 137; weiter zitiert als „Neuland" 131

132

191

ses Horizontes statt. Der gemeinsame Horizont von Jesus und seinen Hörern ist wichtig als die Ermöglichung des Glaubens 139 . Einerseits war es nur, weil zentrale Züge der Botschaft Jesu mit der israelitischen Überlieferung übereinstimmten, möglich, daß Jesus bei seinen jüdischen Hörern Glauben fand 140 . Gemeint ist offenbar hier der vorösterliche Glaube, der noch nicht durch den Bruch des „Neins" Israels hindurch gegangen ist. Andererseits war auch die Entgegensetzung zur jüdischen Tradition von Jesus wiederum durch die spezifisch apokalyptische Traditionslinie, von der Jesus herkam, ermöglicht. Jesus bietet somit nichts Neues: Was er sagt, ist entweder gemeinsames Überlieferungsgut mit den jüdischen Hörern, oder es stammt, auch wenn es im Widerspruch zu den aktuellen jüdischen Hörern steht, aus jüdischer Tradition. Mit anderen Worten: Die Auseinandersetzung zwischen beiden Positionen hätte sich aus dem vorhandenen Material, zur Not auch inner-jüdisch ereignen können, ohne Zwischenkunft Jesu. Und es wäre auch nicht genau zu sagen, wer bestätigt wird: Jesus oder die Apokalyptiker, in deren Horizont Jesus dachte. Daß der Bruch sich an Jesus vollzieht („Siehe, dieser wird gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel", Luk. 2, 34), ist nicht aus Jesu prophetischem Amt, das bei Pannenberg zentral steht141, allein zu erklären. Das führt uns zum zweiten Punkt, b) Wie wir soeben sahen, hätte, nach Pannenberg, Jesus innerhalb des gemeinsamen jüdischen Horizontes mit seiner Botschaft durchaus Glauben finden können, und er hat ihn wohl audi gefunden. Das scheint auch die Voraussetzung des oben zitierten Logions Jesu zu sein: Wer mich bekennt vor den Menschen, zu dem wird der Menschensohn sich bekennen. Das aber setzt wieder voraus, daß die Bewährung oder die Beglaubigung, die Jesus sucht und die er dann in der Auferstehung findet, jedenfalls nicht auf der ganzen Linie für den Glauben konstitutiv ist. Das jüdische Volk hätte ihn auf Grund der Übereinstimmung mit der jüdischen Tradition durchaus nicht verwerfen müssen. Pannenberg wird entgegnen: aber sie haben die Übereinstimmung nicht gesehen. Und deshalb kommt es besonders in zwei Punkten auf die Bestätigung Jesu an: die gepredigte Naherwartung, die um Bestätigung ruft, und die Freiheit vom Gesetz, die Jesus predigt. Die Juden mußten nun wählen, zwischen dem was bisher zusammengehörte: Gott und Gesetz. Dadurch stand Jesus in einer Zweideutigkeit, die sich nur dadurch lösen konnte, daß der Gott Israels selbst sich zu ihm bekannte 142 . Aber auch dann gilt noch: diese ganze Konstruktion des Angewiesen-Seins auf Bewährung, die dann in der Auferstehung Jesu den ihn verwerfenden Juden gegenüber stattfindet, hat nur dann einen Sinn, wenn die Auferstehung, und zwar in der handfesten Historizität, wie 139

192

Neuland 145 C 227

140 142

Vgl. auch C 259 C 265, Neuland 145

Pannenberg sie lehrt (siehe Kap. I I I ) , in der Tat die Juden überzeugt. Bekanntlich tat aber die Auferstehung Jesu das so wenig, wie es das vorösterliche Auftreten Jesu tat, wenn nicht weniger. Denn die Botschaft der Auferstehung, die Bestätigung sein sollte, wurde den Juden wiederum der Anstoß schlechthin143. Das Problem des Glaubens Israels wird von Pannenberg zu einem noetischen Problem verkleinert und verharmlost. Sollte das zweite „Nein" der Juden, nach der Bestätigung, Pannenberg nicht zu denken geben? Man bekommt bei ihm den Eindruck, daß der Glaube Israels davon abhing (vor- und nachösterlich), daß es Gott gelang, seine Gebote auf der richtigen hermeneutischen Wellenlänge zu senden. Aber die Schwierigkeit bei der Annahme der Sündenvergebung ist nicht, ob die Botschaft ja oder nein aus der jüdischen Tradition hervorgegangen sei, sondern ob das menschliche Herz bereit sei, sie anzunehmen. Und wer bereitet uns das Herz? Hat Jesu Wort: „wer mich bekennt vor den Menschen, zu dem wird der Menschensohn sich bekennen" den konstitutiven Wert für den proleptischen Charakter des Auftretens Jesu, wie ihn Pannenberg ihm zuschreibt, so wird, in der Bestätigung bei der Auferstehung, der Charakter des Anspruchs bestätigt. Ob der Anspruch Jesu bestätigt wird oder vorläufig unbestätigt bleibt (bei gelegentlichem Glauben, den er vorösterlich findet), ist für den Anspruch selbst nebensächlich. Die Bestätigung durch die Auferstehung, wie sie Pannenberg sieht, ist eine formale Kategorie und verändert inhaltlich an dem Anspruch nichts. Ob sich nun, durch den historischen Charakter und durch die Bedeutung der Auferstehung, den Juden tausend eigene gemeinsame hermeneutische Horizonte auftun, sie bleiben bei ihrer Ablehnung. Die Begründung des Glaubens, die Entscheidung für Jesus, liegt auch in dem Demonstrationscharakter der Auferstehung nicht. Dadurch muß Pannenberg, sicher gegen Willen und Wissen, vorläufig zu den Theologen gerechnet werden, die die Entscheidung des Menschen zur Grundlage des Glaubens machen. Es ist in der Auferweckung Jesu, als Bewährung des Anspruchs Jesu, wie Pannenberg sie lehrt, kein Moment enthalten, das das Nicht-Glauben der Juden als das Nicht-Glauben-können und das Nicht-Glauben-können als das Nicht-Glauben-wollen entlarvt und vergibt. Wenn auch Jesus bestätigt wird, so sind sicher seine Gegner damit ins Unrecht gesetzt 144 , aber es ist ihnen noch nicht vergeben und sie sind damit und darin noch nicht zur Einsicht gebracht worden. In der Verleugnung durch Petrus und in der Erscheinung des Auferstandenen vor ihm ist auch der vorösterliche Glaube der Jünger zusammen mit dem Unglauben der Juden gerichtet und begnadet. Die Offenbarung, die in der Auferstehung Jesu stattfindet, ist nicht die noetische Durchsetzung des Anspruchs Jesu, sondern 143

C 261

144

C 266

193 13

Gcense, Auferstehung

die Offenbarung, daß Gott in Jesus die Schuld Israels getragen hat. Es gibt keine Offenbarung ohne Versöhnung des Widerspruchs. Das führt uns zum letzten Punkt der Kritik an der ersten Phase des christologischen Aufrisses Pannenbergs: c) der nicht-notwendige Charakter des Todes Jesu als Voraussetzung für seine Bestätigung. Die Auferstehung ist bei Pannenberg faktisch die Bestätigung des Anspruchs Jesu gewesen und als solche bedingt durch das Geschick, das ihn in den Tod brachte. Weil die Gestalt der Ablehnung Jesu durch die Juden die Kreuzigung war, so war die kongruente Gestalt der Bewährung den Juden gegenüber die Auferstehung als Wiederbelebung. Aber weder diese Gestalt der Ablehnung noch diese Gestalt der Bestätigung sind von der Sache her notwendig. „Die Erwartung des irdischen Jesus richtete sich . . . nicht auf eine nur ihm sozusagen privat widerfahrende Auferweckung von den Toten, sondern auf die allgemeine Totenauferweckung, die natürlich auch ihm selbst, falls er zuvor sterben sollte, widerfahren wäre" 1 4 5 . Von Seiten Jesu her gesehen, ist sein Gang in den Tod zwar die äußerste Konsequenz seiner Hingabe als Selbstpreisgabe an Gott auf künftige Bewährung hin 1 4 6 . Aber der Tod Jesu ist nicht das versöhnende Zurückweichen und die darin enthaltene Überwindung des Widerstandes des Gegners. Dadurch bleibt audi die Hingabe, die Kenose Jesu, in dem angenommenen Scheitern seiner Sendung ein Geschehen, das allenfalls eine noetische Voraussetzung für die Bewährung ist. Mit anderen Worten: Die Hingabe Jesu ist bei Pannenberg eine noetische, keine hamartiologische Kategorie. Jesus will nichts in sich selbst sein. Aber warum nicht? Nicht um von Gott bestätigt zu werden, sondern um für andere alles sein zu können. Die Frage ist also: Ist Jesus gehorsam im Abwarten 147 oder im Tragen der Sünde? Im ersten Fall ist das Objekt der Bestätigung in der Auferstehung Jesu Glaube (Jesus wurde offenbart als der Ganz-Gott-hingegebene-zu-sein). Der Glaube ist dann zugleich der Sinn und Inhalt seines irdischen Lebens und auch, wenn nicht der noetische, so doch der ontische Grund seiner Gottheit 1 4 8 . Im zweiten Fall ist die Selbsthingabe Jesu in den Tod durch weit mehr als den Versuch, die Entscheidung Gottes zu seiner Bewährung herbeizuführen, bedingt: sie ist selber die Entscheidung, die Schuld der Ablehnung zu tragen. Wir verlassen nun das Thema des vorösterlichen Lebens Jesu und wenden uns der Behandlung der Auferstehung Christi als Bestätigung des Anspruchs Jesu zu, wie Pannenberg sie sieht. Uber den von Pannenberg behaupteten historischen Charakter der Auferstehung Christi haben wir in anderem Zusammenhang gehandelt (s. oben S. 102 ff.). Hat es anfänglich so geschienen, als sei gerade durch die Historizität der Auferstehung die Korrelation zwischen dem Leben Jesu und dem Anfang C 61 i « Ebd. 145

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146 148

C 346 C 347

der Gemeinde am besten gesichert, so hat sich doch herausgestellt, daß Pannenberg in späteren Ausführungen die behauptete Historizität der Auferstehung mit sehr vielen Klauseln hat abschwächen müssen. Jetzt sind wir einer weiteren Aushöhlung der Substanz der Auferstehung auf die Spur gekommen, indem wir zu sehen meinten, daß auch bei der Bestätigung des Anspruchs Jesu in gewissem Sinne doch der Anspruch Jesu die inhaltliche Mitte bleibt, um die herum sich das weitere Geschehen lagert. Man kann auch sagen: Der behauptete proleptische Charakter des Vollmachtsanspruches nimmt die Mitte vorweg, um so mehr weil nicht diese Gestalt der Auferstehung, sondern die Bestätigung als solche der Punkt ist, an dem sich die Prolepse orientiert. Aber nicht nur von diesen beiden Punkten gehen die zentrifugalen Kräfte aus. Es kommen noch wenigstens drei Momente dazu, die die Auferstehung als Einsatzpunkt und als Mitte bedrohen. Es sind a) der wiederum proleptische Charakter der Auferstehung und dadurch die bleibende Einbettung derselben in die metaphorische Sprache der Apokalyptik, b) der anthropologische Unterbau der Apokalyptik und c) die fehlende konstitutive Verbindung mit dem Kreuz Christi. a) So sehr die Auferstehung Christi nach Pannenberg die Bestätigung seines Anspruchs ist und deshalb überzeugende Substanz aufweisen muß, so ist sie selber ihrerseits wieder Prolepse. Das ist bei dem starken Akzent, den Pannenberg auf die Bestätigung Jesu als Grund des Glaubens legt, nicht nur f ü r uns, sondern auch f ü r Jesus selbst eine Überraschung. Jesus selbst hat schwerlich erwartet, daß sein eigenes Geschick sich vollenden wird durch ein Handeln Gottes an ihm, ohne daß die Endereignisse eintreten 149 . Als eine besondere Zumutung muß es dann noch erscheinen, daß das Geschehen, das die Endereignisse nicht, wie erwartet, herbeigeführt hat, trotzdem nur aussagbar wird in der Sprache, die diese Erwartungen gebildet haben. Die apokalyptischen Erwartungen Jesu, deren zentraler Inhalt nach Pannenberg die Totenauferstehung war, hatten starken vorstellungsmäßigen, metaphorischen Charakter 1 5 0 . N u n sollte man erwarten, daß bei der Bestätigung des Anspruchs, die den Charakter eines historischen Faktums hat, ein gewisser Durchbruch der Vorstellung in Richtung auf die die Vorstellung deckende Realität stattfinden würde. Das bis jetzt nur Vorgestellte ist ja verwirklicht. Was aber tun die Jünger, die erste Gemeinde nach Pannenberg? Sie kehren zu den Vorstellungen zurück, um aussagen zu können, was hier passiert sei. Aber das, was diese besagten Vorstellungen erwarteten, die allgemeine Totenauferstehung, ist eben, erwartungswidrig, nicht passiert. U n d was passiert ist, die Auferstehung eines einzelnen Menschen, wurde eben nicht erwartet. So entsteht die folgende Lösung: „Erst im Laufe der Zeit, durch die ,Verzögerung' der Parusie Jesu, wurden die Christen sich 148

C 59, Anm. 37

150

C 69, 85

195 13·

dessen bewußt, daß die Auferstehung Jesu als ein Einzelereignis, als ein exzeptioneller Vorgriff auf das allgemeine Endgeschehen zu verstehen sei" 151 . Pannenberg spricht auch von einem „Sondergeschehen"152. Diese gezwungene Verschiebung der ursprünglich angenommenen Bedeutung der Auferstehung Jesu veranlaßt nun aber nicht zu einer Korrektur des entweder als falsch erwiesenen oder noch nicht erwiesenen Interpretationszusammenhanges, sondern zu einer Erweiterung der Erwartungsperspektive. Die Auferweckung Jesu und die Auferweckung der Toten fallen zeitlich auseinander, aber die Auferweckung der Toten bleibt der einzige beherrschende Gesichtspunkt. So bleibt für die Erklärung der Auferstehung Jesu nur die Kategorie „exzeptioneller Vorgriff" übrig. Auch die Auferstehung Jesu, die Bestätigung seines Anspruchs ist, aber die es eigentlich nur sein kann als Anbruch des Endes, des Gerichtes durch den Menschensohn153, bekommt ihrerseits einen proleptischen Charakter. Für die eigentliche Bestätigung wird man noch weiter in die Zukunft verwiesen. Ist es unter diesen Umständen abwegig zu fragen, wozu diese ganze Bestätigung genützt hat? Für den schon vorhandenen vorösterlichen Glauben war sie nicht nötig und um den Widerspruch der Juden aufzuheben, hat sie nichts genützt: der war ja nach wie vor der gleiche. Hat nun die Auferweckung Jesu grundlegenden Charakter oder hat sie ihn nicht? Kann die Christologie nur darauf bauen, daß die erste Christengeneration sich der Verzögerung der Parusie noch nicht bewußt war? Und doch äußert sich Pannenberg in diesem Sinne: „Die einmalige Bedeutung des Zeugnisses der Apostel für alle spätere Kirchengeschichte aber hängt damit zusammen, daß damals die Auferweckung Jesu und das Ende der Welt unter dem Druck der unmittelbaren Naherwartung als ein einziges Geschehen zusammengeschaut werden konnten" 154 . Kann davon wirklich alle „spätere Kirchengeschichte" leben, „auch wenn die Wahrheit dieser Zusammenschau inzwischen wieder problematisch geworden ist"155? Man mag sich vielleicht fragen, ob unsere Kritik an Pannenbergs Begriff der Prolepse nicht mit zwei verschiedenen Maßstäben mißt, wenn wir einerseits in dem proleptischen Charakter des Anspruchs des irdischen Jesus den konstitutiven Charakter (das „Schon") betont haben und andererseits bei dem von Pannenberg gelehrten proleptischen Charakter der Auferstehung eine zentrifugale Tendenz vermuten, indem wir das „Noch-nicht" unterstreichen. Möchte Pannenberg, indem er die Auferstehung als das vorweggenommene Ende lehrt, nicht wirklich hier eine Mitte aufbauen? Warum sie dann nicht anerkennen? Doch liegt die verschiedene Beurteilung des proleptischen Charakters beim Anspruch Jesu Neuland 150, vgl. C 103 f. 153 c 103

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Ebd., kursiv von uns.

152 154

C 61 C 105

und bei der Auferstehung Jesu im Wesen der Sache beschlossen. In der Konstruktion Pannenbergs hätte die Korrelation Anspruch — Glaube vorösterlich durchaus vollzogen werden können. War doch das Entscheidende der Anspruch, daß sich im Bekenntnis zu Jesus das wesentliche, nämlich das dadurch garantierte Bekenntnis des Menschensohnes zu dem Bekenner, schon ereignet. Damit ist also die Nähe des Gottesreiches, des Weltendes im voraus gegeben, ist also der Inhalt virtuell auf dem Plan. Dasselbe behauptet nun freilich auch Pannenberg von dem „exzeptionellen Vorgriff" in der Auferstehung. Aber dadurch, daß die Bestätigung Jesu nur darin Bestätigung ist, daß das Ende anbricht 156 , wird der inhaltliche Charakter des exzeptionellen Vorgriffs sehr bedroht. Pannenberg selber hat die Maßstäbe inzwischen verschoben, dazu gezwungen, weil die Realisation der Bestätigung — Auferweckung nur an Jesu — anders als erwartet ausgefallen war 1 5 7 . War das vorösterlich erwartete Ende ein wirkliches apokalyptisches Ende der Geschichte, so bekommt der Begriff Ende bei der Auferstehung, durch die Not gezwungen und sicher gegen Pannenbergs Willen, eine stark axiologische Füllung, dem zeitlichen Moment, das in dem Adjektiv „proleptisch" mitspielt, zum Trotz. Und was die Anwendung des Begriffes „Prolepse" betrifft: das erste Mal war er im Wesen des noch nicht vollendeten Auftretens Jesu begründet, das aber von der Vollendung her durch die Jünger, die den Ubergang mitgemacht haben, beschrieben wird. Im zweiten Fall ist der Begriff „Prolepse" deutlich eine nachträgliche hermeneutische Hilfskonstruktion, und er wird nicht von der ersten Christengeneration, die nach Pannenberg gerade nicht zwischen der Auferstehung Jesu und der endzeitlichen Wirklichkeit differenzierte, verstanden worden sein. Der Begriff bekommt erst sein Profil durch die Parusieverzögerung, das Auseinandertreten der Auferstehung Jesu und der allgemeinen Totenauferstehung. Darum ist es u. E. gerechtfertigt, bei dem zweiten Begriff „proleptisch" den Nachdruck auf das „Noch-nicht" zu legen, besonders für uns, weil nach Pannenberg die Wahrheit dieser Zusammenschau inzwischen problematisch geworden ist. Das heißt nichts weniger, als daß der Grund der Gemeinde audi wieder problematisch geworden ist und erst auf künftige Bestätigung hin wahr sein kann. „Erst das Eschaton wird abschließend enthüllen, was eigentlich in der Auferweckung Jesu von den Toten geschehen ist" 1 5 8 . Dadurch kann aber die Auferstehung C 103 Pannenberg macht diese Ä n d e r u n g der Vorstellung gerade mit zu einem Beweis der Auferstehung, nämlich als diese Ä n d e r u n g verursachend. D a s historische Ereignis wird aus der Ä n d e r u n g der Vorstellung postuliert, obwohl Pannenberg sich d a m i t widerspricht: die apokalyptischen Vorstellungen ändern sich am A n f a n g nicht, sondern dienen als Sprachrahmen der Auslegung. iss C 4 1 3 156

157

197

Jesu weniger den Charakter der Mitte haben, als Pannenberg ihn für seine Christologie braucht. b) Daß Pannenberg die gefüllte Mitte der Auferstehung für seine Christologie braucht, bedeutet noch nicht, daß diese Füllung im Rahmen seiner gesamten Theologie die entscheidende Rolle spielt. Bei dem Nochnicht-Eintreten des Endes ist die Theologie nicht in Verlegenheit. Warum reicht der zweitausend; ährige Abstand von der Zeit Jesu trotzdem allein nicht hin, „die damals entdeckte Verbindung des Auftretens und Geschickes Jesu mit dem zu erwartenden Ende aller Dinge hinfällig werden zulassen?" 159 Ist es, weil die Auferstehung Jesu noch andere, besser gründende Substanz in sich birgt, die auch die Kategorie des Endes zu rechtfertigen vermag, oder ist es, weil die heimlich gründende K r a f t in der schwebenden, immer wieder proleptischen Christologie eine „anthropologisch interpretierte apokalyptische Erwartung" 1 6 0 , mithin die Anthropologie selber ist? Das ist tatsächlich die Meinung Pannenbergs. Die Christologie bildet bei ihm gleichsam den innersten Kreis in einer Reihe konzentrischer Kreise, in dem der nächstgrößere Kreis der überlieferungsgeschichtliche Zusammenhang der spätjüdischen Apokalyptik ist und der äußerste Kreis die Wesenstruktur des Menschen, mit deren Fragecharakter das Eschaton als Antwort korrespondiert. Die Christologie kann bei ungenügender Leistung gleichsam von einem größeren Rahmen umklammert werden Die Auferweckung Jesu ist nur im Zusammenhang der gesamten Menschheitsgeschichte, deren endgültige Zukunft sie enthüllt, zu erkennen 161 . Darauf beruhe audi die Möglichkeit der Übersetzung der Auferstehung Christi in eine andere als die apokalyptische Sprache. Und darin entscheidet sich auch die Frage der Wahrheit und Verbindlichkeit der apokalyptischen Vorstellungswelt. „Die in diesem apokalyptischen Erwartungshorizont gewonnene Erkenntnis Jesu läßt sich zwar nachträglich in andere Denkweisen übersetzen, ζ. B. in die gnostische, aber sie läßt sich aus solchen anderen Vorstellungen nicht eigentlich begründen" 162 . Bei der Diskussion um die Wahrheit der apokalyptischen Erwartung muß man sich darüber klar sein: „Es geht dabei unmittelbar um das Fundament des christlichen Glaubens" 1 6 3 . O b diese apokalyptische Erwartung, ob also das Fundament des christlichen Glaubens als verbindliche Wahrheit gelten kann, das „dürfte sich an ihrem Verhältnis zu dem Verständnis des Menschen, das sich im Zusammenhang der Fragestellungen und Resultate eines allen gegenwärtig zugänglichen Phänomenen verpflichteten Denkens ergibt, entscheiden . . . Man darf es wohl als einen allgemein aufweisbaren anthropologischen Befund bezeichnen, daß die Wesensbestimmung des Menschen in der Endlichkeit seines irdischen Lebens nicht zur endgültigen Erfüllung "β C 104 C 79

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C 104 Ebd.

161

Neuland 160

kommt" 1 6 4 . „Die Phänomenologie der Hoffnung verweist darauf, daß es zum Wesen wachen Menschseins gehört, über den T o d hinaus zu hoffen" 1 6 5 . Es ist hier nicht der Ort, ausführlich die dogmatischen Implikationen dieser These für die theologische Erkenntnislehre zu erörtern. Die Frage der Möglichkeit eines allgemeinen anthropologischen Unterbaus der Theologie kann nicht beantwortet werden, ohne daß dabei eine Entscheidung über die Auslegung des Kreuzes gefallen ist. An diesem Ort wollen wir der Frage bei Pannenberg nachgehen, c) In der Auslegung der Bedeutung der Auferstehung Christi bei Pannenberg fehlt das Kreuz als konstitutives Moment. Wir sahen schon oben, daß nach Pannenberg Jesus faktisch mit seinem T o d gerechnet hat, daß dieser aber kein wesentliches Moment seiner Bewährung, seines Werkes und nicht einmal eine notwendige Voraussetzung der Bestätigung seines Anspruchs war. Die Auferweckung Jesu ist nicht erst in Verbindung mit der Kreuzigung verständlich geworden. In dem überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang redet die Auferweckung eine deutliche Sprache, die Kreuzigung aber nicht. Die Antworten, die man in der Schrift suchte und teilweise fand, verdunkeln nicht die Tatsache, daß die Bedeutung des Kreuzes nicht in dem Maße deutlich war wie die Auferstehung 1 6 6 . Die Geschichte der Emmausjünger, in der dies thematisch wird, ist legendär 1 6 7 . Wir weisen schon jetzt darauf hin, daß der überlieferungsgeschichtliche Zusammenhang, der von Pannenberg ausgehend von der Auferstehung Christi bis zur spätjüdischen Apokalyptik konstruiert wird (einmal angenommen, die Konstruktion lasse sich halten), ein natürlicher, relativ ungebrochener Zusammenhang ist und darum von Pannenberg bevorzugt wird. Die Auferstehung, obwohl übernatürlich — was Pannenberg nur durch die Erweiterung der möglichen Kategorien des Natürlichen und Historisch-Möglichen verneinen kann —, schließt bei einem natürlichen Bedürfnis oder bei einer allgemein menschlichen Struktur an. Dagegen darf der geistliche hermeneutische Vorgang, der in der Auferstehung Christi entspringt und der mit der „Öffnung der Schriften" angedeutet werden kann und der den Sinn des Kreuzes auszusagen sich bemüht, von Pannenberg nicht (wie die Auferstehung, in der Tatsache und Bedeutung zusammenfallen) als gleichursprünglich mit der Auferstehung gelten, obwohl sie sich auf das ,natürliche', historische und nicht-mythologische Kreuz bezieht. Diese an sich willkürliche Entscheidung (warum sollte die Auferstehung direkt bei der spätjüdischen Apokalyptik anschließen dürfen und nicht bei dem Alten Testament?) wird aber im Rahmen des Pannenbergschen Entwurfs nicht befremden. Schließt doch die Auferstehung ohne das Kreuz, als Bestätigung der jüdischen und allgemein menschlichen Erwartungen ohne Bruch, gleichsam natürlich, bei diesen Erwartungen an, während die hermeneutische 184

Ebd.

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C 81.

199

Verbindung von Auferstehung und Kreuz zusammen mit dem Alten Testament ein geistlicher, weil gebrochener, nur über die Aufdeckung und Vergebung der Sünde (die eigentliche innere Erwartung des Alten Testamentes, Rom. 11, 26 f.) möglicher Vorgang ist. Verglichen mit dem aktiven Leben Jesu soll das Kreuz Jesu als Geschick gelten. Weder Kreuzigung noch Auferstehung hat Jesus aktiv vollbracht168. Anselm ζ. B. habe den Geschickscharakter des Todes Jesu verkannt 169 . Die Leidensweissagungen sind vaticinia ex eventu170. Die palästinensische Gemeinde hat den Tod Jesu als Sühne, zunächst noch nicht als Sühnopfer verstanden171, später aber auch als Bundesopfer. Wie verhalten sich nun all diese Aussagen zu dem Geschehen des Kreuzestodes? Die Begründung, die Paulus gibt, ist nicht ausreichend und die Voraussetzungen der jüdischen Exegese sind nicht mehr die unsrigen. Daher muß der Sühne- und Stellvertretungsgedanke an der Geschichte Jesu selbst nachgeprüft werden. Dem urchristlichen Schriftbeweis dafür kann heute nur noch eine illustrative, aber keine begründende Kraft mehr zuerkannt werden. Die typologischen Beziehungen des Todes Jesu auf Sühnopfer, Bundesopfer, Pascha besagen für uns nur dann etwas, wenn der Weg Jesu bis zum Kreuz selbst das Moment einer Stellvertretung enthält und wenn dadurch die als „Sünde" zu bezeichnende allgemein menschliche Situation der Verstrickung in die Selbstbezogenheit verwandelt wird. Das Bild des für sein Volk stellvertretend leidenden Gerechten dürfte heute am ehesten zugänglich sein, weil dabei die Problematik der spezifisch kultischen Stellvertretung entfällt 172 . Trotzdem lasse sich die stellvertretende Bedeutung des Kreuzes nicht durch bloße Übertragung der in diesem Traditionszusammenhang lebendigen Vorstellungen rechtfertigen, sondern allein aus der Eigenart seines Weges selbst. Eine solche Begründung ist im Urchristentum nur in bescheidenen Ansätzen anzutreffen173. Wir haben also die Situation, daß bei der Auferstehung die Vorstellungen nicht des Alten Testamentes, sondern der Apokalyptik ohne weiteres durch bloße Übertragung gelten dürfen, obwohl sie bloß Vorstellungen sind, und daß bei der Auslegung des Kreuzes die alttestamentlichen Vorstellungen (die in Wahrheit weit mehr sind als Vorstellungen, nämlich der Inbegriff des historischen und kultischen Lebens des Volkes mit seinem Gott) nicht konstitutiv, sondern allenfalls illustrativ mitreden dürfen. Der Begriff des überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhanges, der sich bei Pannenberg als sehr geschlossen hervortut, erscheint in der Praxis der Auslegung äußerst willkürlich und selektiv. Das hängt ohne Zweifel wieder damit zusammen, daß der Überlieferungszusammenhang der Auferstehung Christi hermeneutisch für Pannenberg keine Schwierigkeiten abgibt, weil die Erwartung einer allge"« C 252 C 251.

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Ebd. C 253

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C 285 C 257

meinen Totenauferstehung solide in einer Grundbefindlichkeit des D a seins, nicht nur der israelitischen Existenz — oder lieber dort gerade nicht — ruht. Der Überlieferungszusammenhang des Kreuzes ist hermeneutisch deshalb schwieriger, weil das Bekenntnis der Schuld diesem Gott gegenüber nicht zur allgemein menschlichen Grundstruktur gehört — wie sollte, wo die N a t u r des Menschen Selbstbehauptung ist, Schuldbekenntnis je zur allgemeinen menschlichen Grundstruktur gehören? —, sondern das Proprium des israelitischen, des erwählten Menschen ist. Die Entscheidung also über die etwaige Gültigkeit der Auslegung des Kreuzes als ein Sterben für uns, fällt nicht in der Übernahme der urchristlichen Begründung, dem Schriftbeweis, sondern — ein Novum Paulus und den Evangelisten gegenüber — in der Erhebung der Eigenart des Weges Jesu, wie sie durch historisch-kritische Rekonstruktion möglich sein soll. „Die beiden Aufgaben, den Konflikt Jesu mit dem Gesetz auf seinen Zusammenhang mit seinem Tode zu untersuchen und die Frage einer stellvertretend sühnenden Bedeutung desselben zu prüfen, hängen also miteinander zusammen. Beide lassen sich nur so in Angriff nehmen, daß der Bedeutungszusammenhang des Weges Jesu zum Kreuz geklärt wird" 1 7 4 . Für jüdische Begriffe war Jesus schuldig, weil er in seinem Vollmachtsanspruch und im Akt der Sündenvergebung eine Autorität in Anspruch nahm, die nur Gott selbst zukam. Bei einer vorherigen Prüfung Pannenbergs ergab sich175, daß die Zusage der Sündenvergebung keine willkürliche Anmaßung gewesen ist, sondern mit dem Inhalt der Botschaft Jesu in einem sinnvollen und unauflöslichen Zusammenhang stand. Wer die Botschaft von der N ä h e Gottes annimmt, der ist damit in der Nähe Gottes und dem sind folglich die Sünden vergeben 176 . Wir sehen hier, wie Pannenberg die Sündenvergebung schon vorösterlich als Folge der Annahme der Botschaft Jesu statuiert. Sie ist eine direkte Folge des prophetischen Amtes Jesu. Es besteht daher f ü r Pannenberg keine N o t wendigkeit, die Sündenvergebung noch anderswo zu gründen, und der Tod Jesu scheidet dafür aus. Wir dagegen meinen, daß die Sündenvergebung, die Jesus vorösterlich zuspricht und die Mahlgemeinschaft, die er mit Zöllnern und Sündern hat, das eigentliche proleptische Element in seinem Auftreten ist, das nach Bestätigung r u f t ; daß die Währung, die jetzt ausgegeben wird, um Deckung durch ein Tragen der Sünde ruft, und daß diese ungelöste Frage die heimliche Spannung ist, die das irdische Leben Jesu durchzieht. Das Messiasgeheimnis, das die Evangelien durchzieht, ist das Geheimnis des noch nicht vollbrachten Messiaswerkes. Es ist also die Frage, wie der Prophet Jesus, der die Sündenvergebung verkündigt, bestätigt werden wird. Und die Antwort ist: Dadurch daß 174 176

Ebd. C 257

175

C 239 ff.

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der Prophet zum Priester wird, der das Opfer bringt und zwar das Opfer des eigenen Leibes. Wie gelangt nun Pannenberg doch noch zu einem gewissen Verständnis der stellvertretend sühnenden Bedeutung des Todes Jesu, unter der Voraussetzung, daß nicht die urchristliche Begründung, sondern der Bedeutungszusammenhang des Lebens Jesu diese hergibt? Die Argumentation verläuft folgendermaßen: Jesus ist am jüdischen Gesetz gescheitert, das ihn der Gotteslästerung beschuldigte. Dieses Urteil war nach geltendem jüdischen Gesetz begründet 177 . Erst von der Auferweckung her erhält alles ein anderes Licht. Die Bestätigung durch Gott stürzt das begründete Urteil der Juden um. Damit ist audi das Gesetz als unzulänglich enthüllt. Nicht so sehr durch die Verwerfung seines Messias setzt Israel sich ins Unrecht (nach seinem Gesetz hatte es ja recht), sondern durch die Umkehrung der Maßstäbe, die in der Auferstehung erfolgt. Inzwischen war aber die Todesstrafe, mit der Gotteslästerung bestraft wird, an Jesus vollzogen. Die Umkehrung der Maßstäbe bedeutet nun, daß die Strafe, die Jesus getragen hat, die dem ganzen Volk zukommende Strafe ist178. Es ereignet sich ein Rollentausch zwischen Jesus und seinen Richtern und denen, die mit diesem Urteil einverstanden sind. Die scholastischen Schleichpfade, die Pannenberg hier gehen muß, um alle aufkommenden Bedenken zu entkräften, ersparen wir hier dem Leser. Sie werden notwendig, weil Pannenberg die Frage des Stellvertretungssinnes ganz an den juridischen Akt des Prozesses Jesu und an den juridischen Sinn des Begriffes Strafe 179 aufhängt. Das Interesse an dem Prozeß Jesu ist aber ein typisch modernes und formales Interesse. Die Evangelien interessieren sich für die Rechtskraft des Prozesses und der Verurteilung in formaler Weise kaum. Der Prozeß Jesu begegnet in den Evangelien nur als Fixierung der Gegenüberstellung von Israel und dem Gesandten seines Gottes in der gleichen Funktion, wie der Verrat des Judas und die Verleugnung des Petrus vorkommen. Die Stellvertretung in dem Tode Jesu ist ein viel zu intimes Geheimnis der Gemeinde, als daß sie es nötig hätte, durch die Umkehrung der formal-juridischen Maßstäbe, in einem äußerlichen Demonstrationsakt der Auferstehung, offenbart zu werden. Von der Auferstehung Jesu ist nicht, wie Pannenberg sagt, „offenbar, daß er als ein Gerechter starb und nicht als ein Gotteslästerer" 180 , sondern vielmehr, daß er zu Recht als ein Sünder starb, nämlich als der, auf den unsere Sünden geladen waren. Nur indem das Urteil der Juden bestätigt, nicht indem es durch eine höhere Instanz verworfen wird, findet Stellvertretung statt. Wir haben nun dargestellt, wie in der Deutung, die Pannenberg der Auferstehung Jesu Christi zukommen läßt, das Kreuz als konstitutives i " C 260 179 Schon im Leitsatz § 7; C 251

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C 266 C 266

Moment fehlt und wie die substantielle Füllung dieses Ereignisses folglich von anderer Seite her erfolgen muß. Daß die Auferstehung Christi als Ereignis für sich spricht, daß Tatsache und Bedeutung darin zusammenfallen, wie Pannenberg will, läßt sich nur sehr eingeschränkt behaupten. Diese Einschränkung muß wegen der Einbettung der Auslegung der Auferstehung in den überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang der spätjüdischen Apokalyptik gemacht werden. Nun soll es weiter darum gehen, die Funktion der Auferstehung Christi als Ort der Mitte in Hinblick auf die Erkenntnis der Zukunft zu bedenken. Auch von dorther wirken die zentrifugalen Kräfte auf die Mitte ein. Diese Verdünnung der theologischen Substanz der Auferstehung Christi, die trotz der behaupteten Historizität des Ereignisses bei Pannenberg festgestellt werden kann, folgt aus dem Offenbarungsbegriff, der hier zugrunde liegt. Nach Pannenberg hat die Auferweckung Jesu nur ihren eschatologischen Sinn in Zusammenhang der gesamten Menschheitsgeschichte, deren endgültige Zukunft sie enthüllt 181 . „Die Offenbarung findet nicht am Anfang, sondern am Ende der offenbarenden Geschichte statt" 1 8 2 . Insofern nun Auferstehung Selbstoffenbarung Gottes ist, bedeutet das, daß Gott selbst erst in der Zukunft ganz offenbar wird, ja — weil das Sein Gottes selber geschichtlich ist — das Sein Gottes selbst noch zukünftig ist 183 . Und insofern es sich um Auferstehung der Toten handelt, wird die Wirklichkeit des neuen Lebens, des Leibes erst in der noch nicht vollendeten Zukunft unserer Welt entschieden. Die Auferstehung Jesu Christi nun ist die Selbstoffenbarung Gottes nur als die proleptische Eröffnung dieser Zukunft. Als solche wurde sie auf Grund des überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhanges erkannt, in dem sie mit der Apokalyptik steht, welche selbst wiederum auf Grund einer allgemeinen anthropologischen Struktur verständlich zu machen ist. Die auf das Eschaton zulaufende Linie der Offenbarung entwickelt sich also relativ ungebrochen von der Frage, die schon mit der Struktur des Menschen gegeben ist (indem er über sich selbst hinaus hofft), über Israel und die spätjüdische Apokalyptik; sie wird unterwegs als Frage durch die Auferstehung Christi beantwortet, aber das wiederum so vorläufig, daß die Kategorie der Zukunft als Deckung der proleptischen Substanz zentrales Gewicht bekommt. Das Ende hat sich zwar in Jesu Auferstehung vorweg ereignet, sucht man aber an diesem Ort nach der Erkenntnis des Inhaltes dieses Endes — um das einzig mögliche Motiv der Vorweg-Ereignung zu entdecken —, so werden wir wiederum auf die Zukunft verwiesen und auf die Vorstellungen der Zukunft aus der Vergangenheit. Nur insofern die Auferstehung Christi Neuland 160. Offenbarung als Geschichte, 95 ff. iss Kerygma und Dogma, 14. Jahrg. 1968, H e f t 2, 115.

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nach Pannenberg inhaltlich die Bestätigung des Anspruches Christi dem ihn verwerfenden Israel gegenüber ist, hätte sich diese innerhistorische Funktion in diesem Ereignis erschöpfen können. Wäre sie nämlich auch in dieser Funktion proleptisch, so wäre nun wirklich nicht klar zu machen, wozu sie sich an dieser Stelle vorweg ereignet. Tatsächlich hat die Auferstehung Christi diese ihr von Pannenberg zugedachte Funktion nur sehr unvollständig oder gar nicht ausgeübt, und so kann man sagen, daß in der bleibenden Glaubensverweigerung des berufenen Volkes Israel das eigentliche auf die Zukunft verweisende Rätsel liegt (siehe unten Kap. VI). In keiner Weise führt nun aber Pannenberg den Sinn der proleptischen Struktur der Auferstehung Christi in diese Richtung aus. Indem die, Jesus in der Auferweckung widerfahrene, Bestätigung Israel gegenüber nur so ausgelegt wird, daß dadurch das Jesus verurteilende Israel ins Unrecht gesetzt wird, bleibt die eigentlich theologische Dimension dieser Bestätigung: die Versöhnung in dem stellvertretend erlittenen Tod, unausgesagt. Das Volk Israel bleibt nach diesem Akt der Demonstration mit seiner Schuld unvergeben in der Luft hängen. Die Dissonanz am Schluß des Satzes findet keine Auflösung, wird aber audi nicht zur Auflösung aufbewahrt, sondern einfach vergessen. Die Perspektive wechselt sofort für die mit der spätjüdischen Apokalyptik gegebenen Universalperspektive der Totenauferstehung: sie ist es eigentlich, die bestätigt wird. Dadurch bekommt sowohl das ganze innerisraelitische Geschehen, der Prozeß von Gott mit seinem Volk wie auch das Christus-Geschehen den Charakter eines bloßen Zwischenspiels, von dem noch nicht ausgemacht ist, ob es letztlich nicht doch entbehrlich war. In der universalgeschichtlichen Perspektive Pannenbergs kann die Geschichte Israels — die eigentliche Geschichte, in der das Ganze der Menschheitsgeschichte vorweggenommen wird — letztlich keinen besonderen Ort mehr beanspruchen184. Die Geschichte Israels hat als konstitutive Offenbarung letztlich nur die apokalyptischen Vorstellungen gezeugt, und sie wird, dem Schicksal der armen Drohnen im Bienenvolke ähnlich, nach dieser unerläßlichen Funktion undankbarerweise getötet. Als tiefsten Grund dieser Abstoßung der Geschichte Israels und der Zurücklassung der Geschichte Jesu, des Verlassens des Ortes der Kirche also, betrachten wir Pannenbergs Weigerung, die Schuld, die mit der Erwählung Israels und deren Verfehlung durch Israel gegeben ist, als Wurzel des Christusgeschehens und der Christuserwartung des Alten Testamentes anzusehen. Pannenberg beanstandet nachdrücklich, daß die Schuldfrage als Ausgangspunkt der Auslegung der Auferstehung genommen wird 185 . Viel brennender als diese Frage, die an das mittelalterliche Bußsakrament geknüpft ist, sind heutzutage die Fragen der Ver184 185

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Vgl. E. Flesseman-van Leer, Nederlands Theologisch Tijdschrift 1964, 406 Kerygma und Dogma, 105 ff.

gänglichkeit, der Sinnlosigkeit und der Absurdität geworden. Wegen der in der modernen Zeit erfolgten Relativierung der sittlichen Maßstäbe sei die Schuldfrage nicht mehr relevant. (Wird denn in der Bibel das Maß der Schuld an der Absolutheit irgendwelcher sittlichen Maßstäbe und nicht an der Berufung Israels und der Gemeinde, Gottes erwähltes und geliebtes Volk zu sein, gemessen?) Die Dissoziation der überall in der Bibel zusammengeschauten Grundfragen der Schuld und der Vergänglichkeit und die Wahl für die Vergänglichkeit als hermeneutischen Kanon ergibt für die Auslegung der Auferstehung Christi, daß die dort ergangene Offenbarung in der T a t nur eine sehr unvollständige sein kann. Ist ja die Vergänglichkeit noch nicht aufgehoben und ist der A u f erstandene, an dem wir das Maß der Aufhebung der Vergänglichkeit hätten messen können, aus unserer Mitte verschwunden. So ist von dem Auferstandenen außer dem formalen proleptischen Charakter nichts Inhaltliches auszusagen, und wir werden für die eigentliche Offenbarung auf die Zukunft verwiesen. D a ß der Gedanke der vornehmlich eschatologischen Offenbarung Gottes nicht nachdrücklicher im Neuen Testament bewahrt ist, ist natürlich für Pannenbergs Position bedenklich. Er selber erklärt diesen Tatbestand aber mit der Verlagerung des Gewichtes auf die christologischen Hoheitstitel 1 8 6 . Aber wenn dem so ist, so muß doch auch erklärt werden, welch sachliches Gewicht in diesem Prozeß der Verlagerung auf die Titel zum Ausdruck kommt. D a s aber kann doch kein anderes Gewicht sein als die Erfahrung der Erfüllung, die für das Wahrnehmen des Christusereignisses konstitutiv war und die auch von einem etwaigen korinthischen oder sonstigen Erfüllungsenthusiasmus nicht kompromittiert werden konnte. Ist in dem Christusereignis offenbar, daß Gott uns liebt, und zwar in der Weise, daß er seinen Sohn dahingegeben hat, damit wir das ewige Leben haben, was ist dann noch Totaleres von der Zukunft zu erhoffen? Ist in dieser Liebe nicht Zukunft gegeben? U n d ist in dieser Liebe, die die Schuld vergibt, nicht die Wurzel der Historizität der Gemeinde und ihrer Zukunftserwartung gegeben? Wird der, der seinen eigenen Sohn nicht geschont hat, uns mit ihm nicht alles schenken? H a t diese Mitte der Versöhnung für die Gemeinde nicht den Stellenwert, den Pannenberg der Gesamtschau des Endes der Geschichte zuschreiben möchte? Es ist richtig, daß in der Auferstehung auch das Ende der Geschichte vorweggenommen ist, aber das vorweggenommene Ende der Geschichte ist kein anderes Ende als das Ende der Schuld des erwählten Volkes und der in ihm erwählten Menschheit. D a s Ende der Geschichte ist die Vergebung der Sünden 1 8 7 . D a s ist der Sinn der Zusammenschau der Auferstehung Christi mit der Auferstehung der Toten. Der Ort, auf dem die Gemeinde »8« Neuland 159 Vgl. Martin Buss in Neuland III, 192.

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diese Zukunft und diese Offenbarung Gottes wahrnehmen kann, ist der Ort, an dem sie gerechtfertigt vor Gott steht. Die Gottesschau — sei sie nun am Anfang, sei sie in der Mitte, sei sie am Ende der Geschichte — zu erlangen, ist keine allgemeine spekulative Möglichkeit, sondern Sache nur des Menschen, dessen Ort geheiligt, dessen Sünden vergeben worden sind. Es ist Sache der Kirche. Wer diesen Ort überspringt, überspringt das Geheimnis der Offenbarung: daß sie frei geschenkte Gnade ist. Diese inhaltliche Bestimmung der Offenbarung, die in der Auferstehung Jesu Christi zu uns kommt, ist die Wurzel der bleibenden noetischen Besonderheit des Ortes der Kirche. Sie ist auch der Grund, weshalb niemals ein historisches Wissen um die Auferstehung Christi praeambula des Glaubens sein kann 188 . Pannenberg möchte sich wehren, wenn von ihm hier ein sacrificium intellectus verlangt werden sollte. Aber die Dimension des Geheimnisses der Offenbarung wird auch nicht mit einem sacrificium intellectus erreicht. Die hermeneutische Differenz zu der Auferstehung Christi wird nur durch den intellectus sacrificii Christi aufgehoben. Das ist der Inhalt der Apokalypsis, der Offenbarung, die erst am Ende der Geschichte stattfinden wird. Nur dieses Lamm ist würdig, das versiegelte Buch der Geschichte zu öffnen. „Und sie sangen ein neues Lied: Würdig bist Du, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du bist geschlachtet worden und hast für Gott durch dein Blut Menschen erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen" (Apc. 5, 9).

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Neuland 90 f., 164.

KAPITEL

VI

Die Auferstehung der Toten und die Zukunft Israels Unsere Untersuchung, die wir mit diesem Kapitel abschließen, hatte die Absicht, die hermeneutische Frage nach der Auferstehung Jesu Christi, die ja heutzutage namentlich in der deutschsprachigen evangelischen Theologie in vielerlei Form gestellt und beantwortet wird, als Frage auf ihren eigenen Ort nachzuprüfen. Die Absicht, die uns dabei leitete, war: zu verhindern, daß durch die Wahl eines falschen Ortes der Frage audi die Antwort verfehlt werden sollte. Wir haben uns bemüht, die vielen Anmarschwege zu der Erkenntnis dieses zentralen Geheimnisses des christlichen Glaubens mitzugehen, und wir haben die Grenzen, auf die wir dann am Ende dieser Wege gestoßen sind, in den Straßenplan eingezeichnet. Als Richtungsanzeiger und als Maßstab in dem kritischen Gang durch die verschiedenen Bemühungen um Erkenntnis der Auferstehung Christi wollten dann das erste bzw. das dritte Kapitel verstanden sein: sie sollten es ermöglichen, von einem bestimmten Standort aus die Tragfähigkeit der vorgeschlagenen Orte genauer nachzuprüfen. Als wichtigste Kategorie für die Interpretation der Auferstehung Christi entdeckten wir im ersten Kapitel den Begriff der Offenbarung: die wirkliche und kritische Beziehung von Gott auf unser Leben, unsere Existenz. Im zweiten Kapitel ergab die Untersuchung einiger exemplarischer Bemühungen um einen rein historischen Zugang zur Auferstehung Christi in letzter Instanz die Unergiebigkeit dieser Methode, es sei denn für die Konstruktion eines Hintergrundes für das folgende Kapitel. Dort haben wir dann positiv versucht, das Verständnis der Auferstehung Jesu in der Kategorie der auf die Existenz bezogenen Offenbarung, wovon wir im ersten Kapitel ausgegangen waren, wenn es ein historisches Verständnis sein sollte, zu dem Verständnis der nach ihrem eigenen Grund und ihrer eigenen Geburt fragenden Kirche zu verbreitern. Die Kapitel I V und V hatten dann wiederum einen kritischen Charakter, in denen die Weiterentwicklung der Position Bultmanns und Barths, die wir eingangs kennenlernten, in den von ihnen inspirierten theologischen Bewegungen von dem neugewonnenen Standort aus beschrieben und gewogen wurde. Nicht nur in die Richtung des irdischen Lebens Jesu sollte die neugewonnene Antwort auf die Frage nach dem Grund der Kirche gelenkt werden (Kapitel IV), sondern auch in Richtung auf das Eschaton (Kapitel V). Die dort sich ergebenden Fragen machen es nun endlich

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noch einmal nötig, in einem wiederum thetischen Schlußteil, die Frage nach der Auferstehung Christi, sofern sie ihre Antwort aus der Zukunft beziehen möchte, nur unter der Bedingung der Wahl eines besonderen Ortes freizugeben, so wie die Existenz (Kapitel I) und die Kirche (Kapitel III) solche besondere Orte darstellten. Unsere These, die es nun zu entfalten gilt, ist, daß dieser Ort das erwählte Volk der Juden in dem Lande Israel ist. Es lag, wie wir gesehen haben (Kapitel V), auf der Hand, daß man, nachdem es nicht gelungen war, eine allgemein einsichtige Antwort auf die Frage nach der Auferstehung Christi zu bekommen — die Kategorien Existenz und Kirche wiesen ja auf besondere Orte des Verstehens hin —, nunmehr versuchen würde, die dort nicht erreichte Allgemeinheit des Verstehens über die Kategorie der Zukunft zu erlangen. Insofern sind die Versuche, die wir in unserem fünften Kapitel besprochen haben, die genauen Parallelen zu denen aus dem zweiten Kapitel, nur in einem anderen Modus der Zeit. Auch die historische Frage nach der Auferstehung Christi hatte die Absicht, positiv oder negativ, in jedem Fall allgemein zugängliche Antworten zu erreichen. Diese Absicht war besonders deutlich bei Wolfhart Pannenberg erkennbar: der Angriff auf die Kategorie der Analogie, die bisher das historische Forschen leitete, bezweckte nichts anderes, als die letzte Sperre zu beseitigen, die der historisch bewiesenen oder wahrscheinlich gemachten Auferstehung Christi den Weg zur allgemeinen Anerkennung verbaute. Am Schluß unseres vorigen Kapitels (S. 198 f.) fanden wir bei dem gleichen Autor, daß audi die Aufnahme der Auslegung der Auferstehung Christi in die spätjüdische, apokalyptische Traditionsgeschichte nicht wirklich die Wahl eines besonderen Ortes bedeutet: so sehr dieser Kontext auch als absolut unumgänglich für das Verständnis der Auferstehung gelehrt wurde, war er doch nicht mehr als konkret-geschichtliche Expression einer allgemein menschlichen Struktur: über den Tod hinaus zu hoffen. Es wurden dabei keine weiteren besonderen Bedingungen, die den Ort des Volkes Israel zu einem besonderen Ort, einen Ort der Erwählung, der Offenbarung, der Einsicht aus Gnade machen würden, verrechnet. Die Suggestion, die von dem Begriff der Zukunft ausgeht, ist besonders stark. Wer daran leidet, daß die Absicht Gottes mit dieser Welt, seine Liebe für die Welt nicht allgemein einsichtig ausgesagt werden können, wer, wie wir es besonders eindrucksvoll bei Jürgen Moltmann fanden, von der Realität der noch nicht erlösten Welt angefochten wird, wird bestrebt sein, seine Sache, seine Hoffnung auf die Karte Zukunft zu setzen. Sie ist ja die Fülle der Möglichkeiten, die Summe aller noch nicht eingetretenen Verwirklichungen, die wir dem Fragenden nach Auferstehung — uns selbst also — vorhalten können: Warte nur, sei nur stille, alles wird neu. Aber wie neu wird alles werden? Und wie wird 208

alles neu werden? Welche Einsicht gibt uns das Recht und die Vollmacht, diese Verheißungen den Fragenden weiterzureichen? Kann nicht auch der Verweis auf die Zukunft, wenn er ungefüllt bleibt, genau so formal und hilflos anmuten, als es der theoretische Abbruch der Kategorie der Analogie zugunsten der Kontingenz für die an der Vergangenheit orientierte historische Forschung tat? Warum sollte, wenn die Frage nach Auferstehung im Heute und in der Vergangenheit eines besonderen Ortes für ihre Beantwortung bedarf, dieser Ort für die Zukunft überflüssig werden? Wird Offenbarung, wird Versöhnung, wird die Erkenntnis Gottes je zu unseren natürlichen, rationalen Möglichkeiten gehören? Wie sollen wir die Besonderheit des Ortes der Offenbarung verstehen? Als eine Scham, eine Beschränktheit, ein falsches partikulares Erwählungsbewußtsein, eine Notmaßnahme bis auf bessere Zeiten? Wird es nicht so sein, daß die Auferstehung, in der Christus ein Erstling ist (1. Kor. 15, 20), wenn sie als die Auferstehung der Toten vollendet sein wird, ihren besonderen Ort des Verständnisses, auf dem die Gemeinde steht, 1. Kor. 15, 1, verlieren wird? Wird es dann nicht so sein, daß keiner den anderen mehr zu lehren braucht (Jer. 31, 34), keiner den anderen auf den besonderen Ort hinzuweisen hat, weil sie ja alle ihn kennen werden? In der Tat ist mit der Erwartung der allgemeinen universalen Tragweite der Auferstehung Christi die Hoffnung auch der universalen Erkenntnis gegeben. Nur: Universale Tragweite der Auferstehung und allgemeine, in der Existenz verankerte Rationalität, etwa der Struktur des Über-sich-selbst-hinaus-Hoffens, sind nicht identisch. In der Tat: der besondere Ort des Erkennens: Israel, die Kirche, zielt auf das Allgemeine: er ist kein exklusiver Ort. J a , wo er ein solcher würde, würde er gerade seine Besonderheit verlieren. Aber, in dem Erreichen des Universalen, in der Verwirklichung dessen, was in der Auferstehung Christi „angelegt" ist, in der Allgemeinheit des Erkennens, hört der Ort des Erkennens nicht auf ein besonderer Ort zu sein. Die Offenbarung des Leibes des geopferten Messias Israels, der Ursprung der Kirche, bedeutete die Öffnung des Leibes des erwählten Volkes Israels auf die Völker hin (Rom. 11, 17 f.), und so ist der Leib des Messias die Kirche aus Juden und Heiden 1 . Aber die Kirche bleibt auch in diesem universalen Aufbruch ein besonderer Ort. Die Besonderheit wird nämlich nicht bestimmt durch und gemessen an der Frage, ob weniger oder mehr oder alle Menschen Erkenntnis Gottes haben (werden), sondern an der Gnade. Die Besonderheit des Ortes eines fruchtbaren Verständnisses der Auferstehung Christi, die wir als die Hauptthese in dieser Untersuchung verfochten haben, ist keineswegs nur eine formale oder quantitative Kate1

Vgl. J . Meuzelaar, Der Leib des Messias, Diss. Amsterdam 1961.

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Geense, Auferstehung

gorie. Sie ist als formale Kategorie Ausdruck der Gnade. Der Inhalt, das Ontische der Auferstehung: die Versöhnung in dem Opferleibe Christi, bestimmt auch das Noetische, den besonderen Ort der Erkenntnis. Es ist daher nicht von ungefähr, daß überall, wo die konstitutive Verbindung von Kreuz und Auferstehung, die Versöhnung in dem Opfer des Leibes Christi, nicht zentral die Auslegung der Auferstehung bestimmt, die Besonderheit des Ortes der Erkenntnis in Wegfall kommt. Am deutlichsten haben wir das wiederum bei Pannenberg beobachten können. Die Mühe, die er hat, das Verhältnis von Glauben und Wissen wirklich im Sinne eines fides quaerens intellectum zu bestimmen, ist nicht ohne Zusammenhang mit der Weigerung, die Auferstehung zentral vom Kreuz, von unserer Schuld, von der Versöhnung Christi aus zu verstehen. Ubertragen wir diese Einsicht, die wir in unserem dritten Kapitel als Antwort auf die historische Frage nach der Auferstehung Christi entwickelt haben, nun in die Zukunft, so wird das gleiche auch dort zu gelten haben. Die modi der Zeit werden ja von ihrem Inhalt, nicht dieser von jenen qualifiziert. Diese Transposition der Auslegung der Auferstehung Christi, die an der historischen Frage orientiert war, in die Kategorie der Zukunft und der Hoffnung bietet dann zugleich die Möglichkeit, die Tragfähigkeit der dort gegebenen Auslegung an einem anderen Ort zu erproben. Der Schritt von der Auferstehung Christi zur Auferstehung der Toten führt uns nun aber von der Kirche aus nicht sofort in die Zukunft, sondern erst, so scheint es, einen Schritt zurück, in das Alte Testament. Wir haben am Ende unseres ersten Kapitels bereits darauf hingewiesen, wie in der Auslegung, die Barth von der Auferstehung Christi gibt, die Väter des Alten Testamentes alle dabei sind, bei dieser Wendung vom Tod zum Leben, vom Ende zum Anfang, von einer alten zu einer neuen Welt. War ja Christus gestorben und auferstanden nach den Schriften (siehe oben S. 49). Und wir hatten es anderseits als einen Mangel empfunden, daß Bultmann diesen Kontext überspringt, indem er verbietet, das Kreuz auf seine historischen Gründe zu befragen: daß es ein Kreuz in Israel sei (siehe oben S. 43). Daraus ergibt sich in diesem Kapitel die Aufgabe, die Frage nach der Auferstehung der Toten dort aufzunehmen, wo sie zum ersten Mal erhofft wurde und wo die Antwort durch die Tötung des Messias, von dem man erhofft hatte, daß er Israel erlösen würde (Lk. 24, 21), verscherzt zu sein geschienen hat: das heißt noch immer: innerhalb des Volkes Israel. Dort erscheint der Gekreuzigte unter dem Zeichen seines gebrochenen Leibes (Lk. 24, 30), zeigt seine durchbohrten Hände und Füße (Lk. 24, 39) und bringt die Hermeneutik der Auferstehung auf die richtige Spur, indem er den Jüngern dolmetscht (diermeneusen), was in Mose und den Propheten auf ihn zielt (Lk. 24, 27. 32. 44—46). Von dort, von Jerusalem aus, soll die Frucht der 210

Auferstehung, die Vergebung der Sünden allen Völkern verkündigt werden (Lk. 24, 47). Und nicht nur von dort aus, sondern auch dorthin soll die für alle Völker bestimmte Verkündigung zuerst getragen werden (Apg. 1, 8), wie es der erste Zeuge der Auferstehung, Petrus (Lk. 24, 34), dann tatsächlich ausführte (Apg. 2, 14). Nicht die Interpretation der Auferstehung Christi in der Kategorie der allgemeinen Totenauferstehung als angebliche spätjüdische Vorstellung tritt hier in den Vordergrund, sondern vielmehr die Predigt der Bedeutung der Auferstehung Christi für das Volk Israel, das ihn doch in der Kreuzigung verworfen hatte (Apg. 2, 36; 3, 13; 4, 10). Erst über die Erkenntnis ihrer eigenen Schuld an dieser Verwerfung und des göttlichen Triumphes über diese Verwerfung darf audi Israel von der Auferstehung von den Toten erfahren (Apg. 3, 18. 21). An erster Stelle für Israel hat Gott seinen Knecht auferweckt (Apg. 3, 26), und die Zeichen der Auferweckung: die Aufrichtung des Gelähmten (Apg. 3, 7; 4, 10) werden im Zusammenhang mit dieser Predigt vor den Verantwortlichen Israels verdolmetscht. Vielmehr als ein formloser Osterenthusiasmus, in dem Auferstehung Christi und Totenauferstehung zusammenfließen, ist diese Bemühung charakteristisch, Israel auch subjektiv für das Verständnis des Ortes, an dem es durch die Auferstehung Christi objektiv steht, zu gewinnen. Das Geschehen von Kreuz und Auferstehung wird auf Israel bezogen und erst darin auf die Welt. Diese innere Gespanntheit auf die Zubringung von ganz Israel dürfte mit ein Grund dafür sein, daß die Gemeinde an der „Parusieverzögerung" nicht zerbrochen ist, und wir werden nachher sehen, wie für Paulus der ganze geschichtliche Raum, der uns noch von dem „Leben aus den Toten" (Rom. 11, 5), die die Annahme Israels bedeutet, scheidet, mit der Frage nach dem „Wie" der Zubringung Israels gefüllt wird. Petrus und Paulus, der Verleugner und der Verfolger Christi, wurden gerade in dieser Qualität, als Repräsentanten des verleugnenden und verfolgenden Volkes Israel, von der Erscheinung des Auferstandenen heimgeholt (vgl. oben S. 134 f.). In ihrem Apostolat bleibt gerade die Verheißung an das untreue Israel als Grund ihres Apostolates vorausgesetzt (Mt. 16, 16. 23; Joh. 21, 15—23; Rom. 11, 1. 2; 1. Kor. 15, 8). Die Versöhnung in dem stellvertretend geopferten Leib des Messias Israels wurde, wie wir in unserem dritten Kapitel gesehen haben, zuerst historisch für das Volk, das das Kreuz historisch zu verantworten hatte. So war der Ursprung der Kirche die Offenbarung der Versöhnung über Israel und erst darin über die Welt. Haben wir nun die Kirche aus Juden und Heiden als unumgänglichen Ort des Verständnisses der Auferstehung Christi gelehrt, so bedeutet das nicht, daß Israel aufhört der Ort der Offenbarung zu sein. Die Hineinnahme der Völker geschieht kraft der gleichen Gnade, aus der das versöhnte Israel nun leben darf, aber nur zum Teil zu leben be211 14*

ginnt. Die Kirche ist zwar der Ort des Verständnisses der Auferstehung Christi, sie ist das aber stellvertretend für ganz Israel, das sich noch weigert, dieser Ort zu sein. Die Kirche ist der Ort, wo für Israel und nicht gegen Israel die Erkenntnis dieser äußersten Huld Gottes bewahrt wird. „Aber so steht es nicht, daß die Gemeinde der Inbegriff und Ursprung einer Hoffnung einzig für die ,Heiden' ist. Sie ist, auf ihr Ziel hingewiesen, auch und vor allem die Zukunft der Juden"2. Und F.-W. Marquardt in der Interpretation der Intentionen Barths: „Die volle Realität von Auferstehung Jesu Christi und Sündenvergebung (wird) nur erst in der stellvertretend für die Synagoge lebenden Kirche wahrgenommen"3. Das „Lautwerden der Selbstbezeugung des Auferstandenen auch für das Judentum vollzieht sich in der Existenz der Kirche an sich"4. So ist die Universalität des Heiles, die im Neuen Testament als vom Judentum ausgehend gelehrt wird (Joh. 4, 22), noch nicht richtig universal gedacht, wenn nicht wiederum als letzte Spitze der Universalität das sich noch „verstockende" Judentum darin eingeschlossen ist. Aber wenn dem so ist, ist die Kirche nicht nur der für Israel stellvertretende Ort des Verständnisses der Auferstehung Christi, sondern auch, ohne Israel als Ganzheit, unvollständiger Ort dieser Erkenntnis. Daher kann es ohne Israel auch keine Einheit der Kirche geben5. „Darum lautet die entscheidende Frage audi nicht: Was kann die jüdische Synagoge ohne Jesus Christus sein, sondern: Was ist die Kirche, solange ihr ein fremdes und entgegengesetztes Israel gegenübersteht?"6 Die subjektive Weigerung Israels, aus Versöhnung zu leben7, unterstreicht gerade in diesem Inhalt als Negation die objektive Position der Versöhnung. Dieser Sachverhalt nun, daß die Kirche objektiv der Ort der Versöhnung für ganz Israel ist, ohne daß ganz Israel diesen Ort auch subjektiv einnimmt, ist der Grund dafür, daß in ihr auch die Frage nach der Zukunft entspringt. Man kann sich also von Israel die Frage nach der Zukunft auf ganz verschiedene Weisen reichen lassen. Unsere Gesprächspartner im vorigen Kapitel hatten ihr Fragen nach der Zukunft alle in irgendeiner Weise von Israel und von der spätjüdischen Apokalyptik inspirieren lassen. Was man nun aber Israel für den Aufbau einer auf die Zukunft gerichteten Theologie der Auferstehung auch verdankt, so hat Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik II, 545. F.-W. Marquardt, Die Entdeckung des Judentums für die christliche Theologie. Israel im Denken Karl Barths (Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog Band 1), München 1967, 349. 4 Ebd. 358. 5 Vgl. Κ. H . Miskotte, De Kern van de Zaak, 243, 247. 6 Marquardt, a. a. O. 358. 7 Vgl. Miskotte, a. a. O. 2 5 0 : Israel will keine Versöhnung, vermag nicht einzusehen, daß Versöhnung der Erlösung vorausgeht. 2

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man offensichtlich Schwierigkeiten, die Adresse zu finden, an die man seinen Dank auch abstatten kann, obwohl das Volk noch unter uns gegenwärtig ist. Moltmann läßt sich von Fragen aus dem Judentum in die Zukunft jagen (siehe oben S. 188), und das mag mit richtigen Dingen zugehen, aber nach der Zukunft der Juden fragt er kaum 8 . Pannenberg zog aus gegen Bultmann und lehrte die Offenbarung als Geschichte: Gott wird nur in der Zukunft uns ganz offenbar sein. Aber wo es gilt, den Ort dieser Offenbarung zu umschreiben, so suchen wir bei ihm genau so vergebens das Volk Israel, wie wir in Bultmanns „Theologie des Neuen Testamentes" nach der Zukunft des Volkes des Alten Testamentes fragen. Israel hat als Volk, das durch seine Geschichte uns die Zukunft buchstabieren gelehrt hat, selbst keinen Ort in der Zukunft mehr. Es hat sich in den von ihm produzierten produktiven „Vorstellungen" selber gleichsam verdampft. Zu dem „jüdischen Schmerz", der uns lehrt, uns nicht in voreiligen „Lösungen" niederzulassen, gehört auch der Schmerz des Juden Paulus, der gerade auf dem Höhepunkt seiner Glaubenssicherheit (Rom. 8, 39) von diesem Schmerz über seine Brüder überfallen wird (Rom. 9, 2) und sich erst wieder zu einer gleichen Doxologie emporheben kann, wenn er die Liebe Christi, von der uns keine Macht auf Erden zu scheiden vermag, auch im Hinblick auf das Erbarmen Gottes über seine nicht mitgekommenen Brüder dem Fleische nach verstehen gelernt hat. So ist der Ort, auf dem die Gemeinde entstand, das Erbarmen Gottes, der gleiche, zu dem sie erst auf dem Wege ist (Rom. 11, 29. 32). Auf dem Höhepunkt seiner Eschatologie, die in der Versöhnungstat Gottes in Christo wurzelt (Rom. 8, 32), sieht Paulus sich einfach gezwungen, die Linie von dem Grund der Gemeinde in die Zukunft für Israel auszuziehen 9 . Aber die Zukunft für Israel wird, indem es um seiner selbst willen bedacht wird, nicht um seiner selbst willen bedacht. Die künftige Geschichte 8 A u s einer kritisch gegen Paul A l t h a u s („Israel hat in der Kirche und f ü r die Kirche keine Sonderstellung und keinen besonderen ,Heilsberuf' mehr) gerichtete Zeile „es f r a g t sich aber, ob diese Unterscheidung angesichts v o n R o m . 9 — 1 1 möglich i s t " , V e r k ü n d i g u n g u n d F o r s c h u n g 2, 1966, 122 f., d ü r f e n wir vielleicht schließen, daß wir hier v o n M o l t m a n n noch einiges zu erwarten haben. 9 E . Flesseman-van Leer, H e t blijvende Israel, 17, hat auf diesen Zusammenhang hingewiesen. D a s ist auch der innere theologische Z u s a m m e n h a n g zwischen dem vollbrachten endgültigen H e i l s w e r k Christi und der E r w a r t u n g f ü r Israel und er widerlegt v o n v o r n h e r e i n den p h ä n o m e n o l o g i s c h e n u n d historischen Z u s a m m e n h a n g , den D o r o t h e e Solle ( S t e l l v e r t r e t u n g . Ein K a p i t e l T h e o l o g i e nach d e m „ T o d e G o t t e s " , 145 f.) zwischen d e m „ e n d g ü l t i g e n C h r i s t u s " , d e m „ E r s a t z m a n n , der uns der v e r s ö h n e n d e n G n a d e G o t t e s p e r f e k t u n d total versichert" u n d d e m kirchlichen A n t i j u d a i s m u s aufzeigen möchte, weil der endgültige C h r i s t u s „ n o t w e n d i g t o t a l i t ä r " sei. H . G o l l w i t z e r s E r w i d e r u n g (Von der S t e l l v e r t r e t u n g G o t t e s . Christlicher G l a u b e in der E r f a h r u n g der V e r b o r g e n h e i t G o t t e s . Z u m G e s p r ä c h m i t D o r o t h e e Solle, 115) ist hier n o t w e n d i g scharf. Vgl. den ganzen Z u s a m m e n h a n g bei G o l l w i t z e r .

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Israels wird ein Ort sein, an dem der Reichtum für die Völker sichtbar wird. „Wenn aber schon ihr Fall der Welt Reichtum ist und ihr Schade ist der Heiden Reichtum geworden, wieviel mehr wird es Reichtum sein, wenn Israel in seiner ganzen Fülle gewonnen wird" (Rom. 11, 12). „Denn wenn ihre Verwerfung der Welt Versöhnung ist, was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten}" (Rom. 11, 15). Können wir, die wir in unserer Annahme einen Ort gefunden haben, als wir auf den Stamm des Volkes Israels aufgepfropft wurden (Rom. 11, 17), annehmen, daß die Annahme dieses Volkes nirgendwo, an keinem Ort stattfinden wird? Man darf aus dem Fehlen des expliziten Bezuges auf Christus in Rom. 9 — I I 1 0 nicht den Schluß ziehen, daß hier die christologische Grundlegung besonders schwer sei. Wo von dem Erbarmen Gottes die Rede ist, ist Christus in jedem Satz vorausgesetzt. Wir können uns das Zurücktreten des Christusnamens in Rom. 9—11 gerade durch die Spannung, in der Paulus zwischen höchster Erfüllung und tiefstem Schmerz um das Wegbleiben seiner Brüder steht, erklären. Es könnte ein Zeichen dafür sein, daß er selber den Ort der Kirche, auf dem er steht (Rom. 8, 39), zum besten seiner Brüder wohl aufgeben möchte. Er möchte auf Christus verzichten, um Christus für Israel, aus dem der Christus ist, zu gewinnen (Rom. 9, 3) 11 . Aber gerade in diesem Verzicht auf seinen Ort mit Christus zugunsten der anderen, wäre er Christus am nächsten, der ja auch auf seinen eigenen Besitz zugunsten der anderen verzichtet hat (Phil. 2, 4—11; 2. Kor. 8, 9). Auch so wäre der Ort des Opfers Christi im Eschaton „aufgehoben", auf höherer Ebene aufgelöst und bewahrt. Daraus, daß es diese Barmherzigkeit Christi war, die in der Mitte der Zeit für uns den Raum seines Opferleibes stiftete, kann erschlossen werden, daß dieser Raum noch weit herrlicher sichtbar werden wird als wir, die nur „Aufgepfropften", es in der Kirche sichtbar zu machen vermögen. Man sollte nicht meinen, daß diese Aussicht, die Paulus sich in höchster Gespanntheit bis an die Grenzen seines Denkens abringt, ein hapax theologoumenon im Neuen Testament darstellt. Viele Gleichnisse in den Evangelien sind von der gleichen Spannung durchzogen. Ich nenne nur einige Beispiele. Das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt. 18, 21—35) redet von der großen Barmherzigkeit des Königs, aus der der Schalksknecht in seinem Verhalten zu seinem Nächsten nicht leben will. Der König setzt den Schalksknecht gefangen, bis er das Verschuldete bezahlt haben wird. Damit schließt das Gleichnis, sinngemäß, weil es im Modus der proW . Dantine, bei Marquardt a. a. O. 346, Anm. 39. Die gleiche Struktur eines möglichen „Verzichtes" auf das Sein mit Christus zugunsten der Brüder begegnet Phil. 1, 2 3 — 2 5 . Vgl. unsere Auslegung dieser Stelle in den Göttinger Predigtmeditationen, 21. Jg. 1967, 4 0 0 f. 10 11

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phetischen Drohung, in der offenen Situation der Verkündigung nicht anders schließen kann. Aber wird der Hörer von Vers 34 und 35 vergessen, daß er schon in Vers 24, 25 hörte, daß der Schalksknecht nicht bezahlen konnte und daß darum der König seine Schuld erließ (27)? Mit anderen Worten: Tradiert das Gleichnis in seiner unverhohlenen prophetischen Drohung nicht auch die übergreifende gute Nachricht von der äußersten Royalität dieses Königs? Werden wir in der harten Dissonanz des Endes, das wir durch die Verweigerung der Gnade uns als Schuld haben zukommen lassen, nicht doch wieder auf diese Mitte verwiesen? In dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg steht es nicht anders (Mt. 20, 1—16). Diejenigen, die die Hitze des Tages, die schwere Last des Gesetzes getragen haben, murren, weil andere, die nur eine Stunde gearbeitet hatten, ihnen gleichgestellt wurden. So kam es über die Barmherzigkeit Gottes zur Entzweiung unter den Arbeitern. Die Ersten werden die Letzten und die Letzten die Ersten sein. Aber ist in der Erzählung das Werben des Besitzers überhörbar: Freund, ich tue dir kein Unrecht (13)? Ist, wenn die murrenden Arbeiter der ersten Stunde die Letzten geworden sind, damit das letzte Wort gesprochen? Sicher, die direkte Absicht des Gleichnisses ist, daß wir verstehen lernen, was die göttliche Gnade ist. Aber ist nicht eben so stark die Absicht, daß die Gnade dann auch wirklich gelernt wird, nicht nur von denen, die sie direkt erfahren haben, die Arbeiter der elften Stunde, sondern gerade von denen, denen die Gnade Mühe bereitet? Wird nicht gerade f ü r Gott die Tatsache, daß einer wieder der Letzte wird, und zwar durch eigene Schuld, Grund einer neuen, endlos suchenden Liebe sein? Schließlich sei an das Gleichnis vom verlorenen Sohn erinnert (Lk. 15, 11—32). In der Gestalt des älteren Bruders steht das abweisende jüdische Volk vor unseren Augen, das seinem Vater so viele Jahre gedient und nie ein Gebot von ihm übertreten hat (29). Auch er wird von seinem Vater gesucht (28), und audi hier geschieht innerhalb der Geschichte noch keine letzte undialektische Abrundung, weil ja die Geschichte noch im Begriff ist, sich zu vollziehen. Es ist nur die Erinnerung an die Erwählung: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles was mein ist, ist dein. Und es ist eine Aufforderung, mit fröhlich zu sein, aber fröhlich über die Heimkehr des verlorenen Bruders. Ist das keine Aufforderung, am Schluß der Geschichte wieder zu der Mitte der Geschichte zurückzukehren, wo der verlorene Sohn nach Hause kommt? Soll der ältere Bruder, der jetzt verloren ist, nicht vom gleichen väterlichen Erbarmen (20) leben? Es ist nun diese im Neuen Testament überall unverkennbar vorhandene Gespanntheit auf die Zubringung des älteren Bruders, die gewährt, daß auch beim Hinzutreten der Völker die Kirche aus Juden und Heiden nicht den Charakter des Ortes der endgültigen Verwirklichung der Absichten Gottes annimmt. Gerade weil die Kirdie nadi ihrem 215

Grund fragt: die Gnade für den Spätkömmling, fragt sie nach ihrem Ziel. Nicht etwa, weil der Grund noch nicht wirklich wäre, sondern gerade weil der Grund so allumfassend wirklich ist, daß neben Paulus und Petrus auch für Judas 1 2 , auch für das Volk, das seinen Messias verweigert, noch Hoffnung ist. Es ist, als ob die Bewegung, die Rom. 5, 20 beschrieben ist, die Zunahme der Sünde (jetzt der Abweisung des Messias), noch einmal, ein letztes Mal ein Uberschäumen der Gnade herbeiführen muß. Nicht weil irgendeine geschichtsphilosophische oder heilsgeschichtliche Linie die Gedanken bestimmt, sondern nur weil der Grund der Gemeinde sich noch nicht überall herrlich ausgewirkt hat. Durch die Qualität der Auferstehung Christi, die als Versöhnung Israels der Grund der Kirche ist, ist das Leben der Kirche darauf gespannt, den Ort zu erreichen, wo es herrlich deutlich werden wird, daß Gott, der alle in den Ungehorsam eingeschlossen hat, sich auch über alle erbarmen wird (Rom. 11, 32). Das „denn" am Anfang von Vers 32 bezieht sich deutlich auf das Vers 31 ausgesagte Erbarmen für das Volk Israel, das später als das Erbarmen für die Völker kommt. Israel als reales historisches Gegenüber der Sünde (siehe oben S. 43) wird kraft der Versöhnung, die dort geschah, auch ein reales historisches Gegenüber der Gnade sein. Es ist wirklich nicht von ungefähr, daß das große Kapitel Rom. 8 über das Seufzen der Kreatur, über das Warten auf die Offenbarung der Söhne Gottes (19), über die Bestimmung der Erwählten (29, 30), die zur Verherrlichung gebracht werden (30), auf diesem Höhepunkt gerade den Blick auf das Noch-Nicht-Hineingehen des Volkes Israel als Volk richtet. Die Extrapolation der Linien, die von dem Ort der Versöhnung (Rom. 5, 1; 8, 1) aus gezogen werden, muß notwendig diesen Ort erreichen. Der Ort der Erkenntnis der Auferstehung der Toten, die totale Herrlichkeit, indem es offenbar sein wird, daß Christus der erstgeborene unter vielen Brüdern ist (1. Kor. 15. 20), wird nicht erreicht werden, ohne an den Ort zu treten, wo er offenbar sein wird denen, die er zuvor erkannt und erwählt hat (Rom. 8, 29. 30). Es ist somit gerade der Ort der Kirche, der uns auf die Versöhnung Sicht gewährt als den Grund, auf dem wir stehen (1. Kor. 15, 1), der uns dazu bringt, für die Sicht auf die Auferstehung von den Toten den Ort Israels zu betreten. Der letzte Feind, der vernichtet wird, der Tod (1. Kor. 15, 26), findet seine Kraft in der Sünde, im Gesetz (1. Kor. 15, 56), und damit zeigt Paulus, wo er schon bis an die Grenzen des Denkens über die Geschichte der Auferstehung 1 2 Vgl. H . Gollwitzer, Krummes Holz — aufrechter Gang. Zur Frage nadi dem Sinn des Lebens, Kap. V I I I : Gute Botschaft für Judas Ischarioth, „Judas Ischarioth hat zentrale Bedeutung, weil seine T a t ihn von den übrigen nicht absolut unterscheidet; mit dem, was sie getan haben, sind sie ihm alle nah. Sie sitzen alle auf einer Bank: Die Jünger, die fliehen, Petrus, der sich lossagt, Saulus-Paulus, der verfolgt, die pietistischen Pharisäer, die Priester, die Eliten, die Plebs . . . " 272.

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vorgestoßen ist, unverkennbar auf den Ort zurück, wo auch die Kräfte der Sünde und des Gesetzes offenbar wurden, auf Israel also. Wir dürfen die Perspektiven, die Rom. 11 und 1. Kor. 15 entwickelt werden, nicht als zwei unverbundene Linien nebeneinander herlaufen lassen. So wie Israel (1. Kor. 15, 3 f.), in dem „nach den Schriften" der Ort des Verständnisses der Vergebung der Sünden, der Auferstehung Christi war, so wird auch das Verständnis der Totenauferstehung in der Prophetie Israels angesiedelt (1. Kor. 15, 58; Jes. 25, 8; Hosea 13, 14). Der leere Ort, das theologische Vakuum, das in Israel in Hinblick auf die Vorstellungen eines Lebens nach diesem Leben vorgefunden wird, und das G. von Rad 1 3 eines der größten theologischen Rätsel des Alten Testamentes nennt, ist vielleicht am besten dadurch erklärbar, daß die Existenz des Volkes aus Gnade allein selbst dieses Vakuum ausfüllt. Und so wird das Volk Israel selbst, ferne davon Produzentin religiöser JenseitsVorstellungen zu sein, der Ort sein, wo sich die Erkenntnis der Auferstehung der Toten, die die Erkenntnis Gottes Selber ist, vollzieht. Nicht in den Aporien eines theoretischen Jenseits-Glaubens soll es sich verfangen (Mt. 22, 23—33), das ist es nicht, was die Schriften hergeben, daran wird nicht die K r a f t Gottes offenbart (Mt. 22, 29); die Auferstehung der Toten, das ist, daß Gott der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, ein Gott nicht der Toten, sondern der Lebenden (22, 31 f.). Uber den Inhalt der Auferstehung der Toten können wir von unseren Verhältnissen aus nichts aussagen (30), da herrscht Diskontinuität (1. Kor. 15, 35—44), aber über den Ort der Erkenntnis brauchen wir nicht ins Unsichere zu gehen. Die Frage ist nun, inwiefern wir es ernst nehmen, daß, so wie für das Verständnis der Auferstehung Christi ein besonderer Ort unabdingbare Voraussetzung war, auch für das Verstehen der Auferstehung der Toten, die totale und letzte Offenbarung, die durch nichts mehr überbietbare Erkenntnis Gottes, ein besonderer Ort gesetzt sein wird. Das Volk Israel war aus der Verheißung geboren, und es war als Volk der Verheißung unterwegs zum Ort der Erfüllung der Verheißung. Nachkommen, Land und Segen für die Völker ist der Inhalt der Verheißung am Anfang des Volkes (Gen. 12, 1—3). Auf die Verheißung des Landes war die ganze Existenz des Volkes ausgerichtet. Als sich der Leib des erwählten Volkes, weil er ständig seine Bestimmung im Ungehorsam verfehlte, zu dem heiligen Rest (Jes. 10, 20—23; Jes. 11, 1—10), ja, zu dem Leib des einen Erwählten aus Israel verkleinert hatte, da hatte das Volk Israel selber keinen Ort mehr. „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege" (Lk. 9, 58). Der einzige Ort, wo der Leib des Messias Israels bleiben kann, das Kreuz, ist kein Ort 13

Theologie des alten Testamentes, II, 362.

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für ihn selbst. Er gibt seinen Leib, den Ort seines Leibes hin, damit viele darin wohnen. Wir fanden (siehe oben S. 115): indem er sich aus seinem Raum wegdrängen läßt, räumt er uns den Raum ein. Damit ist der Raum des Volkes Israel für die Völker geöffnet. Gleichzeitig mit dem Sterben des Messias zerreißt der Vorhang des Tempels (Mt. 27, 50—53), die Gräber öffnen sich und die Leiber der gestorbenen Heiligen stehen auf . . . und gehen wieder an einen ganz bestimmten Ort, in die heilige Stadt 14 . In dem Sterben des Messias sieht die Gemeinde schon die Vollendung, die Frucht dieses Sterbens, die Auferstehung der Toten sich ereignen. Und es ist dort, in der heiligen Stadt, daß die Toten vielen erscheinen (Mt. 27, 53; vgl. Jes. 11, 10; Ez. 37, 12). Aber der Ort des Eingehens der Völker ist nicht ein mathematischer Ort, ohne Ausdehnung in der Zeit. Die verkürzte Perspektive von Mt. 27, 50—53 bedeutet in der Geschichte erst: weggehen von diesem Ort (Mt. 28,19), damit alle Völker den Raum dieses Kreuzesleibes als auch für sie eingeräumt entdecken können. So ist er bei ihnen alle Tage bis an das Ende der Welt (Mt. 28, 20). Erst muß die Fülle der Zeiten15 der Völker in den Raum hereinbrechen, der von dem Messias Israels geöffnet wird, aber von einem Teil Israels durch Verstockung nicht eingenommen wird. Solange der Raum des Leibes bei den Völkern ist, ist für das leibliche Volk der Erwählung kein eigener Raum oder Ort vorhanden. Jerusalem wird erobert, der Tempel zerstört und das Volk vertrieben von seinem Ort der Verheißung: Volk ohne Raum. Die Vertreibung aus dem Lande ist das Zeichen des Gerichtes, der Abwendung Gottes16. Unter den Völkern wird das Volk der Erwählung keine Ruhe finden und keinen Ort, um zu ruhen, und ihr Leben wird ständig der Gefahr ausgesetzt sein. Eine erneute Zuwendung Gottes zum Volk Israel bedeutet dann die Rückkehr des Volkes in das Land der Verheißung 17 . Die Diaspora ist der Ort, wo das Volk das Gericht Gottes zu spüren bekommt, nicht der Ort, wo die letzte endgültige versöhnende Offenbarung verstanden werden kann. Verkehrend unter den Völkern, ist das Volk Israel nicht da, um die Gnade Gottes, sondern das Gericht zu spiegeln. Aber der Raum des 1 4 „Möglicherweise ist darin auch noch der besondere Gedanke enthalten, daß Jerusalem der providentielle Ort der Totenauferstehung des Gottesvolkes ist", G. Bornkamm,ThWNT VII, 198, s. ν . σείω. Vgl. auch: H.-W. Bartsch, Geographische Bezeichnung für Israel im Neuen Testament (in: Jüdisches Volk — gelobtes Land, hrsg. von W . Eckert, Ν. P. Levinson und M. Stöhr), 3 0 3 : Diese Konkretheit des Ereignisses wird durch Lukas damit unterstrichen, daß für ihn die Stadt Jerusalem der nicht nur nach seiner Meinung historisch richtige Ort der Erscheinung ist, sondern auch der einzige nach den Verheißungen mögliche Ort der Erfüllung der Verheißungen. 1 5 So Vorschlag zur Übersetzung von Rom. 11, 25 bei H. Berkhof, Christus, de zin der geschiedenis, 135. 1 8 Vgl. H. Berkhof, a. a. Ο. 139, der neben Jeremia und Ezechiel auf Lev. 26, 31—33, Deut. 28, 64 ff. verweist. 1 7 Vgl. Israel. Volk, land en Staat. Handreiking, 1970, 11.

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Leibes des Messias wäre nicht der Raum des Leibes des Messias Israels, wenn nicht dieser Raum der Versöhnung, nachdem die Völker zur Beschämung und zum Nacheifer Israels darin eingegangen sind, sich nicht auch für Israel wieder öffnete. Wieviel Raum in diesem Leibe da ist, welche die räumlichen Ausmaße der Liebe Christi sind (Eph. 3, 18. 19), das wird erst durch das Hinzutreten Israels ausgemessen werden können. Der Grund der Rückkehr des Volkes Israel in das gelobte Land ist nur christologisch zu verstehen. Wo Israel der Ort ist, wo das Kreuz historisch wurde, ist es auch der Ort, an dem der von der Versöhnung gestiftete Raum historisch wird. Die Gefahr, die Miskotte sieht, daß wir über das Faktum Israel einen semi-heidnischen Kontakt mit Gott zu machen versuchen18, ist nur dann gebannt, wenn wir dieses Faktum allein in der Gnade Gottes verankert sehen, wo der Grund dieses Faktums kein anderer also als der Grund der Kirche ist. Die Verheißung des Landes ist Verheißung eines Lebensraums, der nicht usurpiert, sondern nur geschenkt werden kann, der aber in dieser Qualität nicht spiritualistisch, sondern konkret, irdisch-eschatologisch erwartet werden darf. F.-W. Marquardt hat in seinem obengenannten Buch den Versuch unternommen, in einer Interpretation der gesamten Israel-Theologie Karl Barths, aber in dem Schlußteil wesentlich darüber hinausgehend, die „Geschichte der Möglichkeit, die der Verworfene und Gekreuzigte dennoch Israel gegenüber behalten hat in seinem Gebet: ,Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun'" 19 nachzuzeichnen und die Perspektiven, die sich aus der Geschichtsschau des Paulus ergeben, bis auf die Frage nach der Landverheißung für das heutige Israel zu durchdenken. Wir wollen hier einige seiner abschließenden Ausführungen hervorheben, weil sie einen verheißungsvollen Vorstoß in ein von der zünftigen Theologie noch kaum betretenes Niemandsland darstellen und als Helfer auf dem Wege, den auch wir nur tastend gehen können, höchst willkommen sind. Barth biete mit dem Stichwort von der Auferstehung Christi 20 ein in Rom. 11 selbst nicht gegebenes und darum eher assoziativ erreichtes Organisationszentrum für alle Einzelargumente, das dann zugleich ein Organisationszentrum für alle futurischen Aussagen bietet21. Es verhindert die Bildung eines bloß zeitlichen Futurums und entspricht der Kategorie des futurum resurrectionis22. Wir haben nun oben zu zeigen versucht, wie die Auferstehung Christi als Organisationszentrum für Aussagen über Israel und seine Zukunft nicht nur auf assoziativem Wege, sondern voll christologisch erreicht werden kann, auch wenn das Stichwort: „Auferstehung Christi" in Rom. 9—11 nicht gegeben ist. Wo die Linie von der Auferstehung Christi auf 1 8 De Kern van de Zaak, 243. " A. a. O. 95. 2 1 Marquardt a. a. O. 346.

20 22

Kirchliche Dogmatik II/2, 320. Ebd. 349

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das Leben aus den Toten auch für Israel durchgezogen wird, offenbart die Wiederkunft Christi den endzeitlichen Charakter der messianischen Gegenwart. Noch immer in Interpretation Barths schreibt Marquardt, daß die Auferstehung Christi als die überlegene Widerlegung der jüdischen Ausschließung Christi auch die andere Seite hat: das Selbstbekenntnis Gottes zu seinem Willen mit Israel als Bekenntnis zum Messias Israels schließt sein Bekenntnis zu Israel selbst ein 23 . Es genügt nun aber Marquardt nicht, daß Barth genau wie Rom. 11, 15 in Antithese und Vergleich denkt, also eine Analogie bildet, die kein Zeitkontinuum vorausssetzt, sondern der Versuch ist, Zukünftiges in seiner ganzen Kontigenz und Ereignishaftigkeit zu „denken", eine „Verheißung" zu denken 24 . Denn dadurch wird nicht weniger als im heilsgeschichtlichen Schema die Gegenwart des Israels zur Linken übersprungen, als hätte nun doch das künftige Ereignis faktisch nichts mit diesem, sondern nur mit dem Israel zur Rechten, der Kirche aus Juden und Heiden zu tun 25 . Es wird nicht deutlich, worin die Veränderbarkeit der Situation sich dem Judentum gegenüber auswirken wird. Die Analogie wird nicht durch einen teleologischen Aspekt ergänzt oder präzisiert. Das Judentum scheint ein Volk ohne Geschichte und darum auch ohne immanente Ziele zu sein. Daher die Frage: kann aber das Hinwegsehen über das Christus verwerfende Judentum wirklich Auslegung ausgerechnet der Auferstehung Christi von den Toten sein? Wäre es nicht doch ein anderer Ausdruck für die von Barth so deutlich abgewiesene Ablösung Israels durch die Kirche? Wie sollte es Israel verwehrt sein, vom unlebendigen zum lebendigen Zeugen zu werden? Wird nur der subjektive jüdische Glaube die Situation verändern können, die der subjektive jüdische Unglaube nicht verändern konnte? Diese Reihe eindringlicher Fragen gipfelt dann in der Frage, die bei unserem Ausgangspunkt beim frühen Barth anschließt (siehe oben S. 20): Was ist mit der Neuprädikation der Leiblichkeit im Blick auf Israel, dessen Leiblichkeit der Körper seines Volkes im Bunde mit Gott war 2 6 ? Wenn dem so ist, darf man dann nicht die Erwägungen noch über Barth und Marquardt hinausziehen und fragen: Ist in dem leiblichen Opfer Christi nicht die Leiblichkeit Israels konzentriert? Wurde nicht Israel unter den Völkern erwählt, um diesen Leib der Offenbarung hervorbringen zu können? Scheidet nicht Israel den Leib Christi aus seiner Mitte ab, um ihn zum Opferleib zu machen? Spaltet sich nicht die Leiblichkeit des erwählten Volkes beim Kreuz Jesu in den Leib Christi einerseits und den Leib des ungehorsamen Volkes andererseits (wozu auch die Repräsentanten des Ungehorsams Petrus, Paulus und Judas gehören)? Der eine Leib tut, wozu Gott es erschaffen hat: „Darum spricht er bei 23 25

220

Ebd. 346. Ebd. 3 50.

24 28

Ebd. 349. Ebd. 351.

seinem Kommen in die Welt: ,. . . einen Leib aber hast du mir b e r e i t e t . . Siehe, ich komme — im Buch steht von mir geschrieben —, daß ich tue, Gott, deinen Willen . . I n diesem Willen sind wir geheiligt ein für allemal durch das Opfer des Leibes Jesu Christi" (Hebr. 10, 5. 7. 10). U n d der andere Leib Israels tut es, indem er ihn verleugnet. Spaltet sich hier nicht Israel in Kinder des Fleisches und Kinder der Verheißung (Rom. 9, 8), damit er in der scheinbaren Willkür der Erwählung (Rom. 9,15) nur das Erbarmen Gottes (Rom. 9, 16) über alle (Rom. 11, 31. 32) sichtbar werde? Besteht nicht gerade darin das eigentliche Sein des A u f erstehungsleibes Christi, daß er nichts für sich sein will, sondern Lebensraum aus den Toten für die vielen Brüder (an erster Stelle Brüder aus dem gleichen Leib Israels) (Rom. 8, 29; 1. Kor. 15, 22)? U n d dann fragt Marquardt weiter: Bezeugt Israel nicht auch schon jetzt, in seiner angeschlagenen Form, das Erbarmen Gottes? Ist es also nicht wie Zeuge des Todes so audi Zeuge der Auferstehung Jesu Christi 2 7 . Ereignen sich also an ihm nicht nur jene unübersehbaren Zeichen seiner Erwählung zum Leiden, sondern ebenso die seiner Erwählung zum Leben? Gewiß bezeugt es nicht „freiwillig" das leere G r a b Jesu Christi, aber Gott läßt es „unfreiwillig", da ja der Grund alles unfreiwilligen Zeugnisses in der Welt eben Jesu Christi Auferstehung ist 2 8 , die Auferstehung des Fleisches bezeugen. Sie sind aber wirklich Zeugen der Auferstehung, wenn Barth recht hat und das Wort „Auferstehung der Toten" nur eine Umschreibung des Wortes „ G o t t " ist 29 . Was aber so für jeden Glaubenden gilt, das macht der J u d e konkret und sichtbar in seines Leibes Leben. U n d eben so gelangt er in die Zukunft. Es ist zu fragen, ob es nicht tatsächlich, neben der Barthschen Analogiebildung, auch hier wenigstens teleologische Momente gibt, die das „gewagte Futurum" des Apostels Paulus gewiß nicht begründen, aber allerdings zeichenhaft begleiten und beglaubigen können 3 0 . Die Hilfe des Judentums, so Marquardt 3 1 , ist, wie schon das vorchristliche Israel es tat, den Gottesglauben zu entideologisieren und mit Wirklichkeit, die genau so zeitlich wie geographisch zu bestimmen ist, zu füllen. In einem Artikel: Christentum und Zionismus 3 2 zieht Marquardt die Position seines Buches im Hinblick auf die Landverheißung noch wei2 8 Kirchliche D o g m a t i k I I / l , 129. Ebd. 352. K a r l B a r t h , D i e Auferstehung der Toten, 112. 3 0 Auch B e r k h o f , a.a.O. 114—167, entwickelt die A n a l o g i e des A u f e r s t a n d e n e n in der Geschichte vor allem an dem „ k ü n f t i g e n Zeichen" der U m k e h r Israels, wobei allerdings noch weiter diskutiert werden sollte, ob dieses Zeichen p r i m ä r den C h a r a k t e r einer eigenen a k t i v e n U m k e h r oder den — m e h r passiven — C h a r a k t e r einer ,Annahme' ( R o m . 11, 15) haben wird. 3 1 A . a. O . 356. 3 2 Evangelische Theologie, 28. J g . , 12. D e z . 1968, 6 2 9 — 6 6 0 , jetzt auch in: W. Eckert, Ν . P. L e v i n s o n u n d M . S t ö h r , Jüdisches V o l k — gelobtes L a n d , 2 4 1 — 2 7 5 . 27

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ter aus. Aufs Objektive gehend, ist die Frage nach der Erwählung Israels, nicht allein des Volkes, sondern auch des Landes eine einzige Herausforderung an die Mitarbeit auch der christlichen Theologie 33 . Zu lange haben wir gemeint, eine Entmaterialisierung des Landes und der Geographie im Judentum selbst finden zu können. Man soll Widerspruch gegen die These von der Vergeistigung als geistesgeschichtlich erreichte irreversible Entwicklungsstufe erheben34. Hier findet sich auch Martin Bubers Protest gegen die spiritualistische wie auch gegen die zeitliche Transzendierung des Landes in das rein Künftige. Dessen Buch „Israel und Palästina" mutet den Christen in überlegener Fremdheit an. Hier erscheinen die Sphären der Natur und der Geschichte geeint, die Geographie wird theologisch vergegenständlicht, und das ist nicht nur theologischer Realismus, sondern theologischer Materialismus ersten Ranges. Auch Miskotte 35 nennt das Land mit als Brücke der Kontinuität, über die die kontingenten Taten Gottes fortschreiten, der Vollendung entgegen. G. von Rad spricht über die zwei Säcke Erde, die Naeman, der Aramäer, von Israel mit nach Aram nimmt und die in dem theologischen Gespräch zwischen Israel und dem griechischen Geist eine Rolle zu spielen haben werden 36 . Und Marquardt schließt dann mit der folgenden nachdenklich stimmenden Frage: „Könnte es nicht sein, daß Gott, indem er Israel ins Land sammelt, dort nun so offenbar werden will, wie er es in Christus ja längst schon ist: nicht nur als der kommende, sondern als der gekommene, nicht als der verheißende, sondern auch als der erfüllende Gott? Ist das Judentum in der Krise' „nicht: das Judentum in der Krise der Erfüllung?"37. Es ist ein langer Weg, der uns von dem Ort, wo die Auferstehung Jesu Christi als Grund unserer Existenz in der Kirche aufzuleuchten anfing, bis zu dem Ort geführt hat, wo wir nun, gespannt, die Verheißungen auch über das beim Kreuz Jesu nur scheinbar zurückgebliebene Volk Israel zu bedenken lernen und dabei auf den Ort schauen, in dem es kraft der Verheißung Gottes wohnen darf: ein sichtbares Volk, nicht überall und nirgends, wandernd durch die Weltgeschichte, sondern wohnend an einem sichtbaren Ort. Es ist wirklich nicht selbstverständlich, daß es dort wieder wohnen darf: weder von der größten Vernichtung her, die das Volk je in seiner mehr als 3000jährigen Geschichte erfahren hat, noch von der Gegenwart her, wo die Bedrohung an allen seinen Grenzen ihm kaum noch Gelegenheit bietet, nach der Wanderung schon aufzuatmen. Aber was ist überhaupt an diesem Volke selbstverständlich? Nicht seine Existenz, nicht seine Berufung, nicht sein Ungehorsam, nicht sein 33 35 36

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3 4 Ebd. 648. Ebd. 647. Wenn die Götter schweigen. V o m Sinn des Alten Testaments, 212. 37 Marquardt a. a. O. 660. Theologie des Alten Testamentes, II, 44.

Gehorsam. Selbst-verständlich, aus dem Wege dieses Volkes und seines Messias verständlich, ist nur sein Gott. Die Erkenntnis dieses Gottes ist dann aber audi der einzige Sinn seiner besonderen Existenz. Es kann in seiner Natur nur anhypostatisch, nur in Gott enhypostatisch verstanden werden. Es fehlt nicht an Versuchen, es ohne Gott zu verstehen, und darin ist es dem von ihm abgewiesenen Messias gleich. Auch ihn hat man „nur" für einen Menschen gehalten, einen edlen Menschen vielleicht, aber letztlich doch für einen psilos antröpos, einen Menschen, dessen Leben mit seinem Tod beendet wurde, einen Menschen ohne Auferstehung, ohne Offenbarung, nicht für einen Menschen, dessen Leben, dessen Tod Raum war für andere. Vielleicht möchte das Volk (endlich, endlich) sein wie die anderen, aber es gelingt nicht, seiner Bestimmung (die Offenbarung Gottes zu sagen), die auch der Grund seiner Geburt war, zu entrinnen. Zeugt es nicht freiwillig, so zeugt es unfreiwillig. Ist es nicht Zeuge mit seinem Glauben, so redet sein Unglaube noch stärker. Es ist Zeuge, wenn es aus dem Land der Verheißung vertrieben wird, aber es ist auch Zeuge, wenn es nach dem Tod von Auschwitz, ohne Glauben an den Gott-nach-Auschwitz, mit seinem nackten Leben sich hinüberrettet in das Land der Verheißung. Nicht nur vor Christus redet die Geschichte dieses Volkes prophetisch 38 , auch nach Christus redet sie, nachdem die Rede von der Auferstehung so vielen unredlich geworden ist 39 . Diese Geschichte redet nicht für sich selbst, sie redet für andere. Was redet diese Geschichte? Dasselbe was sie immer geredet hat: Christus für unsere Sünden gestorben nach den Schriften, am dritten Tag auferstanden von den Toten nach den Schriften. Die Geschichte Jesu Christi ist die Geschichte Israels und die von der noch ausstehenden Parusie bedingte Unabgeschlossenheit der Geschichte Jesu Christi ist die Unabgeschlossenheit der Geschichte Israels. Wie soll man die Auferstehung Christi auslegen? Eine Frage. Und da fangen wir zu forschen an. Wir beginnen feierlich in der Geschichte, aber dort finden wir sie nicht (Kap. II). Die Auferstehung Christi ist ohne Analogie in der Weltgeschichte, ohne Analogie in der Natur. So fing Pannenberg an (Kap. III Anfang) die Antwort auf die Frage nach Analogie aus der Geschichte in die Vorstellungsgeschichte zu verlagern und übersah dabei die Analogie in der Geschichte Israels, das aus einem verstorbenen Schoß geboren ist und aus dem Tode auferstanden (Gen. 22; Hebr. 11, 19). Es sind allerdings nicht unsere historischen Methoden, die uns lehren, diese Geschichte Israels so zu hören. „Wird hier und im Folgenden von göttlichen Geschichtstatsachen gesprochen, so ist damit K . Barth, Kirchliche Dogmatik IV/3, 52—78. Gegen Barth, a.a.O. 76: „Die Geschichte Israels und ihre Prophetie kann also nach dem Anheben dieses ihres Nachher, in welchem sie ihre Erfüllung gefunden hat, keine Fortsetzung mehr haben." 38

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natürlich an die von dem Glauben Israels gemeinten gedacht und nicht an die Ergebnisse der modernen kritischen Geschichtswissenschaft, auf die sich der Glaube Israels nie bezogen hat" 40 . Wir fragen nach dem Leben Jesu, aber übersehen seinen Tod (Kap. IV). Dann wieder fragen wir nach dem Ende der Geschichte und vergessen, kraft welchen Endes der Geschichte („dieses Ende, das Ende unserer Sünden, die doch nur enden können, wenn die Geschichte endet" siehe oben S. 28 f.) wir nur nach diesem Ende fragen können (Kap. V). Wir versuchen, uns in „Vorstellungen" einzuleben, wir treiben Phänomenologie, und wir verankern sie ganz solide in unsere Existenz, aber die Taten Gottes an Israel, die gleichzeitig vor unseren Augen geschehen, bemerken wir nicht. Es ist keine subjektive Beschuldigung Bultmanns, sondern eine objektive Ungereimtheit, daß in dem Jahr, wo die Krematoria für das Volk Israel zu brennen begannen, die Frage nach der Bedeutsamkeit von Kreuz und Auferstehung nur in Hinblick auf die eigene private Existenz der Christen gestellt werden konnte. Und wir, unverständigen und trägen Herzens (Lk. 24, 25), bemerken die Taten Gottes nicht, weil wir nicht auf das Wort der Schrift hören. Warum bemerken wir sie nicht? Weil wir uns weigern, an dem Ort zu stehen, von dem allein man sehen kann, was hier zu sehen ist, in der Kirche, weil wir das Allgemeine haben möchten ohne dieses Besondere, weil wir nicht als auf Israel Aufgepfropfte reden, oder weil wir nur scheinbar nach Israel schauen, zugleich aber auf unsere allgemeine Existenz schielen. Weil wir das ewige Leben erträumen und erhäschen möchten ohne Versöhnung, ohne an unserer Schuld zu sterben. Aber indem wir so nach Allgemeinheit der Erkenntnis jagen, verpassen wir sie gerade. Nur an diesem besonderen Ort geht es um das Allgemeine. Denn die Allgemeinheit, das ist keine Gabe der Natur. Allgemeinheit entsteht aus der Versöhnung, aus der Einsicht, daß wir alle, Juden und Griechen, unter der Sünde stehen (Rom. 3, 9 f.), alle gegen Gott und so gegeneinander stehen und Zusammen-Sein und Leben nur unter dem Erbarmen des Gottes Israels vermögen. Wer zu Israel, dem Gott Israels sich wendet, kehrt nicht zurück zum Partikularismus, den er überwunden glaubte. Er kehrt zurück zu dem Ort, wo die universale Liebe Gottes im Kreuzestod seines Sohnes erkannt wird. Und die Erwartung der Propheten ist, wohl ferne davon einem beschränkten Nationalismus zu huldigen, daß dieser besondere Ort der Versöhnung, Jerusalem, Israel, allgemein offenbar sein wird als der Ort, an dem die Einheit der Menschheit Gestalt bekommt. „Kein Volk ist ausgeschlossen von dem Mahl, das der Herr auf diesem Berge allen Völkern bereiten wird" 41 . Das Recht, so zu reden, gründet darin, daß in 40 41

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G. von Rad, Theologie des Alten Testamentes, I, 112 f. Κ. H. Miskotte, Edda en Thora, 331.

der Versöhnung diese eschatologische Wahrheit auch zur ekklesiologischen Wahrheit wird 42 . „Von dem Ende her vollzieht sich die Heilsgeschichte durch Israel unter den Völkern. Das Verhältnis von Israel zu den Völkern wird vom Ende her transparent gemacht. Die Kirche hat Israel nicht hinter sich, sondern historisch eschatologisch vor sich" 43 . Israels Sendung ist es, so sagte Koch schön, Himmel und Erde wieder zusammenzudenken. Und Jesus ist die erfüllende Beantwortung dieser Aufgabe. Die Auferstehung Christi als Offenbarung des Kreuzes zeigt, wie Jesus diese Aufgabe erfüllte: Gott opferte seinen Sohn, um uns mit sich zu versöhnen. So hat Gott selbst alle Trennung, die im Mythos zwischen Gott und Welt, zwischen religiöser Betätigung und weltlichem Gehorsam immer wieder aufgerichtet wird, so hat Gott auch das Gesetz als Macht der Sünde (1. Kor. 15, 56) aufgehoben. Die Kirche wurde der Ort, an dem die Erkenntnis Gottes im Erkanntsein und das Erkannt-sein im Versöhnt-sein gründet. Darin wurde die Berufung Israels, Licht für die Völker zu sein, nicht aufgehoben. Im Gegenteil, die Heiden bekamen nur durch Aufpfropfung auf Israel ihren Anteil an dieser Berufung. Und es war ein Rückfall gerade in die Sünde, die auch schon Israel bedroht hatte, als der Ort dieser besonderen Erkenntnis Gottes der Ort wurde, wo das Heil des erwählten Individuums Selbstzweck wurde und die Berufung, die an diesem besonderen Ort geschah, nicht mehr auf die Welt hin verstanden wurde. So aber verlor die Kirche, gerade indem sie die Erwartung für die Welt verlor, audi die Erwartung für Israel, dessen Existenz ja nie Selbstzweck, sondern nur der Segen für die Völker gewesen war (Gen. 12, 1—4). Wo aber die Kirche den Ort, an dem sie steht, als gegründet in dem Wissen um Versöhnung primär für Israel versteht, wird sie ihren Ort audi letztlich als Versöhnung für Israel verstehen. Und in diesem „letztlich" wird kein neuer Partikularismus aufgerichtet, sondern gerade das „Um so mehr" aus Rom. 11, 12 und 15 für die Völker ausgedrückt. Die Gnadengaben und die Berufung Israels sind gerade darin unwiderruflich, daß Gott in der Berufung Israels die ganze Welt lieben will. Das Eingehen, nicht nur eines Teils, sondern ganz Israels wird auch das Eingehen der Fülle der Völker bedeuten (Rom. 11, 25). Die Liebe Gottes in Christus, die in der Liebe für den beharrenden Nein-Sager ihren Gipfel findet, schließt darin alle zusammen (Rom. 11, 32). Der von Jeremia erwartete neue Bund (Jer. 31, 31—34), in dem keiner den anderen mehr zu lehren hat: Kenne den Herrn, weil sie alle ihn kennen werden und das Gesetz nicht mehr von außen kommen wird, ist die 42 Vgl. J. M. Hasselaar: Opmerkingen over de eenheid van Israel en de kerk onder missionaire en esdiatologisdie belichting, in: Nederlands Theologisch Tijdsdirift 1955, 228. 4 3 Ebd. 194.

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Geense, Auferstehung

endgültige eschatologische Annahme Israels, die schon in seiner ersten Erwählung bezweckt worden war. Es wird in dieser Annahme darum gehen, daß Israel an seinem Platz in der Zeit nun endlich Israel sein wird 4 4 . Es werden sich dort keine Menschen mehr als religiöse Menschen hervorheben 45 . Das Wunder wird sein, was das Judentum selbstverständlich findet: daß Israel wirklich und tatsächlich antworten und Gehorsam sein wird, seiner Berufung entsprechend Knecht, Sohn, Kind Gottes sein wird. Siehe, das ist das Eschaton 46 . Der religiöse Mensch versteht nicht, daß er in seiner Religion und durch sie blind werden kann für die Kreativität Gottes, für das Ende, das durch Gottes Vorsatz seinem ganzen zweideutigen Streben gesetzt ist 47 . So bleibt es dabei, daß Erkenntnis aus Vergebung wächst, und Vergebung bleibt das unglaubliche, zeitverwischende, zeitbegründende, zeiterhellende Wunder 48 . So ist mit der Verheißung der Erkenntnis Gottes für alle Welt auch bestätigt, daß Israel als Volk bestimmt ist, um als Gemeinde Gottes offenbar zu werden 49 . Wir beschreiben hier nicht das Eschaton. Wie könnten und sollten wir auch. Und wir beschreiben das heutige Land und den heutigen Staat Israel nicht als Verwirklichung des Eschatons. Indem wir einen Ort für die Erkenntnis der Tragweite der Auferstehung Christi suchen, bekennen wir die Zukunft Israels, so wie wir seine Berufung in der Vergangenheit bekennen als den Ort der Offenbarung, so wie wir die eine heilige allgemeine Kirche, zusammen mit der Gemeinschaft der Heiligen, der Vergebung der Sünden und der Auferstehung des Fleisches bekennen. Wir bekennen Gott daraufhin, daß wir von Ihm erkannt sein werden, daraufhin, daß der Ort der besonderen Offenbarung zugleich der allgemeinste, weil von Gott in der Versöhnung garantierte ist. In unserem ersten Kapitel (siehe oben S. 31) hörten wir, wie Bultmann, im Unterschied zu Barth, nicht das 15., sondern das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes für den sachlichen Höhepunkt dieses Briefes hält. Jetzt sehen wir, daß der Unterschied keinen Gegensatz bedeutet. Von dem aus, was wir hier zu bedenken versuchen, können wir sagen: Die beiden Kapitel sind Seite und Kehrseite desselben Geschehens. Was 1. Kor. 13 in die Offenbarung des „Erkennens, wie ich erkannt worden bin" als dem letzten existentiellen Sinn der Offenbarung gipfelt, ist von Paulus 1. Kor. 15 auf der Ebene der Weltgeschichte dekliniert worden, wo der Gipfel, nach der Vernichtung des Todes, die totale Offenbarung des Gottsein Gottes sein wird (1. Kor. 15, 28). Dazu gesellt sich nun auch im gleichen weltgeschichtlichen wie existentiellen Sinn der Abschnitt 44 45 47 49

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Miskotte, Wenn die Götter schweigen, 411. Ebd. 409. « E b d . 411. 48 Ebd. 412. Ebd. 408. Miskotte, De Kern van de Zaak, 246.

Rom. 9—11. Die Unvollkommenheit der Erkenntnis, das Noch-nichteingegangen-Sein des ganzen Israels und der noch nicht überwundene Tod sind die Kräfte, die die apostolische Existenz in der Spannung zwischen dem Grund der Kirche und dem Eschaton halten. Aber die Spannung ist nicht eigentlich durch das ,Noch-nicht' hervorgerufen, sondern durch das „Schon" der Erfüllung: N u n aber bleibt die Liebe (1. Kor. 13, 13); Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus (1. Kor. 15, 57); Gott hat sein Volk nicht verstoßen, denn auch ich — der berufene Verfolger — bin ein Israelit (Rom. 11, 1). Darum mündet die Beschreibung der Spannung des Noch-nicht jedesmal aus in das Lob, in den Hymnus. Es ist, als ob Paulus sich jedesmal, nur scheinbar auf ganz verschiedenen Wegen, zu einem letzten Punkt empordenkt, wo er nicht weiter kann und wo das Denken in den Hymnus überschlägt (Rom. 7, 24 f. 8, 31—39; 11, 25—36; 1. Kor. 13, 9—13; 15, 50—57; Eph. 3, 14—21). Aber überall ist es der gleiche Punkt, an dem das Denken zum Stillstand kommt und das Loben seinen Anfang nimmt: die überwältigende, unerforschliche Liebe Gottes in Christus, der der unendlichen Dialektik und Ambivalenz der menschlichen Religiosität, der menschlichen Situation vor Gott, unseres Neins und unseres Jas, unseres Wollens und Nicht-Wollens, unseres Liebens und Nicht-Liebens und darin unseres Lebens und unseres Todes ein Ende bereitet. Die noch ausstehende Zubringung Israels und die noch ausstehende Vernichtung des Todes sind der noch ausstehenden Unvollkommenheit des Erkertnens korrelat. Auferstehung als Offenbarung zielt auf die Offenbarung der Gottheit Gottes und die Offenbarung der Gottheit Gottes ist der Ort, wo die Erkenntnis Gottes allgemein und in dem Erkanntwerden gegründet sein wird, wo also der Ungehorsam überwunden und der Tod vernichtet sein wird. „Die Auferstehung der Toten ist deshalb zu verkündigen, weil die auf die Alleinherrschaft Gottes zielende Herrschaft des Auferstandenen sich Uber alles erstrecken muß. Das ist die entscheidende Argumentation in 1. Kor. 15, 20—28" 5 0 . Weil aber die Zubringung Israels, als Ausdruck der allesbeherrschenden Macht Christi über unsere Sünde, über unseren Widerspruch (1. Kor. 15, 3. 17), innerhalb dieser Offenbarungszeit liegt (Christus ist ja auferstanden und hat die Sünde überwunden), ist diese Überwindung des — vorletzten — Feindes, des Stachels des Todes, der Sünde, deren K r a f t wiederum das Gesetz ist (1. Kor. 15, 56), der Ort, von wo aus auch die Auferstehung der Toten, die Offenbarung der Gottheit Gottes, sichtbar werden darf. Das ist der Sinn des ,tagma' (1. Kor. 15, 23), in dem die Auferstehung der Toten, die durch diesen Menschen ist (1. Kor. 15, 21), sich ausfächert und in der Rom 11, 1. Kor. 13 und 1. Kor. 15 konvergieren. 50 G. Barth, Erwägungen zu 1. Korinther 15, 20—28, in: Evangelische Theologie, Okt. 1970, 525.

227 Ii·

Er muß als König herrschen, bis alle Feinde zu seinen Füßen liegen, auch die Feindschaft Israels. Paulus sagt Rom. 11, 12 und 15, daß das „Mehr" der Annahme Israels sich zu seiner Verwerfung verhält wie das Leben aus den Toten zu der Versöhnung. Man kann dafür auch sagen: wie das Eschaton sich verhält zu der Geschichte, wie unsere Hoffnung sich verhält zu der Realität der Versöhnung. Es wäre sicher nicht gut, diesen Text allzu systematisch in die Richtung des schematischen Aufbaus unserer Untersuchung zu pressen. Soviel ist aber deutlich, daß das geschichtliche Negativum, das der Fall (Rom. 11, 12) oder die Verwerfung (Rom. 11, 15) Israels darstellt, schon als ein Positivum: Reichtum für die Welt und die Heiden, Versöhnung für die Völker, geschichtlich geworden ist. Das eschatologische „Mehr" im Ergebnis wird von der Umkehr der jetzigen Position Israels abhängen, aber es wird selber nichts anderes sein, sondern auf der Linie des jetzigen geschichtlichen Positivum liegen: Reichtum für die Völker und Versöhnung der Welt. Ubersetzen wir diese Aussicht in die Sprache von 1. Kor. 15, so besteht der Sinn des ,tagma', der Zeit zwischen Auferstehung Christi, Versöhnung als „historischem" Ereignis und Auferstehung der Toten als eschatologisches Ereignis, in der fortlaufenden Unterwerfung dessen, was sich der Kraft der Versöhnung noch widersetzt. Es ist die Zeit der Königsherrschaft Christi, die Zeit, in der seine Auferstehung kräftig in eine ganz bestimmte Richtung wirkt: die Aussicht auf die Uberwindung der Untreue des ganzen Volkes Israels und der Vernichtung des Todes. Und die Offenbarung der Annahme dieses Volkes wird auch die Bestätigung seiner historischen Sendung sein, eine Sendung, die wir aus dem in Christo erfüllten Alten Testament kennen. Es ist Israels Sendung, die Befreiung und die Gnade, die seiner Geburt zugrunde lagen, auch der Grund des Zusammenlebens des Volkes sein zu lassen. Es ist die Aufgabe dieses Volkes, die gute Schöpfung am Rande des Chaos zu repräsentieren und als Volk die Einheit der Menschheit vor Gott, kraft Gottes Gnade, sichtbar zu machen. „It is precisely as the one chosen ,people* ('am) that Israel represents the oneness of the human race" 51 . Es soll dieses Volk als Volk die Gemeinde Gottes auf Erden darstellen, in dem die Erkenntnis Gottes, die Wurzel der besonden Existenz dieses Volkes, allgemein und öffentlich sein wird. In dem Erbarmen über Israel wird auch die Kirche, die zwar den Messias Israels bekennt, aber dabei sich zugleich zur Alleinerbin der Verheißungen Israels erklärt hatte, erneut unter die Erbarmung Gottes gestellt. Die Kirche ist der angemessene Ort der Erkenntnis der Auferstehung Christi, der Versöhnung, aber sie wird als Ort durch die künftige Hineinnahme ganz Israels 5 1 A. Th. van Leeuwen, Christianity in World History, 97. (Deutsch: Christentum in der Weltgeschichte.)

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verbreitert, und erst dann wird sie in der Lage sein, die Fülle, die Länge und die Tiefe der Liebe Gottes in Christus Jesus zu ermessen. Und so wie der Grund der Kirche in dem stellvertretenden Opfer Christi gelegt wurde, als wir noch Feinde waren (Rom. 5, 10), als wir noch nicht mit unserem aktiven Gehorsam unsere Berufung bestätigen konnten, so wird auch das Eschaton die Offenbarung der Stellvertretung darin sein, daß es als Gabe Gottes und nicht als unserer Hände Werk erscheint. Das Eschaton besagt: wir sind grenzenlos geliebt. Und das wird öffentlich zutage treten. Wir werden erkennen, wie wir erkannt worden sind. Es wird eine wirkliche Entsprechung zwischen Gott und Mensch stattfinden. Die Herrschaft Gottes wird öffentlich sein. Der in der Versöhnung gestiftete Raum wird nicht mehr nur der Raum der Kirche sein, sondern der Raum der Kirche wird sich als der Raum der Welt offenbaren. Die Annahme des Volkes Israel als Volk wird auch bedeuten, daß die Offenbarung als soziale Kategorie52 noch unzweideutiger, als das bisher in der Kirche ausgedrückt wurde, sichtbar sein wird. „Was war die israelitische Gottesgemeinde? Sie war das Volk, das Gott als Kollektivperson erwählt hatte; sie war konstituiert durch das Gesetz Gottes" 53 . Aber das Gesetz stiftete Einsamkeit durch die Schuld des Menschen, obwohl es Lebensform eines heiligen Volkes sein sollte54. In der Auferstehung Christi, in der Überwindung des Gesetzes, war Christi Tod als des Todes Tod offenbar geworden, damit die Grenze der Geschichte aufgehoben, die durch den Tod gesetzt i s t . . . und die Menschheit Adams zur Kirche Christi geworden55. Nur ist die Gemeinschaft der Heiligen als solche noch nicht als Repräsentant der ganzen Menschheit offenbar. Der Teil Israels, der draußen bleibt, repräsentiert und dokumentiert die Noch-nicht erreichte Allgemeinheit. Die Kirche hat aber aus dieser Not eine Tugend und die Seligkeit des Einzelnen außerhalb unserer Geschichte zum Hauptsinn ihrer Existenz gemacht. Das Hinzutreten Israels wird aber auch bedeuten, daß die an dem Individuum gebildete Kategorie der Existenz in ihrer Suche nach Eigentlichkeit und Entweltlichung von der Kategorie der Gemeinschaft in der Suche nach Eigentlichkeit aus der Entfremdung überboten wird. Der Dualismus zwischen persönlichem und politischem Gesetzesgehorsam, die doppelte Moral des einzelnen und des Staates wird verschwinden56. Geistliche Entscheidungen werden zugleich weltliche Entscheidungen sein. Es wird keine besondere Sorge um die „nicht-religiöse" Interpretation der biblischen Begriffe mehr geben, weil „sie alle ihn kennen werden" Die Wiederherstellung der öffentlichen Erkenntnis Gottes wird bedeuten, daß ethische 52 53 56

D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 7 und passim. 5 4 Ebd. 100. Ebd. 99. Miskotte, De Kern van de Zaak, 252.

55

Ebd. 102 f.

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„Entscheidungen" nicht mehr mit dem Pathos der Entscheidung (das Vereinzelung bekundet) genommen werden, sondern daß sie sich aus dem objektiven Gang der Geschichte ergeben, in einer zweiten Naivität, aus einer „Welt der wiedergefundenen Einheit" (Bonhoeffer, Ethik 136). Eschatologie zielt nicht auf Entweltlichung, sondern auf die Aufhebung des Gegensatzes von Gott und Welt, von Sein und Sollen. Ethik ohne ein Quentchen Chiliasmus ist schon jetzt nicht gut möglich 57 . Die Aussicht auf das Eschaton ruft sofort um die praktische Konsequenz (1. Kor. 15,29—34.58). So spannt der existentielle Bezug der Auferstehung Christi von den Toten den Gehorsam des Glaubens zwischen den Raum der Kirche und den des Eschatons und weitet seinen Ort aus, indem er ihn auf die Erwartung eines neuen Jerusalems „beschränkt" So wie die Auferstehung Christi historisch in der sozialen Kategorie der Gemeinde sichtbar wurde, so wird die Auferstehung der Toten, so wird Gott endgültig historisch werden im Sinn der gesellschaftspolitischen Kategorie des Historischen, wo Gott alles in allem sein wird (1. Kor. 15, 28), wo die neue Polis Gottes vom Himmel aus auf Erden gestiftet wird und wo diese Stadt den Namen Jerusalem tragen wird (Apk. 21, 2). Und wie sich die Entzweiung zwischen Gott und Mensch sich im ersten Brudermord offenbarte, so wird die endgültige Versöhnung der gesamten Menschheit sich in der Versöhnung zwischen dem älteren und dem jüngeren Sohn (Luk. 15, 11—32) offenbaren. In der „Annahme" Israels wird audi die Einheit der Menschheit sichtbar werden. Der Lebensraum des einen wird nicht mehr den Lebensraum des anderen bedrohen: kein Hunger wird mehr entstehen aus dem Oberfluß der anderen, kein sozialer, kein rassistischer und kein nationaler Egoismus wird die Einheit der Menschheit je noch bedrohen können. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. War es möglich, so hörten wir Barth am Anfang fragen, die Auferstehung der Toten auch abgesehen von ihrer Anwendung auf irgendein gesondertes Gebiet ins Blickfeld zu bekommen? Paulus unternahm ja den eigentlich unmöglichen Versuch, den Vogel im Fluge zu zeichnen. So saß auch der moderne Paulusausleger 58 lange vor dem Zeichenbrett und hat uns, seine Zuschauer, damit beschäftigt. Als es dann einer schließlich mit der Frage nach dem Bekenntnis zur Auferstehung wagte, drehte er sich um und reichte die Frage an den Frager zurück: Wie halten Sie es mit Vietnam und mit dem Antisemitismus? 57 K . Barth: Das Problem der Ethik in der Gegenwart, 1924. Zitat bei G. C. Berkouwer, De Wederkomst van Christus II, 79. 58 So bezeichnete A. Jülicher den frühen Barth: Die Anfänge der dialektischen Theologie, hrsg. v. J . Moltmann, Bd. I, 87 f.

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War es dann doch unmöglich gewesen, den Vogel im Flug zu erfassen? Oder war genau der Ort bezeichnet worden, an dem die Antwort nun weiter erfragt werden kann?

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Literaturverzeichnis Das Verzeichnis enthält die Titel der historischen, exegetischen und dogmatischen Beiträge zur Frage nach der Auferstehung Christi, die für die Untersuchung herangezogen wurden. Die Arbeiten, die im Text ausführlicher behandelt werden, sind mit einem * gekennzeichnet. Barth, Gerhard: Erwägungen zu 1. Korinther 15, 20—28, in: Evangelisdie Theologie 30, Oktober 1970 Barth, Karl: Der Christ in der Gesellschaft, in: Die Anfänge der dialektischen Theologie, hrsg. v. J. Moltmann, München 21966 Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1. Kor. 15, Zürich 4 1953 * - : Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, Zollikon "1966 Die Theologie und die Kirche. Gesammelte Aufsätze II, Zollikon o. J. Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge III, Zollikon 1957 - : Die kirchliche Dogmatik, 13 Bände und Registerband, Zürich 1932 ff. Bartsch, Hans-Werner, Das Auferstehungszeugnis, sein historisches und sein theologisches Problem, Hamburg 1965 Geographische Bezeichnung für Israel im Neuen Testament, in: Jüdisches Volk gelobtes Land, München 1970 Berkhof, H.: Christus, de zin der Geschiedenis, Nijkerk 2 1958; Deutsch: Der Sinn der Geschichte: Christus, Göttingen 1962 - : Gegronde verwachting, Nijkerk 1967 Berkouwer, G. C.: De Wederkomst van Christus II, Kampen 1963 Blank, Josef: Paulus und Jesus. Eine theologische Grundlegung, München 1968 Bonhoeffer, Dietrich: Sanctorum Communio, München 31960 - : Akt und Sein, München 31964 Bornkamm, Günther: Jesus von Nazareth, Stuttgart 81968 Der Auferstandene und der Irdische. Mt. 28, 16-20, in: Zeit und Geschichte, Dankesgabe für Rudolf Bultmann, Tübingen 1964; auch aufgenommen in: G. Bornkamm, G. Barth und H.-J. Held: Überlieferung und Auslegung im MatthäusEvangelium, Neukirchen 41965 Geschichte und Glaube. Erster Teil, Gesammelte Aufsätze III, München 1968 - : Artikel σείω, in: T h W N T VII, Stuttgart 1964 *Bultmann, Rudolf: Rezension von K. Barth, Auferstehung der Toten, in: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze I, Tübingen Ί 9 6 6 Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, in: Kerygma und Mythos I, hrsg. v. H . W. Bartsch, Hamburg 1960; hier zitiert nach B. Klappert: Diskussion um Kreuz und Auferstehung, Wuppertal 1967 Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen Ί 9 7 0 Theologie des Neuen Testamentes, Tübingen Ί 9 6 8 Das Evangelium des Johannes, Göttingen "1968 Exegetica, hrsg. von E. Dinkier, Tübingen 1967 Buss, Martin: Der Sinn der Geschichte, in: Neuland in der Theologie III, hrsg. v. James M. Robinson u. John B. Cobb Jr., Zürich 1967 Calvin, Johannes: Institutio Christianae Religionis, 1559, Liber III.

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234

1959, 218-237 und 259-288; jetzt auch in: Grundfragen systematischer Theologie, Göttingen 1967 Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, in: Offenbarung als Geschichte, Göttingen 41970 Grundzüge der Christologie, Gütersloh 21966 Die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth, in: J. M. Robinson u. J. B. Cobb Jr.: Neuland in der Theologie III. Theologie als Geschichte, Zürich 1967 Dogmatische Erwägungen zur Auferstehung Jesu, in: Kerygma und Dogma 14, 1968, 105-118 Rad, Gerhard von: Theologie des Alten Testamentes I und II, München 51966 und 5 1968 Rahner, Karl und Vorgrimler, Herbert: Kleines Theologisches Wörterbuch, Freiburg 1961 Rengstorf, Karl Heinrich: Die Auferstehung Jesu, Witten/Ruhr 5 1967 Robinson, James M. und Cobb, John B., Jr.: Neuland in der Theologie II: Die neue Hermeneutik, Zürich 1965; I I I : Theologie als Geschichte, Zürich 1967 Robinson, John Α. T.: The Body, London 1965 Richardson, Alan: History, sacred and profane, Oxford 1963 Schleiermacher, Friedrich: Der Christliche Glaube II, hrsg. v. M. Redeker, Berlin 1960 Schlier, Heinrich: Über die Auferstehung Jesu Christi, Einsiedeln 1968 Schräge, Wolfgang: Das Verständnis des Todes Jesu Christi im Neuen Testament, in: Das Kreuz Jesu Christi als Grund des Heils, hrsg. v. F. Viering, Gütersloh 1967 Schweizer, Eduard: Artikel σώμα. in: T h W N T VII, Stuttgart 1964, 1024 ff. Slenczka, Reinhard: Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi. Studien zur christologischen Problematik der historischen Jesusfrage, Göttingen 1967 Solle, Dorothee: Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes", Stuttgart 1966 Hoffnung verändert die Welt. Kritische Auseinandersetzung mit der Theologie Rudolf Bultmanns, in: Evangelische Kommentare 4, 1971, 15-20 Storch, Martin: Exegesen und Meditationen zu Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, München 1964 Streeder, G. J.: Een beoordeling van Barths Exegese van 1 Corinthen 15, Diss. Leiden 1937 Weber, O t t o : Grundlagen der Dogmatik II, Neukirchen 1962 Wilckens, Ulrich: Das Offenbarungsverständnis in der Geschichte des Urchristentums, in: Offenbarung als Geschichte, Göttingen 4 1970 * - : Der Ursprung der Uberlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen, in: Dogma und Denkstrukturen. Festschrift für Edmund Schlink, Göttingen 1963 Die Überlieferungsgeschichte der Auferstehung Jesu, in: Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus, hrsg. v. F. Viering, Gütersloh «1968 Auferstehung. Das biblische Auferstehungszeugnis historisch untersucht und erklärt, Stuttgart 1970

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Eta Linnemann Studien zur Passionsgeschichte Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 187 Seiten, kartoniert

DM 19,80, Leinen

DM

25—

In dieser Studie will die Verfasserin ihr Augenmerk nicht primär auf die historischen Fragen des Prozesses Jesu richten, sondern vielmehr einige der literarkritischen, form-, traditions- und redaktionsgeschichtlichen Probleme lösen, vor welche die Passionsgeschichte des Markusevangeliums den Leser stellen. In kritischer Analyse der einzelnen Abschnitte der Passionsgeschichte wird das Ergebnis gewonnen, daß der Passionsgeschichte

des Markusevangeliums

kein

zusammenhängender

Bericht

zugrunde

lag, sondern daß sie von Anfang bis Ende vom Evangelisten aus selbständigen Einzeltraditionen komponiert wurde.

Das Neueste

Hans Graß Ostergeschehen und Osterberichte 4. Aufl., 346 Seiten, Leinen

DM

28,—

In bewundernswertem Fleiß ist hier alles zusammengetragen, was über Ostern gesagt und geschrieben wurde. Gesagt und geschrieben von kritischer und wissenschaftlicher Seite aus. Keine kritische Stimme bleibt ungehört, um — und das ist das Vorwärtsweisende und Hilfreiche an diesen Untersuchungen — zu dem Ergebnis zu kommen: „Eigentlicher Gegenstand des Glaubens ist der auferstandene, lebendige Herr, nicht der Auferstehungsvorgang und die Erscheinungen."

Homiletische Monatshefte

Uwe Steffen Das Mysterium von Tod und Auferstehung Formen und Wandlungen des Jona-Motivs 291 Seiten mit 28 Abb. im Text und 16 Bildseiten,

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DM

36,—

Eine Fülle von Ausdrucksformen der Mythologie, Religionsgeschidite, Tiefenpsychologie, Literatur und bildender Kunst. Ein hochinteressanter Versuch, verlorenen Reichtum dem Glauben neu zu erschließen.

Hans Eckehard Bahr

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN UND ZÜRICH