Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi: Ihr Verständnis und ihr Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie der Gegenwart 9783666562808, 3525562802, 9783525562802

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Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi: Ihr Verständnis und ihr Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie der Gegenwart
 9783666562808, 3525562802, 9783525562802

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BERTHOLD W. KÖBER

Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi Ihr Verständnis und ihr Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie der Gegenwart

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 73

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Köber, Berthold W.: Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi: ihr Verständnis und ihr Zusammenhang mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie / Berthold W. Köber. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 73) Zugl.: Klausenburg, Hermannstadt, Vereinigtes ProtestantischTheologisches Inst., Habil.-Schr., 1982 ISBN 3-525-56280-2 NE: G T

Gedruckt mit Unterstützung des Forschungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

© 1995 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort

Die vorliegende Veröffentlichung ist 1982 vom Wissenschaftlichen Senat des Vereinigten Protestantisch-Theologischen Instituts mit Universitätsrang Klausenburg-Hermannstadt/Rumänien als Promotions- bzw. Habilitationsschrift angenommen worden. Für den Druck, der wegen der politischen Gegebenheiten erst nach der »Wende« möglich wurde, ist sie durchgesehen und die Literatur auf den neuesten Forschungsstand gebracht worden. Seit der Abfassung der Schrift haben sich in der behandelten Problematik keine wesentlich neuen Fragestellungen ergeben, die eine Abänderung des Konzepts und der Grundaussagen notwendig gemacht hätten. In ihrem Anliegen und Aussagegehalt partizipiert sie vielmehr an der anthropologischen und m.E. auch kosmologischen Wende im theologischen Gespräch und an der dadurch notwendigen Besinnung auf die Christologie, in der die gewonnenen Erkenntnisse die ihnen zukommende Berücksichtigung finden. Dies konkretisiert sich bei der hier behandelten Thematik in der grundlegenden Fragestellung, ob und wie das überlieferte Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu mit seinem wahren Menschsein zusammengedacht werden kann und was für Implikationen sich daraus für das Verständnis der Person Jesu wie auch des Menschseins überhaupt ergeben. Unser Menschsein als solches ist durch seine dreifache Beziehung zu Gott, zu den Mitmenschen und zur naturhaften Umwelt bestimmt. Wenn Jesus seine Sündlosigkeit als Mensch gelebt hat und sie dieses sein Menschsein nicht in Frage stellt oder aufhebt, dann kann sie sich nicht nur wie im herkömmlichen Verständnis auf sein Gottes Verhältnis, sondern sie müßte sich auch auf sein Verhältnis zu den Mitmenschen und zu der als Schöpfung verstandenen naturhaften Umwelt beziehen und von diesem seinem Gesamtverhältnis her begriffen werden. Indem diese Schrift das unternimmt, erfährt das Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu eine anthropologische und kosmologische Ausweitung und Aufwertung, die es heute im Blick sowohl auf das vergleichgültigte Gottesverhältnis, als auch auf die gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen wie auch auf das gebrochene Verhältnis der Menschen zur Schöpfung als besonders aktuell erweisen.

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Der Weg dahin führt über eine Darstellung und kritische Untersuchung des Verständnisses der Sündlosigkeit Jesu bei fünf Theologen der Gegenwart, die die Sündlosigkeit Jesu in unterschiedlicher Weise thematisiert und Wesentliches dazu gesagt haben. Hinzugezogen wurden die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, die durch das 1980 stattgefundene 450jährige Jubiläum der Confessio Augustana wieder in die Aufmerksamkeit der Theologie gerückt sind. Durch das Echo auf die Vorstellung ihrer Hauptgedanken im Rahmen einer Gastvorlesung an der Evangelisch-Theologischen Fakultät München und die anregenden Gespräche darüber im Kreis der dortigen Kollegen sowie durch eine Reihe weiterer Kollegen, von denen ich besonders Herrn Professor Dr. Peder Norgaard-H0jen, Kopenhagen, sowie Herrn Landesbischof D. Horst Hirschler, Leitender Bischof der VELKD, Hannover, nennen möchte, wurde ich dazu ermutigt, die Schrift zu veröffentlichen. Die Anregung, mich eingehender mit der Christologie zu befassen, bekam ich während eines Studienaufenthalts in Holland durch den persönlichen Kontakt und die Gespräche mit dem inzwischen emeritierten Leidener Ordinarius für Systematische Theologie, Herrn Prof. Dr. Hendrikus Berkhof DD, sowie durch die Gespräche mit dem leider zu früh verewigten Professor Dr. Leonhard Goppelt, München. Beiden gilt mein bleibender Dank. Meine Beschäftigung mit der Frage der Sündlosigkeit Jesu geht auf einen weiteren Studienaufenthalt in Leipzig zurück. Für die erhaltenen Anregungen und die weiterführenden Gespräche danke ich Herrn Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg sowie Herrn Prof. Dr. Ulrich Kühn, Herrn Prof. Dr. Martin Petzold und dem inzwischen Heimgegangenen Doz. Dr. Wolfgang Trilling wie auch meinem Hermannstädter Kollegen, Herrn Prof. Dr. Hans Klein. Besonders danke ich meinem Mentor, dem früheren Professor für Systematische Theologie und jetzigen Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Herrn D. Dr. Christoph Klein, Hermannstadt, der auch das Hauptgutachten erstellt hat. Für die Aufnahme der Schrift in die Reihe »Forschungen zur Systematischen und Ökumenischen Theologie« danke ich Herrn Prof. Dr. Wolfhart Pannenberg D.D. und Herrn Prof. Dr. Reinhard Slenczka. Ermöglicht wurde die Veröffentlichung dank der freundlichen Unterstützung durch Herrn Dr. Arndt Ruprecht, Leiter des Verlages Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, und durch die freundliche Übernahme der Druckkosten durch den Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT GmbH München, wofür ich meinen herzlichen Dank ausspreche.

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Mein besonderer Dank gilt auch Herrn o.Univ.Prof. Dr. Gottfried Adam sowie Herrn o.Univ.Prof. D.Dr. Hans-Christoph Schmidt-Lauber von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Erstellung der Druckvorlage und für alle Förderung und Hilfe.

Hermannstadt, Ostern 1995

Berthold W. Köber

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Inhalt

Einleitung

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Α. Erster Hauptteil: Einzeldarstellung des Problemverständnisses

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I. Karl Barth

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1. Zum Gesamtverständnis: Christologie und Versöhnung a) Voraussetzung der Versöhnung b) Inhalt der Versöhnung c) Seinsgrund der Versöhnung d) Der heilsgeschichtliche Rahmen 2. Sündlosigkeit und Fleischwerdung a) Sündlosigkeit als Gehorsam b) Sündlosigkeit als Gehorsamstat 3. Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi 4. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi und der Offenbarungscharakter des Versöhnungsgeschehens 5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi a) Bedeutung für die Versöhnung b) Bedeutung der Sündlosigkeit für den Gottesbegriff c) Bedeutung der Sündlosigkeit für das Verständnis des Menschseins

21 21 23 24 25 25 28 31 32

42

II. Paul Tillich

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1. Zum Gesamtverständnis 2. Der Mensch in der Entfremdung 3. Inhalt der Sündlosigkeit - das Neue Sein als Überwindung der Entfremdung 4. Seinsgrund der als Neues Sein verstandenen Sündlosigkeit

44 45

35 38 38 41

48 50

5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi

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III. Wolfhart Pannenberg

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1. Zum Gesamtverständnis

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2. Die Einheit Jesu mit Gott und seine Gottheit a) Der proleptische Vollmachtsanspruch b) Die Auferweckung c) Offenbarungsgegenwart und Wesenseinheit 3. Inhalt der Einheit Jesu mit Gott und seine Gottessohnschaft a) Hingabe b) Persongemeinschaft und Personidentität c) Enhypostasie und Freiheit Jesu 4. Sündlosigkeit Jesu - Implikat seiner Gottessohnschaft a) Erkenntnisgrund b) Inhalt c) Seinsgrund 5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu a) Bedingung der Heilsbedeutung des Todes Jesu b) Überwindung der Sünde im Sündenfleisch c) Erfüllung menschlicher Personalität

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IV. Hendrikus Berkhof

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1. Zum Gesamtverständnis 2. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit a) Jesu Lebensweg b) Auferstehung 3. Inhalt der Sündlosigkeit: föderale Humanität 4. Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu 5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu

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V. Gerhard Ebeling

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1. Zum Gesamtverständnis a) Jesus Christus und die Versöhnung b) Ermöglichungsgrund der Versöhnung: die Menschwerdung Gottes c) Der Kreuzestod Jesu und die Versöhnung 2. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu 3. Inhalt der Sündlosigkeit Jesu a) Negativ: Freisein von Sünde b) Positiv: Freiheit zum Sünder c) Hingabe für die Sünde 4. Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu

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10

55 55 56 57

78 81 83 84 84 84 85 87

5. Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu a) Sündlosigkeit als Bedingung und Inhalt der Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu b) Sündlosigkeit als Erkenntnisgrund der Sünde

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B. Zweiter Hauptteil: Kritische Gegenüberstellung

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I. Vergleichende Darstellung

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1. Der Ansatz 2. Inhalt der Sündlosigkeit a) Das ontische Verständnis (Tillich) b) Das relationale Verständnis (Berkhof) c) Das personale Verständnis (Pannenberg) d) Das funktionale Verständnis (Ebeling) e) Das dialektische Verständnis (Barth) 3. Seinsgrund 4. Erkenntnisgrund 5. Bedeutung a) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk b) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für das Verständnis des Menschen c) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für den Gottesbegriff d) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für das Verständnis der Sünde II. Sündlosigkeit und Zweinaturenlehre im Verständnis der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche 1. Zum Gesamtverständnis der Christologie der BSLK 2. Der Mensch und die Sünde a) Der Mensch coram Deo b) Das Wesen der Erbsünde c) Folgen des Stehens unter der Sünde 3. Jesu Heilswerk und die Zweinaturenlehre a) Jesu Christi Person und sein Heilswerk b) Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi c) "Propter Christum"

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4. Das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi a) Ermöglichungsgrund b) Gerechtigkeit - als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi c) Seinsgrund d) Bedeutung

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III. Kritische Untersuchung

144

1. Der Ansatz a) Inkarnation b) Die menschliche Situation c) Das irdische Dasein Jesu Christi 2. Inhalt a) Sündlosigkeit als Sein (Zustand) b) Sündlosigkeit als Relation c) Sündlosigkeit als Funktion der Person d) Sündlosigkeit als Jesu Werk e) Sündlosigkeit als dialektische Einheit 3. Seinsgrund a) Das anhypostatische Verständnis: impeccabilitas b) Das enhypostatische Verständnis: impeccantia 4. Erkenntnisgrund 5. Bedeutung a) Bedingung und Inhalt des Heils Werkes Jesu Christi b) Erfüllung der Bestimmung des Menschen c) Aufnahme des Gehorsams in den Gottesbegriff d) Radikalisierung des Verständnisses der Sünde

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C. Schlußteil: Sündlosigkeit als Gerechtigkeit. Entwurf eines Neuverständnisses von Sündlosigkeit und Menschsein

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1. Der Grund des Bekenntnisses der Sündlosigkeit Jesu Christi 2. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi 3. Der Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi 4. Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi 5. Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi a) für das Heilswerk b) für das Verständnis des Menschseins

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Literaturverzeichnis

215

12

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Einleitung

Im theologischen Gespräch der Gegenwart ist die noch im 19. Jahrhundert lebhaft diskutierte Frage der Sündlosigkeit Jesu kein Gegenstand besonderen Interesses, wiewohl sie an Aktualität kaum verloren haben dürfte. 1 Außer der Behandlung, die sie im Rahmen repräsentativer Dogmatiken wie die von Karl Barth, Paul Tillich, Gerhard Ebeling und Hendrikus Berkhof und in der Christologie von Wolfhart Pannenberg erfahren hat, ist sie meines Wissens in einem einzigen Aufsatz thematisiert und darin, wie schon sein Titel »Wider das Dogma von der Sündlosigkeit Jesu«2 zum Ausdruck bringt, abgelehnt worden. Als Einstieg in die Problematik sei kurz auf ihn eingegangen. Da die Lehre von der Sündlosigkeit Jesu "für den heutigen Menschen erledigt" sei (wer ist das überhaupt?), versucht Theodor Lorenzmeier in dem genannten Aufsatz sie mit exegetischen, dogmatischen und weltanschaulichen Argumentationen zu widerlegen. Aufgrund einer - freilich nicht unvoreingenommenen - Exegese der theologisch umstrittenen Stellen Mk 1,9 und Mk 10,17f., des seinem Verhalten zugrundeliegenden Existenzverständnisses Jesu sowie einer Untersuchung der Funktion der Sündlosigkeit Jesu innerhalb der paulinischen Theologie kommt Lorenzmeier zum Schluß, daß das Dogma von der Sündlosigkeit gerade in theologischem Interesse, und zwar um des wahren Menschseins Jesu willen preisgegeben werden müsse, da das wirkliche Menschsein doch gerade durch das Sündersein charakterisiert sei. Diese Argumentationen vermögen jedoch nicht zu überzeugen, denn Lorenzmeier huldigt dabei einem rein moralisch-ethischen Verständnis der

Bezeichnend dafür ist, daß weder Jürgen Moltmann (siehe: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Jesu Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1972, und ders., Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989) noch Eberhard Jüngel (siehe: Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 4 1982), um nur diese beiden bedeutenden Theologen der Gegenwart zu nennen, die zu verschiedenen theologischen Fragen ganz Wesentliches gesagt haben, sich mit der Frage der Sündlosigkeit Jesu befassen, weswegen sie in dieser Untersuchung unberücksichtigt bleiben mußten. 2 Erschienen in: ZThK 68/1971, S. 452ff.

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Sünde und der Sündlosigkeit und läßt sich zudem von einer Anschauung leiten, derzufolge 1. Geschöpflichkeit und Sündersein des Menschen koinzidieren, 2. Sünde und Sündlosigkeit "Kategorien historischer Forschung" (sie!) sind, und 3. nur derjenige mit dem Sünder solidarisch sein kann, der sich selbst als Sünder weiß. 3 Helmut Gollwitzer hat in seiner Antwort, »Zur Frage der Sündlosigkeit Jesu«, Lorenzmeier in aller Entschiedenheit widerlegt. 4 Gerade weil die Frage der Sündlosigkeit Jesu gegenwärtig wenig diskutiert wird 5 , dürfte es gerechtfertigt sein, sie zum Gegenstand einer theologischen Untersuchung zu machen, zumal sie im Neuen Testament vielfach bezeugt ist und ihr nach wie vor eine wesentliche Bedeutung für die Theologie zukommt. Ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis der Sündlosigkeit Jesu zu seinem Menschsein hat es sich die vorliegende Schrift zur Aufgabe gestellt, das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu in der protestantischen Theologie der Gegenwart darzustellen und kritisch zu untersuchen, um durch die Folgerungen und Ergebnisse einen Beitrag zum Neuerarbeiten des Verständnisses der Sündlosigkeit zu liefern. Diesem Anliegen soll die Gesamtkonzeption dieser Arbeit Rechnung tragen. Die Sündlosigkeit Jesu Christi wird in der Gegenwart unterschiedlich verstanden und interpretiert, wie das aus der Darstellung ihres Verständnisses bei fünf Vertretern der gegenwärtigen protestantischen Theologie hervorgeht. Es wurden diejenigen herangezogen, die zu dieser Frage Entscheidendes gesagt haben und die gleichzeitig eine bestimmte theologische Richtung vertreten, die also in dieser doppelten Hinsicht repräsentativ sind. Dem trägt der erste Hauptteil dieser Schrift dergestalt Rechnung, daß dort das jeweilige Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi gesondert nach seinem Vertreter dargestellt wird. Dabei wird das Sündlosigkeitsverständnis jeweils aus der christologischen Gesamtkonzeption heraus nach bestimmten Gesichtspunkten erarbeitet. Die Darstellung muß dem unterschiedlichen Verständnis in ihrem Aufbau Rechnung tragen; sie erfolgt jedoch aufgrund bestimmter Schwerpunkte, die dann immer wiederkehren. Es sind dies der christologische Gesamtzusammenhang, der Erkenntnisgrund, der Inhalt und die Bedeutung des jeweiligen Verständnisses. Dabei beschränken wir uns jedoch nicht auf die Darstellung und Untersuchung des Verständnisses an sich und auf seine Funktion innerhalb der

3

Vgl. ebd., S. 452ff. Erschienen in: ZThK 68/1971, S. 496ff., siehe die dortigen Ausführungen. 5 Aus diesem Grund gibt es auch kaum Sekundärliteratur, die dazu hätte herangezogen werden können. 4

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jeweiligen christologischen Konzeption, denn von ganz wesentlicher Bedeutung für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi ist die Frage nach ihrem Seinsgrund, die unmittelbar zur Zweinaturenlehre führt und mit ihr zusammenhängt. Diese Lehre, derzufolge Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch in der Einheit seiner Person ist, ist das Grundbekenntnis der Christologie. 6 Besondere Aufmerksamkeit wird den spezifischen Fragen, die sich aus dem Zusammenhang der Sündlosigkeit Jesu Christi mit der Zweinaturenlehre ergeben, geschenkt. Welches ist das Verhältnis seines wahren Gottseins bzw. seines wahren Menschseins zu seiner Sündlosigkeit? Ist er sündlos, weil er wahrer Gott ist, oder ist er wahrer Gott, weil er sündlos ist? Wird durch seine Sündlosigkeit sein wahres Menschsein in Frage gestellt, oder ist er gerade als der Sündlose der wahre Mensch? Inwieweit ist seine Einheit als wahrer Gott und wahrer Mensch von Bedeutung für die Interpretation seiner Sündlosigkeit? Diese Fragen hängen gleichzeitig mit einem ganz bestimmten formalen Verständnis der Sündlosigkeit zusammen; bezeichnet sie die prinzipielle Unfähigkeit zur Sünde oder sein faktisches Nichttun von Sünde? Die klassische Christologie unterscheidet demgemäß zwischen der impeccabilitas und der impeccantia, die mit Augustinus folgendermaßen zu definieren sind: "non posse peccare" bezeichnet die Unfähigkeit zur Sünde, die impeccabilitas, während die faktische impeccantia als "posse non peccare" bestimmt wird. Demgegenüber ist das den Menschen Kennzeichnende das "non posse non peccare", seine Unfähigkeit, nicht zu sündigen. 7 Welches sind aber die Implikationen, die sich daraus für das Verständnis des Menschseins hinsichtlich der Frage des Subjekts der Sündlosigkeit ergeben? Ausgehend von der Frage nach der die göttliche und die menschliche Natur in sich vereinigenden Person Jesu Christi entwickelte die klassische Christologie die Lehre von der Anhypostasie/Enhypostasie, derzufolge der selbständig existierende Sohn Gottes die an sich nicht selbständig existierende, iwhypostatische menschliche Natur in die Einheit seiner Person aufgenommen hat, innerhalb deren sie enhypostatisch ist, d.h. ihr Subjekt ist die göttliche Person Jesu Christi. 8 Die Implikationen dieser Lehre werden hinsichtlich der Frage nach dem Subjekt der Sündlosigkeit aktuell. 9 Die

6 Siehe dazu Reinhold Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte II, S. 240ff., sowie Alfred Adam, Dogmengeschichte I, S. 334ff. 7 Augustinus, in: De libero arbitrio, 111,36 - MPL 32, bzw. De correptione et gratia, XII,33 - MPL 44, S. 936. 8 Siehe Anmerkung 6. 9 In seiner vor kurzem erschienenen Christologie »Der auferweckte Gekreuzigte« zählt I.U. Dalfert die Lehre von der Sündlosigkeit Jesu (neben der Lehre von der

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vorliegende Untersuchung hat all diese Fragen ernst zu nehmen und wird darauf zu antworten haben. Der zweite Hauptteil unternimmt einen kritischen Vergleich der im ersten Hauptteil dargestellten Auffassungen und umfaßt drei Kapitel. Die Vergleichende Darstellung, die das I. Kapitel bietet, wird aufgrund der bereits im ersten Hauptteil zum Tragen gekommenen Schwerpunkte durchgeführt und stellt die zwischen den einzelnen Auffassungen bestehenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Zusammenhang heraus und bemüht sich um eine Erklärung derselben von der jeweiligen Gesamtkonzeption her. Das II. Kapitel erarbeitet das in den Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche enthaltene Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi, damit dann im III. Kapitel aufgrund der dabei gewonnenen Ergebnisse die kritische Auseinandersetzung mit den im ersten Hauptteil dargestellten und im I. Kapitel des zweiten Hauptteiles in Zusammenschau behandelten Auffassungen der Sündlosigkeit Jesu Christ durchgeführt werden kann. Im Schlußteil der Arbeit wird aufgrund der Folgerungen, die sich aus der kritischen Untersuchung für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi ergeben haben, sowie unter besonderer Berücksichtigung des neutestamentlichen Zeugnisses der Versuch unternommen, das Verständnis der Sündlosigkeit anhand der bereits in den beiden Hauptteilen zum Tragen gekommenen Schwerpunkte neu zu entwerfen, wobei der Frage nach dem Verhältnis der Sündlosigkeit Jesu zu seinem Menschsein besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das Ersetzen des substanzontologischen Interpretationsrahmens der Zweinaturenlehre, der notwendigerweise in Aporien führt, durch ein relationales Denkschema ermöglicht ein Neuverständnis der Sündlosigkeit Jesu, das nicht nur sein volles Menschsein wahrt, sondern auch dessen konstitutive Beziehungszusammenhänge ernst nimmt, in denen er ja gerade seine Sündlosigkeit lebt.

Unsterblichkeit sowie vom freiwilligen Gehorsam Jesu) zu den sekundären und tertiären Lehrbildungen, deren Problem darin besteht, daß sie "vor allem Konsequenzen der substanzontologischen Auslegung des Perspektivenschemas der Zwei-Naturen-Lehre in Verbindung mit einer problematischen realistischen Semantik" sind. Jesus ist von der Erbsünde nicht tangiert und des Sündigens nicht fähig, wenn seine menschliche Natur anhypostatisch gedacht wird, was aber zu einer Verkürzung seiner Menschheit führt. (Siehe S. 145f., Zitat S. 146.) Demgegenüber ist festzuhalten, daß das bereits im neutestamentlichen Zeugnis enthaltene Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu (siehe unsere Ausführungen S. 173ff.) innerhalb des christologischen Grundbekenntnisses der Zweinaturenlehre interpretiert werden kann, ohne daß dadurch sein wahres Menschsein verkürzt wird, indem das substanzontologische Denkschema durch ein relationales ersetzt wird, wie das im Schlußteil dieser Schrift (S. 191ff.) geschieht.

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Der eigentlichen Behandlung des Themas muß vorausgeschickt werden, daß die Sündlosigkeit Jesu Christi in der Gegenwart vor allem theologischdogmatisch begriffen wird. Sie besteht diesem Verständnis zufolge nicht in seiner "ethischen Reinheit" und "sittlichen Hoheit", in der "Untadeligkeit seines sittlichen Verhaltens", wie das vor allem von der sogenannten liberalen Theologie des 19. Jhs. vertreten wurde 10 , sondern in seiner Übereinstimmung mit Gott, in seinem Gehorsam und in seiner Hingabe an Gott. Ein sittlich-ethisches Verständnis der Sündlosigkeit setzt einen oberflächlichen Begriff von Sünde in dem Sinn voraus, daß sie als sittliche Verfehlung, als Tat und nicht als die Grundverfassung des ichbezogenen und gegen Gott verschlossenen menschlichen Seins begriffen wird. 1 1 Von daher betrachtet, stellt das theologische Verständnis der Sündlosigkeit, das j a mit einem theologischen Verständnis der Sünde zusammenhängt, einen großen Fortschritt gegenüber dem ethisch-sittlichen Verständnis dar, der dankbar zur Kenntnis genommen werden kann. Die vorliegende Arbeit möchte keine Monographie über das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi, sondern eine nach bestimmten Gesichtspunkten unternommene systematische Behandlung des Themas sein, die als Darstellung und kritische Auseinandersetzung durchgeführt, zur neuerlichen Befassung mit der Frage der Sündlosigkeit in ihrer Bedeutung und ihren Implikationen für Theologie und Anthropologie anregen möchte.

10 Siehe etwa die ausführliche Monographie von C. Ullmann Über die Sündlosigkeit Jesu (Hamburg, 2. Aufl. 1833), die die gesamte theologische Entwicklung im 19. Jh. über A. Ritsehl bis zu W. Herrmann nachhaltig beeinflußt hat. Das folgende Zitat aus Ullmanns Monographie bietet eine gute Zusammenfassung seiner dort vorgetragenen Ansichten: "Überblicken wir den Gang des Bisherigen, so legt der Haß seiner Feinde, das Betragen der Gleichgültigen, das Bekenntniß des Verräthers, die unauslöschliche, mit dem Tode besiegelte Liebe und Verehrung der Freunde, und endlich das erhabenste Selbstbewußtseyn Jesu ein Zeugniß für seine sittliche Hoheit und heilige Reinheit ab, wie es die Geschichte über keinen andern Menschen ausspricht; dieses Zeugniß wird besiegelt durch die sittlichen Wirkungen einziger Art, die von Jesu ausgingen, und sich auch für uns noch in lebendiger Erfahrung gewähren, durch die Angemessenheit der sittlich vollendeten Erscheinung Jesu zu den tiefsten, außerdem unbefriedigten Bedürfnissen unseres Geistes und Herzens, durch das eigenthümliche Verhältniß, in welchem das Christenthum vermöge der Idee der Sündlosigkeit zu andern Religionen steht, und durch die tadellose Reinheit der Sittenlehre des Evangeliums. Diese historisch und innerlich wohlbegründete Überzeugung droht uns jedoch der Zweifel durch mehrfache Einwürfe zu rauben . . . " (S. 66f.) Eine gute Übersicht über diese Entwicklung bietet W. Pannenberg in: Grundzüge der Christologie, S. 373ff.

"

Vgl. dazu W. Pannenberg, ebd., S. 375f.

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Α. Erster Hauptteil Einzeldarstellung des Problemverständnisses

I. Karl Barth

1. Zum Gesamtverständnis: Christologie und Versöhnung a) Voraussetzung der Versöhnung Das rechte Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der wesentlich als Versöhnungslehre konzipierten Christologie Karl Barths. Ihren Ausgangspunkt hat die Christologie, die im Wesen die Antwort auf die Frage "Wer ist Jesus Christus?" ist, in dem zentralen neutestamentlichen Satz Joh 1,14 "Das Wort ward Fleisch". Mit diesem Wort Gottes identisch ist Jesus Christus, der Sohn Gottes, der als solcher wahrer Gott ist.1 Als wahrer Gott wird dieses Wort Fleisch, d.h. es wird wahrer und wirklicher Mensch mit allem, was zum Wesen und Dasein des Menschen gehört2, ohne daß es dabei aber aufhört, das Wort zu sein. Die Fleischwerdung (Inkarnation) des Wortes ist also "keine Verwandlung seines eigenen Wesens und seiner eigenen Seinsweise als das göttliche Wort in das Wesen und die Seinsweise einer Kreatur", sondern es wurde "ohne aufzuhören das zu sein, was es zuvor war, zugleich das, was es zuvor nicht war und nun in der Tat war: ein Mensch, dieser Mensch". 3 Dieses heißt, daß Jesus Christus, der in seiner Identität mit dem Worte Gottes als Gottes Sohn wahrer Gott ist, infolge der Inkarnation zugleich auch wahrer Mensch ist.4 Diese durch die Inkarnation zustandegekommene

Vergleiche dazu Karl Barth, Kirchliche Dogmatik (im folgenden abgekürzt wiedergegeben mit "KD"), Bd. 1/2, S. 145f. 2 Vgl. KD 1/2, S. 161: "Daß das Wort Fleisch ward, das bedeutet zunächst allgemein: es ward Mensch, und zwar wahrer und wirklicher Mensch, teilhaftig desselben menschlichen Wesens und Daseins, derselben menschlichen Natur und Gestalt, derselben Geschichtlichkeit, die auch die unsrige ist", und zwar so, "daß alles, was dem Menschen als Menschen zuzuschreiben ist - geschöpfliche Existenz als individuell einmalige Einheit von Leib und Seele in der zwischen Geburt und Tod beschlossenen Zeit - nun auch von Gottes ewigem Sohn zu sagen ist". 3 KD 1/2, S. 150 bzw. 164. 4 Vgl. dazu KD 1/2, S. 164, und dort im besonderen: '"Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch' heißt nicht, daß in Jesus Christus Gott und ein Mensch neben-

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Einheit ist im Verständnis Barths die Voraussetzung fur alle weiteren christologischen Überlegungen. 5 Daraus folgt, daß die Inkarnation der Ermöglichungsgrund und als solcher zugleich Voraussetzung der Christologie ist. Diese Inkarnation ist nicht um ihrer selbst willen oder aus einer innergöttlichen Notwendigkeit heraus erfolgt, sondern sie ist um des Menschen willen geschehen, der Gott "als seinen Schöpfer verleugnet und damit sich selbst als sein Geschöpf ins Verderben gestürzt hat". 6 Gott aber wollte diesen, in stetigem Widerspruch zu ihm lebenden Menschen nicht preisgeben, "er setzte seine Ehre eben darein, gerade dieses Geschöpf nicht ausfallen zu lassen, den Bundbrecher nicht mit Aufhebung des Bundes zu bestrafen", sondern "den sündigen Menschen dennoch und nun erst recht zu lieben, seinem Ziel entgegenzuführen und also seiner Treue keine Grenzen zu setzen" ? Dieses ist erfolgt im Geschehen der in und durch Jesus Christus stattgefundenen Versöhnung des Menschen mit Gott. Die Inkarnation ist also nur um dieser Versöhnung willen geschehen, ja, sie ist selbst die Versöhnung im Vollzug. 8 Da die Inkarnation - und als solche die Versöhnung - in Jesus Christus geschehen ist, folgt daraus, daß sein Sein als wahrer Gott und wahrer Mensch in diesem Geschehen besteht: "Jesus Christus ist also nicht, was er ist - wahrer Gott, wahrer Mensch, wahrer Gottmensch - um dann als solcher auch noch etwas zu bedeuten, zu tun und auszurichten, was nun eben die Versöhnung wäre. Sondern in der von ihm vollbrachten Tat der Versöhnung des Menschen mit Gott besteht auch sein Sein als Gott, als Mensch, als Gottmensch." 9

einander wirklich waren, sondern es heißt, daß Jesus Christus, der Sohn Gottes und also selber wahrer Gott, auch ein wahrer Mensch ist." 5 Vgl. dazu KD 1/2, S. 144: Der Satz "Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch" ist "die Voraussetzung, von der alles weitere Nachdenken auszugehen hat ... Diese Voraussetzung aber ist insofern eine echte, eigentliche Voraussetzung, als sie nicht von einer anderen überboten, von einer höheren Voraussetzung aus begründet und dann vielleicht doch auch angefochten werden kann." 6 KD IV/1, S. 1 (Leitsatz). 7 K D I V / l . S . 84. 8 Vgl. KD IV/1, S. 140: "Die Versöhnung des Menschen mit Gott geschieht darin, daß Gott selbst handelnd auf den menschlichen Plan tritt, seine Sache mit dem Menschen, gegen und für ihn, die Sache des Bundes also, selbst in die Hand nimmt und das so, daß er selbst Mensch wird." 9 KD IV/1, S. 138f.

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b) Inhalt der Versöhnung Welches ist der Inhalt dieses Versöhnungsgeschehens? Darauf ist mit Barth zu antworten: Der Inhalt dieses Geschehens ist wiederum Jesus Christus. Wohl gilt, daß das Sein Jesu Christi in diesem Geschehen der Versöhnung besteht. Es gilt in gleicher Weise aber auch das Umgekehrte: Jesu Christi Sein ist diese Versöhnung10, und das heißt nichts anderes, als daß Jesus Christus eben in seinem Sein der Inhalt der Versöhnung ist.11 Der Inhalt des Versöhnungsgeschehens wird von Barth unter den drei verschiedenen Aspekten des Seins Jesu Christi entfaltet: 1. Jesus Christus ist wahrer Gott. Die Versöhnung geschieht darin, daß Gott selbst handelnd, in Jesus Christus Mensch wird, sich selbst erniedrigt, indem er sich in das Elend des menschlichen Geschöpfes begibt, dessen Dasein und Situation auf sich nimmt, das Gericht, unter dem es steht, über sich ergehen läßt und seinen Tod stirbt.12 In dieser Herablassung, in der er, der Herr, zum Knecht wird13, liegt das Geheimnis dessen beschlossen, daß er gerade als der sich selbst Erniedrigende wahrer Gott ist und darin diese seine wahre Gottheit und Gottessohnschaft offenbart und bewährt. Im Umfeld dieses Aspektes wird die Frage der Sündlosigkeit Jesu Christi aktuell. 2. Jesus Christus ist wahrer Mensch. Die Versöhnung geschieht in der Person eines allen Bedingungen der menschlichen Situation restlos unterworfenen Menschen, in dem, weil er kraft seiner wahren Gottheit dasselbe, was wir sind, zugleich ganz anders ist, die Umkehrung des Menschen und seine Erhöhung zu Gott Ereignis geworden ist.14 In dieser Erhöhung, in der er, der Knecht, zum Herrn

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Vgl. dazu auch KD IV/1, S. 172: "Wer Versöhnung sagt, sagt Jesus Christus." " Vgl. dazu KD IV/1, S. 138: "Das Sein Jesu Christi, das Einssein des lebendigen Gottes und dieses lebendigen Menschen findet statt im Ereignis der konkreten Existenz Gottes und der konkreten Existenz dieses Menschen. Es ist ein Sein, aber ein Sein in einer Geschichte ... Und eben das, was in dieser Geschichte und also im Sein Jesu Christi als solchem geschieht, ist die Versöhnung." 12 Vgl. dazu und zum folgenden KD IV/1, S. 140ff. 13 Barth behandelt diesen Aspekt des Versöhnungsgeschehens bezeichnenderweise unter dem umfassenden Titel: Jesus Christus, der Herr als Knecht (KD IV/1, S. 171; siehe auch S. 148). 14 Vgl. dazu ausführlich KD IV/1, S. 143ff.

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wird15, ist er der wahre Mensch, der "an dem Sein und Leben, an der Herrschaft und Tat Gottes teilnehmende, ihn ehrende und bezeugende Mensch, der als solcher aller anderen Menschen Haupt, Vertreter und Heiland ist."16 3. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Jesus Christus ist der sich selbst erniedrigende und so den Menschen mit sich selbst versöhnende Gott und als der von Gott erhöhte und so mit ihm versöhnte Mensch, wahrer Gott und wahrer Mensch in der Einheit seiner Person und als solcher Bürge und Zeuge der Versöhnung.17 c) Seinsgrund der Versöhnung Da Barth zufolge die Versöhnung des Menschen mit Gott darin geschieht, daß Gott selbst der Handelnde ist18, und zwar in Jesus Christus, so ist Gott das Subjekt dieses Geschehens. Jesus Christus ist also insofern wahrer Gott, als in ihm Gott als der Handelnde Mensch wird und dadurch den Menschen mit sich selbst versöhnt. An diesem Subjektsein Gottes hängt die Wirklichkeit und Wahrheit des ganzen Versöhnungsgeschehens.19 "Also das ist die Wirklichkeit Jesu Christi: Gott selbst in Person ist handelnd gegenwärtig im Fleische. Gott selbst in Person ist Subjekt eines wirklichen menschlichen Seins und Handelns. Und so gerade, indem Gott sein Subjekt ist, so und nicht anders ist dieses Sein und Handeln wirklich."20 Als das Subjekt des Versöhnungsgeschehens ist Gott dessen Seinsgrund.

15 Dieser Aspekt des Versöhnungsgeschehens wird von Barth unter dem umfassenden und bezeichnenden Titel Jesus Christus der Knecht als Herr behandelt (KD IV/2, S. 1; siehe auch IV/1, S. 148). 16 Vgl. dazu Leitsatz § 64 Die Erhöhung des Menschensohnes , KD IV/2, S. 1. 17 Die Einheit dieses Versöhnungsgeschehens ist in der Einheit der Person und Existenz Jesu Christi begründet. Barth behandelt diese Einheit in ihrer Bedeutung im III. Teil seiner Versöhnungslehre unter dem Titel: Jesus Christus - der Mittler (KD IV/3, S. 1). 18 Vgl. bsd. KD IV/1, S. 140. 19 Vgl. dazu KD IV/1, S. 216: "Ein anderer und geringerer als der eine wahre Gott wäre in dieser Sache kein legitimiertes, handlungsfähiges Subjekt", und auch S. 211: "Der die Welt mit Gott versöhnt, muß der eine Gott selber in seiner wahren Gottheit sein. Sonst würde sie nie mit Gott versöhnt. Sonst ist und bleibt sie die mit Gott unversöhnte Welt." Ähnlich auch S. 217, 199 u.a. 20 KD 1/2, S. 165. Ähnl. auch S. 147 und 164, 170; KD III/2, S. 57 und auch KD IV/1, S. 138 und bes. 140f. usw.

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d) Der heilsgeschichtliche Rahmen Der heilsgeschichtliche Rahmen, von dem her und innerhalb dessen Barth die Versöhnung in ihrer Notwendigkeit begreift, ist die Bundesgeschichte Gottes mit dem Menschen. Gott hat sich in seiner Freiheit darin beschränkt, daß er den Menschen, sein Geschöpf, zu seinem Partner erwählt, indem er mit ihm einen Bund geschlossen hat.21 Da der Mensch aber auf Gottes Treue damit antwortet, daß er durch seinen Ungehorsam den Bund gebrochen und sich dadurch in die Gottesferne und Gottesfeindschaft begeben und sich in Widerspruch zu Gott gestellt hat, was aber nichts anderes als die Sünde ist22, bedarf der Mensch, um nicht unter Gottes Zorn vergehen zu müssen, der Wiederherstellung dieses Bundes. Weil der Mensch aber infolge seiner Geschöpflichkeit und Sünde unfähig ist, von sich aus den gebrochenen Bund wieder aufzurichten, mußte Gott selbst dafür sorgen, und zwar durch das Geschehen der Versöhnung, die als Erfüllung und Wiederaufrichtung des Bundes durch die Existenz des einen gehorsamen Bundespartners, Jesus Christus, zustande gekommen ist. "Er ist die Versöhnung als die Erfüllung des Bundes."23

2. Sündlosigkeit und Fleisch werdung Im Verständnis Barths ist die Inkarnation insofern der Ermöglichungsgrund der Versöhnung und somit der Christologie überhaupt, als sie das Geschehen ist, in dem das Sein Jesu Christi in seiner Einheit als wahrer Gott und wahrer Mensch besteht und das als solches das Versöhnungsgeschehen des Menschen mit Gott ist. Inkarnation bedeutet, daß das Wort Gottes in seiner Identität mit dem Sohn Gottes als wahrer Gott Fleisch wird, d.h. es wird wahrer und wirklicher Mensch mit allem, was zum Wesen und Dasein des Menschen gehört: Geschöpflichkeit, Leiblichkeit, Geschichtlichkeit, Vergänglichkeit, was den Menschen im allgemeinen zum Menschen macht.24 Jedoch trägt das Sein des wirklichen Menschen noch ein besonderes Kennzeichen: Es ist seiner Unfähigkeit wegen, Gott zu erkennen und zu lieben, sündig und daher, als unter Gottes Urteil und Gericht stehend, dem Zorn Gottes und dem Tod verfallen. "Fleisch ist die konkrete Gestalt der menschlichen Natur unter dem Zeichen

21 22 23 24

Vgl. dazu KD IV/1, S. 22ff. Vgl. bes. KD IV/1, S. 154, aber auch 22ff. Ebenda, S. 134, Ähnl. auch 145, 152 usw. Siehe auch KD IV/2, S. 148. Vgl. dazu S. 21, Anm. 2.

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von Adams Fall, die konkrete Gestalt ... des /erstörten, erst wieder mit Gott zu versöhnenden Menschenwesens und Menschendaseins." 25 Im Blick auf dieses besondere (Fleisch-)Sein des Menschen muß gefragt werden, ob die Inkarnation des Wortes Gottes in ihrem Vollzug dieses unser konkretes Sein mit einschließt oder - was eher anzunehmen ist - vielmehr ausschließt. Da die Wirklichkeit der Versöhnung wie am wahren Gottsein so auch am vollen Menschsein Jesu Christi hängt, kann die Menschwerdung Jesu Christi nur Fleischwerdung in diesem ganz konkreten Sinn sein. Jesus Christus ist als das Wort Gottes nicht Mensch in irgendeinem allgemeinen Sinn von Menschsein geworden, sondern ein Mensch wie alle anderen Menschen, und zwar unter der Voraussetzung des Sündenfalls26, und hat diese besondere Existenz , des Menschen, der als im Widerspruch zu Gott Sünder ist und unter Gottes Zorn und Verdammungsurteil steht, vorbehaltlos zu seiner eigenen gemacht. 27 "Gottes Sohn nahm nicht nur unser Wesen an, sondern trat ein in die konkrete Gestalt unseres Wesens, in der wir selbst vor Gott stehen, nämlich als die Verdammten und Verlorenen. "28 Die völlige Gleichheit Jesu Christi mit uns Menschen umfaßt also sein Eintreten in die Gleichheit des Fleisches der Sünde.29 Die Wirklichkeit der Versöhnung hängt am vollen Menschsein Jesu Christi, an seiner völligen und vorbehaltlosen Gleichheit mit den Menschen, denn "die Selbsterniedrigung Gottes in seinem Sohn würde ihn ja nicht wirklich zu uns führen, gerade das Tun also, in welchem wir seine wahre Gottheit und Jesu Christi Gottessohnschaft erkennen, wäre ja nicht echt und wirklich, der demütige Gehorsam Jesu Christi wäre ja nicht geleistet, der Wille seines Vaters also nicht erfüllt, ... wenn es in Sachen seiner Solidarität mit uns ... irgendeinen Vorbehalt gäbe." 30

25

KD 1/2, S. 165. Vgl. dazu KD 1/2, S. 167: "Die heilsame Wahrheit darf also nicht abgeschwächt und verdunkelt werden, daß die Natur, die Gott in Christus angenommen hat, identisch ist mit unserer Natur unter Voraussetzung des Sündenfalls. Wäre es anders, wie wäre Christus dann wirklich unseresgleichen? Was ginge er uns dann an? So, im Zeichen des Sündenfalls, stehen wir vor Gott." 27 Vgl. dazu KD 1/2, S. 165: Er ist ein Mensch wie wir, uns gleich als Geschöpf, als ein menschliches Individuum, aber uns gleich auch in der Verfassung und Lage, in die uns unser Ungehorsam gebracht hat. 28 KD 1/2, S. 167. 29 Vgl. dazu KD II/1, S. 447. 30 KD IV/1, S. 236. Vgl. dazu auch KD 1/2, S. 166: "Damit daß das Wort nicht nur ewiges Gotteswort, sondern als solches auch 'Fleisch' ist: Alles, was wir sind, und ganz so, wie wir sind im Gegensatz zu ihm - eben damit und nur damit ist es auf dem Wege zu uns und uns zugänglich." 26

26

Wohl wird Jesus Christus, der Sohn Gottes, dasselbe wie wir ohne jeden Vorbehalt. Da er aber als wahrer Gott Fleisch wird und dieses sein Gottsein dabei nicht hinter sich läßt31, ist er, indem er "dasselbe wird, was wir sind ... dasselbe ganz anders als wir." In diesem seinem Menschsein unterläßt er, was wir tun, und tut das, was wir unterlassen. 32 "Er tut in unserer Verfassung und Situation nicht das, was diese Verfassung und Situation begründet und geschaffen hat und was wir in dieser Verfassung und Situation immer wieder tun. "33 Er tut keine Sünde, und er kann es auch gar nicht tun, denn als wahrer Gott kann er sich ja nicht gegen sich selber auflehnen und in Widerspruch zu sich selber stehen; er ist also als der wahre Gott wahrer Mensch, und er ist es sündlos. "Unser unheiliges Menschsein ist, angenommen und aufgenommen durch das Wort Gottes, ein geheiligtes und also sündloses Menschsein." 34 Diesen in seiner Sündlosigkeit bestehenden Unterschied zwischen Jesus Christus und unserem Menschsein empfindet Barth aber nicht als Infragestellung der völligen Gleichheit und des wahren Menschseins mit uns, denn "zum wahren Menschsein gehört als solchem ja weder unter dem Gesichtspunkt seiner Schöpfung noch auch unter dem Gesichtspunkt, daß es auf Grund des Sündenfalls 'Fleisch' ist, das Tun der Sünde als solches." 35 Für Barth besteht der Sinn der Fleischwerdung gerade darin, daß jetzt im Fleisch nicht das getan wird, was alles Fleisch tut.36 Im Sinne unserer bisherigen Ausführungen stellt sich die Sündlosigkeit Jesu Christi im Verständnis von Barth als das in seinem wahren Gottsein begründete faktische Nicht-Tun von Sünde dar. Dieses bedarf nun aber der näheren Ausführung, die im folgenden anhand der Frage nach der positiven Bestimmung der Sündlosigkeit, was aber nichts anderes als die Bestimmung ihres Inhaltes ist, unternommen wird.

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Vgl. dazu KD IV/1, S. 202: Gott gibt sich hin, aber nicht weg und nicht auf, indem er Geschöpf, Mensch wird. Er hört darin nicht auf, Gott zu sein ... Er macht sich das Sein des Menschen im Widerspruch gegen ihn zu eigen, er macht ihn aber nicht mit ..." Ähnlich auch ebd., S. 173, 200. 32 Vgl. dazu insges. KD 1/2, S. 170. Ähnl. auch KD IV/1, S. 143f. 33 KD 1/2, S. 170 34 Ebenda. 33 KD 1/2, S. 171. 36 KD 1/2, S. 170.

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α) Sündlosigkeit als Gehorsam Barth definiert: "Jesu Sündlosigkeit besteht ... darin, daß er sich zu dem Sinn der Fleischwerdung bekennt, das heißt, daß er anders als Adam ... nicht sein will wie Gott, sondern in Adams Natur sich zum Adamsein, zu der Verfassung und Situation des gefallenen Menschen vor Gott bekennt und den Zorn Gottes, der diesen Menschen treffen muß, trägt, nicht als Schicksal, sondern als einen gerechten notwendigen Zorn, daß er der Last dieser Verfassung und Situation nicht ausweicht, sondern ihre Bedingungen und Folgen auf sich nimmt. "37 Indem er dieses aber tut, erweist er sich darin als der Gehorsame. 38 Diese in seiner Fleischwerdung geschehene Selbsterniedrigung des Sohnes Gottes ist also im Verständnis Barths insofern ein Akt des Gehorsams gegenüber dem göttlichen Willen, als sie als solche von ihm vollauf bejaht und freiwillig bis zu ihrer letzten Konsequenz durchgehalten wird. Daher stellt Barth den ersten Teil seiner Versöhnungslehre, der die Selbsterniedrigung des Sohnes Gottes entsprechend dem ersten Aspekt des Versöhnungsgeschehens zum Gegenstand hat, unter den Titel »Der Gehorsam des Sohnes Gottes« ... 39 Der Gehorsam Jesu Christi ist als solcher aber der Ausdruck und zugleich der Inhalt seiner Sündlosigkeit. "Das ist gerade ... die Sündlosigkeit, der Gehorsam dieses einen Menschen, daß er sich als Gottes Sohn dessen nicht weigert, für uns alle dahingegeben zu werden und also an unsere, der Sünder Stelle zu treten. ,,4° Worin besteht demnach dieser Gehorsam, in welchem Jesus Christus die Selbsterniedrigung auf sich genommen, durchgehalten und vollendet hat? Dieser Gehorsam Jesu Christi besteht Barth zufolge darin, daß er (1) an die Stelle der Sünder getreten ist, daß er (2) dort das Rechte getan hat. (1) Jesus Christus ist darin der Gehorsame, daß er an die Stelle der Sünder getreten ist, an den Ort "wo wir zu Sündern, zu seinen Feinden werden, als

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KD 1/2, S. 172. Vgl. dazu bes. KD 1/2, S. 171: "Das ist der Gehorsam Jesu Christi, daß er nichts anderes, sondern mit allen Konsequenzen nur dies Eine wollte und war: Gott im Fleische, göttlicher Träger der Last, die der Mensch als Sünder zu tragen hat." 39 KD IV/1, S. 171 § 59. Vgl. dazu auch aus dem Leitsatz: "... Denn es geschah ... daß der ewige Sohn seinem ewigen Vater darin gehorsam wurde, daß er sich selbst dazu hergab und erniedrigte, des Menschen Bruder zu werden, sich neben ihn, den Übertreter, zu stellen, ihn damit zu richten, daß er sich selbst an seiner Stelle richten und in den Tod geben ließ" (ebd.). 40 KD IV/1, S. 261. Ähnl. auch S. 244, 284 usw. 38

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solche unter seiner Anklage und seinem Fluch stehen und unseren eigenen Verfall auf uns ziehen"41. (a) Jesus Christus ist als der Richter an unsere Stelle getreten. Ursprung und Wesen aller Sünde ist die Anmaßung des Menschen, sein eigener und des Nächsten Richter und also wie Gott zu sein, dem allein das Richteramt zukommt, sein eigenes Recht aufzurichten und dieses zum Maß zu machen, um andere zu verurteilen, sich aber selbst gerechtsprechen zu können.42 An diese unsere Stelle, wo wir als selbstangemaßte Richter und daher als Sünder unter Gottes Verdammungsurteil stehen43, ist Jesus Christus getreten, um als derjenige, dem allein in göttlicher Autorität das Richten zukommt, Gottes Recht wieder aufzurichten, indem er sich in Gehorsam dem göttlichen Gericht unterwirft und Gott gegen sich selbst Recht gibt.44 (b) Jesus Christus ist als der Gerichtete an unsere Stelle getreten. Indem Jesus Christus in Gehorsam an die ihm allein gebührende Stelle tritt, an der zu stehen wir uns selbst angemaßt haben, und im Gegensatz zu uns dasjenige tut, was dort zu tun ihm allein zukommt45, nimmt er das, was wir dort tun, in seine eigene Verantwortung46 und wird als der darin Sündlose der von Gott um dieser unserer Sünde willen, die nun die seine geworden ist47, verworfen, verurteilt, gerichtet.48

41

KD IV/1, S. 23f. Vgl. dazu KD IV/1, S. 241 bzw. 254. 43 Vgl. dazu KD IV/1, S. 242: "Da und so existiert der Mensch, der sein eigener Richter sein, sich selbst gerechtsprechen will, der eben darin in nuce alle Sünden begeht und eben darum von Gott als Unrechttäter gerichtet, verneint und verurteilt ist." 44 Vgl. zum Ganzen KD IV/1, S. 240-258, und i. bes. 254f. bzw. 244. 45 Vgl. dazu KD IV/1, S. 259: "Er tritt ganz gewiß nicht dazu an diese unsere Stelle, um auch das zu tun, was wir da tun. Er nimmt, indem er als Richter an unsere Stelle tritt, die Stelle ein, die ihm gebührt ... Er tut an unserer Stelle genau das Gegenteil von dem, was wir da zu tun pflegen. Er ist rein, fehlerlos, sündlos an dieser unserer Stelle." 46 Vgl. dazu ebd.: "Er handelt damit als Richter an unserer Stelle, daß er eben das, was wir an dieser Stelle tun, auf sich, auf seine eigene Verantwortlichkeit nimmt." Ähnl. auch S. 264f. 47 Vgl. dazu KD IV/1, S. 261: "Wenn etwas unerbittlicher Ernst ist, so ist es dies, daß Gott selbst sich in seiner ewigen Reinheit und Heiligkeit in dem allerdings sündlosen Menschen Jesus unserer üblen Sache in der Weise angenommen hat, daß er sie zu seiner eigenen machen wollte und gemacht hat." 48 Vgl. dazu überhaupt KD IV/1, S. 259-268. 42

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(c) Jesus Christus ist derjenige, der an unserer Stelle gelitten hat, gekreuzigt wurde und gestorben ist. Wenn Jesus Christus mit seinem Leiden und Sterben an unsere Stelle getreten ist, so heißt das nicht nur, daß er die Verantwortung für unsere Sünde übernommen hat, sondern daß er als der für uns Verurteilte auch die Folge der Sünde, Verdammung, Verderben und Tod in vollkommenem Gehorsam getragen hat. Dadurch, daß er an unserer Stelle das Gericht über Sünde und Sünder an sich selbst hat vollziehen lassen49, hat er seine Selbsterniedrigung und das darin geschehende Werk der Versöhnung und damit seinen Auftrag zur Vollendung gebracht.50 (2) Jesus Christus ist darin der Gehorsame, daß er an der Stelle der Sünder das Rechte getan hat.51 Das Rechte, das Jesus Christus getan hat, ist, daß er als der Richter, als der Gerichtete und im Vollzug des Gerichts an die Stelle der Sünder getreten ist, den Vollzug dieses Gerichtes im Gerichtetwerden des Richters bejaht, Gott gegen sich selbst Recht gegeben, seine Selbsterniedrigung also bis zur Vollendung durchgehalten und sich somit zu seiner göttlichen Herkunft und Sendung bekannt hat. Dieses Rechte, das Jesus Christus getan, indem er so und nicht anders gelebt und gehandelt hat, ist sein Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes.52 Gehorsam gegenüber Gott ist die Bestimmung des Menschen als Gottes Geschöpf, und diesem seinem Wesen als Geschöpf ist er getreu, indem er in Freiheit in seinen eigenen Entscheidungen den Entscheidungen Gottes entspricht. Demgegenüber ist der Ungehorsam Untreue nicht nur Gott gegenüber, sondern auch zu sich selbst als Geschöpf, und ist - Sünde.53 Des Menschen Anmaßung, selbst wie Gott und also Richter zu sein und im Widerspruch zu Gott sein eigenes Recht aufzurichten, ist demnach konkreter

49 Vgl. dazu KD IV/1, S. 278: "Zum Vollzug dieses Gerichtes über die Sünde tritt Gottes Sohn als Mensch an unsere, der Sünder Stelle. Er vollzieht aber dieses Gericht, indem er - als Mensch an unsere Stelle getreten - in der Vollmacht des Gottessohnes unser aller Werk, den Weg der Sünder, zu Ende geht bis zu ihrem bitteren Ziel im Tod, im Verderben, in der grenzenlosen Qual der Gottesferne ... Man kann auch sagen: Er vollzieht dieses Gericht, indem er selbst die Strafe erleidet, die wir Alle auf uns gezogen haben." 50 Vgl. dazu insgesamt KD IV/1, S. 269-280. 51 Vgl. zu diesem folgenden Abschnitt KD IV/1, S. 282ff. 52 Vgl. dazu KD IV/1, S. 283: "Denn das auf Erden, das menschlich Rechte ... ist eben der Gehorsam des Geschöpfes - ebenso wie die Sünde das Unrecht ist, weil und indem sie sein Ungehorsam ist." 53 Vgl. dazu KD IV/1, S. 283f.

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Ausdruck dieses Ungehorsams und dieser Untreue und somit Sünde. Daher ist Gehorsam Freiheit zum Bejahen und Tun des Willens Gottes und also Sündlosigkeit. Jesu Christi als Gehorsam verstandene Sündlosigkeit besteht also darin, daß er in Entsprechung des Willens Gottes an unsere, der Sünder Stelle treten wollte und getreten ist und dort das Rechte getan hat, indem er sich nicht weigerte, das zu sein, was jene nicht sein wollten: der eine große Sünder mit allen Konsequenzen, und also als der Richter selbst der Gerichtete zu sein.54 b) Sündlosigkeit als Gehorsamstat Dieser als Sündlosigkeit verstandene Gehorsam bedarf aber noch einer näheren Bestimmung. Jesu Christi Gehorsam ist keine bloße Gesinnung, sondern tätiger, aktiver und als solcher durch sein ganzes Leben, in seinem Leiden und Sterben bewährter Gehorsam. Denn Jesus Christus war - wie es das Neue Testament in eindrücklicher Weise bezeugt55 - versuchlich und mußte in den Versuchungen, denen er ausgesetzt war, den Gehorsam lernen und um ihn ringen. Ein Verleugnen dieser Versuchlichkeit wäre eine Infragestellung seines wahren Menschseins und damit des Versöhnungsgeschehens überhaupt. 56 Barth führt aus: "Daß das Wort 'Fleisch' wurde, besagt, daß der Sohn Gottes sich die Situation des Menschen auch in dem Sinn zu eigen macht, daß er mit ihm ... der abscheulichen Möglichkeit ... des Ungehorsams, der Untreue ... ins Auge sah ... Er hatte ... seinen Gehorsam zu betätigen als Glied in der Kette einer ... ungehorsamen Menschheit . . . E r hatte zu streiten gegen das, was ihn als einen Menschen wie wir andere ebenso, was ihn als den Sohn Gottes im Fleisch erst recht ... anfocht. Er war nicht immun gegen die Sünde." 57 Daraus ist mit Barth zu folgern, daß Jesu Christi als Gehorsam verstandene Sündlosigkeit weder ein bestimmter Zustand seines Menschseins ist, noch so etwas wie ethisches Heldentum oder abstrakte absolute Rein-

54

Vgl. KD IV/1, S. 284f. Vgl. dazu die ausführlichen Darstellungen der ntl. Aussagen in KD 1/2, S. 171ff., KD II/l, S. 447f., und besonders KD IV/1, S. 286-300. 56 Vgl. dazu KD 1/2, S. 173: "An dieser Tatsächlichkeit aber darf man keine Abstriche machen, wenn man nicht gerade das verdunkeln will, um was es in dem Satz von der Sündlosigkeit geht: Darin besteht sie ja eben, daß Jesus vor der Verfassung und Situation des gefallenen Menschen Gott gegenüber nicht die Flucht angetreten, sondern sie auf sich genommen, sie selber als der ewige Sohn Gottes gelebt und getragen hat." 57 KD IV/1, S. 236f. Vgl. dazu auch KD IV/2, S. 101. 35

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heit, Güte und Tugendhaftigkeit58, sondern sie besteht darin, daß er, indem er als Mensch in unserem sündigen Wesen existiert, keine Sünde getan, nicht gesündigt hat.59 "Seine Sündlosigkeit war also nicht sein Zustand, sondern sie war die Tat seines Daseins, in der er in seinem, in unserem Zustand im Fleisch die Versuchung zurückgeschlagen hat. ',6°

3. Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi Wenn Barth Jesu Christi Sündlosigkeit innerhalb des Versöhnungsgeschehens als tätigen Gehorsam versteht, dieses Geschehen als solches aber seinen Grund insofern in Gott hat, als dieser es ist, der in Person der in Jesus Christus selbst Handelnde und als solcher das Subjekt ist61 und es auch bleibt, folgt daraus, daß Gott auch das Subjekt des Gehorsams Jesu Christi und als solches der Seinsgrund der Sündlosigkeit sein muß. Inwieweit dieses zutrifft, ergibt sich aus den folgenden Überlegungen. Es wurde festgehalten, daß das wahre Menschsein Jesu Christi seinen Grund in Gott hat, d.h., daß Jesus Christus nur insofern wahrer Mensch ist, als er zugleich wahrer Gott ist, denn dieses Menschsein ist ausschließlich die Verwirklichung der besonderen Möglichkeit des Sohnes Gottes zur Menschwerdung.62 Indem Gott also das Subjekt dieses Menschseins Jesu Christi ist und bleibt, ist Jesus Christus als wahrer Mensch dasselbe, was

58

KD W l , S. 172 bzw. KD IV/1, S. 284. Vgl. dazu auch KD IV/2, S. 101: Jesu Sündlosigkeit "erfolgt nicht analytisch aus einer Beschaffenheit seines Menschseins. Dieses ist an sich durchaus nicht sündlos." Denn Jesus Christus ist als der Fleischgewordene Träger unseres durch Sünde gezeichneten und verlorenen Menschseins. "Wäre sein menschliches Wesen ein an sich sündloses, wie wäre es dann unser Wesen, wie wäre er dann gerade im entscheidenden Punkt unser Bruder, in unserer Verlorenheit mit uns solidarisch geworden?" Ähnl. auch KD IV/1, S. 237. 59 Vgl. KD IV/2, S. 101, und auch KD IV/1, S. 237: "Er hat sie, ohne gegen sie immun zu sein, nicht getan." 60 KD IV/1, S. 285. Ähnl. auch KD IV/2, S. 102: "Jesu Sündlosigkeit war jedenfalls nicht eine Zuständigkeit seines Menschseins, sondern die von seinem Ursprung her nun eben so verlaufende menschliche Tat seines Lebens." 61 Vgl. dazu unsere Ausführungen betr. den Grund des Versöhnungsgeschehens S. 25, dieser Schrift. 62 Vgl. dazu KD 1/2, S. 164. "Dieser Mensch aber als solcher ist, weil und indem der Sohn Gottes er, dieser Mensch, ist, nicht sonst. Er ist, weil der Sohn Gottes seine besondere Möglichkeit als Mensch ... verwirklichte. Die Aneignung menschlichen Wesens und Daseins in dieser besonderen Möglichkeit durch den Sohn Gottes ... und ihre Verwirklichung durch ihn und in ihm - dies ist die Erschaffung und Erhaltung, dies ist der alleinige Daseinsgrund dieses Menschen und also des Fleisches Christi."

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wir sind, ganz anders als wir. 63 Wohl lebt er als wahrer Mensch in der Gestalt unseres Fleisches und unter den Bedingungen sündigen Menschseins, aber - er tut dabei keine Sünde. "Er macht sich das Sein des Menschen im Widerspruch gegen ihn zu eigen, er macht ihn aber nicht mit. Er ist in solcher Herablassung, in diesem seinen Weg in die Fremde, sich selbst nicht untreu, sondern treu. ',64 Als der wahre Gott kann er, indem er Mensch ist, sich nicht gegen sich selbst auflehnen und von sich selbst abfallen und also im Widerspruch zu sich selbst stehen, indem er sündigte, denn sonst könnte er nicht die Welt mit sich selbst versöhnen. 65 "Was er ist und tut, das ist und tut er in voller Einigkeit mit sich selber. In voller Einigkeit mit sich selber ist er auch - und er ist es gerade und vor allem - in Christus, wird er Geschöpf, Mensch, Fleisch ...1,66 Indem Gott das Subjekt des Menschseins Jesu Christi und als solches sein Seinsgrund ist und bleibt, ist er auch das Subjekt des Gehorsams dieses Menschen. "Der eine wahre Gott selbst (ist) in der Weise das Subjekt des Versöhnungsgeschehens ..., daß seine Gegenwart und Aktion als Versöhner der Welt ... identisch ist mit der Existenz des erniedrigten, demütigen, gehorsamen Menschen Jesus von Nazareth. Er handelt als Versöhner, indem er - als der eine wahre Gott selbst eins mit diesem Menschen - sich selbst erniedrigt, demütig und gehorsam wird und ist." 67 Überhaupt ist im Verständnis von Barth der ganze Gehorsam Jesu Christi, in dem er gelebt und als der Richter, der sich selbst hat richten und den Sündentod am Kreuz als Gericht an sich hat vollziehen lassen, ein göttliches Werk; Gott selbst ist im Leiden und Sterben Jesu Christi für uns eingetreten68, denn nur als Gott hatte Jesus Christus Kompetenz und Macht, das göttliche Gericht in der Weise zu vollziehen, daß er sich selbst richten ließ.69 "Er leistet, indem er

63

Siehe auch unsere Ausführungen S. 27 der vorliegenden Schrift und KD 1/2,

S. 170. 64

KD IV/1, S. 202. Ähnl. auch KD 1/2, S. 170. Vgl. dazu KD IV/1, S. 202: "Was hülfe uns seine Gottheit, wenn er sie ... in der Zuwendung zu uns gewissermaßen hinter sich ließe ...? Was hülfe uns sein Weg in die Femde, wenn er dabei sich selbst verlieren würde?" 66 KD IV/1, S. 203. 67 KD IV/1, S. 21f. 68 Vgl. KD IV/1, S. 276: "Daß Gott in eigener Person für uns eingetreten ist, das ist die frohe Botschaft des Karfreitags. Denn im Leiden und Sterben Jesu Christi hat er das getan: in dem Ereignis, in dem er, der Richter, sich dahingab, sich selbst richten zu lassen." Ähnl. auch KD II/l, S. 449f. 69 Vgl. KD IV/1, S. 244: "Weil er der in unsere Mitte getretene göttliche Richter war, darum hatte er die Autorität, eben damit - in dieser seiner Selbsthingabe im Gericht an unserer Stelle - die göttliche Justiz der Gnade zu üben..." 65

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Gehorsam leistet, wie er es tut, was ... nur Gott selbst leisten kann... Dieser also ist der, der sich in seinem Gehorsam, indem dieser ein göttliches und nicht ein menschliches Werk ist ..., erweist als der, der er ist: ... als der eine Gott in der Seinsweise des Sohnes." 70 Als das Subjekt des Gehorsams Jesu Christi ist Gott aber - sofern der Gehorsam als Sündlosigkeit verstanden wird - der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi. Das heißt im Verständnis von Barth, daß Jesus Christus als wahrer Gott sündlos ist, oder, anders ausgedrückt: Jesus Christus ist insofern sündlos, als er wahrer Gott ist. Daß Jesus Christus kraft dieses seines wahren Gottseins als Mensch nicht gesündigt hat, bedeutet aber Barth zufolge nicht eine Veränderung seines menschlichen Wesens - wodurch dessen Wesenseinheit mit uns in Frage gestellt wäre71 -, wohl aber die Erhöhung dieses seines Menschseins zu dessen eigentlicher Bestimmung: in die völlige Übereinstimmung mit Gottes Willen in den Gehorsam - in die Sündlosigkeit. Diese Bestimmung seines menschlichen Wesens besteht aber nicht darin, "daß ihm die merkwürdige Eigenschaft hinzugefügt wurde, daß er als Mensch nicht sündigen konnte", sondern darin, daß er von diesem seinem Ursprung her "nicht sündigen wollte und nicht gesündigt hat"12. Weil und indem er als Sohn Gottes und nur so Mensch war73, war die Sünde von der Wahl seiner Taten ausgeschlossen. "Er konnte sie von diesem Ursprung seines Daseins her nicht wählen. So wählte er sie auch nicht. So tat er sie auch nicht. "74 Das ist die in Jesus Christus geschehene Erhebung der menschlichen Natur zur Sündlosigkeit, zur Freiheit von der Sünde. Jesus Christus ist demzufolge als wahrer Mensch insofern sündlos, als dieses sein Menschsein in seiner Existenzeinheit mit Gott durch diesen zur Sündlosigkeit (d.h. zu gehorsamem Handeln) erhöht worden ist. Durch diese Erhöhung überschreitet er die Grenze der ihm und uns gemeinsamen Humanität nicht, sondern "er bewähri ... in seinem non peccare und non posse peccare die Bruderschaft

70

KD IV/1, S. 228f. Vgl. dazu KD IV/2, S. 101: "Wäre sein menschliches Wesen ein an sich sündloses, wie wäre es dann unser Wesen, wie wäre er dann gerade im entscheidenden Punkt unser Bruder, in unserer Verlorenheit mit uns solidarisch geworden?" Dann hätte er unsere Sünde und Schuld nicht hinwegtragen können. 72 KD IV/2, S. 102. 73 Vgl. dazu auch KD IV/2, S. 99f.: Jesus Christus existiert als Mensch, "indem (in der Existenzweise seines Sohnes) Gott selbst existiert... Seine Existenz als Mensch ist mit der Existenz Gottes in seinem Sohn identisch... Das, diese Existenz Gottes als der Mensch Jesus Christus ist die dem menschlichen Wesen in ihm zugewendete besondere Gnade seines Ursprungs." 74 KD IV/2, S. 103. 71

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mit uns, die Gemeinschaft mit unserem wahren menschlichen Wesen, die wir unsererseits mit unserem peccare und posse peccare und non posse non peccare fortwährend zerbrechen. "75 In dieser Erhöhung ist Jesus Christus der wahre, der mit Gott versöhnte Mensch, in dem die Umkehrung des Menschen zu Gott, entsprechend dem zweiten Aspekt des Versöhnungsgeschehens 76 Ereignis geworden ist. In dem Geschehen der Erhöhung besteht sein Sein als der wahre weil gehorsame, zu Gott erhöhte, mit Gott versöhnte und also sündlose Mensch. Hieraus ergeben sich wesentliche Folgerungen für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi. Barth versteht sie weder ausschließlich als Tun oder Handeln bzw. Werk, noch ausschließlich als Sein, sondern sie ist beides in wechselseitiger Beziehung in der Einheit seiner Person als wahrer Gott und Mensch. Denn: in Gehorsam handeln (Werk) kann Jesus Christus nur, weil er wahrer Gott und als solcher sündlos ist (Sein) und auch gar nicht anders sein kann; insofern ist Gott also der Seinsgrund seiner Sündlosigkeit; jedoch ist er sündlos (Sein), indem er als Mensch in Gehorsam handelt (Werk) - woraus aber folgt, daß dieses sein menschliches Tun der Erkenntnisgrund seiner Sündlosigkeit ist (darauf werden wir im folgenden Abschnitt ausführlicher zu sprechen kommen). Diese wechselseitige Beziehung von Sein und Werk in seiner dialektischen Einheit ist ein Charakteristikum des Barthschen Sündlosigkeitsverständnisses, das darauf zurückzuführen ist, daß er die gesamte Versöhnung, innerhalb derer er ja auch die Sündlosigkeit begreift, in dieser dialektischen Einheit von Sein und Werk versteht.

4. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi und der Offenbarungscharakter des Versöhnungsgeschehens Vor allem menschlichen Erkennen und Glauben steht die Versöhnung als stattgefundener göttlicher Souveränitätsakt, der Ort, von dem allein aus christliche Gottes- und Menschenerkenntnis möglich ist. Barth begründet das, indem er sagt, daß "sie das Wort ist, in welchem Gott selbst in dem Vakuum einen Anfang alles Erkennens gesetzt hat, wo es für den ihm und sich selbst entfremdeten Menschen keinen Anfang gibt. "77 Die Versöhnung ist nur "im Faktum seiner Macht- und Liebestat" begreiflich 78 , denn: "Die

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KD IV/2, Vgl. dazu KD IV/1, KD IV/1,

S. 103. unsere Ausführungen S. 23f. dieser Schrift. S. 85. S. 88 bzw. 86.

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in Gottes Majestätsakt begründete (objektive) Wirklichkeit dieses Seins und Geschehens schafft die Möglichkeit eines besonderen ihr zugewendeten, von ihr regierten ... ihr folgenden, sie begleitenden, sie nachvollziehenden (subjektiven) Erkennens"; das bedeutet aber, daß die Fleischwerdung Jesu Christi als Inhalt dieses göttlichen Aktes den Charakter von Offenbarung hat.79 Da unser Wissen um dieses Faktum in dieser Offenbarung seinen Grund hat, können wir nur faktisch von ihm herkommen.80 Die "eigentliche, ursprüngliche, exemplarische" Offenbarungstat, von der her aber erst das gesamte Geschehen der Fleischwerdung Jesu Christi in seinem Offenbarungscharakter erkannt werden kann, ist das Ereignis der Auferstehung Jesu Christi von den Toten als einer neuen und ausschließlichen Tat Gottes.81 "Alles christliche Erkennen und Bekennen, alles christliche Wissen um Gott, Mensch und Welt stammt aus dieser Selbstkundgabe Jesu Christi, kommt von seiner Auferstehung her."82 Durch die Auferstehung wird Jesu Christi Leiden und Sterben als Gottes Gericht über die Sünde und also als das Versöhnungsgeschehen offenbar, in dem die Fleischwerdung ihre Vollendung findet und das daraufhin selber in seinem Offenbarungscharakter, den es als solches insgesamt hat, erkannt wird.83 Wenn nun Barth die Sündlosigkeit Jesu Christi als solche innerhalb des Versöhnungsgeschehens interpretiert, das Versöhnungsgeschehen als solches aber durch die Auferstehung offenbar wird, so folgt daraus, daß der Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit gleicherweise die Auferstehung ist. Das ist zu begründen. Die Auferstehung als eine neue, ausschließlich auf Gott zurückgehende Tat seiner Gnade ist das Urteil Gottes über den Weg der Selbsterniedrigung, den Jesus Christus in seinem Leben, Tun, Leiden und Sterben gegangen ist; sie ist die "richterliche Feststellung", daß dieses nicht ohne und nicht gegen den heiligen und guten Willen Gottes, sondern in voller Entsprechung mit ihm und als an unserer Stelle, um unseretwegen und für uns geschehen ist.84 Sie ist die "Gutheißung" und die "Validierung" des gesamten Tuns Jesu Christi, wodurch dieses als das um unseretwillen an dem Richter vollzogene Gericht offenbar wird, und sie ist die "Rechtfertigung" Jesu Christi, der

79 80 81 82 83 84

36

KD IV/2, S. 133. KD IV/2, S. 138. Vgl. dazu KD IV/1, S. 336 bzw. 330ff. KD IV/2, S. 136. Vgl. KD IV/1, S. 378. Vgl. KD IV/1, S. 336f.

dieses Geschehen "erleiden wollte und bis in seine letzte Tiefe hinein erlitten hat". 85 Indem die Auferstehung das gesamte Leben und Tun Jesu Christi als in voller Übereinstimmung mit dem Willen Gottes geschehen offenbart, erweist sie seinen Gehorsam, der ja gerade in diesem Tun des göttlichen Willens besteht, und also seine Sündlosigkeit. In diesem Sinn versteht Barth die Auferstehung als die Antwort Gottes auf das "in seiner Dahingabe in den Tod vollzogene Gehorsamswerk des Sohnes"86, die als solche das in diesem Geschehen gesprochene Urteil des Vaters über den Gehorsam des Sohnes87 und also die Anerkennung des von Jesus Christus geleisteten Gehorsams 88 , dadurch aber die Offenbarung 89 der Sündlosigkeit Jesu Christi ist. Durch ihren Offenbarungscharakter verhilft die Auferstehung zur Erkenntis des Subjektes des gesamten Versöhnungsgeschehens, mithin auch des Gehorsams Jesu Christi, der ja seine Sündlosigkeit ausmacht: "daß Gott selbst in dem Menschen Jesus am Werk gewesen war, geredet, gehandelt, gelitten hatte und in den Tod gegangen war. ,,9° Die Auferstehung offenbart also als solche nicht nur den Gehorsam Jesu Christi, der der Inhalt seiner Sündlosigkeit ist, sondern auch ihren Seinsgrund, nämlich Gott - als Subjekt des Geschehens. Infolge ihres Offenbarungscharakters ist die Auferstehung Jesu Christi der Erkenntnisgrund des gesamten Versöhnungsgeschehens im allgemeinen und dadurch im besonderen der Sündlosigkeit Jesu Christi. Im Zusammenhang dieser Frage kommt ihr vor allem noetische, nicht aber ontische Bedeutung zu.

85 Vgl. dazu KD IV/1, S. 341 bzw. 337. Vgl. dazu auch S. 340f.: "Die Auferweckung Jesu Christi ist das große Gottesurteil, der Vollzug und die Proklamation der göttlichen Entscheidung über das Kreuzes geschehen. Sie ist seine Gutheißung als die den göttlichen Zorn, aber diese im Dienst der göttlichen Gnade vollziehende Tat des zu unserem Stellvertreter eingesetzten Sohnes Gottes." Ähnl. auch S. 345 und 378. 86 KD IV/1, S. 378; ähnl. auch S. 345 und auch S. 348. 87 Vgl. dazu KD IV/1, S. 385f.: "Die Auferweckung Jesu Christi von den Toten ... ist diese Antwort: das Urteil Gottes des Vaters über den Gehorsam seines Sohnes, das in diesem Geschehen gesprochen wurde und das in dessen Sein von diesem Geschehen her in Kraft steht." Ähnl. auch S. 392, aber auch 336 und 340. 88 Vgl. dazu KD IV/1, S. 337. 89 Vgl. dazu ebd., S. 336: Die Auferstehung ist "Gottes Antwort darauf: insofern in der Tat dessen Offenbarung und Erklärung." 90 Ebenda, S. 332. Vgl. dazu auch KD 1/2, S. 173: "Die Auferstehung war ja die Offenbarung des vere Deus, die Offenbarung dessen, daß das Wort Fleisch ward."

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5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich implizit eine für Barths Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi im allgemeinen wie auch für ihre nun zu behandelnde Bedeutung im besonderen wesentliche Folgerung: Von der Sündlosigkeit Jesu Christi kann diesem Verständnis zufolge nicht abgesehen von ihrer Bedeutung gesprochen werden. Das heißt: Die Sündlosigkeit kann nicht von ihrer Bedeutung getrennt werden, denn ihr Inhalt besteht ja in ihrer Bedeutung, wie umgekehrt ihre Bedeutung ihr Inhalt ist. Der Grund für dieses Ineinander von Inhalt und Bedeutung liegt in Barths christologischer Konzeption überhaupt, derzufolge Christologie Versöhnungsgeschehen ist, in welchem Werk und Person Jesu Christi nicht voneinander zu trennen sind, sondern sich gegenseitig bedingen und bestimmen 91 , und innerhalb dessen auch die Sündlosigkeit situiert 92 ist. Die Richtigkeit unserer obigen Feststellung wird sich in der nun folgenden zusammenfassenden Darstellung der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi, und zwar für die Versöhnung und auch für den Gottesbegriff wie für das Verständnis des Menschen, erweisen. a) Bedeutung für die Versöhnung Ist die Versöhnung die in und durch Jesus Christus geschehene Selbsterniedrigung Gottes ins Fleisch, in deren Vollzug er das Sündersein des Menschen auf sich nimmt und in dieser Stellvertretung das Gericht, unter dem es steht, über sich ergehen läßt, indem er sich als der Richter selber richten läßt und den Sündertod am Kreuz stirbt, so heißt das nichts anderes, als daß sie das um unserer Sünde und also um unsertwillen in und durch Jesus Christus geschehene Werk Gottes und als solches Jesu Christi eigenes Werk ist. Da die Versöhnung als Jesu Christi Werk zugleich der Inhalt seines Seins - als wahrer Gott und wahrer Mensch - ist, kann nach der Bedeutung seiner Sündlosigkeit nur im Blick auf diese beiden Aspekte des Versöhnungsgeschehens, nämlich als Werk und als Sein Jesu Christi, gefragt werden, da dieses Ineinander von Sein und Werk in seiner dialektischen Einheit als das Wesen des Versöhnungsgeschehens zugleich das Wesen der in diesem Geschehen bestehenden Sündlosigkeit Jesu Christi ist. 93 In diesem Sinne

91 92 93

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Vgl. unsere Ausführungen S. 22. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 25ff. dieser Schrift. Vgl. unsere Ausführungen S. 35 dieser Schrift.

kann die Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Werk nur als Sein und - umgekehrt - für sein Sein nur als Werk Bedeutung haben. α) für die Versöhnung als Werk Jesu Christi Jesus Christus kann einzig und allein daher das Werk der Versöhnung tun, also an die Stelle der Sünder treten, ihnen ihre Sünde abnehmen, indem er sie zu seiner eigenen macht, und damit zugleich die Verantwortung für sie auf sich nehmen und das Gericht über sie an sich selbst vollgültig vollziehen lassen, weil er - als der wahre Gott und daher auch als Mensch - sündlos ist. Von dieser seiner Sündlosigkeit her, sagt Barth, "konnte er die Sünden aller anderen Menschen auf sich nehmen und dem Tod überliefern. Von daher konnte er Sünden und Übertretungen vergeben"; "dazu hat der Sohn Gottes konkret gerade jenen Gehorsam geleistet: den Gehorsam der Selbsterniedrigung. 1,94 Da aber Jesu Christi Sündlosigkei gerade darin besteht, daß er in voller Entsprechung mit dem Willen Gottes sich zum Sinn der Selbsterniedrigung ins Fleisch bekannt und sie bejaht hat, indem er an die Stelle der Sünder treten wollte und getreten ist und dort dadurch, daß er das göttliche Gericht über die Sünde an sich selbst hat vollziehen lassen, das Rechte getan hat, ist sie - seine Sündlosigkeit - als der Gehorsam, in dem er das Werk der Versöhnung getan hat, die Bedingung des Versöhnungswerkes. ß) für die Versöhnung als Sein Jesu Christi Barth zufolge besteht Jesu Christi Sein insofern in seinem Versöhnungswerk, als er in der Einheit seiner Person der sich selbst erniedrigende und darum versöhnende Gott und als solcher der zu Gott erhöhte und darum versöhnte Mensch ist.95 Im Blick auf Jesu Christi Sündlosigkeit heißt das, daß er einzig und allein dadurch sündlos ist, daß er das Werk der Versöhnung durch seine Erniedrigung im Fleisch und durch sein stellvertretendes Handeln für die Menschen als Sünder mit allen daraus sich ergebenden Konsequenzen getan hat. Indem Jesu Christi Sündlosigkeit also in diesem Versöhnungswerk besteht, ist dieses als solches ihr Inhalt.

94 KD IV/1, S. 284 bzw. 234. Vgl. dazu auch S. 284: "Die Versöhnung ist also positiv: die Beseitigung dieses Unrechts durch die Existenz des einen gehorsamen Menschen", bzw. KD IV/2, S. 326: "In der Gestalt des von ihm geleisteten Gehorsams nahm er am Kreuz unseren Ungehorsam mit allen Konsequenzen auf sich." Siehe auch KD III/2, S. 56, IV/1, S. 259f. usw. 95 Vgl. dazu unsere Ausführungen bes. S. 23f. dieser Schrift.

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Daraus, daß dieses Versöhnungsgeschehen als Inhalt der Sündlosigkeit zugleich auch der Inhalt des Seins Jesu Christi ist, folgt als Bedeutung der Sündlosigkeit für sein Sein, daß sie - als Werk - der Inhalt dieses seines Seins ist. In diesem Sinne sagt Barth: "Er (Jesus Christus) hat sein ganzes Sein darin, daß er dieser Gehorsame ist ... Dieser also ist der, der sich in seinem Gehorsam ... bewährt, betätigt, offenbart - erweist als der, der er ist: als Gottes Sohn." % Aufgrund der obigen Ausführungen kann die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für die Versöhnung wie folgt zusammenfassend herausgestellt werden: (1) Für die Versöhnung als Werk Jesu Christi hat sie insofern Bedeutung, als sie, als Sein verstanden, die Bedingung des Versöhnungswerkes ist. (2) Für die Versöhnung als Sein Jesu Christi hat seine Sündlosigkeit insofern Bedeutung, als sie, als Werk verstanden, der Inhalt des Seins Jesu Christi ist. γ) Für die Versöhnung als Erfüllung des Bundes Wenn das Geschehen der Versöhnung von dem Bund her begriffen wird, den Gott in Freiheit und Selbstbeschränkung mit dem Menschen geschlossen hat97, so wird sie dadurch notwendig, daß der von Gott zu seinem Bundespartner erwählte Mensch durch seinen Ungehorsam und seine Untreue diesen von Gott her ursprünglich geschlossenen Bund gebrochen und sich dadurch in die Gottesferne und Gottesfeindschaft und in Widerspruch zu Gott begeben hat - was aber nichts anderes als die Sünde ist.98 Es bedarf des Alten Testaments, damit die Sünde als Bundesbruch in ihrer ganzen Tiefe, zugleich aber auch die tiefe Herablassung Gottes ins Fleisch und also der Gehorsam Jesu Christi, der ja gerade darin besteht, voll begriffen werden kann. 99

96

KD IV/1, S. 228 und 229, wobei ja der Gehorsam Jesu Christi der Inhalt seiner Sündlosigkeit ist. Vgl. dazu unsere diesbezüglichen Ausführungen S. 28 dieser Schrift. 97 Vgl. dazu KD IV/1, S. 22ff. Vgl. dazu überhaupt unsere diesbezüglichen Ausführungen S. 25 dieser Schrift. 98 Vgl. dazu bes. KD IV/1, S. 154 und 187, aber auch 22ff. 99 Denn das Wort wurde nicht Fleisch in irgendeiner Allgemeinheit, sondern jüdisches Fleisch, was aber heißt, "mit den 'Kindern' Israels unter dem Zorn und Gericht gerade des erwählenden, des liebenden Gottes existieren", und zwar "in unmittelbarer und vorbehaltloser Solidarität mit der exemplarisch und manifest sündigen Menschheit ..." Denn nur das Alte Testament bezeugt Gottes Erwählung, und nur in ihrem Licht wird klar, wer und was der Mensch ist: seine Untreue, sein Ungehorsam, sein Fall, seine Sünde und Feindschaft gegen Gott. Vgl. KD IV/1, S. 190f. bzw. 187. Vgl. dazu überhaupt S. 181ff.

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Indem Jesus Christus als der Gott ganz und gar Gehorsame gelebt und gehandelt und durch diese seine Sündlosigkeit das Werk der Versöhnung vollbracht hat, hat er dadurch den vom Menschen gebrochenen Bund mit Gott an dessen Stelle erfüllt und wieder aufgerichtet. Die Versöhnung ist die von Gott in und durch Jesus Christus vollbrachte Erfüllung des gebrochenen Bundes und als dieser ist Jesus Christus die Versöhnung als Erfüllung des Bundes.100 b) Bedeutung der Sündlosigkeit für den Gottesbegriff Dadurch, daß Barth Jesu Christi Sündlosigkeit innerhalb des Versöhnungsgeschehens als tätigen Gehorsam versteht, dieses Geschehen aber seinen Grund in Gott als seinem Subjekt hat, ist Gott auch das Subjekt des Gehorsams Jesu Christi und als solches der Seinsgrund der Sündlosigkeit, was aber nichts anderes heißen kann, als daß Jesus Christus als wahrer Gott gehorsam und somit sündlos ist, bzw. daß Jesus Christus insofern wahrer Gott ist, als er der Gehorsame und also der Sündlose ist. Wenn der als Sündlosigkeit verstandene Gehorsam Jesu Christi, in dem er wahrer Gott ist, wesentlich seine Fleischwerdung umfaßt, so müßte daraus gefolgert werden, daß sein Gehorsam und also sein gesamtes in diesem Gehorsam vollzogenes Handeln bis hin zu seinem Tod am Kreuz mit zum Gottesbegriff gehören! Indem Barth diese Folgerung tatsächlich zieht, ist er sich des Widerspruchs, in dem er zum herkömmlichen Gottesbegriff steht, bewußt;101 vom Offenbarungscharakter des Versöhnungsgeschehens her ist ihm jedoch keine andere Folgerung als diese möglich. Er sagt: "Wer Gott und was göttlich ist, das haben wir da zu lernen, wo Gott sich selbst und damit auch seine Natur, das Wesen des Göttlichen, offenbart hat. Und wenn er sich nun in Jesus Christus als der Gott offenbart hat, der solches tut, dann kann es nicht an uns sein, weiser sein zu wollen als er und zu behaupten, daß solches mit dem göttlichen Wesen im Widerspruch stehe." 102 Als der Gehorsame ist Gott - in Jesus Christus - zur Herablassung ins Elend des menschlichen Geschöpfes willig, bereit und fähig, und indem er

100

Vgl. dazu KD IV/1, S. 152 bzw. S. 134; ähnl. auch ebd., S. 22, 145, 278 usw. Vgl. dazu KD IV/1, S. 179: "Der wahre Gott - ein Gehorsamer! Man muß sich schon die Härte dieser Gleichung vor Augen halten." 102 Ebenda, S. 203. Ähnl. auch S. 193: "Was seine ... Gottheit ist, das will nicht irgend einem Inbegriff höchsten, absoluten, unweltlichen, jenseitigen Wesens entnommen, das will im Blick auf das Christusgeschehen selbst gelernt sein ..., bzw. S. 141: "Was unter Gottheit zu verstehen ist, das haben wir ... von Jesus Christus zu lernen. Er definiert jene Begriffe, nicht sie ihn." 101

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sich dessen Situation voll und ganz zu eigen macht, erweist und bewährt er gerade darin sein Sein als Gott.103 Im Gehorsam des Sohnes gegen den Vater, bewährt in der in seinem Tod am Kreuz vollzogenen Selbsterniedrigung, "in diesen beiden Momenten, in ihrem Zusammenhang liegt das Geheimnis beschlossen, daß er wahrer Gott und also wahrhaft göttlicher Art ist."104 Die Aufnahme des Gehorsams in das Sein Gottes stellt dessen Einheit aber nicht in Frage, sondern das Oben und Unten, die Vor- und Nachordnung, die der Gehorsam impliziert, wird in diese Einheit aufgenommen. 105 In dieser Einigkeit, in der er mit sich selber ist, handelt er auch, indem er als Gott in Christus Geschöpf wird. 106 Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für den Gottesbegriff besteht also darin, daß sie - als Gehorsam verstanden - für Barth das "geradezu beherrschende Moment" in der Vorstellung der Gottheit Jesu Christi und der Schlüssel zum Begreifen seines Seins als wahrer Gott im gehorsamen Kreuzestod wird. 107 Die Aufnahme des Gehorsams in den Gottesbegriff verhilft Barth zu einer Erweiterung des Gottesverständnisses. c) Bedeutung der Sündlosigkeit für das Verständnis des Menschseins Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi ist im Verständnis von Barth - wie bereits ausgeführt - Gott, und zwar als das Subjekt des von Jesus Christus geleisteten Gehorsams als dem Inhalt seiner Sündlosigkeit. Jesus Christus ist demnach insofern sündlos, als er wahrer Gott ist. Indem Jesus Christus jedoch als Mensch in Gehorsam gelebt und gehandelt hat und also sündlos ist, kann er das nur kraft seiner wahren Gottheit sein, denn sein

103 Vgl. dazu ebd., S. 173 und bes. S. 141f.: "So, in dieser Herablassung, ist er der ewige Sohn des ewigen Vaters ... so ist er Gott, daß er sich selbst nicht nur in die geschöpfliche Bindung, sondern in das Elend des menschlichen Geschöpfs begeben kann und wirklich begibt, einer von diesen Menschen wird, das Gericht, unter dem sie stehen, über sich selbst ergehen lassen, ihren verdienten Tod sterben will und tatsächlich stirbt. So ist er Gott." 104 Ebd., S. 193. Ähnl. auch S. 271: "Es geht darum, daß Gott vielmehr eben in solcher Erniedrigung aufs Höchste Gott, in diesem Tode aufs Höchste lebendig war, daß er seine Gottheit gerade in der Passion dieses Menschen als seines ewigen Sohnes eigentlich bewährt und offenbar gemacht hat." 105 Vgl. dazu KD IV/1, S. 219. Dort heißt es auch: "Der eine Gott ist durch seine Einheit offenbar nicht verhindert, seine göttliche Einheit besteht vielmehr darin, in sich selbst als der, dem da gehorcht wird, Einer und als der, der da gehorcht, ein Anderer zu sein." 106 Vgl. dazu ebd., S. 203. 107 Ebenda, S. 218.

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menschliches Wesen ist ja an sich nicht sündlos. Kraft dieses seines Gottseins ist er als der Sündlose der gerechte und neue Mensch, der Mensch des göttlichen Wohlgefallens.108 Dieses ist die in Jesus Christus stattgefundene Erhöhung des menschlichen Wesens, die dadurch möglich geworden ist, daß Gott sich in Jesus Christus erniedrigt hat und als solcher dieser Mensch geworden ist, daß Gott selbst als das Subjekt dieses Geschehens dem menschlichen Wesen seine eigene Existenz verliehen hat.109 Barth sagt: "Indem Jesus Christus der wahre, d.h. der sich selbst erniedrigende Gott ist, ist er dieser wahre, d.h. dieser in seiner ganzen Menschlichkeit über diese erhöhte Mensch."110 Jesus Christus ist also als der Sündlose der versöhnte, der gerechte und neue, d.h. aber der wahre Mensch, der Mensch, der als solcher seiner Bestimmung zur Gemeinschaft und zur Einheit mit Gott lebt.111 Darin besteht die Versöhnung der Welt mit Gott, und zwar daß in Jesus Christus "die Existenz des neuen, des wahren Menschen dadurch Ereignis wurde, daß das menschliche Wesen, indem Gott ihm seine Existenz verlieh, an seine Seite, in die Gemeinschaft mit seinem Sein in seinem göttlichen Wesen erhoben wurde."112 Indem Jesus Christus der wahre Mensch ist, ist die Umkehrung des Menschen zu Gott in ihm als die Versöhnung aller Menschen, als die Erfüllung des Bundes Wirklichkeit geworden.113 Daher kann das, was wahres Menschsein bedeutet, nur im Blick auf Jesu Christi wahres Menschsein bzw. von diesem her gesagt werden.114 Das ist also die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für das Verständnis des Menschseins: Sie ist als die Erhöhung des Menschen zu Gott der Seinsgrund des wahren Menschseins, wie es in Jesus Christus Ereignis geworden ist.

108

Vgl. dazu KD IV/2, S. 31f.: Er ist als "der mit Gott versöhnte, der wahre und im Verhältnis zu uns Anderen Allen: der neue Mensch. Er ist, in dieser seiner Lebenstat, von Gott selbst heraufgeführt, in der Person seines eigenen Sohnes auf den Plan gestellt ... Mensch des göttlichen Wohlgefallens." Ähnl. auch KD IV/1, S. 284. 109 Vgl. dazu KD IV/2, S. 75; ähnl. auch ebd., S. 99: Jesus Christus existiert als Mensch, "indem (in der Existenzweise seines Sohnes) Gott selbst existiert ... Seine Existenz als Mensch ist mit der Existenz Gottes in seinem Sohn identisch." 1,0 KD IV/1, S. 144. "' Vgl. dazu KD IV/2, S. 102. 1.2 Ebenda, S. 75. 1.3 Vgl. dazu KD IV/1, S. 144. 114 Vgl. dazu ebd., S. 143: "Was seine Menschheit und als solche die wahre Menschheit ist, das dürfen wir wieder nicht von irgendwoher an ihn herantragen, sondern müssen es uns von Ihm selbst sagen lassen."

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II. Paul Tillich

1. Zum Gesamtverständnis Mit der Christologie befaßt sich Paul Tillich im II. Band seiner Systematischen Theologie Die Existenz und der Christus U5 . Der Ausgangspunkt seiner christologischen Überlegungen ist für ihn die menschliche Situation, die gekennzeichnet ist durch die universale Entfremdung des Menschen von Gott, der Welt und sich selbst als Folge des in seiner Freiheit gründenden Falls aus der Essenz in die Existenz. Da der Mensch von sich aus außerstande ist, diese sich als Unglaube, Hybris und Konkupiszenz äußernde Entfremdung samt ihren für ihn verhängnisvollen Folgen zu überwinden, bedarf er der Erlösung von außen her. Diese geschieht in der Annahme des Neuen Seins als der in Christus gewordenen Wirklichkeit, in der diese Entfremdung durch die Verwirklichung des essentiellen Seins unter den Bedingungen und inmitten der Existenz überwunden bzw. rückgängig gemacht worden ist. Dabei muß festgehalten werden, daß Tillich den Begriff der Sündlosigkeit Jesu als negativen Ausdruck und als "Rationalisierung des biblischen Bildes dessen, der die Mächte der existentiellen Entfremdung in der Existenz besiegt hat" ablehnt, da dadurch eine "religiöse Aussage von existentiell-symbolischem Charakter ... in eine theoretische Aussage von rationalobjektivierendem Charakter" verkehrt und also "eine gläubige Aussage über den Christus ... auf das Niveau naturwissenschaftlicher Absurditäten herabgedrückt" werde. 116 Wenn er jedoch von dem Neuen Sein als der in der Person des Christus gewordenen Wirklichkeit spricht, in der die Entfremdung des Menschen überwunden ist, so spricht er damit den gleichen Sachverhalt an, der - herkömmlich - als Sündlosigkeit bezeichnet wird, da die Entfremdung ihrerseits dasselbe zum Ausdruck bringt, wie der Begriff der Sünde, wie dieses sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird.

1,5 116

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Paul Tillich, Systematische Theologie II, Stuttgart "1973. Vgl. dazu ebd., S. 138.

2. Der Mensch in der Entfremdung Tillichs Verständnis zufolge findet sich der Mensch aktuell im Zustand seiner Existenz vor.117 Diesem Zustand der aktuellen Existenz geht ein Zustand essentiellen Seins voraus, der reine Potentialität ist und als "träumende Unschuld" bezeichnet werden kann, die aber, da es ein Zustand der Unentschiedenheit ist, über sich selbst hinaustreibt, so daß die Möglichkeit des Übergangs zur Existenz als Versuchung erfahren wird. 118 Diese Möglichkeit des Übergangs vom essentiellen Sein zur Existenz ist in der Freiheit des Menschen, sich selbst zu verwirklichen, enthalten, die aber, weil sie endliche Freiheit119 ist, mit der doppelten Angst, sich zu verlieren durch Selbstverwirklichung bzw. sich zu verlieren durch NichtVerwirklichung, verbunden ist.120 Der Mensch "steht in der Alternative, entweder seine träumende Unschuld zu bewahren, ohne wirkliches Dasein zu erleben oder seine Unschuld zu verlieren und Erkenntnis, Macht und Schuld dafür einzutauschen", indem er seine Freiheit aktualisiert.121 Kraft seiner endlichen Freiheit entscheidet sich der Mensch für die Selbstverwirklichung und beendet damit den Zustand der träumenden Unschuld. 122 Dieser Übergang von der Essenz zur Existenz ist kein Ereignis in der Vergangenheit, in Raum und Zeit, sondern das ursprüngliche Faktum, das jedem Faktum Realität verleiht, da es als transhistorische und universale Qualität des endlichen Seins allem, was sich in Zeit und Raum ereignet, ontologisch vorausgeht.123 Dieser Übergang ist ein Faktum, das aber den Charakter eines Sprunges hat, da es keine strukturelle Notwendigkeit darstellt, derzufolge die Existenz aus der Essenz abgeleitet werden könnte.124 Der Übergang von der Essenz in die Existenz endet, da er wesentlich Abwendung vom Grund des Seins, von Gott, ist, in persönlicher Schuld und universaler Tragik und wird als "Fall" bezeichnet.125 Die Folge des Falls ist

" 7 Vgl. dazu ebd., S. 48. " 8 Vgl. dazu ebd., S. 40f. 119 Zum Verständnis der Freiheit des Menschen vgl. ausführlich ebd., S. 38f. und auch 41 f. 120 Vgl. dazu ebd., S. 41f. m Ebenda, S. 42. 122 Vgl. dazu ebd., S. 42. 123 Vgl. dazu ebd., S. 43 und 48. 124 Vgl. dazu ebd., S. 52, auch 36. 123 Als "Übergang von der Essenz zur Existenz" ist der in der Freiheit des Menschen als Möglichkeit zur Abwendung von Gott gründende Fall das "Symbol für die universale menschliche Siutation". Vgl. dazu ebd., S. 35f. und 39 bzw. 52.

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die Existenz, in der sich der Mensch aktuell vorfindet und deren Wesen seine Entfremdung vom Grund des Seins, von Gott, und zugleich von den andern Wesen und von sich selbst ist.126 Ihren Ausdruck findet die existentielle Entfremdung des Menschen in der Sünde127, deren Merkmale Unglaube, Hybris und Konkupiszenz sind und die als solche zur existentiellen Selbstzerstörung des Menschen führt. Der Unglaube ist der Akt der existentiellen Selbstverwirklichung des Menschen, in dem er sich in seiner Ganzheit von Gott abwendet, um sich seiner Welt und sich selbst zuzuwenden, wodurch aber seine essentielle Einheit mit dem Grund von Selbst und Welt zerreißt. 128 Wenn demzufolge der Unglaube der Drang des Menschen ist, sein Zentrum vom göttlichen Zentrum zu entfernen129, so ist die Hybris die Selbsterhebung des Menschen, seine Versuchung "sich selbst existentiell zum Zentrum seiner selbst und seiner Welt zu machen"130. Sie ist "das Ganze der Sünde, die andere Seite des Unglaubens oder der Abwendung vom göttlichen Zentrum, zu dem der Mensch gehört. Diese Abwendung ist gleichzeitig Zuwendung zu sich selbst als dem Zentrum des eigenen Selbst.131 Dabei ist die Konkupiszenz als drittes Merkmal der existentiellen Entfremdung des Menschen seine grenzenlose Begierde nach Erkenntnis, Sexualität und Macht, seine "unbegrenzte Sehnsucht, das Ganze der Wirklichkeit dem eigenen Selbst einzuverleiben", durch die der Mensch versucht ist, in sich selbst das Zentrum zu suchen.132 Diese in der Sünde sich äußernde existentielle Entfremdung hat universalen Charakter, denn die Sünde als individueller Akt aktualisiert das universale Faktum der Entfemdung. Sie ist also ein universales Faktum, noch

126

Siehe dazu ebd., S. 52. Tillich stellt fest: "Der Zustand der Existenz ist der Zustand der Entfremdung." (ebd.) 127 Der Unterschied zwischen Entfremdung und Sünde besteht für Tillich darin, daß das Wort "Sünde" etwas ausdrückt, was im Wort "Entfremdung" nicht enthalten ist. Es enthält nämlich das "persönlich-aktive Sich-Wegwenden von dem, wozu man gehört" und bringt den "persönlichen Entscheidungscharakter der Entfremdung" zum Ausdruck, indem es "in aller Schärfe auf das Element der persönlichen Verantwortung im Phänomen der Entfremdung hinweist", (ebd., S. 54) 128 Vgl. dazu auführlicher ebd., S. 55f. 129 Siehe dazu Anm. 131. 130 Ebenda, S. 58 bzw. 57f. 131 Ebenda, S. 59. Ähnlich auch S. 60: "Alle Akte, in denen sich der Mensch existentiell bejaht, haben zwei Seiten. Die eine Seite ist der Drang des Menschen, sein Zentrum vom göttlichen Zentrum zu entfernen (Unglaube), die andere, sich selbst zum Zentrum seines Selbst und seiner Welt zu machen (Hybris)." 132 Ebenda, S. 61 bzw. 60.

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bevor sie z u m individuellen Akt wird, s o daß sie als Merkmal der Entfremdung beides, Faktum und Akt, ist. 133 Mit j e d e m dieser Merkmale - Unglaube, Hybris und Konkupiszenz widerspricht die als Sünde sich äußernde existentielle Entfremdung d e m essentiellen Sein des Menschen 1 3 4 und führt auf d e m W e g d e s Übels 1 3 5 über Angst 1 3 6 , Schuld, Sinn- und Selbstverlust zu Verzweiflung 1 3 7 und Selbstzerstörung 1 3 8 . Der Konflikt "zwischen d e m , w a s der M e n s c h potentiell ist und darum sein sollte und dem, w a s der M e n s c h ist", ist unausweichlich und führt den M e n s c h e n zur Erkenntnis seines U n v e r m ö g e n s , aus eigener Kraft die existentielle Entfremdung zu überwinden 1 3 9 , da diese als universales

133 Vgl. dazu ebd. S. 64ff. Tillich führt aus: "Als individueller Akt ist Sünde eine Sache der Freiheit, Verantwortlichkeit und persönlicher Schuld. Aber diese Freiheit ist in das universale Schicksal der Entfremdung auf solche Weise eingebettet, daß jeder freie Akt das Schicksal der Entfremdung enthält, und umgekehrt, daß das Schicksal der Entfremdung durch jeden freien Akt verwirklicht wird. Daher ist es unmöglich, Sünde als Faktum von Sünde als Akt zu trennen." (ebd., S. 65) 134 Vgl. dazu S. 69: "Jedes Merkmal des entfremdeten Zustandes widerspricht dem essentiellen Sein des Menschen, seiner potentiellen Vollkommenheit. Es widerspricht der geschaffenen Struktur, sowohl des Menschen wie seiner Welt und ihren gegenseitigen Beziehungen." 135 Vgl. dazu S. 70: Das Übel ist die "Folge des Zustandes der Entfremdung". Es äußert sich in dem "wechselseitigen Verlust der polaren Elemente des Seins": Freiheit und Schicksal, Dynamik und Form, Individualisation und Partizipation. Dieser Verlust also führt zum Selbst- und Weltverlust, da die "Grundstruktur des endlichen Seins die Polarität von Selbst und Welt" ist und der Verlust des einen notwendig auch den Verlust des anderen einschließt. Das ist die "Grundstruktur der Destruktion, die alle anderen in sich schließt", m.a.W. das Übel. (Siehe dazu ausführlich S. 69ff. und bes. S. 70 bzw. 72.) 136 Angst hängt zusammen mit der Erfahrung der Endlichkeit und ihrer Kategorien: Zeit, Raum, Kausalität, Substanz, die in der gesamten Schöpfung gültig sind, ihre Funktion jedoch unter den Bedingungen der Existenz ändern. Versuche des menschlichen Widerstandes dagegen sind vergeblich und führen zur Verzweiflung. Siehe ausführlich S. 76ff., bzw. 78. 137 Tillich sagt: "Entfremdung in ihren selbstzerstörerischen Konsequenzen treibt zur Verzweiflung. In ihr treffen alle Elemente des Willens ... zusammen: Angst, Schuld, Sinnverlust." Vgl. dazu ausführlich S. 84ff. 138 Der Widerspruch zwischen essentiellem und existentiellem Sein als "SelbstWiderspruch aber treibt zur Selbstzerstörung ... Zerstörung unter den Bedingungen existentieller Entfremdung ... ist begründet in der Struktur der Entfremdung selbst. Man könnte eine solche Struktur mit einem scheinbar paradoxen Ausdruck 'Struktur der Destruktion' bezeichnen ...". Wie sich diese Selbstzerstörung konkret äußert, zeigt Tillich jeweils im Zusammenhang mit dem Verlust der polaren Elemente (Anm. 135) beziehungsweise mit der Erfahrung der Endlichkeit des Menschen (Anm. 136) auf. Siehe dazu im besonderen ebd. S. 69. 139 Siehe S. 84, bzw. ausführlich 84ff.

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Faktum sein Schicksal ist, das jeden Akt existentieller Selbstverwirklichung, mithin auch den Versuch zur Selbsterlösung, bestimmt und also scheitern läßt.140 Weil die menschliche Entfremdung universal ist, ist auch das Verlangen nach dem Neuen Sein als einer Wirklichkeit, in der die Entfremdung überwunden ist, universal.141

3. Inhalt der Sündlosigkeit - das Neue Sein als Überwindung der Entfremdung Die Wirklichkeit, in der die existentielle Entfremdung und somit die Kluft zwischen Essenz und Existenz im Prinzip überwunden ist, bezeichnet Tillich als das "Neue Sein": es ist die "unverzerrte Manifestation des essentiellen Seins unter den Bedingungen der Existenz"142. Da die Existenz nur dort überwunden werden kann, wo sie "am radikalsten Existenz ist", hat sich das Neue Sein als solches in einem personhaften Leben verwirklicht.143 Denn nur die Person kann als vollkommen entwickeltes Selbst der Welt gegenüberstehen, da in ihr die Polaritäten des Seins144 vollkommen aktuell sind und sie Freiheit und Schicksal und von daher auch die Fähigkeit hat, sich von sich selbst zu entfremden und zu sich selbst zurückzukehren.145 "Gäbe es kein personhaftes Leben, in dem die existentielle Entfremdung überwunden ist, dann würde das Neue Sein eine Forderung und eine Erwartung sein und nicht Wirklichkeit in Raum und Zeit. Nur wenn die Existenz in einem Punkt überwunden ist - in einem personhaften Leben, das die Existenz als ganzes repräsentiert -,146 dann ist sie im 140

Vgl. dazu ebd., S. 87f. Tillich nennt legalistische, asketische, mystische, sakramentale, doktrinelle und emotionale Wege der Selbst-Erlösung und zeigt im einzelnen auf, warum es alles Irrwege sind und den wahren Weg der Erlösung verkehren. - Siehe ebd., S. 89ff. 141 Vgl. dazu ebd., S. 96f. 142 Ebenda, S. 130. Ähnlich auch: "Das Neue Sein ist das essentielle Sein unter den Bedingungen der Existenz, das Sein, in dem die Kluft zwischen Essenz und Existenz überwunden ist." (ebd.) 143 Siehe ebd., S. 132 bzw. 131. 144 Zu dem Begriff siehe ebd. S. 69ff. bzw. oben Anm. 135. 145 Vgl. dazu ebd., S. 131f. 146 Da der Mensch zum physikalischen, biologischen und psychologischen Bereich gehört und den mannigfaltigen Gesetzen und den vielerlei Beziehungen zwischen diesen Bereichen unterworfen ist und in ihm alle Schichten des Seins gegenwärtig sind, betrifft das, was ihm widerfährt, indirekt alle Lebensbereiche. "Was in ihm geschieht, geschieht darum in Form wechselseitiger Teilnahme im Universum." Daher ist für Tillich "quali-

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Prinzip überwunden, und Prinzip bedeutet 'Anfang' wie 'tragende Kraft'." 147 Der personhafte Träger des Neuen Seins ist Jesus in der Totalität seines Seins, der als solcher der Christus ist.148 Es ist dieses sein Sein, das ihn zum Christus macht, weil es "die Qualität des Neuen Seins jenseits der Spaltung zwischen essentiellem und existentiellem Sein hat", so daß seine Worte, Taten und Leiden Manifestationen des ihnen vorausgehenden und sie transzendierenden Neuen Seins sind.149 Insofern das Sein allem Reden und Handeln vorausgeht und Jesus als der Christus das Neue Sein ist, haben seine Worte und Taten Macht, das Neue Sein zu verwirklichen und es dadurch zu manifestieren. 150 Indem Jesus als der Christus durch sein den Tod miteinschließendes Leiden vollkommen an der Existenz teilnehmen und die Entfremdung überwinden konnte, wird es als Konsequenz des Konfliktes zwischen ihm als dem Träger des Neuen Seins und den hierdurch besiegten Kräften dieser existentiellen Entfremdung ebenfalls zur Manifestation des Neuen Seins.151 Diese Manifestationen des Neuen Seins weisen zurück auf den Träger dieses Seins, in dem und durch den der Konflikt zwischen dem essentiellen Sein und der existentiellen Entfremdung überwunden und das Neue Sein inmitten und unter den Bedingungen der Existenz verwirklicht worden ist. Dieses Sein Jesu als des Christus ist Tillichs Verständnis zufolge dadurch gekennzeichnet, daß er, wiewohl er "endliche Freiheit ist und unter den Bedingungen von Raum und Zeit steht", vom Grunde seines Seins, von Gott, und daher auch von der Welt und von sich selbst nicht entfremdet ist.152 Darin, daß Jesus unter den Bedingungen der existentiellen Entfremdung gelebt hat, ohne von ihnen überwältigt zu werden, liegt für Tillich der "paradoxe Charakter seines Seins".153 Weder sind Züge des Unglaubens, d.h. der Wegwendung vom göttlichen Zentrum154, noch Züge von Hybris

tativ ... die Veränderung einer Seinsform an einem Ort des Universums unendlich bedeutungsvoll für das Universum als Ganzes". (Vgl. ebd., S. 132.) 147 Ebenda, S. 108. Daher muß die Theologie auf der Anerkennung der "historischen Faktizität des Jesus von Nazareth" bestehen. Siehe auch Anm. 146. 148 Vgl. hierzu und zum folgenden ebd., S. 132ff. 149 Ebenda, S. 132. 150 Siehe dazu ausführlich ebd., S. 132-134. 151 Siehe hierzu ebd., S. 134f. 152 Vgl. dazu ebd., S. 137. 153 Ebenda, S. 137. Ähnlich auch S. 104. 154 In diesem Zusammenhang führt Tillich an, daß Jesus selbst in der extremen Situation der Verzweiflung über sein messianisches Werk zu seinem Gott schreit, der ihn verlassen hat. (ebd., S. 137)

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oder Selbst-Erhöhung155 und Zuwendung zu sich selbst als dem Zentrum des eigenen Selbst, noch Züge von Konkupiszenz, von grenzenloser Begierde nach Macht und Erfolg 156 bei ihm zu finden.157 Da demnach Unglaube, Hybris und Konkupiszenz, diese Merkmale der existentiellen Entfremdung und als solche Ausdruck der Sünde bei Jesus fehlen, muß man bei ihm vom verwirklichten Neuen Sein sprechen, das als Überwindung der Entfremdung und Verwirklichung des essentiellen Seins inhaltsmäßig dasselbe bezeichnet wie der Begriff der Sündlosigkeit.158 Daraus ist zu folgern, daß das in und durch Jesus verwirklichte Neue Sein als Überwindung der existentiellen Selbstentfremdung Ausdruck und zugleich Inhalt seiner Sündlosigkeit ist.

4. Seinsgrund der als Neues Sein verstandenen Sündlosigkeit Da - im Sinne der obigen Ausführungen - nur ein personhaftes Leben Freiheit und Schicksal hat und durch die hierin gründende Fähigkeit, als vollkommen entwickeltes, die Polaritäten des Seins aktualisierendes Selbst der Welt gegenüberzustehen, die Existenz als Ganzes repräsentieren und sich von sich selbst entfremden und wieder zu sich selbst zurückkehren kann, hat die Überwindung der existentiellen Entfremdung und die Verwirklichung des Neuen Seins nur in einem Menschen geschehen können. Kann von daher Erlösung "nur von dem kommen, der voll an der menschlichen Situation partizipiert, nicht von einem auf Erden wandelnden Gott, der in jeder Hinsicht verschieden von uns ist", ist Jesus als der Träger des durch Überwindung der Entfremdung verwirklichten Neuen Seins in vollem Sinne Mensch. 159 Das Menschsein Jesu ist dadurch gekennzeichnet, daß sein Leben wie das eines jeden anderen Menschen unter den Bedingungen der

155 Tillich nennt hierfür als biblischen Beleg das Verhalten Jesu beim Bekenntnis des Petrus: "Obwohl sich Jesus seiner messianischen Berufung bewußt ist ... verbindet er die Annahme dieses Titels mit der Annahme seines gewaltsamen Todes, und er verbindet damit die Warnung an seine Jünger, seine messianische Funktion geheim zu halten." (ebd., S. 137) 156 Dieses geht, Tillichs Verständnis zufolge, aus der Geschichte der Versuchung Jesu in der Wüste hervor. Hätte Jesus, vom Satan darauf aufmerksam gemacht, sein "natürliches Verlangen nach Nahrung, Erfolg seiner Mission und Macht über die Menschen" sich selbst gestillt, wäre er damit "der dämonischen Versuchung zum Opfer gefallen und hätte aufgehört, der Christus zu sein", (ebd., S. 138) 157 Vgl. dazu überhaupt ebd., S. 137f. 158 Zu Tillichs Ablehnung des Begriffes der Sündlosigkeit vgl. S. 138 bzw. unsere Ausführungen S. 44. 159 Ebenda, S. 159, bzw. siehe 154ff. und bes. 157ff.

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Existenz stehend von der Polarität von Freiheit und Schicksal bestimmt ist. Jede Entscheidung und jedes Widerfahrnis Jesu ist ein Akt seiner Freiheit und zugleich eine Konsequenz seines Schicksals.160 Diese Polarität zwischen Freiheit und Schicksal, die das Leben eines jeden Menschen bestimmt, kommt in besonderer Weise in den Versuchungen zum Ausdruck, denen Jesus wie jeder Mensch ausgesetzt ist.161 Kann bei Jesus aber von Überwindung der Entfremdung gesprochen werden, wenn er selbst realer Versuchung ausgesetzt ist, die Versuchung aber, da wesentlich mit Begehren verbunden, gerade das Merkmal der aller Entscheidung, ihr nachzugeben oder ihr zu widerstehen vorausgehenden Entfremdung ist?162 Von wesentlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang für Tillich die Bewertung des Begehrens, bzw. die Unterscheidung zwischen Begehren und Konkupiszenz, denn: "ohne Begehren kann es nicht zur Versuchung kommen, aber die Versuchung besteht darin, daß das Begehren sich in Konkupiszenz verwandeln will"163. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Begehren nach "Wiedervereinigung des Endlichen mit dem Endlichen", das innerhalb der Einheit mit Gott geschieht, und seiner Verzerrung als Konkupiszenz, die "nicht die Wiedervereinigung mit dem anderen will, sondern die Ausbeutung des anderen durch Macht und Lust", daß also das Endliche neben Gott und nicht innerhalb der Einheit mit Gott gewünscht wird.164 In diesem Verständnis sind die Jesus widerfahrenen realen Versuchungen als dem Wesensmerkmal seines unter den Bedingungen der Existenz stehenden Menschseins nicht Ausdruck von Entfremdung, sondern sie werden, als von Jesus überwunden, zum Ausdruck seiner Einheit mit Gott165, dem Grund der Überwindung der Entfremdung insgesamt und der Verwirklichung des Neuen Seins inmitten der Existenz. Wieso?

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Vgl. dazu ebd., bes. S. 141. Siehe dazu bes. S. 139ff. 162 Tillich fragt: "Unter welchen Bedinungen kommt es zu einer echten Versuchung? Ist nicht eine der Bedingungen ein Begehren nach dem, was versucherisch ist? Aber wenn es ein solches Begehren gibt, ist dann nicht die Entfremdung früher da als die Entscheidung, der Versuchung nachzugeben oder nicht nachzugeben?" (ebd., S. 139) 163 Ebenda, S. 140. 164 Ebenda, S. 141 bzw. 140. Tillich sagt: "Die Versuchung, die im Begehren wurzelt, besteht darin, daß das Endliche neben Gott gewünscht wird, und daß das Begehren Konkupiszenz wird." "Aber wo Einheit mit Gott vorliegt, wird das Endliche nicht neben dieser Einheit, sondern innerhalb ihrer begehrt." (ebd., S. 141) 165 Tillich stellt fest, daß bei Jesus "Versuchung als Möglichkeit besteht, aber aus der Einheit mit Gott heraus ständig überwunden wird." (ebd., S. 159) 161

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Das Überwinden der Versuchungen, denen Jesus als Mensch ausgesetzt ist, ist als freie Entscheidung Jesu ein im Zentrum seines Selbst wurzelnder Akt seiner Freiheit als Mensch. 166 Nun aber kann Tillich zufolge - wie bereits gezeigt - "kein Akt innerhalb des Ganzen der existentiellen Entfremdung die existentielle Entfremdung überwinden", da das existentielle Sein des Menschen nicht nur von der Freiheit, sondern auch von deren Gegenpol, dem Schicksal, bestimmt ist, weswegen seine Freiheit endliche Freiheit ist und daher "alle Versuche, aus eigener Kraft die existentielle Entfremdung zu überwinden, ... zu tragischem Mißlingen" führen. 167 Demzufolge ist Jesu Sieg über die Versuchungen wohl ein Akt seiner Freiheit, zugleich aber auch Konsequenz seines Schicksals168, das wesentlich die göttliche Bestimmung ist, unter der dieses Leben steht. Tillich sagt: "Die Erscheinung Jesu als des Christus und sein Widerstand gegen die Versuchungen beruhen sowohl auf seiner eigenen Entscheidung als auch auf göttlicher Bestimmung." Und: "Das menschliche Schicksal ist. von Gott bestimmt." 169 Stehen in dieser Weise Jesu Entscheidungen unter Gottes lenkendem Schaffen170, so ist eigentlich Gott der in ihm und durch ihn Handelnde. 171 Wird Jesu Sieg über die existentielle Entfremdung als Erlösung und er von daher als der Erlöser verstanden, ist er dieses "nicht durch sich selbst, sondern durch göttliche Bestimmung, so daß Vermittlung und Erlösung unmittelbar von Gott kommen ... Gott ist immer das Subjekt ,.." 172 Durch dieses Verständnis kommt Tillich in nächste Nähe zur Zweinaturenlehre, die er in der Fragestellung als richtig bezeichnet. Mit den Begriffen dieser Lehre zum Ausdruck gebracht, würde jede Verkleinerung der menschlichen Natur Jesu ihm seine totale Teilnahme an den Bedingungen der Existenz nehmen, während jede Verkleinerung seiner göttlichen Natur ihn seines totalen Sieges über die existentielle Entfremdung berauben wür-

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Vgl. dazu Tillich, S. 141: "Wenn der Christus sich entscheidet, den Versuchungen nicht nachzugeben, so ist das ein Akt seiner endlichen Freiheit in Analogie zu der Entscheidung eines jeden, der endliche Freiheit ist, d.h. eines jeden Menschen. Als freie Entscheidung ist sie ein Akt seiner ganzen Person und wurzelt im Zentrum seines Selbst." 167 Ebenda, S. 89 bzw. 87f. 168 Ebenda, S. 141. 169 Vgl. dazu Tillich, ebd., S. 141f. 170 Vgl. Tillich, ebd., S. 142. 171 Tillich sagt: "Gott ist immer derjenige, der handelt, und der Mittler (Jesus) ist derjenige, in dem und durch den Gott handelt." (ebd., S. 182f.) Siehe auch S. 187, 183. 172 Vgl. dazu Tillich, ebd., S. 103.

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de.173 Nicht einverstanden ist Tillich jedoch mit den Begriffen dieser Lehre, weswegen er die Behauptung, daß Jesus als der Christus die persönliche Einheit einer göttlichen und menschlichen Natur ist, durch die Aussage ersetzt, daß "in Jesus als dem Christus die ewige Einheit von Gott und Mensch historische Wirklichkeit geworden ist. "174 Demzufolge ist für Tillich das Neue Sein "die wiederhergestellte Einheit zwischen Gott und Mensch" 175 . Der Begriff ewige Gott-Mensch-Einheit, durch den er den Ausdruck göttliche Natur ersetzt hat, sagt für Tillich aus, "daß eine Gemeinschaft zwischen Gott und dem Zentrum eines personhaften Lebens vorliegt, die alle Äußerungen dieses Lebens bestimmt und den Versuchungen zur Zerreißung widersteht"176. Demnach bezeichnet die durch Gott in Jesus Christus realisierte ewige Gott-Mensch-Einheit das in Jesus handelnde göttliche Subjekt, das als solches der Grund der als Neues Sein verstandenen Überwindung der existentiellen Entfremdung ist. Da aber dieses als Überwindung der existentiellen Entfremdung verstandene, in Gottes Handeln gründende Neue Sein der Inhalt der Sündlosigkeit Jesu ist, so ist ihr Seinsgrund ebendieselbe, durch Gottes in Jesus Christus geschehenes Handeln realisierte Gott-Mensch-Einheit.

5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi Tillich sagt: "Die Bedeutung Jesu als des Christus ist sein Sein."177 Dieses Sein ist aber das Neue Sein, so daß die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu insofern in ihrem Inhalt besteht, als dieser eben dieses Neue Sein bezeichnet, in dem die existentielle Entfremdung des Menschen mit ihren katastrophalen Folgen im Prinzip (im Sinn von "Anfang und Kraft") überwunden und das wesenhafte, essentielle Menschsein unter den Bedingungen der Existenz verwirklicht ist, an dem alle Menschen Anteil haben sollen.

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Vgl. dazu ebd., S. 154. Tillich zufolge ist Jesus als der Christus keine "dritte Wirklichkeit", keine "ontologische Realität" neben Gott und Mensch (S. 103, 182). Der Begriff "ewige GottMensch-Einheit", durch den er den statischen Ausdruck der Einheit von zwei Naturen ersetzt, meint dementsprechend keinen "Zustand des Menschen" (S. 162), sondern drückt eine dynamische Relation aus, deren beide Seiten dadurch gleichmäßig betont werden. (Vgl. ebd., S. 160, 162). 175 Vgl. dazu ebd., S. 160. 176 Ebenda, S. 160f. 177 Ebenda, S. 179. 174

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Diesem Verständnis zufolge besteht Jesu Werk in der Vermittlung dieses Neuen Seins an die unter den Folgen der existentiellen Entfremdung lebenden Menschen und wird von Tillich als Erlösung bezeichnet. "Jesus ist der Erlöser durch die unmittelbare Wirkung seines Seins als Neues Sein."178 Die Wirkung des Neuen Seins besteht in der Überwindung des Zwiespaltes zwischen Gott und Mensch, dem Menschen und seiner Welt und dem Menschen mit sich selbst179, und ist demnach die Überwindung der existentiellen Entfremdung und die Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit zwischen Gott und Mensch. Die erlösende Macht des Neuen Seins, die durch Jesus Christus als dessen sündlosen Träger vermittelt wird, besteht für den Menschen in der Teilnahme am Neuen Sein (Wiedergeburt), in der Annahme des Neuen Seins (Rechtfertigung) und in der Umwandlung durch das Neue Sein (Heiligung).180 In diesem Verständnis bezeichnet die als Neues Sein definierte Sündlosigkeit Jesu Christi infolgedessen den Inhalt seiner Heilsbedeutung.

III. Wolfhart Pannenberg

1. Zum Gesamtverständnis Die Bestimmung der Sündlosigkeit Jesu Christi und ihres Zusammenhanges mit der Zweinaturenlehre nimmt Wolfhart Pannenberg181 auf ausgesprochen deduktivem Wege vor, da sie in seinem Verständnis erst aus dem ganzen, in Jesu Christi Auferstehung mündenden "DaseinsVollzug" resultiert.182 Denn dieser Daseinsvollzug Jesu Christi ist gekennzeichnet durch den in seiner

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Ebenda, S. 179. Ebenda, S. 181. 180 Siehe dazu ausführlicher Tillich, ebd., S. 189ff. 181 Wir befassen uns hier mit der Christologie Wolfliart Pannenbergs, wie sie uns in der Darstellung »Grundzüge der Christologie«, Gütersloh 4 1972 vorliegt. Darauf beziehen sich unsere folgenden Zitate. - In seiner »Systematischen Theologie« Bd. I-III, Göttingen 1988ff., geht W. Pannenberg auf die Frage der Sündlosigkeit Jesu nicht näher ein, sondern verweist auf seine Ausführungen dazu in den genannten »Grundzügen der Christologie«; siehe: Systematische Theologie II, S. 469, Anm. 83. sich 182 Vgl. dazu Pannenberg aaO., S. 378. 179

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Verkündigung und in seinem Verhalten implizit zum Ausdruck gebrachten proleptischen Vollmachtsanspruch einerseits und andererseits durch seine Hingabe an den Willen des Vaters und bedarf, um sich als gelebte Einheit mit Gott und also als seine Göttlichkeit wie auch als Persongemeinschaft mit Gott als deren Inhalt und also als seine Gottessohnschaft herauszustellen, der Bestätigung durch Gott. Die Auferweckung Jesu von den Toten ist als diese von Gott her erfolgte Bestätigung die Offenbarung und zugleich die - rückwirkende - Inkraftsetzung dieser Einheit und Persongemeinschaft mit Gott, die aber ihrerseits die Sündlosigkeit Jesu insofern impliziert, als "Jesu Einheit mit Gott in seiner Persongemeinschaft mit dem Vater und in seiner Personidentität als Sohn Gottes unmittelbar die Geschiedenheit von aller Sünde bedeutet." 183 Dies gilt es nun, im folgenden auszuführen.

2. Die Einheit Jesu mit Gott und seine Gottheit

a) Der proleptische Vollmachtsanspruch Durch eine Untersuchung der Bergpredigtantithesen, des die Sabbats- und Reinheitsvorschriften einleitenden Amen 184 , der Feier der Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern185 und der Vollmacht zur Sündenvergebung 186 , sowie des zentralen, wahrscheinlich auf Jesus selbst zurückgehenden Logions Lk 12,8 "Ich sage euch aber, wer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes" 187 , kommt Pannenberg zu der Erkenntnis, daß Jesus nicht nur in seiner Verkündigung, sondern in seinem ganzen Verhalten implizit den Anspruch zum Ausdruck bringt, daß das gegenwärtige Verhalten der Menschen zu ihm für den Ausgang des zukünftigen Gerichts darum von Entscheidung ist, weil die erst für die Endzeit verheißene Heilsgegenwart Gottes in ihm vorwegnehmend schon Ereignis ist. 188

Pannenberg ebd., S. 368. Ähnl. auch S. 377. Pannenberg übernimmt die diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse E. Käsemanns, vgl. dazu ausführlicher ebd. S. 50f. 185 E. Fuchs versteht das ganze Verhalten Jesu als den eigentlichen Rahmen seiner Verkündigung, was besonders darin zum Ausdruck kommt, daß er mit Zöllnern und Sündern das eschatologische Mahl, das die Tradition der Zukunft und den Gerechten vorbehielt, schon jetzt feiert. Vgl. dazu ebd. S. 51. 186 Für P. Althaus ist in der Tischgemeinschaft Jesu mit den Sündern das Vergeben Gottes gegenwärtiges Ereignis. Vgl. dazu ebd., S. 48. 187 Vgl. dazu Pannenberg, ebd., S. 53ff. 188 Vgl. dazu überhaupt ebd., S. 47-61, bes. S. 51ff. 183

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Dieser Vollmachtsanspruch Jesu ist aber auf zukünftige Bewährung durch das Endgeschehen hin angelegt, denn Jesu Taten konnten ihn nur insofern bewähren, als sie den Anbruch der Heilszeit zeigten; ob er aber in Person derjenige war, an dem sich Heil oder Gericht endgültig entscheiden, konnte sich erst bei dem nach der allgemeinen Totenauferweckung erfolgten Richten des Menschensohnes nach dem Maßstab des Verhältnisses der Menschen zu Jesus als wahr erweisen. 189 Weil der Vollmachtsanspruch Jesu durch diese proleptische Struktur der apokalyptischen Geschichtsschau entspricht 190 , die ebenfalls künftiges Geschehen im voraus erfaßt, jedoch der Bestätigung durch den Lauf der Ereignisse bedarf 191 , ist im Verständnis Pannenbergs die Apokalyptik - trotz aller vorhandenen Unterschiede 192 - "der geistige Horizont ... der Vorwegereignung der Gottesherrschaft durch Jesus". 193 b) Die Auferweckung In diesem Horizont als seinem ursprünglichen, traditionsgeschichtlichen Zusammenhang verstanden, ist das Ereignis der Auferweckung Jesu von den Toten, dessen Tatsächlichkeit Pannenberg als "historisch sehr wahrscheinlich" erscheint 194 , die erfolgte Bestätigung seines proleptischen Vollmachtsanspruches. Erwartete die Apokalyptik die allgemeine Totenauferweckung als Beginn des Endgeschehens, so konnte die Jesus tatsächlich widerfahrene Auferweckung nur den Anbruch des Weltendes bedeuten. Da die Juden aber ein solches Ereignis nicht als ohne den Willen Gottes zustandegekommen hinnehmen konnten, hieß das für sie, daß Gott selbst das vorösterliche Auftreten Jesu bestätigt hat; und da erst am Ende alles Geschehens Gott in

189 Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 58-61, bes. aber S. 59f. bzw. 61: "Das ganze Wirken Jesu blieb also auf zukünftige Bewährung seines Vollmachtsanspruches angelegt, auf eine Bestätigung, die Jesus selbst nicht leisten konnte, eben weil und insofern es sich dabei um die Legitimierung seiner eigenen Person handelte, die an das Eintreffen des angekündigten Endgeschehens gebunden ist ... Dieses Endgeschehen aber mußte die Bewährung seiner Vollmacht bringen." 190 Pannenberg zufolge stützt sich das Urteil, der Anspruch Jesu habe proleptischen Charakter, auf den "Gesamtcharakter des Auftretens Jesu in seiner Bestimmtheit durch den apokalyptischen Hintergrund" (ebd., S. 57). 191 Diese apokalyptische Geschichtsschau geht nach Pannenberg auf den "Zukunftsbezug der prophetischen Gottesworte" zurück, die auch der künftigen Erfüllung bedurften, um sich als Jahwes Worte zu erweisen (s. S. 55 und auch 61). 192 Vgl. dazu ebd., S. 55f. 193 Ebenda, S. 56. 194 Ebenda, S. 103. Vgl. dazu § 3, IV. pass. S. 85ff.: Die historische Problematik der Auferweckung Jesu.

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seiner Gottheit offenbar sein kann, in Jesu Auferstehung nun aber das Ende schon da ist, Gott selbst an ihm offenbar ist.195 Werden nun diese jüdisch-apokalyptischen Gedanken, daß an Jesus das Ende der Dinge schon eingetreten ist und Gott an Jesus offenbar ist, in die hellenistische Vorstellungsweise und Terminologie übersetzt, dann heißt das: in Jesus ist Gott selbst auf Erden erschienen und in Jesus ist Gott offenbar. Gründet auf das apokalyptische Offenbarungs Verständnis (Vorwegereignung des Endes der Geschichte an Jesus) nach Pannenberg das hellenistische Epiphanie- und Offenbarungsverständnis (Erscheinung als Offenbamng Gottes in Jesus)196, dann dürfte die Übersetzung dieses apokalyptischen Offenbarungsverständnisses in das hellenistische der Weg gewesen sein, der zur These von der wahren Gottheit Jesu geführt hat, denn "die Gottheit Jesu ist in der Vorstellung von der Erscheinung Gottes in Jesus schon irgendwie, wenn auch nicht in der später orthodoxen Präzision impliziert"197. c) Offenbarungsgegenwart

und Wesenseinheit

Offenbarung und Erscheinung Gottes implizieren Gottes Gegenwart in Jesus, so daß es sich von dem Offenbarungscharakter her, den das Christusgeschehen hat, nahelegt, von einer Offenbarungsgegenwart Gottes in Jesus zu sprechen, die - im Sinne der obigen Ausführung - wesentlich Selbstoffenbarung ist.198 Impliziert Selbstoffenbarung aber Identität des Offenbarers und des Offenbarten, dann muß das Christusgeschehen und somit Jesus selbst zum Wesen Gottes gehören, denn Offenbarungsidentität impliziert ihrerseits Wesensidentität.199 Über das Verständnis des Auferweckungsgeschehens als Bestätigung des Anspruches des irdischen Jesus, daß Gott in ihm gegenwärtig ist, führt der Gedanke der Offenbarungsgegenwart Gottes in Jesus zur Erkenntnis seiner Wesenseinheit mit Gott, die Jesu eigene Gottheit ausmacht. Jesu Wesenseinheit mit Gott hat also ihren Grund im Ostergeschehen, sie fängt aber nicht erst mit diesem Ereignis an, denn als Bestätigung des Anspruches Jesu hat es rückwirkende Kraft für Jesu ganzes vorösterliches Auftreten. 200

19s

Vgl. hierzu bes. S. 62 und 64, aber auch § 3, II. pass. S. 61ff. Zu dieser deutlichen Herausstellung vgl. B. Klappert, Die Auferweckung des Gekreuzigten, Neukirchen 1971, S. 31. 197 Pannenberg, aaO., S. 64f. bzw. 65. 198 Vgl. hierzu das unter Punkt b) Ausgeführte. 199 Vgl. dazu ausführlich Pannenberg, aaO., S. 124-131. 200 Vgl. hierzu ebd., S. 136: "Das Ostergeschehen weist auf den vorösterlichen Jesus, insofern es seinen vorösterlichen Vollmachtsanspruch bestätigt hat. Die Einheit Jesu mit Gott, die im Ostergeschehen begründet ist, fängt daher mit diesem Ereignis 196

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Von der Auferweckung Jesu her rückwirkend ist sein Wesen begründet201, und zwar nicht nur erkenntnishaft, sondern auch seinshaft: "Wäre Jesus nicht auferweckt worden, so wäre damit entschieden, daß er auch vorher nicht mit Gott eins war. Durch seine Auferweckung hingegen ist nicht nur für unsere Erkenntnis, sondern auch der Wirklichkeit nach entschieden, daß Jesus mit Gott (wesens-)eins ist, und zwar nun rückwirkend, daß er auch schon zuvor mit Gott (wesens-)eins war. "202

3. Inhalt der Einheit Jesu mit Gott und seine Gottessohnschaft Auf dem Weg der Klärung des Verhältnisses von Jesu Gottheit und seinem Menschsein bestimmt Pannenberg den Inhalt dieser Wesenseinheit. Hat sich von der retroaktiven Kraft des Ostergeschehens her Jesu Wesenseinheit mit Gott in dem Sinne herausgestellt, daß Jesus schon zeit seines irdischen Lebens mit Gott eins war, dann kann Jesus nicht aus Göttlichem und Menschlichen zusammengesetzt gedacht werden, sondern dann ist Jesus als dieser Mensch Gott, und zwar "als dieser Mensch ... in dieser seiner besonderen, einmaligen Situation, mit dieser besonderen geschichtlichen Sendung und diesem besonderen Geschick - als dieser Mensch ist Jesus nicht nur Mensch, sondern von seiner Auferweckung von den Toten her mit Gott eins und so selbst Gott"203. Demzufolge hält Pannenberg an der wahren Gottheit wie auch am wahren Menschsein Jesu unbedingt fest; "das vere deus, vere homo ist unaufgebbare Aussage christlicher Theologie"204. Wie verhält sich aber das Gottsein Jesu zu seinem Menschsein, m.a.W.: Worin besteht diese Gottheit und Menschsein Jesu verbindende Einheit?

nicht erst an, sondern sie tritt von ihm her rückwirkend für den Vollmachtsanspruch im Verhalten des irdischen Jesus in Kraft. Umgekehrt ist der Vollmachtsanspruch des vorösterlichen Jesus als Vorgriff auf seine durch das Ostergeschehen erwiesene Einheit mit Gott zu verstehen." 201 Vgl. hierzu ebd., S. 134 bzw. 136: "Jesus wird nicht einfach zu etwas, was er vorher nicht gewesen wäre ... Von seiner Auferweckung her wird Jesus vielmehr als der erkannt, der er schon vorher war, als der er allerdings vor Ostern nicht nur nicht erkennbar war, sondern der es auch nicht sein würde ohne das Ostergeschehen." 202 Ebenda, S. 135. Vgl. dazu überhaupt § IV, II, 1, S. 131-140. 203 Ebenda, S. 334. Vgl. dazu auch den Leitsatz von § 8: "Die Einheit Jesu mit Gott ist nicht als Verbindung zweier Substanzen zu denken, sondern als dieser Mensch ist Jesus Gott." (S. 291, sowie überhaupt S. 2910204 Ebenda, S. 292.

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α) Hingabe Die Wesenseinheit Jesu mit Gott, die seine eigene Gottheit ist, bedeutet nicht unterschiedslose Identität mit Gott, hat sich doch Jesus selbst in einem Gegenüber zu dem Gott verstanden, den er Vater nannte205 und auf den er sich bezogen wußte206, sondern sie besteht im Verhältnis zu seinem Vater, wie es seinen konkreten Ausdruck in dem sein Verhalten und Geschick umfassenden, durch die Auferweckung bestätigten Daseinsvollzug Jesu findet. Jesu Verhalten und sein daraus folgendes Geschick sind nämlich an sich keineswegs eindeutig, denn der in seinem Verhalten zum Ausdruck gebrachte Vollmachtsanspruch konnte, indem Jesus dafür selbst Gottes Autorität in Anspruch nahm und er sich dadurch gewissermaßen an Gottes Stelle setzte, durchaus auch als Gotteslästerung verstanden werden und ist es ja auch, ist Jesus doch gerade deswegen zum Kreuzestod als der Erfüllung seines Geschickes verurteilt worden.207 Was Jesu Verhalten und Geschick für seine Person tatsächlich bedeuten, wird daher erst durch seine Auferweckung von den Toten als dessen von Gott her erfolgte Bestätigung offenbar und - retroaktiv - wirksam. Von dieser Bestätigung her ist Jesu gesamtes, durch den Inhalt seiner Botschaft vollkommen bestimmtes Verhalten nicht Gotteslästerung und grenzenlose Hybris, sondern gerade der lebendige Ausdruck seines unmittelbaren Gottesverhältnisses, das wesentlich Hingabe an Gott und seinen Willen ist und das in der vertrauensvollen Bejahung und gehorsamen Annahme des Kreuzesgeschickes den Charakter der Selbstpreisgabe gewinnt.208 Diese, das Verhalten des irdischen Jesus in seinem Gottesverhältnis kennzeichnende Hingabe bis zur Selbstpreisgabe und also sein Gehorsam als sein durch die Auferweckung offenbartes und bestätigtes Von-Gott-her-Sein ist aber der Inhalt seiner Wesenseinheit mit Gott, seiner Gottheit.209

205

Vgl. dazu ebd., S. 159f. Vgl. dazu die Ausführungen über das Selbstbewußtsein Jesu, S. 336-345. Weil Jesu Selbstbewußtsein entscheidend durch seine Botschaft von der Nähe Gottes und seines Reiches bestimmt gewesen sein muß, diese Botschaft und der darin enthaltene Anspruch aber insofern auf Gott bezogen sind, als nur er ihre Wahrhaftigkeit durch seine künftige Bestätigung erweisen konnte, mußte sich auch Jesus in seinem Selbstbewußtsein auf seine Einheit mit Gott bezogen wissen (s. S. 343). 207 Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 257-261. 208 Vgl. dazu ebd., S. 346. 209 Vgl. dazu ebd., S. 347. 206

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b) Persongemeinschaft und Personidentität Dieses Verhältnis der Hingabe bis zur Selbstpreisgabe ist als Inhalt der Wesenseinheit Jesu mit Gott die Persongemeinschaft des Menschen Jesus mit Gott.210 Denn wenn es das Wesen der Person ist, in Hingabe zu existieren und im "Versenktsein in das Du" Teilhabe an dessen Wesen zu bekommen, und wenn Jesus durch die ihm widerfahrene Auferweckung von den Toten "gerade und insofern der Offenbarer der Gottheit Gottes (ist), als er durch sie darin bestätigt wird, der ganz und gar Gott Hingegebene (und Gehorsame211) gewesen zu sein", dann erweist sich darin die Wesenseinheit Jesu mit Gott als Wesensgemeinschaft und also als Persongemeinschaft. 212 Diese Persongemeinschaft mit dem Vater, in der Jesus als Mensch in seiner Hingabe an Gott und von diesem her lebt, erweist ihn aufgrund der Auferweckung 213 als identisch mit dem Sohn des Vaters und also als den Sohn Gottes.214 Es ist demnach die in seiner Hingabe an den Vater als Ausdruck seines Von-Gott-her-Seins bestehende Besonderheit des Menschseins Jesu, die das Bekenntnis zu ihm als dem Gottessohn begründet hat215, wobei jedoch diese Hingabe als solche nicht etwa im Unterschied zu anderen Aspekten seines Daseins das Göttliche in Jesus ist, sondern sie "durchdringt, übersteigt und umfaßt alle Äußerungen und Momente seines Daseins" und unterscheidet sich von aller anderen menschlichen Hingabe durch ihren eschatologischen Charakter, der ihr infolge der Einmaligkeit der geschichtlichen Situation

210

Vgl. dazu ebd. Vgl. dazu ebd., S. 347: "Eben als der dem Vater ganz Gehorsame ist er der Offenbarer der Gottheit Gottes und also selbst untrennbar dem Wesen Gottes zugehörig. So ist er der Sohn." Zum Gehorsam Jesu siehe auch S. 159. 212 Vgl. ebd. 213 Vgl. ebd., S. 348: Es begründet "erst seine Auferweckung von den Toten seine Identität mit dem Sohne Gottes ... weil erst die Auferweckung Jesu den Sinn seines irdischen Lebens als Hingabe an Gott nun auch von Gott her bestätigt". 214 Vgl. ebd., S. 346; ähnl. aber auch 347, 351 und auch 354: "In der Hingabe an den Vater lebt Jesus seine Personalität als Sohn", sowie S. 359: "Jesus ist von seiner Auferweckung her als der Sohn Gottes so offenbar, daß nicht nur sein Verhalten als das der dem Vatersein Gottes entsprechenden Sohnschaft erwiesen ist, sondern so, daß er selbst als der Sohn Gottes in Person erwiesen ist." Siehe auch Anm. 215. 215 Vgl. ebd., S. 355: "Die Identität Jesu mit dem ewigen Sohne Gottes ist somit eine dialektische. Das Verständnis dieses Menschen und seiner Menschlichkeit schlägt um in das Gegenteil, führt auf das Bekenntnis zu seiner ewigen Gottheit. Umgekehrt kann alles Reden von einem ewigen Sohne Gottes immer nur durch Rekurs auf die Besonderheit dieses Menschen, auf die Einheit dieses Menschen mit Gott hinreichend begründet werden." 211

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Jesu eignet. 216 Infolgedessen ist Jesus nicht als aus Göttlichem und Menschlichem zusammengesetzt zu denken, sondern gerade in dieser seiner besonderen Menschlichkeit ist Jesus als dieser Mensch der Sohn Gottes und Gott. 217 c) Enhypostasie und Freiheit Jesu Wohl beruht - im Sinne der obigen Ausführungen - die Erkenntnis der ewigen Sohnschaft Jesu auf der Besonderheit dieses seines Menschseins in seiner Beziehung zum Vater; ontologisch aber verhält es sich umgekehrt, denn der Seinsgrund des menschlichen Daseins und der Einheit Jesu mit Gott ist insofern seine göttliche Sohnschaft, als "die besonderen menschlichen Lebensmomente im Dasein Jesu von seiner Person so zu einem Ganzen integriert wurden, daß die integrierende Person sich eben dadurch als die Person des ewig zur Gottheit Gottes gehörenden Sohnes realisierte" 218 . In diesem Sinne ist die Person Jesu damit der Ort, "in dem das Wesen Gottes ... und das Wesen des Menschen, das durch eben diese Person integriert wird ... vereint werden" 219 . Das ist der Wahrheitsgehalt der Formel der Enhypostasie Jesu im Logos in der klassischen Christologie, der nicht preisgegeben werden darf. 220 Im Zusammenhang mit der Enhypostasie Jesu steht für Pannenberg das Verständnis der Freiheit Jesu. Die Hingabe Jesu an den Vater bis hin zur Selbstpreisgabe ist der Ausdruck der absoluten aktuellen Willenseinheit als Medium der Wesenseinheit Jesu mit dem Vater, in der für ihn jede Wahlfreiheit gegenüber anderen Möglichkeiten ausgeschlossen war. 221 Er war von seiner Sendung, die eschatologische Gegenwart Gottes als Anbrach des Heils zu verkünden, so sehr durchdrungen, daß seine Freiheit eben darin bestand, den Willen seines Vaters zu tun und dieser seiner Sendung zu folgen, indem er ihr gegenüber keine innere Selbständigkeit zurückbehielt. 222 "Die Enhypostasie Jesu im Sohne Gottes bedeutet eben, daß Jesus keinerlei Selbständigkeit gegenüber Gott für sich in Anspruch nahm, weil gerade seine Freiheit nicht in der Unabhängigkeit von Gott, sondern in der Einheit mit Gott bestand." 223

2,6 217 218 2,9 220 221 222 223

Vgl. dazu ebd., S. 354f. Vgl. dazu ebd., S. 354. Ebenda, S. 356 bzw. 349. Ebenda, S. 356f. Vgl. dazu überhaupt S. 349-357. Vgl. ebd., S. 362. Vgl. dazu überhaupt S. 362-368. Ebenda, S. 362.

61

Als solcher war er zwar gegen Versuchungen und Anfechtungen nicht gefeit, ihnen aber aus dieser Freiheit heraus überlegen. 224

4. Sündlosigkeit Jesu - Implikat seiner Gottessohnschaft Da im Verständnis Pannenbergs "Jesu Einheit mit Gott in seiner Persongemeinschaft mit dem Vater und in seiner Personidentität als Sohn Gottes unmittelbar die Geschiedenheit von aller Sünde" bedeutet225, ist seine Sündlosigkeit Implikat dieser in seiner persönlichen Gemeinschaft und Einheit mit Gott bestehenden Gottessohnschaft und resultiert wie diese aus dem ganzen, in seine Auferstehung mündenden Daseinsvollzug. 226 Daraus kann gefolgert werden, daß die Sündlosigkeit Jesu in diesem Verständnis denselben Erkenntnisgrund, Inhalt und Seinsgrund haben muß wie seine Gottessohnschaft. Inwieweit dies zutrifft, ergibt sich aus den folgenden Ausführungen. a) Erkenntnisgrund Der Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu ist insofern seine Auferwekkung von den Toten, als durch sie als Bestätigung von Gott sein an sich zweideutiges irdisches Verhalten als das offenbar wird, was es wirklich ist: nicht Gotteslästerung und Hybris, sondern gerade der Ausdruck seiner Einheit mit Gott und als solches seiner Sündlosigkeit.227 Als solche göttliche Bestätigung seines irdischen Lebens ist die Auferweckung das Urteil und die Entscheidung Gottes über seine Sündlosigkeit. "Im Falle Jesu bezog sich das Urteil Gottes bestätigend zurück auf den einmaligen Vollmachtsanspruch, der in Jesu eschatologischer Botschaft impliziert war. So ist, im Lichte des durch seine Auferweckung ergangenen göttlichen Urteils, Jesus tatsächlich in sich selbst sündlos."228 b) Inhalt Das durch seine Botschaft bestimmte irdische Verhalten Jesu ist von der Bestätigung durch die Auferweckung her der lebendige Ausdruck seines unmittelbaren Gottesverhältnisses, das im Wesen Hingabe an Gott und

224 223 226 227 228

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Vgl. dazu ebd., S. 367f. Ebenda, S. 368. Vgl. dazu ebd., S. 378. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 59. Pannenberg, ebd., S. 378, bzw. vgl. dazu S. 377f.

seinen Willen ist, die im vertrauensvollen und gehorsamen Annehmen des Kreuzesgeschicks den Charakter der Selbstpreisgabe bekommt. Dieses VonGott-her-Sein, das sich eben darin erweist, ist als die Besonderheit dieses Menschseins und als Inhalt seiner Wesenseinheit mit Gott seine Persongemeinschaft und also seine Gottessohnschaft, als solches aber der Inhalt seiner Sündlosigkeit. Da unsere Grundverfassung die Sünde als Leben im Widerspruch gegen Gott, "in der selbstzentrierten Verschlossenheit unseres Ich gegen Gott" ist, kann die völlige und vorbehaltlose Hingabe bis zur vertrauensvollen und gehorsamen Selbstpreisgabe nichts anderes als die Freiheit von aller Sünde und also die Sündlosigkeit desjenigen sein, dessen Leben als solches offenbart worden ist.229 Bei diesem Verständnis von Sünde bedeutet Sündlosigkeit mehr als nur eine vorbildhafte Untadeligkeit seines sittlichen Verhaltens. 230 Freiheit von Sünde als Inhalt der Sündlosigkeit bedeutet für Jesus Freiheit zur Einheit mit Gott und zum Tun seines Willens in einer Hingabe231, die keinerlei Selbständigkeit gegenüber Gott für sich selbst etwa im Sinne von Wahlfreiheit im Blick auf noch andere Möglichkeiten in Anspruch nimmt.232 Dieses Verständnis der Sündlosigkeit Jesu als Freiheit für Gott schließt jedoch nicht aus, daß er durch Versuchung und Anfechtung hindurchgehen mußte, etwa seine Sendung den Erwartungen seines Volkes anzupassen oder ihr wegen des mit ihr verbundenen ungeheuren Anspruchs überhaupt auszuweichen. Aber Jesu Wahl dieser seiner Sendung, die "eschatologische Nähe Gottes als den Anbrach des Heils zu verkünden" als Inhalt seiner Freiheit dürfte ihn so sehr bestimmt haben, daß er von daher auch alle möglichen Anfechtungen und Versuchungen, eine andere Möglichkeit zu wählen, bestanden hat.233

229

Vgl. dazu ebd., S. 368. Ebenda, S. 375. 231 Vgl. dazu ebd., S. 368: "Die persönliche Gemeinschaft und Einheit Jesu mit Gott, seine Hingabe an Gott bis zu dem Punkt, daß seine eigene Freiheit für ihn mit seiner göttlichen Sendung und mit dem Willen des Vaters ihm gegenüber identisch wurde, schließt schon in sich die Freiheit von aller Sünde. Die Behauptung der Sündlosigkeit Jesu ist nichts anderes als der negative Ausdruck für dieselbe Wirklichkeit der Hingabe Jesu an Gott, die uns bis jetzt unter den positiven Gesichtspunkten seines Seins als Sohn Gottes und seiner Freiheit für Gott beschäftigt hat." 232 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 61 f. 233 Vgl. dazu Pannenberg, ebd., S. 367f. 230

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c) Seinsgrund Wir stellten im Sinne von Pannenberg fest, daß Jesu Sündlosigkeit nicht schon von seinem Menschsein an sich in seinem Daseinsvollzug, sondern erst von seiner Auferweckung her als des bestätigenden Urteils Gottes behauptet werden kann. Da die Auferweckung aber Jesus als in Einheit und Gemeinschaft mit Gott lebend in dem Sinne offenbart, daß er schon zeit seines irdischen Lebens als Mensch mit Gott eins, und also Gottes Sohn und Gott gewesen ist und man deswegen von seinem Menschsein nicht abgesehen von dieser konkreten Einheit mit Gott sprechen kann, so folgt daraus, daß Jesus ausschließlich in dieser konkreten Einheit von Gott und Mensch als Mensch sündlos ist. Indem diese in Jesu konkretem Daseinsvollzug zustandegekommene und wirksame Einheit von Gott und Mensch als seine Gottessohnschaft den Grund ihres Seins und Sinnes aber in der ewigen göttlichen Sohnschaft hat234, mit der sie sich von der Auferweckung her als identisch erweist, ist diese - Pannenberg zufolge - von der Auferweckung her auch der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu.

5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu

Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu, die sich laut Pannenberg erst von der Auferweckung her erschließt235, läßt sich diesem Verständnis zufolge unter drei Gesichtspunkten entfalten, deren gemeinsamer Inhalt im Gedanken der Stellvertretung gefunden werden kann. a) Bedingung der Heilsbedeutung des Todes Jesu Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu besteht für Pannenberg darin, daß er von der Auferweckung her "die an unserer Stelle erlittene Strafe für das gotteslästerliche Dasein der Menschheit" ist.236 Durch die Jesus widerfahrene Auferweckung durch Gott ist nämlich offenbar geworden, daß er als der im Namen des Gesetzes von dessen Vertretern zur Todesstrafe verurteilte Gotteslästerer in Wirklichkeit der Gerechte, seine Richter aber - und das sind alle unter der Autorität des Gesetzes Lebenden und an sie Gebun-

234

Vgl. dazu ebd., S. 349f. Vgl. ebd., S. 377: "Von der Auferweckung Jesu her fällt auf seinen irdischen Weg dasjenige Licht zurück, das seine wahre Bedeutung erschließt." 236 Ebenda, S. 251, Leitsatz § 7. 235

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denen237 - die wahren Gotteslästerer waren, und daß infolgedessen sein Tod eigentlich die ihnen zukommende Strafe war238, die er also stellvertretend für sie erlitten und getragen hat.239 Da der durch das Gesetz ausgedrückte Zusammenhang zwischen Sünde und Tod aber auch ohne dieses insofern allgemein wirksam ist, als alle Menschen durch ihre Schuld gegenüber Gott der Todesstrafe verfallen sind, ist Jesus durch seinen Tod der stellvertretende Träger der Sündenstrafe nicht nur der Juden, sondern der ganzen, durch dieses Volk repräsentierten Menschheit.240 Dieser Kreuzestod Jesu ist aber nur insofern das für das gotteslästerliche Dasein aller Menschen stellvertretende Strafleiden, als Jesus ihn als der Sündlose erlitten hat; seine Sündlosigkeit ist also als die Voraussetzung und Ermöglichung, die Bedingung der Heilsbedeutung seines Sterbens. b) Überwindung der Sünde im Sündenfleisch Durch die Auferweckung als der göttlichen Bestätigung seines irdischen Verhaltens ist offenbar geworden, daß Jesus als der im Fleisch der Sünde existierende Mensch nicht nur die Strafe für die Sünde, sondern die sündhafte Grundverfassung des gegenwärtigen menschlichen Daseins der Selbstzentriertheit und des in sich verschlossenen Ich überhaupt auf sich genommen und in seiner gehorsamen Hingabe und vertrauensvollen Selbstpreisgabe an Gott als dem Wesen seines Daseinsvollzuges und als Inhalt seiner Sündlosigkeit durchbrochen, überwunden und in seinem Kreuzestod zugrunde gerichtet hat.241 Dieses ist um unserer Gerechtigkeit willen geschehen,

237

Siehe Anm. 239. Vgl. dazu ebd., S. 266: "Von der Auferweckung Jesu her ist offenbar, daß er als ein Gerechter starb, nicht als ein Gotteslästerer. Vielmehr waren jene die wirklichen Gotteslästerer, die ihn als Gotteslästerer verwarfen und auf seinen Tod hinwirkten. Die Strafe, die ihm zuteil wurde, gebührte von Rechts wegen denen, die ihn verurteilten. Er trug also ihre Strafe." Siehe auch Anm. 239. 239 Vgl. dazu ebd., S. 267: "Jeder gesetzestreue Jude (mußte) an der Stelle der jüdischen Behörden ebenso oder ähnlich gehandelt haben ... Damit ist von der Auferwekkung Jesu her nicht nur der Kreis seiner jüdischen Richter, sondern prinzipiell jeder unter der Autorität des Gesetzes lebende und an sie gebundene Jude als Gotteslästerer erwiesen. Die Todesstrafe, die Jesus getragen hat, ist mithin die dem ganzen Volk, sofern es an die Autorität des Gesetzes gebunden ist, zukommende Strafe." Siehe dazu auch Anm. 238. 240 Vgl. dazu ebd., S. 268ff. Zum Ganzen vgl. auch S. 276f. 241 Vgl. dazu überhaupt ebd., S. 377f. und bes. auch das folgende: "Daß Jesus unter den Daseinsbedingungen der allgemeinen Sündenverhaftung die Sünde überwunden ... hat, kann erst von seiner Auferweckung her behauptet werden ... Im irdischen Dasein Jesu ist diese Struktur der Sünde überwunden durch den Zug zur Hingabe, der ihn über die eigene Vorfindlichkeit mit hinausriß ... Erst durch den ganzen, in seine 238

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die wir vor Gott ausschließlich durch die Sündlosigkeit Jesu und im Blick auf unsere Gemeinschaft mit ihm erlangen.242 c) Erfüllung menschlicher

Personalität

Indem Jesus durch seine Hingabe an den Vater, durch die er von der Auferweckung her als der in personaler Einheit mit Gott lebende Sohn Gottes erwiesen ist, und also durch seine Sündlosigkeit die Bestimmung aller Menschen von Gott zu seiner Gemeinschaft und Sohnschaft erfüllt, ist er als solcher der wahre und wirkliche Mensch.243 Denn wir Menschen sind von Gott dazu bestimmt, durch unsere Gemeinschaft mit Gott, die Freiheit von aller Sünde bedeutet, zu Personen im Gegenüber zu ihm integriert zu werden und also die göttliche Sohnschaft zu empfangen, wie es an Jesus geschehen ist, durch den dieses auch für uns zur Wirklichkeit wird244, sofern wir in Verbundenheit mit ihm leben.245 Im Horizont der Stellvertretung verstanden ist die Sündlosigkeit Jesu als die in ihm Ereignis gewordene Überwindung der im menschlichen Dasein wirksamen sündhaften Struktur die Bedingung der universalen Heilsbedeu-

Auferstehung mündenden Daseinsvollzug Jesu ist die Sünde im Fleisch der Sünde überwunden worden. Dabei bildete die Kreuzigung Jesu den - im Lichte seiner Auferstehung - entscheidenden Schritt; denn durch das Kreuz Jesu wurde das Fleisch der Sünde an dem verurteilt und zugrunde gerichtet, der doch - wie seine Auferweckung erweisen sollte - der Sohn Gottes war und darum nicht selbst in diesem Gericht zugrunde ging, sondern als Sieger aus ihm hervorging." (ebd.) 242 Vgl. dazu ebd., S. 378: "Die Christen hingegen erlangen Gerechtigkeit vor Gott nur durch Jesus ... Sie sind nicht ... in sich selbst, sondern nur in Christus, im Blick auf ihre Gemeinschaft mit Jesus, gerecht und sündlos." 243 Vgl. dazu S. 357f., im besonderen auch das folgende: "Gerade in seiner personalen Einheit mit Gott ist Jesus dann vielmehr die Erfüllung der menschlichen Bestimmung, der wahre Mensch ... Nur weil die Einheit mit Gott, die 'Sohnschaft', die ewige Bestimmung des Menschen ist, die freilich erst im Auftreten und Geschick Jesu geschichtliche Wirklichkeit geworden ist, nur darum ist Jesus gerade als der 'Gottmensch' der wahre und wirkliche Mensch." (ebd., S. 357f.) 244 Vgl. dazu ebd., S. 358: "Gerade auch an seiner Sohnschaft, an seinem Verhältnis zum Vater, sollen durch ihn alle anderen Anteil erhalten. Gott hat seinen Sohn gesandt, damit wir durch ihn die Sohnschaft empfangen ... Der neue Mensch lebt aus dem neuen Gottesverhältnis, aus der durch Jesus erschlossenen Gemeinschaft mit Gott als dem Vater. So haben die Christen durch Jesus Christus (das unterscheidet sie zugleich von Jesus selbst) an Jesu göttlicher Personalität als Sohn teil, an seinem Hingabeverhältnis zum Vater." 245 Vgl. dazu S. 360: Die Christen "erlangen Anteil an der Sohnschaft Jesu nur im Maße ihrer Verbundenheit mit diesem einen Menschen, der als Mensch der Sohn Gottes ist." Siehe auch Anm. 244.

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tung seines Kreuzestodes und gleichzeitig die Erfüllung der menschlichen Personalität.

IV. Hendrikus Berkhof

1. Zum Gesamtverständnis Grundlegend für die im Rahmen seiner Glaubenslehre Christelijk geloof 246 konzipierte Christologie von Hendrikus Berkhof ist, daß sich für ihn das Verständnis der Person und der Bedeutung und damit auch der Sündlosigkeit Jesu aus dem Verständnis des geschichtlichen Lebensweges Jesu von der Auferstehung und der Bundesgeschichte als den beiden "hermeneutischen Schlüsseln" des Christusgeschehens247 her ergibt. 248 Durch die Auferstehung als gottgewollt, Gottes Willen und Absichten entsprechend und somit als sündlos legitimiert und bestätigt, wird der Lebensweg Jesu, vom Alten Testament her als Erfüllung der Bundesgeschichte Gottes mit Israel verstanden, zum Erkenntnisgrund, zur Offenbarung und zugleich zur Bewährung seiner auf göttlichen Ursprung zurückgehenen Gottessohnschaft. 249 In dieser seiner Gottessohnschaft liegt insofern seine Heilsbedeutung beschlossen, als er kraft ihrer Werkzeug der Heilsabsichten Gottes mit der Welt in dem Sinne ist, daß er Gott vor den Menschen und die Menschen vor Gott repräsentiert. Indem hierdurch die Versöhnung zustande kommt, erweist sich diese Einzigartigkeit Jesu in dem Sinne als von inklusiver Bedeutung, daß die Menschen durch ihn Anteil an seiner Gottessohnschaft bekommen.

246 Dr. H. Berkhof, Christelijk Geloof. Een inleiding tot de geloofsleer (Christlicher Glaube. Eine Einleitung in die Glaubenslehre), Callenbach B.V. Nijkerk 2 1973. 247 Vgl. dazu H. Berkhof, Christologie en Christusprediking in verband met de huidige beleving der werkelijkheid (Christologie und Christusverkündigung im Zusammenhang mit der heutigen Wirklichkeitserfahrung), in: Nederlands Theologisch Tijdschrift 21/1967, S. 370ff. bzw. 383. 248 Diese drei "Elemente", Jesu Lebensweg, die Auferstehung und die Bundesgeschichte, sind es, die Berkhof zufolge in ihrer Wechselbeziehung zueinander das rechte Verständnis der Person und des Werkes Jesu konstituieren. Vgl. dazu Christelijk Geloof, S. 296. 249 Inwiefern das zutrifft, ergibt sich aus unseren eigentlichen Ausführungen zur Sündlosigkeit.

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2. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit a) Jesu Lebensweg Wahre Erkenntnis der Person und der Bedeutung Jesu kann nur im Betrachten seines irdisch-geschichtlichen Lebensweges gefunden werden250, der sein Leiden und Sterben in gleicher Weise umfaßt wie seine Verkündigung und sein Werk. Kennzeichnend ist für diesen Lebensweg das hierdurch von Jesus in Vollkommenheit verwirklichte wahre Menschsein des Menschen in seinem dreifachen Verhältnis zu Gott, zum Nächsten und zur Natur, das jeweils durch Liebe und Freiheit qualifiziert ist251 und das im Kreuzestod Jesu seine Vollendung findet.252 - Jesu Verhältnis zum Vater, das an erster Stelle steht und die Voraussetzung seines Verhältnisses zu den Mitmenschen und zur Natur ist, findet seinen eigentlichen Ausdruck vor allem in dem innigen Gebetsverkehr mit dem Vater, den er vertrauensvoll "Abba" nennt, und läßt Jesu Liebe zu ihm erkennen, die ihn ganz erfüllt und in der er allen Versuchungen und Anfechtungen widersteht, während die Freiheit Jesu, in der er seinen eigenen Willen dem des Vaters bejahend unterordnet, seinen Gehorsam erweist. 253 - Indem Jesus in so völliger Solidarität mit dem Vater und in Übereinstimmung mit dessen Liebeswillen an den Menschen handelt, daß er geradezu das Werkzeug der Absichten und Taten Gottes wird, vertritt er Gott bei den Mitmenschen. 254 Jesu Verhältnis zu ihnen besteht in der Liebe, in der er zu den Schuldigen mit dem Wort der Vergebung und zu den Unglücklichen mit der Tat der Barmherzigkeit kommt, um ihnen kraft der gnädigen Zuwendung Gottes zur Gotteskindschaft, dem Inhalt des neuen Bundes, zu verhelfen. Die Willensgemeinschaft mit dem Vater ist auch der Ursprung von Jesu Freiheit gegenüber allem Menschlich-Irdischen (Gesetz, Obrigkeit, Familie, Besitz, Nahrung usw.), das er in seinem Ausgerichtet-Sein auf das Kommen des Reiches Gottes relativiert.255 - In dieser seiner vollkommenen Freiheit wendet sich Jesus auch der von chaotischen und dämonischen Mächten unterworfenen Natur zu, um auch hier Gottes Liebe über diese Werke des Satans im Blick auf die kommende

250 Berkhof sagt: "Wij kennen hem (Jezus) alleen uit zijn weg" und in demselben Sinne: "Het heil hangt aan de historiciteit." (ebd., S. 297 bzw. 284) 251 Vgl. dazu ebd., S. 313. 252 Vgl. ebd., S. 315. 253 Siehe dazu ausführlicher S. 311. 254 Ebenda, S. 311. Siehe auch Anm. 293. 255 Siehe ausführlicher ebd., S. 31 l f . ; ähnl. auch S. 298f.

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Vollendung triumphieren und dadurch das verheißene Friedensreich zeichenhaft anbrechen zu lassen.256 Jedoch erst in der Tiefe seines Leidens und in seinem Kreuzestod, worin er notwendig und zugleich freiwillig die Konsequenz seines Lebensweges zog und sich als Stellvertreter der Menschen in Liebe und Gehorsam bis zum Äußersten mit seinen und Gottes Gegnern identifizierte und ihre Schuld trug, findet die durch Jesus verwirklichte neue menschliche Seinsqualität ihre eigentliche Bewährung und Vollendung und wird in ihrer wahren Größe offenbar. 257 Diese auf Jesu Lebensweg in seinem dreifachen Verhältnis zu Gott, zum Nächsten und zur Natur als Freiheit und Liebe verwirklichte höchste Qualität wahren Menschseins definiert Berkhof als Humanität. Dabei handelt es sich zwar um einen vielfach mißbrauchten und abgegriffenen und daher leicht mißverständlichen Begriff, doch soll er in dieser Anwendung als Definierung des Sinngehaltes des Lebens Jesu die eigentliche göttliche Bestimmung des Menschen, wie sie gerade hier Ereignis geworden ist, zum Ausdruck bringen. 258 b) Auferstehung Die Auferstehung Jesu wird von Berkhof als das entscheidende Heilsereignis, mit dem der christliche Glaube steht und fällt, bezeichnet259, denn ohne sie wäre nicht einzusehen, warum dem Leben und Sterben Jesu Heilsbedeutung innewohnt und warum Jesus mehr als nur ein Märtyrer seiner Lehren und Überzeugungen ist. Daher ist es allein den Erscheinungen des Auferstandenen zu verdanken, daß sich die Verzweiflung der Jünger angesichts seines schmachvollen Untergangs in einen neuen und festen Glauben verwandelte und ihnen wahre Erkenntnis seiner Person und seines Werkes und zugleich Befähigung zum Zeugendienst als Apostel zuteil wurde. 260 In ihrer rückwirkenden Kraft ist die Auferstehung die göttliche Bestätigung und Legitimierung dieses Lebens Jesu.261 Indem Gott selbst es ist, der durch sie dieses Leben als Verwirklichung der höchsten menschlichen

256

Vgl. dazu S. 312. Siehe dazu ausführlicher S. 315ff. 258 Vgl. dazu ebd., S. 313. 259 Vgl. dazu und zum folgenden ebd., S. 323ff. 260 Vgl. dazu ebd., S 324: "Alleen aan de verschijningen van de opgestane Jezus ist het te danken, dat de wanhoop plaats maakte voor een nieuw en ongekend sterk geloof. Daarom mag de opstanding van Jezus het beslissende heilsgebeuren heten ... Daarom Staat en valt het christelijk geloof met de opstanding." Siehe auch ebd. S. 292f. 261 Vgl. zum Ganzen ebd., S. 325. 257

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Seinsqualität, der Humanität, als in völliger Übereinstimmung mit seinen Absichten und seinem Willen vollkommen entsprechend erklärt262 und zugleich offenbart, wird die Auferstehung zum Erkenntnisgrund der gerade hierin verwirklichten Sündlosigkeit seines Trägers. 263 Diesem Verständnis zufolge ist dann die von Jesus durch sein Leben und Sterben verwirklichte und bewährte, durch seine Auferstehung als gottgewollt und gottentsprechend legitimierte Humanität der positive Ausdruck264 und zugleich der Inhalt seiner Sündlosigkeit. Von der Auferwekkung her bezeichnet demnach Jesu Sündlosigkeit seine in dem dreifachen Verhältnis zu Gott, zum Nächsten und zur Natur durch Liebe und Freiheit verwirklichte höchste Seinsqualität und zugleich Bestimmung des Menschen. Daß die Auferstehung der Erkenntnisgrund von Jesu Sündlosigkeit ist, hat insofern wesentliche Bedeutung, als dadurch zum Ausdruck kommt, daß Jesus nicht schon von Anfang an um diese seine Sündlosigkeit gewußt hat, sondern erst werden mußte, was er - im nachhinein betrachtet - schon war, so daß seine Versuchungen und Ängste, denen er als in dieser Welt lebend ausgesetzt war und die ihn an seiner Sendung hätten irre werden lassen können, sowie sein Ringen darum, ihnen nicht zu erliegen, menschlich und echt sind.265 Durch das in der Auferstehung an Jesus geschehene Handeln Gottes, das sein Leben als gottgewollt und gottentsprechend und somit als sündlos offenbart, wird zugleich auch erkannt, daß Gott selbst in Jesus war und nicht nur an ihm, sondern auch in und durch ihn gehandelt hat.266 Inwieweit die Auferstehung in dieser Weise nicht nur zur Erkenntnis seiner Sündlosigkeit, sondern auch zur Erkenntnis seiner Gottessohnschaft verhilft und welche Implikationen das für das Verständnis der Sündlosigkeit hat, ergibt

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Berkhof sagt: "De opstanding (heeft) terugwerkende kracht ..., als goddelijke legitimatie van de levens- en stervensweg van Jezus ... In de opwekking legitimeert God dit leven, verklaart Hij juist en alleen dit leven voor legitiem, voor een leven naar zijn bedoeling." (ebd., S. 325) 263 Siehe dazu ebd., S. 312f. 264 Berkhof sagt: "In plaats von het negatieve 'zondeloosheid' gebruiken we ... het woord humaniteit om de kern van Jezus' leven aan te duiden." (ebd., S. 313) 265 Berkhof sagt: "Evenals wij allen heeft hij moeten worden wat hij was. Een hele wereld heeft hem van zijn roeping trachten af te trekken. Had hij daarvoor kunnen bezwijken? Achteraf, in het licht van de opstanding, mag die vraag ontkennend worden beantwoord. Maar vooraf wist Jezus dat niet en gevoelde hij de volle druk van de tegenkrachten. Hij had geen idee van zijn zondeloosheid waarop hij getroost kan terugvallen." Im folgenden zitiert Berkhof Hebr 4,15, s.d. (ebd., S. 313) 266 Vgl. dazu ebd., S. 325 und auch 302.

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sich aus dem Zusammenhang mit der Bundesgeschichte Gottes mit dem alttestamentlichen Israel, wie dies im folgenden aufgezeigt wird.

3. Inhalt der Sündlosigkeit: föderale Humanität Dadurch, daß Berkhof mit seiner Christologie auf die grundlegende Frage, inwieweit Jesu Lebensweg die Fortsetzung und Erfüllung des Weges Gottes mit dem alttestamentlichen Israel ist, Antwort geben möchte, wird für ihn die alttestamentliche Bundesgeschichte267 zum Verstehens- und Deutungshorizont des gesamten Christusgeschehens. 268 Die auf seinem Lebensweg als Liebe und Gehorsam verwirklichte und bewährte, durch die Auferstehung als Sündlosigkeit legitimierte Humanität erweist Jesus als wahren Bundespartner Gottes, da er gerade durch sie das erfüllt hat, was Gott von Israel als dem von ihm zu seinem Bundespartner erwählten Volk vergeblich erwartet hat.269 Indem Gott diesem Volk verheißen hat, daß er sein Gott und dieses sein Volk sein soll, hat er mit ihm einen Bund geschlossen, der auf seiner' Treue zu diesem Volk und auf dessen Vertrauen und Gehorsam gegenüber Gott gründet. 270 Die Geschichte dieses Bundes Gottes mit dem israelitischen Volk ist aber wesentlich eine Geschichte der Untreue und des Abfalls, mit der Israel Gottes Treue beantwortet271, gleichzeitig ist es aber die Geschichte der über diese Untreue triumphierenden Treue Gottes, die dieses Volk trotz alledem nicht preisgibt,

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Berkhof definiert den Weg des alttestamentlichen israelischen Volkes als "Bundesgeschichte", um dadurch die theologischen Ergebnisse der alttestamentlichen Forschungen, insbesondere W. Eichrodts, der seine Theologie des Alten Testaments auf dem Bundesbegriff, und G. von Rads, der seine alttestamentliche Theologie auf dem Geschichtsbegriff aufbaut, zusammenzufassen, da sie in ihrer gegenseitigen Ergänzung der alttestamentlichen Wirklichkeit am besten gerecht werden. (Vgl. dazu ebd., S. 243.) 268 Siehe dazu ebd., S. 296f. und 264ff., aber auch ders., Christologie en Christusprediking ..., aaO. (Anm. 247) pass. Gegenüber einem ethischen, idealistischen, existenzialistischen, spiritualistischen usw. Verstehenshorizont hält Berkhof unbedingt an dem einen Rahmen fest, der zwar nicht so vertraut und von der Theologie meist übergangen worden ist, der aber allein das rechte Verständnis der Person und des Werkes Jesu, das diesem Geschehen eignet, gewährleistet: der Weg des israelitischen Bundesvolkes aus dem Alten Testament ins Neue Testament, (ebd., bes. S. 265 und 268f.) 269 Vgl. dazu ebd., S. 297ff. und auch S. 309ff., und bes. 270. 270 Siehe dazu ausführlicher ebd. § 29, De weg van Israel in het Oude Testament, S. 238ff. pass., bes. S. 244f. 271 Vgl. dazu ebd., S. 269 und überhaupt § 29 (Anm. 270), auch S. 298 u.a.

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sondern auch durch das Gericht hindurch erhält.272 Im Lichte dieser Geschichte ist Jesu durch die Auferstehung als Sündlosigkeit erwiesene Humanität also wesentlich die Erfüllung dieses von Israel durch seinen Ungehorsam stets gebrochenen Bundes mit Gott. Diesem Verständnis zufolge läßt sich der Inhalt der als Humanität definierten Sündlosigkeit Jesu als Bundeserfüllung bestimmen. Jesu als Humanität verstandene Sündlosigkeit ist also wesentlich die durch sein Leben und Sterben verwirklichte Erfüllung des Gottesbundes, wodurch sie sich als föderale Humanität definieren läßt. In diesem Horizont als Bundeserfüllung verstanden, wird die als Humanität begriffene Sündlosigkeit Jesu aber zum Erkenntnisgrund seiner Gottessohnschaft. Wird Berkhof zufolge im Alten Testament nicht nur Israel manchmal Gottes Sohn genannt, sondern auch mancher seiner Könige, wenn dadurch zum Ausdruck gebracht werden soll, daß das Bundesverhältnis mit Gott durch Liebe und Gehorsam erfüllt worden war, so ist Jesus als Erfüller des Bundes und darum wahre Bundespartner Gottes in besonderer Weise Gottes Sohn.273 Diese seine Gottessohnschaft bezeichnet demnach das Bundesverhältnis Jesu zu Gott als dessen Implikat und zugleich Inhalt und als solche seine Zugehörigkeit zur Heilsgeschichte Gottes mit Israel.274 In dieser seiner Gottessohnschaft liegt aber - wie noch zu zeigen ist - seine Heilsbedeutung beschlossen.275

4. Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Die Frage nach dem Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu läßt sich nur auf dem Weg über seine Gottessohnschaft beantworten. Aus dem Gesamtzusammenhang des irdisch-geschichtlichen Lebensweges Jesu und der Auferste-

272 Siehe dazu Berkhofs Ausführungen S. 253: "De grond daarvoor zal niet liggen in het berouw of in de beterschap die het volk zal tonen, maar alleen en geheel in de trouw van Jahweh die eenmaal met dit volk een verbond sloot en die zieh heeft voorgenomen om de beloften die Hij daarin deed, gestand te doen ondanks het feit dat het volk van zijn kant het verbond niet heeft gehouden. Dwars door de ondergang heen blijft het ja van Jahweh gelden, om eenmaal definitief het neen (van het volk jegens Hem en daarom van Hern jegens het volk) te overwinnen. De een-zijdige trouw van de grote bondgenoot triomfeert over de ontrouw van zijn partner." Siehe überhaupt S. 253f. 273 Vgl. dazu Berkhofs Ausführungen ebd., S. 297ff. 274 Siehe ebd., S. 297. 275 Vgl. dazu unsere Ausführungen über die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu, S. 75ff.

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hung mit der alttestamentlichen Bundesgeschichte hat sich die Erkenntnis seiner Gottessohnschaft ergeben, deren Inhalt die als Bundeserfüllung verstandene Sündlosigkeit ist. Diese Gottessohnschaft, die das Bundesverhältnis Jesu zu Gott bezeichnet, ist als Bundeserfüllung von Jesus auf seinem irdischen Lebensweg durch seine Humanität verwirklicht (realisiert) und bewährt worden276, sie geht aber auf Gott selbst zurück. Der ausgesprochenen Unfähigkeit277 seines Volkes zu wahrer Bundeserfüllung wegen hat Gott selbst in seiner unbegreiflichen Treue278 gegenüber diesem Volk durch einen neuen Einsatz aus der Ewigkeit sich einen neuen Menschen erschaffen, damit dieser - endlich - stellvertretend den Bund von seiten der Menschen durch seine Liebe und seinen Gehorsam erfüllt und also die wahre Gottessohnschaft verwirklicht. 279 Als dieser von Gott erschaffene Bundesmensch lebt Jesus in einer bisher nicht gekannten Einheit mit Gott, in deren Vollzug sein menschliches Ich vollkommen erfüllt ist vom göttlichen Ich, so daß man berechtigt ist zu sagen, daß Gott selbst in Jesus gegenwärtig ist.280 Auf diese Weise hat also Gott selbst für die Erfüllung des Bundes gesorgt, so daß von daher als Seinsgrund des durch Jesus verwirklichten neuen Bundesverhältnisses seine auf Gottes neuer Schöpfüngstat und demnach auf seinem Ursprungsverhältnis281 beruhende Einheit mit Gott, die seine Gottessohnschaft bezeichnet, bestimmt werden kann. Demnach ist Jesus der wahre Gottessohn nicht seiner vollkommenen religiösen und

276 Berkhof versteht den Lebensweg Jesu als Verwirklichung, Konkretisierung und als Bewährung seiner Gottessohnschaft; siehe dazu ebd., besonders S. 309ff. und 315f. 277 Siehe hierzu Anm. 271. 278 Vgl. hierzu Anm. 272. 279 Siehe dazu ebd., S. 298: "Een nieuwe inzet is nodig, ... God zelf moet voor de ware mens, de trouwe verbondspartner zorgen. Die nieuwe inzet van bovenaf heet: Jezus. Hij eindelijk vervult het zoonschap. Hij is de Zoon bij uitstek." 280 Berkof sagt: Jezus leeft "als de nieuwe verbondsmens in een tot nu ongekende eenheid met God ... Zijn menselijke ik is ... volkomen en uit vrije wil doordrongen van het ik van God ... Deze vervulde verbondsverhouding betekent een nieuwe vereniging van Got en mens ... Daarom is het God die in Jezus tot ons komt ..." (ebd., S. 302) 281 Berkhof sagt: "Nu komt deze inzet tot ons in een voor wie God op unieke wijze de Vader is en die daarom bij uitstek de Zoon is, in wiens door God zelf geschapen betrekking met God het verbond vernieuwd en voor eeuwig bevestigd is." "Daarom is hier tussen Vader en Zoon niet alleen sprake van een verbondsverhouding, maar ook van een oorsprongsverhouding, van een nieuwe verbondsverhouding op grond van een unieke oorsprongsverhouding. Jezus is daarom de Zoon." (ebd., S. 298)

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moralischen Lauterkeit wegen, sondern kraft dieser eigenen, neuen Schöpfungstat Gottes.282 Wenn Jesus aber kraft dieser auf Gottes Schöpfungstat beruhenden Einheit als der Erfüller des Bundes der wahre Gottessohn ist, der Inhalt dieser Gottessohnschaft aber seine als föderale Humanität verstandene Sündlosigkeit ist, so kann als Seinsgrund dieser seiner Sündlosigkeit auch nur seine Einheit mit Gott bestimmt werden. 283 Der Seinsgrund seiner als Mensch gelebten und verwirklichten Sündlosigkeit ist demnach seine auf göttlichen Ursprung zurückgehende Einheit mit Gott. Berkhof bekennt sich hierdurch nicht zur Zweinaturenlehre, da ihm zufolge die Sprechweise von zwei Naturen und einer Person einem nicht biblischen, sondern ontologisch-substantiellen Denken entstamme, das auf die Übersetzung der biblischen in die hellenistische Gedankenwelt zurückgehe284, die Wesenseinheit Jesu mit uns aufhebe und Jesu Weg in der Menschenwelt zu einem uns nichts angehenden Schauspiel würde. 285 Da das heutige mehr relationale Denken dem biblischen Denken nähersteht, möchte Berkhof das Zweinaturenschema durch das bundesgeschichtliche ersetzen und Chalcedon dahin uminterpretieren, daß das menschliche Ich Jesu vom göttlichen Ich nicht verdrängt wird, sondern gerade in seiner Hingabe an Gott seine Erfüllung findet. 286 Demnach bedeutet dieser "Höhepunkt der Vereinung von Gott und Mensch", daß Gott diese menschliche Person Jesus mit seinem Geist kraft des vollkommenen Bundesverhältnisses durchdringt, sie aber nicht verdrängt, wodurch Jesus auch in dieser Vereinigung Mensch bleibt.287 Auf diese Weise versucht Berkhof unter Verzicht auf die An-/ Enhypostasielehre von einer Zweiheit (von Gott und Jesus, und nicht von zwei Naturen in Jesus) wie von einer Einheit (zwischen Gott und Jesus und

282 Vgl. dazu Berkhof selbst: "Hij is de Zoon bij uitstek. En hij is dat niet als vrucht en toppunt van menselijke religieuze en morale zuiverheid, maar krachtens een eigen nieuwe scheppinsdaad van God." (ebd. S. 298) Ähnl. auch S. 302. 283 Berkhof sagt in diesem Sinn: "Nu komt er een die niet faalt, omdat zijn roeping op een nieuwe schepping berust." (ebd. S. 299) 284 Vgl. dazu ebd., S. 305, bes. aber ders., Hedendaagse vragen in de Christologie in: Rondom het woord, 15. Jg., S. 14f. 285 Vgl. dazu Hedendaagse vragen (Anm. 284), S. 13, bzw. ders., Christelijk Geloof, S. 302. 286 Siehe dazu ausführlicher Christelijk Geloof, S. 303, bzw. 302 und auch Anm. 280. 287 Vgl. dazu ebd., S. 302. Berkhof sagt: "Daarom is het God die in Jezus tot ons komt ... Maar God verdringt niet de menselijke persoon van Jezus, maar doordringt haar met zijn Geest krachtens de volkomen bondgenootschappelijke verhouding." (ebd.)

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nicht von zwei Naturen in Jesus) zu sprechen, um damit dem biblischen Zeugnis eher gerecht zu werden. 288 Weil Jesu Einmaligkeit so völlig im Menschlichen liegt, daß er als dieser Mensch in seiner Einheit mit Gott der Bundespartner und Sohn Gottes ist, kann Berkhof ihm keine Göttlichkeit zuerkennen. Seiner Wesenseinheit mit den Menschen, gleichzeitig aber auch seiner menschlichen Einmaligkeit wegen ist Jesus im Verständnis Berkhofs als der vollendete Bundesmensch der Neue Mensch, der zweite Adam, der eschatologische Mensch. 289

5. Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Berkhof zufolge steht und fällt der christliche Glaube mit dem Glauben an die Sündlosigkeit Jesu, da ohne sie von keiner in und durch Jesus geschehenen endgültigen Erfüllung des Gottesbundes menschlicherseits gesprochen werden könnte.290 In diesem ihren Verständnis als Bundeserfüllung liegt für Berkhof ihre eigentliche Bedeutung, da sie als solche von der Auferstehung her - wie bereits ausgeführt291 - Erkenntnisgrund und Inhalt der Gottessohnschaft Jesu ist. In diesem ihren Inhalt aber liegt die Heilsbedeutung dieser Gottessohnschaft beschlossen. Als Sohn Gottes lebt Jesus in einer bisher nichtgekannten Einheit mit Gott, kraft derer er, durch Gottes Geist völlig erfüllt, zum vollkommenen Werkzeug ("Instrument") der Heilsabsichten Gottes mit der Welt wird. 292 In der hierin gründenden Verwirklichung dieser Heilsabsichten Gottes besteht die Heilsbedeutung seiner Gottessohnschaft, die Berkhof als Stellvertretung in ihrem doppelten Aspekt als Stellvertretung Gottes bei den Menschen und der Menschen bei Gott definiert.

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Vgl. ebd., S. 303 bzw. 306. Siehe dazu ausführlicher ebd., S. 302. 290 Berkhof sagt: "Dan zou Jezus niet meer zijn dan een mens onder de anderen; dan zou het verbond van God en mens niet definitief in het mens-zijn zijn bevestigd en nog even problematisch zijn. Maar door de opstanding is hij 'verklaard Gods Zoon te zijn in kracht' en bleek zijn leven beheerst te zijn geweest door 'de Geest der heiligheid'(...). In die zin Staat en valt het christelijk geloof met het geloof aan de zondeloosheid van Jezus." (ebd., S. 313) 291 Siehe S. 7 2 der vorliegenden Schrift. 292 Siehe dazu Berkhof, S. 302: "Hij als de nieuwe verbondsmens (leeft) in een tot nu toe ongekende eenheid met God . . . , waardoor Gods bedoeling via hem in de wereld kan landen ... Zijn menselijke ik is ... volkomen ... doordrongen van het ik van God; en krachtens deze doordringing wordt hij het volkomen instrument van de Vader." 289

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a) Dadurch, daß Jesus in seiner Liebe und Freiheit und in völliger Übereinstimmung mit dem Heilswillen Gottes zu den Menschen mit dem Wort der Vergebung und mit der Tat der Barmherzigkeit kommt, um kraft der gnädigen Zuwendung Gottes an ihnen zu handeln, vertritt er als dessen Werkzeug Gott vor den Menschen. 293 b) Indem Jesus aber durch diese seine als Mensch gelebte Liebe und Freiheit die neue menschliche Seinsqualität, die Humanität, verwirklicht, erfüllt er zugleich den Gottesbund, und zwar in Stellvertretung der Menschen vor Gott.294 Wenn Jesus demnach durch seine als Mensch gelebte Liebe und Freiheit als der Gottessohn der Stellvertreter ist, diese Liebe und Freiheit als Bundeserfüllung aber der Inhalt seiner Sündlosigkeit sind, so besteht die Heilsbedeutung der Sündlosigkeit gerade in dieser Funktion der Stellvertretung, die Jesus als der Gottessohn ausübt. Die in Jesu Sündlosigkeit gründende und seine Gottessohnschaft bezeichnende Einzigartigkeit hat aber, Berkhof zufolge, insofern inklusiven Charakter, als sie alle Menschen mit einbeziehen will, um ihnen durch ihren Träger, Jesus, Anteil an seiner Sündlosigkeit und seiner Gottessohnschaft zu geben.295 Somit bezeichnet die von Berkhof als Bundeserfüllung verstandene Sündlosigkeit Jesu - durch den Gedanken der inklusiven Stellvertretung - die in diesem Inhalt beschlossene Heilsbedeutung seiner Gottessohnschaft und also des gesamten Christusgeschehens.

293 Vgl. hierzu Berkhof, ebd., S. 311: "Dit ... houdt ... in, dat Jezus tegenover de mensen God vertegenwoordigt, omdat zijn handelen in volstrekte solidariteit met de Vader ... een instrument is van de bedoelingen en de daden von God." Siehe auch S. 31 lf., 298f. 294 Vgl. hierzu ebd., S. 298f., 31 Iff. 295 Siehe dazu Berkhof, ebd., S. 299f.: "Het zoonschap van Jezus is naar zijn oorsprong en dus ook naar zijn representatieve kracht uniek. Maar naar zijn inhoud is het datgene waartoe heel de mensheid via de verbondsweg van Israel geroepen is ... Daarom gaat het zoonschap van Jezus ons aan als datgene waarin hij juist krachtens zijn eigensoortigheid ons wil betrekken. De exclusiviteit is hier de voorwaarde voor de inclusiviteit. Wij moeten hem gelijk worden, maar krachtens zijn voor-gaan en in blijvende afhankelijkheid daarvan." Siehe ähnl. auch S. 313.

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V. Gerhard Ebeling

1. Z u m Gesamtverständnis a) Jesus Christus und die

Versöhnung

Die beiden Schwerpunkte des Begreifens des Kreuzestodes Jesu Christi als des Versöhnungsgeschehens sind im Verständnis von Gerhard Ebeling 296 die Sündlosigkeit und - in enger Verbindung mit ihr - die Gottverlassenheit Jesu am Kreuz. 297 Da die Sündlosigkeit Jesu Christi von Ebeling also innerhalb des Versöhnungsgeschehens als solche begriffen wird, bedarf es zu ihrem rechten Verständnis einer den eigentlichen Ausführungen vorangehenden summarischen Darstellung dieser Versöhnungslehre, die Inhalt und zugleich Wesen 298 dieser Christologie ist. Ebeling zufolge ist für die Christologie die Frage nach dem Heil konstitutiv, dessen Verständnis am Gottes Verhältnis orientiert ist299 und von dem nur in Verbindung mit Jesus Christus gesprochen werden kann. 300 Wenn demnach das Unheil als Verkehrung seines Gottesverhältnisses im Menschen den Ursprung hat, so ist die Versöhnung das von Gott und durch Jesus

296 Wir beziehen uns in unseren Ausführungen vor allem auf die »Dogmatik des christlichen Glaubens« von Gerhard Ebeling, Bd. I-III, i. bes. Bd. II, Der Glaube an Gott den Versöhner der Welt, Tübingen 1979, verweisen aber auch auf »Das Wesen des christlichen Glaubens«, Tübingen 1959 sowie auf »Wort und Glaube«, Bd. I-III, Tübingen, 21960. 297 Vgl. dazu Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, II. Der Glaube an Gott den Versöhner der Welt, S. 155. 298 Ebeling sagt (ebd. S. 41): "Die soteriologische Ausrichtung tritt nicht als ein zweites zur Christologie hinzu, sondern bestimmt sie von Grund auf." Dabei hat die Soteriologie das Werk Jesu Christi zum Gegenstand, dieses aber ist die Versöhnung. Vgl. dazu auch S. 15 und 64, wie überhaupt die Ausführungen über Soteriologie und Christologie S. 4-49. 299 Siehe Anmerkung 302. 300 Ebeling stellt fest: "Von Jesus Christus kann nicht die Rede sein, ohne daß vom Heil der Welt gesprochen wird. Und vom Heil der Welt kann ... nicht gesprochen werden, ohne daß von Jesus Christus die Rede ist." (ebd., S. 5)

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Christus erwirkte Heil301 als die durch ihn geschehene Zurechtbringung des Gottesverhältnisses.302 In dieser Verbindung mit der Person Jesu Christi wird das Heil als ein Geschehen begriffen, das die Menschwerdung Jesu als den Ermöglichungsgrund sowie seinen Kreuzestod als die Versöhnung in eigentlichem Sinne, den Skopus der Menschwerdung, umfaßt. Dieses Geschehen ist also wesentlich "Persongeschehen", da die Person Jesu Christi selbst dieses Geschehen ist, weswegen es aber als solches Heilsgeschehen303 ist. b) Ermöglichungsgrund der Versöhnung: die Menschwerdung Gottes Da sich dem Verständnis Ebelings zufolge in der Erscheinung Jesu Christi die Menschwerdung Gottes ereignet hat, kann im Hinsehen auf sein Menschsein die in seiner Person zustandegekommene Vereinigung Gottes und des Menschen angeschaut und wahrgenommen werden. 304 Das Menschsein Jesu Christi ist der Ort, an dem Gott worthaft und personhaft, also in einer dem Menschsein entsprechenden Weise, anwesend ist, so daß Jesus Christus als Mensch im Zug der in ihm sich ereignenden Menschwerdung Gottes "Gottes Wort in Person" ist.305 Gottes Wort geht zwar jeden Menschen an, und wer sich im Glauben mit diesem Wort eint, wird als Person in Gottes Wort versetzt, ohne daß er dabei aber schon Gottes Wort in Person ist, denn die innere Spannung zwischen diesem Wort und den eigenen Worten und Werken, die sein Menschsein kennzeichnet und also der Widerspruch mit sich selbst, bleibt bestehen.306 Da Jesus Christus aber als ein Mensch erfahren wurde, bei dem sich - im Gegensatz zu allen anderen Menschen, die Gottes Wort auch angeht - Person und Werk in völliger

301 Ähnl. urteilt Ebeling auch in »Jesus und Glaube« III, Tübingen 1975: "Christologie muß sich in der Tat auf eine solche Heillosigkeit beziehen, aus der sich der Mensch nicht selbst heraushalten kann, die ihn vielmehr auf Jesus als den Bringer des Heils angewiesen sein läßt ... (Es) ist aber das Unheil von solcher Radikalität, daß der Mensch nicht dagegen aufkommt, weil er selbst es verursacht h a t . . . Das Unheil betrifft das Verhältnis zu Gott." (Siehe: Der Aussagezusammenhang des Glaubens an Jesus, S. 246-269 bzw. Zitat S. 266). 302 Vgl. dazu ebd., S. 9, auch 15f. 303 Zum Begriff "Persongeschehen" siehe ebd., S. 21f.; zu "Heilsgeschehen" bes. S. 15. 304 Vgl. dazu ebd., S. 64f. bzw. 50. Zum ganzen Abschnitt vgl. überhaupt ebd. § 18 (Die Menschwerdung Gottes), S. 50-127. 305 Vgl. dazu ebd. S. 69-72. In Wort und Glaube III, S. 304, stellt Ebeling fest: "Jesus ist das Wort Gottes. Dies ist der reinste Ausdruck der Menschwerdung Gottes." (Siehe "Was heißt: Ich glaube an Jesus Christus", S. 270-308.) 306 Vgl. dazu ebd., S. 73.

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Deckung befinden307, d.h. daß sein Werk seiner Person und diese dem Wort Gottes entspricht, wurde er "als Gottes Wort in Person verstanden und verkündigt, als ein Mensch, dessen Werk Gottes Werk, dessen Wort Gottes Wort, dessen Person Gottes Person selbst ist"308. Indem Jesus Christus als Mensch Gottes Wort in Person ist, ist in ihm Gott Mensch geworden, so daß er in Person insofern die Vereinung Gottes und des Menschen und also wahrer Gott und wahrer Mensch ist, als in ihm Gott und Mensch "zu ihrem wahren Unterschiedensein vereint sind", m.a.W. daß in dieser Vereinung beide in vollkommener Integrität anwesend sind.309 Dieses ist ein Glaubensurteil, demzufolge erst diese in Jesus Christus zustandegekommene Vereinung Gottes und des Menschen erkennen läßt, was es um Gott und den Menschen in Wahrheit ist. Was bedeutet diese aufgrund der Menschwerdung Gottes in Jesu Christi Person stattgefundene Vereinung Gottes und des Menschen für sein Menschsein? Daß diese Vereinung Jesu wahres Menschsein nicht in Frage stellt noch aufhebt, sondern daß in ihr die Wahrheit des Menschseins überhaupt erst zu Tage kommt, haben wir mit Ebeling festgehalten. Konkret bedeutet das aber: a) Wenn Jesus Christus als Mensch im Zug der Menschwerdung Gottes "Gottes Wort in Person" ist, so versteht Ebeling dabei die Person nicht als innergöttliche Hypostase, sondern als menschliche Person, die freilich nicht "substanzhaft ihren Stand in sich selbst hat", sondern deren "Relation zu Gott für sie seinsbestimmend ist", während Gottes Wort nicht primär das "verbum aeternum als die zweite Person der Trinität" ist, sondern das "geschichtlich sich ereignende im menschlichen Miteinander ergehende Wort, in dem Gott anwesend ist"310. b) Gottes Menschwerdung in Jesus Christus ist kein Anwesendwerden Gottes im abstrakten Menschsein an sich, sondern in dem vom Widerspruch, vom Zerrissensein als Folge der Sünde gekennzeichneten und bestimmten Menschsein. Indem Gott durch seine Menschwerdung diese

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Ebeling sieht das Besondere an Jesus Christus darin, daß hier "Person und Werk in ungewöhnlicher Weise ineinander verschmelzen" (ebd., S. 64). Siehe dazu auch Anm. 308. In Wort und Glaube I, S. 244, urteilt Ebeling: "Jesus identifiziert sich ganz mit seinen Worten, gibt sich in dieser Identifikation der Wirklichkeit Gottes preis und läßt darauf ... seine Existenz gegründet sein." 308 Vgl. dazu Dogmatik II, S. 73 bzw. 72f. 309 Vgl. dazu ebd., S. 86f. bzw. S. 81. 310 Vgl. dazu ebd., S. 81f.

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Situation übernimmt, um sie aufzuheben, erniedrigt er sich in dieses Menschsein 3 ", ohne dadurch das wahre Menschsein Jesu Christi aufzuheben, noch sein wahres Gottsein preiszugeben, sondern vielmehr das wahre, nämlich das von Gott geschaffene und gewollte Menschsein aufzurichten und darin selber als Liebe anwesend und erfahrbar zu sein.312 Das wahre Menschsein Jesu Christi ist in diesem Sinne in Ebelings Verständnis gekennzeichnet durch Ohnmacht und zugleich durch Vollmacht, die sich gegenseitig bedingen und die als solche wesentlich seine Erniedrigung ausmachen. 313 c) Gottes in Jesus Christus sich ereignende Menschwerdung betrifft nicht allein den Eintritt Jesu ins irdische Leben, sondern umfaßt sein ganzes Leben selbst und auch in besonderer Weise seinen Tod am Kreuz und steht damit aber auch schon unter der Verheißung der Auferstehung. 314 An dieser, aufgrund der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus stattgefundenen Vereinung Gottes und des Menschen, in deren Vollzug Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, hängt Ebeling zufolge die Wirklichkeit der Versöhnung. Denn wenn Versöhnung die Zurechtbringung des verkehrten Gottesverhältnisses des Menschen ist, so kann sie sich als solche nur in einem Menschen ereignen, dessen Situation als unter den Folgen der Sünde stehend, identisch ist mit der aller anderen Menschen. Insofern muß also Jesus Christus wirklicher Mensch sein. Er ist es aufgrund der in ihm geschehenen Menschwerdung Gottes, wodurch sich Gott als der

311 Vgl. dazu ausführlich S. 87ff. und bes. 88: "Das Anwesendwerden Gottes nicht im Menschsein an sich, sondern in dem vom Widerspruch, vom Zerrissensein gekennzeichneten Menschsein ist das Thema. Deshalb steht das, was Menschwerdung heißt, von vornherein im Zeichen der Widersprüchlichkeit des Menschseins ... Wie denn die alte Fragestellung, ob Christus auch dann hätte Mensch werden müssen, wenn Adam nicht gefallen wäre, mit aller Entschiedenheit zugunsten der infralapsarischen Begründung der Inkarnation zu beantworten ist. Dann haben aber die spezifischen Erniedrigungsaussagen mit den Bedingungen des sündigen Menschseins zu tun." 312 Ebeling führt aus: "Der Anblick, den Jesus bietet, mag der menschlichen Vorstellung von Gott widersprechen, wie denn ... das von den Sündenfolgen bestimmte Menschsein in schärfstem Gegensatz nicht allein zu dem Sein Gottes steht, sondern auch dazu, wie der Mensch von Gott geschaffen und gewollt ist. Jedoch die aus Liebe entspringende ... Bereitschaft zur Übernahme dieser Situation ist keineswegs ein Anzeichen dafür, daß hier das Göttliche preisgegeben und Gott völlig abwesend wäre. Im Gegenteil wird hier ... die Anwesenheit Gottes als Liebe erfahrbar." (ebd., S. 89) 313 Vgl. dazu ausführlicher ebd., S. 86ff., Menschwerdung, Erniedrigung und Vollmacht, pass. 314 Vgl. dazu ebd. S. 131 und auch 149.

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in ihm tatsächlich Handelnde erweist 315 , so daß Jesus Christus als wahrer Mensch zugleich wahrer Gott ist. Demnach hängt die Wirklichkeit der Versöhnung dergestalt an der Integrität der Vereinung von Gott und Mensch, daß durch diese Vereinung weder die Integrität Gottes noch die des Menschen Schaden erleidet: Denn "ob sich das Zusammensein von Gott und Mensch wirklich erfüllt, ob es also hier an der Wurzel aller Zerrissenheit zur Versöhnung und zum Frieden kommt, entscheidet sich daran, daß wirklich Gott und wirklich der Mensch darin anwesend sind. Ein nur beschränktes Dabeisein macht das Zusammensein fraglich, die Versöhnung brüchig und den Frieden zur Illusion" 316 . Da demnach die Wirklichkeit der Versöhnung insofern an der Integrität der Vereinung von Gott und Mensch hängt, als sowohl Gott als auch der Mensch dabeisein müssen, damit es zu wahrem Heil kommen kann, diese Vereinung aber in Jesus Christus durch die in ihm geschehene Menschwerdung Gottes zustande gekommen ist, dadurch er wahrer Gott und wahrer Mensch in Person ist, ist diese Menschwerdung Gottes der Ermöglichungsgrund der Versöhnung. 317 c) Der Kreuzestod Jesu und die Versöhnung Das rechte Verständnis der Menschwerdung Jesu Christi entscheidet sich am Verständnis seines Kreuzestodes 318 , auf den hin sie tendiert und den sie mit umfaßt 319 , ist und bleibt doch Jesus Christus auch darin und im besonderen wahrer Mensch und wahrer Gott. 320 Wie es ihm als solchem in seinem Leben zugleich um Gott, den Vater, und den verirrten und verlorenen Menschen zu tun war, so geht es auch in seinem Sterben 321 um das Verhält-

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Vgl. dazu auch ebd., S. 48, demzufolge "wir in Jesus Christus, seinem Menschsein, seinem Tod ... dem Handeln Gottes begegnen, ja, Gott selbst." 316 Vgl. dazu ebd., S. 86. 317 Ebeling bezeichnet die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus als das "Christologische Grunddogma" (ebd., S. 128). 318 Vgl. dazu und zum folgenden § 19 "Der Tod Gottes", S. 128ff., bes. aber 131f. 3,9 Vgl. dazu S. 149f., aber auch 131. Siehe auch Anm. 321. 320 Vgl. dazu auch ebd., S. 204: "Die Teilhabe Gottes am Kreuzesgeschehen versteht Ebeling als das "Durchhalten der Vereinung Gottes und des Menschen in Jesus bis in den Tod hinein." 321 Ebeling betont: "Jesu Tod läßt einen inneren Zusammenhang mit seinem Leben, mit seiner Person erkennen ... Sein Tod ... fiel ihm von der Bestimmung her zu, unter der sein Leben stand. Der Tod war darin dieser bestimmte Tod, daß er dem Leben Jesu letztlich nicht widersprach, sondern entsprach, es nicht bloß beendete, vielmehr vollendete. Wenn die geschichtliche Erscheinung Jesu ihrer Wahrheit nach als Mensch-

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nis von Gott und Mensch und also um ein Geschehen zwischen Gott und der Menschheit. 322 Auf die Heillosigkeit des Menschen, der sich zwar Gott als seinem Schöpfer verdankt, sich ihm aber versagt und dadurch als mit Gott und mit sich selbst im Widerspruch sündiges Geschöpf ist, bezieht sich das Heilshandeln Gottes im Kreuzestod Jesu, der sich dem Menschen nicht versagt, sondern das vom Menschen zerstörte Zusammensein seinerseits aufrechterhält. Durch die Person Jesu betrifft das Kreuzesgeschehen also das Verhältnis von Gott und Menschheit im Blick auf die Macht der Sünde.323 Ebeling sagt: "Im Kreuzesgeschehen geht es darum, daß und wie das unzerstörte Zusammensein von Gott und Mensch in Jesus unter den Bedingungen der sündigen Menschheit offenbar wird und allen zugute kommt. "324 Die Bedeutung, die diesem Geschehen im besonderen zukommt, entfaltet Ebeling unter den beiden Gesichtspunkten der Sündlosigkeit und der Gottverlassenheit Jesu. Er vertritt Gott vor den Menschen und die Menschen vor Gott: "Als Anwalt Gottes ist er der Sündlose, weil mit Gott eins. Als Anwalt der Menschen vereint er sich mit den Sündern und wird der von Gott Verlassene." 325 Dabei bildet Jesu Verhältnis zu Gott und sein Verhältnis zu den Menschen eine Einheit. In der Verbindung von Jesu Sündlosigkeit und seiner Gottverlassenheit am Kreuz liegt für Ebeling die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu als des eigentlichen Versöhnungsgeschehens zwischen Gott und Mensch. 326 Die Versöhnung als das Heil wird Ereignis, indem Jesus Christus durch seinen Kreuzestod als der Sündlose an die den Sündern zukommende Stelle tritt, und als dieser der an ihrer Statt Verurteilte und von Gott Verlassene wird - wie dieses ausführlich in unseren Ausführungen über die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu zu zeigen sein wird. 327

werdung Gottes aufgefaßt worden ist, dann muß dies damit in Einklang gebracht werden, daß das Sterben zur Erfüllung dieses Lebens wurde." (ebd., S. 160) 322 Vgl. dazu bes. ebd., S. 164f. 323 Siehe dazu S. 164 bzw. 166. 324 Ebenda, S. 167. 325 Ebenda, S. 177. Vgl. dazu auch S. 167. 326 Vgl. dazu ebd., S. 220ff. 327 Siehe S. 88ff. der vorliegenden Schrift.

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2. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Die Behauptung der Sündlosigkeit Jesu könnte Ebeling zufolge ein bloß dogmatisches Postulat sein, da sie ein Glaubensurteil ist, der Glaube an ihn aber schon ohnehin die Vorstellung seiner Sündlosigkeit impliziert.328 Eine objektive Überprüfung ist unmöglich, da sämtliche Berichte über Jesus vom Glauben an ihn bestimmt sind329, hinter die aber nicht mehr zurückgegangen werden kann, indem etwa in dieser Hinsicht nach Jesu Selbstzeugnis, Selbstverständnis oder Selbstbewußtsein gefragt oder vielleicht zu dem Prozeß Jesu ein Revisionsverfahren eröffnet würde. Fragwürdig wäre es auch, die Sündlosigkeit aus Jesu Taten zu eruieren, da das nur aufgrund eines verflachten und veräußerlichten Sündenverständnisses möglich wäre und man sich zudem auf seine bloß bekannten und überlieferten Taten beschränken müßte. Müßte man es hingegen bei einem radikalen Sündenverständnis dem Urteil Gottes überlassen, ob hier von Sündlosigkeit die Rede ist, käme man in Verlegenheit, wie man von einem solchen Urteil Kenntnis bekommen könnte. Von Jesu Sündlosigkeit kann daher nur aufgrund eines "Totaleindrucks seiner Person" gesprochen werden, und zwar infolge einer "Begegnung, in die unser eigenes Personsein mit eingegangen ist".330 Ebeling führt aus: "Die Aussage der Sündlosigkeit Jesu ist nur als Bekenntnis dessen vertretbar, dem die Erscheinung Jesu die Freiheit vermittelt hat, sich selbst als Sünder zu wissen, ohne dadurch über die Sündlosigkeit Jesu zu erschrecken und sich deshalb von ihm geschieden zu fühlen; im Gegenteil, gerade daraufhin mit ihm verbunden zu sein. "331 Was das genauer heißt, wird durch die nun folgende Darlegung des Verständnisses der Sündlosigkeit verdeutlicht.

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Vgl. dazu und zum folgenden ebd., S. 178f. Ähnlich urteilt Ebeling in seiner Schrift »Das Wesen des christlichen Glaubens« (Tübingen 1959): "Schon das älteste Überlieferungsmaterial (ist) vom Glauben an Jesus bestimmt." (S. 54) 330 Ebeling, ebd., S. 179. 331 Ebenda. Ebeling stellt fest: "Nur der Glaube vermag ihn als den zu erkennen, als der er (Jesus Christus) erkannt sein will." (ebd., S. 50) 329

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3. Inhalt der Sündlosigkeit Jesu a) Negativ: Freisein von Sünde Die Sündlosigkeit Jesu Christi ist auf verschiedene Weise verstanden und gedeutet worden. Einem moralischen Verständnis zufolge findet sie Ausdruck in dem hohen Ethos, das Jesus nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt und somit verkörpert hat, indem er als reiner, edler, hilfreicher, guter und opferbereiter Mensch gegen alles Verwerfliche und Verabscheuenswerte, gegen das Gemeine, Selbstsüchtige und Böse, gegen Feigheit und Trägheit, m.a.W. gegen alle Formen von Unmenschlichkeit gekämpft hat.332 Jesu Sündlosigkeit ist aber auch in mehr religiösem Sinn aus der Antithese von gerecht oder heilig und sündig heraus als Freihalten und Absondern von Sünde und Meiden allen Umganges und aller Berührung mit Unreinem - mit Sündern verstanden worden.333 Allen moralischen und auch religiösen Deutungen ist gemeinsam, daß sie die Sündlosigkeit als "qualifizierende Auszeichnung eines Menschen im Gegensatz zu dem, was als Verfehlung oder Verunreinigung gilt, und darum auch im Gegensatz zu denen, die entsprechend disqualifiziert sind", verstehen.334 Demgegenüber stellt Ebeling fest, daß sich gegen eine rein moralische Deutung der Begriff der Sünde335 sperrt, während gegen eine religiöse Deutung die Erscheinung Jesu Christi selbst spricht, denn durch sie ist "das Sündersein aller ... als die menschliche Gesamtsituation" offenbar geworden, ohne daß es dafür des vollständigen Einzelnachweises bedürfe, so daß "die Sündlosigkeit Jesu nicht den Charakter der Absonderung von der sündigen Menschheit, sondern den der Zuwendung zu ihr" hat.336 Dadurch erhält aber das negative Verständnis der Sündlosigkeit Jesu als Freisein von Sünde einen überraschend positiven Sinn.

b) Positiv: Freiheit zum Sünder Ebeling definiert sein positives Verständnis der Sündlosigkeit Jesu folgendermaßen: "Sündlos ist nicht der, der es für sich ist gegen die anderen, die

332

Vgl. dazu Dogmatik II, S. 179f. Vgl. dazu ebd., S. 180. 334 Ebenda, S. 180. 335 Zu Ebelings Verständnis der Sünde siehe unsere Ausführungen über die Bedeutung der Sündlosigkeit als Erkenntnisgrund der Sünde, S. 91. 336 Siehe Ebeling, Dogmatik II, S. 181 bzw. 180f. 333

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er dadurch umso mehr der Sünde überläßt. Sündlos ist vielmehr der, der es für andere ist gegen sich selbst, indem er übernimmt, woran sie tragen ... Sündlos ist vielmehr der, der sich der Sünder annimmt, um sie von Sünde zu lösen." Daher ist Sündlosigkeit "die Freiheit, sich selbst schutzlos hinzugeben". 337 Wer sind aber die Sünder, zu denen sich Jesus gesandt weiß und mit denen er verkehrt? Sind es die, die von den sogenannten Gerechten als solche eingeschätzt werden oder sind es gerade diese, die sich selbst für gerecht halten? Jesus nimmt sich sowohl der einen als auch der anderen an, indem er beide als Sünder anspricht: die einen, die sogenannten Sünder, spricht er als solche an, denen "der Friede und die Freiheit, diese Symptome von Sündlosigkeit fehlen", während er den sogenannten Gerechten in ihrem Urteil widerspricht und ihnen das Recht, sich auf Gott zu berufen, abspricht. 338 Diese spricht er wie jene anderen nicht mit Verachtung, noch mit Verlangen nach Vergeltung an, sondern mit Liebe, denn "er gibt sich ihnen preis, liefert sich ihnen ohnmächtig und schutzlos aus, ist zum Leiden bereit". 339 So kommen also beide, die sogenannten Sünder wie die sogenannten Gerechten, miteinander und nicht gegeneinander vor Gott zu stehen, "vereint in dem Urteil Gottes, das sie zusammenbindet". 340 Was für einen Sinn hat demnach die Sündlosigkeit Jesu als Zuwendung zum Sünder inmitten des Gesamtverhängnisses von Sünde und Sündenfolgen? Jesus wendet sich dem Sünder zu, um ihn von der Sünde zu lösen, ihm an seiner Sündlosigkeit teilzugeben, wie dieses in der Behandlung der Bedeutung der Sündlosigkeit noch zu zeigen sein wird. 341 c) Hingabe für die Sünde Wenn Ebeling vom Leben Jesu her die Sündlosigkeit als Freiheit zum Sünder bestimmten konnte, so ist nun zu fragen, welches Verständnis der Sündlosigkeit sich von seinem Kreuzestod her ergibt. Sich als der Sündlose der Sünder in Freiheit annehmen ist nur möglich unter den Bedingungen der Macht der Sünde in dieser Welt, unter der sie alle stehen, und führt dazu, daß er als solcher selbst unter die Räder der Sünde gerät, so daß seine Kreuzigung in der Konsequenz dieser Weise von

337 338 339 340 341

Ebenda, S. 181. Ebenda, S. 182f. Ebenda, S. 183. Ebenda, S. 183. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 88ff.

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Sündlosigkeit liegt.342 Sich angesichts der Macht der Sünde mit dem Willen Gottes zu identifizieren und vor der Welt Gott zu vertreten wagen, führt an den Ort, den Gott in dieser Welt der Sünde als der Verachtete, Ausgestoßene und zum Leiden Verurteilte einnimmt. Sich andererseits zu denen zu gesellen und zu all denen sich gesandt wissen, die unter der Macht der Sünde und ihren Folgen stehen, führt an den Ort, wo der Jammer der Menschheit über ihn hereinbricht. Und "wer beides zugleich tut, wer Gott vor den Menschen und die Menschen vor Gott zu vertreten wagt, in der Meinung, nur so werde Gott ernstgenommen und den Menschen geholfen ..., in einer und derselben Person ... unter den Bedingungen der Sünde der erfahrt gewissermaßen gedoppelt die Widrigkeit des Ortes, an den er sich begeben hat: Das vere Deus und das vere homo in der Situation dieser Welt und erst recht beides miteinander in einer Person - das muß ja geradezu zu dem Sammelpunkt dessen werden, was Sünde nun einmal darstellt: der Zerstörung wahren Lebens." 343 Daraus folgert Ebeling, daß Jesus als der Sündlose in diesem positiven Verständnis der Freiheit zum Sünder anstatt unter den Sündenfolgen unter der Sünde selbst leidet, wodurch er sich vom Sünder insofern unterscheidet344, als er damit stellvertretend das erleidet, "was der Mensch, wie er nun einmal ist, allenfalls ahnend verspürt, ohne aber wirklich zu ermessen, quanti ponderis sit peccatum". 345 In diesem Verständnis ist die Sündlosigkeit Jesu als die in Freisein von Sünde vollzogene Zuwendung und also als Freiheit zum Sünder wesentlich Hingabe für die Sünde selbst, wie das im Kreuztod Jesu ersichtlich worden ist.

342 Vgl. dazu Ebeling, Dogmatik II, S. 185f. Über den Zusammenhang zwischen Jesu Leben und Sterben ist bereits gesprochen worden; vgl. dazu unsere Ausführungen S. 81 f. und besonders Anm. 319 und 321. 343 Siehe ebd., S. 186. 344 Vgl. dazu ebd., S. 187f.: "Nicht da, wo einem infolge des eigenen Gefangenseins in der Sünde der Horizont verengt und der Blick getrübt ist, wird die Sünde selbst und nicht etwa bloß die Strafe zur Ursache des Leidens, vielmehr erst da, wo die Einsicht in diesen die ganze Menschheit in Bann schlagenden Sachverhalt den äußersten Grad an Klarheit ... annimmt, weil sich die Hinwendung dazu als Gehorsam gegen den Willen Gottes vollzieht ... Es trifft den Sachverhalt nur oberflächlich, ja, verzerrt ihn eher, wenn man dieses stellvertretende Leiden auf das Erleiden von Sündenstrafe bezieht anstatt auf das Erleiden von Sündenschuld selbst." 345 Ebenda, S. 188.

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4. Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Aus unseren bisherigen Ausführungen läßt sich das Verständnis des Seinsgrundes der Sündlosigkeit Jesu folgern. Es wurde festgestellt, daß die Wahrheit der Versöhnung an der Person Jesu Christi als wahrem Gott und wahrem Menschen hängt, da sie sich als Zurechtbringung des verkehrten Gottesverhältnisses des Menschen nur in einem Menschen ereignen kann, der wohl wie alle anderen Menschen unter der Sünde bzw. ihren Folgen steht, in dem aber Gott selbst handelnd gegenwärtig sein muß, damit es wirklich zum Heil kommt.346 Wenn nun der Ermöglichungsgrund der Versöhnung insofern die Menschwerdung Gottes ist, als Jesus Christus aufgrund ihrer als einem Handeln Gottes wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so ist das Subjekt dieses Heilsgeschehens und als solches dessen Seinsgrund der in Jesus Christus anwesende Gott. Daher kann Ebeling sagen, daß "das vere Deus das tragende Subjekt des Christusgeschehens ist".347 Was vom Versöhnungsgeschehen als Ganzem gilt348, muß auch für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi als Teilaspekt desselben von Geltung sein. Wird demgemäß von Jesus Christus gesagt, daß er durch die in ihm geschehene Menschwerdung Gottes im Sinne der Zweinaturenlehre wahrer Gott und wahrer Mensch in Person ist, so kann von seiner Sündlosigkeit nicht abgesehen von dieser Vereinung gesprochen werden, sondern dann ist er der Sündlose gerade als wahrer Gott und wahrer Mensch. 349

346

Wie bereits gezeigt (siehe S. 80f.) hängt die Wirklichkeit der Versöhnung an der Integrität Gottes und des Menschen in der Person Jesu Christi, denn ob es tatsächlich zur Versöhnung kommt, "entscheidet sich daran, daß wirklich Gott und wirklich der Mensch darin anwesend sind. Ein uns beschränktes Dasein macht ... die Versöhnung brüchig ... Heil muß wirkliches Heil sein. D.h. der Mensch muß wirklich dabei sein. Und wenn die Frage des Heils wirklich am Gottesverhältnis hängt, muß Gott wirklich dabeisein." (ebd., S. 86) Ähnlich urteilt Ebeling in Wort und Glaube III, S. 266: "Die Ausschließlichkeit Jesu ist ... gerechtfertigt, wenn darin die ausschließliche Zuständigkeit Gottes zur Geltung kommt. So gewinnt das Unheil erst dadurch seine Tiefe, daß das Heil alleiniges Werk Gottes ist." 347 Ebeling, Dogmatik II, S. 536. Ähnlich heißt es auch S. 221f., daß für das "Versöhnungsgeschehen als ... Subjekt allein Gott in Betracht kommt". 348 Vgl. dazu ebd., S. 221: "Im Verhältnis von Gott und Mensch kann sich ... Versöhnung nur kraft eines einseitigen Aktes Gottes ereignen ... Pointiert gesagt: Versöhnt wird nicht Gott durch den Menschen mit der Welt, vielmehr werden der Mensch und die Welt durch Gott mit Gott versöhnt." Ähnl. auch S. 255: "Die Versöhnung zwischen Mensch und Gott ist Gottes Werk." (Siehe auch S. 169 und 222, aber auch Wort und Glaube III, S. 304). 349 Vgl. dazu ebd., S. 186.

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Seine als wahrer Mensch gelebte Freiheit für e'en Sünder, die in seinem in Gehorsam erlittenen Kreuzestod als Hingabe für die Sünde ihre Vollendung findet, ist der Ausdruck der gerade dadurch in ihm sich ereignenden Zuwendung Gottes zu den sündigen Menschen und als solche der Inhalt seiner Sündlosigkeit. In diesem Verständnis aber kommt Sündlosigkeit als reale menschliche Möglichkeit nicht mehr in Betracht; sie ist vielmehr das "schlechthinnige Wunder der Gegenwart Gottes in dieser Person". 350 Ist diesem Verständnis zufolge die Sündlosigkeit Jesu Christi wesentlich die in ihm geschehene Zuwendung Gottes zu den Menschen, so ist das Subjekt seiner als Mensch gelebten Sündlosigkeit der in seiner Person gegenwärtige Gott, woraus folgt, daß das vere Deus der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu ist. Jesus Christus ist also im Sinne Ebelings insofern sündlos, als er wahrer Gott ist, kraft dessen sich in ihm die Zuwendung Gottes zu den Menschen ereignet hat.

5. Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Im Verständnis der Sündlosigkeit Jesu als Zuwendung zum Sünder, die als solche die Intention des Lebens Jesu - als Freiheit zum Sünder - und zugleich die Ursache seines Todes - als Hingabe für die Sünde - bestimmt, liegt ihre Bedeutung für die Versöhnung. Inwieweit dieses zutrifft, wird die folgende Ausführung verdeutlichen. Das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ist bezogen auf die Sünde als Zerstörung des Gottesverhältnisses der Menschen und des wahren Lebens, unter deren Macht und Auswirkung sie stehen und was die Versöhnung als Zurechtbringung des Gottesverhältnisses nötig macht. 351 Dieses auf die Sünde bezogene Heilshandeln Gottes in eigentlichem Sinne ist der Tod Jesu Christi am Kreuz, da darin und dadurch die Versöhnung zustande gekommen ist. a) Sündlosigkeit als Bedingung und Inhalt der Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Wodurch wird der Kreuzestod Jesu zum Versöhnungsgeschehen? Die Antwort darauf verhilft insofern zur Erkenntnis der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu, als er, wahrer Gott und Mensch in Person, als der Sündlose an

350 Ebenda., S. 181. Ähnl. auch S. 177: "Als Anwalt Gottes ist er der Sündlose, weil mit Gott eins." 351 Vgl. dazu bes. S. 164ff., 193ff. und 222, sowie unsere Ausführungen S. 82f.

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die Stelle des Sünders getreten und dort als solcher der von Gott Verurteilte und Verlassene geworden ist.352 Dieses ergibt sich für Ebeling aus dem Verständnis des Kreuzes als des Urteils Gottes über den Sünder und die Sünde. Sünde als Zerstörung des ursprünglichen Gottesverhältnisses des Menschen wird von Gott als Nein zu ihm ernstgenommen, indem er sie nicht einfach mitsamt ihren Folgen wegzaubert, sondern indem er den Menschen bei der Sünde behaftet und ihn ihrer sich auswirkenden Macht übergibt, zugleich aber auch ihre Auswirkungen eindämmt, denn er allein erkennt sie in ihrer Wahrheit353 und ihm allein kommt das Recht und die Macht zu ihrer Aufhebung zu.354 Demzufolge läßt sich das Verhältnis Gottes zur Sünde als ein doppeltes Nein bestimmen: das Nein zur Sünde als ein Nein zum Sünder und das Nein zur Sünde als ein Ja zum Sünder. Gottes Nein zur Sünde als Nein zum Sünder bedeutet Verurteilung der Sünde am Sünder selbst und dessen Tod, während Gottes Nein zur Sünde als Ja zum Sünder dessen Trennung von der Sünde, Freispruch, Vergebung, neues Leben und neues Zusammensein mit Gott beinhaltet355. Dieses doppelte Nein und als solches das Urteil Gottes über die Sünde ist das Kreuz Jesu Christi. 356 In seiner Freiheit zum Sünder, die in der Hingabe für die Sünde ihre Vollendung findet, stimmt Jesus Christus in dieses doppelte Nein Gottes zur Sünde ein. Indem er sich nicht dem Kreuz entzieht, sondern im Kreuz den Ort einnimmt, der dem Menschen als Sünder zukommt, und er dadurch der von Gott Verlassene wird, sagt er Ja zu dem Nein Gottes zur Sünde als Nein zum Sünder.357 Dadurch aber, daß Jesus Christus angesichts dieses seines Todes seine Freiheit zum Sünder nicht bereut, sondern art diesem Ort des Sünders bis zum letzten ausharrt, bejaht er auch das andere Nein Gottes

352

Vgl. ebd., S. 199ff. Siehe dazu ausführlicher S. 193ff., aber auch Wort und Glaube III, S. 266: "Ist aber das Unheil von solcher Radikalitat, daß der Mensch nicht dagegen aufkommt, weil er selbst es verursacht hat, dann ist nicht nur die Überwindung, sondern auch die wahre Erkenntnis des Unheils dem Menschen verbaut." 354 Ebeling sagt: "Jenes ... Nein zur Sünde, das den Sünder zu Gott hin befreit, steht allein Gott zu. Denn er ist von der Sünde am unmittelbarsten betroffen. Ist doch Sünde als solche Sünde gegen Gott ..., Aufruhr gegen ihn, der Wille, daß Gott nicht Gott sei ... Nur der, dem Unrecht geschehen ist, hat das Recht zu verzeihen; nur der, dem die Gemeinschaft aufgekündigt wurde, kann die Hand zur Versöhnung ausstrekken." (Dogmatik II, S. 198) 355 Vgl. dazu ausführlich ebd., S. 196ff. 356 Vgl. dazu bes. S. 196 sowie unsere folgenden Ausführungen. 357 Ebeling sagt: "Wer sich als Sündloser die Sünde der Welt zu Herzen gehen läßt, weigert sich nicht, das Nein Gottes zu bejahen, selbst wenn es ihn selbst trifft in seinem Sein beim Sünder." (ebd., S. 201) 353

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zur Sünde, das zum Sünder Ja sagt358 und das für diesen Freispruch, Vergebung, Leben und Zusammensein mit Gott bedeutet. 359 "Das Verständnis des Kreuzes als Heilsereignis hängt daran, daß nicht etwa dem Kreuzesgeschehen als dem Nein Gottes erst nachträglich ein ihm widersprechendes Ja hinzugefügt worden ist, daß vielmehr das Ja Gottes bereits im Kreuzesgeschehen enthalten ist, obschon tief verborgen unter dem Nein." 360 Aus dem Verhältnis Gottes zur Sünde als doppeltes Nein "geht das Ja hervor, das sich als Urteil Gottes im Kreuz Jesu Christi ereignet hat und so zur Quelle und zum Inhalt des Evangeliums geworden ist".361 Dieses Verständnis des Kreuzes als Heilsereignis, durch das die Versöhnung zustande gekommen ist, hängt ganz an der Person Jesu Christi362, und zwar nicht nur im Sinne seines wahren Gott- und Menschseins, denn: Jesus kann in das Urteil Gottes über die Sünde und über den Sünder nur deshalb einstimmen und den Ort einnehmen, der dem Sünder zukommt, um darin bis zum letzten auszuharren und in dieser Stellvertretung der von Gott Verurteilte und Verlassene werden, weil er als wahrer Gott und Mensch zugleich der Sündlose ist, ist doch seine Freiheit zum Sünder, in der er sich diesem zuwendet und für ihn mit seinem Leben und im besonderen durch dieses sein Sterben am Kreuz stellvertretend eintritt, gerade der Inhalt seiner Sündlosigkeit.363 Im Kreuzesgeschehen ist unter dem doppelten Nein Gottes das Ja zum Sünder enthalten, weil "in dem Verhältnis Gottes zur Sünde an die Stelle des Sünders der Sündlose getreten ist"364. Ebeling zufolge ist dann die als Zuwendung zum Sünder verstandene Sündlosigkeit Jesu Christi

358 Vgl. dazu ebd., bes. S. 201f., S. 206, und überhaupt S. 199f. Siehe auch die folgende Anm. 359. 359 Vgl. dazu ebd., S. 206: "Wie durch sein Leben nimmt Jesus vollends durch seinen Tod den Ort ein, der dem Menschen zukommt, den dieser aber infolge der Sünde nicht wahrnimmt und deshalb verfehlt, weil er als Sünder die Situation nicht wahrhaben kann und will, in der er sich befindet. Diesen Ort nimmt Jesus ein, nicht um den Menschen von dort zu verdrängen oder es ihm zu ersparen, sich dort antreffen zu lassen, vielmehr um den Menschen an den Ort zu bringen, an den er gehört. Indem er sein Leben für alle hingibt, führt er sein Leben so, daß er dadurch aller Leben allererst zum Leben führt. Sein Tod ist deshalb der Tod aller, weil dadurch alle an seinem Leben Anteil gewinnen und so erst wahrhaft zum Leben kommen sollen." 360 Ebenda, S. 200f. 361 Ebenda, S. 196. 362 Ebeling zufolge ist es "unmöglich, das Kreuz als Urteil Gottes aufzufassen, ohne darauf zurückzugreifen, wer Jesus war." (ebd., S. 192) 363 In Ebelings Verständnis wird das Kreuz Jesu Christi als "Urteil Gottes ... nur in Hinsicht auf die Sünde vernehmbar, und zwar in der Perspektive, die sich aus dem dargelegten Verständnis von Sündlosigkeit ergibt." (ebd., S. 192) 364 Ebenda, S. 201. Vgl. dazu überhaupt S. 199ff.

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Bedingung und zugleich Inhalt der Heilsbedeutung des Kreuzesgeschehens als Versöhnungsgeschehen. Diese durch die Zuwendung Gottes in Jesus Christus zustandegekommene Versöhnung als Zurechtbringung des Gottesverhältnisses beinhaltet die Trennung des Sünders von der Sünde und ihren Folgen, Aufhebung der Gottesfeindschaft und Wiederherstellung der Gottesgemeinschaft und also Freiheit und Frieden 365 und gibt als solche von der sie bedingenden Sündlosigkeit Jesu Christi her als Gerechtsprechung des Sünders 366 verstanden, Anteil an der Sündlosigkeit Jesu Christi. 367 b) Sündlosigkeit als Erkenntnisgrund der Sünde Ebeling zufolge verhilft dieses Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi als Zuwendung zum Sünder zu einem neuen und vertieften Verständnis der Sünde. Es hat sich "erst zusammen mit der Behauptung der Sündlosigkeit Jesu das radikale und universale Verständnis von Sünde herausgebildet". 368 Indem sich Jesus der Sünder annimmt und alle, sowohl die sogenannten Sünder als auch die sogenannten Gerechten, als Sünder anspricht, verändert er das Verständnis von Sünde, das diese auf bestimmte, einem religiösen und sittlichen Verhaltenskodex zuwiderlaufende, konkrete Handlungen fixiert, dahingehend, daß "das Sündersein aller ... als die menschliche Gesamtsituation" offenbar wird, ohne des vollständigen Einzelnachweises zu bedürfen, die als solche unter dem Urteil Gottes steht. 369 Zugleich aber erscheint mit der Behauptung der Sündlosigkeit Jesu als der in ihm geschehenen Zuwendung Gottes zum Sünder das die Sünde verneinende, am Kreuz über sie ergangene Urteil Gottes als das Ja zum Sünder, das die Versöhnung als Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft mit Gott durch Trennen des Sünders von der Sünde beinhaltet und an der Sündlosigkeit Jesu Christi teilgibt.

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Vgl. dazu ebd., S. 183f. und 197 bzw. 169. Vgl. dazu ebd., S. 169. 367 Vgl. dazu ebd., S. 184, aber auch 181. 368 Ebenda, S. 181. Vgl. dazu auch Wort und Glaube III, S. 266, w o es heißt: Über die Frage, woher die Sünde allererst als solche zur Erkenntnis kommt, kann man also in der Weise von Sünde reden, "daß nicht irgendetwas anderes, sondern Jesus das ihr entsprechende, weil ihr zutiefst widersprechende, das ihr entgegenwirkende, weil bereits entschiedene Heilswerk Gottes ist." 369 Vgl. dazu ebd., S. 181f. 366

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Β. Zweiter Hauptteil Kritische Gegenüberstellung

I. Vergleichende Darstellung

1. Der Ansatz Für das rechte Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi ist von entscheidender Bedeutung der christologische Gesamtzusammenhang sowie der Ausgangspunkt der christologischen Überlegungen. Das Christusgeschehen, innerhalb dessen die Sündlosigkeit ihre bestimmte Funktion hat, ist für Barth wie für Ebeling wesentlich Versöhnungsgeschehen1, das um des Menschen willen stattgefunden hat, der mit Gott in Widerspruch lebt, da er ihn "als seinen Schöpfer verleugnet und damit sich selber als sein Geschöpf ins Verderben gestürzt hat" (Barth) bzw. der sich zwar Gott als seinem Schöpfer verdankt, sich ihm aber versagt (Ebeling).2 Gott aber gibt den Menschen trotz alledem nicht preis, sondern er hält den vom Menschen gebrochenen Bund (Barth) bzw. das vom Menschen zerstörte Zusammensein (Ebeling) seinerseits durch das Versöhnungsgeschehen aufrecht. 3 Der Ermöglichungsgrund der Versöhnung und zugleich Ausgangspunkt aller christologischen Überlegungen ist für Barth wie für Ebeling die Inkarnation bzw. Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. 4 Damit es wirklich zur Versöhnung kommt, muß in diesem Geschehen sowohl Gott als der eigentlich Handelnde, als auch der Mensch anwesend sein, in dessen sündige Situation sich Gott erniedrigt, um sie zu übernehmen und aufzuheben. 5 Durch die Menschwerdung Gottes ist die Vereinung Gottes mit dem Menschen in der Person Jesu Christi zustande gekommen, durch die Jesus Christus wahrer Gott und als solcher zugleich wahrer Mensch ist. An der Integrität dieser Vereinung hängt für Barth wie für Ebeling die Wirklichkeit der Versöhnung.

1 Siehe Karl Barth, KD IV/1 pass., bes. S. 83, 140ff. usw., Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens II, S. 15 f., 149ff. Siehe dazu und zum folgenden auch unsere Ausführungen S. 21ff. bzw. S. 77ff. der vorliegenden Schrift. 2 Siehe Barth, KD IV/1, S. 1 (Leitsatz) bzw. Ebeling, ebd., S. 164 bzw. 166. 3 Siehe Barth, ebd., S. 84 bzw. Ebeling, ebd., S. 167. 4 Siehe dazu unsere Ausführungen S. 21 f. bzw. S. 78ff. 5 Siehe dazu unsere Ausführungen S. 25-27 bzw. S. 79-81.

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Bei diesen großen Ähnlichkeiten im Ansatz gibt es bei beiden doch auch wesentliche Unterschiede, die ein unterschiedliches Verständnis der Sündlosigkeit bedingen. - Für Barth ist die Menschwerdung Jesu Christi nicht nur der Ermöglichungsgrund der Versöhnung - wie für Ebeling -, sondern das Versöhnungsgeschehen selbst6, das als solches zugleich das Sein Jesu Christi ist.7 Die Sündlosigkeit ist ein Implikat dieses Seins Jesu Christi als wahrer Gott und von daher auch als wahrer Mensch und beinhaltet wesentlich seinen Gehorsam als Sein und als Tat.8 - Bei Ebeling dagegen ist das eigentliche Versöhnungsgeschehen nicht schon die Menschwerdung an sich, sondern der Kreuzestod Jesu, wobei erst die als Zuwendung Gottes zum Sünder verstandene Sündlosigkeit Jesu das Kreuzesgeschehen überhaupt zum Versöhnungsgeschehen werden läßt.9 Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht zwischen Barth und Ebeling im Verständnis der Notwendigkeit der Versöhnung. Barth begreift diese Notwendigkeit von der Bundesgeschichte Gottes mit den Menschen her - der von Gott mit dem Menschen geschlossene Gnadenbund ist von diesem gebrochen worden -10, während sie Ebeling von der allgemein-menschlichen Unheilssituation herleitet, die in der Verkehrung des Gottesverhältnisses des Menschen ihren Ursprung hat; dem Alten Testament mißt er in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung bei." Die menschliche Situation, gekennzeichnet durch die sich als Unglaube, Hybris und Konkupiszenz äußernde universale Entfremdung des Menschen von Gott, die im Fall aus der Essenz in die Existenz gründet, ist für Tillich der Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Von dieser Universalität der Entfremdung her ergibt sich für Tillich das Verlangen nach einer neuen Wirklichkeit, in der dieser Zustand überwunden und die ursprüngliche Einheit mit Gott wiederhergestellt ist. Der Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi ist in Tillichs Verständnis das Neue Sein, das der Christus aus seiner

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Vgl. dazu KD IV/1, S. 140: "Die Versöhnung des Menschen mit Gott geschieht darin, daß Gott selbst handelnd auf den menschlichen Plan tritt, seine Sache mit dem Menschen, gegen und für ihn ... selbst in die Hand nimmt - und das so, daß er selbst Mensch wird." 7 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 22 dieser Schrift. 8 Siehe dazu unsere Ausführungen im Abschnitt »Sündlosigkeit und Fleischwerdung«, pass. S. 25ff. 9 Siehe dazu unsere Ausführungen S. 88ff. 10 Vgl. dazu KD IV/1, S. 22ff. bzw. unsere Ausführungen S. 25. 11 Ebeling beschränkt sich darauf, das Alte Testament als Verstehenshorizont des Kreuzestodes Jesu zu bezeichnen, ohne näher darauf einzugehen. - Vgl. Ebeling, ebd., S. 161f.

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Freiheit und aufgrund der göttlichen Bestimmung als Überwindung der Entfremdung inmitten der Existenz verwirklicht hat. Dabei spielt weder die Menschwerdung noch das Alte Testament eine Rolle, und die Erkenntnis der ewigen Gott-Mensch-Einheit des Christus ist für Tillich nicht Ausgangspunkt, sondern Folgerung seiner Überlegungen. 12 Im Unterschied zu Tillich, aber auch zu Barth und Ebeling gehen Pannenberg und Berkhof vom irdischen Lebensweg Jesu aus, um über die Auferweckung und - so Berkhof - über die Bundesgeschichte zur Erkenntnis seiner Einheit mit Gott und Gottessohnschaft und so zur Sündlosigkeit zu kommen. - Indem im Verständnis Pannenbergs die Auferweckung den proleptischen Vollmachtsanspruch Jesu einerseits und seine Hingabe an den Willen des Vaters andererseits bestätigt, erweist sie Jesus als in Einheit und Persongemeinschaft mit dem Vater lebend, deren Implikat seine Sündlosigkeit ist.13 - Indem Berkhof zufolge die Auferweckung die durch Jesus auf seinem Lebensweg verwirklichte neue Seinsqualität, die Humanität, als in völliger Übereinstimmung mit Gottes Willen bestätigt, erweist sie Jesu Sündlosigkeit, deren Inhalt, vom Alten Testament her verstanden, wesentlich Bundeserfüllung und von daher die Gottessohnschaft Jesu ist.14 Das trotz ähnlichen Ansatzes unterschiedliche Verständnis der Sündlosigkeit gründet darin, daß für Berkhof der Verstehenshorizont des Christusgeschehens die alttestamentliche Bundesgschichte ist, Pannenberg hingegen versteht es an sich. Den obigen Ausführungen kann entnommen werden, daß der christologische Gesamtzusammenhang wie auch der Ansatz der christologischen Überlegungen das Verständnis der Sündlosigkeit entscheidend bestimmen.

2. Inhalt der Sündlosigkeit Wir wenden uns nun dem Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi hinsichtlich ihres Inhaltes zu. Barth versteht sie als Übereinstimmung mit Gottes Willen, Tillich als Neues Sein, Pannenberg als Freiheit zur Einheit mit Gott, Berkhof als föderale Humanität und Ebeling als Zuwendung zum Sünder. Die bedeutenden Unterschiede, die zwischen diesen Auffassungen bestehen, treten erst

12 13 14

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 44 bzw. 48ff. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 62f. Siehe unsere Ausführungen, im besonderen S. 71ff.

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beim Herausstellen ihrer Wesenszüge deutlich hervor, aufgrund derer man berechtigt ist, von verschiedenen Typen des Sündlosigkeitsverständnisses zu sprechen. Je nachdem, ob die Sündlosigkeit vorwiegend als Funktion der Person oder als Werk, als Sein oder als Relation verstanden wird, unterscheiden wir das personale, das funktionale, das ontische und das relationale sowie das dialektische Verständnis. Im folgenden werden wir untersuchen, welchem Typus das jeweilige SündlosigkeitsVerständnis aufgrund seiner Wesenszüge bzw. seines Inhaltes zuzuordnen ist. a) Das ontische Verständnis (Tillich) Dem Verständnis Tillichs zufolge bezeichnet das Neue Sein als die Wirklichkeit, in der die existentielle Entfremdung des Menschen mit Gott, mit der Welt und mit sich selbst mitsamt ihren Folgen aufgehoben ist, insofern die Sündlosigkeit des Christus, als er in der Totalität seines Seins der Träger des Neuen Seins ist. Es ist dieses Sein, das ihn überhaupt zum Christus macht, weil "es die Qualität des Neuen Seins jenseits der Spaltung zwischen essentiellem und existentiellem Sein hat".15 Der Person des Christus kommt demzufolge nur insofern Bedeutung zu, als sie der Träger dieses Seins ist, das ihr vorausgeht. Daher verwirklichen seine Worte und Taten, sein Leiden und Sterben dieses Sein auch nicht, sondern indem er durch sie vollkommen an der Existenz teilnimmt und die Entfremdung besiegt, manifestiert sich in ihnen das ihnen vorausgehende und sie ermöglichende Sein.16 Da Tillich demnach dieses Neue Sein als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu weder als eine Funktion seiner Person noch als ihr Werk noch als Relation versteht, erweist sich dieses sein Verständnis als ontisch. b) Das relationale Verständnis (Berkhof) Berkhof bestimmt als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu die auf seinem Lebensweg in seinem Verhältnis zu Gott, zu den Mitmenschen und zur Natur durch Freiheit und Liebe verwirklichte Humanität, die - von der alttestamentlichen Bundesgeschichte her - wesentlich die Erfüllung des von Gott mit den Menschen geschlossenen, jedoch stets von seiten der Menschen gebrochenen Bundes ist.17 Wohl bedeutet diese föderale Humanität die verwirklichte höchste menschliche Seinsqualität, doch versteht Berkhof sie 15 16 17

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Siehe dazu unsere Ausführungen S. 48ff. bzw. Tillich, aaO., S. 132. Siehe dazu Tillich, ebd., S. 132f. Siehe dazu unsere Ausführungen, bes. S. 72f.

nicht als Sein und auch nicht als Werk Jesu, sondern als Verhältnis, zumal der Bund immer ein Verhältnis beinhaltet und zum Ausdruck bringt. Da Berkhof demnach den Inhalt der Sündlosigkeit als Verhältnis bestimmt, wird man sein Verständnis der Sündlosigkeit Jesu als vorwiegend relational zu kennzeichnen haben. c) Das personale Verständnis

(Pannenberg)

Im Verständnis Pannenbergs resultiert die Einheit Jesu mit Gott aus dem durch seine Botschaft bestimmten, durch die Auferweckung bestätigten Verhalten, das im Wesen Hingabe an Gott und seinen Willen und als solches der lebendige Ausdruck seines unmittelbaren Gottesverhältnisses ist. Der Inhalt seiner hierin gründenden Wesenseinheit mit Gott ist die Persongemeinschaft mit Gott und also seine Gottessohnschaft. Da aber "Jesu Einheit mit Gott in seiner Persongemeinschaft mit dem Vater und in seiner Personidentität als der Sohn Gottes unmittelbar die Geschiedenheit von aller Sünde" bedeutet, ist seine Sündlosigkeit Implikat dieser seiner Einheit und persönlichen Gemeinschaft mit Gott und seiner Gottessohnschaft. 18 Aufgrund dieser persönlichen Gemeinschaft mit Gott, deren Ausdruck die bis zur Selbstpreisgabe gesteigerte Hingabe an Gott ist, in der "seine eigene Freiheit für ihn mit seiner göttlichen Sendung und mit dem Willen des Vaters ihm gegenüber identisch wurde", bestimmt Pannenberg die Sündlosigkeit Jesu inhaltsmäßig als Freiheit zur Einheit mit Gott.19 So verstanden, ist sie Funktion seiner Person und zwar als Gottessohn, woraufhin sich dieses Verständnis der Sündlosigkeit als personal herausstellt. d) Das funktionale

Verständnis (Ebeling)

Für Ebeling bezeichnet die Sündlosigkeit Jesu nicht einen Zustand an sich, etwa im Sinne eines bloßen Freiseins von Sünde, denn "sündlos ist nicht der, der es für sich ist gegen die anderen, die er dadurch umso mehr der Sünde überläßt. Sündlos ist vielmehr der, der es für andere ist gegen sich selbst, indem er übernimmt, woran sie tragen". 20 Daher besteht für ihn Jesu Sündlosigkeit gerade in seiner Zuwendung zum Sünder. Inhaltlich bezeichnet die so verstandene Sündlosigkeit seine in Freiheit zum Sünder vollzogene Hingabe für die Sünde.

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Siehe hiezu unsere Ausführungen S. 62f. bzw. Pannenberg, Grundzüge der Christologie Gütersloh "1972, S. 368. 19 Vgl. hierzu S. 63 bzw. Pannenberg, aaO., S. 368. 20 Ebeling, ebd., S. 181.

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Sich des Sünders annehmen, um ihn von der Sünde zu lösen, ist nur möglich unter den Bedingungen der Macht der Sünde in dieser Welt und führt dazu, daß er in seinem Kreuzestod stellvertretend die Folgen der Sünde zu erleiden hat.21 In dieser Weise als Zuwendung zum Sünder verstanden, bezeichnet die Sündlosigkeit weder die Person Jesu, noch sein Sein, noch ein bestimmtes Verhältnis, sondern unmittelbar sein Werk, woraus folgt, daß Ebelings Verständnis der Sündlosigkeit ausgesprochen funktional ist. e) Das dialektische Verständnis (Barth) Im Verständnis von Barth ist die Sündlosigkeit Jesu Christi Implikat seiner Inkarnation, da er als wahrer Gott, der er auch in der durch die Fleischwerdung zustandegekommenen Einheit mit dem Menschen bleibt, gar nicht sündigen kann. Ihren konkreten Ausdruck findet diese vorerst als Sein verstandene Sündlosigkeit in dem Gehorsam Jesu Christi, den er als wahrer Mensch in der Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch leistet. Indem er in Übereinstimmung mit Gottes Willen seine Fleischwerdung mit allen Konsequenzen bejaht, tritt er als der Sündlose (Sein) als Richter, Gerichteter und Gekreuzigter an die Stelle der Sünder und tut dort das Rechte (Werk). In Gehorsam handeln (Werk) kann Jesus Christus nur, weil er wahrer Gott und als solcher sündlos ist (Sein) und auch gar nicht anders sein kann. Umgekehrt ist er sündlos (Sein), indem er als Mensch in Gehorsam handelt (Werk). Daraus folgt, daß Barth die als Gehorsam definierte Sündlosigkeit Jesu Christi sowohl als Sein (ontisch) als auch als Werk (funktional) versteht. Zugleich ist die so verstandene Sündlosigkeit Funktion seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch (personales Verständnis) und bringt ein ganz bestimmtes Verhältnis zum Ausdruck, da der Gehorsam eine Beziehung impliziert (relationales Verständnis). In dieser Wechselseitigkeit des personalen und des funktionalen, als auch des ontischen und relationalen Verständnisses liegt die Dialektik des Barthschen SündlosigkeitsVerständnisses, die ihrerseits mit dem dialektischen Verständnis des Versöhnungsgeschehens als Werk und als Sein Jesu Christi, zugleich aber auch mit dem dialektischen Verständnis der Einheit der Person Jesu Christi als wahrer Gott und wahrer Mensch in engem Zusammenhang steht.

21

100

Siehe dazu insgesamt S. 84ff. dieser Schrift.

3. Seinsgrund Wie sich herausgestellt hat, kann die Sündlosigkeit Jesu Christi nicht abgesehen von ihrem Seinsgrund verstanden werden; die Frage nach dem Seinsgrund hängt aber mit dem Verständnis des Verhältnisses zwischen seinem Gottsein und Menschsein zusammen und führt zur Zweinaturenlehre. Dieses kann als grundlegende Gemeinsamkeit der dargestellten Auffassungen festgehalten werden. Die zwischen ihnen in dieser Hinsicht bestehenden Unterschiede liegen in den verschiedenen Verständnismöglichkeiten dieses Zusammenhanges und sollen im folgenden dargestellt werden. Barth und Ebeling gehen - wie bereits gezeigt - von der Versöhnung aus, deren Ermöglichungsgrund insofern die Inkarnation bzw. Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist, als sowohl Gott als auch zugleich der Mensch anwesend sein müssen, damit es wirklich zur Versöhnung kommt. Denn die Versöhnung kann sich nur in einem Menschen ereignen, der wie alle anderen Menschen unter der Sünde bzw. ihren Folgen steht, dessen Situation identisch ist mit der aller anderen Menschen; zugleich muß aber Gott handelnd gegenwärtig sein, da nur er sich in die menschliche Situation erniedrigen und sie übernehmen kann, um sie aufzuheben. 22 Daraus ziehen sowohl Barth als auch Ebeling gemeinsam die Folgerung, daß Jesus Christus durch Gottes in der Inkarnation geschehenes Handeln (als Subjekt) wahrer Gott und als solcher wahrer Mensch in der Einheit seiner Person 23 ist. Die Folgerung, die Barth und Ebeling hieraus für das Verständnis des Seinsgrundes der Sündlosigkeit Jesu Christi ziehen, sind unterschiedlich: - Wenn Barth zufolge die Wirklichkeit der Versöhnung an der völligen und vorbehaltlosen Gleichheit Jesu Christi mit den Menschen hängt24 und sein

22 Siehe dazu ausführlich Barth, KD IV/1, S. 140ff. bzw. unsere Ausführungen S. 23f. und Ebeling, ebd., S. 108ff. bzw. unsere Ausführungen S. 78ff. 23 Barth und Ebeling verstehen die Person Jesu Christi unterschiedlich. Das Wort Gottes ist und bleibt Subjekt, die Menschheit hat keine selbständige Existenz neben diesem Wort, so daß Barth sagt: "Gott selbst in Person ist handelnd gegenwärtig im Fleisch. Gott selbst in Person ist Subjekt eines wirklich menschlichen Seins und Handelns." Ebeling hingegen versteht das Wort Gottes nicht primär als "das verbum aeternum als die zweite Person der Trinität", sondern "das geschichtlich sich ereignende, im menschlichen Miteinander ergehende Wort, in dem Gott anwesend ist", so daß die Person "nicht als innergöttliche Hypostase gedacht, sondern an der menschlichen Person orientiert ist, doch so, daß sie nicht substanzhaft ihren Stand in sich selbst hat, daß vielmehr die Relation zu Gott für sie seinsbestimmend ist". (Vgl. dazu Barth, KD 1/2, S. 164 und 165 bzw. Ebeling, ebd., S. 81.) 24 Vgl. dazu bes. KD IV/1, S. 236 bzw. KD 1/2, S. 166. Siehe auch unsere Ausführungen S. 25ff.

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Menschsein ausschließlich die Verwirklichung der besonderen Möglichkeiten des Sohnes Gottes zur Menschwerdung ist25, dann hat er als solcher die menschliche Situation nicht nur mit dem, was sie im allgemeinen als solche kennzeichnet, - Geschöpflichkeit, Leiblichkeit, Geschichtlichkeit, Vergänglichkeit -, angenommen, sondern dann muß seine Menschwerdung auch sein Eintreten in die Gleichheit des Fleisches der Sünde umfassen. 26 Da er aber als wahrer Gott Fleisch wird und dabei dieses sein Gottsein nicht hinter sich läßt, ist Jesus, indem er dasselbe wird wie wir, anders als wir; wohl lebt er in der Gestalt unseres Fleisches und unter den Bedingungen des sündigen Menschseins, aber als wahrer Gott kann er, indem er Mensch wird, sich nicht gegen sich selbst auflehnen; also tut er das, was wir nicht tun und unterläßt, was wir tun; er ist infolgedessen sündlos.27 Gott ist also nicht nur das Subjekt des Versöhnungsgeschehens, er ist auch das Subjekt des Menschseins Jesu Christi und folglich auch seines Gehorsams als dem Inhalt seiner Sündlosigkeit, und er muß es auch sein, denn Jesu menschliches Wesen an sich kann infolge seiner Gleichheit mit uns gar nicht sündlos sein. Wenn Jesus Christus nun aber als Mensch dennoch nicht gesündigt, sondern in vollem Gehorsam gelebt und gehandelt hat, so ist dies kraft dessen, daß er wahrer Gott ist, geschehen. Demzufolge ist Jesus Christus nicht nur als wahrer Gott, sondern auch als wahrer Mensch insofern sündlos, als dieses sein Menschsein in seiner Existenzeinheit mit Gott durch diesen zur Sündlosigkeit erhöht worden ist. In dieser Weise als Subjekt der als wahrer Gott und als wahrer Mensch gelebten Sündlosigkeit Jesu Christi ist Gott ihr Seinsgrund. 28 Aufgrund des Subjektseins Gottes und des dadurch implizierten Personverständnisses, demzufolge die Person Jesu Christi göttlich ist und das Menschsein Jesu Christi, das keine selbständige Existenz hat, in sie durch Gottes Handeln integriert ist29, stellt sich Barths Verständnis als anhypostatisch dar. - Auch für Ebeling ist Gott insofern das Subjekt des Versöhnungsgeschehens, als Jesus Christus aufgrund der in ihm geschehenen Menschwerdung Gottes als wahrer Gott zugleich wahrer Mensch ist.30 Infolgedessen kann von Jesu Sündlosigkeit nicht abgesehen von dieser, aufgrund göttlichen Handelns zustandegekommenen Vereinung gesprochen werden, sondern

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Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 32f. bzw. KD 1/2, S. 164. Vgl. dazu KD 1/2, S. 165ff., KD II/l, S. 447 und KD IV/1, S. 190 f., aber auch unsere Ausführungen S. 25f. 27 Siehe dazu unsere Ausführungen S. 27 bzw. S. 32ff. 28 Siehe dazu ausführlich S. 34f. unserer Ausführungen. 29 Siehe dazu S. 101, Anm. 23. 30 Siehe dazu unsere Ausführungen S. 80f. 26

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dann ist er insofern als wahrer Gott und als wahrer Mensch sündlos, als seine als wahrer Mensch gelebte Freiheit für den Sünder, die in seinem Kreuzestod als Hingabe für die Sünde ihre Vollendung findet, der Ausdruck der gerade dadurch in ihm sich ereignenden Zuwendung Gottes zu den sündigen Menschen und als solche der Inhalt seiner Sündlosigkeit ist. Als Zuwendung Gottes zu den Menschen verstanden, kommt die Sündlosigkeit Jesu Christi als reale menschliche Möglichkeit nicht mehr in Betracht, so daß das Subjekt seiner als Mensch gelebten Sündlosigkeit nur der in seiner Person anwesende Gott ist. Da sich kraft dieses Subjektseins die Zuwendung Gottes zu den Menschen ereignet hat, ist dieser der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi.31 Von diesem Verständnis des Subjektseins Gottes her, demzufolge die Person Jesu Christi nicht ihren Stand substanzhaft in sich selbst hat, sondern daß die Relation zu Gott für sie seinsbestimmend ist32, läßt sich Ebelings Verständnis als anhypostatisch bezeichnen. Trotz dieser unterschiedlichen Folgerungen kommen sowohl Barth als auch Ebeling zu demselben Ergebnis: Der Seinsgrund der als Mensch gelebten Sündlosigkeit Jesu Christi ist der in ihm anwesende wahre Gott. Dieses gemeinsame Ergebnis hängt mit ihrem gemeinsamen Ansatz und Gesamtzusammenhang des Versöhnungsgeschehens zusammen, von dem her sie die Sündlosigkeit verstehen. Von diesem Ergebnis her muß jedoch nach den Implikationen dieses Verständnisses für das Menschsein Jesu Christi gefragt werden. Wird durch dieses Verständnis der auf göttlichen Seinsgrund zurückgehenden faktisch gelebten Sündlosigkeit Jesu Christi seine Wesenseinheit mit uns nicht in Frage gestellt? Dazu führt Barth zum einen an, daß zum wahren Menschsein weder unter dem Gesichtspunkt seiner Schöpfung, noch unter dem des Sündenfalls das Tun der Sünde gehört33, zum anderen weist er darauf hin, daß Gottes Handeln am menschlichen Wesen keine Veränderung, sondern eine Erhöhung bewirke. In dieser Erhöhung zur Sündlosigkeit aber ist Jesus der wahre Mensch, d.h. wie er von der göttlichen Bestimmung her sein soll34, so daß diese Erhöhung keine Infragestellung seines wahren Menschseins, sondern im Gegenteil dessen Seinsgrund ist.35 Bei Ebeling finden wir keine Antwort auf diese Frage, da er offenbar der Ansicht ist, durch sein

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Siehe dazu ausführlich S. 87f. unserer Ausführungen. Siehe S. 101, Anm. 23. Vgl. unsere Ausführungen S. 27 bzw. KD 1/2, S. 171. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 34f. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 34f.

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Verständnis der Sündlosigkeit werde das wahre Menschsein Jesu Christi nicht in Frage gestellt.36 Wenn Barth und Ebeling zufolge die Versöhnung nur dann zustande kommt, wenn sowohl Gott als auch der Mensch daran beteiligt sind, so gilt das in analoger Weise auch für Tillich. Die Verwirklichung des Neuen Seins als Überwindung der existentiellen Entfremdung kann nur in einem personhaften Leben, das unter den Bedingungen der Existenz steht und das von der Polariät von Freiheit und Schicksal bestimmt ist, stattfinden. 37 In den Versuchungen, denen Jesus als der Träger des Neuen Seins wie jeder andere Mensch auch ausgesetzt ist, kommt in besonderer Weise zum Ausdruck, wie Jesu Sieg über sie sowohl ein Akt seiner Freiheit als auch Konsequenz seines Schicksals ist. Das Schicksal repräsentiert dabei die göttliche Bestimmung dieses Lebens, so daß Jesu Entscheidungen unter Gottes lenkendem Schaffen stehen und dadurch Gott der in ihm und durch ihn Handelnde ist.38 Diese auf solche Weise durch Gott in Jesus verwirklichte "ewige GottMensch-Einheit" - in der traditionellen Begrifflichkeit der Zweinaturenlehre: seine göttliche Natur - bezeichnet aber das in Jesus handelnde göttliche Subjekt, das als solches der Grund der als Neues Sein verstandenen Überwindung der Entfremdung als dem Inhalt der Sündlosigkeit ist.39 Infolge des in einem personhaften menschlichen Leben handelnden göttlichen Subjekts läßt sich dieses Verständnis ähnlich dem Ebelings als anhypostatisch bezeichnen. Daraus kann gefolgert werden, daß auch Tillich wie Barth und Ebeling als den Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi das in ihm handelnde göttliche Subjekt versteht. Der Angelpunkt des Verständnisses der Sündlosigkeit Jesu Christi im allgemeinen wie auch ihres Seinsgrundes im besonderen ist für Pannenberg wie für Berkhof weder die Inkarnation (Barth, Ebeling) noch das verwirklichte Neue Sein (Tillich), sondern die Auferweckung, von der her sie sein irdisches Leben verstehen. Jedoch sind die Folgerungen und auch die Ergebnisse, zu denen sie kommen, verschieden. - Berkhof zufolge hat sich aus dem Gesamtzusammenhang des irdischen Lebensweges Jesu und der Auferstehung mit der alttestamentlichen Bundesgeschichte insofern die Erkenntnis seiner Gottessohnschaft ergeben, deren Inhalt seine als Bundeserfüllung verstandene Sündlosigkeit ist, als die auf

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Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 81 bzw. Ebeling, ebd. S. 87, 89. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 50f. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 52f. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 53.

diesem Lebensweg als Liebe und Gehorsam verwirklichte und bewährte, durch die Auferstehung als Sündlosigkeit legitimierte Humanität Jesus als den wahren Bundespartner Gottes erweist. 40 Diese durch Jesus als Bundeserfüllung verwirklichte Gottessohnschaft geht infolge der Unfähigkeit der Menschen zur Bundeserfüllung auf eine neue Schöpfungstat Gottes zurück, aufgrund derer Jesus als der von Gott erschaffene neue Bundesmensch in einer bisher nichtgekannten Einheit mit Gott lebt, in deren Vollzug er so vollkommen von Gott erfüllt ist, daß Gott selbst in ihm gegenwärtig ist. Wenn demnach der Seinsgrund seiner Gottessohnschaft nur diese seine auf Gottes Schöpfungstat zurückgehende Einheit sein kann, der Inhalt seiner Gottessohnschaft aber seine als föderale Humanität verstandene Sündlosigkeit ist, so kann der Seinsgrund seiner als Mensch verwirklichten Sündlosigkeit gleichfalls nur diese als Mensch gelebte Einheit mit Gott sein.41 Da der Grund seiner als Mensch gelebten Sündlosigkeit diese Einheit mit Gott ist und demzufolge sein menschliches Sein durch diese auf göttlichen Ursprung zurückgehende Einheit bestimmt wird, erweist sich Berkhofs Verständnis der Sündlosigkeit Jesu als enhypostatisch. Auch in dieser Einmaligkeit aber ist und bleibt Jesus Mensch, denn Berkhof erkennt ihm keinerlei Göttlichkeit zu, sondern Jesus Christus ist als dieser der wahre, der neue, der eschatologische Mensch. 42 - In Pannenbergs Verständnis resultiert aus dem durch seine Auferweckung bestätigten Daseinsvollzug Jesu seine Einheit mit Gott und seine Gottessohnschaft und - als deren Implikat - seine Sündlosigkeit. Da von der Auferstehung her diese seine Einheit schon für die Zeit seines irdischen Lebens gültig war und also von seinem Menschsein nicht abgesehen von dieser Einheit gesprochen werden kann, ist Jesus ausschließlich in dieser konkreten Einheit von Gott und Mensch als Mensch sündlos. Da diese Einheit als seine Gottessohnschaft den Grund ihres Seins und Sinnes insofern in der ewigen göttlichen Sohnschaft hat, mit der sie sich von der Auferweckung her als identisch erweist, als "die besonderen menschlichen Lebensmomente im Dasein Jesu von seiner Person so zu einem Ganzen integriert wurden, daß die integrierende Person sich eben dadurch als die Person des ewig zur Gottheit Gottes gehörenden Sohnes realisierte", ist diese auch der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu. Demnach ist Jesus in und

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Siehe dazu unsere Ausführungen S. 72f. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 73f. 42 Siehe dazu S. 75 unserer Ausführungen bzw. Berkhof, Christelijk geloof, S. 302. Den Begriff des "eschatologischen Menschen" übernimmt Berkhof von P. Schoonenberg. Siehe hierzu dessen Christologie »Er ist ein Gott der Menschen«, Einsiedeln 1969, bes. S. 151ff. 41

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kraft dieser seiner Einheit mit dem Sohn Gottes sündlos und hat als solcher gelebt und gehandelt. 43 Hierdurch aber erweist sich Pannenbergs Verständnis ebenfalls als enhypostatisch. Diese seine Personalität als des Sohnes Gottes, die sein Leben zur Ganzheit integrierte, empfing Jesus aber von Gott her, so daß Gott der Seinsgrund seiner Gottessohnschaft ist, die daraufhin ihrerseits der Seinsgrund seines menschlichen Daseins und also auch seiner Sündlosigkeit ist.44 Indem somit das Dasein Jesu in die Person des ewigen Sohnes Gottes integriert ist, ist sie der Ort, in dem das Wesen Gottes und das Wesen des Menschen vereint werden. 45 Diese Einheit - und die mit ihr gegebene Sündlosigkeit stellt Jesu Wesenseinheit mit den Menschen jedoch nicht in Frage, denn zum einen ist Jesus nicht - etwa im Sinne der klassischen Zweinaturenlehre - aus einer göttlichen und einer menschlichen Natur zusammengesetzt, sondern "er ist von der Auferweckung her als dieser Mensch ... in seiner besonderen einmaligen Situation ... mit Gott eins und so selbst Gott"46, zum anderen aber ist er gerade in seiner personalen Einheit mit Gott, die die ewige Bestimmung des Menschen ist, der wahre und wirkliche Mensch. 47 Wir stellen fest, daß sowohl Pannenberg als auch Berkhof als Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu seine als Mensch gelebte Einheit mit Gott bestimmen, die seine Gottessohnschaft erweist. Im Unterschied zu Barth und Ebeling gehen sie dabei nicht von der Inkarnation und von der Zweinaturenlehre aus und setzen seine Gottesschaft nicht voraus, sondern dadurch, daß sie vom irdischen Daseinsvollzug Jesu ausgehen, wird seine Gottessohnschaft, die ihren Ursprung in Gottes Schöpfungshandeln (Berkhof) bzw. in der ewigen Sohnschaft (Pannenberg) und also in Gott hat, durch sein irdisches Leben realisiert und von der Auferweckung als solche bestätigt und in Kraft gesetzt. Indem aber von daher das Subjekt der Sündlosigkeit Jesu Christi als dem Inhalt (Berkhof) bzw. dem Implikat (Pannenberg) seiner Gottessohnschaft der in dieser Einheit mit Gott lebende und von ihr bestimmte Mensch Jesus ist, erweist sich dieses Verständnis als enhypostatisch. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Auffassungen besteht darin, daß Berkhof die Gottessohnschaft vom Alten Testament her als Bundeserfüllung versteht und sie von daher streng anthropologisch inter-

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Siehe dazu unsere Ausführungen S. 64 bzw. Pannenberg, ebd., S. 356. Vgl. dazu ebd., S. 357f. Vgl. dazu ebd., S. 356. Vgl. dazu Pannenberg, ebd., S. 334 und auch 354. Vgl. dazu ebd., S. 358.

pretiert, während sie für Pannenberg als Realisierung der ewigen Sohnschaft die Erfüllung der göttlichen Bestimmung zur Einheit mit Gott bedeutet. Als gemeinsames Ergebnis kann festgehalten werden, daß in beider Verständnis Jesus als der in Einheit mit Gott lebende Gottessohn sündlos ist.

4. Erkenntnisgrund Da die Sündlosigkeit Jesu Christi an sich nicht festzustellen ist, muß gefragt werden, woraufhin von ihrem Vorhandensein gesprochen werden kann, mit anderen Worten, welches ihr Erkenntnisgrund ist. Pannenberg, Berkhof und Ebeling beschäftigen sich mit der Frage nach ihrem Erkenntnisgrund vor ihrer inhaltlichen Bestimmung, Barth dagegen erst nachher. Er begründet das mit dem Hinweis auf das Faktum des Handelns Gottes in Jesus Christus, das allem menschlichen Glauben und Erkennen vorausgeht und als solches durch seinen Offenbarungscharakter überhaupt erst Erkenntnis ermöglicht. - Tillich beschäftigt diese Frage überhaupt nicht, da er mehr spekulativ denkt, so daß sich von daher der Versuch, im Sinne seines Verständnisses den Erkenntnisgrund zu eruieren, erübrigt. Barth, Pannenberg und Berkhof zufolge kann als Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi übereinstimmend seine Auferstehung bzw. Auferweckung herausgestellt werden. Gemeinsam verstehen sie die Auferstehung als das Urteil Gottes, das das Leben und Tun Jesu Christi als in voller Übereinstimmung mit dem Willen Gottes geschehen bestätigt und das seine Sündlosigkeit, zugleich aber auch ihren Seinsgrund erweist. - Indem die Auferstehung Jesu gesamtes Leben und Tun als mit dem Willen Gottes völlig übereinstimmend offenbart, erweist sie seinen Gehorsam, der im Verständnis von Barth der Inhalt seiner Sündlosigkeit ist.48 - Für Pannenberg ist die Auferweckung Jesu insofern Erkenntnisgrund seiner Sündlosigkeit, als durch sie als göttliche Bestätigung das an sich zweideutige irdische Verhalten Jesu rückwirkend zum Ausdruck seiner Einheit mit Gott und Gottessohnschaft wird, deren Implikat und Inhalt seine als Mensch gelebte Sündlosigkeit ist. Diese Bestätigung ist in ihrer rückwirkenden Kraft zugleich die göttliche Entscheidung darüber, daß Jesus an sich tatsächlich sündlos war. 49 - Berkhof zufolge legitimiert die Auferstehung in ihrer rückwirkenden Kraft die auf Jesu Lebensweg verwirklichte höchste menschliche Seinsqualität, die

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Siehe unsere Ausführungen S. 36f. Siehe unsere Ausführungen S. 62.

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Humanität, als in völliger Übereinstimmung mit Gottes Willen geschehen und somit als Jesu Sündlosigkeit.50 Im Unterschied zu Pannenberg und Berkhof, für die der Auferstehung infolge ihrer rückwirkenden Kraft auch ontische Bedeutung zukommt, versteht Barth die Auferstehung ausschließlich noetisch, was wiederum auf den unterschiedlichen Ausgangspunkt zurückgeführt werden kann. Ist die Inkarnation, deren Implikat Jesu Sündlosigkeit ist, als Faktum der Ausgangspunkt, kann der Auferstehung nur noch noetische Funktion zukommen. Für ein Verständnis hingegen, das von Jesu Lebensweg ausgeht, muß der Auferstehung ontische Funktion zukommen, da sonst Jesu Einheit mit Gott und Gottessohnschaft eine reine Annahme blieben. Im Unterschied zu Barth, Pannenberg und Berkhof kommt für Ebeling der Auferstehung Jesu in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung zu. 51 Die Sündlosigkeit Jesu ist ein Glaubensurteil, dessen Richtigkeit objektiv nicht festzustellen ist, so daß von ihr nur aufgrund eines "Totaleindrucks seiner Person", der aus der "Begegnung, in die unser eigenes Personsein mit eingegangen ist" resultiert, gesprochen werden kann. "Die Aussage der Sündlosigkeit Jesu ist nur als Bekenntnis dessen vertretbar, dem die Erscheinung Jesu die Freiheit vermittelt hat, sich selbst als Sünder zu wissen, ohne dadurch über die Sündlosigkeit zu erschrecken und sich deshalb von ihm geschieden zu fühlen ... "52

5. Bedeutung Bei der im ersten Teil vorgenommenen Einzeldarstellung des Problemverständnisses hat sich herausgestellt, daß auch die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi unterschiedlich verstanden wird. Die nun folgende vergleichende Darstellung wollen wir unter den Gesichtspunkten ihrer Bedeutung für sein Heilswerk, für das Verständnis des Menschen, für den Gottesbegriff und für den Sündenbegriff vornehmen.

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Siehe unsere Ausführungen S. 69ff. Ebeling spricht zwar ausführlich über die eigentlich wie Pannenberg als Auferweckung verstandene Auferstehung Jesu, jedoch läßt sich ihre Bedeutung für Jesus Christus in dem folgenden Kernsatz ausdrücken: "Die Auferstehungsbotschaft selbst meint das Ja Gottes zum Gekreuzigten." (ebd., S. 159) 52 Siehe dazu unsere Ausführungen S. 83 bzw. Ebeling, ebd., S. 179. 51

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α) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi ßr sein Heilswerk Es muß vorausgeschickt werden, daß das Verständnis der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk seinerseits vom Verständnis des Heilswerkes abhängt. Ein unterschiedliches Verständnis seines Heilswerkes bedingt auch ein unterschiedliches Verständnis der Bedeutung seiner Sündlosigkeit. Tillich zufolge bezeichnet Jesu Sündlosigkeit das Neue Sein, das wesentlich die Überwindung der existentiellen Entfremdung des Menschen mit Gott, mit der Welt und mit sich selbst und ihren ungeheuren Konsequenzen und die Verwirklichung des essentiellen Seins durch Wiederherstellung der ursprünglichen Gott-Mensch-Einheit ist. Dieses Neue Sein als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu ist als solches insofern der Inhalt seines Heilswerkes, als dieses gerade in der Verwirklichung und Vermittlung dieses Neuen Seins an die Menschen besteht. Als Inhalt, zugleich aber auch als Bedingung der Heilsbedeutung Jesu Christi verstehen Barth und Ebeling seine Sündlosigkeit, jedoch auf unterschiedliche Weise. - Für Barth besteht die Heilsbedeutung Jesu Christi in der durch ihn und in ihm zustandegekommenen Versöhnung, wobei sie sowohl als sein Werk als auch als sein Sein in dialektischer Einheit verstanden wird. Wird die Versöhnung als Werk Jesu Christi begriffen, so ist seine als Gehorsam verstandene Sündlosigkeit dessen Bedingung, da er einzig und allein als Sündloser sich für die Sünder dahingehen lassen kann. Wird die Versöhnung hingegen als Jesu Christi Sein begriffen, so bezeichnet seine als Gehorsamswerk verstandene Sündlosigkeit den Inhalt der Versöhnung und zugleich sein Sein, da er das Werk der Versöhnung durch seine Selbsterniedrigung ins Fleisch mit allen damit verbundenen Konsequenzen getan hat. 53 - Ebeling zufolge ist der Kreuzestod als die Verurteilung der Sünde und des Sünders durch Gott insofern das Heilswerk Jesu Christi, als er in seiner Freiheit für den Sünder sich für dessen Sünde hat dahingehen und das Urteil an sich vollstrecken lassen. In dieser Weise an die Stelle des Sünders treten konnte Jesus aber nur als der Sündlose, so daß seine Sündlosigkeit also die Bedingung seines Heilswerkes ist. Da Jesu als Zuwendung zum Sünder verstandene Sündlosigkeit nun aber gerade dieses sein im Kreuzestod geschehene Eintreten und Sich-Dahingebenlassen für den Sünder bezeichnet, ist sie als solche zugleich der Inhalt seines Heilswerkes. 54

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Siehe dazu unsere Ausführungen S. 38ff. Siehe hierzu unsere Ausführungen S. 88ff.

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Den obigen Ausführungen kann entnommen werden, daß der die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu als Bedingung des Heilswerkes ausdrückende Gedanke das Verständnis der Stellvertretung impliziert. Dieser Zusammenhang tritt bei dem von Pannenberg vertretenen personalen Verständnis der Sündlosigkeit Jesu, dem wir uns nun zuwenden, besonders deutlich hervor. Das rechte Verständnis der in Jesus Ereignis gewordenen Überwindung der im menschlichen Dasein wirksamen sündhaften Struktur als die Bedingung der universalen Heilsbedeutung seines Kreuzestodes und gleichzeitig der Erfüllung der menschlichen Personalität ist nur im Horizont der Stellvertretung möglich. 55 Wieso? Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu besteht für Pannenberg darin, daß er von der Auferweckung her die an unserer Stelle erlittene Strafe für das gotteslästerliche Dasein der Menschen ist. Da Jesus aber nur als der Sündlose der stellvertretende Träger der Sündenstrafe sein kann, ist seine Sündlosigkeit die Bedingung der Heilsbedeutung seines Kreuzestodes. - Durch die Auferweckung als der göttlichen Bestätigung seines irdischen Verhaltens ist offenbar geworden, daß Jesus als der im Fleisch der Sünde existierende Mensch nicht nur die Strafe für die Sünde getragen, sondern durch seine Sündlosigkeit überhaupt die sündhafte Grundstruktur des menschlichen Daseins stellvertretend für uns und um unseretwillen durchbrochen bzw. überwunden hat. Die durch Jesu Sündlosigkeit geschehene, stellvertretende Erfüllung menschlicher Personalität sei hier als weiterer Aspekt der Bedeutung seiner Sündlosigkeit bloß erwähnt; wir kommen darauf noch unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Menschsein zu sprechen. Während bei Pannenberg dem Gedanken der Stellvertretung seine Bedeutung innerhalb des Zusammenhanges mit dem Kreuzestod als dem Heilsereignis zukommt, bezeichnet er bei Berkhof an sich die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu für das Heilswerk. Jesu Sündlosigkeit hat für sein Heilswerk insofern Bedeutung, als sie als die in Stellvertretung geschehene Erfüllung des Bundes Gottes mit den Menschen dessen eigentlicher Inhalt ist. Die Bedeutung der als Bundeserfüllung verstandenen Sündlosigkeit Jesu für sein Heilswerk liegt demnach in dieser Funktion der Stellvertretung, und zwar in ihrem doppelten Aspekt als Stellvertretung Gottes vor den Menschen und der Menschen bei Gott. Indem Jesus kraft der gnädigen Zuwendung Gottes in Liebe und Freiheit an den Menschen handelt, vertritt er Gott vor den Menschen, während die hierdurch verwirklichte neue Seinsqualität, die Humanität, gleichzeitig die stellvertretende Erfüllung des Bundes seitens

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Siehe dazu und zum folgenden unsere Ausführungen S. 64ff.

der Menschen bedeutet.56 Mit diesem Verständnis kommt Berkhof in große Nähe zu Barth, da für ihn die in und durch Jesus Christus geschehene Versöhnung, vom Alten Testament her betrachtet, auch insofern die Erfüllung des Bundes mit den Menschen ist, als Jesus Christus durch seinen Gehorsam bzw. seine Sündlosigkeit stellvertretend das getan hat, was Gott vom Menschen vergeblich erwartet hat. Indem Jesus Christus als der ganz und gar Gott Gehorsame gelebt und gehandelt hat und durch diese seine Sündlosigkeit das Werk der Versöhnung vollbracht hat, hat er dadurch den vom Menschen gebrochenen Bund mit Gott an dessen Stelle erfüllt und wiederaufgerichtet. 57 Barth faßt dabei jedoch das Heilswerk Jesu Christi nicht so ausschließlich und primär als Bundeserfüllung auf wie Berkhof. b) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für das Verständnis des Menschen Da Jesus Christus seine Sündlosigkeit als Mensch gelebt hat und sie infolgedessen nicht abgesehen von seinem Menschsein begriffen werden kann, selbst wenn Gott dabei als das handelnde Subjekt verstanden wird, ist sie nicht nur für das Heilswerk von Bedeutung, sondern auch für das Verständnis seines Menschseins und von daher für das Verständnis des Menschen im allgemeinen. Die Ergebnisse, zu denen Barth, Pannenberg und Berkhof kommen, sind trotz unterschiedlicher Gedankengänge fast die gleichen. Barth führt aus: Da Jesu Christi menschliches Wesen an sich nicht sündlos ist, hat es durch die Erhöhung zur Einheit und Gemeinschaft mit Gott in der Existenzeinheit mit dem Sohn Gottes Anteil an der Sündlosigkeit bekommen, wodurch in ihm die Existenz des neuen weil mit Gott versöhnten Menschen Ereignis geworden ist. Da diese Erhöhung zur Einheit und Gemeinschaft mit Gott die Bestimmung des Menschen ist und sie sich in Jesus Christus ereignet hat, ist er als solcher der wahre Mensch, so daß nur im Blick auf sein Menschsein gesagt werden kann, was wahres Menschsein ist. Als die Erhöhung des Menschen zur göttlichen Bestimmung ist Jesu Christi Sündlosigkeit der Seinsgrund des wahren Menschseins. 58 Wie für Barth ist auch für Pannenberg und Berkhof die Gemeinschaft mit Gott und Gottessohnschaft die Bestimmung des wahren Menschseins. Da in Pannenbergs Verständnis die Sündlosigkeit Jesu als Implikat und Ausdruck der personalen Einheit und Gemeinschaft mit Gott die Erfüllung dieser

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Siehe unsere Ausführungen S. 76f. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 40f. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 42f.

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göttlichen Bestimmung darstellt, ist Jesus Christus als dieser der wirkliche und wahre Mensch. 59 Für Berkhof ist Jesus insofern der neue, der eschatologische und als solcher der wahre Mensch, als er durch seine Sündlosigkeit, die wesentlich Bundeserfüllung ist, die Bestimmung des Menschen zur Gottessohnschaft als der vollkommene Bundespartner Gottes verwirklicht hat. 60 Dabei ist für Pannenberg und Berkhof die Sündlosigkeit Jesu der Grund für unseren Anteil an diesem wahren Menschsein nach Maßgabe unserer Verbundenheit mit ihm. Im Sinne von Tillich kann von der als Neues Sein begriffenen Sündlosigkeit Jesu Christi her als das wahre Menschsein, zu dem wir alle bestimmt sind, die essentielle Einheit des Menschen mit Gott, die die Überwindung der Entfremdung des Mensch mit Gott, mit der Welt und mit sich selbst beinhaltet, verstanden werden. Durch diese in Jesus Christus verwirklichte wesenhafte Gott-Mensch-Einheit können auch die Menschen Anteil am essentiellen, wahren Menschsein bekommen. 61 Damit kommt Tillich im Wesen zu ähnlichen Ergebnissen wie Barth und Pannenberg. Ebeling ist in diesem Zusammenhang unerwähnt geblieben, da er aus seinem Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi keinerlei Folgerungen für das Verständnis des Menschen zieht. c) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für den

Gottesbegriff

Aus dem Verständnis der Sündlosigkeit zieht allein Barth wesentliche Folgerungen für den Gottesbegriff. Wenn der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi insofern Gott ist, als er das Subjekt seines Gehorsams bezeichnet, so daß dieser als wahrer Gott gehorsam und also sündlos ist, muß sein Gehorsam und sein gesamtes in diesem Gehorsam vollzogenes Handeln von der Selbsterniedrigung ins Fleisch bis zum Tod am Kreuz mit zu dem Gottesbegriff gehören, folgert Barth aus dem Faktum des Versöhnungsgeschehens. Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für den Gottesbegriff besteht also darin, daß sie - als Gehorsam verstanden - für Barth das "geradezu beherrschende Moment" in der Vorstellung der Gottheit Jesu Christi und der Schlüssel zum Begreifen seines Seins als wahrer Gott im gehorsamen Kreuzestod wird. 62

59 60 61 62

112

Siehe Siehe Siehe Siehe

dazu dazu dazu dazu

unsere unsere unsere unsere

Ausführungen Ausführungen Ausführungen Ausführungen

S. S. S. S.

66. 74f. 53f. 41f.

d) Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für das Verständnis der Sünde Ebeling zufolge verändert die in Freiheit zum Sünder vollzogene Hingabe für die Sünde als Zuwendung Gottes zum Sünder begriffene Sündlosigkeit Jesu Christi das Verständnis der Sünde dahingehend, daß diese nunmehr als die menschliche Gesamtsituation offenbar wird, die als solche unter dem Urteil Gottes steht.63 Ohne diese Folgerung explizit zu ziehen, spricht auch Pannenberg davon, daß die Sündlosigkeit Jesu ein radikales Verständnis der Sünde, nämlich als "GrundVerfassung des faktischen Daseins der Menschen in ihrer Ichbezogenheit und Ichverschlossenheit gegen Gott" impliziert, die von Jesus durchbrochen worden ist.64 Die totale Selbstentfremdung des Menschen vom Grund des Seins, von Gott, von der Welt und von sich selbst, von der Tillich im Blick auf das in Jesus Christus verwirklichte, als seine Sündlosigkeit verstandene Neue Sein als der Überwindung dieser Entfremdung spricht, impliziert ebenfalls ein radikales Sündenverständnis. Da bei allen dargestellten Auffassungen durchwegs von einem theologischen (und nicht bloß ethischen) Verständnis der Sündlosigkeit Jesu gesprochen werden kann, impliziert dieses ein vertieftes (und nicht bloß ethisches, sich auf bestimmte Taten beziehendes) Sündenverständnis. Wesentlich für das Verständnis der Sünde ist aber - und darin besteht die Bedeutung der Sündlosigkeit -: sie ist durch die Sündlosigkeit Jesu Christi überwunden.

63 64

Siehe dazu Ebeling, S. 181f. bzw. unsere Ausführungen S. 91f. Vgl. Pannenberg, ebd., S. 375ff.; Zitat: S. 376 bzw. unsere Ausführungen S.

65 f.

113

II. Sündlosigkeit und Zweinaturenlehre im Verständnis der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche

1. Zum Gesamtverständnis der Christologie der BSLK 65 Die Frage nach dem Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi und ihres Zusammenhangs mit der Zweinaturenlehre in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche führt unmittelbar zu ihrer Christologie. Ihre Behandlung muß daher im Rahmen eines Gesamtverständnisses66 dieser Christologie erfolgen. Die Christologie der BSLK läßt sich als Inkarnationschristologie67 kennzeichnen. Sie geht aus von der ewigen Gottheit des Sohnes Gottes68, dessen Menschwerdung Geburt und Leiden umfaßt und die im Kreuzestod ihre Vollendung findet. So heißt es CA III: "Item docent, quod verbum, hoc est, filius Dei, assumpserit humanam naturam ... natus ex virgine Maria, vere

65

Wir beziehen uns im folgenden auf die im Konkordienbuch von 1580 enthaltenen Bekenntnisschriften, veröffentlicht als »Die Bekenntnisschriften der evangelischlutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930«, Göttingen 7 1978, abgekürzt BSLK, und verwenden beim Zitieren der einzelnen Schriften ihre inzwischen allgemein gebräuchliche Abkürzung: Augsburger Bekenntnis = Confessio Augustana: CA; Apologie der Confessio Augustana: ApolCA; Schmalkaldische Artikel: ASm; Kleiner Katechismus: KIKat; Großer Katechismus: GrKat; Konkordienformel: FC, bestehend aus den Epitome: Epit und der Solida Declaratio: SD. 66 Trotz der Unterschiede, die zwischen manchen Lehren und Aussagen der Bekenntnisschriften im einzelnen festzustellen sind, kann durchaus von einem Gesamtverständnis gesprochen werden. Anliegen dieser Darstellung ist nicht ein Herausarbeiten dieser Unterschiede, sondern das Erarbeiten eines Gesamtverständnisses, vor allem der Lehre von der Sündlosigkeit in ihrem Zusammenhang. 67 Zum Begriff der Inkarnationschristologie im allgemeinen siehe Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik II, S. 22f. 68 Der Grund der Christologie der BSLK ist die als Trinitätslehre verstandene und entfaltete Gotteslehre. Vgl. dazu bes. CA I, 2.3, S. 50: "... docent, quod sit una essentia divina, quae et appelatur et est Deus aeternus ... et tarnen tres sint personae, eiusdem essentiae et potentiae, et coaeternae, pater, filius et spiritus sanctus." Die ASm bekennen " 1. Daß /Gott/ Vater, Sohn und heiliger Geist in einem göttlichen Wesen und Natur drei unterschiedliche Personen ein einiger Gott ist..." (ASm I, 12-14, S. 414)

114

passus, crucifixus, mortuus et sepultus". 69 Die ASm bekennen: "... 4. Daß der Sohn also sei Mensch worden, daß er ... von der reinen heiligen Jungfrau Maria geporn sei, darnach gelitten, gestorben, begraben..." 70 Ähnlich lehren auch die übrigen Bekenntnisschriften. 71 Der unmittelbare Anlaß der Menschwerdung des Gottessohnes bzw. des Annehmens der menschlichen Natur durch ihn ist der Zustand des natürlichen Menschen, der von den BSLK mit Sünde bezeichnet wird: Der Mensch ist als Sünder "sine metu Dei, sine fiducia erga Deum et cum concupiscentia"72 und daher, als unter dem Zorn Gottes73 stehend, verloren und verdammt. 74 Da der Mensch außerstande ist, Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott aus eigenem "Verdienst, Werk und Genugtun" zu erlangen75, ist der Gottessohn Mensch geworden, um den Menschen zu erlösen und mit Gott zu versöhnen, wie CA III bekennt: "... füius Dei assumpserit humanam naturam ... ut reconciliaret nobis patrem". 76 Damit sind die beiden Voraussetzungen zum Verständnis der Christologie der BSLK im allgemeinen und somit zum Verständnis des Heilswerkes Jesu Christi im besonderen, zugleich aber auch für das Verständnis der dazugehörenden Sündlosigkeit bereits genannt: a) äußere Voraussetzung ist der Zustand des Menschen als Sünder - der Anlaß der Menschwerdung des Gottessohnes; b) innere und eigentliche Voraussetzung ist die durch den Zustand des Menschen veranlaßte Annahme der menschlichen Natur durch den Gottessohn.

69

CA III, 1.2, S. 54. ASm I, 20-23, S. 414. 71 Vgl. dazu auch die FC Epit VIII. 7: "Daher glauben, lehren und bekennen wir, daß Maria nicht ein bloßen, pur lautern Menschen, sondern den wahrhaftigen Sohn Gottes empfangen und geboren habe..." (S. 806), sowie die Aussagen der ApolCA I und II (S. 145 bzw. 158), des KIKat und GrKat zum II. Glaubensartikel (S. 511 bzw. 651), der SD VIII (S. 1019f.) u.ö. und auch unsere Ausführungen betreffend Jesu Heilswerk und die Zweinaturenlehre, S. 124ff. 72 CA II, 1, S. 53. 73 Vgl. CA II und III S. 53-54; ApolCA IV, 5, S. 164 usw. 74 KIKat, II. Glaubensartikel, 4, S. 511. Vgl. dazu auch ASm III, 14.15, S. 433: "... alle Menschen sind Sunder worden und dem Tod und dem Teufel unterworfen" usw. 75 CA IV, 1, S. 56. 76 CA III, 2.3, S. 54. Vgl. auch die deutsche Fassung: "... Gott der Sohn sei Mensch worden ... daß er ... Gottes Zorn versöhnet" (ebd.). Siehe auch KIKat II. Glaubensartikel, 4, S. 511 usw. sowie unsere Ausführungen zu Jesu Heilswerk und die Zweinaturenlehre, S. 124ff. 70

115

Da die Sündlosigkeit Jesu Christi mit seiner Heilsbedeutung zusammenhängt, deren rechtes Verständnis aber erst von den beiden gesamtchristologischen Voraussetzungen her möglich wird, haben wir uns zunächst mit diesen ausführlicher zu befassen, ehe wir uns der Frage der Sündlosigkeit im besonderen zuwenden können.

2. Der Mensch und die Sünde Wir qualifizieren die Christologie der BSLK als Inkarnationschristologie , da in ihrem Verständnis der Sohn Gottes, veranlaßt durch den Zustand des Menschen als Sünder, selbst Mensch geworden ist. a) Der Mensch coram Deo Der Begriff des Sünders charakterisiert den Zustand des Menschen coram Deo. Die BSLK verstehen den Menschen nicht als solchen und an sich, abgesehen von seinem Gottesverhältnis, sondern ausschließlich von diesem Gottesverhältnis her, in dem der Mensch - jeder Mensch - steht. Was der Mensch ist, das ist er nicht an sich, sondern coram Deo. Das Sein des Menschen ist sein Sein-vor-Gott.77 Im Sinne der BSLK gibt es demnach keine Anthropologie an sich, sondern Anthropologie steht von vorneherein im Lichte des - intakten, zerstörten, wiederhergestellten - Gottesverhältnisses und ist wesentlich Theologie.78 Dies ist ein Grundsatz der Theologie der BSLK, der zwar expressis verbis nicht genannt wird, der jedoch allen Ausführungen über Schöpfung, Sünde, Rechtfertigung und Heiligung implizit zugrunde liegt. Wird demzufolge der Mensch als Sünder bezeichnet, so heißt das, daß er es coram Deo ist, und weil er es coram Deo ist, ist er es auch, nicht nur habituell, sondern ontisch. Wie ist es aber dazu gekommen, daß die Sünde nicht nur sein Zustand, sondern geradezu sein Sein ist? Die CA bezeugt Gott als den "creator et conservator omnium rerum, visibilium et invisibilium"79, und wenn die ASm und die beiden Katechis-

77

Zum Begriff "coram Deo" siehe bes. CA IV, 1, S. 56; ApolCA II, 182, S. 196

usw. 78 Leif Grane, Die Confessio Augustana, stellt fest: Luther "sieht alles vom Verhältnis des Menschen zu Gott aus. Alles, was der Mensch hat oder ist, wird von seiner Grundhaltung aus qualifiziert, von seinem Gottesverhältnis oder seinem fehlenden Gottesverhältnis." (S. 26) Dieses Urteil gilt mutatis mutandis auch für die Bekenntnisschriften im allgemeinen. 79 CA I, 2, S. 50.

116

men von Gott als dem "Schepfer Himmels und Erden" sprechen80, beziehen das die beiden letzteren in der Erklärung im besonderen auf die Erschaffung des einzelnen konkreten Menschen: "Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen" bzw. "daß ich Gottes Geschepfe bin". 81 Für den Menschen bedeutet das, daß er sich gegenüber Gott im Verhältnis des Geschöpfes zum Schöpfer befindet. Als "nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen" 82 , ist der Mensch "gerecht", "rein und heilig ohne Sünde"83 und befindet sich als solcher ursprünglich in dem Verhältnis zu seinem Schöpfer, das die BSLK mit "iustitia originalis"84 kennzeichnen, dessen Inhalt Wahrheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit85 ist. Seinen Ausdruck findet dieses Verhältnis der iustitia originalis im Verhalten des Menschen, das - von der ApolCA unter Zuhilfenahme der Gottesgebote erläutert - dem Befolgen nicht nur der zweiten, sondern vor allem der ersten Gebotstafel und im besonderen des ersten Gebotes entspricht. Demzufolge ist derjenige "fromm, heilig und gerecht, ... der Gott von Herzen fürchtet, ihn liebt und sich auf Gott verläßt" 86 , der also Gotteserkenntnis, Gottesfurcht und Gottvertrauen - als Gottes Schöpfergaben hat.87 Dieses ursprüngliche Gottesverhältnis ist durch Adams Fall jedoch ins genaue Gegenteil verkehrt worden. Die ASm bekennen, "daß die Sunde sei von Adam, dem einigen Menschen, herkommen, durch welchs Ungehorsam alle Menschen sind Sunder worden und dem Tod und dem Teufel unterworfen. Dies heißt die Erbsunde oder Häuptsunde." 88 Auch die anderen BSLK führen das Sündersein des Menschen auf Adams Ungehorsam und Fall zurück89, der Gottes Zorn hervorgerufen hat90; sie beschränken sich

80

GrKat I. Glaubensartikel, 12, S. 648. Vgl. dazu auch KIKat II Glaubensartikel 1, S. 510 sowie ASm 1,10, S. 414. 81 GrKat I. Glaubensartikel, 13, S. 648 bzw. KIKat I. Glaubensartikel 2, S. 510. Vgl. dazu auch Epit 1,4, S. 771 sowie SD I, 10 S. 848; siehe auch SD V, 23, S. 960. 82 ApolCA II, 19, S. 150. So auch SD I, 10, S. 848. 83 SD V, 23, S. 960 bzw. Epit I, 2, S. 770. 84 ApolCA II, 15, S. 150. 85 SD I, 10, S. 848; SD V, 23, S. 960. So auch ApolCA II, 16, S. 150 und ähnl. auch Epit I, 2, S. 770. 86 Vgl. dazu ApolCA II, 16, S. 150. 87 ApolCA II, 20, S. 151 bzw. 17.18, S. 150. 88 ASm III, 1 Iff., S. 433. 89 CA II, 1, S. 53; ApolCA II, 5, S. 147 und 26, S. 152; GrKat S. 704, 66; SD I, 4, S. 844 und S. 846 - 849 pass.; sowie auch KIKat S. 516, 12 usw. 90 Siehe CA II, 2, S. 53; ApolCA IV, 50, S. 193; SD I, 9, S. 848 und 19, S. 850.

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jedoch auf das Faktum des Falls, das sie im Begriff der Erbsünde - peccatum originale - zum Ausdruck bringen, ohne eine Ontologie des Falls zu entwickeln.91 Das Wie des Falls tritt hinter das Daß zurück; diesem Daß und seinen katastrophalen Folgen gilt ihr Hauptaugenmerk. b) Das Wesen der Erbsünde Der Begriff peccatum originale = Erbsünde - eigentlich müßte er richtiger heißen: Ursünde - bringt im Verständnis der BSLK aber nicht nur das Faktum des Falls zum Ausdruck, sondern er bezeichnet das Wesen der Sünde überhaupt und somit auch das Sein des Menschen post lapsum Adae. Die prägnanteste Definition der Erbsünde bietet CA II: "Item docent, quod post lapsum Adae omnes homines, secundum naturam propagati, nascantur cum peccato, hoc est, sine metu Dei, sine fiducia erga Deum et cum concupiscentia ,.." 92 Diese Aussagen kennzeichnen das Wesen der Erbsünde als Mangel an Gottesfurcht und -Vertrauen und als Konkupiszenz, als angeborenes und weitervererbtes Übel. Aufgrund dieser Definition, der dazugehörigen erläuternden Ausführungen der ApolCA sowie der übrigen BSLK lassen sich die folgenden Wesensmerkmale der Erbsünde herausstellen. (1) Neben dem Mangel an Gottesfurcht und Gottvertrauen nennt die ApolCA als Wesensmerkmale der Erbsünde noch den Mangel an Gotteserkenntnis (notitia) bzw. Unkenntnis Gottes (ignoratio Dei) und die Unfähigkeit, Gott zu lieben.93 Die ApolCA bezeichnet das als "wider Gott, wider die erste Tafel Mosi und das größte, höchste göttlich Gebot gesinnet und geartet" sein94. Hatte der Mensch ursprünglich, als nach Gottes Ebenbild geschaffen, Gotteserkenntnis, Gottesfurcht, Gottvertrauen und Gottesliebe, und entsprach sein Verhalten vollkommen den Forderungen des ersten Gebotes95, so ist sein Zustand und Sein nach dem Fall ins genaue Gegenteil verkehrt. Der gottebenbildlich geschaffene Mensch, der sich ursprünglich

91 Das stellt auch Edmund Schlink, Die Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, S. 73, fest. 92 CA II, 1, S. 53. 93 Vgl. dazu ApolCA II, 14, S. 150: "Voluimus enim significare, quod peccatum originis ... contineat: ignorationem Dei, contemptum Dei, vacare metu Dei et fiducia erga Deum, non posse diligere Deum." Ähnlich auch ebd. S. 151, 23: "... detrabit notitiam Dei, fiduciam erga Deum, timorem et amorem Dei." 94 ApolCA II, 14, S. 150. Vgl. dazu auch die lateinische Fassung (als unmittelbare Forsetzung des 1. Zitates, Anm. 93): "Haec sunt praecipua vitia naturae humanae pugnantia proprie cum prima tabula Decalogi." 95 Vgl. dazu unsere vorhergehenden Ausführungen über den geschaffenen Menschen, S. 117f.

118

Gott gegenüber im Verhältnis der iustitia originalis befunden hat, hat durch den Fall die Gottebenbildlichkeit und die Gerechtigkeit verloren. 96 Erbsünde ist also wesentlich Mangel an Gerechtigkeit: "Peccatum originis carentiam esse iustitiae originalis." 97 Dieser Mangel bedeutet aber nicht bloß das Fehlen von Gottesfurcht, Gottvertrauen und Gottesliebe, sondern die ausgesprochene Unfähigkeit, Gott fürchten, lieben und vertrauen zu können: "non posse Deo credere, non posse Deum timere ac diligere". 98 (2) Wesensmerkmal der Erbsünde ist aber nicht nur der Mangel an iustitia und die dadurch bedingte Unfähigkeit zur Erfüllung des ersten Gebotes, sondern aktiver Widerspruch und Auflehnung gegen Gott, Gotteshaß und Gottesfeindschaft. Diese feindliche Gesinnung nennen die BSLK Sucht, böse Lust, Begierde - concupiscentia99; sie erfüllt das ganze menschliche Sein, Leben und Streben: "Item habere concupiscentiam, quae carnalia quaerit contra verbum Dei, hoc est, quaerit non solum voluptates corporis, sed etiam sapientiam et iustitiam carnalem, et confidit his bonis, contemnens Deum." 100 Anstelle der verlorenen iustitia bestimmt nunmehr die concupiscentia als deren Gegenteil das gesamte Verhalten und Sein des Menschen. (3) Des weiteren wird von der Erbsünde gelehrt, daß sie ein dem Menschen angeborenes und weitervererbtes Übel ist. Dadurch wird zum einen die Universalität und zum andern die Totalität der Sünde zum Ausdruck gebracht. - Universal ist die Sünde insofern, als sie, durch Adams Ungehorsam und Fall bedingt, nunmehr auf alle natürlich geborenen Menschen als Mangel an Gerechtigkeit und als Konkupiszenz weitervererbt wird. Hierzu führt die FC

96 Vgl. dazu SD I, 10, S. 848: "Zum andern, daß es auch eine gänzliche Darbung oder Mangelung der angeschaffenen Erbgerechtigkeit im Paradies oder des Bildes Gottes, nach welchem der Mensch anfänglich in Wahrheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit geschaffen, und zugleich ein Unvormugen und Untüchtigkeit zu allen Gottessachen ..." 97 ApolCA II, 15, S. 150. So auch ApolCA II. 23, S. 151: "Erbsunde ... sei ein Mangel der ersten angeschaffenen Gerechtigkeit." u.ä. 98 ApolCA II, 26, S. 152 99 Vgl. dazu ApolCA II, 3, S. 146: "Ut cum nominamus concupiscentiam, non tantum actus seu fructus intelligimus, sed perpetuam naturae inclinationem." Siehe auch ebd., 25, S. 152: Die Konkupiszenz ist "eine böse Lust und Neigung, da wir nach den allerbesten, höchsten Kräften und Licht der Vernunft dennoch fleischlich wider Gott geneigt und gesinnet sind." 100 ApolCA II. 26, S. 152. Vgl. dazu die deutsche Fassung: Diese "böse Lust" äußert sich darin, daß "wider Gottes Wort all unser Sinn, Herz und Mut stehet, da wir nicht allein suchen allerlei Wollust des Leibs, sondern auch auf unser Weisheit und Gerechtigkeit vertrauen, und dagegen Gottes vergessen und wenig, ja gar nichts achten. "

119

aus, daß die Erbsünde "durch die fleischliche Entpfängnus und Geburt von Vater und Mutter aus sündlichem Samen mit fortgepflanzet" wird101; eine nähere Erklärung des Zusammenhangs zwischen Adams Sünde und der Sünde aller Menschen wird jedoch nicht gegeben. 102 E. Schlink erklärt dies Fehlen mit der Absicht der Bekenntnisschriften, den allgemeinen Zusammenhang aller Menschen in der Sünde herauszustellen.103 Dieser Zusammenhang als "Gemeinsamkeit aller Menschen, aller ihrer Taten und aller ihrer Anlagen, ... (die) seit Adams Fall die Gemeinsamkeit in der Sünde" ist, sei ebenso umfassend, wie es die geschöpfliche Gemeinschaft sei. 104 Dieser Auslegung kann man sicherlich zustimmen. Jedoch wird das Fehlen einer Erklärung des Zusammenhangs von Adams Sünde und der aller anderen Menschen primär mit der Tatsache zusammenhängen, daß die BSLK die natürliche Abstammung aller Menschen noch ohne die geringsten Bedenken auf Adam zurückführen, wodurch die natürliche Vererbung auf die gesamte Nachkommenschaft zustande gekommen ist.105 - Die Totalität der Sünde besteht darin, daß sie nicht nur ein "Mangel alles Guten in geistlichen göttlichen Sachen", ein "Gebrechen und aufgelegt Last oder Bürde" ist106, sondern daß sie "eine tiefe, böse, greuliche, grundlose, unerforschliche und unaussprechliche Vorderbung der ganzen Natur und aller Kräften, sonderlich der höchsten, fürnehmbsten Kräften der Seelen im

101

SD I, 7, S. 847; ähnl. auch ebd., S. 853, 28 u.ä. Vgl. dazu auch die Ausführungen von E. Schlink, aaO., S. 73 und 75 sowie Fr. Brunstädt, Die Theologie der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften, S. 54. Daß es sich dabei nicht um eine Abwertung der Sexualität handelt noch in ihr das Wesen der Sünde erblickt wird, stellen mit Recht E. Schlink und Fr. Brunstädt übereinstimmend heraus. 103 Ähnlich auch Fr. Brunstädt, aaO., S. 55. 104 Vgl. dazu E. Schlink, aaO., S. 75. 105 Fr. Brunstädt wendet sich gegen eine kausal-ätiologische Herleitung der sündigen Grundbefindlichkeit der Menschen aus der Adamsgeschichte: die BSLK wollten die Herkunft der Sünde nicht biologisch erklären (aaO., 55f.). Das ist richtig, solange eine biologische Herleitung das sündige Sein des Menschen kausal-deterministisch erklären und, zumindest zum Teil entschuldigen bzw. dem Menschen die direkte Verantwortlichkeit dafür absprechen will. Das wollen die BSLK auch nicht, denn in ihrem Verständnis ist Sünde auch und gerade als vererbte Sünde Schuld, und zwar ganz persönliche Schuld. Daß es sich bei der Herleitung der Sünde aus Adams Fall um mehr als nur um eine Unterstreichung der Grundbefindlichkeit aller Menschen handelt - wie Brunstädt und auch Schlink es für die BSLK annehmen - erweist nicht zuletzt auch die Tatsache, daß für das Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu der Jungfrauengeburt eine entscheidende Bedeutung zufällt, wie noch zu zeigen sein wird. Eine andere Frage ist es freilich, ob wir heute die betreffenden Aussagen der BSLK noch so unbedingt nachvollziehen können. 102

106

120

SD I, 11, S. 848 bzw. ApolCA II, 5, S. 147.

Vorstande, Herzen und Willen" des Menschen ist.107 Denn sie ist nicht eine Sünde, "die man tuet, sondern sie steckt in der Natur Substanz und Wesen des Menschen, also: wann gleich kein böser Gedank nimmer im Herzen des vorderbten Menschen ufstiege, kein unnütze Wort geredet noch böse Tat geschähe: so ist doch die Natur vorderbet durch die Erbsünde". 108 Diese totale Verdorbenheit der menschlichen Natur meinen die BSLK, wenn sie lehren, daß die Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, und diese Verdorbenheit an Leib und Seele ist es, die auf diesem natürlichen Weg von Adam109 auf alle Menschen weitervererbt wird. 110 "Die menschliche Natur (ist) also ... verkehrt und verderbt, daß mit demselben Mangel und Verderbung itzunder die Natur allen Menschen, so natürlicherweise von Vater und Mutter empfangen und geboren werden, angeerbet wird." 111 (4) Die Erbsünde, die als Mangel an Gerechtigkeit und als Konkupiszenz auf dem Weg der Vererbung die menschliche Natur total verdorben hat, ist der Ursprung aller bösen Gedanken, Worte und Taten des Menschen und äußert sich im Übertreten der Gebote. Der Mensch ist nicht sündig und verdorben, weil er die Gebote übertritt, sondern weil er verdorben ist, sündigt er und übertritt die Gebote. Die Epit bezeichnen in diesem Sinn die Erbsünde als "Brunquell aller andern wirklichen Sünden, als böser Gedanken, Worten und Werken" 112 , und die ASm nennen die "bösen Werk, so in den zehn Geboten verboten sind" Früchte der Erbsünde." 3 Das Übertreten

107 SD I, 11, S. 848. Die Erbsünde ist auch nicht nur ein von außen "... schlechter, ringschätziger, eingesprengter Fleck oder anfliehende Makel", auch nicht nur "ein äußerliche Hindernus der guten geistlichen Kräften ... als wann ein Magnet mit Knoblochsaft bestrichen wird, dardurch seine natürliche Kraft nicht weggenommen, sondern allein gehindert wird", sondern eine so tiefe Verdorbenheit des Menschen, "daß nichts Gesundes oder Unverdorbet an Leib, Seel des Menschen, seinen innerlichen und äußerlichen Kräften geblieben" ist. (Epit I, 15, S. 773 und 8, S. 772, siehe auch SD I, 21, S. 851 und auch 6, S. 847). 108 Epit I, 21, S. 774. Auch ASm III, 5, 8f., S. 434. Vgl. auch die folgende Anmerkung. 109 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 117f. und die sie begleitenden Anmerkungen 89-91. 110 Die SD bezeichnet die Erbsünde als eine solche Verdorbenheit, daß "dem Menschen nunmehr nach dem Fall angeerbt wird 'eine angeborne böse Art' und inwendige Unreinigkeit des Herzen, 'böse Lust und Neigung', daß wir alle von Art und Natur solch 'Herz, Sinn und Gedanken aus Adam ererben', welches nach seinen 'höchsten Kräften und Licht der Vernunft' natürlich 'stracks wider Gott und seine höchste Gebot gesinnet und geartet', ja eine Feindschaft wider Gott ist." (SD I. 11, S. 848f.) 1,1 SD I, 27, S. 853. Vgl. dazu auch ebd., 30, S. 853. ApolCA II, 6, S. 148 heißt es: "Natura hominum corrupta et vitiosa nascatur." Siehe auch ebd., 3, S. 146. 112 Epit I, 21, S. 774f., ähnl. auch SD I, 5, S. 846f. 113 Vgl. dazu ASm III, 1, S. 434.

121

der Gebote ist also ein Ausdruck des verkehrter Gottesverhältnisses, in dem der Mensch als Sünder steht und aus dem heraus er Sünde tut bzw. tun muß. c) Folgen des Stehens unter der Sünde Im Verständnis der BSLK ist die Erbsünde Schuld des Menschen vor Gott. Diese Aussage bedarf der Begründung. Wenn nämlich einerseits gelehrt wird, daß Gott der Schöpfer und Erhalter aller Menschen, also auch der Menschen nach dem Fall Adams ist114, andererseits aber ausgesagt wird, daß der Mensch von seinem Anfang her durch die Erbsünde verdorben ist115, wäre es naheliegend, Gott insofern als den Schöpfer der Sünde zu betrachten, als er die menschliche Natur sündig und verdorben erschaffen habe. Die Möglichkeit eines solchen Schlusses wird von den BSLK erkannt und ernstgenommen und widerlegt: "Die Erbsünde kommt nicht von Gott her, Gott ist nicht ein Schöpfer oder Stifter der Sünde. Es ist die Erbsünde nicht ein Kreatur oder Werk Gottes." 116 Zur Begründung dessen betont die FC die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der von Gott geschaffenen menschlichen Natur und der Erbsünde. 117 "Wiewohl aber die Erbsünde die ganze menschliche Natur wie ein geistlich Gift und Aussatz vergiftet und vorderbt hat, ... so ist doch gleichwohl nicht ein Ding die verderbte Natur oder das Wesen des verderbten Menschen, Leib und Seel oder der Mensch selber von Gott erschaffen (...) und die Erbsünde selbst, die in des Menschen Natur oder Wesen wohnt und dieselbige verderbet." 1 ' 8 Dieses ist freilich eine rein begriffliche, keinesfalls aber eine empirische Unterscheidung119, dessen sich auch die BSLK bewußt sind, wenn sie ausführen, daß "die Natur und solche Vorderbung der Natur niemand voneinander scheiden könne denn allein Gott ... in der Auferstehung". 120

" 4 Die entsprechenden Aussagen des KIKat und GrKat (siehe oben Anm. 81) beziehen sich auf den Menschen post Iapsum Adae. " 5 Vgl. dazu unsere Ausführungen über die Totalität der Erbsünde, S. 120f. 1,6 SD I, 40, S. 856. Vgl. dazu auch CA XIX, S. 75. 117 Siehe SD I, 41, S. 857. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung ergibt sich auch vom Faktum der Inkarnation Jesu Christi her. Vgl. hierzu unsere Ausführungen S. 135f. 118 SD I, 33, S. 854. Vgl. auch Epit I, 2, S. 770. 119 Darauf weist mit Recht Schlink, aaO., S. 79, hin. 120 Epit I, 8, S. 772. Auf die Problematik dieser Lehre kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu ausführlich Brunstädt, aaO., S. 58-63.

122

Wird nun gelehrt, daß die Erbsünde wahrhaft Sünde121 ist, sie aber keineswegs auf Gott, den Schöpfer, zurückgeführt werden kann, so ist sie Schuld des Menschen gegenüber Gott. Es liegt den BSLK daran, die Erbsünde als wirkliche Schuld122, als "groß Todschuld"123, als culpa originalis und nicht bloß als culpa actualis124, als fremde Schuld125 oder gar als adiaphoron126 zu kennzeichnen. Da die Erbsünde wahre Sünde und als solche schwerste Schuld vor Gott ist, stehen alle Menschen als Sünder unter Gottes ewigem, sie verdammenden Zorn.127 Gottes Zorn auferlegt den Menschen zeitliche und ewige Strafen128: sie werden nicht nur dem Tod und anderen leiblichen Übeln, sondern der Erbsünde selbst und dem Reich des Teufels unterworfen, wobei Erbsünde als Verdorbenheit, als Mangel und Konkupiszenz Schuld und Strafe zugleich ist. "Ibi enim non solum morti et aliis corporalibus malis subiicitur humana natura, sed etiam regno diaboli ... Defectus et concupiscentia sunt poenae et peccata."129 Die Leugnung der Erbsünde als Schuld und Strafe und der Verdammung der Menschen unter Gottes Zorn wird von den BSLK ausdrücklich verworfen. 130

121 Vgl. CA II, 2, S. 53: "... quoque hic morbus seu vitium originis vere sit peccatum" und auch SD I, 5, S. 846: "... die greuliche, schreckliche Erbsunde ... vor allen Dingen wahrhaftig für Sünde soll gehalten und erkennt werden, ja für die 'Häuptsünde"'. 122 Vgl. ApolCA II, 3, S. 146; SD I, 9, S. 848. 123 ApolCA II, deutscher Text Zeile 38, S. 156. 124 ApolCA II, 1, 3, S. 146. 125 D.h. als von Adam ererbte Schuld, vgl. ApolCA II, 5 f, S. 147f. und SD I, 9, S. 848. Vgl. dazu die Verwerfungen der Epit I, 11, S. 772f.: "Demnach vorwerfen ... wir, wann gelehret wird, daß die Erbsünde allein ein reatus oder Schuld vonwegen frembder Verwirkung, ohne einige unserer Natur Verderbung seie." 126 ApolCA II, 42 und 45, S. 155f. 127 CA II, S. 53, auch SD I, 62, S. 865f., ApolCA I, 41, S. 155; SD I, 4, S. 847: "Also, daß wir 'von Natur Kinder des Zorns', des Todes und der Vordammnus sind, wo wir nicht durch das Vordienst Christi davon erlöset werden." 128 ApolCA IV, 55, S. 185 f; SD V, 20, S. 958f. 129 ApolCA II, 46. 47, S. 156. Vgl. dazu auch ASm III, 1, S. 433, und auch SD I, 13, S. 849: "Die Strafe und Peen der Erbsünde, so Gott auf Adams Kinder und auf die Erbsünde gelegt ist der Tod, die ewige Verdammnus, auch 'andere leibliche' und geistliche, zeitlich und ewig Elend, 'Tyrannei und Herrschaft des Teufels', daß 'die menschliche Natur' dem Reich des Teufels unterworfen und 'unter des Teufels Gewalt dahingegeben.'" Die SD nennt die Erbsünde den "äußerste Schaden, daß wir nicht allein den ewigen Zorn Gottes und den ewigen Tod leiden sollen, sondern auch nicht verstehen, was wir leiden." (SD I, 62, S. 865f.) 130 Epit I, 11. 12, S. 773; SD I, 17-19, S. 850; ApolCA II, 38, S. 154f.

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Zum Wesen der Erbsünde als verkehrtem Gottesverhältnis gehört im Verständnis der BSLK neben Mangel an Gerechtigkeit, Konkupiszenz und Verderbung der menschlichen Natur die ausgesprochene Unfähigkeit des Menschen zur Rechtfertigung. Der Mensch ist insgesamt unfähig, die verlorene iustitia originalis wiederzuerlangen, sein verkehrtes Gottesverhältnis von sich aus wieder in Ordnung zu bringen, da er durch die Ersünde total verdorben und er daher auch unfähig zu guten Gedanken und Werken ist.131 In Auslegung von CA II lehrt die ApolCA: "Hic locus testatur nos non solum actus, sed potentiam seu dona efficiendi timorem et fiduciam erga Deum adimere propagatis secundum carnalem naturam. Dicimus enim, ita natos habere concupiscentiam, nec posse efficere verum timorem et fiduciam erga Deum." 132 Dieser totalen Unfähigkeit wegen bedarf der Mensch der Hilfe Gottes.133 Sie wird ihm durch Jesus Christus zuteil, dessen Heilswerk die Rechtfertigung des Sünders ist.

3. Jesu Heilswerk und die Zweinaturenlehre Die Lehre vom Heilswerk Jesu Christi ist das Zentrum der reformatorischen Theologie und somit der BSLK. Äußere Voraussetzung des Verständnisses des Heilswerkes Jesu Christi ist der Zustand des Menschen coram Deo, sein Sündersein, als Anlaß der Menschwerdung des Gottessohnes. Innere und eigentliche Voraussetzung der Heilsbedeutung Jesu Christi ist die, durch den Zustand des Menschen als Sünder veranlaßte Menschwerdung (Inkarnation)

131

Vgl. dazu ApolCA IV, 35, S. 166 f: "So nu alle Adamskinder in so großen Sunden geboren werden, daß wir alle von Art Gott verachten, sein Wort, seine Verheißung und Dräuen in Zweifel setzen, so müssen wahrlich unser besten gute Werke, die wir tun, ehe wir durch den heiligen Geist neu geboren werden, sundlich und verdammt Werke für Gott sein, wenn sie gleich für der Welt schön sein; denn sie gehen aus einem bösen, gottlosen, unreinem Herzen ..." 132 ApolCA II, 3, S. 146. "Diese Stelle bezeugt, daß wir nicht nur die Werke (actus), sondern auch die Veranlagung (potentia) oder die Gaben zu den Werken der Furcht und des Vertrauens gegen Gott denen absprechen, die sich fortpflanzen gemäß der fleischlichen Natur. Denn wir behaupten, daß wir von Geburt die Begierde (concupiscientia) haben und daß wir nicht wahre Furcht und Vertrauen gegenüber Gott zustande bringen können." (Philipp Melanchthon. Apologia Confessionis Augustanae, Übersetzung aus dem Lateinischen von H.G. Pöhlmann, Gütersloh 1967, S. 39). Ähnlich auch ApolCA II, 26, S. 152. 133 Vgl. dazu ApolCA IV, 165, S. 193f.: "Und ist gar eine gräuliche Verderbung an der ganzen menschlichen Natur geschehen, welche kein Menschenwerk, sondern allein Gott selbst kann erwiederbringen."

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des Sohnes Gottes, die von den BSLK als Annahme der menschlichen Natur durch den Sohn Gottes verstanden wird. So heißt es CA III: "... filius Dei assumpserit humanam naturam ... ut reconciliaret nobis patrem." 134 Diese Annahme der menschlichen Natur durch den Sohn Gottes ist insofern Voraussetzung der Heilsbedeutung Jesu Christi, als sie sein Heilswerk überhaupt ermöglicht. Diese Feststellung, die anhand der Aussagen der BSLK zu begründen ist, führt uns zur Frage nach der Person Jesu Christi im Zusammenhang mit seinem Heils werk. a) Jesu Christi Person und sein Heilswerk Mit dem Verständnis der Person Jesu Christi als solcher befaßt sich eingehender FC VIII. Hier wird gelehrt, daß der Sohn Gottes vor Annahme der menschlichen Natur "eine sonderliche, unterschiedene, ganz göttliche Person und also wahrer wesentlicher, völliger Gott mit dem Vater und dem Heiligen Geist von Ewigkeit gewesen" sei135 und daß Maria den "wahrhaftigen Sohn Gottes empfangen" habe.136 Ähnlich bezeichnet der Kl Kat im II. Glaubensartikel Jesus Christus als "wahrhaftigen Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren"137. Dieser als an sich selbständige Person138 existierende Sohn Gottes hat die menschliche Natur angenommen, indem er sie in die Einheit seiner Person aufnahm. 139 CA III heißt es: "... filius Dei assumpserit humanam naturam ... ut sint duae naturae, divina et humana, in unitatae personae inseparabiliter coniunctae, unus Christus..." 140 . So ist in der einen Person Jesu Christi die menschliche Natur mit der göttlichen Natur ungetrennt zugleich aber auch unvermischt und unverwandelt141 vereinigt.142

134

CA III, S. 56. SD VIII 6, S. 1019. 136 Epit VIII, 12, S. 806. Ähnl. auch SD VIII, 24, S. 1024. 137 Kl Kat II, 4, S.511. So auch SD VIII, 6, S. 1019. 138 So auch CA I, 4, S. 50. 139 Epit. I, 5, S. 771. So auch SD VIII. 6, S. 1019. 140 CA III, 2, S. 54. Vgl. dazu auch Apol CA III, 1, S. 158. 141 Vgl. dazu SD VIII, 7, S. 1019f.: III "Wir gläuben, lehren und bekennen, daß nunmehr in derselbigen einigen, unzertrennten Person Christi zwo unterschiedliche Naturen sein, die göttliche, so von Ewigkeit, und die menschliche, so in der Zeit in Einigkeit der Person des Sohns Gottes angenommen, welche zwo Naturen nimmermehr in der Person Christi weder getrennet, noch mit einander vormischet, oder eine in die andere vorwandelt, sonder ein jde in ihrer Natur und Wesen in der Person Christi in alle Ewigkeit bleibet." So auch SD VIII, 36, S. 983, Epit VII, 11, S.798, Epit VIII, S. 805-809 pass., SD VIII, 19, S. 1023 usw. 142 Vgl. dazu auch SD VIII, 17, S. 1022: "... die göttliche und menschliche Natur Christi (sind) in der Person Christi also vereiniget, daß sie eine wahrhaftige Gemein135

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Nach dieser Menschwerdung gehört die dabei angenommene menschliche Natur wie die göttliche Natur so zur Person Christi, daß "wie ohne seine Gottheit, also auch ohne seine Menschheit, die Person Christi oder filii Dei incarnati, das ist, des Sohns Gottes, der Fleisch an sich genommen und Mensch worden, nicht ganz sei".143 Da in der einen Person Jesu Christi die göttliche und die menschliche Natur ungetrennt, ungeteilt, unvermischt und unverwandelt vereinigt sind, ist er in einer Person wahrer Gott und wahrer Mensch. Die CA bekennt ihn als "unus Christus, vere Deus et vere homo"144, der KIKat nennt ihn "wahrhaftiger Gott... und wahrhaftiger Mensch"145 und in der FC heißt es: "Jesus Christus ist wahrhaftiger, wesentlicher, natürlicher, völliger Gott und Mensch in einer Person, unzertrennt und ungeteilet." 146 Es ist demnach die altkirchliche Zweinaturenlehre, die hier gelehrt und bekannt wird, wenn sich auch die BSLK nicht ausdrücklich auf sie beziehen. Sie ist die implizite Voraussetzung aller christologischen Aussagen der BSLK; ohne sie kann die gesamte Christologie der BSLK nicht verstanden werden. 147 Jesus Christus wird immer als wahrer Gott und wahrer Mensch bekannt, und sein gesamtes Werk geschieht in dieser Einheit seiner Person; weil es aber in dieser Einheit geschieht, ist es Heilswerk, und nur weil Jesus Christus in Person wahrer Gott und wahrer Mensch ist, kann er das Heilswerk vollbringen. Dieses Heilswerk ist im Verständnis der BSLK Jesu Christi gehorsames Leiden und Sterben am Kreuz. Wird nun Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch bekannt, so hat sich daraus die Frage ergeben, nach welcher Natur er gelitten habe und gestorben sei148, bzw. wenn dieses Leiden und Sterben als Heilswerk im Sinne von erlangter Gerechtigkeit149 gedeutet wird,

schaft miteinander haben, dadurch die Naturen nicht in ein Wesen, sondern ( . . . ) in eine Person gemenget." 143 SD VIII, 11, S. 1020. 144 CA III, 2, S. 54. 145 KIKat II, 4, S. 511. Ebenso auch SD VIII, 6, S. 1019. 144 Epit VII, 11, S. 798. 147 Diese Feststellung finde ich bestätigt bei E. Schlink, aaO., S. 123. 148 Vgl. dazu ausführlich Epit VIII, S. 804ff. Die SD erwähnt in diesem Zusammenhang die Auffassung, derzufolge Gott bzw. göttliche Natur und Leiden und Sterben unvereinbar sind, und zitiert hierzu Luther: "Ob die alte Wettermacherin, Frau Vernunft ... sagen würde: ja, die Gottheit kann nicht leiden und sterben: sollt du antworten, das ist wahr, aber dennoch, weil Gottheit und Menschheit in Christo eine Person ist, so gibt die Schrift umb solcher persönlicher Einigkeit willen auch der Gottheit alles, was der Menschheit widerfahret und wiederumb (umgekehrt)." (SD VIII, 41, S. 1030f.) 149 Vgl. dazu unsere folgenden Ausführungen und im bsd. SD III, 15, S. 918.

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nach welcher Natur er unsere Gerechtigkeit sei.150 Beide Fragen entstammen einem Denken, das die reale Einheit und Gemeinschaft beider Naturen in der Person Jesu Christi leugnet oder zumindest nicht ernst genug nimmt und das daher den BSLK fremd ist. Demgegenüber halten die BSLK einmütig daran fest, daß Jesus Christus als Ganzer, in der vollen Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch, geboren worden ist, gelebt und gelitten hat und gestorben ist. Schon die CA spricht von dem "unus Christus, vere Deus et vere homo, natus ex virgine Maria, vere passus, crucifixus, mortuus et sepultus ut reconciliaret nobis patrem ,.." 151 und bringt damit dasselbe zum Ausdruck wie der KIKat152: Jesus Christus hat als Ganzer das Heilswerk vollbracht. Noch deutlicher drückt das die FC aus: "Daher glauben, lehren und bekennen wir auch, daß nicht ein pur lauter Mensch für uns gelitten, gestorben, begraben (sei) ..., sonder ein solcher Mensch, des menschliche Natur mit dem Sohn Gottes so eine tiefe unaussprechliche Vereinigung und Gemeinschaft hat, daß sie mit ihm ein Person ist."153 Weil Jesus Christus als ganzer, d.h. in der personalen Einheit von Gott und Mensch als der Gehorsame gelitten hat und gestorben ist, ist dieses sein Leiden und Sterben im Verständnis der BSLK Heilswerk. Jede willkürliche Trennung, die diese personale Einheit verletzt, stellt Jesu Leiden und Sterben als Heilswerk in Frage. Hierzu bekennt die FC mit Luther: "Dann wann ich das glaube, daß allein die menschliche Natur für mich gelitten hat: so ist mir der Christus ein schlechter Heiland, so bedarf er wohl selbst eines Heilands. "154 Wird dieses weil in völliger Einheit der Person und in Gehorsam geschehene Leiden und Sterben als Heilswerk im Sinne von Gerechtigkeit verstanden, so ist Jesus Christus nach beiden Naturen die Gerechtigkeit,

150 SD III nennt vor allem zwei sich widersprechende Ansichten: Die eine, die vor allem Oslander vertritt, versteht als Gerechtigkeit des Glaubens, die Gott durch den Glauben den Sündern zurechnet, die "wesentliche Gerechtigkeit Gottes, welche Christus als der wahrhaftige, natürliche wesentliche Sohn Gottes selbst sei, der durch den Glauben in den Auserwählten wohne und sie treibe, recht zu tun und also ihre Gerechtigkeit sei, gegen welcher Gerechtigkeit aller Menschen Sünde sei, wie ein Tropfen Wasser gegen dem großen Meer" (S. 913f.). Der anderen, vor allem von Stancarus vertretenen Ansicht nach ist Christus allein nach seiner menschlichen Natur unsere Gerechtigkeit (S. 914). Siehe auch Epit III, S. 781f. 151 CA III, S. 54. 152 KIKat II, S. 511: "Ich gläube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geborn und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geborn, sei mein Herr, der mich ... erlöset hat ... mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschüldigen Leiden und Sterben ..." 153 Epit VIII, 13, S. 807. 154 SD VIII, 40, S. 1029 - Vgl. dazu Luther, WA. 26, 319f.

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die uns im Glauben als die unsere zugerechnet wird zur Vergebung der Sünden.155 Die FC gibt dafür die folgende Begründung: "Dann die menschliche Natur allein, ohne die göttliche, dem ewigen allmächtigen Gott weder mit Gehorsam noch mit Leiden für aller Welt Sünde genugtuen, die Gottheit aber allein, ohne die Menschheit, zwischen Gott und uns nicht mittein mögen. "156 Daher werden alle Gegenlehren, denen zufolge Jesus Christus nur nach seiner menschlichen Natur gelitten habe157, bzw. Christus allein nach seiner menschlichen Natur oder allein nach seiner göttlichen Natur158 unsere Gerechtigkeit sei, als Infragestellung der Ganzheit seiner Person und somit seines Heilswerkes ausdrücklich verworfen. b) Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi Aus den obigen Darlegungen hat sich ergeben, daß Jesu Leiden und Sterben insoweit Heilswerk sind, als sie in der Ganzheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch geschehen sind. Im folgenden soll nun gefragt werden, welche Heilsbedeutung ihnen im Verständnis der BSLK zukommt. Es kann vorwegnehmend gesagt werden, daß die BSLK die Heilsbedeutung Jesu Christi unter zwei Gesichtspunkten entfalten: - um unserer Sünde willen, - um unserer Gerechtigkeit willen. Die Berechtigung des Herausstellens dieser beiden Gesichtspunkte ergibt sich aus der folgenden Darstellung. (1) Um unserer Sünde willen Die umfassendste Deutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi gibt CA III. Sie lehrt, daß Jesus Christus um unserer Sünde willen nicht nur gelitten hat und gestorben ist, sondern daß er ihretwegen überhaupt Mensch gewor-

155 Vgl. dazu Epit III, 3, S. 782, daß "Christus unser Gerechtigkeit weder nach der göttlichen Natur alleine, noch auch nach der menschlichen Natur alleine, sondern der ganze Christus nach beiden Naturen, allein in seinem Gehorsamb sei, den er als Gott und Mensch dem Vater bis in den Tod geleistet und uns damit Vorgebung der Sunden ... vordienet hab." 156 SD III, 56, S. 934. 157 Epit III, 31, S. 810, verwirft die Lehre, "daß allein die bloße Menschheit für uns gelitten und uns erlöset habe, und daß der Sohn Gottes im Leiden mit derselben kein Gemeinschaft mit der Tat gehabt, als wann es ihn nichts angegangen hätte." 158 Epit III, S. 785, bzw. SD III, S. 35. Auf die besondere Bedeutung, die der FC zukommt, indem sie lehrt, daß Jesus Christus nach beiden Naturen unsere Gerechtigkeit ist, hat Friedrich Jakob hingewiesen; siehe: von Christi Tat und unserem Tun. Zur Interpretation von Art. III und IV der Konkordienformel, in: J. Schöne (Hg.), Bekenntnis zur Wahrheit, bes. S. 54.

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den ist, d.h. daß er die menschliche Natur angenommen hat und geboren worden ist, um als wahrer Gott und wahrer Mensch das Opfer zur Versöhnung des göttlichen Zornes zu erbringen: "... filius Dei assumpserit humanam naturam ... ut sint duae naturae, ... (et) unus Christus, vere Deus et vere homo, natus ex virgine Maria, vere passus, crucifixus, mortuus et sepultus, ut reconciliaret nobis patrem et hostia esset non tantum pro culpa originis, sed etiam pro omnibus actualibus hominum peccatis." 159 Es wird dabei unterstrichen, daß Jesus Christus Opfer für alle Sünden, sowohl für die Erbsünde wie für die anderen Sünden ist. Das erinnert zunächst daran, daß der Mensch coram Deo Sünder ist; das heißt, er steht unter der Herrschaft der Erbsünde, die ihrerseits der Ursprung aller anderen Sünden ist.160 Da Sünde Schuld vor Gott ist, stehen alle Menschen unter Gottes ewigem, sie verdammenden Zorn, der ihnen zeitliche und ewige Strafen auferlegt. Daher ist der Mensch als solcher im Verständnis der BSLK verloren und verdammt, der Gewalt der Sünde, des Todes und des Teufels preisgegeben, wobei er zur Selbsthilfe bzw. Selbsterlösung vollkommen unfähig ist.161 Dieser Zustand des Menschen als Anlaß der Menschwerdung, des Leidens und Kreuzestodes, m.a.W. des Heilswerkes Jesu Christi, ist gemeint, wenn die BSLK bezeugen: um unserer Sünde willen, d.h. um unseres sündhaften und daher hoffnungslosen, elenden, heillosen Zustandes willen geschehen. Im Blick auf diesen Zustand wird Jesu Christi um unserer Sünde willen geschehenes Leiden und Sterben als dargebrachtes Opfer, als Bezahlung, bzw. als Genugtuung verstanden, wobei die BSLK mit diesen Begriffen nicht verschiedene Sachverhalte, sondern immer dasselbe zum Ausdruck bringen wollen. Wenn die CA von Jesu Christi wahren Leiden und Sterben als Opfer (hostia) für die Sünde spricht, so meint sie damit ein Opfer, das zur Sühne für die Sünde der Menschen angesichts des Zornes Gottes162 dargebracht worden ist. In diesem Sinne erläutert die ApolCA: "Es ist allein ein einiges, wahrhaftiges Sühneopfer, Opfer für die Sünde, in der Welt

159 CA III, S. 54. Vgl. dazu auch die deutsche Fassung: "Es wird gelehret, daß Gott der Sohn sei Mensch worden ... und daß die zwo Natur, die gottlich und menschlich, in einer Person ... Christus sind, welcher wahr Gott und wahr Mensch ist, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben, daß er ein Opfer wäre nicht allein für die Erbsund, sunder auch fur alle andere Sunde und Gottes Zorn versöhnet." (ebd.) 160 Vgl. dazu und zum folgenden unsere Ausführungen über den Menschen und die Sünde, S. 116ff. 161 Vgl. dazu bes. S. 124 unserer Ausführungen. 162 Vgl. ApolCA XXIV, 23, S. 355f.

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gewesen, nämlich der Tod Christi." 163 Als ein solches Sühneopfer kann der Tod Jesu Christi auch als Bezahlung164 für die Sünde verstanden werden, die Jesus Christus wie ein guter Freund für die Schuld des anderen leistet, damit dieser dadurch von der Schuld frei wird. 165 Dasselbe Verständnis liegt auch der Deutung des Todes Jesu Christi ApolCA IV zugrunde, derzufolge Jesu Christi Blut der "Schatz" ist, "durch welchen die Sunde bezahlet ist".166 Auch der KIKat weist mit seiner Lehre in die gleiche Richtung, wenn in ihm bekannt wird, daß Jesus Christus als wahrhaftiger Gott und Mensch mich verlorenen und verdammten Menschen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels "erworben" und "gewonnen" hat, und zwar "nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teuren Blut und mit seinem unschüldigen Leiden und Sterben"167. Als Sühneopfer bzw. als Bezahlung für unsere Sünde ist der Tod Jesu gleichzeitig eine Genugtuung (satisfactio), die Jesus Christus dem zornigen weil seiner Ehre beraubten Gott leistet. Der GrKat nennt Jesu Christi Leiden und Sterben Genugtuung und Bezahlung für die Schuld der Menschen.168 CA IV bekennt Jesus Christus als den "qui sua morte pro nostris peccatis satisfecit", und die ApolCA lehrt, daß "Christus Tod ein Gnugtuung ist... für die Schuld gegen Gott". 169 Unsere Feststellung, daß die BSLK mit den Begriffen Opfer, Bezahlung und Genugtuung als Deutung des Todes Jesu Christi jeweils denselben170 Sachverhalt ausdrücken, findet seine Bestätigung nicht zuletzt darin, daß diese genannten Begriffe in der lateinischen

163

ApolCA XXIV, 22, S. 355. Ähnlich auch ebd., 53, S. 365: Christus "war das rechte einige wahre Opfer für die Sunde", u.ö. Vgl. dazu auch CA XXIV, 25, S. 93. 164 Vgl. dazu ApolCA XII, 147, S. 284: "Der Tod und das Blut Christi (ist) die rechte Bezahlung für den ewigen Tod" (wobei der ewige Tod für die Sünde als deren Folge steht), und auch XXIV, 23, S. 355: es ist "der Tod Christi die Bezahlung für die Sunde". Ähnl. auch IV, 40, S. 168, und auch GrKat II, 31, S. 652 (Anm. 168); FC III, 15, S. 918 und V, 5, S. 790f. bzw. 20, S. 958. 165 ApolCA XXI, 19, S. 320. 166 ApolCA IV, 53, S. 171; ähnl. auch 57, S. 171, u.ö. 167 KIKat II, 4, S. 511. 168 Vgl. GrKat II, 31, S. 652: "Die Erlösung besteht darin, daß Jesus Christus Mensch worden . . . , darzu gelidden, gestorben und begraben, daß er fur sich genug täte und bezahlete, was ich verschuldet habe, nicht mit Silber noch Gold, sondern mit seinem eigenen teuren Blut." 199 CA IV, 2, S. 56 bzw. ApolCA XII, 140, S. 282. Ähnl. auch XII, 147, S. 284 und auch XXIV, 22, S. 355. 170 Diese Feststellung finde ich bestätigt bei E. Schlink, aaO., S. 128, der seinerseits diese enge Verbindung der Begriffe untereinander auf den damals herrschenden Sprachgebrauch zurückführt. Es ist ihm darin zuzustimmen, daß "keiner der genannten Begriffe als einzelner richtig verstanden werden" kann.

130

Fassung der ApolCA meistens mit satisfactio wiedergegeben werden. 171 "Der Tod Christi (ist) die Bezahlung für die Sunde" lautet in der lateinischen Fassung: "Sciamus mortem Christi vere esse satisfactionem pro peccatis nostris". 172 (2) Um unserer Gerechtigkeit willen Jesus Christus hat das Heilswerk vollbracht, um uns, wie CA III bekennt, mit dem Vater zu versöhnen: "... ut reconciliaret nobis patrem". Wie kommt diese Versöhnung aber zustande? Die BSLK verstehen Jesu Christi Leiden und Sterben nicht nur als Opfer, Bezahlung und Genugtuung, sondern positiv als sein Verdienst (merita). So heißt es ApolCA IV: "Der Verdienst Christi aber ist der Schatz; denn es muß je ein Schatz und edles Pfand sein, dadurch die Sunde aller Welt bezahlt wird." 173 Dieses Verdienst Jesu Christi ist im Verständnis der BSLK seine Gerechtigkeit174 vor Gott; es ist die Gerechtigkeit des ursprünglichen Gottesverhältnisses, die der Mensch durch die Sünde verloren hat und die er von sich aus nicht wiedererlangen kann. Jesu Christi in vollem Gehorsam geleistetes Leiden und Sterben am Kreuz ist seine Gerechtigkeit vor Gott.175 Der Mensch ist Sünder und bedarf, soll er gerettet werden, der Versöhnung mit Gott. Die Versöhnung mit Gott geschieht aber, indem der Mensch Vergebung der Sünde bekommt. Vergebung der Sünde bedeutet positiv Erlangen der Gerechtigkeit vor Gott.176 Wir erlangen diese Gerechtigkeit, indem uns die Sünden nicht zugerechnet werden. 177 Was uns dafür aber zugerechnet wird (imputat), ist Jesu Christi Verdienst und Gerechtigkeit. "Also wird uns Christi Verdienst geschenkt und zugerechnet, ... gleich als wäre sein Verdienst unser, daß uns also seine Gerechtigkeit und sein Ver-

171 172

So mit Recht auch E. Schlink, aaO., S. 128. ApolCA XXIV, 23, S. 355. Ähnl. ApolCA IV, 40, S. 168; XII, 147, S. 284,

u.ö. 173

ApolCA IV, 55, S. 171. Mit der Gerechtigkeit Christi befaßt sich eingehender Abschnitt 4b, S. 138ff. der vorliegenden Schrift. Vgl. unsere dortigen Ausführungen. 175 Vgl. dazu SD III, 15, S. 918: "Die Gerechtigkeit, die für Gott dem Glauben ... zugerechnet wird, ist der Gehorsam, Leiden und Auferstehung Christi, da er ... für unser Sünde bezahlet hat." Siehe hierzu auch die von Fr. Mildenberger in seiner »Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften« vorgenommene Untersuchung des Verständnisses der Gerechtigkeit Christi in der FC, S. 141 ff. 176 Vgl. dazu ApolCA IV, 76, S. 175: "Vergebung der Sunde erlangen und haben daselbige heißt für Gott gerecht ... werden." 177 Vgl. dazu ApolCA II, 40 und 45, S. 155f.: "peccatum non imputatur". 174

131

dienst wird zugerechnet und wird ... unser eigen." 178 Indem uns Jesu Christi Gerechtigkeit als unsere eigene Gerechtigkeit zugerechnet und geschenkt wird, werden wir vor Gott gerechtfertigt. "Unser Gerechtigkeit vor Gott sei, daß uns Gott die Sünde vergibet aus lauter Gnade ..., schenket und rechnet uns zu die Gerechtigkeit des Gehorsams Christi, umb welcher Gerechtigkeit willen wir bei Gott zu Gnaden angenommen und fur gerecht gehalten werden." 179 Rechtfertigung ist also Zurechnen 180 der Gerechtigkeit Christi. 181 Diese Gerechtigkeit, die uns durch den Glauben zugerechnet 182 wird, ist als Vergebung der Sünden die Versöhnung mit Gott183, denn "die Gerechtigkeit des Glaubens sei Vergebung der Sünden, Versöhnung mit Gott ,.." 184 . In diesem Sinn lehrt CA IV, "daß wir Vergebung der Sunde bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden umb Christus willen durch den Glauben, so wir glauben, daß Christus fur uns gelitten habe und daß uns um seinen willen die Sunde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird." 185 Vergebung der Sünden als Versöhnung mit Gott bedeutet aber Erlösung, und zwar nicht nur von der Sünde, sondern von allen ihren verheerenden

178

ApolCA XXI, 19, S. 320. Epit III, 4, S. 782. 180 Auf die Debatten, ob "zurechnen der Gerechtigkeit" im Sinne von "gerechtmachen" oder bloß als "gerechterklären" zu verstehen sei, kann hier nicht näher eingegangen werden. Wohl aber kann festgehalten werden, daß "gerechtmachen" und "gerechtsprechen" nicht als Gegensätze zu verstehen sind, die sich gegenseitig ausschließen, sondern eher als gegenseitig in dem Sinn sich ergänzende Begriffe, daß gerechtsprechen und gerechterklären gleichzeitig gerechtmachen bedeutet; siehe dazu auch die folgende Anmerkung. Im übrigen sei auf die ausführliche Behandlung dieser Frage bei Brunstädt, aaO., S. 74ff. und auch bei Schlink, aaO., S. 139ff. verwiesen. 181 Vgl. dazu auch ASm III, S. 460, wo gelehrt wird, daß "Gott umb Christi willen, unsers Mittlers, uns fur gerecht und heilig halten will und hält. Obwohl die Sunde im Fleisch noch nicht gar weg oder tot ist, so will er sie doch nicht rechnen noch wissen ... sondern der Mensch soll ganz ... gerecht und heilig heißen und sein ...". Ähnl. auch ApolCA IV, 161, S. 192: "Derhalben soll dieser Grund fest stehen bleiben, daß wir um Christi willen Gott angenehm und gerecht sind durch Glauben" (Hervorhebung von mir). Vgl. auch SD III, 17, S. 919: "Rechtfertigen hie heißt gerecht und ledig von Sünden sprechen ... umb der Gerechtigkeit Christi willen." 182 Vgl. dazu auch Anm. 188. 183 Vgl. dazu ApolCA IV, 182, S. 196: "sola fide accipimus remissionem peccatorum et reconciliationem propter Christum." Ähnl. auch CA XX, 9, S. 77. 184 SD III, 4, S. 916; 54, S. 933. 185 CA IV, S. 56. 179

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Folgen 186 und gleichzeitig die Annahme der dadurch Gerechtfertigten zu Kindern Gottes und Miterben Christi. 187 c) "Propter Christum" Die gesamte Rechtfertigungslehre der BSLK läßt sich zusammenfassen in der Aussage, daß wir um Christi willen - propter Christum - gerechtfertigt werden. Daher bekennt CA IV: "Item docent quod homines ... gratis iustificentur propter Christum per fidem ..." l 8 8 , wobei der Begriff propter Christum die gesamte Rechtfertigungslehre in nuce insofern enthält, als damit nicht nur das gesamte in Gehorsam vollbrachte, aus Jesu Christi Menschwerdung, Leiden und Sterben bestehende Heilswerk, sondern auch dessen unabdingbare Voraussetzung der vollen Einheit seiner Person als vere Deus - vere homo gemeint ist. Mit Recht ist daher der Begriff propter Christum das "reformatorische Schlüsselwort" 189 genannt worden. In dem von Jesus Christus vollbrachten Heilswerk besteht seine Heilsbedeutung für die Menschen. Weil Jesus Christus als der Gehorsame in der Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch gelitten hat und am Kreuz gestorben ist, kann uns die Sünde vergeben und können wir mit Gott versöhnt werden. Indem die BSLK Jesus Christus als Versöhner, Mittler und Erlöser (propitiator, mediator, redemptor) bekennen, bringen sie in diesen von ihnen beinahe synonym gebrauchten Begriffen die in seinem Heilswerk gründende Heilsbedeutung für uns zum Ausdruck. ApolCA IV heißt es: "... data est promissio remissionis peccatorum et iustificationis propter Christum, qui datus est pro nobis, ut satisfaceret pro peccatis

186 Vgl. dazu i. bes. den KIKat II, S. 511: "Ich gläube, daß Jesus Christus ... sei mein Herr, der mich verlornen und verdammpten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sunden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels ...". Ähnl. auch GrKat II, 27, S. 651: Jesus Christus, der mich "erlöset hat von Sunde, vom Teufel, vom Tode und von allem Unglück." 187 So CA IV, 17f., S. 224; SD III, 4, S. 916 und 16, 919, wie auch KIKat II, S. 511. 188 CA IV, 1, S. 56. Vgl. dazu auch ApolCA IV, 163, S. 193: "igitur ... semper statuendum est, quod fide propter Christum iusti reputemur"; Ähnl. auch IV, 45, S. 168: "Haec igitur fides specialis, qua credit unusquisque sibi remitti peccata propter Christum, et Deum placatum et propitium esse propter Christum, consequitur remissionem peccatorum et iustificat nos." Auch ebd., 182, S. 196 - S. auch Anm. 186. Ähnl. auch ebd., 81f., S. 176f., 161, S. 192 usw. Es würde zu weit fuhren, jede Stelle an der "propter Christum" genannt wird, hier anzugeben. Siehe auch Anm. 190. 189 So Holsten Fagerberg, Die Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften von 1529-1537, S. 124.

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mundi, et positus est mediator ac propitiator." 190 Indem diese Begriffe - wie übrigens auch propter Christum - Jesu Christi Heilsbedeutung aussagen, weisen sie zu gleicher Zeit auch immer wieder zurück auf seine Person als den Grund des Heilsgeschehens.

4. Das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi Aus unserer bisherigen Darstellung ist hervorgegangen, daß die Person Jesu Christi in ihrer vollen, im Sinne der Zweinaturenlehre begriffenen Einheit als wahrer Gott und wahrer Mensch der Grund des Heilswerkes und somit auch ihrer Heilsbedeutung ist. Wesentlicher Bestandteil des Verständnisses der Person Jesu Christi und seines Heilswerkes ist seine Sündlosigkeit, die bei unseren Ausführungen bereits vorausgesetzt war und der wir uns nun im besonderen zuwenden wollen. Es muß vorausgeschickt werden, daß die FC auf diese spezielle christologische Frage ausführlicher eingeht, während sie auch für die übrigen BSLK zu den Voraussetzungen ihrer Überlegungen im Zusammenhang mit dem Heilswerk und der Heilsbedeutung Jesu Christi zählt, wenngleich diese nicht explizit darauf eingehen.191 Dieses dürfte mit dem in dieser Frage allem Anschein nach vorhandenen Konsens mit den von der katholischen Kirche der damaligen Zeit vertretenen Lehren zusammenhängen, der laut Aussagen der ApolCA und ASm die Lehre von der Person Jesu Christi überhaupt umfaßt192; Fragen, in denen grundsätzlich Übereinstimmung bestand, erfuhren aber von den BSLK keine ausführliche Behandlung.

190 ApolCA IV, 40, S. 168. Ähnl. auch CA X X , S. 77, 9: "... credentes, quod propter Christum recipiamur in gratiam, qui solus positus est mediator et propitiatorium, per quem reconcilietur pater." Und auch Apol CA IV, 81f., S. 176f.; 162, S. 193; 165, S. 194; Art. XXI, 16ff., S. 319f. usw. 191 Die FC hat also nicht die Absicht, eine neue Lehre vorzutragen, sondern sie möchte sich als eine einigende und ein einheitliches Verständnis ermöglichende Auslegung der bisherigen Bekenntnisse, vor allem der CA verstanden wissen. Vgl. dazu die Vorrede S. 735 bzw. 758ff., wie auch A.E. Buchrucker, Einheit im Bekenntnis der Wahrheit. Von Sinn, Ziel und Problematik der Konkordienformel, in: Bekenntnis zur Wahrheit, S. 1 Iff., sowie R. Seeberg, Lehrbuch zur Dogmengeschichte, IV/2, S. 548ff. 192 Vgl. dazu ApolCA III, S. 158, bzw. ASm. I, S. 415: "Diese Artikel sind in keinem Zank noch Streit, weil wir zu beiden Teilen dieselbigen /glauben und/ bekennen. Darumb nicht vonnoten, itzt davon weiter zu handeln."

134

α)

Ermöglichungsgrund

Die BSLK bezeugen, daß Jesus Christus durch die Geburt von der Jungfrau Maria Mensch geworden ist, bzw. daß er als Sohn Gottes auf diesem Weg die menschliche Natur angenommen hat. "Filius Dei assumpserit humanam naturam in utero beatae Mariae virginis", bekennt CA III193, während der KIKat lehrt, daß "Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geborn und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrauen Maria geborn, sei mein Herr". 194 Ähnlich bekennen es auch die ASm195, der GrKat196 und im besonderen die FC197. Durch dieses Bekenntnis wollen die BSLK zum einen das wahre Menschsein Jesu Christi zum Ausdruck bringen, denn an diesem vere homo hängt seine Wesenseinheit mit uns und dadurch sein gesamtes Heilswerk: nur weil er in Person wahrer Gott und wahrer Mensch ist, hat sein Leiden und Sterben Heilsbedeutung.198 Zum anderen aber bringen die BSLK durch das Bekenntnis der Jungfrauengeburt die als Entnommensein von der Erbsünde verstandene Sündlosigkeit zum Ausdruck. Dieses ist nun auszuführen. Die BSLK halten - wie bereits bekannt - an der wirklichen Menschwerdung Jesu Christi unbedingt fest. Da sie zugleich aber auch lehren, daß der Mensch unter der Erbsünde steht und in der Totalität seines Seins coram Deo und daher auch realiter Sünder ist199, so könnte daraus gefolgert werden, daß Jesus Christus als wahrer Mensch ebenfalls unter der Erbsünde stehe und somit auch Sünder sein müsse. Die Möglichkeit eines solchen Schlusses wird im besonderen von der FC ernstgenommen, spielt aber auch in den übrigen BSLK eine Rolle.200 Daher versuchen sie die Unmöglichkeit einer solchen Folgerung herauszustellen: In ihren Ausführungen über die Erbsünde betont die FC, daß diese nicht von Gott geschaffen ist, selbst wenn der auch nach Adams Fall von Gott erschaffene Mensch schon von seiner Geburt her unter ihr steht und durch 193

CA III, S. 54. KIKat II, S. 511. 195 Siehe ASm I, 4, S. 414f. m Siehe GrKat II, 31, S. 652 und auch 662. 197 SD VIII, 6, S. 1019: "Wir gläuben, lehren und bekennen . . . , daß Jesus Christus nunmehr in einer Person zumal wahrhaftiger ewiger Gott sei, vom Vater in Ewigkeit geborn, und ein wahrhaftiger Mensch, von der hochgelobten Jungfrauen geborn." Siehe auch VIII, 24, S. 1024. 198 Vgl. dazu unsere Ausführung über Jesu Heilswerk und die Zweinaturenlehre, bes. S. 127f. der vorliegenden Schrift. 199 Vgl. dazu unsere Ausführungen über den Menschen und die Sünde passim, S. 116ff. 200 Vgl. dazu Epit I, 44, S. 858 bzw. Anm. 202 und 203 dieser Schrift. 194

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sie verdorben ist.201 Es muß ein Unterschied zwischen der von Gott geschaffenen Natur einerseits und der diese Natur verdorben habenden Erbsünde andererseits bestehen202, da andernfalls die Heilsbedeutung der Menschwerdung Jesu Christi in Frage gestellt ist, denn: "wann nun kein Unterschied wäre zwischen der Natur oder dem Wesen des verderbten Menschen und zwischen der Erbsünde, so müßte folgen, daß Christus entweder unsere Natur nicht angenommen, weil er die Sünde nicht hatt angenommen, oder, weil er unsere Natur angenommen, daß er auch die Sünde hätte angenommen, welches beides wider die Schrift sei."203 Die Notwendigkeit und zugleich Realität dieses Unterschiedes ergibt sich für die BSLK aus dem Faktum der Menschwerdung Jesu Christi: "Weil aber Gottes Sohn unser menschlich Natur und nicht die Erbsünde an sich genommen, so ist hieraus klar, daß die menschlich Natur auch nach dem Fall und die Erbsünde nicht ein Ding sein, sondern unterschieden werden müssen." 204 Durch diese Unterscheidung möchte die FC einerseits die Realität des Sünderseins des Menschen und andererseits die Sündlosigkeit des wahren Menschseins Jesu Christi gleicherweise ernstnehmen und zugleich gegeneinander absichern. Die volle Menschwerdung Jesu Christi schließt also das Sündersein bzw. das Stehen unter der Erbsünde nicht mit unbedingter Notwendigkeit ein. Die Möglichkeit zu dieser Unterscheidung gründet für die BSLK aber insofern in der Jungfrauengeburt, als durch das Bekenntnis zu ihr zugleich die volle Menschwerdung Jesu Christi wie auch im besonderen seine als Entnommensein von der Erbsünde verstandene Sündlosigkeit zum Ausdruck kommen soll. Was berechtigt zu dieser Feststellung? Die BSLK lehren, daß die Erbsünde auf dem natürlichen Weg von Zeugung, Empfängnis und Geburt weitervererbt wird. 205 CA II heißt es, daß "nach Adams Fall alle Menschen, so naturlich geborn werden, in Sunden empfangen und geborn werden" 206 , und der FC zufolge wird "die Erbsünde

201

Vgl. dazu und zum folgenden im bes. unsere Ausführungen auf S. 120f. Vgl. dazu Epit I, 2, S. 770: "Wir glauben, lehren und bekennen, daß ein Unterschied sei zwischen der Natur des Menschen, nicht allein wie er anfangs von Gott rein und heilig ohne Sünde erschaffen, sondern auch wie wir sie jtzunder nach dem Fall haben, nämblich zwischen der Natur, so auch nach dem Fall noch ein Creatur Gottes ist und bleibt und der Erbsünde und daß solch Unterschied so groß als der Unterschied zwischen Gottes und des Teufels Werk sei." Ähnl. auch SD I, 33, S. 854f. Mit dem Verständnis der Erbsünde in der FC und bes. mit der Unterscheidung von Menschsein und Sünde befaßt sich Fr. Mildenberger, aaO., S. 134ff. 202

203 204 205 206

136

Epit. I, 44, S. 858. Ebenda. Vgl. dazu auch unsere Ausführungen S. 119f. CA II, 1, S. 53.

durch die fleischlich Entpfängnus und Geburt von Vater und Mutter aus sündlichem Samen mit fortpflanzet"207. Das will nicht besagen, daß der Akt der Zeugung und Empfängnis an sich sündhaft ist, wohl aber daß alle Menschen vonwegen ihrer Abstammung in diesem, auf Adams Fall zurückgehenden Zusammenhang von Sünde und Schuld stehen. 208 Demgegenüber lehren nun die BSLK, "der Sohn sei also Mensch worden, daß er vom heiligen Geist ohn männlich Zutun empfangen und von der reinen, heiligen Jungfrau Maria geporn sei". 209 Das heißt, daß Jesus Christus diesem, auf dem geschlechtlichen Weg sich weitervererbenden sündund schuldhaften Zusammenhang entnommen ist, mit anderen Worten, er steht durch diese Geburt nicht unter dem Verhängnis der Herrschaft der Erbsünde. Diese seine Sündlosigkeit stellt sich als Entnommensein von der Erbsünde dar. Das wird uns vom GrKat bestätigt, wenn es dort heißt, "daß er Mensch worden, von dem heiligen Geist und der Jungfrauen ohn alle Sunde empfangen und geboren" ist.210 Ganz ähnlich bekennt auch die FC Jesus Christus als "vom Heiligen Geist ohn Sünde empfangen und geborn."211 Diesen Aussagen gemäß ist also Jesus Christus durch die Annahme der menschlichen Natur als wahrer Mensch mit uns wesenseins und zugleich sündlos. In diesem Sinne bekennt die FC bestätigend: "Es hat auch der Sohn Gottes in Einigkeit seiner Person solch menschlich Natur, doch ohne Sünde, und also nicht ein frembds, sondern unser Fleisch an sich genom-

207

SD I, 7, S. 847. Ähnl. auch 30, S. 853, Epit I, 21, S. 774. Es sei hier kurz an Luthers diesbezügliche Auffassung erinnert, die durchaus mit derjenigen der BSLK übereinstimmt, bzw. sie erklärend ergänzen kann. Wenn es Ps. 51,7 heißt: "Siehe, ich bin als Sünder geboren und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen", so heißt das nicht, daß das Zeugen und Gebären an sich als Sünde angesehen werden soll, heißt es doch nicht "Mater mea peccavit, cum concipiret me", sondern "ego in peccatis conceptus sum". (WA 40/11, 380.) Es liegt an der Sündigkeit des Samens Adams, aus dem Gott die Menschen schafft, daß wir schon sündig geboren werden. "Alle Kinder werden im Mutterleibe in Sünden empfangen, denn sie werden gezeugt aus Samen, der vergiftet ist mit Sünden, da körnet Sünde um Sünde, die wir durch die Geburt erben, wir werden gezeugt von sündlichem Samen und unfletigem Fleisch." (WA 46, 656) Das Zeugen an sich ist zwar nicht Sünde, aber dennoch insofern mit Sünde verbunden, als die Begierde, deren Ausdruck beim geschlechtlichen Akt die libido ist, die die eigene Lustbefriedigung auch abgesehen vom Partner sucht, diesen Akt sündhaft "infiziert". (WA 2, 167 bzw. 42, 88f.) Daher wird Jesus Christus von der Jungfrau geboren. "Wenn es noch könnt geschehen, daß ein Leib ohne männlich Samen gebärn möcht, so wäre dieselbige Geburt auch rein." (WA 2, 167). 208

209

ASm I, 4. S. 414. GrKat II, 31, S. 662 (Hervorhebung von mir). 2,1 SD III, 66, S. 933, bzw. VIII, 24, S. 1024. Ähnl. auch III, 58, S. 934 ("heilige Geburt"). 210

137

men und nach demselben unser wahrhaftiger Bruder worden." Als solcher ist er in allem seinen Brüdern gleich geworden, "ausgenommen die Sünde". 212 W. Maurer hat also durchaus recht, wenn er urteilt: "Der Satz 'empfangen von heiligen Geist' sichert die volle Menschheit Christi nach Leib und Seele, er sichert zugleich die volle Sündlosigkeit des Erlösers". 213 Das gilt jedoch nicht nur für die CA, sondern mutatis mutandis für alle BSLK. Im Verständnis der BSLK ist demzufolge die Jungfrauengeburt in dem Sinn der Ermöglichungsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi, daß sie der Weg der sündlosen Annahme der menschlichen Natur durch den Gottessohn ist. Nachdem das Bekenntnis der Jungfrauengeburt Jesu Christi nicht nur seine Wesenseinheit mit uns, sondern im besonderen seine Sündlosigkeit zum Ausdruck bringt, die sich in diesem Zusammenhang als Entnommensein von der Erbsünde darstellt, ist zu fragen, was dieses Entnommensein positiv bedeutet. Die Antwort auf diese Frage ist der Weg, auf dem wir mit den BSLK zur positiven Bestimmung der Sündlosigkeit Jesu Christi, d.h. aber ihres Inhaltes, kommen. b) Gerechtigkeit - als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi Als das Haupt- und Wesensmerkmal der Erbsünde konnte, dem Verständnis der BSLK entsprechend, der in dem durch Adams Fall bedingten Verlust des ursprünglichen Gottesverhältnisses der iustitia originalis begründete Mangel an Gerechtigkeit herausgestellt werden. 214 Wird Jesu Christi Sündlosigkeit als Entnommensein von der Erbsünde verstanden, so müßte daraus folgen, daß bei Jesus Christus von keinem Mangel an Gerechtigkeit gesprochen werden kann - was aber, positiv ausgedrückt, nichts anderes heißt, als daß er, Jesus Christus, diese Gerechtigkeit hat. Diese als Entnommensein verstandene Sündlosigkeit müßte sich dann - positiv - als seine Gerechtigkeit darstellen. Wie die Erbsünde als Mangel an Gerechtigkeit das ganze Sein des Menschen bestimmt und kennzeichnet, so müßte es bei Jesus Christus diese als Gerechtigkeit verstandene Sündlosigkeit als das genaue Gegenteil

2.2

Epit I, 5, S. 171. Ähnl. auch SD I, 43, S. 857: "Im Artikel von der Erlösung zeuget die Schrift gewaltig, daß Gottes Sohn unsere menschliche Natur, ohne Sünde, angenommen, also daß er uns, seinen Brüdern, allenthalben gleich worden sei, ausgenommen die Sünde." 2.3 Vgl. W. Maurer, Historischer Kommentar zur CA, Bd.I, S. 28. 214 Vgl. dazu unsere Ausführungen über das Wesen der Erbsünde als Fehlen von ursprünglicher Gerechtigkeit, S. 119.

138

der Erbsünde sein, die sein gesamtes Sein erfüllt, ausmacht bzw. überhaupt ist. In der Tat ziehen die BSLK diese Folgerung, wenn sie von der Gerechtigkeit Jesu Christi im Zusammenhang mit seinem Gehorsam und seinem Heilswerk sprechen. Sein in vollem Gehorsam vollbrachtes Leiden und Sterben am Kreuz ist seine Gerechtigkeit. Die FC lehrt: die uns "zugerechnete Gerechtigkeit Christi" ist "allein die Gerechtigkeit des Gehorsams, Leidens und Sterbens Christi".215 Diese als Gerechtigkeit verstandene Sündlosigkeit Jesu Christi läßt sich aufgrund dessen, was sie beinhaltet, näher bestimmen. (1) Gehorsam Die obige, der FC entnommene Definition der Gerechtigkeit Jesu Christi könnte zur Annahme verleiten, sein Leiden und Sterben sei schon an sich, also abgesehen von dem Gehorsam, in dem es geleistet wird und der sich darin kundtut, als Heilswerk zu betrachten. Heilsbedeutung im Sinne von Gerechtigkeit, die zugerechnet wird, kommt diesem Leiden und Sterben aber nur insofern zu, als es tatsächlich in vollkommenem Gehorsam geschehen ist. Denn "so glauben, lehren und bekennen wir, daß der ganzen Person Christi ganzer Gehorsamb, welchen er für uns dem Vater bis in den allerschmählichsten Tod des Kreuzes geleistet hat, uns zur Gerechtigkeit zugerechnet werde."216 Es fällt dabei auf, daß der Gehorsam Jesu Christi als Inhalt und zugleich konkreter Ausdruck der Gerechtigkeit im Verständnis der FC fast identisch mit der Gerechtigkeit als Sündlosigkeit ist. Nicht nur Jesu Christi Gerechtigkeit, sondern auch schon sein Gehorsam kann uns als Gerechtigkeit zugerechnet werden. Demnach macht der Gehorsam Jesu Christi fast ausschließlich dessen Gerechtigkeit und somit dessen Sündlosigkeit aus. Jesu Christi als Gerechtigkeit verstandene Sündlosigkeit stellt sich also wesentlich als Gehorsam dar. Wenn zu den Merkmalen der Erbsünde, die wesentlich Mangel an Gerechtigkeit ist, die als feindliche Gesinnung wider Gott sich äußernde Konkupiszens zählt, die der Ursprung aller Tatsünden ist217, so erweist der

215

SD III, 51, S. 932, bzw. 32, S. 925. SD III, 56, S. 934. Vgl. auch ebd., 16, S. 919, wo es heißt, "daß uns Gott umb sollichs ganzen Gehorsams willen, so er im Tod und Leiden, im Leben und Sterben für uns seinem himmlischen Vater geleistet, die Sünde vergibt, uns für fromb und gerecht hält ..." und auch 4, S. 916: Jesus Christus hat "uns von unsern Sünden durch sein vollkommen Gehorsam erlöset: daß also die Gerechtigkeit des Glaubens sei Vergebung der Sünden, Versühnung mit G o t t . . . um des einigen Gehorsams Christi willen, welcher ... allen Rechtgläubigen zur Gerechtigkeit zugerechnet und sie umb desselbigen willen von aller ihrer Ungerechtigkeit absolviert werden." Ähnl. auch Epit III, 3, S. 781 usw. 217 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 121f. 216

139

Gehorsam Jesu Christi als deren totales Gegenteil seine als Gerechtigkeit definierte Sündlosigkeit, die wesentlich Entnommensein von der Erbsünde ist. (2) Unschuld In dem vollkommenen Gehorsam gegenüber Gott, in dem Jesus Christus gelebt und gelitten hat und gestorben ist, ist seine Schuldlosigkeit bzw. Unschuld begründet. Denn wenn Erbsünde als Mangel an Gerechtigkeit und als Konkupiszenz Ursprung aller Sünden und daher reale Schuld vor Gott ist218, dann ist demgegenüber der in Jesu Christi Entnommensein von der Erbsünde als Sündlosigkeit verstandene Gehorsam der Grund und zugleich der Erweis seiner Unschuld vor Gott. In diesem Sinn bekennt der KIKat Jesus Christus als denjenigen, der das Werk der Erlösung von den Sünden "mit seinem unschüldigen Leiden und Sterben" vollbracht hat, während die ASm in diesem Zusammenhang vom "Leiden und Blut des unschuldigen Lämmlin Gottes, das der Welt Sunde trägt" sprechen. 219 Dabei ist Jesus Christus in seinem Leiden und Sterben in dem Sinn unschuldig, daß er es in vollkommenem Gehorsam geleistet hat. Die Unschuld Jesu Christi ist also in seinem Gehorsam gegenüber Gott begründet. Durch diese ihre Begründung im Gehorsam Jesu Christi ist sie aber auch Ausdruck seiner als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit und gehört wesentlich zu ihrem Inhalt. c) Seinsgrund Die Antwort auf die Frage nach dem Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi ist in unseren bisherigen Ausführungen schon implizit enthalten. CA III lehrt: "filius Dei assumpserit humanam naturam in utero beatae Mariae virginis". 220 Das ist dahingehend zu verstehen, daß der Sohn Gottes Mensch geworden ist, indem er die menschliche Natur in die Einheit seiner Person auf dem Wege seiner, weil durch die Jungfrau Maria erfolgten, darum sündlosen Geburt aufgenommen hat. Ähnlich bekennt die FC: "Es hat auch der Sohn Gottes in Einigkeit seiner Person solche menschliche Natur, doch ohne Sünde ... an sich genommen. "221 Der Seinsgrund der als Entnommensein von der Erbsünde verstandenen Sündlosigkeit Jesu Christi besteht der Lehre der BSLK zufolge also darin, daß der Sohn Gottes die menschliche

218 219 220 221

140

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 122f. KIKat II, 4, S. 511 bzw. ASm III, 38, S. 447. CA III, 1, S. 54. Epit I, 5, S. 771. Ähnl. auch SD I, 43, S. 857.

Natur ohne Sünde in die Einheit seiner Person aufgenommen hat. Das Subjekt des Annehmens der menschlichen Natur ist also der Sohn Gottes. Durch diese Annahme der menschlichen Natur durch den Sohn Gottes ist der menschgewordene Jesus Christus der Erbsünde entnommen und kann daher den Gehorsam leisten, durch den sein Leiden und Sterben Heilsbedeutung im Sinne von Gerechtigkeit bekommen. Jedoch ist Jesus Christus im Sinne der Zweinaturenlehre als Ganzer, d.h. in der vollen Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch gehorsam, daher aber gerecht und somit sündlos. Nur weil er in dieser Einheit gehorsam und daher sündlos ist, kann seine als Gerechtigkeit verstandene Sündlosigkeit die Bedingung seiner Heilsbedeutung für uns sein. Die FC lehrt in diesem Zusammenhang: "Dann da Christus gleich vom Heiligen Geist ohne Sünde empfangen und geborn und in menschlicher Natur allein alle Gerechtigkeit erfüllet hätte und aber nicht wahrer ewiger Gott gewesen, möchte uns solche, der menschlichen Natur, Gehorsamb und Leiden auch nicht zur Gerechtigkeit gerechnet werden; wie dann auch, da der Sohne Gottes nicht Mensch worden, die bloße göttliche Natur unser Gerechtigkeit nicht sein könnten. Demnach so ... bekennen wir, daß der ganzen Person Christi ganzer Gehorsamb, welchen er für uns dem Vater bis in den allerschmählichsten Tod des Kreuzes geleistet hat, uns zur Gerechtigkeit zugerechnet werde. Dann die menschliche Natur allein, ohne die göttliche, dem ewigen allmächtigen Gott weder mit Gehorsam noch Leiden für aller Welt Sünde genugtuen, die Gottheit aber allein, ... zwischen Gott und uns nicht mittein mögen. "222 Da Jesus Christus in der Einheit beider Naturen als der Gehorsame und Gerechte das Heilswerk vollbracht hat und daher nach beiden Naturen unsere Gerechtigkeit ist223, diese Gerechtigkeit aber den Inhalt seiner Sündlosigkeit ausmacht, so ergibt sich daraus, daß er in der Einheit seiner beiden Naturen als wahrer Gott und wahrer Mensch der Sündlose ist. d) Bedeutung Aus der bisherigen Darlegung ist ersichtlich geworden, daß die BSLK von der als Entnommensein von der Erbsünde verstandenen Sündlosigkeit Jesu Christi, die wesentlich Gerechtigkeit ist, immer nur im Zusammenhang mit seiner Heilsbedeutung sprechen. Wir wollen daher nun versuchen, die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk herauszustellen, wobei wir auf bereits Angeführtes zurückgreifen.

222 223

SD III, 56, S. 933f. Siehe auch folgende Anmerkung. Vgl. dazu SD III, 4, S. 915f. Siehe auch unsere Ausführungen S. 126ff.

141

Jesu Christi Heilswerk im eigentlichen Sinn ist im Verständnis der BSLK sein um unserer Sünde und um unserer Gerechtigkeit willen geschehenes Leiden und Sterben am Kreuz. Als um unserer Sünde willen geschehen, ist es das Sühnopfer und zugleich die Bezahlung für unsere Sünde und Schuld, wodurch dem zornigen und strafenden Gott Genugtuung (Satisfaktion) geleistet wird. 224 Um unserer Gerechtigkeit willen geschehen ist Jesu Christi Leiden und Sterben insofern, als es sein Verdienst und als solches seine Gerechtigkeit ist, die uns als eigene Gerechtigkeit zur Vergebung der Sünde zugerechnet wird, wodurch unsere Versöhnung mit Gott zustande gekommen ist.225 Die Heilsbedeutung von Jesu Christi Leiden und Sterben ist also die Rechtfertigung der Sünder. Diese Heilsbedeutung des Leidens und Sterbens Jesu Christi hängt den BSLK zufolge ganz an seiner Person, und zwar in doppelter Hinsicht. (1) Nur weil Jesus Christus in der völligen Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch gelebt und gelitten hat und gestorben ist, ist sein Leiden und Sterben Heilswerk. Diese im Sinne der Zweinaturenlehre verstandene Einheit seiner Person ist also die Voraussetzung seiner Heilsbedeutung.226 (2) Nur weil Jesus Christus in der völligen Einheit seiner Person als der Gehorsame gelebt und gelitten hat und gestorben ist, ist sein Leiden und Sterben Heilswerk. Dieser Gehorsam als Ausdruck und Inhalt seiner als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit ist die Bedingung seiner Heilsbedeutung. Das ist zu begründen. Jesu Christi Leiden und Sterben kann einzig und allein darum Sühnopfer und Bezahlung und als solches Genugtuung für unsere Sünde und Schuld sein, weil es in der Einheit seiner Person als Gott und Mensch in vollkommenem Gehorsam geschehen ist. In diesem Gehorsam gründet seine Unschuld gegenüber Gott und damit seine Sündlosigkeit.227 Denn als Sünder hätte er nicht einmal für sich selbst Genugtuung leisten können, bedeutet doch Sündersein im Verständnis der BSLK nicht nur Schuld vor Gott, sondern die ausgesprochene Unfähigkeit zur Selbstrechtfertigung. Weil Jesus Christus aber als der Sündlose gelebt und gelitten hat und gestorben ist, ist sein Tod das "rechte, einige, wahre Opfer für die Sunde"228, die "rechte Bezahlung", der "Schatz" und ein "edles Pfand ... dadurch die

224 225 226 227 228

142

Siehe dazu ausführlich S. 129ff. dieser Schrift. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 131 f. Dieses wurde bereits besprochen, s.S. 127f. Siehe dazu oben S. 139f. ApolCA XXIV, 53, S. 365. Ähnl. auch ebd., 55f., S. 365f. und 22, S. 355.

Sunde aller Welt bezahlt" ist229, und ist sein Blut, dadurch er uns erlöst, erworben und gewonnen hat, von aller Sünde "heilig und teuer". 230 Dabei sind die Attribute rechtes, wahres Opfer, rechte Bezahlung, heiliges, teures Blut ein implizites Bekenntnis seiner Sündlosigkeit wie auch die Tatsache, daß nicht nur sein Tod, sondern er selbst als der Schatz zur Bezahlung für die Sünden231 bekannt wird. Dieses Leiden und Sterben ist, als in vollem Gehorsam geschehen, zugleich die Gerechtigkeit Jesu Christi, die uns durch den Glauben als unsere eigene Gerechtigkeit zur Vergebung der Sünden und der darin gründenden Versöhnung mit Gott zugerechnet wird. Es ist also der Gehorsam, den Jesus Christus in der Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch geleistet hat, durch den sein Leiden und Sterben Heilsbedeutung im Sinne von Rechtfertigung des Sünders bekommen. Wenn dieser Gehorsam aber der Inhalt seiner als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit ist, so liegt der Grund unserer Rechtfertigung in der Sündlosigkeit Jesu Christi, die als solche die Bedingung der Heilsbedeutung Jesu Christi überhaupt ist. Die Richtigkeit unserer Ausführungen finden wir ApolCA IV bestätigt: "Christus, quia sine peccato subiit poenam peccati et victima pro nobis factus est, ... quia ipse est propitiatio pro eis (sc. qui credunt in ipsum), propter quam nunc iusti reputantur." 232 Im Sinne unserer bisherigen Ausführungen können wir dahingehend präzisieren, daß der Begriff propter Christum 233 die gesamte Rechtfertigungslehre insofern enthält, als darin nicht nur das aus Jesu Christi Menschwerdung, Leiden und Sterben bestehende Heilswerk, sondern auch dessen unabdingbare Voraussetzung der vollen Einheit seiner Person als vere Deus - vere homo und zugleich dessen Bedingung, nämlich seine als Gehorsam und Gerechtigkeit verstandene Sündlosigkeit, zum Ausdruck kommt.

229 230 231 232 233

ApolCA XII, 147, S. 284 bzw. IV, 55, S. 171. Ähnl. auch XXIV, 56, S. 366. KIKat II, S. 511; GrKat II, 31, S. 652. ApolCA IV, 58, S. 171. ApolCA IV, 179, S. 195. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 133f.

143

III. Kritische Untersuchung

1. Der Ansatz Aus der vergleichenden Darstellung hat sich ergeben, daß es drei verschiedene Möglichkeiten des Ansatzes der Christologie gibt, durch die die ganze christologische Konzeption und im besonderen auch das Verständnis der Sündlosigkeit wesentlich bestimmt wird; es kann von der Inkarnation, von der konkreten menschlichen Situation oder vom irdischen Dasein Jesu ausgegangen werden. Die obengenannten Möglichkeiten des Ansatzes wollen wir im Blick auf ihre Funktion für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi gesondert untersuchen. a) Inkarnation Indem die BSLK davon ausgehen, daß der an sich selbständig existierende ewige Sohn Gottes die menschliche Natur in die Einheit seiner Person aufgenommen hat, aufgrund dessen Jesus Christus in dieser personalen Einheit wahrer Gott und wahrer Mensch ist, vertreten sie eine ausgesprochene Christologie der Inkarnation. Diese personale Einheit und zugleich Ganzheit, d.h. Vollständigkeit dieser beiden Naturen ist die unabdingbare Voraussetzung bzw. der Ermöglichungsgrund seines Heilswerkes und auch seiner Sündlosigkeit.234 In diesem Sinne erweist sich auch Barths Konzeption als Inkarnationschristologie, da er - wie die BSLK - von der Fleischwerdung des ewigen Sohnes Gottes, die wesentlich Aufnahme der menschlichen Natur in die Einheit seiner Person ist, ausgeht, und die hierdurch zustandegekommene Einheit von wahrem Gott und wahrem Menschen als dem Sein Jesu Christi die Voraussetzung seines als Versöhnung verstandenen Heilswerkes ist. Im Unterschied zu den BSLK jedoch ist für Barth die Fleischwerdung nicht nur die Voraussetzung des Heilswerkes, sondern zugleich die Versöhnung selbst und als solche das Sein Jesu Christi, deren Implikat seine

234

144

Siehe unsere diesbezüglichen Ausführungen S. 124f. bzw. 135.

Sündlosigkeit ist.235 Auch für die BSLK geht die Sündlosigkeit Jesu Christi auf seine Inkarnation zurück, denn wenn sie lehren, daß Jesus Christus auf dem Weg der Geburt durch die Jungfrau Maria Mensch geworden ist, soll dadurch insofern seine als Entnommensein von der Erbsünde verstandene Sündlosigkeit zum Ausdruck kommen, als der Sohn Gottes die hierdurch dem auf dem geschlechtlichen Weg sich weiter vererbenden, auf Adams Fall zurückgehenden sündhaften Zusammenhang entnommene menschliche Natur angenommen hat.236 Da die so verstandene Inkarnation das anhypostatische Verständnis der Einheit Jesu als wahrer Gott und wahrer Mensch impliziert, kann aus diesem gemeinsamen inkarnatorischen Ansatz Barths wie auch der BSLK für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi gefolgert werden, daß sie in dem Sinn bereits vorausgesetzt ist, daß Jesus Christus als wahrer Gott und - infolge seiner Einheit mit der menschlichen Natur - auch als wahrer Mensch gar nicht sündigen kann. Die auf diese Weise verstandene Inkarnation bedingt also das »non posse peccare«, demzufolge die Sündlosigkeit sich als impeccabilitas herausstellt. Ebelings Ausgangspunkt ist auch die Menschwerdung Gottes, aufgrund derer Jesus Christus in Person die Vereinung Gottes und des Menschen ist, wobei sich seine Person als Gottes Person selbst erweist. 237 Wiewohl im Unterschied zu Barth und den BSLK Jesu Sündlosigkeit nicht als Implikat dieser Vereinung verstanden wird, kommt sie als die in ihm geschehene Zuwendung Gottes zu den Menschen dennoch nicht als reale menschliche Möglichkeit in Betracht, so daß der in Jesus anwesende und handelnde Gott ihr Subjekt und Seinsgrund ist238, und sich somit auch dieses Verständnis als anhypostatisch erweist. Als Ergebnis können wir festhalten, daß der Ansatz bei der Inkarnation ein anhypostatisches Verständnis der Einheit Jesu Christi als wahrer Gott und wahrer Mensch und folglich auch ein anhypostatisches Verständnis seiner Sündlosigkeit bedingt. Dieses Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi stellt nun aber zum einen sein Menschsein im Sinne der Wesenseinheit mit uns in Frage - wie wir das noch genauer aufzeigen werden - und sagt zum anderen über Jesu Gottsein etwas schon Selbstverständliches aus, so daß der Ansatz bei der Inkarnation problematisch erscheint.

235 236 237 238

Siehe Siehe Siehe Siehe

dazu unsere Ausführungen S. 95f. unsere Ausführungen S. 135ff. unsere Ausführungen S. 78f. bzw. S. 95. dazu unsere Ausführungen S. 102f.

145

b) Die menschliche Situation Die universale Entfremdung des Menschen von Gott und von daher auch von der Welt und von sich selber, als Ausdruck der als Unglaube, Hybris und Konkupiszenz sich äußernden Sünde, die im Fall des Menschen ihren Ursprung hat, ist für Tillich als das Kennzeichen der menschlichen Situation der Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Nun kann sich wohl aus dieser Situation wie aus der in ihr gründenden Unfähigkeit des Menschen, sie von sich aus zu überwinden, die Notwendigkeit einer Wirklichkeit, in der dieser Zustand überwunden ist, ergeben; das Neue Sein als die in Jesus Christus geschehene Überwindung der Entfremdung kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden, wie Tillich dies versucht.239 In einer Ontologie kann unter bestimmten Voraussetzungen vielleicht aus der Notwendigkeit des Seins dessen Existenz abgeleitet werden, nicht aber in der Theologie. Gottes Heilshandeln ist souverän; nicht, als das Böse übermächtig wurde, sondern als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, bezeugt das Neue Testament (Gal. 4,4). Von der Notwendigkeit der Versöhnung im Blick auf den Zustand der Welt und der Menschen sprechen auch Barth, Berkhof und Ebeling; Barth zufolge hat der Mensch dadurch, daß er Gott als seinen Schöpfer verleugnet und in Widerspruch zu ihm lebt, den Bund mit Gott gebrochen und sich selbst ins Verderben gestürzt240, bei Ebeling und Berkhof ist es auch die Verkehrung des Gottesverhältnisses bzw. der stetige Bundesbruch als Antwort auf Gottes Treue241, die die menschliche Situation als unter Gottes Zorn stehend, kennzeichnen. Im Unterschied zu Tillich aber ist für sie, wie auch für die BSLK242 diese Situation nicht der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Da die Wirklichkeit der Versöhnung als das Heilshandeln Jesu Christi nicht aus dem Zustand der unter der Sünde stehenden Welt und Menschen abgeleitet werden kann, darf dieser auch nicht zum Ausgangspunkt der christologischen Überlegungen gemacht werden.

239

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 96f. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 22. 241 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 78 bzw. S. 72. 242 Obwohl die CA den Artikel über die Erbsünde vor den Artikel von Christus und die Rechtfertigung setzt und die FC überhaupt mit dem Artikel über die Erbsünde beginnt, ist nicht die menschliche Situation der Ausgangspunkt der Überlegungen der BSLK, sondern der äußere Anlaß der Menschwerdung Jesu Christi, die tatsächlich die eigentliche christologische Voraussetzung ist, wie das besonders deutlich aus den ASm hervorgeht. Vgl. dazu unsere Ausführungen über die BSLK, besonders S. 115f. 240

146

c) Das irdische Dasein Jesu Christi Im Unterschied zu den BSLK und auch zu Barth und Ebeling, wie auch zu Tillich gehen Pannenberg und Berkhof vom irdischen Dasein Jesu aus, um über die Auferweckung und - so Berkhof - über die Bundesgeschichte zur Erkenntnis und zum Verständnis seiner Sündlosigkeit zu kommen. Jesu Sündlosigkeit resultiert insofern aus seinem durch die Hingabe an den Vater (Pannenberg) bzw. durch Freiheit und Liebe zum Vater, zu den Menschen und zur Natur (Berkhof) bestimmten irdischen Daseinsvollzug, als dieser, durch die Auferweckung als Gottes Willen entsprechend bestätigt, seine Einheit und Persongemeinschaft mit dem Vater erweist, die für Pannenberg Erfüllung der menschlichen Personalität, für Berkhof Bundeserfüllung ist.243 Durch diesen Ansatz beim irdischen Daseinsvollzug Jesu wird sein Menschsein in seinen konkreten Äußerungsformen in dem Sinn ernster genommen als beim inkarnatorischen Ansatz, daß es nicht lediglich Ausdruck, Illustration oder Bewährung seiner impeccabilitas ist. Denn dadurch, daß bei diesem Ansatz die Sündlosigkeit Jesu nicht schon vorgegeben ist, sondern erst aus seinem Daseinsvollzug resultiert, wird sie als solche als Verwirklichung seines Menschseins im Sinne von impeccantia verstanden, wodurch aber seine Wesenseinheit mit uns nicht schon ab initium in Frage gestellt ist - wie wir das noch zeigen werden. Von daher erweist sich für das rechte Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi der Ansatz bei seinem irdischen Daseinsvollzug als gerechtfertigt.

2. Inhalt Aus der vergleichenden Darstellung des Verständnisses des Inhaltes der Sündlosigkeit Jesu Christi ist hervorgegangen, daß die zwischen den einzelnen Auffassungen bestehenden wesentlichen Unterschiede dazu berechtigen, von verschiedenen Typen zu sprechen. Aufgrund der daraufhin vorgenommenen Zuordnung soll im folgenden das inhaltliche Verständnis kritisch untersucht werden. a) Sündlosigkeit als Sein (Zustand) Ausgesprochen ontisch versteht Tillich Jesu Sündlosigkeit, da das Neue Sein als deren Inhalt der Zustand ist, in dem die existentielle Entfremdung des Menschen von Gott, von der Welt und von sich selbst aufgehoben ist. Jesus

243

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 97.

147

Christus hat nicht dieses Sein durch seine Worte und Taten, sein Leiden und Sterben verwirklicht, sondern dieses sind (lediglich) Manifestationen des ihnen vorausgehenden und sie ermöglichenden Neuen Seins, das in Jesus ohne sein Zutun - verwirklicht ist, so daß er (lediglich) dessen Träger ist.244 Die BSLK verstehen Jesu Sündlosigkeit auch insofern ontisch, als diese als sein durch die Inkarnation bzw. Jungfrauengeburt zustandegekommenes Entnommensein von der Erbsünde einen bestimmten Zustand bzw. ein bestimmtes - eben sündloses - Sein bezeichnet, dessen Inhalt Gerechtigkeit, Gehorsam und Unschuld ist.245 - Als Implikat der Inkarnation bezeichnet auch bei Barth die Sündlosigkeit Jesu Christi ein bestimmtes Sein, dessen Inhalt Gehorsam ist.246 Im Unterschied zu Tillich jedoch erweist sich das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu in den BSLK bloß formal ontisch, denn ihr Inhalt - die seinen Gehorsam und seine Unschuld umfassende Gerechtigkeit - meint ein Verhältnis bzw. bei Barth - der Gehorsam - das Werk, das Jesus durch sein menschliches Handeln, und zwar im besonderen durch sein Leiden und Sterben am Kreuz, verwirklicht hat. Aus diesem Unterschied zwischen Tillich auf der einen und den BSLK bzw. Barth auf der anderen Seite ergeben sich die Einwendungen, die gegen ein rein ontisches Verständnis der Sündlosigkeit Jesu, wie Tillich es vertritt, erhoben werden müssen. Im ontischen Verständnis ist das menschliche Handeln und Verhalten Jesu Christi von keinerlei konstitutiver Bedeutung für seine Sündlosigkeit; dadurch, daß die Sündlosigkeit Jesu Christi einen bestimmten Zustand, ein bestimmtes Sein bezeichnet, ist er daran als Mensch in den konkreten Äußerungsformen seines Lebens unbeteiligt, so daß sein Verhalten und Handeln lediglich Manifestationen des als Sündlosigkeit verstandenen Neuen Seins sind, das ihnen vorausgeht und sie ermöglicht. Infolgedessen ist auch das Überwinden der Versuchungen, denen Jesus als Mensch ausgesetzt war, lediglich eine Manifestation seines Seins als der Sündlose, denn als dessen Träger konnte er in dem Sinn gar nicht echt versucht werden, daß er auch hätte erliegen können; der Ausgang war von vornherein klar.247 So verstanden, erweist sich die als das Neue Sein verstandene Sündlosigkeit Jesu Christi aber als impeccabilitas, die als solche - wie es noch gezeigt

244

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 98. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 138ff. 246 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 100. 247 In der Tat tut sich Tillich mit der Interpretation der Versuchungen Jesu im Zusammenhang des Neuen Seins und mit seinem Menschsein recht schwer. Wir kommen darauf noch ausführlicher zu sprechen im Abschnitt über den Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi, S. 159. 245

148

werden wird - mit einem bestimmten Verständnis ihres Seinsgrundes zusammenhängt und eine Infragestellung seines wahren Menschseins und dessen Bedeutung ist. Wohl bezeichnet die Sündlosigkeit Jesu Christi ein bestimmtes Sein, und insofern wäre ein ontisches Verständnis berechtigt -, jedoch nicht primär, ausschließlich und an sich, sondern erst als Resultat seines konkreten menschlich-persönlichen Daseinsvollzuges in seinen verschiedenen Beziehungen. b) Sündlosigkeit als Relation Die Gerechtigkeit, deren Inhalt der Gehorsam, in dem Jesus Christus sein Leiden und Sterben vollbracht hat, und seine Unschuld ist, und die von den BSLK als Inhalt seiner Sündlosigkeit bestimmt wird, ist nicht primär ein Sein, sondern ein Verhältnis, nämlich das ursprüngliche Gottes Verhältnis, das durch die Erbsünde als Feindschaft gegen Gott vom Menschen zerstört, durch Jesus aber infolge seines Entnommenseins von ihr wiederhergestellt worden ist.248 Der Inhalt der Sündlosigkeit Jesu, den Berkhof als föderale Humanität definiert, bezeichnet als solche auch kein Sein, sondern ein bestimmtes, nämlich das durch Freiheit (Gehorsam) und Liebe verwirklichte Verhältnis Jesu zu Gott dem Vater, zu den Menschen und zur Natur, das vom Alten Testament her wesentlich Erfüllung des Bundesverhältnisses mit Gott ist, so daß sich dieses Verständnis ebenfalls als relational erweist. 249 Werden diese beiden Auffassungen miteinander verglichen, so ist eine wesentliche Übereinstimmung zwischen ihnen festzustellen: beide verstehen die Sündlosigkeit Jesu Christi als das durch seinen Gehorsam als Mensch verwirklichte Gottesverhältnis, das für die BSLK schon an sich seine Gerechtigkeit, für Berkhof aber im Zusammenhang mit dem Verhältnis zu den Menschen und zur Natur Bundeserfüllung ist. Gerechtigkeit bzw. föderale Humanität als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi bezeichnen also beide ein bestimmtes Verhältnis, nämlich sein Gottesverhältnis, jedoch meint die Gerechtigkeit die Wiederherstellung des ursprünglichen Gottesverhältnisses zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, während die föderale Humanität als Bundeserfüllung die Wiederherstellung des Gottesverhältnisses nach dem Sündenfall ist, unter dessen Voraussetzung ja der Bundesschluß Gottes mit den Menschen erfolgt war.

248 249

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 138ff. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 98f.

149

Von diesem Unterschied her ist gegen Berkhof kritisch einzuwenden, daß die Sündlosigkeit Jesu nicht allein von der Bundesgeschichte Gottes mit Israel her als Bundeserfüllung verstanden werden kann. Der Bundesschluß macht den Sündenfall, unter dessen Voraussetzung er erfolgt ist, nicht rückgängig, sondern dämmt durch das Gesetz dessen Folgen zum Schutz des Volkes ein. Bedeutet demzufolge Bundeserfüllung wesentlich Gesetzeserfüllung, wäre Jesus als Bundespartner Gottes in Bezug auf das Gesetz sündlos. Nun ist aber Jesus gemäß dem neutestamentlichen Zeugnis in bezug auf das Gesetz gerade nicht sündlos, da er es nicht nur gehalten, sondern zugleich auch bewußt übertreten hat und er durch dieses Gesetz zum Tode verurteilt worden ist. Dadurch, daß Jesus das Gesetz einerseits verschärft und andererseits seine Autorität dem Gesetz bewußt gegenübergestellt und es also relativiert hat, kann es nicht mehr als völlig identisch mit Gottes Willen betrachtet werden. 250 Da Jesus durch seine Auferstehung sündlos in Bezug auf den Willen Gottes abgesehen von dem Gesetz ist251 (dem er ja durch den Tod entnommen und dessen Ende er ist), kann seine Sündlosigkeit nicht Bundeserfüllung sein, sondern sie ist - wie die BSLK mit Recht bezeugen - die Wiederherstellung des ursprünglichen Gottesverhältnisses vor dem Fall Adams. Wie die BSLK und Berkhof können auch Barth und Pannenberg die Sündlosigkeit Jesu Christi nicht unter Absehung seines Verhältnisses zu Gott inhaltlich bestimmen. Der Gehorsam, den Jesus Christus als Mensch leistet, bezeichnet Barth zufolge als Inhalt seiner Sündlosigkeit ein unmittelbares Gottesverhältnis. Die Freiheit zur Einheit mit Gott, die Pannenberg als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu bestimmt, beinhaltet ihrerseits sein unmittelbares, durch völlige Hingabe an Gott und seinen Willen gekennzeichnetes Gottesverhältnis, das er als der Sohn Gottes lebt. Nicht übersehen werden darf dabei allerdings der Unterschied zu den BSLK und zu Berkhof, der darin besteht, daß Barth Jesu Sündlosigkeit nicht ausschließlich relational, sondern dialektisch versteht, während sie für Pannenberg vorwiegend Funktion seiner Person bzw. seiner personalen Einheit mit Gott ist. Ein weiterer Unterschied zwischen Berkhof einerseits und andererseits den BSLK, aber auch Barth und Pannenberg besteht darin, daß ersterer Jesu 250 Vgl. dazu bezeichnenderweise Jesu Stellung zur Ehescheidung Mk 10,1-9 bzw. Mt 19,1-9. Mose gestattet die Ehescheidung, jedoch, wie Jesus feststellt, um der "verhärteten Herzen der Menschen willen", denn "von Anfang an ist es nicht so gewesen": was Gott durch seine Schöpfung zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Siehe auch unsere Ausführungen S. 187. 251 Jesus ist sündlos in Bezug auf Gottes Willen, jedoch nicht wie er im Gesetz ausgedrückt ist, sondern in der durch Jesus selbst vorgenommenen Verschärfung im Blick auf Gottes ursprüngliche Heilsabsichten als der Schöpfer.

150

Sündlosigkeit nicht allein von dessen Gottesverhältnis her begreift, wie die anderen, sondern auch von seinem in diesem gründenden Verhältnis zu den Menschen und zur Natur. Hierin ist Berkhof zuzustimmen, jedoch unter dem Vorbehalt, daß nicht nur der Gottesbund sich auf dieses dreifache Verhältnis des Menschen bezieht - wie Berkhof meint -, sondern daß die Wiederherstellung des ursprünglichen Gottesverhältnisses auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Verhältnisses zu den anderen Menschen und zur Natur, das ebenfalls durch den Sündenfall zerstört ist, impliziert. Erst durch diesen dreifachen Bezug und nicht ausschließlich durch den Gottesbezug, wie die BSLK, Barth und Pannenberg meinen, und was kritisch gegen sie einzuwenden ist, ist das rechte Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi gewährleistet. Diesen Auffassungen ist bei allen Unterschieden eines gemeinsam: Das Menschsein Jesu Christi wird in seinen Äußerungsformen und in seinem Daseinsbezug dergestalt ernstgenommen, daß sie von ihm her seine Sündlosigkeit begreifen. Dieser Daseinsbezug meint vor allem Jesu Verhältnis zum Vater, das er als Mensch durch sein Verhalten und Tun verwirklicht hat und dessen Ausdruck seine Freiheit, sein Gehorsam und seine Hingabe an den Vater sind, so daß der Inhalt seiner Sündlosigkeit abgesehen von diesem Verhältnis, zugleich aber auch von dem hierin gründenden Verhältnis zu den Menschen und zur Natur nicht adäquat bestimmt werden kann. Von daher und im Blick auf die Tatsache, daß schon der Begriff der Sündlosigkeit an sich, recht verstanden, insofern ein Verhältnis anzeigt, als niemand an sich, sondern immer nur in einem bestimmten Bezug (gegenüber Gott) sündlos sein kann, erweist sich das relationale Sündlosigkeitsverständnis dem ontischen, aber auch jedem anderen Verständnis gegenüber, sofern es diesen Gegebenheiten nicht Rechnung trägt, als das am meisten gerechtfertigte. c) Sündlosigkeit als Funktion der Person Jesu Christi als Freiheit zur Einheit mit Gott verstandene Sündlosigkeit ist bei Pannenberg vor allem Funktion seiner Person und zwar als Gottessohn, denn sie resultiert insofern aus seiner in völliger Freiheit vollzogenen, als Mensch in seinem irdischen Daseinsvollzug gelebten Hingabe an den Vater, als diese, durch die Auferweckung als Gottes Willen entsprechend bestätigt, seine Einheit und Persongemeinschaft mit dem Vater erweist, deren Implikat die Sündlosigkeit ist.252 Die Sündlosigkeit ist demnach Funktion seiner Person und zwar als Gottessohn, da er als solcher von aller Sünde geschie-

252

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 99.

151

den ist. Da aber diese seine Gottessohnschaft aus seinem durch Freiheit, d.h. aber durch Gehorsam und Hingabe ausgezeichneten und realisierten, von der Auferweckung bestätigten Verhältnis zum Vater resultiert, ist dieses Verhältnis Funktion seiner Person und auch Inhalt seiner Sündlosigkeit. Auch bei den BSLK und bei Barth ist die Sündlosigkeit Jesu Christi Funktion seiner Person als Gottessohn, denn dadurch, daß er es ist, der den Gehorsam leistet, ist er sündlos, so daß das Verhältnis, das dieser Gehorsam zum Ausdruck bringt, als Funktion seiner Person verstanden, den Inhalt seiner Sündlosigkeit bezeichnet. Im Unterschied zu Pannenberg gehen sie jedoch von der Gottessohnschaft aus und verstehen seinen irdischen Daseinsvollzug als Konkretisierung seiner Sündlosigkeit, während sie für Pannenberg aus dem von der Auferweckung her als Funktion seiner Person verstandenen irdischen Daseins Vollzug resultiert. Ungeachtet dieser Unterschiede läßt sich folgern, daß die so verstandene Sündlosigkeit vor allem eine Aussage über Jesu Person ist, so daß ihr als Gehorsam, Hingabe und Freiheit bestimmter Inhalt nicht sein Werk bezeichnet, sondern Funktion seiner Person ist. Als Funktionen seiner Person bringen aber Gehorsam, Hingabe und Freiheit als Inhalt seiner Sündlosigkeit ein bestimmtes Verhältnis zum Ausdruck, so daß sich das relationale und personale Verständnis gegenseitig bedingen. Da Jesu Christi Sündlosigkeit als Aussage über seine Person und als deren Funktion inhaltlich immer eine bestimmte Beziehung zum Ausdruck bringt, muß sie relational und zugleich personal verstanden werden. d) Sündlosigkeit als Jesu Werk Was das personale Verständnis der Sündlosigkeit ist, wird sich durch die nun folgende Untersuchung des funktionalen Verständnisses noch mehr verdeutlichen. Rein funktional versteht Ebeling Jesu Sündlosigkeit, wenn er sie als die in und durch Jesus geschehene Zuwendung Gottes zum Sünder definiert. Inhaltlich als seine in Freiheit zum Sünder vollzogene Hingabe für die Sünde verstanden, bezeichnet sie als solche aber ausschließlich Jesu Christi Heilswerk, seinen Kreuzestod.253 Jesu Christi als Gehorsam verstandene Sündlosigkeit bezeichnet auch im Verständnis von Barth insofern sein Werk, als er als Richter, Gerichteter und Gekreuzigter an die Stelle des Sünders getreten ist und dort das Rechte getan hat, so daß seine Sündlosigkeit die Tat seines Daseins genannt werden

253

152

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 99f.

kann.254 Berkhof versteht Jesu Christi Sündlosigkeit auch insofern funktional, als sie als die durch Freiheit, Gehorsam und Liebe geschehene Erfüllung des Bundes zugleich - im Horizont der Stellvertretung - der Inhalt seines Heilswerkes ist. Der Unterschied zu Ebeling besteht vor allem darin, daß Barth und Berkhof die Sündlosigkeit Jesu Christi als Gehorsam verstehen, wodurch sie nicht nur sein Werk, sondern sein Verhältnis zu Gott bezeichnet, während sie Ebeling ausschließlich als Jesu Christi Werk versteht. In Zusammenhang mit diesem Unterschied stehen die Bedenken, die gegen dieses Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi zu erheben sind. Ein rein funktionales Verständnis wie dieses, bei dem die Sündlosigkeit Jesu Christi ausschließlich sein Heilswerk bezeichnet und beinhaltet, widerspricht schon dem Begriff der Sündlosigkeit an sich, da dieser als solcher ein bestimmtes Verhältnis zum Ausdruck bringt, das Funktion seiner Person als Mensch ist. Da Ebeling bezeichnenderweise nicht von Jesu Gehorsam und Hingabe an Gott spricht, die als Funktionen seiner Person als Mensch sein Verhältnis zum Vater bestimmen255, ist für ihn das konkrete Menschsein Jesu Christi lediglich in dem Maße relevant, als die von Gott gewirkte Versöhnung nur in einem Menschen geschehen kann, dessen Situation die aller anderen Menschen ist. Dieses Verständnis steht einerseits mit dem inkarnatorischen Ansatz, bei dem das Menschsein Jesu Christi in seinen konkreten Äußerungsformen nicht genug ernstgenommen wird, und andererseits mit der soteriologischen Konzeption der Christologie in Verbindung, derzufolge die Person Jesu Christi von ihrem Werk her zu begreifen ist.256 Da das rein funktionale Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi weder seinem Menschsein noch seiner Sündlosigkeit in vollem Maße gerecht zu werden vermag, ist es - für sich genommen - als fraglich zu bezeichnen.

ej Sündlosigkeit als dialektische Einheit Aus den bisherigen Ausführungen dürfte hervorgegangen sein, daß sich das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi der BSLK, vor allem aber

254

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 28ff. Ebeling sagt zwar, daß die Relation zu Gott für die Person Jesu Christi seinsbestimmend sei, führt diesen Gedanken jedoch nicht weiter aus (aaO., S. 81). 256 Siehe dazu unsere Ausführungen S. I i i . , Anm. 298. Bezeichnenderweise spricht U. Asendorf im Zusammenhang mit Ebeling von einer "Funktionalisierungstendenz" (s. U. Asendorf, Die Lehre der Konkordienformel von der Person Jesu Christi und die heutige Theologie in: J. Schöne, Bekenntnis zur Wahrheit, S. 103). 255

153

Barths, in dem Sinn als dialektisch charakterisieren läßt, als es keiner der vier besprochenen Auffassungen vorbehaltlos zugeordnet werden kann. Für Barth ist der Inhalt der als Implikat seiner Inkarnation verstandenen Sündlosigkeit Jesu Christi sein Gehorsam, der als Funktion seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch sein Verhältnis gegenüber Gott bezeichnet und darin seinen Ausdruck findet, daß Jesus Christus in Übereinstimmung mit Gottes Willen als Richter, Gerichteter und Gekreuzigter an die Stelle des Sünders tritt, um dort das Rechte zu tun (Werk), worin aber gerade sein Sein als der Sündlose besteht. Dabei bedingen sich Werk und Sein als Funktion seiner Person und als Ausdruck seines Gottesverhältnisses wechselseitig, so daß der Inhalt seiner als Gehorsam definierten Sündlosigkeit gerade deren dialektische Einheit ist.257 Für die BSLK ist der Inhalt der als Entnommensein von der Erbsünde verstandenen Sündlosigkeit Jesu Christi sein als Gerechtigkeit definierter Gehorsam, der als Funktion seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch vor allem sein Verhältnis gegenüber Gott, zugleich aber auch sein aus Leiden und Sterben bestehendes Heilswerk umfaßt. Die als Verhältnis und als Werk verstandene Gerechtigkeit bezeichnet aber als Funktion seiner Person sein Sein als der Sündlose.258 Nicht zu verkennen ist die große Ähnlichkeit zwischen Barth und den BSLK, die vor allem darin besteht, daß beide als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi seinen als Funktion seiner Person und als Relation, als Werk und als Sein in dialektischer Einheit verstandenen Gehorsam bestimmen. Dabei dürfen jedoch auch die zwischen beiden Auffassungen bestehenden wesentlichen Unterschiede nicht übergangen werden. Bei den BSLK ist das dialektische Verständnis noch nicht ausgeprägt und nicht so konsequent durchgehalten wie bei Barth. Außerdem legen die BSLK mehr Nachdruck auf das relationale Verständnis der Gerechtigkeit als des Inhaltes der Sündlosigkeit Jesu Christi, während Barth dessen Gehorsam vor allem funktional (als Werk, bzw. als Tat) versteht. Das hat seine Auswirkungen auf das Verständnis der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi. Daraus kann gefolgert werden, daß die Sündlosigkeit Jesu Christi auch dialektisch begriffen werden kann, sofern das gesamte Christusgeschehen dialektisch verstanden wird.

257 258

154

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 100. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 138f.

3. Seinsgrund Aus der vergleichenden Darstellung des Verständnisses des Seinsgrundes der Sündlosigkeit Jesu Christi ist hervorgegangen, daß das Verhältnis zwischen seinem Gottsein und seinem Menschsein im Horizont der Zweinaturenlehre entweder anhypostatisch oder enhypostatisch bestimmt werden kann. Das Verständnis seiner Sündlosigkeit erweist sich als anhypostatisch, wenn als ihr Seinsgrund der in ihm anwesende Gott als Subjekt begriffen wird, während beim enhypostatischen Verständnis die in seiner Person zustandegekommene Einheit von wahrem Gott und wahrem Menschen der Seinsgrund seiner Sündlosigkeit ist. Welche Implikationen sich daraus jeweils für das Verständnis seines Gottseins und vor allem seines Menschseins und damit für das Verständnis seiner Sündlosigkeit überhaupt ergeben, soll im folgenden untersucht werden. a) Das anhypostatische Verständnis:

impeccabilitas

Im Verständnis der BSLK ist der Sohn Gottes Mensch geworden, indem er die menschliche Natur auf dem Weg seiner sündlosen Geburt und also ohne Sünde in die Einheit seiner Person aufgenommen hat, so daß Jesus Christus, als wahrer Gott und als wahrer Mensch den Gehorsam leisten kann, der der Inhalt seiner als Gerechtigkeit definierten Sündlosigkeit ist.259 Dadurch, daß der Sohn Gottes die menschliche Natur ohne Sünde angenommen hat, ist Jesu Christi menschliches Wesen der Erbsünde als der eigentlichen Sünde entnommen, so daß er als Mensch gar nicht sündigen kann und sich also seine Sündlosigkeit als impeccabilitas herausstellt. Demzufolge ist das Subjekt und als solches der Seinsgrund der in der Einheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch gelebten Sündlosigkeit der Sohn Gottes und somit Gott selbst, wodurch aber seine Sündlosigkeit anhypostatisch begriffen wird. Indem Jesus Christus auf diese Weise der Erbsünde entnommen ist, den BSLK zufolge es aber das Kennzeichen allen Menschseins ist, unter diesem

259

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 140f. An der Ganzheit seiner Person als wahrer Gott und wahrer Mensch hängt nicht nur seine Sündlosigkeit, sondern auch deren Heilsbedeutung, denn "die menschliche Natur allein, ohne die göttliche, dem ewigen ... Gott weder mit Gehorsam noch Leiden für aller Welt Sünde genugtuen, die Gottheit aber alleine ... zwischen Gott und uns nicht mittein mögen." Daher ist Jesus Christus nach beiden Naturen unsere Gerechtigkeit. (SD III, 56, S. 934 bzw. 4, S. 915f.)

155

schuld- und sündhaften Zusammenhang zu stehen, ist seine Wesenseinheit mit den Menschen dadurch im Kern aufgehoben. 260 Wie in den BSLK wird auch im Verständnis von Barth der Sohn Gottes Mensch, indem er die menschliche Natur in die Einheit seiner Person aufnimmt, so daß Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Im Unterschied zu den BSLK jedoch ist diese menschliche Natur nicht der Sünde entnommen, denn Jesu menschliches Wesen an sich kann infolge seiner Gleichheit mit uns gar nicht sündlos sein, hängt doch die Wirklichkeit der Versöhnung an seiner völligen und vorbehaltlosen Gleichheit mit den Menschen. Daher versteht Barth Jesu Christi Menschwerdung als Eintreten in die Gleichheit des Fleisches der Sünde unter Voraussetzung des Sündenfalls. Daß Jesus Christus aber als Mensch dennoch nicht gesündigt, sondern in vollem Gehorsam gelebt und gehandelt hat, ist kraft dessen geschehen, daß er auch in seiner Menschwerdung wahrer Gott geblieben ist. Als solcher hat er in seiner Einheit mit dem Menschen gar nicht sündigen k ö n n e t und hat dadurch dieses menschliche Wesen zur Sündlosigkeit und damit zum wahren Menschsein erhöht. Demzufolge ist dieses sein Gottsein - wie in den BSLK - das Subjekt und als solches der Seinsgrund seiner ebenfalls als impeccabilitas zu verstehenden Sündlosigkeit, so daß sich auch dieses Verständnis als anhypostatisch erweist.262 Dieses Verständnis wirkt sich aber auf die Wesenseinheit Jesu Christi mit uns Menschen in doppelter Hinsicht negativ aus:

260

Um die volle Wesenseinheit Jesu Christi mit den Menschen zu sichern, ohne daß er aber auch unter der Erbsünde steht, unterscheidet die FC zwischen der von Gott erschaffenen Natur des Menschen einerseits und seiner durch die Erbsünde verdorbenen Natur andererseits. Durch diese Unterscheidung, zu der sich die FC aufgrund des Faktums der Menschwerdung berechtigt sieht, soll einerseits die Realität des in der Beherrschung durch die Erbsünde begründeten Sünderseins des Menschen und andererseits die Möglichkeit der Sündlosigkeit des wahren Menschseins Jesu Christi gegeneinander abgesichert werden. (Siehe dazu unsere Ausführungen S. 135f.) Dazu ist zu bemerken: a) Diese Unterscheidung ergibt sich vom Faktum der Inkarnation her nur unter den Voraussetzungen, die wir selbst an sie herantragen; b) Diese Unterscheidung bewirkt gerade das, was sie verhindern soll: den Verlust der vollen Wesenseinheit Jesu Christi mit den Menschen. 261

Vgl. dazu bezeichnenderweise KD IV/2, S. 103. Weil und indem er als Sohn Gottes und nur so Mensch war, war die Sünde von der Wahl seiner Taten ausgeschlossen. "Er konnte sie von diesem Ursprung seines Daseins her nicht wählen. So wählte er sie auch nicht. So tat er sie auch nicht." (Hervorhebung von mir.) Von daher stand auch der Ausgang der Versuchungen, denen Jesus als Mensch ausgesetzt war, von vornherein fest, selbst wenn dabei von menschlichem Ringen und Kampf die Rede ist. 262 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 102.

156

a) Da Gott das Subjekt dieses menschlichen Handelns ist, wir als Menschen aber unser eigenes, menschliches Subjektsein haben, dessen Merkmal gerade - wie Barth das selbst zugibt - das non posse non peccare ist, wird Jesu Wesenseinheit mit uns hinsichtlich des Subjektseins aufgehoben. b) Barth behauptet zwar einerseits, daß Jesus Christus durch die Annahme unseres Sündenfleisches uns Menschen gleich ist, da er es jedoch als wahrer Gott getan hat, wird das menschliche Wesen dadurch zur Sündlosigkeit und zum wahren Menschsein erhöht, so daß Jesus Christus als der sündlose der wahre Mensch ist. Andererseits aber bezeichnet dieses wahre Menschsein, zu dem weder unter dem Gesichtspunkt der Schöpfung noch unter dem des Sündenfalls das Tun der Sünde gehört, die göttliche Bestimmung263 und nicht den empirischen Zustand des Menschen, so daß Jesus Christus sehr wohl mit dem wahren, nicht aber mit unserem gegenwärtigen, wirklichen Menschsein wesenseins ist.264 Von daher kann Barth nicht zugestimmt werden, daß die Erhöhung des empirischen Menschseins zum wahren Menschsein keine Veränderung bedeute265, oder aber es wird die Wirklichkeit der Sünde, unter der die Menschen stehen, nicht ernst genug genommen. Indem durch dieses mit dem inkarnatorischen Ansatz zusammenhängende Verständnis Jesu Christi Wesenseinheit mit unserem wirklichen Menschsein aufgehoben ist, wird seine als Mensch gelebte Sündlosigkeit zur Illustration seiner impeccabilitas. Ebeling geht auch wie die BSLK und Barth von der Menschwerdung Gottes aus, aufgrund derer Jesus Christus in Person wahrer Gott und wahrer Mensch ist, und kommt, trotz anderer Folgerungen, zu einem ähnlichen Schluß. Wenn er ausführt, daß sich in Jesus Christus kraft seines Seins als wahrer Gott die Zuwendung Gottes zum Menschen ereignet hat, die er zwar als Mensch lebt und die der Inhalt seiner Sündlosigkeit ist, die aber als menschliche Möglichkeit nicht in Betracht kommt, so muß seine so verstandene Sündlosigkeit als impeccabilitas definiert werden, deren Subjekt und Seinsgrund der in ihm anwesende Gott ist und deren Verständnis von

263

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 103f. Vgl. dazu bezeichnenderweise Barth selbst, KD IV/2, S. 103: Durch diese Erhöhung überschreitet Jesus Christus die Grenze der ihm und uns gemeinsamen Humanität nicht, sondern "er bewährt ... in seinem non peccare und non posse peccare die Bruderschaft mit uns, die Gemeinschaft mit unserem wahren (sie!) menschlichen Wesen, die wir unsererseits mit unserem peccare und non posse non peccare fortwährend zerbrechen." (Hervorhebung von mir) 265 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 103f. 264

157

daher - wie das der BSLK und Barths - als anhypostatisch bezeichnet werden muß. 266 Durch dieses Verständnis seiner Sündlosigkeit ist Jesu Christi Menschsein lediglich Träger der in seinem wahren Gottsein gründenden impeccabilitas, da sie als die in ihm geschehene Zuwendung Gottes zu den Menschen als menschliche Möglichkeit - wie Ebeling das selbst zugibt - ausgeschlossen ist. Aus diesem Grund ist Jesu Wesenseinheit mit den Menschen aufgehoben. Im Unterschied zu den BSLK, zu Barth und zu Ebeling geht Tillich nicht von der Menschwerdung aus, jedoch ist der Grund der als Neues Sein verstandenen, in einem personhaften Leben verwirklichten Sündlosigkeit Jesu Christi in dem Sinn Gott selbst, als dieses menschliche Leben durch sein Schicksal, das die göttliche Bestimmung repräsentiert, unter Gottes lenkendem Schaffen steht, durch das Gott selbst in ihm als "ewige GottMensch-Einheit" - in der Begrifflichkeit der Zweinaturenlehre: seine göttliche Natur - gegenwärtig ist. Da Gott selbst in dieser Weise Subjekt der Sündlosigkeit Jesu Christi ist, kann diese nur als impeccabilitas begriffen und dieses Verständnis ebenfalls als anhypostatisch charakterisiert werden.267 Es fällt dabei auf, daß bei Jesus Christus das Schicksal die göttliche Bestimmung seines Lebens, unter der seine Entscheidungen stehen, repräsentiert, während es bei den anderen Menschen deren existentielle Entfremdung bezeichnet, an der es ursächlich beteiligt ist.268 Bei den Menschen macht es als jeden Akt der Freiheit eingrenzendes Element die Selbstüberwindung der existentiellen Entfremdung unmöglich269, bei Jesus Christus hingegen bedingt es geradezu deren Überwindung. Versteht man diesen Unterschied nicht als einen Widerspruch, der auf ungenaues Definieren des

266

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 102f. Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 104. 268 Vgl. dazu Tillich selbst: "Der individuelle Akt existentieller Entfremdung ist kein isolierter Akt eines isolierten Individuums. Es ist ein Akt der Freiheit, der in die Breite eines universalen Schicksals eingebettet ist ... Die Existenz wurzelt in der Freiheit und im tragischen Schicksal..." - "In seiner existentiellen Selbstverwirklichung wendet er (der Mensch) sich seiner Welt und sich selbst zu und verliert seine essentielle Einheit mit dem Grunde des Selbst und Welt ... (Es) geschieht das als persönliche Schuld und als tragisches Schicksal." "Als individueller Akt ist Sünde eine Sache der Freiheit, Verantwortlichkeit und persönlicher Schuld. Aber diese Freiheit ist in das universale Schicksal der Entfremdung auf solche Weise eingebettet, daß jeder freie Akt das Schicksal der Entfremdung enthält, und umgekehrt, daß das Schicksal der Entfremdung durch jeden freien Akt verwirklicht wird." (Tillich, aaO., S. 45, 55 und 65) 269 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 47f. 267

158

Schicksalsbegriffes zurückgeht, so impliziert er den Verlust der Wesenseinheit Jesu Christi mit den Menschen. In der Konsequenz dessen ist auch Jesu Christi Unterworfensein unter die Bedingungen der existentiellen Entfremdung, das Tillich selbst als Bedingung der Verwirklichung des Neuen Seins als dem Inhalt seiner Sündlosigkeit festhält, in Frage gestellt. Bezeichnend dafür ist, wie schwer sich Tillich tut, die Echtheit der Versuchungen Jesu nachzuweisen und mit seinem Sündlosigkeitsverständnis in Einklang zu bringen. Wenn die Bedingung echter Versuchung das Begehren nach dem ist, was versucherisch ist, so ist unter den Bedingungen der Existenz die Entfremdung früher da als die Entscheidung, der Versuchung nachzugeben oder nicht.270 Da diese Konsequenz aber, auf Jesus bezogen, Tillichs Verständnis widerspräche, versucht er dergestalt zwischen Begehren und Konkupiszenz zu unterscheiden, daß es ohne Begehren nicht zur Versuchung kommen kann, die Versuchung aber darin besteht, daß das Begehren sich in Konkupiszenz verwandeln will.271 In Anwendung auf Jesus heißt das, daß "die Einheit mit Gott nicht die Verneinung des Begehrens nach Wiedervereinigung des Endlichen mit dem Endlichen fordert", daß jedoch "das Endliche nicht neben dieser Einheit, sondern innerhalb ihrer begehrt" wird, während die im Begehren wurzelnde Versuchung darin besteht, "daß das Endliche neben Gott gewünscht wird und daß das Begehren Konkupiszenz wird". 272 Abgesehen davon, daß dieses eine recht künstliche Konstruktion ist und nicht zu überzeugen vermag, stellt sie gerade dasjenige, was sie begründen will, nämlich die Echtheit der Versuchungen Jesu, in Frage. Ist Jesus nicht wie jeder andere Mensch versucht worden, sind seine Versuchungen nicht echt, und er ist nicht wirklich den Bedingungen der existentiellen Entfremdung unterworfen. Das Menschsein Jesu Christi ist demzufolge lediglich Träger der als Neues Sein verstandenen impeccabilitas. Folgendes läßt sich als Ergebnis unserer diesbezüglichen Untersuchungen herausstellen: Jesu Christi Sündlosigkeitsverständnis der BSLK wie auch Barths und Ebelings, aber auch Tillichs, hängt in dem Sinn mit der Zweinaturenlehre zusammen, daß Jesus Christus seine Sündlosigkeit in der Einheit seiner Person als wahrer Gott und zugleich als wahrer Mensch, d.h. als

270

Vgl. dazu Tillich, aaO., S. 139. Vgl. dazu Tillich, ebd., S. 140. 272 Tillich, ebd., S. 140f. Tillich unterscheidet, anders ausgedrückt, zwischen der "natürlichen Selbsttranszendenz, die das Verlangen nach Wiedervereinigung mit allem Seienden enthält, und seiner Verzerrung als Konkupiszenz, die nicht die Wiedervereinigung mit dem anderen will, sondern die Ausbeutung des andern durch Macht und Lust." (ebd., S. 139f.) Siehe auch unsere Ausführungen S. 51f. 271

159

Mensch, dessen Wesen dem unseren gleich sein soll, lebt. Seine Sündlosigkeit ist mit seinem wahren Gottsein dadurch untrennbar verbunden, daß dieses ihr Seinsgrund ist. Das heißt: Weil Jesus Christus wahrer Gott ist, ist er sündlos. Daraus folgt für das Verständnis seines Menschseins, daß Jesus Christus infolge seiner personalen Einheit mit dem Gottsein als Mensch gar nicht sündigen kann, so daß sich von daher seine Sündlosigkeit als impeccabilitas und sich ihr Verständnis als anhypostatisch erweist. Da dieses Verständnis aber Jesu Wesenseinheit mit den Menschen in Frage stellt bzw. aufhebt und sein Menschsein lediglich Träger bzw. Illustration seiner impeccabilitas ist, muß ihm seine Berechtigung abgesprochen werden. b) Das enhypostatische Verständnis:

impeccantia

Im Unterschied zu den BSLK, zu Barth und Ebeling und auch zu Tillich verstehen Pannenberg und Berkhof Jesu Sündlosigkeit enhypostatisch, d.h. ihr Subjekt und Seinsgrund ist nicht Gott, sondern seine als Mensch gelebte Einheit mit Gott. In Berkhofs Verständnis ist der Mensch Jesus das Subjekt seiner Sündlosigkeit, da er die Humanität, die, von der Auferstehung her als Bundeserfüllung verstanden, Inhalt dieser seiner Sündlosigkeit ist, auf seinem irdischen Lebensweg durch seinen als Mensch gelebten Gehorsam und durch seine Liebe verwirklicht hat. Dadurch, daß Jesus nicht als Gott, sondern als Mensch Subjekt seiner Sündlosigkeit ist, hätte sein Leben und Tun auch sündhaft sein können; daß es das im Sinne einer impeccabilitas nicht war, stand nicht schon durch seinen göttlichen Ursprung im voraus fest, sondern es wurde erst durch die Auferstehung als solches legitimiert. Von daher sind wir berechtigt, Berkhofs Verständnis der Sündlosigkeit Jesu im Sinne von posse non peccare als impeccantia zu kennzeichnen. Da der Seinsgrund seiner Sündlosigkeit jedoch insofern seine auf Gottes neue Schöpfungstat zurückgehende und ihn erfüllende Einheit mit Gott ist, als er kraft ihrer als Mensch der Erfüller des Bundes und somit der Sündlose ist, erweist sich dieses Verständnis als enhypostatisch.273 Im Unterschied zum anhypostatischen Verständnis hebt dieses Verständnis Jesu Wesenseinheit mit den Menschen nicht grundsätzlich auf, stellt sie aber trotzdem in Frage, da der so bestimmte Seinsgrund seiner Sündlosigkeit einen qualitativen Unterschied zu den Menschen impliziert. Wohl ist Jesus - wie bei Barth - als der sündlose der wahre Mensch; indem dieses sein wahres Menschsein seinen Grund in Gottes Neuschöpfung hat, ist es

273

160

Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 105.

nicht mit unserem wirklichen Menschsein, sondern mit dem unserer göttlichen Bestimmung wesenseins. Wie bei Berkhof ist auch in Pannenbergs Verständnis der Mensch Jesus das Subjekt seiner Sündlosigkeit, da sie als Implikat seiner Gottessohnschaft insofern aus seiner in völliger Freiheit vollzogenen, als Mensch in seinem irdischen Daseinsvollzug gelebten Hingabe an Gott resultiert, als diese, durch die Auferweckung als Gottes Willen entsprechend bestätigt, seine Einheit und Persongemeinschaft mit dem Vater erweist. 274 Dadurch, daß Jesu menschliches Verhalten erst durch die Auferweckung als in Übereinstimmung mit Gottes Willen legitimiert wurde, kann seine Sündlosigkeit nur als impeccantia verstanden werden, denn sofern er als wirklicher Mensch deren Subjekt ist, kann er als solcher gar nicht die Unfähigkeit zur Sünde im Sinne einer von vornherein feststehenden impeccabilitas besitzen.275 Da von der Auferweckung her Jesu Einheit mit Gott schon für die Zeit seines irdischen Daseins gültig und wirksam ist und infolgedessen von seinem Menschsein und auch von seiner Sündlosigkeit nicht abgesehen von ihr gesprochen werden kann, ist diese als die in seinem Daseinsvollzug zustandegekommene und wirksame Gottessohnschaft der Seinsgrund seiner Sündlosigkeit. Dadurch, daß diese seine Gottessohnschaft als Seinsgrund seiner Sündlosigkeit jedoch ihren Grund in dem Sinne in der ewigen göttlichen Sohnschaft hat, daß Jesus durch seine Persongemeinschaft mit dem Vater sein Personalität als Sohn von Gott empfing, die sein Leben zur Ganzheit integrierte, erweist sich Pannenbergs Verständnis als enhypostatisch. Im Unterschied zu Berkhof wird durch dieses Verständnis Jesu Wesenseinheit mit den Menschen jedoch nicht in Frage gestellt, denn zum einen ist er von der Auferweckung her als dieser Mensch in seiner besonderen Situation mit Gott insofern eins und so Gottes Sohn, als die besonderen Lebensmomente in seinem irdischen Dasein von seiner Person so integriert

274

Vgl. dazu und zum folgenden unsere Ausführungen S. 105f. Demgemäß spricht Pannenberg von der Freiheit Jesu, die darin bestand, daß er keinerlei Selbständigkeit gegenüber Gott für sich in Anspruch nahm, sondern daß er den Willen seines Vaters in einer Hingabe tat, und seiner Sendung folgte, in der kein Raum mehr für andere Möglichkeiten blieb, die der Wille Jesu als ein gegenüber Gott selbständiger etwa hätte wählen können. Diese Freiheit schließt aber nicht aus, daß Jesus durch Versuchungen und Anfechtungen hindurchgehen mußte, die diese seine Freiheit im Sinne der rückhaltlosen Identifizierung mit seiner Sendung geradezu voraussetzten, indem der Verzweifelnde seine Identität mit seinem Wege, den er objektiv nicht rückgängig machen konnte und auf dem er vielleicht sogar fortfahren mußte, subjektiv sich selber gegenüber verweigerte oder zurücknahm. (Vgl. dazu Pannenberg, aaO., S. 362 bzw. 367 und 368.) 275

161

wurden, daß die integrierende Person sich eben dadurch als die Person des ewig zur Gottheit Gottes gehörenden Sohnes realisierte; zum anderen aber ist er gerade in seiner personalen Einheit mit Gott, die die Bestimmung alles menschlichen Daseins ist, der wahre und wirkliche Mensch. Vom wahren Menschsein als der in Jesus Christus Wirklichkeit gewordenen Bestimmung allen menschlichen Seins sprechen auch Barth und Berkhof; durch seinen göttlichen Ursprung jedoch stellt es einen qualitativen Unterschied zum wirklichen Menschsein dar, der in Pannenbergs Verständnis nicht vorhanden ist. Als Folgerung halten wir fest, daß auch Berkhofs und Pannenbergs Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi mit der Zweinaturenlehre in der Weise zusammenhängt, daß von ihr nur in Verbindung mit seiner Einheit von Gott und Mensch, die er als der Gottessohn lebt, gesprochen werden kann. In dieser Einheit von Gott und Mensch ist Jesus Christus als der Sohn Gottes sündlos. Denn: als wahrer Mensch ist Jesus das Subjekt seiner Sündlosigkeit, wodurch diese als impeccantia zu verstehen ist; da ihr Seinsgrund jedoch die Einheit ist, die Jesus als der Gottessohn lebt, erweist sich dieses Verständnis als enhypostatisch. Indem hier im Unterschied zum anhypostatischen Verständnis nicht die Zweinaturenlehre und die Gottessohnschaft, sondern das irdische Dasein Jesu Ausgangspunkt der Überlegungen ist und der Auferstehung nicht bloß noetische, sondern ontische Bedeutung zukommt276, kann das Menschsein Jesu als Subjekt seiner Sündlosigkeit ernstgenommen und diese als impeccantia verstanden werden. Da das enhypostatische Verständnis hierdurch dem Menschsein Jesu in seinen konkreten Äußerungsformen mehr Rechnung zu tragen vermag, ist es in dem Maße gerechtfertigt, als es Jesu Wesenseinheit mit den Menschen nicht in Frage stellt, sondern durchhält und bestimmt.

4. Erkenntnisgrund Eine direkte Antwort auf die Frage, woraufhin vom Vorhandensein der Sündlosigkeit Jesu Christi gesprochen werden kann, m.a.W. welches ihr Erkenntnisgrund ist, geben Barth, Pannenberg, Berkhof und Ebeling; die BSLK und Tillich gehen darauf nicht ein. Bei den BSLK ist das auch durchaus verständlich, wenn man bedenkt, daß sie keine in sich geschlossene Christologie bieten wollen, sondern auf aktuelle Fragen des Bekennt-

276

162

Wir kommen darauf im folgenden Abschnitt zu sprechen, siehe S. 163f.

nisses Antwort geben. Bei Tillich dagegen steht es anders, denn wenn das Neue Sein als Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi einen so zentralen Platz in seiner Christologie einnimmt, daß es als solches das Christusereignis überhaupt beinhaltet, dürfte dessen Erkenntnismöglichkeit nicht unberücksichtigt bleiben. Da Tillich jedoch - wie bereits gezeigt - spekulativ denkt und die Wirklichkeit des Neuen Seins ontologisch aus dessen Notwendigkeit ableitet, bedarf es gar keines Erkenntnisgrundes. Wohl spricht Tillich von der Auferstehung, die als Symbol und Faktum den Sieg Jesu Christi über die existentielle Entfremdung zum Ausdruck bringt277, sie ist aber nicht mehr als eine Bestätigung dessen, was sowieso schon bekannt ist. Obwohl Ebeling explizit über den Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi spricht, mißt er in diesem Zusammenhang der Auferstehung wie Tillich - keinerlei Bedeutung bei. Es ist richtig, wenn er die Sündlosigkeit als ein Glaubensurteil bezeichnet, dessen Richtigkeit objektiv nicht festzustellen ist. Unklar ist aber, was Ebeling meint, wenn seiner Auffassung zufolge von der Sündlosigkeit Jesu Christi nur als Bekenntnis gesprochen werden kann, das aufgrund eines "Totaleindrucks seiner Person" in der Begegnung unseres Sünderseins mit seiner Person zustande gekommen ist.278 Wird damit die subjektive Glaubenserfahrung zum Grund objektiver theologischer Aussagen gemacht? Wenn Ebeling demnach die Bedeutung der Auferstehung für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi verkennt, läßt sich dasselbe von Barth, Pannenberg und Berkhof nicht sagen, da sie die Auferstehung übereinstimmend als das Urteil Gottes verstehen, das das Leben und Tun Jesu Christi als sündlos erweist. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß Barth die Auferstehung rein noetisch versteht, während sie für Pannenberg und Berkhof auch und vor allem von ontischer Bedeutung ist. Da Barth von der Inkarnation und der durch sie implizierten Sündlosigkeit Jesu Christi ausgeht, kann die Auferstehung nur noetische Funktion haben, denn sie offenbart das, was auch abgesehen von ihr schon ist. In einem Verständnis aber, das die Sündlosigkeit Jesu Christi nicht schon voraussetzt, sondern von seinem Daseinsvollzug ausgeht, muß die Auferstehung darüber entscheiden, ob von Sündlosigkeit gesprochen werden kann. In diesem ihrem Entscheidungscharakter, den die Auferstehung bei Pannenberg und Berkhof hat, liegt insofern ihre ontische Bedeutung, als sie das, worüber sie entscheidet, daß es ist, rückwirkend in Kraft setzt und offenbart. Ohne diese Funktion der Auferstehung wäre daher nicht einzuse-

277 278

Zum Verständnis der Auferstehung siehe Tillich, bes. S. 165-170. Siehe dazu unsere Ausführungen S. 108.

163

hen, daß Jesu menschliches Handeln und Leben tatsächlich sündlos sein sollten. Da die Sündlosigkeit Jesu Christi so bestimmt werden muß, daß sie sein wahres Menschsein nicht in Frage stellt, muß von seinem Daseinsvollzug ausgegangen werden, über den allerdings allein Gott entscheiden kann, ob er sündlos ist. Als die an Jesus Christus geschehene Tat Gottes ist die Auferstehung die göttliche Entscheidung über seinen Daseinsvollzug, und als solche hat sie mehr als nur offenbarende, sondern eben ontische Funktion. Aufgrund dieser Funktion der Auferstehung kann Jesu Christi Sündlosigkeit aber so bestimmt werden, daß sie sein wahres Menschsein nicht in Frage stellt.

5. Bedeutung Anhand der vier Gesichtspunkte der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk, für das Verständnis des Menschseins, für den Gottesbegriff und für den Sündenbegriff, unter denen wir die vergleichende Darstellung vorgenommen haben, soll auch die folgende kritische Untersuchung durchgeführt werden, wobei hervorzuheben ist, daß die Berechtigung des Bekenntnisses der Sündlosigkeit in ihrer Bedeutung liegt. a) Bedingung und Inhalt des Heilswerkes Jesu Christi Je nachdem wie einerseits der Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi und andererseits sein Heilswerk verstanden wird, bezeichnet seine Sündlosigkeit entweder dessen Bedingung oder als dessen Bedingung zugleich auch seinen Inhalt. Im Verständnis der BSLK ist das Heilswerk Jesu Christi sein Leiden und Sterben am Kreuz, das als die um unserer Sünde willen geschehene Genugtuung das Verdienst ist, das uns als Gerechtigkeit zu unserer Rechtfertigung angerechnet wird. 279 Genugtuung für unsere Sünde kann Jesu Christi Leiden und Sterben aber nur sein, weil er es in der Ganzheit seiner Person in vollkommenem Gehorsam geleistet hat, der als solcher zugleich die Gerechtigkeit ist, die uns als die unsere angerechnet wird. Ist dieser Gehorsam aber der Inhalt seiner als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit, so liegt der Grund unserer Rechtfertigung in dieser seiner Sündlosigkeit, die als solche die Bedingung der Heilsbedeutung Jesu Christi überhaupt ist.

279

164

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 128ff.

Ähnlich den BSLK bezeichnet auch für Pannenberg der Kreuzestod Jesu als die an unserer Stelle erlittene Strafe für das gotteslästerliche Dasein der Menschen sein Heilswerk. Da Jesus aber nur als der Sündlose der stellvertretende Träger der Sündenstrafe sein und nur als solcher die sündhafte Grundstruktur des menschlichen Daseins durchbrechen und überwinden konnte, ist seine Sündlosigkeit die Bedingung der universalen Bedeutung seines Kreuzestodes. 280 Sowohl die BSLK als auch Pannenberg verstehen also die Sündlosigkeit Jesu Christi als die Bedingung der Heilsbedeutung seines Kreuzestodes, wobei ersteren der Gedanke der Gerechtigkeit, die zugerechnet wird, wichtiger ist, während letzterer den Gedanken der Stellvertretung stärker hervorhebt. Im Horizont der Stellvertretung versteht auch Barth die Sündlosigkeit Jesu Christi als Bedingung seiner Heilsbedeutung, da Jesus Christus allein als der Gehorsame und also als der Sündlose an die Stelle der Sünder als Richter, Gerichteter und Gekreuzigter treten konnte, um sich für diese hingeben zu lassen und damit sein Werk der Versöhnung zu vollbringen. Indem er aber an die Stelle der Sünder getreten ist und dort das Rechte getan hat, ist seine von hier aus als Gehorsamswerk verstandene Sündlosigkeit zugleich auch der Inhalt des Versöhnungsgeschehens und also seiner Heilsbedeutung. 281 Wie Barth versteht auch Ebeling Jesu Christi Sündlosigkeit als Bedingung und zugleich als Inhalt seines Heilswerkes, jedoch in einer von Barth unterschiedenen Weise. Seine als Zuwendung zum Sünder verstandene Sündlosigkeit bezeichnet als solche sein im Kreuzestod geschehenes Eintreten und Sich-Dahingebenlassen für den Sünder und also den Inhalt seines Heilswerkes. In dieser Weise an die Stelle des Sünders treten konnte er aber nur als der Sündlose, so daß seine Sündlosigkeit zugleich auch die Bedingung seines Heilswerkes ist.282 Im Unterschied dazu besteht für Berkhof und Tillich die Bedeutung der Sündlosigkeit darin, daß sie als solche ausschließlich den Inhalt seines Heilswerkes ausmacht. Berkhof rückt den Gedanken der Stellvertretung in den Mittelpunkt, indem er die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk darin sieht, daß sie als die stellvertretend geschehene Erfüllung des Bundes Gottes mit den Menschen dessen eigentlicher Inhalt ist.283 Die Sündlosigkeit, die, als Neues Sein verstanden, die Überwindung der

280 281 282 283

Siehe Siehe Siehe Siehe

dazu dazu dazu dazu

unsere unsere unsere unsere

Ausführungen Ausführungen Ausführungen Ausführungen

S. S. S. S.

110. 109. 109f. llOf.

165

existentiellen Entfremdung des Menschen bezeichnet, ist bei Tillich insofern Inhalt des Heilswerkes Jesu Christi, als dieses gerade in der Verwirklichung dieses Neuen Seins und seiner Vermittlung an die Menschen besteht. 284 Aufgrund dieses unterschiedlichen Verstehens der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk kann festgehalten werden, daß das Verständnis der Bedeutung der Sündlosigkeit nicht nur vom Verständnis des Heilswerkes abhängig ist, sondern daß es auch durch das jeweilige Verständnis ihres Inhaltes bedingt wird: Wird die Sündlosigkeit vorwiegend relational/personal verstanden (Gerechtigkeit - BSLK; Freiheit zur Einheit mit Gott - Pannenberg), bezeichnet sie als solche nicht den Inhalt seines Heilswerkes (Leiden und Kreuzestod um der Sünde der Menschen willen), sondern sie ist ausschließlich dessen Bedingung. Bei einem funktionalen oder einem mit funktionalen Implikationen verbundenen Verständnis bezeichnet die Sündlosigkeit Jesu Christi als solche vor allem den Inhalt seines Heilswerkes. Ebeling versteht die Sündlosigkeit als Zuwendung zum Sünder ausgesprochen funktional, so daß sie als solche der Inhalt seines Heilswerkes und erst daraufhin auch dessen Bedingung ist. Ahnliches läßt sich auch von Barth sagen, dessen dialektisches Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi auch die funktionalen Implikationen umgreift. Als Inhalt seines Heilswerkes ist Barth zufolge Jesu Christi Sündlosigkeit insofern dessen Bedingung, als sein Sein als der Sündlose in diesem Werk der Dahingabe für die Sünder besteht und dieses aufgrund seiner Sündlosigkeit Heilswerk ist. Als Bundeserfüllung verstanden, bezeichnet die Sündlosigkeit Jesu Christi bei Berkhof den Inhalt seines Heilswerkes in seiner Funktion der Stellvertretung. Wiewohl Barth die Sündlosigkeit Jesu Christi von ihrem Inhalt her ontisch versteht, faßt er ihre Bedeutung für sein Heilswerk doch in dem Sinne funktional auf, daß sie als solche dessen Inhalt bezeichnet. Wenn die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk dahingehend bestimmt wird, daß sie als solche dessen Inhalt bezeichnet, wird dadurch seine Person zugunsten seines Werkes funktionalisiert. Das ist aber nur dann möglich, wenn verkannt wird, daß die Sündlosigkeit in erster Reihe eine Aussage über die Person ist und ein bestimmtes Verhältnis zum Ausdruck bringt; wohl ist sie auch eine Aussage über das Werk, jedoch nur insofern es von dieser Person gewirkt wird und darin das Verhältnis, in dem diese Person steht und aus dem heraus sie wirkt, zum Ausdruck kommt, niemals aber kann sie das Werk selber bezeichnen. - Von daher ergibt sich

284

166

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 109.

als Konsequenz, daß die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für sein Heilswerk ausschließlich als dessen Bedingung bestimmt werden kann. b) Erfüllung der Bestimmung des Menschen Der vergleichenden Darstellung ist zu entnehmen, daß die Sündlosigkeit, die Jesus Christus als Mensch in seiner Einheit mit Gott gelebt hat, auch für das Verständnis des Menschseins von Bedeutung ist. Indem Jesus Christus als der Sündlose und der in personaler Einheit mit Gott Lebende der wahre Mensch ist, ist in ihm die Bestimmung des Menschen von Gott, das wahre Menschsein, verwirklicht und erfüllt und die Existenz des neuen Menschen in ihm Ereignis geworden. In Barths Verständnis ist dies in der Erhöhung des Menschseins Jesu Christi zur Einheit mit dem Sohn Gottes und damit zur Sündlosigkeit geschehen, wodurch das menschliche Wesen überhaupt zur Gemeinschaft mit Gott, zur göttlichen Bestimmung, erhöht worden ist. Diese Erhöhung bedeutet aber nicht, daß auch unser individuelles konkretes menschliches Wesen dieselbe Erhöhung erfahren wird und wir direkten Anteil an seinem wahren Menschsein bekommen, zumal - wie bereits gezeigt -285 von einer Wesenseinheit zwischen diesem und unserem empirischen Menschsein nicht gesprochen werden kann. Was hier zum Ausdruck kommt, ist der Gedanke der stellvertretenden Inklusivität, wie er auch bei Berkhof zu finden ist. Durch die in ihm geschehene Bundeserfüllung ist Jesus Christus nämlich als der sündlose der neue und wahre und als solcher insofern der eschatologische Mensch, als dadurch in ihm die göttliche Bestimmung allen Menschseins stellvertretend erfüllt ist.286 Der Gedanke der stellvertretenden Inklusivität besagt in diesem Zusammenhang, daß die in Jesu Christi wahrem Menschsein erfüllte göttliche Bestimmung durch seine Vermittlung uns zugute kommt, ohne daß wir daran jedoch direkten Anteil erlangen bzw. in solchem Sinn wahre Menschen werden könnten. Ahnlich, aber dennoch von Barth und Berkhof deutlich unterschieden, spricht Pannenberg davon, daß Jesus in seiner Sündlosigkeit als dem Implikat und zugleich Inhalt seiner personalen Einheit mit Gott der wahre und wirkliche Mensch ist, da es die Bestimmung allen menschlichen Daseins ist, "durch seine Beziehung auf Gott den Vater zur Person (des Sohnes) integriert zu werden". 287 Von daher besteht die Bedeutung der Sündlosigkeit

285 286 287

Siehe unsere Ausführungen S. 157. Siehe dazu i. bes. unsere Ausführungen S. 112. Siehe dazu Pannenberg, aaO., S. 358 bzw. unsere Ausführungen S. l l l f .

167

Jesu Christi für unser Menschsein in dieser seiner erfüllten Sohnschaft, in einem Verhältnis zum Vater, woran wir alle durch ihn - und nicht bloß in ihm, wie bei Barth - Anteil erhalten.288 In ähnlicher Weise kann auch bei Tillich von der durch das Neue Sein geschehenen Überwindung der existentiellen Entfremdung und Wiederherstellung der essentiellen Einheit mit Gott als dem dadurch verwirklichten wahren Menschsein gesprochen werden, an dem alle Menschen Anteil und damit die Erlösung bekommen, die in der Annahme des Neuen Seins und Umwandlung durch das Neue Sein besteht. 289 Aus der als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit Jesu Christi ziehen die BSLK keinerlei Folgerungen für das Verständnis seines Menschseins. Zwar sprechen der Kleine Katechismus und der Große Katechismus im Zusammenhang der Taufe von dem neuen Menschen, dem die Sünden vergeben worden sind290; in Analogie zu Jesus Christus, etwa in dem Sinn, daß er als der sündlose der neue Mensch sei, wird das aber nicht gesetzt. Von Bedeutung ist die Sündlosigkeit Jesu Christi allerdings für unser Menschsein, da sie uns als Gerechtigkeit zu unserer Rechtfertigung angerechnet wird, wodurch wir Vergebung der Sünden bekommen und zu neuen Menschen werden. Wir folgern, daß es berechtigt ist, von einer Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi für das Verständnis seines - und damit auch unseres Menschseins zu sprechen, da er sie ja auch in seiner Einheit mit Gott als Mensch gelebt hat. Als der sündlose ist Jesus Christus der wahre Mensch, der Mensch der göttlichen Bestimmung. Rechte Bedeutung für unser Menschsein hat diese Erfüllung aber nicht durch ihre Funktion der stellvertretenden Inklusivität (Barth, Berkhof), sondern erst durch unsere direkte Teilhabe an ihr (Pannenberg, Tillich, Barth), die uns durch sein Heilswerk ermöglicht wird. c) Aufnahme des Gehorsams in den Gottesbegriff Die Bedeutung der Sündlosigkeit für den Gottesbegriff besteht für Barth darin, daß sie, als Gehorsam verstanden, zum Grund des Begreifens der

288

Siehe dazu Pannenberg, ebd., S. 358 und auch 360: "Gerade auch an seiner Sohnschaft, an seinem Verhältnis zum Vater sollen durch ihn alle anderen Anteil erhalten. Gott hat seinen Sohn gesandt, damit durch ihn wir die Sohnschaft empfingen." "Die Christen werden Söhne Gottes nur, sofern sie an der Sohnschaft Jesu teilhaben. Und sie erlangen Anteil an der Sohnschaft Jesu nur im Maße ihrer Verbundenheit mit diesem einen Menschen, der als Mensch der Sohn Gottes ist." 289 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 112 bzw. 41f. 290 Vgl. dazu BSLK, S. 516 bzw. 704ff.

168

Gottheit Jesu Christi in seiner in Gehorsam vollzogenen Selbsterniedrigung ins Kreuz wird. 291 Das ist aber nur möglich, weil Barth dieses gesamte Geschehen von der Inkarnation her a priori als göttlich qualifiziert. Wo das nicht getan wird, bleibt die Sündlosigkeit ohne Bedeutung für den Gottesbegriff, da sie - recht verstanden - eine Aussage über das Menschsein Jesu Christi ist; sie von Gott auszusagen, ist Tautologie. d) Radikalisierung des Verständnisses der Sünde Die Einsicht, ein theologisches Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi impliziere ein radikales Sündenverständnis, ist berechtigt, da die Sünde als die menschliche Gesamtsituation erst durch Jesus Christus selbst offenbar geworden ist. Gerade in ihrer Radikalität ist sie aber durch Jesu Christi Sündlosigkeit überwunden.

291

Siehe dazu unsere Ausführungen S. 112.

169

C. Schlußteil Sündlosigkeit als Gerechtigkeit Entwurf eines Neuverständnisses von Sündlosigkeit und Menschsein

1. Der Grund des Bekenntnisses der Sündlosigkeit Jesu Christi Aufgrund des neutestamentlichen Zeugnisses von der Sündlosigkeit Jesu Christi halten wir an ihrem Bekenntnis fest und erarbeiten ihr Verständnis. Es wurde in der Einführung gezeigt, daß das Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu Christi in dem Sinn umstritten ist, als es in der Christologie entweder ganz unterschiedlich interpretiert, übergangen oder in Frage gestellt bzw. abgelehnt wird. Bedingt ist die jeweilige Einstellung ihm gegenüber durch das individuelle Vorverständnis, die persönliche Absicht und durch die Voraussetzungen, mit denen das Problem angegangen wird. Wir halten am Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu Christi fest, weil es durch die neutestamentliche Überlieferung in ihren wichtigen Stücken als gesichert gilt.1 Im folgenden sollen die neutestamentlichen Stellen, die die Sündlosigkeit Jesu Christi bezeugen oder zumindest auf sie hinweisen, herausgestellt und kurz bedacht werden. Im Zusammenhang mit dem in und durch Jesus Christus geschehenen Versöhnungshandeln Gottes führt Paulus II Kor 5,21 aus, daß Gott den, der keine Sünde kannte, um unseretwillen zur Sünde gemacht hat, damit wir durch ihn die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, würden. Jesus war sündlos, denn sein voller Gehorsam gegen Gott, in dem er gelebt und gehandelt hatte (Rom 5,19; Phil 2,8) 2 , Schloß jede Bekanntschaft mit der Sünde3, oder, an-

' Vgl. H. F. Weiss, Der Brief an die Hebräer, 297: "Das Motiv der Sündlosigkeit Jesu begegnet ... im NT in relativ breiter Streuung." So auch H. Windisch, Der Hebräerbrief, 39f., O. Michel, Der Brief an die Hebräer, 212f., R.A. Stewart, The Sinless High-Priest, NTS 14, S. 126-135, R. Willamson, Hebrews 4,15 and the Sinlessness of Jesus, ET 86, S. 4-8. 2 Vgl. unten unsere Ausführungen zu Rom 5,18-19 und Phil 2,8. 3 H. Binder, Der Glaube bei Paulus, S. 45, stellt fest: "Die uns geläufige Interpretation dieses Verses, die nur zum Ausdruck bringt, daß Jesus der Sündlose (...), unsere Sünde auf sich nahm, i s t . . . von einer Anschauung bestimmt, die einem abstraktindividualistischen Sündenbegriff huldigt." Da Paulus in der Sünde eine Macht, eine Herrschaft sieht, wird ginoskein hier "vielmehr besagen, daß Jesus sich mit der Sündenmacht nicht einließ, also ihre Herrschaft nicht zur Kenntnis nahm, d.h. nicht so handelte, wie Menschen gewöhnlich handeln." Ähnl. auch ders., Versöhnung als die große Wende, in: ThZ 29/1973, S. 31 lf.

173

ders ausgedrückt, seine Zugehörigkeit zum Machtbereich der Sünde4 aus5. Die Aussage, daß Gott diesen Jesus für uns "zur Sünde gemacht" hat, stellt nun aber nicht seine Sündlosigkeit sofort wieder in Frage oder hebt sie gar auf, sondern macht sie zur Bedingung des in Jesu Kreuzestod geschehenen Heilshandelns Gottes.6 Nur als der Sündlose konnte Jesus zur "Sünde", d.h. in abgekürzter Sprechweise, zum "Träger der Sünde"7 der Menschen, bzw. zum "Sündopfer"8 werden, wodurch sein Sterben am Kreuz zum stellvertretenden Sühnetod9 wird. Im Gedankenzusammenhang von II Kor 5,21 kann auch I Kor 1,3010 als Hinweis auf die Sündlosigkeit Jesu verstanden werden.11 Christus "wurde uns zur Gerechtigkeit" (δικαιοσύνη) durch seine Gerechtigkeit, d.h. durch sein in vollem Gehorsam geschehenes Sterben am Kreuz. Seine so verstandene Gerechtigkeit ist im Sinne von Rom 5,18f., wie weiter unten gezeigt wird, Inhalt seiner Sündlosigkeit. Ausgehend von einem Fall schwerer Unzucht fordert Paulus I Kor 5,1-8 die Gemeinde auf, statt in der sie verunreinigenden Schlechtigkeit in Lauter4 Siehe W. Schmithals, Α ι ΐ . γ ι ν ώ σ κ ω ginöskö wissen, kennen: EWNT I, S. 603. Schmithals zufolge besagt das aber nicht, daß Jesus "persönlich sündlos geblieben sei." Was bedeutet es dann aber, daß Jesus "nicht zum Machtbereich der Sünde gehörte"? (ebd.) 5 Sowohl R. Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, S. 166, als auch H.D. Wendland, Die Briefe an die Korinther, S. 208, wie auch F. Lang, Die Briefe an die Korinther, S. 303, stimmen darin überein, daß Paulus hier direkt die Sündlosigkeit Jesu bezeugt, wie sie auch in Rom 5,19; 8,3 und Phil 2,8 angesprochen ist. 6 R. Bultmann zufolge wird der sündlose Christus von Gott zum Sünder gemacht, indem er ihn "wie einen Sünder am Kreuz sterben läßt (Gal 3,13)", siehe ebd., S. 166f. 7 So versteht H.D. Wendland die Aussage, daß Jesus für uns "zur Sünde gemacht" worden ist, vgl. S. 208. 8 F. Lang, S. 303, deutet die Aussage von Gal 3,13 her und hält es für möglich, daß Paulus sich "an eine judenchristliche Glaubensformulierung angelehnt (hat), in der Jesus als Sündopfer beschrieben war (vgl. Sünde = Sündopfer 3.Mose 4,21.24; 5,12; 6,18 LXX)." Als "Sündopfer" versteht auch P. Stuhlmacher diesen Ausdruck, s. Biblische Theologie des NT I, S. 296. Hier ist die atl. Anschauung, der zufolge gemäß Lev 5,7 "durch die Darbringung in der wirksamen Gegenwart JHWHs das Tier im wörtlichen Sinne zur Sünde (wird), d.h. die 'hatta't'-Sphäre konzentriert sich auf ihm und wird gleichsam Fleisch in einem tierischen Wesen", auf Christus übertragen; vgl. K. Koch, ThWAT 11, S. 867. 9 F. Lang, ebd. 10 Siehe H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther, 68: "Den Kommentar gibt 2.Kor 5,21: Christus ist von Gott 'für uns' zur Sünde gemacht. So sind wir 'in ihm' Gottes Gerechtigkeit." So auch E. Fascher, Der erste Brief des Paulus an die Korinther I, S. 111; ähnlich auch F. Lang, S. 34. 11 Vgl. E. Fascher, ebd.: Christus ist dadurch unsere Gerechtigkeit, "daß Gott den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht hat ..."

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keit und Wahrheit zu leben, wie es dem neuen Sein entspricht 12 , das durch das Opfer Christi Wirklichkeit geworden ist. Indem Christus hier als "unser geopfertes Passa(lamm)" (v 7c) bezeichnet wird, ist nicht nur an die sühnende und befreiende Wirkung seines Opfertodes 13 gedacht, sondern auch daran, daß Christus in Analogie zum kultisch fehllosen Opferlamm ohne Sünde war, wie sich das sowohl von der Tradition14 wie vom Kontext her nahelegt. Angesprochen wird die Sündlosigkeit Jesu auch im Brief an die Römer und an die Philipper. Im Verständnis von Rom 5,18.19 ist die Rechttat oder die Gerechtigkeit Christi (δικαίωμα) sein Gehorsam 15 , der entsprechend Phil 2,8 sein ganzes Leben bestimmte und in dem er den Kreuzestod auf sich nahm. 16 Durch diese Gehorsamstat Christi geschieht die Rechtfertigung der Vielen. Wenn der Ungehorsam das Wesen der Sünde ist und die Verdammung bringt, ist der Gehorsam Christi seine zum Freispruch führende Gerechtigkeit 17 , bzw., anders ausgedrückt, seine Sündlosigkeit. 18 Laut Rom 8,3 "sandte Gott seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch." Das besagt ähnlich wie II Kor 5,21, daß Gott seinen Sohn in den Machtbereich der Sünde, das Sündenfleisch (σάρξ άμαρτιας) gesandt hat, damit er hier die Sünde entmachte. 19 Indem Jesus in vollem Gehorsam den Kreu-

12 Vgl. F. Lang, S. 74: "Das neue Sein in Christus wird als eine freudige, festliche Feier von der alten Existenz unter der Herrschaft der Sünde, des Gesetzes und des Todes abgehoben." 13 Siehe dazu H. Conzelmann, S. 119f.; ähnlich auch F. Lang, S. 73. 14 I Petr 1,19; Joh 1,29.36; 19,36; s. unsere darauf sich beziehenden Ausführungen unten S. 177f. bzw. 181ff. 15 So in Übereinstimmung mit H.W. Schmidt, Der Brief des Paulus an die Römer, S. 72 und 102, O. Michel, Der Brief an die Römer, S. 191; s. auch U. Wilckens, Der Brief an die Römer I, S. 326, z.St. 16 Siehe P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, S. 82, z.St. 17 Siehe P. Stuhlmacher, ebd. Anders dagegen U. Wilckens, ebd., S. 328, der in Christi Gehorsam nicht das Gegenbeispiel zum Ungehorsam Adams sieht, sondern die "Übereinstimmung mit der Gnade Gottes und darum Tat für die 'Vielen'", in der Gottes Tun "als die Kraft der Aufhebung der Sünde" zur Wirkung kommt. "An Christi υπακοή - als Gehorsam gegenüber der rechtfertigenden Gnade Gottes (sie!) hängt allein die Möglichkeit der Gerechtigkeit für die Menschen als Sünder." (Hervorhebung orginal) Diese konstruiert wirkende Interpretation vermag kaum zu überzeugen. 18 R. Bultmann stellt mit Recht fest: "Christi Sündlosigkeit: seine υπακοή Rom 5,19 (...); Phil 2,8 ..." ( in: Der zweite Brief an die Korinther, S. 166). Ähnl. auch H.F. Weiss, Hebr, S. 297: "Jesu Sündlosigkeit ... besteht konkret in seinem Tun und Verhalten, in seinem Gehorsam (Rom 5,19; Phil 2,8)." 19 Vgl. U. Wilckens, S. 125ff.

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zestod auf sich genommen und dadurch das "um der Sünde willen" (περί άμαρτίας) notwendige Sündopfer20 erbracht hat, sind die Menschen von der Macht der Sünde und des Todes zur Gerechtigkeit und zum Leben (v. 4) befreit worden. Das konnte Jesus aber nur als der tun, der selbst nicht unter der Sündenmacht stand21, wie das sein bis zum Tod durchgehaltener Gehorsam (Phil 2,8) 22 erweist.23 Dem Hebräerbrief Kap 4,15 zufolge haben wir in Jesus "nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht ist in allem gleich uns, doch ohne Sünde". Die Sündlosigkeit Jesu ist keine von vornherein feststehende und festzustellende Gegebenheit, sondern sie resultiert aus seinem konkreten Lebensvollzug24; dessen wesentliches Kennzeichen ist Jesu völlige Gleichheit und Solidarität mit den Menschen25, die insbesondere sein Versuchtsein und die ihm widerfahrenen Versuchungen mit einschließt, die er aber - und darin besteht seine Sündlosigkeit - durch seinen im Leiden gelernten, erwiesenen und bewährten

20 So in Übereinstimmung mit P. Stuhlmacher, S. 110, O. Michel, Rom, S. 251 und U. Wilckens, S. 127. 21 Vgl. P. Stuhlmacher, S. 110: "Er (Gott) hat seinen eigenen Sohn gesandt, der keine Sündenschuld besaß, damit dieser das Sündopfer sei für das unter dem Gesetz der Sünde und des Todes gefangengehaltene Gottesvolk. Mit diesem Sündopfer hat Gott die Sünde im Fleisch verurteilt..." U. Wilckens lehnt die Sündlosigkeit Jesu wegen des έν όμοιώματι σαρκός ά μ α ρ τ ί α ς ab (Rom II, S. 125), muß sie dann aber doch indirekt gelten lassen, wenn er argumentiert, "daß es der Sohn Gottes war, den Gott selbst in das Sündenfleisch gesandt hat, und der allein als solcher die Macht hatte, die Sünde in ihrem Herrschaftsbereich zu entmachten"; vgl. Rom II, S. 127. 22 Die Sündlosigkeit Jesu besteht für R. Bultmann in seinem Gehorsam, s. Anm. 18. 23 Auch für R. Bultmann steht im Hintergrund von Rom 8,3 die Sündlosigkeit Jesu, vgl. Anm. 18. 24 H. Windisch, Hebr, S. 39, stellt fest: "Die Sündlosigkeit, die der Verfasser Jesus zuschreibt, war also nicht eine einfache Folge seiner göttlichen Natur, sondern das Ergebnis bewußter Entscheidung und angespannten Kampfes, vgl. 5,7-9; 12,1-4 ..." Im Verständnis von P. Williamson bezieht sich die Wendung ohne Sünde auf das "Ende eines Prozesses" und bezeichnet nicht "a permanent condition", denn: "the sinlessness of Jesus was achieved and not innate" (aaO., S. 7 bzw. 5). Für O. Michel hängt "das Zeugnis des Hebr von der Sündlosigkeit Jesu ... an der Geschichtlichkeit Jesu und an der Überwindung der Anfechtung ... So ist sie abschließendes Ergebnis seiner Geschichte und Zeugnis von dem, was sich in seiner Geschichte abgespielt hat"; sie ist "ein Ereignis, aber kein 'Zustand'", nicht "eine Eigenschaft oder eine Qualität seiner 'Natur'" (S. 217). 25 Besonders nachdrücklich betont dies Kap 2,17f.: κ α τ ά π ά ν τ α τοις άδελφοΐς όμοιωθηναι. Ο. Cullmann zufolge stellt dies "vielleicht die kühnste Behauptung des absolut menschlichen Charakters Jesu dar, die sich im Neuen Testament findet"; s. Die Christologie des Neuen Testaments, S. 95.

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Gehorsam 26 bestanden hat.27 Dadurch aber ist sein Gleichsein mit den Menschen wie sein Menschsein überhaupt nicht relativiert, sondern "im Zusammenhang der paränetischen Implikationen der christologischen Aussagen in v. 15 geradezu notwendig." 28 Hebr 7,26 nennt Jesus einen Hohenpriester, "der da heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert ist" und bringt damit ebenso seine Sündlosigkeit zum Ausdruck 29 , wie Kap 9,14, das davon spricht, daß er sich selbst als ein Opfer ohne Fehl durch den Heiligen Geist Gott dargebracht hat. Dadurch setzt der Hebr Jesu Christi Lebensopfer in Analogie zum alttestamentlichen Opfer: das Opfertier mußte ohne Fehler - ά μ ω μ ο ς 3 0 sein. Das bedeutet, auf Jesus bezogen: er mußte sündlos sein 31 , wie das ja bereits Kap 4,15 gesagt worden war. Das spricht auch der I. Petrusbrief an, wenn wir entsprechend Kap 1,19 erlöst sind "mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. "32 Laut Kap 2,22.24 ist Jesus derjenige, der "keine Sünde

26 Siehe Kap 5,7f. H.F. Weiss schreibt: "Eben auf diesen von Jesus selbst in aller Versuchung erwiesenen Gehorsam, auf seine υπομονή im Leiden, ist ... auch die den v. 15 abschließende Wendung χωρίς άμαρτίας zu beziehen ... Als der 'Sündlose', d.h. als der im Leiden Gehorsame, ist Jesus erhöht ... worden ..." (S. 296f.) Siehe auch O. Michel, Hebr S. 213. Ähnl. auch E. Gräßer, An die Hebräer I, S. 256f. 27 So auch O. Michel, S. 213: "Die 'Sündlosigkeit' ist... Ausdruck der Überwindung der Versuchung, hängt aber mit der Tatsache der Versuchlichkeit und der Versuchungen Jesu aufs Engste zusammen und darf von diesem Boden nicht gelöst werden." Vgl. auch E. Gräßer: "Ohne Sünde heißt: Jesus ist der Gefahr des möglichen Abfalls nicht erlegen." (S. 256; Hervorhebung original). Siehe auch ders., S. 257. 28 H.F. Weiss, 296 Anm. 17. So auch R. Williamson: "The author of Hebrews did not intend to speak of Jesus' sinlessness in a way that excludet the human experience of sinning within a struggle against temptation" (aaO., S. 4f. und 7f.). Ähnlich auch Ο. Michel, S. 213. 29 Η. Strathmann, Der Brief an die Hebräer, stellt fest: "Die Sündlosigkeit des ntl. Hohenpriesters wird nicht bewiesen oder verteidigt, sondern nur festgestellt, wie in 4,15, aber freilich mit stärkstem Nachdruck: Er stand auf der Seite Gottes und hatte mit irgendwelcher Sünde nichts zu tun" (S. 114). Als solcher Hoherpriester mußte Jesus nicht wie der irdische Hohepriester am großen Versöhnungstag zuerst das Opfer für seine eigenen Sünden darbringen, da er ja, im Unterschied zu diesem, keine hatte (Kap 7,27; 9,7 - vgl. Ex 30,10). 30 "'άμωμος' bezeichnet im AT die kultische Fehllosigkeit des Opfertieres" (O. Michel, S. 314). S. auch H. Balz, Art. άμωμος amömos tadellos, untadelig: EWNT I, S. 175f. Vgl. Ex 29,1.38-42; Lev 22,17-25; Num28,3f.ll; Hes 43,22-27; 46,4-6.13. 31 So H.F. Weiss, S. 323f. und 297f., und auch H. Strathmann, S. 123. 32 W. Schräge, Der erste Petrusbrief, S. 77, denkt dabei an das Passalamm, das nach Ex 12,5 ohne Fehler sein mußte, während L. Goppelt, Der erste Petrusbrief, S. 123, es letztlich offen läßt, ob der Aussage die Vorstellung vom Passalamm oder vom kultischen Opferlamm, das auch fehlerlos sein mußte, zugrunde liegt. Unabhängig

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getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand, ... der unsere Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz". Hier wird das Motiv des unschuldig leidenden Gottesknechtes aus Jes 53,9.12 "auf Christus angewendet, um darauf hinzuweisen, daß er in seinem ganzen Verhalten ... dem Willen Gottes folgte." In der Gewißheit dieses Einsseins wird die Sündlosigkeit Jesu bekannt33, die wie bei Paulus II Kor 5,21 die Voraussetzung der Heilsbedeutung seines Kreuzestodes ist. Das drückt auch Kap 3,18 aus, wenn es dort heißt, daß Jesus als"der Gerechte34 für die Ungerechten" gestorben ist. Wenn nach alttestamentlichem Denken der ά δ ι κ ο ς aus dem Bereich des Gottesrechts ausbricht und dadurch mit Gott bricht35, so kann Jesus als der vor Gott und den Menschen Gerechte nur der Sündlose sein. 36 Obzwar die Synoptiker nicht explizit von Jesu Sündlosigkeit sprechen, finden wir bei ihnen doch deutliche Hinweise darauf. 37 Mk 1,24 par Lk 4,34 bekennt ein unsauberer Geist: "Du bist der Heilige Gottes." 38 Bei der Taufe Jesu Mt 3,13-17 sowie bei seiner Verklärung Mt 17,1-9 spricht eine Stimme vom Himmel: "Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens ist das Verhalten und Tun Jesu, das davon bestimmt ist, Gottes Willen zu erfüllen und das ihn deshalb als den Gehorsamen und Gerechten erweist. 39 In diese Richtung weist auch die Antwort Jesu auf den Widerstand des Täufers: "Laß jetzt, denn so

davon, welcher Deutung der Vorzug gegeben wird, sprechen in unserem Zusammenhang beide Möglichkeiten denselben Sachverhalt an. Einen unmittelbaren Bezug zu Jes 53,7 sehen weder Schräge noch Goppelt. N. Brox, Der erste Petrusbrief, lehnt einen konkreten inhaltlichen Bezug zum atl. Opferkult wie auch einen Bezug zum Passa, m.E. nicht überzeugend, ab und übergeht die Problematik der Sündlosigkeit Jesu völlig; s. S. 82f. 33 L. Goppelt, S. 206f. 34 Zum Zusammenhang des Gerechten und der Sündlosigkeit siehe unsere Ausführungen zu Act 3,14 und I Joh 2,1.29 u.3,7, unten S. 180f. bzw. S. 183. 35 Vgl. G. Schrenk, Art. δίκαιος: ThWNT I, S. 150f. 36 Vgl. auch L. Goppelt, S. 243. 37 O. Michel zufolge wird Jesus im Hebr "gemäß dem Evangelienbericht als der Sündlose geschildert" (S. 211). 38 Vgl. dazu sinngemäß unsere Ausführungen zu Joh 6,69, unten S. 182. 39 So mit Recht auch E. Schweizer, Das Evangelium nach Matthäus, S. 29, und neuerdings auch U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus 1/1, 156f. Dort heißt es im Zusammenhang mit der Taufe Jesu: "Der Gottessohn ist für ihn (Mt) ... vor allem der Gehorsame und sich Gottes Willen Unterstellende. Dieser Gedanke ist ihm so wichtig, daß er ihn in der folgenden Versuchungsgeschichte als Hauptgedanken wiederholt" (S. 156).

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gebührt es uns, alle Gerechtigkeit 4 0 zu erfüllen." (v 15) A u f solch vollkomm e n e n Gehorsam gibt Gott diese seine Antwort 4 1 , durch die er Jesus z u m Gottessohn proklamiert. 4 2 Das m ü s s e n zuletzt auch die M e n s c h e n angesichts des sich in seinem Sterben am Kreuz vollendenden Gehorsams anerkennen (Mt 2 7 , 4 3 neben 54) 4 3 . A l s Erweis solchen Gehorsams gegenüber Gottes W i l l e n und implizit der Sündlosigkeit Jesu dürfte auch sein Ü b e r w i n d e n der Versuchungen in der Wüste (Mk U 3 4 4 ; Mt 4 , 1 - 1 1 4 5 ) , durch Petrus (Mk 8,32) 4 6 , in Gethsemane (Mk 1 4 , 3 2 - 4 2 par) 47 und der diese alle g e w i s s e r m a ß e n zusammenfassende und sie übersteigende Versuchung Mt 2 7 , 4 0 4 8 zu verstehen sein. Einen impliziten H i n w e i s auf Jesu Sündlosigkeit könnte auch Lk 5 , 8 enthalten, w e n n hier Simon Petrus unter der überwältigenden Erfahrung des vollmächtigen Redens und Wirkens Jesu sich seiner e i g e n e n Sündhaftigkeit bewußt wird und ihn deshalb bittet, v o n ihm w e g z u g e h e n . Ihm ist die

40 Gedacht ist dabei "in umfassenderem Sinn an das Ganze des göttlichen Willens, wie ihn der matthäische Jesus auslegt", schreibt U. Luz z.St., s. S. 154. Ähnlich auch E. Schweizer, S. 29, und W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, S. 97f. sowie M.J. Fiedler, 'Gerechtigkeit' im Matthäus-Evangelium, S. 66 u. 72. 41 Vgl. W. Grundmann, S. 97f.: "Die Gerechtigkeit ist die vorbehaltlose und gehorsame Hingabe an den Willen Gottes ... Die Himmelsstimme offenbart Jesus als den Sohn Gottes ... und bestätigt ihn damit als den, der die ganze und volle Gerechtigkeit aufrichtet." 42 Vgl. U. Luz, S. 156. 43 Vgl. U. Luz, ebd. Ähnl. auch J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus II/2, zu Mk 15,39, s. S. 264 u. 324f. 44 J. Gnilka Mk, II/1 schreibt: "Damit ist nicht bloß angedeutet, daß Jesus die satanische Versuchung überwand, sondern auch, daß mit ihm die eschatologische Zeit anhebt. Antezipatorisch hat er den Satan besiegt ..." (S. 57f.) Das Bestehen der Versuchung zu Beginn seiner Wirksamkeit hat prinzipielle Bedeutung: "Bevor Jesus ... sein messianisches Amt antritt, wird er in bezug auf dieses versucht" (S. 59). 45 Vgl U. Luz, S. 156 (siehe Anm. 39), aber auch 166: "Mt will sagen: Jesus ist Gottessohn, indem er gehorsam ist, ... indem er das Grundgebot der Gottesliebe hält ... Der Gottessohn lebt vorbildlich von Gottes Wort allein her und gehorcht allein Gott." Siehe auch W. Grundmann, S. 103. 46 Vgl. dazu J. Gnilka, Mk II/2, S. 17ff. sowie W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, S. 220f. 47 Vgl. J. Gnilka, ebd., S. 261ff., E. Schweizer, S. 323, u. auch W. Grundmann, S. 397. 48 Vgl. E. Schweizer, S. 335f. Grundmann zufolge "rückt die Verspottung in die unmittelbare Nähe zur Versuchungsgeschichte (4,1-11). Wie am Eingang seines Wirkens so wird Jesus auch am Ausgang seines Wirkens unter Hinweis auf seine Sohnschaft zu Gott zur Selbsthilfe aufgefordert, und es wird deutlich: Sohnschaft ist gehorsames Vertrauen ..." (S. 559)

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"unendliche Distanz"49 zwischen ihm als sündigem Menschen und der ihm in Jesus begegnenden Heiligkeit aufgegangen, die die Geschiedenheit von aller Sünde bedeutet.50 Angesprochen ist die Sündlosigkeit Jesu auch in der Passionsgeschichte. Mt 27,4 muß Judas bekennen: "Ich habe unschuldiges Blut verraten"51, während die Frau des Pilatus diesen entsprechend Mt 27,19 mahnt: "Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten"52, aber auch Pilatus selbst spricht, indem er sich symbolisch die Hände wäscht, zum Volk nach gutbezeugter Leseart Mt 27,24: "Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten. "53 Lk 23,41 spricht der Schächer am Kreuz: "Dieser hat nichts Unrechtes getan", und Lk 23,47 bekennt der Hauptmann unter dem Kreuz: "Dieser Mensch war wirklich ein Gerechter."54 Selbst wenn sich die in diesen Schriftstellen enthaltenen Aussagen von der Unschuld Jesu unmittelbar auf sein Sterben am Kreuz beziehen sollten, so dürfte doch sein gesamtes irdisches Leben dabei mit im Blick sein, findet dieses doch gerade im Kreuzestod seine Verdichtung und Vollendung. Die Apostelgeschichte spricht Kap 3,14; 7,52 und 22,14 von Jesus als dem "Heiligen und Gerechten", der verleugnet, verraten und umgebracht worden ist. Dabei bezeichnet der Titel 'der Gerechte' Jesus vermutlich als den, der "in vollkommenem Gehorsam den von Gott vorgezeichneten Weg ging, wobei der Gedanke des gehorsamen Leidens eine nicht unerhebliche Rolle spielte."55 Der Verfasser denkt hier wie auch Lk 23,47 an Jesu "Un-

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E. Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, S. 68f. Das Bekenntnis Simons, verbunden mit einem Kniefall vor Jesus, ist von Bedeutung für das Verständnis der Person Jesu; E. Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, spricht in diesem Zusammenhang von der "unvergleichlichen Größe Jesu" (S. 68), W. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, und W. Wiefel, Das Evangelium nach Lukas, sprechen von der "göttlichen Vollmacht" und vom "göttlichen Herrn" (S. 128 bzw. 115). Nach biblischem Verständnis ist es die Begegnung mit dem Heiligen, die zur Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit führt, vgl. etwa Jes 6, Iff. 51 Bei einigen Textzeugen (B1 L Θ u.a.) heißt es bezeichnenderweise: "Ich habe gerechtes Blut verraten." 52 Vgl. E. Schweizer, S. 332: "Als Heidin spricht sie nur von 'jenem Gerechten', bestätigt damit aber seine Unschuld." Ähnlich spricht auch Grundmann von der Frau des Pilatus: "Ihre Prädizierung δίκαιος (vgl. 1,19; 13,17.43.49 u.ä.) stellt Jesu Schuldlosigkeit fest"; s. Mt, S. 554. 53 Zum Zusammenhang gerecht - unschuldig siehe G. Schrenk, Art. δίκαιος: ThWNT II, S. 189. 54 So die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen; Luther übersetzt "gerecht" mit "fromm". Siehe Anm. 53 u. 55. 55 J. Roloff, Die Apostelgeschichte, S. 75. Das gilt sinngemäß auch für I Petr 3,18; I Joh 2,1.29 u. 3,7; - vgl. auch unsere Ausführungen dazu, S. 177f. - R. Pesch 50

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schuld und Makellosigkeit" 5 6 . - Im Hintergrund v o n A p g 8 , 3 2 - 3 5 dürfte auch Jesu Sündlosigkeit stehen, w e n n der w i e ein L a m m zur Schlachtbank geführte, unschuldig leidende Gottesknecht aus Jes 5 3 , 7 auf Jesus gedeutet wird. 5 7 Implizit bezeugt auch Johannes die Sündlosigkeit Jesu, w e n n er Kap 1 , 2 9 hinweist auf "Gottes L a m m , das die Sünde der W e l t trägt". Wahrscheinlich denkt Johannes dabei an das Passalamm, w i e sich das auch v o n Kap 1 9 , 1 4 und 3 6 her nahelegen würde. 5 8 Nicht auszuschließen wäre auch ein B e z u g z u m kultischen Opferlamm 5 9 oder aber auch zu d e m mit einem L a m m verglichenen, unschuldig leidenden und die Schuld der M e n s c h e n sühnenden Gottesknecht v o n Jes 53 6 0 , mit d e m Jesus in der urchristlichen Tradition identifiziert worden ist 61 . Es ist aber auch durchaus denkbar, daß

sieht Jesus als Heiligen und Gerechten "ganz auf Seiten Gottes im Gegenüber zu den Sündern" stehen; s. Die Apostelgeschichte I, S. 153. Siehe auch unsere Ausführungen zu Joh 6,69, unten S. 182. 56 J. Roloff, ebd., S. 75. 57 Vgl. dazu sinngemäß unsere folgenden Ausführungen zu Joh 1,29. 58 Daß Jesus das wahre Passalamm ist, wird dadurch bezeugt, daß er gemäß Kap 19,14 im Unterschied zu den Synoptikern zu dem Zeitpunkt gekreuzigt wurde, an dem auch die Passalämmer geschlachtet wurden und daß ihm, nachdem er gestorben war, wie beim Passalamm gemäß Ex 12,46 die Knochen nicht gebrochen wurden (Kap 19,36). - So im Anschluß an Bultmann, Das Evangelium des Johannes, S. 525 bzw. 66f. und P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des NT, S. 135, während S. Schulz, Das Evangelium nach Johannes, S. 38f., und J. Schneider, Das Evangelium des Johannes, S. 70, in Joh 1,29 keinen Bezug auf das Passalamm zu erkennen meinen, da dieses, J. Schneider zufolge, keine sühnende Funktion gehabt habe. Dem aber ist mit J. Jeremias im Anschluß an Billerbeck IV, S. 40 zu widersprechen, da der Tod der Passalämmer im Judentum als Opfersühne galt, die die Erlösung aus Ägypten ermöglichte; vgl. ders., Die Abendmahlsworte Jesu, S. 216. 59 Während R. Bultmann einen Bezug auf die beiden täglich im Tempel geopferten Lämmer gemäß Num 28,3f. auch für möglich hält (S. 67), wird dieser von S. Schulz (S. 38) und J. Schneider (S. 70), von letzterem mit der Begründung, das sei kein Sühnopfer, verneint. Dagegen ist anzuführen, daß Lev 1,4 und 16,24 jedem dargebrachten Brandopfer eine sühnende Funktion zuerkennt, und ist auch auf Hes 43,22-27 zu verweisen. 60 So S. Schulz, S. 38f., J. Schneider, S. 70, und auch J. Jeremias, Art. άμνός: ThWNT I, S. 343. R. Bultmann hält den Bezug zu Jes 53,7 für wenig wahrscheinlich, da dort vom Tragen der Sündenstrafe und nicht von Beseitigung der Sündenschuld die Rede sei (s. S. 66f.). M.E. ist diese Unterscheidung im Blick auf Joh 1,29 ohne Belang. Jedoch ist darauf zu verweisen, daß das tertium comparationis des Vergleichs zwischen dem Gottesknecht und einem Lamm das Verstummen und nicht das Tragen der Sündenstrafe ist und es sich um keine Identifikation wie in Joh 1,29 handelt. 61 So z.B. Act 8,32-35, I Petr 1,19; 2,22 usw. Vgl. dazu ausführlich J. Jeremias, π α ι ς (θεοΰ), in: Abba, S. 191ff. 181

bei der neutestamentlichen Identifizierung Jesu mit dem Lamm diese verschiedenen Motive zusammenfließen, die dann durch das Jesusgeschehen gleichzeitig transzendiert werden, wie das an der Gestalt des Lammes in der Apk sichtbar wird. 62 Unabhängig jedoch vom Deutehorizont ist in unserem Zusammenhang von Bedeutung, daß sowohl das Passalamm als auch das kultische Opferlamm ohne Fehler sein mußte63, was, auf Jesus bezogen, dasselbe zum Ausdruck bringt, wie das Motiv vom unschuldig leidenden Gottesknecht: Jesu Sündlosigkeit, in der er die Sünde der Welt (hinweg) trägt. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Heiligen Gottes Joh 6,69 impliziert auch seine Sündlosigkeit. Als Heiliger steht er in einem besonderen Verhältnis zu Gott64, durch das er von der Welt und ihrem Wesen abgesondert, ganz zu Gott gehört65; das aber bedeutet die Geschiedenheit von aller Sünde. Dieses Verständnis legt sich auch von den anderen neutestamentlichen Stellen her nahe, die Jesus als der Heiligen66 bzw. parallel als Heiligen und Gerechten67 bekennen. Von Jesu Sündlosigkeit spricht in sachlichem Zusammenhang Joh 7,17f. und 8,46. Weil Jesus nicht anderes als den Willen seines Vaters tut und somit nicht seine eigene Ehre, sondern die des Vaters sucht, ist er wahrhaftig ( ά λ η θ ή ς ) und ohne jede Ungerechtigkeit, also sündlos. Jesu Sein in der Wahrheit, das in seinem Gekommensein vom Vater seinen Grund hat, schließt jede Sünde aus.68 Das wird Kap 8,34f. und 14,30 bekräftigt; wer Sünde tut, ist Knecht der Sünde. Da Jesus der Sohn ist, tut er keine Sünde, und der Fürst dieser Welt, der Teufel, hat keine Macht über ihn.69 Deshalb kann der Sohn von dieser Knechtschaft freimachen (8,36). Kap 9,16 zufolge sind die Zeichen, die Jesus kraft dieses seines Seins tut, Erweis seiner Sündlosigkeit. Auch der I. Johannesbrief bezeugt Jesu Sündlosigkeit. Kap 3,5 heißt es von ihm: "Er ist erschienen, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist

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Siehe bes. Apk Kapp 5, 7, 14. Vgl. Anm. 30. 64 Vgl. R. Bultmann, S. 345. 65 Zur Bedeutung des Begriffs s. H. Balz, Art. ά γ ι ο ς hagios heilig, rein: EWNT I, S. 38ff. 66 Mk 1,24 par Lk 4,34; Lk 1,35; Act 4, 27-30. Vgl. dazu auch das bedeutungsverwandte ά γ υ ο ς I Joh 3,3 - s. unten Anm. 70 u. 71. 67 Act 3,14, s. oben S. 180f. 68 Vgl. S. Schulz, S. 138: "Dafür daß Jesus die Wahrheit redet, verweist er auf seine Sündlosigkeit. Damit ist aber nicht eine sittliche Untadeligkeit gemeint, sondern sein Gekommensein von Gott ..."; s. auch S. 115. 69 Zur Problematik s. R. Bultmann, S. 488. 63

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keine Sünde", während Kap 2,1.29 und 3,7 sowie 3,3 von ihm in gleicher Weise als von demjenigen spricht, der gerecht bzw. rein (άγυος) 7 0 ist.71 Jesu so verstandene Sündlosigkeit gründet in seiner Herkunft aus Gott72 und ist auch hier die Voraussetzung dafür, daß er aufgrund seines Sühnopfers für die Sünden als Paraklet (Fürsprecher) 73 für seine Gemeinde bei Gott eintritt (Kap 2,1-2). 74 Angesichts dieser Breite der urchristlichen Überlieferung muß die Sündlosigkeit Jesu Christi auch in der Theologie der Gegenwart entsprechend ernst genommen werden. Aus dieser Übersicht ergeben sich für das Verständnis der Sündlosigkeit Jesu Christi einige wesentliche Folgerungen. 1. Für das Neue Testament ist die Sündlosigkeit eine Aussage über den Menschen Jesus in der geschichtlichen Wirklichkeit seines Lebens, die sein volles Menschsein und seine völlige Gleichheit und Solidarität mit den Menschen nicht in Frage stellt oder aufhebt, sondern voraussetzt und bewährt. 2. Die Sündlosigkeit Jesu resultiert aus seinem geschichtlich-konkreten Lebensvollzug, der ihn als in völliger Übereinstimmung mit Gottes Willen lebend und handelnd und diesen verwirklichend, als Gehorsamen und Gerechten und also als Sündlosen erweist. 3. Im Verständnis des Neuen Testaments ist die Sündlosigkeit Jesu Voraussetzung und Bedingung der Heilsbedeutung seines Lebens und Sterbens für die Menschen. 4. Für das Neue Testament ist die Sündlosigkeit Jesu keine objektiv feststellbare Gegebenheit, sondern Bekenntnis lebendigen, von der Auferweckung des Gekreuzigten herkommenden erkennenden Glaubens.

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Zur Bedeutung dieses im NT selten vorkommenden Wortes s. H. Balz, Art άγνος hagnos rein, lauter, keusch: EWNT I, S. 53. 71 Vgl. R. Bultmann, Die drei Johannesbriefe, S. 56: "Das και αμαρτία εν αυτώ ουκ εστίν besagt das Gleiche wie δίκαιος εστίν v.7 und schon 2,29 und wie das άγνός εστίν v. 3." So auch G. Strecker, Die Johannesbriefe, S. 89, 159 Anm. 47, 167ff., bes. 196f. Ähnlich, aber weniger deutlich auch H. Balz, Die Johannesbriefe, S. 169. 72 Vgl. Kap 3,9 und dazu G.Strecker, S. 147 und 171ff. 73 Zum "Parakleten" siehe ausführlicher G. Strecker, S. 89ff. 74 Vgl. G. Strecker, S. 163 bzw. 94, wo es i. bes. heißt: "Da er (Christus) als Sündloser am Kreuz Sühne geschaffen hat, kann er als ... Paraklet vor Gottes Thron stehen und wirksame Fürsprache für die Seinen leisten." Darin besteht seine hohepriesterliche Funktion. Siehe auch H. Balz, S. 169.

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Aufgrund des neutestamentlichen Bekenntnisses 4er Sündlosigkeit Jesu Christi und der daraus sich ergebenden Folgerungen wollen wir ihr Verständnis systematisch erarbeiten, wobei wir die Erkenntnisse, zu denen wir durch die im zweiten Teil dieser Schrift vorgenommene kritische Untersuchung gekommen sind, voraussetzen und verwerten.

2. Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi Erkenntnisgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi ist sein im Lichte der Auferweckung verstandener Daseinsvollzug. Da Jesus seine Sündlosigkeit als Mensch gelebt hat, gehen wir, um zu ihrer Erkenntnis zu kommen, von seinem irdischen Daseinsvollzug aus und fragen, wodurch dieser gekennzeichnet ist. Den Evangelien können wir entnehmen, daß Jesus nicht nur in seiner Verkündigung, sondern in seinem gesamten Verhalten den Anspruch zum Ausdruck bringt, daß die für die Endzeit verheißene Herrschaft Gottes ( β α σ ί λ ε ι α του θεοΰ) in ihm Ereignis geworden ist.75 Dieser Vollmachtsanspruch76 kennzeichnet seinen irdischen Daseinsvollzug. a) Diesen Vollmachtsanspruch bringt Jesus in seiner Verkündigung zum Ausdruck, deren zentrales Thema die Gottesherrschaft ist.77 Auffallend und ungewöhnlich ist, wie Jesus von Gott redet; indem er ihn mit "abba" (Mk 14,36) anredet, gibt er schon durch diese sprachliche Form zu erkennen, daß er sich bevollmächtigt weiß, "Gottes Offenbarung zu vermitteln, weil Gott sich ihm als der Vater zu erkennen gegeben hatte", und daß "Gott dem Menschen mit väterlicher Liebe begegnen will".78 Diese väterliche Liebe und Barmherzigkeit, auf die der Mensch in seinem Alltagsleben trauen und hoffen darf 9 , erweist sich aber im besonderen darin, daß Jesus Gott als den

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So W.G. Kümmel, Die Theologie des Neuen Testaments, S. 33, 44, 52, 59, in Übereinstimmung mit G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, S. 155, 158f., J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I, S. 121, L. Goppelt, Theologie des Neuen Testaments I, S. 11 Iff., 182, P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments, S. 66ff. Anders dagegen R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, S. 3ff. 76 P. Stuhlmacher spricht von Jesu "Hoheitsanspruch", bringt damit aber denselben Sachverhalt zum Ausdruck; vgl. ebd., S. 107ff. 77 J. Jeremias, ebd., S. 99, P. Stuhlmacher, ebd., S. 67. 78 W.G. Kümmel, ebd., S. 36 bzw. J. Jeremias, ebd., S. 73. Vgl. dazu überhaupt ders., S. 67ff., J. Gnilka, Mk II/2, S. 260. 79 Mt 6,26-31 par, Lk 12,30 par, Lk 11,2-4, Mt 6,6, Mt 20,Iff.

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zu verkündigen wagt, der nicht am Gerechten Gefallen hat, sondern am Sünder, der um seine Verlorenheit weiß. 80 Daher sieht sich Jesus bevollmächtigt, das zu tun, was Gott allein zusteht, nämlich den Menschen und im besonderen den Sündern die Vergebung zuzusprechen. 81 Das ist die Frohbotschaft, die Jesus den Armen nicht nur durch seine Worte 82 , sondern durch sein gesamtes Verhalten zuteil werden läßt.83 Jesus verkündigt Gott jedoch nicht nur als gütig handelnden Vater, sondern auch als den Gehorsam Fordernden und als zukünftigen Richter und beansprucht, nicht nur der authentische Verkünder des Willens Gottes84, sondern gleichzeitig auch derjenige zu sein, an dem sich aufgrund des Verhaltens der Menschen zu ihm der Ausgang des künftigen Gerichts entscheidet.85 Sein Heilsangebot gilt nämlich nicht nur den Armen bzw. Sündern, sondern auch den sogenannten Gerechten, denn indem Jesus die Vergebung ohne jede Vorleistung zuspricht, entzieht er ihrem Leistungsdenken jedwelche Basis und läßt auch sie allein auf Gottes Gnade angewiesen sein. Seine Drohworte gegen sie und die Aufforderung zur Umkehr implizieren ebenfalls einen Vollmachtsanspruch, der als unerhört empfunden wurde. 86 b) Diesen Vollmachtsanspruch bringt Jesus nicht nur in seiner Verkündigung, sondern in seinem gesamten Verhalten zum Ausdruck. 87 Jesus spricht den "Sündern", - d.h. all denjenigen, die durch ihr Gewerbe (Zöllner, Dirnen) oder ihren Lebenswandel (Ehebrecher, Heiden) das Gesetz nicht ernst 80 81

Lk 15,7.10; Lk 15,1 Iff.; Lk 18,9-14. Vgl. dazu bes. Mk 2,1-12 par, Lk 7,36-50. Siehe auch J. Jeremias, ebd., S.

115f. 82

Hierbei ist im besonderen an die Seligpreisungen Jesu Lk 6,20-23, aber auch Mt 5,3-12 gedacht, die das eschatologische Heil zusprechen, indem sie vor allem den Armen den Anteil an Gottes Herrschaft anbieten. (Vgl. auch L. Goppelt, ebd., S. 175f. und J. Jeremias, ebd., S. 11 Iff., 115ff., bes. 118.) 83 Mt 11,6 par. J. Jeremias nennt den Satz "den Armen wird das Evangelium verkündigt" das "Herzstück der Verkündigung Jesu" und verweist dafür i. bes. auf die Seligpreisung der Armen Lk 6,20: "Ihr habt teil an Gottes Herrschaft", sowie auf Jesu Wort Mk 2,17, daß er gekommen sei die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten." Siehe J. Jeremias, ebd., S. 111, 115 bzw. 118, überhaupt 111-123. 84 Vgl. dazu Jesu Stellung zum Gesetz. 85 Vgl. Lk 12,8f., Mt 8,32f., Mk 8,38 par. 86 Vgl. dazu ausführlich L. Goppelt, ebd., S. 185ff., § 14 Jesu Vergeben und die Gerechten, und die angeführten Belegstellen, sowie J. Jeremias, ebd., § 14, Der Weheruf, und § 15, Die Forderung der Stunde, S. 141 ff. 87 Vgl. P. Stuhlmacher, ebd., S. 81: "Was an Jesu Verkündigung bis heute fasziniert und schon für seine Zeitgenossen eindrücklich und ärgerlich zugleich war, ist die Bezeugung der anbrechenden Gottesherrschaft in der Ganzheit seines zeugnishaften Lebensvollzuges."

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nehmen oder es gar nicht kennen88 nicht nur die Vergebung zu, sondern er läßt sie für alle diese zur gegenwärtigen Wirklichkeit werden, indem er sich ihnen zuwendet: In Berufung auf die Vollmacht des Menschensohnes zur Sündenvergebung heilt Jesus den Gelähmten Mk 2,1-12 par. Er hat einen Zöllner zu seinem Jünger gemacht (Mk 2,14 par), er ist bei einem Zöllner eingekehrt (Lk 19,Iff.), er hat sich von einer Sünderin die Füße salben lassen (Lk 7,36ff.), und vor allem hat er mit "Zöllnern und Sündern" Tischgemeinschaft gehalten (Mk 2,15ff. par). Tischgemeinschaft aber bedeutet "Gemeinschaft vor Gottes Augen", da "jeder Mahlteilnehmer durch das Essen eines abgebrochenen Brotstückes Anteil an dem Lobspruch bekommt, den der Hausvater über dem ungebrochenen Brot gesprochen hatte", so daß Jesu Mahlzeiten mit den Zöllnern und Sündern "eschatologische Mahlzeiten, Vorfeiern des Heilsmahls der Endzeit" und also "Einschluß der Sünder in die Heilsgemeinde sind.89 - W.G. Kümmel urteilt in diesem Zusammenhang: "Jesus verwirklicht hier also ganz konkret und in einer Vollmacht, die die Gegner nur als lästerlich bezeichnen können, die göttliche Vergebungszusage und läßt seine Gegenwart dadurch zur Heilszeit werden. 1,90 Jesu Vollmachtsanspruch kommt auch in seinen Heilungen zum Ausdruck, die er selbst als Erfüllungsgeschehen 91 bzw. als Kommen der Gottesherrschaft deutet: "Wenn ich aber die Dämonen mit dem Geist Gottes austreibe, so ist die Gottesherrschaft zu euch gekommen." (Mt 12,28 par Lk 11,20).

Indem Jesus den Zwölferkreis der Jünger gründet (vgl. Mk 3,13-19 par), die Zwölf an seiner Verkündigung der Gottesherrschaft in Wort und Tat beteiligt (Mk 3,14 par; 6,7-11 par; Lk 9,1-6/Mt 10,1.7-11.14) und ihnen Anteil an der Gottesherrschaft zusichert (Lk 12,32; Mt 19,28/Lk 22,30), erhebt er den Anspruch, das für die Endzeit verheißene Heilswerk Gottes selbst zu tun: das Zwölfstämmevolk neu zu sammeln und wiederherzustellen.92 c) Jesu Vollmachtsanspruch resultiert in besonderer Weise aus seiner Stellung gegenüber dem Gesetz, und zwar zur schriftlichen Tora und zu deren mündlich überlieferten Auslegung, der Halacha. Jesus lehnt die Tora grund-

88 Zum Verständnis des "Sünders" vgl. L. Goppelt, S. 177f.; auch J. Jeremias, S. 11 Iff. 89 J. Jeremias, ebd., S. 117, P. Stuhlmacher, ebd., S. 72. 90 W.G. Kümmel, ebd., S. 40. 91 Vgl. die Antwort Jesu auf die Frage des Täufers Lk 7, 22-23 par in Verbindung mit Lk 4,16-21. Siehe auch P. Stuhlmacher, ebd., S. 80ff. 92 Siehe P. Stuhlmacher, ebd., S. 83.

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sätzlich nicht ab, übt an ihr aber Kritik in Gestalt von Auslassungen, durch Aufhebung einzelner Bestimmungen, durch Hinzufügungen und Verschärfungen 93 , wie das im besonderen in den Bergpredigtantithesen ("Ihr habt gehört, was zu den Alten gesagt ist ... ich aber sage euch ...") zum Ausdruck kommt. 94 Dagegen lehnt Jesus die mündliche Überlieferung, die Halacha, radikal ab, indem er die Sabbat- und Reinheitsvorschriften, wie auch die korban-Bestimmungen durch sein "Amen, ich sage euch ..." und sein daraus folgendes Verhalten aufhebt. 95 Indem Jesus dadurch bewußt seine Autorität der dem Mose und der Tora zuerkannten göttlichen Autorität gegenüberstellt, ohne sich dafür auf bestimmte Schriftworte oder auf irgendeine Tradition zu berufen, macht er sich selbst und sein Verhalten zum Maßstab und beansprucht, der authentische Kenner und Offenbarer des göttlichen Willens zu sein. Dadurch wird aber der Anspruch des Gesetzes, alleinige und letztgültige Offenbarung des Willens Gottes zu sein, relativiert bzw. aufgehoben. Eine besondere Bedeutung kommt der Tempelreinigung (Mk 11,15-17 par und Joh 2,13-17) zu, die vom Tempelwort Jesu Mk 14,58 par her zu verstehen ist. Als zeichenhafte Handlung weist sie auf das Ende des irdischen Tempels und Tempelkults und auf die Zeit des durch Gott errichteten eschatologischen Tempels (Ex 15,17-18) und des Anbruchs der Gottesherrschaft hin. 96 So wie Jesu Verkündigung messianische Züge trägt, sind auch die sie begleitenden Handlungen, seine Zuwendung zu den Armen mit Einschluß der Tischgemeinschaft, seine Heilungs-, Sättigungs- und Naturwunder, seine Totenauferweckungen, sein Umgang mit der Tora und der Tradition, die Gründung des Zwölferkreises der Jünger, sein demonstrativer Einzug in Jerusalem und die Tempelreinigung messianische Zeichenhandlungen. In voller Offenheit bekennt sich Jesus zu seiner messianischen Sendung beim Verhör vor dem Synhedrium (Mk 14,61-62 par). 97 Es ist nur zu begreiflich, daß dieser in seiner Verkündigung und in seinem gesamten Verhalten zum Ausdruck gebrachte messianische Anspruch

93 Vgl. P. Stuhlmacher, ebd., S. 104: "Jesus lehrt den Willen Gottes so, daß er die Tora vom Sinai gleichzeitig vertieft, hinterfragt und überbietet." 94 Vgl. dazu J. Jeremias, S. 198ff., aber auch 239ff. Siehe dort auch die entsprechenden Belege. So auch P. Stuhlmacher, ebd., S. 81 u. 102ff. 95 Vgl. dazu L. Goppelt, ebd., S. 140ff. und die dazugehörigen Belege. Ähnl. auch J. Jeremias, ebd., S. 201ff. und P. Stuhlmacher, ebd., S. 102f. 96 Vgl. P. Stuhlmacher, ebd., 83f. 97 Siehe ausführlich P. Stuhlmacher, ebd., S. 107ff.

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Jesu der in ihm Ereignis gewordenen messianischen Heilsgegenwart der Gottesherrschaft als unerhört empfunden wurde, auf schärfsten Widerspruch stieß und als Gotteslästerung sui generis beurteilt wurde: - Als ausgesprochen despektierlich Gott gegenüber mußte Jesu Gottesanrede "Abba" empfunden werden, da niemand es von sich aus gewagt hätte, diesen familiär-vertrauten Ausdruck auf Gott zu beziehen. 98 Noch viel mehr anstößig war jedoch Jesu Zuwendung und Umgang und im besonderen seine Tischgemeinschaft mit den Sündern, denn für damalige Begriffe kam das einem Gutheißen ihrer gelebten Gesetzesverachtung gleich." Unbegreiflich mußte auch Jesu Urteil über die Gerechten und Frommen sein, da sie überzeugt waren, durch ihr Verhalten das Gesetz zu erfüllen und dieses von ihnen als die eigentliche Lebensaufgabe betrachtet wurde. - Die eigentliche Herausforderung war aber die Tatsache, daß Jesus Vergebung der Sünden zusprach, was allein Gott zugestanden wäre100, die Tempelreinigung und die Tempelworte und seine kritische Haltung gegenüber dem Gesetz bzw. seine Ablehnung der Gesetzestradition, was als Selbstanmaßung göttlicher Autorität und also als Gotteslästerung verstanden wurde. 101 Gotteslästerung war aber ebenso wie der vorsätzliche Sabbatbruch und Drohworte gegen den Tempel ein Delikt, das mit dem Tod (und zwar durch Steinigung) bestraft wurde. 102 Jesu "Kritik an der Tora, verbunden mit der Ankündigung des Endes des Kultus, seine Ablehnung der Halacha und sein Anspruch, den abschließenden Gotteswillen zu verkündigen, sind der entscheidende Anlaß gewesen für das Vorgehen der Führer des Volkes gegen ihn, das dann durch die Tempelreinigung ausgelöst wurde", urteilt J. Jeremias. 103 Das eigentliche Motiv der Verurteilung Jesu zum Tod durch die jüdische Führung ist demnach der Vorwurf der Gotteslästerung (Mk 14, 64) 98 Darauf weist J. Jeremias, ebd., S. 72 hin. Ähnlich auch P. Stuhlmacher, der von nur zwei Fällen weiß, in denen zwei wundertätige Rabbinen, die in der 2. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. gelebt haben, Gott mit "abba" angerufen haben (ebd., S. 87). Das gibt auch H.-W. Kuhn zu, er sieht aber anders als J. Jeremias keinen Unterschied zu der im Diasporajudentum (z.B. Weisheit 14,3) gelegentlich verwendeten Anrede als πάτερ; s. Art. ά β β α abba Vater: EWNT I, S. 1-3. 99 Vgl. dazu L. Goppelt, ebd., S. 178. Jeremias bezeichnet die Tischgemeinschaft mit den Sündern als "das vorösterliche Skandalon" (S. 123). ,0 ° L. Goppelt, ebd., S. 181f., P. Stuhlmacher, ebd., 82. "" So mit Recht auch W. Pannenberg, ebd., S. 257f., P. Stuhlmacher, ebd., S. 115. 102 Ex 22, 27; Lev 24, 11-16; l.Kö 21, 10. 13. Vgl. dazu ausführlich J. Blinzler, Gotteslästerung, in: LThK IV, S. 1117-1119, aber auch ders., Der Prozeß Jesu, pass., sowie J. Jeremias, ebd., S. 265f. 103 J. Jeremias, ebd., S. 204. Ähnlich urteilt auch L. Goppelt, ebd., S. 27Iff.

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als Beanspruchung einer nur Gott zustehenden Vollmacht gewesen.104 Dementsprechend konnte Jesu Tod nur als die an ihm im Namen des Gottes Willen repräsentierenden Gesetzes vollzogene und also als Gottes Strafe selbst für sein gotteslästerliches Verhalten verstanden werden. Daraus müssen wir folgern, daß der irdische Daseinsvollzug Jesu an sich noch keine Erkenntnis seiner Sündlosigkeit vermittelt, da er durchaus zweideutig105 verstanden werden kann. Wenn nun aber das Neue Testament trotzdem die Sündlosigkeit Jesu gerade im Blick auf seinen Lebenswandel bezeugt, so ist ihm das nur möglich, weil es diesen bereits im Lichte des einen grundlegenden Ereignisses sieht, von dem es selbst herkommt: die Jesus widerfahrene Auferwekkung von den Toten.106 Inwieweit verhilft sie zur Erkenntnis seiner Sündlosigkeit? Die an Jesus geschehene Auferweckung von den Toten bedeutet Auferweckung zu einem neuen Leben, das nicht Fortsetzung des irdischen Lebens ist, das mit diesem jedoch in Zusammenhang steht. Das neutestamentliche Zeugnis hält an der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten fest.107 Wird demzufolge der Tod Jesu als Gottes Strafe für sein gotteslästerliches Verhalten verstanden, so kann seine Auferweckung zu neuem Leben durch Gott in diesem Zusammenhang nur bedeuten, daß Gott dadurch gerade dieses Verhalten bestätigt und gutheißt. P. Stuhlmacher drückt das so aus: "Gott hat Jesus durch die Auferweckung in seinem Werk und Opfergang bestätigt, wie es dem Gottesknecht in Jes 52,13-53,12

104 J. Blinzler, ebd., S. 1118, führt aus: "Als ( . . . ) Gotteslästerung galten im AT Worte, bisweilen auch Handlungen, durch die Gott selbst oder göttliche Einrichtungen ... beschimpft oder verhöhnt werden ... Auch gottloser Wandel kann als Gotteslästerung bezeichnet werden (...), überhaupt jede ... vorsätzlich begangene Sünde, ferner ... Drohworte gegen den Tempel, usw. ... Das Delikt der Gotteslästerung beging (zur Zeit Jesu) schon, wer freche Reden gegen die Tora führte ( . . . ) oder sonstwie 'seine Hand nach Gott ausstreckte' ... Demgemäß wurden Jesu Anspruch auf die Sündenvergebungsgewalt (Mark 2, 7 par.) und seine Aussage 'Ich und der Vater sind eins' (Joh 10, 30-36) als Gotteslästerung empfunden ... und (er wurde) als der Gotteslästerung schuldig zum Tod verurteilt." - So urteilt auch Pannenberg, ebd., S. 258ff. und P. Stuhlmacher, ebd., S. 115f. 105 Auf diese Zweideutigkeit der Situation Jesu hat mit Recht Pannenberg aufmerksam gemacht, s. ebd. S. 260 und auch S. 377. 106 Zur Übersicht über die Diskussion siehe ausführlicher Pannenberg, Die historische Problematik der Auferstehung Jesu, ebd., S. 85ff., L. Goppelt, Das Ostergeschehen und das Osterkerygma, ebd., S. 277ff., Hans Graß, Ostergeschehen und Osterberichte, pass. 107 Vgl. Lk 24, 39; Joh 20, 27 usw.

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verheißen und dem Messias in Ps 110,1 zugesagt ist."108 Das bedeutet, daß die Auferweckung den messianischen Anspruch Jesu der Vorwegereignung der Gottesherrschaft legitimiert und Jesus als Messias/Christus erweist. 109 Wenn Gott in dieser Weise den Daseinsvollzug Jesu bestätigt hat, ist Jesu Verkündigung und sein ganzes Wirken und Verhalten gerade das Gegenteil dessen, als was es verstanden wurde. Es ist nicht eigenmächtige Anmaßung von göttlicher Vollmacht und also Gotteslästerung, sondern Ausdruck völliger Übereinstimmung mit Gottes Willen und Werk. 110 Ist Sünde als (vermeintliche) Eigenmächtigkeit Wider-Spruch, Auflehnung und Wider-Stand gegen Gott, so kann Jesu bestätigte Übereinstimmung mit Gott und dessen Heilswillen in seinem Wollen und Wirken nur sein Freisein von aller Sünde, seine Sünd-losigkeit111, bedeuten.

3. Der Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi ist die in seinem Verhältnis zu Gott, zu den Menschen wie zur Schöpfung als Gehorsam und Liebe gelebte, durch seine Auferweckung als solche erwiesene Gerechtigkeit. Als bestätigendes Urteil und Entscheidung Gottes über Jesu Lebensvollzug verhilft die Auferweckung nicht nur zur Erkenntnis seiner Sündlosigkeit, sondern auch zu deren inhaltlicher Bestimmung. Worin besteht demnach

108

Ebd., S. 168. Ähnlich auch J. Jeremias, ebd., S. 285 und W . G . Kümmel, ebd., S. 94: "Die Erfahrung der Auferweckung aber hatte ... davon überzeugt, daß Jesu Anspruch doch recht gehabt hatte und von Gott bestätigt worden war." Siehe auch L. Goppelt, ebd., S. 286 und 296f. 109 Vgl. dazu P. Stuhlmacher, ebd., S . 1 6 8 u . bes. 171: Der "Χριστός-Titel ... verbindet den Rückblick auf die Passion, die Jesus als messianischer Menschensohn erlitten hat, mit dem Bekenntnis zu seiner Auferweckung und Erhöhung Gottes gemäß Ps 110,1." 110 P. Stuhlmacher schreibt (ebd., S. 173): "Seine Erscheinung εν δόξη wies den Gekreuzigten als den von Gott bestätigten und mit ewigem Leben beschenkten 'Gerechten' (Lk 23,4; Apg 22,14) aus." ' " Paul Althaus stellt fest: "So macht erst Ostern dessen gewiß, was keine historisch-psychologische Wahrnehmung an dem geschichtlichen Bilde Jesu für sich feststellen kann, der 'Sündlosigkeit', der Ganzheit und Unbeflecktheit des Glaubens und der Liebe Jesu. Ostern bekundet erst völlig, daß Jesus von dem Gesetze der Sünde frei war, das alle andern Menschen gefangenhält." (Die christliche Wahrheit, Gütersloh 8 1972, S. 432) - Auch O. Weber ist der Ansicht, daß die Sündlosigkeit Jesu erst vom Kreuz und von der Auferstehung her als solche zu erkennen ist; er führt den Gedanken aber, wie Althaus, nicht weiter aus (Grundlagen der Dogmatik II, S. 50).

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seine durch die Auferweckung als Übereinstimmung mit Gott erwiesene Sündlosigkeit? Da Jesu Anspruch, zur messianischen Verwirklichung der Herrschaft Gottes bevollmächtigt zu sein, wie auch seine vertrauliche Gottesanrede von der Auferweckung her nicht Gotteslästerung, sondern gerade im Gegenteil Ausdruck seiner völligen Übereinstimmung mit Gott und seinem Willen und also Sündlosigkeit ist, kennzeichnet sie als solche Jesu Verhältnis zum Vater. Dieses erweist seinen Gehorsam, in dem Jesus mit allen damit verbundenen Konsequenzen lebt und handelt und auch den Tod auf sich nimmt, und seine Liebe, in der er sich Gott und seinem Willen hingibt, und ist als die vollkommene Erfüllung des Gebotes der Gottesliebe zugleich der Grund seines Verhältnisses zu den Menschen wie zur Schöpfung insgesamt. Indem von der Auferweckung her Jesu Handeln an den Menschen in völliger Übereinstimmung mit Gott geschehen ist, kennzeichnet seine Sündlosigkeit auch sein Verhältnis zu den Menschen. Es beinhaltet seine Zuwendung zu allen Menschen, vor allem zu den Verachteten und Sündern, aber auch zu anderen Hilfsbedürftigen, und seinen Umgang mit ihnen, wodurch er ihnen Gottes Barmherzigkeit und Liebe zuteilwerden läßt. Ungeachtet des Widerspruchs zu aller Überlieferung, aber auch des Spottes, des Anstoßes und der Anfeindungen wie auch der Lebensgefahr, der er sich dadurch aussetzt, beruft er in seine Nachfolge, heilt verschiedene Gebrechen, errettet aus Bedrohungen, erweckt vom Tod, schenkt seine Tischgemeinschaft, spricht Vergebung der Sünden zu und verheißt Teilhabe an der Gottesherrschaft. Als solches erweist es seine Liebe zu den Menschen, die in seinem Gehorsam und in seiner Liebe zu Gott gründet, und ist die Erfüllung des Gebotes der Nächstenliebe. Da Gott nicht nur der Schöpfer und Herr der Menschen, sondern der ganzen Natur und Welt ist, impliziert Jesu Verhältnis zum Vater und zu den Menschen auch ein Verhältnis zur Natur als Gottes Schöpfung. Dieses ist in seiner Verkündigung und in seinem Handeln vorausgesetzt und angesprochen und spielt darin eine wesentliche Rolle. Da es aber im Neuen Testament explizit wenig thematisiert ist und sich auch die theologische Forschung damit bislang nur beiläufig beschäftigt hat, sind wir, um darüber sprechen zu können, vor allem auf Rückschlüsse angewiesen. Daher werden wir uns damit etwas ausführlicher befassen müssen. Jesu Verständnis von der in ihm gekommenen Gottesherrschaft ist wesentlich vom Alten Testament und von der Tradition112 her, in der er steht, 112 Das ist zur Zeit Jesu i. bes. der Jerusalemer Tempelkult und die synagogale Liturgie und im alltäglichen Leben der frommen Juden das tägliche Gebet des Schema' Israel. Vgl. dazu ausführlich M. Hengel und A.M. Schwemer, Königsherrschaft Gottes

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bestimmt. In der Erschaffung der Welt durch Gott ist auch seine Herrschaft über sie begründet, wie das vor allem die sogenannten "Thronbesteigungspsalmen", jetzt z.T. einfach "Jahwe-König-Hymnen" genannten Psalmen" 3 , aber auch prophetische Texte der exilischen 114 und nachexilischen Zeit115 zum Ausdruck bringen. Das bedeutet konkret, "daß es bei der Gottesherrschaft stets um die Wirksamkeit und Durchsetzung der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes geht. Sie garantiert und schafft Frieden und Ordnung für alle Geschöpfe Gottes."116 Diesem universalen Verständnis der Gottesherrschaft entspricht Jesu Verhältnis zur Schöpfung, wie es in seiner Verkündigung und seinem Handeln zum Ausdruck kommt. Gegenstand der Verkündigung Jesu ist die Gottesherrschaft. Von ihr spricht er in Gleichnissen, Bildern, Sprüchen und sonstigen Reden und verweist darin immer wieder unmittelbar und mit Vorliebe auf die Schöpfung in ihrem Leben und ihren vielfältigen Vorgängen und Bezügen, wodurch sie zu einem Teil seiner Verkündigung wird. Er bringt sie zum Reden117, wie das beispielhaft in den Gleichnissen vom viererlei Ackerfeld (Mk 4,3-8), von der von selbst wachsenden Saat (Mk 4,26-29), vom Senfkorn (Mk 4,30-32), vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24-30), vom Fischnetz mit den guten und schlechten Fischen (Mt 13,47-50) geschieht,

und himmlischer Kult, S. 3, sowie - im Blick auf Qumran - S. 48 u. 76, und auch P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 69f. Zur Vorgeschichte im Judentum s. L. Goppelt, Theologie des NT, S. 98ff. 113 Das sind die Psalmen 47, 93, 96, 97, 98, 99. Ihr zentraler Inhalt ist der Ruf: JHWH malak - Jahwe ist König. "In diesem Königtum aber wird nicht nur seine Königsherrschaft über Israel, sondern die weltweite, die ganze Schöpfung umfassende Königsherrschaft ausgesagt ..." ; siehe W. Zimmerli, S. 32 (Hervorhebung von mir), ähnlich auch G. von Rad, S. 374f., und i. bes. H.J. Kraus, Die Königsherrschaft Gottes in den Psalmen, pass., sowie neuerdings Jörg Jeremias, Das Königtum Gottes in den Psalmen, bes. S. 149ff. 114 Jes 45,18-25; 52,7-9. 115 Mi 2,12f.; 4,6-8; Zeph 3,14f.; Sach 14,6-11.16f.; Dan 2,44; 7,14; Ob 21. 116 P. Stuhlmacher, Bibl.Theol., S. 70 (Hervorhebung von mir). 117 Das Reden der Schöpfung thematisiert O. Bayer in: Schöpfung als Anrede, anhand einer Untersuchung des Schöpfungsverständnisses von Hamann und Luther. Dort heißt es S. 16: "In der von Jesus Christus, dem 'Exegeten' Gottes hergestellten Vermittlung reden Natur und Geschichte als Schöpfung; Jesus Christus ist der Schöpfungsmittler", und S. 150 These 2: "Jesus Christus bringt uns das Reich Gottes ... als Schöpfungsmittler, der die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf der Erde für die Sorge des himmlischen Vaters sprechen läßt ..."; daß und in welcher Weise die Schöpfung gerade durch Jesus Christus zur Anrede an den Menschen wird, ist allerdings nicht weiter ausgeführt, wiewohl der Verfasser in These 3, S. 151, festhält: "Das Reich Gottes als Raum der Schöpfung, Erhaltung und Vorsehung bleibt ohne den Schöpfungsmittler vieldeutig oder, anders gewendet, stumm."

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oder in seinen Reden von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde (Mt 6,26ff.), von den geringen Sperlingen, von denen dennoch keiner ohne Gott zur Erde fällt (Mt 10,29-31), vom grünenden Feigenbaum, der den Sommer ankündigt (Mk 13,28) oder vom verlorenen und gefundenen Schaf (Lk 15, Iff.). 118 Dadurch läßt Jesus die Schöpfung über sich selbst hinausweisen und zur "Predigerin Gottes"119 werden. Indem sich in Jesu Verkündigung das bereits ereignet, was sie bezeugt, nämlich das Kommen der Gottesherrschaft, ist die Schöpfung als Teil der Verkündigung in dieses Geschehen mit einbezogen und ist zugleich auch auf sie bezogen. Diese Aufwertung der Schöpfung zum "Spiegel und Gleichnis"120 der Gottesherrschaft durch Jesus gründet in seinem unmittelbaren, ungebrochenen Verhältnis zu ihr - als Schöpfung Gottes. Deutlicher kommt Jesu Verhältnis zur Schöpfung in seinem Handeln zum Ausdruck, das gleichsam "Kommentar"121 seiner Verkündigung ist. Am Anfang seines Wirkens steht bei Lukas seine sogenannte Antrittspredigt in Nazareth (Lk 4,16-21), die programmatisch verstanden werden und Aufschluß über seine Sendung geben will. Ihr ist ein wesentlicher Hinweis auf das aus Jesu Wirken resultierende Verhältnis zur Schöpfung zu entnehmen. Jesus verkündigt die Erfüllung der messianischen Erwartungen aus Jes 61,l-2a (mit dem Einschub Jes 58,6) in seinem Wirken als der gesalbte Gesandte Gottes, zu dem im besonderen das "angenehme Jahr des Herrn" gehört.122 Versteht man dieses als das Lev 25,8-12 gebotene Jobel- oder Erlaßjahr, dann sind nicht nur die Menschen, sondern die ganze Schöpfung in Jesu befreiendes messianisches Wirken mit einbezogen. Wie schon jedes siebente Jahr als Sabbatjahr gehalten werden sollte, in dem weder gesät noch geerntet werden durfte und dadurch auch die Tiere nicht arbeiten mußten (Lev 25,1-7), so sollte auch in dem nach allen sieben mal sieben Sabbatjahren folgenden Jobeljahr auf keinerlei Weise in die Natur eingegriffen werden. 123 Es ist, wie das Sabbatjahr, "ein Zeichen dafür, daß die Erde nicht dem Menschen, sondern Gott gehört und in ihrer Gottesbeziehung ein eigenes

" 8 Zu weiteren Stellen siehe O.H. Steck, Welt und Umwelt, S. 176ff. 119 G. Bornkamm, Jesus, S. 108f. Siehe auch K.H. Schelkle, Theologie des NT, S. 27ff. 120 Chr. Link, Die Welt als Gleichnis, S. 116. Siehe auch E. Jüngel, Paulus und Jesus, S. 135ff. sowie W. Stählin, Gleichnisrede und Gleichnisdenken: Symbolon I, S. 34. 121 E. Jüngel, S. 139. 122 So, in sachlicher Übereinstimmung W. Grundmann, Lk, S. 120f. u. E. Schweizer, Lk, S. 58. Siehe auch A. Strobel, Kerygma und Apokalyptik, S. 107. 123 Siehe auch Chr. Link, Schöpfung, S. 386.

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Recht hat."124 Das Kommen der Gottesherrschc.ft in Jesu Verkündigung und Wirken bezieht sich also auch auf die Schöpfung und bringt ihr den messianischen Frieden. In diese Richtung weisen dann konkret die Stellung Jesu zum Sabbat und die Dämonenaustreibungen, durch die sein Handeln gekennzeichnet ist125, wozu er auch seine Jünger bevollmächtigt126. Während Krankenheilungen die personale Seite seines Handelns darstellen, sind die Dämonenaustreibungen dessen kosmische Seite.127 Dämonen sind personhaft vorgestellte, rebellierende Mächte, die die Schöpfung versklaven, pervertieren und zerstören.128 Besonders deutlich wird dies in der Erzählung von der Stillung des Sturmes Mk 4,37-41, als dessen Verursacher dämonische Mächte angesehen werden, die das Leben bedrohen und die Schöpfung ins Chaos stürzen.129 Indem Jesus gleichsam in Kampfhandlungen Dämonen austreibt und Stürme stillt130 und dadurch131 die Mächte der Zerstörung überwindet, befreit er die Schöpfung, richtet die Gottesherrschaft über ihr zeichenhaft auf und bringt ihr das Heil. 132

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J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, S. 333, aber auch ders., Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, S. 290ff. - Siehe auch unsere Ausführungen zur Stellung Jesu gegenüber dem Sabbat, unten S. 195. 125 Vgl. Mk l,23ff.par; 3,11.22ff.par; 5,Iff.par; 9,25ff.par. 126 Vgl. Mk 3,15; 6,7-13par. 127 J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 125. 128 Eine sehr gegenwartsbezogene und nahegehende Aktualisierung des als Besessenheit verstandenen Beherrschtseins durch dämonische Mächte bringt E. Käsemann in seinen Aufsätzen: Die Heilung des Besessenen, aaO., S. 189ff., und: Aspekte der Kirche, aaO., S. 7ff. wie auch J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 130f. 129 Vgl. J. Gnilka, Mk I, S. 195f.; E. Käsemann, Die Heilung des Besessenen, S. 193. 130 Mk 4,39 hat seine Entsprechung in der parallelen Erzählung vom Seewandel Jesu Mk 6,51. 131 W. Schräge sieht auch in den Heilungen "Schöpfung und Neuschöpfung zusammengedacht. 'Er hat alles wohlgemacht' (in Mk 7,37 auf die Heilung von Tauben und Stummen bezogen), das klingt gewiß wie eine Anspielung auf die Schöpfungsgeschichte (vgl. außer Gen 1,31 auch Sir 39,16). Und wer das Schelten der Chaosmächte (vgl. Ps 104,7; 106,9; 107,29 und Mk 4,39) auf den Befehl Jesu an die Dämonen überträgt (Mk 1,25 par, 9,25par; Lk 4,39), für den ist offenbar Heilung mit Entdämonisierung der Welt und der erneuernden Wirksamkeit des Schöpfers identisch"; siehe: Heil und Heilung im NT, aaO., S. 211. Ähnlich auch J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 129 und auch 118. 132 So auch E. Käsemann, Die endzeitliche Königsherrschaft Gottes, aaO., S. 221, und auch ders., Art. Wunder im NT: RGG 3 VI, S. 1835-1837, aber auch W. Schräge, ebd., S. 207f.

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Auch Jesu Haltung gegenüber dem Sabbat gibt über sein Verhältnis zur Schöpfung Aufschluß. Indem er den Sabbat im Sinne von Ex 20,10 grundsätzlich bejaht, anerkennt er, daß dies der Tag ist, an dem der Mensch weder durch seine Arbeit noch durch die seiner Tiere in die Natur eingreifen, sondern sie als Gottes Schöpfung wahrnehmen und achten soll.133 Der Sabbat hat also von Anbeginn kosmische Dimensionen. Durch sein eigenes Verhalten gibt Jesus dem Sabbat seinen ursprünglichen Sinn als Geschenk und Wohltat Gottes für seine ganze Schöpfung, Mensch und Tier mit einbegriffen, zurück, wie das im besonderen aus Lk 13,10-16 hervorgeht. Jesus heilt am Sabbat eine verkrümmte Frau, indem er sie von ihrer dämonischen - Jesus sagt: satanischen - Gebundenheit befreit und dadurch Gottes Heilswillen für seine Schöpfung im Sinne unserer vorherigen Ausführungen zeichenhaft verwirklicht. Diese Schöpfung Gottes und ihre Bestimmung zum Leben hat Jesus auch im Blick, wenn er dem daraufhin protestierenden Synagogenvorsteher zu bedenken gibt, daß Ochs und Esel selbstverständlich auch am Sabbat von der Krippe losgebunden und zur Tränke geführt werden. In ähnlicher Weise rechtfertigt Jesus seine Sabbatheilungen Lk 14,5 und Mt 12,1 lf. durch seinen Hinweis, daß am Sabbat in den Brunnen oder in die Grube gefallene Tiere selbstverständlich herausgezogen werden. Solches Tun wäre, wenn es um der Erhaltung des Besitzes wegen geschähe, am Sabbat verboten. 134 Daß Gott es aber zuläßt, geschieht um der leidenden und bedrohten Geschöpfe willen. In diesem Sinn könnten wir das Jesuswort Mk 2,27 ausweiten und sagen: Der Sabbat ist um der Schöpfung willen gemacht, und nicht die Schöpfung um des Sabbat willen. Einen Hinweis auf Jesu Verhältnis zur Schöpfung gibt die zu Beginn seiner Wirksamkeit im Zusammenhang mit seinem Aufenthalt in der Wüste stehende Aussage Mk 1,13c: "Und er war bei den (wilden) Tieren." Damit ist nicht die Bedrohung durch die Wüstentiere gemeint, die zu seiner Versuchung durch den Satan noch hinzukommt; vielmehr soll damit angedeutet werden, daß die Tiere "in der Gemeinschaft mit Jesus sind"135, bzw. daß

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H. Gese stellt fest, daß dem Sabbatgebot das Kriterium zugrunde liegt, ob "bei einer menschlichen Handlung in die 'Natur', in die Umwelt eingegriffen wird, oder ob dieses Handeln im rein menschlichen Bereich verbleibt." Es geht um die Integrität der Lebenswelt des Menschen, um die "restitutio ad integrum der Schöpfung." (Siehe: Das Gesetz, in: Zur Biblischen Theologie, S. 79) Zur Bedeutung des Sabbat für die Schöpfung siehe auch J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, S. 297ff., sowie Chr. Link, Schöpfung, S. 386. Siehe auch J. Ebach, Schöpfung in der hebräischen Bibel, in: G. Altner (Hg.), Ökologische Theologie, S. 124f. 134 Vgl. Ex 31,14. 135 J. Gnilka, Mk I, S. 57.

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Jesus den Tieren seine Gemeinschaft schenkt. Dadurch dürfte angedeutet sein, daß Jesus die seit dem Sündenfall bestehende Feindschaft zwischen Mensch und Tier (Gen 3,15) aufgehoben und der Schöpfung den in Jes 11,6-8 und 65,25 verheißenen messianischen Frieden gebracht hat.136 Dadurch, wie durch seine Dämonenaustreibungen, Heilungen und seine souveräne Haltung gegenüber dem Sabbat wird deutlich, daß sich Jesus, indem er sich als der messianische Bringer der Gottesherrschaft verstand und als solcher bekannt und geglaubt wurde, gemäß den messianischen Erwartungen Israels137 in seiner Sendung auf die Schöpfung insgesamt bezogen wußte. Jesu Verhältnis zur Schöpfung resultiert auch aus seinem Sterben am Kreuz. Er hat es im Bewußtsein seiner messianischen Sendung auf sich genommen138, so daß es von daher nicht nur um der Menschen, sondern um der ganzen Schöpfung willen geschehen ist.139 Weil nach biblischem Verständnis der Mensch durch seine Sündenschuld einen verhängnisvollen Geschehenszusammenhang140 auslöst, von dem die ganze Schöpfung betroffen ist141, bezieht sich Jesu Kreuzestod als Entsühnung der Schuld des

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Vgl. J. Gnilka, ebd., S. 57f.; ähnl. auch E. Schweizer, Mk S. 22. Siehe auch J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, S. 333. 137 Jes 61,1-2 - vgl. Lk 4,18-21; Jes 9,1-6; 11,1-8; 65,25. Die messianische Perspektive spielt bei O.H. Steck in seiner theologisch fundierten Untersuchung 'Welt und Umwelt' leider keine Rolle. 138 P. Stuhlmacher resümiert mit Recht, daß "Jesus die Passion und die Kreuzigung als Konsequenz seiner messianischen Sendung auf sich genommen h a t . . . " (Bibl. Theol., S. 154) Siehe dazu ausführlicher ebd., §11 Die Konsequenz der Sendung Jesu: Passion und Kreuzigung, S.143ff. 139 Auch für J. Moltmann hat der Tod Jesu am Kreuz universale Bedeutung; diese gewinnt er aber erst "im Licht der kosmischen Dimension seiner Auferstehung"; s. Der Weg Jesu Christi, S. 306. Dagegen wäre einzuwenden, daß dann dem Wirken des irdischen Jesus in bezug auf die Schöpfung keine Eigenbedeutung zukommt; siehe auch Anm. 143. 140 In seiner Studie »Schöpfung und Verantwortung im AT«, S. 105ff. weist Jörg Jeremias anhand einer Untersuchung des Aussagegehaltes von Jer 12,4; 23,10; Hos 2,4f., der Psalmen 75, 82 u.a., der Schöpfungsgeschichte und Gen 4,12 sowie 6,11 überzeugend nach, daß und wie die Unrechttat (Sünde) des Menschen infolge seiner Lebensgemeinschaft, in der er mit der ganzen Schöpfung steht, diese existentiell mitbetrifft und zutiefst gefährdet. - Siehe auch ders., Der Prophet Hosea, S. 62f. und auch R. Stahl, Deshalb trocknet die Erde aus und verschmachten alle, die auf ihr wohnen ..., aaO., S. 166ff. "" Das hat in eindrücklicher Weise O.H.Steck, aaO., im Blick auf die Urgeschichte S. 57ff. und 61f. und im Blick auf unsere heutige Welt S. 206ff. und i. bes. S. 209ff. aufgezeigt. Siehe auch Chr. Link, Schöpfung, S. 237ff. Zum Verständnis dieses Zusammenhangs im Rom siehe H. Hübner, Biblische Theologie des NT I, S. 267ff., bes. 270f.

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Menschen auf die gesamte Schöpfung. In dem dadurch aufgerichteten neuen Bund (Mk 14,24 par) ist nicht nur der Sinaibund (Ex 24,3-8) und der Abrahamsbund (Gen 17, Iff.), sondern auch der Noahbund als Gottes Bund mit der Schöpfung als solcher (Gen 9,9-10) in doppeltem Sinn aufgehoben.142 Dieser kosmische Bezug wird von Paulus II Kor 5,19 und auch Rom 8,19-24, vom Kolosserbrief Kap 1,20 und vom I Johannesbrief Kap 2,2 vor allem als Versöhnung bezeugt. Das ist keine nachträgliche, diesem Geschehen ursprünglich nicht eignende Deutung, sondern sie ist in Jesu Verhältnis zur Schöpfung begründet und enthalten. Dieses Verhältnis Jesu zur Schöpfung, das wie sein gesamtes Wirken durch seine Auferweckung legitimiert wird, ist der Grund ihres kosmischen Bezuges.143 Daher bedeutet die Auferweckung auch nicht die vorwegereignete Vernichtung oder Aufhebung der Schöpfung, sondern deren Neuwerden als Neuschöpfung.144 Aus alledem geht als Inhalt des Verhältnisses Jesu zur Schöpfung seine Liebe hervor, in der er sich ihr zuwendet und Gottes Heilsabsichten an ihr verwirklicht, und zugleich sein Gehorsam gegenüber Gott, in dem er durch solches Wirken den Willen Gottes tut und das Liebesgebot bis in seine letzten Konsequenzen erfüllt. Daß wir hier gesondert von Jesu Verhältnis zum Vater, zu den Menschen und zur Schöpfung gesprochen haben, ist vor allem aus methodischen Gründen geschehen, denn tatsächlich bilden diese Bereiche in Jesu Verkündigung und Wirken eine untrennbare Einheit und bedingen und bestimmen sich wechselseitig, auch in inhaltlicher Hinsicht.

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Der durch Jesu Blut gestiftete neue Bund wird vor allem als Erfüllung der prophetischen Verheißung Jer 31,31-34 auf dem Hintergrund von Ex 24,3-8 verstanden, so zuletzt P. Stuhlmacher (ebd., S. 140f.). Dabei finden die Verheißungen Hoseas vom Bundesschluß Gottes mit den Tieren Kap 2,20 - und in gewissem Sinn auch die Hesekiels, Kap 34,25-30 keinerlei Beachtung. Im Gefolge der urchristlichen Tradition wurde und wird das Christusereignis m.E. zu einseitig von den dtjes Verheißungen her verstanden und mit einer solchen Ausschließlichkeit auf das Verhältnis Gott - Mensch bezogen, daß sein kosmischer Bezug (trotz II Kor 5,19; Rom 8,19-24; Kol 1,20) zu sehr aus dem Blick geraten ist. 143 Eine 'Christologie der Natur' bzw. 'kosmische Christologie' versucht J. Moltmann in: Der Weg Jesu Christi, Abschnitt VI. Der kosmische Christus, S. 296ff. zu entwerfen. Indem J. Moltmann die Ostererfahrungen des Auferstandenen als Erkenntnisgrund, den Tod Christi als Seinsgrund für die kosmische Christologie versteht (s. S. 304 bzw. 306) erkennt er dem Verhältnis Jesu zur Schöpfung keinerlei Bedeutung zu, wiewohl gerade dieses der eigentliche Grund des kosmischen Bezuges des Christusgeschehens ist. 144 Siehe i. bes. J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, S. 78ff.

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Was berechtigt uns aber, im Blick auf dieses sein Verhältnis zu Gott, zu den Menschen und zur Schöpfung überhaupt von Sünd-losigkeit zu sprechen? Da Sünde als aktiver Widerspruch und feindliche Gesinnung gegen Gott und seinen Willen als die Grundhaltung des Menschen vom Sündenfall her die Zerstörung des ursprünglichen Gottesverhältnisses und dadurch auch die Zerstörung des ursprünglichen Verhältnisses zum Nächsten wie zur Schöpfung insgesamt beinhaltet, kann Jesu gelebte und durch die Auferweckung als solche erwiesene Übereinstimmung mit Gott und dessen Willen in seinem Verkündigen und Wirken und seinem ganzen Lebensvollzug eben nur sein Freisein von aller Sünde und also Sündlosigkeit und als solche das messianisch-eschatologische Neuwerden dieses Gesamtverhältnisses in seinem dreifachen Bezug bedeuten. In diesem Miteinbeziehen des Verhältnisses Jesu zu den Menschen und zur Schöpfung in das Verständnis seiner Sündlosigkeit liegt ein wesentlicher Unterschied zu Pannenberg, der sie ausschließlich in Jesu Gottesverhältnis begründet sieht. Das führt aber zu einer Aufspaltung des Lebens und Wirkens Jesu in voneinander getrennte Bereiche, die nicht nur keinen Anhalt an Jesus selbst hat, sondern auch der Universalität des Heilswillens Gottes, den Jesus erfüllt, nicht genügend gerecht wird. Wird Jesu Sündlosigkeit als authentische Erfüllung des Gebotes der Gottes- und Nächstenliebe verstanden, so ist dabei im Unterschied zu Berkhof nicht primär die Erfüllung des Bundesgesetzes gemeint, sondern die durch Jesus geschehene Erfüllung der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Menschen von Gott, denn das Gesetz als Bedingung des Bundes setzt den Sündenfall voraus und kann zudem seit der Auferweckung nicht mehr als vollkommen identisch mit Gottes Heilswillen bzw. als dessen völlig adäquater Ausdruck verstanden werden. Aufgrund dieser ihrer inhaltlichen Bestimmung als die sein Verhältnis zu Gott, zu den Menschen und zur Schöpfung bezeichnende Übereinstimmung mit Gott und seinem Heilswillen definieren wir Jesu Christi Sündlosigkeit als Gerechtigkeit. Wir nehmen damit einen zentralen biblischen Begriff, und zwar des Neuen Testaments wie auch des Alten Testaments auf, weil er in seiner biblisch-theologischen Bedeutung das Wesen bzw. den Inhalt der Sündlosigkeit Jesu Christi am meisten adäquat und in positiver Bestimmung zum Ausdruck zu bringen vermag. Das ist kurz zu begründen.

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Im Altem Testament ist "Gerechtigkeit" (Sedaqa) vor allem ein Verhältnisbegriff 1 4 5 : "Er ist der Maßstab nicht nur für das Verhältnis d e s M e n s c h e n zu Gott, sondern auch für das Verhältnis der M e n s c h e n untereinander ja auch für das Verhältnis des M e n s c h e n zu den Tieren und seiner naturhaften Umwelt", stellen wir mit G. v o n Rad heraus. 1 4 6 Denn: "Jedes Verhältnis bringt bestimmte Ansprüche an das Verhalten mit sich, und die Befriedung dieser Ansprüche, w e l c h e sich aus d e m Verhältnis ergeben und bei w e l c h e n allein das Verhältnis bestehen kann, wird mit unserem Begriff (sdq) bezeichnet." 1 4 7 D e m n a c h ist derjenige gerecht, der den besonderen Ansprüchen, die dieses Gemeinschaftsverhältnis an ihn stellt, durch sein Verhalten, Tun und Lassen, gerecht wird. 1 4 8 D i e s e s Gemeinschaftsverhältnis ist die Schöpfungsgemeinschaft, in der der M e n s c h mit Gott, d e m Schöpfer, mit den anderen M e n s c h e n und Lebew e s e n als Mitgeschöpfen w i e mit der gesamten Schöpfung lebt. 1 4 9 D a M e n s c h und Tier gemäß G e n 1 , 2 4 an demselben Tag g e s c h a f f e n wurden, leben sie in besonderer Schöpfungsgemeinschaft, die zur Schicksalsgemein-

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Zum Begriff siehe K. Koch, Art. sdq gemeinschaftstreu/heilvoll sein: THAT II, 507-530; B. Johnson, Art. sadaq u. Derivate: ThWAT VI, 898-924; K. Kertelge, Art. δικαιοσύι/η dikaiosyne Gerechtigkeit: EWNT I, S. 786ff.; J. Scharbert, Art. Gerechtigkeit: I. AT: TRE 12, S. 404-411 (hier wird sie allerdings fast ausschließlich forensisch verstanden); daneben auch H. Cremer, Biblisch-theologisches Wörterbuch; ders., Die paulinische Rechtfertigungslehre im Zusammenhange ihrer geschichtlichen Voraussetzungen; H.H. Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung; F. Crüsemann, Jahwes Gerechtigkeit (sedaqa/sädäq) im AT, in: EvTh 36,1976, S. 427-450; sowie L. Köhler, Theologie des AT, S. 16f.; W. Eichrodt, Theologie des AT, S. 155ff.; G. von Rad, Theologie des AT I, S. 382-395; W. Zimmerli, Grundriß der atl. Theologie, S. 124f. und H.D. Preuß, Theologie des AT I, S. 196-203, II, S. 179-182. 146 G. von Rad, I, S. 382. (Hervorhebung von mir) 147 H. Cremer, Bibl.-theol. Wörterbuch, S. 273, u. auch ders., Die paulinische Rechtfertigungslehre, S. 34. Ähnlich auch G.Quell, Art. Der Rechtsgedanke im AT: ThWNT II, S. 176f.; sein Verständnis ist jedoch stark forensisch bestimmt. 148 Vgl. G. von Rad, S. 383. Ähnlich auch H.D. Preuß I, S. 179. H.H. Schmid versteht 'Gerechtigkeit' in umfassenderem Sinn als "die richtige, jahwegewollte, heilvolle Ordnung der Welt", die sich je nach den zeitgeschichtlichen Umständen in bestimmter Weise in den Bereichen von Recht, Weisheit und Königtum konkretisiert und der der Mensch durch "das ihr gemäße richtige heilvolle Verhalten" entspricht; s. S. 179 bzw. 168ff. 149 Der Begriff der Schöpfungsgemeinschaft bringt zum Ausdruck, daß der Mensch also keineswegs der Natur neutral gegenübersteht, sondern sich einbezogen und eingebettet weiß in die Schöpfung als stetiges, einheitliches und ganzheitliches Lebensgeschehen. Daher sind dem AT auch objektivierende und distanzierende Totalbegriffe wie Welt, Natur u.a. fremd. Vgl. dazu i. bes. O.H. Steck, S. 95ff., sowie Jörg Jeremias, Schöpfung und Verantwortung, aaO., S. 109. 199

schaft wird, wie das die Sintflutgeschichte Gen 7 und 8 bezeugt. 1 5 0 Weil Gott den Menschen zudem mit der Herrschaft über die Erde (Gen 1,28) nach der Weise seines Herrseins betraut hat, er auch Tiere in seinen Bund mit Noah (Gen 9,9ff.) einbezogen und sie wie die ganze Schöpfung unter den Schutz des Gesetzes gestellt hat151, er sie kennt, für sie sorgt 152 , sie zu seinen Werkzeugen macht 153 und die gesamte Schöpfung in seinen Dienst nimmt 154 , impliziert das Gottesverhältnis des Menschen auch sein Verhältnis zur Schöpfung 155 , für die er als Gottes Ebenbild (Gen 1,27) Verantwortung trägt156, und mit der er gemeinsam in den Lobpreis Gottes einstimmen

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Vgl. dazu und zum folgenden i. bes. H.D. Preuß II, S. 216-219. Vgl. dazu: Ex 22,29; Dtn 22,6f.: junges Kalb nicht sofort von seiner Mutter trennen; Vogelmutter am Leben lassen; Ex 23,19b; 34,26b; Dtn 14,21c: ein Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen; Dtn 25,4: dem Ochsen beim Dreschen das Maul nicht verbinden; Ex 23,4: das Rind oder der Esel, die sich verlaufen haben, sollen, selbst wenn sie dem Feind des Finders gehören, diesem wieder zugeführt werden; Ex 23,5: selbst dem unter der Last zusammengebrochenen Esel des Feindes soll man aufhelfen; Dtn 22,1-4 gilt diese Bestimmung in bezug auf den Bruder des Finders. Im besonderen aber ist es das Gebot der Ruhe am Sabbattag und, in Analogie dazu, im Sabbatjahr und im Jobeljahr, demzufolge auch die Tiere ruhen sollen und das die Schöpfung vor dem Eingreifen des Menschen bewahren soll; vgl. Ex 20,10 - Dtn 5,14; Ex 23,lOf.; Lev 25,1-7; vgl. sinngemäß auch unsere Ausführungen oben S. 194 und 195. 152 Vgl. Ps 50,10f. bzw. 36,7; 104,14.21.27f.; 136,25; 147,9; Hi 38,39ff. 153 Durch sie läßt Gott das Gericht ankündigen - vgl. Am 3,8.12; Hos 5,14; 13,7f.; Joel l,4ff.; Lev 26,22 -, aber auch den Menschen helfen, vgl. I Kö 17,4.6; Num 22,23ff. usw. 154 Sie steht im Dienst seines Gerichts - z.B. Lev 26,22; Num 4,30ff.; 21,6 usw. - und auch seines Gnadenhandelns, z.B. Ex 3,2; Ex Kapp 7-11; 13;21; Ex 14,19ff.; 19,16ff.; 24,16; Num 9,15ff.; I Kön 18 usw. 155 Vgl. etwa Spr 12,10: "Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs; aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig." - O.H. Steck stellt fest: "Der Mensch ist gemäß dieser atl. Perspektive primär auf Jahwe den Schöpfer bezogen, der sein und alles Leben gewährleistet! Erst auf dieser Ebene kommen dann auch Beziehungen innerhalb der Schöpfungswelt, zwischen Mensch und Natur in Sicht" (S. 144 - Hervorhebungen original). 156 Vgl. W. Zimmerli, S. 27ff. und H.D. Preuß II, S. 122f. Letzterer möchte statt des (funktional verstandenen) Ebenbildes Gottes vom Menschen lieber als vom "Partner" bzw. genauer "Herrschaftspartner Gottes" sprechen. O.H. Steck lehnt diese Bezeichnung ab, da sie den Menschen zu stark aus der Schöpfungsgemeinschaft, in der er lebt und deren Teil er ist, heraushebt und sie zu wenig seine Verantwortlichkeit Jahwe gegenüber zum Ausdruck bringt; s. aaO. S. 150f. Wohl ist der Mensch in der Tat Teil der Schöpfungsgemeinschaft, und insofern ist O.H. Steck zuzustimmen; zugleich aber ist er infolge der ihm von Jahwe aufgetragenen Verantwortung für sie (als Jahwes Ebenbild) aus ihr herausgehoben. Zur Problematik insgesamt s. O.H. Steck, aaO. S. 78ff. sowie Chr. Link, Schöpfung, S. 392ff. 151

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soll 1 5 7 . Infolgedessen ist die Gerechtigkeit des M e n s c h e n auf die gesamte Schöpfungsgemeinschaft b e z o g e n und meint das ihr g e m ä ß e rechte Verhalten. 1 5 8 W o h l wird die menschliche Gerechtigkeit durch das Anerkennen und Halten der Gebote konstituiert 159 ; da Gerechtigkeit j e d o c h primär v o n Jahwe ausgesagt wird und sie seine Heilserweisungen und seine Bundestreue meint und sie also ihm allein gehört 1 6 0 , kann sie v o m M e n s c h e n nicht einfach selbst erworben werden. "Was Gerechtigkeit ist, und w e r gerecht ist, das bestimmt allein Jahwe, und v o n dieser Anerkenntnis lebt der Mensch"; sie ist also v o n Jahwe "zuerkannte" 161 , "deklaratorisch zugesprochene" 1 6 2 Gerechtigkeit. Im Neuen Testament ist der Inhalt des B e g r i f f e s des Gerechten w i e auch der Gerechtigkeit ( δ ί κ α ι ο ς b z w . δ ι κ α ι ο σ ύ ν η ) weitgehend durch das Alte Testament bestimmt. 1 6 3 Dabei wird 'Gerechtigkeit' als Substantiv v o m Adjektiv 'gerecht' her verstanden 1 6 4 und bezeichnet, s o w e i t sie v o m Menschen ausgesagt wird, zunächst abgesehen v o n Paulus, fast durchweg "das

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Vgl. i. bes. Ps 148, aber auch Ps 89,6; 145,10; svw auch Ps 19,1-5. Einen Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Schöpfung stellt neuerdings Chr. Link heraus; s. Schöpfung, S. 370. Ausgehend von der Erkenntnis, daß geschöpfliches Leben nur innerhalb gesetzter fester subjektiver und objektiver Grenzen möglich ist, die die Ordnung der Schöpfung konstituieren (s. S. 365ff.), versteht er 'Gerechtigkeit' als ein diese Ordnung bestimmendes "Maß der Schöpfung" (S. 365); sie ist über den forensischen Sinn einer justitia distributiva hinaus "immer auch ein Synonym für 'Heil', dafür, daß einer der Situation, in die er hineingestellt ist, umfassend gerecht wird" (S. 370). Wo etwa "Herrschaft im Sinne des Schöpfungsauftrages legitim ausgeübt wird, da läßt Gott sie in der Gestalt des Rechtes in Erscheinung treten" (S. 398). Es fällt auf, daß hier das Verständnis von Gerechtigkeit zwischen relational und ontologisch schillernd bleibt. 159 Dtn 6,25; Ps 119. Vgl. H.D. Preuß II, S. 179: "Der JHWHs Gebote tut ..., ist 'gerecht' (Dtn 24,13), verhält sich richtig innerhalb des bestehenden, gesetzten und solches Handeln fordernden Gemeinschaftsverhältnisses ..." Ähnl. auch W. Zimmerli, S. 125: "Danach sind es die einzelnen, am Gebot normierten Rechttaten des Menschen, die seine 'Gerechtigkeit' konstituieren." So auch G. von Rad, S. 289ff., ähnl. auch G. Quell, S. 180, und G. Bornkamm, Paulus, S. 148. 160 Vgl. dazu G. von Rad, S. 384ff., und H.D. Preuß I, S. 196ff. 161 G. von Rad, S. 391; W. Zimmerli, S. 125. 162 Ps 106,31; 99,4; 24,5; Jes 61,11 u. auch Hes 18,5-9. Siehe W. Zimmerli, S. 126f. bzw. G. von Rad, S. 391. So auch H.D. Preuß II, S. 180f. G. von Rad zufolge ist in Gen 15,6 die Gerechtsprechung "in den Raum des freien und ganz persönlichen Verhältnisses Gottes zu Abraham hinausverlagert. Vor allem aber geschieht die Gerechterklärung nicht auf Grund von Leistungen ..." (Das erste Buch Mose, S. 143). 163 G. Schrenk, Art. δίκαιος: ThWNT II, S. 189ff. und K. Kertelge aaO., S. 786. 164 Siehe U. Wilkens, Rom, Exkurs: Gerechtigkeit Gottes, S. 209. 158

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mit Gottes Willen übereinstimmende, ihm wohlgefällige rechte Verhalten des Menschen, die Rechtschaffenheit des Lebens vor Gott, die Rechttat vor seinem Urteil", wobei immer die "Grundbeziehung zu Gott ins Auge gefaßt wird". 165 Auf Jesus bezogen heißt das, daß er von der Auferweckung her als "der Täter des göttlichen Willens im Vollsinn" 166 der Gerechte 167 ist. Jesus hat aber nicht nur in solcher Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gelebt und gehandelt 168 , sondern er hat gerade dadurch die Gottesherrschaft als die konkrete Gestalt der Gottesgerechtigkeit 169 verwirklicht, so daß der Inhalt des Verkündigens und Wirkens Jesu demnach diese Gerechtigkeit ist. Von daher kann das, was Gerechtigkeit ist, nicht mehr abgesehen von Jesus verstanden werden. 170 Eine etwas andere Bedeutung hat die 'Gerechtigkeit' bei Paulus. Trotz des unterschiedlichen Verständnisses dieses Begriffes 171 kann herausgestellt

165

G. Schrenk, Art. δ ι κ α ι ω σ ύ ν η : ThWNT II, S. 200; siehe dort auch Belegstellen. Ähnl. auch G. Schneider, Art. δίκαιος dikaios gerecht, (der) Gerechte: EWNT I, S. 781; W. Bauer, Wörterbuch zum NT, S. 388. Siehe auch P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, S. 185ff. 166 G. Schrenk, aaO., S. 191. Siehe überhaupt S. 190f. 167 Daß Jesus der Gerechte ist, bezeugt das NT vielfach; siehe unsere Ausführungen S. 178 und 180f. 168 Ein ethisches Verständnis der Gerechtigkeit vertritt G. Strecker, wenn er schreibt, daß sie das vollbringt, "was dem Willen Gottes entspricht", und von daher "gegenwärtige, der ethischen Forderung entsprechende Tat des Menschen ist" (Der Weg der Gerechtigkeit, S. 155). Ähnl. auch G. Klein, Art. Rechtfertigung im NT: RGG3 V, S. 827; E. Schweizer, Art. Gerechtigkeit Gottes III. im NT: RGG3 II, S. 1406f.; A. Oepke, Δικαιοσύνη θεοϋ bei Paulus in neuer Beleuchtung, in: ThLZ 1953, S. 261; W. Bauer, Wörterbuch, S. 390. Demgegenüber muß festgehalten werden, daß dabei (1) der Gerechtigkeit immer auch Urteilscharakter eignet, und daß (2) nach dem durch Jesus geschehenen Heilshandeln Gottes Gerechtigkeit nicht mehr abgesehen von diesem verstanden werden kann. Siehe auch Anm. 170. 169 Siehe besonders K. Kertelge, aaO., S. 793. 170 P. Stuhlmacher schreibt, daß Jesus "mit seinem ganzen Verhalten einem neuen Verständnis von Gerechtigkeit Gottes und Gerechtigkeit vor Gott die Bahn gebrochen" hat, s. Die neue Gerechtigkeit in der Jesusverkündigung, aaO., S. 45. 171 Die überaus zahlreichen und daher kaum noch übersehbaren Interpretationsversuche (zur Literatur s. TRE 12, S. 419f. u. EWNT I, S. 784f.) reichen von einem rein forensischen Verständnis - als "positiver Urteilsspruch Gottes im göttlichen Endgericht" (H. Binder, Der Glaube bei Paulus, S. 76) bzw. als die "von Gott geschenkte, zugesprochene Gerechtigkeit" (R. Bultmann, Theol. des NT, S. 285) - bis zu einem effektiven Verständnis als Inbegriff der "sich in Christus offenbarenden Herrschaft Gottes", als "jenes Recht, mit welchem Gott sich in der von ihm gefallenen und als Schöpfung doch unverbrüchlich ihm gehörenden Welt durchsetzt" (E. Käsemann, Gottesgerechtigkeit bei Paulus: Exeget. Versuche und Besinnungen II, S. 192), bzw. als "Erweis der göttlichen 202

werden, daß die 'Gerechtigkeit' bei Paulus das machtvolle eschatologische, bereits in der Gegenwart wirksame Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ist, durch das der Mensch gerecht gemacht wird. Dabei bezeichnet diese zugeeignete Gerechtigkeit nicht die "ethische Qualität des Menschen"172, sondern sie ist "personhafte Relation": das rechte Verhältnis zu Gott, das also solches das rechte "Nächstenverhältnis" und das Verhältnis zur Welt begründet und impliziert.173 Diese, vom Menschen empfangene Gerechtigkeit ist aber die Gerechtigkeit Jesu Christi174, die in seinem Gehorsam besteht, in dem er Gottes Heilswillen in seinem Leben, Leiden und Sterben am Kreuz getan hat175, so daß Paulus I Kor 1, 30, ähnlich auch II Kor 5,21 sagen kann , daß Christus uns zur Gerechtigkeit gemacht worden ist.176 Da dieser Gehorsam aber im Blick auf seine Gottesbeziehung, die das Verhältnis zu den Menschen und zur Schöpfung mit einschließt, ausgesagt wird, bezieht sich die Gerechtigkeit, die Christus eignet, auf eben dieses sein durch die Auferweckung als recht erwiesenes Gesamtverhältnis und bezeichnet als Übereinstimmung mit Gottes Heilswillen seine Sündlosigkeit. Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, daß Gerechtigkeit, soferne sie dem Menschen von Gott zuerkannt wird, sich im Verständnis der Bibel auf sein Verhältnis zu Gott, zum Nächsten wie zur Schöpfung insgesamt bezieht und es als dem Willen Gottes und der göttlichen Bestimmung entsprechend

Schöpfermacht" und seine "ständig waltende Schöpfertreue als befreiendes Recht" (P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, S. 239f.) und als "eschatologische Heilsmacht der Bundestreue Gottes" (U. Wilckens, Rom: Exkurs Gerechtigkeit Gottes, S. 221). Eine vermittelnde Stellung nimmt G. Schrenk, Art. δ ι κ α ι ο σ ύ ν η aaO. ein, wenn er zusammenfassend urteilt: "δικαιοσύνη kann also bei Paulus sowohl die freisprechende Gerechtigkeit bezeichnen, wie die Lebensmacht, welche die sündliche Gebundenheit überwindet" (S. 213); ähnlich urteilt H. Klein, daß Gerechtigkeit für Paulus "Geschenk und Macht zugleich ist" (Die Gegenwart des neuen Lebens in der Sicht des Apostels Paulus, in: Im Kraftfeld des Evangeliums. FS für H. Binder, S. 78f., Anm. 11). In neuerer Zeit hat P. Stuhlmacher von der "synthetischen Ganzheit" des Begriffs der Gottesgerechtigkeit gesprochen (Die Gerechtigkeitsanschauung des Apostels Paulus, aaO., S. 105), und in seiner Bibl. Theol. des NT bezeichnet sie "das Heil und Wohlordnung schaffende Wirken Gottes" in der "Sendung, im Opfergang, in der Erhöhung und im Zukunftswerk Christi" und zugleich das Resultat dieser Wirksamkeit, die "endzeitliche Rechtfertigung" (S. 335 bzw. 334). 172

R. Bultmann, Theol. des NT, S. 278, denn: dikaiosyne meint die "Relation zu Gott"; s. auch S. 273. Auch G. Bornkamm verweist darauf, daß Gerechtigkeit keine Eigenschaft ist, sondern ein Verhältnis bezeichnet, s. Paulus, S. 146-148. 173 Vgl. L. Goppelt, Theol. des NT, S. 470f. 174 So neuerdings auch H. Hübner, Bibl. Theol. des NT II, S. 288. 175 Rom 5,18f.; Phil 2,8; siehe unsere Ausführungen dazu S. 175. 176 Vgl. dazu unsere Ausführungen S. 173f.

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ausweist. Dieses Ergebnis berechtigt uns, den Inhalt der Sündlosigkeit Jesu insofern - positiv - als Gerechtigkeit zu bestimmen, als Jesu Verhältnis zu Gott, zu den Menschen wie zur Schöpfung insgesamt von Gott selbst durch die Auferweckung als in völliger Übereinstimmung mit seinem Willen und Absichten und zugleich als Erfüllung und Verwirklichung des göttlichen Heilswillens erklärt, bestätigt und in Kraft gesetzt worden und Jesus von daher der Gerechte ist. Infolgedessen ist die als Gerechtigkeit begriffene Sündlosigkeit Jesu nicht eine besondere Eigenschaft oder Qualität, die er besitzt und durch die er sich von den anderen Menschen wesentlich, d.h. grundsätzlich unterscheidet, sondern als Verhalten und Tun verstanden bezeichnet sie primär seine Relation zu Gott und daraufhin dann sein als durch die Auferweckung retroaktiv in Kraft gesetztes Sein, und zwar - wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird - als der Sohn Gottes entsprechend Rom 1 , 4 .

4. Der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi Der Seinsgrund der als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit Jesu ist seine Auferweckung, die ihn, als Urteil und Entscheidung Gottes über seinen Lebensvollzug, zugleich als Sohn Gottes erweist. Da die Auferweckung als das Urteil und die Entscheidung Gottes über den Lebensvollzug Jesu dessen völlige Übereinstimmung mit Gottes Willen, Absichten und Bestimmung legitimiert und dadurch rückwirkend in Kraft setzt, ist sie als solche der Seinsgrund der als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit Jesu und, wie weiter unten aufgezeigt wird, auch seiner Gottessohnschaft gemäß Rom 1,4. Denn wäre Jesus nicht auferweckt worden, wäre darüber entschieden, daß er ein Gotteslästerer und Sünder und als solcher mit Recht zum Tode verurteilt worden war; indem er aber auferweckt worden ist, ist darüber entschieden, daß er der Gerechte und also Sündlose und als solcher Gottes Sohn ist und es auch zeit seines irdischen Lebens immer schon war. Ist die Auferweckung der Seinsgrund der Sündlosigkeit Jesu Christi, wird seine Wesenseinheit mit den Menschen nicht in Frage gestellt, sondern bis zum Letzten durchgehalten, worauf es bei der Sündlosigkeit nun gerade ankommt, denn das Subjekt seiner Sündlosigkeit ist dann weder der in ihm anwesende Gott (anhypostatisches Verständnis) noch seine personale GottMensch-Einheit bzw. Gottessohnschaft (enhypostatisches Verständnis), sondern er ist es als Mensch im Vollsinn. Diese seine Wesenseinheit mit uns erweist sich vor allem an folgenden "kritischen" Punkten: 204

a) Da Jesus als Mensch seine Sündlosigkeit gelebt hat und als solcher - von der Auferweckung her - deren Subjekt ist, sind die ihm auf seinem Lebensweg widerfahrenen Versuchungen - als dem Ausdruck seines Stehens unter dem schuld- und sündhaften menschlichen Zusammenhang - und sein Ringen darum, nicht zu erliegen, echt177, wie uns das vom Neuen Testament übereinstimmend bezeugt wird.178 b) Jesus ist als Mensch dem schuld- und sündhaften menschlichen Gesamtzusammenhang, der sogenannten "Erbsünde", nicht entnommen, sondern er steht unter ihm, wie das seine Versuchlichkeit erweist. Er hat ihn jedoch nicht in der Weise der anderen Menschen mitgemacht179, sondern ihn durch seine von der Auferweckung her als solche erwiesene Gerechtigkeit durchbrochen, vorwegnehmend aufgehoben und die für die Endzeit verheißene ursprüngliche Einheit des Schöpfers mit dem Geschöpf wiederhergestellt. Da Jesus als unter der "Erbsünde" stehend den Versuchungen auch hätte erliegen können wie jeder andere Mensch, kann man bei ihm von keiner von vornherein feststehenden impeccabilitas im Sinne eines "non posse peccare" sprechen. Weil erst durch die Auferweckung erwiesen wurde, daß er - wiewohl unter der Erbsünde stehend - faktisch nicht gesündigt hat, muß seine Sündlosigkeit im Sinne von "posse non peccare" als impeccantia begriffen werden.

177 Zur theologischen Bedeutung der Versuchlichkeit Jesu für sein und unser Menschsein vgl. ausführlich P. Althaus, Die christliche Wahrheit, S. 467-470, sowie neueren Datums W. Joest, Dogmatik I. Die Wirklichkeit Gottes, S. 226ff. 178 Mt 4,1-llpar; Mk 8,32par; 14,32-42 par, aber auch Hebr 2,18; 4,15; 5,8; s. auch unsere Ausführungen S. 179 bzw. 176. 179 Zum vollen Menschsein Jesu gehört auch seine Versuchlichkeit; zur Vollkommenheit seines Gehorsams gegenüber Gott gehört das Durchstehen der Versuchungen, wobei der Ausgang keinesfalls schon von vornherein festgestanden hätte. - Das Zusammendenken von Versuchlichkeit und Sündlosigkeit in bezug auf das volle Menschsein Jesu führt beim evangelischen Verständnis von Sünde zu verkrampften Deutungen, die zumeist Um-Deutungen sind, da Versuchlichkeit allgemein mit dem Sündersein zusammenhängt und gerade dessen Ausdruck ist (siehe unsere Ausführungen zu P. Tillich, S. 159 bzw. 51f.; vgl. in gewissem Sinn auch P. Althaus, S. 469f.), und die als solche entweder seiner Versuchlichkeit und seinem vollen Menschsein oder aber seiner Sündlosigkeit nicht gerecht zu werden vermögen und in Aporien enden. Das gilt in gewissem Sinn auch für W. Joest; zwar ist für ihn Jesus als der wahre, zugleich der wirkliche Mensch, aber als der Versuchte und dennoch Sündlose ist er nicht "aus unserer Wirklichkeit zu erklären", sondern er ist "von 'oben' her, aus der neuschaffenden Macht Gottes", "Möglichkeit Gottes" (vgl. S. 229f., Hervorhebung original). Das ist darin begründet, daß die Bedeutung der Auferweckung Jesu als Entscheidung und Urteil Gottes in diesem Zusammenhang verkannt wird.

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So verstanden ist die Sündlosigkeit Jesu eine Aussage, die sich strikt auf sein Menschsein bezieht, ohne daß dabei seine Wesenseinheit mit uns in Frage gestellt oder gar aufgehoben würde. Nun wird uns aber bezeugt, daß Jesus Christus als wahrer Mensch zugleich wahrer Gott in der Einheit seiner Person und als solcher der Sohn Gottes ist. Daher muß noch erörtert werden, welcher Zusammenhang zwischen seiner Sündlosigkeit und seiner Gottessohnschaft besteht. Im anhypostatischen Verständnis ist Jesus als Mensch sündlos, weil und indem er wahrer Gott ist (Barth, Ebeling); im enhypostatischen Verständnis ist er es als der Sohn Gottes kraft seiner gottmenschlichen Einheit (Pannenberg), wobei jeweils ein bestimmter menschlicher Seinsverlust hinsichtlich der Subjektfrage festgestellt werden muß. Welche Konsequenzen ergeben sich demgegenüber aus unserem bisher skizzierten Verständnis, bei dem von keinerlei menschlichem Seinsverlust gesprochen werden kann? Aufgrund unseres Verständnisses vertreten wir die Ansicht: Nicht weil Jesus Gottes Sohn ist, ist er sündlos (an- bzw. enhypostatisches Verständnis), sondern: weil er sündlos ist, ist er Gottes Sohn. Die Begründung dafür entnehmen wir im Zeugnis der Heiligen Schrift, und zwar des Alten wie des Neuen Testaments. a) Im Alten Testament finden wir die Bezeichnung Sohn Gottes vor allem in doppelter Verwendung: - Das ganze Volk Israel wird Sohn Gottes genannt180, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß "Gott sich dieses Volk für eine besondere Mission erwählt hat und daß dieses sein Volk ihm absoluten Gehorsam schuldet". 181 - Es ist aber im besonderen David und der Davididenkönig, der aufgrund seiner Herrschaftsübertragung und Amtseinsetzung durch Jahwe selbst als Gottes Sohn gilt.182 Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, daß Jahwe "einen immerwährenden Bund ... mit David geschlossen" und "für das Verhältnis beider Partner zueinander eine neue Rechtslage

180

Vgl. Ex 4,22f.; Hos 2,1; 11,1; Jes 1,2; 30,1; 63,16, wie auch 3,22, aber auch Jer 31,20; Jes 45,11; Ps 82,6; Mal 1,6; ferner auch PsSal 17,27; 18,4. 181 O. Cullmann, S. 279. Siehe auch W. Zimmerli, S. 20. Bedauerlicherweise geht G. von Rad in seiner Theol. des AT auf diesen Aspekt nicht ein, dafür aber G. Fohrer im Art. υιός Β. Altes Testament: ThWNT VIII, S. 347f., u. bes. 352ff. 182 Vgl. zur Gottessohnschaft des Königs bes. II Sam 7,14; I Chr 28,6f.; Ps 2,7; 89,27f.; zur Einsetzung ins Königtum bes. Ps 2,6; 72; 110; 132. Siehe auch G. von Rad I, S. 33Iff., W. Zimmerli, aaO., S. 77ff. und neuerdings H.D. Preuß II, S. 32ff.

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begründet hat"183, kraft derer David und seine Nachkommen als Stellvertreter Jahwes herrschen184. Daran knüpfen sich die messianischen Erwartungen eines "neuen, letzten, abschließenden und endgültigen, idealen Davididen als des Bringers der dann voll realisierten Herrschaft JHWHs" als Recht, Gerechtigkeit und Frieden.185 Demnach ist der Bundesschluß Jahwes mit Israel und im besonderen mit dessen Repräsentanten, dem Davididenkönig, die Grundlage der Sohnschaft, deren Inhalt die Erfüllung des Bundesverhältnisses186, die Gerechtigkeit ist. Auch der einzelne Gerechte kann im Alten Testament - eher bildhaft187 besonders aber im Judentum infolge seines Tuns des Willens Gottes als Gottes Sohn angesehen werden, dem Rettung verheißen ist.188

b) Im Neuen Testament ist die ursprüngliche Verwendung der Bezeichnung Jesu als Gottessohn nach dem Urteil namhafter Forscher von der alttestamentlich-jüdischen Tradition bestimmt.189 Dabei ist die Anwendung des Titels auf Jesus sowohl (1) im Blick auf sein besonderes Verhältnis zu Gott als auch (2) im Sinne seines Wirkens als der messianische Heilbringer und seiner Herrschaftsübertragung erfolgt. Diese beiden Anschauungen werden dann vor allem im hellenistischen Bereich zunehmend vom Verständnis des

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G. von Rad, S. 323. Siehe auch ders., 53f., 320ff., 331ff., aber auch W. Zimmerli, S. 77ff., auch 47, sowie G. Fohrer aaO., bes. S. 349ff. 184 Vgl. H.D. Preuß II, S. 33ff. Vgl. auch W. Zimmerli: "Jahwes Sache auf Erden geschieht durch den von ihm erwählten Sohn. Die Königsherrschaft Jahwes erscheint hier in erregender Weise mit der Herrschaft des 'Sohnes Davids' verbunden." (S. 78) 185 H.D. Preuß II, S. 37. Vgl. auch W. Zimmerli, S. 78f. Siehe auch Anm. 197. 186 Vgl. G. Schrenk, Art. δίκαιος: ThWNT II, S. 184-188, und auch G. Bornkamm, Jesus, S. 114f. 187 Ps 103, 13; Spr 3,11 u.ö. 188 Vgl. Sir 4,10; Jub I,24f.; PsSal 17,27.30; äthHen 62,11; AssMos 10,3; TesÜud 24,3, und auch Weish 2,10.13.18; 5,5 u.ö. Siehe E. Schweizer, Art. υϊός: ThWNT VIII, bes. S. 355f., E. Lohse, ebd., S. 360f., sowie F. Hahn, Art υιός hyos Sohn: EWNT III, S. 924. Siehe auch G. Bornkamm, Jesus, S. 115. 189 Siehe F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 284ff. und ders., Art. υϊός hyos Sohn: EWNT I, S. 916ff. Ähnl. schon O. Cullmann, S. 281ff., W.G. Kümmel, S. 97f., L. Goppelt II, S. 247ff. Anders dagegen R. Bultmann, der zwar die Herkunft des Titels aus der atl.-jüd. Tradition grundsätzlich nicht bestreitet, jedoch den Bedeutungsinhalt des Titels durch die hellenistische Tradition im Sinne das göttlichen Wesens, der göttlichen Natur Christi bestimmt sieht; vgl. ders., Theol. des NT, S. 51ff., bzw. 130ff. Dies ist von den Forschungsergebnissen F. Hahns wie auch L. Goppelts her eine Simplifizierung und daher unhaltbar. Siehe auch W. von Martitz, Art. υιός: ThWNT VIII, S. 335ff.

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Titels als Ausdruck des besonderen göttlichen Wesens und seiner göttlichen Abkunft überlagert.190 (1) Mit L. Goppelt ist festzustellen: "Die einzigartige Beziehung zu ... Gott, die aus Jesu ganzem Wirken spricht und durch das Ostergeschehen vollends Gestalt annahm, veranlaßte, daß er in der Gemeinde als 'Sohn Gottes' bekannt und quer durch die neutestamentlichen Schriften maßgeblich so bezeichnet wurde. "191 Dadurch wird grundsätzlich das Ergebnis, zu dem schon O. Cullmann aufgrund einer eingehenden Untersuchung der neutestamentlichen Überlieferung gekommen war, bestätigt, nämlich, "daß der Titel 'Sohn Gottes' in der Anwendung auf Jesus die Einzigartigkeit und Einmaligkeit der Beziehung Jesu zu seinem Vater ausdrücken soll", und zwar dergestalt, "daß zum Sohnesgedanken in der Anwendung auf Jesus von Anfang an das Motiv des Gehorsams gehört".192 Auch G. Bornkamm sieht die Gottessohnschaft Jesu in seinem Gehorsam begründet.193 Den Zusammenhang zwischen dem Gehorsam Jesu und seiner Gottessohnschaft stellt neuerdings U. Luz in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium als dessen "christologischen Rahmen" heraus: "Jesus ist der Gehorsame und Demütige. Eben auf diesen Gehorsam Jesu antwortet Gott mit seiner Proklamation: 'Dieser ist mein

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Siehe F. Hahn, Art. υϊός hyos Sohn aaO., S. 916f. Weder hier noch in seiner früheren Untersuchung 'Christologische Hoheitstitel' erwägt der Verf., ob die Übertragung des Titels Sohn Gottes auf Jesus nicht auch aufgrund dessen erfolgt sein könne, daß im Judentum auch der einzelne Gerechte als Sohn Gottes angesehen wurde (s. Anm.188) und Jesus durch das NT als Gerechter bezeugt wird, was m.E. der Fall war; s. unsere Ausführungen S. 178 u. 180f. L. Goppelt, I, S. 247; siehe überhaupt §19.9 pass., S. 247ff. Ähnlich auch P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 186; bei ihm liegt der Hauptakzent allerdings auf dem Zusammenhang der Gottessohnschaft Jesu mit seiner Messianität; vgl. S. 186ff. 192 O. Cullmann, S. 312 bzw. 282. Ein Zusammenhang zwischen dem Gehorsam Jesu und seiner Gottessohnschaft geht auch aus F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, hervor, s. S. 303 bzw. 326ff.; im Art. υϊός, aaO., S. 917ff., erkennt F. Hahn dem Gehorsam Jesu für sein Gottesverhältnis im Horizont seiner Gottessohnschaft allerdings keinerlei Bedeutung zu. P. Stuhlmacher deutet einen solchen Zusammenhang an, wenn er feststellt, daß "Jesus seinen Weg vor Gott in konsequentem Sohnesgehorsam gegangen ist", s. Bibl. Theol., S. 159, ähnl. auch 158. 193 Siehe G. Bornkamm, Paulus, S. 175. Vom Verhältnis Jesu zu Gott spricht auch H. Grass, indem er einen gewissen Zusammenhang zwischen Jesu Gehorsam und Willenseinheit mit Gott und seiner Gottessohnschaft im Blick auf das NT anerkennt; s. Christliche Glaubenslehre I, S. 91ff. u. 112.

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geliebter Sohn'." 1 9 4 W . G . K ü m m e l weist diesen Zusammenhang im Verständnis der Theologie des Paulus auf. 1 9 5 D a das Gottesverhältnis Jesu, das sein Verhältnis zu d e n M e n s c h e n und zur ganzen Schöpfung impliziert, durch solchen Gehorsam bestimmt ist, dieser aber zugleich Inhalt seiner Sündlosigkeit ist, ist Jesus als dieser Sündlose Gottes Sohn. 1 9 6 Zu demselben Ergebnis k o m m e n wir auch auf d e m W e g d e s Verständnisses der Sündlosigkeit Jesu als Gerechtigkeit. W e n n Jesus der sündlose Gerechte ist, w i e das N e u e Testament ihn uns bezeugt, der Gerechte aber in der Tradition des Judentums als Gottes Sohn g e s e h e n wird 1 9 7 , so bedeutet das in d i e s e m Interpretationshorizont, daß Jesus als der sündlose Gerechte Gottes Sohn ist. (2) Durch die A u f e r w e c k u n g wurde der messianische Vollmachtsanspruch Jesu der sich in ihm ereignenden Gottesherrschaft legitimiert und Jesus als der Messias/Christus erwiesen 1 9 8 , der die messianischen Erwartungen erfüllt und zugleich mit neuem Inhalt gefüllt hatte. In der messianischen Tradition

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Siehe U. Luz, Mt I, S. 156. Anders dagegen F. Hahn, indem er die Ansicht vertritt, daß Mt "die Gottessohnvorstellung in Verbindung mit der Messianität in den Vordergrund rückt", s. Art. υιός, aaO., S. 920. M.E. schließen sich die beiden Motive nicht aus, sondern ergänzen einander. 1,5 Siehe W.G. Kümmel, S. 43f. Ähnl. auch L. Goppelt II, S. 406. Anders dagegen W. Kramer, Christos, Kyrios, Gottessohn. Wohl stellt Kramer fest: "Die besondere Komponente des Gottessohntitels besteht (sc. bei Paulus) darin, daß er die Relation des Heilsträgers zu Gott direkt nennt", führt diesen Gedanken aber nicht aus. Seine Untersuchung scheint sich überhaupt zu sehr auf das Formale des Gebrauchs der Titel bei Paulus zu beschränken und wird ihnen dadurch inhaltsmäßig und somit auch Paulus selbst kaum gerecht. - Einen Zusammenhang zwischen Jesu Gehorsam und Willenseinheit mit Gott und seiner Gottessohnschaft sieht E. Schweizer nur bei Johannes, s. Art. υιός: ThWNT VIII, S. 390. Jedoch sieht E. Schweizer eine Verbindung zwischen Jesu Gottessohnschaft und seinem Leiden; s. S. 379f. u. 386. Das Leiden Jesu steht aber mit seinem Gehorsam in ursächlichem Zusammenhang! 196 Ähnlich urteilt auch W. Eiert, Der christliche Glaube, S. 299: "... Der Sohn Gottes steht zu Gott in einem Verhältnis, das den Willenswiderstreit mit ihm, das Sündigen, schlechterdings ausschließt ..." 197 Siehe Anm. 187, 188 und 190. Vgl. dazu auch D. Lührmann, Art. Gerechtigkeit III. NT: TRE 12, S. 416 (zu Paulus): "Implizit ist diese Thematik (sc. der Gerechtigkeit) aber auch mit den christologischen Titeln Gesalbter (Christus im Sinne von messianischer König - zu den Königstraditionen gehört die Erwartung der Durchsetzung von Gerechtigkeit) und Sohn Gottes (als Bezeichnung des von Gott für gerecht Erklärten) gegeben." 198 Auf die Messias/Christus-Frage geht in neuerer Zeit ausführlich M. Karrer in seiner Untersuchung »Der Gesalbte« ein.

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des Alten Testaments und des Frühjudentums galt der Messias im Sinne von göttlicher Bevollmächtigung und Herrschaftsausübung als Sohn Gottes. Messianische Erwartungen waren im besonderen mit dem davididischen Königtum verbunden, weswegen die von ihm handelnden alttestamentlichen Aussagen (II Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27f.; 110,Iff.; Jes 9,5) messianisch gedeutet und der Davididenkönig als Sohn Gottes angesehen wurde.199 In diesem Interpretationshorizont wurde Jesus als Davidssohn und als der von Gott bevollmächtigte und legitimierte messianische Bringer der Gottesherrschaft200 als Sohn Gottes bekannt.201 Indem aber dieses messianische Wirken Jesu von seiner Auferweckung her als in Übereinstimmung mit Gott geschehen, Inhalt seiner Sündlosigkeit ist, ist er als der Sündlose und Gerechte202 Gottes Sohn.203

199 Vgl. dazu H. Gese, Der Messias, in: Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, S. 128-151. Zur messianischen Bedeutung des (davididischen) Königtums siehe auch W. Zimmerli, aaO., S. 77ff., u. neuerdings H.D. Preuß II, S. 36ff. Vgl. auch F. Hahn, Art. υιός, aaO., S. 916, sowie P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 186-188. Siehe auch Anm. 185. 200 Das NT bezeugt Jesu Herkunft aus dem Geschlecht Davids (Mt 1,1-16; Lk 3,23-28; Rom l,3f., II Tim 2,8 u.ö.) und verbindet damit das Verständnis des Wirkens Jesu als die in ihm geschehene Erfüllung der messianischen Erwartungen der Wiedererrichtung der davididischen Königsherrschaft. Vgl. dazu ausführlich F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 242-279, sowie P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 112f. und bes. 185 ff. 201 Vgl. ausführlich F.Hahn, Art. υιός hyos Sohn, S. 912-927, ders., Art. Χριστός Christos Christus: EWNT III, S. 1147-1165, sowie P. Stuhlmacher, S. 186ff. 202 AT und Judentum erwarteten einen gerechten Messias; vor allem Jer 23,5 u. 6,49; 33,15; Sach 9,9 werden auf den gerechten Messias bezogen; später wird auch Jes 53,11 messianisch verstanden (Targ Jes 53,11); in Sap 2,18 ist die Bezeichnung 'der Gerechte' Messiasname, und in Kap 17,25.28.31.43 und 18,8f. werden 'Gerechtigkeit' und Messias zusammen genannt; gemäß dem äthHen 38,2; 53,6 ist die 'Gerechtigkeit' Kennzeichen der messianischen Zeit; vgl. Strack-Billerbeck II, S. 289f.; IV, S. 213, sowie G. Schrenk, Art. δίκαιος, aaO., S. 183-193. 203 Während für das AT und das Judentum der erwartete Messias gerecht ist (s. Anm.202), ist für die Apokalyptik die Sündlosigkeit des Messias Voraussetzung für sein Werk (vgl. PsSal 17,21ff.); bei Philo ist der rechte Hohepriester ebenfalls sündlos, und in der Gnosis ist der himmlische Erlöser nicht befleckt durch die Sünde (OdSal 10,5); vgl. O. Michel, Hebr: Exkurs zur Sündlosigkeit, S. 21 lf. Das ntl. Bekenntnis der Sündlosigkeit Jesu läßt sich aber nicht einfach hiervon ableiten, sondern ergibt sich aus der Lebensgeschichte Jesu in ihrer Besonderheit; siehe auch H.F. Weiss, Hebr, S. 297f.

210

5. Die Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu Christi Jesu als Gerechtigkeit verstandene Sündlosigkeit ist in dem Sinne die Bedingung der Heilsbedeutung seines Kreuzestodes, daß wir um ihretwillen die Versöhnung mit Gott und Anteil an dieser seiner Gerechtigkeit erlangen, die als solche die Erfüllung der göttlichen Bestimmung zum wahren Menschsein und zur Gemeinschaft mit Gott ist. a) Für das

Heilswerk

Bevor nach der Bedeutung der Sündlosigkeit Jesu für das Heilswerk gefragt werden kann, muß zuerst geklärt werden, welches dieses Heilswerk ist. Das Neue Testament bezeugt als das Heilswerk Jesu Christi in eigentlichem Sinn sein Sterben am Kreuz, dessen Bedeutung in einer Vielzahl von Bildern, Vorstellungen und Motiven ausgedrückt wird. 204 Die Deutung des Kreuzestodes Jesu als stellvertretende Sühne für die Sünden der Menschen dürfte dem Urteil namhafter Neutestamentier zufolge die älteste sein205 und kann - zumindest in Ansätzen - auf Jesus selbst zurückgeführt werden. 206 Diese Deutung, die dann durch andere Begriffe und Bilder verschiedener Herkunft, auf die hier nicht näher eingegangen

204

Siehe die ausführliche Untersuchung von G. Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu im NT, pass. Eine gute Übersicht bietet M.-L. Gubler, Die frühesten Deutungen des Todes Jesu. Eine motivgeschichtliche Darstellung aufgrund der neueren exegetischen Forschung, pass. 205 Vgl. dazu ausführlich J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, S. 216ff.; ders., Das Lösegeld für Viele (Mk 10,45), in: Abba. Studien zur ntl. Theol., S. 216-232; E. Lohse, Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühnetod Jesu, bes. S. 119ff.; F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 199ff.; W.G. Kümmel, S. 104f.; L. Goppelt, Theol. des NT I, S. 241ff.; P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 191ff. - Zur Übersicht über die Diskussion siehe auch M.-L. Gubler, S. 325ff. 206 Vgl. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, S. 194ff., sowie ders., Das Lösegeld für Viele (Mk 10,45), S. 216ff., W.G. Kümmel, S. 105; L. Goppelt I, S. 241ff.; II, S. 421; H. Schürmann, Jesu ureigner Tod, pass. Anders dagegen W. Schräge, Das Verständnis des Todes Jesu im NT, in: Das Kreuz Jesu Christi als Grund des Heils, S. 47-86. Vgl. aber neuerdings P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 143: "Die soteriologische Deutung des Todes Jesu im urchristlichen Kerygma ... entspringt nicht erst dem Interpretationswillen der nachösterlichen Gemeinde ..., sondern sie entspricht dem messianischen Sendungs- und Opferwillen Jesu, den er seinen Jüngern schon vor Ostern kundgetan hat." Siehe überhaupt ebd., S. 125-143; ähnlich auch schon ders., in: Jesus als Versöhner, aaO., S. 19ff.

211

werden kann, weiterentwickelt wurde207, ist im besonderen von Paulus durch den, diese beiden Momente der Sühne und der Stellvertretung enthaltenden Gedanken der Versöhnung208 vertieft worden, der dann die dogmatische Lehrentwicklung bis in die Gegenwart entscheidend bestimmt hat.209 Der Begriff der Versöhnung dient in der Dogmatik fast durchwegs zur Bezeichnung der Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi bzw. seines Heilswerkes überhaupt. Die Versöhnung spricht das personale Verhältnis zu Gott an, das durch die Schuld des Menschen zerstört und in Feindschaft verkehrt worden ist, ohne von ihm in Ordnung gebracht werden zu können, das aber durch Jesu Sterben am Kreuz wiederhergestellt worden ist. Impliziert die zerstörte Gottesbeziehung des Menschen die Verkehrung seines Verhältnisses zum Mitmenschen wie zur gesamten Schöpfung, kommt durch die Versöhnung der Frieden mit Gott (Rom 5,1) und von daher mit der Welt überhaupt zustande (Kol 1,20-22; II Kor 5,19). 210 Jesu Sterben am Kreuz ist das eigentliche Geschehen der Versöhnung, weil er dadurch die Schuld des Menschen vor Gott in dessen Stellvertretung gesühnt hat.211

207 Vgl. ausführlich G. Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu im NT, pass.; eine gute Übersicht bietet W. Pannenberg, Systematische Theologie II, S. 461-476. 208 Vgl. Rom 5,10; 11,15; II Kor 5,18-20. Siehe dazu ausführlich R. Bultmann, Theol. des NT, S. 285ff., W.G. Kümmel, S. 181ff., L. Goppelt II, S. 467ff. und auch ders., Versöhnung durch Christus, in: Christologie und Ethik, pass., sowie P. Stuhlmacher, Bibl. Theol., S. 320 u. 338. 209 Zur Übersicht siehe bes. O. Weber, Grundlagen der Dogmatik II, S. 203-259 und auch H.G. Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, S. 220-234; H.G. Fritzsche, Lehrbuch der Dogmatik III. Christologie, S. 174ff. bzw. 284ff., und neuerdings W. Pannenberg, Systematische Theologie II, S. 447-461. 210 Daß die Versöhnung nicht nur das Verhältnis des Menschen zu Gott neu aufrichtet, sondern auch die "Neuordnung der zwischenmenschlichen Verhältnisse" mit einschließt, stellt mit Recht H. Binder fest; siehe: Versöhnung als die große Wende, aaO., S. 308. In ähnlichem Sinn spricht auch Chr. Klein in: Versöhnung als zwischenmenschliches Geschehen im NT, aaO., S. 45ff., davon, daß im NT die Versöhnung nicht nur den sog. vertikalen Aspekt (Gott-Mensch), sondern auch den, von der Theologie mit zu wenig Aufmerksamkeit bedachten horizontalen (zwischenmenschlichen) Aspekt umfaßt. Auffallend ist, daß die Theologie die kosmische Dimension der Versöhnung noch weniger beachtet bzw. ganz übergeht. Zur kosmischen Bedeutung des Versöhnungsgeschehens siehe L. Goppelt, Versöhnung durch Christus, aaO., S. 156-164 und G. Friedrich, Die Versöhnung, in: Die Verkündigung des Todes Jesu im NT, S. 101-114. 211 Zum Gedanken der Stellvertretung Jesu siehe L. Goppelt, Theol. des NT II, S. 42Iff., P. Stuhlmacher, Existenzstellvertretung für die Vielen: Mk 10,45 (Mt 20,28), aaO., S. 27-42; G. Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu im NT, S. 11-24, sowie neuerdings W. Pannenberg, Systematische Theologie II, S. 461-483.

212

Stellvertreter des Menschen vor Gott kann Jesus aber nur als der vollkommen Gehorsame sein; ansonsten könnte er gar nicht sühnend für andere eintreten bzw. sich dahingehen lassen (Rom 5,18-19; Phil 2,6-9; II Kor 5,21). Daher stellt Goppelt fest: "Jesu Sterben hatte allerdings nur deshalb diese Bedeutung, weil es das Sterben des ... Sohnes Gottes war, der im Unterschied zu allen anderen gehorsam war." 212 Die Heilsbedeutung des Sterbens Jesu am Kreuz als Versöhnung hängt demnach an seinem Gehorsam. H. Strathmann urteilt demgemäß: "Dies war die Voraussetzung der Deutung des Todes Jesu bei Paulus ..., im 1. Petr (1,19; 2,22; 3,18), bei Joh (1,29; 8,46; 1. Joh 3,5) und so auch im Hebr (7,26; 9,14)." 213 Da dieser Gehorsam Jesu als Ausdruck und Erweis seiner Übereinstimmung mit Gott aber Inhalt seiner als Gerechtigkeit verstandenen Sündlosigkeit ist, gründet in ihr die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu. Demzufolge ist die Sündlosigkeit Jesu die Bedingung der Heilsbedeutung seines Sterbens am Kreuz. b) Für das Verständnis des Menschseins Da Jesus Christus seine Sündlosigkeit als Mensch gelebt hat und sie von daher nicht abgesehen von seinem Menschsein begriffen werden kann, ist sie von Bedeutung nicht nur für sein Heilswerk, sondern auch für das Verständnis des Menschseins überhaupt. Jesus Christus hat als Mensch in dem dreifachen Verhältnis zu Gott, zum Nächsten und zur gesamten Schöpfung, in das er durch seinen Lebensvollzug wie jeder andere Mensch gestellt war, gelebt. Im Unterschied zu allen Menschen jedoch hat er hier das getan, was alle anderen nicht tun und nicht getan, was alle anderen in derselben Lage tun: Er hat nicht gesündigt, was aber positiv heißt: Er hat in voller Übereinstimmung mit Gott gelebt und gehandelt und hat also in diesem dreifachen Verhältnis - von der Auferwekkung her - die Sündlosigkeit verwirklicht, die von daher als Gerechtigkeit definiert wurde. Dadurch aber hat er als Mensch die geschöpfliche Bestimmung des Menschen von Gott zur Liebesgemeinschaft mit Gott, die das Verhältnis zum Nächsten wie zur ganzen Schöpfung umfaßt, erfüllt und verwirklicht und hat somit das wahre Menschsein in dieser seiner dreifachen Beziehung durch seine Existenz inmitten der gefallenen und sündigen

212 2,3

Siehe ders., Versöhnung durch Christus, aaO., S. 156. H. Strathmann, Hebr, S. 98.

213

Menschheit aufgerichtet. Als der Gerechte ist Jesus der wahre Mensch214, der Mensch der göttlichen Bestimmung und des Wohlgefallens Gottes. Das Kennzeichen dieses seines wahren Menschseins ist nicht eine von Anfang an feststehende Unfähigkeit zur Sünde, die seine Wesenseinheit mit den Menschen in Frage stellen würde, sondern die Überwindung der Sünde inmitten der in jedem Menschen vorhandenen sündhaften Grundstruktur der in Widerspruch und Feindschaft mit Gott lebenden Welt. Dadurch ist Jesu Christi Exklusivität nicht außerhalb des Menschseins situiert, das auch das unsere ist und an dem wir teilhaben, sondern er hat innerhalb dieses unseres Menschseins von der Auferweckung her in seinem Verhältnis zu Gott, den Menschen und zur Welt durch die Überwindung der sündhaften Grundstruktur die Bestimmung des Menschen zum Neuen Sein verwirklicht, das als das Kennzeichen des neuen Äons der Anbruch und zugleich die proleptische Verwirklichung der eschatologischen Existenz ist. Diese eschatologische Existenz ist aber durch Jesu Christi Gerechtigkeit um unseretwillen verwirklicht worden, daß wir an ihr Anteil bekommen bzw. in sie hineinversetzt werden. Dieses geschieht durch unsere Verbundenheit mit ihm, die nichts anderes ist als das Sein in Christus (II Kor 5,17). Durch sein Sterben als der Gerechte ist die Versöhnung zwischen Gott und Mensch zustande gekommen, aufgrund derer wir von Gott gerechtgesprochen werden und also Anteil an Jesu Gerechtigkeit erhalten, die sich somit als »inklusive Exklusivität« erweist. Dadurch aber wird die Gerechtigkeit zur eschatologischen Heils gäbe, durch die wir ewige Gemeinschaft mit Gott, Frieden, Freude und Leben empfangen.

214 Vom Zusammenhang des wahren Menschseins Jesu mit seiner Sündlosigkeit spricht neuerdings W. Joest; siehe Dogmatik I. Die Wirklichkeit Gottes, S. 229f. Indem das NT Jesu Sündlosigkeit bezeugt, bringt es zum Ausdruck, daß Jesus in der "ungeteilten Erfüllung des Doppelgebotes der Liebe, in dem der ganze Gotteswille zusammengefaßt ist", und in der "Macht der Liebe Gottes in der Zuwendung zu den Menschen" gelebt und dadurch die geschöpfliche Bestimmung des Menschen, das wahre Menschsein, verwirklicht hat (S. 229). - Es fällt jedoch auf, daß Joest die Sündlosigkeit Jesu ganz auf sein Verhältnis zu Gott, in dem das Verhältnis zu den Menschen gründet, bezieht (Joest verwendet allerdings den Begriff 'Verhältnis' nicht), und die Schöpfung dabei keinerlei Rolle spielt.

214

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka. Eine Auswahl:

7 5 Armin W e n z

6 6 Notger Slenczka

Das W o r t Gottes - Gericht und Rettung

Realpräsenz und Ontologie Untersuchung der ontologischen Grundlagen der

Untersuchungen zur Autorität der Heiligen Schrift in Bekenntnis und Lehre der Kirche. 1995. Ca. 3 6 8 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 2 - 9

Transsignifikationslehre. 1993. 6 0 2 Seiten, kart. ISBN 3-525-56273-X

7 4 Barbara S c h w a h n

6 5 Werner Thiede

Der ökumenische Arbeitskreis Evangelischer und Katholischer Theologen von 1 9 4 6 bis 1 9 7 5

Auferstehung der Toten - H o f f n u n g ohne

1995. Ca. 4 4 8 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 8 1 - 0

Grundstrukturen christlicher Heilserwartung und ihre verkannte religionspädagogische Relevanz. 1991. XII, 437 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 2 - 1

73 Berthold Köber Sündlosigkeit und Menschsein Jesu Christi Ihr Verständnis und ihr Z u s a m m e n h a n g mit der Zweinaturenlehre in der protestantischen Theologie der Gegenwart. 1995. Ca. 2 0 0 Seiten, kart. ISBN 3-525-56280-2 7 2 Heinrich Assel Der andere Aufbruch Die Lutherrenaissance - Ursprünge, Aporien und W e g e : Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910-1935). 1994. 5 2 8 Seiten, geb. ISBN 3-525-56279-9 71 Andreas Grünschloß Religionswissenschaft als Welt-Theologie. Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik. 1994. 3 6 0 Seiten mit 6 Abb., kart. ISBN 3-525-56278-0 70 Stefan Streiff " N o v i s Unguis loqui." Martin Luthers Disputation über Johannes 1,14 "verbum caro factum est" aus dem Jahr 1539. 1993. 2 5 1 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 7 - 2 6 9 Michael Basse Certitudo spei Thomas von Aquins Begründung der Hoffnungsgewißheit und ihre Rezeption bis zum Konzil von Trient als ein Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Eschatologie und Rechtfertigungslehre. 1993. 261 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 6 - 4 6 8 M a t t h i a s Zeindler G o t t und das Schöne Studien zur Theologie der Schönheit. 1993. 4 5 2 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 5 - 6 67 Jochen Eber Einheit der Kirche als dogmatisches Problem bei Edmund Schlink 1993. 3 0 1 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 4 - 8

Attraktivität?

6 4 Gottfried Martens Die Rechtfertigung des Sünders Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament? Grundentscheidungen lutherischer Theologie und Kirche bei der Behandlung des Themas "Rechtfertigung" im ökumenischen Kontext. 1992. 4 2 8 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 1 - 3 6 3 Karl Hinrich M a n z k e Ewigkeit und Zeitlichkeit Aspekte für eine theologische Deutung der Zeit. 1992. 541 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 7 0 - 5 6 2 Christoph Künkel Totus Christus Die Theologie Georges V. Florovskys. 1991. 4 6 9 Seiten, kart. I S B N 3 - 5 2 5 - 5 6 2 6 9 - 1 61 W o l f g a n g Greive Die Kirche als Ort der W a h r h e i t Das Verständnis der Kirche in der Theologie Karl Barths. 1991. 4 0 6 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 6 8 - 3 6 0 Ulrike Link-Wieczorek Reden von Gott in Afrika und A s i e n Darstellung und Interpretation der afrikanischen Theologie im Vergleich mit der koreanischen Minjung-Theologie. 1991. XI, 311 Seiten, kart. ISBN 3 - 5 2 5 - 5 6 2 6 7 - 5

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Das Leben Jesu Bestandsaufnahmen Eduard S c h w e i z e r

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Jesus, das Gleichnis Gottes

Christologische Hoheitstitel

Was wissen wir wirklich vom Leben Jesu? (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1572). 1995.120 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-33596-2

Ihre Geschichte im frühen Christentum. (UTB 1873). 5., erweiterte Auflage 1995. 488 Seiten, kartoniert ISBN 3-8252-1873-2

Den immer zahlreicher werdenden Spekulationen über das Leben Jesu stellt der bekannte Züricher Neutestamentier eine solide historische Bestandsaufnahme gegenüber. In der Auseinandersetzung mit neueren Rekonstruktionen wird dabei auch grundsätzlich bedacht, welch hohen Anspruch Jesus in seiner gesamten Verkündigung, aber auch in seinen Heilungen und Tischgemeinschaften erhoben hat, welche Sicht seiner Person sich daraus ergibt, wie sein Tod in diese Sicht eingebettet ist und wie man historisch und systematisch verantwortbar von seiner Auferstehung reden kann.

„Der Verfasser versucht, die A n f ä n g e der christologischen Tradition freizulegen und Kriterien zu finden, die die zeitliche und räumliche Einordnung der Einzeltradition gestatten. Er orientiert sich an f ü n f christologischen Titeln, die in j e einem Paragraphen behandelt werden (Menschensohn, Kyrios, Christos, Davidssohn, Gottessohn), deckt jeweils den philologischen und religionsgeschichtlichen Hintergrund auf, stellt den Zusammenhang mit der Verkündigung und dem Wirken Jesu her und verfolgt dann Gebrauch und Bedeutung der Titel in der palästinensischen, der jüdisch-hellenistischen und der hellenistisch-heidenchristlichen Gemeinde.

Reinhard Slenczka

...ein sehr eindrucksvolles Bild v o n der vor- und (inner)neutestamentlichen Christologie." Der Evangelische Literaturbeobachter

Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi Studien zurchristologischen Problematik der historischen Jesusfrage. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 18). 1967. 366 Seiten, Leinen ISBN 3-525-56221-7 Dieses Buch ist Grundlagenforschung und Handbuch der historischen Jesus-Forschung zugleich. Es greift unter anderem folgende Fragen auf: Bildet die historische Jesusfrage eine Alternative zur dogmatischen Christologie? Ist sie eine hermeneutische Aufgabe, die den gegenwärtigen Existenzbezug vom Vergangenen her erhellen soll? Und inwiefern ist sie ein christologisches Problem? Die Frage nach der Geschichtlichkeit ist die Frage nach dem Personsein Jesu Christi, und hier fallen die wesentlichen theologischen Entscheidungen.

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