Liebe und Sein: Die Agape als fundamentalontologische Kategorie [Reprint 2012 ed.] 3110185474, 9783110185478, 9783110910506

Der Autor bietet eine Studie zur seinsgeschichtlichen Entfaltung der christlichen Zentralbotschaft von der Liebe Gottes.

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German Pages 526 [524] Year 2006

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Liebe und Sein: Die Agape als fundamentalontologische Kategorie [Reprint 2012 ed.]
 3110185474, 9783110185478, 9783110910506

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Bernt Knauber Liebe und Sein

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer und W Härle

Band 133

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Bernt Knauber

Liebe und Sein Die Agape als fundamentalontologische Kategorie

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_G Walter de Gruyter · Berlin · N e w York

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-11-018547-8 ISBN-10: 3-11-018547-4 Bibliografische Information Der Deutschen

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Die Dcutschc Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abruft)ar.

© Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die üinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggcstaltung: Christopher Schneider, Berlin

.Amicus primo vult suum amicum esse et vivere." (Thomas von Aquin, S. theol. II-II, q 25, a 7)

Nur die Liebe baut die neue Welt, aber die Liebe baut sie sicher." (Karl Barth, Der Römerbrief, 391)

Vorwort Wenngleich über die Liebe soviel Schönes geredet wie über das Sein Kluges gedacht wurde, ist, im größeren Maßstab gesehen, es bislang zu keiner dauerhaften Verbindung beider gekommen. Dort erscheint die Liebe eher wie ein hübscher Schmetterling, der auf dem schroffen Seinsacker einmal hier, einmal da landet, ohne nachhaltig Spuren zu hinterlassen. „Gnade und Wahrheit" (Joh.1,14) aber soll die Flur samt ihren Bewohnern auszeichnen, seit Christus zu ihrer Erlösung erschienen ist. Darüber haben Theologen aller Konfessionen vielfältig referiert, um beim Versuch, das Sein hinter das eigene Wahrheitsverständnis zu spannen, aber festzustellen, dass gerade so Gewaltrodungen und schließlich nur neue Parzellierungen das Ergebnis sind. Auch die besten Absichten haben das Sein in immer neue Zerrissenheiten und Spaltungen hineingetrieben. Welches also ist der gute Same, der auf dem Acker wirklich Liebe wachsen lässt und ihn verwandelt zu einer einladenden Wohnstätte für alle? Dass zur Liebe selbst bislang noch gänzlich Unbekanntes gesagt werden kann ist unwahrscheinlich, auch im christlich-theologischen Bereich, wo sie im vergangenen Jahrhundert Gegenstand profunder Abhandlungen war, die wir zu würdigen haben werden als Annäherungen an das aus christlicher Sicht großartigste aller Liebeszeugnisse das des Neuen Testamentes. Auch ihre Betrachtung als Grundkraft allen Seins wurde in der Vergangenheit in Ansätzen bereits angestellt, wobei Poesie und Wunschdenken stringente Erläuterung zumeist übertrafen. Neu ist daher an dieser Stelle neben der historischsystematischen Aufbereitung dieses Sachverhaltes seine kommunitäre Zuspitzung vom Kern der christlichen Liebe aus, die ein grundlegendes Überdenken der bisherigen Kultivierungspraxis nahe legt. Insbesondere ein Novum in der Geschichte des Seins wäre schließlich die konsequente Umsetzung des Altbekannten, die Realisierung des göttlichen Anspruchs, wofür in Erinnerung jenes Kerns Vorschläge gemacht werden sollen.

VIII

Vorwort

Für die Durchführung dieser Untersuchung bedeutet dies, dass in Tuchfühlung mit den traditionellen Interpretationen der spezifisch christliche Inhalt der Liebe neu eruiert und so zur Anwendung gebracht werden soll, dass von ihr aus es möglich werden soll, was als „Sein" bezeichnet wird, in seiner Allgemeinheit wie in seiner christlichen Besonderheit unter dem Signum dessen zu begreifen, was die Kirche die „gute Nachricht" Gottes nennt - nämlich eben die Botschaft seiner Liebe. Wir schauen auf die biblische Seinsordnung in der Agape, die über die Rettung des Einzelnen hinaus auch die Gemeinschaft der Glaubenden unverwechselbar kennzeichnen möchte. Wir erinnern daran, dass sie jene Einheit beabsichtigt, die exklusiv der Macht Gottes entspringt und in welcher die unheilvolle Diskrepanz von Erkenntnis und Sein umfassender Versöhnung gewichen ist. In der Neugestaltung unseres persönlichen wie auch unseres kirchlichen Seins kann und möchte die Liebe Gottes auch die Wahrheit Gottes vollständig verifizieren. Dies gilt es - auch im Blick auf die Konfessionsgeschichte - zuzulassen. Wo sie ihres Liebes-Charakters verlustig gegangen ist, plädieren wir daher für die Umkehr zu einem das Sein im Sinne des Schöpfers zurechtbringenden Evangelium, ohne dabei die Grenzen zu übersehen, die auch der Kirche als einer in dieser Welt befindlichen noch gesteckt bleiben. Beim Verweis auf seine Ursprünge in jener Liebe als dem zeitlosen christlichen Qualitätsmerkmal aber hoffen wir mit der Plausibilität auch der Zukunftsfähigkeit des christlichen Projekts, so Gott will, dienlich zu sein. Mainz, im August 2004

Bernt Knauber

Inhalt Vorwort

VII

Einleitung

1

A. 1. 1.1 1.2 1.3 1.4

1 1 1 5 9

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe Die Ausgangsfrage Das Sein als fragliches Die Funktion des Eros Die Grenze des Eros Die Bedeutung der Liebe und ihre theologisch-ontologische Dimension / Das Problem der Liebesvergessenheit

12

B. Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft 23 1. Die Frage nach der Liebe 23 1.1 Die Liebe als christlicher Schwerpunkt / Das Problem mit der Liebe / Die Notwendigkeit einer biblisch-systematischen Untersuchung 23 2. 2.1 2.2 2.3 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Die christliche Rede vom Sein Die christliche Scheu vor der Rede vom Sein Das Problem christlicher Ontologie Der biblisch-heilsgeschichtliche Seinszugang

Was ist „Sein"? Sein als Allgemeines Klassische Bestimmungen Die Seins-Situation des Menschen Sein - biblisch-ontologisch / Das „Ganz-Sein" im Grund des Seins Die „ontologische Differenz": Sein zum Leben - Sein zum Tode / Das Problem des heillosen Seins 3.6 Die säkularen Seins-Verheißungen und die Hoffnung auf die christliche Alternative

25 25 26 29 31 31 32 35 36 40 44

X

Inhalt

4. Die Aufgabe 4.1 Die Seinslösung der Heiligen Schrift / Geheiltes Sein als Sein in der Liebe Gottes 4.2 Die Frage nach dem Sein der Kirche 4.3 Thema, Methode, Begriffe

50

I.

Die Agape als Grund des originalen Seins

62

1.

Die fundamentalontologische Ursituation / Das Schöpfungswerk im Wort Gottes Die Liebe Gottes als kreatorisches Prinzip Das Sein gegründet im Wort Gottes / Das Selbst-Verständnis des Seins in Gottes Ja-Wort Konstruktions- und Instruktionswort / Das „eigentliche" Wort Gottes als die Liebe Gottes / Der intakte Gebrauch der Vernunft / Die Bewahrung des Seins im Gehorsam des Wortes Gottes Liebe und Logos Die Bedeutung der Präexistenzchristologie / Das Problem des Logos asarkos Das kosmologische Thema der Heiligen Schrift Das Konzept christlicher Ganzhaftigkeit Das Autonomieproblem Das Sein Gottes / Die Agape als die Wirklichkeit Gottes

1.1 1.2 1.3

2. 3. 4. 5. 6. 7.

II. Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

50 52 55

62 62 63

68 71 72 76 79 81 82 86

1.

Der fundamentalontologische Schock und seine fundamentalpsychologischen Konsequenzen 86 1.1 Das Seins-Desaster / Der Fall aus dem Seinsgrund-Wort Gottes / Der Seins-Zerfall / Das „neue Sein" des Menschen / Das fundamentalontologische Problem 86 2. Das verkrümmte Sein zum Tode / Die Herrschaft des Nichts 89 2.1 Rettungsversuche / Das Problem der Vernunft / Der Mensch in Angst 89 2.2 Der verkehrte Mensch als Knecht seines Unglaubens / Das Problem der Vernunft (Fortsetzung) 94 2.3 Des Menschen neue Welt / Des Menschen Werk / Die neuen Ideale .. 96 2.4 Der Kampf ums Sein 98

Inhalt

XI

2.5 Das Sein als nichtiges 2.6 Exkurs: Heidegger

100 102

3.

117

Das „Andere"

III. Kompensationsversuche des fundamentalontologischen Defizits / Die Erosleistung 121 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Die Entstehung der Seinsfrage, - der Wahrheitsfrage / Die Suche des Eros / Die Frage nach dem Seinsgrund als die Frage nach der Liebe / Christ-Sein Disziplinen des Eros Die Ägypter Die Inder Die Chinesen Die Perser Die Griechen / Der Beginn der Eroslinie Mittelalter / Der Höhepunkt der Eroslinie Neuzeit / Der „Fortschritt" der Eroslinie und ihre nicht-christlichen Modifikationen Gegenwart Die physikalische Perspektive der christlichen Metaphysik (Naturwissenschaft und Theologie) Der postmoderne Versuch Die christliche Perspektive

IV. Das Provisorium 1.

V.

121 124 129 129 130 131 132 136 137 143 148 156 158 161

Die Seinsaporie / Gottes Notinstruktion / Liebe als Gesetz (Der Mensch unter dem Gesetzes- und Verheißungswort des Alten Testamentes)

161

Die Agape als Grund des neuen Seins

164

1.

Die christliche Offenbarung als Antwort auf das fundamentalontologische Problem / Das „Dass" der Agape als fundamentalontologische Kategorie 1.1 Das Kommen des Sohnes Gottes 1.1.1 Die Gottesliebe als Gottesrede

164 164 164

XII

Inhalt

1.1.2 Die Erfüllung der Zeit / Die Erfüllung der Schrift / Die Sendung des Sohnes 1.1.3 Die Offenbarung (als allgemeine und spezielle) 1.1.4 Die Wiederbringung des Konstruktions- und Instruktionswortes (des Seinsgrundes) mit Christus / Die Refundamentierung des Seins / Das Werk Gottes 1.2 Die Erscheinungsweise des Sohnes Gottes 1.2.1 Logos - Christus - Agape / Das Wort Gottes als die Liebe Gottes / Das „logische" Missverständnis 1.3 Die Leistung des Sohnes Gottes 1.3.1 Die neue Kreatur 1.3.2 Die Vergebung der Sünden 1.4 Die Wirklichkeit des Sohnes Gottes 1.4.1 Die Vergebung als Gottes „Ja"-Wort / Die Reparatur des Seins 1.4.2 Das horizontale Problem - und seine Lösung 2.

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8

166 166

169 171 171 173 173 174 174 174 178

Der Inhalt der Gottesantwort / Das „Was" der Agape als fundamentalontologische Kategorie / Die Liebe Gottes als Zentralbegriff des Reiches Gottes 179 Die Heilsgeschichte als der biblische Darstellungsrahmen des Reiches Gottes / Theologische Ontologie als Heilsgeschichte 179 Das Reich Gottes als äußerer biblischer Zentralbegriff / - als Darstellungsrahmen der Agape 182 Das Neue Testament als sukzessive christologische Extension / Der biblische Heilsuniversalismus / Das „Schon und Noch-nicht" 186 Einheit als Ausgangspunkt der Liebe 189 Die Agape - der biblische Befund 191 Der theologische Zenit der Liebe bei Paulus, Johannes - aufgrund ihrer fundamentalontologischen Bedeutung 197 Erwählung / Liebe / Recht 205 Die Agape als innerer biblischer Zentralbegriff 209

3.

Das Wesen der Gottesantwort / Das „Wie" der Agape als fundamentalontologische Kategorie 3.1 Die Bedeutung des Kreuzes als Ausgangspunkt - / Vergebung als der spezifisch christliche Inhalt der Liebe 3.2 Die Agape als die Kraft Gottes / - als Grund- und Totalakt des menschlichen Seins / Die Überwindung der Egozentrik

212 212 214

Inhalt

XIII

3.3 Die Agape als vollständige, integrative Liebe / Die Reparaturfunktion des Eros / Konstruktives, sich ergänzendes Sein 216 3.4 Die ontologische Macht der Agape / Die soziale Wirklichkeit des neuen Seins 222 4. Die Agape als Heilsgut 229 4.1 Das soteriologische Element des Evangeliums 229 4.1.1 Die Rettung des Seins durch Glauben / Glaube als Eingang in die Liebe Gottes / - ins Pneuma des Reiches Gottes 229 4.1.2 Die soteriologisch-ontologische Einheit des Evangeliums / Das ganze Evangelium / Heilswort und Heilswirklichkeit 231 4.1.3 Glaube und Liebe 234 4.1.4 Exkurs: Die Bedeutung des Instruktionswortes Gottes / Die Heilige Schrift / Das Problem der Inspirationslehre / Die Notwendigkeit materialer Bibeltreue 236 4.2 Das ontologische Element des Evangeliums als unmittelbare Konsequenz des soteriologischen 243 4.2.1 Das Christliche als Vergebungsempfang und Vergebungsweitergabe / Christ-Sein als intaktes Gottes- und Geschwisterverhältnis / Das christliche Sein als Sein in Einheit 243 4.2.2 Die christliche Horizontale als Vervollständigung vertikaler Seinsintegrität / Das Wohl des Menschen / Die Agape als Heilssubstanz 245 4.2.3 Vergebung als nota ecclesiae / Einheit als praktizierte Vergebung / Der Weg zur Einheit 246 4.2.4 Der Geist 248 4.2.5 Christliche Totalität 250 4.2.6 Die christliche Wirklichkeit als die Wirklichkeit des totus Christus / Die Einheit von christlicher Soteriologie und christlicher Ontologie im Reich Gottes 251 4.2.7 Die Überwindung von christlichem Doketismus und Verbalismus mithilfe der ekklesialen Dimension des Evangeliums / Christliche Ontologie als christliche Ekklesiologie / Das wiederhergestellte Ganz-Sein als Seins-Ergänzung des Partikularen 253 4.3 Das neue Sein als eindeutiger Lebensvollzug 262 4.3.1 Die ekklesia als opus proprium des Heiligen Geistes / - als ontologisches Paradigma / Die Liebeswirklichkeit 262 4.3.2 Ekklesiale Heilsausprägung / Das Sein der Gemeinde als korporatives Sein / Die Neuordnung der Wirklichkeit / Die Lösung der Seinsfrage als die Realherrschaft des Kreuzes 263

XIV

Inhalt

4.3.3 Seinsvollkommenheit als Einheit / Die „Fülle Gottes" / Der Sinn des Seins als Lobpreis 4.3.4 Exkurs: Das Problem des Agonalen

265 267

5. Die Agape als pneumatologisch/ekklesiologischer Schlüsselbegriff .... 270 5.1 Christologie und Pneumatologie 270 5.2 Pneumatologie und Ekklesiologie / Die Notwendigkeit biblisch-ekklesiologischer Besinnung 273 VI. Das neuerliche Problem mit der Agape (als fundamentalontologischer Kategorie) / Die Deformierung des christlichen Seins 278 1.

Der Agapeverlust der frühen Kirche in Theorie und Praxis / Die Entontologisierung des Christentums als seine Entsozialisierung . 278 1.1 Die nachapostolische Entwicklung als Verlust neutestamentlicher Lehre und Praxis / Die erneute Problematisierung des Wortes Gottes / Die Deformation des Leibes Christi / Die Ausbildung von Ersatzstrukturen / Die erneute ontologische Defizienz (Die Apostolischen Väter und die Folgen) 278 2. Chance und Scheitern der altkirchlichen Logoslehre 2.1 Die (stoische) Missbildung der biblischen Logostheologie / Vernunft statt Liebe / Die erneute Preisgabe des Seinsgrundwortes (Die Apologeten)

288

288

3.

Das altkirchliche Dogma als Ausdruck des fundamentalontologischen/agapeologischen Defizits 296 3.1 Die Verfremdung der biblischen Gotteslehre / Die (erneute) Scheidung von Gott und Welt / Die Problematisierung des Soteriologischen als Dogma 296 4.

Der fortschreitende christliche IdentitätsVerlust und die Versuche seiner Kompensation 4.1 Die Geschichte der Alten Kirche als sukzessive christologische Reduktion / Die christliche Rückkehr zur „Welt" / Das „neue" Sein als das alte 4.2 Die Liebe in Patristik und Mittelalter 4.3 Die philosophischen Parallelen

303

303 306 313

Inhalt

5. Die soteriologische Reformation 5.1 Der reformatorische Neubeginn / Die teilweise Wiederherstellung des Werkes Gottes 5.2 Die reformatorische Grenze / Die vergessene Dimension 5.3 Die Notwendigkeit des totus Christus / - ekklesialer Ganzheit 5.4 Das ganze Evangelium als bleibende Aufgabe 5.5 Exkurs: Der Streit um die Bibel

XV 323 323 330 335 340 342

6. Die bleibende ontologische Lücke 6.1 Das kontinuierliche Missverständnis der Liebe / Die Diskussion um Agape und Eros / Die Liebe im Konfessionalismus 6.2 Anders Nygren 6.3 Die Liebe als trinitarisches Thema und das Problem der Nächstenliebe 6.4 Die Eros-Agape-Kombination 6.5 Victor Warnach 6.6 Helmut Kuhn 6.7 Josef Pieper

346

7. Die christliche Aporie 7.1 Das Problem des Konfessionalismus als bleibendes Problem des christlichen Seins / - als bleibende Aufgabe der Agape

399

VII. Ansätze zu einer Lösung des Problems

401

346 348 356 375 379 389 392

399

1. Ecclesia semper reformanda 401 1.1 Das christliche Spezifikum als Schlüssel zur Wiedergewinnung der christlichen Glaubwürdigkeit / Die Überwindung des Konfessionalismus in der Agape / Vergebung als Problem der christlichen Wahrheit 401 1.2 Der Konfessionalismus als Ausdruck des Scheiterns der Reformation / Die Notwendigkeit ekklesialer Komplettierung des Evangeliums / Die bleibende Aufgabe reformatorischer Vollendung 406 1.3 Exkurs: Zu Pannenbergs Konzeption des Antizipatorischen 410 1.4 Das christologisch-ekklesiologische Vakuum 422 1.5 Die christliche Wahrheit als Ergebnis der Liebe / Wahrheit als Einheit 425 1.6 Einheit als Signum des Gottesreichs / Der biblisch-ökumenische Seinsweg 434

XVI

Inhalt

2. Die Notwendigkeit theologisch/dogmatischer Erneuerung 2.1 Die Rehabilitation der Agape im Zentrum einer theologischen (Fundamental-)Ontologie

439 439

3. Die Notwendigkeit kirchlich-praktischer Umkehr 445 3.1 Der christliche Normalzustand als norma ecclesiae / Die Rehabilitierung des Christlichen infolge kirchlicher Buße 445 3.2 Kirche als Gestaltwerdung der Agape / Spannung statt Spaltung / Die ekklesia als Antizipation des Gottesreichs / - des eschatologischen Gotteslobs 448 3.3 Das kirchliche Mysterium 452 4.

Die Wiedergewinnung der eigentlichen eschatologischen Spannung / Das „Noch nicht" 454 4.1 Das bleibend Eschatologische und das „Angeld" des Geistes 454 4.1.1 Die individuelle und universelle Hoffnung / Die soziale Wirklichkeit des Christentums als Überbrückung des „Noch nicht" 454 4.2 Reich Gottes und Weltwirklichkeit 455 4.2.1 Die christliche Provokation (Der christliche Dualismus) / Das „Nein" der Welt zum „Ja" Gottes / Christliche Erneuerung 455 4.3 Möglichkeiten christlicher Apologetik 462 4.3.1 Seins- und Verbalverkündigung der ekklesia / Die Universalität des Christlichen / Theologie als Fundamentalwissenschaft / - als ganzheitliche Wirklichkeitswissenschaft 462 Bibliographie Register

467 497

Einleitung

A. Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

1. Die Ausgangsfrage 1.1 Das Sein als fragliches Der Umstand, dass das Leben neben allem Erfreulichen, Sieghaften sich niederschlägt in Verhängnissen, Verletzungen, Unwägbarkeiten, Scheitern und Neubeginn, am Ende in Verfall, Gebrechen und Tod, ist einer der Hauptgründe für das, was von alters her „Philosophie" heißt - die denkerische Bemühung, mit eben dem Leben zurechtzukommen. Ein so zerbrechliches wie reizvolles Projekt ist es, eine Gratwanderung zwischen den Gefühlen des Alles- und Nichtshabens, um dabei immer auch schon die gegenteilige Wahrheit ticken zu hören. - Eine wirre Formation innerer und äußerer Klippen, in der Abgründe und Ungewissheiten jene Glücksmomente auf sonnigen Höhen säumen, für die wir marschieren und auch zähestes Gelände bewältigen - einmal einsam, einmal gemeinsam, einmal grenzenlos zuversichtlich, einmal verzweifelt ausweglos auf der Suche nach dem Ort, an dem wir sagen: Hier darf und will ich bleiben, hier ist gut sein. Doch die Dinge bleiben im Fluss, ständiger Veränderung unterworfen, das Seiende erweist sich als das Im-Augenblick-Seiende, keinerlei Garantie bietende, das „Sein des Seienden" als Fragilität. - Darum die „Liebe zur Weisheit", zu jener Weisheit, die in aller Unbeständigkeit uns Gutes, Wahres und Schönes sichern soll. Schon in dem Begriff Philosophie ist somit eine Variante von Liebe vor diejenige Weisheit gesetzt, die der Problematik des Seins zu Leibe rücken will. Die Neigung zu hilfreicher, sinnstiftender Erkenntnis ist

2

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

deren originaler Beginn. 1 Was aber ist zu halten von eben dieser Neigung, die vor der Erkenntnis steht, die den Menschen treibt erkennen zu wollen, erkennen zu müssen? Was von seiner Befindlichkeit, seinen Problemen, die ihn erst als fragendes Wesen auf den Weg schicken? An dieser Stelle forschen die Sozialwissenschaften, die Psychoanalyse, die ihrerseits aber nicht zurück können hinter die Probleme, die ihnen erst die Aufgabe gewiesen haben. Auch hier zeigt sich: Dem menschlichen Verstand sind Phänomene vorausgesetzt, an deren Beschaffenheit, an deren Seinsweise die Vernunfttätigkeit sich erst entzündet im Maße, wie diese Seinsweise sich als eine problematische erweist. „Zweifel" hat man solches Ur-Erleben genannt, „Staunen" über Einheit und Vielheit, Stoff und Form, Ewigkeit, Vergänglichkeit, über die vielfache Rätselhaftigkeit, Unerklärbarkeit der Dinge, 2 die wie Geworfene erscheinen und nach ihrer tieferen Ergründung rufen. Der Mensch ist von Natur aus Philosoph, weil ihm die Frage nach dem Sein zueigen, ja typisch ist.3 Ob die menschliche Vernunft eine solche Ergründung zu leisten vermag oder nicht - erst ist das Ding als so-seiendes, dann tritt die menschliche Vernunft in Bearbeitung des Soseienden in Erscheinung, ein Vorgang, der nur im Seinsbereich Gottes ein umgekehrter ist, wo nach christlicher Lehre der Logos vor aller Individuation steht. Im Bereich der Immanenz aber wissen wir nicht erst seit heute: Wie das Ding ist, sein „Sein", ist gerade nicht zuerst eine Frage der Vernunft, sondern seiner Formung und Prägung einschließlich dessen, was uns warum auch immer - „vernünftig" erscheint. 4

1

S. zur historischen Entfaltung der Philosophie aus ihren Ursprüngen Walther Kranz, Die griechische Philosophie, 1955; Friedo Ricken, Philosophie der Antike, 2000; sowie zur systematischen Reflexion des besagten Zusammenhangs Willi Oelmüller (Hg.), Philosophie und Weisheit, 1989.

2

S. Arno Anzenbacher, Einführung in die Philosophie, 6 1995, 17ff.

3

Dieses Faktum hat gern Paul Tillich betont (z.B. in: Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 17) und bei aller konstatierbaren Fraglichkeit seiner eigenen christlichen-philosophischen Synthesebemühungen doch überzeugend dargestellt, dass der philosophisch nach Wahrheit fragende Mensch keinesfalls weniger christlich zu Werke geht als der theologisch antwortende, dass vielmehr in diesem Sinne zwischen beiden ein Verhältnis der Korrelation besteht. S. bes. ST 1, 8 1987, 73ff.

4

Eine objektive Fassung des Verhältnisses von Vernunft und Sein ist problematisiert durch die relative Teilhaftigkeit des Menschen beider und gehört somit zu den verwirrendsten Kapiteln der abendländischen Philosophiegeschichte mit oft wunderlichen, hier nur am Rande zu würdigenden Resultaten. Wir meinen, dass das Sein der

Das Sein als fragliches

3

Die Sozialwissenschaften sind schwerlich imstande, diejenigen Fragen zu erhellen, zu lösen gar, die sie als Sozialwissenschaften erst auf den Plan gerufen haben. Sie arbeiten am Vorfindbaren und sind dessen reflexives Produkt. Auch die sozialpsychologische Vernunft wird determiniert durch eine Grundgestimmtheit des Subjekts der Vernunft, die klassischerweise eine „metaphysische" genannt wird. Die Frage nach des Menschen Frage greift über den Menschen hinaus. Es ist die Frage, ob da etwas ist, was ihm wirklich Halt gibt - so sehr, dass mehr noch als seine Verstandeskräfte eine diese Potentiale konstruktiv ausrichtende, eine positive ganz-personale Grundverfassung angeregt wird, eine Position existenzieller Souveränität, ein Getröstet-Sein, in welchen Seins-Widrigkeiten homo sapiens sich auch befinden mag. Es ist diejenige Frage, die vorentscheidet, ob der Mensch wirklich Freund des Menschen sein kann oder Streiter sein muss für sein eigenes Glück. Es ist die Frage nach der Urintegrität des Seins. Diesbezüglich ist in der Geschichte der Philosophie eine optimistische Sichtweise die zumeist dominierende gewesen. In den phantastischen Konstruktionen des deutschen Idealismus hat sie ihren Höhepunkt, keinesfalls aber ihren Endpunkt erreicht, sondern sich aufgemacht nach Überwindung einiger vehementer Gegenreaktionen wie ehedem die Geister zu motivieren, das eigene Geschick als Sache der eigenen Möglichkeiten anzusehen - ausgehend von der Überzeugung, dass nicht nur die Vernunft, sondern erst recht die mit der Vernunft

Vernunft logisch wie sachlich vor- und übergeordnet ist, es dem Denken die körperliche Grundlage stellt, von der bislang nicht bekannt ist, dass dieses sich davon lösen und unabhängig entwickeln könnte. Der Schluss des common sense wie auch regelmäßig aller Beobachtung scheint uns richtig, dass die Art des Seins verantwortlich ist für die Ausprägung der Art des Bewusstseins (vgl. Tillich, ST 1, 8 1987, 87ff.), wenngleich namhafte Denker von Parmenides bis Kant dies anders gesehen haben. Die Frage, die sich hier auftut, ist freilich die nach dem Huhn und dem Ei und muss theologisch zugunsten des Huhns beantwortet werden. Genau hier aber zeigt sich, dass die Selbstreflexion des Seins nur in philosophischer und theologischer Hinsicht gelingt. Wenn Leibniz die Formulierung des Locke'schen Erfahrungsprimats: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu durch den Zusatz korrigiert hat: Nisi intellects ipse, bedeutet dies gerade nicht die zwangsläufige Konsequenz des Rationalitätsprimats, sondern, nur einen Schritt weiter, die Frage, worin der Intellekt denn seine Fundierung hat und woraus er seine je eigene Motivation bezieht. Zur philosophiegeschichtlichen Betrachtung dieses Komplexes s. auch Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, 91988, bes. 234ff.

4

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

verquickten fundamentalpsychologischen Belange des Menschen bei ihm selbst recht aufgehoben seien. Bei Scheler etwa wird der Zusammenhang menschlicher Geistestätigkeit und deren emotive Gründung nicht nur gesehen, sondern klar positiv gedeutet. Vom Menschen wird gefordert, dass er ein demütiges Dankwesen sei, ein in der Liebe weltaufgeschlossenes, erwartungsfrohes aufgrund eines emotionalen Grundvertrauens, 5 so dass in ihrer Umfänglichkeit wohlklingende, in ihrer komplikationsfreien Simplizität aber fragliche Aussagen getroffen werden wie: „Der Mensch ist, ehe er ein ens cogitans ist oder ein ens volens, ein ens amans." Oder: Die Liebe ist „immer die Weckerin zur Erkenntnis und zum Wollen - ja die Mutter des Geistes und der Vernunft selbst". 6 Diesen, schon bei Aristoteles vorgebildeten Zusammenhang 7 sieht die Heilige Schrift differenzierter und, wie wir meinen, auch die menschliche Praxis, welche die Liebe als Grundakt des Vertrauens nur erlaubt, wo das Vertrauen selbst auf festen Grund zugreifen kann. Das Sein ist aber gerade nicht geprägt durch die Erfahrung eines GrundAngenommen-Seins, sondern durch die seines Hinausgeworfenseins in den Dschungel eines Existenzkampfes, den der Mensch am Ende in jedem Fall verliert. Der Mensch ist determiniert durch die Heraufkunft seines Todes, 8 dem Wissen darum, einmal selbst das Letzte zu verlieren, ohne dass irgendeine Wissenschaft dies verhindern kann, wenngleich ihr mittlerweile selbst die Lösung dieses Sachverhaltes angetragen wird. Die Liebe zur Erkenntnis ist darum nicht deren Beginn, sondern ihrerseits schon Erzeugnis einer Misere, tieferliegend als die Erkenntnisfrage. Sie ist Ausdruck eines - wir sagen: fundamentalontologischen - Liebesdefizits, 9 dem der Mensch mit seinem eigenen Lieben nicht abzuhelfen vermag, sowenig wie mit seinen Vernunftschlüssen, solange diese von dem vernichtendsten aller Seins-Szenarien gehalten

5 6

So in: Zur Rehabilitierung der Tugend, Ges. Werke 3,1955,17-26. Zur Ethik und Erkenntnislehre, Ges. Werke 10, 1957, 356; vgl. zu Scheler auch Anm. a.a.O.

7 8

S. Nikomachische Ethik, 1155 a 4 ff. Für die philosophische Reflexion dieser Einsicht ist Schopenhauer der Kronzeuge, nicht erst Heidegger.

9

... wie dann entsprechend auch das Umgekehrte gilt, dass echte Philosophie „das Wissen, das selbst Vollzug eines Liebens ist" heißen darf. Karl Jaspers, Von der Wahrheit, 4 1991, 990.

Die Funktion des Eros

5

sind, ob dieses ignoriert oder bedacht, vielleicht sogar Ausschau gehalten wird nach einem Wort echter Befreiung. Solange gilt jenes von Jaspers, dass „des Menschen Endlichkeit Ursprung aller Unwahrheit" ist.10 Wir haben darum die Aussage Schelers zu ergänzen und zu präzisieren durch die biblische, wonach die „Furcht Gottes Anfang der Erkenntnis" ist (Spr.1,7), jene Haltung also, die wissend um den Ernst der menschlichen Lage vom Urgrund des Seins selbst Hilfe erhofft. 1.2 Die Funktion des Eros Auch darum ist der Mensch das umtriebige, das einfallsreiche und kämpferische Wesen. Imponierend sind die kulturellen Leistungen, die unsere vielfältigen Miseren, die existenzielle Ungeborgenheit unserer Spezies abgerungen hat, die am vorläufigen Ende uns die gegenwärtige Hochtechnisierung in einer kapitalisierten Lebenswelt beschert hat und deren jüngste Vision Globalisierung heißt.11 Der Mensch widerspricht gerade mit aller Leidenschaft seiner Vergänglichkeitsperspektive. Er stemmt sich ihr entgegen mit allen Kräften, insbesondere denen seines Geistes. Solche Bemühung - klassisch „Eros" genannt12 - zielt auf die eigenmächtige Beseitigung oder, wo solche unmöglich erscheint, wenigstens auf die Kompensation der fundamentalontologischen Instabilität. Der Mensch unternimmt nicht nur jeddenkbare wissenschaftliche, auch technische und ökonomische Anstrengung, sucht sein Heil in solches versprechenden Lehren, in „Liebes-Beziehungen", um schließlich zu erfahren, dass all solche Bemühung das Urübel doch nicht zu beseitigen vermag. Alles Behelfs-Sein liefert uns doch nicht das eigentlich gewünschte Resultat. Eros ist in diesem Sinne, wie schon in Adaptation des Aristoteles bei Thomas von Aquin, menschliche Grundlei-

10

Ebd., 529.

11

Den Glauben hieran formuliert etwa lohan Norberg in: Das kapitalistische Manifest. W a r u m allein die globalisierte Marktwirtschaft den Wohlstand der Menschheit sichert, 2003.

12

So schon bei Plato, der die „philosophia" als die primäre Äußerung des Eros interpretiert in: Symposion 203 a 9; vgl. Helmut Kuhn, Der Weg vom Bewußtsein zum Sein, 1981, 27ff„ 393; ders., „Liebe", HWPh, Bd. 5, 1980, 292f.; Margarita Kranz, „Philosophie", HWPh, Bd. 7,1989,572-583.

6

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

denschaft, 13 menschlicher Urtrieb auf dem Grund seiner Ur-Sehnsucht nach der Vollständigkeit und Integrität seines Seins, wodurch ihm eine extreme emotive Bipolarität eignet. Als die Fülle der vitalen kreativen Potentiale ist er Ausdruck von oft intensivstem, ja überschwänglichstem Seinserleben, er ist aber auch Ausdruck besagten fundamentalontologischen Dilemmas, - der Verlorenheit des Menschen im Kosmos, der Abwesenheit eines perspektivisch verlässlichen Fundamentes, das die Unantastbarkeit seiner Person dauerhaft garantieren, von da aus auch seine Personelemente harmonisch integrieren, dem Menschen also schlicht den ersehnten Frieden bringen könnte. Als Letzteres ist Eros die instinktive Reaktion auf das in seinen psychischen Tiefen stets hellwache Bewusstsein, dass dem Menschen eben doch keine unbegrenzte Fülle von Entfaltungsmöglichkeiten mit auf den Weg gegeben ist, sondern im Hintergrund all dieser Möglichkeiten ein abgründiges, alles Sein verschlingen wollendes Manko, ein gewissermaßen ontologisches „schwarzes Loch". Vor diesem kann er gefasst werden als die reproduktive, die sein-wollende Antriebskraft des Menschen schlechthin oder freilich - in theistischer Perspektive - als das Bewegtwerden durch den liebenden Ursprung des Guten, Schönen und Wahren. 14 Als Eros bezeichnenderweise, nicht als Philia, hat die Urausprägung des menschlichen Erkenntnistriebs denn auch erzeugt, was Kultur- und Geistesgeschichte heißt, während Freundschaftsliebe und Solidarität, die Philia eigentlich meint, 15 nicht selten dem Drang nach jenem Wissen, das Verfügbarkeit bedeutet, zum Opfer fielen. Insofern die Bemächtigung des Seins durch Wissen nicht immer auch schon ein gemeindienliches, ein „soziales" Unterfangen ist, wäre an dieser Stelle schon die Unterscheidung zwischen „Wissen" und „Weisheit" angezeigt, die Frage nach beider Relation und Wertigkeit, mithin danach,

13

Thomas von Aquin, Kommentar zu Dionysius, De divinis nominibus, Nr. 450; s. dazu Peter L. Oesterreich, Thomas von Aquins Lehre von der Liebe als menschlicher Grundleidenschaft, 1991, 90-97; sowie Albert Ilien, Wesen und Funktion der Liebe bei Thomas von Aquin, 1975.

14

Insofern in beiderlei Perspektive der Eros nicht eine Eigenschaft unter anderen, sondern mit diesem das Sinnen und Trachten des Menschen insgesamt bezeichnet ist, kann tatsächlich gesagt werden: „Der Mensch ist Eros"; Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 5 1985,197.

15

S. Josef Pieper, Über die Liebe, in: Lieben, Hoffen, Glauben, 1986, 34f.

Die Funktion des Eros

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was denn im Sinne des Humanums das Bedeutendere sei. 16 Dieser Unterschied soll aber im Verlauf der Untersuchung noch deutlich werden. Nicht Philia jedenfalls verursacht das Bedürfnis nach Erkenntnis, sondern viel eher jener spontane Drang nach Sicherung, auch nach Steigerung des eigenen Daseins, dem der menschliche Geist sich in aller Regel unreflektiert dienstbar macht. 17 In der Weise ist das Weisheitsstreben zu Beginn der Neuzeit in das Streben nach Wissenschaftlichkeit umgeschlagen sowie in die moderne Hochschätzung der durch diese entscheidend bedingten Technisierung der Lebenswelt, so dass die Vernunft (ratio) als regulative Kraft des Verstandes (intellectus) die Rolle der die ursprünglichen Seinsprobleme vermeintlich lösenden Instanz fest für sich vereinnahmen konnte. Die Qualität des Seins wurde so in Abhängigkeit von der menschlichen Vernunft gebracht, die als gleichermaßen welterkennend wie wertestiftend anerkannt, mit dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" (Kant) faktisch die Rolle derjenigen Heilsinstanz einnehmen musste, die ehedem Kirche und Glaube anvertraut war. Bei allen Kränkungen, die die Vernunft durch Pessimismus, Nihilismus, Psychoanalyse, Neomythologie und erkenntnistheoretischen Pluralismus erfahren hat, kann ihr prinzipieller Primat in Seinsangelegenheiten zumindest in theoretischer Hinsicht so sehr als unumkehrbar angesehen werden, wie ihre Regentschaft paradoxerweise in der praktischen Ausgestaltung unseres banalen, unseres täglich greifbaren und gerade unseres sozialen Seins so häufig vermisst wird. 18

16

Vgl. Oelmüller, Philosophie und Weisheit, 1989, 39ff.

17

In dieser Einsicht besteht die erkenntnistheoretische Korrektur Schopenhauers und Nietzsches, die diesen Drang als „Wille zum Leben" bzw. „Wille zur Macht" treffend interpretiert haben, einen Drang, der freilich nicht allein über die Willenskräfte, sondern über die Gesamtpalette menschlicher Affekte, also auch über Gefühle und zweifellos auch über den Verstand transportiert wird. S. neben den einschlägigen Passagen in: Die Welt als Wille und Vorstellung 1/1,2; 1/2,4 und Nietzsche, KSA, Bde. 12/13 zu beiden auch die hervorragenden Monographien Rüdiger Safranskis: Schopenhauer und die wilden lahre der Philosophie, München, 1987 und: Nietzsche. Biographie seines Denkens, München, 2000. Aus Sicht des Psychoanalytikers hat Nietzsches Axiom vom Machtwillen als Grundmotiv menschlichen Strebens Alfred Adler eindrucksvoll bestätigt. S. Praxis und Theorie der Individualpsychologie, »2001; Der Sinn des Lebens, 212001.

18

... weshalb beispielsweise Schopenhauer mit seiner wohlbegründeten Relativierung der Verstandestätigkeit bis heute im großen Ganzen ein Außenseiter geblieben ist.

8

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

Regelmäßig unvernünftig behandeln wir uns selbst, unsere Mitmenschen, unsere Umwelt und erwarteten doch selten mehr als in unserer komplizierten Gegenwartssituation von des Menschen Klugheit die entscheidenden Impulse für des Menschen Wohl. Zwar haben wir gelernt, unserer Vernunft zu misstrauen, gleichzeitig scheinen wir ihr aber auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, denn über etwas Besseres scheinen wir nicht zu verfügen. 19 Ist das wirklich so? Und ist das bei uns Christen wirklich so? Nach christlicher Anschauung erreicht der Eros seine Vereinigung mit dem Göttlichen gerade nicht durch eigene Anstrengung wegen der unüberwindlichen Barriere der Sünde. Als „Verlangen nach Selbstvollendung" 2 0 steht er nicht nur abseits einer realistischen Erfolgsperspektive, sondern auch unter dem Hybrisverdikt Gottes (Rö.1,22). Darum ist der christliche Heilsweg ein anderer, der Eros-Bemühung gegenüber reservierter, ohne sie dabei zu verachten. Auch wir Christen können die Leistungsfähigkeit dieses Urtriebs nicht respektvoll genug hochschätzen und bewegen uns insofern weit ab von einer kulturverneinenden Position. Auch wir meinen, dass schlechterdings bestaunenswert die Energie und Zuversicht sind, die aus der Frag-Würdigkeit unseres real-leiblichen Daseins die causa materialis unserer geistigen Triumphe schuf. Und doch werden Letztere das Erste nicht wirklich beseitigen, bis einstmals sich die Schleier über unseren Fragen endgültig lüften. Bis dahin versuchen wir die Probleme nach Möglichkeit zu mildern und wissen instinktiv, dass dabei eine wesentliche Rolle spielt, was wir „Liebe" nennen. Am Ende aller Anstrengung bleibt uns die Ahnung, dass es nur diese eine wirksame Gegenkraft sein könnte, eine - zumindest im persönlichen Leben - Qualität, um deretwillen es sich gelohnt haben könnte, all dem Unbill, all der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit lebenslang ins Auge geschaut zu haben. Gerade nachdem wir unsere kreativen Leistungskräfte ausgeschöpft, unsere Möglichkeiten ausgereizt haben, sehnen wir uns nach ihrem schlichten, aufrichtigen Zuspruch - oder sei es nur ihre schweigende Umarmung. In der

Zu seiner „eigentliche(n) Kritik der Vernunft" s. Hans Barth, Wahrheit und Ideologie, 1974, 192-202. 19

So etwa Herbert Schnädelbach, „Against Feyerabend" in: Vernunft und Geschichte,

20

Helmut Kuhn, Der Weg vom Bewußtsein zum Sein, 1981, 27.

1987, 263-278.

Die Grenze des Eros

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alltäglichen Erfahrung erhärtet sich der Eindruck, dass tatsächlich nur „die Liebe stark ist wie der Tod" (Höh.8,6).

1.3 Die Grenze des Eros Die Frage nach einem veränderten Seinszugang ist umso dringender geworden, als heute offen zutage liegt, dass die modernen Wissenschaften - des Eros wohl beeindruckendste Errungenschaft - die Probleme kaum mehr lösen, als dass sie sie erzeugen und schon gar keine ethische Orientierung geben. Entsprechend abgenommen hat das Vertrauen in die Wissenschaften. Waren sie einst Träger größter Hoffnungen, den existenziellen Bedrohungen beizukommen, bestehen heute weit verbreitete Ängste vor einer wissenschaftlich-technisch entfesselten Vernunft, die alle Hände voll zu tun hat, ihrer eigenen Überdehnung Herr zu werden, zu verhindern, dass sie ihr eigenes Seinsgeflecht nachhaltig beschädigt, bzw. dafür zu sorgen, dass schon erfolgte Störungen des Schöpfungsgleichgewichts, wo noch möglich, wieder ausgeglichen werden. Darüber hinaus noch etwas wie die vielgefragte Sinnstiftung zu liefern, scheint sie vollends zu überfordern. So blickt, auf seinem gegenwärtigen wissenschaftlichen Höhepunkt - womöglich schon bald an seinem Zenit - angekommen, der Eros der wissenschaftlichen Vernunft hinab, dorthin, wo das richtige Leben spielt, und stellt fest, dass die Distanz zu einem das Sein wahrhaft stabilisierenden Fundament nicht wirklich geringer geworden ist, sondern eher größer ist denn je. Auf dem vorläufigen Gipfel der Vernunft dämmert die Einsicht, dass die Vernunft alleine die Lösung der Probleme nicht bringen kann, dass sich vielmehr das klassische Diktum sich bewahrheitet: „Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind." 21 Insofern aber die Möglichkeiten speziell der Naturwissenschaften nahezu ins Unendliche gestiegen scheinen, so als sei ihnen so gut wie nichts mehr unmöglich, ist dieses Gefühl ein umso deprimierenderes und beunruhigenderes, signalisiert es uns doch überdeutlich die Synchronie menschlicher Macht und menschlicher Ohnmacht.

21

Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, 1963,114.

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Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

Anzuerkennen sind insbesondere die praktischen Errungenschaften der neuzeitlichen Wissenschaft, die gerade keine „reine Lehre" geblieben ist, sondern den Alltag der Menschen zuletzt mit der Heraufkunft des Informationszeitalters gründlich revolutioniert hat. Wissenschaft und Technik haben echten Fortschritt begründet - in ihren Anfängen den wohl größten: den Menschen von den Zwängen elementarer Daseinssicherung zu befreien. Sie haben ihm so den Freiraum zur Reflexion seiner geistigen Identität geschaffen, des Humanums, für dessen Klärung Wissenschaft und Technik selbst aber gerade nicht mehr hinreichen. Gerade der Erfolg von Wissenschaft und Technik haben freilich den Blick auf die transzendentale Gründung des Daseins verstellt, so dass wir uns schwer tun, Autoritäten neben ihr wieder anzuerkennen, zumal wir wissen, wie in der Vergangenheit gerade kirchliche Autorität am legitimen wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse auch schuldig geworden ist. Ihr dennoch unwiderstehlicher Siegeszug im Einklang mit ihrer eminenten Praxisrelevanz ist es, der die Menschen verständlicherweise nachhaltig in den Bann geschlagen und insofern auch ihre relative Überlegenheit gegenüber hehren metaphysisch/ theologischen Seinstheorien demonstriert hat. Aufgrund solcher historischer Erfahrung werden die Menschen auch künftig einseitig auf die handfesten Wirkungen eigenen Schaffens bauen, solange vermutlich, wie nicht auch der christliche Glaube seinen eigenen Praxisanspruch glaubhaft verifiziert, nicht in Konkurrenz, sondern in Anknüpfung dort, wo wissenschaftliche Mittel sich erschöpfen. Die Grenze und in deren Überstrapazierung die Krisis der Wissenschaft eröffnet neu die Aufgabenstellung von Religion und Metaphysik, innerhalb deren breiter Angebotspalette wiederum die „Frohe Botschaft" ihre besondere Qualität nachzuweisen hat. Im Maße solcher Erschöpfung ist darum auch die christliche Theologie gefordert, ihren spezifischen Erkenntnisteil so aktualisiert anzubieten, dass die Menschen von der Kirche erhalten, was die empirischen Wissenschaften schon in der Vergangenheit niemals leisten konnten. Das Problem gerade auch der Naturwissenschaften ist - verkürzt gesprochen - ihre systemimmanente Beschränktheit. Sie quantifizieren, sie qualifizieren aber nicht. Vielmehr ist ihr Geschäft, auch Qualitatives in quantitativen Bestimmungen auszudrücken, wodurch sie einer

Die Grenze des Eros

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Wirklichkeit, die aus mehr als messbaren funktionalen Zusammenhängen besteht, nicht hinreichend gerecht werden können. Indem Wissenschaft das Sein bemisst, Funktionsbeziehungen und Relationsgefüge im weitesten Sinn Zusammenhänge beschreibt, bleibt sie naturgemäß an der Oberfläche des Seins hängen. Sie kann nicht hinter die Dinge schauen, die sie zu vermessen, zu analysieren, zu dechiffrieren imstande ist, hinter die Naturgesetze etwa. Sie kann nicht sagen, durch wen oder was gerade diese Phänomene so und nicht anders existieren und wodurch sie womöglich verändert oder gar aufgehoben werden können. Wenn die Quantenphysik uns etwa lehrt, dass der Naturprozess nicht nur kontinuierlich verläuft, sondern durchaus auch sprunghaft, geben solche Sprünge der wissenschaftlichen Ratio nahezu unlösbare Rätsel auf und die Rätsel werden größer, je mehr Erkenntnis wir produzieren. So bleibt dieser weiterhin nur, den Beziehungen von Phänomenen nachzuspüren, denjenigen Kausalmechanismen, die, sobald sie sich zu erkennen geben, die Frage aufwerfen, wodurch dieser Kausalmechanismus denn wiederum bedingt ist. Die Naturwissenschaft kann niemals das Ganze der Wirklichkeit erfassen, sondern immer nur Erklärungsmodelle von Ausschnitten liefern, die ihrerseits nur so lange gültig bleiben, bis infolge verfeinerter Verfahren ihre Falsifizierung möglich geworden ist. So erreicht gerade die Physik niemals ihr Ziel umfassender Welterkenntnis. Die Frage scheint erlaubt, ob sie sich solcher überhaupt anzunähern imstande ist. Vor der Frage nach dem ersten Beweger spätestens ist ihr Latein am Ende und steht sie vor der Frage, ob sie sich nicht auf Metaphysik einlassen möchte. Für die Sinnfrage indes, die eine geistige ist, ebenso wie für die Wesens- und Wertefrage, ist die Wissenschaft blind. 22 Dabei ist Wissenschaft selbst freilich ein geistiges Unterfangen, getrieben von der Intention der Seinserkenntnis. Darum aber kann die Qualifizierung ihrer selbst wiederum nur von einem geistigen Standpunkt aus geschehen,

22

S. dazu die Zusammenstellung der Aussagen bedeutender Naturwissenschaftler bei Horst Georg Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990, 112; sowie Ulrich Hommes, der das Sinndefizit der Wissenschaft so beschreibt: „Die Wissenschaft liefert Daten in Hülle und Fülle, sie entwickelt eine Vielfalt möglicher Techniken, führt in immer kleinere Quantitäten und zu immer schnelleren Reaktionen, aber sie gibt keine Orientierung für das Leben. Sie meint zu sagen, was ist, aber sie schweigt sich aus über das, was sein soll; sie stellt heraus, wovon man leben kann, aber weiß nicht wozu und wofür." Die Freude ist die Wahrheit, 1985, 310.

12

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

einem Standpunkt logischerweise, der über dem der Wissenschaft befindlich ist. Nur von einem solchen aus können die Probleme der Endlichkeit, der Entfremdung, die in der Tiefe der menschlichen Seele erfahrenen Übel angegangen werden. Die rationale Wissenschaft kann Verhängnis, Leid und Böses nicht wirklich bewältigen oder gar beseitigen. 23 Für die essentiellen Nöte benötigen wir - und seien wir Nobelpreisträger - die Anwesenheit des Bergenden, Durchtragenden. Darum möchten die christlichen Kardinaltugenden Glaube, Liebe, Hoffnung das eigentlich passende Korrelat bilden zur wissenschaftlichen Welterkenntnis und können, wo sie sich selbst treu sind, solches auch leisten. „Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, das ist die Grundfrage der Philosophie" 24 - wir fügen hinzu: auch die echter Wissenschaft. Zu dieser Frage aber trägt der christliche Glaube Entscheidendes bei. 1.4 Die Bedeutung der Liebe und ihre theologisch-ontologische Dimension / Das Problem der Liebesvergessenheit Die Tatsache, dass die Wirklichkeit des Seins, insbesondere des menschlichen, in einem irgendgearteten fundamentalen Zusammenhang steht mit dem als „Liebe" bezeichneten Phänomen, bedarf keiner wissenschaftlich-theoretischen Verifikation. Sie besitzt nicht nur jene für jedermann erahnbare, erspürbare und, so Gott will, auch erlebbare Evidenz, der die Dichter und Literaten huldigen, sondern auch lange geistesgeschichtliche Tradition. 25 Hingegen wird die Tatsache, dass die Tradition der fundamentalontologischen Bedeutung der Liebe zuallermeist im Schatten von Konzeptionen stand, die das Sein der Vernunft

23

S. wiederum Hommes, der in eindrücklichen Beispielen eine generelle „Verkümmerung in der Wahrnehmung der Wirklichkeit" (315) beklagt, indem „unter der Vorherrschaft des konstruierenden Verstandes" mit dem „Ethischen, Ästhetischen und Religiösen" diejenigen Aspekte ausgeblendet werden, die mit entscheidend sind für das menschliche Wohlbefinden (318ff.).

24

Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos, bei Hommes, ebd., 310.

25

S.u., wobei hier nun nicht die rationalistische Erosvariante gemeint ist, sondern deren romantische, die ihrerseits verwandt ist mit den emotionalen Spielarten von Philia und vor allem der Liebe zwischen Mann und Frau, die verwirrenderweise wiederum als „erotische" firmiert. Gerade in ihrer stabileren Form ist diese Verbindung wohl viel eher Philia als Eros in dem hier beschriebenen Sinn.

Die Bedeutung der Liebe

13

zuordneten, an dieser Stelle zu begründen und zu würdigen sein als logischer Versuch eines immanent begriffenen menschlichen Selbstverständnisses. Sie wird als ein solcher theologisch zu transzendieren sein nicht auf Kosten, sondern im Dienste intakter Vernunft, indem es jene Liebe herauszuarbeiten gilt, die vor aller Vernunft und deren Seinsverbindungen beide präformiert und prädisponiert, die dem Sein also wie auch der es bearbeitenden und gewiss eminent beeinflussenden Vernunft ihre legitimen Platzanweisungen gibt. So soll in Abgrenzung, nicht als Gegensatz zu den Variationen von Eros, auch von Philia, speziell die christliche Agape als fundamentalontologische Kategorie aufgewiesen werden, als die Gestalt der Liebe, in der alles, das allgemeine wie das individuelle Sein, gegründet ist, dergestalt, dass in ihr der Gesamtprozess des Existierenden wie auch derjenige der personhaften Identitätsbildung ihre ursprüngliche Verwurzelung und intakte Ausprägung - nicht nur der Vernunft, auch des Willens, des Gefühls, der physischen Affekte - der christlichen Lehre gemäß haben. 26 Das nicht weniger evidente Urproblem des Seins ist seine physischpsychische Instabilität, wobei die psychische Komponente nach christlichem Glauben ursächlich ist. Die transzendente christliche Agape beansprucht diejenige fundamentalontologische Antwort zu sein, die dieses Urproblem löst. Forschung und Technik federn dieses Problem wohl ab, erleichtern dem Sein seine Lage, die Agape aber möchte es heilen. Nachdem es Gewohnheit geworden ist, das Thema des Individuellen den Psychologen, Soziologen sowie aktuell den Positivdenkern und Wellness-Experten zu überlassen, das des Universellen früher den Philosophen, heute den Globalisierungsmanagern, den Kosmologen und Gentechnikern, soll damit eine theologische Perspektive auf die klassische Frage nach beider Seinsgrund eröffnet werden, um von diesem aus freie Sicht zu gewinnen auf die spezifisch christliche Lösung klassischer Seins-Aporien wie die von Einheit und Vielfalt, von Globalität und Individualität, Wissenschaft und Weisheit, Technokratie und Mystik, schließlich auch von pluralistischer Multivalenz und Orthodoxie, von Säkularismus und Fundamentalismus. Als all deren eigentliche Mitte soll die christliche Alternative in nicht neues, vielmehr ihr ursprüngliches Licht gerückt werden. In der Gemeinschaftsfrage soll die 26

Vgl. zur „Totalität des Seelischen" Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 51985, 227ff.

14

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

generelle Seinsrelevanz der Liebe schließlich konkretisiert und für die betroffenen theologisch-dogmatischen Artikel fruchtbar gemacht werden. In der Weise möchte die vorliegende Arbeit die Bedeutung der spezifisch christlichen Liebe für das Sein darstellen, sofern sie im Sinne der biblischen Anschauung als „fundamentalontologische Kategorie" gedacht wird. Wo man ihr Thema nicht der Phantasie der Dichter überlassen hat, wird die Liebe gemeinhin auf evolutions-behavioristischem bzw. ethnologischem Hintergrund als Seiendes verstanden, als zunächst biochemisches, 27 dann soziobiologisches, 28 schließlich psychosoziales Phänomen. 29 Als Seiendes ist Liebe ein unendlich vielfältig Ding, so dass als zweifelhaft gelten muss, ob überhaupt eine Wesenseinheit dessen, was alles wir im Deutschen undifferenziert als „Liebe" bezeichnen, festgestellt werden kann. Speziell aus diesem Grunde wird sie auch selten einer systematischen wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen. So steht die praktische Bedeutung der Liebe in grobem Missverhältnis zu ihrer akademischen Behandlung. Insbesondere ist es bislang unterblieben, die Agape als seinsstiftende und seinstragende Kategorie ernstlich zu erwägen - auch in der Theologie, wo es eigentlich nahe liegt, die Liebe als Grundlage des Seins in Gestalt der Schöpferkraft Gottes, in Verbindung etwa auch mit der Logoslehre zu untersuchen. 30 Die mangelhafte wissenschaftliche Würdigung am Rande der theologischen, der philosophischen, der anthropologischen, der soziologischen, der psychologischen und selten auch der kosmologischen Disziplinen ist umso befremdlicher, als unser Gegenstand der für die meisten Menschen brennendste überhaupt ist und nichts uns mehr zu bewegen, zu stimulieren, zu den bisweilen verwunderlichsten Höchstleistungen

27

S. Gaby Miketta; Claudia Tebel-Nagy, Liebe und Sex. Über die Biochemie leidenschaftlicher Gefühle, 1996.

28

S. Karl Grammer, Signale der Liebe. Die biologischen Gesetze der Partnerschaft,

29

S. Ulrich Beck; Elisabeth Beck-Gernsheim, Das ganz normale Chaos der Liebe, 1990.

30

Wenn die wenigen heute vorfindbaren kosmologischen Erwägungen hinsichtlich

1995.

der Liebe Gottes „Agapismus" genannt werden, hat dies diejenige typisch negative Konnotation, die hier als unberechtigt aufgewiesen werden soll. So im Anschluss an C. S. Peirce Hermann Deuser in: Kleine Einführung in die Systematische Theologie, 1999, 150.

Die Bedeutung der Liebe

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anzutreiben vermag, als eben „was man Liebe nennt". 31 Wer allein den Zustand des bloßen „Verliebtseins" kennt, weiß, wovon die Rede ist, weiß, wie die Liebe uns instand setzt, „Bäume auszureißen". In der Liebe erst erfahren wir den vollen Zugriff auf unser eigenes Potential. Kein Börsenhype, keine noch so ausgeklügelte Informationstechnologie, auch nicht die Aussicht auf physische Perfektionierung, wohl auch keine synthetisch ermöglichte Unsterblichkeit kann ernsthaft konkurrieren mit jenem Gefühl der Seinsintensität, das geglückte Liebe uns beschert.32 Sie allein ist und bleibt darum das Gütesiegel unseres Daseins. In dieser Erfahrung, von der nicht zuletzt auch unsere Unterhaltungsmedien leben, schwingt bereits etwas mit von der hier avisierten Interpretation der Liebe als fundamentalontologischer Potenz. Das phänomenologische Spektrum umfasst neben anderen die Liebe zu sich selbst, die zu Gegenständen, zu Überzeugungen, zur Familie, Stammesliebe, Vaterlandsliebe und - wohl die erregendste - zu Menschen, die man vorher niemals gekannt hat, insbesondere des anderen Geschlechts. Dabei wirken im Bereich des Zwischenmenschlichen, auf den wir uns konzentrieren wollen, neben der geschlechtlichen Komponente die im weitesten Sinne emotionale, die ethische, die diakonisch/soziale Liebe sowie diverse, auch den Bereich des Juridischen tangierende Misch- und Nebenformen aus den vielfältigen Zusammenhängen unserer Lebenspraxis, als deren gemeinsames Grundmerkmal wir ihre anziehende und einigende Kraft feststellen. 33 „Liebe ist Vereinigungskraft", 34 als welche auch wir sie im Kern fassen und

31

S. das gleichnamige Buch von C. S. Lewis, 51995; sowie aus nicht-christlicher Sicht den Klassiker von Erich Fromm, Die Kunst des Liebens, "2000.

32

Im Gegensatz zu den erkennbar hohlen Versprechen des globalisierten Merkantilismus sind die posthumanistischen Finessen, speziell der Gentechnologie, ein gewiss origineller Versuch, hier mit Alternativen aufzuwarten und des Menschen schwieriges Sein da zu verbessern, wo Bildung, Kultur und Wissenschaft in der Vergangenheit nicht wesentlich weitergekommen sind. Wo die ersichtliche Unfähigkeit der freigelassenen Kommerzialisierung, ihre eigene ursprüngliche Wertebasis zu reproduzieren, selbst untergeht im Meer medial vermittelter Beliebigkeit, gewinnt der alte Zuchtgedanke neuen Charme. Dass aber auch Schnipseleien an der Doppelhelix die Produktion von Glückshormonen etc. wie - auch schon ersichtlich - die virtuelle Kommunikation die eigentlichen Probleme nicht zu lösen geeignet sind, wird anhand des hier Gesagten erkennbar werden.

33 34

Mit Helmut Kuhn in: „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 16. Ebd., 19.

16

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

theologisch auswerten wollen. Liebe ist nicht nur intensivste persönliche Kraft, sie ist auch - wie die Alten mit Fug und Recht behaupteten Seinsgrundkraft überhaupt. 35 Dass nicht Nichts ist, sondern die Dinge sind, hat nach christlicher Anschauung seinen Grund im Willen zum Sein seitens des Seins-Schöpfers - Gott. Der Grund für Sein ist demnach seine Seins-Bejahung, das Ja-Wort Gottes als die definitive Erlaubnis des Sein-Dürfens. Diese Bejahung ist, was wir in diesem fundamentalontologischen Sinne „Liebe" nennen können. 36 In diesem „Ja", unter seiner Beeindruckung, Prägung, soll das Geschöpf sein und sich gemäß seiner je eigenen geschöpflichen Disposition entfalten, Raum greifen dürfen und damit auch „zur Welt kommen" (Sloterdijk). Der Tiefe und Tragweite dieses „Ja" Gottes wollen wir an dieser Stelle nachspüren, es soweit wie möglich theologisch qualifizieren. Aus biblisch-theologischem Blickwinkel soll somit systematisiert werden, was schon immer bekannt war und ist: Dass vor dem Sein die Liebe steht, deren Ausmaß die Grundbefindlichkeit des Seins determiniert und damit auch alle Bemühungen um eine etwaige Verbesserung der eigenen Seins-Situation. Insofern ist die Frage nach dem Sein eine theologische Frage und soll als solche hier behandelt werden. Es gilt das Sein zu deuten von der Liebe Gottes her, um aufgrund durch diese Liebe determinierten Seins für das Sein selbst verbindlich Erkenntnis zu gewinnen, für seine Bewahrung, gegebenenfalls auch für seine Korrektur. Das Thema der Liebe soll vor die Seinsfrage treten, als Vernunftfrage derart, dass nach der Vernunft Gottes gefragt werden soll, die höher als die menschliche gerade dadurch ist, dass sie den Menschen wirklich und wahrhaftig erkannt und ihm in all seinen Miseren entscheidend und wirklich nachhaltig geholfen hat. Denn nicht nur das Dass des Seins hängt an seiner vorauslaufenden Bejahung, auch das Wie, die Qualität und Integrität des Seins hängen an der Frage, inwieweit seine Bejahung gegeben ist. Das Maß des Willens zum Sein, das Maß bzw. die Konsequenz seiner Bejahung, auch Widerständen, auch

35

S. Thomas von Aquin, Aristoteles, Empedokles, a.a.O.

36

Vgl. Emil Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 4 1978, 114; sowie Josef Pieper, Über die Liebe, in: Lieben, Hoffen, Glauben, 1986, 48ff.; auch ders., Glück und Kontemplation, 1979, 70ff., wo „Bejahung" als der „Kern von Wollen und Lieben" erscheint und auch sehr schön die entsprechenden, noch zu thematisierenden Folgerungen für die Frage der Erkenntnisgewinnung bedacht werden.

Die Bedeutung der Liebe

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Verletzungen zum Trotz, ist das Maß von Liebe. Solche Liebe hat, wie zu zeigen sein wird, in Überschreitung der genannten Ebenen ihre höchste Stufe erreicht in Gestalt der christlichen Vergebungslehre. Hier erst sind all diejenigen Verirrungen, Barrieren und Hartnäckigkeiten überwunden, die zum Leid-Wesen des Seins beitragen. Damit sind unsere Grundkoordinaten angezeigt: Wir beziehen Liebe und Sein so aufeinander, dass die Liebe als das Erste begriffen werden kann, als Ursache, als elementares Prinzip, das Sein als Ergebnis, als das entsprechend der Liebe - oder auch ihrer Abwesenheit - Bewirkte, als Elementwirklichkeit. Agape - Sein - Erkenntnis anstelle der klassischen Sequenz: Eros - Erkenntnis - Sein, das ist der Weg, der im Dienste biblisch-ontologischer Erwägung in seinen Grundzügen beschritten werden soll. Der Frage nach der Liebe geht, insofern der Kampf um das Sein uns zur Wertschätzung der Liebe führt, die Seinsfrage nur ontisch voraus. Ontologisch ist die Relation die umgekehrte, sofern wir, wie schon angedeutet, das Augenmerk auf die Frage legen, ob der Seinsfrage nicht wiederum ein Problem mit derjenigen Liebe vorausgeht, die die Seinsthematik erst generiert. Diese Frage ist gleichzeitig die theologische, erweitert dahingehend, ob die Milderung der Seinsproblematik durch immanente Liebe nicht genau auf jenen Urverlust abzielt, einen Urverlust an Bergung in einer größeren Liebe durch den Urheber allen Seins, der seinerseits durch den vernunftlastigen Eros und seine Resultate gerade nicht zu kompensieren ist. Damit ist wiederum die erkenntnistheoretische Frage berührt und mit dieser diejenige nach dem aktuell herrschenden Seinszugang. Bei der Frage nach dem Zusammenhang von Liebe und Sein als der Frage nach der Seins-Urbejahung muss es auch darum gehen, von wo aus das Geschäft der Vernunft zu verstehen und auf welcher Grundlage diese tatsächlich seins-dienlich zu gebrauchen ist. Denn keine Frage ist es heute wohl, dass bei aller Imposanz menschlicher Vernunftanwendung der Mensch unverändert intensiv nach Halt fragt, nach Orientierung und Sinnstiftung, nach jener Geborgenheit, nach jenem Glück, das durch Operationen reiner Vernunft nicht erzeugt, allenfalls bewahrt werden kann. 37 Die Suche

37

S.u. Die Notwendigkeit, zum Zwecke sachgerechter Wahrnehmung und Deutung der Weltwirklichkeit nicht allein auf den Primat der Vernunft zu setzen, hat in jüngerer Vergangenheit eindrücklich, wenngleich in seiner provokanten Konnotation

18

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

geht weiter - nicht nach noch mehr problematisierender Vernunft, sondern nach tragfähiger Liebe. Von diesem „metaphysischen" Grundgeflecht aus besitzt der Mensch die Urahnung nicht von der Ratio, sondern von der Liebe als seinsstabilisierender Grundkraft und bleibt auch nach aller Verfügbarmachung, nach allem Erfolg in Sachen des „Habens" stets auf der Suche nach qualitativem Zugewinn, nach Bestätigung dessen, was er ohne alle Anstrengung und Verkleidung „ist", nach einem von der Liebe determinierten Sein. Dabei greift er vornehmlich zu deren verlockendsten Variante, der Liebe zwischen Mann und Frau, um von dieser regelmäßig zu erhoffen, dass sie die entscheidenden Bedürfnisse stillt, wozu sie allein jedoch - wie ebenfalls die Erfahrung regelmäßig zeigt nicht ausreicht. Darum unsere Liebes-Manie in den Unterhaltungsmedien, in Musik, Kunst und Literatur. Wir suchen nach der Liebe, für die wir ohne zu Zögern durchs Feuer gehen, ja sterben würden und finden sie nur als ein zerbrechliches, ephemeres, ein besonders instabiles Gebilde. Wir müssen darum weiter zurück, zurück zu der Liebe, die tatsächlich unser gesamtes Sein so umgreift, dass selbst unsere enttäuschenden Liebeserfahrungen in ihr aufgehoben sind, einer Liebe, die nicht nur unsere emotionale Befindlichkeit ruhigstellt, sondern die UrTiefen unseres unruhigen Herzens. Dies kann nur die Liebe des SeinsSchöpfers leisten. Und diese Liebe ist das originale Zentrum der christlichen Botschaft. Diese Botschaft will selbst das Problem unseres Todes vollständig durch nichts anderes als Liebe lösen. Sie möchte unser gesamtes Sein so beheimaten, dass nichts uns trennen kann von derjenigen Bejahung unserer Existenz, die solche als eine rundherum geglückte allen Verhängnissen zum Trotz garantiert. Mehr aber noch: Sie möchte auf eben jener Grundlage, genauer: als eben jene Grundlage eine neue Qualität zwischenmenschlicher Interaktion gewährleisten, die die Überwindung der alten geistigen Verspannungen in konkretem Handeln bezeugt. Sie zielt auf eine Form von Gemeinschaft, die als Trägerin der Liebe Gottes ihrerseits den Raum seiner Krafterweisung bildet, in welchem Menschen lernen, seinsdienlich - das meint vor al-

auch manchmal übers Ziel hinaus schießend, Paul Feyerabend betont. S. Erkenntnis für freie Menschen, 1980; Wider den Methodenzwang, 21983. Vgl. dazu auch die gemäßigtere, aber in die gleiche Richtung weisende Anlage bei Max Scheler z.B. in: Zur Ethik und Erkenntnislehre, Ges. Werke 10,1957,365f.

Die Bedeutung der Liebe

19

lern andern gemeinschaftsdienlich - zu denken und zu handeln. Darum ist die christliche Botschaft nicht nur eine unseres persönlichen Glaubens, sie ist die jenen Glauben selbst tragende. Damit erweist sich der vermeintliche Gegensatz von personaler und „metaphysischer" Liebe38 bereits als ein Scheingegensatz, denn die personalen Prinzipien der Liebe entsprechen den metaphysischen. Präzise: Das theologisch noch genauer zu bestimmende zwischenpersonale Geschehen - nicht etwa irgendeine Substanz-Metaphysik ist, was wir als die ontologische Realität des Evangeliums begreifen. Die Grundlage wiederum, auf der solche ontologische Realität sich nur abspielen kann, die, sofern sie nicht menschlichem Vermögen entstammt, eben metaphysisch-theologischen Ursprungs ist, bezeichnen wir als „fundamentalontologische". Die (theo-)ontologische Betrachtungsweise der Liebe steht in grundsätzlichem Einklang nicht nur mit philosophischen, auch mit soziologisch/pädagogischen Erkenntnissen, muss diese aber in übergreifenden Zusammenhängen bündeln und würdigen, sind doch die philosophisch-sozialwissenschaftlichen Aspekte, wie gesehen, selbst nur ontologische Phänomene. Wir schließen uns somit einer integrativen Betrachtung der Liebe an, die den korrelativen Möglichkeiten der Liebesaspekte nachspürt, um allerdings auch die kontradiktorischen Elemente all dessen, was man unter Liebe zu fassen vermag, als solche zu berücksichtigen. Mit jenen Disziplinen können wir ihre prinzipielle seinsstützende, seinsaufbauende Funktion festhalten, - dass als konstruktive, fördernde, identitätsstiftende Zuwendung die Liebe es ist, die das Fragile stabilisiert und fundamentiert und die wir darum so heiß begehren als gewissermaßen Gegenmittel gegen den vielfältig erfahrenen Seinszerfall.39 Die Liebe - so der interdisziplinäre Konsens - ist es, die das Sein in Auflösung am Ende nur zu heilen imstande ist. „Nur die Liebe verleiht

38

... wie etwa bei Hildebrand dargestellt in: Das Wesen der Liebe, 1971, 19f. Mit Interesse habe ich auch zu Hildebrands verheißungsvollem Buch Metaphysik der Gemeinschaft, 3 1975, gegriffen, das allerdings weder Metaphysik bietet noch in Bezug auf Gemeinschaft für unser Thema Brauchbares.

39

Im empirischen Aufweis solcher Seinsgrundhaftigkeit der Liebe haben die Psychologie resp. die Psychoanalyse und - teilweise in deren Gefolge - die Sozialwissenschaften die biblische Metaphysik seit langem indirekt bestätigt.

20

Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

Sein, nur sie entreißt dem Nicht-Sein." 40 Erst in der Liebe gelingt dem Sein seine rechte Ausrichtung und Entfaltung. Die Liebe ist „Komplementärwert zur Persönlichkeit, die Sinngebung ihres Seins". 41 Kurzum: Die Liebe ist die Erfüllung des menschlichen Wesens. Erst in ihr ist der Mensch ganz „er selbst". 42 Weil wir davon schon immer eine Ahnung haben, wird die Macht der Liebe nicht nur von Theologen gepriesen. Dabei handelt es sich aber - nicht nur bei den Nicht-Theologen - vielfach mehr um ein Suchen, ein Hoffen als um konzeptionelle Klarheit. Der Glaube an die Liebe ist vorhanden, auch die Gewissheit um ihre stabilisierende Macht, genauso präsent aber ist die Unsicherheit, die Frage, in welcher Weise die Liebe denn eigentlich funktioniere, wie sie uns mit der Geborgenheit auszustatten vermöge, nach der wir uns schon immer ausstrecken. Die Variationen dieser Frage sind so sehr Legion wie deren seinsrelevante Konzentration auf die Agape Gottes Rarität. Diese aber, als Kern der christlichen Lehre, will die konstruktive Lösung aller Konfusion darstellen. Sie will, sie soll und sie kann darum die Antwort sein auf die Fragen nicht nur der Künstler, sondern ebenso auf die Grundfragen von Philosophie und Wissenschaft. Die Antwort auf die Frage, inwiefern und in welcher Weise die Liebe allein das tragfähige Fundament allen Seins bildet, liefert uns das Neue Testament und soll - mit besonderem Blick auf ihre sozietäre Dimension hier in Erinnerung gerufen sein. Die überzeugende Plausibilisierung des Zusammenhangs Liebe, Sein und Tod ist es, die die Attraktivität der christlichen Existenzperspektive einst begründet hat und die wir - geht es uns um die Wiederbelebung solcher Attraktivität - ebenfalls wiederbeleben müssen. Dann werden wir verstehen, worum wir uns eigentlich mühen und werden imstande zu sein, selbst das Versagen unserer Bemühung gelassen anzunehmen. Unser bewegtes Sein - unser persönliches wie das der Menschheitsgeschichte - ist immer schon auch die Geschichte unserer Möglichkeiten, die ultimative Konstante unserer Existenz, unser komplettes irdisches Verlöschen auszuhalten. Wie unser eigenes Leben eine Geschichte vielfacher Wendungen und Entwicklungen darstellt bis hin zu jenem gravierenden Schlusspunkt, so ist unser Thema eines, das

40

Heinrich Schlier, Über die Liebe, 1968,180.

41

Nicolai Hartmann, Ethik, 41962, 533.

42

S. Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 5 1985,296.

Die Bedeutung der Liebe

21

auch in der Menschheitsgeschichte von vielfachen Versuchen, Veränderungen, Einschnitten - nach christlicher Vorstellung auch Heilsereignissen - durchdrungen und gekennzeichnet ist. In der freilich auswahlhaften Nachzeichnung solcher, in ihrer fundamentalpsychologischen wie fundamentalontologisch-,, metaphysischen" Bewertung und in der Würdigung des spezifisch christlichen Beitrags dazu wird es uns im Hauptteil dieser Untersuchung darum gehen, eine Ahnung davon zu bekommen, was „wirklich", nämlich bleibend von ontologischer Qualität ist. Indem wir die Liebe in der Reihe der Seinsereignisse nicht als ontologischen Appendix verstehen, den wir außer der Privatsphäre der Psychologie, der Soziologie und den Künsten zuweisen, sie vielmehr in kausalem Zusammenhang mit dem anfänglichen Problem der ontologischen Fragilität sehen, dem Seins-Urproblem des Seins-Zerfalls, das seinerseits wieder in die Frage nach der Liebe mündet, ziehen wir aber bereits an dieser Stelle eine wesentliche logisch-ontologische Konsequenz, die Konsequenz der Seinsgeschichte im Blick auf die Liebesfrage. Wir schließen deren Kreis, indem wir ihr Ziel auch als ihren Ausgangspunkt fixieren. Die ontologische Abfolge: Zerfall - ErosBemühung - behelfsmäßiges Sein - Suche nach Liebe ergänzen wir durch ein kausales Liebesproblem am Beginn der Reihe, wodurch diese diejenige innere Stringenz und Plausibilität erlangt, wie sie etwa auch im Bereich der Seelsorge verifiziert wird. Einmal übertragen auf die abendländische Geistesgeschichte, gerät diese so freilich in ein ihr bislang fremdes Licht, dieweil die biblische Theologie aber ihre weitgehend verlorengegangene korrelative, kulturbildende wie auch kulturkritische Bedeutung zurückerhalten kann. Sollte die Liebe tatsächlich den Ausgangspunkt auch gesellschaftsphänomenologischer Verspannungen darstellen, ergäben sich mit dem Einsatz eines intakten Ausgangspunktes auch die Marksteine einer alternativen ontologischen Sukzession, einer alternativen Seinsgeschichte: Liebesfülle - intaktes Sein - Kulturschaffen als Dank gegen Gott frei von der Notwendigkeit, selbst irgendein Heil realisieren zu müssen (Kol.3,17) - vielmehr der missionarische Eros eines sich gegenseitig erbauenden Seins als Bestätigung der Schöpferweisheit. Damit - mit der Liebe auch als Kriterium

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Die fundamentalontologische Relevanz der Liebe

des Seins 43 - so vermuten wir, wäre der Mensch erst herausbefreit aus dem ontologischen Selbstrechtfertigungsschema zugunsten einer christlich-doxologischen Seinsweise als die Alternative zum incurvatum in se ipsum, zu Selbstentfremdung und Seinskompensation. Solche Seinsweise halten wir mit Blick in die Schriften für die der neutestamentlichen Gemeinde, der ekklesia, der aus dem Seinskampf Herausgerufenen und Herausbefreiten, die in Bewahrung der Liebe Gottes die alte egozentrische Lebensweise abgelegt, die Bruderliebe aber angezogen hat und sich verzehrt nicht für zweifelhaften Fortschritt, sondern für die Bezeugung der unbezweifelbaren Erlösung einer vergänglichen Welt. Das Leben gewinnen, nicht auf dem Weg des mit Ellbogenmentalität Ihm-verzweifelt-hinterher-Jagens, sondern es mit vollen Händen weiterreichen können ist ihr Motto nach dem Reichtum der selbst erfahrenen Gnade - nicht allein einer individuell rezipierten, sondern einer in durch diese von Grund auf erneuerten sozietären Strukturen wirksamen. Wir erproben somit eine neue Seins-Gleichung, die nicht in jenen Disproportionen enden soll, die das auf sich selbst gestellte Bewusstsein notwendig hervorbringt, sondern in echter Seins-Hilfestellung auf dem Grund und mit der Zielsetzung derjenigen Liebe, zu der kein menschliches Wesen je imstande war noch je sein kann. Dementsprechend kritisch zu würdigen haben wir denn aber auch die Preisgabe der Korporation gewordenen Gottesliebe, ihrer Realität als „Leib Christi" auf dem Wege seiner Zertrennung in konkurrierende Interessensgemeinschaften. Mit ihrer Konfessionalisierung, so ist ernsthaft zu erwägen, spart die Gemeinde nicht nur die Mitte ihres Glaubens selbst aus, sondern fällt zurück in die „Grundsätze dieser Welt" (Kol.2,8). Sie geht der Lebenswirklichkeit ihrer Bekenntnisgrundlage verlustig, der Lebenswirklichkeit des Evangeliums. In der Adaptation üblicher Sozialisationsprozesse opfert sie ihre geistliche Identität, wird zu einer homöomorphen Gesinnungsvereinigung, in der nicht mehr gilt: „hier ist nicht mehr Jude, noch Grieche, Sklave, Freier, Mann, Weib, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus" (Gal.3,28). 44 Sondern in der jeweiligen Kongregation versammeln sich erneut diejenigen, die sich nach eigenem Ermessen ihre Geschwister selbst erwählen - gerade

43

S. Udo Kern, Liebe als Erkenntnis und Konstruktion von Wirklichkeit, 2001, 29.

44

Vgl. zur sozialen Vielschichtigkeit der neutestamentlichen Gemeinde lürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 186-188.

Die Frage nach der Liebe

23

nach der Art einer jeden säkularen Versammlung - , und diskreditieren so Gottes schrankenlose Liebe. Im Sinne einer christlichen Ontologie muss die Kirche dann selbst Gebrauch machen von der Möglichkeit derjenigen Umkehr, die sie verbal verkündigt, seinshaft aber nicht oder nur unzureichend bezeugt. Sie muss solche ontologisch neu umsetzen lernen, damit ihre Predigt eine glaubhafte sein kann. Diese Umkehr ist ihr ermöglicht, so wahr das Heilswerk Christi eine Kraft Gottes ist für jedermann, auch die Gläubigen.

B. Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft 1. Die Frage nach der Liebe 1.1 Die Liebe als christlicher Schwerpunkt / Das Problem mit der Liebe / Die Notwendigkeit einer biblisch-systematischen Untersuchung In christlicher Wendung wird das wohl umfangreichste Thema der Welt nicht nur aufgenommen, sondern in ganz eigener Weise verdichtet und ausgeformt, indem die motivierende und inspirierende Kraft der Liebe in ihrem größeren Kontext und mit ontologisch weitestreichenden Aussichten geschildert wird. So gilt sie zu Recht als christliches Hauptthema, denn bei allem, was das Christliche ausmachen mag, ist unbestreitbar, dass es dabei zentral um die Liebe Gottes geht, die dem Menschen erschienen ist, um ihn aus der Fülle seiner individuellen und gemeinschaftlichen Selbstverkrümmungen und Selbstentstellungen zu befreien, um ihm stattdessen eine aus der unbegrenzten Zuneigung, Bejahung und Fürsorge des Schöpfers gespeiste Existenz der Wachheit, der geistigen Klarheit und der leiblichen Eindeutigkeit zu ermöglichen. Dass im Zentrum des christlichen Glaubens die Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus steht, ist einem jeden wenn nicht klar, so zumindest bekannt. Jeder weiß, dass die christliche Hauptsache berührt ist mit jener Liebe, von der man hofft und glaubt, dass sie das Sein, insbesondere des Menschen, verwandeln und heilen

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Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

könne. Vertieft man aber die Fragestellung nur ein wenig nach dem Wieso oder dem Wie dieses Umstandes, so verwandelt sich erste Klarheit wiederum gerne in vielerlei Schwammigkeit, so dass diesbezüglich bereits ersichtlich theoretischer Klärungsbedarf besteht. 45 Noch nachdenklicher aber muss es sicherlich stimmen, dass genau jenen Vorgang, wie schließlich auch jeder Laie erkennt, das christliche Sein kaum widerspiegelt. Das Maß der Probleme gibt zu denken, das auch Christen mit solcher Liebe haben und infolgedessen mit der real erfahrbaren Erlöstheit, die sie, wie zu zeigen sein wird, trotz allem nicht zu Unrecht proklamieren. Die Probleme ernstnehmend, haben wir allen Anlass, die Sache der Liebe einmal einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, speziell auf ihre grundsätzlichen seinsbetreffenden Charakteristika hin. Wir haben Grund, einmal das anscheinend Selbstverständliche in seiner kategorialen Bedeutung aufzurollen, vermutend, dass gerade mit der systematisch-theologischen Erfassung der Liebe es nicht zum Besten bestellt sein könnte, um von daher womöglich besser zu verstehen, wodurch die Unterentwicklung der christlichen Praxis, die mangelnde Attraktivität und Eindeutigkeit des christlichen Projekts als Ganzes von seiner lehrmäßigen Seite her bedingt ist. Es gilt somit an dieser Stelle hinsichtlich der Liebe deren spezifisch christlichen Kern freizulegen, sich dessen konstruktiver Gestaltungskraft zu vergegenwärtigen und von daher Hoffnung auch auf Besserung der christlichen Sache selbst zu schöpfen. Dass wir die Probleme, die das christliche Projekt mit sich selber hat, ohne Scheu an uns heranlassen, ist wichtig um des Eigenanspruchs willen, möchte und soll doch das Christliche noch immer gerade die Lösung der essentiellen Probleme der menschlichen Existenz darstellen. So jedenfalls haben einstmals Gläubige das christliche Kleinod verstanden und um dieses Verständnisses willen neuerliche Probleme für Leib und Leben riskiert - so glaubhaft, so überzeugend, dass sie einstmals Bollwerke, Systeme und Religionen „in den Gehorsam Christi gefangen nehmen" (2.Kor.lO,5) konnten. Die Besserung der christlichen Sache tut darum Not, weil es Gott um die Sache seiner

45

Wenn in der Vergangenheit das Christentum als „Religion der Liebe" verstanden wurde, waren damit ebenfalls die unterschiedlichsten Vorstellungen verbunden, in der Hauptsache mystischer oder ethisch-sozialer Art, auf die wir hier nicht näher einzugehen haben.

Die christliche Rede vom Sein

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Schöpfung als Ganzer geht. Deretwegen gilt es, nicht neue christliche Rezepte zu kreieren, deren originale christliche Spezifik aber neu zu registrieren und so umzusetzen, dass sie nicht nur Lehrbücher zieren, sondern die Realität. Wir meinen, dass gerade mit der theologischen Verkümmerung der Agape die christliche Sache eminent beeinträchtigt ist, dass darum der Kirche und ihren Gliedern gedient sein sollte, wenn wir die Liebe als seinstragende in voller biblischer Bedeutung neu qualifizieren, und zweifellos noch mehr, wenn es gelingt, aus diesem umfassenden Sachverhalt auch umfassende Konsequenzen zu ziehen. Wir werden somit festzustellen haben, wo das Liebesthema Schaden genommen hat - insbesondere im Bereich von Theologie und Kirche, zum Schaden unserer eigenen Substanz und Glaubwürdigkeit also, zum Schaden darum auch der „Welt". Dabei wiederum soll zu jeder Zeit unverrückt bleiben, dass die Liebe, von der Christen sprechen, die Liebe Gottes des Vaters in seinem Sohn Jesus Christus ist.

2. Die christliche Rede vom Sein 2.1 Die christliche Scheu vor der Rede vom Sein Die Rede vom Sein oder auch vom Seinsgrund ist im Bereich des christlichen Glaubens eine ungewohnte, da die Theologie sich von jeher diesbezüglich sehr bedeckt gehalten hat. Nicht zuletzt beeinflusst durch die ausdrücklich nichtchristliche Mythisierung der Seinsfrage bei Martin Heidegger, hat sie weitgehend eine grundsätzliche Distanz zu derselben eingenommen. Im Gegensatz zum Thema Liebe gilt die ontologische Thematik demzufolge vielen a limine als suspekt und ist von daher auch eine Zusammenschau beider Bereiche kaum einmal versucht worden. 46 Entsprechende Erwägungen werden zumeist als An46

Dass die menschliche Rede vom göttlichen Seinsgrund hinsichtlich ihrer Objektivierbarkeit eine logische Aporie in sich schließt, liegt in der Natur der Sache und gehört dennoch zu den methodischen Bedingungen theologischer Rede. Diese ist sowenig wie irgendeine andere voraussetzungslos, hat ihre Voraussetzung aber um ihres verbindlichen Anspruchs willen besonders überzeugend zu bewahrheiten, worin genau ihre ontologische Aufgabe besteht. Die alternative Konsequenz hat besonders klar Rudolph Berlinger gezogen, der meint, „die philosophischen Weltsysteme sind Weltentwürfe der demiurgischen Subjektivität des Subjektes Mensch ...

26

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

bandlung der frommen Sache mit der als heidnisch klassifizierten Philosophie empfunden, wenn nicht gar als der Verrat an dieselbige. Dies beruht aber auf ihrem Missverständnis in verschiedenerlei Hinsicht. 2.2 Das Problem christlicher Ontologie Primär ist darauf hinzuweisen, dass der christliche Glaube es nicht mit Imaginationen und Abstraktionen zu tun hat, sondern mit der konkreten Veränderung des Menschen und seiner Lage, mit seiner Erlösung aus Tod und Verderben, - nicht aber nur des Menschen Erlösung, sondern schließlich und endlich der der gesamten Schöpfung. 47 Auch und gerade die Theologie steht vor dem Problem des Mensch- und des Weltseins. Auch und gerade die Bibel verhandelt die Rettung des geschaffenen Seins.48 Bereits aufgrund dieses simplen Umstandes ist Theologie in ganz eminenter Weise Ontologie. Die ontologische Intention der Bibel konkurriert nicht mit ihrer soteriologischen, umrahmt diese vielmehr, indem die Bibel uns zeigt, worin der Glaube ruht und auf welche Weise er recht praktiziert wird. Darum ist vollständige Theologie immer auch Metaphysik im klassischen, weltumspannenden Sinne, ausgehend von der Erkenntnis, dass es Gott um sein reales Reich in dieser Welt zu tun ist, zu dessen Erschließung und Darstellung er sein Wort und schließlich seinen Geist gegeben hat, der uns „alles lehren" soll (Joh.14,26). Speziell Letzterer ist es, der gleichsam als Substanz des Wortes das alte zu einem neuen Sein umgestalten möchte, und die Agape ist ihm hierbei gewiss ein Schlüsselelement. Ontologischen Inhaltes ist die Bibel darum auch, wenn sie uns die Teilhabe am göttlichen Geist lehrt und in diesem das Werden, genauer: die Begründung und Heranreifung einer neuen Schöpfung.

47

48

Der Mensch, der philosophisch reflektiert, ist das Prinzip von Welt" (11). Philosophie als Weltwissenschaft. Abbreviatur eines ontologischen Problems, 1971, 9-11. Dass die Ganzheit der Welt theologisch zu thematisieren sei, war immer ein Gütesiegel großer Theologie und hat sehr schön etwa Gogarten (bes. in: Der Mensch zwischen Gott und Welt, 1956) betont. Nach der Phase der eher weltarmen dialektischen Theologie, ist es heute herausragenderweise Wolfhart Pannenberg, der in der Tradition Paul Tillichs den universalen Charakter der christlichen Botschaft zu Ehren gebracht hat. Vgl. auch Karl Barth, KD ΙΠ/1, 52ff.

Das Problem christlicher Ontologie

27

Die christliche Sache zielt auf eine neue Wirklichkeit, ein neues, in Christo geheiltes Sein. Darum impliziert in besonderer Weise die Frage des „Christ-Seins" die Seinsfrage. Die biblische Botschaft enthält und verhandelt eine implizite Ontologie im umfassenden Sinn, gerade auch in ihrem soteriologischen Teil, insofern dieser auf die Zurechtbringung des Seins zielt. Traditioneller formuliert ist das Thema der Bibel in heilsgeschichtlicher Darstellung die Rettung der Schöpfung; dies aber ist die fundamentalontologische Thematik schlechthin. Weil das Kernproblem des Seins darin besteht, dass es vom Nicht-Sein verzehrt wird, ist die Seinsfrage aber keine andere als die nach letzter, bleibender Wirklichkeit - die Frage, die der Glaube mit letztmöglicher Gewissheit beantworten möchte. Die Frage nach dem Sein, verstanden im Sinne seiner das Nicht-Sein überwindenden Integrität, ist somit nicht nur die eigentliche philosophische Frage, sie ist die eigentliche theologische Frage. Richtig ist darum, was schon Heinz Erich Eisenhuth formulierte: „Die Wahrheitsfrage des Christhentums, um die sich die Theologie der Vergangenheit bemüht hat, muss wieder in neuer, seinsmäßiger Weise gestellt werden. Wir dürfen weder bei behaupteten Absolutheitsansprüchen stehen bleiben, noch aber durch religionsgeschichtliche Vergleichung dem Christhentum den ethischen oder religiösen Vorrang zu sichern versuchen. Es gilt vielmehr aufzuzeigen, dass die Bedingungen des Geschehens evangelischer Gemeinschaftsverwirklichung der Struktur nach konstitutiv sind für ein Existieren, das als ein eigentliches angesprochen werden soll. Denn in dieser Seinsart ist es der existenzialen Grundverfassung zu eigen, die durch den theologischen Hinweis überhaupt erst in dieser Weise erschlossen werden kann." 4 9 Diese Äußerung könnte gleichsam als Motto über dem vorliegenden Versuch stehen, 50 wobei wir auf den Gemeinschaftsaspekt später eingehen werden.

49

Heinz Erich Eisenhuth, Ontologie und Theologie, 1933, 61.

50

Eisenhuth sieht weiter in der Seinsfrage die „metaphysische Hauptfrage des Philosophierens" (85), auf die Metaphysik des Aristoteles verweisend, die als Grundwissenschaft charakteristisch durch die Frage nach dem An-sich-Sein des Seienden bestimmt ist. Er spricht von „Fundamentalontologie als Metaphysik der Metaphysik" (15). Philosophie bedeute „die Probleme des eigenen Existierens klären im Blick auf den Sinn des Seins überhaupt" (58). So verfahre vom Standpunkt der Offenbarung aus auch die Theologie. Als deren Vertreter hat Ingolf U. Dalferth Interessantes zum Thema beigetragen. Nach ihm hat der Glaube „selbstverständlich ontologische Implikationen", schon

28

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

Zunächst bleibt festzuhalten: Der christliche Glaube betrifft keineswegs etwas anderes als das Phänomen Sein, und zwar in seinen allgemeinen Zusammenhängen sowie mit Blick auf die höchste Seinsursache. 51 Er betrifft, wie Tillich formuliert, das „Strukturganze". 52 Die Universalität der christlichen Botschaft, die das gesamte kosmische Geschehen ausdrücklich einbegreifen möchte, alles „Sichtbare, Unsichtbare" usw. (Kol.1,16) wie auch deren konkrete Bezogenheit auf die vom Schöpfer geschaffenen Dinge, empfehlen geradezu den funktionalen Gebrauch des Begriffs „Sein" im Dienste biblisch-systematischer Überlegung. Die kosmologische Ausweitung des Evangeliums muss also mit bedacht werden zum Verständnis unserer eigenen Existenz, denn Letztere ist es, die Gott zum Dienst an seiner Gesamtschöpfung verwenden will. 53 Das Christentum ist biblisch - nicht nur beim „metaphysischen" weil es ihm um „reale Gegenstände" geht; Existenz Gottes und christlicher Glaube, 1984, 16. Als eine eschatologisch ausgerichtete, zeichne sich die christliche Ontologie durch die unspekulative Kommunikation der Glaubensinhalte aus (vgl. auch den lehrreichen Aufsatz: Wissenschaftliche Theologie und kirchliche Lehre, 1988). Dalferth betont, dass alles Handeln Gottes als Realisierung seiner Liebe zu verstehen ist. Diese zeige sich am Kreuz, wo sie den Tod besiegt und so das Nichts negiert hat (214ff.). Die christologische Grundausrichtung, die der Theologie „im kulturellen und religiösen Pluralisierungsprozess eine distinkte Stimme" sichern soll (3), könnte in ontologischer Hinsicht allerdings von der Rezeption der Logos-Christologie profitieren sowie in eschatologischer von der Erarbeitung der Konsequenzen der Liebe im Bereich des immanenten Seins. Beides soll an dieser Stelle erfolgen. Auch Gerhard Ebeling empfiehlt die ontologische Offenheit der christlichen Lehre, wenn er sagt: „Theologie darf sich nicht provinziell oder dogmatistisch auf ein separates Verständnis von Ontologie versteifen, muß vielmehr offen sein, daß ihre Sprache zum Wirklichkeitsverständnis insgemein etwas beiträgt, was zu respektieren jedem zumutbar ist, sei er nun ein Glaubender in christlichem Sinne oder nicht" (Luthers Wirklichkeitsverständnis, 1993, 411). „Denn das biblische Wirklichkeitsverständnis erhebt selbst angesichts des Todes den Anspruch befreiender Wahrheit und deshalb letztgültig gewißmachender Gewißheit. ... Deshalb läßt sich die ontologische Frage in Sachen der Theologie nicht in einem Abstraktionsverfahren erörtern, sondern stets nur als ein Implikat der Theologie" (415). 51

So wie im Wesentlichen in der Tat Aristoteles die ontologische Frage konzipiert hatte mit der Theologie als Abschluss der allgemeinen Seinslehre; vgl. a.a.O.

52 53

Paul Tillich, ST 1, 8 1987, 201. Die Unterberücksichtigung des Kosmischen wurde nicht zuletzt stark befördert durch die Übersetzung des biblischen „Kosmos" mit „Welt", womit wir gewöhnlich unseren Erdball assoziieren (s. Eiert, der in: Der christliche Glaube, 3 1956, 247-251 zur neueren evangelischen Dogmatik eines der wenigen kosmologischen Kapitel beisteuert). Sehr treffend ist - im Blick auf die Liebe - auch die Aussage Pannen-

Der biblisch-heilsgeschichtliche Seinszugang

29

Johannes, sondern besonders beim „heilsgeschichtlichen" Paulus - als Einheit von kosmischer und soteriologischer Christologie gedacht, deren Aktualisierung als pneumatologisches Geschehen in der ekklesia, der Schar der aus dem „argen Weltlauf" (Gal.1,4) Herausgeretteten geschieht. Vor diesem Hintergrund sind, wie wir noch sehen werden, christliche Soteriologie und christliche Ontologie vollständig untrennbar, denn Rechtfertigung ist zugleich Wiederherstellung der Schöpfung. Das Verständnis des geschichtswirksamen und des geschichtstragenden Herrn bedingen einander um des einen Zieles willen - der Herausbildung des Volkes Gottes. Das Volk Gottes aber dient dem Gesamtvorsatz Gottes. Es ist „Volk Gottes im Weltgeschehen". 5 4 2.3 Der biblisch-heilsgeschichtliche Seinszugang So ergibt sich schon von hier aus die Einsicht in die Legitimität des Seinsbegriffes, der im Dienste der biblischen Heilsgeschichte ein operationaler sein soll. Entscheidend ist dabei freilich, dass nicht in überzeitlicher Abstraktheit gehandelt, sondern die Geschichte des Seins in seinen destruktiven und konstruktiven Wendungen geschildert wird, einer Seinsdimension, auf die besonders Heidegger aufmerksam gemacht hat. 55 Das Sein ist kein statisches, sondern ein bewegtes. Darum denkt Bibel dynamisch-heilsökonomisch, niemals nach den Mustern einer un- oder übergeschichtlichen Ontologie. Die Behandlung der Seinsthematik als solcher, ihre abstrakte, von geschichtlichen Vorgängen gelöste Betrachtung also, ist ein Produkt der griechisch-philosophischen Tradition, die im Rahmen dieser Untersuchung soweit gewürdigt werden soll, als dies der Verdeutlichung der biblischen „Seinslehre" dient. Wenn auch wir also vom „Sein" reden, dann in der Weise, dass wir Ontologie und Geschichte nicht als Gegensatz begreifen, sondern die Prinzipien des Seins gerade in der Beobachtung dessen

bergs: „Wie könnte Gott Liebe sein, wenn seine Liebe nicht alle kosmischen Prozesse durchwalten würde, da doch die Welt seine Schöpfung ist?" ST 3, 1993, 221. 54

Karl Barth, KD IV/3, 780ff.

55

Wobei dieser freilich den christlichen Kulminations- und Wendepunkt, die Offenbarung Gottes in Christus, nicht anzuerkennen vermochte und auch die Explizierung einer „Seinsgeschichte" unterlassen hat. Andeutungen dazu finden sich in: Besinnungen, GA, 1989, 223.

30

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

geschichtlichen Werdeganges zu verstehen suchen. Eine biblischtheologische Betrachtung des Seins muss darum, dem biblischheilsgeschichtlichen Ablauf folgend, chronologisch - heilsgeschichtlich also - vorgehen, muss die Geschichte des Seins in seinen charakteristischen Phasen nachzeichnen mit ungetrübtem Blick auf den Anfänger und Vollender aller „Dinge". 5 6 Die heilsgeschichtliche Betrachtungsweise liefert in allen Fällen keine objektivierende Totalschau der Geschichte, wohl aber deren entscheidende Heilsstationen. Die Erlösung kann dabei sowohl als Vollendung der originalen Schöpfertätigkeit gesehen werden - in Kontinuität also, als auch in Diskontinuität im Sinne eines Neuschöpfungsbeginns. Der Neue Adam ist wieder Adam, aber er ist neuer Adam. Auf die Weise dürfen wir auch begreifen, warum und wozu hin uns Gott liebt. Wir sind so schließlich imstande, den onto-dramatischen Kontext der Liebe zu erfassen, die als Ausfluss der seinigen uns selbst mit aufgetragen ist. Wir können die ontologischen Zusammenhänge der Liebe vom Wesen und Wirken Gottes aus begreifen, ihre Erscheinungsweisen und seinsformenden Absichten und sind in die Lage versetzt, von hier aus unser eigenes Sein in voller Komplexität dem Grundwesen Gottes zuzuordnen. Auf heilsgeschichtlichem Weg sind die Transzendenz und Immanenz Gottes soteriologisch verknüpft, und das Kernelement dieser Verknüpfung ist, wie wir ebenfalls sehen werden, seine Agape. Von dieser aus ist die Eigenart und das Geschick dessen zu enthüllen, was wir „Sein" nennen.

56

Wie denn auch die Dogmatik als systematische Darlegung der Taten Gottes traditionell die heilsgeschichtliche Gliederung ihrer Loci favorisiert hat, in der Regel auch dann, wenn die heilsgeschichtliche Perspektive negiert wurde. S. Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik, 1983, 67ff.; Horst Georg Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990, 38ff.; Hans-Joachim Kraus, Systematische Theologie, 1983,113f.

Klassische Bestimmungen

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3. Was ist „Sein"?57 3.1 Sein als Allgemeines Methodologisches Prolegomenon der Seinsthematik muss die semantische Klärung des Verständnisses des Hilfsverbums „ist/sein" bilden als Ausgangspunkt ontologischer Überlegung, die hier allerdings um unseres systematisch-theologischen Zugangs zur Seinsfrage willen am Rande verbleiben darf. 58 „Sein" ist zunächst Kopula, die mannigfaltige Inhalte vereint, während sie Begriffe in Relation, welcher Art auch immer, stellt. 59 Damit in Einklang steht auch das alttestamentliche ΓΡΠ, das soviel meint wie „existieren", „dasein" und dabei typischerweise zumeist das determinierende Wirken des Schöpfers im Auge hat. 60 Im Einklang damit wiederum ergibt sich, dass „Sein" als schlechthinnige „Anwesenheit", als „Ur-Da" immer auch schon vorverstanden ist, mit einem apriorisch verstandenem Ursinn behaftet. Uber seine begrifflich-assoziative, seine logische Zuordnungsfunktion hinaus hat „sein" von jeher deutende, bestimmende Funktion im Sinne eindeutiger Festlegung. „Ist" regelt Quantitatives und Qualitatives. Darum rührt die ontologische Frage immer auch an der Wahrheitsfrage, sofern diese die Identität des Seins, seine Sach-Gemäßheit beurteilt.

57

Einen

guten

philosophie-historischen

sowie

aktuell-forschungsgeschichtlichen

Überblick hierzu, auch unter Berücksichtigung der semantischen Komponente, liefern Detlev Pätzold, „Sein/Seiendes", Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 4, 1990, 213-234; sowie Albert Keller, „Sein", Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 5, 1974, 1288-1304. 58

S. dazu Alwin Diemer, Ivo Frenzel, „Ontologie", Das Fischer Lexikon, 1967, 209ff.; sowie Oswald Schwemmer, „Seiendes, Sein", Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3 , 1 9 9 5 , 747-751.

59

Z u m Problem konnte das Sein darum erst werden, wo das Hilfszeitwort ist als sprachliche Besonderheit auftauchte. Die Frage, was es bedeutet, dass ein vor Augen stehendes oder gewusstes Ding „ist", stellt sich den frühen Sprachen nicht.

60

Insofern hat Thorleif Boman, wenngleich in etwas überscharfer Antithetik, zu Recht mit der Verbalbedeutung von ΓΡΠ als „reales Werden" den Gegensatz von dynamisch-hebräischem zu statisch-griechischem „seins"-Verständnis akzentuiert in: Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, 7 1983, 27ff.; vgl. zur spezifischen Nicht-Abstraktheit des hebräischen Denkens auch Heinzpeter Hempelmann, Evangelium und Kultur - Evangelium als Kultur. Klärungen - Herausforderungen Perspektiven, 2000,12.

32

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

Wir schließen uns hier Alwin Diemer an, nach dem „ist/sein" den „Vollzug der Bestimmtheit als" meint. 61 Auch dass dabei immer eine bestimmte Bestimmtheit gemeint ist, d.h. dass ein bestimmendes Gefüge immer schon vorausgesetzt ist, dass also auch eine „rein deskriptive Ontologie" immer das Produkt einer „natürlichen Weltanschauung" darstellt. 62 Der teleologische Aspekt ergibt sich auch von Seiten phänomenologisch-inhaltlicher Betrachtung des Seins, von dem zunächst gesagt werden kann, dass es alles Existierende, Materielle und Ideelle enthält, unabhängig von jeder weiteren Bestimmung, dass als Begriff es „das Generelle in der Mannigfaltigkeit des Seienden" (Hartmann) beschreibt - Seiendes vor seiner Aufgliederung. „Sein" ist ursprünglichste, umfassendste, dabei unbestimmteste semantische Konstruktion zur Erfassung eines Letzten, nicht weiter Definierbaren. So gesehen gibt es Sein nur als abstrakten Allgemeinbegriff, der für uns aber unverzichtbar ist, um uns ontologisch zu orientieren - zum Konkreten hin wie auch zu der Frage, was es mit dem Allgemeinen selbst auf sich haben könnte. Sein ist wohl unkonkret und unscharf, offenbart als „Anwesenheit" uns aber immer auch „Anwesendes", Seiendes63 und zielt dabei in der Transzendierung der eindeutigen Grenzen von Art und Gattung auf universale Weite, so dass im Seins-Verständnis der Mensch „in die Offenheit des größten Ganzen überhaupt gestellt" ist.64 Die inhaltliche Leerheit von Sein korrespondiert so dem Seiendem als „transcendens schlechthin" (Heidegger), als Geheimnis des Absoluten gleichsam. Das das Sein Überschreitende wiederum steht in der Spannung, einerseits noetisch als ewiges Prinzip gefasst werden zu wollen, andererseits vor dem Umstand, dass unsere Weltwirklichkeit gerade ein solches empirisch entbehrt. Dieser Spannung findet existenziellen Niederschlag in unserer Erfahrung jener typischen, dem Sein innewohnenden Dialektik einerseits als das Beständige und Wesentliche im Kommen und Gehen der vielfältigen Erscheinungen, andererseits als Trügerisches, Wunschbildhaftes, 65 womit das Sein bei aller Grundhaftigkeit gerade in der

61

Alwin Diemer, Einführung in die Ontologie, 1959,47.

62

Ebd., 49.

63

S. Max Müller; Alois Halder, „Sein", PhWb, 1988, 277.

64

Ebd.

65

Vgl. Hermann Glockner, Zur Fundamentalphilosophie, 1969, 511.

Klassische Bestimmungen

33

Veränderlichkeit der Dinge sein wohl verlässlichstes Wesen bezeugt. Diese Spannung zu lösen im Sinne einer stabilen Seinseinheit, in der auch die legitime Seinsvielfalt zum Tragen kommt, ist Aufgabe der dafür geeigneten, hier zu ermittelnden „Kategorie". 3.2 Klassische Bestimmungen Die systematische Aufteilung des Seins geschieht klassischerweise in erstens: Universalien als dessen Allgemeinbegriffe bzw. Seinsgattungen (z.B. Lebewesen, Mensch, Pflanze). Zweitens: in Transzendentalien als dessen allgemeingültige Prädikate (ens, res, aliquid, bei Thomas Aquino: unum, verum, bonum, gelegentlich auch pulchrum). Dabei besitzt das Dasein ontologischen Vorrang, weil auf real Anwesendes zielend, auf Existenz, während die übrigen Prädikationen lediglich deren Wiesein bzw. Sosein beschreiben, die uns von für das Dasein allerdings von konstitutivem Rang scheinen. Die Existenz - als die Seinsweise des Daseins (Heidegger) - selbst ist raumzeitlich, individuell, empirisch erfahrbar und wird von den Einzelwissenschaften behandelt. Die Seinsbereiche, auch -formen genannt, wie Raum, Zeit, Form, Materie, Substanz, Struktur, Einheit, Vielheit, Relation, Partizipation, Quantität, Qualität, Kausalität, Prinzip, Konkretion, heißen traditionell Kategorien und werden explizit bei Aristoteles, Kant, Hartmann eingeführt und dort jeweils recht unterschiedlich gehandelt. 66 Wir postulieren hier als eigentlichen Bereich eigentlichen Seins - das meint integren, darum intakten und darum auch bleibenden, unvergänglichen Seins - die Agape. Insofern in Kategorien die Prinzipien, das Wesen des Seienden abgebildet werden, können sie auch als Bestimmtheitsschemata des Seienden, als Grundseinsweisen gelten. Sie sind damit in jedem Fall mehr als grundsätzliche Aussageweisen, als Aussageformen über dinghaftes Sein 67 oder die apriorischen Verstandesbegriffe Kants. „Kategorie" hat seinsstrukturierende, nicht allein begrifflich ordnende Funktion. Am

66

S. Alwin Diemer, Ivo Frenzel, „Ontologie", Das Fischer Lexikon, 1967, 222ff.

67

S. ebd., vgl. Heinrich Ott, Denken und Sein, 1959, 58.

34

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

ehesten die hier intendierte ontologische Tragkraft von scheint uns darum der Begriff des Seinsbereichs zu enthalten. 68

Kategorie

Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten sind in diesem Zusammenhang etwa die von Seins-Weisen wie (auf Existenz bezogene) Realität und (auf Essenz bzw. „Wesen" bezogene) Idealität oder auch SeinsArten (bzw. Seinsmodi): Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit, wobei das Begriffspaar Wirklichkeit - Möglichkeit dem aristotelischthomanischen Akt-Potenz- / Form-Materie-Schema entspricht. Vorläufiges Generalattribut des existenziellen Wieseins aber, gemeinsames und dabei brisantestes Grundcharakteristikum allen Seins ist seine Endlichkeit, seine Vergänglichkeit. Diese ist das gemeinsame Grundmerkmal alles noch so verschieden Seienden. Das Sein ist in jedem einzelnen oder auch allgemeinen Fall im Zerfall, in Auflösung begriffenes. Zerbrechlich, ja zerbrechend ist es, geprägt von elementarer Unsicherheit, von Sorge, gefährdet selbst im Blick auf seine Zukunft nach seinem irdischen Versiegen. Das Sosein der Existenz ist von daher beständige Fragilität. An diesem Punkt treffen sich empirische, philosophische wie christliche Einsicht, - dass das Sein „Sein zum Tode" (Heidegger) ist. Wobei im Hinblick auf die christliche Schuldaussage wir nicht bloß von fragilem, sondern von sich selbst belastendem, sich selbst destruierendem, darum desintegrem Sein zu sprechen haben. Im Tod schließlich ist jene - unter theologischem Blickwinkel pervertierte - Einheit definitiv gegeben, die das Lebendige auszeichnen sollte. Im Tod wird alles Sein freilich nicht wirklich geeint, aber „versammelt" und dann womöglich der Frage zugeführt, wie man es denn im Leben mit der Einheit gehalten hat, mit Güte, Treue, mit Solidarität, mit Vergebung, mit Wahrhaftigkeit. Dann stellen sich womöglich die jetzt vernachlässigten transzendentalontologischen Fragen, die wir an dieser Stelle fokussieren. Endlichkeit ist, so gesehen, das kardinale Sosein des Seins als die definitive Antwort auf die Frage nach dem Wiesein. Theologisch bedeutsam - als, wenn man so will, übergeordnetes, eigentliches transcendens - ist von daher das Postulat der SeinsCharakteristika, das bei Paul Tillich erscheint, der als solche essentielles

68

S. Hans Michael Baumgartner, „Kategorie", Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 3, 1973, 761-778; vgl. auch die unter dem Aspekt der Endlichkeit entwickelte Kategorienlehre Tillichs in ST l, 8 1987, 225ff.

Die Seins-Situation des Menschen

35

und existentielles Sein unterscheidet. 69 Beider Auseinandertreten wird hier als Entfremdung gewertet, 70 wobei Freiheit verbunden mit Endlichkeit als Wendepunkt vom Sein zur Existenz gilt. Tillich sieht die ontologische Grundstruktur als durch den Fall zerrüttet an, spricht vom „ontologischen Schock", der zum „Selbst- und Welt-Verlust" des Menschen führt. 71 Die ontologischen Polaritäten - Freiheit/Schicksal, Dynamik/Form, Individualisation/Partizipation - konkurrieren im Zustand der Entfremdung, harmonieren wieder im neuen Sein.72 3.3 Die Seins-Situation des Menschen In Absehung dieser spezifisch christlichen Lehraspekte stimmen hinsichtlich der fundamentalontologischen Ausgangsposition des Menschen philosophische und theologische Anthropologie überein. Formale Nähe besteht darum auch zwischen christlicher und existenzialistischer Diagnose des menschlichen Soseins im Blick auf beider Fragestellung nach dem menschlichen Gesamtentwurf seiner selbst im Angesicht seiner Endlichkeit, wobei deren zentrale Kategorie, wie Heidegger zu Recht gezeigt hat, die Zeit darstellt.73 Die Zeit ist die mit fortschreitendem Lebensalter zunehmend dynamische Markierung des menschlichen Seinshorizontes. Sie bildet den dem Menschen anhaftenden fundamentalontologischen Sprengsatz. Er selbst aber ist sozusagen das fundamentalontologisch grenzgängerische Wesen - aus christlicher Sicht freilich nicht pelagianisch auf einer neutralen Position, sondern von Geburt an auf der Seite des Nichtseins befindlich. Interessant ist in dem Zusammenhang wiederum der Hinweis Tillichs, wonach das griechische μή öv in dialektischer Beziehung zum Sein steht, das ούκ öv in kontradiktorischer. 74 Die Position des Menschen, die seiner Endlichkeit auf der Grenze zwischen Sein und

69

ST 2, 8 1987, 35ff.

70

Ebd., 52ff.

71

Ebd., 69ff.

72

Ebd., 72ff.

73

S. Martin Heidegger, Sein und Zeit, ,6 1986. Zur theologischen Rezeption Heideggers, vor allem durch Bultmann, s. G. W. Ittel, Der Einfluß des Philosophen M. Heideggers auf die Theologie R. Bultmanns, 1956, 90-108.

74

Ebd., 220.

36

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

Nichtsein, ist die des μή öv, im Angesicht des ούκ öv. In dieser Herausforderung besteht sein fundamentalontologisches Drama - biblisch gesprochen: seine Entscheidung für das ewige Leben oder die ewige Verdammnis. Dabei ist zu betonen, dass nicht etwa wie im Verständnis der frühmittelalterlichen Tradition die Sünde Nichtsein, aber deren Folge solches ist, und sie ist endgültiges Nichtsein, ούκ öv. Der Seinsmangel der Sünde selbst ist nicht Seinsmangel, sondern im Licht des heilsgeschichtlichen Dramas Gegen-Sein, „Feindschaft wider Gott" (Rö.8,7). Als solche seinen Zorn provozierend und der Herrschaft des Feindes, des „Mörders und Lügners von Anfang an" (Joh.8,44) Raum gebend, ist sie aber das eigentliche Element der Selbstzerstörung. Mit der Offenbarung Gottes ist nun nicht des Menschen Willens-, wohl aber Wahlfreiheit wiederhergestellt, die eine Wahlverpflichtung bedeutet. Der Mensch ist unausweichlich in die Entscheidung gestellt für Gott oder gegen Gott. Sein Leben dient Gottes Reich oder dem Reich des Widersachers. Mit dieser Entscheidung läuft seine Endlichkeitssituation zwingend zu auf die Frage nach dem Sein zum Leben oder dem Sein zum (ewigen) Tode, nach Sein oder Nichtsein. Das ist tatsächlich des Menschen Frage.

3.4 Sein - biblisch-ontologisch / Das „Ganz-Sein" im Grund des Seins

Die ontologische Frage ist vom Maßstab der Schöpfungsganzheit aus, woran der Mensch unter welchen Bedingungen inwieweit partizipiert. Dabei ist als entscheidendes christliches Kriterium die Frage nach dem Seinsgrund zu würdigen. Dieser wird im Weiteren biblisch-theologisch als Liebeslogos des Seinsschöpfers zu proklamieren sein, als, wenn man so will, die Konkretion der „Macht des Seins", die in Christus definitiv den Sieg errungen hat über die nichtende Macht des Widersachers, mithin also über das „Nicht-Sein". In Konkretisierung des Seins stellt uns die Bibel dieses als geschöpflich Seiendes vor, wobei erst die Summe des im Sinne des Schöpfers funktionierenden Seienden - wir könnten vom „Einzel-" oder vom „Teil-Sein" sprechen - im Vollsinne darstellt, was wir theologisch-

Das „Ganz-Sein" im Grund des Seins

37

systematisch als Sein zu fassen haben. 75 Zu seiner inhaltlichen Bestimmung ist somit festzustellen, dass die Bibel keinen monistischen Seinsbegriff kennt, so verständlich das systematische Bedürfnis nach einem solchen auch sein mag. Die Bibel lehrt uns kein Sein „als solches", gerade so wenig, wie die empirische Wirklichkeit es mit einem solchen zu tun hat. Sie präsentiert - stets konkret - diejenige Schöpfungsvielfalt, die dem erfahrbaren Leben entspricht. Sie kennt das individuelle Seiende „nach seiner Art" (Gen.l,11-24) und kennt die Gesamtheit des Seienden als „Kreatur" (Mk.10,6; 16,15; Rö.8,19 u.a.), wie auch in der Welt nur Seiendes existiert, die Vielzahl der von Gott geschaffenen Dinge. Von solchem „Gegebenen" 76 nur erzählt in Relation zum SeinsSchöpfer die Bibel. Ihr Seinsverständnis besteht in der Darstellung der Schöpfungsauthentizität, die keinen Raum für irgendein im Hintergrund befindliches „eigentliches", tieferes Sein derselben einräumt, außer dem, dass dieses nur im ungetrübten Bezug auf den SeinsSchöpfer als intaktes, als integres, in diesem Sinne „wahres" Sein angesehen wird. Das Seiende hat kein - ideales - Sein, außer dem in ihm als Seiendem - real - beschlossenen. 77 Wenn die Bibel nicht von einem isolierbaren Sein als solchem spricht, hat dies also nicht zuletzt den Grund, dass ihr „Sein" komplexer Natur ist, dass, wie die moderne Naturwissenschaft dies bestätigt, 75

76

77

Das „Seiende im Ganzen" ist also, um mit Heidegger zu sprechen, gemeint, der hierin freilich aber die metaphysische „Verwechslung von Seiendem und Sein" sieht (Was ist Metaphysik?, 15 1998, 12). Dazu später mehr. S. bei Kant die im ontologischen wie im theologischen Sinn gut passende Bezeichnung der Natur als „Inbegriff gegebener Gegenstände" in: Kritik der reinen Vernunft, 850. Die Rede von einem idealen oder hintergründigen „Sein des Seienden" ist irreführend, da im besten Fall tautologisch; s. Albert Keller, „Sein", Handbuch philosophischer Grundbegriffe, 1291f. Es gibt kein Seiendes „als Seiendes" (öv η όν) oder auch (wirklich) „seiend" Seiendes (όντως ov), nur Seiendes als geschöpflichen Gegenstand - als, wenn man so will, „das Wirkliche" (so Heidegger in: Besinnungen, GA, 1989, 289) - , wobei entscheidend die Betonung auf der harmonierenden Komplexität der geschöpflichen Gegenstände gesehen werden muss, um so die Ganzheit des Seienden als die Wirklichkeit benennen zu können. Wir bevorzugen dafür auch insofern den Begriff Sein, als das Seiende auch eine Wirklichkeit hat, eine ontologische Qualität, eine Semswahrheit in eben jener Relation zum Seinsschöpfer. Zum Urheber der hier nur anzudeutenden, die ontologische Phantasie seit alters her beflügelnden Begriffs- und Gedankenverwirrung s. Klaus Brinkmann, Aristoteles' allgemeine und spezielle Metaphysik, 1979.

38

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

nichts, was ist, für sich alleine existiert, sondern alles miteinander in ursprünglicher Verbindung steht. 78 Leben ist Beziehung zum Ganzen. 79 Die Qualität dieser Verbindung ist es letztlich, die die Qualität des Seins determiniert. Sein im biblisch-theologischen Sinne ist realexistierende Schöpfungsvielfalt und Schöpfungsganzheit. „Ontologisch" meint somit an dieser Stelle, dem Wirklichkeitsverständnis der Bibel folgend - und an die „neue Ontologie" von Husserl, Hartmann und Jacoby anknüpfend - , das reale, empirisch fassbare Sein betreffend nach all seinen Facetten, insbesondere denen, die die psychosoziale Realität des Menschen berühren. Als dynamisch-korrelative Synthesis des Einzelseienden lehrt die Bibel somit ein Gesamt-Sein, das als solches - in seinem Normalfall gekennzeichnet ist durch konstruktive Querverbindungen auf dem Grund eines intakten Gottesverhältnisses, durch horizontale und vertikale Integrität also. Wir können dieses das „Ganz-Sein" nennen, bestehend als umfassende Richtigkeit aller Beziehungsverhältnisse, entscheidend basierend aber auf seiner korrekten Grundlage. Das Sein ist immanentes Ganz-Sein, gegründet in einem transzendenten Fundament. Dieses ist der natürliche Seinshorizont, der das Sein trägt und plausibilisiert, der mithin auch seine rechte Erkenntnis ermöglicht. Das Seinsfundament ist die willentliche Bejahung des Seins in seiner ihm eigenen Vielgestaltigkeit mit der Macht des Seinsschöpfers. Im GanzSein als ein korporatives ist darum das individuelle Sein ein Sein durch dem Seinswillen des Schöpfers gemäße Mit-Bejahung. So ist der Seinsgegenstand der Bibel im umfassenden Sinn des Wortes „soziales" Heil, wohingegen ein gestörtes Gesamt-Sein den Verlust des Ganz-Seins

78

79

Auch die Prozessphilosophie von Whitehead, Quine u.a. denkt in diese Richtung. Sein wird hier (von Whitehead) als organische Einheit begriffen („wo alles einander erfühlt"), als konstruktive Interaktion aller physisch-psychischen Affekte, die die individuelle Ratio mehr zerreißt denn gewährleistet; s. Prozess und Realität, 32001. In vergleichbarer, wenngleich im Einzelnen sehr unterschiedlicher Weise haben schon Denker wie Laotse, Plato, Plotin, Böhme, Spinoza und Hegel die Weltwirklichkeit als vernetzte betrachtet, wie dies zuletzt insbesondere durch Fritjof Capra und das „New Age" geschehen ist. Vgl. zum Thema „Holismus" Gustavo Bueno Martinez, Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 2, 1990, 552-559 und Horst Georg Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990,129-131. Dem Nicht-Ontologen Bruce Lee entlehnt - oder wiederum mit Heidegger: „strebend-zielende Verstrebung in das Ganze des Seienden"; Holzwege, GA, 7 1994, 286.

Das „Ganz-Sein" im Grund des Seins

39

bedeutet und gleichbedeutend ist mit dem Sein außerhalb des originalen Seinsgrundes. 80 Der Gegenstand christlicher Ontologie ist folglich die Komplexität des Seins als solche mit Blick auf ihre Bejahung durch ihren Urheber, mit Blick auf die Wirkmächtigkeit seiner Liebe. In der Weise verfährt die biblische Ontologie dynamischheilsökonomisch, indem sie vom Sein mit Blick auf seine Bestandskraft vor dem Schöpfer handelt. Diese seine Ur-Relation ist es, die sie thematisiert, ohne jedoch seine jeweils inhärenten Wesenseigenschaften, seine Qualitäten zu problematisieren. Sowenig wie einen monistischen Seinsbegriff kennt die Bibel auch das Konzept einer Seinsstufung. 81 Sie kennt nur einen - allerdings fundamentalen - Seinskontrast. 82 Sie kennt ein absolutes, gottgemäßes Gottes und ein relatives, kontingentes der Kreatur, ein stabiles, ewiges Sein und ein hochgradig fragiles, der Vernichtigung nur gar zu leicht anheim fallendes. Was die Bibel folglich tut, ist uns eindringlich und unzweideutig darüber ins Bild zu setzen, wie es um das Sein als realexistierendes in seinen - soweit thematisierten - Einzelteilen wie auch im Ganzen bestellt ist und dementsprechend auch in seiner Interaktivität. Sie beleuchtet die Qualität des Seins im Blick auf seine hohe Herkunft und Bestimmung, dem göttlichen Logos (Joh.1,1-3). Mit Blick auf diesen, schließlich im Fleisch begreifbar gewordenen, belehrt sie uns über das Sein im Verhältnis zu seinem „metaphysischen" Seinsgrund, nach dem die Theologie nicht nur fragen darf, sondern muss, ist sie denn ernsthaft interessiert an einem identifizierbaren, einem eindeutigen christlichen Sein, ist sie denn ernsthaft interessiert an einer christlichen Praxis. In der Ermangelung der biblischen Lehre vom Seins-Grund besteht die traditionelle ontologische Verunsicherung der Theologie und ein wesentlicher Grund dafür, dass man christliche Philosophie und Ontologie als „hölzernes Eisen" (Heidegger) empfunden hat. Mithilfe dieser Lehre aber ist eine christliche Ontologie nicht nur weitaus belastbarer als jede philosophische - die christliche Anthropologie, am Ende auch die Ekklesiologie, erhalten mit dieser auch ihre theologische Basis. Denn hat das Sein

80

Die ganz entscheidende soziale/kulturalistische Komponente fehlt in der klassischen Ontologie weitgehend, die dem gesellschaftlichen Sein zu wenig Augenmerk gewidmet hat.

81

... wohl aber eine gewisse Stufenordnung der Geschöpfe, wie Gen.l diese vorstellt.

82

S. Emil Brunner, Christentum und Kultur, 1979, 45.

40

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

einen Seinsgrund, dann ist das Sein nur von diesem her in der Lage, sich selbst zu begreifen, - ist es also elementar wichtig, um diesen überhaupt zu wissen. 83 In diesem Zusammenhang kann auch von den Naturwissenschaften gesagt werden, dass sie wohl die immanenten Prozesse der Weltwirklichkeit erhellen können, nicht aber die Frage der Hinordnung der Welt auf Gott, auf ihren transzendenten Seinsgrund. Dementsprechend ist sehr wohl auch Gotteserkenntnis aufgrund der Schöpfungssachverhalte möglich - und aus biblischer Sicht auch zwangsläufig (Rö.l) - , nicht aber Gottesgemeinschaft. In und mit dem geoffenbarten „Christusexistential in der Schöpfung" 8 4 ist dies ein für allemal geändert. In ihm ist die Liebe Gottes als „Existenzgrund" und „Existenzziel" 85 wiederhergestellt. Das Schöpfungs- wie das Erlösungsziel aber ist die Ehre und die Verherrlichung des Vaters. Seine Glorifizierung als dem ewig festen Anker des Seins ist die rechte „Korrespondenz zur reinen Liebe Gottes". 86 Das ist die unverrückbar hohe Würde und Verantwortung der christlichen Gemeinde. 3.5 Die „ontologische Differenz": Sein zum Leben - Sein zum Tode / Das Problem des heillosen Seins Die Teilhabe am Sein Gottes besteht nur im Logos Gottes. Ist Sein aus diesem abgeirrt, haben wir es zu tun mit einer unendlich qualitativen ontischen Differenz, sich manifestierend, wie wir gesehen haben, im Problem unterschiedlicher Seinsweisen je nach ihrem realen Seinsgrund. Sein im Logos, Sein in der Weise des Auf-ihn-bezogen-Seins und des infolgedessen Untereinander-Harmonierens ist, was die Bibel uns als Sein zum Leben in ihren ersten Kapiteln als das ursprüngliche

83

Vgl. ders., Der Mensch im Widerspruch, 51985, 61ff.; Karl Barth, KD 1/1, 198ff. In diesem Sinne ist die Christologie „Entfaltung des christlichen Seinsverständnisses", die „Explikation des glaubenden Verständnisses des neuen Seins" (Rudolf Bultmann, Glauben und Verstehen 1, 3 1975, 263). Solche Explikation aber ist sie, wie Walter Künneth dargelegt hat, freilich nur unter Einschluss ihres Auferstehungszentrums, ohne welches der Glaube nur sich selbst expliziert; s. Glauben an Jesus?, 1962, 152ff.

84

Wolfgang Beinert, Christus und der Kosmos, 1974, 88.

85

Ebd., 97.

86

Ebd., 98.

Die „ontologische Differenz"

41

vor Augen stellt. Nach dem Fall ist nun nicht etwa ein „Sein des Seienden" depraviert, aber die Seins-Situation des Seienden. Diese Störung bedeutet, dass das menschlich-personale Seiende und mit diesem das gesamte Sein zum Tode hin existiert. Dessen Überwindung zugunsten des Seins zum Leben gilt die Passion Gottes. Das Evangelium als die Botschaft vom Seinsmittler und Seinsretter ist die Antwort auf das realste, das gewisseste Sein überhaupt, auf das Todes-Sein. Die eigentliche ontologische Frage ist darum zentrales Implikat der Theologie, die um des Ernstes derselben willen eine aktive, kämpferische, eine existenziell fordernde, über diejenige Form der Rationalität hinausgehende sein muss, die auf dem Wege bloßer Reflexion ihrerseits dem Tode nicht zu entrinnen vermag. Eine theologische Ontotogie ist Kampf ums Sein, vehemente Werbung für ein Sein zum Leben und zum Heil. Dass sie sich mit solchem Gebaren dem Urteil, dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit aussetzt, enthebt sie keinesfalls ihrer Autorität oder gar ihrer Legitimität, dient sie doch nicht einer wissenschaftlichen Methodologie, sondern verkündet den, „in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis" (Kol.2,3). Die christliche Seinslehre erklärt, was Menschen bezüglich des Seins fühlen - die Funktionsweise in Zerfall begriffenen Seins - und was Menschen hoffen, den Weg ihrer Genesung, indem sie die gefühlten ontologischen Zusammenhänge schonungslos offen legt und in der ontologischen Interpolation von Glaube und Liebe ihre Lösung aufzeigt. Eine christliche Ontologie ist darum nichts anderes als die seinssystematische Interpretation der christlichen Dialektik von Gesetz und Evangelium. Zerfallendes, desolates, wir können auch sagen: heilloses Sein, ist in theologischer Anschauung solches, das seines tragenden Seinsgrundes entbehrt und das darum die schlüssige Frage nach der Macht der Liebe stellt. Darum enthebt die christliche Lehre die Liebe ihrer bloß ontischen Bedeutung und führt sie ein als originales Strukturprinzip des Seins. Es unterlegt das Sein mit der Liebe Gottes als dessen ursprüngliches Funktionsprinzip, um von diesem aus eine umfassende Deutung des Seins zu geben. Es beantwortet die Fragen nach dem Warum-sein, nach dem Wie-sein und selbstverständlich auch nach dem Woher- und

42

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

dem Wohin-sein, die als Folge der Sünde aus unserem Blickwinkel verschwunden sind. 87 So umschließt die Dimension des Seins im biblisch-ontologischen Sinne Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit. In geschichtlicher Weise wird darum sein kardinales Vergänglichkeitsproblem gelöst durch die christliche Offenbarung, die in Gestalt des Sohnes Gottes gekommen ist, „die Werke des Teufels zu zerstören" (l.Joh.3,8). Die Lösung der Todesproblematik ist zentraler Bestandteil der christlichen Lehre, die auch von hier aus als eminent fundamentalontologische gelten darf. Die eroshafte Aktivität, die Selbst-Öffnung des Seins, sein SichAusstrecken nach Stabilität zielt auf jene verlässliche Rettung und Beständigkeit, jenes dauerhafte Heil-sein, das die christliche Lösung erbringen möchte. 88 Sie tut das, indem sie das Sein refundamentiert in der Liebe Gottes, in seiner radikalen, in seiner konsequenten Zuwendung. Somit ist die christliche Lösung die direkte Alternative nicht nur zur aktivistischen, kompensatorischen Bewegung des Eros, sondern auch zu Formen resignativer 89 oder auch heroischer Todesantizipation. 90 In Christus ist der Tod nicht nach irgendeiner Weltweisheit verdrängt oder akzeptiert, sondern besiegt und endgültig abgetan. Die Essentialität des Seins ist somit wiederhergestellt und in Einklang mit seiner Existenz gebracht. Die destruktiven Kausalmechanismen sind durchbrochen bis hinein in die allerletzten Fragen und Nöte. Darin ist der Seinstriumph des christlichen Glaubens, der christliche Schöpfungsjubel begründet, der in seiner Tiefe beständig neu zu begreifen ist. „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?" (1.Kor.15,55). Das Problem aus biblisch-christlicher Sicht ist von daher nicht das Sein, sondern die Nichtigkeit der Dinge. 91 Die vorgeschlagene Lösung

87

Vgl. Emil Brunner, Dogmatik 3, 21964, 478; Der Mensch im Widerspruch, 5 1985,164ff.

88

Als mit dem Problem seiner elementaren Instabilität befasstes, können wir das erosbetriebene Seinsgeschehen auch als fundamentalökonomischen Prozess fassen, der gerade als solcher dem Irrtum zuneigt, selbst erwirtschaften zu können, was dem Menschen nur geschenkhaft zu empfangen verheißen ist.

89

S. die Stoa, Schopenhauer, auch Ludger Lütkehaus und Wilhelm Schmid, a.a.O.

90

S. Heidegger oder in politisch-radikalisierter Variante aktuell die islamischen Selbstmordattentäter.

91

... wie dies nicht nur Heidegger und ihm folgend Bultmann betont haben, sondern mehr noch Paul Tillich, der das Sein des Menschen auf der ontologischen Grenze, als

Die „ontologische Differenz"

43

aber ist wiederum keine Form frommer Einkehr (wie etwa bei Augustin oder Kierkegaard), auch kein allgemein praktikabler Gesellschaftsentwurf (wie er etwa in der Intention der Befreiungstheologie lag), sondern - um es vorweg zu sagen - jene Wirklichkeit des Christusleibes, der sich die Kirchen, wollen sie wirklich Kirche sein, noch weiter annähern müssen. Wir werden darum zu plädieren haben für eine ekklesial konzentrierte Ontologie und für deren Umsetzung, damit auch das einzeln Seiende tatsächlich dasjenige Seiende ist, das es sein soll komplikationslos, bloß es selbst, dieses aber in voller Konsequenz. Die Bibel spricht hier vom „Glied"-sein am Leib Christi (l.Kor.14; vgl. Eph.4). In diesem „anfänglichen Sinne" gilt uns mit Aristoteles und Heidegger die „Physis" selbst als das Sein,92 ausgestattet ohne platonische Hinterwelt, aber mit der göttlichen Idee und transmundaner Seinsgrundkraft, die die heilsame Realität des Geistes Gottes erweisen will in Gestalt der christlichen Gemeinde als dem Erfahrungsraum geschöpflicher Totalität, dem die Theologie zu dienen, d.h. ihn zu bewahren und gegebenenfalls wiederherzustellen hat. Die christliche Lehre ist somit fundamentale Ontologie par excellence, dezidierte Seinslösung vom Offenbarungsstandpunkt, „von oben" also aus. Im Aufweis der Agape aber ist sie Metaphysik im besten Sinne „von unten", von ihrem Grund aus. Sie ist, wenn man so will und sich nicht von der Terminologie - möglichst auch von der Sache nicht - abschrecken lassen möchte, begründete Heilsmetaphysik. Wie die Frage nach der Liebe in praktischer Hinsicht die bewegendste überhaupt ist, ist sie darum auch die dringlichste in theologischer Perspektive. Weil und sofern Gott die Liebe ist (l.Joh.4,16), ist sie nichts weniger als die Frage nach der Gotteswirklichkeit. Und weil und sofern Gott die Liebe ist, ist Gott, wonach ein jeder Mensch direkt oder indirekt schon immer verlangt hat. So treffen in der Frage nach der Liebe die theologische und die anthropologische Frage aufs engste zusammen, um eine für alles Sein höchst relevante und dabei höchst befriedigende Antwort bereitzustellen. Die Frage, wie diese Antwort funktionieren und Raum greifen möchte, auf welche Art die Wirklich-

„eine Mischung aus Sein und Nicht-Sein", beschrieben hat. Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956,19. 92

Martin Heidegger, Wegmarken, GA, 3 1996,301.

44

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

keit Gottes „alles was Odem hat" so erreicht, dass dabei die kostbarste und erhebendste Kraft des Universums erfahrbar wird, nicht nur als frommer Wunsch, sondern als reales heilstiftendes Geschehen für Leib, Seele und Geist, muss uns im Weiteren beschäftigen. 3.6 Die säkularen Seins-Verheißungen und die Hoffnung auf die christliche Alternative Die Bemühung um unverfälschte Seinsrealisierung pendelt traditionellerweise zwischen der schon skizzierten rationalistischen und der romantischen Spielart, 93 die sich wie schon zu Zeiten Rousseaus oder Novalis' im Bedürfnis nach „Natürlichkeit", nach „wilder Unmittelbarkeit" niederschlägt, nach einem integrativen, ganzheitlichen Lebensstil des erweiterten Bewusstseins. 94 Wir haben es in Sachen Seinsbewältigung eh und je zu tun mit der klassischen, in ihrer Kopflastigkeit wohl verspürten, auch häufig kritisierten, aber dennoch breit akzeptierten Wissenschaftsgläubigkeit, begleitet von subkulturellen Versuchen, die

93

Um einen Seinszugang „jenseits der sterilen Hölle der Rationalität und des blauen Dunstes der Romantik" müht sich derzeit Ernst Peter Fischer, der in seinem Konzept einer „wertvollen" statt „wertfreien" Wissenschaft dafür plädiert, die Welt „wahrzunehmen", die Dinge zu lieben, statt sie nur begrifflich zu analysieren und zu beschreiben. Einer „ohnmenschlich" gewordenen Wissenschaft empfiehlt Fischer ähnlich Baumgarten und Feyerabend (s. a.a.O.) - die „ästhetische Wende" etwa in: Die aufschimmernde Nachtseite der Wissenschaft, 1995. Ein schönes Plädoyer gegen die „gängige ... postmoderne Vernunftschelte" einerseits, gegen die „regressiven Tendenzen einer Einmauerung der Vernunft" andererseits, liefert zugunsten einer Moderne, die nicht sich selbst, sondern ihre „instrumentalisierte Spezialrationalität" (350), ihre Vereinseitigung also zu überwinden sucht, auch Christof Schorsch in: Versöhnung von Geist und Natur? Eine Kritik, 1989,342-351.

94

... der im Versuch, die „kritische" Theorielastigkeit der vormaligen Studentenbewegung zu überwinden, unter der heutigen Handy- und Designeroutfit-Generation aber nicht nur die Bürgerlichkeit der Großeltern repristiniert, sondern auch einen diese überbietenden Materialismus und Pragmatismus, um nicht zu sagen: eine der puren Erscheinung huldigende neue Geistesflachheit zur Ausbildung gebracht hat, die aber immerhin unter den ganz Jungen teilweise auch schon wieder dem Trend zu einer „neuen" Einfachheit, auch Nachdenklichkeit weicht. Die Trends kommen, gehen, kehren wieder, drücken in ewigen Modifikationen die alten Hoffnungen nach einem erfüllten, intensiven und sinnhaften Dasein aus. Umso wichtiger ist, die Bemühungen um eine stabile Vision dessen nicht preiszugeben.

Anything goes"?

45

einmal mehr, einmal weniger ins Licht der Öffentlichkeit gelangen. 95 Die eigentliche Neuerung besteht heute im „pluralistischen" Einvernehmen darüber, dass mit allgemeinverbindlichen Urteilen und erst recht Vorschriften spärlich zu verfahren, vielmehr es einem jeden endlich selbst zu überlassen sei, auf welche Weise er oder sie seine/ihre ganz persönliche Seligkeit erlange, so dass in der Preisgabe solcher Verbindlichkeit zugunsten des „anything goes" eine merkwürdige Beliebigkeit die jeweiligen Daseins-Konzepte mehr wie modische Accesoires erscheinen lässt, denn wie der Ausdruck ernsthaften Ringens um existenzielle Richtigkeit und Identität. „Wahrheit" ist unmodern geworden - nicht anders als Liebe. 96

95

... deren anarchischer Impetus derzeit kaum mehr als rührend wirkt gegenüber den revolutionären Energien vergangener Jahrzehnte. Dabei wird die Unglaubwürdigkeit des alternativen Impetus freilich hochgradig verstärkt durch die Wohlsituiertheit gerade der einstigen Umstürzler, denen der einstige Slogan: „Macht kaputt, was euch kaputt macht" fremd bis peinlich geworden ist.

96

Denen, die im Rückblick auf die physische und ideologische Intensität der Loveand-Peace-Zeit die Gegenwart als harmlos und oberflächlich, ja langweilig und stupide empfinden, als Kapitulation vor neomodernen „Sachzwängen", kann man schlecht verdenken, dass sie die neuen Abenteuerlichkeiten des Informationszeitalters oder erst recht der Gentechnik als geistlosen Rückschritt in frühkapitalistische Funktionalität empfinden und ihn, wenn nicht mehr bekämpfen, so doch skeptisch beäugen. Nachdem die Radikalisierungsideen der Vergangenheit gescheitert sind, scheint nur die Seinsform des bürgerlichen Kompromisses als dauerhaft überlebensfähige übrig zu bleiben. Die Frage ist aber gerade dann, wie weit man persönlich den Prozess der Anpassung vollzieht oder man Kraft und Räume findet bzw. gestaltet, den alten Idealen treu zu bleiben oder, wo nicht - wie etwa bei den „Grünen" - , in einer Zeit, wo alles schon ausprobiert scheint, mit neuen, echten Alternativkonzepten aufzuwarten. Zu eruieren, wie solche denn in Zukunft aussehen können, ist die heute vielleicht spannendere Aufgabe denn je. Das Alternativkonzept originalen Christentums ist dabei unter dieser Prämisse womöglich naheliegender denn je, obgleich es zu allen Zeiten die unzweideutige Alternative zu allen - nicht nur bürgerlichen - Lebensformen sein wollte. Den Teufelskreis der Rationalisierung und Technisierung unseres Seins beschreibt eindrücklich Reinhold Schneider dahingehend, dass, trotzdem wir jene Entwicklung immer stärker beklagen, wir doch immer unfähiger werden, sie zu verändern. Schneider spricht vom „Maschinenherz", das der Umgang mit der Maschine erzeugt. Unsere Beschäftigung färbt ab, modifiziert unser Wesen so, dass wir am Ende nicht mehr anders können, als bloß zu funktionieren. Wir beugen uns „Sachzwängen", Märkten, Trends, „Unternehmenskulturen" und Werbediktaten, werden am Ende die Knechte dessen, was uns einst dienstbar sein sollte, unfähig die eigentliche Sinnrelation wiederherzustellen. Damit verlieren wir aber freilich nichts anderes als

46

Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

Ein prinzipieller Pluralismus aber ist eine logische Crux, schließt er doch gerade einen nicht-pluralen Wahrheitsanspruch aus. Eine Kirche, die Jesus allein für „den Weg, die Wahrheit und das Leben" hält (Joh.14,6), kann sich einem solchen keinesfalls unterwerfen. Wolfhart Pannenberg ist zuzustimmen, wenn er mit dem pluralistischen Diktat die Wahrheitsfrage in ähnlicher Weise pluralistisch verabschiedet sieht wie in fundamentalistischer, wobei durchaus zu konzedieren ist, dass der Pluralismus die Wahrheitsfrage in gewisser Hinsicht weiter zuspitzt, indem er ihre Lösung einem jeden Einzelnen selbst überantwortet. 97 Schlussendlich ist damit freilich das Problem nur verschoben, da für die zu erwartende chaotische Masse an Wahrheiten wiederum regulative, überpositive - zumindest ethische - Prinzipien notwendig werden, ein neuer globaler Konsens, eine Art „Weltethos" (Küng), das die vergangenen ersetzt. Ob ein solches aber noch ein genuin christliches sein kann, darf mit Recht bezweifelt werden. Der Ausgangspunkt der heutigen religiösen Fragestellungen ist gewiss ein anderer als derjenige, auf dem die traditionelle evangelische Frage als die Suche nach einem „gnädigen Gott" fußt. Pannenberg sagt richtig: „Auch an der Sehnsucht nach kosmischer Verankerung des

unsere originale Würde, unsere Humanität und Freiheit als Ebenbilder Gottes. Über die Liebe als gesamtgesellschaftliches Gegenmittel - auch gegen die neuzeitliche Entfremdung - formuliert Schneider poetisch: „Die Liebe ist die einzige Kraft, die der Dämonen Herr werden kann; sie ist auch die große Kraft, die alle Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Geschichtskenner aufzuheben und die scheinbar unüberwindlichen Gesetze politischer Notwendigkeit zu durchbrechen vermag; sie ist die Kraft, nicht des geschichtlichen Zwanges, sondern der ewig unausforschlichen, bald ermattenden, bald sich erneuernden und damit auch die Welt erneuernden Herzen der Menschen." Macht und Gnade, 1977, 16. 97

S. Pannenberg, der der Vergleichgültigung der christlichen Wahrheit wehren möchte, die er im gegenwärtigen Pluralismus gegeben sieht - etwa in: Angst um die Kirche. Zwischen Wahrheit und Pluralismus, 1993, 709-713; vgl. darauf auch die Erwiderung von Wilfried Gerhard, der in der pluralistischen Konzeption „keineswegs die Verabschiedung der Wahrheitsfrage, vielmehr ihre Verschärfung" wähnt und Pannenbergs Abweisung desselben für „faktisch fundamentalistisch" hält in der gleichnamigen Stellungnahme, 1994, 89-91; daneben zum - auch von uns vermuteten - Selbstwiderspruch des Pluralismus den echten Fundamentalisten Heinzpeter Hempelmann in: Evangelium und Kultur - Evangelium als Kultur. Klärungen Herausforderungen - Perspektiven, 2000, 19ff.; sowie Ulrich Körtner, der sich um eine differenzierte Position müht in: Christus allein? Christusbekenntnis und religiöser Pluralismus aus evangelischer Sicht, 1998, 3-20 (s. auch Anm. a.a.O.).

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menschlichen Lebens und nach Wegen zu seiner leibseelischen Ganzheit muss sich der Wahrheitsanspruch der christlichen Botschaft bewähren." 9 8 Gerade dieses aber muss theologisch deutlich über das Bisherige hinaus erst noch entwickelt werden. Das Verheißungsvolle an einem solchen Unterfangen ist dabei gerade, dass bislang eher vernachlässigte Partien der biblischen Christusbotschaft auf diesem Weg ihr Recht im Sinne der Vervollständigung der Botschaft bekommen sollten. Der gegenwärtige Wertewandel in Richtung individualisierter Erlebnis-Religiosität, Selbstverwirklichung abseits von Konvention und Dogma, aber auch die Pragmatisierung der Sinnhorizonte, die gleichzeitig nach Einbettung in tragfähige Sinngefüge fragt, ist geradezu prädestiniert für die Anwendung der biblischen Lehre von der umgreifenden Kraft der Liebe Gottes als der den Einzelnen erfüllenden und orientierenden Seinsdynamik. 99 Will die Kirche nicht in zunehmende Bedeutungslosigkeit versinken, zu einem historischen Relikt, einem Anachronismus verkommen, kann sie in Alternative dazu natürlich fortfahren, ihre Angebote zu profanisieren, noch bunter, noch poröser, auch noch politischer zu machen, dann aber wird sie erst recht den Säkularisierungswettlauf verlieren und auch noch die letzten ernsthaft an christlicher Nachfolge Interessierten vertreiben. Sie wird den „offenbar fälligen Abschied vom Christentum" 100 nur noch beschleunigen. Das Problem in theologischer Hinsicht ist die Abwesenheit und Vergessenheit des originalen christlichen Seins. Die Kirche sitzt gerade

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Wolfhart Pannenberg, Wahrheit statt Gleichgültigkeit. Antwort an Wilfried Gerhard, 1994,135.

99

Vgl. die treffende Analyse von Heinzpeter Hempelmann in: Das unterscheidend Christliche und die vagabundierende Religiosität, 2001, 163-169, wo „religiöses Vagabundieren" wie auch autoritäres Sektentum jeweils als „Protest gegen die Rationalitätsdominanz unserer Kultur, Einspruch gegen das geheimnisleere Wirklichkeitsverständnis der Moderne und die kirchlichen und theologischen Arrangements mit diesen" (166), aus der Sinn- und Erfahrungsnot des modernen Einzelnen also hergeleitet werden, dem die traditionelle Kirchenlehre und -frömmigkeit nicht mehr genügt; s. dazu auch Hansjörg Hemminger, Götter und Kinder in einem? Freie Spiritualität und Psychosekten, 1994, 260-262 und Alexander Schuller, Endstation Sehnsucht. Die Facetten der modernen Heimatlosigkeit, 1999, 35-37.

100 Heiner Barz, Denkmal Kirche. Auf dem Weg ins postchristliche Jahrtausend, 1995, 90.

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nicht „auf einem Sack voll Antworten", 101 die nur ihrer problemlosen Anwendung harren, sondern auf derselben Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit wie die Säkular-Gesellschaft. Wir dürfen darum gerade nicht nur die alten Antworten strapazieren, wir müssen Neues reden von Gott, von der Schöpfung, von Christus, vom Heiligen Geist, von der Kirche und freilich auch vom Menschen. In diesem Sinne muss auch bezweifelt werden, ob ein „neues Bündnis von Vernunft und Glaube", wie Pannenberg es empfiehlt, 102 neue Wege weisen kann. Hier wurde schon verschiedenerseits berechtigte Kritik geübt. Wilfried Gerhard etwa verweist zu Recht darauf, dass „irdische Lebenserfüllung" darum so hoch im Kurs steht, weil „die reflexive Aneignung religiöser Gehalte nicht mehr gelingt" und dass das Unverständnis für solche weniger die Ursache als gerade die Folge des „verbreitet so wahrgenommenen Beglaubigungsmangels" 103 des christlichen Anspruchs ist. Nicht zustimmen können wir Gerhard freilich darin, dass die Alternative zum „Säurebad des säkularen reflexiven Bewußtseins" nur Fundamentalismus sein könne und ein Tertium jenseits beider „nur eine Chimäre". 104 Was wir empfehlen, ist vielmehr ein neues Bündnis von christlichem Glauben und christlichseinsdurchdringender Liebe als die leibhafte Darstellung der genuin christlichen Vernunft. Die christliche Herausforderung richtet sich in einer entchristianisierten und entkirchlichten Gesellschaft mehr denn je darauf, eine originäre ekklesiale Kultur des Evangeliums wiederzugewinnen. 105 Eine solche sollte geeignet sein, als umfassende SeinsAusprägung des christlichen Glaubens nicht nur die Bedürfnisse abendländischer Vernunfttradition zu befriedigen; auch das Bedürfnis nach geistlicher Unmittelbarkeit und intensiver Seinserfahrung wäre in der Agape als Kernstruktur qualifizierter geistleiblicher Existenz befriedigend und glaubhaft gestillt. Was Not tut, ist in diesem Sinne die Realisierung des ursprünglichen eschatologisch-ekklesiologischen

101 Hansjörg Hemminger, Götter und Kinder in einem? Freie Spiritualität und Psychosekten, 1994, 262. 102 Pannenberg, Angst um die Kirche, 1993, 711. 103 Wilfried Gerhard, Faktisch fundamentalistisch, 1994,90f. 104 Ebd. 105 S. Heinzpeter Hempelmann, Evangelium und Kultur - Evangelium als Kultur. Klärungen - Herausforderungen - Perspektiven, 2000,16.

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Seins-Entwurfs als Ausdruck realer christlicher Befreiung aus Sünde und Tod, so real und durchdringend, dass auch die solcher Befreiung angemessene christliche Fröhlichkeit auf den Gesichtern der Erlösten wieder sichtbar würde. Dafür stehen die Zeichen eigentlich günstig im Maße, wie säkulare Pseudo-Befreiung, nicht zuletzt die vor einigen Jahrzehnten initiierte sexuelle, sich austobt, ohne letztendlich das Gesuchte zu liefern. Das Glück freier Lebensgestaltung ist von dauerhafter Intensität nur innerhalb der klugen Anleitung Gottes, die Erlebnishöhepunkte als Stationen einer lebenslangen Entdeckungsreise dosiert und so dem Überdruss wirksam vorbeugt, den ein schrankenloser Gebrauch der Freiheit über kurz oder lang notwendig hervorbringt. Die tatsächliche „Leichtigkeit des Seins" ist keine andere als die Freiheit der Kinder Gottes. 106 Pannenbergs Anliegen ist als Bemühung um eine biblischtheologische Konzeption des Gottesreichs überaus begrüßenswert, aber seine Gegenwartsanalyse scheint ebenso fragwürdig wie seine theologischen Folgerungen. Überdies wird hier die Nachdrücklichkeit des urchristlichen Anspruchs durch die Konzeption des Antizipatorischen geschwächt, so dass bei aller Klar- und Weitsicht hinsichtlich der Verheißungen des Gottesreichs die irdische Hoffnung, das pro me in sozialer Hinsicht zu kurz kommt, worauf wir später einzugehen haben werden. Voll und ganz bejahen wir Pannenbergs Programm der „Rückkehr zu den Inhalten der apostolischen Christusbotschaft", voll und ganz die Forderung nach der Ausbildung eines „von der Welt sich bewusst unterscheidenden Lebensstils", einer „gegenkulturellen Position des Christentums". 107 Dafür aber kommen wir nicht umhin, gerade auch die theologisch mannigfaltig verwobene abendländische Kultursynthese in Frage zu stellen, und zwar von der apostolischen Botschaft aus, wonach zwischen der Weisheit der Welt und derjenigen Gottes Feindschaft herrscht. Die Warnung des Paulus vor Überlistung der eigenen Seinsprinzipien durch solche, die man bereits hinter sich gelassen hat (Kol.2,8), darf uns Anleitung werden, ernsthaft zu überprüfen, wo solcher Fauxpas in der Vergangenheit bereits geschehen und vielleicht zur

106 S. Hansjörg Hemminger, a.a.O. 107 Pannenberg, Angst um die Kirche, 1993, 713.

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Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

Grundlage unseres christlichen Seins geworden ist.108 Das Problem einer christlichen Kultur wird nicht umhinkommen, als ein solches wieder in ganzer Tragweite bemerkt, reflektiert und womöglich einer radikalen biblischen Auflösung zugeführt zu werden. Die Postmoderne indes, so muss Pannenberg tatsächlich entgegengehalten werden, ist „das logische Ergebnis der europäischen Geistestradition, ... Reaktion auf die Leerheit ihrer Begriffswahrheiten". 109 Konsequenz ist nicht die Verbindung des Seins, die Stärkung von Gemeinsinn und Gemeinwesen, jener Kräfte also, die das Miteinander unter einem Dach begünstigen würden, sondern seine fortschreitende Diffusion unter dem besonders leeren Diktum von der Aussichtslosigkeit der Bemühung um harmonierendes Ganz-Sein. Die heutigen Fragestellungen ergeben sich, so zu Recht Hollweg, in direkter Linie „aus dem Scheitern der europäischen Tradition an der Geschichte", so dass hier nicht ein vorbehaltlos kontinuierliches, sondern ein kritisches und insbesondere selbstkritisches Verhältnis angesagt ist. Speziell das Christentum benötigt die fundamentalkritische Auseinandersetzung mit sich selbst „im Licht des biblischen Zeugnisses. ... In solcher Bemühung und der Bereitschaft zur Buße über alle Konfessionen hinweg" wird es „am wirksamsten zu einer ökumenischen Gemeinschaft finden". 110

4. Die Aufgabe 4.1 Die Seinslösung der Heiligen Schrift / Geheiltes Sein als Sein in der Liebe Gottes Die christliche Sache zielt auf eine neue Wirklichkeit, ein neues, in Christo geheiltes Sein. Sie erhebt diesbezüglich bereits im Bekenntnis zum Kyrios Christos (Rö.10,9; l.Kor.12,3) universalen Anspruch und möchte ihre Umgestaltungskraft gerade dem Geringen, dem Schwa-

108 Dabei gilt es freilich auch zu sehen, dass, während die christliche Theologie meist bewusst nach der Philosophie geschielt hat, in der Philosophie ihrerseits fast immer mehr oder minder unbewusst christliche Theologie verarbeitet wurde. 109 Arnd Hollweg, Aus der Kirchengeschichte lernen. Eine Erwiderung auf Wolfhart Pannenberg, 1995, 481. 110 Ebd., 483.

Geheiltes Sein in der Liebe Gottes

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chen, dem Leidenden, dem üblicherweise vom Leben Übergangenen nicht vorenthalten. Die Seinslösung der Heiligen Schrift gipfelt in der Botschaft von der Liebe Gottes, die so konkret wie nur irgend möglich dem Menschen erschlossen, nahegebracht und zur Verwirklichung anempfohlen wird. In ihr ist das Sein trotz seiner verwirrenden Komplexität, trotz der Vielfalt individueller Eigenheiten in seine strukturelle Integrität versetzt. Die Liebe wird beidem gerecht - dem großen Ganzen wie dem ganz Persönlichen. Individualität und Universalität, Intimität und perspektivische Weite haben in der Liebe ihren originalen Entfaltungsraum, in dem sie gleichermaßen von der Weisheit Gottes bedacht und miteinander versöhnt werden, so dass mit der Integrität auch die Einheit des Seins hergestellt ist. Diesen Gedankengang wollen wir in seiner Konsequenz dadurch entwickeln, dass wir die Liebe Gottes biblischsystematisch als seinsbegründend darlegen, das Ausmaß der Liebe Gottes also würdigen als im Sinne der biblischen Schöpfungs- und Heilslehiefundamentalontologische Kategorie. Die Zurechtbringung des Seins in der Geschichte, die Heilung desolaten Seins, nach christlicher Anschauung bewirkt durch das Heilswirken Gottes, in welchem die Liebe Gottes das zentrale seinsrelevante Motiv bildet, ist folglich keine extravagante Phantasie, sondern nur die Generalisierung der christlich-theologischen Basislehre. Die christliche Ontologie ist eine Ontologie der Liebe Gottes, mit welcher einzig das Christentum der Welt ihre bislang stimmigste Lösung der Seinsfrage überbracht hat.111 Das Sein hat einen Grund, in dem es wächst und 111 Bemerkenswerte Sympathien, wenngleich er es lieber „eine Nummer kleiner" hätte (231), bringt dieser Rüdiger Safranski entgegen in: Der listige Gott. Über die Zukunft des Eros, 2002 (Hg. Konrad Paul Liessmann). „Keine schlechte Idee" wird sie dort genannt (227), zugestehend, dass die Liebe als die das Individuum stabilisierende Potenz auch als die „Kraft der ... Welterhaltung" zu denken nahe liegt, es also einleuchtet, die „menschliche Grundtatsache - daß der Mensch ohne Liebe lebensunfähig ist - zum kosmischen Prinzip zu erheben" (ebd.). Der „ontologische Grundsatz" heißt demnach: „Geliebtwerden ist eine Voraussetzung des Seinkönnens" (ebd.), wobei der anthropologische Tatbestand auch in seiner Anwendbarkeit auf das Naturgeschehen gesehen wird. Safranski fragt zu Recht, woher nach der neuzeitlichen Auflösung der Liebe-Seins-Einheit jenes Welt- und Selbstvertrauen denn kommen soll, für das bloße Kontingenz eine gar zu dürftige Basis bildet (229), und benennt die Vorzüge der „göttlichen Liebe als Lebensspenderin" (231) gerade auch angesichts der Tatsache, dass Menschen mit ihren eigenen Liebespotentialen hierfür regelmäßig

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Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

gedeiht und außerhalb dessen es vielfältig verkommt. Indem aber gezeigt wird, dass Sein im eigentlichen Sinne - das meint hier im eigentlich-theologischen, im Sinne Gottes also - einen spezifisch christlichen Seinsgrund hat, soll wohlweislich auch gesagt werden, dass Sein nur in dieser Liebe Sein im Vollsinne „ist". Sein ist nur in seinem Grund Sein. Wir haben somit die These zu verifizieren, dass alles Sein, seiend in der Liebe Gottes, dort allein auch selbstidentisch ist - als Ganzes wie als Individuelles. Vor diesem Hintergrund aber muss die Untersuchung auch zeigen, dass das Christliche in Inhalt und Form der Veränderung bedarf, die ihm dazu verhilft, den Vorstellungen Gottes von dem von ihm geschaffenen Sein - seinem „Reich" - und so seiner Bestimmung zu entsprechen. 4.2 Die Frage nach dem Sein der Kirche Vor dem bisher Gesagten ist bereits klar, dass es an dieser Stelle die Liebe als ontologisches Schlüsselthema neu zu qualifizieren gilt. Mit der Agape als seinsstiftendem und seinsreparierendem Prinzip versuchen wir einen so elementaren wie untergewichteten biblischen Kerngedanken neu in Erinnerung zu rufen. Wir möchten die Bedeutung der Agape als theologischen Zentralbegriff herausarbeiten, die daraus folgenden dogmatischen Konsequenzen ziehen und die kirchlichen Möglichkeiten einer um die Liebe zentrierten Theologie andeuten im Blick auf eine Welt, die mehr denn je nach der Orientierung ruft, die nur die Kinder Gottes geben können. Indem wir uns der theologischen Erkenntnis der Liebe widmen und die Probleme ihrer Untergewichtung wie auch die immensen Möglichkeiten ihrer vollen biblischen Verge-

überfordert sind. So ist die christliche Seinslösung tatsächlich ... ein Liebesangebot für die in dieser Hinsicht Zukurzgekommenen, eine Kompensation für die grausamen Ungerechtigkeiten des Eros und für das Pech, das man haben kann mit Eltern, die nichts taugen. Außerdem: wenn es einen liebenden Gott gibt, sind die Menschen davon entlastet, füreinander alles sein zu müssen. Sie können damit aufhören, ihren Mangel an Sein aufeinander abzuwälzen und sich wechselseitig dafür haftbar zu machen, wenn sie sich fremd in der Welt fühlen. Sie brauchen auch nicht mehr so ängstlich um ihre Identität zu kämpfen, weil sie glauben dürfen, daß nur Gott sie wirklich kennt. Gewiß also lebt es sich besser mit einem liebenden Gott im Rücken" (232). Treffender als der Agnostiker Safranski kann man es kaum sagen. Es sei ihm von Herzen gewünscht, daran auch glauben zu können.

Die Frage nach dem Sein der Kirche

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genwärtigung aufzeigen, soll so insbesondere ein Beitrag geleistet werden zur Behebung der ontologischen Defizite der christlichen Lehre bzw. der christlichen Lehre als einer ontologischen. Wir wollen also auch darauf aufmerksam machen, dass das fundamentalontologische als das vergessene christliche Zentralthema den unverzichtbaren Orientierungs- und Operationsrahmen bildet für die offiziellen christlichen Zentralthemen. In Sonderheit für Christologie, Pneumatologie, Ekklesiologie sind von dem fundamentalontologischen Aspekt her wesentliche Erkenntnisse abzuleiten, aus denen heraus wiederum schließlich auch die ökumenische Thematik nicht nur in ihrer Dringlichkeit erkannt, sondern auch in ihrer praktischen Umsetzung entscheidend befördert werden kann. Gerade hinsichtlich dieser ist darzustellen, dass die christliche Ontik im Maße schwächelt, wie die fundamentalontologische Bedeutung der Liebe in Lehre und Praxis in Vergessenheit geraten ist und jene darum in dem Maße Besserung erhoffen darf, wie es gelingt, diese zu revitalisieren. Wir werden uns der Frage aussetzen, ob denn überhaupt Christsein im Vollsinne möglich ist unter der Voraussetzung der Abwesenheit resp. des Verzichts auf die Hauptfrucht der christlichen Hauptsache, der Einheit der Gläubigen im neutestamentlichen Sinne. Wir postulieren schriftgemäßes Christentum als genau jene Seinsganzheit, derer das Universalgeschehen noch immer ein darauf zurückweisender Schatten ist. Wir postulieren die ekklesia als genau die Entität, in der die Schiefheiten und Spannungen der mit ihren individuellen Komponenten im ewigen Clinch befindlich scheinenden universalen Wirklichkeit im Sinne einer einheitlichen Theorie aller Kräfte gelöst ist - dank der Agape als dem „Band der Vollkommenheit" (Kol.3,14). Wir stellen uns also die Frage, inwiefern die Liebe richtigerweise im christlichen Zentrum steht, ob dem auch auf wissenschaftlichtheologischer Ebene so ist, inwiefern mit der Liebe zu Recht ein universaler Heilsanspruch verbunden ist; wir fragen nach der ontologischen Bedeutung der Liebe, auch um zu sehen, was für - womöglich grundsätzliche - Probleme Kirche und Theologie mit der Liebe haben. Dabei betrachten wir die christliche Lehre als ausgereift, d.h. für jede Korrektur hinreichend und tauglich, bezieht man die ontologischen Implikationen des Evangeliums nicht allein auf das Sein des Einzelnen, sondern auch auf das der Kirche. Unter der geweiteten Perspektive des

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Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

Seins wird eine rein individuelle Anwendung der Frohbotschaft aufzubrechen und zu untersuchen sein, wo sie nicht auch verschüttete kommunitäre Erfreulichkeiten bereithält, die womöglich geeignet sein könnten, einer endlosen Zersplitterung des christlichen Projekts Einhalt zu gebieten zum Vorteil seiner heilszeitgemäßen Erneuerung. Dass Korrekturen an Haupt und Gliedern der Kirche trotz aller guten Lehre und vielfältiger Appelle heute so schwer vorankommen, könnte neben der kirchlichen Vielgestaltigkeit an einem zu unverbindlich gefassten ekklesiologischen Evangeliumsbezug liegen, der solche Vielgestaltigkeit erst erlaubt. Von daher wird die Pluralität der kirchlichen Erscheinungsformen selbst biblisch-theologisch auf den Prüfstand zu stellen, die Liebe dabei als gerade für das gemeinschaftliche Sein der Glaubenden - für das Sein der Kirche - zuständig, in Augenschein zu nehmen sein. Insofern liefern wir nichts grundlegend Neues, sondern sammeln bislang eher verstreute und weniger wahrgenommene Partikel zum Thema, um diese fundamentaltheologisch zu bündeln und zu entfalten. Wie wenig systematisch Konsistentes in den Lehrbüchern der Theologie von der Liebe kursiert, kann nur erstaunen, wo doch ein Kind von sieben Jahren weiß, dass die Liebe Kernbestandteil des Christlichen sein sollte. Insbesondere die Liebe als Vergebungspraxis, wie sie hier entwickelt werden soll, scheint unter Theologen aller Konfession merkwürdig vergessen.112 Darum soll es nicht wundern, wenn gelegentlich Äußerungen aus Philosophie und Literatur herangezogen werden. Das Gute herausfiltern und behalten möchten wir aus allem, was uns hilft, das für das Sein Bedeutendste unter allen Dingen auch als solches wahrzunehmen. Wir untersuchen die Agape als fundamentalontologische Kategorie, weil die theologische Landschaft einer solche Betrachtung ermangelt, indem sie von der Agape eher unscharf und in

112 In der Dogmatik von Trillhaas (1962) beispielsweise hat das Thema Liebe nicht einmal einen Eintrag ins Sachverzeichnis erhalten, ebenso wenig in Werner Georg Kümmels Einleitung in das Neue Testament,

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1973. Die theologische Verlegenheit in

Sachen Liebe kennzeichnet recht unverblümt Hermann Deuser, wenn er sagt, dass „die Rede von christlicher Liebe zwar historisch gesehen ein respektabler Gedanke sein mag, praktisch und in realer Wirksamkeit aber kaum mehr umsetzbar zu sein scheint" (Kleine Einführung in die Systematische Theologie, 1999, 151), dem seinerseits aber doch etliche gute und hilfreiche Ausführungen zu unserem Thema gelingen.

Thema, Methode, Begriffe

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Nebensätzen, bald unter im weitesten Sinne emotionalen, bald unter diakonischen Aspekten redet. Demgegenüber braucht es die theologische Rehabilitation der Liebe als den umfassenden christlichen Zentralbegriff. Solche Rehabilitation muss vor allem ihre primäre und dabei meistvergessene, ihre seinsbegründende Dimension betreffen. 113 Hierin, nicht nur weil unmittelbar mit dem fundamentalkirchlichen Manko der christlichen Einheit verquickt, besteht eine immens dringliche, gänzlich unerledigte Aufgabe der Theologie, auf die besonders eindringlich schon Paul Tillich verwiesen und sie vielfältig angedacht hatte, 114 ohne die Aufgabe allerdings selber hinreichend zu bewältigen. Über die vielfältigen relationalen Aspekte der Liebe hinaus gilt es, einmal diejenige Liebe zu würdigen, die die unsichtbarste, unaufdringlichste - schweigend im Hintergrund stehende - als Grund des Seins aber wirkungskräftigste überhaupt ist und die als solche nur einer „Person" Liebe sein kann: die Liebe Gottes, des Schöpfers und Erlösers. 4.3 Thema, Methode, Begriffe Biblisch-theologisch verfährt unsere Untersuchung, weil wir uns methodisch an die Heilige Schrift halten, in welcher wir die volle Substanz des ontologischen Anspruchs des Christlichen und der Liebe als Weg zu dessen Umsetzung als vorgegeben erachten. Rückfragen an dogmatische Artikel hinsichtlich ihrer theologisch-agapeologischen Zentrierung sollen und müssen, ebenso wie jene an die praktisch-kirchliche Ausgestaltung der Gottesliebe, gerade ihrer Tragweite wegen in jedem Fall biblisch verantwortbar, dem Verdacht somit enthoben sein, romantisierende Vorstellungen zu transportieren.

113 Mehr noch als unter dem Fehlen des praktischen Aspektes der Liebe leidet die Dogmatik bis heute unter der Unterentwicklung des schöpfungstheologischen wie des kosmologischen Themas, weshalb etwa Christus als der Weltenschöpfer in der Literatur tatsächlich breiter dokumentiert scheint als in der theologischen Lehre. Mit das Beste zum Thema findet sich bei Emil Brunner, der das Thema des Gottesworts als Seinsquelle knapp, aber doch explizit in seiner Anthropologie behandelt und dabei recht deutlich die auch hier anvisierten Akzente setzt, so dass er noch öfter zu beachten sein wird. Der Mensch im Widerspruch, 5 1985, 59-70; vgl. Karl Barth KD 1/1, 136-148. 114 So vor allem in: Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 3 1982.

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Vor diesem Hintergrund ist in methodischer Hinsicht die prinzipielle Seinsmächtigkeit der Liebe in heilsökonomischem Aufriss aufzuzeigen, unter ihrem Gesichtspunkt der Seinsprozess in Grundzügen nachzuzeichnen und einer christlichen Sichtung zu unterziehen, die genuin christliche Lösung der wie eh und je virulenten Seinsfrage plausibel zu machen. Die Geschichte des Seins ist in ihren Grundzügen aufzuweisen nicht im Sinne einer Leugnung, einer Verwerfung gar, sondern im Blick auf die original christliche Vervollständigung der Geistesgeschichte. Erkenntnistheoretischer und ontologischer Ansatz sollen dabei in ihrer korrelativen Funktion ersichtlich und fruchtbar gemacht werden im Sinne synergetischer, von der Agape Gottes verbindlich determinierter Seinsvielfalt, diese wiederum als Gegenmodell zu jener erosgesteuerten Erkenntnisgewinnung, die als infiniter Differenzierungsprozess die Unüberschaubarkeit des Seins-Wissens und die Indifferenz der Seinsentwürfe steigert, nicht aber die Qualität insbesondere sozialen Mit-Seins. Speziell in dieser Hinsicht sollte die Betrachtung der Seins-Historie im Lichte der Liebe Gottes als der Grundstruktur identischen Seins uns erkennen helfen, wie etwaige christliche Seinsdeformationen auch wieder ihre - zumindest strukturelle - Reformierung erfahren können. 1 1 5 Indem wir uns den biblischen Blickwinkel zueigen machen, gehen wir freilich aus von deren kosmologischen wie ontologischen Vorgaben. Darum ist das Sein für uns nicht das Reale im Sinne eines ersten, unwandelbaren, sondern eines im Sinne Gottes abstimmbaren, modifizierbaren. Das unterscheidet uns von philosophischen und mehr noch naturwissenschaftlichen Immanenzdenkern, ohne aber dass wir deswegen Grund hätten, uns als weniger realitätsbezogen oder auch unwissenschaftlich zu fühlen. Im Gegenteil: Gerade insofern wir nicht stehen bleiben bei einer Realität, die gänzlich durchwirkt ist von unzähligen Subjektivismen und Idealismen, mittels derer die Menschheit über Jahrhunderte und Jahrtausende ihr Sein zurechtgezimmert hat, sondern zurücktragen zum Ursprung hin, öffnen wir die Erkenntnisperspektive im Sinne umfassender Konstruktivität. Wir möchten das

115 Vgl. Günther Keil, der die abendländische Geistesgeschichte insgesamt unter die „ontologische" und die „erkenntnistheoretische Frage" subsumiert und von deren „wechselseitigem Primat" ausgeht in: Grundriß der Ontologie, 1991, IX.

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Sein verstehen, so wie es tatsächlich funktioniert - nicht nur „ist" - und wir möchten, soweit es möglich ist, dieses Sein wiedergewinnen. Die so avisierte Tragweite der christlichen Liebe als einer seinsbegründenden muss ihre systematisch-theologische Darstellung finden im Kontext der christologischen Schöpfungsmittlerschaft sowie der pneumatologischen Charakteristik der christlichen Existenz. In gerade diesen Zusammenhängen, aber auch in denen der Gotteslehre, der Soteriologie und der Anthropologie, gilt es zu zeigen, dass authentisches Sein an der Agape Gottes hängt und dass in dieser eigens das christliche in die Lage versetzt ist, seine rechtverstandene, originale Zeichenhaftigkeit für diese Welt wahrzunehmen. In diesem Sinne will die vorliegende Arbeit die biblische Lehre von der Liebe Gottes systematisch erschließen und dabei abgedeckt bleiben durch die Erfahrungen mit der ungetrübten wie auch der getrübten Liebe Gottes zu biblischer wie auch zu nachbiblischer Zeit. Im Sinne solcher Verifizierung der dogmatischen Aussage im „richtigen Leben" soll die Agape nicht in abstrakter formal-ontologischer Deduktion demonstriert werden, vielmehr, der biblischen Denkweise folgend, in geschichtlich-heilsgeschichtlicher Entfaltung, ohne aber die Einsichten traditioneller Ontologie, auch Metaphysik zu übergehen. Ihnen soll Rechnung getragen werden vor dem Hintergrund der biblischen Uberzeugung, dass in den Gehorsam Christi auch ihre legitimen rationalen Ansprüche eingebracht werden können - im Dienst jener Lebens Wirklichkeit nämlich, deren Erkenntnis und Bewältigung gleichermaßen theologisches wie philosophisches Schaffen verpflichtet sind. 116 Das heißt, wir ontologisieren nicht im Sinne der philosophischen Tradition, zeitlos-statische Betrachtungen anstellend, wiewohl diese, soweit nützlich, zu bedenken sein werden, sondern im Sinne systematischer wie auch historischer Theologie, 117 um für jenen christlich-dynamischen Seinsentwurf zu werben, der in der Vergangenheit im Konflikt zwi-

116 Vgl. die einschlägigen Passagen bei Pannenberg, Theologie und Philosophie, 1996; Tillich, ST 1, 8 1987; Brunner, Offenbarung und Vernunft 2 1961; Gerhard Ebeling (a.a.O.). 117 Die Warnung Brunners davor, „die Theologie durch ontologische Philosophie bereichern zu wollen" (ebd., 376), ist zweifellos berechtigt. Das Problem in diesem Zusammenhang aber ist die Vernachlässigung der biblisch-christlichen Ontologie derart, dass sie im Dienste der Feststellung biblisch-christlicher Universalität den Übergriff in fremde Gefilde immer wieder geradezu provozieren musste.

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sehen katholisch-ontologischem Anspruchdenken einerseits, evangelischer Ontologiefeindlichkeit andererseits nahezu erdrückt worden ist. Insofern ist freilich auch keine missionarisch/apologetische Abhandlung beabsichtigt, sondern der Versuch, den christlichen Glauben an seine ureigenste Substanz zu erinnern. Wir bedienen uns von daher einer ontologischen Begrifflichkeit, die dem dynamischen, persönlichen Heilsgeschehen in Christus nicht abträglich sein will, sondern dieses in seiner gerade von der Schrift intendierten - wenngleich anders formulierten - universalen Bedeutung für die Schöpfung insgesamt erschließen möchte. Philosophisch klingende Termini - auch der des Seins - sollen die christliche Sache keinesfalls aufweichen, sondern sie systematisch bündeln und am Ende verdeutlichen. Auf ein erhebliches Maß an Abstraktion kann und soll dabei gerade um der allgemeinen Deutlichkeit willen nicht verzichtet werden. Letztlich aber geht es darum, mithilfe dürrer menschlicher Worte in, mit und unter der Liebe die volle „Höhe, Breite, Länge und Tiefe" zu erahnen, „um erfüllt zu werden" zu derjenigen „ganzen Fülle Gottes" (Eph.3,19), die er seinem Volk bereitet hat. Wenn dabei die klassische Kontrastierung von Philosophie und Theologie nicht aufrecht erhalten bleibt, sehen wir darin kein tieferes Problem, sondern das Gerechtwerden der Tatsache, dass die Heilige Schrift sich nicht nur ausdrücklich auf die „Liebe zur Weisheit" einlässt, 118 sondern auch im Ganzen die Theologie einem Leben gemäß der Weisheit des Schöpfers dienlich sein sollte. Fraglos muss sich dabei die Theologie einer Philosophie als Transzendenzersatz voll und ganz entledigen, um dem Anspruch einer wirklich christlichen Philosophie zu genügen. Die Theologie ist Philosophie sui generis. Sie muss ganz und konsequent Theologie werden mit eigenen Prämissen und eigenen Konklusionen, um auch biblische Philosophie zu sein. Dann und nur dann aber zeigt sich das Theologische als die Antwort auf das Philosophische, gerade wie die Agape als Antwort auf die Fragen des Eros. Genau darum betonen wir, dass die Theologie als Wissenschaft insbesondere eine fundamentalontologische Aufgabe hat. Indem die Bibel korrektes Sein in seinem korrekten Seinsgrund lehrt, lehrt sie die geistliche Basis aller Wissenschaft, insofern diese den Versuch der

118 S. die alttestamentliche Weisheitsliteratur.

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Seinserschließung betreibt. Auch von hier aus muss Theologie ihre ontologische Funktion anerkennen und ernstnehmen und dies gesteigert in dem Maße, wie sie biblisch arbeiten möchte. Mit der Lehre vom Seinsgrund als einem spezifisch theologischen ergänzt die Theologie die Philosophie um ihre eigene philosophische Voraussetzung, sprich Grundlegung. Umgekehrt hat alle Wissenschaft und Philosophie christliche Relevanz, sofern es ihr um die Darstellung eines ontologischen Bezugssystems der Wirklichkeit geht. Beiden eignet die Aufgabe - wo nötig gemeinsam - festzustellen, was es mit dem Sein in Wahrheit auf sich hat. 119 Dass christlich-philosophische Versöhnungsversuche bislang zumeist mit der Unzufriedenheit beider Lager endeten, ist bedauerlich, im Blick auf die Agape als fundamentalontologische Kategorie aber unnötig. Die Grundkonflikte beider sollen hier keineswegs eingeebnet oder leichtfertig überspielt werden. Es soll aber doch die Möglichkeit aufgezeigt werden, die christliche Lehre als Philosophie im besten Sinne des Wortes zu begreifen bzw. die Möglichkeit, die Seinsfrage als philosophisches Grundproblem spezifisch christlichtheologisch mit der herkömmlichen Philosophie überwiegend unbekannten Aspekten zu bereichern, d.h. den denkenden Menschen - ob Philosoph oder Theologe - auf eine Dimension hinzuweisen, in der die klassischen fundamentalontologischen Fragen womöglich in neuem Licht erscheinen. 120 119 Die Deklassierung des Seins als in seinen zahlreichen Variationen bloß so seiendes Vorhandenes atmet bereits die christliche Hoffnung auf ein vorhandenes, bleibendhochwertiges Sein, das uns Jesus Christus tatsächlich auch ermöglicht haben will. Um wirklich christlich zu ontologisieren, müssen wir allerdings Hoffnung und Sein klar kontrastieren, um sie dann gemäß der biblischen Verheißung auch aufeinander beziehen zu können. Das ist die Aufgabe christlicher, biblisch-systematisch arbeitender Vernunft. 120 Vgl. die Aufgabe christlicher Philosophie als „Erkenntnis des Schöpfungszusammenhangs" bei Emil Brunner, a.a.O., 426; sowie dort auch das - metaphysische Problem der Wissenschaft „falsche(r) Einordnung des Fachwissens" (414). Theologie und Philosophie haben, wie Pannenberg das sagt, „ein gemeinsames Thema im Bemühen um ein Verständnis des Menschen und der Welt im Ganzen" (Theologie und Philosophie, 1996, 367). Sie sind darum Konkurrenten in der „heute ungelösten Aufgabe, umfassende Orientierung über die Wirklichkeit" (19) zu geben, die im Idealfall einer dem anderen als Korrektiv dienen, niemals aber Gegner sind. Zu fragen wäre freilich, ob die „Tendenz zur Verabschiedung der traditionellen Aufgabe der Philosophie, die Wirklichkeit im ganzen zu denken" (16), tatsächlich an der Vernachlässigung philosophischer Theologie liegt, wie Pannenberg meint. In jedem Fall zu starr

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Die fundamentalontologische Relevanz der christlichen Botschaft

ist Pannenbergs Annahme, Theologie denke von Gott her, während Philosophie von Erfahrung ausgehe; s. ebd.; vgl. Anm. a.a.O. Zum Thema „Theologie und Philosophie" aus christlicher Sicht s. auch den noch immer vorzüglichen Artikel von Gerhard Ebeling (RGG3, Bd. 6, 1962, 819-830), in dem er beide als „differente Weisen radikal verantwortenden Denkens" beschreibt, deren „rechtverstandener gegenseitiger Dienst" darin besteht, „zur Wahrnehmung der verschiedenen Verantwortung herauszufordern und freizumachen" (829). Auf die bleibenden Divergenzen hingegen weist Oswald Bayer hin, der in der Verständigung von Philosophie und Theologie „unvermeidlich ein Streitgespräch" sieht und die prinzipielle Funktion von Theologie als „Konfliktwissenschaft" betont (Theologie, 1994, 505), deren Universalität „nur zugleich mit der Bestimmtheit einer Sündenlehre und Christologie wahrzunehmen" sei (507). Wenn unter diesem Aspekt mit Paul Tillich recht hart ins Gericht gegangen wird (267ff.), sind wir allerdings der Meinung, dass - etwa in dessen Entfremdungslehre - unter dem erweiterten Aspekt der Sinnleere die gefallene Wirklichkeit, damit der Gegensatz von Gesetz und Evangelium, nicht ausgeblendet, sondern apologetisch legitim aktualisiert wird. Auch trägt das Vorurteil, Metaphysik sei per se „rechtfertigendes Denken" (508), der Möglichkeit nicht ausreichend Rechnung, dass in der Einbeziehung der soteriologischen Tatbestände durchaus eine neue metaphysische „Sinntotalität" (ebd.) erkennbar wird, ohne dass deswegen von einer „natürlichen Kreuzestheologie" (509) gesprochen werden muss und ohne dadurch das Feld der theologia viatorum zu verlassen. Was Bayer unter bestimmten Bedingungen als „spekulative Ausweitung der Ökonomie" für praktikabel hält (514ff.), ist nichts Grundanderes, als was auch Tillichs christliche Seinsphilosophie zu erweisen sucht, in welcher bei allen Schwächen die Rede vom Kreuz gewiss zu abstrakte, aber tiefgreifende ontologische Anwendung erfährt. Die biblischreformatorischen Essentials hinter Tillichs nicht eben frommem Vokabular zu übersehen, ist freilich ein nicht neues, Tillich selbst geschuldetes Missverständnis, der den Erstvollzug der Gotteserfahrung im Zuspruch des Evangeliums selten zentral thematisiert, sondern in seiner Pneumatologie schon eher versteckt. Dennoch sollte anerkannt werden, dass Tillichs Inanspruchnahme der idealistischen Identitätsphilosophie nur als operatives ontologisches Gerüst dient, um darin sehr wohl die reformatorischen Sachaussagen zu umfassender Geltung zu bringen. Womöglich ist Tillich tatsächlich „in seinem verständlichen und notwendigen Kampf gegen den Personalismus zu weit gegangen" (273), so dass auch eine vordergründige „Entgegenständlichung des Gegenstandes der Theologie" (276) festgestellt werden kann, wohl kaum aber „eine „Verschiebung von enormem Ausmaß" (268) im Blick auf die reformatorische Wahrheit. Vielmehr meinen wir, dass die reformatorische Theologie nicht nur um ihrer universalen, sondern auch um ihrer zeitlosen Geltung willen noch einiges an ontologischer Interpretation im Geiste Tillichs vertragen kann, wobei es freilich entscheidend darauf ankommt, mindestens so sehr wie Schelling und Hegel auch dem biblischen Befund gerecht zu werden. Im Blick auf den Gesamtumfang des Gottesreichs sind christlicher Personalismus und christliche Seinsphilosophie beide gleich wichtig und richtig, wenn sie sich so die Waage halten, dass dem Universalen genauso wie dem Konkret-Individuellen gedient ist, was eben gerade misslingt, wenn die eine Seite die andere in den Schatten stellt.

Thema, Methode, Begriffe

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Dass wir auf diesem Wege auf keinem der konfessionellen Stühle vollständig Platz finden, stimmt uns mit Blick auf die transkonfessionelle Eigenart des Reiches Gottes wiederum nicht bedenklich, sondern froh, umso mehr, als wir „die Stellung des Menschen im Kosmos" (Scheler) im Zuge urchristlicher ekklesiologischer Prinzipien zu bestimmen suchen, die wir in ihrer heilsamen Verbindung individueller und universeller Seins-Bereiche für die bestehende Wirklichkeit nun allerdings als zeitlos gültig betrachten. Mit dem Aufweis der pneumatisch-somatischen Eigenarten dieser Verbindung soll offenbar werden, was an Jesus Christus als dem Herrn aller Dinge Gläubige schon immer zu behaupten und zu bezeugen wagten - die Lösung der Seinsfrage ist eine spezifisch christliche Angelegenheit. Sie ist in der Wirksamwerdung der Liebe Gottes die spezifisch christliche Angelegenheit.

I. Die Agape als Grund des originalen Seins 1. Die fundamentalontologische Ursituation / Das Schöpfungswerk im Wort Gottes 1.1 Die Liebe Gottes als kreatorisches Prinzip Die besondere Charakteristik der christlichen Liebe festzustellen, ist bereits anhand der klassischen biblischen Zentralaussagen verhältnismäßig klar und einfach möglich. „Darin besteht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühnopfer für unsere Sünden gesandt hat" (l.Joh.4,10). Oder Joh.3,16: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe." Die Liebe ist nach christlichem Verständnis zuallererst und exklusiv Gottes Liebe. Sie erreicht uns in seinem Sohn und dessen stellvertretendem Opfergang zur Rettung der Glaubenden, deren Sünden fortan getilgt sind. Von der so errungenen Gerechtsprechung des sündigen Menschen allein aus Gnade spricht die Fülle der neutestamentlichen Aussagen, besonders des Römer- und des Galaterbriefs. Mit der Lösung der aufgrund der Heiligkeit Gottes unübergehbaren Schuldfrage ist die Todesperspektive des Menschen beseitigt. „Ewiges Leben" dem unvorstellbaren Seins-Reichtum Gottes gemäß - soll nun dessen bislang schon mit seinem bloßen biologischen Überleben so verzweifelt befassten Sein beschert werden. Dieses Ewigkeitsleben möchte schon in unser jetziges hinein- und zur Ehre Gottes Raum greifen, denn von der Liebe Gottes überwältigt und unter ihre wiederbelebende Strahlen zurückgebracht, sind wir zu einer Neuausrichtung unserer Existenz bestimmt und befähigt. Die Liebe ist so zu Gottes Mittel und Weg zur Rückführung seiner verlorenen Schöpfung bzw. zur Gewinnung seiner Neuschöpfung geworden. Für uns Menschen ist sie der reale Grund

Das Sein im Wort Gottes

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dafür, dass über unsere biologische Perspektive unendlich weit hinaus wir unseres originalen „Ruhmes" (Rö.3,23) wieder teilhaftig werden können und sollen. Wenn wir von hier aus einen Blick zurück auf die urgeschöpflichen Tatbestände werfen, so sind deutliche Parallelen des neutestamentlichen Liebeswirkens Gottes unabweisbar, was uns ermöglicht, ein gesamtbiblisches Prinzip der Gottesliebe zu ermitteln, auch wenn in Bezug auf das Urgeschehen nicht ausdrücklich von der Liebe gesprochen wird. Da dieses aber doch unzweideutig als das willentlich-gütige, achtsame, existenziell stabilisierende Handeln des Schöpfers aufscheint, wird von hier aus die Liebe nicht ihrer soteriologischen Spitze beraubt, sondern diese Spitze selbst kann in den umfassenden Kontext der Gottesabsichten gestellt und von diesem aus plausibilisiert werden. Der Schöpfungsratschluss korrespondiert dem Erlösungsratschluss, denn Gottes Vorgehensweise ist prinzipiell die gleiche. Wir können hier von Diskontinuität in den Inhalten, Kontinuität in der Vorgehensweise sprechen. 1 1.2 Das Sein gegründet im Wort Gottes / Das Selbst-Verständnis des Seins in Gottes Ja-Wort Am Anfang des Weltgeschehens steht nach biblisch-christlicher Auffassung das Wort als die kreative Ur-Bejahung des Seins seitens des Seinsschöpfers. Dass in und mit seinem Willen Sein ist, ist seine ursprüngliche, originale Wahrheit - eine Seinswahrheit gleichsam. 2 So haben wir 1

S. Emil Brunner, Dogmatik 3, 2 1964, 39; vgl. auch Walter Kasper; Gerd Sauter, Kirche - Ort des Geistes, 1975, wo die Bedeutung dieses Zusammenhangs im Kontext der Pneumatologie gewürdigt wird (35).

2

Der Begriff der Seinswahrheit wird gern auf Piatons Konzeption derselben angewandt; s. Paul Friedländer, Piaton, Bd. 1. Seinswahrheit und Lebenswirklichkeit, 1964. Vgl. dazu auch den Wahrheitsbegriff von Hegel, der als „Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst" (Enzyklopädie I, Werke 8, 86; vgl. u.) dem unsrigen außerordentlich nahe kommt, wenngleich wir Hegels universale Synthese des absoluten Geistes in völlig anderer, nämlich der hier beschriebenen ekklesialen Konkretion erwarten. Sofern wir diese als die Selbstverwirklichung des Willens Gottes ansehen, betrachten wir Hegels abstrakt-idealistische Systemtheorie keineswegs als kompletten Gegensatz zu dem bereits goutierten Schopenhauerschen Willensrealismus, wenngleich Schopenhauer selbst hier größtdenkbare Inkompatibilität (seinem Erzfeind gegenüber) konstatiert haben will, sondern eher als das methodologisch ande-

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Die Agape als Grund des originalen Seins

es im paradiesischen Originalzustand zu tun mit unmittelbarer Heilswirklichkeit im Logos asarkos als dem göttlichen Weltschöpfungs- und Welterhaltungsprinzip. „Sein unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, ist seit der Erschaffung der Welt ... damit sie keine Entschuldigung haben" (Rö.1,20). Wir können diesen Zusammenhang auch als das Werk Gottes bezeichnen, in dem der vernunftausgestattete Mensch eine verbale, paränetische Gottesrede an die Seite gestellt bekommt (Gen.2,16-17), eine Instruktion. Gemäß dem An-Spruch Gottes hat der Mensch sich zu verantworten. Er ist das „verantwortliche Wesen" (Brunner). Kraft seiner Vernunft soll er das Sein in der Liebe Gottes hüten, sich selbst in der Obhut Gottes bewahren. Solches geschieht als durch die Liebe Gottes veranlasster Glaubensgehorsam gegenüber dem Instruktionswort Gottes, wodurch das Sein in der ursprünglichen Vertrauensbeziehung erhalten, indem die Grenze respektiert wird, die Gott dem Menschen in seiner Anrede gesetzt hat. Der Mensch bewahrt so seine Unschuld in der Anerkenntnis des exklusiven Herrseins Gottes und der demgemäßen Abwendung von anderen „Herren", bewahrt ein theozentrisches Sein in Liebe und Heiligkeit. Die geschöpfliche Ursprungssituation ist somit die Situation geschöpflicher Integrität, in welcher der Mensch in ungebrochener, sozusagen fragloser Unmittelbarkeit Gott vertrauend gegenüber fest gegründet ist und dieser es dem Menschen an nichts mangeln lässt. Die liebende Zuwendung Gottes, sein „Wort" umfängt hier den Menschen als der reale Seinsgrund aller geschöpflichen Existenz. Das Ur-Sein ist damit Sein in der bergenden, in jeder Beziehung fürsorglichen Urbejahung durch den Seins-Schöpfer. In der Liebe Gottes als dem Zuspruch Gottes aus seinem Seinsgrund heraus, dazu das Anredewort Gottes, ist dem Gotteskind ein Lebensgefühl in derjenigen kosmologischen Verankerung vermittelt, die ihrerseits vom selben Zuspruch Gottes lebt (Heb.1,3) - ganzheitliche pneumatisch-somatische Erfüllung also, kom-

re Extrem. Der Versuch, beide einmal zu verbinden - Hegels Luftschloss und Schopenhauers vergleichsweise handfeste, praxisnahe Psychologie - , könnte ein lohnenswerter sein. Auf die enge ontologische Verflechtung von Sein und Wahrheit aufmerksam gemacht zu haben, schon in Sein und Zeit, gehört zu den bleibenden Verdiensten Heideggers, wenngleich diese Verflechtung ebenfalls material anders gefüllt wird als an dieser Stelle. „Wahrheit im ursprünglichsten Sinn verstanden, gehört zur Grundverfassung des Daseins" (Sein und Zeit, 161986, 226). „Sein ... gibt es nur, sofern Wahrheit 'ist.'... Sein und Wahrheit 'sind' gleichursprünglich" (230).

Das Sein im Wort Gottes

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biniert mit einer verlässlichen Ewigkeitsperspektive hin zu einer echten All-Einheit. So ist als das Ur-Placet das Wort Gottes bereits im Ursprung im höchsten Maße kreativ und wegweisend. Wir nennen es „konstruktiv". Die alttestamentliche Rede von der Schöpfungswirksamkeit des Wortes Gottes wird im Neuen Testament explizit aufgegriffen. Das Wort, aus dem stammend uns die Schöpfung präsentiert wird, wird neutestamentlich so eindeutig wie einhellig mit Christus identifiziert. Der Sohn hat als Logos dezidierte Schöpfungsfunktion (Joh.l, Gal.l, Heb.l). Wichtig für uns ist, diese gerade auch für das Erlösungsthema zu würdigen, so wie die Bibel dies tut, indem sie beides thematisch aufs engste zusammenbindet. Die einheitliche Struktur in beiden Sachverhalten ist die, dass im Sohn wie im Logos das konstruktive Wort Gottes wirksam geworden ist, sein Ja-Wort zur Schöpfung. Das Motiv der Liebe ist der gemeinsame Nenner von Schöpfungs- und Erlösungsgeschehen, ist doch der Sohn selbst nichts anderes als die Gestalt gewordene Liebe Gottes, wobei es wiederum speziell das Wort ist, aus dessen Wirkungsvollmacht heraus wir „selig" werden (Rö.1,16; l.Kor.1,18.21; Jak.1,21). Der Zusammenhang von Wort und Liebe Gottes ist somit der am engsten denkbare, gerade wie beider Konzentration auf und in Christus. Das Gotteswort ist das seinsbegründende in seiner original-kreativen wie in seiner rettenden Form. Es schafft und lichtet das Sein im Lichte des Schöpfers selbst, in dem keine Finsternis ist.3 3

Bereits die Ursprungssituation zeigt somit die Mehrdimensionalität an, in welcher die Gottesrede den Menschen erreicht. Das Verhältnis Werk Gottes - als Einheit von Sein und seinem Seinsgrundwort - zu seinem Instruktionswort wird uns paradigmatisch gleich während des ersten Menschheitsstadiums vor Augen geführt, dem paradiesischen. Gott schafft die kreatürlichen Dinge kraft seines Wortes. Im Unterschied zu seinem instruierenden sprechen wir hier darum von seinem „konstruierenden" Wort. Die deutsche „Wort"-Vokabel ist freilich infolge ihres verbalistischen Verständnisses nur begrenzt geeignet, das hierbei vor sich gehende adäquat wiederzugeben. Es handelt sich hier um einen Vorgang von unmittelbarer, fundamentaler ontologischer Relevanz, die keinem menschlichen „Wort" je eignen kann. Da für dessen Beschreibung aber auch andere Begriffe wie Kraft, Sinn, Selbstkundgabe Gottes u.ä. unzureichend sind - richtig wäre am ehesten „Selbstentäußerung" - , bleiben wir beim Verbum „Wort". Wir halten aber fest, dass dieses das spezifische Gotteswort ist, das „Es-sei"-Wort, das tatsächlich Seiendes gebiert, - das „Ja"-Wort Gottes, das bewirkt, dass Seiendes tatsächlich ist und bleiben kann, sofern es sich aus diesem Seinsgrund-Wort nicht eigenmächtig entfernt. Es ist dieses Wort aber kein Anrede-Wort, das der vernünftigen Reflexion des Menschen anheim gegeben wird. Wir

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Die Agape als Grund des originalen Seins

Wir können daher von der Liebe Gottes - wie von Christus - als dem schlechthinnigen ontologischen Ja-Wort Gottes sprechen. Ein JaWort, das konstitutiv ist für die gesamte Reich-Gottes-Geschichte von deren Anfang bis zu deren Ende und das die Menschheit während der Heilsgeschichte in je angepassten Facetten erreicht. Die Liebe als Gottes Grundwesenszug (l.Joh.4,8) hat den Menschen je und je auf all seinen Wegen begleitet, um sein fragiles Sein zu begründen, zu befestigen, zu korrigieren, zu entfalten und am Ende letztgültig zu erlösen. Das Wort Gottes als seinsbegründendes ist uns das nächste, es ist uns das selbstverständlichste überhaupt. Es ist uns so nah wie der Wald, den wir vor lauter Bäumen nicht sehen, so nah wie eine gesunde, eine aufbauende, wachstümliche Entfaltung ermöglichende Atmosphäre im elterlichen

müssen dies der in der Theologie verbreiteten Antinomie wegen betonen, einerseits gerne die kosmologische Weite des Gotteswortes zu preisen, andererseits dieses Wort konkret doch nur verbalistisch-personalistisch zu interpretieren als Wort vom „Ich zum Du". Es ist dies ein Wort - wenn man so will ein göttlich-atmosphärisches Wort das den Menschen von Grund auf prägt, ein Prägewort also, vergleichbar, wie schon gesagt, etwa mit der liebenden Atmosphäre eines Elternhauses, das die Kinder entsprechend zu beeinflussen vermag. Das Ent- und das Bestehen in diesem Wort ist Gottes eigentliches Werk. Der im Wort Gottes als dem Wesen Gottes geschaffene Mensch aber ist freilich ganz und gar Geschöpf, ist also nicht selbst göttlichen Wesens. Die Betonung der An-Rede Gottes finden wir schon bei Ferdinand Ebner, der gar meint, Gott habe zum Menschen bei dessen Schöpfung gesprochen (Das Wunder des Wortes, 1965, 24), in dessen (und Martin Bubers) Gefolge bei F. Gogarten und besonders Emil Brunner, katholischerseits besonders auffällig in den Schriften von Romano Guardini. Unermüdlich gegen die verbalistische Verkürzung, für die Wahrung der Einheit von ontologischer und verbal-persönlicher Gottesrede ist Paul Tillich eingetreten, der zwischen beiden ein Verhältnis „gegenseitige(r) Abhängigkeit" konstatiert (Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 41). Tillich legt überzeugend dar, dass im „Wort" Gottes als dessen „schöpferische Selbstmanifestation" das persönliche wie das ontologische Element enthalten sind (69), wie denn auch „Sein und Person keine unvereinbaren Begriffe" sind, „umschließt" doch Sein auch personhaftes Sein (72). Mit Tillich sind auch wir der Meinung, dass das eine die Gottesrede hinsichtlich des Gesamtschöpfungswerks Gottes generalisiert, das andere sie hinsichtlich der menschlichen Person individualisiert (39). Beides ist im biblischen Fokus, wenngleich im Dienste der Soteriologie das zweite das natürliche Hauptaugenmerk erhält, ohne aber je aus seinem „logischen" Gesamtkontext herausgelöst zu werden. Die biblisch-christologische Universalität und gleichzeitige Konzentration auf die besondere Not des einzelnen Menschen als Ebenbild Gottes garantieren die ontologische wie auch die persönliche Reichweite dessen, was die Schrift als „Wort" Gottes vorstellt. Vgl. dazu auch einen des Ontologismus so unverdächtigen Autor wie Walter Künneth, Glauben an Jesus?, 1962, 243.

Das Sein im Wort Gottes

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Haus, an die wir uns wie selbstverständlich gewöhnt haben. So ist dies Wort stets in allergrößter Gefahr unerkannt zu bleiben, wenn nicht gar bewusst missachtet zu werden. Als das Ja-Wort Gottes ist die Liebe der unsichtbare, aber absolut reale Ermöglichungsgrund allen Seins. Sie ist, was das Seiende da-sein lässt. Das Sein ist folglich, wenn man so will, „die Macht des Seienden dazusein". 4 Diese Macht aber ruht ganz und gar in der willentlichen Bejahung Gottes, in seinem Liebeswort. Die anthropologischen Konsequenzen aus dem Gesagten liegen auf der Hand. Im Wort Gottes geschaffen, kann der Mensch sich darum überhaupt nur im Wort Gottes verstehen und begreifen, wie seine Verhältnisse durch das Wort Gottes strukturiert und geordnet sein wollen. Im Wort geschaffenes Sein ist nur im Wort begreifbar und sachgerecht auslebbar. 5 Das konstruktive Wort Gottes ist es, das die Qualität christlichen Seins determiniert, indem es die geistlich-natürliche Lebensgrundlage des Seins bildet. Gott will, dass das Geschöpf in seinem Wort recht verwurzelt ist und seinem Wort gemäß recht existiert. Im Konstruktionswort Gottes gegründet, ist dem Menschen ein intaktes Gottes- und ein intaktes Schöpfungsverhältnis ermöglicht einschließlich einem intakten Verhältnis zu sich selbst, einem intakten Verhältnis der menschlichen Vernunft zu den weiteren physisch-psychischen Partien der menschlichen Person. Weil gerade in seiner konstruktiven ontischen Vernetzung das geschaffene Sein die Weisheit des Seinsschöpfers optimal bezeugt und zu seiner originalen Bestimmung gelangt, ist der Schöpfungsorganismus die zeitlose christliche Alternative zu allen am Individuum wie auch an der Gesellschaft als Ganzer arbeitenden Seinsexperimenten. 6

4

Regin Prenter, Der Gott, der Liebe ist. Das Verhältnis der Gotteslehre zur Christologie, 1971, 412.

5

Dies wird in exzellenter Weise von Emil Brunner herausgearbeitet in: Der Mensch im Widerspruch, 5 1985, 59-70; 215ff.

6

... so etwa auch denen von Gentechnologie und Globalismus.

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Die Agape als Grund des originalen Seins

1.3 Konstruktions- und Instruktionswort / Das „eigentliche" Wort Gottes als die Liebe Gottes / Der intakte Gebrauch der Vernunft / Die Bewahrung des Seins im Gehorsam des Wortes Gottes Die Komplexität der Erscheinungsweisen des Wortes Gottes 7 bei gleichzeitiger klarer Christozentrik machen deutlich, dass die Bibel eine

7

Die Sache der Gottesrede ist als biblisch-theologisches Thema nicht nur ein überaus komplexes, sondern auch kompliziertes Geschehen, insbesondere da dieses aufs engste mit dem Offenbarungsthema verknüpft ist, mit der Frage seiner Zuordnung zum geschichtlichen Handeln Gottes - das einmal als Heils-, einmal als Generalgeschichte verstanden wird - , mit der Frage nach der Selbstoffenbarung Gottes sowie deren Vollzug in transnaturalen Geschehnissen, Fügungen, Führungen, Visionen, Auditionen, deren Interpretation als „Reden" Gottes und nicht zuletzt in seinem verbalen Reden - das seinerseits wiederum auch als verbale Tat Gottes aufgefasst werden kann - , seinem prophetischen Reden, dessen teilweiser unmittelbarer Verschriftlichung, dessen nachträglicher Verschriftlichung und Sammlung im atl. (und dann auch ntl.) Kanon, seinem Reden im Gesetz und eben „zuletzt im Sohn", was schließlich ebenfalls in nahezu die gesamte dogmatische Bandbreite christologischer, soteriologischer, pneumatologischer, ekklesiologischer und skriptologischer Reflexionen des „speziellen" Offenbarungshandelns Gottes einfließt, nicht zu vergessen freilich auch das „allgemeine" Sich-Offenbaren Gottes in seiner Schöpfung. All das ist Wort Gottes als der umfassende Ausdruck seiner Selbstbekundung in der Geschichte - ein Wort, das nicht wie das menschliche bloß Information vermittelt, Verständigung ermöglicht, sondern das Wirklichkeiten schafft, nicht selten „sengend wie ein Feuer, wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt" (Jer.23,29). Aufgrund dieses Sachverhaltes folgt, dass sich das Thema der Gottesrede dem Versuch einer begrifflichen Systematisierung nur bedingt empfiehlt (wie auch solche Systematisierungsversuche selten einmal konsequent zuende gebracht wurden) - nicht unbedingt der Schwierigkeit der Aufgabe wegen, sondern weil die Asystematik der Gottesrede nicht zuletzt verdeutlicht, dass es Gott in jeder Weise um die Kommunikation mit dem Menschen zu tun ist, nicht um eine Metaphysik seiner selbst und seiner Außerungsweisen. Vgl. Karl Barth, KD 1/1, 124ff.; sowie Wolfhart Pannenberg, der im Gegensatz zu Barth die „Tat" Gottes nicht unters seiner „Rede" subsumiert, sondern in den Geschichtstaten Gottes dessen hauptsächlichen, wenngleich indirekten Selbsterweis sehen möchte; ST 1, 1988, 248ff.; Offenbarung als Geschichte, 51982. Der materiale Inhalt der „Offenbarung" im Zusammenwirken von Wort und Tat, und damit die biblische Spezifik, dürfte noch immer am besten erfasst sein bei Emil Brunner, Offenbarung und Vernunft, 21961, 31ff., 126ff. Zur atl. Offenbarungsvielfalt vgl. Rolf Rendtorff, Die Offenbarungsvorstellungen im Alten Israel (in: Offenbarung als Geschichte, a.a.O.), 39-59; sowie zum exegetischen Gesamtbefund Heinrich Schlier, Das Wort im Licht der biblischen Offenbarung, 1966, 40-73.

Konstruktions- und Instruktionswort

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implizite morphologische Christologie liefert.8 Wir haben es zu tun mit zwei Hauptarten der Gottesrede. Die Welt ist im Logos geworden und soll durch keinen anderen Logos auch erlöst und vollendet werden (Joh.l,3.10.14). Der Logos Gottes ist somit Gottes Konstruktionswort, das Seinsgrundwort, das den Menschen über die Erfahrung der Schöpfungskooperation erreicht und neben dem aktiven Lobpreis, der dem Menschen als Vernunftwesen ansteht, auch so erwidert wird. Der Mensch soll kraft seiner Vernunft die Güte Gottes erkennen, die ihn, einschließlich seiner Vernunft durchdringen möchte, und soll ein verbales wie ein gelebtes Dankwort zurückgeben. Damit speziell der Mensch nun seinem gottgemäßen Status gerecht bleibt - immerhin hat er kraft seiner Vernunft die Möglichkeit, sein Sein und damit auch das seiner Umgebung entscheidend zu beeinflussen - , damit der Mensch der kluge und souveräne Hüter von Gottes Garten bleibt, richtet dieser im Urbund an ihn ein instruierendes Wort, das ihm aufzeigt, wo seine Grenzen liegen und bestehen bleiben sollen. Solche zu sprengen, war und ist für das denkende Geschöpf freilich eine ungeheure Versuchung, der der Mensch denn ja auch nur zu bald erlegen ist. Weil er kraft seiner Vernunft auch imstande ist, sich über Gebühr zu produzieren und die Schöpfungskomplexität zu schädigen, weil er in der Lage ist von seinem Stand abzuirren und seine Umgebung mit zu belasten, gibt Gott dem Menschen ein verbindliches Verbalwort auf den Weg, welches - hier direkt an die intakte menschliche Vernunft gerichtet - das geschöpfliche Geschehen im Sinne des Schöpfers regeln soll. Das Instruktionswort hat somit die Aufgabe, des Menschen Heilswirklichkeit, sein Sein im Konstruktionswort Gottes sicherzustellen, das Schöpferwerk Gottes unversehrt zu bewahren. Darum ist der Vernunftlogos das konservative Prinzip. 9 Keinesfalls soll das Geschöpf seine Vernunft missbrauchen, um dadurch seinen eigenen Stand und mit diesem die originale Schöpfungsharmonie zu verletzen. Vielmehr ist der Mensch aufgefordert, dem Konstruktionswort Gottes gemäß seinen Herrschaftsauftrag seinerseits konstruktiv zu versehen.

8

Interessantes vorgearbeitet hat diesbezüglich Otto A. Dilschneider in: Gegenwart Christi. Bd. 1,1948, 261ff.

9

Brunner spricht von der „Kontrollfunktion der Vernunft". Offenbarung und Vernunft, 2 1961, 233.

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Die Agape als Grund des originalen Seins

Das Konstruktionswort wird so begleitet durch die explizite Offenbarung des Willens Gottes als Instruktionswort, das strikt auf Gottes Wirken im Konstruktionswort bezogen bleibt. Das Instruktionswort ist dem Konstruktionswort beigeordnet, das als das „eigentliche" Gotteswort, wenngleich nicht von begrifflicher Aussagekraft doch von entscheidender ontologischer Bedeutung ist, ist es doch das Prägewort Gottes, das Wort seiner geschöpflichen Liebe, das den Menschen als anthropologische Komplexität nach Geist, Seele und Leib kennzeichnen und sein Verhalten zu seinen menschlichen wie nicht-menschlichen Mitgeschöpfen bestimmen soll. Das Konstruktionswort determiniert das Sein des Menschen direkt, das Instruktionswort indirekt, indem es das Sein im Konstruktionswort erhält. 10 So ergänzen Konstruktion und Instruktion Gottes sich zu seinem vollständigen Wort, in welchem Gottes Zuneigung dem Sein eine vollkommene Behausung geworden ist. Das Konstruktionswort stellt für das Sein des Menschen die unmittelbare, umfassende Bezugsgröße dar, die ihm aber um seiner Schwachheit willen in steter Erinnerung gehalten werden muss. Darum ist das Instruktionswort Gottes für den Menschen als Vernunft- und Sprachwesen besonders passend zugeschnitten, es bewirkt „Verständigung", will aber nur dafür Sorge tragen, dass dem Menschen sein gottgegebener Seinsgrund nicht abhanden kommt, sondern er im Wesen Gottes verwurzelt bleibt, um so diesem Wesen soweit als möglich gleichgestaltet zu bleiben bzw. - neutestamentlich gefasst - gleichgestaltet zu werden. Das Sein im Konstruktionswort Gottes - gehalten durch seine Übereinstimmung mit dem Instruktionswort Gottes - das ist die ursprüngliche Heilswirklichkeit. Die Schöpfung ist in der Weise getragen und begleitet durch das indirekte und das direkte Wort Gottes, sein schöpferisches Konstruktionswort und sein beschirmendes Instruktionswort, wobei das Konstruktionswort chronologisch und sachlich vorrangig ist, indem es die Schöpfungserfahrung des Wohlwollens Gottes generiert. Durch die Konzentration auf die Güte des Vaters besteht das intakte Gottes- und Schöpfungsverhältnis als intakte HeilsVertikale und Heils-Horizontale, besteht harmonisches Sein im Konstruktionswort der Liebe Gottes, Sein als funktionierende Schöpfungs10

Vgl. bei Brunner auch die Unterscheidung von „Erhaltungs-" und „Erlösungsgnade". Dogmatik

2,31972,169.

Liebe und Logos

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komplexität. Der theozentrische Mensch, der von der ihn begleitenden Schöpfungsgüte Gottes in seinem Vertrauen auf den Schöpfer bestärkt wird, kann er dessen Liebe doch quasi mit Händen greifen, und der auch dem instruktiven Wort Gottes gegenüber gehorsam bleibt, hat damit alle Voraussetzungen, destruktive Prinzipien von sich und dem gesamten Werk Gottes kraft seiner ausschließlichen, vernünftigen Gotteskonzentration fernzuhalten. Und darin besteht als Ebenbild Gottes seine Verantwortlichkeit - dass er sich trotz der herausragenden Möglichkeiten, die ihm kraft seiner Vernunft eignen, in und zu seiner heilen Umgebung recht verhält. Mit der Befolgung des Verbalwortes anerkennt der Mensch, dass Gott der Herr ist, nicht er selbst und erst recht nicht der Feind Gottes. Auf dem Weg dieser freiheitlichen Anerkenntnis erkennt der Mensch wiederum, dass die Liebe Gottes tatsächlich das größte ihm je Widerfahrende ist.

2. Liebe und Logos Mit der Unterscheidung von Liebes- und Vernunftlogos ist eine erste wesentliche Weichenstellung vollzogen und angezeigt, worin wir im Sinne einer theologischen Seinslehre Handlungsbedarf sehen. Der Logos als die Liebesmacht Gottes muss noch in seiner theologisch adäquaten Weise zutage gefördert und gegenüber dem Vernunftlogos abgegrenzt werden, ohne diesen zu diskriminieren. Vielmehr muss die Vernunftkraft des Menschen, als eben seine besondere Begabung, in Relation gebracht werden zum Liebeslogos Gottes, der gewiss im höchsten Grade „vernünftig" ist, darüber hinaus aber gewinnend durch die Kraft und Konsequenz seiner Selbsthingabe. Das Problem des Vernunftlogos ist weniger, dass dieser zu abstrakt wäre, sondern vielmehr zu anthropomorph, wie auch das Problem des Menschen weniger in seiner sündhaften Vernunft besteht, sondern in seiner Unfähigkeit zur Liebe trotz durchaus funktionstüchtiger Vernunft. Der Logos Gottes ist „höher als alle Vernunft" (Phil.4,7). Er wird nicht direkt schon wirksam, wo noetisch Wahres erkannt, sondern wo im Sinne der Vorstellungen Gottes vollständig geliebt wird. Indem auf diesem Wege das Geschöpfliche in idealer Weise zu seinem ontologischen Gleichmaß, sprich nicht „nur" zu dem anderen, sondern auch zu sich selbst findet, ist der ordo amoris gleich dem ordo rationis. Dass in der

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Die Agape als Grund des originalen Seins

Liebe das Sein erblüht, wächst und gedeiht, ist das eigentlich „Logische" in dieser Welt, das dem Logos, den die Bibel meint, gemäße. Diesem Prinzip untersteht auch das Vernunft-Logische - hinsichtlich seiner ethischen Qualität jedenfalls, deren Minimum dem „Rationalen" immer auch eignet. Indem in Absehung hiervon in aristotelischer Tradition als „logisch" schon die bloß formal-konkludenten Operationen des Verstandes bezeichnet werden, wird das intellektualistische Missverständnis dessen, was Logos biblisch impliziert, ersichtlich, wie auch die Verkürzung dessen, was bereits im vorchristlichen Stadium als „Sinn, Struktur, Kraft" u.ä. dem Begriff der Erkenntnis zugeordnet war. Wenn Martin Heidegger die Grundbedeutung von Logos mit „Sammlung, Zusammenbringen" wiedergibt, 11 klingt darin bereits etwas von der gemeinsamen ontologischen Zielrichtung von Liebe und Logos durch, in deren ontischer Ausformung wir vom „ökumenischen Prinzip" der Wahrheit zu sprechen haben werden. Beide Stränge treffen genau da zusammen, wo wahre Erkenntnis als Geschehen der Liebe begriffen und praktiziert wird - „wahr", weil der Sache dadurch angemessen, dass all ihre Aspekte gesehen und schöpfungsgerecht bedient werden.

3. Die Bedeutung der Präexistenzchristologie / Das Problem des Logos asarkos Die Verneinung prälogischer Erwägungen - wie besonders scharf durch Karl Barth - ist als Ablehnung metaphysischer Spekulation von daher richtig, im Blick aber auf die heilshafte Gründung des Seins schadhaft. 12 Wir brauchen für eine biblische Schöpfungslehre unab11

Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, 6 1998, 95.

12

Wenn Barth meint, ein „vorzeitliches Sein des Wortes" könne „kein Deus pro nobis" sein, die Rede davon nehme „nicht ernst ... was Gott in Jesus Christus faktisch getan" hat (KD IV/I, 55), verkennt er die soteriologische Tragweite des seinstragenden Wortes Gottes, um dessen Re-Instandsetzung willen die Tat Christi erfolgte. Dabei wird Christus als ontologischer Grund der Schöpfung von Barth zumindest gesehen (KD ΠΙ/1, 29). Seine eigene Präexistenzspekulation indes, wonach die Gnade für den Menschen bereits im „schon Geliebten" erschlossen sei (KD IV/2, 861), muss als mindestens so fragwürdig gelten wie die vermeintlich soteriologisch irrelevante Lehre vom Logos asarkos. Insofern die intakte Grundrelation des Seins im ewigen Gotteswort in umfassender Weise die ontologische Beheimatung speziell des Men-

Der Logos asarkos

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dingbar die Rede vom Logos asarkos - gerade wie für das Anliegen einer pneumatologischen Soteriologie, 13 ist doch der Christus, der die Schöpfung trägt, der gleiche wie derjenige, der das Sein der christlichen Gemeinde und jedes einzelnen Christen birgt. Als das seinsbegründende Gotteswort schlechthin, in welchem die Liebe Gottes erstmals und letztmals ihre gewaltige Tragfähigkeit bewiesen hat, ist er die Urgestalt derjenigen apersonalen Grundlage, von der etwa der Kolosserhymnus spricht, in der gegründet sich das personale Heilsgeschehen - das Geschehen, nicht allein die Botschaft - vollziehen kann und soll. So ist der Logos asarkos gerade die biblische Alternative zu kosmosophischen Trugbildern aller Art. Die Präexistenzchristologie ist die selbstverständliche Voraussetzung der satisfaktorischen, die überdies auch die perspektivische Einheit von alt- und neutestamentlicher Geschichte ermöglicht. 14 Im Logos asarkos und im Logos ensarkos als dem wahrhaft göttlichen und wahrhaft menschlichen „Mittler" sind schließlich alle trinitätstheologischen Aporien genauso beseitigt wie alle praktischen Barrieren zwischen Gott und Mensch. 15

sehen garantiert, entspricht dieses in vorzüglichster Weise dem pro nobis. Eine Theologie hingegen, die meint, man könne „nur träumen von diesem Logos", ihm als „irgend einem selbstgemachten Götterbild huldigen" (KD IV/I, 55), schwebt nicht nur epistemologisch über den Köpfen, sie ist vor allem auch ungeeignet, dem Sein in christlich qualifizierter Weise seine originale Bodenhaftung näherzubringen. Sie wird gewiss eine im engeren Sinn Offenbarungslehre sein können, nicht aber eine christliche Wirklichkeitslehre, wie sie zu Recht dem Theologen abverlangt ist. 13

Eine sehr behutsame, ausgewogene Behandlung des „trinitarische(n) Ursprungs des Schöpfungsaktes", auch im Kontrast zu Karl Barth, liefert Wolfhart Pannenberg in ST 1, 1988, 34-49. Der präexistente Christus wird hier gewürdigt als „strukturelles Urbild der Bestimmung alles geschöpflichen Seins zur Gemeinschaft mit Gott" sowie als „Ursprung des Daseins geschöpflicher Wirklichkeit" (44). Eine ausgezeichnete Darstellung des schöpfungstheologischen Themas als „vergessene Wahrheit" (11) ist die von Wolfgang Beinert, Christus und der Kosmos, 1974.

14

Vgl. dazu Eduard Schweizer, Zur Herkunft der Präexistenzvorstellung bei Paulus, 1963, 105-121. Als immerhin „unausweichlich" wird „die Annahme einer Präexistenz des Gottessohns" auch von Pannenberg bezeichnet in ST 2, 1991, 413, der an anderer Stelle dem johanneischen Logos „zugleich kosmologische und soteriologische Funktionen" zuspricht; Grundzüge der Christologie, 2 1966; s. auch Wilfried Härle, Dogmatik, 1995, 354-356.

15

S. „die universale kosmologische Bedeutung des Logos" bei Georg Strecker, Theologie des Neuen Testaments, 1996, 497ff.

74

Die Agape als Grund des originalen Seins

Wir dürfen das Subjekt unserer Erlösung mithilfe einer biblisch erneuerten Logoslehre in vielen Teilen noch präziser begreifen lernen, denn „nur vor dem Hintergrund des universalen Logos ist es sinnvoll, vom inkarnatorischen Logos zu sprechen". 16 Der Logos asarkos und der Logos ensarkos müssen um der Echtheit und Wahrheit der christlichen Realität willen als Einheit begriffen werden. Die Aussage des Johannesprologs, wonach „der Logos Fleisch ward", ist aus begreiflichen Gründen, aber dennoch unzulässig, zumeist so stark auf die Inkarnation des Logos hin ausgelegt worden, dass für die Reflexion des Logos vor seiner Fleischwerdung kaum Raum blieb.17 Ja, in aller Regel wurde und wird in der protestantischen Dogmatik gewarnt vor den spekulativen Wucherungen einer möglichen Präinkarnationsbetrachtung, noch bevor man überhaupt den Versuch gemacht hat, eine biblischnüchterne anzustellen. Eine solche wird denn auch für gut und gerne verzichtbar gehalten - zum erklecklichen Schaden der theologischen Vollperspektive und ihren systematischen Konsequenzen. Die biblische Aussage umschließt nun einmal - aus gutem Grund - beides, den ewigen Logos und den inkarnierten und weiß genau, warum sie den ewigen sachlich voranstellt.18 Die Rede vom Wort Gottes als Seinsgrund hat darum immer wieder Unbehagen erzeugt, weil man um den soteriologisch bedeutsamen Logos ensarkos fürchtete. Ein vermeintlich spekulativer „Logos asarkos", so die Sorge, sei nicht nur geneigt, Gott als Person und freies Gegenüber des Menschen zu gefährden, sondern insbesondere abzulenken von dem anredenden, dem konfrontierenden und gerechtspre16

Paul Tillich, Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 67.

17

Wir schließen uns T. Evan Pollard an: „If the theme of the Prologue is primarily cosmological, it is not a real introduction of the Gospel for it is introducing a theme which has no place in the Gospel itself. ... I would go farther and assert that John wrote his Prologue as a summary of the Heilsgeschichte of which the incarnate life of the Son of God is the central point, and that it is as such that he intended the Prologue to be read." Cosmology and the Prologue of the fourth Gospel, 1958, 149. Zur in der angelsächsischen Literatur freimütiger referierten Lehre von der Präexistenz Christi s. auch Donald Macleod, The Person of Christ, 1998, 45-70.

18

Die universale Christozentrik des NT ist wohl zuerst in l.Kor.8,6 explizit ausgesagt. Kol.1,15-20 ist freilich die bedeutsamste Passage. Beinert schreibt: „Das Christusexistential in der Schöpfung sichert letztlich ihre bleibende Sinnhaftigkeit. Weil Gott in Christus schafft und er das Ziel des Geschaffenen ist, darum erreicht dieses in ihm auch tatsächlich Gott." Christus und der Kosmos, 1974, 88.

Der Logos asarkos

75

chenden Verbum Gottes. Das Wort Gottes als Seinsgrund aber ist keineswegs ein kommunikationsloses, wenngleich wir es als „nonverbal" bezeichnen können. Entscheidend ist, dass wir beider Wortarten Relation erfassen und dabei in dem nonverbalen Teil diejenige Weise der Selbstdarbietung Gottes, die geeignet ist, die Komplexität der geschöpflichen Wirklichkeit so darzustellen, dass sie tatsächlich dem seinsgestaltenden Gotteslogos entspricht. Das bedeutet, dass gerade die verbalisierende Vorstellung vom Wort Gottes ihrer biblischen Erweiterung bedarf und nicht länger das biblische Wortverständnis seiner vermeintlich soteriologisch orientierten Verkürzung. Das Soteriologische ist nur dann soteriologisch, wenn es tatsächlich seinsumgreifend, seinsdurchtränkend wirkt. Eine Soteriologie, die nur in die Köpfe hineinspricht, ohne die Fülle des Leiblichen zu bewegen und zu verändern, ist in Wahrheit Gesetz. Dem hat Gott so vorgebeugt, dass sein Wort nicht nur Wort als Person ist, sondern auch Wort, in welchem Sein wirklich - insbesondere das Humanum - ist. Dieses Prägewort Gottes ist somit von nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung - zur Begründung des geschöpflichen Selbstverständnisses und damit auch für das Verständnis des das Geschöpfliche zurechtbringenden soteriologischen Werkes. Das seinsbegründende Wort Gottes ist es, demgemäß der Mensch in Bezug auf seine vertikale wie auch auf seine horizontale Verankerung existieren soll, darf und kann. Er soll, in jeder Hinsicht Verlust- und Besitzängsten enthoben, eine Existenz der Gnade führen - aus Gnade und in jeder Weise gnädig seinen Mitgeschöpfen gegenüber. Mit dem Verzicht aber auf die Lehre vom Seinsgrund hat die Theologie darum auf nichts weniger als den Deutungs- und Erklärungsrahmen verzichtet für die Vielfältigkeit der christlichen Praxis in missionarischer, in paränetischer wie in ekklesialer Hinsicht und hat vielmehr diesbezüglichem Subjektivismus Tür und Tor eröffnet. Die christliche Lehre vom Seinsgrund bildet heute die klaffende christlich-theologische Lücke mit kaum überschaubaren theoretischen wie praktischen Konsequenzen. Die Präexistenzchristologie ist biblisch unzweideutig verankert in der Inkarnationschristologie und kann von dieser gelöst nicht biblischchristlich betrieben werden, sondern in der Tat nur spekulativ. Die Inkarnationschristologie aber erfordert wiederum die Lehre vom Logos asarkos, um ihrerseits in jene Fundamentalbegründung des neuen

76

Die Agape als Grund des originalen Seins

Seins zu münden, auf die das Evangelium abzielt. Dass der Logos Christus ward, ist zweifellos die heilsentscheidende, die soteriologische Zuspitzung des Gotteshandelns. Sie zeigt uns, in welchem Namen allein uns Rettung und Heil gegeben ist. Dass der Logos aber Christus ward, ist die ontologische Basis des Heilsgeschehens, ohne die wir letztendlich nicht wüssten, wohin das Christusgeschehen uns eigentlich (zurück)bringen möchte. Die Präexistenzchristologie begründet die Rechtmäßigkeit des Herrschaftsanspruchs Christi in seiner ontologischen Universalität. Sie macht deutlich, dass er das Recht hat über „das Seine" (Joh.1,11). Sie zeigt auf der anderen Seite uns Menschen, welcher Christus uns da „gemacht ist zur Gerechtigkeit" (l.Kor.1,30). So impliziert die Rede vom Logos incarnatus das Vorwegsein des universalen Logos. Beide bedingen einander im Dienste der Vollständigkeit der christlichen Sache; beides gehört folglich im Sinne der biblischen Gesamtschau unauflöslich zusammen. Das eine zeigt uns, woher wir kommen und wohin wir gehen dürfen, das andere wie wir dahin kommen. Das eine eröffnet uns den Raum, „in dem wir leben und weben und sind" (Apg.17,28), das andere zeigt uns den Weg dorthin.

4. Das kosmologische Thema der Heiligen Schrift Die klassischen Loci für die Lehre von der kosmologischen Bedeutung und Tragweite Christi sind Rö.8,29-32; l.Kor.8,6; Kol.l,15-20; Eph.1,912; 20-23; Heb.1,2-3 und im Alten Testament besonders Gen.l. Die erstmalige, deutliche Erweiterung der neutestamentlichen Soteriologie in Richtung einer systematischen Kosmologie wird ausgesagt in Rö.8,29-32, wenngleich hier die Emphase über der Allweisheit und Allmacht Gottes das hervorstechende Element ist. 1.Kor.8,6 zählt zum schöpfungstheologischen Kernbestand der neutestamentlichen Theologie, ein diesbezüglich geflügeltes Wort wiedergebend, das in prägnanter Systematik den schöpfungstheologischen Tatbestand zusammenfasst. Der Akzent liegt hier auf der Mittlerschaft des Sohnes zwischen dem Vater als dem Ausgangspunkt aller Dinge und diesen selbst. Gleiches kann gesagt werden von Kol.l, das die ktiseologische Formel der frühen Kirche weiter ausbaut, ohne den der Sache als angemessen empfundenen hymnischen Charakter der Aussage zu verlassen. Beiden Passagen gemeinsam ist, dass Welt und Kosmos bei Paulus einen ein-

Das kosmologische Thema der Heiligen Schrift

77

deutig personalen Bezugspunkt erhalten in Christus, von dessen Bedeutung als Versöhner aus auch seine Größe als Begründer gewürdigt wird. Die explizit apersonale Dimension des Wortes wird erst bei Johannes im Prolog seines Evangeliums aufgetan, wobei mit dieser als Bezugspunkt das kosmologische Thema der Sache gemäß konkretisiert wird. Der Logos asarkos ist das, wenn man so will, lautlose Wort Gottes, das als Logos ensarkos sich schließlich klar und deutlich artikuliert. Ebenfalls höchst konkret erscheint hier denn auch das ausdrückliche Ziel des kosmologischen Gotteswirkens: Versöhnung, und zwar durch die Kreuzestat Christi (VV.19-20). Bei Johannes findet sich wieder die ursprüngliche Worthaftigkeit von protologischem und eschatologischem Heil und mit dieser dessen seinsmächtige, transverbale Dimension, an die sich der Hebräerbrief anschließt. Ausdrücklich wird bei Johannes auch von der kosmischen Finsternis gehandelt (VV.5+11), von der fundamentalontologischen Dualität der Wirklichkeit also, die einstweilen besteht, sich mit dem Sein des neuen Adams aber ihrem Ende zuneigt bis zur Erreichung des Endziels eines „neuen Himmels und einer neuen Erde" (Off.21,1). Die realistische Vergegenwärtigung der Seinsdichotomie ist kein manichäistisches Denken, sondern im Sinne des Antagonismus von Gesetz und Evangelium die negative Grundlage für die positive Seinsperspektive, - die Erkenntnis der menschlichen Ausweglosigkeit Bedingung für den Erlösungsjubel. In diesem Sinne ist die kosmologische Schöpferaktivität des Herrn typisches, lebendiges Gemeingut der jungen biblischen Gemeinde, Grundbestandteil ihrer eschatologischen Gesinnung, das in doxologischen Formeln umhergereicht wurde, wissend, dass in und mit Christus die ewige Wiederkehr des Gleichen und seine philosophischen Abstraktionen, daneben das deprimierende Gesetz, ultimativ zu Ende gekommen sind und stattdessen wirkliche Geschichte eingetreten ist dramatisch, zur Entscheidung nötigend, bedrohlich für Leib und Leben, aber gleichzeitig bis zur Überfülle ausgestattet mit der besten aller möglichen Perspektiven. 19

19

In den moralischen Verweisen hierauf, im Gegensatz zu einem sich selbst in dem Moment ad absurdum führenden Christentum, wo alle „Christen" heißen, besteht das bleibende Verdienst Kierkegaards, allerdings auch seine gravierende Schwach-

78

Die Agape als Grund des originalen Seins

Gleichermaßen akzentuiert werden bei Paulus wie bei Johannes die urzeitliche wie die endzeitliche Komponente, wobei die Zwischenzeit des gestörten Gottesverhältnisses zwischen Fall und Gesetzgebung im Hintergrund verbleibt. Sie wird nicht näher behandelt, wohl aber gesehen, so dass die eulogische Aussage einschränkungslos aufrecht erhalten werden kann. Wir könnten sagen: Gerade weil in der Schrift soviel die Rede ist vom Unheil des Menschen, von seinem Versagen und seiner schieren Hoffnungslosigkeit, wird an diesen Stellen das triumphalistische Moment eintrübungslos hochgehalten. Alles wird ohne jeden Zweifel und ohne jedes Residuum in Christus, der die vollen Kosten getragen hat, zurechtgebracht, so wie es in ihm schon erbracht wurde, gerade angesichts dem Unleugbaren, nämlich der Abirrung des Seins aus seiner Schutz- und Heilssphäre. Kein weltlicher Abfall, so macht das Wort Gottes deutlich, kann den Heilsfeldzug Gottes durchkreuzen, vielmehr wird jeder Abfall durchkreuzt vom Nachdruck seiner Gnade. Dabei bleibt in jedem Falle, im Positiven wie im Negativen, die unverrückbare ontologische Relation existent, die auch im status corruptionis eine konstruktive ist, so dass im Hebräerbrief gesagt werden kann, dass er „alle Dinge trägt durch das Wort seiner Kraft" (Heb.1,3). Auch hier findet sich das grundsätzliche Schema: Präexistenz des Erwählten Existenz - Postexistenz im Heiligen Geist als die die Kirche zu determinierende Originalkraft Gottes. Auch hier haben wir es zu tun mit der neutestamentlichen Spezifik der Verbindung von soteriologischem und kosmischem Christusgeschehen. Seine nachdrückliche ekklesiologische Erweiterung erhält das kosmologische Thema besonders eindrücklich im Epheserbrief (Kap.l). Schon jetzt erfährt die Kirche das Heil in Christus als ultimativen Wendepunkt der Seinsgeschichte. Durch sie als gewissermaßen Katalysator verwirklicht sich die Hauptschaft Christi über das All. Die Gemeinde ist somit „aufgerufen, ihren Standort im Kosmos zu sehen", 2 0 um demutsvoll mit ihrer Würde auch ihre Verantwortung zu begreifen und zu ergreifen. Fraglos interessant ist freilich die protologische Erwählungstatsache auch der Gemeinde (Eph.1,4), ohne dass daraus aber (wie etwa bei stelle, indem dieser Weg in Absehung aller Strukturfragen der christlichen Sache als bloße Nachfolgekonsequenz des Einzelnen behandelt wird; vgl. a.a.O. 20

Wolfgang Beinert, a.a.O., 40.

Das Konzept christlicher Ganzhaftigkeit

79

Barth) theologisch Gravierendes abzuleiten sei. Als einigermaßen unklar muss auch der vielfältige, gewiss jeweils spezifische Gebrauch der Präpositionalkonstruktionen seriöserweise eingestanden werden, 21 die aber insgesamt die Bezogenheit alles Seins auf Christus signalisieren. Gesagt werden will, dass darum, weil er ursächlich für die Existenz aller Dinge ist, alle Dinge auch in ihm und durch ihn gehalten bleiben, dass sie, ihm zugeordnet, niemals gänzlich verloren gehen, sondern um seiner Majestät willen ewige Rettung zu finden bestimmt sind.

5. Das Konzept christlicher Ganzhaftigkeit Die christliche Botschaft ist somit einzigartiger Garant nicht nur der Integrität, sondern auch der Einheit der Schöpfung im Sinne der antikmittelalterlichen Idee der Unwersitas. Die Betonung liegt bei dieser noch auf der sapientia als Zugangs weg zum Sein und verbindet, wenngleich in unvollkommener Weise, kosmologische, anthropologische und theologisch-kirchliche Positionen. In der Folge entwickelt sich sukzessive die positivistische Aufteilung des Kosmos in Fachdisziplinen und isoliert im Verbund mit dem Gedankengut der Aufklärung mehr und mehr den Menschen selbst als erkennendes Subjekt. Alleine steht er schließlich da, überfordert mit der Aufgabe, nun aufgrund eigener Welterkenntnis über den Sinn seiner selbst definitive Aussagen treffen zu sollen. Trotzdem das Problem gegenwärtig wieder gesehen wird, leidet insbesondere die christliche Lehre heute unvermindert mit ihrem kosmologischen Defizit am Fehlen einer überzeugenden integrativen Universal· oder auch nur Globalperspektive. Zu Behebung dieses Mangels benötigen wir den universellen - niemals konfessionellen - Paulinismus der Bibel als Erkenntnisbasis einerseits und seine ekklesiale Zuspitzung andererseits, um auch die Praxis christlicher Seinseinheit einer genau danach Ausschau haltenden Welt zu demonstrieren. Den systematischen-theologischen Ausgangspunkt hierfür bietet Pauli Sichtweise des Christus präsens, der sein Werk vollbracht und aufgefahren zum Himmel, nun in der Kraft des Heiligen Geistes sein Werk auch auswirken will bis zur Einbringung der „Vollzahl der Heiden" (Rö.11,25). In

21

S. ebd., 38.

80

Die Agape als Grund des originalen Seins

diesem Sinne hat Paulus ein „unverkürztes Evangelium verkündigt" (Apg.20,27ff.), in welchem der christlichen Gemeinde eine Schlüsselrolle zukommt (Kol.l,16-18; Eph.3,10-11). Die neutestamentliche Ekklesiologie bildet das Bindeglied zwischen menschlichem und kosmischem Geschick. Mit ihr als Zentrum bedient das organische, heilsgeschichtlich-dynamische Denken der Bibel Soteriologie und Kosmologie gleichermaßen und macht deutlich, dass beide nur im totus Christus22 verständlich und untrennbar zusammengehalten werden. Darum umspannt die biblische Lehre in heilsgeschichtlicher Schau harmonisch Präexistenzlehre, Christologie, Pneumatologie, Ekklesiologie und Eschatologie. Paulus verkündigt Christus „als Gekreuzigten" (1.Kor.2,2), gerade weil er derjenige ist, in dem der gesamte Kosmos seinen Ursprung und Bestand und schließlich auch seine Zukunft, sein „Sein" also hat (2.Kor.5,18). Erlösung im Sinne der Bibel meint denn auch die gesamte Schöpfung, und solche zu explizieren ist Aufgabe einer biblisch-neutestamentlichen Theologie. Indem sie den Bogen spannt von "DJ - σοφία - λόγος - Χριστός 23 muss sie entgegen dem fortschreitenden Sinnverlust der Kultur zur Sinneinheit in Christus hinführen, muss Theologie als „sinngebende Grundwissenschaft" betreiben. 24 So wird sie den Gefahren der Säkularisierung, der Fundamentalisierung wie auch der Verbürgerlichung des Christentums gleichermaßen wirksam wehren, indem sie wie den ersten so auch aus diesem heraus vollständig den zweiten und dritten Glaubensartikel erschließt, 25 indem sie ermöglicht, dass wir nicht nur Römerbrief-Christen bleiben, sondern auch Kolosser- und Epheserbrief-Christen werden. 26 22

Diese auf Augustin zurückgehende Formel (Enneratio in Psalmum, 90,2,1; MPL 37, 1159) wird uns im Weiteren begleiten, um das theologische Paradigma dessen zu fixieren, was als Sein zu explizieren sein wird; s. dazu Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, 2 1982, 603f.

23

Vgl. Otto A. Dilschneider, Das christliche Weltbild, 1951, 96f.; sowie Eduard Schweizer, Zur Herkunft der Präexistenzvorstellung bei Paulus, 1963,105-121.

24

Otto A. Dilschneider, a.a.O., 145.

25

Vgl. Paul Schütz, Anm. a.a.O.

26

Vgl. Dilschneider, der uns ähnlich Paul Schütz (a.a.O.) zu einer ontologisch ausgewogenen und vollständigen Theologie aller Glaubensartikel mahnt und das in seiner Tragweite viel zu selten Erkannte zum Ausdruck bringt, dass wohl „kein qualitativer Unterschied zwischen dem Worte Gottes und der Lehre der Reformatoren" besteht, jedoch auch „keine quantitative Deckung" (Das christliche Weltbild, 1951, 120), dass wir es also in der protestantischen Tradition mit einem „verkürzten Paulinis-

Das Autonomieproblem

81

6. Das Autonomieproblem Damit ist auch das Autonomieproblem des Seins christlich und gleichzeitig säkular gelüftet. Indem alles, was ist, in Gottes Geltungsbereich steht, ist in diesem Geltungsbereich auch die Weltlichkeit der Dinge garantiert, jedes anderweitige Autonomiestreben aber zu seiner eigenen Konterkarierung verurteilt. Sein außerhalb dieses Geltungsbereichs kann kein Sein im eigentlichen Sinne mehr sein. Es ist Un-Sein, Gegensein, wie denn auch der Satan nicht der Mitspieler, sondern der Gegenspieler Gottes ist, der Seinsvernichter (s. Joh.8,44). Verkrampft in der aussichtslosen Selbstbehauptung Gott gegenüber aber kann kein Sein seine inhärenten Potentiale frei und ungezwungen entfalten. Die christozentrische Theonomie des Seins hingegen hebt die Eigenwertigkeit der Welt nicht auf, sondern ermöglicht sie erst. 27 Um seines Reiches willen sind wir geradezu gefordert, mit unseren geschöpflichen „Pfunden zu wuchern" (Lk.19,11-27). Die Verherrlichung seiner Schöpfertätigkeit besteht am Ende darin, dass wir all das leben und sind, was Gott in uns hineingelegt hat. Aus diesem Grund ist tatsächlich auch die christliche Attacke auf die mündig gewordene Welt „sinnlos, unvornehm und unchristlich", 28 solange diese Attacke nicht zuerst und gründlich auf das eigene Haus gerichtet wird. „Es ist Zeit, dass das Gericht anfange - am Hause Gottes" (l.Pt.4,17), damit in Christus echte „Weltlichkeit" ersichtlich wird. Die Kirche ist nicht der moralische Zeigefinger für die Welt, sondern Vorbild deren tatsächlichen Möglichkeiten - in Fragen der Erkenntnis wie des Seins. Die tatsächlich nachfolgende Kirche ist das „Salz der Erde" (Mt.5,13), das die irdischen Ele-

mus" (15) zu tun haben, der insbesondere in seiner heilsindividualistischen Engführung der universalen Perspektive des Apostels auch nicht ansatzweise entspricht, wie freilich auch jede vorreformatorische Theologie demgegenüber auf der Strecke geblieben ist (s.u.). Gar nicht ernst genug kann darum die Aussage bedacht werden: „Paulus ist und bleibt immer noch größer als Augustin und Luther. Darum geht dieser bedeutendste Apostel weder im Augustinismus noch im Luthertum auf" (19). 27

So zu Recht Wolfgang Beinert in: Christus und der Kosmos, 1974, 105; vgl. hierzu auch Emil Brunners Argumentation gegen den monistischen Seinsbegriff in Dogmatik 1, "1972, 163ff. sowie ders., Christentum und Kultur, 1979, 159ff. Der Aspekt der Welt-Eigenwirklichkeit als apologetisches Thema durchzieht besonders auch die Schriften von Francis Schaeffer - etwa: Preisgabe der Vernunft, 1985.

28

Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung,

17

2002,172.

82

Die Agape als Grund des originalen Seins

mente recht würzt und befruchtet, damit auch wir selber auf gesundem Boden gedeihen. Lebenswichtig für jeden auf irdischem Gefilde stehenden Menschen ist in diesem Sinne seine Gesamtverhaftung im Verbund aller von Gott geschaffenen Dinge, sein umfassender Seinsbezug. Solcher aber ist nur auf dem christlichen Weg des Evangeliums und seiner seinsheilenden und -ordnenden Wirkung konstruktiv und dauerhaft erfüllend ermöglicht. Das „Sein für andere" 2 9 gibt es nur unter dem Kreuz des Herrn allen Seins.

7. Das Sein Gottes / Die Agape als die Wirklichkeit Gottes Über Gottes Sein selbst ist kaum eine Aussage möglich, schlicht darum, weil Gott uns darüber nicht näher aufgeklärt hat, so dass er auch kein Bildnis seiner selbst wünscht (Dtn.5,8). „Gott ist Geist", sagt die Schrift (Joh.4,24). Als solcher aber wohnt er „in einem unzudringlichen Lichte" (l.Tim.6,16). Gott als „Wesen" ist „kein Gegenstand unserer Erkenntnis". 3 0 Er ist somit auch kein Gegenstand der Ontologie. Wir lehnen darum den Seinsbegriff für die Person Gottes ab31 - nicht nur wegen dessen analogieloser Unterschiedenheit, sondern auch, weil er eben jene - wie auch immer geartete - Personalität Gottes beschädigt, die als solche wiederum vom Wort Gottes durchweg bezeugt wird. 32 Wir hal-

29

Ebd., 204f.

30

Paul Althaus, Die christliche Wahrheit, 51959, 263.

31

S. besonders Tillich, bei dem Gott als das „Sein-Selbst" erscheint bzw., weniger problematisch, als die „Macht des Seins" oder als „Grund des Seins"; ST 1, 8 1987, 273ff. Zugunsten einer klaren Abgrenzung von Schöpfer und Schöpfung möchten wir selbst lieber von „Herrn des Seins" sprechen.

32

Indem bei Tillich Gott selbst auf die Ebene des Seins rückt, gerät mit der Gotteslehre auch die eines Seinsgrundes und damit die Fundamentalontologie unweigerlich in den Geruch des Unchristlichen. Unbezweifelbar auf der Ebene des Seins ist Gott in Jesus erschienen. Dessen muss aber unbeschadet bleiben, dass Gott außerhalb des Seins gedacht werden muss, „seiend" vor allem Sein und auch vor allem Seinsgrund. Hier gerät die menschliche Imaginations- und Sprachkraft freilich an ihre Grenzen, bezüglich derer uns die Schrift allerdings auch niemals mit Illusionen versorgt. Gott ist ganz anders als alles, was wir mit den Kategorien „seiend" oder „Sein" zu ontologisieren vermögen. Er ist deswegen auch nur in Bruchstücken beschreibbar. Sehen und erfassen, wie Gott wirklich in Gänze „ist", bleibt uns trotz

Das Sein Gottes

83

ten uns mit Pascal an die biblische Rede vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. 33 Das „Sein des Seienden", wie wir es hier verstehen, endet mit dem Tod, dort wo das „Sein" Gottes als die causa prima erst beginnt. Auch sehen wir den göttlichen Seinsgrund nicht als ein Mittleres zwischen Gott und Sein an, sondern als das Wesen Gottes im und dieses fundamentierend - „unter" dem Sein. Das Wesen Gottes selbst nun ist - als heilsstiftendes - sehr wohl Gegenstand unserer Erkenntnis. Gottes Sein ist uns zugänglich in Bezug auf die Kreatur und ist diesbezüglich als Liebe umso eindeutiger geoffenbart. „Gott liebt das Sein" 34 und seine Liebe ist, wie wir gesehen haben, in prälogischer wie in logischer Hinsicht Jesus Christus. Theologische Ontologie muss von daher heilsökonomisch betrachtete ChristoOntologie sein35 als Ausfluss des Wesens Gottes und Fundament dessen, was ontologisch irgend empirisch qualifizierbar ist. Gottes Sein ist aus des Menschen Sicht das tragende Prinzip, das uns als „Logos" vorgestellt, als Liebe konkretisiert und in dem allein das on verständlich ist. Das Wesen Gottes wird biblisch nicht nur explizit als seine Liebe bestimmt (l.Joh.4,8), 36 sondern seine Gesamtoffenbarung als dem Menseiner Selbstdarbietung, seiner wesenhaften Komplettoffenbarung in Christus für diese Zeit versagt (vgl. Ex.33,19-23). 33

Blaise Pascal, Gedanken, 1978,14f.

34

Wolfgang Trillhaas, Dogmatik, 1962,159.

35

S. in der Deutung Karl Barths: Gert Hummel, Theologische Anthropologie und die Wirklichkeit der Psyche, 1972, 25ff.

36

Karl Barth hat zu Recht darauf hingewiesen, dass l.Joh.4,8 in seinem Textzusammenhang gewürdigt werden muss, sprich: Gottes Liebe-Sein mit seinem Liebe-Tun (KD II/l, 309). Dennoch muss mit Pannenberg, Regin Prenter folgend (ST 1, 1988, 458f.), festgehalten werden, dass die johanneische Auslassung von ontologischem Charakter ist, nicht von „personalem" (so Barth, a.a.O., 321). Die Spannung zwischen beiden ist bei Barth dialektisch in der gewohnten Klugheit, aber dennoch schriftwidrig aufgelöst. Gott als „der Liebende" aufgefasst, birgt in der Tat „ein neutrisches Superlativ in sich" (a.a.O.), das weder Gott noch der Liebe voll gerecht wird. Keinerlei Widerspruch besteht hingegen zwischen dem Ontologischen und dem Personalen der Liebe Gottes, wenn wir zwischen beiden im Sinne der Schöpfungsmittlerschaft die Lehre vom Liebeslogos Gottes als Seinsgrund einflechten. Gott ist in biblischer Sicht ohne Frage ein Wesen nicht von höchster Aktualität, sondern von höchster Personalität. Er ist nicht der Horizont, er ist der Herr über Himmel und Erde. Brunner spricht von Gott als dem „seinssetzenden Sein" des „unbedingten Herrn" (s. Dogmatik 1, 41972, 140ff.). Und er ist als der Herr der Vater seiner

84

Die Agape als Grund des originalen Seins

sehen wohlgesonnener Herr aller Geschichte, sein kreatives, sein sorgendes, sein sich verzehrendes, sein bis zur Opferung seines Sohnes selbstloses Gebaren erweist ihn als „den Liebenden" (Barth) - so kraftvoll, so konsequent, so überzeugend und so gewinnend, dass auch all seine übrigen Merkmale, seine „Eigenschaften" erst aus seinem Liebeswesen heraus recht verständlich werden. Freilich sind auch die Aussagen über die Eigenschaften Gottes ontologische,37 wobei wir diese „durchweg als Eigenschaften seiner Liebe" zu verstehen haben, als „konkrete Aspekte der Wirklichkeit der göttlichen Liebe". 38 „Das Offenbarwerden Gottes ist ... identisch mit der Selbsterschließung der Liebe Gottes". 39 Darum gilt auch als theologischer Grundsatz: „Von Gott reden, das heißt von der Offenbarung seiner Liebe reden." 40 Oder mit Jüngel: „Gottes Sein zu erzählen, kann und darf nichts anderes bedeuten, als Gottes Liebe zu erzählen."41 Die Intensität der Liebe Gottes ist derart, dass Gott nicht anders kann, als mit seinem Liebeswesen Kinder. Sofern von ihm - ontologisierend - ein Wesenszug ausgesagt wird, ist dieser aber eindeutig der seiner Liebe, seiner Agape und diese wiederum, in Christus Person geworden, wird als Pneuma wieder so sehr fundamentalontologisches Prinzip, wie sie es schon bei Schöpfungsbeginn gewesen ist. Darum verkürzen wir die Gotteslehre um ein wesentliches Teil, wenn wir zugunsten der Personalität auch des Geistes nicht gleichermaßen seine apersonale Dimension festhalten und dem Anthropologischen zuordnen als eben dessen Seinsgrundlage. 37

Vgl. Regin Prenter, Der Gott, der Liebe ist, 1971, dessen Hinweis trotz des Gesagten richtig ist, dass die Eliminierung jeder ontologischen Komponente aus der Gotteslehre deren Remythologisierung bedeuten würde, dass in der Konsequenz dann Gott „ein Seiendes unter anderem Seienden" wäre (409). Richtig und noch zu untermauern ist auch die Aussage: „Falls Gott Liebe ist, kann man sein Sein nur in der Liebe ergreifen, d.h. wenn man selbst mit Christus in das Sein Gottes hineingenommen worden ist" (410). Man könnte erwägen, von Gott zu reden als dem göttlichen „Willen zum Sein", aber auch damit würden wir uns vergehen an der Ungreifbarkeit Gottes. Wir würden uns ein „Bildnis" nach unseren Vorstellungen und Begrifflichkeiten machen. Eine noch immer interessante Verknüpfung des personalen und des ontologischen Aspektes der Gotteslehre findet sich bei Fr. R. Frank, der von der „absoluten Persönlichkeit" Gottes spricht, was bedeutet, dass gerade vor dem Hintergrund seiner Absolutheit und seines Ansichseins sich Gottes Verstehbarkeit als Liebe ergibt (System der christlichen Wahrheit I, 1878, zit. nach Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990,122).

38

Wolfhart Pannenberg, ST 1,1988, 466.

39

Walter Künneth, Glauben an Jesus?, 1962, 233.

40

Ebd.

41

Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 1977, 429.

Die Agape als die Wirklichkeit Gottes

85

das außer ihm Seiende unbedingt umfangen, erfreuen und wie selbstverständlich eben auch vor seiner drohenden Vernichtung retten zu wollen. Alles Gute möchte Gott uns zukommen lassen. „Die sich selbst erschließende Liebe Gottes meint nicht eine Teilerkenntnis, sondern umschreibt ein universales Verhalten Gottes zur gesamten Wirklichkeit." 42 Das Erhabene, allein seiner Göttlichkeit mögliche und adäquate besteht darin, dass Gott auch in seinem Streit mit dem Widergöttlichen, dem Lieblosen, dem Bösen so sehr seiner Liebe zu vertrauen imstande ist, so sehr sich als dem Liebenden treu bleibt, dass er auch die Durchsetzung seiner legitimen Schöpferinteressen nicht anders als durch Liebeserweise betreibt mit allen damit verbundenen Leidenskonsequenzen.43 Es gehört zu den tiefsten Geheimnissen seiner Liebe, dass abgründigste Untreue deren mächtigsten Beweis erbringen musste.

42

Walter Künneth, a.a.O., 234.

43

Vgl. u. die Ausführungen zum „Problem des Agonalen",

II. Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen 1. Der fundamentalontologische Schock und seine fundamentalpsychologischen Konsequenzen 1.1 Das Seins-Desaster / Der Fall aus dem Seinsgrund-Wort Gottes / Der Seins-Zerfall / Das „neue Sein" des Menschen / Das fundamentalontologische Problem Die Bibel lehrt - zurückhaltend aber doch klar - die katastrophische Veränderung der ursprünglichen Seinskomplexität hin zu einer deformierten Seinssituation insbesondere des Menschen. Die ontischen Einzelheiten dieser Veränderung bleiben uns verborgen. Deutlich aber macht die Geschichte vom „Sündenfall" das Verhängnis, dass der Mensch frühzeitig durch Ungehorsam aus der Bergung Gottes herausfällt und sich somit eine Seinsweise zuzieht, die der Bejahung durch den mit Seinsdepravierung keine Kompromisse eingehen wollenden Schöpfer entbehrt. Die Missachtung des Instruktionswortes Gottes führt zum Fall aus Gottes Konstruktionswort. Dieser selbstverschuldete Abstieg aus der bewahrenden Liebe Gottes geschieht als Verführung der menschlichen Vernunft, die verleitet wird, das Vertrauen in die grenzenlose Vatergüte fahren zu lassen. Begehrlichkeiten reflektierend und ihnen schließlich nachgebend, will der Mensch selbst sein wie Gott und überschreitet somit seine ihm als Mensch gesetzte Grenze. Er verlässt jene liebende Behütung, die ihm bislang in jeder Weise sein Gehalten-Sein in des Vaters Weisheit kommunizierte, hinein in den Bereich einer neuen, katastrophalen Wahrheit, in die er alles Sein mit hinabzieht. War der Mensch vorher als Abbild Gottes bevollmächtigtes Subjekt der Seinsgestaltung (Gen.1,28), Herr seines eigenen Hauses sozusagen, wird er nun gewissermaßen zum Gast degradiert einer ihm aus den

Der fundamentalontologische Schock

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Händen geglittenen, übermächtig und unberechenbar auf ihn wirkenden Seinsgewalt, aus deren, keiner höheren Rationalität mehr verpflichtet scheinenden Gunst oder Missgunst heraus er und das um ihn Seiende willkürliche Lebensgaben oder -bürden empfangen. Er stürzt um die Analogie des Kosmologischen zu bemühen (die vielleicht mehr sein mag als eine Analogie) - in einen ewig großen, kalten, stummen Raum, der ihm unmittelbar das Ephemere seiner winzigen Existenz demonstriert. 1 So hat der Mensch trotz idealer Bedingungen versagt und seine paradiesischen Zustände verspielt. Wider alle Vernunft hat er sich auf einen Herrschaftswechsel eingelassen, als er dem Wort des Gegenspielers geglaubt hat, das den Schöpfer alles Guten zum Lügner stempelte. So hat er leichtfertig seine Heilswirklichkeit preisgegeben, indem er sie wegen ein paar falscher Versprechungen eingetauscht hat gegen die verderbliche, die Todeswirklichkeit seines neuen Herrn. Hier nun setzt die aktuelle Problematik des natürlichen Menschen und seiner Verhältnisse ein, die Seinsweise der Fragilität. Im Gehorsam gegen die Autorität des Feindes Gottes verursacht der Mensch den Verlust seiner Heiligkeit und mit dieser den Verlust der Liebe Gottes als seiner ontologischen Grundkraft. Er verliert das seinstragende Wort Gottes - nicht als einer ontologischen Abstraktion, sondern als seinen ontischen Untergrund, der ihm sicheren Schutz, konkreten Trost und jede praktische Hilfestellung garantierte. Damit ist der Mensch und mit ihm die gesamte bis dato vollkommene Seinskonstruktion infolge menschlicher Hybris in eine Situation elementarer Instabilität geraten. Das neue Sein ist ein haltloses, desorientiertes, bedingt dadurch, dass diesem Sein die die Dinge konstruktiv aufeinander hinordnende Grundlage fehlt. Bodenlos ist der Mensch geworden, unruhig und hilflos nach der verlorengegangenen Sicherheit suchend, sich mühend um das einigende Prinzip, das ihm eine heile Existenz gewähren würde. 2 Homo „sapiens" ist damit der Mensch unter seinem originalen Niveau - seines ethischen aufgrund seines ontologischen. Der gefallene

1

Sehr schön Karl Jaspers: „Das Schweigen des Kosmos ist das Ende, das irgendwann bevorsteht." Von der Wahrheit, 3 1983,173.

2

Einzigartig eindringlich und scharfsichtig - weit mehr noch als bei Augustin - ist diese Grundbefindlichkeit des Menschen durch Pascal beschrieben worden, dessen Lösung der „Seinsfrage" allerdings vollständig individualistische bis mystische Züge trägt; s. Gedanken, 1978, 141-147.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

Mensch ist, wie Heidegger sagt, im „Unzuhause", 3 sich mehr oder minder bewusst, dass er elementar der Liebe, der Bejahung durch den Vater allen Seins verlustig gegangen ist. Nun selbst ins Zentrum des Weltgeschehens gerückt, ist der Mensch seine eigene Grundlage geworden, gezwungen, in Bezug auf sich die ursprüngliche Fürsorge Gottes selbst übernehmen zu müssen. Er ist in diesem Sinne „geworden wie Gott" (Gen.3,22). So ist die postlapsarische Situation oder besser Position des Menschen eine außerhalb der schützenden und sinnstiftenden Ummantelung durch Gottes Urwort. 4 Das geschöpfliche Sein ist ein grundloses geworden, ein sozusagen in der Luft hängendes, dort zappelndes. „Das Weltalter, dem der Grund ausbleibt, hängt im Abgrund." 5 Der Mensch steht alleine im Nichts und erlebt dort als fundamentalontologische Konstante die eigene Vergänglichkeit, die fortan sein Tun und Trachten vorbelastet. Sein Sein ist zum „Sein in Verzweiflung" geworden. 6 Nachdem das sensible Schöpfungsgleichgewicht außer- wie innermenschlich radikal gestört ist, entgleiten dem Menschen die Schöpfungsrelationen und -proportionen. Wo der Mensch im Mittelpunkt zu stehen kommt, verrückt ihm das Sein insgesamt. Darum ist sein neues Sein auch eines der Zerrissenheit und Selbstentfremdung, ein nichtidentisches Sein, leidet der Mensch nun doch auch unter dem Verlust seiner geschöpflichen Austariertheit. Die Schöpfungsexistenzialien erfahren ihre Verschiebung, die daraus entstandenen Seins-Defizite ihre Überkompensation durch den menschlichen Intellekt. 7 Mit dessen Hilfe bleibt der Mensch das nach seinem authentischen Sein fragende Wesen, unfähig jedoch, den verlorenen Zustand in der Liebe Gottes wiederherzustellen. Der Mensch, der außerhalb der Liebe Gottes seinen Fixpunkt verloren hat, ist nun der an der Ordnung seines Seins scheiternde Mensch, der Mensch, der mit sich selbst, mit seiner Umwelt und

3 4

Martin Heidegger, Sein und Zeit, 161986, 129. Im Blick auf die Frage seiner fundamentalontologischen Grundausrichtung ist Kants Sicht höchst erwägenswert vom Sein als „Position"; vgl. dazu Norbert Fischer, Gottes Sein als Position, 1981.

5

Martin Heidegger, Holzwege, GA, 71994, 270.

6

Vgl. den Klassiker Sören Kierkegaards: Die Krankheit zum Tode, 1884.

7

Zum „Zerfall der Personeinheit" des sündigen Menschen s. wiederum Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 51985, 229ff.

Das Sein zum Tode

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mit Gott nicht mehr zurechtkommt. So sehr er Qualitäten seines eigenen Seins zur Besserung seiner Situation bemüht, letztlich versinkt er so nur noch tiefer in Desintegration. Der fundamentalontologische Schock bewirkt so einen fundamentalpsychologischen. Als ein Sein außerhalb des Wortes Gottes ist das Sein nach dem Fall des Menschen nicht nur desorientiertes, instabiles, sondern auch tief verunsichertes Sein, in dem nichts mehr ist, wie es einmal war. Der Mensch ist darum bei aller verbliebenen Leistungsfähigkeit der unruhige, bei allem Erfolg doch immer wieder unzufriedene Mensch, der sich Seins-Ersatz schaffende Mensch im krampfhaften Ringen mit seiner originalen Bestimmung, 8 die ihm sein Gewissen weiterhin signalisiert. Er ist der Mensch im Zwiespalt, überfordert damit, Sollen und Sein so zu harmonisieren, dass die ursprüngliche Seinsvollkommenheit wiederhergestellt würde. Mit seiner eigenen originalen anthropologischen Konstitution zum einen, gegenüber dem expliziten Anspruch Gottes zum anderen ist er von nun an der „Mensch im Wider-Spruch" - im zunächst passiven, dann beim Versuch sich zu rechtfertigen, auch im aktiven. 9 Dabei wird auch im Zustand der Verkehrtheit der noch so „gottlose" Mensch Gott nicht wirklich los, wie entschlossen er eine konsequente Loslösung auch immer propagieren mag. In jedem Fall verbleibt das Geschöpf in einem wenngleich nun indirekten, einem „geheimen Zusammenhang mit dem Schöpfer selbst". 10

2. Das verkrümmte Sein zum Tode / Die Herrschaft des Nichts11 2.1 Rettungsversuche / Das Problem der Vernunft / Der Mensch in Angst Die Hoffnungen auf den heilsstiftenden Gebrauch eigener Kapazitäten konzentrieren sich von jeher ganz besonders auf die angesprochene 8

S. ebd., 164ff.

9

Vgl. ebd., 139ff.; Dogmatik 2, 3 1972,130ff.

10

Ders., Offenbarung und Vernunft, 21961, 419.

11

Vgl. Theodor Kobusch, „Nichts, Nichtseiendes", HWPh, Bd. 6,1987, 805-836.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

Vernunft.12 Hat er einst kraft dieser Gott bejaht, wie der ihn bejaht und ihm in dieser Bejahung in Gestalt vollkommenen Lebens seine ganze Liebe zukommen hat lassen, war die Liebe Gottes einst die Grundkonstante der Identität des Menschen, so kann er außerhalb der Liebe Gottes, dessen Zorn verspürend, nun nicht umhin, seine Vernunft egozentrisch zu gebrauchen in der Hoffnung einen Ausweg aus seiner Lage zu finden. Der Vernunft, als die formale Gottesentsprechung ursprünglich gedacht, den materialen Vertrauensinhalt der Gottesbeziehung zu kommunizieren, um im direkten und - im korrekten Umgang mit den Mitgeschöpfen indirekten - manifesten Gotteslob dem Schöpfer das ihm Gebührende zukommen zu lassen, wird nun die neue Aufgabe zugewiesen, als neues anthropologisches Zentrum den Menschen als Ganzen auf ein zufriedenstellendes Niveau zu hieven. Außerhalb der schöpfungsgemäßen communio mit Gott und der daraus folgenden Freiheit zur communio mit seinen Mitgeschöpfen versucht der auf sich gestellte Mensch mit seiner höchsten Individualqualität - münchhausenartig - denkerisch in den Schoß seines Ursprungs zurückzugelangen und seine übrige Wirklichkeit dort mit hinaufzuziehen. Genau dazu aber sind innermenschliche Potentiale nicht imstande. Die Vernunft scheitert beim Versuch der Seinsbewältigung, da ihr Instrumentarium hierfür nicht ausreichend ist, schon gar nicht in depraviertem Zustand. Gerade der auf seine Vernunft verwiesene Mensch ist in verzweifelter Lage, liefert diese ihm doch erst seine gebrochene Gotteswie auch seine gebrochene Welt- und Selbstwahrnehmung. Kraft seiner Vernunft biegt er sich einen ihm angenehmen Gott und ein ihm angenehmes Gotteswort zurecht, gerade wie er lebenslang bemüht ist, sich eine Umgebung und eine Identität zurechtzubiegen, mit der er meint, leben und - sofern einmal so weit gedacht wird - womöglich gar sterben zu können. So ist dem Menschen mit dem Verlust seines theologischen Zentrums seine komplette Weltwirklichkeit aus den Fugen geraten und ist er selbst zum philosophierenden und in unzähligen religiösen und pseudoreligiösen Varianten sich bemühenden Wesen geworden, das trotz aller Anstrengung doch immer das fragliche und das fragende bleibt, das trotz aller Idealismen seine verzweifelte Ausweglosigkeit 12

Aktuell ist freilich die Abkehr von der Vernunft zu beobachten zugunsten eines neuen Hedonismus, (vgl. l.Kor.15,32, a.a.O.).

Das Sein zum Tode

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behält. Mit dem Versuch denkerischer - in früheren Zweiten auch kombiniert mit asketischer - Recapitulatio ist anstelle des Seins in der Liebe ein Sein des Grübelns und des Sich-selber-Anstrengens getreten, das mit jedem Erfolg doch nur die Ferne des Ziels und die Beschränktheit der eigenen Möglichkeiten, sich ihm zu nähern, neu ins Bewusstsein ruft. Um sich selbst - letztlich sinnlos - kreisend, ist er damit auch der neurotische Mensch in Angst geworden. Sein Sein ist eines in Angst vor Gott und der Welt, die ihn beide zu überfordern scheinen.13 Der gefallene Mensch hat Angst vor allem, ahnend, dass er nichts wirklich gewachsen ist - seinen Entfremdungen und Zwängen nicht, seiner Freiheit von diesen womöglich noch weniger. Positiv denken möchte er, um doch immer wieder die Erfahrung zu machen, dass die Wirklichkeit nicht wirklich Positives bereit hält, dass zu positivem Denken die gefallene Kreatur keinen realen Anlass hat.14 Die Blütenträume seiner privaten wie der Menschheit kollektiven Sicherungssysteme ökonomischer, soziopolitischer und ideologischer Art sind immer neu zum Platzen bestimmt. Das Selbstverständliche indes, die Liebe zu Gott und zu den Menschen, kann der Mensch nicht mehr leisten, der nicht mehr selbst in der göttlichen Liebe gegründet ist. Darum gilt: „Die Weltangst des Menschen ist immer zugleich ein Abbild der Liebesarmut." 15 Das Sein des Menschen hat sich so im wahrsten Sinne grundlegend gewandelt - die Dankbarkeit einem sich in einer großartigen Schöpfung verschenkenden Gott gegenüber in eine innergeschöpfliche latente Dauer-Konfliktsituation, begleitet von entsprechendem Misstrauen

13

Zur „Ontologie der Angst" s. Tillich, Der Mut zum Sein, 3 1982, 33ff.

14

Darum haben die Weisen zu aller Zeit Gelassenheit gegenüber dem Unvermeidlichen und einen gesunden Pessimismus gelehrt - in prinzipieller Hinsicht insbesondere die des chinesischen Taoismus, der griechischen Stoa, der Germane Schopenhauer. Hierzu müssen wir hier freilich anmerken, dass deren Weisheit allemal nicht nur in der expliziten biblischen Weisheitsliteratur, sondern auch in vielfältig neutestamentlicher Weise - bei Jesus über Paulus bis Jakobus - vorliegt, die jedoch die Realität weder ausblenden, noch sich ihr unterwerfen, sondern, indem sie auf dem Erlösungsweg ihre reale Überwindung proklamieren, weit über die Botschaften der Positiv- wie auch der Negativdenker hinauszielen. S. auch unten das zu Wilhelm Schmid Gesagte.

15

Walter Künneth, Glauben an Jesus?, 1962,303.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

gegen den Schöpfer. 16 So ist das Dilemma des gefallenen Menschen ein zweifaches, kreislaufartiges: Seine Weltangst, seine Heimatlosigkeit aufgrund seiner Gottesentfremdung 17 und sein natürlicher Widerspruch gegen Gott aufgrund seiner Heimatlosigkeit, seiner Weltangst. Gegen einen die ursprüngliche Heiligkeit einfordernden Gott, gegen dessen demoralisierende Wahrheitshinweise, reagiert der Mensch mit Auflehnung. Er will selbst in die Wahrheit hineinfinden, pendelt dabei von einem Extrem ins andere. 18 Seine Verhältnisse fundamental zu korrigieren, ist der Mensch nicht imstande. Er ist nicht imstande, für sein eigenes Heil zu sorgen, kann nicht von sich aus in seinen tragenden Grund zurückkehren. Er kann nicht verhindern, dass er darum vergeht. In seiner Verzweiflungssituation wendet sich der Mensch schließlich von Gott ab, erkennend, dass er dessen Ansprüchen nicht zu genügen vermag. Der Mensch im gestörten Gottesverhältnis ist natürlicherweise ungläubig, genauer: gottesleugnend, damit aber geneigt, zu einem anderen Stützpunkt, zu einem goldenen Kalb Zuflucht zu nehmen. Er wehrt sich gegen Gottes vermeintliche Bevormundung, obwohl er genau das erlangen möchte, was Gott ihm bereitet hat, die Rückkehr in den Grund seines Seins auf dem Weg - theologisch gesprochen - christozentrischen Gottvertrauens. Als selbstmächtige Alternative dazu versucht der Mensch umso hartnäckiger seine Selbstverewigung mittels seiner „wissenschaftlich" idealisierten, im Sinne seiner ontologischen Trotzhaltung aber instrumentalisierten Vernunft. Systematisch aufgefächert in für die jeweiligen Seinsbereiche oberst zuständige Disziplinen und so in den Rang höchster seinsstiftender Instanz befördert, erhält diese ein quasi-göttliches

16

...wobei wir wohl sehen, dass die Weltwirklichkeit nicht ausschließlich die Darwinsche Beobachtung vom Hauen und Stechen, jeder gegen jeden, bestätigt, sondern sehr wohl auch natürliche Kooperation, Solidarität, Freundschaft und nicht zuletzt auch zahllose Spielarten der Liebe repräsentiert.

17

Vgl. dazu Martin Heidegger, Über den Humanismus, 102000, 30ff.

18

Fundamentaltheologischerseits wird dies greifbar gerade im Umgang mit Gottes Wahrheitshinweisen, wo das Pendel fröhlich zwischen deren Leugnung und ihrer Verabsolutierung schwingt. Die Leugnung untergräbt sich selbst die einzige Möglichkeit, der Wahrheit Gottes sich wieder anzunähern. Die Hochstilisierung der Wahrheitshinweise zur Sache selbst ist jedoch nicht besser, weil im frommen Widerspruch gegen Gottes Wahrheit, dieselbe nur noch weiter verdunkelt wird. S. dazu unseren Exkurs zur Skriptologie.

Das Sein zum Tode

93

Mandat. Vor den Seinsmöglichkeiten des Logos Gottes aber ist das natürliche B e m ü h e n der Vernunft der heimliche, renitente Versuch, in eben jene „ L o g i e " wieder zurückzugelangen, aus der die menschliche Renitenz sich einstmals verabschiedet hat. Die Varianten solcher - nicht nur wissenschaftlich begriffener

-

Versuche sind Legion. 1 9 Auf jeglichem Erkenntnisweg versucht der Mensch mit Leidenschaft zurückzuerobern, was ihm die Liebe Gottes einstmals ohne alles Zutun geschenkweise beschert hat. Dabei ist die Liebe ohne Frage eng mit der Erkenntnis verschränkt, w a s schon durch das hebräische 8 a d f y ausgesagt wird. Sie ist das bejahende Erfassen, wie die Dinge wirklich sind, das Begreifen ihrer Integrität und Vollständigkeit, das mit d e m Sein des Anderen Vertrautwerden durch innigste Mitfühlung, durch Einswerdung. Das Missverständnis des natürlichen Menschen besteht aber darin zu meinen, mittels lieb-loser Erkenntnis die fehlenden Vervollkommnungen erlangen zu können, auf dem W e g des Eros also realisieren zu können, w a s Gott als Erweis seiner Güte sich selbst vorbehalten hat und vorbehält. Der Seinsbegriff ist von Beginn an „von seiner in der Tat fundamentalen Relation zur Erkenntnis her bestimmt". 2 0 Die Erkenntnis, wie sie dem Menschen möglich ist, aber schafft kein heiles Sein - allenfalls im behelfsmäßigen Sinne. Die Liebe schafft dieses und mit diesem auch die ontologische Grundlage seinsbewahrender Erkenntnis.

19

Um an diesem Punkt dem Verdacht religiös motivierten Defätismus' zu wehren, dürfte es erlaubt sein, Albert Einstein anzuführen: „Alles, was von den Menschen getan und erdacht wird, gilt der Befriedigung gefühlter Bedürfnisse sowie der Stillung von Schmerzen. Dies muß man sich immer vor Augen halten, wenn man geistige Bewegungen und ihre Entwicklung verstehen will. Denn Fühlen und Sehnen sind der Motor alles menschlichen Strebens und Erzeugens, mag sich uns letzteres auch noch so erhaben darstellen" (Mein Weltbild, 1955, 16). Dem Anspruch, so nur die Ausgangslage realistisch einzuschätzen, widerspricht nicht, umgekehrt die Perspektive eines metaphysischen Telos als höchsten positiven Grund der Erkenntnisbemühung zu begreifen, wie denn auch Einstein in der Tradition seiner großen Vorgänger „die kosmische Religiosität" als „die stärkste und edelste Triebfeder wissenschaftlicher Forschung" betrachtet (ebd, 20).

20

Helmut Kuhn, „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 27.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

2.2 Der verkehrte Mensch als Knecht seines Unglaubens / Das Problem der Vernunft (Fortsetzung) Der Mensch, der außerhalb des Liebeslogos Gottes seiner originalen Rechtschaffenheit entbehrt, agiert auch nicht wie von Gott vorgesehen. Er ist der „Unrechte", der „verkehrte" Mensch, der, in einer neuen Normalsituation befindlich, zu grundlegend veränderten Denk- und Handlungsweisen genötigt ist. Er ist nicht nur ein Sünder, er ist ein grundlegend anderer, wodurch er fortlaufend zum Sünder werden muss. Er ist „unter die Sünde verkauft", das heißt gezwungen, unter der Herrschaft der Sünde zu existieren. Er muss unrecht handeln, ob er will oder nicht (Rö.7,14ff.). Der Mensch ist „Knecht" seines Unglaubens, der ihm einst sein Dilemma beschert hat (Joh.8,34). Zur „normalen" Verkehrtheit des menschlichen Seins gehört in noetischer Hinsicht, dass geistliche Wahrheiten gerade im Maße ihrer Evidenz geleugnet bzw. ins Gegenteil verkehrt werden, wie umgekehrt geistlich Fragwürdiges im Maße seiner Fragwürdigkeit für tolerabel erklärt wird. Der Mensch steht nicht verkehrt, weil er verkehrt denkt, sondern er denkt verkehrt, seit er verkehrt steht, weil er als Gesamtperson samt seinem Gesamtumfeld verkehrt „ist". Weil der verkehrte Mensch auch verkehrt denkt, darum aber ist der Unglaube die durchaus „vernünftige", das heißt der Realität des Menschen entsprechende Haltung der verkehrten Vernunft, der Glaube hingegen deren „unvernünftige" Haltung, die als Christusglaube aber schließlich Gottes Vernunft entspricht und, in diese zurückgebracht, auch die Fakten Gottes erkennt. 21 Dies betrifft auch die gottesfürchtige Vernunft, die außerhalb

21

Die Frage nach der ontologischen Zuverlässigkeit der Botschaft kann seitens der Vernunft immer gestellt werden. Sie kann unter den Bedingungen letztendlicher Relativität alles Zeitlichen aber nie mit absoluter, weder Positiv- noch NegativGewissheit beantwortet werden, so dass eine Glaubensantwort gefragt bleibt. Und in der Tat, die Frage nach unserem Glauben ist es, die Gott überprüft (Lk.18,8). Da die Welt aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Rettung im geistlichen Sinne nicht selbst je wird vollbringen können, sollten wir der Möglichkeit ihrer Rettung auf dem unwahrscheinlichen Weg gegenüber nicht verschlossen sein - für den Fall zumindest, dass wir an einer theologischen Rettung der Welt interessiert sind und eine solche nicht a priori für unwissenschaftlich halten. Der christliche Glaube ist gewiss ein Glaube an das Unwahrscheinliche, vielleicht an das schlechthin Unwahrscheinliche. Als solcher aber ist er wissenschaftlich nicht schlechter begründet als irgendein kleingläubiger literarkritischer Rationalismus oder als die naive generelle Leugnung

Das Problem der Vernunft

95

ihres originalen Heilsumfeldes die Heilsinhalte nur undeutlich wahrnimmt und Mühe hat, diese nicht ihrer jeweiligen Erfahrung gemäß, etwa gesetzlich, misszuinterpretieren. Darum ist der Glaube außerhalb der Liebe Gottes stets das Ungewöhnliche, ein Geschenk Gottes, mit dem er die neuen Denkgewohnheiten des gefallenen Menschen aufsprengt, um dann auch neue Seinsgewohnheiten zu vermitteln. Erst innerhalb des wiedergebrachten Konstruktionswortes Gottes ist der Gottesglaube - wie im Urzustand - der „natürliche" Grundakt der Vernunft. Innerhalb des Liebeslogos Gottes bekommt die Vernunft dann allerdings auch ein reichhaltiges kritisches Betätigungsfeld. Der Mensch, der „Ja" gesagt hat zu dem originalen totus Christus Gottes, der kann und soll auch „Nein" sagen zu halbchristlichen, pseudochristlichen oder antichristlichen Surrogaten. Die Vernunft war darum zu keiner Zeit ein echter Feind des Christlichen oder genauer: zu keiner Zeit der Feind echten Christentums. Die Vernunft äußert sich der Existenz gemäß, weshalb rechte Existenz es ist, die unter anderem rechte Vernunft ermöglicht. Dient darum die christliche Lehre tatsächlich der Existenz, ist sie vernünftig, gerade wie vermeintliche Vernunft unvernünftig ist, wenn sie der Existenz schadet, ob man diese als Schöpfung begreift oder nicht. Nicht die Vernunft oder gar die Wissenschaft steht darum mit dem Glauben im Streit um die Wirklichkeit, sondern der Glaube mit dem Unglauben. Beide haben des Supranaturalen (vgl. a.a.O.). S. hierzu auch Pannenberg, der auch die an dieser Stelle nicht zu übersehende Rückbezüglichkeit der Glaubensfrage hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts stellt: „Daß die Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung in der Welt strittig ist, das gehört mit zur Wirklichkeit der Welt ... Die Behauptungen der christlichen Lehre erreichen die Weltwirklichkeit nicht, bleiben über ihr schweben und damit unwahr, wenn sie die Problematisierung der Wirklichkeit Gottes von der Welt her, ihre Bestreitung und die Abwendung von ihr nicht in sich aufnehmen als Infragestellung des eigenen christlichen Wahrheitsbewusstseins. Sogar noch die Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes in der Welt muss in Gott begründet sein, wenn er der Schöpfer dieser Welt sein soll. Darum darf die Darstellung der christlichen Lehre nicht von der Voraussetzung ihrer Wahrheit ausgehen, sondern muss sich - auch in ihrem Selbstverständnis (denn faktisch tut sie es ohnehin) - der Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung in der Welt stellen." ST 1, 1988, 59; vgl. auch Paul Tillich, der aufgrund dieser Verantwortlichkeit der christlichen Lehre, die Karl Barth geleugnet hatte, seine Methode der „Korrelation" entwickelt hat, vergleichbar der „Eristik" Emil Brunners, die um den „Anknüpfungspunkt" bemüht war (a.a.O.) oder auch Alexandre Ganoczys „respondierender Dogmatik"; Einführung in die Dogmatik, 1983, 151ff.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

ihre eigene „Vernunft". Der Glaube aber will sich beweisen und kann dies - mehr als jedes noch so vernünftig ausgefeilte ungläubige Theorem. Die christliche Lehre sagt aus, dass Gott die gewinnende Macht des Ursprünglichen sehr wohl bewiesen hat und nennt dies die „Offenbarung" seiner Liebe. 22 2.3 Des Menschen neue Welt / Des Menschen Werk / Die neuen Ideale Zu den kardinalen Trugschlüssen des verkehrten Menschen gehört als der vielleicht gravierendste mittels eigener Leistung seine Situation maßgeblich berichtigen zu können. Dies funktioniert, sofern überhaupt, nur an der äußersten Oberfläche, indem die Seinsweise des Habens verstärkt wird. Seine existenzielle Verlorenheit wird dem Menschen subjektiv erträglich, soweit ihm durch allerlei Tätigkeit zumindest die allernötigste materielle resp. mentale Selbststabilisierung gelingt - ein fundamentalontologisches Aha-Erlebnis, das sich, einmal initiiert, sogleich zu einer psychologisch irreversiblen Grundeinstellung wird. Je mehr an Gütern, nicht nur materiellen, auch geistigen freilich, je mehr an Besitz, an Anerkennung, an Einflussmöglichkeiten der Mensch sich sichern kann, desto gefestigter empfindet er seine eigene Existenz. Dabei wird die Irrigkeit der materialistischen Gleichung schon dadurch evident, dass die einmal in Gang gesetzte Güterspirale sich in aller Regel unaufhörlich weiterdreht und den Menschen gerade nicht in die Freiheit selbstbestimmten Seins entlässt. 23 - Eine Binsenwahrheit eigentlich, die aber angesichts der Tatsache, dass sie in der westlichen Zivilisation gleichsam drogenartige Faszination entwickelt und längst schon nahezu alle Zivilisation infiziert hat, umso kritischer reflektiert werden müsste, als sie nur noch vergleichsweise selten echte Gegenentwürfe hervorbringt. Wie auch? - wenn die vorgeblichen Sachzwänge - die der Märkte - den Menschen als soziales Wesen mehr und mehr in Frage stellen und alle Courage untergraben, sich gerade nicht einer Rädchenrolle zu fügen. Die Faktizität der gesellschaftlich geforderten Selbst-Aufplusterung karikiert in besonders perfider Weise die Stellung des Menschen als gestaltendes Seins-Subjekt, die ihm in 22

Vgl. Anm. a.a.O.

23

... abgesehen davon, dass der on tische Vorrat kein schrankenloses Wachstum erlaubt.

Des Menschen neue Welt

97

Eden noch zugesprochen worden war (Gen. 1,28). So sind Leistung und Erfolg, die Macht und Reichtum versprechen, nicht nur - weltweit - die wirksamsten Opiate, um die Illusion gelungenen Seins zu erwecken, sie sind im Triumphzug der materialistischen Ideologie auch die denkbar härtesten Zwangsmechanismen für jeden, der ihnen nicht gehorchen und trotzdem gerne überleben möchte. Auch in dieser Hinsicht ist der sich selbst entfremdete Mensch zum Sklaven seiner Fehlorientierung, seiner Zielverfehlung geworden. Immerhin aber lenken seine vielfältigen Projekte, in die er seine Kräfte investiert, ihn von seiner Grundangst ab, einstmals nackt und bloß, mit leeren Händen wo auch immer hin zu treten. In seinen Hinterlassenschaften wähnt er zudem eine gewisse ontische Kontinuität seiner selbst. Seine - im weitesten Sinne - „Arbeit" ist darum die wirksamste Schutzvorrichtung des Menschen gegen die Verzweiflung über der elementaren Zerrüttetheit seines Seins. Sie ist sein wirksamster Kompensationsmechanismus überhaupt, indem sie minimalste reale, dafür beträchtliche psychologische Gegensteuerung gegen den individuellen Verfallsprozess bewirkt. Des Menschen Werk-Tätigkeit verleiht ihm zumindest das Gefühl produktiv unterwegs, zum Aufbau irgend einer Sache nötig zu sein, am Ende etwas „geschafft" zu haben. Ansonsten würde und - wie man weiß - wird ihm nur allzu leicht seine Not in größerem, wenngleich trotzdem nicht in vollem Umfang gewahr. 24 Ist aber das Sein selbst schon fragwürdig, so ist es unser kompensatorisches Tun erst recht. Vor dem unbestechlichen Augen des Seinsschöpfers kann keine noch so imposante menschliche Anstrengung bestehen. Keine bringt uns das verlorene Heil zurück, die Beständigkeit unserer idealen Bestimmungen. Unser Geschaffenes zerrinnt einfacher, als es entstand, und die Erinnerung an uns verblasst schneller, als wir uns dies vorstellen können. Unsere Leistung beschert uns diesen und jenen Augenblickstriumph, diese und jene Befriedigung, unser politisches Engagement womöglich sogar eine als gut empfundene Gesellschaft - die doch in jedem Fall nur einen Seinskompromiss darstellt. Vor dem Licht unserer ursprünglichen Berufung sind es klei-

24

Insofern mag die Arbeit tatsächlich als ein „Segen" angesehen und begreifbar werden, was es nicht nur für sensiblere Naturen bedeutet, wenn sie ihrer Arbeit verlustig gehen. Sie werden der Konfrontation mit der Sinnlosigkeit des Natürlichen schutzlos ausgeliefert und sind mit dieser in aller Regel überfordert.

98

Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

ne, eigensinnige Ziele, die wir uns stecken, um im Augenblick derer Erreichung zu realisieren, dass auch dieses nicht ist, was wir eigentlich erstreben. So dümpelt das Sein vor sich hin, geht seinen Gang von Versuch zu Versuch, hoffend, dass irgendwie sich doch noch seine Erfüllung einstellen möge. Das Sein erreicht auf natürlichem Weg jedoch niemals sein Ziel. Nichts und niemand kann Ersatz leisten für die verlorene Seinssphäre der vollendeten Liebe Gottes. Die Suche nach tiefgreifender Geborgenheit, nach Liebe und Glück geht weiter und will nicht enden. Das erosbetriebene Sein bedarf einer Refundamentierung, die außerhalb der eigenen Möglichkeiten liegt.

2.4 Der Kampf ums Sein Die Bewusstwerdung seiner Vergänglichkeit kommt einer Traumatisierung des Menschen gleich, die in ihrer psychischen Bedeutung für das Verhältnis zu seiner Umgebung nicht ernst genug genommen werden kann. Der Mensch ist nun zum notorischen Taktierer geworden. Seine Bereitschaft ist seinen Mitmenschen genau wie Gott gegenüber immer eine zwielichtige, weil in katastrophischer Situation der Mensch gar nicht mehr anders kann, als sich den eigenen Pfründen zu widmen. Seine neue Gesinnung wirkt sich dahingehend aus, dass dem Menschen die Freiheit, von sich selbst absehen zu können, großmütig sein, bedingungslos schenken zu können, wenn nicht abgeht, so doch stark beschnitten ist. Sein neues Herz ist ein enges, kleinmütiges, von seiner neuen Natur aus nicht auf das Reich Gottes, sondern auf den eigenen Vorteil bedachtes, kleinkariertes. Die Perspektive des gefallenen Seienden ist verschoben nicht nur im Blick auf Gott, sondern auch auf das Mit-Seiende, das nun nicht mehr als Mitbeauftragtes in Sachen des Gotteslobs, sondern als Rivale empfunden wird. 25 Infolge des zerrütteten Schöpfungsgleichgewichts hinsichtlich der Schöpfungsgrundlage entbrennt so der Kampf um das verbliebene „Übrig-Sein". Dem verkehrten Menschen ist nicht das Leben selbst, das Überleben ist sein Thema geworden. Aus dem Gott widerliebenden, fraglosen Wesen ist nun das seine existenziellen Schwierigkeiten registrierende „Dornen und Disteln" (Gen.3,18), die Begrenzung der Güter nach dem

25

Vgl. Emil Brunner, Dogmatik 3 , 2 1 9 6 4 , 1 7 3 .

Der Kampf ums Sein

99

ersten Brudermord (Gen.4,12) - und mit aller Härte um den eigenen Bestand kämpfende geworden. Der Mensch ist zum Plünderer des Gartens Gottes geworden und hat seine entsprechende Gesinnung zum neuen Ideal erkoren. Wettbewerb heißt die neue Vorgabe, wo vorher Unschuld und „volle Genüge" (Joh.10,10) angesichts der Überfülle der Freundlichkeit Gottes war. Die Teilnehmer müssen nun innerhalb des Geschöpflichen Halt finden und beginnen beim verzweifelten Ringen hierum, ihren Nächsten zu belasten. 26 So ist mit dem Leistungs- auch das Konkurrenzprinzip geboren. Das Prinzip der Gerechtigkeit soll dessen gröbste Auswüchse reglementieren, soll das Allgemeinwohl gewährleisten, ohne aber dass der Mensch noch imstande wäre, in den Augen Gottes „recht" zu handeln. Was ihm bestenfalls gelingt, ist ein System des mehr oder minder fairen Interessensausgleichs. „Mit dem Fall des Menschen ist der Circulus Amoris unterbrochen und hat dem engeren Kreislauf des Gebens und Nehmens unter dem Gesetz der wechselseitigen Utilität Platz gemacht." 27 - So die euphemistische Beschreibung. Tatsächlich aber herrscht anstelle des Prinzips des aus der unbegrenzten Liebe Gottes Schöpfens und Weiterreichens nun das Gesetz des den andern Ubertrumpfens, dessen psychologische Komponente durch die Tatsache begrenzter materieller Güter noch dramatisch verschärft wird. Die Begrenztheit der menschlichen Möglichkeiten führt zu Neid und Egoismus umso mehr, als die Seinsstabilisierung in der Anhäufung von Gütern, im Haben empfunden wird, ohne dass der Mensch durch Haben etwas von seinem originalen Sein zurückerhält. 28 Was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, wenn er doch Schaden gelitten hat an seiner Seele (vgl. Mt.16,26)?

26

Beispiellos präzise und subtil hat die realexistierende fundamentalpsychologische Not- und Stresssituation Arthur Schopenhauer dargestellt, etwa in dem Abschnitt „Charakteristik des Willens zum Leben", Werke 3, 408ff., wo am Beispiel des Maulwurfs das Missverhältnis von Mühe und Ertrag des Daseins geradezu anrührend geschildert wird. Schopenhauer kann als Urvater des modernen ontologischen Realismus gelten, dessen psychologischem wie fundamentalontologischem Scharfblick aber - ähnlich Nietzsche - die noch größere, gerade auf beider Analysen der menschlichen Seinslage ideal gemünzte Schärfe des Wortes Gottes allerdings verborgen geblieben ist.

27

Kuhn, „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975,18; vgl. Scheler, a.a.O.

28

Vgl. Erich Fromm, Haben oder Sein, 1996.

100

Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

Diesen Schaden repariert wie keine Wissenschaft so auch kein Materialismus. Die Qualität des Anthropologischen folgt so der Qualität des Ontologischen. „Wird das Sein nicht verstanden, geht das Dasein in die Irre." 29 Wo die Liebe als ontologischer Grundakt fehlt, scheitert sie früher oder später auch als anthropologisches Phänomen und kann vollwirksam nicht kompensiert werden. So lebt der Mensch fortan mit sich selbst wie mit seinen Mitgeschöpfen nicht mehr in symbiotischer Harmonie sondern in innerem Verriss und äußerem Streit. Der Mensch aber, dem es vordringlich um das eigene Fortkommen geht, von einem Geschick, von dem er doch nie „fort kommt", ist der sein Leben im Grunde sinnlos zubringende, seine Lebenszeit vergeudende Mensch, der Mensch, der nie dazu durchdringt, die Aufgabe auszuführen, die ihm eigentlich zugedacht ist, die überfließende Güte seines Schöpfers zu bezeugen, die Tatsache, dass die Liebe Gottes allein „Recht hat" und nicht die selbst verantworteten Sachzwänge, die eine Geißel des Feindes sind. In diesen gefangen, produziert ein nunmehr aggressives, ausbeuterisches Sein allerlei kulturelle Sublimierung - Religion, Philosophie und Fortschritt allenthalben - , die die Erinnerung an das einstige Paradies wach halten, aber ohne Verheißung, ohne echte Chance, das Verlorene wiederzuerlangen. Das Zugang zum „Baum des Lebens" (Gen.3,24) bleibt verschlossen.

2.5 Das Sein als nichtiges Das neue Sein des Menschen wird erlebt als Sein zum Tode, der als die neue Seins-Grundkonstante allem Dasein seinen Stempel aufdrückt. 30 Unter solcher bezwingender Prägung entwickelt das Dasein sein bedrückendes Potential. Das Streben nach Sein ist darum das Urstreben der gefallenen, seinsdefizienten Schöpfung, der das essentielle Nichts droht. Dieses ist nicht ein Problem der Logik, es ist ein Problem der Existenz und es ist das fundamentalste Problem der Existenz. Des natürlichen Menschen wahres Sein ist die furchtbare Perspektive des kommenden Nichts. Das Nichts ist sein ens realissimum, die Nichtigkeit

29

Wilhelm Schmid (in Anlehnung an Heidegger), Philosophie der Lebenskunst, 1998, 43.

30

Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit,

16

1986,231ff.

Das Sein als nichtiges

101

der Dinge - diejenige Grund-Seinweise, die durch kein selbstmächtiges Tun aufgehoben werden kann. Das ist der biblische Ernst der menschlichen Situation. Das Nichts ist der gefallenen Schöpfung tiefste Wirklichkeit und es wird erkenntlich auf dem Weg der Angst, der Besorgtheit um das - hauptsächlich eigene - Sein. 31 Die Angst ist die Erfahrung

31

Anders bewertet die fundamentalontologische Frage auch Lütkehaus, der „Nichtsangst" und „Seinsgier" als „ontopathologisches Syndrom" interpretiert und für die Überwindung einer „Nichtsvergessenheit" wirbt, einer „Nihilophobie" als dem „horror vacui" der Seinsphilosophie, die das Nichts als defizienten Modus des Seins diskriminiert hat, deren Subjekt aber „kein ontologisches und axiologisches Privileg" einem Nichts gegenüber zukomme, dem in Wahrheit „nichts entgeht" (Gespräch mit Ludger Lütkehaus, 2001). Dementsprechend plädiert Lütkehaus für den „Abschied vom Sein", dem „beklagenswerten Nicht-Nichts" bzw. für die „Gleichgültigkeit" gegenüber Sein und Nichts (ebd., wo Lütkehaus die Positionen seines umfangreichen Werkes Nichts kompakt erläutert). In etwa kann der Autor sich damit in der Schopenhauerschen Tradition wähnen, dessen Verneinung des Willens zu Leben freilich aber eine sehr viel bewusstere und aktivere Position darstellt als Lütkehaus' „vollendeter Nihilismus" (a.a.O.), die im Endeffekt auch sehr viel gründlicher durchdacht erscheint und gerade hinsichtlich der praktischen Lebensgestaltung das Moment der Erlösung vom Daseinsdrang nachhaltiger reflektiert. Dabei kann als „Ende der Angst" (s. im Untertitel von Nichts) das Nichts durchaus als biblischchristliches Element begriffen werden. Solches Ende aber ist freilich nur die Vorstufe für die positive Fülle des intendierten Seins. Die antichristliche Polemik von Lütkehaus ignoriert wie ähnliche Plädoyers für mehr Adiaphorie freilich komplett die Tragweite der biblisch-christlichen Dämonologie, die die Nichts-Sein-Problematik weitaus tiefer und ernsthafter verankert denn als Frage - gewiss großteils fragwürdiger - abstrakter Paradoxien oder als eine der bloßen Lebenskunst. Vgl. die im Gelassenheitspostulat sich mit Lütkehaus berührende Philosophie der Lebenskunst, 1998 von Wilhelm Schmid, deren Pragmatismus - nicht zuletzt durch den Verzicht auf den zynisch-sarkastischen Unterton der Lütkehaus'sehen Ausführungen - sich von eben diesen doch wohltuend abhebt. Der Urvater des modernen Nihilismus, Nietzsche, hat sehr wohl die katastrophische Wirkmächtigkeit des Nichts empfunden, wenn er dieses als „metaphysische Vaterlosigkeit" (s. bei Lütkehaus, Nichts, 1999, 712) begreift. Das Konzept des auf sich selbst gestellten „Ubermenschen" ist infolgedessen noch geprägt von dem im eigentlichen Wortsinne „Mute der Verzweiflung" (ebd.). Das 20. Jh. indessen war bemüht, aus der existenziellsten Not des Menschen eine Tugend so zu formen, dass seine Notwendigkeit, sich selbst zu entwerfen, gleichsam als Befreiung erlebt würde. Die autonomistische Verkehrung der Nichts-Problematik hat, über Heidegger hinausgehend, besonders nachdrücklich Sartre betrieben, der das Nichts als den „grundlosen Grund der Freiheit" fasst (Das Sein und das Nichts, 36.-37. Tsd., 1990, 552ff.; s. auch a.a.O.). Dass der sich selbst befreiende Mensch sich zwangsläufig in neuen Engpässen verfängt, hat auf vielerlei Ebenen die Geistesgeschichte der letzten Jahrzehnte

102

Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

der Verfallenheit unseres Seins an das Nichts. Die Angst offenbart das Nichts32 - des Menschen unendliche existenzielle Gefährdung. Darum ist dieser Moment seines tiefsten existenziellen Erschreckens auch der Augenblick seiner Wahrheit. Im tiefsten Dunkel soll und wird die Entscheidung fallen, welches in der Frage nach dem Sein das letzte Wort ist.33 2.6 Exkurs: Heidegger Die Brisanz des bodenlosen Seins mit sicherem Gespür wahrnehmend, hat Martin Heidegger das Problem des geängstigten Seienden zum Ausgangspunkt seiner Philosophie gemacht. Mit der Frage nach den Möglichkeiten des Menschen mit seiner eigenen existenziellen Fraglichkeit umzugehen, hat er den Faden aufgegriffen, der einige Jahrzehnte vorher bei Nietzsche in hybriden Eruptionen sein Ende gefunden hatte. 34 Den frühen Heidegger beschäftigt die Frage nach dem „Sinn von Sein",35 der versucht wird, existenzialistisch bestimmt zu werden. Die Frage ist zugleich die nach dem Wesen des spezifisch menschlichen Daseins als bewegtes „In-der-Welt-sein"36, dessen Sinn von den menschlichen Handlungsoptionen aus zu erschließen sei - als lebendige Tat, nicht als verfügbare Anwesenheit. Darauf gründet die Analytik des Daseins, die wiederum durch Herausarbeitung von dessen „Seinscharaktere(n)",

allerdings ebenso nachdrücklich dokumentiert wie zu allen Zeiten emanzipatorischer Offensive. 32

So zu Recht Martin Heidegger in: Was ist Metaphysik?, 151998, 35.

33

Oder mit Karl Jaspers: „In der Erfahrung der Grenzsituationen geht der Weg zum Nichts oder zum Sein." Von der Wahrheit, 41991, 880. Insofern kann das Nichts als „das Andere zum Seienden" tatsächlich als Platzhalter oder Medium der Seinsoffenbarung, als „Schleier des Seins" begriffen werden. So Heidegger in: Was ist Metaphysik?, 151998,41, 55; vgl. Lütkehaus, Nichts, 1999, 721ff.

34

S. besonders: Ecce homo und Der Antichrist, beide 1888. In Nietzsches apotheotischem Votum für den „Übermenschen" ist nicht nur die Verfehlung Adams enthalten, sondern mehr noch der Versuch, mit einem besonders gewagten ontologischen Satz die postlapsarischen Seinsbeschränkungen hinter sich zu lassen. Zum Verhältnis der Besagten s. Helmut Walther, Nietzsche und Heidegger, 2001.

35 36

In Sein und Zeit, 161986, 2. Ebd., 52ff.

Heidegger

103

der „Existenzialien" geschieht. 37 Dabei erfolgt die Freilegung der „Sorge als Sein des Daseins" 3 8 und der Angst als dessen „ausgezeichnete Erschlossenheit", 39 das Weltgeschehen bewusst zu gestalten, statt gleichgültig von diesem „verwaltet und verrechnet" zu werden. 40 Diese Existenzialien sind Modi der Temporalität, so dass das Dasein sich erst durch seine Zeitlichkeit versteht. 41 Vor diesem ontologischen Horizont qualifiziert die menschliche Existenz nun ihr Sein in der Wahl ihrer eigensten Möglichkeiten. Sie ist nicht wie das übrige Seiende festgelegt, sondern kann sich selbst gewinnen und in den Status ihrer „Eigentlichkeit" gelangen 42 oder in eine Seinsweise fremdbestimmter Durchschnittlichkeit verfallen, die Seinsweise des kompensatorischen „Man" 43 „Das Gewissen ruft zur das Selbst des Daseins auf aus der Verlorenheit in das Man." 4 4 Diesem Ruf folgend, gelangt der Mensch zur Selbstbestimmung der je eigenen Existenz, indem er in seinen unüberholbaren ontologischen Barrieren „die Freiheit des Sich-selbstwählens und -ergreifens" 45 wahrnimmt. Aus den Arrangements mit einer unheimlichen Welt - darin mit allerlei „Gerede" letztlich seine Angst vor dem Tod betäubend 46 - findet er so in der „Bereitschaft zur Angst" 4 7 zu seinem eigentlichen „Selbstsein" 48 . Der Sinn des Seins gründet somit, der Unausweichlichkeit des „Zu-Ende-seins" sich vergewissernd, 49 im bewussten Vollzug des menschlichen Daseins einschließlich der Antizipation des Vergehens, so dass dieses gewisserma37

Ebd., 44.

38

Ebd., 180ff.

39

Ebd., 184ff.

40

Ebd., 289.

41

Ebd., 231ff. Die Frage, die durch den ausgebliebenen Teil 2 von Sein und Zeii unbeantwortet bleibt, ist folglich, ob auch der „Sinn des Seins" von der Zeit her zu erschließen sei. S. zu Heidegger insgesamt ebenfalls das Werk Rüdiger Safranskis: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, 1994; sowie Otto Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, 41994.

42

A.a.O., 42f., 259ff., 295ff.

43

Ebd., 126ff„ 252ff.

44

Ebd., 274.

45

Ebd., 188.

46

Ebd., 167ff., 253f.

47

Ebd., 296.

48

Ebd., 284.

49

Ebd., 234, 264f.

104

Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

ßen sein Schicksal selbst erfüllt. Durch couragiertes „Vorlaufen zum Tode" 50 als die äußerste seiner Möglichkeiten entwirft sich der Mensch, seine Angst überwindend, gegenüber der unbewussten und unverbindlichen Lebensweise des „Man". Er durchbricht somit die Gesetzmäßigkeiten seiner Innerzeitigkeit, wird selbst „ständig". 51 Seine alltäglich-mechanischen Daseins-Verstrickungen lösend, nähert das Seiende sich so in ontologischer Integration seiner Todesperspektive nicht wie bei Nietzsche in deren Ignorierung - seinem möglichen „Ganzseinkönnen". 52 Die dergestalt proklamierte „Freiheit zum Tode" 53 ist tatsächlich dem Kern der christlichen Botschaft außerordentlich nahe. Fraglich bleibt nur, ob der Mensch im Angesicht der göttlichen Richterschaft tatsächlich solche Freiheit besitzt und von sich aus echtes „Seinkönnen" 54 erreicht. Fraglich bleibt, ob die Gründung solcher NegativFreiheit in der Heideggerschen Fassung auch nur entfernt konkurrieren kann mit dem ebenso die Beseitigung der menschlichen Grundangst wie die entsprechende existenzielle Ratlosigkeit behandelnden festen Grund des Evangeliums von der im Sinne des bislang Gesagten fundamentalontologischen Bejahung Gottes. „Enthüllt sich" bereits „die Ganzheit des Strukturganzen ... als Sorge",55 die auf den Tod zusteuert, so ist durchaus folgerichtig in diesem als dem finalen Abschluss allen Daseins etwas wie dessen „Ganzheit" gegeben.56 Aus christlicher Sicht ist dies aber freilich nur die halbe, die gerade vermieden werden wollende Lösung. Eine seinsdienliche erstrebt ein Ganzsein nicht im Sinne einer Friedhofsruhe, sondern gerade außerhalb dieser und wird keinesfalls dadurch erreicht, dass man dem Tod heroisch ins Auge blickt. Im Leben des Christus ist uns echte Überwindung von Verlorenheit, Verzweiflung, Tod und Entfremdung zugesagt. In ihm soll tatsächlich Sein als Ganzheit von der Weisheit Gottes künden. Als Kraft dieser Ganzheit aber ist uns exklusiv das Wort seiner Liebe gegeben in Gestalt sei-

50

Ebd., 267.

51 52

Ebd., 128. Ebd., 30Iff.

53 54 55

Ebd., 266. Ebd., 262ff. Ebd., 231.

56

S. ebd., 234ff.

Heidegger

105

nes Sohnes. In und mit ihm besteht das christologische Fundament allen (Ganz-)Seins und verlangt nach seiner geschöpflichen Umsetzung. Der späte Heidegger der „Kehre" 57 verzichtet auf die Herleitung des Seins mithilfe des Seienden, in dessen Betrachtung die Geschichte der Metaphysik sich erschöpft hat, indem sie sich nur dem Offenkundigen, der „Unverborgenheit des Seienden" gewidmet, das „Sein selbst ... im Ausbleiben seiner Unverborgenheit" aber „verstellt" hat und so dem „Nihilismus" anheim gefallen ist.58 War in Sein und Zeit das Sein immer schon mitgesetzter Verstehenshorizont, ist es nun das Sein selbst, das Seinsverständnis ermöglicht. Indem das Denken solches entbirgt, erfährt auch das Seiende seine Erhellung in seiner ursprünglichen „Einfachheit", 59 in welcher „das Seiende dem Sein entstammt". 6 0 Noch deutlicher erscheint nun vor dem Primat des Seins die „ontologische Differenz". 61 Die Metaphysik leidet nach Heidegger unter „Seinsvergessenheit" und „Seinsverlassenheit" 62 als den fundamentalen Ereignissen der Seinsgeschichte 63 , denen zufolge sie einer „durchgängigen Verwechslung von Seiendem und Sein" erliegt. 64 Das Sein des Seienden hat nun nicht anders, aber deutlicher als früher, GeschickCharakter 65 , wodurch der einstige Ansatz existenzialistisch weiter zugespitzt wird. Der Mensch ist ein in sein Dasein „geworfener", 6 6 um jedoch, „in die Wahrheit des Seins ... hinausstehend, ... das Wesende" seines Seins zu verwirklichen. 67 So bedeutet „Ek-sistenz" nun das „Stehen in der Lichtung des Seins", 68 in welcher der Mensch mithilfe der

57

S. Über den Humanismus, früheren Schriften.

10

20 00, 20. Wir zitieren ergänzend aber auch aus den

58

Nietzsche Π, GA, 1997, 320, 325.

59

S. Über den Humanismus, 102000, 53ff.

60

Was ist Metaphysik?, 151998, 47.

61

Nietzsche Π, GA, 1997,180ff.; Vom Wesen des Grundes, »1995, 5.

62

Was ist Metaphysik?,

63

S. Holzwege, GA, 1994,364f.

64

Was ist Metaphysik?,

65

S. ebd., 13; Über den Humanismus, 102000, 19f.

66

Ebd., Er „west im Wurf des Seins"; vgl. 34.

67

Ebd., 18. „Sein lichtet sich dem Menschen im ekstatischen Entwurf" (29).

68

Ebd., 15.

15

1998,13; s. auch Nietzsche Π, GA, 1997, 311ff.

7

15

1998,12.

106

Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

Sprache auch die Identität der ihm zuhandenen Dinge erfährt. 69 Die Sprache wird zum urbildlichen ontologischen Transportmittel. 70 Sie ist kein eigenmächtiges Erzeugnis des Menschen, sondern etwas, worin er je schon befindlich ist und woraus er auch spricht. Sie ist „das Haus des Seins",71 in welchem ek-sistierend der Mensch die Wahrheit des Seins erfährt und zu hüten hat, „damit im Lichte des Seins das Seiende als das Seiende, das es ist, erscheine".72 Während die Sprache, in der „Denken und Sein gründen", 73 das Sein in seiner originalen Wirkmächtigkeit zutage fördern möchte, macht demgegenüber die verfügen wollende „metaphysische" Denkweise die Welt schließlich zu einem technisch-beherrschbaren „Gestell", 74 das die zunehmende Entfremdung des Seienden von seinem Grund und damit seinem wahren Wesen ausdrückt, 75 an deren Ende aber auch „das Rettende" vorstellbar,76 indem vermittels der semantischen Hinweise den Dingen auf ihren Grund gegangen und dort ihre Souveränität wiederhergestellt wird. Die „Fundamentalontologie" geht nunmehr aus von einem alltäglichen, profanen Seins-Verständnis des Daseins, wodurch Geschichte und Technik als Probleme der Ontologie auftreten. Das Sein, um welches das gesamte Philosophieren Heideggers sich dreht, ist indes nicht aussagbar, weshalb Heidegger „Sigetik" empfiehlt. 77 Das Sein „west" als ekstatisches „Ereignis" 78 nur in der Erscheinung. 79 Der Mensch hat ihm als vorgegebener Sinndeutung in der Ermöglichung seiner Ankunft zu gehorchen. Er hat ihm eine „Stät-

69

71 72 73 74 75

Im Anschluss hieran bildet sich die postmoderne Vorstellung vom sozio-pluralen „Sein-Lassen" (Levinas), bei der freilich zu fragen ist, ob diese Position nicht noch fatalistischer ist als die Heideggersche Rede vom Seins-Geschick, das als ein solches wenngleich nicht konkretisiert, so doch immerhin erwartet werden kann. Die „Nähe des Seins ... west als die Sprache selbst". Über den Humanismus, lü2000, 25. Ebd., 5, 25, 50. Ebd., 22. Bremer und Freiburger Vorträge, GA, 1994, 166. Vorträge und Aufsätze, 92000,20ff.; Bremer und Freiburger Vorträge, GA, 1994, 24ff. Heidegger spricht von der „Verwahrlosung des Dinges als Ding", ebd., 47.

76 77

Ebd., 72ff.; Vorträge und Aufsätze, GA, 92000, 29ff.; Holzwege, GA, 71994, 296ff. Beiträge zur Philosophie, GA, 1998, 78f.; vgl. Unterwegs zur Sprache, GA, 1995, 26ff.

78

Identität und Differenz, "1999, 30f.; vgl. Besinnungen, GA, 1989, 247.

79

S. Was ist Metaphysik?, 15 1998,11,16,49; Einführung in die Metaphysik, 61998, 86f.

70

107

Heidegger

te", eine „Unterkunft" zu bereiten.80 Angesiedelt nicht nur abseits einer theologischen Offenbarungslehre, sondern auch außerhalb aller klassisch-ontologischen Koordinaten, dürfte dies jedoch den üblicherweise auf solche angewiesenen Menschen überfordern. Ausgesprochen hoch zu bewerten ist bereits beim frühen Heidegger die Erkenntnis des grundsätzlichen Seinsdefizites - des „verfallenden Seins"81 beim späteren ebenfalls großartig gebündelt etwa in der Formel vom Sein als dem „Nicht des Seienden". 82 Vortrefflich sind in diesem Zusammenhang Heideggers fundamentalpsychologische Einsichten, insbesondere in die Angst als menschliche Grundbefindlichkeit und ihre Neigung zu kompensatorischer „Zerstreuung" 83 - die Herausarbeitung des „Man" angesichts des „Seins zum Tode".84 Auch die daraus ansatzweise gezogenen personalistischen Konsequenzen nötigen Respekt ab, wenngleich sie im Horizont der Eigenleistung reflektiert werden, deren Ohnmacht aber schließlich erkannt wird. Kaum jemand hat je so klar wie Heidegger die reale Ab-Gründigkeit des Weltgeschehens gesehen und ontologisch benannt, das Verloren-Sein angesichts des „Fehl Gottes".85 Hochinteressant und zu bejahen - auch vor dem Hintergrund des hier zu Erarbeitenden - ist dabei die Interpretation der Wahrheit als „entborgenes Sein"86 wie schließlich auch

80

Was ist Metaphysik?, 151998, 54; Nietzsche Π, GA, 1997,354.

81 82

S. Sein und Zeit, 161986, 255. S. Was ist Metaphysik?, '51998, 30ff.; Über den Humanismus, rich Ott, Denken und Sein, 1959, 86f.

83 84

Sein und Zeit, 161986,129. Ebd., 252ff. „Versuchung, Beruhigung und Entfremdung kennzeichnen aber die Seinsart des Verfallens. Das alltägliche Sein zum Tode ist als verfallendes eine ständige Flucht vor ihm" (254). Heidegger spricht von der „dürftigen Zeit" der „Weltnacht", die „bereits so dürftig geworden (ist), daß sie nicht mehr vermag, den Fehl Gottes als Fehl zu merken" (Holzwege, GA, 71994, 269). Darum gelte es, „ohne Furcht vor dem Schein der Gottlosigkeit" den noch währenden „Fehl Gottes" auszuharren (Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA, 21996, 27f.) und sich nicht in die „Blasphemie" der natürlichen Gottesbeweise zu flüchten (Nietzsche I, GA, 1996, 327).

85

86

10

2000, 51f.; dazu Hein-

A.a.O.; vgl. Sein und Zeit, 161986, 219ff., wo es weiter heißt: „Dasein ist in der W a h r heit'" (221). Der enge Zusammenhang von Sein und Wahrheit erscheint auch in: Nietzsche Π, GA, 1997, wo gesagt wird: „Sein und Wahrheit gehören einander" (439).

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

die Bestimmung des Menschen zu dessen „Hirt". 87 Offenkundige Schwachstelle freilich bleibt neben der Antwort auf die Frage, worin solches Sein tatsächlich besteht, auch die nach dessen Stifter. Eine der positivsten und, wie wir meinen, auch qualitativ hochwertigsten Rezeptionen Heideggers ist auf theologischer Seite noch immer die von Heinrich Ott, 88 dessen Indienstnahme Heideggers für die Sache des Glaubens teilweise etwas gewagt ist, 89 prinzipiell aber richtig sieht, dass bei jenem eine Art negative Theologie vorliegt, von der die positive manches lernen kann. Heideggers phänomenologisches Denken, 90 das den „Schritt zurück" 9 1 versucht, dorthin, wo die „Sache selbst sich ursprünglich lichtet" 92 und das „Ungedachte" zu erfahren sei, 93 wird von Ott als „eigentlich theologische Hermeneutik" analog einer vorgängigen Direktiven vom Offenbarungsgeschehen her gedeutet 94 , wobei die Differenz zwischen Seinsverlangen und Seinsfindung, zwischen Herbeirufen und Ausrufen ontologischer Neugründung deutlicher hervortreten könnte. 95 Was Ott aber neben der gesuchten finalen Unmittelbarkeit der Heideggerschen Seinsbegegnung mit Recht imponiert, ist dessen - freilich eher beiläufiges - Anliegen, zur Eliminierung eines subjektivistisch-personalistisch verengten Gottesbegriffs beizutragen, durch welchen Gott selbst sozusagen zum Seienden wird, da so tatsächlich Raum zu gewinnen sein sollte für den christlichseinsumfassenden im Sinne der biblischen Anschauung, die die absolute Souveränität Gottes bewahrt. 96 Dieser gemäß ist Gott, so gewiss er 87

... statt zum „Herr(n) des Seienden". Über den Humanismus, 10 2000, 34.

88

Heinrich Ott, Denken und Sein, 1959. Exzellent in ihrer sachlichen Ausführlichkeit ist auch die von Alfred Jäger: Gott. Nochmals Martin Heidegger, 1978.

89

... etwa der Vergleich mit Karl Barth; ebd., 140ff.

90

In etwa Husserls Linie (a.a.O.); s. Grundprobleme der Phänomenologie (1919/29), GA, 1993, 13ff., wo der „Aufweis des Lebens als Problemsphäre der Phänomenologie" betrachtet wird (25-40). S. auch Sein und Zeit, "1986, 34ff.

91

Nietzsche Π, GA, 1997, 333; Vorträge und Aufsätze, GA, »2000, 186.

92

Vgl. a.a.O.

93

S. Nietzsche Π, GA, 1997, 317f.; Identität und Differenz, "1999, 24.

94

A.a.O., 171ff.

95

...wie etwa bei Jäger: „Nicht der Denker denkt das Ungesagte und Ungedachte, sondern das ganz Andere selbst provoziert ein neues Denken und ein anderes Sagen." Gott. Nochmals Martin Heidegger, 1978, 473.

96

...wobei wir hier tatsächlich eher von der biblischen Metaphysik sprechen müssten, eingedenk freilich der alle physischen Metaprozesse regelnden Personalität Gottes.

Heidegger

109

Person ist, so gewiss auch der unsere anthropomorphistischen Neigungen übersteigende Grund, in dem das Sein ist bzw. das Seiende sein wahrhaftes Sein hat. Wir folgen Ott in der Meinung, dass Heideggers Gott-Losigkeit theologisch fruchtbar gemacht werden kann, gerade weil er in eminent religiösen Fragestellungen auf theologische Scheinlösungen verzichtet in der Hoffnung, dass der Verzicht auf die Metaphysik das „Einfache" freizugeben geeignet sei. 97 Umso bedauerlicher aber ist, dass im Maß, wie die Seinsfrage keine konkret umsetzbare Lösung erfährt, das Sein bei Heidegger zunehmend mythisiert erscheint, als die Chiffre einer erstrebten, aber nicht erreichten Erlösungsphilosophie jenseits von Ontologie und Theologie. 98 Beim auffälligen Gebrauch von Entsprechungen theologischer Gedankenfiguren scheint es so, als würde Heidegger spüren, dass das Sein ohne Begründung aus dem Seienden zu erfassen, nur als theologisches Unterfangen möglich ist. Weil solches aber - zumindest im Sinne der freilich eigenwillig definierten „Metaphysik" - vermieden werden soll, wird die Sache des Seins mit der Zeit nicht klarer, sondern immer nebulöser, was zu Recht Jaspers kritisiert hat. 99 Als pädagogisch ungenügend muss gelten, dass Heidegger nichts tut, um der steten Uneindeutigkeit seiner raunenhaften Rede abzuhelfen, sondern mit verschraubten Argumentationen und spitzfindigen Wortspielen die Übersetzungen seiner selbst ins immer noch Geheimnisvollere die Verzweiflung der an ihn glauben wollenden Zuhörer nur noch steigert. 100 Heidegger erscheint geradezu trotzig verschlossen - entschlossen, ja

97

Ebd., 79.

98

Entsprechend hat es der Autor auch verstanden, uns die Freude einer kompakten, systematischen Darstellung seiner Sicht der Seinsthematik zu versagen. Der fundamentalontologisch Interessierte wird nicht umhinkommen, sich mit enormer Entschlossenheit durch das schon in seinem Aufbau reichlich schwierig zu durchschauende Gesamtwerk zu kämpfen. Zum Einstieg dazu sei der für HeideggerVerhältnisse gut verständliche „Brief über den ,Humanismus'" (a.a.O.) empfohlen, der auf knappen Seiten vielleicht den größten Einblick in Heideggers Gedankenwelt erlaubt.

99

„Es ist ein ahnungshaftes, in Hinweis und Versprechung sich ankündigendes, zweideutiges, - verdunkelndes Sprechen." Karl Jaspers, Notizen zu Heidegger, 1978, 79.

100 ... nach Jaspers: „durch gleichgültiges Rascheln mit Begriffen und sterile Operationen des Scharfsinns". Ebd., 152; s. auch die verständnisvolleren Erklärungen von Jäger in: Gott. Nochmals Martin Heidegger, 1978, 134ff.

110

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nichts vor die Säue zu werfen, was als echte Perle erkannt werden könnte. Alles Entscheidende bleibt unklar, was um der Majestät des Seins willen offenbar auch so sein soll. Am Ende finden sich „Gebärde und Pathetik statt Wahrheit", 101 „die große Kunst zu sagen, daß er nichts zu sagen habe", 1 0 2 ein Werk, das folgedessen des Eros der großen Denker ermangelt. 103 Die Möglichkeit, Heidegger zu folgen, hängt denn auch stark an der Frage der eigenen mystisch-melancholischen Affinität. 104 Fehlt solche Disposition völlig, liegt es einigermaßen nahe, die Lehre Heideggers als sich bedeutungsvoll gerierenden Mischmasch aus psychologischen Banalitäten und systematisch-philosophischen Abenteuerlichkeiten aufzufassen 105 und die Einlassung hierauf schlicht zu verweigern mit dem Verweis etwa, dass eine solche nur unreife, vom Sein verstörte Geister in ihren Bann ziehen könne. 106 So gesehen könnte man Heidegger zusammenfassen mit dem Satz: „Alldieweil wir sterben müssen, lasst uns wenigstens bewusst leben", was Paulus schon zu schlicht war (1.Kor.15,32). 107 Wir wollen hier allerdings den Tiefsinn gerade auch der späteren Phase Heideggers würdigen als das Tasten nach im Letzten tragfähigen Gründen und uns darum nicht von seinen logisch/phänomenologischen Kryptizismen die Sicht dafür verbauen lassen, dass es sich bei der Seinsfrage tatsächlich um den womöglich dem natürlichen Denken unzugänglichsten Bereich überhaupt handelt, der, so wollen wir allerdings auch festhalten, im Lichte der Bibel jedoch eine jedermann begreifliche, ultimative Aufhellung erfährt, die wiederum - um hier an den frühen Heidegger - anzuknüpfen, eine entschlossene existenzielle Stellungnahme verlangt.

101 Ebd., 45. 102 Ebd., 172. 103 Ebd., 197. 104 Schmid kennzeichnet Heidegger nicht zu Unrecht als „Romantiker". Philosophie der Lebenskunst, 1998, 44. 105 ... oder, wie Jaspers sagt, als „Ineinander von Romantik, Sentimentalität, Nihilismus und Brutalität"; a.a.O., 219. 106 Ähnlich wie es bei Nietzsche vielfach die Einsamen, Träumenden sind, die dort von der Perspektive radikaler Umkehrungen angezogen werden. 107 ... und was bei Heidegger zwischenzeitig ja auch zu den bekannten Verirrungen geführt hat.

Heidegger

111

Heidegger selbst ringt um das „Eigentliche" - die Eigentlichfcezi und übersieht dabei das Eigentliche, das auch dem nicht-christlichen Denker vor Augen liegt - Liebe, Freundschaft, Solidarität, Gemeinschaft - , wodurch die soziale Komponente des Seins ebenso unterentwickelt bleibt wie das „Seiende" unkonkret. Jaspers spricht in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht von Heideggers „Blindheit im Realen", die sich „faktisch solipsistisch" ausnehme. 108 Die Heideggersche „Entschlossenheit" 109 ist, um dem Real-Sein gerecht zu werden, ebenso zu unelastisch wie seine mystischen Tendenzen zu ich-einsam. 110 In abstrakter Hinsicht wird ebenso wenig wie den seienden Menschen der Sache des Seins ein Gefallen getan, dadurch dass es als „Schickung" 111 in den Raum geworfen wird und begrifflicher Berätselung ausgeliefert wird, anstatt es durch methodisches Denken zu erschließen 112 - wobei die Grunderfahrung des „Nichts" als „das Nichtende im Sein" 1 1 3 ähnlich inhaltsleer bleibt wie das ersehnte Sein selbst. Solche Erschließung ist dem christlichen Denker unbedingt aufgetragen - um der Wahrheit und um der Liebe willen. Die Aufgabe bleibt darum bestehen, das Sein als Ganz-Sein des Seienden aufzuweisen und damit die biblischtheologische Lösung der fundamentalontologischen Problematik. Insgesamt erscheinen Heideggers Reflexionen als fundamentalontologische Mystik mit dem Habitus einer immanenten Offenbarungsphilosophie, die als solche auch gern theologischerseits als Faszinosum

108 A.a.O., 34. 109 Sein und Zeit, "1986, 305ff. 110 Das Heideggersche „Mit-Sein" ist nur ein Modus des „In-der-Welt-Seins" und wird im selben Kontext wie das „Man" eher abschätzig verhandelt; s. Sein und Zeit, 16 1986, 113ff. „Das Gerede ist die Seinsart des Miteinanderseins" (177). Auch beim späteren Heidegger spielt es keine ernsthafte Rolle (etwa in: Einleitung in die Philosophie, GA, 1996, 137-142). Vgl. dazu Hans Georg Hoppe, Heideggers „Grenzen und bleibende Bedeutung von Heideggers Sein und Zeit", 1983, der Sein und Zeit eine immoralische Tendenz konzediert, eine „streng individualistische Grundoption mit ausgesprochen gesellschaftsfeindlichen Implikationen" (22), da „die anthroplogische Basis der Heideggerschen Daseinsanalytik im Grunde eigentlich nur biologisch bestimmt ist, d.h. daß sie letztlich um die Dimension der Gesellschaftlichkeit und Intersubjektivität des Daseins beschnitten ist" (24). 111 Über den Humanismus, 1020 00, 28. 112 Vgl. Jaspers, a.a.O., 209. 113 Über den Humanismus, 102000, 52.

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empfunden wird. 114 Weniger freundlich geurteilt, handelt es sich um eine atheistisch-philosophische Heilslehre, die mit christlichen Begriffstrophäen hantiert, oder - wieder etwas freundlicher - um den Versuch, eine religiöse Thematik konsequent areligiös zu verhandeln. 115 Dass die ganze Palette der Wertungen möglich ist, liegt in Heideggers eigener Verantwortung, da er einerseits, vornehmlich in seiner Spätzeit, christliches Interesse, nicht zuletzt durch seine persönlich praktizierte katholische Frömmigkeit geradezu provoziert, andererseits immer wieder betont, dass seine Lehre als eine nicht-christliche angelegt sei,116 wobei aus unserer Sicht der frühe, der systematische Heidegger die christliche Botschaft nicht minder umkreist als der späte, indem hier die Frage nach dem Grund - oder der Transzendenz - als die Frage nach der

114 Zur mystischen Komponente Heideggers, die sich letztendlich nur als mystisch verkleideter Nihilismus entlarvt, vgl. das vorzügliche Buch von Paul Hühnerfeld, In Sachen Heidegger, 1961, in dem der Autor zu Recht auf deren inhaltlosen Formalismus hinweist, da aufgrund des Heideggerschen Atheismus keine wirkliche mystische Erhebung geschieht - der Sprung ins Nichts, auf den Feldweg bestenfalls sondern nur das an Plotin und Eckhart erinnernde Vokabular benutzt wird (125). Da im Glauben nichts für den Bereich des Denkens Relevantes vorhanden sei, Heidegger andererseits den Bereich des Vernünftigen weit hinter sich weist, bewege sich sein Denken im „imaginären Raum des Nichts", einem „Raum, der nur dazu da ist, damit Heideggers Denken sich in ihm entwickeln kann", als „geniales Hirngespinst" (129) gleichsam. Heideggers Denken existiere „um dieser Existenz Martin Heidegger willen, der sich den größten und bedeutendsten Exzeß der Introvertiertheit leistet, der je in der deutschen Philosophie möglich gewesen ist" (130). 115 Vgl. Pero Brkic (Martin Heidegger und die Theologie, 1994), der zutreffend das Verhältnis Heideggers zur Theologie als ein aporetisches beschreibt (317ff.) und aufzeigt, dass Heidegger trotz seiner theologischen Gebundenheit mit seiner im Endeffekt „entrationalisierte(n) Proklamation ,Gottes'" (320) nicht als christlicher Denker gelten darf (s. bes. 306-310), auch wenn Heidegger selbst gerne den Eindruck erweckte, eine besonders hintergründige Frömmigkeit zu verkörpern. Byung ChulHan (Martin Heidegger, 1999) bemerkt nicht zu Unrecht den „theologischen Zwang", unter dem Heidegger zu stehen scheint (131), dessen gott-loses Denken sich „dem Göttlichen vielleicht näher" wähnt als die traditionelle philosophischmetaphysische Theologie (Ob er damit womöglich sogar Recht hat?). S. auch Walter Strolz, Martin Heideggers Denkweg und der christliche Glaube, 1989, 165-194 und Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen, Bd. 1,21985, 490f. 116 S. etwa Wegmarken, GA, 31996, 49ff., wo Theologie und Philosophie als „absolut verschieden" bezeichnet und der Glaubende als der Unwissende dargestellt wird.

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Zeitlichkeit, also auch der Vergänglichkeit aufscheint, die mit der christlichen Fundamentierung des Seienden gelöst sein will.117 Heideggers „Fundamentalontologie" ist keine. Heidegger sagt wohl, das Sein sei „im Wesen ... Grund", ja, beide „das Selbe" 118 und benennt gar die „Freiheit" als „Grund des Grundes". 119 Die Grundfrage aber geht gänzlich unter in der Seinsthematik, wohl weil gerade ein „Weltgrund" schlecht anders denn unter Zuhilfenahme Gottes gedacht werden kann, was Heidegger ausdrücklich ablehnt.120 So wird stattdessen - vergeblich - versucht, das Sein anstelle des Logos zu platzieren, um ontologisch - nicht fiindamentalontologisch - die Ahnung zu bewältigen, dass es etwas wie einen transzendenten Daseins-Hintergrund geben muss, der dem Seienden den gewünschten Aufschwung besche-

117 Während der frühe Heidegger von daher theologisch durchaus anknüpfungsfähig ist, trotzdem er weniger so erscheint, ist dies bei dem späten Heidegger gerade umgekehrt. Die Frage, ob der späte Heidegger mit dem frühen kommensurabel sei, braucht uns dabei weniger zu interessieren. Für beide gilt die Einschätzung Ebelings, der die Philosophie Heideggers als Auslegung des Gesetzes interpretiert in der Weise, dass das Gesetz zum ontologischen Horizont wird (RGG3, Bd. 6, 1962, 827ff.). Theologisch opportun am frühen Heidegger ist jedenfalls der existenzialistische Ansatz - des Daseins als „Hineingehaltensein in das Nichts" (Was ist Metaphysik?, 15 1998, 38) - , der im Sinne der Verlorenheit des natürlichen Menschen der des Evangeliums ist. Tatsächlich können wir sagen, dass im „Nichts das Seiende im Ganzen entgleitet" (ebd., 35). Abzulehnen aber ist wie ein Sein als quasireligiöses Verheißungsgut auch die dialektisch-überhöhende Wendung des Nichts zu dessen Vorstufe, als welche „das Sein west" (ebd., 49; s. dazu Ott, Denken und Sein, 1959, 75f., 133f. und Weischedel, a.a.O., 483f.) - der existenzialistische Fortgang also. Hier entlarvt sich nichts anderes als die heroisch verstockte Trotzigkeit der gottlosen Position als idealistischer Selbstrettungsversuch oder wie Ott meint: konsequent „säkularisiertes Christentum" (a.a.O., 87). Das Nichts birgt bestenfalls die richtigen Fragen, nicht aber die erlösenden Antworten. Biblisch-christlich - eben nicht „metaphysisch" - gesehen, können wir keinesfalls im Nichts unser eigenes Sein ergreifen, sondern nur der Katastrophe gewahr werden, dass wir unser Sein unwiederbringlich verloren haben und diesbezüglich völlig auf die Gnade Gottes verwiesen sind. 118 Der Satz vom Grund, GA, 1997,184; Vom Wesen des Grundes, 8 1995, 51. 119 Ebd., 53. 120 S. Über den Humanismus, 102000, 23. Eine leere Sprachhülse (er selbst würde an unserer Stelle wohl sagen: „eine klingende Schelle") bleibt denn auch der vielleicht theologischste Satz Heideggers: „Zum Wesen des Seins aber gehört Grund, weil es Sein ... nur gibt in der Transzendenz als dem weltentwerfend befindlichen Gründen." Vom Wesen des Grundes, 8 1995,51f.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

ren würde. 121 In Ermangelung dessen Erfahrung aber soll der Mensch lernen, „im Namenlosen zu existieren", muss warten auf eine geheimnisvolle Seins-Ursprünglichkeit, indes ein künftiges Denken auf dieses hinzuweisen hat, ohne es beweisen zu können. 122 Heidegger erkennt in eigentlich großer Klarheit - dass wir den „Zuspruch des Seins" 123 benötigen, damit Seiendes authentisch wird. Heideggers Sein scheitert allerdings an seinem Anspruch, etwas Übermenschliches und in jedem Fall auch Übergöttliches darzustellen. 124 Als das „schlechthin Andere" 1 2 5 gar zu weit vom Seienden entfernt, 126 kann es schließlich nur noch als ontologische Schimäre erscheinen. Heideggers SeinsZirkel mündet im „Danken". 1 2 7 Das wäre in der Tat die richtige, ganz 121 Zur Logosanschauung Heideggers s. insbesondere: Bremer und Freiburger Vorträge, GA, 1994, 153ff. Die bewusste (auch in Einführung in die Metaphysik, 6 1998, 103 bekannte) Antithese zum biblischen Logos möchte noch nicht auffallen, wenn es heisst: Der Logos ist „der Grund, der gründet" (155) oder noch schöner: „Das Sein des Seienden lichtet sich im Charakter des Logos, d.h. des Grundes" (ebd.). Sie wird aber offenbar, sobald ersichtlich wird, dass damit lediglich ein ordnendes Denken gemeint ist (s. ebd., 105ff.; Was heißt Denken?, GA, 2002, 166ff.; Vorträge und Aufsätze, GA, 92000, 221ff.), und zwar eines des Menschen und eben nicht das seinsbegründende „Denken" Gottes. Das Denken „schwebt ... am Ab-Grund" (154) - in der Tat: das menschliche. „Es fällt ins Bodenlose, wo nichts mehr trägt" (ebd.) - doch: Gottes Logos. Biblisch gedacht, begründet dieser das Sein einschließlich sein Denken (s. a.a.O.). In Heideggers vermeintlich überlegenem altgriechischem, vom Christentum „umgedeuteten" Logos (s. Einführung in die Metaphysik, 6 1998, 97, der keineswegs so immanent wie bei Heidegger ist) aber wird zwar das Sein erschlossen, wird sichtbar (s. schon Sein und Zeit, 161986, 32-34), das Denken wird so begründendes, aber nur so, dass eine objektivierende, verdinglichende „Logik" als „Selbstgespräch der Sprache mit ihrem Wesen" (163) wieder eine „versammelnde", die Dinge „anfänglich ... zum Vorschein bringende" wird (160). Es ist sozusagen lichtendes Denken, das jenes dichterische, das Sein herbeiwinkende „Sagen" (170) vollbringt, das bei Hölderlin so bewundert wird (a.a.O.). Es ist zeigendes „Singen" (171), das „im Absprung vom Denken und Sein" (159) beide wieder zusammenführen soll (158f., 172). 122 Solches Denken „ist nicht mehr Philosophie, weil es ursprünglicher denkt als die Metaphysik". Über den Humanismus, 102000, 56. 123 Der Satz vom Grund, GA, 1997,188. 124 Vgl. Jaspers, a.a.O., 71. 125 Was ist Metaphysik?, 151998, 49. 126 „Das Sein ist niemals ein Seiendes." Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA, 2 1996, 41; vgl. Über den Humanismus, '"2000, 23, wo in der gleichzeitigen Fassung als „das Nächste" zum Ausdruck kommt, dass damit eine Art Selbsttranszendierung im Sinne der Selbstidentisch-Werdung des Seienden gemeint ist. 127 Wegmarken, GA, 3 1996,310; Was heißt Denken?, GA, 2002,142ff.

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und gar biblische Konsequenz. Heidegger aber muss man fragen: Wem und warum? 128 Die systematische Aporie bei Heidegger besteht darin, dass er in unbegrifflicher Weise 129 - dieses aber freilich (wie sonst als mit Begriffen) beschreibend - zu etwas durchdringen will, was auf gar keinen Fall greifbar werden soll, da ansonsten erneut „Metaphysik" betrieben würde. Dagegen soll die Wahrheit des Seins als Grund der Metaphysik ersichtlich werden. 130 Heidegger müht sich folglich um ein der Seinsoffenbarung gemäßes, unmittelbares Denken, kommt aber über das Medium der Sprache - und damit auch über ein metaphysisches Urvehikel - auch dann nicht hinaus, wenn er der begrifflichen Reflexion das „Dichten" vorziehen will. 131 Die gewöhnliche Sprache ist es, die bei Heidegger die Funktion eines Pseudologos übernehmen soll, womit sie in jedem Fall überfordert ist. Die Sprache kann eo ipso nur ein „Ding" offenbaren und gerade nicht das „Geviert versammeln". 1 3 2 Das „Wohnen" mit den Dingen 133 ist nur im transverbalen göttlichen Wort möglich, der, indem der den Ding-Zusammenhang ermöglicht, Sein im ursprünglichen Sinne kreierend. Das ist die echte Lösung der Seinsproblematik dergestalt, dass die biblische Soteriologie ein neues öv schafft, neue Gegebenheiten in ihrem originalen Seinsgrund. Heideggers konsequenter Christentumsersatz aber landet in der Wendung zum „Ding" 1 3 4 wiederum nur beim Seienden, was in diversen Beispielen anschaulich wird. Seine „Fundamentalontologie" endet in der Meditation über Granitblöcke, Bauernschuhe, Henkel u.ä., 135 als, wenn man so

128 Auf die tautologische und zirkuläre Komponente in Heideggers Seinslehre macht nicht zu Unrecht Lütkehaus aufmerksam in: Nichts, 1999, 410f. 129 S. dazu Heinrich Ott, Denken und Sein, 1959, 97ff. 130 A.a.O. 131 S.o. „Dichterisch wohnt" dem Denker zufolge der „das Heilige" bringende Mensch; s. Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA, 21996, 46f.; Was ist Metaphysik?, 15 1998, 55. Die Frage scheint erlaubt: Warum hat Heidegger nicht selbst gedichtet? Oder sind seine Elaborate als Philosophie missverstandene Dichtung? „Der Dichter ist der Begründer des Seyns." Hölderlins Hymnen „Germanien" und „Der Rhein", GA, 1980,33. 132 S. Vorträge und Aufsätze, GA, '2000, 170ff. 133 Ebd., 150ff. 134 S. Vorträge und Aufsätze, GA, 92000, 165-187; dazu Ott, a.a.O., 201ff. 135 Holzwege, GA, '1994,13ff.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

will, Metaphysik des „Zeugs". Im Blick auf eine stichhaltige transrationale Gründung des Seienden erweist sie sich als Holzweg. Im Gefolge Heideggers ordnet bei Sartre das existenzialistische Verfahren das Nichtsein dem Sein über, indem es ihm eigene seinsgestalterische Positivität und Macht zuspricht. Die Erfahrung der Bodenlosigkeit wird nun als Grund absoluter menschlicher Freiheit verstanden, um so aber dem Problem prinzipieller Willkür und einem entsprechenden sozialen Pessimismus anheim zu fallen. 136 Er ist dies die verzweifelte, positive Verkehrung der Nichtseins-Situation, in diesem Sinne ein klassischer - hier ausdrücklich anthropozentrischer Selbsterlösungsversuch, der als solcher auch das dichtende Denken Heideggers kennzeichnet. 137 Während wir es bei Heidegger zu tun haben mit dem ontologischen Aus-Stehen des Gegebenen, das auf SeinsErscheinung hofft, dieses bei Sartre sich im Nichts wiederfindend und sein Geschick selbst in die Hand nehmen muss, proklamiert Jaspers die Transzendierung des Gegebenen ins Offene. Das Sein ist hier das „Umgreifende", der dem Endlichen gerade in seinen Grenzsituationen Wegweisung stiftende Sinnhorizont. 138 Jaspers hat in der Weise im Gegensatz zur atheistischen Philosophie Sartres die Gottesbezogenheit des Menschen als Ergebnis der Verschränkung von Existenz und Vernunft im Auge, 139 die allerdings zu keiner Zeit in irgendeine biblischchristliche Verbindlichkeit mündet. Theologisch interessant bleibt innerhalb des existenzialistischen Spektrums bei allem, was man gegen ihn einwenden muss, vor allem Heidegger gerade als begründet antitheologisch um Authentizität in quasigöttlicher Relation bemühter Denker, - damit auch eine stetige Herausforderung, das formelhafte 136 ... besonders prägnant dargestellt in: Ist der Existentialismus ein Humanismus? (Drei Essays, 1989). 137 ... dem von daher mit seiner Einordnung als Existenzialist trotz des Meisters eigener Dementi nicht Unrecht getan wird (anders Ott, a.a.O.). 138 S. Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 31984, l l l f f . Während bei Sartre der atheistische Blickwinkel offen zutage liegt, ist bei Jaspers - weit mehr noch als bei Heidegger - eine theologische, sich reflexartig selbst verneinende Affinität greifbar. Jaspers streckt - nicht nur an diesem Punkt - die Hand in die Gefilde der kirchlichen Doktrin, aus denen sie um der Bewahrung der philosophischen Liberalität seines Denkens willen regelmäßig wieder zurückzuckt. Zur Philosophie des Existenzialismus insgesamt s. Wolfgang Müller-Lauter, „Existenzphilosophie/Existentialismus", TRE, Bd. 10,1982, 714-733. 139 ... darin Gabriel Marcel vergleichbar; s. Geheimnis des Seins, 1952.

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Das „Andere"

dogmatische Geschäft kritisch zu reflektieren. Mithilfe Heideggers, der uns an die Sache originalen Seins sehr wohl erinnern, uns dazu mahnen kann, dürfen wir aber weit über Heidegger hinausgehen und uns an die Erkenntnis machen, dass in Christo als dem originalen Seinszusammenhang aller Dinge die Überwindung nicht nur der Metaphysik, sondern auch weitaus gravierenderer das Dasein beschwerender Übel zugesagt ist.

3. Das „Andere" Als das „schlechthin Andere" als das Nichts ließe sich das Sein durchaus mit der Agape Gottes identifizieren, die dann auch als das „Nicht" des Menschen zu verstehen wäre. Von ihr als ontologischem Fundament aus würde gelten: „Das Seiende ist... dank dem Sein". 1 4 0 Von dem biblisch-heilsökonomischen Aufriss aus betrachtet, erscheint uns jedoch die Rede vom Seins-Grund sachgemäßer. Die Liebe Gottes wird stets ausgesagt mit Blick auf ihr Objekt, mit Blick auf die Schöpfung, die von dieser Liebe umfasst, getragen und an ihr Ziel gebracht werden soll. Insofern wir diese Schöpfung als das von Gott geschaffene Ganze würdigen, halten wir es für angebracht, mit „Sein" die Fülle des Kreatürliehen zu bezeichnen, was auch weiterhin geschehen soll. 141 Wir übersetzen also „Sein und Seiendes" in „Liebe und Sein". Sein ist in diesem Sinne freilich nicht Begriffshülle, sondern „perfectissimum omnium" 1 4 2 , insofern wir es als das Interesse Gottes schlechthin zu begreifen haben. Gott will, dass das Sein, sein Werk also ist und in Ewigkeit bleibt als ein lebendiger Lobpreis seiner Ehre (s. Ps.145-150) und keinesfalls auf ewig verschwindet. Die elementare Funktion der Liebe hat ihre Gültigkeit bewahrt auch in der Situation des gefallenen Menschen, in der das originale fundamentalontologische

Prinzip Gottes wenngleich

in

verblasster

140 Nietzsche Π, GA, 1997, 310. 141 Wir fassen also im „Seienden als Ganzem" gerade die biblische Physis als „Sein" und sehen darin gerade nicht wie Heidegger eine „metaphysische Verwechslung" am Werk. 142 Thomas Aquino, Summa Theologica I, q 4, a 1, ad 3.

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Der Verlust der originalen Seinsgrundlage und seine Folgen

Form nachwirkt. Auch hier ist Sein nur in der Liebe, 143 vom Willen Gottes - dass das Sein sei - getragen, oder es ist Sein in der Vernichtigung befindlich, damit aber aus letzter Perspektive nur Schein-Sein, Sein, das der Wirklichkeit nicht standhält. Den Seinsgrund der Liebe Gottes aus Gottes Seins-Willen abzuleiten, ist aufgrund seiner Personalität unproblematisch und entspricht unserer eigenen Erfahrung mit der Wirklichkeit. „Der Grund der Liebe ... ist eins mit dem Willen zur eigentlichen Wirklichkeit. Was ich liebe, von dem will ich, dass es sei. Und was eigentlich ist, das kann ich nicht erblicken, ohne es zu lieben." 144 Der Wirklichkeit werden wir erst in der Liebe gewiss, in der die Dinge zu sich selbst und zum Nächsten finden, in der sie sind, wie sie sein sollen. Um aber die immanenten Auswirkungen der Gottesliebe nicht allein nachzuvollziehen, sondern an der Durchsetzung der Standards Gottes mitzuwirken, kommt es darauf an, dass wir selbst deren unmittelbaren Gestaltungskraft teilhaftig werden. Darum ist die größte Seins-Herausforderung die Praxis derjenigen Liebe, mit der Gott selbst liebt, einer Liebe, die nicht nur die Festungen menschlicher Hybris zu überwinden, sondern auch die Zerrprodukte menschlichen Versagens - Verletzungen, Verhängnisse, Einseitigkeiten und Entfremdungen - zu heilen versteht. Die Liebe Gottes vermag, woran alle Lebenskunst und alle Psychologie an ihre Grenze stoßen, die Überwindung des eigenen verhärteten Herzens nämlich. Die Kunst zu lieben, ist darum exakt die Kunst des Heiligen Geistes, wie denn auch das von der Liebe geschaffene Werk sein Kunstwerk ist. Empirisch verifizierbar wird die Liebe an ihren Früchten (Gal.5,22), die ihrerseits dem Leben dienen - intaktem, wiederum zur Liebe befreitem, entkompensiertem, schöpfungsgemäßem Leben. Darum ist, wenn die „Sage vom Sein", wie Heidegger meint, nur nicht-metaphysisch laut und zu einer „Zeige" wird, 145 das Christliche dafür ideal prädestiniert, soll und kann doch in der Agape als ihrem transzendenten Urgrund die christliche Gemeinde die Einheit von Sein und Seiendem doxologisch leben. Dafür ist kein „Dichten" nötig oder auch nur geeignet.

143 Das englische „to be in love" deutet diesen Sachverhalt besser an als etwa das deutsche „verliebt sein". 144 Karl Jaspers, Einführung, in die Philosophie, 241985, 63. 145 Unterwegs zur Sprache, GA, 1995,242ff.; Der Satz vom Grund, GA, 1997,156.

Das „Andere"

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Das „entbergende Wesen" ist nach biblischer Auffassung nicht Sache des Seins, sondern Sache des Gotteswortes. Sein ist, wie in der Liebe, so nur im Gotteswort und wird darin unzweideutig erkannt, was bedeutet, dass genau hier die von Heidegger letztlich gesuchte Identität von Denken und Sein besteht.146 Es ist samt aller Erkenntnis aus diesem heraus geboren und kann in diesem seinem Mutterboden nur existieren.147 Eine andere Stätte, an der es überleben könnte, hat es aus christlicher Sicht nicht. Der „Sinn von Sein" ist, Seiendes tatsächlich „sein zu lassen". Es ist dies der Sinn des originalen Schöpfungswortes Gottes, des „Es sei". Von hier aus wird auch erkennbar, wie die philosophische Urfrage theologisch zu beantworten wäre, auf welche Weise anstelle von Seiendem einmal Nichts „sein" könne - indem nämlich Gott sein seinstragendes Begründungswort, dem Sein also seine Bejahung entzöge. Sein und nicht Nichts148 ist, weil und sofern die Liebe Gottes ist, die mit dem Seienden in der Ubereinstimmung von Sache und Schöpferrede auch „Wahrheit" gewährleistet. So ist in diesem auch die ontologisch-epistemologische Differenz in einer zeitlos gültigen Weise gelöst. Der „Rückgang in den Grund der Metaphysik" 149 ist, christlich gefasst, der Rückgang in den göttlichen Logos als den originären Grund des Seins. Er, nicht „der Dichter steht als der Zeigende zwischen den Menschen und den Göttern". 150 Jener Logos aber hat die maximale Entbergung der Agape zugunsten alles Seienden gebracht. Bei Heideggers vagem „eschatologischem Mythos" 151 beginnt präzise die konkrete christliche Offenbarung. Indem die Agape aber kein geschickhaftes, den Menschen zwanghaft überkommendes Unabänderbares ist, sondern im Sinne der christlich-dynamischen Soteriologie die an den Menschen gerichtete Existenzfrage, die dessen freier Antwort harrt, haben wir es zu tun mit zwei realen Seinsweisen des Seienden. - Bei ihrer Anwesenheit mit der - um noch einmal mit Heidegger zu sprechen „Huld" oder „Gunst" des Seins, bei ihrer Absenz mit dessen

146 S. Anm. o. 147 ... wodurch die Existenzfrage gelöst ist. 148 Nach Heidegger die „Grundfrage der Metaphysik" in: Einführung in die Metaphysik, 6 1998, V, Was ist Metaphysik?, 151998, 23. 149 Ebd., 7. 150 Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA, 21996, 123. 151 So Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen, Bd. 1, 2 1985, 494.

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„Grimm" 1 5 2 bzw., biblisch gesprochen, mit einem Sein unter dem „Zorn" Gottes. Letzteres wäre das eigentliche „Nichts" im biblischtheologischen Sinne, die transzendentale Unmöglichkeit des Seienden also. Das Sein der Liebe Gottes qualifiziert das Seiende zum Guten oder zum Schlechten und verheißt dem „Guten" ewiges Leben und dem „Schlechten" ewigen Untergang. Die Seinsweise des Seienden ist somit abhängig von seinem jeweiligen Seinsgrund. Dabei ist zu beachten, dass auch der Zorn und das Gerichtshandeln Gottes immer auf sein übergreifendes Erbarmen zielt, dass Gottes letztes Wort nicht die Hin-, sondern die Herrichtung der Dinge ist, dass selbst die Vernichtung des der Liebe Entgegenstrebenden eine Aktion der Liebe Gottes ist und bleibt, so schwer dem begrenzten menschlichen Verstand dies auch einleuchten mag (vgl. Rö.ll,30ff.). 1 5 3

152 S. Was ist Metaphysik?, "1998, 53; Über den Humanismus, 102000, 52. 153 Pannenberg sagt darum zutreffend, dass nicht nur die rettende, sondern auch die strafende Gerechtigkeit sich „als ein Aspekt der Liebe Gottes" erweist. ST 1, 1988, 468; vgl. Tillich, a.a.O.

III. Kompensationsversuche des fundamentalontologischen Defizits / Die Erosleistung 1. Die Entstehung der Seinsfrage, - der Wahrheitsfrage / Die Suche des Eros / Die Frage nach dem Seinsgrund als die Frage nach der Liebe / Christ-Sein Mit der Problematisierung des Seins ist dem denkenden Menschen die Semsfrage aufgegeben, dem Menschen, der unter der Zerrissenheit und Selbstentfremdung der Schöpfungs-Urglobalität von Beginn dieser Zerrissenheit an leidet. Die Desintegrität seines Seins ist die Urerfahrung des Menschen und ihm Anlass nachzusinnen, ob es denn so sein müsse oder nicht auch anders sein könne. Darum hat man den Zweifel an den Beginn philosophischer Reflexion gesetzt (Descartes). Am Anfang philosophischer Reflexion steht die Verwunderung über die Befremdlichkeit des Seins, die Erkenntnis dessen Frag-Würdigkeit, das Eingeständnis, dass es mit diesem so seine Richtigkeit und Endgültigkeit womöglich nicht hat.1 Die Problematik des Seins ist somit der metaphysische Grund für die Seinsfrage geworden, die mit der SelbstBewusstwerdung des Menschen und seiner Situation eröffnet ist. Sie entsteht genau wie die Frage nach „Wahrheit" erst dem deformierten Sein außerhalb der Bejahung Gottes, dem Sein im Irrtum, in der Verkehrtheit. Das Seins-Wirrwarr stellt die Frage nach dem seinsfundamentierenden, seinsordnenden Unum - die Vergänglichkeit der Dinge nach wahrhaftem, beständig Seiendem. So ist die Philosophie zunächst „denkendes Gewahrwerden der ungeheuren Ausgesetztheit des Menschen in das Da", 2 die Seinsfrage 1

S. Wilhelm Schmids Ausführungen über den „Grund der Philosophie", die passend als „Raum der Orientierung" bezeichnet wird; Philosophie der Lebenskunst, 1998, 49.

2

Hans-Georg Gadamer, Der Anfang des Wissens, 1999, 152.

122

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

aber das Problem der Kontingenzbewältigung dort, wo die ursprüngliche Systemkomplexität, die Schöpfungseinheit verlorengegangen ist. Sie stellt sich dem Sein zum Tode als die Frage nach dem uneingeschränkten, dem „ewigen Leben". Der originale Mensch lebt in Wahrheit und ist kraft seiner personellen Integrität selbst ein Teil von ihr. Nun aber findet der natürliche Mensch sein Sein außerhalb der Wahrheit Gottes vor. Nach dem Fall wird darum die Wahrheitsfrage brisant als die Hoffnung auf - , und die Frage nach dem heilenden Urprinzip, nachdem die Ureinheit zerstört und der Mensch auf sich selbst verwiesen ist. Die Seinsfrage ist dergestalt zur Suche nach dem „Wahren, Guten und Schönen" (Piaton) geworden. Diese Seins-Qualitäten sind es, die der Mensch liebt, die ihn bewegen, die ihn auf die Reise schicken dorthin, wo er vermeintlich ihrer habhaft wird. Diese Reise ist die Odyssee des menschlichen Eros. 3 3

Vgl. o. Dem Eros in seiner ursprünglichen, undomestizierten Natur entspricht im Wesentlichen, was in der Vergangenheit auch als „Ungrund" (Böhme), „Urwille" (Schopenhauer, Nietzsche), „Drang" (Jung, Scheler), „Unbewußtes" (Freud, Hartmann), elan vital (Bergson) u.a. bezeichnet wurde - jener, wie Schopenhauer sagte, „blinde Trieb", der in all seinen Erscheinungsweisen überall auf die Steigerung seiner selbst aus ist, der aber sein eigentliches Ziel nie findet, sondern letztendlich ewig unbefriedigt bleibt, weshalb für Schopenhauer „Erlösung" außer in der herausragenden Geistern vorbehaltenen Kontemplation nur in der „Verneinung des Willens zum Leben" - ähnlich der buddhistischen Anschauung bestehen kann. In Schopenhauers „Heilsordnung" ist es das Leiden, das den Menschen läutern und ihn so abbringen soll vom „Irrweg des Willens zum Leben" (Werke 4, 745), dieweil dem Genie es gelingt, im Akt reiner Anschauung von dessen Zumutungen komplett unbeeindruckt zu bleiben (ebd., 445ff.). Die Willensmetaphysik Schopenhauers kann als voluntaristische Interpretation der klassischen Eroslehre unter fundamentalpsychologischen Aspekten als eine besonders treffsichere, tiefe und praktisch äußerst lehrreiche betrachtet werden, die speziell gegenüber der gegenwärtigen flachen Positivdenkerei eine Wiederbelebung verdiente (die sie in Ansätzen bei Schmid/Lüdtkehaus erfährt, vgl. a.a.O.). Aus christlicher Sicht ist freilich - entgegen Schopenhauers eigener Meinung - die pessimistische Schlussfolgerung abzulehnen im Maße, wie das Erosstreben als diejenige Fragestellung und Suche begriffen wird, die in der Liebesbotschaft des Evangeliums ihre ultimativ gültige Antwort dergestalt gefunden hat, dass die vitale Bedürftigkeit, nicht allein des Menschen, sondern aller Lebewesen, keinesfalls verneint, sondern in systemischer Harmonie einstmals ziellos einander widerstreitender Individualinteressen eben doch ihre Befriedigung erfährt. Die undifferenzierte Gleichsetzung vitaler schöpfungsgemäßer Bedürfnisse mit der „Sünde" hat freilich kaum weniger nachhaltig das Christentum dem Anschein ausgesetzt, in diesem Sinne keineswegs lebensbejahend zu sein, wie denn auch Schopenhauer echtes Christsein als mystisch-asketisches interpretierte oder Nietzsche gar

Die Frage nach dem Seinsgrund

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So erscheint, wenngleich sie von Beginn der abendländischen Geistesgeschichte an vieldeutig und vielgestaltig interpretiert wird, in den religiösen, philosophischen, künstlerischen und auch ganz profanen Bemühungen um die Liebe immer auch die unübersehbare Hoffnung, mit ihr einem elementaren Defizit in der menschlichen Grundbefindlichkeit entgegen zu steuern. An diesem Punkt treffen sich alle kulturellen Strömungen, auch die subversiven. An diesem Punkt treffen sich Ideologien und private Lebensentwürfe. Bei allen Bestrebungen nach Verwirklichung des eigenen Selbst eignet auch den konträrsten Überzeugungen derselbe private Reflex, die Stillung der Sehnsucht in jener schlichten, unspektakulären und unkäuflichen Zuwendung zu suchen, in welcher man sich abseits aller Schaffensleistung voll und ganz angenommen erfährt. Insofern ist der Modus der ontologischen Defizienz auch der Modus der Empfangsbereitschaft und zeigt auch schon die Eigenart des zu Empfangenden an. Der Mensch weiß, dass in seiner nächsten Nähe etwas sein muss, das ihn durch und durch kennt und das seinem Mangel abzuhelfen vermag. Als dieses möchte ihm die Agape begegnen. Die Seinsfrage ist der umfassendste, dabei hilflos-abstrakte Erkenntnis-Hilferuf. Die Agape ist die umfassendste, konkreteste Antwort, die innerhalb der menschlichen Geschichte laut geworden ist. Die Liebe Gottes, nicht des Menschen Vernunft, ist die Antwort. Die göttliche Liebe aber ist gleichbedeutend mit der göttlichen Vernunft. Sie ist das Sein Gottes und als solches geeignet, die verunsicherte menschliche Liebespraxis ebenso zu regeln wie den unkontrollierten kompensatorischen Vernunftgebrauch,

als lebensfeindliches „Ressentiment" des Schwächlichen. Christus aber ist gekommen, „damit wir Leben haben, Leben in Fülle" (Joh.10,11), damit die Freude des Vaters vollkommen ist, wenn die Freude seiner Geschöpfe vollkommen ist (s. Joh.15,11; 16,24; 17,13; 2,Joh.l2), sprich herausbefreit aus dem Kreislauf von Bemühung und Enttäuschung, von Trieb und Frustration, vom Kampf um hehre Ziele und deren gleichzeitiger Zerstörung, von der ontologischen Asymmetrie dieses Kosmos hin zu einer in sich befriedeten Schöpfungskomplexität nach originalem Muster, einer dauerhaften lebensförderlichen Konstruktivität des Strukturganzen. Darum ist rechtes Christentum nur dort, wo tatsächlich jenes Gute, Wahre und Schöne realisiert ist, das der Eros erstrebt, die Liebe Gottes aber gibt. Vgl. zur zwanghaften Typik des Eros im Gegensatz zur Agape als Antwort auf die menschliche Erfüllungssehnsucht die eindrucksvollen Schilderungen von Otto Kuss in: Die Liebe im Neuen Testament, 1967, 227ff.; sowie auch Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments, 1978, 61.

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Kompensationsversuche / Die Erosleistung

weshalb intakte Vernunft, wie Pascal dies sah, über die Einsicht in die Unzulänglichkeit ihrer Erkenntnisse in die höhere Vernunft der Gottesliebe mündet. Die natürliche Vernunft ist geneigt, die fehlende Liebe zu überkompensieren, wodurch dem Sein nicht wirklich gedient ist. Die Vernunft aber, die im Einklang mit dem Sein Gottes steht, reguliert und erhält das Sein in der Liebe. Dies ist das ontologische Ziel und reale Werk der christlichen Soteriologie. Sie ordnet kraft des Kreuzes Christi die ontologische Grundstruktur des Kosmos, indem sie dessen elementare Polaritäten4 ihrer egozentrischen Selbstverkrümmung enthebt und, ausgestattet mit dem Blick auf und der Liebe für das Strukturganze, sie fruchtbar aufeinander bezieht, um so im kleinen, aber „feinen und lieblichen" (Ps.133,1) Format das eigentliche Weltwunder des Leibes Christi zu schaffen. Das Christsein bedeutet die Reparatur der ontologischen Grundstruktur und die Agape ist das zu diesem Zwecke bevollmächtigte fundamentalontologische Prinzip. In ihr allein sind die Antinomien des depravierten, des desintegren Seins überwunden. In ihr „ist" - wirklich und wahrhaftig - „Sein". 5

2. Disziplinen des Eros Als mit dem Problem direkt beschäftigte Variante menschlicher Seinsbemühung entwickelt sich die abendländische Philosophie weiter als der Versuch, heilsames Orientierungswissen zutage zu fördern. Es entstehen Metaphysik und Ontologie - selbst teils Erbe teils Segment der Metaphysik - , schließlich die empirischen Wissenschaften, die die systematische Erforschung der Seins-Einzelbereiche betreiben, „spezielle Ontologie" sozusagen, indem sie das im Seinszerfall befindliche Sein zum letztlichen Zwecke seiner Stabilisierung untersuchen, währenddessen die Religion die theologischen Zusammenhänge zu erhellen versucht.6

4

S.o.

5

Tillich weist zu Recht darauf hin, dass „der philosophische Rationalismus und der theologische Legalismus" beidermaßen der vollen Einsicht in die genuin christliche Auflösung der ontologischen Spannungsverhältnisse abträglich sind (ST 1, 8 1987, 234).

6

Eine Form von „Heilsstreben" bildet somit den metaphysischen Hintergrund aller Wissenschaft, was bedeutet, dass wir von gemeinsamen Grundvoraussetzungen von

Disziplinen des Eros

125

Gegenüber der Grundtendenz der griechisch geprägten, abendländischen Wissenschaft, des Seins logisch-analytisch habhaft zu werden, es in den Griff zu bekommen in der Weise, dass es schlussendlich technisch eminent manipulierbar gemacht wurde, 7 waren die bisherigen Philosophie, empirischer Wissenschaft u n d Christentum sprechen müssen, insofern sie alle an der Semsproblematik arbeiten. Wissenschaftlich-ungläubige Seinsstabilisierung kann dabei aber als Kompensationshandlung in Bezug auf die d e m Bereich des Glaubens überantwortete Grundlage gesehen werden. Sie betreibt immanente Seinsstabilisierung, w e n n man so will, „Pseudometaphysik". Sie entspringt der ursprünglichen φιλοσοφΟα, u m diese aber alsbald a u f g r u n d ihrer praktischen Erfolge hinter sich zu lassen, w ä h r e n d jene als kommentierende Begleitwissenschaft als Metatheorie zwischen Weisheit u n d Wissenschaft verbleibt. Als solche freilich sieht sich Philosophie heute in ähnlichen Begründungsnöten wie Metaphysik u n d Ontologie. Die Theologie, ob als spekulative Metaphysik oder als N a c h d e n k e n der Offenbarung, hat hingegen direkte, offen eingestandene metaphysische Intention. Sie ist insofern Wissenschaft sui generis u n d zielt auf die Wiederherstellung der - aus ihrer Sicht - originalen Seinsgrundlage. Sie erstrebt transzendente Seinsstabilisierung/ -fundamentierung, i n d e m sie den Problemen „im G r u n d " gerecht w e r d e n möchte. Wenn u n d insofern dieses gelingt, könnte sie noch immer das ideale Korrelat zur Wissenschaft bilden, die ansonsten nicht u m h i n kommt, als Ersatzreligion zu fungieren. 7

Auf die Notwendigkeit, die westlich aktivistische Wissenschaftskultur, d e n Glauben an die Machbarkeit u n d Beherrschbarkeit aller Dinge durch eine H a l t u n g der Einfühlung, des Leidens u n d Mitleidens z u ergänzen u n d in beider Verständigung die Traumfähigkeit einer Wahrheit zu erhalten, die größer wäre als naturwissenschaftliche Resultate, haben freilich nicht nur Vertreter von Neomystik u n d Neomythologie, Außenseiter u n d Extremisten unterschiedlichster Couleur, sondern etwa auch H.-G. G a d a m e r beständig verwiesen, der im Gelingen eines solchen Dialogs eine Überlebensfrage der Menschheit gesehen hat. A u s biblischer Sicht ist die Technisierung der Lebenswelt wohl nicht als ernsthaftes Problem z u betrachten, wenngleich das sog. „Kulturmandat" (Gen. 1,28) gar zu häufig allzu bedenkenlos als deren Rechtfertigung benutzt w u r d e . Sie entspricht dem natürlichen Gang der menschlichen Zivilisation, was freilich aber auch bedeutet, dass sie, zumal in ihrer glaubenskompensierenden Stoßrichtung, nicht das H a u p t a u g e n m e r k des Gottesvolkes bilden kann u n d darf, ohne dass deswegen aber G r u n d bestünde für eine glaubensmotivierte Verwerfung der technischen Fortschritte. „Alles ist erlaubt, aber nichts darf Macht gewinnen über mich" (1.Kor. 10,23) heißt der Grundsatz. Die technologisch forcierte Entfremdungssituation des m o d e r n e n Menschen, die Ressourcenausbeutung, der respektlose U m g a n g mit der Tier- u n d Pflanzenwelt einem vermeintlich zu anthropozentrischen Christentum anzukreiden (wie etwa D r e w e r m a n n in: Der tödliche Fortschritt, 71997) ist jedenfalls ebenso verfehlt, wie etwa die U n t e r d r ü c k u n g der Frau, die Verfolgung von Glaubensgegnern o.ä. ursächlich in der Bibel lokalisieren z u wollen. Eine neue Dimension der Technikgesellschaft tritt in unserer Zeit freilich mit den Möglichkeiten der Genforschung auf den

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Kompensationsversuche / Die Erosleistung

einstweilig unterlegenen - Hauptreaktionen: Die Bewegungen der Romantik, der Mystik, der Esoterik, dann der atheistische Kommunismus mit seiner sozialen Utopie der klassenlosen Gesellschaft, allerlei unterschiedlich motivierte Aussteigergemeinschaften, des weiteren der christliche Fundamentalismus und nicht zuletzt, verstärkt zutage tretend, der islamisch/ethische Rigorismus. Daneben hat die östliche Philosophie von jeher die Anpassung der menschlichen Geistigkeit an ein prädisponiertes, gesamthaft begriffenes Naturwalten empfohlen, gleichmütige Einswerdung mit dem Weltgeschehen anstelle hektischer Betriebsamkeit im Versuch, es zu beherrschen - diejenige Haltung also, die man im Okzident gerade in jüngerer Vergangenheit einerseits als „Weisheit" zunehmend schätzen gelernt hat, zu deren Rückkehr aber der Weg trotz entschlossener Propagandisten 8 verschlossen sein dürfte und die von ausgewiesenen Freunden alternativer Kulturen auch nicht als wünschenswert erachtet wird. 9 Ähnlich den Asiaten behauptet sich von alters her auch eine westliche Philosophie der Seinsergebung schon bei den Stoikern und Pessimisten. Das Leben soll hier als Wandel anerkannt werden, die Sicht einer Mängel und Leiden einbegreifenden Seinsganzheit wird hier gewahrt. Empfohlen werden Euthymie, Ataraxie sowie eine Ethik der Solidarität, der Mitfühlung, auch des Mitleids. 10 Die holistische Weltsichtweise, die in ihrer Verbindung von Plan und mit dieser die im Hintergrund stehende Heils(ersatz)komponente der Wissenschaft offen zutage. Wenn es darum geht, einen neuen babylonischen Turmbau zu errichten dergestalt, dass der Mensch versucht, sich Schöpferkompetenzen Gottes anzumaßen, muss von christlicher Seite ein klares „Nein" ohne wenn und aber gesprochen werden. 8

S. vor allem die einschlägigen Schriften von Fritjof Capra, Kurt Hübner und Hans Blumenberg.

9

S. etwa Jan Assmann, Der Platz Ägyptens in der Gedächtnisgeschichte des Abendlandes, 2001, 59-80.

10

In dieser Tradition steht auch Wilhelm Schmid mit seiner „Philosophie der Lebenskunst" (1999). Parallel zur Linie des Kampfes um das Sein, des Widerstandes gegen seine übermächtigen Tücken, betreibt Schmid gegenwärtig die Wiederentdeckung der gelassenen Seinsergebung, der „Lebenskunst" als der grundsätzlichen Anerkenntnis des Umstandes, dass die „Fülle des Lebens" den „Widerspruch von Lust und Schmerz umfaßt" (340). Schmid verweist auf den elementaren Konflikt von „epistemischem und ethisch-asketischem Wissen" (303ff.), dessen beide Extreme, „haltlose Romantik" und rein „rationale Pragmatik" (42), zu vermeiden seien. Die Philosophie habe die Aufgabe, zwischen "Wissenschaft und Lebenswissen" zu vermitteln (309). Schmid polemisiert daher gegen den gegenwärtig so hoch im Kurs

Disziplinen des Eros

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stehenden „Kreuzzug des Positivdenkens". Er spricht von der Gegenwart als einer Zeit des „manischen Positivdenkens" (381) und plädiert demgegenüber für eine eher pessimistische Grundhaltung, die der Enttäuschung unrealistisch hoher Zielsetzungen und Erwartungen vorbeugt. Das Gelingen menschlicher Vorsätze sei gerade nicht anzustreben, vielmehr auszugehen von der Normalität des Misslichen, - dafür auch keine Reue zu empfinden bei den kleinen Freuden, die das Leben nichtsdestotrotz gewährt (s., auch zum Folgenden: Heiterkeit, 1999, 51). In Anknüpfung an die stoischen Tugenden geht es Schmid um eine „ausbalancierte Existenz", die nur dem gelegentlich möglichen „kleinen fröhlichen Exzess" frönt, dies aber umso unbedenklicher, als die Wirklichkeit des Daseins nun einmal anderer Art sei. Die „Anerkenntnis der Tragik" ist es, der Schief- und Ungereimtheiten, die, wissend um den fortwährenden Wandel der Dinge und davon getröstet, das Gemüt wahrhaft stabilisiert, - eine „heitere Skepsis", die es vor hochfliegenden Erlösungsphantasien und den vorprogrammierten Abstürzen daraus bewahrt. Schmids Sichtweise ist im Endeffekt freilich nichts anderes als die Wiederaufwärmung eines positiv gewendeten Schopenhauerschen Fatalismus, wie ihn ähnlich schon Sloterdijk empfahl, den die Bibel indes freilich, um eines tatsächlich realisierbaren „besseren" Seins willen schon im AT verneint. Erst recht das Evangelium als die Frohe Botschaft zielt nicht nur auf ein kritisches „weises Lächeln", sondern auf diejenige „überschwengliche Fröhlichkeit", in der Schmid meint, die Kehrtwende hin zu einem schließlich säkular gewendeten utopischen Fortschrittsoptimismus erblicken zu sollen, einem „Fortschrittsevangelium", das an den unverrückbaren „Tatsachen des Lebens" scheitern muss. Das Thema Mitgefühl/Mitleid hat Scheler ausgiebig behandelt, wenngleich er (in: Wesen und Formen der Sympathie, 51948, 57ff.) die Position Schopenhauers hierzu in einiger Verzeichnung wiedergibt. Dasselbe gilt von seiner sehr plakativen Darstellung des Christentums als jüdisch/römisch geprägte mangelnde Natureinfühlung (90ff.) bis zum Auftritt des heiligen Franz von Assisi, bei dem eine „einzigartige Begegnung von ,Eros' und ,Agape"' festgestellt wird (110). Gegenüber der vergeistigten christlichen „Person- und Gottesliebe", der „Sympathie", wird das „kosmische Einsgefühl" (96) der griechischen Antike in seiner aktiven, der indisch-chinesischen Philosophie in seiner passiven Variante hochgehalten. In unserem Zusammenhang wertvoll ist Schelers Aussage, wonach das Mitgefühl als Gemeinschaftsdisposition einen „Hinweis auf eine theistische Metaphysik des Weltgrundes" darstellt (77). Scheler sieht das Wesen des Menschen nicht in seinem Denken oder Wollen begründet, sondern in der Liebe, womit eine Art theozentrische Seinszuversicht gemeint ist (s.o.). Die Rangordnung seiner Werte und die wertnehmenden Handlungen bilden den ordo amoris (Zur Ethik und Erkenntnislehre, Ges. Werke 10, 1957, 355-373), der den Menschen somit als moralische Person determiniert. Scheler gelingt auf diese Weise in Ansätzen eine - auf die Lebensphilosophie rekurrierende - Korrektur des Postulats vom Primat des Geistes, die gleichzeitig in eine für uns interessante, theologische Richtung weist. Der Geist als solcher ist machtlos, unfähig, die ursprünglichen Lebenstriebe nachhaltig zu beeinflussen (Die Stellung des Menschen im Kosmos, 15 2002, 66). Er ist Determinationsfaktor, der Trieb Realisationsfaktor der Kultur (Ähnliches, oben bereits Untermauertes formuliert Jan Assmann in: Der Tod als Thema der Kulturtheorie, 2000, der den Trieb auf die Vergänglichkeitsproblematik

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Kompensationsversuche / Die Erosleistung

Erkenntnis und Ethik, von pragmatischer Lebensmeisterung und metaphysischer Gesamtkonzeption dem philosophischen Ur-Impetus als „Weisheitsliebe" besonders entspricht, geht dem induktiven westlichen Rationalismus und Empirismus philosophiehistorisch voraus und soll darum zumindest gestreift werden. 11

zurückführend, vom Tod als „Kulturgenerator ersten Ranges" spricht (14). „Die Kultur entspringt dem Wissen von Tod und Sterblichkeit" (13) - dem Unsterblichkeitstrieb also, den wir hier wiederum als den Eros-Trieb deuten. Hinter Geist und Leben steht ein „urseiendes Sein" (ebd., 53), das bei Scheler aber unausgewiesen bleiben muss aufgrund seines später ausdrücklich antitheistischen Anthropozentrismus, der keine außerhalb des menschlichen Geistes liegende Seinsfundierung zulässt. Die typische Aporie solcher Metaphysikbemühung, beim Versuch Sein und Seinsgründung in ein und denselben immanenten Kategorien zu fassen, wird bei Scheler am augenfälligsten wo die „Sphäre eines absoluten Seins" als mit dem menschlichen Bewusstsein koinzident beschrieben wird (ebd., 87ff.). Seinsverwirklichung ist hier gänzlich menschliche Selbstverwirklichung geworden. Transzendenz entsteht im „elementaren Akt des personalen Einsatzes des Menschen für die Gottheit" (ebd., 93) - Heidegger lässt grüßen. Richtig ist gewiss, dass die formale Seinssphäre, das Seinsbewusstsein konstitutiv zum diese Sphäre nicht gewaltsam ausblendenden Wesen des Menschen gehört und nicht außerhalb des menschlichen Geistes reflektiert werden kann. Wenn daraus aber gefolgert wird, dass eine transmundane Realitätsschicht nur im Menschen selbst existiert, wird ohne einsichtigen Grund auch die Möglichkeit einer Seinsrealität abgewehrt, die der Offenbarung bedarf. Das atheistische Zirkelverfahren ist in seiner formalen Logik nicht beschränkter als das theologische. Die Frage aber ist, ob es in ontologischer Hinsicht den Bedürfnissen und Potentialen des menschlichen Geistes wirklich gerecht wird. Ist der Mensch der „einzige Ort der Gottwerdung" (ebd., 92), dann ist eine von der Liebe abhängige Erkenntnis auf ein wahrlich unzuverlässiges Fundament gegründet und wird selbst kaum weniger unzuverlässig sein (vgl. dazu auch Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen, Bd. 2, 1985, 123-126). Insgesamt bleibt Schelers Lehre von der Liebe, die nur eine frühe Episode seines Schaffens bestimmt, bei allen interessanten Ansätzen ein Torso. Ihre mangelhafte christlich-soziale Interpretation ist indes evident, etwa wenn Scheler von der christlichen Liebe als einer „akosmischgeistigen" spricht (a.a.O., 116f.). Dass Schelers spätere Philosophie großenteils als ein Rückzieher zu seiner frühen in gerade diesem Punkt begriffen werden kann, hat zu Recht Kuhn festgestellt in: „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 268. 11

Wobei wir nicht verschweigen möchten, dass die fatalistische Neigung gerade auch des Buddhismus unter seinem Fußvolk auch einen erschreckenden Materialismus zugelassen hat. Für einen kompakten, an den interkulturellen Verbindungslinien interessierten Überblick eignen sich: Robert C. Salomon, Kathleen Μ. Higgins, Eine kurze Geschichte der Philosophie, 2000; oder ausführlicher: Eberhard Orthbrandt: Geschichte der griechischen Philosophie und des philosophischen Denkens, 1984. Für wissenschaftlich gediegenere Ansprüche sei die Religionsphänomenologie von

Der orientalische Seinsweg

129

3. Die Ägypter Einen Kosmotheismus finden wir schon bei den alten Ägyptern, wo Ptach sich die Dinge ausdenkt und Wirklichkeit werden lässt. Ein Art Gottesplan ist hier somit Bindeglied zwischen Gott und der Gotteswelt. Inwieweit die ägyptische Weltgeisttheorie, wo nicht Gott selbst, nur sein Geist im Weltganzen wirkt, vergleichbare griechische Ansätze präformiert hat, liegt bislang einigermaßen im Dunkeln. Die ägyptische Sichtweise enthält Ansätze zu mythischem Logosdenken wie auch zu formaler Logik, zielt doch der religiöse Überbau auf seine rationale Erfassung und Abbildung in allen Bereichen des täglichen Lebens, der Wissenschaft und der Künste. Es dominiert das holistische Element unter Echnaton (um 1350 v. Chr.) gewährleistet durch den alleinigen Weltgott Aton, der als liebendes Sonnenwesen die natürlichen Dinge ordnet und in seinem irdischen Repräsentanten göttlichen Glanz verstrahlt. Der Herrscher garantiert die Einheit des durch Krieg und Naturgewalten in sich bedrohten Seins und verleiht so dem unsicheren Leben jene Bleibenshoffnung, die es erst zu qualifiziertem Leben macht. Ein symbiotisches Weltverhältnis mit starker sozialer Komponente zeichnet diese Weltanschauung aus. Politik und Ritus dienen gleichermaßen der Auflösung der tragischen Spannungen zugunsten kollektiver Stabilität. Die ethische Erlösungslehre, deren Ziel die Vereinigung der Seele mit Osiris bildet, betont das Totengedächtnis, da sie mit einem Leben nach dem Tod rechnet, mit Gericht und Verwandlung. Das diesseitige Leben indes ist Leben sozialen Bindungen, wohingegen IchBezogenheit und Einsamkeit als Todesverfallenheit gelten. 12

4. Die Inder Für die indische All-Einheitslehre und die Identifikation von Gott und Seele bildet die Frage nach Urgrund der Dinge aufgrund wachsenden Zweifels an den Göttern den Ausgangspunkt. Der Kosmos wird gedacht als ein im Großen wie im Kleinen geordnetes Ganzes. Sein ewiGeo Widengren, 1969, empfohlen sowie S. N. Eisenstadt, The Origins and Diversity of Axial Age Civilisations, 1986. 12

S. zu diesem, auch für unsere eigene Perspektive interessanten Aspekt Jan Assmann, Tod und Jenseits im Alten Ägypten, 2001, 54ff.

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ges Gesetz (Dharma) waltet in allen Dingen, um sich als Ausdrucksform des göttlichen Willens in natürlicher, sittlicher sowie magisch-ritueller Ordnung zu manifestieren. Die Vorstellung der Verbundenheit aller Lebewesen wird durch das strenge Kastensystem aus westlichem Blickwinkel freilich eher konterkariert. Für alle gilt es, durch Gutes tun eine bessere Wiederverkörperung zu erreichen, um so auf dem Weg stufenweiser Reinigung schließlich in seiner Durchbrechung die Befreiung vom ewigen Kausalitätenkreislauf (Karma) zu erlangen. Neben der detaillierten Regelung des täglichen Lebens beschreibt die Überlieferung wie auch die Lehre des Buddha (um 500 v. Chr.) eine insofern trostlose Seelenwanderung, als an derem Ende immer wieder Vergänglichkeit steht. Das irdische Ziel ist ein Glücklichwerden trotz der Zwänge eines hoffnungslosen Kosmos. Die Heilsperspektive ist damit eine negative mit der Hoffnung auf ein letztendliches Verlöschen nicht nur des Lebensdurstes, sondern des Bewusstseins überhaupt im Nirvana. Der Versuch, das allgegenwärtige Leiden der Kreatur zu lindern, wird erkauft mit der Tendenz zu lebensfeindlicher Todesseligkeit. Diverse Spielarten modifizieren in der Folgezeit dieses Modell von Weltverneinung, Erlösung durch Askese und Erkenntnis bei gleichzeitiger Einwilligung in den unvermeidlichen Gang der Dinge.

5. Die Chinesen Die ebenfalls holistische Philosophie der Chinesen erinnert an Echnaton. Die Vorstellung gesellschaftlicher Harmonie steht hier noch heute über dem Präzisionsideal wissenschaftlicher Theoriebildung. Mittels deren Instrumente das Weltgeschehen im Ganzen zu begreifen, gilt als illusionäres Unterfangen, wenn nicht gar als naive Hybris. Den Wissenschaften eignet von daher ein unmittelbarer, pragmatischer Bezug. Die Yin-Yang-Lehre erklärt die divergenten, sich jedoch gegenseitig beeinflussenden kosmischen Urkräfte. Eine eher sozialethische Interpretation erfolgt durch Kung-fu-Tse (551-478 v. Chr.), der eine tugendhafte Gesellschaft lehrt, auch durch Mo-Zi (um 450 v. Chr.), nach welchem eine gute Gesellschaft universeller Liebe bedarf. Im Gegensatz zu Kung-fu-Tses aktiver diesseitiger Beflissenheit, einer verhältnismäßig spröden „politischen Moralphilosophie ohne Metaphysik" (Schopenhauer), ist der Ansatz Lao-Tses (um 400 v. Chr.) eher Spekula-

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tiv/meditativer Art und besticht durch mystischen Tiefgang. Beschauliches Sich-Versenken ins Ewige wird hier empfohlen, ruhige Begierdelosigkeit im Einklang mit einem unverdorbenen Naturzustand. Der Einzelne soll sich ins Tao einfügen, soll mitfließen im ewigen Strom des Gleichen, darüber hinaus sich zugunsten des Sinnvollen in Passivität üben. Die individualistische Gelassenheitslehre erinnert hier an die Stoa, der Naturalismus an die Naturromantiker. 13

6. Die Perser Im Weltendrama des Zarathustra (um 550 v. Chr.) begegnet uns die eklektische Verschmelzung von altorientalischem Glaubensgut zu einer philosophischen Glaubenslehre, deren Monotheismus und radikaler Dualismus einerseits, Reich-Gottes- und Erlöservorstellungen andererseits oft als Ursprungsmaterial der jüdisch/christlichen Theologie angesehen wurden. 14 Fest steht, dass der persische Pantheismus eine stark geschichtliche Komponente mit eschatologischer Ausrichtung besitzt, die den Einzelnen in die Entscheidung für die Gesetzmäßigkeiten seines Gottes stellt. Ahura Mazda zeugt hier einen guten und einen bösen Weltgeist, einen kosmischen Ur-Gegensatz, der sich auch im Menschen manifestiert und auf eine letzte Synthese zielt. In der Konsequenz eines vernunftgeleiteten rechten Lebenswandels ist es Aufgabe der Gläubigen, die Lüge und das Böse in der Welt zu bekämpfen, um so im Prozess persönlichen Reifens das Weltgeschehen in Weisheit und Wahrheit zu erneuern hin zu ihrem ursprünglichen Zustand. Der Sieg des Guten wird errungen durch Erkenntnis der Geister, der Weltgesetze, der eigenen Person sowie durch entsprechende Selbstdisziplin.

13

Während der Hinduismus als der Liebe verwandtes Zentralelement die Vorstellung des Respektes vor den im selben Daseinskreislauf befindlichen Mitgeschöpfen aufweist, ist im Buddhismus dieser Respekt um die Komponente des Mitleids erweitert. Im Islam dominiert demgegenüber das Element der - wie man weiß - auch kämpferischen Solidarität.

14

... was sich aber ebenfalls nur ungenügend nachweisen lässt, vgl. Widengren, Eisenstadt, a.a.O.

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7. Die Griechen / Der Beginn der Eroslinie Die Anknüpfung der Griechen gerade an Letzteres darf in ethnologischer Hinsicht angenommen werden vor dem Hintergrund, dass bereits das persische Weltreich einen aktiven Kulturaustausch befördert hat. Bis ca. 1000 v. Chr. sind indoeuropäische Wanderscharen nach Griechenland gekommen. Die Hellenen haben einen regen geistigen Austausch im altorientalisch kultivierten Kleinasien gepflogen. Mit den Phöniziern überschnitten sich ihre Lebensräume auf Sizilien und an der Küste, wo die Vorsokratiker ihre Lehre entwickelten. 15 Daneben bestand eine lange freundschaftliche Verbindung mit Ägypten, so dass die Übernahme vieler geistiger wie zivilisatorischer Errungenschaften der altorientalischen Hochkultur als wahrscheinlich gelten darf - nicht nur in der Philosophie, auch im Staatswesen, in der Kunst sowie in Handel und Handwerk. Die eigenständige Weiterbildung griechischer Philosophie forcierten besonders die Ionier. Die Bewegung „vom Mythos zum Logos" kennzeichnet hier die keineswegs übergangslose Denkrichtung. 16 Die frühen Griechen entwickeln ein dezidiertes fundamentalontologisches Interesse anhand denkerischer Betrachtung der Natur. „Beweisendes" Denken löst die mythischen Bilder von Homer und Hesiod ab. Es erfolgt die Einführung philosophischer Elementarbegriffe wie Prinzip, Element, Atom, Materie, Geist, Stoff und Form. Die Frage nach den Ursachen, Erscheinungsweisen und Bedingungen des Seins wird virulent, mit der Unterscheidung von Sein und Schein eine Wirklichkeit im Hintergrund des Seienden postuliert, die es aufzuspüren gilt. Es entsteht die Frage nach dem eigentlichen Sein und der άρχή der Dinge

15

Insofern diese bereits die ontologischen Fragestellungen in einer besonders elementaren Weise reflektiert haben, sei deren Studium besonders empfohlen - etwa bei Wolfgang Rod, Die Philosophie der Antike, Bd. 1, 1976; oder bei Carl-Friedrich Geyer, Die Vorsokratiker zur Einführung, 1995.

16

Dazwischen steht etwa Pherekydes von Syros (um 550 v. Chr) mit seiner theologischen Kosmogonie, in welcher die Elemente mit Götternamen belegt werden. Zeus breitet einen Mantel mit Schablonen über die Urmasse, formt so die Dinge. S. Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. XIX,2,1938, 2025-2032.

Die Griechen

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eingedenk der Einsicht, dass der ständige Wandel der Dinge das Eigentliche nicht sein kann. 17 Die Frage nach dem einigenden Urprinzip, gerade angesichts der akuten Erfahrung von Zweifelhaftigkeit, Vergänglichkeit und Tod der Dinge hat die griechischen Weisen von Beginn an beschäftigt. 18 Sie haben zutreffend die Wahrheitsfrage noch im engsten Zusammenhang mit der Seinsfrage behandelt. Sie haben erkannt und in vielfacher Weise darüber reflektiert, dass es ein Problem hat mit dem Sein resp. mit seiner Disparatheit und Vergänglichkeit. Das Problem des Seinsverfalls war ihnen von daher das philosophische Grundproblem. Darum wollten sie erkennen, was das eine, ewige Prinzip sei, der einende Grund der Dinge, auf den man sich konzentrieren müsse angesichts so undurchschaubarer Seinsvielfalt und -Verworrenheit. Die Antworten der Vorsokratiker waren - ähnlich heute - hauptsächlich physikalischer Natur. 19 Die ersten systematischen Reflexionen das Sein betreffend finden wir bei Parmenides. Sein ist hier gedacht als die eine ungewordene, ungeteilte, substantiell unwandelbare Weltsubstanz. Diese korrespondiert dem Denken als Modus des Seins und ist abzugrenzen gegenüber dem bloßen Schein. 20 Die Vorsokratiker identifizierten das Seiende mit den Naturphänomenen und stellten aus heutiger Sicht freilich naive, unmittelbare Seinsüberlegungen zum Verständnis des Gesamtkosmos an. Die vorsokratische Ontologie zeichnet sich indes vorbildlich aus durch das Anliegen einer Zusammenschau des natürlich Gegebenen, das freilich seine monistische Verengung erfährt, indem ihm ein einheitlicher Grundstoff unterlegt wird bzw. ein einheitliches Grundprinzip, womit die Grenze zur Metaphysik berührt wird. 21

17

Ein Problem, das als die Aporie von Einheit und Vielheit bzw. Differenz begriffen wurde. Unsere Erfahrung bezeugt die Differenz des Seins, die logisch wiederum Einheit voraussetzt.

18

S. Walther Kranz. Die griechische Philosophie, 1955, 25ff.

19

S. Wolfgang Rod; Carl-Friedrich Geyer, a.a.O.

20

S. Hermann Diels, Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, 6 1996, 28 Β 2, 8,

21

Die Zurückführung allen Seins auf ein einheitliches, innerweltliches Prinzip lässt

10.

unser heutiger Wirklichkeitsbegriff bei allem Bemühen um eine „Weltformel" zumindest derzeit nicht zu.

134

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

Im weiteren Verlauf hat die abendländische Philosophie die Lösung der Seinsfrage in ihrer Verbindung mit der Erkenntnisfrage gesucht. Nach der physikalischen Etappe haben die frühen abendländischen Denker das Urprinzip als eine Art göttlichen Intellekt verstanden. Die Interpretation des Gotteslogos als dem Urgrund allen Seins wurde auf diese Weise, theologisch gesehen, zu eng am menschlichen Logos ausgerichtet - ein naheliegendes Missverständnis, weil es ja der menschliche Logos ist, der das Seinsdefizit reflektiert und artikuliert, weil die Bibel mit einem bis dato eher kognitiv interpretierten Logosbegriff umgeht und weil ein solcher Gottesverstand freilich am ehesten die Möglichkeit zu eröffnen schien, mithilfe des eigenen Verstandes, kombiniert mit einer „vernünftigen" Lebensführung, sich eine ganz individuelle Brücke zum Heil zu bauen. Auf dieser Tradition des Glaubens an die Erkenntnis ruht noch immer, trotz zahlreicher Modifikationen und gelegentlichen, nicht selten zu undifferenziert als „romantisch" abqualifizierten Gegenreaktionen, die kognitiv-individualistische Schlagseite unserer zumindest westlichen Gesellschaft wie auch die Diskrepanz zum Eigentlichen einer jeden Gesellschaft: zur Gemeinschaftsfrage. Bestärkt durch Elemente des altorientalischen Pantheismus und Panentheismus konnte sich derjenige gnostizierende Individualismus entwickeln, der in Verschränkung mit seinem universalistischen Gegenpart das abendländische Denken bis heute geprägt hat und prägt, die beide aber kompetenzlos sind im Bereich der Seinsmitte, da wo das Leben konkret nach der Möglichkeit fruchtbaren miteinander Auskommens fragt. Gegenüber dem physikalischen Positivismus der Vorsokratiker ist es Piaton, 22 der ein defizientes Sein ausmacht, das nur auf dem Weg der Partizipation an den allein wahrhaft seienden, ewigen, unveränderlichen „Ideen" ist. Materielles, Wandelbares ist von diesen nur ein Schatten von weitaus geringerer Seinsidentität. So ist hier bereits angelegt, was später als „ontologische Differenz" zwischen Sein im vollen und Sein bzw. Seiendem im eingeschränkten Sinn unterschieden wird. Die Ontologie als systematische Disziplin geht zurück auf Aristoteles, der es als Aufgabe der „ersten Philosophie" ansah, „das Seiende als Seiendes rein insofern es ist", das Sein also als solches zu betrachten.

22

S. zum Folgenden Walther Kranz, Die griechische Philosophie, 1955, 138ff.

Die Griechen

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Dabei ist weniger die Transzendenz im Blick, vielmehr die Metaphysik als die Physik, die das Seiende im Ganzen untersucht. „Metaphysica" ist dabei eine bibliothekarische Bezeichnung von unterschiedlichen Werken nach der „Physica". Darin erfolgt die Untersuchung erster Gründe und Prinzipien (αιτίας και αρχάς) sowie des Seienden als Seiendem (öv η öv). Da dieses kein echtes Genus darstellt, unterscheidet Aristoteles eine erstlich seiende „Substanz" als die Qualität der Dinge und dieser unselbständig anhaftende „Akzidentien", woraus sich die Unterscheidung von Qualität und Quantität ergibt. Die Prinzipien der ουσία gilt es festzustellen, wodurch das Sein als δύναμις und ενέργεια charakterisiert wird. Nicht die Materie ist wirklich, sondern die Formen derselben. Einzelwesen sind aus Materie; „seiender" als diese aber ist die prägende Wesensform. Am „seiendsten" schließlich ist der unbewegte Beweger, die sich selbst erkennende göttliche Vernunft. Aufgrund der hier vorausgesetzten, gestuften Seinsanalogie ist das Wissen vom gewöhnlichen Seienden folglich zugleich Wissen vom zuhöchst Seienden. Sein hat hier seinen idealisierten Charakter einerseits bewahrt, ist aber andererseits zum Gegenstand realistischer, naturwissenschaftlicher Betrachtung geworden. Die Bereiche der Aristotelischen „Metaphysik" sind somit Ontologie (das Sein selbst), Theologie (das Sein im Bezug auf das höchste Sein), Kosmologie (das Sein in seinen allgemeinsten Zusammenhängen) und Anthropologie (das Sein in Bezug auf die Seele). Die Themen lauten folglich: Sein, Nichts, Werden, Freiheit, Unsterblichkeit, Gott, Leben, Kraft, Materie, Wahrheit, Seele, (Welt-)Geist, Natur. So ist von Aristoteles aus die Metaphysik die umfassendste Disziplin zur Bestimmung allgemeiner Seinsprinzipien, die Theorie des Seienden als solches, im ganzen und im Blick auf höchstes Seiendes. Wenn man so will, haben wir es also zu tun mit einer Wissenschaft von den letzten Dingen.23 Die Ontologie kann gefasst werden als die Frage nach den allgemeinsten Bestimmungen des Seienden (Kategorienlehre), als harter Kern der Metaphysik24 bzw. die Metaphysik als Erweiterung der ontologischen Fragestellung aufs Ganze und Umgreifende. Aus der

23

... die damit den Ausgangspunkt bildet für das Themenfeld dessen, was als „Weisheit" gilt; s. Anm. a.a.O.

24

Oder wie Diemer sagt: als „Axiomatik aller möglichen Metaphysik", Einführung in die Ontologie, 1959,171; vgl. auch Caspar Nink, Ontologie, 1952,1-8.

136

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

Frage nach letztem seienden Grund wird die klassische „Ontotheologie". An die Letztere anknüpfend, verneinen die Stoiker ausdrücklich ein Sein jenseits der wahrnehmbaren Welt zugunsten eines „körperlichen" Kriteriums, da allein Körper etwas zu bewirken in der Lage seien. Geistige Qualitäten wie die Seele, die Tugend werden infolgedessen ebenfalls als Körper begriffen, Tatsachen als subsistierende Körperlichkeiten. Demgegenüber hält Numenios wiederum das Unkörperliche, aber Intelligible für das eigentlich Seiende, die ούσία für den göttlichen Intellekt.25 So ist wieder die idealistische Tradition zu Ehren gebracht, die über Plotin die Folgezeit maßgeblich bestimmen wird. Die „ontologische Differenz" kann vollends zurückgeführt werden auf die sich am späten Plato orientierende Neuplatonik. Das unbeschreibbare göttliche „Eine" wird hier als das „Überseiende" vorgestellt, als die erste Wirkung und emanierender Geist, als die höchste Idee des Guten bzw. des Einen, die allen anderen, ihr entspringenden, an Würde und Kraft überlegen ist. Ohne selbst ούσία zu sein, verleiht sie diesen gleichwohl ούσία und είναι, wodurch Sein und Seiendes unterschieden sind in der Weise, dass das vor dem Seienden wesende Sein selbst Grund alles Seienden ist.26

8. Mittelalter / Der Höhepunkt der Eroslinie Das Mittelalter tradiert die Metaphysik als allgemeine Lehre vom Sein und vom Seienden gemäß der aristotelischen Tradition. Die Erklärungsfunktion der Ontologie, bislang hauptsächlich zuständig im Bereich der natürlichen Erfahrung, wird nun ausgeweitet auch auf die christlichen Glaubensinhalte. Mithilfe der so erreichten umfassenden Anwendungsbreite können seitens der Scholastik schließlich Sein und

25

S. Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen, Bd. III/2, 7 1963, 234ff.

26

Den folgerichtig konstatierten qualitativen Unterschied zwischen diesem höchsten Sein und dem daraus hervorgehenden Logos hat man als unvereinbar empfunden mit dem Trinitätsgedanken, weshalb die Logoslehre aus dem friihkirchlichen Dogma ausgeschieden wurde. Wir werden noch zu fragen haben, ob dabei der biblische Befund Pate stand oder in erster Linie der Konflikt spekulativer Denksysteme. Zur Neoplatonik vgl. Werner Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, 1985, 38-72.

Der „Fortschritt" der Eroslinie

137

Gott identifiziert werden. Im sog. Universalienstreit - um die Frage, ob die Allgemeindinge nur Begriffe oder Wirklichkeiten seien - können wir in philosophisch-theologischer Hinsicht den Höhepunkt der Eroslinie feststellen, gleichzeitig aber auch erste degenerative Ermüdungserscheinungen der gar zu weltentrückten Seinsbehandlung.27 Die naturwissenschaftlichen Durchbrüche eines Galilei, Kepler, Newton sind Fanale für die neuen Wege, auf denen der Eros sein Glück versucht.

9. Neuzeit / Der „Fortschritt" der Eroslinie und ihre nicht-christlichen Modifikationen Insofern die zunächst christlich unterfütterte, aktiv-optimistische Bemühung um das Sein den geistigen Transmissionsriemen bildet für die rasant einsetzende Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften mit ihren technischen Errungenschaften, die wiederum die Aufklärung und die damit verbundene gesellschaftliche Säkularisierung befördern werden, wird deutlich, dass die Eroslinie zu dem zweifelhaften Fortschritt tendiert, den Menschen nicht länger auf seinen originalen Seinszusammenhang zu verweisen, vielmehr ihre christliche Motivation abzustreifen und sich selbst als seins-verantwortlich zu begreifen. So rückt die Neuzeit die Agape endgültig aus ihrem ontologischen Gefüge und führt sie ihrer einzelwissenschaftlichen Betrachtungsweise zu. Damit wird der Grund der Wissenschaft zu deren Objekt. Die Wissenschaft wird grund-los, in Ermangelung der Erkenntnis ihres Grundes aber auch ziellos. Sie arbeitet mit allen Möglichkeiten der ratio, aber ohne Kontrolle über dieselbe. Darum ist sie im letzten Grunde auch machtlos.28 Auf der Eroslinie entstehen schließlich die industrielle und mittlerweile postindustrielle Gesellschaft, die sich, wie wir gesehen haben, als janusköpfig erweisen, insofern sie den Schöpfungsverriss kultivieren, Entfremdung befördern und mit der Herrschaft des Stärkeren glo27

Einen vorzüglichen Einblick in die mittelalterliche Theologie bietet noch immer Nygrens Eros und Agape, 2 1954; s. aber auch die gewogenere Darstellung von Josef Pieper, Scholastik, 31991.

28

Vgl. Ulrich Hommes, der diese Machtlosigkeit anschaulich in Bezug auf die transrationale Sinnfrage beschreibt in: Die Freude ist die Wahrheit. Über die Herausforderung der Metaphysik durch die moderne Wissenschaft, 1985, 310-323 (bes. 313-318); s. auch Helmut Kuhn, a.a.O.

138

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

bales soziales Ungleichgewicht schaffen. Am vorläufigen Ende solcher Selbst-Desorientierung der Vernunft marschiert gegenwärtig die „Spaßgesellschaft", in telemedialen Kindergeburtstagsveranstaltungen die Bedrohungen und Ängste kaschierend (vgl. l.Kor.15,32), in die geistige Obdachlosigkeit. Indem die Neuzeit die Säkularisierung der Seinsfrage betreibt, wendet sie entscheidend den Blickwinkel aus theologischer in anthropologische Richtung. Die Innenwelt des Bewusstseins wird zum Ausgangspunkt der Erkenntnis (Descartes). Die Unterscheidung allgemeine - spezielle Metaphysik wird eingeführt (Wolff), wobei die allgemeine mithilfe von Kategorienlehre, Universalien und Transzendentalien, ausgehend von der Seinsvielfalt der Erscheinungswelt, im Sinne der klassischen Ontologie auf eine letzte Einheit der Dinge zielt; die spezielle Metaphysik betreibt rationale Theologie - als Metaphysik vom letzten seienden Grund - und rationale Psychologie. Explizit als „Ontologie" bezeichnet man erst seit dem 17. Jh. bis zu Hegel die Metaphysik des Seins im Sinne eines Zeitlos-Allgemeinen - das der klassischen Anschauung als ein höheres, wahres Sein galt - bzw. im Sinne eines umfassenden, möglichst enttheologisierten Realitätsbegriffes etwa im Sinne eines „Weltgeistes", wie dies der nach-klassischen Ontologie vorschwebte. Bei Kant, der sich gegen „synthetische Erkenntnis von Dingen a priori in systematischer Doktrin" wendet und die Ontologie zugunsten seiner „transzendentalen Analytik" verbannt, werden Metaphysik (und Ontologie) durch eine „Transzendentalphilosophie" ersetzt. Eine echte Durststrecke erlebt die Metaphysik folglich im 18. Jh. als „Wissenschaftslehre, Wissenschaft der Logik" u.ä. (Hegel, Fichte), um im 19. Jh. nahezu in Vergessenheit zu geraten. Mit Husserl, Hartmann, Jacoby und insonderheit Heidegger erlebt die Ontologie erst im 20. Jh. eine kleine Renaissance wie auch entscheidende Modifikationen. Während mit ihrer Rückfrage nach einem ersten, eigentlich Seienden, die traditionelle Ontologie ihren Blick auf das Jenseitige richtete bzw. mit der Frage nach dem Urgrund oder Urwesen in die Metaphysik mündete, stellt die „neue Ontologie" 29 mit Heidegger die Frage danach, was Sein eigentlich ist, die Frage also nach dem

29

S. Nicolai Hartmann, Neue Wege der Ontologie, 1949.

Neuzeit

139

„Sein des Seienden". 3 0 Der Neuansatz insbesondere Nicolai Hartmanns fungiert auch als Opposition gegen die Erkenntnistheorie als Grunddisziplin der Philosophie, wie vom Neukantianismus vertreten. Die Suche nach Einfachem, Einheitlichem, Ganzen - in Parallelität zur „Lebensphilosophie" - dominiert die Tendenz. Man orientiert sich hier nun nicht mehr strikt anthropozentrisch, sondern die Würdigung des autonomen Seins des Geistes wird erstrebt, dies aber nicht auf spekulativem, sondern mehr induktivem Weg. Die „deduzierende Metaphysik" der alten Seinslehre, deren Unterscheidung von esse und essentia zu einer „heimlichen Verdoppelung der Welt" führte, habe mit dem Nominalismus, der neuzeitlichen Naturwissenschaft und freilich mit Kant ihr berechtigtes Ende gefunden. 31 Im Zuge der „praktischen Aufgaben der Philosophie" 3 2 untersucht die neue Ontologie die „Realverhältnisse", wobei als deren Charakteristika „Zeitlichkeit" und „Individualität" fixiert werden. 33 Ausgangspunkt ist für Hartmann die organische Welt, deren „Schichten" zu ermitteln seien. 34 Aufgabe des Erkennens sei über das Bewusstsein hinaus, die Erscheinungen des Wirklichen zu erfassen, das An-sich-Seiende, das vor und unabhängig von aller Erkenntnis besteht. Hartmanns phänomenalistische Methode richtet sich so gegen die rationalistische Identifikation von Denken und Sein, die Vorstellung, dass das Denken den Gegenstand erzeuge einerseits, wie auch gegen die Vorstellung, Sein als ein letztes Allgemeines bestimmen zu können. Sein ist immer Sein des Seienden, die Grundformen des Seins

30

S.o. Dabei ist in beiden Fällen ein vorontologisches Seinsverständnis immer schon vorausgesetzt, ein „philosophischer Glaube" (Jaspers), der schon den Versuch bestimmt zu sagen, was mit „Sein" oder „Seiendem" gemeint sein soll; vgl. dazu Alwin Diemer, Einführung in die Ontologie, 1959, 47ff. Die Präjudizierung der Seinsfrage erscheint besonders auffällig bei Heidegger, der vom Begriff Onto-Logie ausgehend, diese als Auslegung des Phänomens „Sein" betrachtet. So aber wird gerade keine Ontologie im eigentlichen Sinn betrieben, jedenfalls nicht als Logie des Ontischen, sondern die phänomenologische Explikation eines bestimmten metaphysischen Vorverständnisses von „Sein"; vgl. ebd., 10, 31ff.

31

Hartmann, Neue Wege der Ontologie, 1949, 5ff.

32

Ebd.

33

Ders., Vom Aufbau der realen Welt, 1964, 57ff. Dass der Mensch wohl im Wettlauf mit der Zeit befindlich ist, der Christ aber schon angekommen in der kommenden Ewigkeit, hat Brunner hervorgehoben etwa in Dogmatik 2, 3 1972, 71ff.; vgl. dazu auch: Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, 1965.

34

Vom Aufbau der realen Welt, 1964,157ff.

140

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

selbst bleiben unerschließbar, die Heideggersche Frage nach dem „Sinn von Sein" erweist sich so ihrerseits als sinnlos. 35 Um das Werden statt um Sein sei es zu tun, womit sich die Frage nach dem Guten im Sinne einer „Werteethik" stellt. 36 Ihre eigene „metaphysische Reduktion" 37 betreibend, konnte als Ontologie einer neuen Diesseitigkeit diese sich denn auch als rein formale „Logik vom Sein" 3 8 begreifen, die im Verzicht auf metaphysische Entscheidungen dem Anliegen des logischen Positivismus/Empirismus korrespondierte. Dem gelten metaphysische Aussagen per se als verfehlt - als Frage gleichermaßen wie als Antwort. Nur noch formallogische und unmittelbar empirisch überprüfbare naturwissenschaftliche Aussagen sollen erlaubt sein; die Metaphysik erfährt auf diesem Weg ihre vorübergehende Totalausfegung. Der neopositivistische Ansatz erweist sich jedoch als unhaltbar, weil sich zeigt, dass Wissenschaft selbst regelmäßig - mit Ausnahme allenfalls der Mathematik - auf metaphysischen Voraussetzungen basiert, 39 auf „ontological commitments" (Quine) als weltanschaulich-methodologischen Prämissengeflechten, die vor dem Anspruch radikaler Metaphysikkritik in Heideggers „Sigetik" münden müssten. Sie beruht auf „Auffassungen, die den Charakter einer außer- und vorwissenschaftlichen Weltsicht tragen im Sinne einer Ordnung des Phänomens auf eine Einheitlichkeit des Weltverständnisses hin. Diese Weltsicht liegt nicht nur den Wissenschaften, sondern auch den ontologischen, normativen und judikalen Voraussetzungen voraus, die den Dingbereich, die Uberprüfungsverfahren und die Methoden einer Wissenschaft festlegen. Das gibt uns das Recht, den Gesichtspunkt der Einheit vor den des Seins zu stellen, um die ontologische Frage als die systematisch gesehen spätere einord-

35

S. Zur Grundlegung der Ontologie, 4 1965, 40ff.

36

Ethik, "1962, 250ff.

37

Alwin Diemer, a.a.O., 36.

38

Ebd., 170.

39

Das „Ontological commitment" (Quine) bestimmt die wissenschaftliche Theorie; vgl. auch Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, "1995. Weiter spannt diesen Gedanken noch Norbert Fischer, wenn er bemerkt: „Auch wissenschaftliche Begründungen und technische Realisationen" dienen letztendlich dem „Versuch der Entflüchtigung des Zeitlichen"; a.a.O.

Neuzeit

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nen zu dürfen und die Problematik der Einheit bei der Metaphysikproblematik voranzustellen." 40 Von hier aus bestätigt sich unsere eigene Prämisse, wonach die Seinsfrage sich als eben die Frage nach der Einheit und Beständigkeit des Seins stellt, als welche sie auch schon die Vorsokratiker begriffen hatten. Dass die globale Verflochtenheit des Seinsproblems nach einer stabilen globalen Neuverflechtung des Seins verlangt - dieser schon immer gewusste Zusammenhang wird seit Mitte des 20. Jh. auch systematisch-wissenschaftlich reflektiert. Hier muss noch einmal Heidegger erwähnt werden, der bereits diesen Zusammenhang neu erahnt und ihn erschloss, indem er der klassischen Metaphysik auf den Grund kommen wollte. Insofern befindet er sich tatsächlich fundamentalontologisch auf begrüßenswerter Fährte, wenn er beklagt, dass die Metaphysik das Seiende vertheoretisiert und dabei das Sein vergessen - , das Ursprüngliche funktionalisiert, das in seinsgeschichtlichem Entzug befindliche Sein aber verfehlt habe, 41 so dass die Ontotheologie schließlich in die Technisierungssackgasse und zur Vergegenständlichung des Seienden führen musste. 42 Speziell in dieser Einsicht und der damit verbundenen „Destruktion des neuzeitlichen Wirklichkeitsbegriffs" 43 liegt Heideggers ungebrochene Aktualität. Demgegenüber gilt es in der Tat, das vernunftfundamentierende Sein wieder zu entdecken, das Denken vom Sein her freizulegen, indem dessen „Von-sich-her-

40

Hans Poser bei Oelmüller, Metaphysik heute?, 1987,207.

41

Zur fraglos tiefsichtigen Diagnose des Sich-Entziehens, des „Ausbleibens" des Seins s. Nietzsche II, GA, 1997, 318ff.; 347ff. Bereits an dieser Stelle zeigt sich der gewissermaßen vorchristliche Standpunkt Heideggers, der darüber rätselt, warum das Seiende denn vom Sein verlassen sei, ob dieses sich jenem verweigert oder nur verhüllt und wenn ja warum (319f.). Dass jenem Verlassenen in Christus das „Sein" sich wieder voll und ganz zugewandt, ja restlos „offenbart" hat, wollte sich dem Grübler aus dem Schwarzwald anscheinend sowenig lichten, wie dass genau darin echte christliche Theologie - in dem Fall auch Ontologie - die Versäumnisse nicht nur objektivierender, sondern auch spekulativer Metaphysik überwunden hat; vgl. Heinrich Ott, Denken und Sein, 1959,171ff.

42

S. a.a.O.; Was ist Metaphysik?, "1998, 46f.

43

... insbesondere in: Holzwege, GA, 71994, 75-113; Vorträge und Aufsätze, GA, '2000, 37-65, dem zu wünschen wäre, er würde einmal von den Anhängern „exakter" Wissenschaften annähernd so ernstlich erwogen wie von den Theologen Heideggers Metaphysikkritik. Auch hier muss dieser Aspekt leider am Rande verbleiben. S. auch dazu Heinrich Ott, a.a.O., 194ff.

142

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

Aufgehen" 44 philosophisch gedient wird. Heideggers Meta-Metaphysik soll aber im Sprung über den - metaphysischen - Grund des Seins hinweg wieder - wie bei Aristoteles - Physik sein 45 Insofern ist Heideggers Sichtweise, wie wir schon gesehen haben, richtig und auch falsch. Sie ist richtig in der Analyse, wenn das Sein als zeitliches im Zerfall, als Sein in Angst beschrieben wird, wenn gesagt wird, dass die Nichtigkeit dominiert, die „Trauer" in „götterloser Zeit" uns beschwert. 46 Sie ist erst recht richtig, wenn gefolgert wird, dass wir die „Schickung" und „Ankunft neuen Seins und neuer Götter" benötigen, „einen neuen Aufgang des Heiligen". 47 Indem dem Sein selber nicht auf den Grund gegangen wird, wird das Seiende aber ontologisch überfrachtet und die vorstellbare Kopplung des späten Heideggers mit dem frühen unnötig erschwert. Wenn Heidegger - die Fehlleistungen der Ontotheologie durchschauend, nicht aber des Ontischen selbst - zurückkehren möchte 48 zum Vormetaphysischen, Ursprünglichen, Originalen, zur Wahrheit als Offenbarkeit des Seins,49 endet er bloß auf dem

44

Der Satz vom Grund, GA, 1997, 157; vgl. Einführung in die Metaphysik, «1998, 87.

45

Eine gelichtete des Einzeldings freilich, nicht als die, die als „Seiende(s) ... im Ganzen" als „Physis" bezeichnet wird (ebd., 13); vgl. Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA, 21996, 56f.; Wegmarken, GA, 31996, 303ff. Wir kehren Heidegger also wieder um, stellen ihn auf die Füße, das vermeintlich Vordergründige als „Eigentliches" wiedergewinnend, indem wir dessen geheimnisvolle Seinspotenz wieder als schlichtes, klares Fundament der Liebe Gottes, sprich seinen Willen zum Sein begreifen. Λόγος und φύσις sind uns also nicht nur die „erste", sondern auch die letzte Philosophie. - Denken und Sein in Heideggers Überstieg ist der überaus menschliche Versuch, beiden jene Transzendenz zuzuordnen, für die keine Philosophie, auch kein „künftiges Denken" hinreicht. Vgl. dazu Einführung in die Metaphysik, '1998, 96; Heraklit, GA, 21996, 85ff.

46

S. Hölderlins Hymnen „Germanien" und „Der Rhein", GA, 1980, 78ff. - Wenn es doch nur so wäre, dass wir solche Art Beschwernis empfinden, die „heilig trauernde Bedrängnis (auch) als Bereitschaft" (ebd., 103) erleben könnten, würde doch durch solche „Traurigkeit das Herz gebessert" (Pred.7,3).

47

Vgl. Über den Humanismus, 102000, 30f.

48

... indem das „künftige Denken" wieder das „anfängliche" wird; s. ebd., 27, 35f., 46ff.; Was ist Metaphysik?, 151998, 46ff.; Beiträge zur Philosophie, GA, 1998, 55ff.; sowie Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA, 21996, 79ff., wo das „Andenken" des Seins zum „Wesensursprung" der Dinge leiten soll (83).

49

... zu Logos, Ethos und Physis, welche das wissenschafliche Denken entbehrt (Über den Humanismus, 102000, 46); vgl. Heinrich Ott, Denken und Sein, 1959,102ff., 214.

Gegenwart

143

„Feldweg", 5 0 über die Physis von Seiendem räsonierend, während dem geängstigt-seienden Menschen noch immer nicht geholfen ist.51

10. Gegenwart Die Situation der Gegenwart zeichnet sich dadurch aus, dass das Unterfangen der klassischen Metaphysik durch die wissenschaftlichtechnische Zivilisation einstweilen nachhaltig verdrängt scheint. Als „halbrationale, voraufklärerische Hintergrundstheorie der Wirklichkeit mit Übergängen zu Theologie und Mystizismus" 52 kann sie ihre Zuständigkeit nur noch im Bereich religiös/ästhetischer Selbstvergewisserung behaupten. Ihr Anliegen der „Konstruktion einer Hinterwelt zwecks Bewältigung der Vorderwelt" 53 gilt aber als „nostalgischer Eskapismus". 5 4 Die so genannten „exakten" Wissenschaften haben die Seinsfrage beseitigt, indem sie Seiendes je sektoral aufarbeiten. Den Experten und Spezialisten anvertraut, sollen Rationalität und Technologie des Menschen Glück besorgen, wenngleich das Empfinden gewachsen ist, dass der rationalistische Pendelschlag sein momentanes Extrem erreicht haben könnte. Und in der Tat: Auch wenn die Metaphysik totgesagt wird, fragen die Menschen weiterhin metaphysisch. Sie fragen weiter nach dem Sinn der Dinge, nach dem Leben, dem Tod, nach Gott. Im Maße, wie sie von Seiten des Christentums keine brauchbaren Antworten erhalten, verfallen sie der Astrologie, der Esoterik, Psychotechniken u.ä. oder aber einer materialistischen Metaphysik, die dem Funktionalen selbst Sinn zuweist, die Dinge also in den Mittelpunkt rückt, die ihrerseits zur Umsetzung von übergeordneten Sinnzusammenhängen dienen. Die Bibel nennt dies Götzendienst. 55 50

Der Feldweg, 9 1991.

51

S.o.; vgl. dagegen Willard V. Quine, in dessen begrifflich-ontologischer Synthese „die alltäglichen Dinge zuerst" kommen; Wort und Gegenstand, 1998, 17ff. Zu Heidegger meinen wir mit Jäger abschließend: „Heideggers Denken bildet in gewisser Hinsicht eine Fortsetzung der großen Tradition philosophischer Theologie" (Gott. Nochmals Martin Heidegger, 1978, 443) - nicht weniger, nicht mehr.

52

Reinhart Maurer bei Oelmüller, Metaphysik heute?, 1987, 38.

53

Vgl. Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung in: Sämtliche Werke 6, 30f.

54

Maurer, a.a.O., 46.

55

Eine Form desselben ist beispielsweise der gegenwärtige jugendvergötzende Körperkult, der das Äußere des Humanums, seine Hülle gleichsam zur Sache selbst

144

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

Als Exponent der noch immer vorherrschenden Bemühung um einen gottfreien Bau der Wirklichkeit, einen „starken Naturalismus", 56 sei Bernulf Kanitscheider genannt. 57 Gemäß dem Immanenzprinzip und neueren kosmologischen Überlegungen sei das kausal-materielle Universum als geschlossen und - per definitionem - umgebungslos anzusehen. Metaphysisches andererseits könne, wo gewünscht (wie etwa auch bei Hartmann), auch in nicht-transzendenter Weise betrieben werden. Die Vernunft müsse redlicherweise die NichtDurchbrechbarkeit der Gesetzesstruktur des empirischen Universums postulieren, die Kopplung der Phänomene mit den Bedingungen der Erscheinungswelt, um eine Schiefe-Bahn-Situation zu vermeiden. „Die Möglichkeit, daß das materiale Universum in Raum und Zeit nicht alles ist, was existiert, daß die Realität im ganzen umfassender ist", könne zwar „nicht logisch ausgeschlossen werden", 58 Spekulationen darüber müssten allerdings in empirisch überprüfbare Theorien einmünden. Ein absolut transzendenter Gott sei bedeutungslos, 59 ein immanent wirkender offenkundig im - vermeintlich - unlösbaren Konflikt mit der kausalen Geschlossenheit der Welt. Von daher fordert Kanitscheider - mit sympathischer Konsequenz - die Erbringung der

hochstilisiert. Die Frage nach der Tiefe des Seins, in der Wahrheit ist (Tillich), meldet sich nach den Exzessen der Veräußerlichung und Funktionalisierung des Seins regelmäßig zurück und die Theologie ist gefordert, auch hier ihre - das Sein richtig stellende - Arbeit zu tun. 56

57 58 59

Die naturalistische Weltsicht kommt nicht zuletzt darum hier zu Wort, weil sie die zwar eher unauffällige, derzeit aber wohl wirkungsmächtigste antimetaphysische Strömung ist, die - wie bei Kanitscheider - bewusst die Fragestellungen von Philosophie und Theologie adaptiert. Einen Überblick aus christlicher Sicht liefern Josef Quitterer; Edmund Runggaldier, Der neue Naturalismus - eine Herausforderung an das christliche Menschenbild, 1999. Der große Vorteil der neuen Tendenz ist, dass sie nicht primär als Gelehrtenangelegenheit ankommt, vielmehr eine allgemeine Naturalisierung der Gesellschaft sich bereits Bahn bricht - nicht nur im Körper- und Jugendwahn, sondern auch in der neoliberalen Wirtschaftsideologie und der damit verbundenen Auflösung solidarischer Strukturen, im zunehmenden Verzicht auf humanistische Bildungsqualität sowie in einer Ethik der individuellen Nützlichkeit. In all dem ist bereits der „postmoderne", zivilisatorische Rückwärtsgang eingelegt. Ein neuer Naturalismus könnte insofern die Ideologie der Zukunft werden. ... auf dessen Schrift: Im Innern der Natur, 1996, sich die folgenden Seitenangaben beziehen. Ebd., 133; vgl. den hierbei noch optimistischeren Hans-Peter Dürr, a.a.O. Ebd., 152.

Gegenwart

145

Beweisschuld seitens der Transzendentalisten etwa bei der Frage, woher denn Gott käme? 60 - und verweist auf das Problem infiniter Regression transzendentaler Begründungen. 61 Der Protagonist supranaturalistischer Einbettung der Welt müsse sich „Gedanken machen, wie er sich die Einbettung unseres Universums in eine umgreifende Transzendenz denkt" und „dafür sorgen, dass nicht innerweltliche, wohlbestätigte Gesetze wie etwa die Erfahrungssätze verletzt werden, wenn er bestimmte Interaktionen zwischen der transzendenten Realität und der Welt postuliert". 62 Auch Kanitscheiders Anspruch, eine ontologische Einbettung der Realität müsse „konsistent" formuliert werden, 63 möchten wir gerne unterschreiben. Wir definieren die Zielrichtung der Transzendenz exakt als ein Anklopfen an den „wohlbestätigten" innerweltlichen Gesetzen, um diese aber exakt zu durchbrechen. Als ontologisches - nicht bloß psychologisches - „Anzeichen für einen umgreifenden Grund" 6 4 postulieren wir die Gesetzmäßigkeit des menschlichen Strebens nach Liebe und deren seinstragende Dimension als genau jenen Grund, so dass die erwünschte „Wechselwirkung" 6 5 eine höchst evidente sein kann. In diesem Sinne empfehlen wir die biblische Reaktivierung der Logoslehre und behaupten mit der Heiligen Schrift, dass die Richtigkeit biblisch-ontologischer (Letzt-)Begründungen empirisch an ihren Auswirkungen überprüfbar ist. Kanitscheider spricht immer von unserem Universum, unserer Welt. Der Glaube aber blickt auf Gottes Universum, von dem Tillich sagt: „Die ewige Dimension dessen, was im Universum geschieht, ist das göttliche Leben selbst." 66 Er kann sich darum sehr wohl vorstellen, dass dieses verwandelt werden soll, gerade mit Blick auf die wohlbestätigten Realitäten. Wir werden deshalb die Vermutung zu untermauern haben, dass eine „transmundane Realitätsschicht" bislang deshalb (in

60

...wobei freilich auch von Gott gesagt werden könnte, dass er „per definitionem" herkunftslos sei.

61

Ebd., 175.

62

Ebd., 159.

63

Ebd., 160.

64

Ebd., 135.

65

Ebd.

66

Paul Tillich, ST 3, "1984,476.

146

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

naturwissenschaftlicher wie in ethischer Hinsicht) „kein Glück gebracht" haben könnte, 67 weil die biblisch-christliche womöglich noch nie voll ins Blickfeld gerückt worden ist. Kanitscheider selbst votiert mit dem Verzicht auf alle „ontologische Einbettung" für einen konsequenten „weltimmanenten Naturalismus", 6 8 aufgrund dessen die Nicht-Teleologie des natürlichen Systemaufbaus postuliert 69 , ein vernünftiges Schöpferwesen jedoch freilich abgelehnt wird. 70 Dies entspricht der Position, die alle konsequent atheistischen Evolutionsgelehrten vertreten, die aber schon unter dem allgemein anerkannten leitenden Gesichtspunkt der Selbsterhaltung fragwürdig erscheint. Zu fragen wäre, inwiefern denn von hier aus überhaupt noch von „Systemaufbau" gesprochen werden darf? Warum denn überhaupt Aufbau? Warum denn überhaupt Uberleben? Warum eigentlich dies unvorstellbare Raffinement, der faszinierende Einfallsreichtum, den auch die kleinsten und primitivsten Lebewesen beim Geschäft der Arterhaltung an den Tag legen, wenn doch letztendlich Zufall und Indifferenz ebenso das Gelingen wie das Misslingen jeder Selbstorganisationsbemühung bestimmen. Warum überhaupt Bemühen um Selbstorganisation? Die Frage nach dem Woher solcher Bemühung ist die Frage, die eine christliche Metaphysik beantworten muss und kann. 71 67

A.a.O., 192.

68

Ebd., 159.

69

Ebd. 161f.

70

Ebd., 170.

71

Die Evolution hat fraglos eine Seinslogik von faszinierender Einfachheit und Harmonie hervorgebracht. Diese ist aber dennoch eine Todeslogik, ein Gleichgewicht der Verzweiflung, des Fressens und Gefressenwerdens, dessen leidvolle Resultate ewig wiederzukehren scheinen. Das neue Sein der Bibel hingegen ist eine Logik des Lebens, des Aufbaus. Sie macht nicht das Beste aus dem Umstand, dass wir sterben müssen, sondern aus der Tatsache, dass wir leben dürfen. Ihr Ziel ist nicht bloße Daseinsstabilisierung wie bei Schopenhauer und Nietzsche, sondern konstruktives Seins-Zusammenwirken hin zu jener harmonischen Seinskomplexität, die nicht ein kaltes kosmisches Fatum verifiziert, eine „höhere" Einheit auf der Basis generellen individuellen Leidens, sondern die den Einzelnen aufrichtende Weisheit des Schöpfers. Auf dem Grund seiner Liebe verifiziert die christliche Seinslogik anstelle eines übergreifenden Ausgleichsszenarios milliardenfacher sozialer Tragödien das Schöpfungswunder konkreter sozialer Einheit. In pneumatisch-gemeinschaftlicher Antizipation wird so aus der chaotischen, letztlich unbeherrschbaren und zerstörerischen Komplexität des Seins - wenngleich von eigener Ästhetik - eine kontrollierte und im

Gegenwart

147

In diesem Sinne darf das religiöse Anliegen durchaus 72 als „Kontingenzbewältigung" verstanden werden. Diese aber sollte nicht länger der Freudschen Tradition gemäß als Position der Schwäche, der Kompensation, des Nicht-Wahrhaben-Wollens der Wirklichkeit, wie sie nun mal ist, gesehen werden, sondern als der eminent „starke" Versuch, die ontologische Indifferenz nachhaltig aufzubrechen. Kompensation ist nach christlicher Anschauung gerade der verzweifelte Kampf ums Dasein, den die Wissenschaft bislang als natürliches Positivum zugrundelegt. Diese Kompensation realistisch zu bewältigen ist Aufgabe des so gefasst - ausgesprochen „wissenschaftlichen" christlichen Realismus. Die christliche Seinslehre ist von daher nicht Opium für das Volk, 73 sie ist in der Realisierung der Liebe als Seinsgrundkraft der unerschütterliche Pfeiler des Volkes Gottes inmitten aller ansonsten tatsächlich konstatierbaren Beliebigkeit. Dass Religion „in emotiven Zentren" verankert sein könnte, die „von dem Verstand nicht betroffen werden", 7 4 mag womöglich völlig richtig sein. Aber womöglich sind dies wirklichkeitsnähere Schichten als die naturalistischer Immanenz und Rationalität, denn zumindest die christliche Liebe ist es, die diejenige AllSymmetrie ausdrücklich gewährleisten will, nach der die aufgeklärte wissenschaftliche Ratio auch zunehmend fragt, eingedenk dessen, dass ihr bisheriges Werk vornehmlich in deren Zergliederung bestand. Dass die konstruktive Symmetrie des Natürlichen tatsächlich zu funktionieren imstande ist - dies zu erweisen ist die Aufgabe dann nicht der christlichen Wissenschaft, sondern der Lebenspraxis der christlichen Kirche. Darum dürfen wir uns freimütig von jenem extremen Immanentismus abwenden, der wohl weltanschaulich konsequent und in sich schlüssig ist, dem aber im Blick auf die volle Größe des Humanums ein zutiefst pessimistischer Zug zu Eigen ist und der seinerseits bei der Diskreditierung vermeintlich intoleranter Supranaturalisten gar zu überheblich sich geriert, wenn es heißt: „Was für die Gruppe der plei-

höchsten Maße konstruktive. Die biblisch-christliche Seinslogik durchbricht auf die Weise den bloßen Daseinskreislauf zugunsten der höheren Lebensform des SeinsLobpreises (s.u.). 72

... mit Hermann Lübbe bei Oelmüller, Metaphysik heute?, 1987, 276.

73

... oder auch „des Volkes".

74

A.a.O., 165.

148

Kompensationsversuche / Die Erosleistung

stozänen Jäger und Sammler eine lebenserhaltende Selbsttäuschung war, ein psychosomatischer Placebo-Effekt, der damals half, mit Optimismus die Mühsal des Lebens zu ertragen, kann für die Gegenwart nicht mehr als Basis einer zufriedenstellenden Lebensführung verteidigt werden." 75 Es ist schon richtig, dass ein ungezwungener Naturalismus besser ist als die vielen religiös-idealistischen Systeme, die am Ende auf dem Wege von Ignoranz und Selbsttäuschung schließlich zur Unterdrückung und zuweilen furchtbaren Bekämpfung Andersdenkender geführt haben.76 Dies aber ist nicht das letzte Wort echter Christlichkeit, die vielmehr gerufen ist, der Welt eine Seins-Alternative aufzuzeigen, die in Anwendung der Gottesliebe gleichermaßen religiös wie areligiös motivierte Totalitarismen zu korrigieren imstande ist.77

11. Die physikalische Perspektive der christlichen Metaphysik (Naturwissenschaft und Theologie)78 Die Naturwissenschaften betreiben Strukturanalysen des gegebenen Seins. Sie beschreiben, wie schon gesehen, das Wie der Dinge in raumzeitlicher Hinsicht, ohne auf letzte Fragen nach deren Was, Warum und Wozu Antwort geben zu können.79 Metaphysische Fragestellungen sind, sofern diese den Bereich des empirisch Erfassbaren verlassen oder sprengen, ihre Sache nicht. Demgegenüber betrifft das religiöse Thema die geistliche Dimension der Wirklichkeit, die gerade auf solche Fragen eingehen möchte. Es geht dem Glauben um die transzendente Verankerung des Seins, von der aus die Wirklichkeit in ihrer Gesamtbewegung 75

Ebd., 185.

76

Ebd., 184ff.

77

Insofern muss die christliche Position nicht dem anderen, fundamentalistischen Extrem einer quasichristlichen Astrophysik verfallen (vgl. Frank J. Tipler, Die Physik der Unsterblichkeit, 1994), im Ansatz vergleichbar der einstigen Physikotheologie, um christliche Kosmologie und christliche Ontologie zu sein. Sie muss nur ihre ureigenen Seinsmechanismen ausleben, um dann auch zumindest erahnen zu können, mit welchem Recht die biblischen Autoren das kosmische Geschehen so unbefangen christologisch deuten und plausibilisieren konnten.

78

S. zum im Wesentlichen noch aktuellen Diskussionsstand dieses überaus schnelllebigen Themas Jürgen Hübner, Der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 1987.

79

Vgl. o.

Naturwissenschaft und Theologie

149

und Gesamtbestimmung zu deuten ist. Mit Blick auf diese Aufgabenstellung kann die christliche Lehre wohl einen als wissenschaftlich begreifbaren, aber keinen speziellen naturwissenschaftlichen Anspruch erheben. Mit solchem kann echter Glaube somit auch nicht in Widerstreit treten, sowenig wie Naturwissenschaft zur Gottesfrage Stichhaltiges beitragen kann. Vielmehr ergänzen sich Glaube und Wissenschaft dann, wenn jeder sein eigenes Geschäft betreibt und es gelingt, die jeweiligen Ergebnisse wiederum fruchtbar in Beziehung zu setzen. 80 Dass zwischen den Systemen der Wissenschaft und des Glaubens kein - insbesondere für die Vernunft - unüberwindbarer Graben liegt, sondern gerade wissenschaftlich eine Brücke zu bauen durchaus möglich ist, bezeugen diejenigen Ansätze einer notwendigen Korrelation von Wissenschaft und Glauben, die im Sinne eines Gesamtverständnisses des Seienden gerade von führenden Naturwissenschaftlern zu allen Zeiten postuliert wurde und bis in unsere Tage hinein postuliert wird. Dabei ist es nicht alleine das Problem ethischer Richtlinien, moralischer Handlungsanweisungen, sondern nicht zuletzt auch das Feld der Physik, das in vielerlei Hinsicht zum Gottesglauben geradezu einlädt. 81 Die „Gesamtheit des Seienden als Einheitliches und Sinnvolles" (Einstein) zu begreifen, 82 erfordert das Verständnis desjenigen „Umgreifenden" (Jaspers), das die Beobachtungen und Messergebnisse der Naturwissenschaftler in ihrem Woher und Wohin plausibilisiert, wie etwa auch die Psychologie nicht anders mit den anthropologischen Affekten verfährt. Dabei dürfen wir uns neben physikalischen, sozio-psycholo-

80

In dieser Hinsicht sollte das Verhältnis von Kirche und Wissenschaft grundsätzlich kein anderes sein als das der Kirchen untereinander, welches noch genauer zu prüfen sein wird.

81

Leo Scheffczyk meint dazu, dass „in Bezug auf die Schöpfung" Glaube und Vernunft „sogar weithin dieselben Fragen" stellen, „etwa die nach dem Ursprung, dem Sinn und Ziel aller Existenz". Auch die Philosophie „bleibt auf die Durchdringung der Wirklichkeit angewiesen, die ihre Bedingtheit, Endlichkeit und ,Geschöpflichkeit' niemals abstreifen kann. Bei einer Analyse dieser Endlichkeit und Bedingtheit kann sie das Korrelat des Unbedingten und damit der Schöpfung nicht aus ihrem Gesichtskreis entfernen." Die Theologie hingegen betrachtet die entsprechenden Ergebnisse „in der ganz neuen Dimension des Geheimnisses Gottes und seiner Liebe zu den Geschöpfen." Einführung in die Schöpfungslehre, 1987, 31f. Vgl. zum Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft auch Christian Link, Schöpfung, Bd. 2, 1991, 344f.; sowie Horst Georg Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 51990, 110-112.

82

Bei Pöhlmann, ebd., 111.

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Kompensationsversuche / Die Erosleistung

gischen, auch die Einsichten der Evolutionsbiologie zunutze machen, die die Teleologie der Seinsbewegung im Dienste der Arterhaltung erwiesen hat, die wiederum problemlos hineingreift in den Sinnzusammenhang des „ewigen Lebens", der im Evangelium erschlossen liegt. In einer christlichen Seinslehre konkurrieren diese Aspekte nicht mit ihrem soteriologischen Kern, sondern untermauern diesen zugunsten einer umfassenden, in sich stimmigen Weltsicht, dann, wenn man die jeweiligen Kompetenzfelder absteckt, ohne dem anderen voreilig die Unhaltbarkeit seiner Position zu unterstellen bzw. durch Kooperationsverweigerung diese zu sabotieren. Wichtig ist die Offenheit dafür, dass der eigene Ansatz bei allen Vorzügen doch nicht hinreichend sein könnte für die Erklärung aller Welträtsel. Die theologische Ergänzung ermöglicht so die Einheit der Erkenntnis. Ansonsten haben wir es - etwa bei bloßer Tolerierung fremder Disziplinen - zu tun mit dialektischen Erkenntnismodellen als Koexistenzen von Gegensätzen, die infolge ihrer Partikularität hinsichtlich einer Globalerklärung in realen Aporien befangen sind oder allenfalls theoretische Modelle darstellen. Bedauerlicherweise hat genau solche pluralistische Einheitskonzeptionen die Theologie sich mittlerweile zuhauf zu Eigen gemacht und damit vorübergehend Abschied genommen von ihren ureigenen Möglichkeiten, - auch erkenntnistheoretischen - Frieden zu stiften. Die Einheit der Wissenschaften ist ermöglicht, „wenn ihr Zusammenhang zugleich als Teilstruktur der universellen Lebenspraxis des Menschen begriffen wird". 83 Genau dieser Praxis widmet sich die biblisch-christliche Theologie in überragender Weise, um freilich mit ihrer Kernbotschaft des Evangeliums von der Liebe Gottes die Weisheit der Welt zu Torheit zu erklären, „das Törichte an Gott für weiser als die Menschen und das Schwache für stärker als die Menschen" (l.Kor.1,25). Darum bleibt die Wissenschaft der Theologie bei aller Korrelationsfähigkeit zugleich immer auch eine wissenschaftliche Zumutung, von der uns nicht zu erstaunen braucht, wenn sie als zu groß empfunden wird.

83

Elisabeth Ströker, Die Einheit der Naturwissenschaften, Bemerkungen zu einer fragwürdigen Idee, 1971,193.

Naturwissenschaft und Theologie

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Der „rein immanenten Tendenz" der Wissenschaft jedoch eignet tatsächlich, wenn vielleicht nicht schon der Hang zur „Inhumanität", 84 so aber doch der zum Nihilismus, insofern sie im Verzicht auf das transzendentale Strukturprinzip nicht wirklich seinsstabilisierend wirkt. Will sie wirklich Wert- oder gar Zielorientierung geben, ist sie verwiesen auf eine seins- und damit auch Wissenschaftsumgreifende Matrix, ob sie dies für ablehnenswerten Dogmatismus hält oder nicht. Darum gilt das Wort Max Horkheimers, dass „ohne Theologie keine verbindliche Moral und keine moralische Politik" möglich sind 85 und dass gerade die Ausrichtung auf die Relationalität des Seins nicht Halt machen darf vor einer möglichen Relation des Seins überhaupt inklusive der Möglichkeit einer Seinsbestimmung als dem letztlich einzigen Ausweg aus Absurdität, Zufall und Sinnlosigkeit.86 Die Empfangsbereitschaft „offener Systeme" für in diesem Sinne „metaphysische" Korrelate ist mittlerweile in erfreulicher Weise im Gange, der Weg darum prinzipiell frei für eine neue, nicht nur erkenntnis-, sondern auch orientierungsstiftende Einheit des Wissens, das einerseits wissenschaftlicher Strenge, andererseits glaubensgegründeter Weite genügt, für eine Synthese von Wissen und Glauben, die tatsächlich konstruktiver Weltbewältigung dient. Wir stellen fest, dass die Fragestellung gerade auch der Naturwissenschaft eine deutliche Horizonterweiterung erfahren hat, indem sie nicht mehr nur auf Einzelphänomene fixiert ist, sondern eine Sicht für die prozessuale Netzwerkstruktur des Seins, für die Komplexität der Dinge in nahezu

84

S. Hugo Staudinger, Die Problematik der herrschenden Wissenschaftskonzeption. Die Notwendigkeit einer Erneuerung der Metaphysik, 1987, 6.

85

Ebd., 12, im Orig.: Max Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, 1975, 60f. In diesem Sinne hält auch Staudinger die metaphysische Öffnung der Wissenschaften für „eine Voraussetzung zur Überwindung der geistigen Orientierungslosigkeit der Wissenschaft und damit zur Behebung der gegenwärtigen Krise unserer Gesellschaft". Staudinger beklagt den „methodischen Atheismus" in den Wissenschaften, die „den wissenschaftlich forschenden und gestaltenden Menschen zum höchsten Wesen" macht und ihn so „in eine Stellung manövriert, die ihn überfordern muß" (ebd., 14ff.). An dieser Stelle deckt sich die Wissenschaftskritik des gläubigen Naturwissenschaftlers Staudinger mit der des agnostisch-zynischen Erkenntnistheoretikers Paul Feyerabend (s. a.a.O.).

86

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Kompensationsversuche / Die Erosleistung

allen Bereichen Einzug gehalten hat.87 Gerade die Naturwissenschaft vertritt interessanterweise kein konsequent „gott-loses" Weltbild mehr, wohingegen ein solches in der Gesamtgesellschaft stetig Raum zu greifen scheint. Gegenüber der atheistischen Beharrung, vielmehr in Anerkenntnis der Grenzen naturwissenschaftlicher Forschung plädiert Hans-Peter Dürr etwa dafür, den „philosophischen Faden" der Väter der modernen Physik wieder aufzunehmen, „an ihm weiterzuspinnen" 88 und das Verhältnis von Wissenschaft und Glaube entgegen der alten antagonistischen Relation neu als Komplementarität zu begreifen. Dem Verhältnis von Physik und Transzendenz korrespondiert nach Dürr das von Teilbarkeit und Ganzheit. Die analytisch-objektivierende naturwissenschaftliche Beschreibung befördert eine zwangsläufige Auflösung der dinglichen Wirklichkeit einschließlich der des Menschen, der sich selbst zu einem fragmentierten Selbstverständnis „verleitet ... damit alles seiner Denkweise entspricht". 89 Dagegen hat immer wieder die holistische Betrachtungsweise bzw. der Wille zu einer solchen synthetischen Weltsicht durchzudringen, Einspruch erhoben - wenngleich seine Versprechungen, wie etwa das „New Age", selten eingelöst eingedenk der Erkenntnis, dass der Mensch und seine Messmethoden selbst nur ein Teil des Naturprozesses als das Ganze Umgreifendes ist und seinerseits lernen muss, darin seinen rechten Platz einzunehmen. So auch Dürrs Sichtweise. Die insbesondere für die Naturwissenschaften unüberwindliche Barriere ist die nicht-objektivierbare Einheit und Ganzheit der Dinge, von der gerade auch die Physik nach Einstein und Heisenberg wieder Zeugnis ablegt.90 Mit der Quantenmechanik, die mit der ontischen Proportionalität auch die Kontingenz physikalischer Ereignisse als eine dem Naturgeschehen inhärente erwiesen hat, kommt nach Dürr die Transzendenz wieder zurück. „Die physikalische

87

Leo Scheffczyk stellt dazu fest: „Während in der Vergangenheit sich die Theologie oftmals solcher Grenzüberschreitungen schuldig machte, ist heute die Gefahr dazu eher von der Gegenseite gegeben, insofern manche Richtungen der modernen Naturforschung dazu neigen, ihre Ergebnisse als Weltanschauungs- und Religionsersatz auszugeben." Einführung in die Schöpfungslehre, 1987, 26.

88 89

Hans-Peter Dürr, Gott, der Mensch und die Wissenschaft, 1997,162. Ebd., 166.

90

Dürr selbst führt (ebd., 162) seine Kollegen Schrödinger und Böhm als Zeugen an.

Naturwissenschaft und Theologie

153

Welt erscheint als eine Konkretisierung der Transzendenz." 91 Deutlich wird so, dass wir der Welt keinesfalls Herr werden, indem wir an ihr wie an einem großen mechanischen Uhrwerk hantieren, „direkt faßbar" sind in dem großen, auch unser kleines Denken bewegenden, kosmischen Strom „nur bestimmte Wellen, Wirbel, Strudel ... die eine gewisse relative Unabhängigkeit und Stabilität erlangen" 92 . Insbesondere für gesellschaftliche - auch wirtschaftliche - Systeme gilt, dass diese analog den biologischen nicht prognostizierbar sind nach den systematisch-technischen Methoden der klassischen wissenschaftlichen Vernunft. Für die eigentlichen Probleme komplexen Lebens bedarf es der Offenheit für „intuitive" Betrachtungsweisen. 93 Eine solche Sichtweise steht für den neuen Realismus, der in den Naturwissenschaften Platz gegriffen hat. Das Wissen um die Welt ist kein „letztes" Wissen, sondern bedarf seinerseits einer „letzten" Einordnung. Was wir benötigen, ist die Einheit darum auch von Physik und Metaphysik, deren letztere, insbesondere christliche Variante geeignet ist, die offenen Letzt-Fragen zu beantworten und so auch wissenschaftlich-technischen Fortschritt, ihn seiner Orientierungsblindheit enthebend, in ein nachhaltig konstruktives Licht zu stellen. Dafür bedarf es der genuinen christlichen Sichtweise des Seins. Innerhalb genuinen christlichen Seins ist das Pneuma als das Kraftfeld Gottes das Feld nicht länger blinder, sondern konstruktiv funktionierender Wechselbeziehungen. Von hier aus muss die Weltformelsuche freilich eher pessimistisch eingeschätzt werden bzw. insofern realistisch, als im praktisch problemlos verifizierbaren - etwa sozialen Kontext das Weltgeschehen nun einmal in der Richtungslosigkeit und letztendlichen Fruchtlosigkeit seiner Wechselbeziehungen sich präsentiert. Das Naturgeschehen ist eben seiner Natur nach ein problematisches, insofern eben die Natur eine gestörte, weil das einende Urprinzip entbehrende ist. Die daraus gefallene Natur ist das Feld komplikationshaltiger - in diesem Sinne „gestörter" - Wechselbeziehungen. Ihr Wille zur Selbstbehauptung ist, wie Schopenhauer sagte,

91

Ebd., 165.

92

Ebd., 168.

93

S. ders., Wissenschaft und Wirklichkeit. Über die Beziehung zwischen dem Weltbild der Physik und der eigentlichen Wirklichkeit, 1989, 46.

154

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„blind", wenngleich aus dem blinden Treiben immer neue, interessante Konstellationen entstehen. 94 Auch die Aufhebung der künstlichen Trennung von Natur und Geschichte95 darf uns darum hoffnungsfroh stimmen speziell im Blick auf eine alle Wirklichkeitsbereiche einbegreifende Lehre und dermaleinst auch Praxis des Reiches Gottes als dem eigentlichen theologischen Hauptthema. Weil die Liebe Ordnung schafft im Durcheinander sämtlicher natürlicher Relationen hin zu originaler, dem Willen Gottes gemäßer Harmonie, ist innerhalb einer christlichen Ontologie auch der Naturbegriff an seinem rechten Platz.96 Weil aus Chaos schließlich wirklichen Kosmos zu schaffen, ausdrücklich dem Anspruch des Gotteswortes entspricht, darf und muss die christliche Theologie sich aber ausdrücklich und bleibend aufgefordert wissen, der naturwissenschaftlichen Daseinsanalyse zu korrespondieren. Sie muss deren Ergebnisse begreifen als das in jeder Weise „natürliche" Geschehen im Angesichte dessen, was ihm zugrunde gelegt sein soll, und sie muss dafür sorgen, dass sie zur Fundamentierung des tastenden, suchenden, sich findenden, wieder abstoßenden, neu organisierenden und erneut scheiternden Seins das Ihrige beiträgt. Dieses Ihrige muss darum aber freilich auch ganz und gar das Ihrige werden, sprich als das spezifisch Christliche erkannt und im eigenen Hause umgesetzt werden. Dann, wenn sie in der Lage ist, dem Sein die Stätte aufzuzeigen, in dem dieses endlich Halt und Erfüllung findet, ist Kirche derjenige Ort der Weisheit Gottes, an dem auch die rastlose wie die in teleologischer Hinsicht ratlose wissenschaftliche Vernunft zum Ziel gekommen ist. Der fundamentalontologische Kontext - als der gleichzeitig fundamentalpsychologische - der seinsstabilisierenden Liebe Gottes, braucht keinerlei Vorwurf des Unwissenschaftlichen zu scheuen, sofern er das

94

„Blind" meint hier orientierungslos, nicht aber wie bei Schopenhauer gleichzeitig „unmotiviert" (s. etwa Werke 3, 418f.). Es liegt uns vielmehr daran darzustellen, dass der Naturtrieb, wenngleich, wie von Schopenhauer richtig gesehen, sein Ziel nicht erreicht, dieser als Wille zur Seinserhaltung und -Steigerung dennoch ein höchst motivierter ist, der, soll ihm mehr als die Ruhe seiner Selbstverneinung beschieden sein, nach einer außerhalb der Möglichkeiten seiner selbst liegenden Hilfeleistung verlangt.

95 96

... etwa durch Carl Friedrich v. Weizsäcker, s. Christian Link, a.a.O. Vgl. Georg Picht, Der Begriff der Natur und seine Geschichte, 1989; Christian Link, Schöpfung, 1991; Klaus-Michael Meyer-Abich, Frieden mit der Natur, 1987.

Naturwissenschaft und Theologie

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Wissen bereitzustellen imstande ist, das Physik, Biologie, Kosmologie, die Sozialwissenschaften, die Philosophie und nicht zuletzt die Theologie abrundet im Sinne einer eminent logischen Gesamterklärung der Wirklichkeit, 97 wobei uns erst recht die Tatsache ermutigen darf, dass das Liebesthema ein überaus empirisch nachvollziehbares ist. Die prinzipielle Vereinbarkeit von Wissens- und Glaubensinhalten darf angenommen werden, gerade nachdem die Vorstellung von strenger Konsistenz und Stringenz „unerschütterlicher" Naturgesetze mittlerweile ihre deutliche Relativierung erfahren hat, 98 wenngleich die bisherigen Versuche beider Vereinigung zumeist als das - gewiss nicht selten fragwürdige - Werk von Außenseitern gilt, die zwischen allen Stühlen sitzen, also von keiner der Zünfte recht anerkannt werden. 99 Wir kommen hier aber aus beiden Richtungen schnell weiter, wenn wir die Liebe fundamentalontologisch qualifizieren sowie als einheitsstiftendes, systemisches Prinzip konkretisieren, genauso wie wenn wir Naturgesetze begreifen als Strukturgesetze ontischer Symmetrie, als sich in ständig neuer Wechselwirkung neu ausdifferenzierendes Elementgeflecht. 100 Die geistlich bewirkte Einheit des Diffusen und Divergenten und dessen ständige systemische Neuaneinanderreihung hin zu neuen

97

Der Unterschied von „Wissen" und „Weisheit" und die sachliche Nähe Letzterer zum Ansinnen der klassischen Metaphysik wird gut beleuchtet bei Oelmüller, Philosophie und Weisheit, Paderborn, 1989, wo aufgezeigt wird, dass die Weisheit es mit „lebensorientierendem Wissen" (313) zu tun hat, mit dem Wissen um das Ganze, demzufolge auch mit dem Wissen um die Grenzen menschlichen Wissens (66). Die Weisheit ist größer als die Vernunft, ohne deswegen in Konflikt mit dieser zu geraten; sie transzendiert den Rationalismus um echter Rationalität, die Logik um des Logos willen (244). Sie ist „Vollendung der Rationalität" (58). Frei vom Korsett strenger wissenschaftlicher Methodologie, zielt die Weisheit unmittelbar auf die Lösung elementarer Seinsfragen. Die Weisheit erkennt und tut das Richtige abseits des Regelwerks (309) und schafft dabei doch Ordnung des Wissens (161), indem sie „durch Unterscheidung des Wichtigen vom Nichtigen zum richtigen Leben bzw. zur Vermeidung des falschen Lebens befähigt" (278). Insofern wird auch die Philosophie als „Weisheitsliebe" zwischen Wissenschaft und Weisheit angesiedelt (219) bzw. die Weisheit als „Telos der Philosophie" begriffen (249). All solches ist sie in der Tat auch Thema der biblischen Weisheitsliteratur, die insofern auch als christliche bzw. theologische Philosophie gelten darf. Vgl. auch Josef Piepers Traktate über Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß in: Das Viergespann, München, 1964.

98

Vgl. Whithead, Kuhn, Feyerabend, Dürr, a.a.O.

99

...wie z.B. der Physiker Fritjof Capra oder theologischerseits auch Paul Tillich.

100 Vgl. auch Alexandre Ganoczy, Chaos - Zufall - Schöpfungsglaube, 1995.

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Formen der Komplexität, die - einander erstaunlich ähnelnde - makround mikrokosmologische Varianz und die Vielfalt in Einheit des Christusleibes sind alles andere als Gegensätze. Entscheidend weitergekommen sind wir, wenn wir feststellen, dass die Suche nach der die physikalischen Grundkräfte vereinenden Universalgleichung genau die diesem Prozess zugrundeliegende Schicht entdecken möchte, und wenn wir gleichzeitig sehen, dass eine solche „Kraft, die alle Dinge trägt" (Heb.1,3) von der Bibel bereits - aller Ernstnahme wert - als das Wort Gottes proklamiert wird, als die fundamentalontologische Potenz seiner Liebe. 101

12. Der postmoderne Versuch102 Als bisherige Rationalismus-Alternativen melden sich seit den Zeiten Rousseaus und der Romantik regelmäßig Renaissanceversuche des Mythischen zu Wort, die den Logozentrismus teils ergänzen, teils ablösen, ein neues Zeitalter umfassender Wirklichkeitswahrnehmung dafür einläuten möchten. 103 Doch ist der Mythos auf die komplexen Probleme der Moderne heute sowenig eine brauchbare Antwort, wie er es schon vor Aristoteles war. Das Schwelgen in kollektiven Ur-Erfahrungen taugt als impressionistische Privatreise, die die originalen Fragen verdeutlichen kann, die aber damit endet, dass im Augenblick der Wahrnehmung der Absenz echter Lösungsstrategien der Reisende wiederum vor die Schwelle der banalen Vernunft gespült wird. Wo in quasireligiöser Weise dem Mythos ein prinzipieller Vorrang eingeräumt wird,

101 Damit schließt sich insofern der philosophisch-theologische Erkenntniskreis, als wir hier wieder ganz nahe bei den Vorsokratikem Heraklit und Empedokles stehen. Versuche naturwissenschaftlich-metaphysischer Synthesenbildung müssen freilich stets mit Vorsicht genossen werden. Auf festem Boden stehen wir hier ohne Frage auf dem der Analogie; der Nachweis ontologischer Entsprechung sollte als noch ausstehend betrachtet werden, um das berechtigte Ansinnen nicht der Verachtung beider Lager preiszugeben. 102 Vgl. a.a.O. 103 In diesem Sinne hat besonders Kurt Hübner sich für eine Ontotogie des Mythischen stark gemacht, deren eigene Rationalität der der neuzeitlichen Wissenschaft ebenbürtig, ja geeigneter als deren formalisiertes Verfahren sei, der nur relativ exakten Lebenswelt gerecht zu werden. Die Wahrheit des Mythos, 1985; s. ders. u.a. auch in: „Mythos", TRE, Bd. 23,1994,597-665.

Der postmoderne Versuch

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symbolisieren archetypische Wunschwahrheiten und träumende Unschuldsfiktionen so zwar in einer direkteren Weise als das Schaffen der Ratio die paradiesische Rückkehrsehnsucht, sind aber auch noch mehr als diese in Gefahr, in der Verklärung des gefallenen Seinsbewusstseins den Ernst der psychologisch-ontologischen Fundamentalproblematik zu verkennen und Illusionen zu erliegen. Die Antwort muss dasjenige Umfassende sein, in welchem alle Teilbereiche der menschlichen Psyche einschließlich des Logischen und des Mythischen ihren rechten, das Ganze fördernden und stabilisierenden Platz einnehmen. 104 Dem Romantizismus und seinen esoterischen Spielarten ihre Existenzberechtigung zubilligend, ist der aktuelle Trend der zu so genannter „postmoderner" Pluralität im Umgang mit der Seinsfrage, die das Urproblem zu einem positiven Prinzip umbilden möchte. „Anything goes" 1 0 5 heißt die neue Devise, die eine weitere bewusste Minimierung des erkenntnistheoretischen Anspruchs in Kauf nimmt, der sich als Resultat des kritischen Rationalismus anstelle von Wahrheitsfrage und Totalitätswissen bereits mit Hypothesenkonsistenz und -kohärenz begnügt, 106 damit, dass letztendlich wir „nicht wissen, sondern raten" (Popper). Das Seins-Ganze soll wohl anvisiert, aber als „offene" Vielheit begriffen werden, wobei offen bleibt, wie offen etwas sein kann, um noch ein Ganzes zu sein. Die These, wonach es ein „Zeichen von geistiger Offenheit und Beweglichkeit" sei, „ohne abgeschlossenes Weltbild leben zu können", 107 bezahlt auf diese Weise ihren befreienden antidogmatischen Affekt mit dem keineswegs befreienden Verzicht auf die ursprünglich gewünschte Selbstvergewisserung des ens cogitans. Die Seinsfrage bleibt somit virulent, erlaubt ist auch wieder eine vorsichtige Repristination der Metaphysik, wenngleich Bedenken erhoben werden gegen deren nichtrationale/nichtwissenschaftliche Begleiterscheinungen. Antworten „von oben" gelten zumeist von vornherein 104 Vgl. auch Dalferths Versuch, die christliche Position „jenseits von Mythos und Logos" zu beschreiben (1993). 105 So der Slogan des seinerzeit vieldiskutierten Werkes Against Method von Paul Feyerabend (21983), das merkwürdigerweise mit „Wider den Methodenzwimg" wohlmeinend, aber die Intention des Autors wohl verfehlend - übersetzt wurde. 106 S. zum aktuellen Stand der Wissenschaftstheorie: Alan Chalmers, Wege der Wissenschaft, 5 2001. 107 Friedrich Rapp bei Oelmüller, Philosophie und Wissenschaft, 1988, 23.

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als suspekt, Metaphysik in der Form sich als Wissen gerierender Glaube als verpönt - zu Recht da, wo eine Gläubigkeit vor den Rückfragen kritischer Vernunft sich in ihr eigenes Gedankengebäude hinein verkriecht, in das die Weite schöpfungsgemäßen Seins nicht hineinpassen will; zu Unrecht da, wo wahrhaftes Sein zu entdecken und ihm teilhaftig zu werden das credo ut intelligam methodologisch simpel und einfach erfordert. Im letzteren Falle sich lieber auf das vermeintlich gesicherte Terrain der Vernunft zu kaprizieren, ist nur die kognitive Variante der Selbstimmunisierung und als solche weder vernünftig, geschweige denn „weisheitsliebend".

13. Die christliche Perspektive Abseits der Extreme darf in der wissenschaftstheoretischen Gegenwartssituation wieder formuliert werden: Die Metaphysik ist ein wichtiges, wenn nicht gar unerlässliches Komplement für die Wissenschaft, die Natur- wie die Sozialwissenschaften. Sie fungiert sehr wohl noch immer als Hintergrundwissen für das vielgefragte Orientierungswissen, und diese Funktion wird auch nur von den Hardlinern der Ratiogläubigkeit 108 abgelehnt. Sie erstellt „Grundsätze" für das Sein, gibt Umrisse, Konturen, Bestimmtheiten und insofern darf auch erwogen werden, dass das Metaphysische „das eigentlich' Wirkliche" ist,109 diejenige „besondere Form der Wissenschaft, die in der Synthese von einzel- und vorwissenschaftlichem Wissen letztes Orientierungswissen entwickelt und diskutiert", 110 ein „spekulativ gewonnenes Totalitätswissen mit Weltbild- und Weltanschauungsanspruch". 111 Im Maße, wie die Metaphysik an dieser faszinierenden Bürde sich schwer tut und Mühe hat, diese ihre eminente Bedeutung zu verifizieren, oszilliert sie zwischen einem Status von Wissenschaft par excellence und schwärmerischen Hirngespinsten, so dass in der Tat gilt: „Metaphysik ist die blaue Blume der Philosophie, die gesuchte Wissenschaft." 112 108 Vgl. Hans Alberts Vorstellungen restloser Kritik des „Dogmatismus" in: Traktat über kritische Vernunft 51991, bes. 35-44, 124-155. 109 Alwin Diemer, Einführung in die Ontologie, 1959, 172. 110 Willi Oelmüller in: Ders. (Hg.), Metaphysik heute?, 1987, 27. 111 Ebd., 34. 112 Ebd., 147.

Die christliche Perspektive

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„Nicht das Ontologische, nur das Metaphysische macht selig." 113 Diesen Satz können wir unterschreiben im Sinne der Liebe Gottes, die für unsere Physis sich verschwendet und dem Sein einen ewigen Horizont geschaffen hat. So besteht nach wie vor die große Chance auch für eine christliche Ontologie, was eine wahrhafte und dabei konstruktive Gesamtdeutung des Wirklichen anbetrifft, selbst wenn sie nicht umhin kommt, mit spekulativen Elementen zu verfahren. Solche sind nicht nur erlaubt, sondern „not-wendig", wenn so empirisch aufweisbarer Seinsintegrität gedient ist. Das Spekulative muss sich allerdings in der Tat bewähren. Ist dies aber der Fall, erweist sich aufgrund ihrer ganzheitlichen Konzeption die Überlegenheit einer christlichen Interpretation des Seins, die so aus dem Geruch des Erbaulich-Gnostischen herausund den exakten Wissenschaften selbstbewusst an die Seite treten könnte. Der Vernunft eignet die Neigung, sich eine Kunst-Welt außerhalb der ursprünglichen Naturordnungen zu schaffen. Da seine Liebesqualität gelitten, der Mensch seinen Verstand im Dienste seiner (neo)natürlichen Überlebensinstinkte aber eher noch geschärft hat, ist mit dem Kulturschaffen das Problem der Entfremdung von seinem natürlichen Sein vorprogrammiert. 114 Das Maß an Wohlergehen für den Menschen und seine geschöpfliche Umgebung ist darum das Maß für die Sachgemäßheit und die Vollständigkeit, die umfassende Richtigkeit der Antwortversuche von Wissenschaft und auch von Religion. Darum gilt das Wort von Paul Claudel: „Dort, wo die meiste Freude ist, ist auch die meiste Wahrheit." 1 1 5 Wahrheit ist, was befreit (Joh.8,32); „richtig", was die verlorengegangene konstruktive ontische Vernetzung revitalisiert, dem originalen Schöpfungsorganismus dient, seine Ausbildung fördert und seine prästabilierte Harmonie (Leibniz) erhält. Darin besteht die herausragende Würde und Verantwortung der die christliche Erkenntnis leibhaftig zu demonstrieren aufgeforderten christlichen Gemeinde. Die Realisierung brüderlicher Eintracht ist ihr 113 Alwin Diemer, Einführung in die Ontologie, 1959, 26. 114 Von dieser Position aus darf eine christliche Ontologie nicht davor zurückschrecken, Zensuren der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte dort zu erwägen, wo diese auf Kosten des Seins sich der Logik einer depravierten Vernunft ausgeliefert hat. 115 Cahiers Paul Claudel I, 83, bei Ulrich Hommes, Die Freude ist die Wahrheit, 1985, 323.

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Globalisierungsauftrag, 116 die Förderung bußfertiger Herzen ihre zeitlose Alternative zu den Modetrends des Eros - etwa Psychotraining und Genmanipulation. Beides ist Sache des originalen Seinswerkes Gottes, dessen postlapsarischen Fortgang wir im Folgenden unter die Lupe zu nehmen haben werden. Schon hier aber halten wir fest: Insofern mit der Wiederherstellung des Seinsgrundes das Problem der elementaren Seins-Befindlichkeit gelöst ist, ist der erosbetriebene Kulturgang fundamental korrigiert. Das neue Sein soll ein entneurotisiertes sein, ein un-verschämt sich seiner selbst bewusstes, in der denkbar größten Liebe erblühendes mithin dasjenige, wonach das menschliche Sein vernünftigerweise fragt. Der Eros sucht bei seinem Streben nach intakter Seinsganzheit nie etwas anderes, als was die Agape schenken will. Die Agape ist die UrBejahung des Seins, der Eros genau die Bemühung darum. Der von der Agape erreichte Mensch lebt so auch in einem gesunden Verhältnis, d.h. in Versöhnung auch mit seiner natürlichen Disposition - nicht der Sünde - insofern er vom Erostrieb der Seinssublimierung von Grund auf befreit ist. Er tut dies, weil und sofern er in wiederhergestellter vertikaler und so auch horizontaler Integrität lebt. Zu dieser seiner originalen Seins- und Überzeugungskraft darf und soll zuallererst das christliche Sein wieder zurückfinden zum Lob und zur Bezeugung dessen, der sagt: „Siehe, ich mache alles neu" (Off.21,5).

116 Vgl. Jose Ignacio Gonzalez Faus, Die Utopie der Menschheitsfamilie. Die Universalisierung des wahrhaft Menschlichen als wirkliche Globalisierung, 2002, 619-627.

IV. Das Provisorium 1. Die Seinsaporie / Gottes Notinstruktion / Liebe als Gesetz (Der Mensch unter dem Gesetzesund Verheißungswort des Alten Testamentes) Bei all seinen neuen Problemen bleibt dem Menschen die Erinnerung an seine originale Disposition nicht erspart. Aus der Erinnerung, wie er eigentlich sein soll und wie er einst gewesen war, wie er sein konnte, als er noch fest verwurzelt war im Seinsgrund der Liebe Gottes, ist ihm das Konstruktionswort Gottes nun als Forderung gegenwärtig, gegen die er sich sträubt, weiß er doch, dass er sie in seinem neuen Stand nicht erfüllen kann. Vor die Realisierung eines neuen Seins ist somit eine Phase der radikalen Konfrontation des Menschen mit seiner Bestimmung geschaltet, die ihm die Höhe seines ursprünglichen Adels vor Augen hält, aber auch die Unmöglichkeit, diese aus eigener Kraft wieder zu erreichen. Die Konfrontation mit seiner ontologischen Zielvorgabe verstört das erkennende Subjekt zusätzlich. Der Mensch außerhalb der Liebe Gottes kann selbst nicht so lieben, wie der Schöpfer sich das vorgestellt hat. Er kann nicht mehr geben aus dem Überfluss der Gnade, sondern infolge seiner ontischen Beschränktheit nur noch mehr oder minder widerwillig das Nötigste. Er empfindet die Liebesforderung Gottes als Gesetz.1 Ein solches bekommt er nun auch tatsächlich an die Seite gestellt. Die fundamentalontologische Kategorie der Liebe Gottes begegnet den Teilnehmern des Alten Bundes als schriftlich fixierte Rede, als göttlicher Katalog, der dem Sein verwehrt, sich bedenkenlos seinen neuen Bedingungen gemäß einzurichten, sich gewissermaßen den Folgen seiner Verfehlung anzupassen. In und mit dem Gesetz als der Kundge1

S. die exzellenten Ausführungen dazu bei Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 5 1985, 274f.; sowie auch Friedrich Gogarten, Der Mensch zwischen Gott und Welt, "1967, 39-117.

162

Das Provisorium

bung des unveränderten Willens Gottes ist das originale Gotteswort in statuarischer Form erneuert. Indem dem Menschen das Niveau und die Möglichkeiten seines ihm ursprünglich angedachten Seins, der Spiegel seiner verlorenen Heilswirklichkeit so vor Augen gehalten wird, sind keine Ausflüchte möglich. Das Gesetz ist das Konstruktionswort in derjenigen deformierten Form, die der deformierte Mensch noch begreifen kann, die seiner neuen Natur adäquat ist. Darum ist es „heilig, gerecht und gut", ein Quell der Freude und Erkenntnis (Rö.7,12; vgl. Ps.119), darum von bleibend seinsermöglichender Potenz. 2 Es ist die formalisierte Variante des Konstruktionsworts, wie sie die formal intakte Vernunft noch immer erreichen kann - jetzt freilich in beschämender Weise, denn ohne die ursprüngliche Grundlage offenbart der An-Spruch Gottes letztendlich das Unvermögen des Menschen, von sich aus der ursprünglichen Situation gemäß zu existieren. Das Sein der Agape ist nun ein imperativisches Lieben-Sollen geworden - unerfüllbar, da die ontische Ausformung der Agape ihres ontischen Indikativs bedarf, um wirksam werden zu können. So ist das heilsverheißende Statut dem Menschen nicht nur zu Forderung, sondern zur Uberforderung geworden, an der er der Mangelhaftigkeit seines inhärenten Potentials und damit der Ausweglosigkeit seiner Lage gewahr werden soll. „Das Gesetz ist dazwischen hineingekommen, damit die Übertretung noch größer werde" (Rö.5,20). Als Wegweiser in seiner verdunkelten Situation wird das Gesetz dem Menschen aber eine provisorische Uberlebenshilfe, die Gott sorgsam ausgestaltet, bevor er sich daran macht, seinen ursprünglichen Heilsplan wieder aufzugreifen und ihn der verlorenen Situation seiner Schöpfung entsprechend zu aktualisieren. Als Seins-Vermittlungsinstanz gewährt in der Sphäre fundamentalen Misstrauens das Gesetz zwischenmenschliche Rechtsverhältnisse, wobei auch das Gottesstatut

2

Man wird wohl sagen müssen, dass sogar eindrucksvoller als den in der Offenbarung angesetzten Seinsanspruch die Geschichte demonstriert hat, wie die Beheimatung schon im Wort der Thora dem ansonsten heimatlosesten der Völker in besonderer Weise die Kontinuität seines Da-Seins ermöglichen konnte. So hat wohl das Volk der Juden in seiner Leidensgeschichte die neue ontologische Grundkonstante des Gast-Seins (s.o.) authentischer gelebt als die Kirche ihre spezifischen Bestimmungen, die vielmehr in ihrem historischen Seins-Ermächtigungsstreben (s.u.) den eschatologischen Vorbehalt nicht zuletzt auf Kosten des charakteristisch bleibenden (Ps. 111,9; Hes.ll,16f.; Rö.ll) Volkes Gottes verletzt hat.

Liebe als Gesetz

163

gerade keinen Legalismus konstituieren möchte, sondern als Gottes Liebestat auf Wider- und Nächstenliebe im heilsverheißenden Gehorsam zielt (Dtn.l0,12ff.), wenngleich diese Liebe nun detailliert vertraglich geregelt ist (Dtn.5-11; Ex.20-24). Der Segen Gottes ist weiterhin im Blickpunkt der Gottesrede (Dtn.5,33; 28), ein Segen freilich innerhalb der Restriktionen des früheren Verhängnisses. Immerhin aber ist im Gesetz dem Menschen eine seinen Umständen optimal entsprechende Bedienungsanleitung vorgelegt, mithilfe derer folglich auch dem gefallenen Menschen Seinsidentität und Seinserfüllung möglich wäre, so er sich denn imstande fände, sich an diese Anleitung zu halten (Dtn.6,24-25). Die Güte Gottes belässt den Menschen somit bereits in vorchristlicher Zeit nicht in Hoffnungslosigkeit. Vielmehr ergeht an ihn das mannigfaltige prophetische Verheißungswort von der Wiederherstellung seiner Heilswirklichkeit (Jes.40,1-5; 42,1-9; 43; Jer.30; 31,31-34; 36-37; Hos.14; Jo.3; Mi.4-5; Sach.9,9-17), dieweil schon das Sein unter dem Gesetz sich als „Abschattung des Urbildes" deuten lässt (Heb.8,5). Das Gesetzesstatut, wenngleich nur Behelfslösung, entspricht aufgrund seiner erneut seinsstabilisierenden Funktion wesenhaft dem Konstruktionswort, wobei in seinem expliziten Weisungscharakter auch das Instruktionselement zum Ausdruck kommt. Das Sein des Alten Bundes ist ein Sein im Abglanz des Konstruktionswortes (Heb.11), das nun als Notkonstruktion - im Blick auf ihren Anredecharakter können wir wiederum von „Notinstruktion" sprechen - die Wiederbringung des originalen Werkes Gottes verheißt. Dabei dient gleichzeitig das Werk Gottes an und mit seinem auserwählten Volk auch als „Vorschattung der zukünftigen Güter" (Heb.10,1), seinem Werk des Neuen Bundes also, in welchem der Mensch wieder mit seiner originalen Grundlage ausgestattet wird. Das Konfrontations- und Verheißungswerk Gottes fungiert so als Vorbereitung für Gottes zweiten, seinen NeuSchöpfungsanlauf.

V. Die Agape als Grund des neuen Seins 1. Die christliche Offenbarung als Antwort auf das fundamentalontologische Problem / Das „Dass" der Agape als fundamentalontologische Kategorie 1.1 Das Kommen des Sohnes Gottes 1.1.1 Die Gottesliebe als Gottesrede Zum Fundamentalen der christlichen Glaubenserkenntnis gehört, dass Gott den Menschen nicht ungerührt in seinem status corruptionis belassen hat, sondern sich dem Menschen zugewandt, ihn angesprochen hat, ihm sein helfendes Wort hat zukommen lassen. Dass der lebendige Gott redet, ist Ur-Charakteristikum der christlichen Botschaft von Anbeginn. Wir haben bislang gesehen, dass und wie Gott stets sachgemäß spricht, er sein Wort der Situation des Seins gemäß ausformt. Seine Offenbarungsvielfalt aus Worten und Taten konfrontiert den Menschen mit seiner Lage und stellt die Wiederbringung seiner Seinsgrundlage, seine Rettung damit in Aussicht. Wir haben es zu tun mit einer vom ewigen Logos ausgehenden, auf den inkarnierten Logos zielenden, einer christologischen wie christozentrischen Offenbarungsgeschichte also, die auf die Wiederherstellung der Einheit von Sein und Gotteswort zielt. Die Seinsintegrität gemäß der Offenbarung im Konstruktionswort aber ist das Werk Gottes, um des willen er schon immer vielfältig geredet und gehandelt hat. Christliche Offenbarung existiert somit als Wort-Tat-Geflecht, 1 die in Christus ihre Einheit und ihren Höhepunkt findet. 2 1

S. a.a.O.

2

Insofern wir von all dem nur durch die Schrift wissen, haben wir auch diese zum Offenbarungskomplex Gottes zu rechnen (s.u.). Als die dem Glauben anvertraute Kommentierung des Gesamtwerkes Gottes begreifen wir sie analog der Verbalrede

Die Gottesliebe als Gottesrede

165

Mit seiner Rede ergeht an den Menschen als dem Angesprochenen die fundamentalontologische Konzeption der Pläne Gottes, von denen der Mensch in keinem Fall frei wird, sondern immer in Bezug auf diese in Verantwortlichkeit gestellt bleibt. 3 Mit seinem Wort deklariert und expliziert Gott die Welt als seinen Willen und seine Vorstellung und ist nicht bereit, seinen Segen irgendeinem Autonomiestreben zu geben, das sich von seiner Sichtweise abkoppeln möchte. In mit und unter dem Reden Gottes als seiner originalen Zuwendung aber widerfährt dem Menschen und dem ihm beigegebenen Sein nichts anderes als die Liebe Gottes. Die Gottesrede als seine Liebesbekundung ist es, die zu jeder Zeit die Seinswirklichkeit getragen und qualifiziert hat; die Gottesrede ist es schließlich auch, die analog zu ihrer schöpfungskreierenden Wirkweise die von ihrer Selbstvernichtigung bedrohte Schöpfung errettet und wiederherstellt, um sie dereinst auch definitiv zu vollenden. So wird, indem wir dem Handlungsstrang Gottes biblisch folgen, die durchgängige Absicht Gottes dabei beobachten und deren konstruktive Elemente fixieren und konkretisieren, am Ende nichts anderes als die Liebe Gottes deutlich als der zentrale Bestandteil des Agierens Gottes überhaupt, als Zentralelement der biblisch bezeugten ReichGottes-Geschichte. Jesu Existenz war „nichts anderes als das ständig in sich durchsichtige Geschehen reiner Liebe". 4 Folgerichtig wird diese Liebe, nachdem sie einmal unverhüllt, ganz und gar in voller Herrlichkeit geoffenbart sowie durch den Heiligen Geist zur Anwendung gekommen ist, skriptologisch auch in ihrer ganzen Breite aufgefächert insbesondere bei Paulus und Johannes - als Grundcharakteristikum des Volkes Gottes.

Gottes zu Zeiten des Urbundes als Gottes instruktives Wort, analog etwa auch dem prophetischen Wort des Alten Bundes inklusive freilich des Täufers (s.o.). Solcher Autorität der Schrift tut kein Abbruch, dass diese die von der Kirche festgestellte Sammlung der inspirierten Beurkundungen der Taten und Worte Gottes ist. Dass die Bibel nicht vom Himmel gefallen ist, bekräftigt nur die - von seinem Sohn abgesehen - durchweg ontologische Wirkweise Gottes. 3

S. Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 51985, 86ff.; Dogmatik 2, 3 1972, 67ff.

4

Ernst Fuchs, „Logos", RGG 3 , Bd. 4,1960,439.

166

Die Agape als Grund des neuen Seins

1.1.2 Die Erfüllung der Zeit / Die Erfüllung der Schrift / Die Sendung des Sohnes Die Geschichte des Alten Bundes ist, so sehr sie die Geschichte des Scheiterns menschlicher Heilsbemühung - selbst unter der Anrede Gottes - ist, so sehr auch die Geschichte der Vorbereitung der Heilsrealisierung im eigentlichen Gotteswort, dem Wort seiner Liebe, seinem Ursprungs- und schließlich auch Vollendungswort. In und um Christus als der „Mitte der Zeit" 5 schließt sich der Kreis der Gottes-SeinsGeschichte als die Verwirklichung des Gottesreiches, 6 mit dem die Liebe Gottes allen Seins-Irrungen und -Wirrungen, allem Konkurrenzkampf und aller Eigenmächtigkeit zum Trotz zu ihrem endgültigen Triumph gelangt. Mit dem Kommen des Sohnes Gottes, der prophetischen Verheißung gemäß, beginnt somit die endgültige Rekapitulation der Seinsgeschichte, so wie wir durch das uns mitgeteilte Wort davon unterrichtet sind (s. Lk.4,21). „Nachdem Gott in früheren Zeiten vielfach und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat" (Heb.1,1-2). Dabei hat Gott in Jesus, nachdem die bisherigen heilszeitlichen Ereignisse nicht das gewünschte Resultat erbracht haben, sozusagen seinen letzten Trumpf ausgespielt, sich selbst eingebracht, um in Gestalt des einen neuen Menschen stellvertretend für alle die seinszerstörerische Macht des Todes endgültig zu überwinden. 1.1.3 Die Offenbarung (als allgemeine und spezielle) Was dem Menschen an Anklängen an frühere, bessere Zeiten verbleibt, heißt „allgemeine Offenbarung". 7 Das Gesetz, in welchem diese noch einmal verbindlich spezialisiert wird, ist deren explizite Zuspitzung, kann jedoch als „fernes undeutliches Echo ... der Wortoffenbarung" 8

5 6 7

Vgl. Cullmann in: Christus und die Zeit, 1962,104ff. S. dazu Kraus, ST, 1983. S. Brunner, a.a.O.

8

Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 51990, 55.

Die Offenbarung

167

keinen durchgreifenden Erfolg erzielen. Wie in aller Welt könnte der Mensch seinen ontologischen Engpässen entkommen? Was den Juden an zeichenhafter Bezeugung der Wahrheit Gottes noch vorenthalten ist und die griechische Weisheitssuche nicht erlangen konnte noch kann, das hat Gott allen Menschen gleichermaßen ohne all ihr Zutun geoffenbart - die Wiederherstellung des Seins in seinem Sohn Jesus Christus, für die einen Ärgernis, für die anderen Nonsens, Mythos, Wunschdenken (l.Kor.l,22f.). Der jüdischen ReichGottes-Erwartung wie auch dem erosbetriebenen Erkenntnis- und Schaffensdrang der Heiden ist Gott gleichermaßen entgegengekommen mit genau jener Hilfeleistung, jenem seinsreparierenden Prinzip, nach welchem die Suchenden bewusst, die Resignierten unbewusst verlangt haben, um gleichzeitig mit der Provokation, das Heil allein im Glauben zugänglich zu machen, das Versagen des menschlichen Wesens restlos bloßzulegen und so auf dem Weg der Selbstdemütigung zur Entscheidung für oder gegen die allein seligmachende Gnade Gottes zu nötigen. So ist die allgemeine Offenbarung die Erinnerung an den seinstragenden Christos asarkos, die spezielle die Zurechtbringung im Christos asarkos durch den Christos ensarkos, in seinem Vergebungswerk nämlich, durch welches der Mensch seinen ontologischen Freiraum zurückerhält (Ps.23). Die allgemeine Offenbarung besteht somit nicht „vor und außer Christus", 9 sondern, im Prinzip nicht anders die spezielle, mit und in Christus. Die Bibel lehrt die christologische Einheit von revelatio generalis und revelatio specialis, wobei die allgemeine Offenbarung Vertiefung und Ausgestaltung der speziellen ist.10 Im Unterschied zur erlösenden, Verhängnis und Fatum beseitigenden Offenbarung eignet vor dem Hintergrund des menschlichen Zwiespalts der revelatio generalis aber ein positives wie negatives Element. Sie wirkt sich positiv aus in Form des besonders alttestamentlich dokumentierten Schöpfungslobs, dessen Gedanke auch in Rö.l im Hintergrund steht. Negativ schlägt sie sich indirekt nieder in der Erfahrnis des AußerhalbChristus-Seins, das den Hintergrund der neutestamentlichen Erlö-

9 10

Ebd., 112. ... nicht umgekehrt wie bei Rolf Schäfer, Der evangelische Glaube, 1973, 28ff. (s. bei Pöhlmann, a.a.O., 55).

168

Die Agape als Grund des neuen Seins

sungsbotschaft bildet.11 Die allgemeine Offenbarung ist Positivoffenbarung als Begründung der menschlichen Verantwortlichkeit.12 Sie ist Negativ-Offenbarung als Begründung seiner Flucht vor Gott, sprich: seiner eigenmächtigen Seinskompensation. In beiden Varianten ist das Gewissen des Menschen berührt, sein rudimentäres Wissen, selbst Hauptakteur sein zu sollen im vielfältigen Lob der Gottesgeschöpfe. Von daher fällt biblisches Licht auf die Frage nach Offenbarung in der bzw. als Geschichte.13 Die Menschheitsgeschichte ist im Sinne der Christus-Negativität, im Sinne also der Erfahrung seiner Absenz, indirekte Offenbarung, sprich die Offenbarung der fehlenden IhmZugehörigkeit. Sie ist Offenbarung des katastrophischen Charakters des Von-Christus-Gelöst-Seins, die als Kompensationsoffenbarung gleichzeitig jene Heilsdisposition des Menschen offenlegt, die ihn zu jederzeit als Heils-Empfangsvoraussetzung begleitet.14 In der Weise ist die Geschichte Kontrastprogramm zur Heilsgeschichte, das auch als Kontrast die originale Konzeption bezeugt, ohne sie selbst realisieren zu können.15 Indem das Urfaktum der physischen Ohnmacht der Vernunft angetragen wird, sind die Teilnehmer der Geschichte nur befähigt, die metaphysische Frage zu stellen, die indes bis zum Zeitpunkt, da Gott selbst unter den Menschen wohnt (Off.21,3), in keinerlei Phase weltgeschichtlicher Progression beantwortet wird. Möglich ist bis dahin nur die schemenhafte Ahnung der ontologischen Perfektion, in welcher das bleibend von Gottes Kreativität zeugende Sein im Raum der Ewigkeit seiner Liebe auch zu ontologischer Herrlichkeit geworden sein wird. Von jener Ahnung künden auch die Anstrengungen und Partikularerkenntnisse der Religionen, indem sie die der Vernunft möglichen Hypothesen von der Totalität des Sinns allen Daseins liefern, von denen das Christentum vielleicht nicht einmal die universal-

11

Ebd. in schönen ontologischen Termini: „Durch die revelatio generalis wird nicht das Nicht-Sein überwunden, sondern der Mensch ins Nichts gehalten."

12

S. Brunner, Offenbarung und Vernunft, 2 1961, 77.

13

Vgl. Wolfhart Pannenberg, Offenbarung als Geschichte, 5 1982.

14

...so richtig Brunner gegen Karl Barth, besonders klar in: Der Mensch im Widerspruch, 5 1985,541-553.

15

Die klassische petitio principii, die wir hier formulieren, ist dem Theologen erlaubt und geboten und durch die zirkuläre Argumentation auch noch nicht als falsch erwiesen.

Konstruktions- und Instruktionswort

169

ste ist,16 in der Liebe gegründet aber auf jeden Fall die glaubhafteste.17 Positiv gewendet haben wir es demnach in der speziellen Offenbarung zu tun mit derjenigen des das Nicht-Sein überwindenden SeinsGrundes.18 Die Offenbarung rechten Seins in Christus durch den autorisierten Seinsbringer ist rechte christliche Offenbarung, auf die alle sonstige Offenbarung verweisen möchte und die in dem vorgesehenen Rahmen auch tatsächlich geschichtlich verifizierbar sein möchte. Was Gott offenbart, ist, dass alles Sein in seiner Liebe tatsächlich bleibend ist und zu seinem Lob „funktioniert". Wahres Sein ist „Sein in der Liebe Gottes". 19 Dies ist der Kernsatz aller christlichen Ontologie, dessen Realisierung die allgemeine Offenbarung der ontologischen Machtlosigkeit des Menschen dient. 1.1.4 Die Wiederbringung des Konstruktions- und Instruktionswortes (des Seinsgrundes) mit Christus / Die Refundamentierung des Seins / Das Werk Gottes Die spezifisch christliche Offenbarung ist die Offenbarung des Wortes Gottes, das wir „Evangelium" nennen. Es ist die Offenbarung Jesu Christi, die Erscheinung des Logos ensarkos und mit diesem die Wiederbringung des originalen Konstruktionswortes. In neutestamentlicher Aktualisierung erscheint dieses als Verbal- und Seinsgrundwort, als Evangelium und Pneuma. So schließt sich der heilsökonomische

16

... wie Pannenberg dies sieht in ST 1, 1988, 167ff. Interessant und noch zu bedenken ist von hier aus auch Pannenbergs Ansicht, dass wenn Offenbarung auf den „in Jesus Christus zusammengefaßten, in seiner Geschichte offenbaren göttlichen Heilsplan für die Menschheitsgeschichte zu beziehen ist ... ein solcher Gedanke auch der Entfaltung im Sinne der christlichen Logostheologie" bedarf, die dann „nicht nur kosmologisch in der christlichen Schöpfungstheologie, sondern den biblischen Zeugnissen entsprechend vor allem auch geschichtstheologisch geschehen" müsse; ST 3,1993,540.

17

S. auch Tillich, ST 3, "1984, 181f., der wie Pannenberg die Erwartungshaltung der Religionen als gewissermaßen aspirierende positiv würdigt, dessen Annahme „latenter Geistgemeinschaften" die Differenz zur christlichen allerdings doch ein wenig zu sehr nivelliert.

18

Vgl. Tillich, ST 1, »1987,131ff., 218ff.

19

Brunner, Offenbarung und Vernunft, 21961, 403; s. auch Der Mensch im Widerspruch, 5 1985, 95.

170

Die Agape als Grund des neuen Seins

Zyklus der Gottesrede ebenso wie in diesem die Heilsökonomie. Das vormalige Seinsgrundwort begründet das Verbalwort, das Verbalwort begründet erneuertes Seinsgrundwort. Beides zusammen - Seinsgrundwort und Verbalwort - darin verankert und der Güte Gottes versichert, also die Gemeinde der Gläubigen, ist, was wir als Werk Gottes bezeichnet haben. Dieses Werk ist, worum es dem Wort Gottes zu tun ist; das Wort dient dem Werk Gottes, an dem es sich zuletzt auch bewahrheitet. Im Wort Gottes soll und muss das Werk Gottes offenbar werden, so dass das Werk Gottes das entscheidende Interpretament des Wortes ist, weil die Sache selbst, die Wirklichkeit werden soll. Das Werk aber ist rechte Beziehung des Seins zu Jesus Christus, theozentrisches Sein in der Liebe Gottes als rechtem Seinsgrund. Solches darf Christentum heißen. Zu diesem seinem Werk gibt Gott erneut ein paränetisches Instruktionswort in Form der neutestamentlichen Schriften, ein Erfüllungswort gleichsam gemäß seines Werkes. Die Schrift ist die Reflexion und Instruktion des Werkes Gottes. Erneut erkennen wir so die heilsökonomische Verflechtung der Erscheinungsweisen des Wortes Gottes, die schwierig begrifflich endgültig aufzudröseln ist, da Ubergänge und Überschneidungen in jedem Fall bleiben. Erneut erkennen wir die Elastizität des Wortes Gottes, unbeschadet seiner strikten Christozentrik. Gott passt sein Verbalwort seinem Werk an und passt sein Werk seinem Seinsgrundwort an. Im Maße, wie uns das Werk problematisch ist, ist uns das Verbalwort problematisch. Das Werk wiederum ist uns problematisch, in dem Maße wie uns das Seinsgrundwort problematisch geworden ist. Zu unterscheiden haben wir somit vom Evangelium als dem neuen Verbalwort Gottes die Schrift als Instruktionswort, wenngleich sie sachlich der Verbalparänese des Urbundes vergleichbaren Charakter einerseits besitzt und formal dem Schriftwort des Alten Testamentes andererseits entspricht. Entscheidend ist für uns, dass das Verbalwort des Evangeliums als Liebes-Anspruchs-Wort Gottes zusammen mit der Liebeswirklichkeit des Heiligen Geistes das Konstruktionswort bildet, in dem als der Komplettoffenbarung Gottes das Werk Gottes - das neue Sein - Bestand hat. In Christus besteht das wiederhergestellte Gotteswerk, in dem die Schöpfungsexistenzialien gerade Gerückte sind. Diesem Konstruktionswort und seiner pneumatischen Konstruk-

Die Leistung des Sohnes Gottes

171

tion will und muss das - ebenfalls „geistgehauchte" (2.Tim.3,16) - Instruktionswort dienen. Darum ist rechter Dienst an der Sache selbst auch rechter Dienst am instruktiven Schriftwort, ist somit auch rechter Gehorsam, rechter Glaube, rechtes Vertrauen. Die Vernunft erkennt nun die Güte Gottes als wiederhergestellte Schöpfungskooperation. Die wiederhergestellte fundamentalontologische Basis aber will nicht nur unseren Verstand, sondern vor allem unser Herz erreichen (Jer.31,33; Rö.5,5; l.Kor.1,22; Eph.3,17; Heb.3,8), will die neue, ursprüngliche, fundamentalpsychologische Grunderfahrung der Liebe Gottes bewirken, um so auch unser Denken und Handeln neu zu bestimmen.

1.2 Die Erscheinungsweise des Sohnes Gottes 1.2.1 Logos - Christus - Agape / Das Wort Gottes als die Liebe Gottes / Das „logische" Missverständnis Aus dem bislang Gesagten ergibt sich bereits die weitgreifende Entsprechung der Begriffe Wort Gottes - Christus - Agape in Bezug auf ihre inhaltlich-heilsgeschichtliche Bedeutung. Das Gotteswort ist das zentrale medium salutis, durch welches alle Dinge geschaffen und zurechtgebracht sind. Dasselbe gilt für Jesus Christus, Gottes Sohn, der dieses Wort in Person ist und dasselbe gilt für die Liebe Gottes, die Agape. Christus, Logos, Agape sind ihrer soteriologischen Bedeutung nach insofern synonyme Begriffe, als sie jeweils den Ursprung, die geistliche Heimat des Menschen bezeichnen, in die er zurückgeführt werden soll. Allen dreien eignet die Aufgabe, das Seiende zu erlösen und zu ordnen hin zu einem Sein dem Willen Gottes gemäß. So dürfen wir in bester evangelischer Tradition sagen: „Gottes Wort ist Gottes Sohn" 20 - Jesus, der Christus, um allerdings jene Aussage zu konkretisieren und zu komplettieren durch diese: Jesus Christus ist die Agape Gottes. Das Wort Gottes ist folglich - in seinem Vollsinne begriffen - die Liebe Gottes. Die Gestalt gewordene Liebe Gottes ist Gottes verbindliches Wort. Sie ist aber um ihres Wesens - der Liebe - willen kein anderes Wort als das ewige Wort Gottes, das schon als das Urwort „Adam", dem Menschen, als seine vollständige Bejahung mitgegeben worden war.

20

Karl Barth, KD 1/1, 142.

172

Die Agape als Grund des neuen Seins

Bereits schöpfungstheologisch unzweifelhaft als Gottes Wohlwollen identifizierbar, ist der seinstragende Gotteslogos erst recht vom Neuen Testament her eindeutig als Gottes Liebe geoffenbart und damit aller rationalistischen Färbung entledigt. Der ewige Logos Gottes ist weit mehr als das „Prinzip rationaler Wahrheitserkenntnis", 21 durch welche seine Interpretation klassischerweise gekennzeichnet ist. Er ist in biblischer Perspektive das dieses Prinzip selbst ermöglichende und tragende Prinzip. Auch die Theologie war und ist dem Vernunftlogos zu sehr verhaftet und wir haben allen Grund anzunehmen, dass mit seiner rationalistischen Engführung die Klarheit seines eigentlichen Gehaltes manifest Schaden gelitten hat. Die klassische philosophische Vernunftinterpretation des Logos ist nicht nur „abstrakte Stellvertretung", 22 sondern vor allem Verfremdung der Wahrheit Gottes, nicht nur „Hinweis" und „Abglanz", 23 sondern auch Substitution. Diesen Logos meint die Bibel darum auch nicht, sondern das konstruktive auch kreative - Prinzip hinter allen Dingen, nicht deren immanenten Sinnzusammenhang, der innerhalb der gefallenen Schöpfung gerade auch in Anwendung aller Vernunft - nachhaltig entstellt ist. In und mit dem kreativen Prinzip aber als das in jedem Fall seinsbegründene besteht die Einheit zwischen dem Logos incarnandus und dem Logos incarnatus, mit der vor dem rationalistischen Hintergrund die Theologie bislang ihre begreiflichen, aber auflösbaren Schwierigkeiten hatte. Der Logos Gottes in biblischer Anschauung ist nicht der Vernunftlogos, er ist der Liebeslogos Gottes, wie denn auch Christus nicht die Fleisch gewordene Vernunft, sondern Liebe Gottes ist. Dabei ist es aber nicht so, dass die Ratio und die Liebe Gottes in Antithese zu bringen seien, aber so, dass in ihrer Liebeskonkretion die Überlegenheit der göttlichen Vernunft ihren Ausdruck findet, in der Weise also, dass die göttliche Liebe als die seiner Majestät angemessene, gewinnende Kraft erscheint, die geeignet ist, den Menschen in die Obhut Gottes zurück zu bergen, ohne dabei seine Freiheit und Ebenbildlichkeit anzutasten. Die Agape ist die materiale Füllung der, wenn man so will, abstrakten Rede vom Logos Gottes. In ihrer dergestaltigen Verhältnismäßigkeit

21

... wie etwa bei Emil Brunner, Offenbarung und Vernunft, 21961, 349.

22

Ebd., 347.

23

Ebd., 350.

Die Leistung des Sohnes Gottes

173

besteht kein Grund zwischen dem ewigen und dem inkarnatorischen Gotteswort irgendeine Inkompatibilität zu diagnostizieren und zu meinen, die Betonung des einen müsse um der Klarheit des anderen willen zurücktreten. Daraus ist nun wiederum nicht zu schließen, dass die rationale Erkenntnis- und Gestaltungskraft des Menschen ein vom Wesen Gottes dispensierter Bereich sei. Wir können durchaus postulieren, dass gerade in und mit diesen die göttliche Ebenbildlichkeit zum Vorschein kommt. Gerade aber wie sie ihres materialen Gehaltes, der integralen Kraft der Agape entbehren, kommt aber auch unmissverständlich zum Vorschein, wie sehr die natürliche Ebenbildlichkeit eine nur noch formale, eine äußerliche ist, eine orientierungs- und hilflose, die gerade nicht imstande ist, solche seinshilfreiche Konstruktivität zu bewerkstelligen, wie dies eben nur die Vernunft Gottes - die Liebe Gottes nämlich kann. Darum ist es „der Frieden Gottes", der allein in der Lage ist „Herzen und Gedanken zu bewahren" in Christus Jesus (Phil.4,7).24

1.3 Die Leistung des Sohnes Gottes 1.3.1 Die neue Kreatur Der Sohn Gottes ist gekommen, um im Kampf gegen die destruktiven Mächte die Situation der Seinsverdunkelung und -entfremdung zu beenden und die leidende Kreatur herauszuführen in das helle, ursprüngliche Licht der Güte und Gnade Gottes. „In Jesus Christus ereignet sich der Angriff der göttlichen Liebe gegen die Bastionen der Lieblosigkeit."25 Er ist gekommen, um die grenzenlose Zuneigung des Vaters uneingeschränkt für den Menschen - und nicht nur den Menschen - zu reaktivieren. „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden" (2.Kor.5,17) - ein neues Sein, in welchem mit der Herrschaft Gottes auch deren segensreiche Effekte zur Ausprägung kommen. Dies in antizipatorischer Vorausschau war die Botschaft des Davidischen Königreiches, der Psalmentheologie sowie der prophetischen Weissa24

Vgl. die hinsichtlich ihrer sorgfältigen anthropologischen Differenzierung ganz vorzügliche Ebenbildlichkeitslehre Brunners ebd., 68ff.; Dogmatik 2, 31972, 67ff.; Der Mensch im Widerspruch, 51985, 519ff.

25

Walter Künneth, Glauben an Jesus?, 1962, 237.

174

Die Agape als Grund des neuen Seins

gung. Die Wiederherstellung des Reiches Gottes aber beginnt mit dem Leben und Sterben seines Gesandten inmitten eines vergehenden Äons, - noch - nicht in Macht und Herrlichkeit also, wie die Jünger dies zu begreifen alle Mühe hatten, sondern in Niedrigkeit und aller Härte konsequenter Nachfolge, als Gemeinschaft derer, die schon jetzt ganz und gar eingeschwenkt sind in Gottes Vorgehensweise während der „letzten Stunde" (l.Joh.2,18) der Heilsgeschichte. 1.3.2 Die Vergebung der Sünden Der christliche Logos ist die fleischgewordene Liebe Gottes als die Vergebung der Sünden, die den Menschen ins Abseits Gottes gebracht haben (Ex.34,6; Dan.9,9; Ps.l03,3ff.; 130,4; Mk.2,5ff.; Lk.15; Kol.1,14; 2,13; Eph.1,7). Die sich darüber erbarmende Agape bringt das Sein wieder zurecht, nämlich unter das uneingeschränkte „Ja-Wort" Gottes neutestamentlichen Musters, in welchem das Sein von neuem vom Willen Gottes her begründet ist. Die Bibel nennt dies das „ewige Leben" haben (Dtn.30,15f.; Ps.36,10; Joh.3,16; 14,6).26 Die Agape Gottes ist Gottes Grundleidenschaft für seine Schöpfung, so groß, dass sie das Opfer seines eigenen Sohnes nicht scheut. So wird sie als Gottes Vergebungstat und -botschaft zu demjenigen wiederhergestellten Seinsgrundwort, in welchem dem Recht Genüge getan wird, auf dass die Liebe nicht als flache Philanthropie, sondern als die heilige Liebe Gottes triumphiere. Als solche begegnet uns das Grundwort Gottes, das Machtwort seiner sich vorbehaltlos verschenkenden Liebe in biblischer Instruktion sowie in der faktischen Realisation des Heiligen Geistes.27

1.4 Die Wirklichkeit des Sohnes Gottes 1.4.1 Die Vergebung als Gottes „Ja"-Wort / Die Reparatur des Seins Das „Ja" Gottes zum Menschen ist dessen Benachrichtigung von der Liebe Gottes als die Botschaft von der Vergebung und sie ist die Praxis 26

Vgl. a.a.O. die synonymen Begriffe etwa des Paulus, die dieselbe, das Sein im Wort

27

Zum Studium von άφίημι und χαρίζομαι s. Cilliers Breytenbach, „Vergebung",

Gottes darstellende Stoßrichtung haben. ThBNT, Bd. 2, 2000,1737-1742.

Die Wirklichkeit des Sohnes Gottes

175

dieser Vergebung im menschlichen Miteinander. Der erste Teil ist derjenige, der klassischerweise als Evangelium gilt, in welchem Gott den Menschen forensisch gerecht spricht. Dieser Teil ist nach fünf Jahrhunderten „evangelischer" Kirche dogmatisch hinreichend geklärt. Der Teil der effektiven Rechtfertigung aber ist von deren Beginn an bis heute problematisch geblieben, gerade so problematisch bzw. unterentwikkelt wie eine dafür wünschenswerte christliche Ontologie. Eine solche, in pneumatologischer Weise mit Leben gefüllt, ist erforderlich, um die pädagogischen Wirkweisen des Evangeliums zu begreifen, um von da aus Heiligung effizient zu unterstützen, um so schließlich auch die Ausgangsbasis zu schaffen für eine glaubhafte Verbreitung des Evangeliums, für christliche Mission, die so nur legitime, mit sich selbst nicht im Widerspruch befindliche ist. Die reformatorische Theorie ist an dieser Stelle lückenhaft geblieben, insofern sie von der Rechtfertigung thematisch unmittelbar zur Heiligung überging, ohne hinreichend den biblischen Boden zu bereiten, aus dem Heiligung überhaupt nur erwachsen kann. Das neue Sein ist mit dem Evangelium initiiert und zu seinem vollen Heil gelangt, indem es Gottes Vergebung zugesprochen bekommen und angenommen hat. Es ist aber in praktischer, wir sagen: in ontischer Hinsicht kein schlagartig voll implementiertes, sondern hat eine wachstümliche Komponente, die sich unter der Ägide des Heiligen Geistes im Seinsumfeld der Geschwister - als Zusammensein - entfaltet. Das Sein der Gemeinde ist es somit, das für alle übrigen geistlichen Seinsimpulse von entscheidender Bedeutung ist, auf dem darum auch unser weiteres Augenmerk liegen muss. Mit dem Kommen Christi ist dem Menschen der Logos Gottes aufs neue und ultimative zugänglich geworden. In diesem befindlich, durch Glauben angenommen, ist ihm umfassendes Leben in der Versöhnung geschenkt mit Gott und seinesgleichen. Das Sein hat so in Gestalt der Gemeinschaft der Glaubenden zu seiner originalen Integrität und Ganzheit zurückgefunden. Solche Gestalt ist die der ekklesia, in welcher der Mensch seine ihn als Person fordernde und ihr gleichzeitig förderliche Platzanweisung wiedererhalten hat, nicht nur was seine Beziehung zu Gott, sondern auch was die zu seinen Mitmenschen angeht. Der Mensch ist als soziales Wesen für die ekklesia geschaffen,28

28

E. Brunner, Dogmatik 3, 2 1964,147.

176

Die Agape als Grund des neuen Seins

um durch diese begünstigt zu seiner vollen Größe heranzureifen. Befähigt zur Unterscheidung der alten und neuen Seinsprinzipien, bevollmächtigt zu konstruktiven Entscheidungen, ist so dem immanenten Sein die Denkart wahrhafter Transzendenz inmitten aller Todesverfallenheit zu praktizieren erlaubt (s. Eph.3,11-16). 29 Im Blick auf solche Tragweite ist das opus amoris das opus dei proprium. In der fundamentalontologischen Liebe als dem Ermöglichungsgrund der ontischen erhält das Werk Gottes konkrete Bedeutung für alles, was Odem hat. Die Liebe als intrapersonales Geschehen kann nun wieder basieren auf der Liebe zwischen Gott und Kreatur, die freilich eine ebenfalls eminent intrapersonale ist, eine zwischen dem allmächtigen Gott und dem von ihr erfassten einzelnen Gläubigen, die wir aber mit Blick auf ihre über dieses Einzelverhältnis auf die Gesamtsozietät menschlichen Seins hinauszielende Intention ebenso als transpersonalen Seinsgrund zu begreifen haben, der wiederum persönliche Liebesbeziehungen - nun auch interpersonaler Art - garantiert. Insofern der persönliche Aspekt der Gottesliebe es ist, der in besonderer Weise einen Menschen für den Glauben an Gott ursächlich einnimmt, haben auf diesen - gleichermaßen Luther wie auch der pietistischen Theologie zu verdankenden - Akzent Mission und Evangelisation ihre Verkündigung zentral abzustellen, ohne dabei zu ignorieren, dass damit die Liebe Gottes nicht schon zu Ende gekommen ist, vielmehr erst am Anfang ihres Neugestaltungswerkes steht. So ist schon Paulus verfahren, wenn er sich vorgenommen hat, „nichts zu wissen als Christus - und zwar als Gekreuzigten" (1.Kor.2,2), wenn er gleichwohl aber den „ganzen" in Christus gefassten „Ratschluss ... nicht zurückbehalten" hat (Apg.20,27). 29

Treffend zum Sein der Gemeinde formuliert Dietrich Bonhoeffer: „Es muß nun jedem, der das Neue Testament auch nur oberflächlich liest, auffallen, daß hier diese Welt der Entzweiung, der Konflikthaltigkeit, der ethischen Problematik wie versunken ist. Nicht der Zerfall des Menschen mit Gott, mit den Menschen, mit den Dingen, mit sich, sondern die wiedergefundene Einheit, die Versöhnung ist der Grund, von dem aus gesprochen wird, ist die ,Entscheidungsstelle des spezifisch ethischen Erlebnisses' geworden. Das Leben und Handeln der Menschen hat nichts Problematisches, Gequältes, Finsteres, sondern etwas Selbstverständliches, Freudiges, Gewisses, Klares." Ethik, 121988, 29. Die konkreten Züge pneumatischen Denkens im Raum der christlichen Gemeinschaft hat Bonhoeffer gewiss manchmal etwas idealtypisch und darin zum Widerspruch reizend, so aber gerade besonders instruktiv in Gemeinsames Leben, J5 1997, beschrieben.

Die Wirklichkeit des Sohnes Gottes

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In Verschränkung dieser beiden Aspekte kommt die Liebe als die „Grunderfahrung des vom christlichen Glauben bestimmten menschlichen Lebens" 3 0 zu stehen, als, wie wir sagen, fundamentalontologische Kategorie. Als solche eindeutig erscheint die Liebe nicht aufgrund ihrer populären Thematisierung, die darauf nur Hinweis ist, sondern ihrer biblischen Stringenz und pneumatologischen Evidenz wegen. Ihre christlich-systematische Darstellung muss allerdings auch den nicht der eigenen Konfession zurechenbaren Partien gerecht werden, sofern diese Teilelemente des umfassenden biblischen Befundes bilden oder zumindest ursprünglich von diesem inspiriert sind bzw. faktisch von ihm zehren. Auf diesem Weg wird die fundamentalontologische Relevanz der Agape in vollem Umfang plausibel als eine nicht allein die eigene Weltsicht, sondern die Seinskomplexität fundamentierende. Bei diesem Unterfangen wiederum ist nichts anderes als das Zentrum der christlichen Lehre in voller Breite und Tiefe freizulegen mit offenem Blick auch für die weniger geläufigen Aspekte des Erlösungswerkes, wie man sie etwa auf den Nebengleisen der Ethik oder einer christlichen Kosmologie antrifft. Die reale, gesamt-ontologische Wirksamkeit des Evangeliums gilt es zu bezeugen, die einzigartige, seinsverändernde Kraft des Kreuzes Jesu Christi. Dieses ist es, das die Gläubigen in jeder Hinsicht hinausführt zur Freiheit der Kinder Gottes, hinaus aus ihrem früheren, engstirnigen Wesen, aus ihrer Knechtschaft durch die Zwänge ihres alten mit der eigenen Selbstrechtfertigung befassten Seins. Schwerer getan als gesagt ist dies in der Praxis darum, weil die neue Freiheit das teuerste Gut überhaupt ist, bilden doch die alten Zwänge nichts anderes als das gewohnte Leben. Das gilt es loszulassen - die alten Denkstrukturen und womöglich auch die alten Beschäftigungen (Mk.1,15; Lk.14,26). Dafür aber ist uns ein neues Sein verheißen, ein eindeutiger Lebensvollzug der Wahrheit Gottes inmitten der ebenso verwandelten Geschwister. 31 Speziell im Falle der Absenz sol30

S. Günter Meckenstock, „Liebe", TRE, Bd. 21,1991,169; Victor Warnach, a.a.O.

31

... als Heideggers „Unverborgenheit", wenn man so will. (Vom Wesen der Wahrheit, GA, 21997, 64ff.). Da mit dem Verhältnis von Sein und der hier als Agape identifizierten Gottesvernunft in ihrer klassischen Version auch die Wahrheitsfrage berührt ist, haben wir auch diese im Blickfeld zu behalten, ohne allerdings auch sie in der gebotenen geistesgeschichtlichen Breite hier entfalten zu können. S. dazu das zu „Die christliche Wahrheit als Ergebnis der Liebe" kurz Gefasste.

178

Die Agape als Grund des neuen Seins

eher Gemeinschaft liegt es nahe, den alten Bräuchen verhaftet zu bleiben, anstatt mangels einer eindeutigen Alternative auf beiden Seiten zu hinken. In diesem Sinne ist die Gemeinde tatsächlich Hilfsmittel für die individuelle Nachfolge, wie die Reformatoren sie begriffen haben. 32 Wo sie aber in intakter Weise vorhanden ist, wird sie jedem, der sie kennen lernt, bald von Herzen lieb als das eigentliche, wunderbare Ziel des neuen persönlichen Wandels.

1.4.2 Das horizontale Problem - und seine Lösung

Die Agape des Neuen Bundes ist der Einbruch göttlicher Transzendenz ins Weltgeschehen. Die Urbejahung Gottes wird hier reaktiviert nicht in mystischer, nicht in romantischer, nicht in altruistischer, auch nicht in ethischer, sondern in der überaus schlichten Form der Vergebung - mit allerdings für all jene Bereiche entscheidend neubelebenden Auswirkungen. Deren nüchternes, bisweilen hartes und doch erquicklichstes und herzlichstes Geschäft ist das christliche Kleinod, das, in der Bergpredigt angedeutet, am Kreuz bis aufs Konsequenteste praktiziert, das seinem Herrn nachfolgende Gottesvolk von allem anderen unterscheidet. Auf dem Weg der Vergebung ist deren Adressaten gesagt und demonstriert: „Es ist gut, dass du da bist. Du sollst sein - mein Bruder, meine Schwester sein". Derart ist Vergebung die Aktualität des originalen Schöpferwortes. Mit ihr als der entscheidenden fundamentalpsychologischen Durchbrechung des archetypischen „Wie du mir, so ich dir" ist ein neues fundamentalontologisches Prinzip auf die Reise durch die letzte Etappe der Heilsgeschichte geschickt. „Die Vergebung ist die entscheidende Wende des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch; sie ist im Gegensatz zu allen Ideologien die Macht auf der Erde, die Neues schafft." 33 So realisiert die Agape das ganze Evangelium nach seiner vertikalen wie horizontalen Stoßrichtung. Während der vertikale Teil des Evangeliums durch die Reformatoren wieder zu voller Bedeutung gebracht ist, ist dieser horizontale Part, wie die Kirchengeschichte zeigt, nahezu ebenso vollständig ungelöst geblieben, wenn

32

S. Calvin, a.a.O.

33

Hans Joachim Kraus, ST, 1983, 374.

Theologische Ontologie als Heilsgeschichte

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er nicht gar durch die mithilfe der reformatorischen Prinzipien ermöglichte Konfessionalisierung erst als nachhaltig problematisiert anzusehen ist. Besonders tragisch dabei ist, dass insbesondere vor dem Licht der Aussagen Jesu mit diesem Problem auch die vertikale Gottesbeziehung als nicht im vollen Sinne wiederhergestellt gelten muss (Mt.6,14; 18,23-35). Auch darüber werden wir noch nachzudenken haben.

2. Der Inhalt der Gottesantwort / Das „Was" der Agape als fundamentalontologische Kategorie / Die Liebe Gottes als Zentralbegriff des Reiches Gottes 2.1 Die Heilsgeschichte als der biblische Darstellungsrahmen des Reiches Gottes / Theologische Ontologie als Heilsgeschichte Zur Darstellung der ökonomischen Entfaltung des Christusgeschehens hat Oscar Cullmarm bleibend Richtungsweisendes beigetragen mit seinem Modell der etappenweisen Reduktion, dann Konzentration, schließlich Expansion des Heilsgeschehens,34 wobei für unseren Zusammenhang dessen auf Seinsvollendung hinzielende Entfaltung der „Zwischenzeit" von Himmelfahrt und Wiederkunft von besonderem Interesse ist, von grundsätzlichem aber die Feststellung, dass der „Gedanke der Heilsgeschichte ... Prinzip der ganzen Bibel" ist.35 Cullmann hat damit das Formalprinzip der Heiligen Schrift benannt, das in besonderer Weise dem materialen Heilsgeschehen als einem teleologischen Rechnung trägt und gleichzeitig es ermöglicht, einen von hier aus überzeugenden inhaltlichen Zusammenhang der biblischen Bücher festzustellen. Heilsgeschichte ist, „was die Einheit der Bibel ausmacht", 36 „weil nur sie wirklich alle diese Bücher einzubeziehen vermag". 37 Sie konstituiert darum geradezu das Bibelwerk und mit diesem die Rechtmäßigkeit evangelischer Skriptologie, denn wir können nicht „die Bibel als solche auf unsere Altäre legen ... wenn wir das, was diese

34

S. Oscar Cullmann, Christus und die Zeit, 3 1962.

35

Ders., Heil als Geschichte, 1965, 273.

36

Ebd.

37

Ebd., 274.

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Die Agape als Grand des neuen Seins

Bücher zur ,Bibel' macht, nämlich die Heilsgeschichte ablehnen". 38 Sie ist darum auch inhaltliches Richtmaß dessen, „was Christum treibet" (Luther). Die Gefahren der heilsgeschichtlichen Herangehensweise sind hinlänglich thematisiert worden. Dazu zählen die „dogmatischsystematisierende Gesamtgestaltung" des Wirkens Gottes, „geschichtsphilosophische Einwirkungen", die „Entspannung und zeitliche Umsetzung der neutestamentlichen Eschatologie", die „Deklaration der biblischen Traditionsgeschichte als ,Heilsgeschichte'" 39 - insgesamt also die Objektivierung des transzendenten, zeitübergreifenden Heilsguts, indem von einem Nacheinander göttlicher Taten in Analogie zur Weltgeschichte gesprochen wird, von heilsgeschichtlichen Zwischenstufen, deren das eigentliche Heilsereignis nur Eines ist, wohingegen der Glaube einen Akt der je gegenwärtigen Existenz darstellt, zu welcher Zeit auch immer. Diese Gefahren müssen bedacht werden, ohne dass die biblische Sachgemäßheit der Heilsgeschichte generell verworfen wird. Die heilsgeschichtliche Betrachtungsweise ist trotz ihrer Missverständlichkeit und Missbräuchlichkeit die dem die einzelnen Etappen des Geschichtswirkens Gottes darstellenden biblischen Kanon adäquate und die Exklusivität des Christusereignisses muss auf diesem Weg keineswegs seine nivellierende Einsortierung fürchten, wie Cullmann selbst dies überzeugend dargestellt hat.40 Allemal ist die heilsgeschichtliche Sicht einem vollständig individualisierenden Denken vorzuziehen, das im Verzicht auf die prophetisch-kerygmatische Linienführung des Christuszeugnisses die Gesamtsicht der göttlichen Vorgehensweise außer Acht lässt.41 38

Ebd.

39

Hans Joachim Kraus, ST, 1983,32.

40

Vgl. auch: Die Christologie des Neuen Testaments, 1958.

41

Es war insbesondere die Pannenbergsche Theologie, deren heilsgeschichtlicher Universalismus das offenbarungspositivistische Ghetto nachhaltig gesprengt hat, ohne dem katholisch-immanenten Präsenzdenken zu verfallen, ohne aber auch sich (wie Karl Barth) auf eine schmale Linie ausgewählter göttlicher Ereignisse zu kaprizieren. Auf die prinzipielle Vereinbarkeit des Cullmannschen heilsgeschichtlichen Ansatzes mit der Theologie des Wortes Gottes Karl Barths hat indes Jürgen Fangmeier hingewiesen in: Heilsgeschichte? Einige Marginalien, 1966, 5-25, indem er deutlich macht, dass das bei Cullmann heilsgeschichtlich Gestreckte bei Barth in vergleichbarer Weise in der Endoffenbarung angesiedelt ist. Barths Christozentrik fixiert das Versöhnungsgeschehen als ein die Heilsgeschichte selbst „einbegreifendes" (KD

Theologische Ontologie als Heilsgeschichte

181

Die Heilsgeschichte ist nach Cullmann der „gemeinsame Nenner" 42 von Altem und Neuem Testament, die, so wenig sie mit der Profangeschichte identisch sei, in bruchloser linearer Planmäßigkeit verlaufe. Indem sie vielmehr menschliche Verantwortung und dem gemäß menschliches Versagen mit einschließe, sei auch die „Unheilsgeschichte" 43 in ihr aufgehoben, so freilich, dass auch diese letztlich dem Willen Gottes dienen müsse. Als besonders bedeutsames „Zeichen" für die Entfaltung des Heilsplans Gottes betrachtet Cullmann die vormaligen „ökumenischen Verwirklichungen", dahingehend, dass mit ihnen das Evangelium „in der Vielheit der Charismen ausgeschöpft" wird und so über „die Sünde der Christen" mit der Verschiedenheit der Charismen die „Zerstörung der Einheit" zu legitimieren, die Oberhand behält.44 Die fehlende Attraktivität des Christentums begründet Cullmann infolgedessen mit dem Versäumnis, „die universalistischen Ansätze, die im Evangelium implizit vorhanden sind", 45 hinreichend auszuwerten, wobei diese Ansätze strikt christologisch verstanden werden. Christus „ist Gottes Heilshandeln". 46 Heilsmitteilung in Christus und Heilsausbreitung in Christus müssten darum in ihrer Totalität so dargestellt werden, dass synkretistische Versuche dem christlichen Universalismus nicht das Terrain streitig machen könnten. In dem Zusammenhang möchte der späte Cullmann „lieber auf den anrüchigen Ausdruck

IV/2, 209). „Die Versöhnung ist, noetisch ausgedrückt: die Geschichte von Jesus Christus, ontisch ausgedrückt: die Geschichte Jesu Christi selber" (KD IV/1, 171). Fangmeier sieht in beiden Ansätzen keine „komplette Alternative, sondern ... Polarität" (15). Die Spannung zwischen beiden löst sich umso mehr, wenn wir den Prozess kirchlicher Depravation in die Überlegungen mit einbeziehen, wie wir das an dieser Stelle tun. Heilsgeschichte kann in der „Zwischenzeit" (mit Barth wie mit Cullmann) begriffen werden als die Auferbauung des Leibes Christi einschließlich der Irrungen und Wirrungen auf dem Weg dorthin (vgl. KD IV/1, 742; IV/2, 38). In diesem Sinne mag man an F. C. Baurs Vorstellung der Kirchengeschichte als Entfaltung der Idee der Kirche denken, wobei hier zweifellos das etwa von Pannenberg dazu Gesagte gilt (ST 3,1993, 542f.). 42

Oscar Cullmann, Gottes Heilsplan in der Weltgeschichte, 1974, 732 - der Autor liefert hier eine schöne Zusammenfassung seiner Sichtweise.

43

Ebd., 733.

44

Ebd.; s. jedoch Cullmanns eigene tunlichste Reserviertheit, was die Korrektur solcher Sünde anbetrifft in: Einheit durch Vielfalt, 1986.

45

Ebd., 730.

46

Ebd., 731.

182

Die Agape als Grund des neuen Seins

Heilsgeschichte verzichten" und von „Entfaltung des göttlichen Heilsplans" 47 sprechen. In der Sache sei damit ein dynamisches Heilsverständnis ermöglicht einschließlich dessen politischer und sozialer Implikationen. Wir schließen uns Cullmanns Position an, sofern diese Heilsgeschichte, Christuskerygma und ansatzweise auch dessen ekklesiologische Kontinuität vorbildlich in eins begreift, so die relevanten Elemente einer christlichen Ontologie zur Verfügung und damit den Rahmen stellt, innerhalb dessen wir uns weiterhin zu bewegen haben. 2.2 Das Reich Gottes48 als äußerer biblischer Zentralbegriff / - als Darstellungsrahmen der Agape Die Verwirklichung christlicher Soteriologie und christlicher Ontologie als die Heilswirklichkeit des totus Christus ist, was wir fassen können unter den Begriff des „Reiches Gottes". Reich Gottes ist der Zentralbegriff der göttlichen Heilsgeschichte, die im Liebeslogos ihren Grund hat. Als die „endgültige Verwirklichung des Willens Gottes" 49 ist sein Reich das „Ziel der Offenbarung". 50 Dieses bildet als beherrschendes Thema der Verkündigung Jesu und auch der gesamten Bibel den christlich theologischen Leitartikel, an dem alle anderen hängen, auf den die übrigen christlichen Glaubensinhalte hingeordnet und zu einem Ganzen gefügt sind.51 Mit der Offenbarung schafft Gott sich sein Volk.52 Ein ihm gehorsames Volk will Gott, durch welches er sich aller Welt in 47

Ebd., 732.

48

Vgl. dazu Günter Klein, Reich Gottes als biblischer Zentralbegriff, 1970, 642-670; Heinz Schütte, Kirche im ökumenischen Verständnis, 1992, 124-129; Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 2000, 215-218. Emil Brunner, Dogmatik 3,21964, 405. Ebd., 416, vgl. 334; vgl. auch Paul Feine, Theologie des Neuen Testamentes, 81951, 76: „Das Reich Gottes ist für lesus nicht nur die Herstellung der Herrschaft und Hoheit Gottes im Himmel und auf Erden, sondern es ist der selige Endzweck Gottes mit den Menschen, die Verwirklichung aller göttlichen Heilsabsichten und daher das höchste Heilsgut."

49 50

51

S. Gollwitzer, der zu Recht die Lehre vom Reich Gottes als „Kernstück des Evangeliums und damit des christlichen Glaubens" fasst in: Befreiung zur Solidarität, 1978, 141; s. auch Karl Ludwig Schmidt, „βασιλεία", in ThWNT, Bd. 1, 1933, der feststellt, „daß es sich beim Gottesreich um das Ganze der Verkündigung Jesu Christi und seiner Apostel handelt" (584).

52

Brunner, Dogmatik 3, 2 1964,15.

.Reich Gottes" als Zentralbegriff

183

seiner Herrlichkeit mitteilen kann. 53 So ist der Begriff des Reiches Gottes wie kein anderer geeignet, den Bogen im Sinne biblischer Universalität zu spannen von paränetischen Gemeindeunterweisungen bis zurück zu Kernfragen der Gotteslehre. Das Reich Gottes ist das „ZumZiel-Kommen seines Wesens selbst", denn die „Christlichkeit" neutestamentlichen Gottesreiches erweist sich „in der Kreativität, die unterschiedliche Menschen in aller Verschiedenheit zur gern wahrgenommenen Gegenseitigkeit verbindet". 54 Genau dadurch wird das Gottesvolk dem Wesen und dem Willen Gottes trotz allen Versagens in der Anwendung des gemeinschaftsstiftenden Kreuzes Christi gerecht. In diesem Sinne ist die Reich-Gottes-Botschaft nicht nur heilsgeschichtlicher Leitbegriff, sondern Basisintegral der christlichen Lehre überhaupt. Sie ist die einende Mitte aller christlichen Theologie, weil sie den Darstellungsrahmen bildet für die in allen Seins- und Lehrbereichen zum Zuge kommen wollende Gottesliebe.55

53 54 55

S. u.a. Ex. 19,5; Ps. 67; Jes.66; Jer.31. Dietrich Korsch, Dogmatik im Grundriß, 2000, 216. Eine vollständige Reich-Gottes-Theologie kann an dieser Stelle nicht erfolgen - s. neben Gollwitzer, a.a.O., Kraus, ST; sowie Jon Sobrino, Christologie der Befreiung, 1998, 101-151. Wir begnügen uns darum mit einigen Hinweisen auf ihre biblische Zentralbedeutung. Wiewohl das Gottesreich ausdrücklich im AT eher spärlich und spät thematisiert wird, geschieht bereits die Erwählung Israels im Sinne der Königsherrschaft Gottes auf Erden. Die Idee des Reiches Gottes ist somit vorgebildet durch die vordavidische Theokratie als eine „erste vorläufige Gestalt des Reiches Gottes" (Pöhlmann, „Reich Gottes", EvLThG, 1994, 1677), die allen Völkern das Wesen Gottes offenbaren sollte. Der Reichsgrundsatz lautet: „Jahwe wird König sein immer und ewiglich" (Ex.15,18; Num.23,21; Dtn.33,5), - entsprechend Rang und Aufgabe der Untertanen: „Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein" (Ex.19,5-6). Diese Aufgabe mahnen die Propheten an und verheißen sie als das kommende Reich, das die Erkenntnis des einzigen Gottes befördert (Jes.2,2-4; Mi.4,1-5). So wird von Jerusalem aus der Segen Gottes alle Welt erreichen (Jes.19,24), die Darstellung einer neuen Lebensordnung gemäß dem Willen Gottes Wirklichkeit werden (Jer.31,33; Hes.36,25ff.). In Jesus schließlich ist diese Ordnung „nahe herbeigekommen", um bei den Herzugerufenen den denkbar tiefst greifenden Gesinnungswandel auszulösen (Mt.3,2; 4,17). Dabei übernimmt Jesus Elemente der herkömmlichen Reich-Gottesvorstellungen. Sein Reich trägt davidische - es ist das Königreich in der rechten Tradition Davids, wie apokalyptische Züge - sein Reich harrt der eschatologischen Vollendung. Beide Aspekte kommen aber nur am Rande zu stehen. Im Zentrum des Reiches steht der völlig einzigartige König (Mt.21,lf.; 26,63-64; Joh.18,37), seine einzigartige Heilsrelevanz, der völlig neue Charakter des Reiches. Jesus setzt die

184

Die Agape als Grund des neuen Seins

Schwerpunkte neu, indem er schlichtweg sich selbst als Erfüllung der atl. Hoffnung offenbart. Keine neue Reich-Gottes-Theologie, er selbst ist das Neue in der ReichGottes-Verkündigung, das exakt Verheißene und das doch ganz Andere. Jesus liefert in persona die korrekte Interpretation der gesamten AT-Tradition, ordnet die Dinge neu im Sinne des Vaters. Die Phänomenologie des Reiches ändert sich damit grundlegend. Grundzug im Reich Gottes ist nun nicht mehr das akribische Sich-Mühen an den Forderungen des Gesetzes, sondern das kindliche Zutrauen in seine Person, die den Zorn Gottes vollständig getragen, den Zugang zum Vaterherzen gänzlich wiederhergestellt hat. Das Gesetz wird fortan über ihn seine Neubewertung erfahren müssen, der es befolgt und in seinem Opfertod erfüllt hat. Er ist die neue definitive Instanz für jedes fromme Werk; in ihm sein und bleiben genügt (vgl. Joh.15,4-5). Am Eingang des Reiches steht die globale Aufforderung: „Tut Buße, glaubt an das Evangelium" (Mk.1,15). Nicht einzelne Bereiche des Menschen müssen neu gedacht werden, der ganze Mensch bedarf der Hineinversetzung in das gänzlich neue Reich, das nach gänzlich neuen Gesetzen funktioniert. Die Totalumkehr ist nötig (Lk.14,26). Von gänzlich Neuem geboren werden muss der Mensch des Reiches Gottes (Joh.3,35). Sichtbares Zeichen solcher Totalumkehr, Bekenntnis des vollzogenen Herrschaftswechsels, ist die Taufe (Mk.16,16). Sie begründet das christliche Leben als letzter, endgültiger Schritt zum Glaubensleben hin, als öffentliches Symbol ganzer personaler metanoia. Sie komplettiert den Glauben gleichsam, macht ihn rechtskräftig durch das Bekenntnis (vgl. Rö.10,10; s. dagegen Karl Barth, wo die Taufe als „Gehorsamsakt ... des ganzen christlichen Lebens", des also bereits ins Reich des Glaubens hineinversetzten Menschen interpretiert wird, der nun als ersten Schritt seines neuen Lebens die Taufe „exemplarisch" begehrt; KD IV/4,168-170). Das Reich Gottes erfordert volle Hingabe und Konsequenz, die Bereitschaft ihm alles andere unterzuordnen (Lk.9,23ff.; 14,25ff.). Alles Hinderliche ist hierfür preiszugeben (Mt.l3,44ff.; Mk.9,47). Die Sache des Reiches Gottes hat absolute Priorität und regelt alle anderen Belange (Lk.12,31). Durch das Gebet der Gläubigen will es Raum greifen (Mt.10,7; 12,28; 6,10), sich wachstümlich entfalten (s. die Gleichnisse). Die Bergpredigt ist sein Grundgesetz, das seine fundamental von der Welt unterschiedene Wirkweise beschreibt. Kreuz und Auferstehung sind seine Zentralelemente; nach Pfingsten wird seine gemeindliche Antizipation konkret. Es fallen diejenigen Begrenzungen des menschlichen Herzens, an denen menschliche Reiche spätestens scheitern (Gal.3,28). Die Genesung der Schöpfung wird erkenntlich in den Wunderberichten, die selbst die biologischen Schranken durchbrechen, die umfassende Fülle des Regnums Christi (2.Pt.l,ll) wird in bezwingender Weise vor aller Augen geführt. Die Gläubigen sind in diesen Prozess mit hineinversetzt (Kol.1,13; Eph.5,5), dessen Prinzipien nicht Eigennutz, sondern „Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" sind (Rö.14,17), „nicht nach denen der Welt, sondern denen des Christus" (Kol.2,8). „In der Welt" agieren die Gläubigen (Joh.17,15), ihre Weisungen aber empfangen sie von oben, wo sie ein neues Bürgerrecht besitzen (Kol. 1,1-3; Phil.3,20). Dabei ist zweifellos ebenso wie seine Überräumlichkeit und Überzeitlichkeit die Unverfügbarkeit des Reiches Gottes festzuhalten. Das Reich Gottes ist „nicht von dieser Welt" (Joh. 18,36). „Seine Herkunft, Ankunft und seine Zukunft sind allen

Reich Gottes" als Zentralbegriff

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Während insbesondere bei Jesus selbst das Gottesreich Zentralthema ist, 56 ist es solches für die Kirche nicht geblieben. Die Kirche hat christliche Themen, Rituale und Frömmigkeitsformen entwickelt im Maße, wie sie sich selbst als das Thema des Reiches Gottes ob ihrer realen Kläglichkeit willen meinte ausblenden zu sollen - eine theologische Selbstbeschneidung, die keineswegs allein evangelische Präferenz ist. 57 Dabei ist die Kirche selbst zu jeder Zeit das primäre Objekt des revolutionären Wirkens des Geistes Gottes. Richtig und wichtig wäre, dessen Superiorität und Unverfügbarkeit so zu betonen und sich daran zu orientieren, dass die Kirche gefordert bleibt, mit der Reich-GottesGeschichte parallelen Schritt zu halten, „unterwegs" zu bleiben, sich nicht um ihr Dogmengefüge herum einzurichten und in Grabenkämpfen zu erstarren, nicht ihre ontologische Distanz zur Wirklichkeit ihres Herrn zum ekklesiologischen Prinzip zu erklären. 58 Denn: „Die Kirche ist nur soviel wert, als das Schwert des Geistes in ihr aufblitzt." 59 Dieses

kosmischen Voraussetzungen und historischen Zusammenhängen entzogen; seine Wirklichkeit hat mit dem Schema und Gesetz dieser Welt nichts gemein" (Kraus, ST, 1983, 18). Vielmehr sind in ihm die Kräfte der kommenden Welt in die alte eingedrungen. Das Reich Gottes kommt von Gott her, ja es signalisiert geradezu das Dasein Gottes selbst. Es wird also nicht geschaffen, schon gar nicht von Menschen, es „kommt", um den Menschen darin aufzunehmen - auf dem Wege des Evangeliums, das wie von Kindern zu empfangen ist (Mk.10,13). Es kann darum aber sehr wohl als Herrschaftsbereich der Liebe Gottes in der hier interpretierten Weise begriffen werden. Man tritt in das Reich Gottes ein (Mt.5,20; 7,21; 18,3), das schließlich aber höchste Glaubensfestigkeit und Lebenskonsequenz fordert (Mt. 10,17-39; Lk.9,62). Im Endeffekt ist Reich Gottes das Herrschen Gottes selbst, die dynamische Realisation seines Willens, unabhängig und im Zweifelsfalle entgegen aller kirchlichen Objektivation. Neutestamentlich entscheidend ist darum, dass das Reich Gottes in unlösbarer Verbindung zur Person und zum Werk Jesu Christi steht, der die autobasileia (Origenes) ist, so dass Reich Gottes und Reich Christi synonym verwandt werden können (Eph.5,5; Off.11,15). 56

Die Lehre vom Regnum Dei gehört darum nicht ans Ende der Dogmatik, sondern, wie unmittelbar danach die Ekklesiologie, an ihren Anfang. Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 1986,85.

57

S. etwa die moderaten ekklesiologischen Auslassungen von Hans Küng in: Die Kirche, 3 1992.

58

S. die überdeutliche Betonung des Differenz-Aspektes bei Walter Kreck in: Grundfragen der Ekklesiologie, 1981, 87ff.; vgl. auch Ernst Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, 1960, 28; sowie Karl Barths Deutung der Kirche als Leib Christi in KD 1/2, 234ff.

59

Hans Joachim Iwand, Göttinger Predigtmeditationen, 1963, 287.

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Schwert wird an seinen heilsamen Operationen noch so manches auszuführen haben. Die Bedeutung der zutreffenden Aussage von H. J. Kraus muss uns erst noch bewusst werden: „Das Kommen des Reiches Gottes ist die große Beunruhigung der Kirche in ihrem Dasein und Sosein." 60 2.3 Das Neue Testament als sukzessive christologische Extension / Der biblische Heilsuniversalismus / Das „Schon und Noch-nicht" Damit ist bei aller Vorläufigkeit die intensive Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes angezeigt, was noch unterstützt wird durch die inhaltliche Entsprechung der Reich-Gotteslehre mit dem johanneischen Begriff des (ewigen) „Lebens" und der paulinischen „Gerechtigkeit".61 Demgegenüber wird das Reich Gottes gemeinhin - exemplarisch bei Pannenberg62 - zu sehr als eschatologisches Vollendungsgeschehen gedacht, zu sehr unter dem Signum des „Noch-nicht", zu wenig vom „Schon" des Heilswirkens Gottes aus, was der präsentischen Anwendung freilich außerordentlich abträglich ist und so insbesondere mit den Beschreibungen Jesu kollidiert (etwa in Lk.17,20-21). Zweifellos existiert die im und als Reich Gottes ebenso konzentriert zusammengefasste wie umfassend ausgebreitete Sinnhaftigkeit pneumatischer Existenz als eine der eschatologischen Spannung des „Schon" und „Noch-nicht". Damit

60

Hans-Joachim Kraus, ST, 1983, 502.

61

S. Paul Feine, Theologie des Neuen Testamentes, 81951, 78: „Das eigentliche Heilsgut des Reiches Gottes ist ... das ewige Leben. Die Vergebung der Sünden und der dadurch hergestellte Zustand der Gerechtigkeit ist nur die Voraussetzung des ewigen Lebens. Denn für den Glauben der Bibel gehören Sünde und Tod ebenso zusammen wie Gerechtigkeit und ewiges Leben." Dabei hat „ewiges Leben" bei Johannes wie „Reich Gottes" bei Markus zugleich Gegenwerts- und Zukunftscharakter. Während „Reich" eher den Herrschaftsrahmen, die Herrschaftsprinzipien, mitunter auch das Herrschaftsgebiet anzeigt (Mt.25,34), könnte man als „ewiges Leben" somit mehr die ontische Konkretion des Heils bezeichnen. Auch dass „ewiges Leben" dieses mehr unter dem Gesichtspunkt des Einzelnen, „Reich Gottes" mehr unter dem der Menschheit umschreibt, kann gelten (Emil Brunner, Dogmatik 3, 21964, 408). De facto aber bezeichnen beide Begriffe durchaus dasselbe - das Sein im Heilsbereich Gottes. Sie werden folglich metonym verwandt oder stehen eng nebeneinander. Teilweise gehen sie ineinander über (Joh.5,29; 6,54-58; 8,12; 12,25); vgl. auch Rudolf Bultmann, „ζάω, ζωή", ThWNT, Bd. 2, 1938, 862-874.

62

S. a.a.O.

Der biblische Heilsuniversalismus

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ist aber durchaus nicht gesagt, dass das „Noch-nicht" der aktuell überragende Teil wäre. Es ist darum auch nicht so, dass das Reich Gottes „durchweg eschatologisch" 63 zu verstehen sein muss, so als hätten wir die Möglichkeit, alles Unrealisierte in eine ferne Zukunft zu verlegen. Vielmehr bedarf es hier der biblischen Differenzierung bezüglich Quantität und Qualität, wie wir sie noch vornehmen werden. 64 Gerade weil das Reich Gottes „von Gott durchherrschte Wirklichkeit" sein will und als solche „die Erfüllung der Sehnsucht des Menschen und damit... das wahre Ziel seiner geschichtlichen Projekte und Anstrengungen erkannt" hat, ist es eben keine „transzendente, den irdisch-weltlichen Lebensbedingungen nicht mehr unterliegende Wirklichkeit". 65 Das Reich Gottes ist nicht „Negativum, das ganz Andere, das schlechthin Uberweltliche und Gegenweltliche". 66 Solches kann allenfalls von der Agape gesagt werden, die aber ihrerseits ganz und gar im Hier und Jetzt wirksam werden will. Im Maße wie deren konkrete gemeinschafts-, damit kirchformende Komponente vernachlässigt ist, 63

Hans Conzelmann, „Reich Gottes", RGG 3 , Bd. 5,1961, 914.

64

Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde das Reich Gottes als eine überwiegend eschatologisch-supranaturale Größe gedacht. Jesus habe nur vom künftigen Reich gesprochen, die präsentischen Aussagen seien als Gemeindebildung anzusehen. Kennzeichnend hierfür war vor allem Albert Schweitzers „konsequent eschatologische" Sichtweise. Maßgeblich für die Gegenposition, die in Christus den neuen Äon als mehr geistige Größe schon gekommen sah, entsprechend die Realisierbarkeit ethischer Aspekte betonte, wurde allem C. H. Dodd mit seiner „realized Eschatology". Eine konsequente Verdiesseitigung des Gottesreiches durch die liberale oder etwa die Social Gospel Theologie im Sinne seiner direkten Verwirklichung in der Gesellschaft ist freilich ebenso abzulehnen wie seine konsequente Verjenseitigung, da beide Extreme den theologischen Gesamtbefund verkürzen. Das Reich Gottes ist künftig und ist schon präsent. Es kommt (Mk.1,15; Mt.6,10; Lk.17,20) und ist schon da (Mt. 12,28; Lk. 17,21; s. dazu George Eldon Ladd, The Gospel of the Kingdom, 1975, 25-51). Das Reich Gottes existiert in dialektischer Spannung, weil existenzieller Auseinandersetzung, wie gerade in den johanneischen Dualismen durchgehend ersichtlich wird (vgl. dazu Ladd, The Presence of the Future, 1974, 114-121). Es ist dennoch kein ontologisches Paradox im Sinne eines Seins und gleichzeitigen NichtSeins, keine gedankliche Schwebekonstruktion zwischen Ideal und Wirklichkeit. Das Reich ist keimartig bereits vollkommen angelegt. Still und unscheinbar reift es heran (Mk.4,26-29), durchdringt seine Umgebung (s. auch die Gleichnisse in Mt.13), breitet sich konzentrisch aus (s. die Apg.). Am Ende wird es zu einem prächtigen Baum (Mk.4,30-32).

65

Markus Knapp, „Herrschaft Gottes", LThK, Bd. 5,1996, 36.

66

Karl Ludwig Schmidt, „βασιλεία", ThWNT, Bd. 1,1933, 588.

188

Die Agape als Grund des neuen Seins

erscheint entsprechend unterbelichtet in der gängigen Lehre die ekklesiologische Analogie des Reiches Gottes. Der Reich-Gottes-Gedanke ist nicht nur geeignet, als theologischer Grundbegriff Ordnung zu schaffen in den mannigfaltigen Teilaspekten der christlichen Lehre; er ist insbesondere geeignet, die christliche Weltbezogenheit aufs Deutlichste zu betonen und zu konkretisieren und damit allen Formen individualistischer Evangeliumsverkürzung entgegenzuwirken. Gleichzeitig aber darf er vor gesellschaftlichem Utopismus bewahren, indem er die Herrschaft Gottes als schon ermöglichte Neu-Existenz des Volkes Gottes klarlegt, die als solche eben noch nicht identisch ist mit globalem Heil. Noch „seufzt" der Einzelne „in diesem sterblichen Leibe" und noch dieser vergehende Kosmos unter seiner fundamentalen Desintegrität. Indem aber „die Offenbarung der Söhne Gottes" Ziel beiderlei Seufzer ist (Rö.8,19), wird schon deutlich, welche hohe Bedeutung die christliche Gemeinde als gewissermaßen Scharnier einnimmt, um beiderlei Heil und Wohl schon zu antizipieren. 67 In ihr ist jeder Einzelne, gerade so wie er als Einzelner ist, auch erwünscht, ja für das Ganze benötigt, das als funktionierende Schöpfungskomplexität ausschnitthaft vorwegnimmt, was Gott an Erneuerung dem gesamten Kosmos zugedacht hat. Dies gelingt in dem Maße, wie die Gemeinde der Agape als ihrer analogielosen - unierenden und doch nicht uniformierenden - Besonderheit, ihrer geistlichen Preziose entspricht. „Die Liebe ist die geheimnisvolle Kraft der Mitte, das All dadurch zu tragen, daß es in jedem Kleinsten das ganze All mitschafft, mitliebt und mitträgt." 68 Der Ökonomie Gottes folgend, ist die biblische Sichtweise im Blick auf die Welt dem Realismus verpflichtet, um bei gleichzeitiger Proklamierung der schon angebrochenen Reich-Gottes-Realität als dem Wirklich-Sein seiner Liebe wiederum größte Hoffnungen zu schüren. Das Modell des biblischen neuen Seins der Gemeinde ist das erlöster Globalität - lokal konkret und mundial vernetzt als die Gemeinschaft der Gläubigen allerorts. Darin besteht nicht nur seine besondere Intensität, sondern auch Soziotropie. 69 Es ist das Modell der universalen Wirkmächtigkeit

67

Vgl. u.

68

Paul Schütz, Das Mysterium der Geschichte, 1963, 240.

69

Vgl. Emil Brunner: „Die Sozialität der Ekklesia ist weltumspannende, echte Bruderschaft." Dogmatik 3, 2 1964, 51. Mit der Überwindung auch des Antagonismus von

Einheit als Ausgangspunkt der Liebe

189

der Agape, die in Sachen Seinsintegrität diejenige Kompetenz besitzt, die natürliche Zuneigung und soziale Ausgleichsbemühung - Sympathie und Diakonie - ebenso vergeblich für sich reklamieren wie der stets sein eigenes Reich - ein Menschenreich - bauende Eros. Das Reich Gottes ist Sache der genuinen Kraft Gottes. Insgesamt können wir mit der wachstümlichen Konzeption des Reiches Gottes, seiner vorläufigen ekklesialen Manifestation und deren kosmologischer Relevanz, die neutestamentliche Botschaft als sukzessive christologische Extension begreifen - nicht freilich im Sinne teilhardianischer „Christogenese" oder gar hegelianischen Idealismus, aber als geschichtlich-dynamische Herrschaftsausweitung, die in aller Niedrigkeit und in aller quantitativen Geringfügigkeit die Vollausreifung der ihr schon jetzt zugedachten Ausprägungsgestalt erstrebt.70 Diese Gestalt ist die der christlichen Gemeinde, in welcher der qualitative Kern des Reiches Gottes schon jetzt uneingeschränkt hineingesenkt sein und Zeugnis ablegen soll vom wundersamen Wirken der Liebe Gottes, die das Sein neu mit seiner originalen Spezifik und Funktionalität auszustatten in der Lage ist. Der Universalismus der Bibel formiert sich um die ontologische Kraft des Evangeliums als Ausbildung des christlichen Elementargefüges. 2.4 Einheit als Ausgangspunkt der Liebe Die vielfältig gespürte, bewusst oder unbewusst auch in der Wissenschaft gesuchte Einheit des Seins ist der Ausgangspunkt aller reflexiven - theologischen wie philosophischen - Bemühung um dasselbe.71 Das Phänomen der Einheit ist Erst- und Urbegriff des Denkens und des Seins.72 Bei Thomas ist darum das Unum mit Recht erfasst als transzenlokaler und globaler Effizienz ist die Vorbildfunktion der Gemeinde in politischer Hinsicht angesprochen. 70

71 72

Vgl. dazu Oscar Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 1958, 325ff.; sowie auch die interessante Arbeit von Otto Piper, Gottes Wahrheit und die Wahrheit der Kirche, 1933, 80ff. ... bei der wir angesichts unseres im Weltganzen erlebten Abstandes hierzu freilich gerade nicht auf dem Feld der empirischen Wissenschaften stehen bleiben dürfen. Vgl. neben dem oben Gesagten theologischerseits Walter Kasper, Die Kirche als Sakrament der Einheit, 1987, 2ff., wo die hier auch intendierte ekklesiologische Konsequenz gezogen wird: „Da die Einheit in Gott ihren Ursprung, in der Schöpfung

190

Die Agape als Grund des neuen Seins

dente Seinsbestimmung. 73 Der sachliche Ausgangspunkt der Liebe ist, wie jedes glückliche Paar zu bestätigen weiß, die Ganzheitlichkeit. Die Einheit des Seins kann darum als Paradigma der Liebe gelten. In diesem Sinne haben sich die großen Denker aller Zeiten und Konfessionen geäußert, 74 indem sie die Ursprünglichkeit der Seinseinheit als das heimliche Motiv für das oszillatorische Verhalten der Seinsvielfalt gedeutet haben, deren Elemente auf dem Weg der Liebe schließlich ihrem Ziel als ihrer Ausgangsbasis sich wieder annähern. Sie haben in dem nervösen Suchen, Koalieren, Sich-wieder-Lösen, NeuOrientieren, Anders-Aggregieren der Partikel nicht das natürliche Grundmotiv des Seins gesehen, sondern die diffuse Reaktion auf die Beschädigung des Grundmotivs sowie die Bemühung um seine Reparatur, die Suche nach jener originalen Ungeteiltheit der Wirklichkeit, die auch der biblische Schöpfungsbericht in der Abwesenheit destruktiver, dissipativer Kräfte als „sehr gut" beschreibt (Gen.1,31). Von der Bibel her denkend, haben wir allen Grund anzunehmen, dass weit mehr als an allem menschlichen Harmoniestreben dem Seinsschöpfer an eben jenem sehr guten Zustand seines Werkes gelegen ist.75

grundgelegt, in Jesus Christus ihre Erfüllung und in der Kirche ihre vorläufige geschichtliche Verwirklichung und ihr Instrument hat, kann man verstehen, daß, ausgehend vom Testament Jesu (Joh.17), die Mahnungen zur Einheit und zur Einmütigkeit nicht abreißen" (3). Den logischen Primat der Einheit unter den „Wesenseigenschaften der Kirche" unterstreicht auch Ives Congar in: Mysterium Salutis, Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik IV/1,1972,363ff. 73 74 75

Vgl. Peter L. Oesterreich, Thomas von Aquins Lehre von der Liebe als menschlicher Grundleidenschaft, 1991, 90-97; Walter Kasper, a.a.O. S. dazu Erich Heintel, „Eine (das), Einheit", HWPh, Bd. 2, 1972, 361-384. Kritisch dieser Sicht gegenüber hat sich Hildebrand geäußert, der (in: Das Wesen der Liebe, 1971, 19f.) die Fundierung der Liebe in der Einheit, die Liebe des Teils zum Ganzen, zu dem was zu einem gehört, womit man eine Einheit bildet, für „gar nicht einsichtig" hält, da „wahre Einheit zwischen menschlichen Personen ... erst durch Liebe hergestellt" wird. Einheit ist erst „Leistung der Liebe". Hildebrands Diastatik von Liebe und Einheit, seine Polemik gegen eine vermeintlich „billige Plausibilität" der metaphysischen Betrachtungsweise ist begründet in seiner mangelhaften Sicht für die Kreislaufwirkung der Agape, von der ausgehend, zwischen beiden Postulaten kein Widerspruch besteht. Vielmehr wird das von Hildebrand favorisierte personale Element - indem verwiesen auf seinen originären Ermöglichungsgrund selbst erst plausibel, plausibel somit auch, warum es überhaupt nach Einheit strebt (vgl. o.).

Agape - der biblische Befund

191

Darum hat tiefer sehende Philosophie auch die Vernunft als das die Elemente Verbindende identifiziert, als ihren „Grundzug" den „Willen zur Einheit". 76 Und darum ist es alles andere als metaphysische Sentimentalität, wenn wir feststellen, dass das Neue Testament schließlich gerade das Evangelium als die Überwindung der schadhaften Partikularität vorstellt, der Zerrissenheiten des natürlichen Seins (Gal.3,28), ohne seinerseits hinsichtlich des Seins-Faktischen irgendeinem Illusionismus anheim zu fallen. Die Einheit der Schöpfung ist gerade, was mit dem Fall menschlich irreparabel zerstört ist. Kein Eros kann sie wiederherstellen. Der Eros verbleibt immer als Sehnsucht nach Vollständigkeit, Sehnsucht nach Heilung der vielfältig erfahrenen schmerzhaften Seins-Brüche. 77 Die Liebe Gottes hingegen ist jene Schöpfungs- und Vereinigungskraft, vis unitiva,78 die definitiv zusammenführen und Seins-Ergänzung herstellen möchte. In Christus als ihrem bevollmächtigten Akteur, so die christliche Lehre, ist genau die gesuchte Seinsintegrität nach ihrer vertikalen und auch horizontalen Dimension gegeben. Mit und in dem Erlöser ist darum die Erossuche erfüllt. Nun ist Platz geschaffen für das seins-heilende Wesen und Wirken der Agape. 2.5 Die Agape - der biblische Befund Da im Umfeld der Religionen das Thema der Liebe Gottes kaum einmal exponiert zutage tritt, können wir hinsichtlich deren Seinsrelevanz christlich-theologisch von einer echten, tief greifenden Zäsur sprechen, und dies nicht erst mit der neutestamentlichen Botschaft. Das Liebesthema ist von Anfang an biblisch breit angelegt, im Alten Testament stärker implizit, im neuen stärker explizit. Die Bibel erzählt die Geschichte der Schöpfung Gottes, die Geschichte ihres Seins und ihres Nichtseins. Sie schildert insbesondere als verborgene Mitte der Weltgeschichte die Reich-Gottes-Geschichte. In dieser Geschichte ist die Liebe das durchgängige Motiv des Handelns Gottes, dergestalt, dass auf dem

76 77

S. etwa Jaspers, Von der Wahrheit, 4 1991,118. ... und hat in dieser Suchfunktion freilich auch seinen bleibenden romantischen Charme, der ihm unbenommen bleiben soll.

78

S. Helmut Kuhn, „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 19ff., vgl. Paul Tillich, a.a.O.

192

Die Agape als Grund des neuen Seins

Wege ihrer Erwiderung dem Volk des Reiches Gottes das verheißene Heil zugänglich gemacht wird. In seiner Liebe zur Welt (Rö.5,8; 8,32; Joh.3,16; l.Joh.3,1; 4,9f.), zu seiner berufenen Gemeinde (Dtn.33,3; Ps.146,8; Jes.43,4; Jer.31,3; Hos.11,4) und natürlich zu seinem eingeborenen Sohn (Mt.3,17; Joh.3,35; 15,9) ist es Gott selbst, der unmissverständlich als die Quelle aller Liebe ausgewiesen wird. Im Alten Testament begegnet uns seine Liebe in verschiedenen parallel laufenden Begriffen. Neben Gottes Güte zu allen Geschöpfen, wie besonders die Psalmen sie aussagen (Ps.33,5; 36,6; 103; 145150), wird die Liebe vorgestellt als Gottes geschichtliche Tat, die auf freie Erwiderung zielt, wobei vor allem andern die Erwiderung des auserwählten Volkes als Ganzes Gott am Herzen liegt (Dtn.4,37; 7,7ff.; 10,12-13). Dabei ist es neben dem Verb 3ΠΧ - mögen, lieb haben79 insbesondere die "70Π 80 , die auf Gegenliebe Gott gegenüber und von da aus auf Freundlichkeit, Solidarität und Barmherzigkeit gegen das Mitseiende zielt.81 Gottes Liebe erwählt sich ein Volk und verpflichtet dieses zur Treue - mit all ihren praktischen Gehorsamskonsequenzen, so wie er selbst seiner Liebe unverbrüchlich treu bleibt (Hos.1-3; Jer.2,2.20ff.; 3,Iff.). 82 Indem mit seiner Liebe der Segen Gottes garantiert ist (Dtn.5,10.33; 28; Hos.2,16ff.), bewirkt diese Liebe geschöpfliches Heil und impliziert wie selbstverständlich die Nächstenliebe, wobei schon im Alten Testament ein besonderes Augenmerk auf das Schwächere, das Geringere, das Hilflosere gerichtet ist (Lev.l9,18.34ff.; Dtn.10,1819). So ist die Liebe bereits Zentralbegriff alttestamentarischer Geschichtswirklichkeit, um jedoch ihre eigentliche Konkretisierung und Radikalisierung erst im Neuen Bund zu erfahren, wo wir es schließlich mit der unverhüllten, der „offenbaren" Erscheinung derjenigen Agape

79

S. Ernst Jenni, „3ΠΧ", THAT, Bd. 1,1971, 60-73.

80

S. Hans-Ioachim Stoebe, „Τ0Π", ebd., 600-621.

81

Bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur der mitseiende Mensch, sondern auch die übrige Kreatur vom Fokus der Gnade Gottes erfasst ist - Ochs und Esel etwa in Ex.23,12; Dtn.25,4. Die vielfach vertretene These von der Naturfeindlichkeit des Christentums kann sich nicht auf den biblischen Befund stützen, wo sogar „Bäume, wilde Tiere und alles, was kriecht und fliegt" zum Lob der Gnade Gottes bestimmt sind (Ps.148,9-10).

82

Gehorsam gegenüber Gott ist Ergriffensein von der Liebe Gottes; s. Emil Brunner, Offenbarung und Vernunft, 21961, 367.

Agape - der biblische Befund

193

zu tun haben, die sich vorher nur als „Schatten" des Verheißenen (Heb.8,5) gezeigt hatte. Neben dem selbstverständlichen Vorhandensein von allerlei Formen der Sympathie, der Freundschaft, der interpersonalen Beziehungsliebe zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern usw. liegt die Betonung im Alten Testament somit auf der Erfüllung der Bundespflichten um des Gesichtspunktes der Treue willen, die wiederum Garant ist für die Freundlichkeit Gottes, sprich für seine Treue als dem Bundesherrn. Schon die alttestamentliche Bundesgerechtigkeit ist eine heilsschaffende, nicht etwa bloße Talion.83 So gesehen haben wir es im Alten Testament bereits zu tun mit einer Form vollständiger Agape, die aber in Ermangelung der neutestamentlichen Inhalte noch nicht in die Herzenstiefe vordringt. 84 Das Gesetz möchte den Menschen der Güte Gottes versichern, erscheint aber selbst insofern nicht in völliger Eindeutigkeit, als dieses auch als Selbstzweck verstanden werden kann und so die Gesamtstrategie Gottes nur schemenhaft erkennbar werden lässt.85 Die alttestamentliche 10Π trifft somit durchaus formal die Höhe der neutestamentlichen Botschaft, ist inhaltlich aber doch nur als kaum mehr denn pädagogische Vorbereitung desjenigen Heilsstandards zu werten, der mit der Wiederbringung der göttlichen Ausgangslage in Christus ermöglicht sein will.86

83 84

S. Pannenberg, ST 1,1988, 468f. S. Victor Warnach, Agape, 1951, 61ff.

85 86

S. ebd., 77ff. Die Synonymität der Begriffe Güte, Gnade, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Treue, Geduld, Weisheit „als allesamt Aspekte der umfassenden Aussage ,Gott ist Liebe'" ist gut zusammengefasst wiederum bei Pannenberg, ST 1, 1988, 476, freilich nicht ohne den Hinweis, dass all dieses „Antizipation des Endgeschehens" sei (477), das Pannenberg für die Zeit nach der Gemeinde ansetzt. Bis dahin bliebe „der Wahrheitsanspruch der christlichen Botschaft von Gott unvermeidlicherweise strittig" (ebd.). Pannenberg meint, so den Glauben als „im Bunde mit der Vernunft" erweisen zu können. Biblisch vernünftig schiene uns im Sinne des hier Festgestellten allerdings, die Sachevidenz der christlichen Botschaft voranzubringen, d.h. die Liebe als diejenige Kraft Gottes zu erweisen, die „höher ist als alle Vernunft" (Phil.4,7). An diesem Punkt besteht die fundamentaltheologische Fragwürdigkeit der Pannenbergschen Theologie, die bei aller apologetischen Stringenz und Konsistenz zu wenig dem Gedanken Rechnung trägt, dass Gott auf seine spezifische Weise die Weisheit der Welt als Torheit zu entlarven beliebt (l.Kor. 1,18-2,9). Es geht nicht „um die Frage, ob die Wirklichkeit der Welt, wie sie ist, als Schöpfung des Gottes der Bibel zumindest denkbar ist" (477), sondern um die Frage, ob die Wirklichkeit, wie sie ist,

194

Die Agape als Grund des neuen Seins

Den Übergang zum Neuen Testament signalisiert die Vergebungskraft sowie das Sühneleiden der Liebe, wie sie bei Jesaja (Kap.54) deutlich sichtbar werden. Im Namen des sich erbarmenden Gottes durchbricht die Liebe alle Schranken, auch die schlimmster Verletzung und Erbitterung, wohlgemerkt um genau so konsequent die Grenzen zu wahren gegenüber dem, aus welchen Gründen auch immer, zunächst der Liebe Unzugänglichen. Die Heiligkeit Gottes bildet strikt die andere Seite der Medaille der Liebe Gottes, die nicht Nicht-Liebe ist, sondern im Kontext einer von Gott abgewandten Schöpfung notwendiges korrelatives Prinzip der Liebe.87 Die Ausweitung der Gerechtigkeit Gottes auf den Bereich der Völkerwelt geschieht dezidiert bei Paulus (Rö.1,5; 9,24; Gal.1,16). Mit der Gerechtigkeit Gottes eng verknüpft sind im Neuen Testament Gottes Herrlichkeit, Gnade und Wahrheit (Joh.1,14) genau wie seine Treue (Rö.9,6ff.), seine Huld, auch seine Geduld (Rö.3,25).88 Sie alle sind genuine Merkmale seines heilstiftenden Bundeshandelns, das in seiner Agape schlussendlich zusammenfassend qualifiziert und konkretisiert wird. Deutlich wird in deren globale Ausgestaltung, in der mannigfaltigen Thematisierung der Liebesziele wie auch der Liebesmöglichkeiten Gottes, dass seine Liebe als Urgrund der gesamten Schöpfungsordnung anzusehen ist, als das letzte Motiv des Handelns Gottes zum Wohl allen Seins - in und mit der Weltgeschichte nicht anders als in und mit seiner Sorge um jede Facette der menschlichen Seele (Ps.139). Die vollständige Versöhnung seiner Geschöpfe ist deren teleologische Perspektive als die ultimative Verifizierung seiner ontologischen Weisheit. Wie im Alten Testament so ist auch im Neuen die Liebe keine indifferente Allerweltsliebe, sondern errettende Liebe (Joh.15,13; Rö.5,8) Liebe, die sich in Taten zeigt, die ihrerseits es ermöglichen, dass das geliebte Objekt in bestmöglicher Weise zu sich selbst und zum Nächder Schöpfung, wie sie sein soll, angenähert werden kann, ohne dass eine solche Annäherung als kontingentes, ultimativ-schlagartiges Endgeschehen, als fernes „Geschehen der eschatologischen Welterneuerung" (483) postuliert werden muss, das als solches durchaus nicht vernünftig einleuchtet (s. a.a.O.). 87

Vgl. a.a.O.

88

... so dass mit Käsemann zu Recht gesagt werden kann, dass Gottesgerechtigkeit „geradezu als die Manifestation des Christus" zu verstehen ist; Exegetische Versuche und Besinnungen Bd. 2,41964, 186.

Agape - der biblische Befund

195

sten findet. Auch hier zielt darum die Liebe Gottes in dringlicher nicht aufdringlicher - Weise auf Gegenliebe, gerade weil sie das Heil und Wohl des Geliebten im Auge hat, um das niemand besser weiß als der Schöpfer. Seine Liebe wird aufgenommen im schlichten Glauben an das Heilswerk des Sohnes, um nun freilich zu vollbringen, was das Gesetz nicht vermochte. In unmittelbarer Weise „ausgegossen in unsere Herzen" (Rö.5,5), ist sie in der Lage, aus einem Saulus einen Paulus zu formen, keine sündlosen, aber doch in ihrer Wertorientierung grundlegend veränderten Geschöpfe (2.Kor.5,17), die inmitten eines vergehenden Äons die Keimzelle einer neuen Wirklichkeit bilden. Mit dieser Liebe ist etwas wahrhaft Neues in diese Welt getreten, wofür auch ein bis dato eher blasser Begriff eine neue, herausragende Konnotation erhält. Die Abkehr vom Eros, dafür die qualifizierte Einführung der Agape bedeutet ein theologisches Fanal. Die Agape bezeichnet im Neuen Testament unfassend alle echte Liebe, die Liebe Gottes zu uns Menschen (Joh.3,6), die daraus entspringende Liebe der Menschen untereinander (Mt.22,39), die Feindesliebe (Mt.5,44), die Liebe des Mannes zur Frau (Eph.5,25.28.33), ebenso aber auch die fehlgeleitete, egoistische Fassung der Liebe (Lk.11,43; 2.Tim.4,10; 2.Pt.2,15; l.Joh.2,15). Dabei nimmt das Neuen Testament das Doppelgebot explizit als Zentralbotschaft auf (Mt.22,36-39), wodurch schon die zweifelsfreie Kontinuität des inneren Prozesses der Reich-Gottes-Geschichte angezeigt wird. Das Reich Gottes begegnet uns namentlich bei den Synoptikern als sozusagen die Form des in der Liebe konkret fassbar gewordenen Gotteswillens. Die Liebe ist das strukturelle Prinzip der Gottesherrschaft, der Inhalt des Reich-Gottes-Prozesses und der Modus seiner Verwirklichung. Als das zentrale Motiv seines Handelns erreicht Gottes Retterliebe hier in besonders herzlicher und einfühlender Weise konkrete Individuen, deren augenfälliges Sünder- und Außenseitersein diejenige Selbsterniedrigungskraft der Agape offenbart, die sie unmissverständlich vom Erosinteresse abhebt (Mt.9,9ff.; Mk.10,21; Lk.15,2; vgl. Phil.2,58). Die Agape überwindet hier die unterschiedlichsten Verhärtungen, Verschrobenheiten und Bindungen auf dem Wege höchster Wertschätzung vom Leben besonders Gezeichneter. In Jesu exemplarischem Handeln strömt sie mit überwältigender Kraft hinaus in die Welt, um diese der ungebrochenen, heilsschaffenden Geneigtheit des Vaterher-

196

Die Agape als Grund des neuen Seins

zens zu versichern. Dabei betont Lukas den Aspekt des Erbarmens Gottes, während bei Matthäus und Markus das Motiv des Dienstes im Vordergrund steht. Die Liebe des bevollmächtigten Sohnes „heilt alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk" (Mt.4,23). So kann gesagt werden, dass bei den Synoptikern die Liebe von ihrer persönlichen und praktischen Seite her demonstriert und darum auch gerne in Gleichnissen dargestellt wird. 89 Ihr vollkommenes Niveau erreicht die Liebe Gottes am Kreuz, wo sie „vollbracht" wird (Joh.19,20). Ihren höchsten Triumph und endgültigen Sieg erringt sie in der Auferstehung des Herrn, einen Sieg mit universaler Geltung. Im Glauben wird diese Liebe als erlösende erfahren, im Wunder des neuen Seins dokumentiert sie ihre heilende Kraft als kommunitäres Zeichen der Vollendung. So ist Leben als die höchste Seinsqualität fortan ermöglicht als solches, das siegreich aus dem Tode hervorgegangen ist (l.Joh.3,14) - Christusleben (Gal.2,20), das selbst „die Auferstehung und Leben" ist (Joh.11,25-26). 90 Ob wir dabei die Dinge in dieser Reihenfolge betrachten oder den Glauben als Erlösungsbeginn, das neue Sein als die Erlösungswirklichkeit der Liebe, ist zweitrangig. Die Liebe ist auf alle Fälle das Hauptthema auch bei der praktischen Ausgestaltung dem Willen Gottes gemäßen Christseins (s. Rö.8; 1.Kor. 13; Gal.5), bei welchem das persönlich erfahrene Heil in einer veränderten Beziehungswirklichkeit auch zu einer lokalen Bezeugung des Gottessieges wird. Es ist dort die von Gott empfangene und vorbehaltlos weitergereichte Liebe, die umfassendes Heil bewirken will - wiederum in der mannigfaltigen Einlösung der Optionen Gottes einschließlich ihrer tiefgreifendsten, dem Instrument der Vergebung. Als die Verwirklichung seiner Vorsätze ist die Agape sowohl Heilsgabe als auch Heilsweg, wobei jene Vorsätze selbst unseren Glauben erfordern. Die Liebe Gottes vermittelt uns die subjektiv eindeutige Erfahrung der Urgeborgenheit in Gott, eine Erfahrung, die objektiv

89

Vgl. Warnach, a.a.O., 91ff.

90

Insofern seine eigene Auferstehung aus den Toten Jesus als den Christus Gottes definitiv erweist, kann im soteriologischen wie im ontologischen Sinn die Auferstehung mitnichten als verzichtbar angesehen werden. Wo immer solches suggeriert wird, wird Jesus selbst als Vorbild statt Erlöser in das Eros-Schema eingepasst; vgl. dazu Walter Künneth, a.a.O.

Der theologische Zenit der Liebe

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jedoch in der Seins-Gemengelage von Heils- und Unheilsgeschichte als eine mehrdeutige erscheint. Mit Blick auf den Holocaust etwa können wir nicht in undifferenzierter Weise von der Liebe Gottes reden, ohne in größtdenkbare Erklärungsnöte zu geraten. Umso dringlicher ist es darum, ihre Wirkweise biblisch-heilsgeschichtlich zu ordnen, ohne dabei einem simplifizistischen Dualismus und voreiligen Prophetismus zu verfallen. Für die glaubenden Kinder Gottes ist die Agape in jedem Falle die konzentrierte Ganz-Konzentration der Liebe - die eine, ungeteilte, „nach allen Richtungen strahlende Liebe schlechthin". 91 Der ichzentrierte Eros erfährt so, ohne dass seine legitimen Spezifika preisgegeben würden, mit der Agape doch seine spezifisch christliche Überformung derart, dass die neutestamentliche Liebe unvergleichlich weiter ausgreift, mehr umfasst, mehr erträgt und am Ende all das - auch im Eigeninteresse - erreicht, was die kurzsichtige Eigenbemühung doch nicht nachhaltig zu gewährleisten imstande sich erweist, was aber auch keine Boshaftigkeit nachhaltig zu zerstören oder auch nur aufzuhalten vermag. „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Kräfte, weder Hohes noch Tiefes, noch irgend ein andres Geschöpf vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Rö.8,38-39). 2.6 Der theologische Zenit der Liebe bei Paulus, Johannes - aufgrund ihrer fundamentalontologischen Bedeutung 92 Auf exponiertem Niveau befindet die Lehre von der Liebe außerhalb der Evangelien sich bei Paulus sowie bei Johannes, die ihre christologische Füllung systematisch erschließen und - wie auch Lukas - pneumatologisch vermittelt, ekklesiologisch anwenden. Dabei ist der Sache nach die Liebe im ganzen Neuen Testament präsent. Von allen neutestamentlichen Autoren wird sie auf Christus hin konzentriert und

91 92

Heinrich Schlier, Über die Liebe, 1968,179. Vgl. Gottfried Quell, Ethelbert Stauffer, „αγαπάω, αγάπη, αγαπητός", ThWNT, Bd. 1, 1933, 20-55; Gerhard Schneider, „άγάπη", ExWNT, Bd. 1,1992,19-29; Otto Kuss, Die Liebe im Neuen Testament, 1967, 196-234; Wilhelm Lütgert, Die Liebe im Neuen Testament, 1905,119-127.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

von Christus her so ausgebreitet, dass ihre universale ontologische Bedeutung ersichtlich wird. Die Theologie des Paulus zielt geradezu darauf ab, die unveränderliche, ewigkeitsbezogene Bedeutung der Gottesliebe einzuprägen. Darum finden wir hier die ausdrückliche Subsumierung der christlichen Tugenden unter den Agape-Begriff (l.Kor.13) ebenso wie in den Deuteropaulinen auch die Vorstellung der Liebe Gottes als dem zu realisierenden Ziel der weltgeschichtlichen Vorgänge (Kol.l; Eph.3). Ausgangspunkt der paulinischen Liebeslehre ist ihre exklusive Manifestation in Jesus Christus. In ihm spiegelt die Liebe Gottes sich unverhüllt wieder (Phil.2,5; Eph.5,2.25), um uns entgegenzuleuchten mit der Vision unserer ursprünglichen Heilsdisposition. In seiner Liebe sind wir von Gott erkannt (1.Kor.8,3) und doch nicht verurteilt, sondern vollständig angenommen (Rö.5,8-11). So ist sie das Lebenselement der Gläubigen, das die Integrität und Einheit des Christuswerkes garantiert (Eph.3,17; 4,15ff.), die Paulus auch im Auge hat, wenn er zur Bruderliebe mahnt (Rö.12,10; l.Thess.4,9). Die Liebe hat jedem Egoismus wehrende, erbauende, verbindende Funktion (Rö.14,19; 1.Kor.8,1; 10,23; 14,12ff.; Phil.2,lff.; Kol.2,2; l.Thess.5,11), weshalb der Apostel sie geradezu emphatisch-lyrisch entfaltet (Rö.12,9-21; 1.Kor.13,4-7), auch im Kontext der Liebe verwandter Eigenschaften (Gal.5,22ff.; Phil.4,8; Kol.3,12-15). Im Sinne solcher ontologischer Totalität wird die Liebe bei Paulus im heilsgeschichtlichen Gesamtzusammenhang des christologischpneumatologischen Wirkens Gottes verhandelt. Die Erfüllung der Liebe Gottes ist es, die kommt und die bereits da ist mit dem Reich des Sohnes (Kol.l,13). Der neue Aon ist der der schrankenlos realisierten Liebe Gottes, das Regnum Christi, in welchem die Wirklichkeit Gottes selbst zum Ausdruck kommt (Rö.14,17; l.Kor.4,20; 2.Thess.l,5). Wie bei Johannes ist auch bei Paulus die Liebe Gottes die Wirklichkeit seines Sohnes, damit auch die Wirklichkeit des stellvertretenden Heiligen Geistes, mit dessen Werk die Funktionsweise der Liebe besonders konkret und anschaulich wird. Das Charisma - als die Verleiblichung des Geistes allgemein - ist die Basis der Liebe (Joh.14,17; l.Kor.12-14), wobei sie als die Hauptfrucht des Geistes (l.Kor.13,13; Gal.5,22; Kol.1,8; Rö.15,30) gleichermaßen kategoriale wie integrale Bedeutung aufweist. Die Liebe qualifiziert alle weiteren Gaben (l.Kor.13,1-3) und vereint sie

Der theologische Zenit der Liebe

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zum Aufbau des „vollkommenen Mannes, zum Maß der vollen Größe Christi" (Eph.4,13). Sie ist Geistesprodukt wie auch das Wesen des Geistes schlechthin, insofern sie die Aufgabe wahrnimmt, das Leben seiner göttlichen Zielvorgabe gemäß richtig zu stellen. Im Blick darauf muss sie zwangsläufig mehr sein als natürliche Zuneigung. Wir sagen: Die Agape ist ontologisches Fundament im kausalen wie im funktionalen Sinne. Sie ist Grund und Garant intakten, von Gott anerkannten Seins. Darum gilt sie Paulus als das „Band der Vollkommenheit" (Kol.3,14). Der Kolosserbrief greift somit die ekklesiologische Dimension der Agape auf, um, von der mit Gottes Erwählung verknüpften Liebestatsache und Vergebungsverpflichtung ausgehend (Kol.3,12f.), die umfassende Neuordnung des christlichen Seinsgefüges zu proklamieren (Kol.3,18ff.; vgl. Eph.5,22ff.). In der Weise begegnet die Agape uns besonders nachhaltig auch im Epheserbrief, wo wir die im Liebesthema kulminierenden, neutestamentlichen Spitzenaussagen über das Wesen der Kirche finden (Eph.1,22; 3,17-19; 4,11-16) sowie bezeichnenderweise auch die gehäufte Rede vom „In-Christus"-Sein. Deutlich wird hier, dass έν Χριστώ, έν αγάπη, έν τη έκκλεσία, έν πνεύματι synonym gebrauchte Sprachfiguren sind, die die Seinsgrundhaftigkeit der Liebe ebenso zum Ausdruck bringen wie ihren Gestaltungsprimat für den Gesamtkomplex der Glaubensgemeinschaft. In der Ausrichtung auf Gott scheidet die Liebe Geist und „Fleisch", in der Konzentration auf den Menschen sowie die gesamte Schöpfung verbindet und koordiniert sie, was Gott so geordnet haben möchte, dass der Mensch es nicht spalte, ausgrenze, missbrauche oder auch nur gering schätze. So erfährt bei Paulus das Liebesthema als Grund des Heilshandelns Gottes nachhaltige theologische Klarheit gegenüber den gleichnishaften Andeutungen der Evangelien. Gegenüber den Synoptikern findet sich erst bei Paulus und Johannes eine Theologie der Agape, die von ihrer christologischen Konzentration aus pneumatologisch und ekklesiologisch ausgedehnt und in Anwendung gebracht wird. Dabei ist gerade Paulus kein Vertreter starrer Systematik oder abgehobener Spekulation, sondern derjenige, der die Liebe überaus plastisch als die gegenwärtige Selbstexplikation des Geistes darstellt - als Ergänzung des Glaubens, der mehr für die Initialisierung und Vergewisserung unserer neuen Existenz steht, und der Hoffnung als der Perspektive ihrer zukünftigen

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Vollendung (1.Kor. 13,12-13; vgl. Kol. 1,4). Erkenntnis, Glaube, Pneuma, Ermahnung, Liebe - all das ist bei Paulus lehrmäßig ins rechte Lot gebracht, 93 so dass vom Motiv der Liebe Gottes aus auch die Verkündigung und Sakramentspraxis jenen separatistischen Missbräuchen enthoben sein dürfen, die dem Liebeswirken Gottes so paradox entgegenlaufen. Als die Abhilfe auch unserer frommen Seins-Peinlichkeiten ist die Liebe Gottes in unser Herz gesenkt, um von unserem Personzentrum aus als unser neuer Gesinnungsgrund für Geist, Seele und Leib diejenige Orientierung zu gewährleisten, die die Wirklichkeit des neuen Seins jedweder Verifizierbarkeit und auch Glaubhaftigkeit überstellt. In diesem Sinne schildert schon die Apostelgeschichte in narrativer Form die Einheit gelebter Gottes- und Bruderliebe in gemeindlicher Gestalt. 94 Wie auch in den Evangelien erscheinen hier die Heilungsvorgänge als die messianischen Zeichen der Heilung der Schöpfung unter dem Signum des Reiches Gottes. Die Darstellung der Gottesliebe ist solchermaßen eine, wenn man so will, indirekte, deren direkte ReichGottes-Bau-Funktion eine umso deutlichere ist. Nach dem Reich Gottes trachten (Mt.6,33), heißt die Liebe Gottes konsequent praktizieren. An diese Totalkonstruktion der Liebe anknüpfend, macht Paulus klar, dass die Liebe Gottes es ist, die erschafft, erwählt und erlöst, damit die Erlösten fortan im Mitvollzug dieser Liebe existieren. Mit der Intensität des Herrn allen Seins drängt die Liebe darauf, durch die von ihr Erreichten weiter transportiert, in menschlichen Kanälen somit ihrem Vorbild entsprechend vervollkommnet und zu ihren ontologischen Zielen gebracht zu werden (2.Kor.5,14; Gal.5,6.22; l.Thess.4,9; 2.Thess.l,3; vgl. l.Joh.3,14; 4,19). Dabei trägt die Liebe bei Paulus aufgrund ihres trinitarischen Gepräges aktiv-dynamische Züge, wohingegen bei Johannes das ontische Moment noch stärker hervortritt. In der Agape ist hier wie dort der Mensch am Horizontalwerk Gottes beteiligt, so dass in der Summe deutlich wird, dass die Liebe das „einzig Maßgebende ist, das Bleibende schlechthin". 95 Dafür zeugen wie die paulinische Rede von der Gerechtigkeit auch die johanneischen Aussa-

93

Vgl. Warnach, a.a.O,106ff.

94

Wolfgang Schräge spricht sehr treffend von der „Ganzheit, Einheit und Konkretheit christlicher Lebensführung" in: Ethik des Neuen Testaments, 1982,176.

95

Warnach, a.a.O., 175.

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gen vom Licht, von der Wahrheit, vom ewigen Leben - von der Macht, der Beweglichkeit und Eindeutigkeit des göttlichen Wesens. In allem entfaltet sich die eine göttliche Liebe, den variablen Seinsaspekten je angemessen, um am Ende die Einheit mit Gott und den Mitgeschöpfen in maximal möglicher Weise zu realisieren. So ist die Liebe bei Paulus das offenbar gewordene Wesen und Wirken der Gnade Gottes im Bereich des Vergeblichen und darum Nichtigen. Sie ist die Manifestation des Göttlichen selbst, das in Souveränität mit dem Geschöpflichen interagiert. Die Agape ist darum in keinem Fall anthropozentrisch, sondern nur vom Heilsmysterium des Christusgeschehens her zu verstehen als ihrem transzendenten Grund. Solche, bis zur Selbsthingabe reichende Liebe ist „nicht nach der Menschen Sinn geartet", sondern tatsächlich dem „himmlisch-pneumatischen Seinsbereich" entstammend.96 Sie wird darum als restlos schenkende Liebe erfahrbar nur durch gläubigen Nachvollzug, als das Vertrauen Gott gegenüber - auch im finstersten Tal - und die daraus erwachsende Gehorsamskonsequenz wiederum als die natürliche Frucht dieses Vertrauens. Auf diesem Wege aber erreicht sie die Konvergenz des Seins mit seinem göttlichen „Sollen". Darum ist die Liebe Gottes kein Zweites neben der Wahrheit Gottes, sondern aufgrund ihrer fundamental konstruktiven Intention im Kern mit dieser identisch. Die Liebe ist das ens realissimum. Sie ist wie Gott - sie schafft Leben. Die Liebe „freut sich nicht an der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber mit der Wahrheit" (1.Kor.13,6), denn die Wahrheit meint nicht anders als die Liebe das Rechtsein der Dinge. In der Liebe ist auch Wahrhaftigkeit (Eph.4,15) - nicht allein, weil die Liebe die Tatsachen ans Licht bringt, sondern auch weil sie die Tatsachen mit Gottes gütigen Augen ansieht und aus Scherben und Ruinen göttliche Konstruktionen zu schaffen vermag (Jes.42,3; Ps.34,19; 147,3). Darum gilt tatsächlich das Wort Feuerbachs: „Wo keine Liebe ist, ist auch keine Wahrheit" 97 oder auch die Jaspersche Präzisierung: „Wahrheit gibt die

96

Ebd., 183.

97

Ludwig Feuerbach, Entwürfe zu einer neuen Philosophie, 1996, 78. Feuerbach hat fraglos vielerlei Bemerkenswertes zu unserem Thema gesagt, insbesondere auch zum Aspekt der Gemeinschaftlichkeit, in der nach Feuerbach der Mensch erst seine anthropologische Identität findet. Mit Staunen lesen wir etwa den famosen Satz: „Das höchste und letzte Prinzip der Philosophie ist... die Einheit des Menschen mit

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Die Agape als Grund des neuen Seins

letzte Antwort durch Liebe." 98 Die Liebe vereinigt alles diffuse, zweifelhafte Einzelengagement hin zu ganzheitlicher, konstruktiver Sinnerfüllung. Sie schafft gleichermaßen Orientierung wie Rechtschaffenheit, denn sie zielt auf die originäre Schöpfungskomplexität als der geschöpflichen Seinswahrheit Gottes." Solche Wahrheit ist dem Seinsfragment nicht gegeben, dem - aus der Froschperspektive quasi - nur eine partielle Wahrnehmung gelingt. Darum ist es die Erkenntnis der unverhüllten, seinseinbegreifenden Liebe Gottes, die alles Stückwerk beendet (l.Kor.13,10). „In der Liebe wahr werden - das ist der Weg, auf dem sich Gottes Wahrheit in ihren Zeugen als konkret erweist." 100 Entsprechend dieser ihrer hohen Bedeutung ist die Liebe das teuerste Gut überhaupt. Die Gottesperle kostet allen übrigen Besitz (Mt.l3,45f.). Sie verträgt sich nicht mit dem Hang zur natürlichen Form des Wohlstandes (Mt.6,24). Selbst liebste Menschen stehen hier im Zweifelsfalle zur Disposition (Mt.10,37), ja auch das eigene Leben (Mt.10,39; Joh.12,25; l.Joh.3,16), hat doch Gott selbst diesbezüglich die eindrücklichsten Maßstäbe gesetzt. Die Sache der Liebe verlangt eine prinzipielle Entscheidung zwischen Gott und Welt (l.Joh.2,15), gerade damit der Welt überbracht werden kann, was sie selbst nicht besitzt, noch selbst erzeugen kann. Die Entscheidung für die Agape ist eine Entscheidung für das Außerordentliche, für eine radikal andere Existenz, für die radikal andere Existenz auch dort, wo Pseudoalternativen Konjunktur haben. Gott lieben heißt somit gleichzeitig, die eigenen Ansprüche gering zu achten (Mt.8,20), das Arge zu hassen (Rö.12,9; Ps.97,10), dafür festzuhalten an seinem Gebot (Joh.14,23; 15,10; l.Joh.2,5; 5,3), das auf die außerordentliche Seinsmächtigkeit der Liebe zielt (l.Kor,13,4ff.; Mt.5,44; Hos.8,6), um vorder-

dem Menschen" (ebd., 98). Dennoch wird speziell die Liebeskomponente in Feuerbachs Philosophie, wenngleich selten wahrgenommen, dann doch eher überschätzt und ist insbesondere in ihrer brüsken Antithetik zum Element des Glaubens vom biblischen Befund dermaßen weit entfernt, dass wir von ihrer näheren Darstellung absehen können. Sowenig Feuerbach einer besonderen Urheberschaft des modernen Atheismus zu zeihen ist, sowenig ist er der verkannte Prophet - vielleicht tatsächlich eines christlich-dialogischen Peronalismus (vgl. a.a.O.) - nicht aber der Agape. 98

Karl Jaspers, Von der Wahrheit, 4 1991,1005.

99

Darum gilt auch der schöne Satz Solowjews: „Die Wahrheit als lebendige Kraft heißt Liebe." Der Sinn der Liebe, 21948, 27.

100 Hans-Joachim Kraus, ST, 1983, 476.

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gründigem Schein durch echte ontologische Qualität beizukommen (Rö.l2,20f.). Im Umfeld der paulinischen Theologie zeigen die Pastoralbriefe wiederum das praktisch-tugendhafte Leben aus der Agape auf wie gleichzeitig auch die Universalität des Agapegeschehens. Auch der Hebräerbrief, wenngleich sein Autor von der Agape selten ausdrücklich spricht, gibt in seinem Grundton das Liebesthema beständig wieder. Ähnliches ist von den Petrusbriefen zu sagen, während Jakobus zu Recht daran erinnert, dass die Liebe entsprechende Werke zeitigt (Jak.2,14-26). Das Anliegen, die überragende, seinsumfassende Bedeutung der Agape ins Licht zu rücken, begegnet uns wie bei Paulus auch bei Johannes, wo die Liebe ebenfalls als Zentralbestandteil des Heilsgeschehens erscheint, dessen Horizontalität nun noch pointierter dargestellt wird. Die Liebe Gottes überwindet die Seinskluft zum Sein des Menschen (Joh.3,16f.; 1 .Joh.4,9f.), konzentriert sich im Sohn, um schließlich auf den erreichten und zurechtgebrachten Sünder überzuströmen und sich seiner zu bemächtigen im Dienste einer vollkommenen Liebesrealität als „Prinzip der Christuswelt" 101 (Joh.3,35; 5,20; 14,21-24; 15,9-17; 16,27; 17,23-26). So ist es, nachdem bei Paulus die Liebe als Generalakt des im wiedergebrachten Gotteswort fundierten Seins erkannt ist, bei Johannes insbesondere die Bruderliebe, in welcher die christologisch gegründete Einheit der Glaubenden untereinander und mit ihrem Herrn sich manifestiert. Dabei wird wiederum offenkundig, dass die Liebe keine „dem Menschen natürlich zuhandene Möglichkeit, sondern Wesen und Wesensäußerung Gottes selbst" ist,102 in deren Kompetenz und Fokus genau darum aber nichts weniger als die heilende Umwandlung all dessen steht, was dem Schöpfer von Beginn an am Herzen liegt. Das ist die gesamte Schöpfung. Das ist das von Gott geschaffene und zu ewigem Heil bestimmte „Sein". In den Anfangskapiteln des Johannesevangeliums dominieren Leitbegriffe wie Licht, Herrlichkeit, Wahrheit, Leben, Gnade, um sich ihrem inneren Wesen nach in der Folgezeit als Beschreibungen der Agape zu

101 Ethelbert Stauffer, ,,άγάπη", ThWNT, Bd. 1 , 1 9 3 3 , 5 3 . 102 Oda Wischmeyer, „Liebe", TRE, Bd. 2 1 , 1 9 9 1 , 1 4 5 .

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erschließen. Eindeutig zeigt diese sich als Sendungsmotiv für den Sohn Gottes (Joh.3,16), eindeutig auch in dessen Bezeugungskraft in der Einheit der ihm Nachfolgenden (Joh.17,20-26). Eindeutig ist sie darum Generalpraxis der Nachfolge (Joh.14,15-21; 15,12), wie sie schon Generalpraxis des Herrn selbst war (Joh.13,1-17). Die Kraft der Agape subsistiert in Jesu messianischem Handeln (Joh.4,43-54; 8; 9; 11), in seinem Umgang mit Entrechteten und Geächteten (Joh.4,1-42; 8,1-11), in seiner Sorge für das ewige Wohl der ihm Anvertrauten (Joh.10,1-18; 15,1-17), auch in den Vollmachtsbezeugungen gegenüber den Elementen (Joh.6,1-21) als eine Liebe, die auch vor dem Äußersten nicht Halt macht (Joh.19,17-30). In engster Verbindung mit dem Gehorsamsgebot erscheint die Liebe somit auch als Stifterin organischer Verbindung mit dem Schöpfer (Joh.15,1-17), wodurch als Ursache vollkommener Seinseinheit ihr höchste universale Majestät, ja Glorie eignet (Joh.17). Ähnlich dem Johannesevangelium spricht auch der erste Johannesbrief zunächst mehr vom göttlichen Licht oder Leben, bevor im Folgenden die Agape ausdrücklich thematisiert wird - so, dass erneut die die Liebe gewissermaßen vorbereitenden Prädikate mit ihr ihre definitive Interpretation und Konkretion erhalten. Dabei ist das alte auch das neue Gebot (1 Joh.2,7-11) und auch die Bruderliebe von lebensstiftender Bedeutung (l.Joh.3,14). Damit ist endgültig auch die Horizontale fundamentalontologisch qualifiziert; ihre Stimmigkeit ist es, die das Gottesverhältnis konstituiert, aufgrund dessen, dass Gottes- und Bruderliebe in engster Zuordnung gesehen werden (1.Joh.4,20). 103 In solcher Liebe als neuem Seins- und auch Erkenntnisgrund (1.Joh.4,7-8) sind wir schließlich auch dem Wahrheitsparadigma der „Welt" entrückt, dem göttlichen dafür umso näher gekommen, in welchem Gleiches durch Gleiches erkannt wird (l.Joh.3,1; vgl. Joh.8,43-44). Die Johannesoffenbarung beschreibt den Ernst sowie das Endresultat, sprich den Lohn eines von der Agape dominierten Lebens (Off.2-3; 21-22), wobei nicht zuletzt die Sendschreiben die über das Individuum hinausreichende, das Sein seines Volkes prüfende Perspektive Gottes anzeigen. Zur Umkehr ist dieses gerufen, da wo es von seiner originalen Würde und Berufung abgewichen ist, eine Umkehr, die zu jeder Zeit der Liebe Gottes optimale Referenz erweist. Mit dem schlussend-

103 Vgl. Wamach, a.a.O., 165ff.

Erwählung / Liebe / Recht

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lieh alle Widerstände überwindenden Zum-Ziel-Kommen seiner Liebe wird deren phänomenologisches Spektrum beschlossen, um aller sichtbaren und unsichtbaren Welt einen zutiefst „einheitlichen Sachverhalt" 104 zu veranschaulichen. Es ist der, dass nur in der uneingeschränkten Liebe Gott und dem Bruder gegenüber - aufgrund Gottes uneingeschränkt liebender Vorleistung - von Gott uneingeschränkt bejahtes, somit gelungenes Da-Sein möglich ist, ein bis in alle Ewigkeit hinein beständiges Sein, ein unbedingtes Herrlichkeits-Sein, das alle denkbaren Kategorien übersteigt. 2.7 Erwählung / Liebe / Recht In einer Welt, die ihrer elementaren Interessenskonflikte wegen keine umfassende Gesamtharmonie zu ermöglichen imstande ist, gleiche Selbstentfaltungsoptionen für jedermann zu jederzeit, gleiches Recht nicht nur im juristischen, sondern im sozio-ökonomischen Sinn, in einer Welt, in der Löwe und Lamm nicht beieinander liegen, in der es über das Phänomen der Konkurrenz hinaus reale Feindschaft gibt, Verrat, Untreue, dann wieder grobe und subtile Formen der Rache, ist das Prinzip der Erwählung notwendiger Anfangsakt der Liebe. Wir sind genötigt, uns für diese oder jene Sache zu entscheiden, die andere liegen zu lassen, mit diesem oder jenem Menschen uns zu verbinden, einen anderen ziehen zu lassen, und wissen nicht selten selber nicht, was wir überhaupt tun, was wir Menschen auch antun. Dabei ist das Prinzip der Erwählung mit Schmerzen verbunden für denjenigen, der nicht erwählt wird, aber auch für den, der nicht anders kann, als zu wählen. Gott selbst unterwirft sich dieser Tragik der Liebe, die, um ihres Drangs nach vollendeter Einung mit dem Erwählten willen, gleichzeitig die Grenzen stecken muss zu dem oder denen, die nicht in gleicher Weise im Blickpunkt stehen können - ein Drama, das zuerst sich bei Kain und Abel vollzieht (Gen.4) und das angesichts der schon dort furchtbaren Konsequenzen gewiss Fragen in sich trägt, die jenseits theologischer Plausibilisierbarkeit liegen.105 104 Ebd., 173. 105 Präzise spricht Joachim Schwarz in seinem exzellenten Artikel „Liebe" (EKL, Bd. 3, 1992, 109-116), von dieser als „Impuls der Zuwendung, dem als jeweils andere Seite eine Abwendung entspricht, die unvermeidbar ist und die Kosten der Liebe aus-

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An dieser Stelle tritt - als gewissermaßen der kleine Bruder der Agape - das Recht auf den Seins-Plan. „Wer immer Kain totschlägt, an dem wird es siebenfältig gerächt. Und der Herr versah Kain mit einem Zeichen, dass keiner ihn erschlüge, der ihn anträfe" (Gen.4,15). Trotzdem Kain als der Nicht-Erwählte den Erwählten erschlagen hat, gewährt Gott ihm ausdrücklich sein Lebensrecht. „Im Lande Nod" darf selbst der Mörder seines Bruders sich seine Existenz aufbauen - in voller Freiheit, aber „abseits des Angesichts des Herrn" (V.16). Das Recht ist das dem Ideal der Liebe entgegenstrebende, sie aber nie erreichende Ideal säkularer Gesellschaften, 106 das darum bestenfalls macht, während ihr Nutzen in der Erhaltung und weiteren Entfaltung des Lebens quantitativ und qualitativ liegt" (109). Christlich gedeutet, ist dies das vermeintlich antagonistische Verhältnis von Liebe und Heiligkeit, auf das wir noch zurückkommen werden. Im Kern läuft dieses Problem hinaus auf die Ablehnung des die Liebe Ablehnenden (s. Tillich, a.a.O.) mit freilich Gott zuzutrauendem, letztendlich offenem Schlussakkord. So sehr die Liebe nicht nur zurückzusetzen, sondern um der Wahrung ihrer selbst willen dem der Liebe - vielleicht dann erst - Feindlichen, zu wehren gezwungen ist, gezwungen, eine Form von Macht auszuüben, die ihr selbst zutiefst widerstrebt, die um so verheerender und unbegreiflicher wirken kann, wenn sie vom „Allmächtigen" ausgeübt wird, so sehr gilt auch das großartige Wort Pannenbergs: „Allmächtig ist nur diejenige Macht, die das ihr Entgegenstehende in seiner Besonderheit - also gerade in seinen Grenzen - bejaht, und zwar uneingeschränkt, unendlich bejaht, so daß sie ihrem Geschöpf die Chance eröffnet, in der Annahme der eigenen Grenze über sie hinaus zu sein und so selber der Unendlichkeit teilhaftig zu werden" (ST 1, 1988, 456). Vgl. zur Prädestinationsthematik Klaus Schwarzwäller, Das Gotteslob der angefochtenen Gemeinde, 1970. 106 S. Brunner, Gerechtigkeit, 3 1981. Gegen die von Brunner (sowie Reinhold Niebuhr) vertretene Tradition, Gerechtigkeit und Liebe mit dem theologischen Primat für die Letztere zu unterscheiden, hat sich Wolfgang Huber ausgesprochen (in: Gerechtigkeit und Recht, 1996). Tatsächlich kann Brunners naturrechtlich verengende Konzentration auf das aristotelische Gerechtigkeitsverständnis beanstandet werden und können auch der Gerechtigkeit wertvolle - nicht nur vergehensregulierende - , insbesondere auch eschatologisch relevante Aspekte zugesprochen werden. Die weitgehende Einebnung der Wesensunterschiede von Liebe und Recht ist allerdings weitaus weniger biblisch begründbar als die Feststellung beider Eigenarten. Wenn Huber auf die menschliche „Sozialität" verweist und einen „Strukturzusammenhang" konstruieren möchte über das Prinzip „Solidarität" (207), der Offenheit für die Gemeinschaft mit anderen (203), deren „Anerkennung" (208) als Gemeinsamkeit von Liebe und Recht, bewegt er sich aber nicht im Raum der Agape, sondern unterliegt der Verwechslung von christlicher Liebe und Humanität bzw. Philanthropie. Auf deren Boden verwundert es nicht, dass Huber das „Selbstopfer" nicht im Zentrum der Liebe ansiedeln möchte und mehr für Selbstannahme denn Selbstverleugnung eintritt (201). Demgegenüber dürfen wir mit Fug und Recht an Brunners Un-

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von der Philia aus interpretiert werden kann.107 Das Recht reglementiert den individuellen Ehrgeiz und vergilt dem, der das Reglement verletzt. Dabei aber ist jedoch das Talionsprinzip dasjenige Konstituens, das mit der göttlichen Vergebungskraft im Neuen Testament überboten ist zugunsten des Erweises der analogielosen Überlegenheit des Wesens Gottes über das Wesen der Welt.108 Das Recht ist in unserem Zusammenhang zu sehen als soziales Regulativ des Eros und ist genauso wenig zu verwechseln mit der Agape wie die Philia als die, wenn man so will, emotionale Variante des Rechts. Beides sind gesellschaftliche Konventionen, die das Funktionieren der Gesellschaft gewährleisten, nicht aber der neuen Welt, desjenigen neuen Seins, von dem die christliche Thematik handelt.109 Was dem interessegebundenen Recht und seinen Ausgleichsmechanismen, dem do ut des abgeht, ist die Kraft echter Selbstlosigkeit, die die Liebe so adelt, dass sie in der Lage ist auf das Ihrige im Zweifelsfall auch zu verzichten (Rö.12,19). Gerechtigkeit ist von daher nie mehr als terscheidung von wertschätzender und wertgebender Liebe festhalten (a.a.O., 112), die mit dem Heilsvorgang auch das hohe christliche Liebesethos zu bewahren vermag, ohne dass dadurch dem Recht oder gar den von Huber angeführten Sozialqualitäten nicht Genüge getan würde. S. dazu auch Pannenberg, der die „Kraft rechtsgestaltender Liebe" betont (Zur Theologie des Rechts, in: Ethik und Ekklesiologie, 1977, 37), die fähig ist, „neue und der jeweiligen Situation in ihrer Besonderheit gemäße Verhaltensformen zu schaffen, wenn sie sich auch im Regelfall im Rahmen bewährter Formen des Zusammenlebens bewegen mag" (ST 3, 1993, 91). Die insofern höhere Beweglichkeit und Kreativität der Liebe begründet dem Recht gegenüber „keinen prinzipiellen Gegensatz" - was auch Emil Brunner unterschreiben würde - ; die Liebe wird aber „auch bereit sein, für allgemeingültig geltende Normen dann zu durchbrechen, wenn diese der Not einer konkreten Situation nicht gerecht werden" (92). Zum säkularen Stand des rechtsphilosophischen Diskurses vgl. das sehr lehrreiche Werk von John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1998. 107 ...wie denn auch der natürliche appetitus societatis bei Grotius bzw. die imbecillitas bei Pufendorf tatsächlich zum Kern gesellschaftlicher Verträge erhoben wurde; vgl. Reinhard Brandt, Recht der Aufklärung, 1982; sowie zur philosophiegeschichtlichen Entwicklung von „Freundschaft": Ch. Seidel, HWPH, Bd. 2,1972,1105-1114. 108 Dass in Ansätzen auch gesellschaftliche Konflikte nach der Maxime „Vergebung statt Vergeltung" gelöst werden können und auch säkulare, „sozio-emotionale" Versöhnung möglich ist, hat freilich beeindruckend in der Aufarbeitung des Apartheidunrechts die südafrikanische Wahrheitskommission gezeigt. 109 Zur Unterscheidung des biblisch-alttestamentlichen Rechtsgedankens vom antiken, aristotelisch-römisch geprägten s. Brunner, Gerechtigkeit, 3 1981, 130-147; Das Gebot und die Ordnungen, 4 1978, 655.

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ein schwacher Abglanz derjenigen liebenden Zuwendung Gottes, die gerade dort auch noch begnadigt, wo nach menschlichem Ermessen das Recht in voller Härte geltend gemacht werden muss (s. Joh.8,1-11). Aufgrund der natürlichen Seins-Schieflagen bleibt das Prinzip fairer Interessensbalance, das Prinzip der Gerechtigkeit so sehr das moralische Höchstmaß dieser Welt, so sehr in der Gemeinde der Erwählten bereits ein fortschrittlicheres System - eben das der Agape - zur Geltung gebracht werden will. Die Rede ist hier allerdings nicht von einem schwarz-weißen Gegensatz, der vorzeitig an das Eschatologische rühren würde. So wenig eine natürliche Kulturgemeinde sich auf der Basis der Agape installieren und regieren lässt, ohne darum deren Impulse generell ermangeln zu müssen, so illusionär wäre es, Distributionsfragen innerhalb der Christengemeinschaft allein von der Liebe aus regeln zu wollen. 110 In der Agape ist die Rentabilität persönlicher Leistung im Kampf um die begrenzten Güter nicht beseitigt, aber deren geistige Herrschaft gebrochen. Der Grundsatz ist wiederhergestellt, wonach wir unter der existenziellen Fürsorge unseres himmlischen Vaters stehen (Mt.6,25ff.) und der eigene Erfolg unmittelbar dem Bruder und somit der Gesamtheit der göttlichen Seinskomplexität zugute kommt. Die Liebe als Gnaden-Einheit ist das göttliche Paradigma der Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit der Liebe Grundlage, insofern die Liebe realisiert, was in den Augen Gottes „rechtens" ist, nämlich seinem eigenen Wesen entspricht. Gott fordert die Nächstenliebe, weil sie „natürlich richtig" ist,111 denn die von Gott geforderte Gerechtigkeit ist nichts anderes als in jeder Hinsicht ungetrübte Liebe, optimale Verhältnismäßigkeit in vertikaler sowie in horizontaler Hinsicht. 112 Dabei ist wiederum die Kategorie der Vergebung die entscheidende Steigerung aller Formen des Rechts, des Mitleids und des Erbarmens, die in solcher Steigerung erst ihre spezifische christliche Qualität erreichen. Solche, über die eigenen Zwecke hinausreichende Vergebungsliebe, gespeist aus der erfahrenen überreichen Vergebungsleistung Gottes, ist

110 Die Reform der Witwenversorgung in Apg.6,1 etwa geschieht durchaus unter dem Gesichtspunkt dessen, was „rechtens" ist, und in Kol.4,1 werden auch die Besitzer von Knechten aufgefordert, diese „gerecht und gleich" zu behandeln. 111 Franz Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, 4 1955, 38. 112 Vgl. dazu auch den Abschnitt „Liebe und Gerechtigkeit" bei Paul Althaus, Die christliche Wahrheit, 51959, 277-289.

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nun aber gerade nicht gesetzlich zu fixieren. Sie sprengt alles gesetzlich Verfügbare, indem sie das individuelle Sosein auch im Angesicht seiner gravierendsten Verwerflichkeiten würdigt, fördert, ihm Auswege schafft. Die erbarmende Liebe ist es, die den Einzelnen, auch das Einzelne, recht einschätzt und ihm - dennoch - aufhilft. Durch die erbarmende Liebe werden Menschen erschlossen, d.h. in ihrem Personkern erkannt und geöffnet. Die menschliche Gerechtigkeit schaut hingegen nicht auf die Person, geschweige denn auf den Personkern, sie schaut auf das Verhalten und überlässt das Andere den Gutachtern. Darum empfängt sie bestenfalls eine Gegenleistung, nicht aber deren Hingabe. Anders verhält es sich nur mit Gottes Gerechtigkeit, die gerade zur Liebe befreit.113 2.8 Die Agape als innerer biblischer Zentralbegriff Es hat sich bis hierher gezeigt, dass die Agape den unzweifelhaften Hauptinhalt dessen darstellt, worum es der Gottesherrschaft zu tun ist. Die Agape ist das Strukturgesetz des Reiches Gottes,114 durch welche die weltlichen Dinge ihre pneumatische Therapie erhalten und mit dieser ihre ontologische Neuausrichtung. So erfährt das Reich Gottes seine neutestamentliche Form des Regnums Christi, das die Herrschaft Gottes aufrichtet inmitten des Reiches des Feindes. Das neue Reich ist ein kleines, minoritäres, aber im Wachstum befindliches (Mt.13,31-33), ausgestattet mit der Vollmacht des definitiven Erlösungswerkes (Lk.9,1; 10,19; Joh.20,23). Es signalisiert die politische Dimension des Evangeliums in den Grenzen der christlichen Gemeinde. Es ist ein geheilter Auszug aus der noch unheilen Schöpfungskomplexität, als solcher freilich anfechtbar, korrumpierbar, unterdrückbar. Seine innere Dynamis aber befindet sich für Zeiten und Ewigkeiten unaustilgbar auf der Siegesstraße. Diese zu bewahren ist der Gemeinde ontologische Aufgabe. Das Reich Gottes existiert als pneumatische Subversion der Gesellschaft durch die Gemeinschaft der Glaubenden. Es ist noch individuelle und globale Zukunft. Aber es ist schon ekklesiale Wirklichkeit, 113 S. Brurmer, Wahrheit als Begegnung, 3 1984, 31f.; sowie Gerechtigkeit, s 1981,147-154, wo zudem die Gerechtigkeit als „Voraussetzung für die Liebe" benannt wird, die „nie übersprungen" werden dürfe. 114 S. Brurmer, Dogmatik 3, 2 1964,406.

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so wahr die sein Volk gewinnende und neugestaltende Liebe Gottes Wirklichkeit ist. Die Agape als inneres Prinzip des Reiches Gottes, das Reich Gottes als die kommunitäre Darstellung des Gotteswesens müssen strikt aufeinander bezogen bleiben. Der soziale Kontext der Gottesliebe ist der des Gottesreichs wie umgekehrt das Gottesreich Ausformung der Agape ist. So liefert das Reich Gottes die strukturellen Antworten auf die menschlichen Grundfragen nach der gesellschaftsverändernden Macht der Liebe. In der Weise ist biblisch der Privatisierung der Liebe ebenso gewehrt wie der Politisierung des Reiches Gottes. 115 Die Gemeinde ist beider Schnittfläche. In ihr bilden Reich und Liebe die sachliche wie konzeptionelle Identität des Werkes Gottes aus. In ihrer pneumatischsozialen Antizipation ist die Gemeinde der unmittelbare Herrschaftsbereich Christi, der Herrschaftsbereich seiner Liebe, und darf bei aller verbleibenden Nicht-Identität auch als begonnenes Reich Gottes betrachtet werden. Wohl umspannt das Reich Gottes auch die in Christus gehaltenen Himmel und Erde und hat darum nicht - wie bei Hegel Entwicklung, aber - wie bei Pannenberg - Geschichte. Seine Geschichte aber drängt auf seine Konkretion in Gestalt des Volkes Gottes, dessen pneumatische Konstitution ihm Ausdruck verleihen soll. 116 Ein identifizierbares Volk soll es sein, aber kein ethnologisch begründbares, sondern ein gottgeschaffenes. Von daher ist das Reich Gottes ein so ökumenischer wie missionarischer Sachverhalt. Unter beiden Gesichts-

115 Die spezifisch christliche, ontologische Totalität des Werkes Gottes hat Emil Brunner treffend beschrieben: „Das in Jesus Christus eröffnete Ziel ist nicht eine private Seligkeit der Seelen im Jenseits, sondern das kommende Reich Gottes, und zwar sowohl als Vollendung der Menschheitsgeschichte wie als Vollendung des einzelnen individuellen Menschen in seiner Personbestimmung. Personalität und Sozialität, Individuum und Gemeinschaft, Person und Menschheit sind als unbedingte Einheit gesehen." Dogmatik 3, 21964, 416; vgl. unter diesem Aspekt einmal das Vaterunser (Mt.6,9-13). 116 Wo, wenn nicht auch und gerade in seiner Kirche sollte sein Reich auch sonst auszumachen sein? Wir meinen, das allemal mehr Grund besteht, beider Zusammenhang bei allen denkbaren Einschränkungen wahrzunehmen, als ihn - wie etwa Pannenberg - komplett zu leugnen (s.u.).

Die Agape als Zentralbegriff

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punkten hat es messianische Qualität in der Ermöglichung und Darstellung schöpfungsgemäßen Daseins.117 Darum aber gilt: „Evangelium vom Reich Gottes und Schöpfung gehören aufs engste zusammen, ebenso: Reich Gottes und Weltgeschichte. Das Reich Gottes ist das die politischen Reiche und Kraftfelder durchkreuzende und herausfordernde neue Politikum." 118 Nicht den Leistungsstarken, sich aus eigener Kraft empor Schaffenden - denen, die ganz unten empor schauen, den kindlichen Empfängern (Mt.18,3), den Überforderten, Benachteiligten, Ausgebooteten, den Genarrten und Verzweifelten gilt in jenem Reich die Verheißung. Sie sind die Empfänger der Liebe Gottes und werden darum „die Ersten sein" (Mt.19,30), während diejenigen, die ihre eigenen Erfolge feiern und feiern lassen, „ihren Lohn bereits haben" (Mt.6,2).119 117 Von hier aus ist eine neue Deutung des Schon-und-noch-nicht-Zusammenhangs tatsächlich geeignet zur Orientierung des ökumenischen Gesprächs; vgl. Cullmann, Heil als Geschichte, 1965, 281f. 118 Kraus, ST, 1983, 356. Die Reich-Gottes-Lehre ist, wie Beinert zeigt, schöpfungstheologisch fundamentiert (Christus und der Kosmos, 1974,15-19; s. Mt.25,34; 13,35; 5,45; 19,4-6; Joh.17,24); vgl dazu auch Christian Link, der umgekehrt von der „Schöpfung als Entwurf des Reiches Gottes" spricht in: Schöpfung, Bd. 2,1991, 372ff. 119 Als besonders erwähnenswert seien im Zusammenhang mit dem Reich Gottes einige weitere Aussagen von Hans-Joachim Kraus über die strukturelle Kraft der Liebe genannt: „Mit religiösen Gefühlen und Erhebungen der Seele, die sich fern von der alltäglichen Lebenswelt abspielen könnten, hat sie nichts gemein. Vielmehr ist die im Wort und Werk des Christus Jesus sich kundgebende Liebe der Angriff Gottes auf das Elend unserer Welt, das sich in Entzweiung und Feindschaft, Selbstsucht und Haß, Lüge und Grausamkeit äußert. Gottes Liebe ist eine militante Liebe, die sich nicht zurückwerfen läßt in den Bereich religiöser Gefühle oder ethischer Regulative. Diese Liebe ist ein Angriff ohnegleichen auf die Grundlage des Lebens und Zusammenlebens, der Kultur und der Kirche. Sie ist der Vorläufer der endzeitlichen Welterneuerung, nur in diesem eschatologischen Bezug recht zu verstehen (vgl. auch Leonhard Ragaz, der in diesem Sinne zu Recht von der „Liebe als Weltrevolution" spricht in: Die Geschichte der Sache Christi, 1945, 71). ... Das Reich Gottes ist kein Reich der Individuen, sondern - im Zeichen der Liebe - Begründung und Beginn neuen Zusammenlebens. ... Das Reich Gottes als Reich der Liebe erstrebt eine Veränderung der Institutionen und Strukturen. ... Als 'love in structures' will die Liebe Gottes wirksam sein und von Herrschaftsverhältnissen geprägte Lebensformen zu Koordinaten der Solidarität umformen. Die im Reich Gottes an den Tag kommende Liebe ist das Gegenteil von despotischem Sich-Durchsetzen. Sie siegt in der Hingabe, im Unterliegen, im Kreuz. Sie ist das Ende jeder Form von Selbstliebe und des Gruppenegoismus. ... Die Grundordnung menschlichen Zusammenlebens ist die Leistung. Im Reich Gottes, dem Reich der Liebe, aber gelten völlig neue Vorausset-

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Die Agape als Grand des neuen Seins

3. Das Wesen der Gottesantwort / Das „Wie" der Agape als fundamentalontologische Kategorie 3.1 Die Bedeutung des Kreuzes als Ausgangspunkt - / Vergebung als der spezifisch christliche Inhalt der Liebe Bei allem Lob dessen, was die Bibel Agape nennt, haben wir dennoch ihr bezüglich keinerlei unrealistischem Schwärmertum zu frönen. Schon die Verschränkung mit dem Erosmotiv legt nahe, dass auch die Agape nicht ausnahmslos eine Qualität vollkommener geistlicher Reinheit darstellt, einen gewissermaßen göttlichen Funken. Ansonsten könnte beispielsweise nicht von άγαπάω die Rede sein, wenn es heißt, dass „Demas die Welt liebgewonnen" hat (2.Tim.4,10) oder die Septuaginta dieselbe Vokabel für das Begehren Amnons benutzen, das zur Vergwaltigung Tamars führt (2.Sam.l3). Auch die positiven Attribute von 1.Kor.13 sind nicht solcher Art, dass gesagt werden könnte, sie seien allem natürlichen Vermögen überlegen oder unzugänglich. Wir müssen darum, wenn wir von Agape als transzendenter Seinsstabilisierungskraft sprechen, schauen, welches dasjenige Element ist, das zweifelsfrei von Gottes Art ist und stellen dann fest, dass dieses tatsächlich eine Art Steuerungselement ist zum konstruktiven Gebrauch auch natürlichen Liebens. Auf dem Weg, der als nächstes biblisch zu beschreiten ist, stoßen wir darum mit der Vergebung auf diejenige Tragweite zungen. Nur wer die Gabe der Liebe angenommen hat, wird fähig, den anderen so anzusehen und anzunehmen, daß alles Leistungsdenken und jeder Verdienstgedanke ausscheiden" (ST, 1983, 22f.). „Auf die Frage, was denn eigentlich im Kommen des Reiches Gottes geschehe, ist zu antworten: Weltveränderung und Welterneuerung" (30). „Reich Gottes heißt: Veränderung des Bestehenden. Reich Gottes ist die Durchsetzung des gnädigen Willens Gottes gegen alle das Leben zerstörenden Widerstände und Verhältnisse" (34). „Gehen alle Revolutionen aus dem Nein zur bestehenden Welt hervor, um der Utopie des Neuen sich zu nähern, so wird vom Kommen des Reiches Gottes zu sagen sein, daß diese Revolution im Zeichen des universalen und totalen Ja Gottes des Schöpfers steht und gerade darum ein um so stärkeres Nein zu allen bestehenden Verhältnissen hervorruft" (375). Dass solche Reich-Gottes-Wirklichkeit biblisch in Anwendung zu bringen ist auf die christliche Glaubensgemeinschaft, hat mit wohl größter - wenngleich dennoch nicht hinreichender - Konsequenz Emil Brunner gesagt, wenn er (in: Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, 1965, 65ff.) „die Ekklesia als Gegenwart des Zukünftigen und die Revolutionierung der Revolution" postuliert.

Vergebung als Inhalt der Liebe

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der Liebe, die spezifisch durch das Erlösungswerk Christi in diese Welt hineingebracht ist. Um die Liebe dezidiert christlich-neutestamentlich zu fassen, ist entscheidend festzustellen, dass sie im Kreuz ihren exklusiven Konzentrationspunkt hat (Mt.27; Mk.15; Lk.23; Joh.19). Sie kommt vom Kreuz her, sie führt zum Kreuz, sie wendet das Kreuz an und setzt somit das Kreuzesgeschehen ontisch um. Die Agape leidet und vergibt und trägt in genau dieser freiwillig schwachen, ohnmächtigen Verfahrensweise, rein und konsequent praktiziert, die denkbar größten Siege davon. Im stellvertretenden Selbstopfer des Sündlosen erst wird die Vergebung dessen realisiert, was das sündige Sein von seinem Seinsgrund und Schöpfer trennt. Erst so entfaltet die Liebe ihre fundamentalontologische Kraft, die gleichzeitig die Uberwindung der Entfremdung des Geschöpflichen untereinander bewirkt. Das ist das seinsrettende und seinsbildende Werk der Agape, die verirrte Existenzen zurückholt unter das fürsorgliche Erbarmen Gottes einerseits, unter dasselbe fürsorgliche Erbarmen Gottes zwischen den Geschwistern andererseits. Die Vergebung ist es, die, wo keine Liebe mehr herrscht, die Wiederbelebung des ganzen Reichtums ihrer beglückenden Affekte erst ermöglicht, die darum die Schlüsselqualifikation in Sachen Liebe darstellt, obwohl wir üblicherweise nur die Affekte selbst assoziieren. Das stellvertretende Element besteht freilich nur in vertikaler Hinsicht, die ontologische Fülle dessen aber, „so gesinnt" zu sein, „wie Christus gesinnt war" (Phl.2,5) möchte und kann in horizontaler Hinsicht erst ihr volles Potential entfalten. So trägt die Agape als die Kraft der Vergebung Gottes Gnade in die Welt hinaus und versetzt nicht nur Ihren Empfänger, sondern auch den dann in die Verantwortung des Werkes Gottes mit hinein genommenen Träger in seinen rechten Stand vor Gott. Wie die Liebe Vergebung erwirkt, so bewirkt und festigt Vergebung Liebe (Lk.7,36ff; Mt.l8,21ff.). Sie fördert damit dasjenige Tun unseres neuen Seins so, wie dieses von uns gefordert ist. Sie verursacht jene Nachfolge, in der wir gerettet sind im Zusammenwirken unseres Glauben und unseres Bekenntnisses (s. Rö.10,9). Die Liebe „treibt" uns, das Sein unter die Kraft der Versöhnung Gottes zu nötigen (2.Kor.5,14ff.). Solche Kraft erfahrend, können wir dann nicht länger zulassen, dass irgendein Mensch von der Liebe Gottes unerreicht bleibt.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Mit solcher Vergebungsrealität als Gnadenrealität, die sowenig wie sich selbst den Anderen irgendeinem Seinsdruck aussetzt, sondern ihm freundlich und liebevoll sein Getrostseinkönnen bedeutet, ist die materiale Besonderheit der Agape markiert, die allein der Seinsmacht Gottes entspringt. Die christliche Vergebung ist der christliche Kern und die christliche Frucht der Liebe, aufgrund derer das christliche Sein sich fundamental von allem übrigen unterscheidet, so es denn tatsächlich christliches Sein ist. Der Unterschied besteht in der Herzensaneignung der Gotteslogik. Während innerhalb der gefallenen Wirklichkeit die verrechtlichte Liebe natürlicherweise das maximal Mögliche darstellt, gilt solches nicht im Paradigma der originalen Liebe Gottes, wo auch die menschliche Liebe den überfließend-beschenkenden Charakter der Liebe Gottes haben soll, welche imstande ist, alles ontologische Minus in ein Plus, alles Negativum in Positivum zu verwandeln (s. Lk.7,4147). „Aus seiner Fülle haben wir genommen, Gnade um Gnade" (Joh.1,16) und sollen sie entsprechend weiterreichen, um neues Sein zu ermöglichen, wie auch wir neues Sein empfangen haben. So geziemt es sich dem Christenmenschen. Unter diesem Blickwinkel schließt die Agape über ihren Kernaspekt der Vergebungszusage hinaus auch die tätige Nächstenliebe und all ihre geschöpflichen Optionen mit ein. Sie ist von daher treffend bezeichnet als die erbarmende Liebe. 3.2 Die Agape als die Kraft Gottes / - als Grund- und Totalakt des menschlichen Seins / Die Überwindung der Egozentrik Die Liebe ist Grund- und Totalakt des menschlichen Seins, indem sie speziell als des Menschen neue Grundlage sein Denken und Handeln neu ausrichtet, indem sie seine gesamte Lebenspraxis im Sinne geschöpflicher Konstruktivität nicht nur vollendet, sondern auch plausibilisiert. Die Liebe erklärt den Menschen sich selbst und befähigt ihn so zu verantwortlichem Handeln. 120 Als in diesem Sinne seinsstabilisierende Liebe kann die Agape auch als die wohlwollende Liebe bezeichnet werden, genauer wiederum: die Heil und Wohl stiftende, die sich ganz um des geliebten Gegenstandes willen ereignet, nicht wie der Eros mit primärem Blick auf den eigenen

120 Vgl. Emil Brunner, a.a.O.

Die Agape als die Kraft Gottes

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Nutzen bzw. auf den Nutzen des Gesamten zwar zielend, diesen aber letztendlich verfehlend. Aus der Fülle der Liebe Gottes allein ist die Uberwindung derjenigen, unter den Bedingungen einer gefallenen Schöpfung unausweichlichen Egozentrik ermöglicht, die in der Sorge um das eigene Wohl das des Nächsten zwangsläufig vernachlässigt. Die Liebe will das Gute für den anderen sosehr wie für sich selbst (Mt.19,19); im Gegensatz zum Eros ist sie aber in der Lage, beides proportional zu vermehren. Darum ist die Liebe neben vulgären Formen auch nicht mit einem selbstaufopferischen Gebaren zu verwechseln, denn als die Weitergabe des grenzenlosen Potentials der Gottesliebe vergrößert sie kontinuierlich jedes ihr zugeordnete Terrain. Die Liebe allein durchbricht somit das irdische Gesetz vom Kampf um das ÜbrigSein, denn sie ist das einzige Gut, das zunimmt, indem es sich verschwendet. Die Liebe gewinnt das Ihrige, indem sie sich selber verschenkt. Darum ist sie vielmehr die Uberwindung desjenigen sozialen Aktivismus oder altruistischen Gutmenschentums, das in Ermangelung der Kenntnis von der eigentlichen Dynamis der originalen Gotteskraft und ihrer heilsgeschichtlichen Stringenz, mit den Erfahrungen der Beschränktheit der eigenen Möglichkeiten nicht selten irgendwann frustriert jeden Idealismus fahren lässt. Indem die Liebe Gottes hingegen die ultimative Befreiung darstellt aus den Zwängen der gemeinhin als Freiheit oder Autonomie missinterpretierten menschlichen Egozentrik wie auch aus allen gutgemeinten Kurzsichtig- und Kurzatmigkeiten des Menschen, ist sie es, die dauerhaft geglückte Zwischenmenschlichkeit gewährleisten nicht nur will, sondern auch kann, hat sie doch am Kreuz Christi auch die allerletzten Beschränkungen gesprengt. „In Jesus Christus öffnet sich über die Kluft des Todes hinweg die Zukunft als eine kommende neue Lebenswirklichkeit, vollzieht sich eine Entschrankung des begrenzten Menschseins durch Anteilgewährung am Ewigkeitsleben Gottes, und das ist gleichbedeutend mit der unbegrenzten Gemeinschaft der Liebe." 121

121 Walter Künneth, Glauben an Jesus?, 1962,304.

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3.3 Die Agape als vollständige, integrative Liebe / Die Reparatur-funktion des Eros / Konstruktives, sich ergänzendes Sein Dass die christliche Liebe somit weit mehr meint als das gewöhnlich mit diesem Wort Assoziierte, ist evident. Wichtig ist für uns dabei zu sehen, dass der spezifisch christliche Kern nun aber durchaus nicht die profanen, altruistischen und emotionalen Aspekte ausgrenzt, sondern so umschließt, dass er auch diesen Sinn und Ordnung verleiht. Die vielfältigen emotionalen und ethischen Elemente, die, auf sich alleine gestellt, so viele Nebenwirkungen und Zweideutigkeiten erzeugen, werden von der Agape als dem christlichen Korrektiv in eindeutig konstruktive Bahnen gelenkt. Dem widerspricht auch nicht der Umstand, dass das Neue Testament den seinerzeit im Sinne der cupiditas entstellten Erosbegriff meidet und auch φιλανθρωπία nur selten gebraucht (Apg.28,2; Tit.3,4).122 Die Agape widerstreitet somit nicht den ihr verwandten, ihr vorauslaufenden Formen der Zuneigung von Eros, der Philia, auch nicht dem Sexus, sie greift aber entscheidend über sie hinaus. 123 Die Agape umschließt sie und, indem sie diese um die Macht der Vergebung ergänzt, rettet sie Zuneigung, Solidarität, Treue u.ä. an genau denjenigen neuralgischen Punkten, wo die natürlichen Potenzen versagen. „Die Liebe hört nimmer auf" (l.Kor.13,8) - genau dann nicht, wenn der Liebende auch Vergebung erfahren und aufgrund dieser Erfahrung selbst zu praktizieren gelernt hat. Das Prinzip konsequenter Vergebung ist darum das herausragende, spezifisch christliche Element, das nicht nur 122 Vgl. Nils Alstrup Dahl, „Liebe", RGG3, Bd. 4, I960,364ff. 123 An dieser Aufgabe einer integrativen Vervollständigung des christlichen Liebesbegriffs ist in der Vergangenheit erfreulicherweise Gutes erarbeitet worden. Wir denken insbesondere an die Abhandlung Piepers „Über die Liebe" (s. a.a.O.). Udo Kern (Liebe als Erkenntnis und Konstruktion von Wirklichkeit, 2001) spricht von den „sogenannten Typen der Liebe" als „in Wirklichkeit Qualitäten der Liebe, Wesenszüge, die in- und miteinander da sind und nur in extremen Fällen in Widerstreit miteinander geraten können" (98). Er scheint dabei aber genau wie Pieper die positive Besonderheit der Agape zu übersehen wie auch - speziell beim Versöhnungsaspekt die besonderen Möglichkeiten ihrer konsequenten Handhabung, so dass er sich mit dem theologisch verhältnismäßig unambitionierten Anliegen begnügt, mittels Liebe der Konstruktion einer „seelenlosen Welt" (269ff.) entgegenzuarbeiten. Problematisch scheint mir in dem Zusammenhang auch die Kritik an einer angeblichen „Religionisierung" der Liebe (122ff.).

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zu „Wesen und Formen der Sympathie" (Scheler) dazu zu addieren ist, sondern das auch die „gewöhnlichen" Qualitäten der Liebe christlich ausformt im Dienste aufbauender, den Schöpfer verherrlichender Seinskomplexität. Solche Vollständigkeit der Güte Gottes der Welt leibhaftig zu demonstrieren ist Aufgabe des Gottes Liebe im Munde führenden Volkes Gottes. Daneben muss an dieser Stelle auch die korrelative Verschränkung von Eros und Agape angesprochen werden, die das gegensätzliche Moment deutlich übersteigt, genauer: pneumatisch überwindet. Der Eros soll ursprünglich das Schöpfungswunderwerk Gottes staunend, ja begehrend registrieren, um zur Anbetung des Schöpfers zu führen. 124 In einer gefallenen Welt aber führt die Sehnsucht nach gutem, schönem Geschöpflichen zwangsläufig in die Irre. Die Geschöpfe, auch die allerschönsten und besten, sind nicht wirklich gut. „Gut ist nur einer" (Mt.19,17). Ihr Schein täuscht und darum bewirkt das Begehren ihrer regelmäßig Enttäuschung, die umso härter ausfällt, je mehr an Erwartungen in das Begehrte hinein projiziert wurde. Der Mensch kann sich auf seine natürliche Liebe, auf sein Gefühl, seine Intuition nicht mehr verlassen, ohne irgendwann ein Verlassener zu sein. Das menschliche Urvertrauen findet im aktuellen Dasein keinen sicheren Anker mehr. Alles ist eitel, alles flieht, alles wandelt sich, entpuppt sich irgendwann als trügerisches statt zuverlässiges Sein. Seine spontane Sympathie war dem Menschen zutreffende Realitätswahrnehmung im Zustand der Unschuld. Nun aber ist sie zu seinem größten Risikogeschäft geworden.125 Einfacher wäre es für ihn, wenn er in animalischer Weise nur seinen Überlebensinstinkten zu folgen hätte und darüber hinaus bedürfnislos wäre. Die erotische Erlösungssehnsucht als Ausdruck seiner formalen imago126 aber ist dem Menschen belassen worden, seine Ahnung von der Möglichkeit echter Geborgenheit soll wachgehalten, weil

124 Vgl. Karl Barth, nach dem die Agape den in Gottes Gebot geheiligten Eros integriert; KD III/4, 246. 125 S. Emil Brunner: „Der Eros in seiner jetzigen Dynamik ist das Produkt unserer Existenzverwirrung" und gleichwohl „tiefste Weisheit", denn in und zur Liebe Gottes geschaffen, schickt er den Menschen in all seinem Tun und Trachten letztendlich auf deren Suche. Der Mensch im Widerspruch, 5 1985,197. 126 Vgl. Brunner, a.a.O.

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eben auch befriedigt werden. So bleibt der Eros im Grunde paradiessuchend, nicht zuletzt in Sachen der Partnerwahl, wo die Glückseligkeit sich immer wieder als eine besonders ephemere erweist, was uns nicht davon abhält, ihren Versprechungen immer wieder zu glauben. In diesem Missverständnis ist auch die Philosophie der Liebe Wladimir Solowjews befangen. 127 Solowjew erblickt „den grundlegenden Sinn der Liebe ... in der Anerkenntnis der unbedingten Bedeutung des anderen Wesens" 1 2 8 und formuliert klar das sachlich wie logisch Evidente: „Die wahre Vereinigung setzt wahre Getrenntheit der sich Vereinigenden voraus". 1 2 9 Solowjews Betrachtung zielt dabei nicht nur auf anthropologische Phänomene, sondern auf das „stoffliche" Sein insgesamt, dem aufgrund seiner natürlichen, zeitlich-räumlich bedingten Verdrängungsprozesse attestiert wird: „Somit ist das, was die Grundlage unserer Welt bildet, ein Sein im Zustande des Verfalls, ein Sein, das durch die gegenseitig ausschließenden Teile und Momente zersplittert ist." 130 Exzellent ist Solowjews Feststellung, dass im Gegensatz zu Gott, der „alles" ist, der Mensch „alles ... nur in Gemeinschaft mit den anderen" sein kann. „Nur in Gemeinschaft mit den anderen kann er seine absolute Bestimmung erfüllen". 131 Mit diesem „Sinn der Liebe" befrachtet und überfrachtet Solowjew aber die „Geschlechtsliebe" einerseits sowie im weiteren Verlauf eine allgemeine Philanthropie. 132 Wir stimmen dem Autor voll und ganz zu, wenn er aussagt, dass „Sinn und Würde der Liebe als eines Gefühls" darin liegt, die Erinnerung an die dem Menschen zugedachte, schöpfungsgemäße All-Einheit wach zu halten und zu nähren, 133 die zu suchen, sie uns antreibt. „Das Gefühl der Liebe ist nur ein Anreiz, der uns davon überzeugen soll, dass wir die Ganzheit des menschlichen Wesens wieder herzustellen imstande und verpflichtet sind." Geradezu biblisch-prophetisch klingt es, wenn Solowjew fortfährt: „Wenn im menschlichen Herzen dieser heilige Funke

127 ... in dessen teilweise faszinierenden Ausführungen in: Der Sinn der Liebe, 21948. 128 Ebd., 75. 129 Ebd., 99. 130 Ebd., 92f. 131 Ebd., 30. 132 Ebd., 31ff. 133 Ebd., 38f.

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aufflammt, erwarten die klagenden und gequälten Geschöpfe die erste Offenbarung der Kinder Gottes", um dann jedoch auf „die Tat des menschlichen Geistes" abzustellen, der diesen Funken am Glimmen erhalten soll. 134 Des Menschen Elend aber besteht, wie oben angezeigt, darin, dass jene Suche ihr Ziel nicht erreicht, welches nur in Christus als dem Grund wiederhergestellten Ganz-Seins zu uns kommt. Ergänzen können wir in dem Zusammenhang, dass auch die diakonische Liebeshandlung in ähnlicher Weise auf die Realisierung solchen Seins zielt, in Ansätzen sogar erreicht - die wir darum wie die Vorzüge der Geschlechtsliebe keinesfalls gering schätzen - ohne aber, genau wie diese, das Ganze zu erlangen, das nur in Christus besteht. Etwas unvermittelt, aber gleichwohl imposant setzt Solowjews Sichtweise dessen ein, dass mit der Liebe im tiefsten Grunde unvereinbar ist, dass der andere sterben soll. 135 „Die wahre geistige Liebe ... ist der Triumph über den Tod." 1 3 6 So wird tatsächlich der Zenit der christlichen Liebesvorstellung benannt. Es unterbleibt aber eine christlichontologische Anwendung, sondern es erfolgt der wiederum arg enttäuschende Verweis auf vermeintlich „unvergängliche" literarische Meisterwerke sowie auf die Leistungen bedeutender Wissenschaftler und Staatsmänner. 137 Im Verhältnis der Geschlechtsliebe zu der im Raum der Kirche verheißenen Gottesliebe besteht das Problem Solowjews in einer romantisierenden Prioritätenrevision. Wenn der Epheserbriefschreiber sagt, er deute das „Geheimnis" der Geschlechterliebe „auf Christus und die Gemeinde" (Eph.5,32), so erfährt diese Analogie bei Solowjew ihre genaue Umkehr, indem die Liebe der Gotteskinder als ein Vorbild für die Geschlechterliebe aufgefasst wird, die in mystischer Überhöhung sich so vom Zeichen zur Sache selbst gewandelt hat. 138 Der von Solo-

134 Ebd., 53. 135 Ebd., 53ff. 136 Ebd., 71. 137 Zudem wird in der Tradition christlicher Gnosis die „Geschiedenheit der Geschlechter" als Folge der Trennung des Menschen von seinem Urgrund und damit schon an sich als ein „Zustand der Desintegrierung und der Anfang des Todes" interpretiert (ebd., 59); vgl. Theodor Böhmerle, Die Frauenfrage im Lichte der Bibel, »1966. 138 Ebd., 71ff., wobei biblisch freilich auch in dieser Richtung eine Kausalität besteht (s. l.Thess.4,3ff.), die aber gerade nicht in eine autonome Eigenwertigkeit und damit

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wjew gut erfasste „Sinn der Liebe" wird hinsichtlich seiner Realisierung einmal mehr an der falschen Stelle gesucht. Interessant, auch unter dem Blickwinkel der Physik, sind auch die kosmologischen Erwägungen des Autors, wenn festgestellt wird, dass im makro- wie im mikrokosmischen Bereich nicht Einheit, sondern entgegengesetzte Faktoren wirken, deren Anziehungs- und Ausdehnungskräfte einander widerstreiten. 139 „Die Einheit der stofflichen Welt ist keine stoffliche Einheit". 140 Sie ist in der Tat genauso disparat wie die geistig-moralische Seite der Welt, wie auch das Verhältnis der Geschlechter, das, wie wir meinen, ebenfalls erst in Christus zu echter Harmonie findet, weiß doch ein jeder nur zu gut, wie wichtig schon und gerade hier die Befähigung zur Vergebung ist. Solowjew hingegen schwebt ein „szygischer" Zusammenhang des sozialen Lebens vor, 141 innerhalb dessen man sich „zur sozialen Umwelt und zur Welt überhaupt ... wie zu einem wirklichen lebenden Wesen verhalten" solle. 142 Wenn Solowjew meint, dass der historische Prozess in dieser Richtung sich auch bewege, offenbart er einen universalen Liebes-Idealismus, der nun allerdings als deutlich überholt gelten darf und der aus christlicher Sicht nur einen der vielen Versuche darstellt, auf dem Eroswege die Neue-Welt-Verheißung Gottes vorwegzunehmen, indem gleichzeitig ignoriert wird, was von dem jetzt schon Möglichen umzusetzen dem christlichen Sein aufgetragen ist. Das Angebot Gottes auf das Urbedürfnis nach Seins-Harmonie heißt sein Sohn Jesus Christus und ist „kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in welchem wir sollen selig werden" (Apg.4,12). Christus ist die definitive Antwort Gottes auf alle individuelle wie kosmische menschliche Sehnsucht. In, mit und durch Christus aber sind wir befähigt über den Eros hinaus, der auch allen Ungläubigen gemein ist, der nichts „Besonderes" ist (Mt.5,46f.) - auch zur Agape. Wir sind befähigt, aufgrund der überreichen, eigens erfahrenen

Überforderung der partnerschaftlichen Erotik führt, wie diese als quasi-religiöses Erlebnis vollendet durchgeführt ist bei Walter Schubart, Religion und Eros, 3 1952. 139 Vgl. o. das Problem der Weltformel. 140 A.a.O., 95. 141 Ebd., 100. 142 Ebd., 102.

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Barmherzigkeit uns auch demjenigen Elend zuzuwenden, an dem wir natürlicherweise vorüberschreiten (vgl. Lk.l0,30ff.). Verpflichtet sind wir zu solcher Zuwendung, denn nichts spottet der Gnade Gottes mehr, als ihr zum Trotz in den alten Verhaltensmustern zu verharren (Mt.18,21-35). Mit der Agape begehren wir recht unter den Bedingungen einer sündigen Wirklichkeit, für die der Eros nicht hinreicht. In der Bejahung des Unattraktiven, des Schuldigen, des Gott Widerspenstigen kann die Agape somit begriffen werden als die Entsprechung des Eros unter den Bedingungen einer gefallenen Welt. Die Agape ist gewissermaßen der neue, der wahre Eros geworden, denn sie liebt gerade all das, was dieser verachten gelernt hat - das Geringe, Unansehnliche, Nicht-Liebenswürdige. Das ist das „neue Gebot" Christi, dass wir heben, nicht nur wie es unserer natürlichen Neigung entspricht, sondern wie er uns geliebt hat. Und daran soll jedermann erkennen, dass wir seine Jünger sind (Joh.l3,34f.). Die Agape besteht darin, dass Gott uns unansehnliche, feindselige Wesen (Rö.5,10) geliebt hat, so sehr, dass er sich vollständig in unsere Niederungen begeben und sich nicht gescheut hat, unsere wundesten Punkte behutsam anzufassen und zu verbinden, so sehr, dass er all seine unvorstellbare Herrlichkeit verlassen und sogar den so schmach- und qualvollen Kreuzestod auf sich genommen hat, um uns unverbrüchlich seines Erbarmens zu versichern (Phil.2,6-8). Damit realisiert die Agape das „Unmögliche" - Veränderung selbst der menschlichen Psyche. Der Mensch kann sich nicht selbst so verändern, dass er der Eros-Liebe würdig wird. Mit dieser Erwartungshaltung scheiterten und scheitern Millionen und Abermillionen menschliche Beziehungen. Die Du-sollst-Änderung funktioniert nicht, nur die Selbständerung, die in Güte und Barmherzigkeit die verwundete Seele des Anderen erschließt, die seine Herzenshärtigkeit einfühlsam löst. Die Vollmacht der Liebe zur Veränderung aller Dinge liegt somit im Geheimnis der Liebe als der Befähigung zum Herabstieg in die tiefsten Bereiche des menschlichen Seins, das zu lieben das Wesen Gottes sich entschlossen hat. Das ist Agape - die mit allem denkbaren Abstand höchste Form der Liebe, die durch die Vorleistung Christi ermöglicht und uns zur Nachahmung aufgetragen ist (Joh.13,15). So hat Gott uns verändert, unser Herz neu geschaffen, indem er sich selbst verändert hat - grundlos, aus lauter Liebe und hat so auf

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dem Wege der Agape auch dem Eros wieder das Seinige zurückgegeben - ohne zu fordern, zu erwarten, zu erpressen, zu unterdrücken. Durch Gottes Liebestat wird der Mensch tatsächlich als Gerechtgemachter wieder liebenswert ohne alles eigene Bemühen. Die Reparaturfunktion der Agape ist somit die Wiederermöglichung des ursprünglichen Eros, der nun wieder in wiederhergestellten guten Verhältnissen 143 sein Ziel und seine Befriedigung findet. Das Begehren des Guten, Wahren und Schönen ist nichts unchristliches, im Gegenteil! Es soll nur wirklich das Gute, Wahre und Schöne sein, das am Kreuz geboren wird, egal wie „uncool" es einem degenerierten Zeitgeist scheinen mag. Durch die Liebe Gottes wird es verwandelt zu einem - mit Bedacht gesprochen - Objekt höchster Sinnlichkeit. Darum wird im Hohenlied auch die körperliche Liebe gepriesen und darum wird auch von Christus und der Gemeinde gesprochen im erotischen Bild von „Bräutigam und Braut" (Off.21,2). Wo die Agape ist, ist somit schließlich auch echte Eros-Erfüllung, ist einwandfreie Lust, wobei uns in der Hoffnung auf die ewige Vollendung ein gerüttelt Maß Eros-Erwartung noch verbleibt. - Wir schauen nach vorne: Solche Agape darf und muss nicht nur das Prinzip des persönlichen Wandels sein, sondern auch das der kirchlichen Nachfolge im Blick auf das konfessionelle Dilemma. Auch hier ist das demütige Mit-Herunter-Kommen dahin, wo der andere auch seine tiefsten Irrtümer haben mag, gefragt als Seinspraxis erbarmender Liebe. Eingedenk der eigenen Fehlbarkeit wird eine solche prinzipielle Barmherzigkeitshaltung die Wunden kirchlicher Entzweiung genauso heilen können wie die jeder individuellen. 3.4 Die ontologische Macht der Agape / Die soziale Wirklichkeit des neuen Seins So ist - zusammengefasst - die Agape Schlüsselelement des neuen Seins, das „jenseits der Spannung von Essenz und Existenz" 144 besteht. Nur die Liebe verleiht Sein, neutestamentlich so, dass sie das Dasein dem Nichtsein, seiner Todesverfallenheit am Kreuz entreißt. Sie ist in diesem Sinne „die Negation der Negation des Seins". 145 Als Gottes 143 ...wie am Anfang, s. Gen.1,31. 144 Paul Tillich, ST 2, 8 1987, 129ff. 145 Ders., Der Mut zum Sein, 3 1982,132.

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Seins-Rettungstat ist sie wie seine Seins-Schöpfungstat das ontologisch schlechthin qualifizierende Element, denn ohne die Liebe ist alles „Nichts" (l.Kor.13,2). „Wo die göttliche Liebe aufhört, hört das Sein auf"146 - dies ist das negative ontologische Axiom der Weltwirklichkeit, der ontologische Fluch, der auf aller menschlichen Autonomiebestrebung lastet. „Existenz ist... eigenständig leben wollen und darum sterben müssen; Liebe hingegen ist Leben geben und sterben können." 147 In der Weise sind Sein-Wollen und Sein-Können dauerhaft versöhnt und zu höchster ontologischer Intention gebracht. In der Liebe „verwurzelt und gegründet", dadurch dass „Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt", sollen wir das Ausmaß der neuen Wirklichkeit Gottes erkennen und solcher Wirklichkeit teilhaftig werden (Eph.3,1719). Der Bibel ist daran gelegen, dass wir um die wahre Größe und Bedeutung unseres Heils wissen, damit wir so auch verstehen, in welcher Weise wir jetzt schon in Christus unsere neue Verankerung haben. Denn nur das ontische Fundament des Christus ist geeignet, solche Verheißung auch in Realität zu überführen. Mit dem Glauben beginnt diese Realität. Sie bedarf aber nicht nur einer Verankerung des Glaubens, sondern auch der Liebe und der Hoffnung. 148 Die Hoffnung ist das Festhalten an der Möglichkeit der Reparatur des Zerbrochenen, des Entfremdeten, trotzdem womöglich nichts und gar nichts darauf hindeutet. Die Gewissheit dessen heißt Glaube (Heb.11,1) und die Praxis solchen Glaubens ist Liebe. Solche Liebe aber hält lebendig und solches Leben ist dasjenige, das Gott selbst vorexerziert hat. Zur ontologischen Bedeutung der Agape hat Paul Tillich Exzellentes formuliert, das hier nicht unbeachtet bleiben soll.149 Tillich begreift die Liebe als die „bewegende Macht im Leben", das seinerseits als „verwirklichtes Sein" beschrieben wird, was aussagen möchte, „daß das 146 Ders., ST 1, 8 1987,326. 147 Joachim Schwarz, „Liebe", EKL, Bd. 3,1992,112. 148 Die beiden Letzten in Opposition zum Ersten zu bringen, ist nur möglich bei Überreizung des reformatorischen Wort-Glaube-Axioms wie gleichzeitiger ontologischer Untergewichtung der Liebe und damit im Lichte des „Gesamtratschlusses Gottes" (Apg.20,27) unstatthaft. 149 Die Ontologie generell bildet bei Tillich als zentraler Bestandteil geistiger Grundorientierung ein integrales Moment auch theologischen Denkens.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Sein nicht zur Verwirklichung kommt ohne die Liebe, die alles Seiende zu allem anderen Seienden hinzieht". 150 In Verkennung ihrer ontologischen Natur ist das Missverständnis der Liebe als bloßes Gefühl verantwortlich für „die meisten Fehlschlüsse in der Sozialethik, der politischen Theorie und der Pädagogik". 151 Eine Deutung der Liebe als „ontologische Macht" ist nötig, ist doch die Liebe „das Wesen des Lebens selbst", die „dynamische Wiedervereinigung dessen, was getrennt ist".152 Die Liebe vereinigt zwar nicht, „was seinem Wesen nach sich ausschließt, ... das einander absolut Fremde", wohl aber „was seinem Wesen nach zusammengehört, ... was sich gegenseitig fremd geworden ist".153 Aller Liebe eignet der „Drang zur Wiedervereinigung des Getrennten" 154 , wobei gegenüber der Agape als Bewegung des SeinsHöherem zum Seins-Niedrigerem Eros als die umgekehrte Bewegungsrichtung gefasst wird, Philia, gewissermaßen dazwischenliegend, als „Bewegung von Gleichem zur Vereinigung mit Gleichem".155 Die Agape ist insofern die „allumfassende" Liebe, diejenige, die allein bedingungslos bejaht, unabhängig von „edleren oder niedrigeren, angenehmen oder unangenehmen Eigenschaften". 156 So ist die Agape, die „nur möglich in Einheit mit dem Glauben" ist,157 es, die Gottes Schöpfungswerk auch in den Teilen gerecht wird, die im Spiel der natürlichen Liebe die schlechteren oder gar keine Karten besitzen. „Gott wirkt hin auf die Vollendung alles Geschaffenen und darauf, alles Getrennte und Zerrissene in der Einheit des Lebens zu vereinigen." 158 Mit dieser Sichtweise gelingt Tillich bezüglich der Liebe die Verbindung höchster biblisch-theologischer Theorie und konkreter existenzieller Problematik, so dass gesagt werden kann: „Die Liebe Gottes ist die endgültige Antwort auf alle Fragen der menschlichen Existenz, 150 Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 31982,158. 151 Ebd. 152 Der Protestantismus, 1950, 27. Das voluntative Element ist zu Recht angedeutet, wenn Tillich (a.a.O., 158) die Liebe auch als „das Verlangen nach der Einheit des Getrennten" bezeichnet. 153 Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 31982, 158. 154 Ebd., 160; s. auch ST 3, 4 1984,160ff. 155 ST 1,81987, 322. 156 Ebd. ... so dass hier auch das Element der Bevorzugung aufgehoben ist. 157 ST 3, "1984,163. 158 A.a.O., 322.

Die ontologische Macht der Agape

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auch auf die Fragen, die sich aus der Endlichkeit, der drohenden Spaltung und der Entfremdung ergeben."159 Die integrative Beschreibung der Gottesliebe möchte dabei die Verachtung der Epithymia als Grundelement der natürlichen Liebe gerade vermeiden. Sie wendet sich darum gegen die traditionelle Diastase von Agape auf der einen, von Eros, Philia und Libido auf der anderen Seite und macht deutlich, dass wenn Liebe im strikten Gegensatz zum Eros interpretiert wird, die Agape nur als bloßer Moralbegriff zu stehen kommt, während der Eros unnötiger Profanisierung anheim fällt. Die Erstrebung höchster Güter ist keine illegitime. „Wenn eros und agape reine Gegensätze sind, dann ist Liebe zu Gott unmöglich." 160 Tillich vermerkt zu Recht, dass „ohne den eros zur Wahrheit (auch) keine Theologie" vorstellbar wäre.161 Die Besonderheit der Agape besteht in ihrer ontologisch umfassenden und dabei ordnenden Funktion. Sie wird treffend gedeutet als „ekstatische Manifestation des göttlichen Geistes", die die „Zweideutigkeiten aller Arten von Liebe" überwindet, 162 indem sie diese ebenso transzendiert wie mit einbegreift. Die Agape als die „letzte und höchste Form der Liebe"163 ist Kriterium aller sonstigen, die von ihr durchdrungen wird und so in Verantwortung erst ihre originale, befreiende und erfüllende Qualität erlangt, denn die „Agape sucht den Anderen in seinem eigentlichen Wesen."164 Die Agape ist somit „die Tiefendimension der Liebe oder Liebe in der Bezogenheit auf den Grund des Lebens".165 In ihr besteht wohl jener Spannungsreichtum, den jeder dynamische Prozess, so auch der des Lebens mit sich bringt, aber sie zerbricht nicht hieran, sondern ist letztlich in der Lage, die im Zustand der Entfremdung einander widerstreitenden Aspekte auch dessen, was Liebe heißt, zu verbinden. 166 Als „Element des göttlichen Lebens selbst"167 erhebt sie

159 Ebd., 328. 160 Ebd., 323. 161 Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 31982, 162. 162 ST 3, 4 1984,163. 163 Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 31982, 163. 164 Ebd., 220. 165 Ebd., 163. 166 ST 3, ·Ί984,184. 167 Ebd., 164.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

auch ihre Gegenstände in die „transzendente Einheit unzweideutigen Lebens". 168 Mit Blick auf diese werden auch die Grundmerkmale des neuen Seins bei Tillich erfreulich klar benannt, etwa wenn gesagt wird, dass Spannung in der Geistgemeinschaft „nicht zum Zerfall führt", ist doch die Liebe die „Vorwegnahme der vollkommenen Einheit im ewigen Leben". 1 6 9 Dieser Prozess aber wird leider nicht nach seiner biblischpneumatischen Spezifik hin entfaltet, so dass erkennbar würde, kraft welcher besonderen göttlichen Stiftung die reale Möglichkeit solcher Einheit besteht. Stattdessen zielt die Liebe auf „die Erfüllung der moralischen Forderung" die sie aus ihrem kulturellen Kontext empfängt, um sich dort als „fragmentarisch" zu erweisen. 170 Mit dem Fragmentarischen ist die pneumatische Eindeutigkeit des neuen Seins nun zwar nicht außer Kraft gesetzt, besteht aber im Widerspruch zum Augenscheinlichen. Tillich bedient sich dafür des Erklärungsmodells des „Paradoxen", welchem auch die christliche Einheit unterworfen wird, so dass „das Universale paradox im Partikularen gegenwärtig" sei.171 Mithilfe dieser, nicht weiter begründeten Prämisse besteht die vielgepriesene transzendente Einheit „von empirischen Wirklichkeiten und praktischen Möglichkeiten unabhängig", was nichts Enttäuschenderes bedeutet als: „Die Einheit der Kirche ist in ihnen allen real, obgleich sie alle voneinander getrennt sind." 172 Mit solchen Paradoxien operiert die Bibel nicht, sondern offeriert das Eindeutige tatsächlich eindeutig, logisch wie ontologisch. Indem das neue Sein von der Agape aus als Reich-Gottes-begründende „Manifestation des göttlichen Geistes in der geschichtlichen Menschheit" begriffen wird, 173 ist bei Tillich aber immerhin im Ansatz nicht nur ausgesprochen, sondern auch fundamentalontologisch durchdacht, dass „die Liebe Gottes die endgültige Antwort auf alle Fragen der menschlichen Existenz ist". 174 168 Ebd., 167. 169 Ebd., 183. 170 Ebd., 187. 171 Ebd., 201f. 172 Ebd., 198. 173 Ebd., 165ff. 174 ST 1, 8 1987, 328. In vergleichbarer Weise sind auch die Ausführungen von Karl Jaspers zur Liebe in ontologischer Hinsicht stellenweise exzellent - auch im theolo-

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Ausgehend von solcher transzendenten Fundierung darf und soll auch die immanente Liebespraxis die spezifische Qualität der Agape widerspiegeln, in deren Strahlen kein mystisches Sonnenbaden vorgesehen ist. Zur konkreten geschöpflichen Liebe gehören mindestens zwei, deren Relation es ist, die durch die beschriebene Neuausrichtung des Einzelnen und seiner Bedürftigkeiten in seiner fundamentalen Bejahung durch Gott profitieren soll. Das Sein, das in der Liebe Gottes revitalisiert werden soll, ist ein gemeinschaftliches, in dem wiederum nicht eigene Anstrengung, guter Wille etc. die maßgeblichen Erfordernisse sein sollen, sondern die Größe und Beeindruckung der Vorleistung Gottes. Aufgrund dieser sind die Gläubigen zur Liebe Gott und dem Nächsten gegenüber verpflichtet, wie denn Seiendes nur irgend zu etwas verpflichtet sein kann (Lev.18,18; Dt.6,5; Jos.23,11; Judas21; Joh.13,34; 15,9.17; Rö.13,8; l.Kor.14,1; 16,14; Gal.5,13; Eph.4,15; 5,2; Kol.3,14; l.Tim.4,12; 6,11; l.Pt.1,22; 4,8; 2.Pt.l,7; l.Joh.3,11.18; 4,7; Heb.10,24; 13,1). Sie sollen in der Liebe Gottes als ihrer ontologischen Wohnstätte verbleiben. So ist dem ontologischen Segen der Liebe der göttliche Boden bereitet, sind Furcht, Verhängnis und jede Art menschlicher Verbohrtheit abgetan (Ex.20,10; Ri.5,31; Ps.145,20; Joh.14,21; Rö.8,28; l.Kor.2,9; Gal.6,24; l.Joh.4,17f.). Den Lieblosen hingegen wird ihr eigenes Sein zum Gericht, indem sie die Früchte ihrer Gottesferne ernten (Hos.4,1; Mt.24,12; l.Kor.16,22; l.Joh.2,18). In der Weise verkörpert die Agape die dynamische Welterneuerungsstrategie Gottes. Als die willentliche Durchsetzung seiner Weisheit zugunsten des Seins ist die Liebe nicht ethische, sondern logische Katabasis (l.Kor.l,18ff.), mit allerdings umfassenden ethischen Auswirkungen, die wir, gerade indem sie auf erneuerte Interpersonalität, auf die Relationalität des Seinsgefüges also zielen, auch als ontische bezeichnen können. Durch die Liebe geschieht von innen her die Erneuerung der sozialen Ordnungen, etwa der Ehe (Eph.5,22-33; Kol.3,18f.; l.Pt.3,1-7), der Familie (Eph.6,1-4; Kol.3,20f.), des Berufs bzw. der Berufung (Eph.6,5-9; Kol.3,22-4,1; l.Pt.2,18-21; Philemon). So entsteht durch die Liebe als dem Höchsten alles Bleibenden (l.Kor.13,13)

gischen Sinne in: Von der Wahrheit, 1983, 987ff. Umso enttäuschender wirkt darum die kategorische Behauptung: „Gott ist nicht die Liebe" (1012), was uns veranlassen darf, hier nicht weiter nachzuforschen.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

rechtes und damit echtes Christsein (l.Kor.8,3; 2.Kor.5,17; Rö.8,28; Gal.5,6) als „Lebensumwandlung aus der Liebe zur Liebe". 175 Die Liebe hat somit im umfassenden Sinn „soziale" Bedeutung und ist mit dieser das untrügliche Primär-Kennzeichen der Gemeinde. Wir konstatieren mit Wendland, „daß in Gestalt der Gemeinde Christi ein völlig neues Sozialgefüge und bisher unbekannte, religiöse Sozialstruktur in geschichtliche Erscheinung getreten ist". 176 Genau darum ist sie immer wieder Hauptgegenstand der Ermahnung (l.Joh.4,7; l.Pt.1,22; 2,17; 4,8; Phil.2,2; Kol.3,14; l.Thess.4,9ff.; Heb.10,24; 13,1). Sie soll unsere natürlichen Neigungen und Wertvorstellungen korrigieren (Mk.l0,43f.), sie soll uns motivieren, die Interessen des Nächsten zu suchen (Rö.13,10; Gal.5,13), soll unsere zwischenmenschliche Praxis bestimmen (l.Kor.16,14; Eph.5,2; l.Pt.4,8; Heb.13,1) und sie soll weiter zunehmen (2.Thess.l,3; Phil.1,9), „völlig werden" (l.Thess.3,12). Dabei ist die Liebe stets von dezidiert aktivem Gehalt und meint niemals die nachsichtige Duldung des Bösen (Joh.2,15; Mt.18,17; l.Kor.5,llff.). 177 Missachten wir die Liebe - dann geraten wir unweigerlich auf Abwege (l.Kor.8,1; Gal.5,13).178 In der zwischenmenschlichen Dimension als ihrer vielleicht anspruchsvollsten hat in diesem Äon die Liebe ihre ontologische Vollständigkeit erreicht. „In der Liebe wahrhaftig sollen wir in allen Stükken heranwachsen zu ihm, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib, zusammengefügt und verbunden durch alle Gelenke, sich unterstützend nach der jedem einzelnen Glied zugemessenen Wirksamkeit, das Wachstum des Leibes vollbringt zur Auferbauung seiner selbst in Liebe" (Eph.4,15-16). Das ist das ontologische Konzept 175 Brunner, Dogmatik 3, 2 1964, 136. 176 Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments, 1978, 66. Und Schräge ergänzt, „daß die Sozialgebilde und Ordnungen zur Chance und zum Ort der Agape werden sollen". Ethik des Neuen Testaments, 1982, 240. 177 Vgl. Tillich, ST 1, 8 1987, 325, wo die ontologische Kraft der Liebe besonders eindrücklich erscheint, wenn geschildert wird, dass die Liebe zerstört, was gegen die Liebe gerichtet ist. Hier ist sie zweifelsfrei ihrer Verkürzung als eines bloß harmonisierenden, emotional befriedenden Vorgangs enthoben. 178 In diesem Sinne sind die sog. „Haustafeln" des Corpus Paulinum etwas gespreizt, aber doch treffend als „Liebespatriarchalismus" gekennzeichnet - etwa bei Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 190. Schräge betont (mit Conzelmann): „Auch die Einzelmahnungen sind vor allem Mahnungen für das Zusammenleben in der Gemeinde." A.a.O., 238ff.

Das Soteriologische - Der Glaube

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des Neuen Testamentes, das die „Fülle Gottes" (Eph.3,19) zum Ausdruck bringen möchte. Sein Anspruch könnte uns schwindeln machen und zweifeln, ob denn innerhalb unserer vertrauten, kleinen, trivialen Erfahrungshorizonte die angezeigten Grenzerweiterungen tatsächlich realistisch sind. Nachdem wir mit Blick auf das „Wie" der Agape die Seinsebenen umrissen haben, die sie umgreifen möchte, werden wir darum die Frage ihrer Umsetzung in systematischer Hinsicht noch weiter zu präzisieren haben.

4. Die Agape als Heilsgut 4.1 Das soteriologische Element des Evangeliums 4.1.1 Die Rettung des Seins durch Glauben / Glaube als Eingang in die Liebe Gottes / - ins Pneuma des Reiches Gottes Die Frage nach dem individuellen Heil des Adressaten der Güte Gottes ist unauflösbar mit dem Glauben an die historische Tat des historischen Jesus verknüpft (Rö.3,22; l.Kor.1,1,21; Gal.2,16; Phil.3,9). Diese ist, womit Gott den Menschen in voller Schärfe konfrontieren will, eine Konfrontation, die auf das Herz des Menschen zielt (Rö.8,27; l.Kor.4,5; 2.Thess.2,4) und von dort aus auf die Vernunft, 179 um so Leib, Seele und Geist die Wirklichkeit Christi zu unterbreiten. Das ist, was dezidiert Paulus als Gottes Heilstat und ihre pneumatische Realisation beschreibt. Das Im-Geist-Sein ist identisch mit unserer Refundamentierung in der originalen, seinstragenden Liebe Gottes. Auch „im Geist gründet der Mensch als ein Ganzes" 1 8 0 und wird im Zusammenspiel mit dessen übrigen Gaben seiner neuen Seinsperspektiven konkret anteilig. Der Glaube ist deren Realisierung in Jesus als dem Christus, damit aber nichts anderes als der Eingang in den Heilsbereich desjenigen neuen Seins, das biblisch „Reich Gottes" heißt. 181

179 S.o. 180 Paul Schütz, Parusia, 1985, 22. 181 Das freilich noch komplexere Verhältnis von Glaube und Liebe soll mit dieser Formel nur in seiner Grundrelation angezeigt sein; vgl. „zur Differenz von Glaube und Liebe" die vorzüglichen Ausführungen von Eberhard Jüngel in: Gott als Geheimnis der Welt, 1977, 453-470.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Solche Evangeliumsrealität ist es, die Gott für einen jeden Menschen sich wünscht und parat hält. An deren Beginn aber steht die Evangeliumsverkündigung, das Heilswort, das kein anderes ist als der verbale Teil des ursprünglichen Konstruktionswortes, nimmt es doch den Menschen wieder in sich, in seine pneumatische Wirklichkeit auf, um ihm erneut Gottessphäre zu bieten, in der wir „leben und weben und sind" (Apg.17,28). „In Christus" 182 sind wir durch das Wort vom Kreuz Christi (1.Kor.1,18; Gal.6,14f.; Kol.1,20). Darum ist Christus beides: Er ist das Heilswort und die uns von Anfang an zugedachte Heilswirklichkeit, weshalb Johannes ihn als die Wiederkehr des ursprünglichen Logos bezeichnet. 183

182 Zur Bedeutung der vieldiskutierten Formel des „In-Christus"-Seins s. Eduard Schweizer, Jesus Christus im vielfältigen Zeugnis des Neuen Testaments, 5 1979, 107111; sowie Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 1993, 92ff., wo deren in der Taufe begründete ekklesiologische Dimension aufgewiesen wird. „,In Christus' bezeichnet Paulus da, wo es im räumlichen Sinne gebraucht wird, jenen geschichtlichen Bereich, in dem Menschen ihre Christusbindung in konkreten Lebensbezügen verwirklichen und der durch das Miteinander von an Christus gebundenen Menschen gestaltet ist." Diese Formel impliziert eine Sozialstruktur (s. auch Walter Klaiber, Rechtfertigung und Gemeinde, 1982, 103). „Und zwar ist diese Sozialstruktur für Paulus eine empirische Realität." A.a.O., 94, 105ff.; vgl. Peter Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, 21966, 33. 183 Die Liebeswirklichkeit Gottes in Christus wird vielfach und vielleicht besonders gut deutlich im Bild vom Weinstock und den Reben (Joh.15,1-8), in dem die organische Verbindung der Gläubigen mit ihrem Herrn zum Ausdruck kommt, ihr beidseitiges Aufeinander-Bezogensein bei gleichzeitiger Wahrung des Rangunterschiedes. Wir können ohne ihn nichts tun, nicht umgekehrt. Wir sind nur die Früchte am Weinstock. Wir sind aber eben auch die Früchte des Weinstocks, die bestimmt sind, von der Welt genossen zu werden. Im Einklang etwa auch mit den Bildern vom Vaterhaus erklärt diese Verbindung die Realität der „έν''-Präposition und verdeutlicht nachhaltig die fundamentalontologische Dimension der Gottesliebe. Die Gottesliebe ist nicht nur ein intensiver Affekt, sie ist tatsächlich ein „Raum, in dem man bleiben kann / in dem wir leben können" (Anselm Grün, Im Haus der Liebe wohnen, 1995, 45). So müssen wir darum von der Liebe Gottes reden, dass Menschen lernen, „darin" zu existieren. So müssen wir selbst die Liebe Gottes erleben, damit wir wissen, wovon wir überhaupt reden. Dieser Raum ist der Raum der neutestamentlichen Gemeinde. Vgl. zur Organismuskonzeption des „Leibes" Christi Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 1993,107ff.

Das ganze Evangelium

231

4.1.2 Die soteriologisch-ontologische Einheit des Evangeliums / Das ganze Evangelium / Heilswort und Heilswirklichkeit Das Evangelium ist die Botschaft vom realen Heil gewirkt durch Christi Versöhnungswerk. Damit ist vor die Heilswirklichkeit ein explizit zur Annahme empfohlenes Heilswort getreten, vor die ontologische Komponente die soteriologische, an der vorbei nach christlicher Lehre es keine Heilswirklichkeit gibt. Die soteriologische Komponente ist die des Glaubens an das Versöhnungswerk des Gottessohns, die dem Menschen die Erkenntnis seiner Verderbt- und Verlorenheit, die Erkenntnis seiner Sünde und deren gerechten Folgen nicht erspart, die ihn aber um des stellvertretenden Werkes Christi willen gerecht spricht, so dass in dessen Auferstehung wir quasi mit auferstehen. Der Gotteslogos hat, so gesehen, neutestamentlich durch die Notwendigkeit des soteriologischen Elementes eine logisch/funktionale Zweiteilung erfahren, damit der Glaube das verlorene Heil aufs neue ergreifen kann. Der Heilswirklichkeit im Logos asarkos geht die Heilsbotschaft des Logos ensarkos als das soteriologische Element des Evangeliums voraus, um seinerseits in das ontologische zu münden, wodurch der Glaube erst komplett, das neue Sein konkret und praktisch erfahrbar wird. 184 Beide zusammen - Heilswort und wiedergebrachte Heilswirklichkeit - gehören in unauflösbarer symbiotischer Beziehung zum Evangelium als der guten Botschaft von einem in und durch Christus geheilten Sein. 185 Wir haben es gegenüber dem Urzustand demnach nicht mehr mit dem Vorzug einer im Konstruktionswort Gottes unmittelbar gesetzten

184 Der Glaube ist, wie Tillich dies - abstrakt, aber in der Sache richtig - darstellt, ein „Zustand des Ergriffenseins durch den göttlichen Geist", die Liebe der „Zustand des Hineingenommenseins in die transzendente Einheit" (ST 3, 41984, 160). Erlösung wird dementsprechend begriffen als „Annahme" des neuen Seins, als „Teilnahme" und „Umwandlung" (ebd., 189f.). 185 Wenn wir das Evangelium in diesem Sinne verstehen, können wir dem protestantischen Urbekenntnis zustimmen: „Das ,sola scriptura' steht für seinen Zentralinhalt: ,solo evangelio'"; Ernst Kinder, Was bedeutet „Wort Gottes" nach dem Verständnis der Reformation, 1966, 20. Gleichermaßen berechtigt scheint uns aber der hier favorisierte Ansatz, das Evangelium im Sinne der Rechtfertigungsbotschaft nicht als das Iota zu fassen, sondern als Eingang in das Reich Gottes als dem tatsächlichen Zentralinhalt der Schrift.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Heilswirklichkeit zu tun, sondern mit einer mittelbaren, über den „einen Mittler, Christus Jesus" (l.Tim.2,5). Die ontologische Komponente aber ist die unmittelbare Konsequenz, auf welche die soteriologische zielt und die nach der Aussage Jesu wie nach der Lehre der Apostel die soteriologische als authentisch ausweist. Der Glaube empfängt die Liebe Gottes und soll solche weitergeben, damit das Wesen Gottes sich „völlig" darstellt (l.Joh.4,12ff.). Darum sprechen wir vom Glauben als dem Eingang ins Reich Gottes, von der Liebe aber als dessen Substanz. Sie ist das Essentielle, dieweil die Komponente der Heiligkeit als ihr Pendant (Eph.4,24; Phil.1,10; l.Thess.3,13; l.Pt.l,15f.) die adäquate Differenz zur gottfeindlichen Umgebung bedeutet und so das neue Sein auch in seiner Form vervollständigt. Die Zeit des Neuen Testamentes ist somit prinzipiell nichts anderes als die Zeit der Wiederherstellung der originalen Verhältnisse, jetzt freilich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Satan der „Fürst dieser Welt" (Joh.14,30) geworden und eine nur schrittweise Rekapitulation möglich ist, weil Gott die Freiheit des Menschen, der seine neuen Umstände durchaus lieb zu gewinnen imstande ist (2.Tim.4,10), nicht ausschaltet, sondern werbend mit dem Menschen verfährt, so dass zunächst nur ein Schöpfungsteil sich dafür entscheidet, sich aus seinem faktischen Unheil herausretten zu lassen (s. 1.Kor.15,23-28). Das Heil ist im Zeitalter der Gemeinde ein ausschnitthaftes angesichts des verbleibenden Unglaubens in diesem Äon (Mt.24,5ff; Lk.18,8). Gott aber zielt aller Verfinsterung zum Trotz auf die soteriologisch-ontologische Seinseinheit gemäß dem Anfangszustand (vgl. Heb.8,8-11). Das neutestamentliche Werk Gottes entspricht ganz seinem uranfänglichen mit eben jenem gravierenden Unterschied, dass während der Anfangszeit intaktes Sein unmittelbar im Wort Gottes besteht, im Neuen Testament das Sein nun erst mittels kontextualisierter Gottesrede aus seinem unheilen Zustand herausbefreit wird. Im Bund des Neuen Testamentes wird ein Heilsruf einem in seinen Sünden ertrinkenden Sein noch einmal ultimativ zur Rettung offeriert. So sind Schöpfung und Neuschöpfung gleichermaßen das freilich zu differenzierende Werk der Agape Gottes. Die Liebe ist Anfang und - auf dem Wege der Vergebung Gottes - Neuanfang der Dinge. Wir müssen insofern strikt die soteriologisch-ontologische Einheit des Evangeliums fixieren, indem wir daran festhalten, dass das Evan-

Das ganze Evangelium

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gelium als sich erfüllendes Heilswort immer auch auf Heilsrealisierung drängt. Aus der Soteriologie folgt die neue - alte - Ontologie, das ontologische Neuschöpfungswerk Gottes als die soteriologische Übereinstimmung des Seins mit dem Konstruktionswort. Die Schöpfungsontologie ist somit Grundlage für die Soteriologie,

die

Soteriologie

Grundlage für die Neu-Ontologie des Reiches Gottes. Als ontologische Heilswirklichkeit in seinem verbalen Heilswort wird die Gnade Gottes eine seinshaft fassbare, die so dem entspricht, was als „Liebe" konkrete Wirklichkeit werden will. In Christus bestehen darum Heilswort und Heilswirklichkeit als das originale Liebeswort Gottes - das soteriologische Vergebungswort des Evangeliums und seine originale Liebeswirklichkeit - die ontologische Vergebungswirklichkeit als Evangeliumskonsequenz. Beides sind die zwei Seiten des einen, universalen christlichen Wirklichkeitskonzepts. So ist das Sein des Neuen Bundes durch das Heilswort von Christus in Gottes Konstruktionswort - in Christus, seiner ontologischen Dimension nach - zurückgebrachtes Sein, das nun mithilfe von Gottes Instruktionswort, der Heiligen Schrift, seinen wiederhergestellten Status, seine Heilswirklichkeit als geschöpflicher, geistdominierter Organismus, bewahren und verteidigen soll - auch entgegen seinen den alten Denkgesetzen verhafteten frommen

Entstellungen

(l.Tim.4,1-3;

2.Tim.4,3-4)! Das ist die Wirklichkeit der Gemeinde, mit der das christliche Sein als ein korporatives, in seiner Integrität der Ehre Gottes dienliches, verbindlich interpretiert ist. Den „Erstling" den Schöpfer verherrlichender Seinskomplexität darzustellen (Jak.1,18) - das ist ihre Aufgabe, ist die wundersame Realität der Christuskorporation. „Die Wirklichkeit des Leibes Christi ist ... die Wirklichkeit der sich bereits realisierenden

neuen

Schöpfung." 1 8 6

Das

Wunder

des

christlich-

186 Ferdinand Hahn, Die Einheit der Kirche und Kirchengemeinschaft in neutestamentlicher Sicht (Gesammelte Aufsätze, 1986), 145. Dort wird weiter, mit Blick auf den lokalen Gebrauch der Dv XpioxD-Konstruktion, gesprochen von einer „von dem erhöhten Herrn ausgehende Wirklichkeit, die in die Geschichte hineinragt und Menschen bereits in ihrem irdischen Leben erfaßt". Als Ausdruck der göttlichen Liebe meint in diesem Sinne die Rede vom Leib Christi „eine den Menschen umhüllende Realität" (Peter Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, 21966, 212), wobei im Falle der Absenz der göttlichen Liebe uns diese Rede logischerweise eine theologisch so unsichere wie die entsprechende Erfahrung eine fremde ist. Vgl. Roloff, der die Vorstellung vom Leib Christi als eine in der eucharistischen Tischgemeinschaft sich

234

Die Agape als Grund des neuen Seins

gemeindlichen Seins besteht praktisch darin, dass, was natürlicherweise auseinanderstrebt, nun konstruktiv zusammenwirkt - zum Zeugnis für die genau nach der Möglichkeit solch konstruktiven Zusammenwirkens Ausschau haltenden Welt. Das Gemeindewerk Gottes ist somit das Erfüllungswerk Gottes und wird so für Israel und die Nationen wiederum zum Konfrontations- und Verheißungswerk. 187 4.1.3 Glaube und Liebe Durch Glauben geschieht die Wiederherstellung des Werkes Gottes in der ursprünglichen Heiligkeit und Liebe, - das Werk also als geistliche Einheit im Seinsgrundwort gegenüber weltlichem Egoismus und Konkurrenzkampf außerhalb desselben. Das pneumatisch-konkrete Zusammenwirken der Gläubigen - ekklesiale Leib-Ergänzung - ist die gelebte, ontische Zustimmung zum Verbalwort Gottes - des Evangeliums wie der Schrift. Ansonsten leben wir in Heuchelei, in unbewusstem oder gar bewusstem Widerspruch zum Agapewerk Gottes und ist unser Glaube nichtig (Jak.2,20.26). So ist die Einheit der Gläubigen konstitutiv für den Glauben, will doch der Glaube nichts anderes bewirken als Einheit unter Menschen aufgrund ihrer wiederhergestellten Einheit mit Gott. Die gemeindlich gelebte Einheit der Gläubigen identifiziert sie als Christen. Sie ist die Bestätigung der Wahrhaftigkeit ihres Gottesverhältnisses, denn sie ist dessen genuine Auswirkung. Sie realisiert das Sein seiner ursprünglichen, höchsten Anlage gemäß und darf darum nur verweigert werden, wo wir es mit Ungläubigen zu tun haben, wofür das Neue Testament eindeutige Vorgaben macht (l.Joh.4,2-3; 2,22f.). 188

manifestierende „weiterführende Konsequenz" des In-Christus-Seins

interpretiert, als

dessen „geschichtlich-leibhafte Wirklichkeit" (a.a.O., 100, 109); Pannenberg, ST 3, 1993, 120, 469-472. Zur Forschungsgeschichte bzgl. des Themas „Leib Christi" s. Matthias Walter, Gemeinde als Leib Christi, 2001, 8-37; sowie Heon-Wook Park, Die Kirche als Leib Christi bei Paulus, 1992, 4-48. 187 Z u m Selbstverständnis und der allgemeinen sozialgeschichtlichen Situation der neutestamentlichen Gemeinde s. Werner Georg Kümmel, Die Theologie des neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus - Paulus - Johannes, 1976, 112ff.; Ludger Schenke, Die Urgemeinde, 1990, 81ff.; Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 121-184; Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 1993, 87ff. 188 Vgl. die Glaubenskriterien bei Schlink, Ökumenische Dogmatik, 1983, 680.

Glaube und Liebe

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Das christliche Sein in Einheit besteht auf die Art auch als Einheit von Glaube und Liebe. Es besteht in einer Glaubenshaltung, die zur Liebe tatsächlich befähigt ist. Glaube ist Erkenntnis, die sich in der Liebe auswirkt (Gal.5,6),189 denn zur Erkenntnis der Liebe sind wir gerechtfertigt (Eph.3,19).190 Der Glaube ist die Konzentration des Menschen als Individuum auf das Gotteswort. Die Liebe aber ist die Konzentration des Menschen in Bezug seiner zwischenmenschlichen Verhältnisse auf das Gotteswort. In immanenter Anwendung und Ausprägung der Liebe ist der Glaube somit „gemeinschaftliche Existenz", 191 die ekklesia darum „die notwendige Lebensform des Glaubens selbst". 192 Ohne Glaube ist keine Liebe im christlichen Sinn möglich, denn die Liebe ist die Praxis des Kreuzes Christi, an das wir zu glauben aufgerufen sind. Ohne solche Liebe aber ist der Glaube nur fides informis. Biblische fiducia (πίστις) ist der Schritt in die Heilswirklichkeit,193 die Liebe ist das In-ihr-Drinstehen. Beides zusammen erst ist die rechte, komplette Situation vom Pneuma ergriffener Geschöpfe. Beides zusammen ist das Sein im Konstruktionswort Gottes. Beides zusammen ist „Christentum". In der Weise ist nun endgültig auch die Situation des Gesetzes als eine provisorische erkannt und endgültig abgetan. Das Gesetz war die formale Liebesforderung gegen Gott und den Nächsten. Das Evangelium ist die Erklärung der Wiederermöglichung des Liebesgebots, die durch den Glauben zur neuen Seins-Wirklichkeit des Menschen geworden ist.

189 Vgl. Emil Brunner, Dogmatik 3, 2 1964, 332. 190 Vgl. ebd., 260. 191 Ebd., 164. 192 Ebd., 35. 193 Mit Pöhlmann können wir ihn auch vor dem Hintergrund des auch oben Gesagten als „begründetes Wagnis" verstehen; s. Abriß der Dogmatik, 5 1990,113.

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4.1.4 Exkurs: Die Bedeutung des Instruktionswortes Gottes / Die Heilige Schrift 194 / Das Problem der Inspirationslehre 195 / Die Notwendigkeit materialer Bibeltreue Dass und wie Gott in der Vergangenheit geredet hat, dass und wie er dies zuletzt im Sohn getan hat, dass und wie Gottes Schöpfung in Bezug auf Gottes Reden Heil erfahren soll - das alles wissen wir aus den biblischen Schriften, die damit selbst ein Teil seines vielfachen Redens geworden sind. 196 Die Bibel beschreibt die Geschichte des Werkes Gottes, seiner Schöpfung im Blick auf ihren tragenden, bewahrenden und schließlich rettenden Seinsgrund. Sie beschreibt das Werk Gottes in seinem uranfänglichen, unversehrten Zustand, im Stadium seiner Abirrungen, seiner Wiederbringung, den Beginn der Neuschöpfung und ihrer Vollendung. Über all diese Stadien, Katastrophen und Wendungen der Reich-Gottes-Geschichte gibt die Bibel Auskunft. Indem sie das Reden Gottes und dessen jeweilige geschichtliche Funktionen und Wirkungen darstellt, ist sie sozusagen ein heilsgeschichtlich gegliedertes Kompendium der Gottesrede. Sie ist die Sammlung der Aussagen Gottes sein Werk betreffend. Darin, als Ur-Kunde, besteht die immense Bedeutung der Heiligen Schrift, aber auch die Gefahr ihres Missverständnisses. Das Werk Gottes kulminiert im Heilswirken Christi als dem ultimativen Wort Gottes. Auf Christus ruhen alle Verheißung und alle menschliche Hoffnung. Insofern vermittelt die Bibel das Heil und vermittelt doch selbst kein Heil. Wovon die Bibel handelt, was sie in heilsökonomischer Sukzession erschließt - ihr Inhalt - ist es, der nach genuin christlichem Glauben das Heil vollbringt. Die Bibel ist die von solchem Heil und dessen Wirkweise offenkundig inspirierte Erläuterung. Das Heil aber besteht in Christus selbst als dem Zentrum und beherrschen194 Zu deren Verständnis von der Zeit der alten Kirche bis zum Ausgang der Reformationszeit s. Heinrich Karpp, Schrift, Geist und Wort Gottes, 1992; für die Neuzeit Joachim Cochlovius und Peter Zimmermann, Evangelische Schriftauslegung, 1987. 195 Vgl. Karl Barth, KD 1/2, 557ff.; Paul Althaus, Die christliche Wahrheit, 51959, 180ff.; Emil Brunner, Dogmatik 1, "1972, 113-117; Wilfried Härle, Dogmatik, 1995, 117-139; Peter Stuhlmacher, Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik, 21986, 24-65. 196 Zu deren bleibendem Primat s. Emil Brunner, Dogmatik 1, 4 1972, 53-59 sowie die prägnanten Ausführungen von Paul Althaus in: Die christliche Wahrheit, 5 1959, 155.

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den Thema der Schrift und ist in seinem Wort-Charakter mit dieser nicht zu verwechseln. „Das" Christliche ist nicht die Bibel, sondern die Sache, die die Bibel thematisiert. Es ist das Reich Gottes - die Wirklichkeit des Christus - , über die wir in keiner Hinsicht im Unklaren belassen werden sollen. In diesem Sinn ist auch Gottes schriftliches Wort die selbstverständliche Dreingabe Gottes zu seinem Werk, Historie wie auch Handlungsanweisung seines Reiches, nicht aber dessen Eigentliches. Jesus selbst ist es, der hier glasklar den Unterschied und die korrekten Prioritäten benennt (Joh.5,39-40). Weil es Gott um sein Werk geht, das sich über weit mehr erstreckt als über die Bibelinspiration, er aber dieses Werk in einer für uns verbindlichen Weise in der Bibel reflektiert und plausibilisiert, gilt der Grundsatz, dass die Bibel nur vom Werk Gottes her recht verstanden und nur in Bezug auf Gottes Werk recht angewandt wird. Damit haben wir bereits ein wesentliches Merkmal christlichen Schriftverständnisses erfasst. Die Bibel ist nicht wie die heiligen Schriften anderer Religionen ein Katalog unmittelbarer geistlicher Akte, die der Mensch quasi unabhängig vom Stand des Reiches Gottes zu vollziehen hätte, um so seine Seligkeit sicherzustellen. Gerade der Teil der Bibel, der am ehesten so zu verstehen gewesen ist, gilt dem Christen ja als im Wesentlichen erfüllt. Sie ist bezogen auf Gottes ontologisches Anliegen. Diejenigen alt- wie neutestamentlichen Passagen, die als direkte Handlungsanweisungen an den Menschen galten und gelten, die Sprüche beispielsweise, die Haustafeln u.ä., werden ebenfalls in ihrer Tiefe erst recht begreiflich und einsichtig, wenn wir wahrnehmen, um wes willen sie gegeben sind, was an Reich-Gottes-Realität bei ihrer Befolgung oder Missachtung auf dem Spiel steht. Gottes Direktiven dienen in jedem Fall der Authentizität und Integrität seines Reiches. Im Maße, wie auch wir uns dasselbige zur Herzensangelegenheit machen, handeln und theologisieren wir im Sinne der Schrift. Lösen wir aber die Bibel ab von ihrem sachlichen Anliegen oder erwecken den Eindruck, dieses sei ein Sekundäres, das sich auf dem Wege ihrer formellen Autorisierung von selbst ergebe, verkennen wir die prophetisch-instruktive Funktion der Bibel und führen die unter ihrem Wort versammelte Gemeinde in die Irre. Wird die Schrift selbst als Heilsgut begriffen, hat jene den Schritt zurück zu einer Spielart alttestamentarischer Gesetzesreligiosität getan. An das Heilsgut wird dann nicht mehr um seiner

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Selbstevidenz willen geglaubt, sondern weil die Schrift es verkündet. Es ist so im Grunde austauschbar geworden. Im Extremfall dieses Missverständnisses bewegen wir uns durch ihren bibliomantischen Missbrauch zurück ins Stadium einer Fetisch-Frömmigkeit und sind als Reiches-Gottes-Arbeiter unbrauchbar, ja diesem sogar hinderlich. Eine Inspirationslehre in diesem Sinn, die das Heil an die göttliche Qualität eines Buches knüpft, ist eine Setzung der unkritischen Vernunft, die der Destruktion der Schrift seitens der kritischen Vernunft begegnen möchte, die aber gerade wie jene Vernunftgründe über Offenbarungsgründe stellt. Sie übersieht neben der theologischen Unmöglichkeit ihrer Position auch den geistlichen Sinn dieser Aporie, dass nämlich die Schrift, gerade indem sie nicht weniger schutzlos sich dieser Welt aussetzt als ihr Herr, ihrer pneumatischen Konstitution gerecht wird. Die biblisch-neutestamentlich fixierten Schriften haben hingegen neben anderen (2.Tim.3,16-17) diejenige zentrale Funktion, nicht sich selbst, sondern das pneumatische Geschehen gegen die Einflüsterung des Feindes in Schutz zu nehmen (Mt.4,1-11). Das seinsbeschirmende Wort dient diesem Geschehen, das es selbst in verschiedenen, in Christus gipfelnden Varianten als das seinsbegründende vorstellt. In der Abgrenzung von Gottes auf die Vollendung seiner Vorsätze zielenden dynamischen Werk können wir von der Bibel auch als einem in sich abgeschlossenen Produkt Gottes sprechen. Werk Gottes ist die Bibel in diesem Sinne nicht, da dieses mehr meint. Gottes Werk ist Gottes Schöpfung in Gottes Sinne existierend - existierend als ein lebendiger Lobpreis, nicht auf den Tod hin vegetierend. Die Bibel erläutert das Werk Gottes, offenbart es im noetischen Sinne. Sie erklärt dem Menschen seinen Stand innerhalb bzw. auch außerhalb des Werkes Gottes, informiert ihn über die Vorgehensweise Gottes, die künftige wie auch die vergangene, und lädt ihn ein, am Werk Gottes maximal zu partizipieren. Sie appelliert an die Einsichtsfähigkeit des Menschen, sich dem jeweiligen Gotteswirken entsprechend positiv gegenüber zu verhalten. So ist die Bibel geistliche und dabei selbstverständlich menschliche Reflexion des Seins im Konstruktionswort. Sie reflektiert beide Teile des Konstruktionswortes, das Heilswort des Evangeliums und die Heilswirklichkeit der Gemeinde, und weist den Menschen entsprechend an. Entscheidend ist auch hier wieder zu sehen, dass diese paränetischen biblischen Weisungen auf die biblische Sache, das

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biblische Subjekt bezogen sind, das die protestantische Kirche richtigerweise in der Christusthematik erblickt hat. Nur in der schriftgemäßen Anwendung von diesem Subjekt her und auf dieses Subjekt hin ist eine Schriftpraxis eine christliche. Er ist in Person das Konstruktionswort Gottes, der ganze Christus einschließlich seiner pneumatischekklesialen Gestalt. Das instruktive Wort Gottes soll in ihm die soteriologisch-ontologische Begründung des Seins garantieren. Von daher erweist sich Schrifttreue immer als Werktreue, die freilich auch Folge legitimer Liebe zum „Produkt" der göttlichen Weisheit ist, nicht aber deren Automatismus. Einen genuin christlichen Schriftgebrauch einzuüben, ist angesichts unserer natürlichen Bequemheit eine beständige Herausforderung - materiale Schrifttreue zu praktizieren anstelle ontologisch harmloser formaler „Treue" bzw. dem kaum aufregenderen Wagnis rationalistischer Untreue. Dass außerhalb des Glaubens der Mensch der Bibel ungläubig gegenüber steht, ist dabei ein begreifliches Faktum, dem nicht eine Inspirationslehre, sondern nur der Herr selbst abhelfen kann. Insofern ist die hermeneutische Diskussion eine vorchristliche, eine apologetische bestenfalls. Hermeneutische Bibeltreue ist die normale christliche Ausgangsposition, den Berufenen eine Selbstverständlichkeit wie für Jesus, wie Bibelkritik nichtchristliche Normalität ist. Die Bibel ist ein Glaubensbuch - bezogen auf Gnade Gottes. Zum Werk Gottes gehört die Ergreifung und Neuschaffung des Menschen in Christus. Vom Werk Gottes her die Schrift studieren heißt darum, dieses als ein von Christus Ergriffener zu tun, um dann auch unter der Leitung des Geistes zu bemerken, dass, wie Jesus selbst dies gelehrt hat (Joh.5,39), die Schrift Christus nach seiner ganzen theologischen Fülle hin produziert, dass sie, wie Luther es gesagt hat, „Christum treibet", den ganzen Christus allerdings, von dem aus der reformatorische noch wird angefragt werden müssen. Von dessen Erkenntnis wiederum auch den gegenwärtigen, über mich als Einzelperson hinausgehenden Umfang des Werkes Gottes erkennend, schlägt christliche Exegese sich in der selbstverständlichen Bemühung um die Förderung des Werkes Gottes nieder, um die besondere Praxis derjenigen Aspekte, die im Spektrum des heilsgeschichtlichen Gesamtwerkes Gottes gerade jetzt aktuell sind. Ohne ihre konkrete Heilswirklichkeit wäre die Bibel nur

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ein religionsgeschichtliches Dokument. Gibt es diese Heilswirklichkeit aber, gibt es für die Richtigkeit der Bibel als Offenbarungswort den stärksten Beweis, den es nur für irgendeine Sache geben kann. Die Glaubwürdigkeit der Schrift ist also schlicht und einfach abhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, vom Wahrheitsgehalt ihrer Zentralthematik. Als Folge deren ungenügender Erfahrung entwickelt der Bibelformalismus auch seine destruktive Variante. 197 Die Bibel wird als das Reflexionswort hinsichtlich des Werkes Gottes in dem Moment, wo ihr Inhalt sich des Menschen bemächtigt, diesem zum verbindlichen Instruktionswort, er selbst damit zum „Mitarbeiter Gottes" (l.Kor.3,9). Der Hinweisglaube gehört zur rechten Stellung Gott gegenüber wie der Hinweisunglaube zur verkehrten Stellung. „Natürlicher" Hinweisglaube ist gegeben im Maße der Betroffenheit vom Werk Gottes (Joh.8,47). Darin besteht die prinzipielle Unausweichlichkeit des hermeneutischen Zirkels, den freilich der Heilige Geist selbst jederzeit aufbrechen kann, um auch mit dem Schriftwort Ungläubige zu „überführen" (2.Tim.3,16) - hinsichtlich ihres Unglaubens in der Regel, um ihnen dann auch die Weisheit aller übrigen Ratschlüsse Gottes zu offenbaren. Insofern wird die Bibel als, wenn man so will, unverkündigtes Evangelium selbst wirksam. Indem der Mensch aber auf die Verkündigung des Heilsworts mit Glauben antwortet, ist er in das Konstruktionswort hineinversetzt, hat Heilswirklichkeit erlangt. Ewiges Heil hat er und schon jetzt zeitliches Wohl im Verbund mit seinen Geschwistern, die ebenfalls auf das Evangelium mit Glauben geantwortet haben und im Gehorsam dem Heilswort wie dem Instruktionswort gegenüber die Integrität und Einheit ihres neuen Lebens bewahren. So kommt zu Christus als dem Gekreuzigten der Christus pneumatikos, zur soteriologischen Komponente des Evangeliums die ontologische als die Wirklichkeit des Heiligen Geistes, des, nachdem Christus zur Rechten des Vaters sitzt, nach eindeutiger biblischer Aussage, der Evangelien wie der Briefe, einzig legitimen Stellvertreters, des „Beistandes". Der will, soll und kann uns „in alle Wahrheit leiten" (Joh.14,15.26; 16,7.13). Auf diesem Weg wird den Gläubigen die Wirk-

197 S. dazu auch unseren Exkurs: Der Streit um die Bibel.

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lichkeit des totus Christus als der vollständigen Aktion Gottes erfahrbar und dessen Zeugnis zum Wort Gottes für die Welt. In diesem Sinne verstehen wir die Bibel als Gottes Offenbarung, als Kundgabe seines Werkes. Das Instruktionswort kann sogar, anders als das Konstruktionswort, als eigentliche „Offenbarung" im Sinne von Enthüllung des geschehenen Heils begriffen werden, denn es bewahrt nicht nur die Heilswirklichkeit, es enthüllt sie uns auch. Es verweist uns vorwärts und rückwärts auf sie, steht also gewissermaßen am Anfang und am Ende der Heilswirklichkeit. Es umrahmt diese, wobei zwischen die biblische Information und den Beginn der Heilswirklichkeit die Verkündigung des Evangeliums tritt, die in Übereinstimmung mit dem Instruktionswort den Glauben als den Eingang in die Heilswirklichkeit evoziert. Auf die Wirklichkeit des Werkes selbst aber kommt alles an, auf die vertikale und horizontale Integrität des Seins, um dessentwillen Gott schon immer auf sich aufmerksam gemacht hat. Dem dient das biblische Wort und dem hat auch das theologische zu dienen. Von hier aus sollte spätestens die Sinnhaltigkeit der Differenzierung zwischen den - in ihrer Begrifflichkeit vielleicht fremd anmutenden Sachverhalten Instruktionswort und Konstruktionswort, zwischen im weitesten Sinne ρήμα und dem „eigentlichen" λόγος Gottes einleuchten. Die Bibel ist „Wort" im Sinne unseres üblichen Verständnisses, während im Seinsgrundwort die Dynamis Gottes selbst zum Ausdruck kommt. Beides Wort dient der Sache, um die es Gott geht, dem Heil des Seins in seinem göttlichen Sinn, seiner göttlichen Struktur. Während das eine davon spricht, ist das andere diese Struktur selbst: Gottes Liebe als fundamentalontologische Grundstruktur. Was wir folglich in Bezug auf die Schrift benötigen, ist der rechte Blickwinkel auf ihren überragenden ontologischen Inhalt, abseits ihrer formalen Divinisierung einerseits und ihrer formalen und dann auch inhaltlichen Destruktion andererseits, abseits heteronomer Bibliolaterie und autonomistischer Schriftkritik. Wir brauchen materiale Schrifttreue! Diese kann nur bedeuten die Kontinuität des Wesens Gottes seine Heiligkeit und seine Liebe - biblisch korrekt festzustellen und konsequent umzusetzen, sein fleischgewordenes Wort geistlich zu transportieren. Ein solches Unterfangen kann, wie wir gesehen haben,

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unmöglich das Anliegen der Una Sancta peripher behandeln, sondern muss dieses auf der Agenda ganz oben belassen, um es mit der biblischen Vorgabe in Einklang mit allem Nachdruck zu verfolgen. In dezisionistischer Weise von der eigenen dogmatischen Tradition aus die eigene Kongregation mit den göttlichen Charakteristika zu identifizieren, ist dabei ebenso unangebracht wie ein prinzipieller Pessimismus hinsichtlich der Eindeutigkeit und Klarheit einer solchen Vorgabe.198 Materiale ekklesiologische Bibeltreue wird beim Blick auf das eigene Haus dessen Relativität einsehen und beim Blick in die Schrift die strukturelle Identität der biblischen Gemeinde mit der Seinswahrheit Christi. Sie wird anerkennen, dass die paulinischen Gemeinden im Sinne des biblischen Heiligkeitsbegriffs als gemeindliche Sozialität herausgelöst sind aus den säkularen Strukturen. 199 Und sie wird anerkennen, dass die Gemeinde des Neuen Testamentes trotz aller Streitigkeiten kraft der Agape Gottes ein durchweg ungespaltenes Phänomen ist, eine leibliche Einheit, in der praktizierte Vergebung ein Auseinanderbrechen verhindert. 200 Gerade das zweite wird von Paulus einge-

198 Aus der Vielzahl der neutestamentlich belegten Konflikte auf eine Vielzahl paralleler ekklesiologischer Konzeptionen zu schließen, erscheint uns eine überzogene Schlussfolgerung, die bedauerlicherweise Usus ist seit Ernst Käsemanns einschlägigem Statement: „Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?" in: Exegetische Versuche und Besinnungen Bd. 1, 1964, 214-223; vgl. dort auch „Einheit und Vielfalt in der neutestamentlichen Lehre von der Kirche" (Bd. 2, 262-267). 199 ...was von vornherein das Modell „Volkskirche" in einem fragwürdigen Licht erscheinen lässt, das allerdings noch immer merkwürdig unhinterfragt erscheint. Sollte das hohe Maß an theologischer Nachsicht ihr gegenüber damit zu tun haben, dass die Herren Professoren in aller Regel hier beheimatet sind? Dass, wie etwa Brunner oder Kraus (a.a.O.) meinten, auf die Kirche als Ermöglichungsgrund der ekklesia zu hoffen sei, darf allmählich wohl bezweifelt werden. 200 Vgl. Hans Jörg Urban; Harald Wagner (Hg.), Handbuch der Ökumenik, 1985, 51-86, wo zu Recht nur die Rede von der „bedrohten" Einheit ist (76), die gerne verwechselt wird mit einem erst durch Spaltung vollzogenen Bruch der Einheit. S. auch Ferdinand Hahn, der hinsichtlich der frühen Kirche feststellt: „Aber selbst bei außerordentlich großen Spannungen brauchte die Kircheneinheit nicht zu zerbrechen." Die Einheit der Kirche und Kirchengemeinschaft in neutestamentlicher Sicht (Gesammelte Aufsätze, 1986), 116. Zur „Milderung konkreter Spannungen in den Gemeinden" vgl. Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 135-148. Wir sehen daher keinen Anlass in das abgenutzte Horn zu stoßen vom „historisch illusionären Charakter einer Sicht von Vergangenheit, welche Einheit als historisch bestehend gewesen behauptet" (Tobias Brandner, Einheit - gegeben - verloren - erstrebt, 1996,

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schärft mit dem Hinweis darauf, dass hier die Wirklichkeit des Christus auf dem Spiel steht (l.Kor.l, 10-13; Rö.15,5; Phil.2,1-2).201 Auf diese Weise wird die Gemeinde insgesamt, bei aller fleischlichen Unvollkommenheit des Einzelnen, nach außen ihrer Reich-Gottes-Bedeutung gerecht, der originalen Bezeugungsaufgabe ihres Herrn, während sie nach innen die Grundlage geistlicher Komplexität erhält - geistlicher Vollgestaltigkeit, zu der die individuelle geistliche Begabung eines jeden Einzelnen, der Einzelne somit als ein geistlicher Baustein beiträgt und so seine persönliche Sinnstiftung erfährt.202

4.2 Das ontologische Element des Evangeliums als unmittelbare Konsequenz des soteriologischen 4.2.1 Das Christliche als Vergebungsempfang und Vergebungsweitergabe / Christ-Sein als intaktes Gottes- und Geschwisterverhältnis / Das christliche Sein als Sein in Einheit Im Blick auf das Evangelium haben wir nun zu komplettieren, was von der Agape und ihrem Kernelement bereits gesagt wurde. Des Menschen Teil und hohe Berufung ist es, die Liebe Gottes zu ergreifen und mittels ihrer Weitergabe auch in ihr zu bleiben, so, dass wir von ihr dem Bilde Christi gemäß umgestaltet werden (Rö.8,29). Die Liebe drängt zum Zeugnis (2.Kor.5,14), vervollkommnet Glauben und gute Werke (1.Kor.13,1-3). Sie kennzeichnet geradezu die Nachfolge bis hin zur Lebenshingabe (Joh.21,18f.; Mt.20,23; Mk.10,39; Eph.5,2; l.Joh.3,16). So ist christologisch das Kernelement materialer Bibeltreue erfasst, das gewiss das allerschwierigste ist: Vergebung zu praktizieren, wie der Herr uns vergeben hat. Wie es durchaus nichts Selbstverständliches 153), sondern meinen vielmehr umgekehrt, dass die Kraft Gottes heute keine geringeren Möglichkeiten hat als zur damaligen Zeit. 201 Dass es sich hierbei nicht um eine rhetorische Frage handelt, sondern um die der „Kirche als Christuswirklichkeit", wird sehr schön aufgezeigt von Christian Link, Ulrich Luz, Lukas Vischer in: Sie aber hielten fest an der Gemeinschaft... Einheit der Kirche als Prozeß im Neuen Testament und heute, 1988, 98-116. 202 Nach der neutestamentlichen Sichtweise ist bei maximaler Vereinigungstendenz dennoch vollständig nicht nur die Wahrung der personhaften Individualität, sondern deren optimale Entfaltung garantiert als unverwechselbare und in ihrer Eigenheit unverzichtbare Glieder des einen „Leibes" (l.Kor.12-14; Eph.4).

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ist, dass der sündhafte Mensch im Glauben die Liebe Gottes wieder empfängt, so ist es auch keinesfalls selbstverständlich, dass er diese Liebe, namentlich die empfangene Vergebung, an seinesgleichen weitergibt. Gerade die theologisch wie praktisch unlösbare Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe aber ist beileibe kein Manko, sondern Zeichen der pneumatischen Einzigartigkeit der neutestamentlichen Botschaft. Jesus selbst ist es, der in seiner Lehre wie in seiner ganzen Daseinspraxis die Gottesliebe als Liebe zu seinen hilflosen Geschöpfen ausgelegt und vorexerziert hat, damit auch zu uns. An dieser Liebe partizipieren heißt darum, an sein Versöhnungswirken glauben und dementsprechend Gott und den Nächsten so zu lieben, wie Gott uns geliebt hat. Das ist die unmittelbare ontologische Konsequenz der soteriologischen Evangeliumspartie, an welche die geistliche Integrität unseres Seins geknüpft ist (vgl. etwa l.Joh.3,10f.; l.Joh.4,7f.; 2.Pt.l,7; Off.2,4).203 Die von der Liebe Gottes geprägte Neuschöpfung soll die empfangene Vergebung untereinander weiter praktizieren, soll sie ausleben, so dass sie zum spezifischen Grundtenor der christlichen Sozialität wird. Wie im soteriologischen Bereich ist es damit auch im ontologischen real praktizierte Vergebung, die den Kern der Agape bildet und damit im Bereich des Zwischenmenschlichen als ihrem ultimativen Zielpunkt das Sein auf eine Ebene hebt, auf die es nach menschlichem Ermessen und Vermögen nicht gelangen kann. Das Soteriologische erreicht sein ontologisches Ziel erst in der daraus resultierenden Einheit der Gläubigen unter dem Kreuz. In jener höchstmöglichen Form von Einheit soll die ekklesia existieren, eine Einheit, die in keinem Falle zerbricht. Denn solche Einheit der Gemeinde als Zeugnis funktionierender Schöpfungskomplexität ist die eigentliche Aufgabe der Liebe und, wo sie auf dem Weg der durch Christus ermöglichten Vergebung gesucht wird, auch deren Ergebnis. „Die unbedingte Gemeinschaft ist die Verbundenheit durch das, was das Neue Testament ,Liebe' heißt." 204 In ihr sind wir berufen, einander nicht minder zu ertragen, als der Herr uns ertragen hat und täglich erträgt, um so ihn selbst als die wahrhafte Macht des Seins zum Zuge kommen zu lassen. Das zählt zu den syste-

203 Vgl. zum Verhältnis von Gottes- und Nächstenliebe Wolfgang Schräge, Ethik des Neuen Testaments, 1982, 82-86. 204 Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 51985, 295.

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matischen Hauptaussagen des Kolosser- (3,13f.) und insbesondere des Epheserbriefs (4,2f.), wo die Einheit der Glaubenden als Abbild der Liebe Christi zur ekklesia vorgestellt wird sowie als Konkretion der Nächstenliebe (5,28). Solche Einheit, die auch Lehrstreitigkeiten auszuhalten vermag, ist Ausweis der Wirkmächtigkeit der Gottesliebe. Dass solche Liebe möglich ist, ist Gottes Wahrheit. Erst mit dieser hat das Evangelium seine Vollgestalt und damit seine missionarische Zeugniskraft für das Weltübrige angenommen. So sagt es uns nicht nur Paulus, so sagt es Johannes und so intendieren es die übrigen neutestamentlichen Autoren. „Das Wesen der Kirche ist Einheit und impliziert insofern das göttliche Heil. Dementsprechend muß auch die irdische Gestalt der Kirche durch Einheit und Versöhnung geprägt sein und eine Gemeinschaft darstellen, die alles Trennende überwindet. So allein wird dann auch der Kosmos einbezogen und vom göttlichen Heil durchdrungen werden." 205 4.2.2 Die christliche Horizontale als Vervollständigung vertikaler Seinsintegrität / Das Wohl des Menschen / Die Agape als Heilssubstanz Der vertikale Einschlag der Liebe Gottes zielt so auf seine unmittelbare Verbreitung, vorstellbar wie die konzentrische Wellenbewegung auf einer Wasserfläche, die von einem Stein getroffen wird. In der Liebe Gottes vollzieht sich die Ausgestaltung seines Willens in vertikaler und horizontaler Einheit als die pneumatische Charakteristik des GanzSeins.206 Diese Liebe ist darum, wenngleich respondierend auf das Streben des Eros bezogen, doch von weit über diesen hinausgreifender 205 Ferdinand Hahn, Die Einheit der Kirche und Kirchengemeinschaft in neutestamentlicher Sicht (Gesammelte Aufsätze, 1986), 155. 206 Das Problem war in der Vergangenheit häufig gewesen, keiner eindimensionalen Identifikation der Gottesliebe mit dem vertikalen oder dem zwischenmenschlichen Geschehen zu unterliegen, sondern der vollendeten biblischen Balance gerecht zu werden. Ohne Frage ist die Horizontale nur aus der Vertikalen heraus zu entwickeln biblisch gerechtfertigt. Ohne Frage aber darf sie auch unter keinen Umständen gering geschätzt oder gar vollständig unter den Tisch gekehrt werden. Liegt das Augenmerk einseitig auf der Vertikalen, verbleibt die christliche Botschaft theoretisch oder wird mystisch. Vergisst die horizontale Bemühung ihre vertikale Prämisse, wird sie gesetzlich und das Zwischenmenschliche gerät zur Uberforderung. Nur unter Einbeziehung der horizontalen Ausprägung ist auch die vertikale glaubhaft und gelangen beide zu ihrer evangeliumsgerechten Vollausreifung.

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Wirkkraft, indem sie gerade realisiert, was die Kompetenzen des Eros übersteigt. 207 Der Eros ist die „Sehnsucht nach dem ganz Andern" (Horkheimer). Die Agape ist dieses ganz Andere. Die Liebe hat das Heil Gottes veranlasst, und in der ungetrübten Fortwirkung dieser Liebe wird dieses Heil auch zum schon jetzt erfahrbaren „Wohl" nicht nur des Menschen, sondern der gesamten Schöpfung. So besteht das Christliche als vertikales Heil und horizontales Wohl. Dieses Wohl bedeutet nichts anderes, als dass mit der Wiederherstellung harmonischer Interaktion das Sein zu sich selbst kommt - die Einheit des Geschöpflichen in der Gemeinschaft der Glaubenden, vermittels der Liebe. Damit soll in, mit und als deren neues Sein das Wunder vollständiger Kooperation verwirklicht werden ohne jeden Zwang, ohne jede Nötigung zum Verzicht auf die Freiheit persönlicher Entfaltung. Liebe ist die „Einheit freier Personen, bei der keine Trennung mehr übrig bleibt". 208 Sie ist in gewissem Sinne, wie Hegel meint, die Überwindung des Unterschieds. 209 Des Unterschieds nämlich, der die Geschöpfe natürlicherweise auf das Niveau des gewaltsamen Austragens ihrer Differenzen hinabzieht mit dem regelmäßigen - in Gottes Sicht unrechtmäßigen - Ergebnis der Herrschaft des Stärkeren (s. 1.Kor.12,22-25). Die Unterschiede bewahren und sie trotzdem in einer höheren, allgenügenden Einheit aufheben, das ist die Kunst des Heiligen Geistes und seiner Hauptfrucht, der Agape. Sie ist darum das „Eigentliche" des christlichen Heils, dessen Substanz - nicht ein hohes, optionales Gut der christlichen Seinsweise, sie ist die - unverzichtbare - Sache selbst. Sie ist das Gesuchte, das geeignet ist, tatsächlich innersten Seins-Zusammenhalt zu gewährleisten, insbesondere in Anwendung ihrer göttlichen Kernqualität, der Vergebung des Sohnes Gottes. 4.2.3 Vergebung als nota ecclesiae / Einheit als praktizierte Vergebung / Der Weg zur Einheit Selbst die gravierendsten Seinsdifferenzen aufzuheben, steht in der Macht und ist Sinn und Zweck der göttlichen Vergebung. Wie im Zen207 In diesem Sinne verlangt insbesondere eine säkularisierte Geschichtserfahrung die „nicht-religiöse Interpretation" (Bonhoeffer) der christlichen Botschaft. 208 Regin Prenter, Der Gott, der Liebe ist, 1971, 406; vgl. Tillich, a.a.O. 209 S. Frühe Schriften, Werke, 126.

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trum des Reiches Gottes die Liebe steht, so wiederum in deren Zentrum die Vergebung als das eigentlich Wundersame, das Gott dem alten, schuldigen Sein hat zukommen lassen, so dass dieses seine unauslöschliche - ontologische - Bejahung und damit, befreit von aller Verkrümmung und Verfremdung, die Wiedergeburt all seiner geschöpflichen Perspektiven erlebt. „Die erste Gabe der Liebe Gottes ist die Vergebung. ... Das Kommen des Reiches Gottes ist das Eintreffen des universalen Gnadenerlasses der Vergebung. Es wird ein ganz neuer, unvergleichlicher Anfang gesetzt. ... Eine neue Einstellung und Richtung ist aufgerufen; sie steht der herrschenden Auffassung von der Position und Intention menschlichen Lebens diametral entgegen." 210 Auf dem Weg der christlichen Vergebungspraxis wird als Hauptausdruck der christlichen Agape die Kernstruktur pneumatischekklesialer Christuswirklichkeit gewahrt und mit dieser die biblische Würde und Bedeutung der Gemeinde. Darum ist das Prinzip der Vergebung das ekklesiale Prinzip schlechthin, das eigentliche nota ecclesiae. Das Christliche ist Vergebungsempfang plus Vergebungsweitergabe. Das eine existiert nicht wirklich ohne das andere, wobei letztendlich unerheblich ist, ob im Falle verweigerter Vergebungsweitergabe der Vergebungsempfang dem Spott ausgeliefert wird oder gar nicht in echter, tiefgreifender Weise geschehen ist. Ohne die Praxis der Vergebung als Konsequenz der Vergebungserfahrung ist diese sozusagen ungültig. Freilich gilt auch das Umgekehrte, dass Vergebungsweitergabe ohne vorherigen Vergebungsempfang mehr oberflächliche Nachsicht denn Vergebung darstellt, die den Ernst der Sünde und die Intensität der Befreiung von solcher selbst nicht oder nur unzureichend kennengelernt hat. Wer vergibt, ohne vergeben bekommen zu haben, weiß nicht wirklich, wovon er spricht, und mit zunehmendem Maß der Schuld, mit zunehmendem Maß der Verletzung wird solches Vorgehen auch zunehmend eine psychologische Unmöglichkeit. Beides zusammen aber - Vergebungsempfang und Vergebungsweitergabe - ist diejenige Realität der Liebe Gottes, die aufbrechen, heilen und Neues bauen kann, wo kein menschliches Vermögen mehr weiterhilft, wo solches vielleicht nicht einmal imstande ist, den Trümmern des eigenen Tuns ins Auge zu blicken.

210 Hans-Joachim Kraus, ST, 1983, 24f.

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Wie aber die Vergebung Jesu uns am Beginn und freilich auch während unseres Glaubenslebens zu echter Existenz befähigt hat und stets aufs neue befähigt, so vollbringt sie am Ende auch neue pneumatische Sozialstrukturen, das Wunder einer neu beginnenden, geistdominierten Welt inmitten der alten mit ihren so schwerfälligen, allzu menschlichen Mechanismen. 2 1 1 In der Weise geschieht die eigentliche „Entmystifizierung" des Christlichen, die erst auf der Ebene erneuerter Gemeinschaft den Beweis liefert für die tatsächliche Durchschlagskraft des Evangeliums, das nun nicht mehr nur in frommen Einzelgemütern bewegt wird, sondern offenbart, dass das Wort „lebendig und wirksam ist, schärfer als jedes zweischneidige Schwert und hindurchdringt bis zur Scheidung von Gedanken und M a r k " (Heb.4,12). 4.2.4 Der Geist So ist das Christuswort die zentrale Manifestation der Liebe Gottes in personam, aber auch über seine eigene irdische Gestalt hinaus, nämlich in der des von ihm gesandten Heiligen Geistes. Dass dessen Präsenz eine im engeren Sinn des Wortes nicht-personale ist, liegt auf der Hand und wird gestützt durch das Geistverständnis des Alten Testamentes. 2 1 2 Dem neutestamentlichen Zeugnis gemäß manifestiert sich das Pneuma in seinen Charismen, seinen „Gaben" (l.Kor.12-14; Eph.4,1-16). Mit diesen, als den unter den Gläubigen zum Aufbau des Leibes verteilten, ist aber die ekklesiologische Dimension der Gotteslehre angezeigt. Die Gemeinde ist bestimmt zur Teilhabe am Wesen Gottes selbst. Darum heißen wir „Söhne Gottes" (2.Kor.6,18; Joh.1,12). Geworden aber sind wir solche nicht anders, als durch die Kraft des Evangeliums, das uns „hineinversetzt hat ins Reich seines lieben Sohnes" (Kol.1,13). Solchermaßen ereignet sich der definitive, pneumatische ReichGottes-Anbruch in Gestalt agapeisch-ekklesialer Christuspräsenz. Die Welt, in der die Liebe Gottes zurückgebracht ist, ist die Welt der Glaubenden. Ihr Sein ist in gemeinschaftlicher Hinsicht aber gerade nicht „ W e l t " in deren charakteristischem Sinn. Sie ist geoffenbarte Neuwelt 211 S. ebd., 494, wo von der ekklesia als „Anfang und Gegenwart der neuen Schöpfung" die Rede ist. 212 S. dazu Ives Congar, Der Heilige Geist, 1982, 19-29; sowie Eduard Schweizer, Heiliger Geist, 1978, 20-66.

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für die alte, in ihren selbstzerstörerischen Denkweisen befangene, darum vergehende. In seiner strukturellen Andersartigkeit ist das neue Sein mit den gängigen weltlichen Bestrebungen inkompatibel. Es ist Gegenwelt, nicht um „gegen" die Welt zu sein, sondern um ihr ihren Lösungsweg aufzuzeigen, den Ausgang aus selbstverschuldeter Sinnleere und Orientierungslosigkeit. Darin besteht der „Wandel im Geist", durch welchen die Gläubigen die heilsschaffende Kraft und Weisheit Gottes auch ethisch unterstreichen und menschlichem Gutdünken zeitlos kontrastieren (s. Gal.5,16-26). Die geistlich-seinsordnende Funktion der neuen, kleinen, äußerlich so einflussarmen Welt ist umso dringender erforderlich, als heute die geistlose Realität der Herrschenden mit ihren Verkündern von Vitalität und Faltenlosigkeit in Wahrheit ihre abgrundtiefe innere Ohnmacht offenbart.213 213 In Kennzeichnung der postmodernen Wirklichkeit bilden sich aktuell deren individualistischer sowie impressiver Charakterzug mit scheinbar unwiderstehlicher Vehemenz aus, die sachlich ebenso korrespondieren wie Liebe und Heiligkeit als die Merkmale geistlicher Sozietät. Die durch den wertepluralistischen und informationstechnologischen Prozess angeheizte Kopf- und Reizlastigkeit der Gegenwart benötigt das sich vor allem seiner selbst bewusste Individuum als den strapazierfähigen Träger vibrierender Schnelllebigkeit. Der reibungslos funktionierende Mensch ist in dem Maße gefragt, wie er nicht länger selbst den Taktstock schwingt, sondern die Dynamik von Märkten und Modeerscheinungen darüber befindet, wer im Orchester weiter mitspielen darf. Durch Anpassung und Fixierung auf das persönliche Fortkommen dient der Kleinakteur einer ihn mit aller Härte vor sich hertreibenden Realität und findet in passiver Zerstreuung, Fitness bestenfalls, Regenerationsangebote, die mehr der zusätzlichen Abstumpfung förderlich sind statt kreativer Reflexion. Ausgegrenzt aber wird nicht nur das weniger Selbstbewusste, Schwächere, Fragende, Träumende, sondern die sensible Ausgewogenheit geschöpflichen Seins selbst. Eine Art neue Bewusstlosigkeit gegenüber allem nicht unmittelbar Utilisierbarem taucht die entideologisierte Gesellschaft in ein tief zweifelhaftes Licht. Kirchliches Engagement wird in einem solchen Kontext als Zusatzbelastung empfunden, als Anachronismus in der Spirale von Leistung, Vereinseitigung und Entfremdung, nicht aber als Ausweg aus denselben. Demgegenüber beinhaltet das Prinzip Heiligkeit der geistlichen Alternativgesellschaft die Verweigerung gegenüber dem rasanten Wirklichkeitssog einschließlich seiner Parole des Gewinner-sein-müssens, zugunsten dafür des Erhalts ursprünglicher Sensibilität, nicht zuletzt auch gegenüber Natur, Leiblichkeit und Sinnlichkeit. Der Maxime „weniger ist mehr" entsprechend, dürfen und sollen Konzentration, Mäßigung, bewusste Wahrnehmung - gerade des Unaufdringlichen - , Freude am Kleinen, Unvollkommenen, Echten hier als Gewinn, als Genussschlüssel erlebt werden, nicht unähnlich dem antiken Ideal. Schöpfungsgemäße Selbstseiung des Individuums, körperlich-seelische Identität und Authentizität aber bilden wiederum die

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4.2.5 Christliche Totalität Damit kann ein erstes systematisches Zwischenfazit gezogen werden. Die neutestamentliche Dimension der Liebe ermöglicht die christologische Extension in den Bereich des Ontologischen, und zwar nicht, indem die soteriologische Komponente geschwächt wird, sondern gerade als deren konsequente schriftgemäße Anwendung. Eine soteriologische Christologie muss demzufolge alle dogmatischen Traktate befruchten, so dass Theologie sich begreifen kann als christologische Ontologie, die Kirche aber als christo-pneumatische Existenz. Das ungeschmälerte Gotteswort, damit auch der ungeschmälerte Gottessohn, ist der Garant für den Wirklichkeitsbezug des christlichen Glaubens, für die Überwindung nicht nur der essentiellen Probleme des Menschen im Angesicht Gottes, sondern auch für seine existenziellen im Angesicht von Verfall, von Einsamkeit und Überforderung. 214 In diesem Sinne muss darum auch die messianische Dimension des Heils bei Jesus ausreichend bedacht 215 und Mut gefasst werden, solche im Raum der Kirche zu suchen, sie vom Sein der Kirche zu verlangen, statt in erster Linie deren qualitativen Unterschied zum Gottesreich zu betonen. Das Risiko der anthropologischen Auflösung des Evangeliums oder seiner ekklesiozentrischen Beherrschung ist unwirklichen, nur formalen Bekenntnissen zur Einheit Christi mit seiner Kirche vorzuziehen, die aufgrund der tatsächlichen Lehre nicht wirklich einleuchten. Gleiches gilt für die Gefahr eines konfessionalistischen Purismus, der weit weniger Schaden anrichten kann als die pluralistische Vergleichgültigung der christlichen Nachfolge, die gegenwärtig in Mode steht.

Ausgangsposition für das komplementäre Bedürfnis nach funktionierender inniger Gemeinschaft, nach Ganzheit dadurch, dass auch die Möglichkeiten der Liebe ausgelotet werden. Vor einem dergestaltigen, schöpfungstheologisch intakten Paradigma kann und soll die Kirche in originaler Bestimmtheit als Lebensraum fungieren, als Haus geschöpflicher Integrität. Eine solche Kirche wird so sehr Ärgernis für die Welt sein, wie eine an deren Prinzipien angepasste als Ärgernis für Gott und als Uberflüssigkeit für die Welt gelten muss. 214 S. dazu das lehrreiche Buch vom Dietrich Wiederkehr, Glaube an Erlösung, 1976; vgl. Hermann Dembowski, Einführung in die Christologie, 1976,178ff. 215 Vgl. Jürgen Moltmann, Der Weg Jesu. Christologie in messianischen Dimensionen, 1989.

Totus Christus

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So ist von der Agape als der göttlichen Generalstrategie aus der Ernst der christlichen Option ebenso wie deren ontologisch/ekklesiologische Größe und Sprengkraft angezeigt. Die christliche Sache verträgt keine Beliebigkeit und keine Verbilligung. Das Christentum braucht, solange es als wanderndes Gottesvolk zu seinem Ziel unterwegs ist, den steten, entschlossenen Willen zur Umkehr zu Christus. Es lebt von seiner regelmäßigen Rückkehr auf den schmälsten aller Wege. Dann aber bedeutet der Neue Bund Gottes mit dem Menschen nicht nur dessen individuelle Rechtfertigung und Heiligung, sondern die eigentliche Weltrevolution. Er bedeutet leibhaftige geschichtliche Umwälzung und dabei diejenige Demonstration im Sinne des Evangeliums sozialer Gerechtigkeit, nach der eine neoliberal geplagte Welt heute wieder ruft. Er bedeutet Erwählung Gottes mit allen solcher Erwählung adäquaten horizontalen Konsequenzen - die ekklesiale Alternative des Gottesvolkes zu privater Innerlichkeit und politischer Utopie. Auf diese Weise erweist sich das christliche Heil als ein umfassendes, von ebenso anthropologischer wie kosmologischer Bedeutung - als ontologisch in jedem Sinne. Es erweist sich als eine „multidimensionale Wirklichkeit, die Entfaltung wahrer Menschlichkeit in der Fülle der Gottheit". 216 4.2.6 Die christliche Wirklichkeit als die Wirklichkeit des totus Christus / Die Einheit von christlicher Soteriologie und christlicher Ontologie im Reich Gottes Wir haben von der soteriologisch-ontologischen Einheit des Evangeliums gesprochen, die in der christlichen Seins-Ganzheit nun nichts anderes als deren ganzes Subjekt zum Ausdruck bringt. Das soteriologische, biblisch kombiniert mit dem ontologischen Element, stellt dar, was wir den totus Christus genannt haben: Christus als die „Fülle der kreativen und soteriologischen Wirkungskräfte Gottes". 217 Nur dieser Christus als Anrede und Umsetzung des Evangeliums bringt wirkli216 Jan Milic Lochman, Versöhnung und Befreiung, 1977, 24, wo für die „volle Ökumenizität" des Heils votiert und zu Recht gesagt wird: „Jedes ,Sektierertum' ist im vollsten Sinne des Wortes ,Häresie': Spaltung, ja Zerstörung des Heils ... Das Heil ist biblisch ,umfassend',,ganzheitlich', "ökumenisch' zu bezeugen." Genau hierzu soll an dieser Stelle angeregt werden. 217 Eduard Schweizer, Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, 1970,135.

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ches Heil. Die gesamte Christusrealität, die allein geeignet ist, unserer gesamten Misere abzuhelfen, ist diejenige des seinsumgreifenden Logos - der schon von Ewigkeit an war, der analog zur Ursituation auch das neue Sein umgreifen will - und des fleischgewordenen Logos, der uns mit unserer Schuld konfrontiert und uns von dieser befreit. Dieser neutestamentlich hauptsächlich verhandelte, inkarnierte Logos steht quasi in der Mitte der Zeiten, in jedem Fall im Zentrum der christlichen Botschaft, ohne dass damit aber seine a-sarkische, seine pneumatische Dimension weniger gravierende Bedeutung erhielte. Die Offenbarung des Fleischgewordenen ist die Offenbarung dessen, durch den alle Dinge in ihr Dasein gerufen sind und durch den sie zurechtgebracht und einstmals vollendet werden. Indem das heilsstiftende Verbalwort die Schöpfung im Seinsgrundwort gerade rückt, ermöglicht eine vollständige christliche Ontologie die Heilswirklichkeit Christi als wiederum den eigentlichen Inhalt seines Reiches. Um dessentwillen, dem Seins-Komplettanliegen Gottes, sind christliche Soteriologie und christliche Ontologie begrifflich unterscheidbar, nicht aber sachlich separierbar. Sie bilden eine homogene, komplementäre Sinneinheit, nicht um des spekulativen Bedürfnisses nach einer christlichen Metaphysik, sondern um der Stoßrichtung des Evangeliums willen hin zu einer ihm gemäßen ontischen Praxis. 218 Darum ist das traditionelle Ressentiment gegenüber der Terminologie des Ontologischen ein kirchen- und theologiegeschichtlicher Anachronismus. Die Ontologie bringt nicht „Gott zum Schweigen". 2 1 9 Sie veranschaulicht die Rede Gottes in dem Maße, wie das Erlösungswort an das Schöpfungswort gebunden ist. Bei Paulus wie bei Johannes haben wir es in beispielhafter Weise zu tun mit der interaktiven Einheit von soteriologischer und ontologischer Christologie. Gerade die klassischen soteriologischen Bibelpassagen erhalten zumeist ihre unmittelbare kosmologische Ausweitung, 220 wobei gerade auch die paulinische

218 Eigentlich ist es nicht möglich, auf das eine zu verzichten, ohne das anderes zu beschädigen. Das Paradox des Protestantismus besteht aber, wie wir noch sehen werden, genau darin - in der Ausblendung der selbstverständlichen, unmittelbaren ontologischen Konsequenzen des Evangeliums, nachdem das soteriologische Element wieder zutage gefördert wurde. 219 Tillich, Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 35. 220 S. Brunner, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, 1965, 207ff.

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Gedankenwelt allen Heilsindividualismus nachhaltig sprengt. Das Evangelium beantwortet nicht nur die Gegenwartsnot des Menschen, sondern auch die Fragen nach seinem Woher u n d Wohin. Die Ewigkeitsbestimmung des Menschen wird in Christus wiederhergestellt. Der uns erlösende Logos bringt uns zurück in unseren ewigen Seinsgrund, aus der Finsternis zurück ins Licht, in dessen hellem Schein die geglaubte Erlösung erfahren wird. Der geoffenbarte Herr ist Ursprung und Ziel des Menschen, Α und Ο aller Wege und in der Weise der rechte Erlöser. Hier erscheint denn auch der reale Sinn vermeintlicher biblischer Mythologie, die wir theologisch dahingehend zu qualifizieren haben, dass die Seinsvorstellungen Gottes offenbar werden möchten. Im Sinne deren Vollständigkeit, deren Tiefe und Breite benötigen wir ein neues Verständnis für die Morphologie der Offenbarung, dergestalt, dass ihre Pluriformität nicht mit der Christuskonzentration konkurriert, sondern diese vorbereitet u n d trinitätstheologisch einbindet, indem sie die Brücke schlägt vom ewigen Ratschluss des Vatergottes hin zum vermeintlich profanen, in Wahrheit am Herzen Gottes ruhenden Sein. Von der theologiegeschichtlichen Schwierigkeit damit wird noch zu reden sein. 4.2.7 Die Überwindung von christlichem Doketismus u n d Verbalismus mithilfe der ekklesialen Dimension des Evangeliums / Christliche Ontologie als christliche Ekklesiologie / Das wiederhergestellte Ganz-Sein als Seins-Ergänzung des Partikularen Die Gefahr der theologischen Entwirklichung des Offenbarungsthemas hat besonders eindringlich Paul Schütz beschrieben - insbesondere durch die dialektische Theologie im Gefolge Kierkegaards, deren dialektisch/existenzialistisches Paradox Denken und Sein tendenziell auseinander führt, das Glaubensleben ins „Als-ob der Reflexion" 221 versetzt u n d so „verhindert, dass das Geistliche natürlich werde". 222 Um dem Christentum aus dem Ghetto heilig-weltloser Abstraktion herauszuhelfen, plädiert Schütz dafür, die reformatorischen „sola" als Verkürzungen der christlichen Sache zu überwinden, wodurch er sich in

221 Paul Schütz, Parusia, 1985,165. 222 Ebd., 175.

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eine Außenseiterposition gewagt hat, deren Zeit während der theologischen Vormachtstellung Karl Barths freilich so wenig gekommen sein konnte wie die Position Tillichs, dem es ebenso um die Komplexität des neuen Seins zu tun war, freilich mehr von der traditionellen metaphysischen Perspektive aus. 223 Unter den gegenwärtigen Theologen ist es insbesondere Wolfhart Pannenberg, der ebenfalls wirksam an der Beseitigung der dialektischen Vereinseitigungen arbeitet, der jedoch der Vernunftbezogenheit der christlichen Botschaft den eindeutigen Primat vor dem Liebesthema einräumt. Auf dieses müsste auch der Ansatz von Schütz, um seine volle Fruchtbarkeit zu erreichen, noch stärker konzentriert werden. 224 Die christliche Lehre von der Agape ist es, die die klassischen Gegensätze von Wort-Gottes- und ontologischer Theologie problemlos verbinden und das Christliche in eine Praxis dessen überführen kann, wovon die hohe Theorie gar zu oft nur geredet hat, ohne sie auch mit allen Fasern des Seins zu bezeugen. Allein die Liebe ist derjenige Begriff, der die gesamthafte leibliche Wirklichkeit der christlichen Sache ermöglicht und gewährleistet, der die Sache des Christentums ihrer Scheinleiblichkeit enthebt zugunsten des tatsächlichen Leibes Christi.225 Darum aber muss sie aus ihren ethischen wie emotionalen Engführungen, ohne diese Komponenten abzuwerten, befreit werden hin zu ihrer fundamentalontologischen Bedeutung, die sie nach der biblischen Lehre besitzt. Um ihretwillen als der realen Gotteskraft muss darum aber auch die biblische Christologie erweitert werden um ihre seinsumgrei-

223 In teilweise atemberaubender Tiefe diagnostiziert Schütz die theologische Verabsolutierung des Bruchs zwischen Gott und Menschen als den „kühnsten Griff der Verzweiflung, den Bruch zur Sache selbst zu machen" (165), damit aber die Krankheit des Christentums für seine Gesundheit zu erklären (167), wodurch er vielleicht heute doch noch ein wichtiger Wegweiser aus der Krise werden könnte. Paul Schütz steht unbewusst an der Seite Emil Brunners (a.a.O.) mit dem Anliegen, den Menschen als wirkliches Gegenüber zu Gott zu erkennen (191) und die daraus folgenden Konsequenzen für die Legitimität seiner geschöpflichen Anlagen zu ziehen. 224 ... wo wiederum Brunner das Gewichtigere eingebracht hat, nicht zuletzt indem er dieses methodisch untermauert mit der dialogischen Philosophie von Ferdinand Ebner und Martin Buber. 225 S. dazu die schönen Ausführungen von Horst Beintker in: Wort - Geist - Kirche. Zur Frage der pneumatischen Leiblichkeit der Kirche, 1965, 277-307.

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fende Dimension, die Wirklichkeit des totus Christus gefasst werden als Strukturprinzip der Herrschaft Gottes auf Erden. 226 Die fehlende lehrmäßige Verknüpfung von Rechtfertigungsgeschehen und biblischer Ontologie bzw. die Vernachlässigung, wenn nicht gar Leugnung Letzterer ist eine Hauptursache für die mangelnde Eindeutigkeit des christlichen Seins, eliminiert sie doch gerade das theologische Bindeglied zwischen Versöhnungslehre und Heiligung, zwischen der Satisfaktion des Einzelnen und der vita Christiana, die als ein von Selbstbespiegelung jeder Couleur befreites, multipersonales Unterfangen sich an dieselbige anschließen soll. Die Bibel spricht darum soviel von Gemeinschaft, weil sie in gelungener Form genau ist, was die persönliche Heilszueignung ermöglichen soll, um so die Wirklichkeit der schlussendlichen Absicht Gottes zu bezeugen, diejenige seines Reiches. Um des willen müssen wir, ohne auch nur ein Tüttel der Wichtigkeit derselben in Frage zu stellen, nicht die Rechtfertigungslehre an sich, aber ihre Ubergewichtung in Frage stellen, sofern darunter leidet, was das wirkliche Leben täglich konkret einfordert, gerade in kommunitärer Hinsicht. Wenn die Rechtfertigungslehre nur einen - sei es noch so ein gravierenden - Teil der christlichen Botschaft darstellt, dann ist deren Verabsolutierung unstatthaft, weil eine Verkürzung des Ganzen. Dann ist Ergänzung, Vervollständigung vonnöten. Ist jedoch mit der Rechtfertigungsbotschaft die „umfassende Selbstauslegung des christlichen Glaubens" gegeben, 227 dann ist Ergänzung, Vervollständigung unmöglich. Dann aber müssen wir uns mit Ernst fragen, ob wir die individualistische Verkürzung des christlichen Projekts nicht verabsolutiert und uns gegen die Fülle der christlichen Wahrheit dogmatisch selbst immunisiert haben. Wir schließen uns Paul Schütz an, der sagt: „Über der Rechtfertigung des Sünders ist der für den Menschen als erschaffenem Geist grundlegende Umstand außer Sicht gekommen, dass es zu seinem Heil gehört, wieder in die Gottesordnung zurückgeborgen zu werden. Diese Ordnung ist ein wesentlicher Teil des Heils und kann vom Glaubenden nicht angeeignet werden, ohne erkannt worden zu

226 Unter dem Gesichtspunkt einer biblisch-theokratischen Christologie (vgl. Brunner, Dogmatik 3, 2 1964, 496) bedürfen auch die Lehren vom königlichen Amt, vom regnum gratiae, ihrer Vervollständigung und ihrer Konkretisierung. 227 Wilfried Härle; Ellert Herms, Rechtfertigung, 1980, 10.

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sein. ... In der Begrenzung des Heils auf das sola fide wird der Mensch nicht als ganzes Wesen in das Heil hereingerufen, wird er in seiner Geschöpflichkeit als Geist verkannt, wird die hohe Not seiner Verlorenheit nicht begriffen als Sturz aus der göttlichen Ordnung." 2 2 8 In der Begnadung Gottes bestehen Sohnschaft (Gal.4,4-7) und gleichermaßen Bruderschaft (Gal.3,28). Beide zusammen bilden die Substanz der biblisch-neutestamentlichen, forensisch-effektiven Realgerechtigkeit, die in existenziell relevanter Nachfolge (Mt.4,19; 10,38; 19,21 u.a.), im Glauben und in der gemeinschaftsstiftenden Agape sich vollzieht. 229 Rechtfertigung - ekklesia - vita Christiana. Das ist die biblisch-logisch-ontologische Abfolge. Ohne ihre ontologische Ausformung fehlt der christlichen Wahrheit gerade ihre ausgezeichnete personale Inhaltshaftigkeit, die sie zu entscheidend mehr macht als einer christlichen Lehre. Ohne ihre leibliche Dimension sitzen wir einem nicht wirklich - christlichen Doketismus auf. Das ontologische Thema will um der Glaubwürdigkeit und um des Wirklichkeitsbezugs der christlichen Sache willen in biblischer, von Vorurteilen und Negativerfahrungen unbefangener Weise neu beleuchtet werden. Die christliche Soteriologie will eine christliche Ontologie bewirken als die Lehre von der ganzheitlichen Replatzierung des Seins ins Milieu der Liebe Gottes. Und sie will die ontische Umsetzung solcher „Logie" bewerkstelligen. Wie soll sie dieses aber tun, solange wir die christliche Ontologie - aus welchen Gründen auch immer gering achten? Wie soll die Heilsbotschaft auch Heilswirklichkeit hervorbringen, solange wir deren Verifizierbarkeit lieber dialektisch relativieren, lieber eschatologisch transzendieren oder sonst wie aus dem Bereich unserer konkreten Hoffnung verbannen, als dass wir sie vom Herrn aller immanenten und aller transzendenten Geschichte gläubig erwarten? Weil das Heilswort es ist, das die christliche Heilswirklichkeit erzeugt, die Heilswirklichkeit aber mehr betrifft als eine fromme Geisteshaltung - das Ganze einer ins Heil gestellten Daseinsrealität nämlich - ,

228 A.a.O., 23f. 229 Man möchte geneigt sein, das Forensische dem Glauben, das Effektive der Agape zuzuordnen. Die Bibel unterlässt jedoch diese scharfe Distinktion, weshalb auch wir es tun.

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darum dürfen wir mit Blick auf die Agape uns auch frei machen von einer verbalistisch beschränkten Interpretation des Gotteswortes, das in der Predigt etwa - uns regelmäßig an unser neues Sein erinnern kann, ohne aber dass wir durch das Hören der Botschaft schon seinshaft verändert würden und in die Lage versetzt, das Gehörte auch nachhaltig umzusetzen. Die guten Vorsätze oder der emotionale Schub reichen oft nur bis zur nächsten roten Ampel, wenn wir, aus unserer wöchentlichen Erbauungsveranstaltung kommend, uns wieder auf dem Weg zurück zum Sonntagsbraten befinden. Wir benötigen das Heil Gottes darum weniger in feierlichen SpezialSituationen, in offiziellen Verlautbarungen, in Büchern, Traktaten und Seminaren, sondern in der „inoffiziellen", aber umso mehr öffentlichen Glaubens- und Lebenspraxis der Gläubigen,230 wie sie der Vorgabe von Apg.2,44-47 entspricht. Hierin muss das sprachliche Zeugnis eingebettet sein, aus diesem entspringen, auch um sich selbst recht reflektieren zu können, ansonsten zieht es sich unweigerlich den Geruch der Unglaubhaftigkeit zu.231 Das Heil Gottes ist Heil von ganzheitlich-menschlicher Inhaltlichkeit. Die Objektivität des Heils besteht weder in der korrekten Rezeption der Heilsfakten, noch in deren individualmystischer Erfahrung, sondern in der Reich-Gottes-gestaltenden Wirklichkeit des Heiligen Geistes. Diese Dimension geschöpflicher Ganzheit und Integrität gilt es heute wiederzugewinnen, soll mit dem Missverständnis des Christlichen als bloßer Gesinnungshaltung und einem Heilsverständnis als

230 ... ein Anliegen, das Romano Guardinis Schaffen vorbildlich durchzieht; s. z.B.: Das Bild von Jesus dem Christus im Neuen Testament, 31953, dessen Christologie und Soteriologie denn auch regelmäßig sehr harmonisch in seine Ekklesiologie wie in seine Anthropologie übergehen; s. auch: Die Kirche des Herrn, 1965. 231 Nichts anderes gilt freilich für das Heilsgut des Abendmahls, das biblisch korrekt nur zu feiern ist bei der Absenz von Zwistigkeiten und erst recht Spaltungen (vgl. Mt.5,23-24). Die geschwisterliche Liebespraxis der Gemeinde ist die Bewahrheitung, die „Bewährung" dessen, was im Abendmahl ausgedrückt werden soll (s.u.). Die Gemeinschaftsaspekte von Lobpreis und Gebet, verbunden mit der Mahlfeier, haben in dem Begriff „Eucharistie" eine besonders schöne und gelungene Bezeichnung gefunden, müssen aber als Ausdruck des regulären christlichen Beisammenseins umso schärfer gegen jedes magische Verständnis des christlichen Kultus in Schutz genommen werden; vgl. Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 41978, 517ff., wo u.a. der treffliche Satz fällt: „Die Kultgemeinde muß zur Lebensgemeinschaft werden" (520). Der Akzent solcher Verwirklichung und Beglaubigung der christlichen Botschaft wird auch sehr schön gesetzt bei Dietrich Wiederkehr, a.a.O.

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bloßer Jenseitshoffnung nicht dessen Attraktionslosigkeit weiter Vorschub geleistet werden. Wir haben es heute fraglos zu tun mit einem korrelativen Heilsverlangen, mit der Suche nach Sinnerfüllung, die, wie einst die persönliche Gewissensfrage einem gerechten Gott, ebenfalls im Fokus der biblischen Botschaft liegt. Auch die für die gegenwärtigen Nöte vorgesehenen Aspekte der christlichen Soteriologie sind zu erschließen gefragt - unter sachgerechter Einbeziehung der christlichen Anthropologie und Ekklesiologie. Die Pneumatologie dient dabei als Schlüsselthema, dessen biblische Explikation deutlich macht, dass gerade die Frage nach heilsamer Gemeinschaft keine andere als die des Neuen Testamentes ist, die von der Frage der geheilten Gottesbeziehung aus auch die Frage nach den zwischenmenschlichen Schuld- und Vergebungsproblemen löst, die psychosoziale Unheilsproblematik. In und mit der Gemeinde sind Christus- und Menschengemeinschaft bruchlos und harmonisch verschmolzen. Das Problem ihrer Trennung ist grundlegend für die vielfachen Vereinseitigungen des Christentums in mystischer wie in politischer Hinsicht. Es ist die ekklesiale Lücke, die zwangsläufig in das eine oder andere Extrem treibt. Genauer: die Extreme sind das Unvermeidbare, solange verbindende Mitte fehlt. Dies gilt gerade wie für die säkularen Schieflagen so auch für die konfessionellen. Das Christentum muss auf der Ebene von Mensch zu Mensch, von Sünder zu Sünder, von Irrendem zu Irrendem das göttliche Angenommen-Sein neu vermitteln lernen mit derjenigen Intensität und Durchschlagskraft, die der Rechtfertigungsbotschaft zu ihrer Zeit eigen war. Nur so wird es gelingen, der weiteren Orientierungs- und Wertelosigkeit der Gesellschaft wirksam zu wehren. Genau darum brauchen wir die im Sinne der Schrift vollzogene ontologische Ausdehnung der christlichen Heilsbotschaft. Das Wesen des seinssalvierenden Gotteswortes ist nicht Moral noch Mystik, sondern „Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" (Rö.14,17). Solche vollständige Heilswirklichkeit besteht im vollständigen Christuswort. Dieses als das „Wort des Lebens" muss es darum sein, dessen „Herrlichkeit mit den Augen gesehen und mit den Händen betastet" werden kann (Joh.1,14; l.Joh.1,1), ein Gotteswort, das als die Gotteswirklichkeit in der Lage ist, uns als christliche Person wie auch als christliche Gemeinde zu umfassen, zu berühren und neu auszurichten.

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Dabei müssen wir sehen und theologisch ernst damit machen, dass die Gemeinde schon vor uns als Einzelnem ergriffen ist und unsere geistliche Entwicklung als Einzelne durchaus von der geistlichen Qualität der Gemeinde als unserem neuen Lebensumfeld abhängig ist. Die Gemeinde fungiert für uns Einzelne als ontologisches Paradigma, gerade wie das Wort Gottes für die Gemeinde, ist es doch in beiden Fällen die gleiche göttliche Substanz der Agape, die alles zum Heil bestimmte geschöpfliche Sein durchdringen soll. Das Geheimnis des christlichen Seins ist das Geheimnis des Christus selbst - wie mit dessen Offenbarung die Wirklichkeit des christlichen Seins die Wirklichkeit des Christus geworden ist. Christliches Sein verlangt die Partizipation am Sein des Christus als Sein in Christus. Genau an dieser Fundamentalbotschaft des Neuen Testamentes hängt das theoretische wie das praktische Seinsproblem - nicht ein Problem der Erkenntnis zuerst, des guten Willens, der Bereitschaft, auch nicht der Konsequenz, sondern zuerst ein Problem des christlichen Fundaments und von da aus ein Problem der christlichen Praxis. Das InChristus-Sein ist das In-der-Liebe-Sein. 232 Das In-Christus-Sein ist aber genauso das In-der-Kirche-Sein 233 - darum, weil die Kirche zur Ge-

232 S. Hans Küng, Die Kirche, 31992, 309; vgl. Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Ί984, 312f., 328, wo das έν Χριστώ als eine „primär ekklesiologische Formel" die pneumatische Realisierung der Heilstat ausdrückt. 233 S. ebd.; sowie Walter Kreck, Grundzüge der Ekklesiologie, 1981, 76, der die Verklammerung von Christologie und Ekklesiologie in systematischer Hinsicht gut beleuchtet (55-63). Zu deren durchgängiger neutestamentlicher In-eins-Schau s. Karl Ludwig Schmidt, ,,έκκλεσία", ThWNT, Bd. 3, 1938, 514. Klare Aussagen hierzu finden wir auch bei Anders Nygren, der unter dem Grundsatz: „Eine Christologie, die nicht auch eine Ekklesiologie in sich schließt, wird falsch", die Kirche konsequent zum Evangelium fasst in: Christus und seine Kirche, 1956, 18-20; oder an anderer Stelle sagt: „Die Frage, wieweit Kirche der Leib Christi sei, steht mitten im Zentrum des Christentums. Darauf beruht die Christologie, insofern Christus das, was er ist, nur in Beziehung zu seiner Kirche ist. Und damit hängt Gottes Heilsweg mit der Menschheit zusammen, insofern das Heil eben durch die Eingliederung in Christus, das ist in seinen Leib, geschenkt wird; ja man kann noch einen Schritt weitergehen und sagen, daß gerade in dieser Eingliederung das Heil besteht. Hier hat die systematisch-theologische Arbeit allzu viel versäumt und ist leichtfertig an einer wesentlichen Aufgabe vorbeigegangen." Ein Buch von der Kirche, 1951, 17. Vgl. auch Dietrich Bonhoeffer, der die Kirche aus dem Offenbarungsbegriff ableitet in: Sanctorum Communio, 1986, 85 und dort in Bezug auf die Kirche auch die berühmte Formel geprägt hat: „Christus als Gemeinde existierend" (126), die Karl Barth beeinflusste

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staltwerdung der rettenden Liebe Gottes bestimmt ist. Deshalb darf ebensowenig wie aus irgendeinem real existierenden Kirchenwesen zwangsläufig auf unser Christusverhältnis geschlossen werden darf, auch aus irgendeiner kirchlichen Doktrin des In-Christus-Seins rechtes Kirche-Sein abgeleitet werden. Vielmehr müssen beide Teile in voller sachlicher Konsistenz und dann auch Korrespondenz entwickelt werden. Weil die kirchliche Angelegenheit es aber ist, die in besonderer Weise Mühe, Anstrengung und die harte horizontale Konsequenz der Vergebungsbotschaft erfordert, sind wir gehalten, an dieser Seite des Evangeliums mit derjenigen theologischen Entschlossenheit anzusetzen wie l.Joh., um dann gewahr zu werden, wie mit unserem In-derKirche-sein auch unser In-Christus-sein zurechtgebracht ist. Das Ontologische ist demnach keine semi- bis unchristliche Thematik oder gar seine Absenz ein notwendiges Kennzeichen der christlichen Glaubensrealität, auch steht es in gar keinem Gegensatz zur christlichen Soteriologie, vielmehr ist die ontologische Wirklichkeit genuin christlicher Verhältnisse der Ausweis des real vollzogenen soteriologischen Geschehens. Das Ontologische, ausgeübt in der realen geschwisterlichen Einheit und Ungespaltenheit, ist der Beweis für die bei seiner Formulierung der Gemeinde als „Jesu Christi eigene irdisch-geschichtliche Existenzform" (KD IV/1, 738). Auch Barth legt, wie - dann der spätere - Bonhoeffer (a.a.O.) die Betonung auf das Für-die-Welt-Dasein der Kirche (KD IV/3, 872ff.). Im Gegensatz zu diesem aber verhandelt Barth (wie in seinem Gefolge Kreck) die christologische Qualität der Kirche gelinde gesagt verhalten, mehr als Negation des als Eigenmächtigkeit empfundenen katholischen Anspruchs denn unbefangen als biblische Position, so dass die Kirche schließlich nur als „Raum der subjektiven Wirklichkeit der Offenbarung" erscheint (in KD 1/2, 245). Ahnlich wirkt dies bei Otto Weber, der einerseits die sakramental/pneumatische Realität der Gemeinde betont, die „auf eine erregende Weise mit sich selbst nicht identisch", weil vielmehr unser „Dasein in der Gemeinde" mit unserem „Sein ,in Christus' ... im Vollzuge identisch" sei, der „gegenwärtige Christus ... bei und in" der Kirche u.s.w., um dann in konkreter Hinsicht vor allem zu erläutern, was dies alles nicht bedeute (Grundlagen der Dogmatik, 1972, 564ff.). Aus diesem protestantischen Ur-Ressentiment und Minderwertigkeitskomplex müssen wir herausfinden, wollen wir je erfahren, was tatsächlich das volle Maß der Liebe Gottes bedeutet. Richtig und gegenüber aller komplizierten ekklesiologischen Dialektik für das christliche Sein die entscheidende Vorgabe ist die simple Aussage Emil Brunners: „Die Ekklesia ist Inkarnation Jesu Christi, insofern sie eben der Leib Christi ist" (Das Mißverständnis der Kirche, 31988, 97). An dieser Stelle sei allerdings weniger auf die formale Leib-Analogie abgestellt als vielmehr auf dessen Substanz, auf das in diesem Leib sich manifestieren wollende Gotteswesen: die Agape.

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Wirklichkeit der Vergebung. In der Weise ist bei aller bleibenden Versuchlichkeit des „Fleisches" die prinzipielle Neuausrichtung der Gläubigen ermöglicht, die nach der Widerfahrnis ihres persönlichen Heils nun für die Integrität der Ganzheit des Leibes Christi im Sinne biblischekklesialer Reich-Gottes-Kontinuität und -Identität Sorge tragen lernen. Im Sein der ekklesia sind entgegen aller natürlichen Tendenz einstmals widerstreitende Einzelinteressen harmonisch dem Aufbau des Leibes dienend (Eph.4,16) kombiniert - nicht nur bei voller Wahrung, sondern auch Entwicklung der jeweiligen individuellen Eigenarten (Rö.14,1-33).234 In dieser völligen Heilszueignung besteht das analogielose Wunder des neuen, christlichen Seins - nicht als metaphysisches Mirakel, sondern als die praktische Wirksamkeit des Erlösungswerkes des Herrn. 235 Die Liebe definiert Sein als Zusammen-Sein nicht aber als verbissenes Durchhalten, sondern als Austragung und Aussöhnung von Konflikten, an deren Ende kein vernarbtes IrgendwieWeiterleben steht, sondern das Glück vertiefter und gefestigter Beziehungen. Damit beschenkt uns die Agape und dazu verpflichtet sie uns auch. „Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, wird euer himmlischer Vater euch auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, wird euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben" (Mt.6,14-15). Dies ist die simple Logik des Evangeliums von der Liebe Gottes. Sie verlangt keinerlei Zusatzleistung des Menschen, keinerlei Zusatzerkenntnis und keinerlei Zusatzerfahrung. Sie will nur so konsequent praktiziert sein, wie Jesus sie praktiziert hat. Dann aber ist mit der kleinen, feinen Liebespraxis zwischen „Dir und mir" auch angezeigt, wie Gott sich die Koexistenz seines Gesamtwerkes vorstellt.

234 Auch hierzu ist das Beste wohl bei Emil Brunner gesagt - etwa: „Im Füreinandersein entfalten sich erst die Werte der individuellen Verschiedenheiten, so, wie die eigenartige Beschaffenheit der einzelnen Glieder bestimmt ist durch ihre Funktion für den Gesamtorganismus. Als ein Austausch im Geben und Nehmen, als ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben ist das menschliche Leben gemeint; so vollzieht es sich, wo es aus dem Ursprung gelebt wird, so vollzieht es sich darum ,in der Gemeinde der Gläubigen'" (Der Mensch im Widerspruch, 51985, 297). 235 Vgl. Paul Tillich, ST 2, 8 1987, 189ff.

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4.3 Das neue Sein als eindeutiger Lebensvollzug 2 3 6 4.3.1 Die ekklesia als opus proprium des Heiligen Geistes / - als ontologisches Paradigma / Die Liebeswirklichkeit Mit dem Sein in der Liebe Gottes ist somit die schöpfungsgemäße Einheit des Seins neu eingeführt.237 Bereits bei Jesus hat die Einheit der an ihn Glaubenden höchste Priorität (Joh.17), genauso bei Paulus (l.Kor.1,10; Phil.2,2; Eph.4,3-6; Kol.3,11). Dabei ist das Wunder der Einheit in gleicher Weise die besondere Krafterweisung Gottes, wie sie das Problem des Menschen ist. Die Vielfalt muss bleiben, „um der Tyrannis zu wehren" (Pascal) und doch soll die Vielfalt sich durch Einmütigkeit auszeichnen. Solches Unterfangen ist angesichts divergierendster Interessen, Prägungen, Lebensentwürfe ein menschlich schier aussichtsloses. Dafür bedarf es der kreativen Dynamik der Liebe Gottes, die möglich macht, was üblicherweise menschenunmöglich ist, was aber die neue, von Gottes Wesen dominierte Welt auszeichnen möchte. Darum ist das Werk der Agape als die pneumatische Hauptcharakteristik das „Angeld des Heiligen Geistes" (2.Kor.l,22; 5,5), in welchem die Gläubigen sich jetzt schon frei von der alten egozentrischen Notwendigkeit bewegen sollen. Die ekklesia ist „wesentlich Liebesgemeinschaft". 238 Im Geist Gottes als fundamentalontologische Grundlage ist Seinsvollkommenheit kein mystisches Ideal. Sie besteht in und mit der vollständigen Integration seiner einzelnen Seins-Attribute, in der Nichtermangelung irgendeines kategorialen Bestandteils - omne ens in quantum est ens unum. Auf die Weise bedeutet Einheit „Übereinstimmen mit sich und seinem Wesen. Damit ist das Seiende immer auch in sich selbst wahr (ontologisch wahr) und bildet dadurch wiederum das Fundament für alles Erkennen, dessen Ziel in der Wahrheitsfindung es

236 S. ders., ST 3, 4 1984,176ff. Der Begriff des „Eindeutigen" erscheint uns ausgezeichnet geeignet, die charakteristische Andersartigkeit des christlichen Lebensvollzugs anzuzeigen, ohne die Verwechslung mit ethischer Perfektion zu begünstigen. 237 ...durch welche schon der Schöpfungskosmos als gekennzeichnet angesehen werden kann. Insofern in ihm alles zum Zwecke des Lobes Gottes wohlplatziert ist, fungiert die Einheit als protologische wie auch eschatologische Vorgabe. Vgl. Alexandre Ganoczy, Chaos - Zufall - Schöpfungsglaube, 1995. 238 Ernst Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, 1960, 33.

Das neue Sein

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selbst ist: ens et verum convertuntur". 239 Solches Seiende, immer wieder verzweifelt gesucht und immer wieder als Schimäre erfahren, ist, wozu die Heilige Schrift uns anleiten will. Auf die Frage, ob und gegebenenfalls wie denn die Schöpfungsurvorgabe der Einheit vor ihrer endzeitlichen Verwirklichung zu antizipieren sei, gibt das Neue Testament die klare Antwort, dass solches in und mit der Christusgemeinde gegeben ist. In ihr allein ist das christliche Spezifikum kein uneinholbares Phantasma, sondern, ganz im Gegenteil, christliche Normalität. Es besteht in und mit der Normalität der christlichen Gemeinschaft, der ekklesia. Dass solche Normalität das ganz und gar „Unnormale" ist, bestätigt die Kontinuität des Ontologischen mit dem Soteriologischen. Die ekklesia ist die außerordentlich brisante Ausdrucksform eines außerordentlich brisanten Evangeliums. 4.3.2 Ekklesiale Heilsausprägung / Das Sein der Gemeinde als korporatives Sein / Die Neuordnung der Wirklichkeit / Die Lösung der Seinsfrage als die Realherrschaft des Kreuzes Mit der Wiederbringung der transzendenten, der theologischen Liebe als dem verbindlichen Vorbild der immanenten, anthropologischen ist nun noch keinesfalls alles wieder ins Lot gebracht, aber der entscheidende Anfang gemacht gerade in der Ermöglichung beständiger Gemeinschaft, wodurch das einzelne Sein des Menschen wie auch das des Gesamtkosmos, mit neuem Vorzeichen versehen sind. Die Gemeinschaft des Christus ist in beide Richtungen der neue, verbindliche Parameter. Er zeigt an, zu welchem Zweck das Individuum geschaffen und begabt ist. Er erfüllt also eine, wenn man so will, eminent pädagogische Funktion, indem er das Sein zu seiner unter den aktuellen Bedingungen maximalen Selbstidentität anleitet und vermittelt gleichzeitig eine Ahnung des künftigen, eschatologischen Gotteslobs der Gesamtschöpfung. Darum ist die christliche Gemeinschaft sehr viel weniger Subsidium individueller Frömmigkeit (Calvin) als vielmehr das eigentliche Projekt des Liebeswerkes Gottes. „Es geht in Gottes

239 Alwin Diemer, Ivo Frenzel, „Ontologie", Das Fischer Lexikon Philosophie, 1967, 235.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Lieben um ein Suchen und Schaffen von Gemeinschaft um ihrer selbst willen." 240 Darum ist wichtig, die Agape als Strukturelement der vollständigen Heilsachse Christologie - Pneumatologie - Ekklesiologie als Lebensform der Vergebung zu würdigen. 241 Die neutestamentliche Heilswirklichkeit findet statt in der pneumatischen Realität des Logos post carnem, der kein anderer ist als der Logos prae carnem. Ihr Strukturprinzip ist die Agape Gottes, die in realer Einheit sich erweist. Deren Funktionsprinzip wiederum ist diejenige konsequente Vergebungspraxis, die durch das Kreuz Christi ermöglicht und die unabdingbar ist, soll dieses Kreuz nicht für kraft- und sinnlos erklärt werden. Die Wirklichkeit des Kreuzes ist der Kern des Christlichen und dabei eine conditio sine qua non. Aufgrund der Vergebung sind die alten Todesmechanismen aufgebrochen. Darum ist die geschwisterliche Einheit im Evangelium mitgesetzt und darum müssen wir uns fragen, ob das Evangelium bei uns wirklich angekommen ist, solange wir Strukturen der Unversöhnlichkeit aufrechterhalten oder ob unser Werk nicht die faktische Leugnung des Evangeliums darstellt, wonach wir nichts weiter als Heuchler wären. Heuchelei ist: die Agape als fundamentalontologische Grundlage besitzen, ohne für ihre ontische Ausformung zu sorgen. Ihre ontische Ausformung fordern, ohne in der Agape als fundamentalontologischer Grundlage zu ruhen, ist hingegen Gesetz. Die Heuchelei ist schlimmer, weil hier die Grundlage bereits vorhanden ist, aber ungenutzt bleibt, also gleichsam missachtet wird, während im anderen Fall noch mit der Möglichkeit der Grundlagengewinnung auch die der ontischen Ausgestaltung besteht. Beidem ist geholfen durch die authentisch-seinsbildende Kraft des Kreuzes, dessen Realherrschaft Produkt das neue christliche Sein ist. Am Kreuz geheiltes Sein ist glaubwürdiges christliches Sein, in welchem das göttliche Erbarmen begreifbar und dann auch ergreifbar wird. Am Kreuz Christi erst wird es möglich, Eros, Amor, Caritas und Agape zu unterscheiden die unbedingte Liebe, die alleine Gottes ist, von den stets bedingten Formen menschlicher Zuneigung und Zuwendung. 242 In und mit der maßgeblichen ist die unbedingte Wahrheit Gottes erschienen als sein unbe-

240 Karl Barth, KD Π/1, 310. 241 S. Ernst Kinder, a.a.O. 242 S. Emil Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, "1978, 42.

Seinsvollkommenheit als Einheit

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dingt er Wille zu unbeschränkter Gemeinschaft mit seiner Kreatur. „Dieser unbedingte Gemeinschaftswille Gottes ist es, der am Kreuz des Christus als der letzte eigentliche Sinn alles Lebens offenbar geworden; und diese Offenbarung ist als die Art wie, und der Ort, wo Gott den Menschen begegnet, die Möglichkeit ihres ,Wiederliebens'". 243 4.3.3 Seinsvollkommenheit als Einheit / Die „Fülle Gottes" / Der Sinn des Seins als Lobpreis Gerade weil der Lauf der Welt ein sündhafter ist und von eben solcher Konstitution das menschliche Herz, ist die ekklesia als von der Agape dominierte Vergebungsgemeinschaft, als Gemeinschaft angewandten Evangeliums - und ausschließlich als solche - der Ort der Vollkommenheit. Sie ist es trotz der Möglichkeit jeddenkbarer - und gerade in mancher biblischen Gemeinde realisierter - Entgleisung, weil das Kreuz Christi dennoch die vollkommene Verbindung zu Gott und auch untereinander gewährleistet. Darum redet Gott die Gemeinden an als τοις άγίοις ούσιν έν ... Die Gemeinde darf sich begreifen als die geschöpfliche Verwirklichung der Liebe wie auch der Heiligkeit Gottes. Beides ist nur strikt zu interpretieren als durch das Evangelium ermöglichte vertikale und horizontale Integrität, als pneumatische Kommunität in Anwendung der pneumatischen Grundlage und dann auch Entfaltung der pneumatischen Gaben. In der Weise ist in der Gemeinde „die Fülle Gottes" (Eph.3,19) leibhaftig präsent. Darum sind wie das Evangelium und die Liebe auch Evangelium und Gemeinde zu unterscheiden, aber nicht zu scheiden. Das Evangelium ist sozusagen der Inhalt der Liebe, die Gemeinde kann als deren Form, deren Ausprägung begriffen werden. Indem beide zusammen die ontologische Zielvorstellung Gottes präsentieren, ist die christliche Gemeinde aber nicht nur für sich stehende religiöse Körperschaft, sie ist diejenige Gestalt gewordene Seinswahrheit, die alle ihren Namen verdienende Philosophie als umfassende Lebensweisheit stets gesucht hat. Sie ist gleichzeitig das „Zeichen" des Gottesreiches, das die Juden zur Eifersucht auf das Werk Christi im Sinne ihrer „Nacheiferung" reizen sollte (Rö.11,11).

243 Ebd.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Damit ist nicht irgendeiner anthropologischen Makellosigkeit das Wort geredet, einer darauf begründeten ekklesiologischen Utopie, sondern der göttlichen, das Menschlich-Fehlbare konstruktiv ordnenden Struktur. Das ontologische Problem der Kirche besteht niemals in etwa dem Versuch eines rigiden, schwärmerischen Perfektionismus, gerade so wenig wie Entgleisungen ihrer Glieder ihr Sein wirklich zu schädigen imstande wären. Das Problem und die beständige Aufgabe der Kirche liegt in der Wahrung ihrer geistlichen Normalität - als Kirche und mit dieser ihrer Identität. Gerade weil der Leib sich aus sündigen Menschen zusammensetzt, ist es das Charakteristische des christogenen Leibes, was seine Exklusivität begründet, nämlich das „Band der Vollkommenheit" (Kol.3,14) - die Agape. Wir dürfen folglich nicht menschliche Unvollkommenheit und die der Kirche gleichsetzen. Menschliches Versagen - das sind die typischen egozentrischen Neigungen des Fleisches. Kirchliches Versagen aber ist - jenseits solcher ihre gottwidrige Spaltung aufgrund solcher. Hier aber haben wir es mit dem viel dramatischeren Problem als dem kirchlicher Unvollkommenheit zu tun, nämlich mit dem Ende des kirchlichen Normal-Seins, mit dem Ende authentischen Christentums. 244 244 Dieser ontologisch fatale, weil Gottes neues Sein elementar verunglimpfende Sachverhalt erscheint verhältnismäßig unverhohlen beim Namen genannt - deutlich stärker als etwa bei Pannenberg (vgl. a.a.O.) - bei H. J. Kraus, wenn etwa gesagt wird: „Vielen Christen und manchem Theologen ist es überhaupt noch nicht bewußt, in welchem Ausmaß christliche Kirche von den wirtschaftlichen und sozialen Gepflogenheiten ihrer Umwelt überflutet und geprägt ist. Aus diesen bannenden Zusammenhängen und tödlichen Klammern werden die Gemeinden herausgerufen und durch die Kraft des kommenden Reiches Gottes befreit" (ST, 1983, 523). Auch die theologische Konsequenz wird treffend formuliert: „Die Kirche steht unter der Verheißung und unter dem Gericht ihres Herrn; sie ist unablässig zur Umkehr gerufen; sie hat sich zu bereiten, in Armut, Schmach und Leiden den Weg der Nachfolge zu gehen" (526). Dabei sieht Kraus besonders deutlich auch die hier angemahnte horizontale Komponente. „Die ekklesia ist die verändert lebende Gruppe, deren Kennzeichen brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft ist" (517). Ähnliches formuliert Jürgen Moltmann: „Das Für-Andere-Dasein ist die Lebensbewegung der ekklesia. ,Das Mit-Anderen-Dasein ist die Form des erlösten, freien Lebens selbst'". Die ersten Freigelassenen der Schöpfung, 61981, 76; vgl. wiederum Kraus a.a.O., 525; sowie Helmut Gollwitzer, der ebenfalls die Gemeinde als die „neue, verändert lebende und Veränderung bewirkende soziale Gruppe" beschreibt in: Veränderungen im Diesseits, 1973, 181. Die von Gollwitzer ebenfalls zutreffend festgestellte „Tendenz" des Evangeliums „auf Sozialismus hin" (Forderungen der Umkehr, 1976, 149) wird im Neuen Testament allerdings niemals zum gesellschaftspolitischen Pro-

Das Problem des Agonalen

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Der Sinn „normalen" ekklesialen Seins ist der komplexe, einmütige Lobpreis des Seins-Schöpfers vonseiten des Seienden. Solcher Lobpreis ist zunächst und in der Hauptsache Seins-Lobpreis, bestehend in der ontologischen Integrität geschöpflicher Komplexität, und beinhaltet dann auch die explizite Artikulation des Lobes Gottes, die Lautwerdung seiner Gnade. Dann schließlich hat das Evangelium sein Ziel definitiv erreicht: Indem es als Anwendung der Vergebung den Seinslobpreis der christlichen Einheit erzeugt, der dann - als Ausdruck der Vergebung - auch rechten Verballobpreis erlaubt. Der Sinn des Seins ist Lob-Sein als der Schöpfung intaktes Ganz-Sein. Christliche Ontologie und christliche Doxologie bilden so rechte, umfassende christliche Theologie. 4.3.4 Exkurs: Das Problem des Agonalen Das geistliche Leben ist in sozialer Hinsicht die Überwindung des Konkurrenzprinzips, - desjenigen weltlichen Grundprinzips, wonach im Kampf um das Sein letztendlich der Stärkere gewinnt, der Schwächere unterliegt. Christentum ist das praktische Ende des Grundsatzes vom Fressen und Gefressenwerden, des Dualismus also von freiem Erfolgsstreben und der entsprechenden Notwendigkeit sozialer Ausgleichsfunktionen. 245 Im Leib Christi ist demgegenüber das Schwache besonders geadelt, das „umso größere Ehre bei Gott hat" (l.Kor.12,24), je mehr das Starke versucht ist, seine natürlichen Vorteile zu Lasten des Gesamtorganismus auszuspielen. Damit ist realiter die fundamentale gramm erhoben, sondern gilt als eben durch das Evangelium bewirktes Spezifikum der Glaubensbruder- und -Schwesternschaft. In dessen Praxis besteht der gesellschaftliche Einfluss der ekklesia, wo sie ihrem eigenen Anspruch genügt, eminent als ein passiver, im seltensten Fall jedoch - etwa da, wo sie ausdrücklich gebeten wird als ein aktiver. 245 Sehr schön beschreibt dies Jürgen Roloff: „Hier ist ein neues Miteinander von Menschen im Entstehen begriffen, das seine Struktur nicht mehr, wie in den üblichen Formen sozialen Lebens, von den Abgrenzungen und Unterscheidungen her bezieht, mit denen Menschen bislang ihre Identität bestimmt haben. Hier wirken sich nicht mehr die Verhältnisse von Über- und Unterlegenheit, von Herrschen und Beherrschtsein aus. Bestimmend ist nun allein die Zugehörigkeit zu Christus." Die Kirche im Neuen Testament, 1993, 94. Vgl. zur „Art und Struktur des neuen Lebens" der Gläubigen auch Wolfgang Schräge, Ethik des Neuen Testaments, 1982, 176-189; sowie zu dessen Besonderheiten nach dem Kolosser- und Epheserbrief ebd., 231-244.

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„Umwertung aller Werte" vollzogen, das Hohe auf den Boden geholt, das Niedrige aufgerichtet. 246 Das Problem des Starken und Schwachen und ihrer jeweiligen Interessenswahrnehmung - auch desselben Interesses - , das Problem des im weitesten Sinne Agonalen, ist nun in der Tat vor dem Hintergrund der hier beschriebenen christlichen Grundsätze ein ernsthaftes, vielschichtiges Problem, angefangen mit der psychologischen Frage nach der Naturhaftigkeit des menschlichen Lebens - im Kontext auch der übrigen, dem Konkurrenzprinzip genetisch verhafteten Kreatur, des weiteren in der Frage nach der Unterscheidung von christlichem Prinzip und natürlicher Schwächlichkeit bzw. Feigheit und schließlich auch in der Frage nach der Durchsetzungsweise der christlichen Wahrheit. Ist denn der passiv veranlagte, der womöglich feige Mensch im Blick auf das christliche Prinzip im Vorteil? Verklärt nicht also das Christentum tatsächlich das moralisch Defizitäre, weshalb Nietzsche es geißelte? Ist das an „großen Heiligen" Bewunderte nicht in Wahrheit durch radikale Frömmigkeit kompensiertes Versagen im „richtigen Leben", positiv gewendete Unfähigkeit, sich im realen Dschungel des Seins zu behaupten, ihr kontemplatives Charisma demnach womöglich bloß idealisierter Vitalitätsmangel? Das Thema natürlicher, zum Überleben unverzichtbarer Aggressivität ist ein eigenes, das hier nicht erschöpfend zu behandeln ist. Festzustellen aber ist: Das Sich-Wehren, das Zurückschlagen, das aktive, kämpferische Durchsetzen - auch des Guten - ist zweifellos, so sehr es in der Natur des Menschen zutiefst angelegt ist, so sehr auch die Verfahrensweise gewesen zur Durchsetzung echter Christlichkeit von dessen Beginn an. Ein Martin Luther hätte keine Reformation bewerkstelligt, wäre er nicht zuletzt auch ein Mann von außerordentlicher Standhaftigkeit, ja Härte und Kampfesmut gewesen. Jesus selbst hat in dramatischen Konfrontationen mit bewundernswerter Kraft und Klugheit obsiegt, hat die Händler aktiv mit der Rute und gar nicht friedfertig aus dem Tempel verjagt (Joh.2,15), von den vielfältigen Auseinandersetzungen des Paulus einmal ganz zu schweigen. Und doch ist Jesus es, der die Devise ausgibt, „auch die andere Backe hinzuhalten"

246 Nietzsche hat dies in voller Schärfe gesehen, und hierin die Herrschaft der „Decadence", gegen deren vermeintlich schon geschehenen Siegeszug er wiederum seine „Umwertung" setzte; vgl. a.a.O.

Das Problem des Agonalen

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(Mt.5,39). Und doch schärft ein Paulus ein, dass wir „das Böse mit Gutem überwinden sollen" (Rö.12,21). Die Frage ist also zumindest im Groben zu beantworten, wie solche Theorie und die agonale anthropologische Disposition zusammengehen, das Erleiden und das Gewinnenwollen. Die Antwort ist in der Aussage des Apostels und bei Jesus, etwa bei Pilatus, spätestens im Kreuzesgeschehen in schließlich eindeutiger Weise vorgestellt. Spätestens hier macht Gott selbst deutlich, dass letztlich die Kraft des der Boshaftigkeit passiven Widerstehens diejenige Aktion ist, die den ultimativen Sieg davonträgt. 247 Victor quia victima! Wiederum könnte eingewandt werden: Kann nicht Gott sich dies auch leisten, weil er ohnehin derart der Stärkere ist, dass kein Mensch seinem Sein wirklich etwas anhaben könnte? Was aber ist mit den Vielen, die restlos aufgerieben werden von der sie attackierenden Bosheit, gerade indem sie analoges Verhalten an den Tag legen? - Was mit denen, die etwa durch ihre eigenen geistlichen Geschwister aufs Schlimmste verletzt, ins Abseits gestellt, unterdrückt und verleugnet werden - womöglich die gesamte Zeit ihres kurzen Lebens? Müssen sie nicht auf dem Wege der Bergpredigt in der Seele krank, neurotisch und eigentümlich werden? Ist es ihnen im Verzicht auf Gegenschläge nicht psychologisch erschwert, eine ausgeglichene, selbstbewusste Existenz zu führen? Die Antwort muss lauten: „Ja" - und zwar im Blick auf die Seligpreisungen des Herrn. „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Arge wider euch reden um meinetwillen und damit lügen. Freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß in den Himmeln. Denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch gewesen sind" (Mt.5,10-12). Die Antwort muss „Ja" lauten um des Wortes und der Erfahrung des Apostels willen: „Wir erweisen uns als Gottes Diener durch viel Standhaftigkeit in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefangenschaft, in Tumulten, in Mühsalen, in durchwachten Nächten, in Fasten; in Rein-

247 Der sich selbst beschränkende, passive Aspekt der Gottesliebe, die als duldende triumphiert, ist vorzüglich dargestellt in den Aussagen hierzu bei Künneth, Glauben an Jesus?, 1962, 233ff. Vgl. dazu Karl Heim, Jesus der Weltvollender, 1937, 119ff.; Horst-Georg Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990, 240f.

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heit, in Erkenntnis, in Langmut, in Gütigkeit in heiligem Geist, in ungeheuchelter Liebe; im Reden der Wahrheit, in Gotteskraft, durch die Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und Linken; unter Ehre und Schmach, unter böser Nachrede und guter Nachrede; als Irrlehrer und doch wahrhaftig, als Unbekannte und doch erkannt, als Sterbende, und siehe, wir leben, als Gezüchtigte und doch nicht getötet, als Betrübte, aber allezeit fröhlich, als Arme, die aber viele reich machen, als solche, die nichts haben und doch alles besitzen" (2.Kor.6,4-10). Die Antwort muss auch lauten: „Ja" um des Zeugnisses der christlichen Märtyrer willen. Die Antwort muss aber am entschiedensten „Ja" lauten um des größten Triumphes der Geschichte willen: des „Es ist vollbracht" des Herrn am Kreuz. Der christliche Heroismus ist in der Tat ein passiver aufgrund der aktiven Bezeugung des Standpunktes Gottes und er ist ein Heroismus mit allen, auch den denkbar furchtbarsten Konsequenzen. Er bedeutet tatsächlich die radikale Verleugnung des eigenen Selbst, aber er bedeutet so auch sub specie contraria dessen radikale Verherrlichung - für jetzt nur - vor der unsichtbaren Welt. 248

5. Die Agape als pneumatologisch/ekklesiologischer Schlüsselbegriff 5.1 Christologie und Pneumatologie Das Schlüsselthema bei der Verbreitung der Christuswirklichkeit unter den Gläubigen ist das der Pneumatologie. 249 Das Pneuma agiert, wie schon gesehen, als Brücke zwischen dem Auferstandenen und seiner Gemeinde, zwischen dem Wesen Gottes und der Wirklichkeit des Men-

248 S. zu dieser geistlichen Praxis des Agonalen, die der Herr Jesus Christus am deutlichsten gelebt hat, die Beschreibung des „Tapferkeitsethos" (289) der christlichen Märtyrer bei Carl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, 1970, 287ff. Eindrücklich schildert Schneider gleichwohl den „oft unglaublichen Haß", mit dem die frühen Christen sich bisweilen untereinander bekämpft haben - die Preisgabe der Agape also - „wenn es um verschiedene Lehrmeinungen geht" (295). 249 S. Christian Schütz, Einführung in die Pneumatologie, 1985, 17-20; vgl. Pannenberg, ST 3 , 1 9 9 3 , 1 6 f f .

Christologie und Pneumatologie

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sehen.250 Der Heilige Geist leistet zwischen Himmel und Erde fundamentalontologische Vermittlungsfunktion und er tut dies in Vollendung, indem er als Werkzeug das Evangelium von der Agape Gottes zum Einsatz bringt. Indem darin uns Christus begegnet und verwandelt, erweist sich die Liebe als „die inhaltlich konkrete Gestalt des Geistes".251 So ist das Leben im Geist Leben in der Agape,252 in der wir am Siegeszug des leidenden Gottessohns teilnehmen. In ihr vollbringend, was Stärke, Kunst und Klugheit nicht zuwege bringen noch auslöschen können, erweist sich die Agape als „die entscheidende Auswirkung dieses neuen Lebens im Geist". 253 Auf die grundlegende pneumatologische Kontinuität des Christusgeschehens hat wiederum besonders eindringlich Paul Tillich hingewiesen, nach welchem es ohne Geistchristologie Christsein nur als heteronome Unterwerfung gibt, als Form der Gesetzlichkeit. Als dem Christus hingegen will in Jesus Vergangenheit und Zukünftigkeit so verknüpft sein, dass wir in keinerlei theologischem Provisorium - etwa Liberalismus oder Pietismus - steckenbleiben. So erscheint das Christusgeschehen als Zentrum eines geistlichen Gesamtprozesses, der in der Gesamtgeschichte von Offenbarung und Erlösung nachhaltig wirksam ist.254 Tatsächlich ist es, indem in dessen pneumatologischem Abschnitt der Initialpunkt zu seiner Vollentfaltung und Vollausreifung kommt, die profilierte Sichtweise der biblischen Temporalität, die die Beugung der ewigen Gotteswahrheit unter menschlich-zeitbedingte verhindern möchte und verhindern soll. Die Christologie ist, wie Christian Schütz sagt, das „Vor-Wort", die Pneumatologie das für die Praxis Pietatis entscheidende „Nach-Wort", 255 das wir nach unserer Errettung ebenfalls biblisch präzise buchstabieren müssen. Infolge der Ermangelung jener Sichtweise aber ist die pneumatologische Kontinuität des Christusgeschehens eines der unterbelichtetsten dogmatischen und 250 Der Heilige Geist ist, wie Barth schön formuliert, „die subjektive Wirklichkeit der Offenbarung"; KD 1/2, 222. Im Erweis der Agape ist er allerdings auch die objektive Wirklichkeit der Offenbarung. 251 Pannenberg, ST 3,1993, 461. 252 Brunner, Dogmatik 3, 21964, 406. 253 Ebd., 30. 254 S. Tillich, ST 3, "1984, 171ff.; dazu Ives Congar, Der Heilige Geist, 1982; Pannenberg, ST 3,1993, 16ff. 255 Christian Schütz, Einführung in die Pneumatologie, 1985,18.

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praktischen Kapitel überhaupt - fatalerweise, sind doch innerhalb einer biblisch konstruierten pneumatologischen Christologie nicht zuletzt auch die lang verhandelten christologischen Probleme und Spannungen auflösbar. 2 5 6 Das Problem einer fehlenden apersonalen Dimension der Christologie finden wir gleichermaßen im Bereich des Pneumatologischen. Der Geist ist echte Gottes-Hypostase im besten Sinne des Begriffs. Bei aller gebotenen Wahrung der personalen Wirklichkeit des Geistes wird dessen im wahrsten Sinne umfassende Bedeutung doch nur richtig erfasst, wenn wir auch seine transpersonale Dimension beachten. Dabei ist hier die entsprechende Evidenz noch deutlich größer, weshalb etwa Pannenberg nicht zu Unrecht vom Heiligen Geist als „dynamischem Feld" spricht, das sich von Vater und Sohn charakteristisch unterscheidet. 2 5 7 Neben seiner Personalität müssen wir darum auch an der sphärischen Existenz des Geistes als unabdingbar festhalten, die dort gegeben ist, wo dem Willen Gottes gemäß gehandelt wird. 258 Sie ist von entscheidender Bedeutung, um die Ergreifung des Existenten von der göttlichen Macht sinnvoll aussagen und plausibilisieren zu können. Das InChristus-Sein ist identisch mit dem „Erfüllt-Sein" vom Heiligen Geist. Beides zeigt die ontische Wirkmächtigkeit des einen Gottes an (s. Eph.5,18; Kol.3,16). In beidem manifestiert sich die Kraft seiner bewegenden, seiner umgestaltenden, seiner neuschaffenden Liebe, die darum mit allem biblischen und systematisch-theologischen Recht als die Kernqualität des Geistes gelten kann (vgl. 1.Kor.13,13; Gal.5,22; Kol.1,8; Rö.15,30). 259

256 Dazu mehr im nächsten Teil, wenn von der Logoslehre die Rede ist. Dass eine pneumatologisch verfasste Christologie auch die allermeisten aktuellen divergierenden christologischen Ansätze (ausgeführt bei Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 51990, 229-261) fruchtbar vereinen kann, illustriert erneut Christian Schütz a.a.O. 257 Wolfhart, Pannenberg, ST 3,1993, 463; vgl. a.a.O. 258 In diesem Sinne wird der Heilige Geist genau wie im Alten, so auch im Neuen Testament vielfältig mit seinen Wirkungen identifiziert; s. auch Pannenberg, Grundzüge der Christologie, 2 1966, 170-181. 259 Zur engen Verbindung von Pneuma und Agape s. Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments, 1978, 59.

Pneumatologie und Ekklesiologie

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5.2 Pneumatologie und Ekklesiologie 260 / Die Notwendigkeit biblisch-ekklesiologischer Besinnung So betreten wir vom Gebiet der eigentlichen Theologie aus dasjenige der Ekklesiologie, deren pneumatologische Verfasstheit es ist, welche die Christusgemäßheit des neuen Seins garantiert.261 Die christologischpneumatologische Substanz der Kirche ist biblisch eindeutig und denn auch evangelischerseits theoretisch im Wesentlichen unbestritten. 262 Die Gemeinde als Vorhut des Gottesreiches bildet den Gestaltungsraum des Heiligen Geistes und damit auch des Christus. Sie soll der geschöpfliche Ausdruck des Wesens Gottes sein, seiner Heiligkeit und seiner Liebe 263 - der allerdings über seine formale Beteuerung hinaus ontologisch fassbar werden will. Die Dynamis des Geistes manifestiert und konkretisiert sich im Ekklesialen, das praktisch in der Hauptsache die Weitergabe der vergebenden Liebe Gottes ist. „Der Geist ist das Schon", die Kirche darum „das große göttliche Geschenk auf Erden: der Leib selber". 264 Wir verstehen die Kirche als das „Lebenswerk" des Geistes im doppelten Sinne: als sein Hauptwerk und dieses als die Realisierung gottgemäßen Lebens, gottgemäßen Seins. Der Geist ist „Existenzgrundlage, Lebens-

260 S. dazu Hans Küng, Die Kirche, Π992, ISlff.; Walter Kasper, Gerd Sauter, Kirche Ort des Geistes, 1976; Jürgen Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes, 2 1989; Paul Tillich ST 3, "1984,176ff.; Wolfhart Pannenberg, ST 3, 1993, 25ff. 261 S. wiederum Christian Schütz, a.a.O., 20, wo zu Recht darauf hingewiesen wird, dass in pneumatologischer Interpretation auch die Harmonie der unterschiedlichen biblischen Bilder von der Kirche ohne weiteres gegeben ist. 262 Die pneumatologische Begründung der Kirche findet sich etwa sehr schön bei Ernst Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, 1969, 34f.: „Die Kirche kann nur von dem Wirken des Heiligen Geistes her recht gesehen werden, und der Heilige Geist wirkt nicht ohne die Kirche." Kinder arbeitet auch deren christologische Fundierung gut heraus, so dass gesagt werden kann: „Die allgemeine ,Theologie der Kirche' erhält erst als ,Christologie und Pneumatologie der Kirche' spezifische Füllung und charakteristische Profile" (26). Vgl. auch Eduard Schweizer, Das Leben des Herrn in der Gemeinde und ihren Diensten, 1946; sowie zur trinitarischen Begründung der Kirche Reinhard Frieling, Der Kirchenbegriff in der ökumenischen Diskussion der letzten Jahrzehnte, 1996, 63f. 263 Pannenberg spricht korrekt im Zusammenhang mit der Gabe des Geistes von der „Verherrlichung der Schöpfung", ST 3,1993, 19. 264 Oscar Cullmann, Heil als Geschichte, 1965, 281.

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prinzip und Gestaltungsmacht der Kirche".265 Die Kirche ist folglich auch, wie die katholische Lehre dies zu Recht zu sagen, wenngleich unzulässig auf sich selbst zu beziehen wagt, das „Sakrament des Geistes".266 Sie ist Schöpfungsordnung, insofern das Volk Gottes Schöpfungsordnung ist.267 Im Pneuma nimmt Gott die Menschheit in das Geschehen seiner Liebe mit hinein. Im Pneuma ereignet sich die „Ekstase" jener Liebe, die das Geschöpfliche fundamentieren und durchdringen will.268 In und mit der geistbestimmten ekklesia aber dringt Gott denn auch selbst vermittels des Geistes in maximaler Weise in das Geschöpfliche ein, um zu vollenden, worauf er schon immer gedrängt hat. Darum umschließt dieses den Gesamtvorgang der göttlichen Selbsterschließung. Die Christusbotschaft inklusive ihrer verbindlichen Tradierung durch die Augenzeugen plus ihre ekklesiale Ausdehnung: das ist das Pneuma, in welchem zwischen Gott und Mensch vermittelt wird. Die Gemeinde ist das Kraftfeld der Liebe Gottes, die dem Menschen passende Behausung, die „Erstlingsgabe" (Rö.8,23), zu der sich die Hoffnung auf eine vollständig heile - noch bessere - Zukunft gesellt.269 Diese Liebe manifestiert sich essentiell in der realen Einheit der Gemeinde, einer Einheit als dem exklusiven Produkt des Geisteswirkens. Dabei realisiert der Geist insbesondere das Wunder der Vielheit in Einheit gänzlich unorganisatorisch, vielmehr auf dem schlichten

265 Hans Küng, Die Kirche, 31992, 207. 266 Vgl. zum sakramentalen Selbstverständnis der RKK Peter Eicher (Hg.), Neue Summe Theologie Bd. 3, 1989, 239-242; Otto Semmelroth, Die Kirche als Ursakrament, 3 1963; Walter Kasper, „Kirche als Sakrament des Heils" in: Theologie und Kirche, 1987; Medard Kehl, Die Kirche, Eine katholische Ekklesiologie, 1992, 82ff. S. auch die besonnene Reflexion desselben evangelischerseits bei Wolfhart Pannenberg, ST 3, 1993, 50-62. 267 Vgl. Otto Herrmann Pesch, Kirche als Schöpfungsordnung?, 1999, 296-318. 268 In diesem Sinne sind die juridische und die sog. „mystische" Gedankenreihe (Schweitzer) bei Paulus aufs engste verbunden, so dass deutlich wird, dass „erst die Pneumatologie das Werk der Rechtfertigung vollendet". Das Pneuma ist gewissermaßen der Katalysator der Rechtfertigung in die Ekklesiologie hinein. S. hierzu die Ausführungen von Gottlob Schrenk zu „δικαιοσύνη" in: ThWNT, Bd. 2, 1935, 209ff. 269 „Die raison d'etre einer Kirche ist, dass die Menschen mit einem Leben beschenkt werden, das weiter greift als ihre enge Persönlichkeit, einem Leben, das in der Wahrheit allen Seins wurzelt." C. S. Peirce, Religionsphilosophische Schriften, 1995, 248.

Pneumatologie und Ekklesiologie

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Wege der Anwendung des Kreuzes.270 Der Geist macht aus dem Einheitsgewissen der Kirche bruderschaftliche Wirklichkeit. Weil diese Einheit trotz sektiererischer Tendenzen in der neutestamentlichen Gemeinde Bestand hat, müht der Apostel sich so sehr, dass diese auch fürderhin gewahrt bleiben möge (Phil.2,2; Eph.4,3-6; Kol.3,11), trotzdem er zu erahnen scheint, dass dies nach seiner Zeit nicht so bleiben wird (Apg.20,29f.). So legt die Bibel, pneumatologisch vermittelt, speziell im ekklesiologischen Bereich dar, wie es möglich ist, das Gesamtverständnis des Christus zu erhalten und seine Anwesenheit vor Zertrennung zu bewahren, wobei sie geradezu erschreckend deutlich macht, dass die Zerschneidung der uns zugedachten Christusrealität nicht nur eine menschliche Möglichkeit ist, sondern geradezu eine unserer natürlichen sozialen Neigungen, geschieht sie doch auf dem Wege von Streit und Spaltung (1.Kor.1,10-13),271 deren die Kirchengeschichte und als deren Ergebnis unsere heutige konfessionelle Landschaft ein - wiederum unzweideutiges - Zeugnis ist. Theologisch im höchsten Maße problematisch dabei ist, dass mit der konfessionalistischen Angleichung des christlichen Seins an die kommunitären Seins-Kompromissformen der „Welt" nicht allein diese, sondern ebenso die Kirche der ontischen Wirksamkeit des versöhnenden Leidens und Sterbens des Herrn beraubt wird - wenn man so will, auch Gott der ontologischen Früchte seiner Heilstat - ein insofern für die Gläubigen besonders tragisches Geschehen, weil sie hinsichtlich ihrer bereits geschehenen Erlösung in einem Zustand des freiwilligen Als-ob existieren, in welchem die Kirche außerstande ist, ihre volle missionarische Wirksamkeit zu entfalten. Paul Schütz bringt es auf den Punkt: „Das Ärgernis des Kreuzes Christi ist uns noch gar nicht recht zu Gesicht gekommen, die christliche Schuld am zerstückelten Christus verdeckt es vor den Augen der Welt noch vorerst." 272

270 Eine unter staurozentrischem Blickwinkel sehr ansprechende, ausgewogene Pneumatologie liefert Dieter Schneider, Der Geist des Gekreuzigten, 1987. 271 S. Christian Link; Ulrich Luz; Lukas Vischer, Sie aber hielten fest an der Gemeinschaft, 1988, wo gut zum Ausdruck kommt, dass die paulinische Mahnung „nicht rhetorisch gemeint" ist (98ff.). 272 Paul Schütz, An den Menschen, 1971,157.

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Die Agape als Grund des neuen Seins

Die katholische Sichtweise ist an diesem Punkt biblisch konsequenter, wenn man so will „reiner", allerdings auch blinder für die Diskrepanz ihres eigenen voluminösen und mächtigen Seins zur biblischen Wirklichkeit einer kleinen, allein auf die Macht ihres Herrn abstellenden Herde. „Die Kirche ist aufgrund ihrer Verwandtschaft mit dem Geist auf dieses in der Geschichte sich vollziehende Außer-sich und Sich-selbst-Überschreiten hin angelegt. Es muss ihr mehr und mehr darum gehen, mit der gesamten Menschheit und ihrer Geschichte identisch zu werden. So betrachtet ist Kirche als Sakrament des Geistes auf die umfassende Versöhnung und Einheit aller Menschen und der Geschichte in einer geheilten Schöpfung hin unterwegs. Darin liegt der geistgewirkte Sinn ihrer Geschichte." 273 Aus dieser Äußerung wird gut deutlich, wie die typisch-katholische, richtige Erkenntnis des Wesens der Kirche 274 angewandt wird auf einen dem Evangelium nicht unterzogenen Gemeinschaftskontext, woraus zwangsläufig folgt, dass die Offenbarungs- und Heilsrelevanz des Christusleibes fälschlich mit der kirchlichen Institution identifiziert und gerade deren geschichtliche Verfestigung als ein pneumatisches Siegel missdeutet wird. 275 Umgekehrt einseitig verfahren gewöhnlich evangelische Ekklesiologen dann, wenn sie dem Evangelium nicht seine ganz-kirchliche Ausgestaltung zuordnen, so dass im Calvinischen Sinne der Einzelne nach eigenem Gutdünken darüber befinden darf, wo er sein geistliches Leben verwirklichen möchte. 276 Auf diese Weise bleibt das Evangelium in der Konsequenz leiblos/gemeinschaftslos auf der einen Seite, der vermeintliche Leib Christi aber auf der anderen eine nicht vom Evangelium geprägte, letztendlich ebenso gemeinschaftslose Masse. Evangelium und kirchliche Vollständigkeit bedürfen darum einander für ihre je eigene Identität und demzufolge auch zur Abwehr entstellter Formen des je Fehlenden. Mit einer schriftgemäßen, pneumatologisch verfassten Ekklesiologie mag denn auch das Problemfeld angegangen sein, das dem pietisti273 Christian Schütz, Einführung in die Pneumatologie, 1985, 25. 274 Vgl. Romano Guardini, Die Kirche des Herrn, 1965; Peter Eicher (Hg.), Neue Summe Theologie, Bd. 3,1989,38ff.; Walter Kasper, a.a.O.; Victor Warnach, a.a.O. 275 Vgl. etwa Joseph Neuner; Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, 121986, „Die Kirche als Hort und Beweis der Offenbarung", 258; s. dazu Emil Brunner, Das Mißverständnis der Kirche, 3 1988,14. 276 Vgl. die Ekklesiologien von Ernst Kinder, Walter Kreck a.a.O.

Pneumatologie und Ekklesiologie

2 77

sehen Anliegen - wie auch heute dem evangelikalen - als Basis gefehlt hat, weil es von den Reformatoren theologisch vernachlässigt, wenn nicht gar um ihrer volkskirchlichen Vorentscheidung willen verdrängt worden war. Die biblische Sicht der Gemeinde ist ungleich bedeutsamer, als was Calvin im letzten Buch seiner Dogmatik unter dem Thema „Von den äußeren Mitteln oder Beihilfen, mit denen uns Gott zu der Gemeinschaft mit Christus einlädt und in ihr erhält" abhandelt. 277 Als „der durch Christus vorgängig bestimmte Bereich" 2 7 8 sollte sie ganz im Gegenteil einmal als die Grundlage der christlichen Erfahrung erörtert werden wie auch als Paradigma einer vollständigen Theologie. 279 Für die Letztere ist die Ekklesiologie genauso vorentscheidend, wie eben diese als eine kirchliche Disziplin begriffen wird. 280 Wir befinden uns genau bei der Ekklesiologie unter der Prämisse ihrer christologischpneumatologischen Betrachtungsweise bei der Frage nach der christlichen Substanz, bei der Frage nach der tatsächlichen Verifizierbarkeit des Christlichen für den Einzelnen wie auch für die Welt. Die ekklesiologische Frage ist demnach als eine christologisch-pneumatologische nicht nur eine soteriologische, sondern auch eine praktischtheologische wie schließlich auch eine missionarische. Sie ist die Frage nach der ontologischen Gegenwart des Reiches Gottes.

277 Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis, 1955/86, TV/1, 1, 683. Vgl. Wolfgang Trillhaas, Dogmatik, 1962, wo die Kirchenlehre sogar unter „Epilegomena" abgehandelt und die typische Crux einer „Einheit der Kirche unter der Trennung" angenommen wird (556); s. auch dazu Emil Brunner, Das Mißverständnis der Kirche, 3

1988, I I I . ; Dogmatik 3, 2 1964, 34ff.

278 Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 1993,108. 279 Vgl. Alexandre Ganoczy, Einführung in die Dogmatik, 1983, 151f., wo empfohlen wird, das „Prinzip ,Agape"' auch in die dogmatische Methode mit aufzunehmen. 280 S. Karl Barth KD 1/1, 1; vgl. Dietrich Bonhoeffer, der in dieser Hinsicht zu Recht vermerkt: „Es wäre gut, eine Dogmatik einmal nicht mit der Gotteslehre, sondern mit der Lehre von der Kirche zu beginnen, um über die innere Logik des dogmatischen Aufbaus Klarheit zu stiften." Sanctorum Communio, 1986, 85.

VI. Das neuerliche Problem mit der Agape (als fundamentalontologischer Kategorie) / Die Deformierung des christlichen Seins 1. Der Agapeverlust der frühen Kirche in Theorie und Praxis / Die Entontologisierung des Christentums als seine Entsozialisierung 1.1 Die nachapostolische Entwicklung als Verlust neu testamentlicher Lehre und Praxis / Die erneute Problematisierung des Wortes Gottes / Die Deformation des Leibes Christi / Die Ausbildung von Ersatzstrukturen / Die erneute ontologische Defizienz (Die Apostolischen Väter und die Folgen) Die Einheit und Integrität der göttlichen Redeweisen hat in nachapostolischer Zeit leider nur gar zu bald beträchtlichen Schaden gelitten. Entsprechend in Mitleidenschaft gezogen wurde darum erneut das Werk Gottes, dessen Schadhaftigkeit in und mit der zersplitterten konfessionellen Landschaft heute problemlos mit Händen zu greifen ist. Es soll darum an dieser Stelle nicht das vielstrophige Klagelied vom Zustand der christlichen Kirche angestimmt werden. Beschrieben soll dieser Zustand nur insoweit werden, als seine grundlegenden Charakteristika mit der Thematik der Gottesrede in deren hier behandelten Weise zusammenhängen.1 Die junge Gemeinde ist eine, die sich von Anfang an - ihrer Natur gemäß - in diversen Abwehrkämpfen befindet. Die unterschiedlichsten 1

Auch kann und soll in diesem Rahmen nicht der umfassende kirchenhistorische Einzelnachweis für das Folgende erbracht werden, wohl aber soll dieses in Ubereinstimmung mit dem Stand der dogmengeschichtlichen Debatte erfolgen, auf die entsprechende Hinweise abzugeben sein werden.

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theologischen Attacken drohen die Gläubigen zu verwirren in Form der Gnosis, der marcionitischen Schriftkritik und des montanistischen Enthusiasmus. Dagegen wappnet sich die Kirche mit den Bollwerken des Schriftobjektivismus, damit der Übergewichtung der skriptologischen Formal- über ihre Materialkriterien, des Dogmatismus in seiner Frühform der Glaubensregel und schließlich der Amtsautorität in Gestalt des monarchischen Episkopats. Diese als Frühkatholizismus hinlänglich beschriebenen und darum hier nicht im Einzelnen aufzuweisenden Reaktionen 2 sind so verständlich wie am Ende verhängnisvoll, denn sie ersetzen ungewollt die biblische Gesamttheologie durch eine apologetisch-partielle, die gerade ihrer genuinen Kerngehalte entbehrt. Indem die christliche Lehre nicht primär vor dem hohen Niveau der eigenen Verheißung, sondern in Abgrenzungsreaktionen entwickelt wird, begründet sie so eine tiefgreifende Modifikation des originalen christlich-ekklesialen Seins. Nicht mehr das Selbstbewusstsein der Gemeinde als dem Weltlauf entzogene, ihrem Herrn entgegenstrebende Neuschöpfung bestimmt ihre unter dem Eindruck der Größe der Heilstat wie selbstverständlich begriffene christologische Identität, sondern der Blick auf die vielfältigen diskursiven und organisatorischen Herausforderungen verführen zu allerlei Arrangements mit dem einstmals Verlassenen. Die neuen Errungenschaften der frühen Kirche korrespondieren der stillschweigenden Verflüchtigung des zentralen christlichen Guts, der Agape - zunächst in der Lehre, dann später auch in der Praxis. Am biblischsten durchreflektiert erscheint die Liebe in der theologischen Frühzeit noch bei Irenäus. Dennoch sehen wir schon am Ende der ersten Generation deutlichste Verschiebungen der biblisch-theologischen Prioritäten. Bereits in den Betonungen der Ignatiusbriefe - auf Amtsautorität und kirchlichen Sakralcharakter - erkennen wir die Preisgabe der biblischen Sichtweise des Leibes Christi und seiner christlichen Spezifika. Dessen Vorstellung tritt insgesamt zurück und wo sie vorkommt, wird sie wie im 1. Clemensbrief institutionell oder wie bei Igna-

2

Vgl. dazu in kompakter Darstellung zur Frage des „Frühkatholizismus" Manfred Jacobs, Das Christentum in der antiken Welt. Von der frühkatholischen Kirche bis zu Kaiser Konstantin, 1987, 14ff.; außerdem die tiefsichtige Darstellung der subtilen Veränderungsprozesse der urchristlichen ekklesia bei Emil Brunner, Das Mißverständnis der Kirche, 31988, 84ff.; Dogmatik 3, 2 1964, 76ff.

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tius kosmologisch fehlinterpretiert. 3 Den in etwa gleichen Schaden nimmt auch die Perspektive des Reiches Gottes. 4 Womöglich noch zu Lebzeiten des letzten Apostels wird somit leicht ersichtlich, dass bei den „apostolischen Vätern" das Christliche von gravierenden Zäsuren heimgesucht wird, die Paulus für die Zeit nach seinem Tod auch vorausgesagt hat (Apg.20,29f.) und deren allererste Anfänge Johannes in den Sendschreiben schildert (Off.2+3). Die neutestamentliche Theologie, insbesondere eines Paulus und eines Johannes, büßt rasch diejenige Prävalenz ein, die sie für die Lehre und das Sein der christlichen Gemeinde bleibend haben sollte, so dass erneut das Seinsgrundwort leidet und in diesem das Heilsgeschehen. Das Werk Gottes erfährt in seinen kirchlichen Ausprägungen Entstellungen analog der theologischen Eingriffe, die man an der konstruktiven Gottesrede vornimmt aufgrund der Missachtung der instruktiven Gottesrede. Dies ist das eigentlich „frühkatholische" Verhängnis. Die Beschädigung der communio sanctorum als eschatologischer Liebesgemeinschaft fördert die notwendige Verdinglichung des Heilsguts sowie die Verrechtlichung des kirchlichen Ablaufs, die ab dem 1. Clemensbrief unverhüllt ans Tageslicht treten. Das Kirchenvolk benötigt das Sakrament, das Sakrament aber den Priester. Die ekklesia wandelt sich in dieser Spirale von Klerikalismus und Sakramentalismus von einer pneumatischen - dabei nicht organisationslosen, sondern wohlgeordneten - Bruderschaft zur durchreglementierten Heilsinstitution, 5 die Macht gewinnt, indem sie Pneuma fahren lässt. Amt und Heilsgut fördern sich gegenseitig zur Errichtung des katholischen Apparates, statt dass in Liebe die Vielfalt des Pneumas die Auferbauung des Leibes gemäß Eph.4 vollbringt. Für ihre schlussendliche Ausbildung zur Staatskirche ist ohne Frage die Parusieverzögerung 6 ein treibendes Moment gewesen, 7 worin eine vulgarisierte Sakralpraxis Bestätigung fand, zur Verwaltung des Christusgeschenks sich der klas-

3

Belege bei Manfred Jacobs, a.a.O., 20ff.; sowie bei Hans Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche 1,1961, 208.

4

S. dazu Herbert Preisker, Das Ethos des Urchristentums, 31968, 219ff„ 236f.

5

S. Emil Brunner, a.a.O.

6

Vgl. Martin Werner, a.a.O.

7

Vgl. Hans-Werner Bartsch, Die unvollendete Reformation des 16. Jahrhunderts, 1968, 26ff., 75ff.

Die nachapostolische Entwicklung

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sischen Mittel und Wege zu bedienen. Organisation und Lehre lösen die ekstatische ekklesia endgültig ab, die neutestamentliche Gemeindeordnung wird profan und pragmatisch, fällt in ihrem Objektivismus zurück in die Zeit der rabbinischen Tradition. 8 Die Heiligen sind solche nicht mehr kraft des Kreuzes als Persongemeinschaft veränderter Herzen, sondern kraft ihres ritualisierten Verhältnisses zur heiligen Sache, die ebenso wie die personale Nachfolgekonsequenz die EvangeliumsHorizontale zum Beiprodukt gerinnen lässt. Nicht mehr die erste Liebe zu Gott und zum Nächsten motivieren zu einem umfassend neuen Wandel, sondern der alte wird durch allerlei kirchliches Zeremoniell umfassend begleitet. Radikale subjektivistische Gegenreaktionen dokumentieren nur den Verlust der ursprünglichen Heiligkeit, können diese aber keinesfalls kompensieren, geschweige denn wiederherstellen. 9

8

Die Trennung zwischen dem Sein der Kirche und ihren Inhalten ist bereits bei Irenaus mit Händen zu greifen, wenn von der Kirche als „reiche Schatzkammer" gesprochen wird, von einem „Gefäß" der Wahrheit und des Heils (Adversus haereses, ΙΠ, 4,1). Die Kirche ist die „Mutter" der Gläubigen, die das „klare Quellwasser" reicht (ebd., ΙΠ, 24,1). Damit ist wohlgemerkt nichts inhaltlich Falsches gesagt, es ist aber etwas gesagt, was kaum gesagt werden kann, ohne dass auf die Gehuldigte bereits ein Schatten fällt. Es ist, wie wenn ein anmutiges Mädchen mit ihrer Anmut prahlen möchte und sogleich einen Teil davon einbüßt. Sachlich nicht zu beanstanden ist ebenso die Aussage: „Wo die Kirche ist, dort ist auch der Geist Gottes; und wo der Geist Gottes ist, dort ist die Kirche und alle Gnade" (ebd.). Auch hier aber gilt, dass eine so ungeheure Wahrheit nicht proklamiert, sondern in jener Reinheit gelebt sein will, die bereits mit dem leisesten Anflug des Hochmuts kollidiert und schon gar nicht den Versuch verträgt, sich selbst als eine feste weltliche Größe zu etablieren. Das Problem bei geistlichen Gütern ist nun einmal, dass sie schwinden, schon wenn man sich ihrer zu sehr bewusst wird und erst recht, sobald man sie dingfest machen möchte, weil sie nur dem Demütigen verbleiben, der „hat, als hätte er nicht" (l.Kor.7,29). In dem Zusammenhang wäre einmal in einer gesonderten Untersuchung die frühkirchliche Apologetik präzise vor der neutestamentlich breit angelegten Leidensaufforderung bzw. der legitimen Selbstrechtfertigung gemäß der Kriterien von l.Pt.3,15-17 zu prüfen und festzustellen, an welchen Punkten und aufgrund welcher Motive die Alte Kirche die biblischen Grenzen überschritten hat und als pneumatisches Gebilde der Wahrnehmung der eigenen Machtpotentiale erlegen ist. Die Vorarbeit, die Rudolf Sohm (Kirchenrecht, Nachdr. 1967) an diesem Punkt geleistet (und Emil Brunner aufgegriffen) hat, dürfte wohl gar zu leichtfertig beiseite geschoben worden sein.

9

Wir betrachten demnach die beschriebene Verfestigung als authentisches Produkt frühkirchlicher Fehlentwicklungen, nicht als deren Gegenmoment. Das Neue Testa-

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In der Summe haben wir es zu tun mit einer Fülle einander beschleunigender praktischer wie theologischer Depravationsfaktoren. Die Liebe der Gemeinde geht dabei zuerst theologisch verloren, ihre Heiligkeit zuerst praktisch, beider Kompensationsfaktoren machen den Verfall des christlichen Seins schließlich komplett.10 Dass bei den Bestrebungen einer sich in der Welt einrichtenden Kirche die christliche Liebe frühzeitig ihre theologische Zentralstellung trotz Aufrechterhaltung einer die Umwelt nachhaltig beeindruckenden diakonischen Tätigkeit11 verliert, ist für uns von besonderem Belang. Im gleichen Maße ment regelt die Verfahrensweise beim Auftreten von Irrlehrern - nicht aber auf dem Wege der organisatorischen Verhärtung des Leibes Christi; vgl. Mt.18,15-20. 10

Den schleichenden Verwandlungsprozess der frühen Kirche weg von der AgapeBruderschaft hin zum priesterdominierten, sakralen Apparat hat besonders eindrücklich Emil Brunner veranschaulicht (s. a.a.O.). In dessen sträflich ignoriertem Spätwerk wird überzeugend dargestellt, wie die Agape als das ursprüngliche durch das neue Heilsgut des Sakramentes abgelöst wird, das seiner priesterliche Handhabung bedarf und so gravierende Akzentverschiebungen im Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft befördert. Während die Ekklesia sich gerade durch die Aufhebung des Gegensatzes von Sakrum und Profanum auszeichnet (Dogmatik 3, 2 1964, 147), kommt nun das heilige Sakrament zu stehen anstelle der heiligen Geschwister, die nur noch heilige Priester zu dessen Darreichung benötigen. „Es ist nicht mehr die Agape, die schenkende Liebe Gottes, die die einzelnen mit einander verbindet, sondern es ist dieses Wunderding, das Sakrament, das man miteinander gemeinsam hat; man bekommt jetzt den Leib Christi, statt daß man selbst der Leib Christi ist ... Das Bischofsamt wird durch das Sakrament emporgetragen, und nur vom Sakrament aus ist zu verstehen, warum gerade dieses Amt und warum es in solchem Maße hochkam" (Das Mißverständnis der Kirche, ^1988, 87f.). Genau so hat man folgerichtig die Befreiung von der eigenen hohen, ursprünglichen, pluripersonalen Seinsverantwortung erreicht - nicht nur zum eigenen Schaden, sondern ganz gewiss zu dem einer Orientierung suchenden Welt. „So ist die Struktur der Ekklesia durch dieses neue Verständnis des Herrenmahls als Sakrament des Altars total verändert. Aus der Bruderschaft in Christus ist die sakramental-priesterliche Kirche geworden" (Dogmatik 3, 2 1964, 85.). Vgl. zum neutestamentlichen Begriff des „Sakraments" und seiner frühkirchlichen Transformation auch Günther Bornkamm, ,,μυστήριον", ThWNT, Bd. 4,1943, 823ff.; sowie aus katholischer - nicht in der Analyse, aber in der Interpretation abweichender - Sicht: Johannes Feiner u. Magnus Köhler (Hg.), Mysterium Salutis, Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik IV/2,1973, 70ff.

11

S. Eberhard Arnold, Im Anfang war die Liebe. Dokumente, Briefe und Texte der Urchristen, 1986, 48-56; Gerhard Uhlhorn, Die christliche Liebestätigkeit, 1959, 45120; Johannes Leipoldt, Der soziale Gedanke in der altchristlichen Kirche, 1952, bes. 201f.; Adolf v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. Bd. 1: Die Mission in Wort und Tat, 1924,170-175; sowie Carl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, 1970, 280-304.

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wie die biblisch-heilsgeschichtlich-ontologische Komponente erfährt sie - lebendige Blüte wie auch Wurzel des Christentums - ihre nachhaltige Deformierung, sprich: Vergleichgültigung. Sie erkaltet.12 Das biblischtheologische Zentralthema verliert somit in nachapostolischer Zeit an Bedeutung, wobei es zum einen generell in den Hintergrund tritt und zum anderen, wo noch thematisiert, es der sich verändernden christlichen Wirklichkeit angepasst wird, statt wie vormals die Anpassung der Wirklichkeit an die Gottesbotschaft zu veranlassen.13 12

13

S. dazu Gerhard Uhlhorn, Die christliche Liebestätigkeit, 1959, 120-129. Uhlhorn weist die „Anfänge der Trübungen" (121) der christlichen Lebens- und Liebespraxis nach u.a. anhand der Almosenpraxis als deren vermutlich frühestem Beispiel. Entgegen der neutestamentlichen Intention und usprünglichen Gemeindepraxis wird schon bei Polykarp und der Didache sowie im 2. Clemensbrief ausdrücklich deren sündentilgende Wirkung anempfohlen, wodurch der erste Schritt zurück zum Gesetz getan ist (122), damit aber auch weg von der gesamthaften Agapewirklichkeit der ihrem Meister freudig und von irdischen Banden gelöst entgegenblickenden kleinen Herde. Anstelle des ursprünglichen, im wahrsten Sinne „Begeistert"-Seins etabliert sich als erstes „frühkatholisches" Moment das lustlose Tun guter Werke, die das Verheißene dereinst garantieren sollen. „Vereinzeltes Almosengeben tritt an die Stelle eines das ganze Leben erfüllenden Liebeswerks" (123). Mit dem Akzent auf einer spezifisch christlichen Sittlichkeit „bildet sich eine Durchschnittsmoral heraus, die für den gewöhnlichen Christen genügt" (125). In theologischer Hinsicht konnte die heilsgeschichtliche Komponente in Vergessenheit geraten, indem man den metaphysischen Aspekt der apostolischen Theologie zunehmend neuplatonisch-individualistisch statt biblisch-evangelistisch auf die Herausbildung des neuen Gottesvolkes zielend interpretierte. Indem der Fokus sich mehr auf das Gott-Gott-Verhältnis, statt auf das dynamisch/ökonomische Gott-WeltVerhältnis richtet, erscheint Gott selbst auf diesem Weg schließlich nicht mehr als der Herr der geschichtlich-irdischen Vorgänge, sondern rückt an das platonische Seinsverständnis heran. Die dynamisch-heilsgeschichtliche Betrachtungsweise weicht so demjenigen sattsam bekannten rationalistischen Harmonismus (s. zur dabei bedeutenden Rolle Philos: David Winston, Logos and Mystical Theology in Philo of Alexandria, 1985), der sich zur Abwehr allerlei extremistischer Positionen gut eignet, der aber die geschichtliche Brisanz des Heilgeschehen verwässert. Mit dem Verzicht hierauf war es nur zwangsläufig, dass damit auch dessen christlicher Zentralbestandteil, die Agape, aus den Augen geriet. Die Liebe als das dynamische Zentralelement des heilsgeschichtlichen Vorgehens Gottes muss verkümmern, indem diese Vorgehensweise und daraus resultierend die Gotteserkenntnis selbst verfremdet wird. Wo hingegen der Mensch als Mensch-in-Gemeinschaft im Blickpunkt des Offenbarungshandelns bleibt, bleibt auch die Liebe als das dynamischverbindende Prinzip in voller Geltung. ... beginnend wiederum mit Ignatius, der die Liebe sakramentalistisch als das eucharistische Blut Jesu fasst, „das unvergängliche Liebe ist". Die Diskrepanz zum neute-

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So ist alles in allem die nach-neutestamentliche Geschichte des Liebesbegriffs die Geschichte seiner Missbildung in Form und Inhalt. Die christliche Kirche gewinnt in diesem Prozess an gesellschaftlicher Bedeutung, die spezifisch christliche Vergebung aber wird zum Randthema. Das Recht nimmt zu, ebenso die Plausibilität der eigenen moralischen Überzeugungen, die eschatologische Gesinnung aber schwindet ebenso wie das „neue Gebot", so zu lieben, wie der Herr geliebt hat (Joh.13,34). Das Christentum wird so zwar formal dem biblischen Anspruch gemäß als neue Weltordnung begriffen, indem deren paulinisch/johanneische Fundierung fehlt, wird letztlich aber nur das alte sokratische Ideal christianisiert sowie der Boden geebnet für die Assimilierung innerhalb des religiösen Spektrums. Das Christentum erfährt so noch in seiner Frühzeit geradezu katastrophische Veränderungen, die durch entsprechende Ersatzlehren gerechtfertigt und Ersatzstrukturen übertüncht werden sollen, dadurch aber nur ihre zusätzliche Beschleunigung erfahren. Grund hierfür war ein schriftfremdes14 Sicherungsdenken, eine theologische Panikreaktion gegenüber der „Gewahrwerdung der Welt und ihres Unheils". 15 Die innere Verwandlung der Kirche ist angesichts von Bedrohungen zu erklären, aber niemals zu billigen. Von Anfang an gefährden weniger äußere Angriffe als vielmehr innere Sicherungsstamentlichen Agape-Verständnis (s. a.a.O.) könnte kaum größer sein; s. Andreas Lindemann; Henning Paulsen (Hg.), Die Apostolischen Väter, 1992, 217. Ihre weitere qualitative Relativierung erfährt die Liebe in l.Clem.49,5.6; 53,5; vgl. dazu Hans Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche 1, 1961, 206f.; sowie Herbert Preisker, Das Ethos des Urchristentums, 31968, 208. Preisker beobachtet hier bereits eine generelle Vergesetzlichung der „christlichen Sittlichkeit" zu Lasten der Agape im Blick darauf, dass jene in der Entwicklung von Sündenregistern „den Charakter von Du-sollstnicht-Zusammenfassungen" annimmt. „Bei dieser Gesamtanschauung, welche die Liebe als einzig-einheitliche und ausschließliche Grundhaltung nicht mehr kennt, steht die Liebe in einer Reihe mit anderen guten Werken, ist eine Leistung in einer Fülle anderer Tugenden. Noch weiß man auch in dieser Zeit um die Liebe als Anfang und Ende aller Lebensgestimmtheit, und selbst wo man die Werke so betont, wie die Offenbarung des Johannes es tut, setzt man Liebe voran ... Aber die Liebe ist eben nur ein Werk neben anderen, und in sonstigen Tugendlisten ist sie oft genug erst gegen Schluß aufgezählt" (201). Zur Gesamtentwicklung des biblisch-christlichen Liebesverständnisses s. Peter Gerlitz u.a. „Liebe", TRE, Bd. 21,1991, 121-170. 14

...wenn wir etwa an die Leidensrede Pauli in 2.Kor.4,7ff. denken oder auch an den Tenor der Bergpredigt.

15

S. Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 1,1982, 65ff.

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maßnahmen das originale, korporative, das ekklesiale Christsein zu Lasten der Realität des eigentlichen, die Welt ergreifen wollenden göttlichen Geheimnisses: der Kraft seiner Liebe. Im Maße innerer Degeneration erwächst nun äußerer Prunk. Das christliche Sein wird zunehmend ausgeblendet, der hierarchische Apparat und das heilige Sakrament ersetzen die Agape und sie tun das gerade so ungenügend, wie Menschliches Göttliches ersetzen kann.16 Der Kirche Außeres kann dabei ihre innere Substanzlosigkeit nicht lange verbergen. Aus einem subtilen geist-leiblichen Gebilde, gewahrt vom Gehorsam gegen Gottes Anweisung und durchprägt von Gottes Liebe, wird schließlich so ziemlich das genaue Gegenteil. Die Kirche verliert ihre genuine geistliche Identität zugunsten allerlei theologisch/kirchlicher Verkürzungen, Vereinseitigungen, Verfremdungen. Zunehmend problematisch wird bis zur Reformationszeit vor allem die Sache des Seinsgrundwortes und entsprechend das christliche Sein selbst. Indem das Evangelium, das Heilswort, und auch dessen Umsetzung im Leib Christi, die Heilswirklichkeit, nicht in ihrer biblischen Authentizität beibehalten werden, sondern die Kirche sich zu einer sakramentalistischen Anstalt für quasi jedermann - freilich unter der Leitung einer exklusiven Klerikerkaste wandelt, begibt sich das Christentum auf einen langen Marsch in seine Resäkularisierung auf praktischem wie auf theologischem Gebiet. In der Weise vollzieht sich die eklatante Verfremdung des christlichen Seins. Von Campenhausen erklärt diesen Vorgang so: „Das im engeren, soziologischen Sinne ,kirchliche' Denken neigt zu allen Zeiten mehr in die Richtung der amtlichen Einseitigkeit, und so ist auch der Weg der alten Kirche vorzüglich in diesem Sinne gefährdet und ge-

16

Vgl. auch Leonhard Ragaz, Die Geschichte der Sache Christi, 1945, 75f., wo folgende, gewiss holzschnittartige, aber doch zutreffende Charakterisierung des frühkatholischen Prozesses gegeben wird: „Aus der Verheißung des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit wird auf der einen Seite die Kirche mit ihrem Kultus, auf der anderen Seite das Dogma, die Lehre, die in der Orthodoxie erstarrt. Damit hört die Gemeinde auf (an deren Stelle die Hierarchie tritt) und damit die ganze Verbundenheit, welche die Gemeinde bedeutet. Der religiöse Individualismus wird zur polaren Ergänzung der Gleichschaltung der Institution. Der rechte Glaube, als Zustimmung zur rechten Lehre verstanden, verdrängt die Liebe und wird zum Gegenstand leidenschaftlichen Streites. An die Stelle Christi tritt die Christologie. Die Agape aber endet (auf dieser Linie) in der Messe."

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zeichnet. Er führt vom Urchristentum zum Katholizismus." 17 Auf diesem Wege nimmt die Herde den vorhergesehenen Schaden, ihr lebendiges Bewusstsein als Leib-Christi ist dahin. 18 Schweizer konstatiert: „Die Aussage von der Gemeinde als dem Leib Christi wirkt zwar nach, wird aber theologisch kaum fruchtbar." 19 Statt von der Agape Gottes wird von der überlegenen Intelligibilität der christlichen Sache gehandelt.20 So sind in nachapostolischer Zeit schlicht Theorie und Praxis des neutestamentlichen Zentralartikels von der - exklusiven, darum wahrhaft inklusiven - Liebe Gottes als Botschaft und Lebenselexier der Kirche verlorengegangen, das Spezifikum Christianum als der neuen ontologischen Grundstruktur, woraufhin man das Unterfangen einer christologischen Ontologie bald gänzlich eingestellt hat. Die einstmals alles überstrahlende Agape führte in der Folgezeit nur ein kümmerliches ethisches und daneben freilich noch emotionales, mitunter spekulativ-metaphysisches Dasein, während man im Zentrum der Christlichkeit allerlei magische, mystische, asketische Praktiken ansiedelte und die Frage Gotteswirklichkeit zum Objekt intellektueller Betrachtungen wurde. Demgegenüber erschließt die neutestamentliche Theologie die Gnade Gottes in einem eschatologischen Lebensvollzug des neuen 17 18

Hans Freiherr v. Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht, 1963, 325. Es ist, als ob des Apostels Vermächtnis an die Epheser in Milet (Apg.20,17-35) geradezu ein Fingerzeig auf die Lehre der „Väter" einer vom apostolischen Vorbild signifikant abweichenden Kirche gewesen sei.

19

Eduard Schweizer, ,,σΟμα", ThWNT, Bd. 7, 1964, 1080; vgl. dazu die Untersuchung von Matthias Walter, Gemeinde als Leib Christi, 2001, wo nachgewiesen wird, dass bereits mit den Schriften der Apostolischen Väter „die Betonung der Außengrenzen" verschwindet, dieweil die Kirche damit beschäftigt ist, „sich selbst zu stabilisieren" (308). Insgesamt jedoch wird bei Walter zu wenig erkennbar von den Brüchen der Vätertheologie gegenüber der ihrer biblischen Vorgänger. Ersichtlicher werden diese Vorgänge bei Manfred Jacobs, Das Christentum in der antiken Welt. Von der frühkatholischen Kirche bis zu Kaiser Konstantin, 1987, 14ff. Ein präzises Studium der insgesamt recht uneinheitlichen Theologie der „Apostolischen Väter" ermöglichen Andreas Lindemann, Henning Paulsen (Hg.), Die Apostolischen Väter, 1992.

20

Eine Ausnahme scheint hier ausgerechnet der gelegentlich auch mit den Apologeten ins Gericht gehende Jurist Tertullian zu sein, der von der Liebe als dem „höchsten Sakrament des Glaubens" spricht, dem „Kleinod des christlichen Bekenntnisses". Quintus Tertullianus, Private und katechetische Schriften, BKV, 1912, 53; vgl. Heinrich Dörrie, Die andere Theologie, 1981, 21, Anm. 61.

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Gottesvolks, der als solcher ebensowenig Raum für Separatismus duldet wie für kluge dialektische Apologien vorgeblich christlicher Paradoxien, und den als Lehr- und Lebenseinheit des christlichen Seins wir bei den biblischen Autoren trotz aller sich schon abzeichnenden Bedrohungen problemlos als noch im Wesentlichen ungebrochen intakt ansehen können. Die neutestamentliche Gemeinde existiert tatsächlich in einer Art naiver Unmittelbarkeit der Heiligkeit und Liebe Gottes ähnlich dem Uranfang. 21 Theoretische Abhandlungen werden hier als „Geschwätz" abgetan (1.Tim.1,6; 6,20; 2.Tim.6,12), sakrale Praktiken für obsolet erklärt (Gal.4,10-11; Heb.). Der theologische Dissens zwischen dem Neuen Testament und der „Alten Kirche" könnte darum größer kaum sein. Das Problem der Kirche war und ist, dass sie die Tiefe dieses Dissenses und seine schwerwiegenden Konsequenzen bislang nie ganz einsehen konnte oder wollte. Bei den neutestamentlichen Aposteln steht im Zentrum die Christusbotschaft, die ekklesiologisch ausgedehnt wird. Bei den „Apostolischen Vätern" steht im Zentrum die Kirche, die aber gerade nicht mehr biblisch-christologisch begründet wird. Stattdessen erleben wir die massive Betonung ihrer formalen Autorität in einem neuen Verständnis von Gottesdienst, Priester und Sakrament. Bei Cyprian bereits, der auf Augustin einwirkte, ist die Kirche vollausgeprägte Heilsanstalt. Von nun an gilt dogmatisch: „Salus extra ecclesiam non est", dies aber nicht im paulinischpneumatologischen Leib-Ergänzungssinne, sondern im objektivistischsakramentalistischen. 22

21

Von daher könnte man tatsächlich den Terminus „Kirche als Schöpfungsordnung", den Oswald Bayer verwendet (Theologie, 1994, 395ff.), erwägen, gegen den allerdings weniger, wie Pesch meint, die theologische Selbstverschließung vor der Moderne spricht (s. Kirche als Schöpfungsordnung?, 1999, 297ff.) als vielmehr die pneumatische Besonderheit des kirchlichen Seins gegenüber dem, was nach wie vor als Schöpfungsordnung gilt.

22

Caecilius Cyprianus, Traktate, De unitate ecclesiae, BKV, 1914, 6. Zum weiteren Studium der altekklesiologischen Quellentexte sei empfohlen: Peter Neuner, Texte zur Theologie, Ekklesiologie, Bd. 1,1994.

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Die Deformierung des christlichen Seins

2. Chance und Scheitern der altkirchlichen Logoslehre23 2.1 Die (stoische) Missbildung der biblischen Logostheologie / Vernunft statt Liebe / Die erneute Preisgabe des Seinsgrundwortes (Die Apologeten) Die seinsbegründende Tragweite des Liebeswesens Gottes hat ihre originale christliche Ausformung gefunden in Gestalt der biblischen Logoslehre. An der platonischen Logoslehre als Weltschöpfungsprinzip anknüpfend wird diese - da kein Heil präsentierend - soteriologisch und damit entscheidend christlich ergänzt, so dass der Logos zum Neuschöpfungs- und Neuerhaltungsprinzip wird. Die Rede vom Logos ist die geeignete, um die universale Sinndimension des Seins anzuzeigen, seine Verankerung in der kreativen Gottesplanung, in seinem „Vorsatz" (Eph.1,11; 3,11; 2.Tim.l,9). Dieser konkurriert nicht mit der Liebe, sondern akzentuiert deren kosmologische Relevanz und Rationalität, wohingegen die Kategorie der Liebe Gottes zum überragenden speziellen Gehalt des allgemeinen Offenbarseins der schöpfungstragenden Gottesvernunft wird (vgl. Rö.l). Beide Aussagen sind verschiedene Färbungen des zum Sein entschlossenen Gotteswillens. Die in diesem begründete Einheit von Gottesvernunft und Gottesliebe ist konstitutiv für die biblische Seinsanschauung, eine thematische Einheit, mit welcher der Menschengeist sich in nachapostolischer Zeit jedoch ausgesprochen schwer tun sollte. In diesem Sinne ist der biblische Logosbegriff ganz gefüllt mit der hebräischen Gotteswirklichkeit, mit der allein er seine universale, dabei theozentrische Tragkraft erfährt, indem er gerade nicht - wie schließlich von den frühen Apologeten (Justin, Tatian, Athenagoras) - als hyperrationales Ordnungsprinzip verstanden wird, sondern gerade die Liebe Gottes als das wahrhaft konstruktive Lebensprinzip. „Der Logos 23

S. hierzu Wilhelm Kelber, Die Logoslehre von Heraklit bis Origenes, 1976, 135-175; sowie zum Gesamtthema der altkirchlichen Christologie die wesentlichen Quellenzeugnisse, kompakt dargeboten von Wolfgang Beinert, Texte zur Theologie, Christologie, Bd. 1, Von den Anfängen bis zur Spätantike, 1989. Dazu Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 1, Gott und Welt, 1982; Bd. 2, Gott und Mensch, 1991; Arnold Gilg, Weg und Bedeutung der altkirchlichen Christologie, 1989; sowie Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451), 21982.

Chance und Scheitern der Logoslehre

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ist Gott in seiner Offenbarung", 24 das Gotteswort also im eigentlichsten, tiefsten: Gott selbst (Joh.1,1). Die frühchristlichen Schriftsteller haben zunächst das ontologische Anliegen aufrecht erhalten, indem sie die Lehre vom Logos aufgriffen und ausgiebig pflegten. Die Logoslehre war in ihrer griechischen Anfangszeit wohl fundamentalontologischen Charakters, insofern der Logos bei Heraklit und den Stoikern als weltbegründendes und weltumspannendes Prinzip gedacht war - freilich in spekulativ/pantheistischer Fassung mit teils naturphilosophischem, teils rationalistisch-ethischem Einschlag.25 Das Problem der stoischen Logoslehre besteht aus christlicher Sicht in ihrer ontologischen Uberdehnung. Als die sinnvolle Grundstruktur der Gesamtwirklichkeit wie auch des menschlichen Geistes projiziert sie die seinsfundamentierende göttliche Ratio bruchlos in den Bereich der Seins-Immanenz, wodurch deren Erlösungsbedürftigkeit verneint, der Mensch aber gefordert ist, seiner eigenen Vernunft gehorchend, sich dem vermeintlich Unvermeidlichen, der, mit Leibniz gesprochen, bestmöglichen aller Welten, anzupassen.26 An die stoische Grundrichtung knüpft Philo an, der un24

Oscar Cullmann, Christologie des Neuen Testaments, 1958,272.

25

Vgl. Wilhelm Kelber, a.a.O., 45ff.

26

Mit Blick auf ihre weitreichenden Auswirkungen wird die Vernunftergebenheit des Stoizismus von Paul Tillich bedenkenswerterweise als „in der abendländischen Welt die einzige wirkliche Alternative zum Christentum" bezeichnet (Der Mut zum Sein, 3 1982,18). In der Tat ist das johanneische Logoskonzept, wie vielfach gezeigt wurde, von den gnostischen wie griechischen deutlich unterschieden. Bei Johannes ist der Logos nicht wie bei Heraklit und der Stoa weltimmanentes Prinzip, sondern „Gott selbst in seiner Zuwendimg zur Welt" (Leonhard Goppelt, Theologie des Neuen Testaments, 3 1978, 636). Besser kann der Unterschied zu den rationalistischen oder mythologisierenden heidnischen Vorstellungen nicht ausgesagt werden. Der biblische Logos ist im Höchstmaß „zugleich persönlich und transzendent" (Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, 2 1982, 125). Dabei bildet die synthetisch-antithetische Beziehung zur sarx das für die gängige Auffassung unerhörte Element, und zwar auf dem Hintergrund der Präexistenzaussage, die von Johannes klar gemacht wird. Sie hat besonders Philo im Auge, wenn er aus dem Logos als Mittlergestalt das Verhältnis zwischen Gott und Welt erklärt, was aufgrund der hellenistisch-apologetischen Kompromissimplikationen gerne etwas überstreng beurteilt wird. Die nächste Entsprechung zur johanneischen Konzeption bildet wohl die alttestamentliche Weisheitstheologie (ebd., 635; vgl. Georg Strecker, Theologie des Neuen Testaments, 1996, 497; auch Eduard Schweizer, Neotestamentica, a.a.O.), die aber mit der Thora wiederum identifiziert wird. Insofern die Thora quasi"logische" Funktion hat, schließt sich aber auch hier wieder der Kreis der gesamtbiblischen Anschauung vom Wort Gottes als seinsbegründender Potenz.

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Die Deformierung des christlichen Seins

ter Zuhilfenahme platonischer, alttestamentlicher und mythologischer Vorstellungen den Logos als eine Art Medium zwischen Gott und Welt versteht und so sich immer noch zumindest auf der Linie neutestamentlicher Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi befindlich wissen kann. 27 Sein gräzisierender Gehalt allerdings schlägt bei den Apologeten weiter durch, so dass der Logos seine zunehmende Rationalisierung und Ethisierung anstelle seiner biblisch-agapeologischen Füllung erfährt. Konsequent erscheint folglich der Logos als allgemeine Weltvernunft bei Clemens und Origenes, Christus als göttlicher Vernunftexperte. 28 Agape und Eros sind hier vollständig austauschbar geworden. 29 Dabei reagiert die Logoslehre der Apologeten auf die Anfragen des gnostischen Polytheismus und seines Weltendramas mit der Ausbreitung schöpfungsrelevanten Pluralität Gottes und nähert sich so der biblischen Gotteslehre und ihrer geschichtlichen Dynamik zunächst beispielhaft an. Hieran kann auch die heilsökonomische Theologie des Irenäus anknüpfen, der jedoch Gottes Wesenseinheit betont. Demgegenüber finden wir wieder einen pluralistischen Monotheismus bei Tertullian mit der Akzentuierung von Wesensdifferenz und Subordination. Das Trinitätsproblem gewinnt erste Gestalt. 30 Die Logostheologie beantwortet dasselbe, liefert dabei eine formale christliche Ontologie, jedoch ohne das christlich-soteriologische Kernelement. Stattdessen 27

Vgl. Kelber, a.a.O., 92ff.; sowie Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 1,1982,108ff.

28

S. dazu auch Heinrich Dörrie, Der Prolog zum Evangelium nach Johannes im Verständnis der älteren Apologeten, 1971, 136-152; sowie ders., Die andere Theologie, 1981, 1-46. Dörrie weist nach, dass die Unterschiede zwischen Christentum und hellenischer Philosophie seitens der Apologeten wohl gesehen, ihre Einebnung aber, von Tertullian abgesehen, zu Lasten der Heilstat Gottes bewusst akzeptiert und gefördert wurde, um eine bruchlose Kontinuität von griechischer und christlicher „Weisheit" zu suggerieren.

29

S. Nygren, Eros und Agape, 21954, 134, Anm. 1.

30

Die biblische Gotteslehre ist gerade an diesem Punkt weit weniger statisch als die frühkirchliche. Sie ist in der Lage, dem Logos volle göttliche Wesenhaftigkeit zuzuerkennen und ihn gleichwohl dem Vater unterzuordnen, so wie am deutlichsten Jesus selbst dies tut (Mt.19,17; Joh.14,28). Der Vorwurf einer zumindest „Tendenz zum Rückfall in den Polytheismus" durch die Patristik ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen; s. Hans-Werner Bartsch, Die unvollendete Reformation des 16. Jahrhunderts, 1968, 68ff. Auf alle Fälle wird eine statische Gotteslehre zum Substitut für die dynamische Reich-Gottes-Theologie, vor deren Horizont die biblische Gottespräsentation sich ökonomisch entfaltet.

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wird in Anpassung an die naturalistisch ausgerichtete Lehre der Stoa die Agape durch den Intellekt als ontologisches Steuerungszentrum ersetzt.31 Das Problem der frühkirchlichen Logoslehre besteht in der Einführung der stoischen Vernunftinterpretation durch die Apologeten, deren Logoslehre, wenn man so will, nur zur Hälfte richtig war - als transzendentale Weltschöpfungserklärung. Diese wäre gemäß Heb.1,3 zu interpretieren gewesen: als fundamentalontologische Kategorie spezifisch christlichen Inhaltes, nämlich der Liebe Gottes. In Ermangelung der genuin christlichen Füllung aber degeneriert nach Ausscheidung der gnostischen Spekulationen der Logos zum innerweltlichen Vernunftprinzip, anstatt eine biblisch-christliche Seinsbegründung mit deren typischen Elementen zu liefern. Das Biblisch-Ontologische ist im Kern die Begründung des Seins in seinem Seinsgrund, dem Logos Gottes, der schließlich als Jesus Christus, dem Sohn Gottes identifiziert wird. Es ist somit die Botschaft von dessen Schöpfungsmittlerschaft. Diese ist kein theologisches Randthema, sondern ein christlichkirchliches Basisintegral, denn in und mit der biblischen Logoschristologie geschieht die praktische Ausgestaltung der soteriologischen Komponente, genau wie sie deren Fundament ist. Die Bibel lehrt den Logos Gottes primär als Heilsprinzip, dann aber auch um der praktischen Plausibilität des Heilsprinzips willen als Weltprinzip, in welchem die Liebe Gottes die zentrale Rolle zur Neugestaltung alles Seins spielt. Der nachapostolischen Theologie aber fehlt von Anfang an das Thema der Schöpfungsmittlerschaft32 sowie das christlich-ontologische Spezifikum der Agape, wodurch spätestens zur Zeit der Apologeten die materiale Füllung der biblischen Logoslehre passe ist, der Weg aber frei für die vollendete Angleichung der spezifisch christlichen Logoslehre an die stoische, in der die Weltvernunft als das zentrale seinssteuernde Element fungiert. Während bei den apostolischen Vätern noch schöpfungstheologische Überlegungen angestellt werden, somit versucht wird, der heilsgeschichtlichen Dynamik Rechnung zu tragen und auch noch bei Irenäus die Zusammenschau der christlichen Lehre in

31

S. dazu die dieses Problem noch immer am eindrücklichsten darstellenden Aussagen Adolf von Harnacks in: Dogmengeschichte, 8 1991,112ff.

32

S. die Entwicklung der regulafidei bei J. N. D. Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse, 1972, 66ff.

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biblischer Ausgewogenheit erkennbar ist, wird diese bei den Apologeten weitgehend aufgegeben zugunsten der beabsichtigten Vereinbarkeit der christlichen Lehre mit der hellenistisch-überzeitlichen Seinsmetaphysik. Der heilsökonomische Zug, der aus der biblisch-ontologischen Relief unwiderstehlich und evozierend in den Vordergrund drängt, tritt derart zurück, dass übrig nur eine harmlose Welterklärungslehre rationalistisch-erbaulichen Anstrichs bleibt. Das Christentum erscheint schließlich nicht als Ende, sondern als Zenit der allgemein verbreiteten hellenistischen Vernunftreligiosität. 33 33

So hat der Verzicht auf den biblischen Schöpfungsmittlergedanken auch die Ausbildung schriftfremder Seinsspekulation nicht nur rezipiert, sondern befördert, deren theologisch/philosophische Tradition hier nicht unerwähnt bleiben soll. Plutarch, Philo, Justin, Clemens und Origenes lehren die Seinspartizipation an Gott als dem wahrhaft Seienden. Für Augustin ist Gott als das höchste Wesen die summa essentia, dasjenige, das „allein wahrhaft ist". Er ist „reines Sein" (esse sincerum; s. De civitate dei ΧΠ, 2). Im Maße, wie die Geschöpflichkeit ontologisch abgewertet wird, erfährt das Sein somit zunehmende Vergöttlichung, wird damit aber auch zunehmend abstrakt und allgemein. Thomas unterscheidet (von Boethius her kommend) im aristotelischen Sinn selbständige Einzelwesen und unselbständige Prinzipien, betrachtet aber als eigentlich seiende Substanz „das was ist" und was Seiendes per Selbstmitteilung begründet. Sein ist hier ausdrücklich nicht (nur) Kopula, sondern Eigenschaft. Das allgemeine Sein ist die Fülle aller Vollkommenheiten, so dass im Sinne der Seinsstufung geschöpfliches Sein „Partizipation vom Gleichnis Gottes" darstellt, der selbst „unendlich selbständig seiendes Sein ist" oder auch das „Sein selbst" (ipsum esse subsistens; Summa Theologica I, 4, 2, c; vgl. I, 13, 11). Mittel solcher Partizipation ist stets das Licht der Vernunft, infolgedessen bei Avicenna, Averroes, Bonaventura u.a. das göttliche lumen naturale als intelligibles Sein begriffen wird. Das Problem, das bei Thomas erkannt wird, ist das des Bösen, weshalb Gott auch als „Seinsquelle" vorgestellt wird (ebd.), so dass die Entfernung von derselben, Seinsdepravierung bedeutet, wodurch freilich die Ernsthaftigkeit der Sünde in Gefahr gerät einerseits, andererseits der Heilsweg zunehmend Sache der Intellektualität wird. Duns Scotus kennt Seiendes nur als Objekt der Erkenntnis (s. Quodlibeta, 13, η 10), Gott ist der „unendlich Seiende" (Ordinatio, Π, d 1, q 2, η 82). Nach Meister Eckhart ist Gott weder Sein noch Seiendes, sondern, beides überragend, „reines Denken" (Quaestiones et sermo Parisienses, 3, η 9) als Fundament absoluten Seins. Während dieses den äußersten Gegensatz des Nichts bildet, ist geschaffenes Seiendes immer auch Nicht-Seiendes, dazu bestimmt, in der Abkehr von allem Sinnlich-Irdischen am innergöttlichen Leben teilzuhaben (unio mystica). Die Renaissancezeit führt mit Ficino und Agricola das rationalistische Anliegen weiter, ergänzt dieses aber durch den Gedanken der göttlichen Seinsfülle (s. Pico, De ente et uno). Die ontologische Konfusion von Spätantike und Mittelalter hängt direkt zusammen mit dem Agapeverlust der frühen Kirche, der seinerseits durch die Logosausschaltung begünstigt wurde. Dadurch wurde die Fundamentierung wie auch die dadurch

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beabsichtigte Wesensbestimmung des gottgeschaffenen Seins aus den Augen verloren. Die frühzeitig angelegte schriftfremde, spekulative Überabstrahierung des göttlichen Seins und die Problematik einer passenden Zuordnung des übrigen hat, wie es einst dem Logos erging, schließlich im Zuge der Nominalismuskrise (Occam) mit Descartes, Malebranche, Spinoza, Leibniz, Kant zur Abkehr von der Frage nach dem ens in genere geführt zugunsten derjenigen nach den Erkenntnismöglichkeiten der wie auch immer - „seienden" Dinge. Für Pascal ist Gott das „etre universel", das „tout l'etre" (Gedanken, VIII, 845). John Locke erblickt das Existierende als Idee in uns oder reales Ding außer uns inklusive Gott als den „infinite wise author of our being" (An Essay concerning Human Understanding, II, 4,1-6). Die ontologische Resignation ist damit dem erkenntnistheoretischen Optimismus gewichen, der seinerseits erst im 20. Jh. gravierende Relativierungen erfuhr. Die Auflösung des Seinsdenkens in Erkenntnistheorie ist vollständig vollzogen bei Kant, der die Ontologie durch seine transzendentale Analytik ersetzt (s. a.a.O.). Sein ist zum einen schlichte Kopula, zum anderen schlichtes Dasein, das als solches mehr als nur Prädikat ist. Die Kantisch-„kopernikanische" Wende besteht nun darin, dass das Sein gemäß den Vorgaben des Bewusstseins besteht. Für Fichte hingegen ist das Dasein zunächst verschlossenes „Sein außerhalb des Seins". Seliges Leben wird erlangt durch das Eintauchen in das Wissen als dem göttlichen Sein (Die Anweisung zum seligen Leben, 444). Dabei hat auch die Liebe Bedeutung, da die Liebe des Urbildes die Übereinkunft des Wissens mit diesem bewirkt. Somit gilt die Liebe als der „Affekt des Seins", als das „Gefühl des Seins als Sein". Das Sein lebt in der Liebe zu sich selbst (498). Der Fichtesche Ansatz hat manch interessanten, transrationalen Aspekt, leidet aber unter seiner extremen individualistischen Engführung, die gerade der Sache der Liebe unangemessen ist. Ähnliches gilt für Schelling, dessen „Ich" alles Sein, alle Realität enthält. Immerhin kennt der späte Schelling Gott als den „Herrn des Seins" und weist der Philosophie die Aufgabe zu, „das einmal gewordene Sein zu bedenken". Die Philosophie wolle „hinter das Sein kommen", zu dessen „Ursprung". Dabei sei das „Wollen die Quelle des Seins". Die Hervorbringung des Seins durch den könnenden Willen ist Sache dessen „ursprünglicher Ekstasis". Die Kombination aus „rein Seiendem und Sein-Können" ergibt das „volle Ganze", die Totalität das „absolut Zukünftige", das sich als die dritte Person der Trinität enthüllt. Schelling kommt so, bei allen Problemen seiner teilweise schwer verständlichen Gedankenentwicklung, dem hier intendierten pneumatisch-ganzheitlichen Ansatz relativ nahe (s. mit Nachweisen Werner Beierwaltes, Piatonismus und Idealismus, 1972). Die ontologische Denkweise hat noch einmal ein universalistisches Comeback erfahren bei Hegel (vgl. u.), später eher bescheidenere Repristinationen bei Husserl, Hartmann, Heidegger. Hegel versteht die Lehre vom Sein als Sache der „objektiven Logik", die er anstelle der traditionellen Ontologie setzt. Reines Sein ist reines Wissen und dabei gleich dem reinen Nichts. Der Übergang ist das Werden, das sich als Dasein manifestiert. Durch Reflexion zeigt sich im „Wesen" die Wahrheit des Seins (Wissenschaft der Logik I, Werke 5, 97f.). Die einschneidende Zäsur solcher Seinsabstraktionen macht Arthur Schopenhauer, mit dem eine erdgebundenere Epoche der ontologischen Besinnimg beginnt, die teilweise Vorzügliches eruiert. Sein ist für Schopenhauer die Wirkung des Willens, dem die Vernunft nur als Werkzeug dient (s. dazu

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Hans Barth, Wahrheit und Ideologie, 1974, 192-202). Den seinsdeterminierenden Willen zum Leben verschärft Nietzsche als den Willen zur Macht hin zu umgekehrter Konsequenz. Aus der Schopenhauerschen Seinsbescheidung als Ausweichbewegung vor dem ungestümen universalen, konfliktiven Lebensdrang wird mit dessen aktiver Bejahung, der Begrüßung des Siegs des Stärkeren, hier nun das Prinzip maximaler individueller Seinssteigerung (vgl. a.a.O.). Für Marx und Engels ist das Sein der Inbegriff der sozio-ökonomischen Gegebenheiten, die dann wiederum das Bewusstsein bedingen. In Anknüpfung an Feuerbach ist Sein hier identisch mit materiellem Sein, mit der objektiven Realität. Herbart und Lotze halten das reine Sein für eine Abstraktion. Der Seinsbegriff ist bei Lotze für die Konstruktion der Wirklichkeit ohne Funktion (System der Philosophie II, Metaphysik, 36ff.). Auch Husserls phänomenologischer Ansatz erkennt im Sein nichts sinnlich Wahrnehmbares und richtet sein Augenmerk auf „die Sachen selbst" (s.o.), während Hartmann, für den Sein ein Letztes, Undefinierbares darstellt, „Seinsschichtungen" vornimmt, denn anstelle eines idealisierten „Seins an sich" möchte der realistischere Ansatz Hartmanns Seiendes in Bezug auf sein „Dasein" und „Sosein" untersuchen (s. Zur Grundlegung der Ontologie, 4 1965, 43ff.). Von beachtlicher Tiefe und Treffsicherheit sind diverse Äußerungen katholisch-neuthomistischer Philosophen zum Sein. Während H. C. Martius und Erich Przywara ewiges Sein als Urgrund des zeitlich Endlichen fixieren, spricht Gilson im Rahmen seiner „trinitarischen Ontologie" (L'etre et 1'essence, 1969) vom Sein gar als Liebe. F. M. Sciacca benennt als Thema der Ontologie die Person statt „intelligibler Wesenheiten" (Akt und Sein, "I960, 12ff.). Edith Stein thematisiert das soziale Sein, das den Weg zu Gott weist (Endliches und ewiges Sein, 2

1986). Sartre schließlich kontrastiert das Sein an sich erneut dem Bewusstsein. Das „An-sich-sein" wird genichtet durch das „Für-sich-sein", das im Aufschub existiert, sich selbst entwerfend und dabei scheiternd (Das Sein und das Nichts, 1990, 32ff., 711ff.). Jaspers dagegen plädiert anstelle eines gegenständlichen für ein „umgreifendes" Sein, das sich im gegenwärtigen wie in diesem gesetzten „Horizonten" ankündigt (Von der Wahrheit, 41991, 47ff.). Die letzte große Beschäftigung mit der „Seinsfrage" liefert die Philosophie Martin Heideggers, der wir uns bereits zugewendet haben. S. weitere Belege zu den Genannten bei Michael Frede u.a. „Sein, Seiendes", HWPh, Bd. 9, 1995, 170-234; sowie zur mittelalterlichen Philosophie insgesamt: Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 22000. In der Summe fällt auf, wie unkonkret, wie unklar, kryptisch, bisweilen wie mystisch verstiegen - gerade auch beim letztgenannten Denker - ausgerechnet das, wie man meinen möchte, simple Sein bei den klügsten Geistern der abendländischen Geistesgeschichte gehandelt wurde. Fast fühlt man sich in Analogie zu Rö.1,18, wo es um die Verblendung der Gotteserkenntnis aufgrund des Unglaubens geht, genötigt zu meinen, mit der Erkenntnis dessen, was vor Augen liegt, habe es eine entsprechende Bewandtnis. Aus der Konfusion aber spricht auch die Sehnsucht, dass es ein Sein geben möge, das sich von dem vor Augen liegenden tatsächlich wesenhaft unterscheidet. - Eine, wie wir schon gesehen haben, in Christus begründete Hoffnung, in welchem das Sein seine authentische Simplizität wiedererlangt, ohne dass platonisierend ein vermeintlich ideales hinter dem realen Sein postuliert, vielmehr das vor Augen liegende vor die Entscheidung gestellt wird. Sein zum Tode zu bleiben oder verwandelt zu wer3

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Die Apologeten pflegen so noch eine formale christliche Ontologie - fraglos begegnen uns auch hier noch vielerlei biblische Anklänge die wesentlichen Eckpfeiler neutestamentlicher Theologie aber erscheinen in der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie bald erheblich verrückt. 34 Indem sie die Agape durch den Intellekt beiseite schoben, ermöglichten die frühkirchlichen Denker die theologische Repaganisierung des Christentums, d.h. die sozusagen dogmatische Verfestigung der schon im Gang befindlichen Auflösung des Selbstverständnisses des Leibes Christi. Das Christentum wurde so wohl zunehmend „logisch", nicht aber im Sinne der biblischen Autoren, nicht im Sinne der - auch die Vernunft - befreienden Botschaft Gottes. Die Verfestigung der christlichen Religion als höhere Philosophie nimmt so ihren Lauf, individualistischer Rationalismus und Moralismus verdrängen das korporative Sein im Liebeslogos. Statischabstraktes Denken ersetzt dynamisch-heilsgeschichtliches, das schließlich keine Agape mehr kennt und nicht mehr die ontologische Relevanz der Vergebung. Dabei wäre die Verbindung der christlichen Botschaft mit dem hellenistischen Erkenntnisstand durchaus möglich, ja wünschenswert gewesen ohne die Assimilierung des wertvolleren Teils. Die Bibel knüpft wohlweislich im Sinne der revelatio generalis an die griechische Logoslehre an, um diese dann agapeologisch zu transzendieren, um sie speziell im Sinne der christlichen Soteriologie zu explizieren. In dieser Verbindung liegt das spezifisch christlich-theologische „Skandalon". Anstelle einer vollständig christlichen Logoslehre etablierte sich so aber deren stoisch-intellektualistisch/moralistische Variante, um fortan in direkter und indirekter Weise das Wesen der christlichen Theologie zu determinieren. Die Missachtung von Gottes Instruktionswort verfälscht somit erneut das Konstruktionswort. Der noetisch gefüllte Logos wird direkt auf den Kosmos bezogen statt in Anwendung des Heilswerks auf die Gemeinde. Eine solche Logoschristologie aber bedeutete tatsächlich die „Gräzisierung des Christentums" (Hamack). 35

34 35

den zu einem Sein zum Leben als Lobpreis Gottes: Das ist die Kernfrage christlicher Ontologie (vgl. o.). Vgl. Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 1, 1982, 65-116. Wenngleich die Ergebnisse fragwürdig waren, so besteht indes doch kein Anlass, das ontologische Anliegen der Alten Kirche generell zu diskreditieren, wie dies durch

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3. Das altkirchliche Dogma als Ausdruck des fundamentalontologischen/agapeologischen Defizits 3.1 Die Verfremdung der biblischen Gotteslehre / Die (erneute) Scheidung von Gott und Welt / Die Problematisierung des Soteriologischen als Dogma Ohne ihre spezifisch christliche Füllung konnte sich die Logoslehre nicht halten. Indem sie ihres christlichen Spezifikums verlustig ging und es nicht gelang, das christliche Heil ihr einzuordnen, wirkte sie per se als fragwürdig und wurde als bloße Kosmologie von der Kirche fallengelassen. Mit ihrer Kompletteliminierung aber war freilich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und das mit weitreichenden theologischen Konsequenzen. Mit der Preisgabe der christlichen Ontologie ist stillschweigend die Trennung von Gott und dem geschaffenen Sein, von Gott und Welt vollzogen, wodurch das Soteriologische in gewissermaßen seinsfremde Sphären verbannt wird. Von dort soll es nun an den Menschen herankommen in Form heiliger Dinge, heiliger „Sakramente", die ein heiliger Priester dem unheiligen Volk spendet. So förderte der Umstand, dass das Heil nicht mehr als Heilsgrund zur Verfügung stand, dessen Reverdinglichung nach heidnischem Vorbild. Der Verlust des Ontologischen führt zur konsequenten Resäkularisierung des Soteriologischen. Die Frage nach dem christlichen Heilsgut wird zunehmend zum Verlangen nach frommem Fetisch, dieweil die Liebe aber der Vulgarisierung preisgegeben wird. Leidtragender ist damit nicht nur das theologisch entmündigte Gottesvolk, sondern auch die Welt um sie herum, der das Zeugnis funktionierender Schöpfungskomplexität, das Zeugnis heilsamer Sozialität genommen ist. Dazu kommt, dass eine Soteriologie ohne ontologische Anhaltspunkte erst recht geradezu einlädt zur Rationalisierung und Moralisierung des Christlichen. Nach seiner operationalen Vereinfachung durch die Harnack/Ritschlsche Schule geschehen ist (vgl. dazu Paul Tillich, Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 54). Die Ersetzung griechisch-ontologischer Kategorien durch kantisch-moralistische mussten und müssen in Ihrer Überforderung des menschlichen Charakters noch viel heftiger scheitern als jene, die ihrerseits bei biblisch-ekklesialer Anwendung genau dieser Überforderung vorzubeugen geeignet wären.

Das Problem des altkirchlichen Dogmas

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die schon eingeläutete Klerikalisierung und Sakramentalisierung wurde auf die Weise die Popularisierung des Glaubensguts vollendet. Objektiv handhabbar gemacht und subjektiv in vernunftgemäße Denkund Verhaltensmuster überführt, konnte es nun breiteste Bevölkerungsschichten gewinnen und zum herausragenden Trend nicht nur des gebildeten Zeitgeistes werden. In Vergessenheit gerät auf diesem Weg aber endgültig, dass man einst in eschatologisch motivierter Weltverabschiedung begonnen hatte mit all den existenziellen Konsequenzen, die von außen her die Notwendigkeit der Agape zusätzlich befördert hatten.36 Die Kirche erfährt nun ihre fortschreitende Verbürgerlichung. Ihre Vertreter führen den gepflegten apologetischen Diskurs anstelle der früheren Kämpfe gegen „Mächte und Gewalten" (Eph.6,12).37 Auf der theologischen Seite war, nachdem eine christologische Seinsbegründung uninteressant geworden war, der Weg frei für eine Lehre der göttlichen Binnenstruktur, innerhalb derer das akute pluralistisch-monotheistische sowie das Problem der heilsökonomischen Gottesoffenbarung zu lösen versucht wurde. Während die Kirche in ein theologisches Vakuum abdriftet, in welchem ihre christliche Substanz verfällt, vollzieht sich folgerichtig der formidable Ausbau des christologischen Dogmas. Anstelle der Konzentration der Gottesvernunft in der pneumatischen Konstitution der Gemeinde, anstelle unmittelbarer, ekklesialer Christusrepräsenz in Gestalt herzlicher, grenzüberwindender und gleichzeitig weitabgewandter Bruderschaft, greift extragemeindliche Christusreflexion um sich, wobei die innertheistische Abwägung der Gestalt Jesu zum Vater die chalcedonensische Spekulation über die göttlich-menschliche Natur Jesu prädisponiert. Das funda-

36

Dass die seriös nicht leugbare innere Entsagung der Welt und ihrer Güter dennoch keinem sektenhaften sich der Welt Entziehen seitens der frühen Christen gleichkommt, wie Overbeck dies gesehen hatte, sondern schon bei Paulus gleichzeitig einem Höchstmaß an - freilich missionarisch motivierter - Weltzugewandtheit entspricht, mit der man ohnehin in der Alltagspraxis in Verbindung bleibt und auch bleiben möchte, hat sehr schön Karlmann Beyschlag dargestellt in: Evangelium und Schicksal. 5 Studien zur Geschichte der Alten Kirche, 1987, 17ff.; vgl. dazu auch Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 121ff. Preisker spricht von der christlichen Position treffend als ein „neues Bezogensein zur Welt vom Reich Gottes her"; Das Ethos des Urchristentums, 31968, 117.

37

S. ebd., 212ff.

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Die Deformierung des christlichen Seins

mentalontologische Anliegen der Logos-Christologie verflüchtigt sich in dem Maße, wie zum einen ihre soteriologische Zusammenschau nicht gelingen will und zum anderen - und damit zusammenhängend - die Einheit Gottes in Gefahr scheint. 38 Dagegen erhebt sich der „monarchianische Protest" und in dessen Gefolge die Theologie des Origenes in zähem Ringen gegenüber den Logostheologen. Der Kompromiss wird schließlich gefunden in Nizäa, wo das Problem der monotheistischen Pluralität des Gottesbegriffs durch ein personalistisches Paradox beseitigt wird, indem diese intrapersonal statt transpersonal gefasst wird. Nizäa interpretiert den Logos bereits ganz und gar personalistisch, im Sinne also des östlichen Geistes der Trinitätslehre, woraus die psychologische Fassung der Hypostasen bei Augustin hervorgehen kann und schließlich der „christozentrische Unitarismus" (Tillich) des Protestantismus. Mit der Betonung der innertrinitarischen Pluralität statt der biblisch-heilsökonomischen aber geschieht die Preisgabe der fundamentalontologischen Grundlage der biblischen Soteriologie. Ein anthropomorphistischer Personalismus ersetzt die biblische TheoMorphologie. Da eine rationalistisch verfremdete Logostheologie das christliche Sein nicht ausreichend begründen kann, scheidet sie schließlich aus. Eine christliche Seinsbegründung - auch Kosmologie ist seitdem kein ernsthaftes Thema der herrschenden Theologie mehr. 39 So spielt der Verlust der biblischen Logoslehre für die Betrachtung des trinitarischen Immanenzverhältnis auf Kosten des trinitarischen Weltverhältnisses eine maßgebliche Rolle. Wir erleben die chalcedonensische Intrachristologie als den zwangsläufigen Versuch der Wiedergewinnung der Heilseinheit von Gott und Mensch, dabei aber die Ausblendung der eigenlichen christologischen Menschheit des „Leibes" Christi - somit die theologische Zementierung des christologischen Substanzverlusts der Kirche und damit die theologische Vorbereitung des um die „wahre" Christlichkeit streitenden Konfessionalismus, dieweil sich die christologische Vollgestalt doch gerade im pneumatischen Geheimnis der Einheit des Leibes manifestieren will. Wir haben es somit zu tun mit einer konsequenten Linie christologischer Engführung

38

S. zu diesem Komplex neben Harnack, a.a.O., Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 1,1982, 224ff.

39

S. Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd. 1, 1982, 222.

Das Problem des altkirchlichen Dogmas

299

gerade in dem Maße, wie die Gemeinde ihres christologischpneumatologischen Seins beraubt wird. So ist am Ende in die Person des Hauptes Christus hineinprojeziert, was als sein Leib den fundamentalontologischen Gestaitungsraum bilden soll, in dem auch das wahrhaft Menschliche - das Unsrige - in ihm aufgehoben sein soll. Wir wagen von daher zu behaupten, dass das altkirchliche Dogma mit der Preisgabe der christlichen Fundamentalontologie der christlichen Soteriologie den Boden entzogen und stattdessen allerlei frommer Erosbemühung denselben bereitet hat. Das altkirchliche Dogma fußt auf der Preisgabe des Anwendungsbereichs der christlichen Heilslehre; seine innerchristologische Reflektion ist eine theoretische Operation ohne Wirklichkeitsbezug. Ein theologischer Personalismus, der keinen göttlichen Seinsgrund mehr kennt, entfernt das Sein aus der christlichen Betrachtung der Dinge und verkürzt so Theologie und Ontologie gleichermaßen. Er nimmt, damit einhergehend, der Liebe ihre spezifisch christliche fundamentalontologische Kompetenz, so dass sie theologisch wie praktisch verkümmern muss. Dass ausgerechnet das Vaterbild Gottes dafür herhalten musste, den christlich-apersonalen Seinsgrund zu ersetzen, entbehrt nicht einer tragischen Ironie. Theologischer Personalismus und Ontologie sind sowenig Gegensätze wie Logos asarkos und Logos ensarkos, sondern bedingen und ergänzen einander.40 Infolge ihrer theologiegeschichtlichen Diastatik kennen wir den Christus Gottes heute aber nur intrapersonal innerhalb des Trinitätsparadoxons, innerhalb dessen auch der Menschheitskontakt Gottes reflektiert wird, das Soteriologische also als ein innergöttliches Geschehen. Die christliche Menschheit selbst muss sich nach wie vor mit Heilsgaben begnügen, die ihr in der Messe oder von der Kanzel her gereicht werden. Der dafür vorgesehene Geist ist so, seiner personalen Willensrichtung beraubt, nur noch eine nebulöse Kraft zur Frömmigkeitspflege des Einzelnen bzw. in seiner mystischen Variante als Garant ekstatischer Erlebnisse. Der Verlust des neutrischen Aspektes von pneuma, als der - freilich keinesfalls unpersönlich wirkenden - Macht Gottes41 ist der folgerichtige Beieffekt des Verzichtes auf die Logosleh-

40

S. Anm. a.a.O.

41

S. a.a.O.

300

Die Deformierung des christlichen Seins

re. Speziell dieses Manko wird fortan eminent subjektiv gefüllt werden. Als „der Unbekannte jenseits des Wortes" 42 verbleibt ein numinoser Gottesgeist, der als das eigentliche Bindeglied zwischen Gott und Mensch erkannt und biblisch-neutestamentlich konkretisiert hätte werden wollen mit der Agape als seiner zur Praxis drängenden Kernstruktur. Das Problem der Einheit von Gottheit und Menschheit wird auf diesem Weg christlich weitertransportiert, anstatt in dem ganzen Christus gelöst zu werden. Die Zwei-Naturenlehre schließlich kittet diesen Riss nicht, sondern vertieft ihn, indem sie das menschlich Menschliche endgültig ausblendet. 43 Es bleibt fortan die Dualität der „zwei Reiche"44 und mit dieser beider Authentizitäts- und Identitätsdefizit. Das praktische Leben des Einzelnen - besser: des so Vereinzelten, weil auf sich Gestellten - wird so zu einem ständigen Konflikt zwischen Selbst- und Desintegration, der erneut auf dem Gebotsweg reguliert wird, anstatt von der Liebe so gelöst, dass das menschliche Leben von Grund auf von seinem spezifisch christlichen Seinsgrund auf - durchprägt wird. Am vorläufigen Ende dieser Linie steht im Liberalismus das Christentum konsequenterweise als Instrument sittlicher Erziehung da, das als solches sich der Bejahung durch die bürgerliche Gesellschaft erfreuen kann, nicht wie zu biblischer Zeit deren Verfehmung. Die klassische Christologie ist zu kurz gebaut, um den Ansprüchen wissenschaftlicher Erkenntnis und erst recht um den Ansprüchen menschlicher Befreiungsbedürftigkeit zu genügen, denen Christus nach biblischer Auffassung gerade in Fülle genügen möchte (Joh.10,11). Jesu Stellung zum Vater indes erschöpft sich nicht in der Innewohnung seiner göttlichen Natur, sondern ist, biblisch gesehen, die Stellung des ewigen Gotteslogos, durch den und in dem alle Dinge geschaffen sind (Joh.1,14; Kol.1,16). Daraus ergibt sich auch seine Stellung zum Menschen, nämlich als den ihn fundierenden realen Seinsgrund, in welchem ihm seine intakten Seinsrelationen wiedergegeben sind. In Verkennung dieser Zusammenhänge fußt das altkirchliche Dogma, das trinitarische wie das christologische, nicht nur auf der Preisgabe des Wirklichkeitsbezuges der christlichen Heilslehre, sondern die christli-

42 43

Hans Urs v. Balthasar, zitiert bei Ives Congar, Der Heilige Geist, 1982,187. S. auch Oscar Cullman, Die Christologie des Neuen Testaments, 1958, 9.

44

S. dazu Alfred Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 41981, 291ff.

Das Problem des altkirchlichen Dogmas

301

che Gotteslehre selbst nimmt Schaden. Dieser wird am Ende der Patristik von der politischen Seite der Kirche her noch verstärkt dadurch, dass die Immanenz Gottes nicht mehr aus demjenigen ökonomischen Offenbarungsgeschehen erschlossen wird, das zugunsten der Darstellung seiner Liebe und Heiligkeit auf den Bruch mit der alten Philosophie und Weltbetrachtung zielt, sondern helfen soll, sich mit diesen zu arrangieren, mit der „Welt" Freundschaft zu schließen. Die Seinsdynamik der christlichen Glaubensgemeinschaft verkümmert nicht nur auf inner kirchlich/ theologischem Wege, sondern auch auf dem ihrer gesellschaftlichen Assimilierung unter das römische Weltreich.45 So hat bereits die Alte Kirche durch die erneute Missachtung der zentralen neutestamentlichen Instruktionen die erneute Deformation nicht nur der Heilswirklichkeit, sondern auch des Heilswortes verursacht. Indem eine intellektualistische Logoslehre, unterstützt durch eine Soteriologie als innergöttliches Geschehen, geradewegs in allerlei selbsterlöserische Praktik mündet, ist die theoretische wie praktische Totalumbildung des Christlichen besorgt, die Selbstpervertierung des Leibes Christi, ohne dass freilich das neue Gebilde darauf verzichten würde, dessen formale Autorität zu beanspruchen. Des hohen Anspruchs des Christusleibes ist sich die Kirche weiterhin bewusst und verteidigt ihn mit aller hart errungenen Macht, wenngleich sie faktisch das genaue Gegenteil darstellt. Die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Christentums öffnet sich immer weiter bis schließlich zur Unerträglichkeit. Ein in bruderschaftlicher Liebe und Weitabgewandtheit gelebtes Evangelium ist am Beginn des Mittelalters unvorstellbar geworden. Im 5. Jh. herrscht über das neue Sein eine vollendete Rechts- und Philosophenkirche mit gesetzlich-abergläubischem Einschlag. Der einstmals „vernünftige Gottesdienst", der einhergehen sollte damit, sich nicht "dem Weltlauf anzupassen, sondern durch Erneuerung der Sinne prüfen zu können, was der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes" sei (Rö.12,1-2), ist einer gerade auf die alte

45

Zum politischen Umfeld des frühkirchlichen Dogmas s. Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd. 1,1982,163-170.

302

Die Deformierung des christlichen Seins

Sinnlichkeit abgestellten Amalgamierung von jüdischem Synagogengottesdienst und heidnischer Mysterienfeier gewichen. 4 6 Das altkirchliche Dogma reflektiert das Drama des zerrissenen christlichen Seins bereits in voller Blüte, nicht anders als der gegenwärtige theologische Diskurs. Es erhebt sich eine personalistische Soteriologie, die die als Gefahr erkannten Extreme erfolgreich ausschaltet, die aber den hohen Preis zahlt, auf Kosten einer schöpfungsumgreifenden Komponente zu agieren, so dass das christliche Sein theologisch bald schon erneut in der Luft hängt. Nachdem die die Soteriologie fundierende ontologische Komponente verschwunden war, fiel es umso leichter, auch die soteriologische selbst bald in Vergessenheit zu bringen, wobei diese freilich zu Reformationszeiten schließlich ihr eindrucksvolles Comeback feiern konnte, während jene bis heute im Geruch philosophischer Evangeliumsüberfremdung steht. Die Heilslehre sollte in ihrem soteriologischen Anteil mehr als tausend Jahre später wiederentdeckt werden, die christliche Ontologie hat wie auf der anderen Seite die Gotteslehre bis heute zu kämpfen mit ihrer biblischen Vorgabe. Im Blick auf die Fundierung des menschlichen Seins in Gott können wir an dieser Stelle schon sagen, dass dies Verhältnis im wörtlichen Sinne sehr viel grundlegender

ist als die Begegnung mit Christus allein

in der Rechtfertigungszusage, die indes den Schlüssel, die Eingangstür ins „Reich des Sohnes seiner Liebe" bildet. In diesem Reich gilt es, die Fülle der christlichen Botschaft zu ihrer seinshaften Entfaltung zu bringen und so das Evangelium zu seinem ganzen Recht, „nichts zurückzuhalten von dem ganzen Ratschluss Gottes" (Apg.20,27), um den es Paulus, dem großen Protagonisten der Rechtfertigung, zu tun war. Mit der Rechtfertigung ist das Christliche nicht an seinem Ziel, sondern an seinem Anfang. In den Leib Christi eingefügt, erfolgt nun das seinsreformierende Werk des Heiligen Geistes als Ergänzung der präzise verteilten Gabenpotentiale, auf dass so aller Einseitigkeit, aller Verkürzung und allem fleischlichen Herrschaftsgebaren gewehrt sei, alle Demut, alle Dienstbarkeit, alle Erkenntnis, alle Brüderlichkeit aber gewährleistet, dadurch dass „Gott den Leib so zusammengefügt hat ... dass es

46

S. hierzu Carl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, 1970, 528ff.; Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 121960, 106-112; Kurt-Dietrich Schmidt, Grundriß der Kirchengeschichte, 5 1967,129-136.

Der fortschreitende christliche Identitätsverlust

303

keine Spaltung im Leibe gebe, sondern alle einträchtig füreinander sorgen" (l.Kor.12,24-25). In solcher Komposition ist uns nach der Rechtfertigung die Gegenwart Christi selbst verheißen und in ihm „jeder geistliche Segen" (Eph.1,3). Darum gilt es „acht zu haben auf die ganze Herde ... die er sich erworben hat durch sein eigenes Blut" (Apg.20,28).

4. Der fortschreitende christliche Identitätsverlust und die Versuche seiner Kompensation 4.1 Die Geschichte der Alten Kirche als sukzessive christologische Reduktion / Die christliche Rückkehr zur „Welt" / Das „neue" Sein als das alte Die frühe Kirche ist bei aller erfolgreichen Abwehr ihrer häretischen Gefährdungen doch nicht unbeschadet aus diesen Konflikten hervorgegangen. Tragisch ist dabei, dass gerade in und mit der Installation fester Abwehrmechanismen bleibende Schäden, bleibende Selbstverfremdungen ausgelöst wurden, indem mit der Konzentration auf die Gefährdungen diejenige Preisgabe der christlichen Subjektität erfolgte, die unweigerlich zur Verobjektivierung des Glaubensguts führen musste. Der Versuch, dessen habhaft zu werden, was allein Präsent der freien Gnade Gottes ist, hat zur dauerhaften Identitätskrise des Christentums geführt.47 Die regula fidei wurde befördert durch die Gnosis, das objektivistische Schriftverständnis durch Marcion, das Amt durch Montanus. Die Irrlehrer sind gestorben, die Institutionen der Kirche aber sind geblieben und zu Substituten ihrer geistlichen Aktualität geworden. Insbesondere die Adaptation der stoischen Logoslehre hat das depositum fidei nachhaltig verfälscht. Ausgehend davon hat die frühe Dogmenbildung als kirchlich-theologische Reaktion auf inner- und außerkirchliche Irrlehren überaus problematische Langfrist-Auswirkungen gezeitigt. Die Liebe wird substituiert, wo nicht durch das Kir-

47

Dazu Beyschlag lakonisch: Das dogmengeschichtliche Ringen der Alten Kirche „schließt freilich Irrwege und Korrekturen mannigfaltiger Art nicht aus, sondern ein." A.a.O., 276.

304

Die Deformierung des christlichen Seins

chenrecht, da durch mystisch-esoterische, fundamentalistische, politisch-aktivistische oder andere weltimmanente Frömmigkeitsstile, die am Ende nur die scheinbare Ohnmacht des eigentlich Christlichen signalisieren und entsprechend der Glaubhaftigkeit ermangeln. Dass es der Kirche gelungen ist, die fragenden Gemüter Jahrhunderte lang mit Floskeln, Vorschriften, spiritueller Folklore und schlichtem Ritual ruhig zu stellen, anstatt das Evangelium zu leben und zu predigen, sollte uns eine bleibende Mahnung sein. Der Mensch irrt - auch solange er sich christlich müht. Darum war das Wort Luthers von der lebenslangen Buße vielleicht eines seiner allerwichtigsten. Denn „glaubhaft ist nur Liebe" (H. U. v. Balthasar).48 Der erneute Fall des Gottesvolkes ähnelt seinem allerersten nur allzu sehr, wenngleich dieses Mal das Sein nicht vollständig aus dem Wort Gottes fällt, sondern sozusagen „nur" zurück auf alttestamentliches Niveau,49 auf dem die Gelehrten dem frommen Fußvolk den Kompass stellen und die Administratoren der Kirche jenes Tafelsilber polieren, das „inwendig mit Raub und Unmäßigkeit gefüllt" ist (Mt.23,25). So hat interessanterweise die Integration griechischer Philosophie die Judaisierung der christlichen Frömmigkeit bewirkt, die Fixierung auf die Verpackung dessen, was in ihr verborgen ist. Wieder wurde Gottes Instruktionswort in der Sache nicht peinlich genau eingehalten, wieder hängt das fromme Sein in der Luft und hat dort Mühe, den Geschehnissen um es herum wie auch Gott und seinem Wort gerecht zu werden. Wieder haben wir es in der Konsequenz zu tun mit dem gesetzlichen Missverständnis des Wortes Gottes - dann freilich mit den aufklärerischen Gegenreaktionen - , wieder einmal mit einer klerikalen Mittlerschaft, wieder einmal mit einer - diesmal von der Kirche selbst eingerichteten - Notausgabe der Organisation des Gottesvolkes, dessen Selbstwidersprüche nach der Wiederherstellung der Originalidee schreien. Während die Kirchengeschichte in der Weise als ein Prozess sukzessiver christologischer Regression angesehen werden kann, die schließlich selbst vor der Demontage des historischen Jesus nicht Halt machte, wird eine solche Wiederherstellung nur als die Rea-

48

S. das gleichnamige Werk des ansonsten theologisch recht eigenwilligen Autors (21963).

49

Vgl. Hans Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, 1961, 209.

Der fortschreitende christliche Identitätsverlust

305

lisierung derjenigen christologischen Extension vor sich gehen können, die das Instruktionswort Gottes intendiert. Der Kanon der neutestamentlichen Schriften als göttliche Instruktion wäre gerade die entscheidende Hilfestellung gewesen zur Bewahrung geistlicher Seinskomplexität im Konstruktionswort. Die biblischen Schriften sind völlig hinreichend, um jeglicher Selbstentfremdung des Christlichen entgegenzuwirken, um dafür dessen geistliche Ausrichtung in voller Komplexität zu bewahren. So aber bedarf es, indem das Sein der Kirche sich schriftfremd wandelt, der zwangsläufigen Einführung neuer Kriterien und Instanzen zur Legitimation und weiteren Vermittlung der Veränderungen, die man als legitim betrachten will. Diese behaupten auch heute, wenngleich in vielfach modifizierter Weise, ihre Autorität und Wertschätzung im Maße, wie das Christliche als pneumatische Sozialität brach liegt und seiner praktischen wie theologischen Wiederaufrichtung harrt. Im Gegenzug hat auch die Tradition der Verachtung der biblischen Ontologie sich bis heute im Wesentlichen unkorrigiert gehalten. Die Logoslehre gilt als ein spekulatives Unterfangen, das man meint, zugunsten der Praxis und deren christologischer Substanz einstmals zu Recht abgestreift zu haben und mit deren eventuellen Regungen heute aus demselben Beweggrund genauso zu verfahren sei.50 Wahr ist das 50

Die theologische Substitution der Logoslehre ist wohl am deutlichsten bei Karl Barth vollzogen, der sich nicht scheut, die Schöpfungslehre vom Christus incarnatus aus zu begründen. Das Sein des Menschen ist demnach in Gottes Selbstoffenbarung mitgesetzt, wodurch die apologetische Beschäftigung mit der nicht-christlichen Wirklichkeit freilich von vornherein in Misskredit gerät. Nach Barth schafft Gott den Menschen, weil Jesus Mensch werden will (KD ΙΠ/1, 18). Die Verdrängung der christlichen Logoslehre hat hier eigenartige Folgerungen gezeitigt. Demgegenüber ist darauf zu verweisen, dass Christus uns weniger als das eine, vielmehr als das der Schöpfung gemäße, komplexe Gotteswort vorgestellt wird. Von diesem aus bejahen wir das christomonistische Ansinnen Barths, weil von hier aus das Sein auch theologisch plausibel erklärbar ist. Der richtige protestantische Christomonismus verlangt den totus Christus wie die Form die Substanz. In der Letzteren besteht das Heil. Eine echte Alternative zur Theologie Barths stellt diejenige Paul Tillichs dar, der, das berechtigte Anliegen des Existenzialismus aufnehmend, von der Existenz als dem Sein in der Situation der Entfremdung spricht (ST 2, 8 1987, 25ff.) und viel Mühe darauf verwendet, das neue Sein in Christus zu plausibilisieren (ebd., 129ff.) - auch als philosophisches Dialogangebot (was wenig erfolgreich war, s. etwa Weischedel, Der Gott der Philosophen, Bd. 2, 2 1985, 106ff., so dass Tillich am Ende ein echter Grenzgänger bleibt). Tillich markiert jedoch das andere Extrem dergestalt, dass seine Chri-

306

Die Deformierung des christlichen Seins

Umgekehrte, dass eine ontologisch auf ein Zwei-Naturen-Gerippe minimierte Christologie, deren soteriologische Ingredienzen sich auf die verbale Heilszusage beschränken, einer nachhaltigen christlichen Praxis niemals besonders dienlich waren, sondern deren Durchbruch bis heute erschwert. Wahr ist, dass eine ontologisch ausgehöhlte Gottesliebe die Logik des Christ-Seins zwingend problematisieren muss, ist in der Agape doch nichts anderes als die Vernunft Gottes am Werk. Wahr ist darum, dass nie etwas weniger angefochten ist als die Wirklichkeit eben jener Agape und als ihr Kern die konsequent gelebte Vergebungspraxis der Gläubigen. Wahr ist aber auch, dass im Maße, wie solche Anfechtung mächtig geworden ist, die Gnade Gottes noch mächtiger werden will, dass wir darum nicht in der Niederlage und in der Entfremdung von unserem Seinsgrund verharren sollen (Rö.5,20; 6,1). Das originale christliche Konzept korporativen Seins im Gotteslogos steht uns auf dem Weg der Umkehr zu jederzeit offen - wiederum kraft der Agape - ob wir es einst durch parteiliche Verkürzungen und die Beharrung auf diesen aufgeweicht haben oder mittlerweile durch deren pluralistische Egalisierung. 4.2 Die Liebe in Patristik und Mittelalter 51 Die Kirchenväter sind sich zum Teil des Eros-Agape-Gegensatzes sehr wohl bewusst, 52 fördern aber die Individualisierung und Ethisierung der Agape und betreiben eine Entwicklung auf Kosten ihres ontologischen Charakters, die bei Augustin ihren vorläufigen Höhepunkt erfährt. Hat noch Origenes ihre christlich-platonische Synthesis angestrebt, ist bei jenem die Liebe als Zentralmotiv des liberum arbitrium, als Entscheidungsfähigkeit verstanden, 53 die, auf Gottes zuvorkommende

stologie nicht zu Unrecht als eine neutrische kritisiert worden ist, infolge des zu kurz kommenden personalistischen Aspektes seiner Theologie insgesamt. S. dennoch Tillichs lehrreiche Darlegungen zur spezifisch theologischen Bewältigung der Seinsfrage a.a.O., auch in: Der Protestantismus, 1950,124-136. 51

S. auch Belege zum Folgenden bei Pierre Maraval, TOE, Bd. 21, 1991, 146-152; An-

52

S. etwa Ignatius, der davon spricht, dass der Eros gekreuzigt werden müsse; Andre-

53

Enarratio in Psalmum 121,1.12; MPL 37,1618.1628.

ders Nygren, a.a.O. as Lindemann, Henning Paulsen (Hg.), Die Apostolischen Väter, 1992, 215.

Die Liebe in Patristik und Mittelalter

307

Liebe antwortend, Grundlage und Bewegungsprinzip alles Guten ist54 ein Modell, das als Caritassynthese (Nygren) in die Theologiegeschichte eingegangen ist. Ausgehend von der trinitarischen Liebeseinheit55 soll die Liebe als anabatische Grundkraft (pondus)56 nach dem höchsten Gut strebend, sich direkt auf ihren Urheber konzentrieren, auf die zweckfreie Erfreuung an Gott um seiner selbst willen,57 womit schon klar ist, dass hier weder das christologische noch das pneumatologische Element von spezieller Bedeutung ist, wenngleich die Liebe in besonderer Weise dem Heiligen Geist zugeordnet wird.58 Um der Bonität Gottes willen, dessen Liebe zum Menschen sich in der Inkarnation manifestiert,59 ist die Liebe des Seienden gefordert und dabei als die Erfüllung wahrer Selbstliebe verstanden, die analog der trinitarischen begründet und bejaht wird.60 Von der Unterscheidung zwischen cupiditas als der amor sui und der Caritas als der amor dei aus wird Letztere als heiler Lebensakt des Menschen interpretiert, der, von den Verirrungen der superbia sich abwendend, seinen Lohn, die Glückseligkeit, mit sich führt.61 Der Unruhe seines Herzens folgend,62 bei Gott schließlich angekommen, erfährt der Mensch so nicht nur dessen Genuss (fruitio), sondern auch die Liebe zu seinen Mitmenschen, Gottes Ebenbildern,63 deren Liebe bei Augustin, wie Nygren zutreffend sagt, „ein Spezialfall der Liebe zu Gott" ist,64 nicht aber im eigentlichen Sinne Evangeliumskonsequenz.

54

Denn: „ N e m o est qui non amnet"; Sermo 3 4 , 1 , 2; M P L 38, 210.

55

De trinitate 1 5 , 1 7 , 29; M P L 4 2 , 1 0 8 1 .

56

Confessiones 13, 9f.; M P L 32, 848.

57

De doctrina Christiana 3 , 1 0 , 1 6 ; M P L 34, 72.

58

De trinitate 1 5 , 1 7 , 3 1 ; M P L 4 2 , 1 0 8 2 .

59

Ebd., 13, 17, 22; M P L 42, 1031f. Auf das erhebliche Problem, dass bei Augustin „die Inkarnation an die Stelle des Systems (rückt), die bei Paulus durch die Auferstehung eingenommen w i r d " , hat Alfred A d a m hingewiesen in seinem Lehrbuch der Dogmengeschichte,

4

1981,285.

60

Ebd., 9 , 2 ; M P L 4 2 , 9 6 1 f .

61

„ C u m enim te, D e u m meum, quaero, vitam beatam quaero"; Confessiones, 10, 20;

62

Ebd., 1,1; M P L 32, 661.

M P L 32, 791. 63

Sermo 336, 2; M P L 38, 1472.

64

Anders Nygren, Eros u n d Agape, 2 1 9 5 4 , 4 3 3 .

308

Die Deformierung des christlichen Seins

So finden wir beim Kirchenvater ein voluntaristisch umrahmtes, diffiziles Ineinanderwirken von Nächsten-, Selbst- und Gottesliebe,65 deren anthropozentrische Intention ins Quietistische neigender, kontemplativer Selbsterfüllung ihre fundamentalontologische Bedeutung zugunsten einer fundamentalanthropologischen verloren hat.66 Seinsvollendung hat hier keine Bedeutung für die Schöpfungskomplexität als solche, sondern meint das Gottförmigerwerden des geliebten und wiederliebenden Gegenstandes. 67 Kreuz und Vergebung bilden von daher keine zentralen Themen in der augustinischen Liebeslehre, die vielmehr als kultivierte Erosbewegung ganz auf die Beseeligung der privaten Innerlichkeit abzielt 68 Gegenüber den Erfordernissen einer agapeologischen Ontologie - die eine entsprechende Ekklesiologie hätte begründen können - steht der Aspekt personaler Intensität der Liebe im Vordergrund, der von der Reformation übernommen wurde, um so schließlich die neuzeitlich-sentimentalistische Verflachung der christlichen Liebesanschauung zu begünstigen. Nicht zuletzt auf den theologischen Defiziten Augustins beruht demnach sein immenser Langzeiterfolg. Die individualistische Tiefgründigkeit seiner Theologie - gerade im Grenzbereich von Eros und Agape - , ihre subtile Verbindung von Introspektion und platonisierendem Hochgefühl, von Gnade und Eigenleistung sowie die Prävalenz der Liebe gegenüber der Erkenntnis war geeignet, dem großen Sucher nach Gott und Seelenfrieden schließlich auch bleibende Popularität zu sichern.

65

... dessen Einsicht erschwert wird durch die Tatsache, dass Augustins theologische Entwicklung nicht eben geradlinig verlaufen ist, so dass noch immer gerade seine vielschichtige Soteriologie als klärungsbedürftig gilt; s. dazu auch Karlmann Beyschlags Ausführungen über „Augustin als Lehrer der Gnade" in: Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 2,1991, 63-93.

66 67 68

Vgl. De ci vi täte dei 14, 6; MPL 41, 409. De trinitate 12, 7, 10; MPL 42,1004. Dass, wie Nygren meinte, bei Augustin eine echte „Synthese" von Eros und Agape vorliegt, ein „charakteristisches Drittes" (a.a.O, 353), dürfte wohl nicht zuletzt auf die hier angezeigten Agape-Dimensionen noch einmal kritisch zu überprüfen sein, was den hiesigen Rahmen aber sprengen würde. Möglicherweise würde sich zeigen, dass das Synthetische sich letztendlich auf die eudämonistische Komponente beschränkt. Von fraglos bleibendem Wert ist bei Augustin auf jeden Fall, dass er die Liebe zum zentralen christlichen Thema und Maßstab erhoben hat, zum, wie Nygren richtig sagt, „einzig untrügbare(n) Kennzeichen eines wirklichen Christentums" (ebd., 358).

Die Liebe in Patristik und Mittelalter

309

Als Gegenreaktion und gleichzeitige Fortentwicklung hierzu begegnet uns ein eher emotional-ekstatisches Verständnis der Liebe bei den Mystikern wie Dionysios Areopagita, in dessen Gefolge bei Bernhard von Clairvaux, Richard St. Victor, Franz von Assisi, Duns Scotus, Johannes vom Kreuz und Fenelon. Hier bewirkt ihre ethische Ausdünnung die mystische Überhöhung der Liebe bei gleichzeitig weiterschreitender Tendenz zur Selbsterlösung. Sich ganz in Gott verlieren ist das Ziel der angezielten Liebes-Ekstasis.69 Die Himmelfahrt der Seele über diverse Liebesstufen begegnet uns bei Bernhard von Clairvaux.70 Dabei lehrt die Mystik mortificatio, die aber nur, wie Nygren richtig bemerkt, die „raffinierteste Form egozentrischer Frömmigkeit" darstellt.71 Ohne Frage finden wir, wenngleich sie verdeckt werden durch fragwürdige theologische Gesamtkonzeptionen, gerade bei den Mystikern manche Kostbarkeit auch in ontologischer Hinsicht. Bonaventura etwa ist es, der mit Augustin lehrt, dass der menschliche Wille durch die ungeschaffene Liebe Gottes zur Ruhe kommt, dass wir nur als Liebende erkennen. Die Liebe wird als Freude am Sein charakterisiert, was aber ein mystisches Aufgehen in Gott bedeutet.72 Raimundus Lullus begreift Liebe als ontologisch relevantes Einverständnis. Die Liebe erst lässt Sein sein.73 Einen herabsteigenden, weltdurchdringenden Eros treffen wir an bei Proklos,74 der als göttliche virtus unitiva nach oben wie nach unten strebend, das Verbindende im Dasein bildet. Er ist die auf Einheit zielende, seinsinspirierende und -begründende Kraft, die allem Seienden 69

S. dazu Francois Varillon, Fenelon et le pur amour, 1957.

70

Bernhard von Clairvaux, Cantio canticorum, Sermo VII, 4. MPL 183, 803-816; De diligendo Deo VII, 17. MPL 182, 984; vgl. Nygren, a.a.O., 501ff.

71

Nygren, a.a.O., 513.

72

S. Bonaventura, Tomus ΠΙ Sententiarum. d 27, a 2, q 1-6; Itinerarium VII; vgl. dazu Johannes Kamp, Die theologische Tugend der Liebe nach der Lehre des heiligen Bonaventura, 1927; sowie Nygren, a.a.O., 494ff.

73

Beim angesichts hochinteressanter philosophisch-theologischer Überlegungen leider viel zu unbekannten Lull taucht als seinssetzender Urvorgang die oben genannte „Bejahung" auf: „Affirmatio est ens, esse indicans. Ratio cuius est, quia intellectus, affirmando, supponit aliquid." Raimundus Lullus, Logica Nova, 1985, 170; vgl. zu beiden Helmut Kuhn, „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1 9 7 5 , 1 3 9 , 1 4 4 .

74

S. zu den Folgenden neben ders., „Liebe", HWPh, Bd. 5, 1980, 296ff., auch die präzisen Darstellungen von Anders Nygren, a.a.O., 446ff.

310

Die Deformierung des christlichen Seins

bei Wahrung seiner Eigenart seinen Platz im kosmischen Ganzen zuweist. Ähnlich äußert sich Dionysios Areopagita, dessen Eros als Selbstbewegung des Absoluten das Göttliche zur Welt hinabtreibt, um dort alle Seinsbereiche zu durchwirken und einen Seinskreislauf aus Nichts zu Gott hin in Gang zu setzen. Wir haben es in dieser Phase zu tun mit einem vollendeten universalistischen Liebes-Idealismus mit sakralmystischer Hierarchie. Im weiteren Verlauf aber ersetzt der Eros die Agape. Bei J. Climacus erfolgt der Aufstieg der Seele über eine praktisch-asketische Himmelsleiter, bei J. S. Erigena ist die Liebe ausschließlich göttliche Selbstliebe. Deren Psychologisierung und gleichzeitige Naturalisierung findet in Anknüpfung an Augustin bei Thomas von Aquin statt, der die Unterscheidung von amor concupiscentiae und amor amicitiae nun auch explizit terminologisch durchführt.75 Gott ist nicht in begehrlicher Weise, sondern um seiner selbst willen zu lieben. Die Liebe wird hier im Sinne von Freundschaft als „Zuneigung" (inclinatio)76 vorgestellt wie auch als universales Prinzip, als vis unitiva, die vom Wahren und Guten ausgehend den Willen steuert.77 Somit ist sie auch zum Ursprungsgrund allen Strebevermögens,78 zur menschlichen Grundleidenschaft79 geworden, die in Entfaltung der Tugenden ein geglücktes menschliches Daseins verheißt. Erreichbar wird dieses vermöge der Erkenntniskraft und der daraus entspringenden Willensakte der menschlichen Naturanlage, als deren Grundbefindlichkeit amor nun die vitale Basis des gesamten emotiven Lebens darstellt. Als amor naturalis ist die Liebe Aufbauprinzip der gesamten Schöpfung, das auf das summum bonum gerichtet, sich als geschöpfliche Integrations- und Vereinigungskraft auswirkt.80 So wird die Liebe als „Form" aller Tugenden81 gefasst, als moralischer Akt, bedingt durch die Erkenntnis des Göttlichen82 - je 75

Summa Theologica Ι-Π, q 26, a 4.

76

Ebd., I, q 40, a 1.

77

S. ebd., I, q 108, a 6; Ι-Π, q 26, a 2; q 28, a 1; sowie zur Funktion des Willens: Quaestiones disputatae de malo l, 4; Summa contra Gentes 1, 77.

78

„Primus enim motus voluntatis, et cujuslibet appetitivae virtutis, est amor." Summa Theologica I, q 20, 1.

79

S. Anm. o.

80

Vgl. Kuhn, „Liebe", HWPh, Bd. 5,1980, 301.

81

Summa Theologica Ι-Π, q 62, a 4.

82

S. ebd., Π-ΙΙ, q 23-46.

311

Die Liebe in Patristik und Mittelalter

größer dabei das bonum, desto größer die Liebe.83 Das Geliebte aber vervollkommnet den Liebenden, so dass auch hier ähnlich wie bei Augustin der Aspekt des Selbstinteresses in der Liebe eingeschlossen und von elementarer Bedeutung ist.84 Das anabatische Element erfährt seine Verschärfung noch bei Duns Scotus, bei dem Gott als das bonum dezidiert als das Objekt der menschlichen Liebe erscheint. Sie ist auf den Nächsten nur in akzidenteller Weise gerichtet, liebt doch auch Gott die Geschöpfe nur um seiner selbst willen.85 Indem die spätmittelalterliche Theologie den Fokus schließlich weg von der Liebe Gottes hin zu seiner Souveränität lenkt, erscheint das göttliche Handeln zunehmend als ein willkürliches, unberechenbares. Ein dadurch problematisiertes Weltgeschehen erweckt den Anschein, vermehrter Aufklärung des Menschen und seiner erhöhten Selbstverantwortung zu bedürfen. Die ersten nachchristlichen Jahrhunderte sind somit in der Summe gekennzeichnet durch die Verschmelzung biblischen und hellenistischen Erbes, die im Blick auf die Liebeslehre kaum weniger als auf die Seinsfrage sich tatsächlich als eine „Geschichte sich steigernden Confusionen" (Harnack) ausnimmt. Schulbildend für den Westen wird Augustin, bei dem die Caritas zum Schlüsselbegriff wird, während im Osten mit dem theologischen Interesse allgemein auch die Agape zunehmend im Liturgischen erstarrt und die Geschichtlichkeit der Offenbarung sich im metaphysisch-mystischen Begreifen Gottes verliert.86

83

Darin gipfelt die Liebeslehre der mittelalterlichen Theologie.

Wenn

Albertus

Magnus formuliert: „Sic Deus diligit, et majus bonum diligit, et maxime bonum maxime diligit" (Summa Theologica, I, q 14f.) kommt darin, wie Nygren dies richtig gesehen hat, die Verkehrung des unmittelbar dem malum und dolum gewidmeten biblischen Liebesgedankens vollendet zum Ausdruck (s. a.a.O., 375ff.). 84

S. Summa Theologica I, q 26, a 3c. Vgl. zum nicht ganz unkomplizierten Geflecht von Erkenntnis - Wille - Liebe bei Thomas den Abschnitt „Der ,Weg der vernunftbegabten Kreatur zu Gott'" bei Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd. 1, 1982, 664-675; sowie insgesamt zur Liebeslehre des Aquinaten auch Heinrich Maria Christmann, Thomas v. Aquin als Theologe der Liebe, 1958.

85 86

S. dazu Messner; Klein, Caritaslehre des Johannes Duns Scotus, 1928. Die Schwierigkeiten und Antinomien einer in ihrer erosartigen Verfremdung insgesamt fragwürdigen mittelalterlichen Liebeslehre hat ohne Frage in Eros und Agape Anders Nygren mit bleibender Schärfe und Treffsicherheit erarbeitet: In Ignorierung der katabatischen Notwendigkeiten schafft die philosophische Theologie des Mittel-

312

Die Deformierung des christlichen Seins

Infolge des getrübten Verhältnisses zu ihrem Hauptinhalt kann die mittelalterliche Kirche mit ihrem eigenen Sein auch die Grundprinzipien des Gottesreiches nicht aufrecht erhalten. Ihr inneres Ja wie ihr äußeres Nein verschwimmen zusehends. Das Nein wird kultiviert im Mönchtum, ebenso die mystische Überhöhung der Liebe, während der innere Reichtum der gewöhnlichen christlichen Liebesgemeinschaft schwindet. Äußere Einflüsse gewinnen Raum, mit dem Verfall der Liebe verfällt das christliche Sein. Grüppchenbildung, Lehrstreitigkeiten, Glaubenskriege - die gesamte Palette all dessen, was zu Recht als in der Gemeinschaft der Nachfolger Jesu überwunden geglaubt worden war, prägen zunehmend den bekannten Fortgang der christlichen Seins-Geschichte. Dem korrespondiert der theologische Verfall der christlichen Hauptsache - auch in der Gotteslehre - , so dass in nachbiblischer Zeit aus der Liebe als dem schlechthinnigen Wesen Gottes zunehmend eine Eigenschaft Gottes wird unter anderen Eigenschaften. In praktisch-"caritativer" Hinsicht kann, wiewohl interessanterweise auf gemeiner politischer Ebene die Liebesidee - in den mittelalterlichen Stände- und Zunftordnungen etwa - nachhaltig Fuß zu fassen und lange sich segensreich auszuwirken imstande ist, insgesamt davon gesprochen werden, dass am Ausgang der Spätantike auch die praktische christliche Liebestätigkeit ihre Pervertierung erfährt, indem sie nun unter geradezu merkantilen Gesichtspunkten um ihrer selbst betrieben wird. 87

alters eine „großartige Einheitlichkeit" beherrscht vom „alexandrinischem Weltschema" mit „Tendenz nach oben" (483ff.). Die Betonung liegt auf dem „sursum" siehe Dante (486). Die Caritassynthese erreicht ihren Höhepunkt in plotinischer Mystik (489) und einer Meritum-Theologie (490ff.). Der Eros wird so zum mystischen Gemeinschaftsersatz (493), statt dass das Heil als Gemeinschaft durch die Agape erfahrbar wird. Der Eros wird in vielfacher Weis wohl sublimiert, gefördert durch die lateinische Begriffsverwirrung (514f.), die Gottesliebe aber ist in jedem Fall Selbstliebe. Indem sie als Objekt nur das göttliche Gut kennt, scheidet der Mensch als ihr Gegenstand von vornherein aus. Die Caritas wird im Sinne des fides caritate formata zur treibenden Kraft eines Verwandlungsprozesses, an dessen Ende der Mensch der Gottesgemeinschaft wieder unmittelbar teilhaftig geworden ist. So bewirkt die mittelalterliche Theologie tatsächlich die völlige Vernebelung nicht nur der biblischen Liebe, sondern des soteriologischen Geschehens überhaupt. Gottesliebe wie Menschenliebe werden so in ihrer spezifisch christlichen Wirkweise komplett verdreht, das Prinzip der Agape vollständig verkannt (517f.). 87

S. Gerhard Uhlhorn, Die christliche Liebestätigkeit, 1959,120-129.

Die philosophischen Parallelen

313

Fundamentalontologische Bedeutung erhält in beachtenswertem Umfang die Liebe zur Renaissance-Zeit zurück (Ficino, Bruno). Die Liebe ist hier kosmische Grundkraft, unendliche Potenz, die das Sein durchdringt, um es in der Einheit des Lebens zusammenzuhalten, 88 ohne dass es freilich zu einer klaren biblisch-theologischen Ausformung einer Liebeslehre kommt. Besonders bei Bruno ist die Liebe einerseits wieder in die Nähe ihrer kosmischen Bedeutung gerückt, ist sie aber als pantheistisches Pathos auch gleichzeitig stark naturalistisch wie auch emotional verzeichnet. Die Liebe ist hier, ähnlich der frühgriechischen Fassung, unbändige Leidenschaft, deren Sinn und Ziel im Dunklen bleibt.89 So schlägt schließlich gerade die Theologie der Renaissance um in unverblümte Apotheosis und vollendete Anthropozentrik, 90 während eine ansatzweise biblische Restitution des Liebesthemas im Zuge der aufkommenden rationalistischen Forschung erstickt, die Liebe erneut „entmythologisiert" wird. Das Eros-Thema wird in der Weise zur Voraussetzung für die Reformation. 4.3 Die philosophischen Parallelen 91 Die philosophische Behandlung des Liebesthemas ist einigermaßen pluriform, zumal wenn außer theologischen auch soziologische und psychologische Erkenntnisse hier hereinspielen, die wir, wie die philosophischen, insoweit beachten, als sie für unsere Fragestellung relevant sind. Interessant sind hier, wie schon bei der Seinsfrage, soweit sie zweifelsfrei eruierbar sind, die Ansichten der Vorsokratiker, die durch ihren universalen Ansatz in vielem weiter dringen als nachfolgende „Spezialisten". Hervorzuheben ist dabei schon Empedokles, in dessen dichterischem Lobpreis Liebe und Hass es sind, durch die alle Dinge regiert werden. Liebe ist die alles durchdringende und verbindende kosmische Macht, ihr Gegenspieler, der Hass, das trennende Prinzip. Aus beider dialektischer Bewegung ergibt sich der ewige Wandel der Dinge.92 Bei 88 89 90 91 92

S. Marsilius Ficinus, Über die Liebe oder Piatons Gastmahl, 1994, 68f. S. Giordano Bruno, Von den heroischen Leidenschaften, 11,1. Vgl. Nygren, a.a.O., 530ff. S. dazu Helmut Kuhn, „Liebe", HWPh, Bd. 5,1980,290-318. Hermann Diels, Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, 61996, Β 17-26.

314

Die Deformierung des christlichen Seins

Hesiod, der den έρος als Erstgeborenen in der göttlichen Genealogie versteht, als „schönsten der unsterblichen Götter", wirkt dieser als blindes Verlangen, das Götter wie Menschen um den Verstand bringt.93 Die vielfach heroisch gefasste Liebe des Altertums erhält hier ihre kosmogonische Komponente.94 Auch bei Plato ist die Liebe von ihrer metaphysischen Stellung her begriffen, deren Maß nun aber die Harmonie des Ganzen ist, worauf sie in geistiger Sublimierung durch die Kräfte der Erkenntnis hingeordnet ist. Im έρος drückt sich die zentrale Daseinskraft als Verlangen nach Vollkommenheit aus, die als unbewegte, unvergängliche Idee des Ästhetischen gedacht wird. So bewirkt έρος das Streben nach dem Guten, Schönen und Wahren, damit letztendlich nach Unsterblichkeit. Als solche Ursehnsucht ist έρος Grundbefindlichkeit des Seins, beruhend als das suchende Prinzip auf dem Seins-Mangelempfinden des sich nach Seins-Vervollständigung ausstreckenden Subjekts.95 Dabei besteht zwischen sinnlicher und geistiger Liebe kein Gegensatz, sondern Kontinuität. Indem Piatos Blick von der erotischen Basis des schönen Körpers zum Schönen an sich und von dort schließlich zur Idee des Schönen gleitet, will die Sinnlichkeit nicht - wie im geläufigen Missverständnis der „platonischen Liebe" - geleugnet, sondern in ihrer geistigen Ausdehnung gerade deren Flüchtigkeit überwunden sein zugunsten dauerhaften ästethischen Genusses. In gleichsam „manischer" Erhebung führt die Liebe den Menschen über sich hinaus, wodurch das Erkennen und Erstreben der Teilhabe an den ewigen Formen in Gang gesetzt ist. So ist έρος die Kraft des inspirierten Höhenflugs der menschlichen Seele schlechthin, die Stimulans auch ihrer produktiven Höchstleistungen, der am Ende im voyeuristischen Blick einer zur Ruhe gekommenen Begierde wieder zur Erde findet. Damit haben wir es bereits deutlich zu tun mit der klassisch gewordenen Selbsttranszendierung der immanent begriffenen Liebe, die anstelle der Fundamentierung des Seins in der Liebe, das Sein in jene Höhen katapultiert, aus denen es regelmäßig wieder mehr oder minder unsanft herabkommt, wobei Piatons Lösung gewiss, so sie denn gelingt, eine besonders sanf-

93

Theogonie, 120-122; s. dazu Walther Kranz, Die griechische Philosophie, 1955,13ff.

94

S. Kuhn, „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 31ff.

95

Piaton, Symposion, 189d-207a; vgl. Anm. a.a.O.

Die philosophischen Parallelen

315

te Landung darstellt, indem die leidenschaftliche Bewegung der Liebe in eine Art kontemplative Alterweisheit mündet. Ihre weitere kosmische Präzisierung96 erfährt die Liebeslehre durch Aristoteles, der den ερος als allgemeine Weltkraft in seiner Theorie des unbewegten Bewegers beschreibt. Danach wird dieser von allen begehrt und so zum bewegenden Motiv für alles Sein.97 Bei Aristoteles ähnelt έρος der im Vordergrund stehenden φιλία und φιλανθροπία, die das Zentrum einer allgemeinen Humanität bilden und somit auch politische Relevanz besitzen. Sie sind „die glücklichste und menschenwürdigste aller Liebesarten, die Krone des Lebens und die Schule der Tugend", 98 da hier das Gute für den anderen und um des anderen willen gesucht wird.99 Als solche sind sie das „Notwendigste zum Leben", 100 Pfeiler und Keimzelle des gesellschaftlichen Lebens, höher noch einzuschätzen als das Recht oder familiäre Bande. Indem der Liebende die eigenen edelsten Eigenschaften verwirklicht, ist Aristoteles' wohlwollende Liebe eine Ableitung bewusster Selbstliebe.101 Gleichzeitig wird auch hier έρος als das alles Sein durchwirkende Grundprinzip verstanden und bewahrt somit denjenigen universalen Charakter, den er auch während des Mittelalters nicht gänzlich verlieren und mit der Renaissance noch einmal zu kurzer Blüte bringen wird. Dass die Liebe den Grund für die Erkenntnis der Wahrheit des Ganzen bildet, wie dies durch Stoa und Neuplatonismus noch bestärkt wird, ist sehr wohl auch die biblische Sichtweise.102 Doch verneint sie 96

...weniger ihre kosmische Ausweitung, wie es gemeinhin heißt. Aristoteles systematisiert im Grunde nur die Schwungkraft des Eros seiner Vorgänger, wobei noch immer vieles reichlich unklar bleibt.

97

...so dass das Sein in eine Art Kreisbewegung der Liebe gebracht ist. Aristoteles, Metaphysik, 1072 b; s. dazu Klaus Oehler, Der unbewegte Beweger des Aristoteles, 1984.

98

So C. S. Lewis in: Was man Liebe nennt, 5 1995, 61.

99

Nikomachische Ethik, 1155 b f.

100 Ebd., 1155 a. 101 Ebd., 1168 a-b; s. dazu Friedo Ricken SJ, „Freundschaft und Glück in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles" in: Georg Gebhardt (Hg.), Was heißt Liebe?, 1982, 47-64. Interessant ist bei Aristoteles zweifellos die Korrelation von Freundschaft und Gerechtigkeit, die, wie wir meinen, besser in Analogie zu bringen ist als Agape und Recht; vgl. dazu Kuhn, „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 59. 102 ...die auch durch Jaspers wiedergegeben wird, wenn gesagt wird: „Wahrheit im Ganzen ist nur der ganzen Liebe zugänglich." Von der Wahrheit, 4 1991,1005.

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Die Deformierung des christlichen Seins

die klassische Perspektive ebenso, wie sie sie bejaht, indem sie die transzendente Liebe Gottes als den Grund des Seins proklamiert und von diesem aus die Ermöglichung seinsbewahrender Erkenntnis. Das heißt: Die theologische Liebe - die bei Aristoteles um sich selber kreist und dort nur indirekt, kraft ihrer Ausstrahlung sozusagen die Dinge in Bewegung setzt - steht am Beginn des Erkenntnisprozesses, nicht irgendeine mit Elan himmelsstürmende bzw. rational-freundschaftliche immanente, in jedem Fall anthropologisch-begehrende Liebe. Weil die Agape außen vorbleibt, statt im Sein dasselbe aktiv der Originalidee gemäß zu formen, können die Götter Piatos und Aristoteles ihrer Vollkommenheit wegen gerade nicht den Menschen in seiner Niedrigkeit lieben, sondern sich gewissermaßen nur sonnen in ihrer eigenen Perfektibilität. Der unbewegte Beweger kann nur sich selber lieben. 103 Dass die angekommene Agape überdies sehr viel weiter greift als die Kategorie der Freundschaft, konnten wir bereits sehen. Die platonische Vision einer sehnsuchtsvoll aufsteigenden, auf Erlösung zielenden Liebe wird in methodischen Heilsschritten durchgeführt bei Plotin, der die sukzessive Wiedervereinigung der gefallenen Seele mit ihrem göttlichem Ursprung lehrt. Der kosmologische Emanationsprozess „nach unten" findet das in uns ruhende Göttliche, wodurch das sich seines Ursprungs erinnernde Sein mittels Seelenreinigung (via purgativa) und Erleuchtung {via ulliminativa) seinen Wiederaufstieg (conversio) bewerkstelligen kann. So findet der Erkennende als liebender Geist zu letzter Einswerdung. 104 Mit Plotin liegen die Möglichkeiten des Eros-Erkenntniskreislaufes, damit das charakteristisch Griechische im Wesentlichen zutage. Typisch für dessen Denkweise ist, dass die Liebe zum zeitlos Guten als Grundlage für den Erkenntnisprozess fungiert, durch den das Individuum sich seinem Urgrund wieder annähert. Dies gilt für Plato wie für Augustin. Unterschieden wird eine irdische Liebe, die nach den sinnlichen Dingen strebt, von der himmlischen, die auf das Schöne schlechthin ausgerichtet ist. Vollausgeprägt finden wir diese Denkweise neben den Neuplatonikern auch bei den Stoikern, wo die Liebe als die Erkenntnis des Ganzen nun dezidiert

103 Aristoteles, Große Ethik, 1208 b. 104 S. Werner Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, 1985, 38-72; Nygren, a.a.O., 131-135.

Die philosophischen Parallelen

317

ethisch-noetisch als Auswirkung der allgemeinen Weltvernunft im Menschen zu stehen kommt. Das frühgriechische Liebesverständnis bewegt sich somit, insbesondere während seiner frühesten Phase, prinzipiell auf der richtigen Spur, trotzdem die Liebe insgesamt als blindes Pathos nicht fehlcharakterisiert ist.105 Richtig ist zweifelsohne ihre fundamentalontologisch/kosmologische Tragweite, die biblisch als geschichtliche Aktion Gottes zu konkretisieren wäre mit eben jener Universalbedeutung, die der Liebe von Beginn an zugedacht ist.106 Solange jenes blinde Tasten noch nicht auf die entgegenkommende Offenbarung der Liebe Gottes gestoßen ist, kann der rationalistische Einschlag der klassischgriechischen Philosophie freilich nicht angekreidet werden. Kritisch wird es erst, wenn danach noch immer dem anthropologischen Erkenntnis-Eros mehr als eben jener Agape zugetraut wird. Die bei Plotin schon vorgebildete Notwendigkeit eines noetischen Abstraktions- sowie eines ethischen Läuterungsprozesses, um sich dem Erstrebten zu nähern, wie in der Folgezeit durch Stoa und Neuplatonismus fortentwickelt, wird allerdings tatsächlich zu einem zentralen Merkmal abendländischer Geistesgeschichte werden. Im Ganzen kann folglich gesagt werden, dass auf der Eroslinie der Mensch nach der ewigen Wahrheit strebt, während die Bibel von der Agape-Akzentuierung her unmissverständlich deutlich macht, dass die ewige Wahrheit ihrerseits den Menschen gesucht und gefunden hat. Im Zuge dessen erfährt die Liebe ihre genauere Beschreibung, ihre soteriologische Konkretisierung als freie Tat zwischen Personen, wohingegen sie im anderen Falle als eine Art metaphysische Zwangshandlung notwendig abstrakt bleibt, mystische Züge trägt und des Heils doch nie teilhaftig wird. Der Eros kann vor dem Unheil immer nur ein kleines Stückchen weit flüchten, ohne ihm wirklich zu entkommen. Der Eros

105 ... etwa bei Kuhn, a.a.O., 64f. 106 Mit Nygren die Eroslehre der griechischen Denker mehr dem Mythos als dem Logos zuzuordnen (a.a.O., 112), dürfte darum wohl zu hart geurteilt sein, ist so doch auch deren kosmologische Metaphysik als mythisch abgetan. Als Mittler zum Reich des Seins eignen auch dem platonischen Eros durchaus logoshafte Züge, die in Christus - als dem, wenn man so will, Eros Gottes - auch ihr plotinisches Ziel erreichen (s. l.Kor.15,28).

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Die Deformierung des christlichen Seins

aber strebt nach Höherem, nach dem Höchsten harmonischer Glückseligkeit, und die Erkenntnis, die nach biblischer Aussage nur „bläht" (l.Kor.8,1), ist sein Vehikel. Seine Situation von Grund auf zu wandeln, ist seine Sache aber nicht. Demgegenüber müssen wir auch hier auf die ins Profane hineindrängende Wirkweise der Liebe Gottes insistieren, die nicht als hehrer Höhenflug menschlicher Geistigkeit, sondern als Kondeszendenz Gottes die eroshaften Bedürfnisse aufnimmt, um diese auf dem - gewiss ernüchternden - Kreuzesweg hin zum Ziel funktionierender Gemeinschaft zu erfüllen. Wir müssen darauf verweisen, dass die Liebe den Menschen nicht über sich hinaus-, sondern ihn zu sich selbst wie zu seinem Nächsten hinführt, zu einer in diesem Sinne dynamischimmanenten Seins-Vollkommenheit aufgrund dessen, dass die Agape Gottes ihn in seinem profanen Sein erreicht hat. Die ontologischen Aufwertungsversuche der immanenten Liebe begleiten die Philosophiegeschichte 107 - etwa in der Renaissancezeit, der Romantik (Rousseau, Schlegel, Schleiermacher, Novalis), der Zeit der idealistischen Theosophie (Fichte, Schelling, Baader, z.T. Hegel), bei Pascal - bis hin zu Schelers ordo amoris,m auch ihre Vorordnung vor den Erkenntnisvorgang nach dem Grundsatz ubi amor ibi oculus.m Dabei hat aber auch die gegenüber der anthropologisch-ethischen Engführung der Liebe immer wieder reklamierte kosmologische Komponente das Problem, ihrerseits stets als immanente und damit letztlich doch nur anthropologische Potenz innerhalb des Weltgeschehens zur Geltung gekommen zu sein, als ontologische, nicht aber fundamentalontologische. Die christliche Lehre kennt dagegen die kosmogonische wie auch die soteriologische Entfaltung der Liebe Gottes als die transzendenten Begründungsprozesse des Weltgeschehens, wobei nach biblischer Anschauung das kosmologische Vollmaß der Liebe Gottes, trotz-

107 S. zum Folgenden auch Belege bei Helmut Kuhn a.a.O. 108 S. Anm. o. 109 Thomas von Aquin, Sententiarum ΠΙ, 35, 1, 2. Augustin ist freilich derjenige, der die Relation des tantum cognoscitur,

quantum diligitur maßgeblich entwickelt hat. S. dazu

Udo Kern, Liebe als Erkenntnis und Konstruktion von Wirklichkeit, 2001, 9-15; sowie auch Paul Tillichs kleinen Aufsatz „Erkenntnis ist Liebe" in: In der Tiefe ist Wahrheit, 7 1978,103-107.

Die philosophischen Parallelen

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dem es als ekklesiale Antizipation bereits zugegen sein möchte, erst in Gottes neuer Welt und neuem Himmel erreicht werden wird. Die ontologische Zielrichtung versandet im Maße, wie die modernen Wissenschaften sich des Seins annehmen und dabei die Sache der Seinskomplexität aus den Augen verlieren. Zugunsten ihrer neuzeitlich-individualistischen und emotionalen Tendenz erfährt die Liebe ihre „Entmythologisierung" gegenüber der Renaissancezeit bei Descartes110 und John Locke,111 die den endgültigen Bruch mit der metaphysischen Tradition vollziehen. Nachdem es nicht gelingen wollte, ihren ontologischen Zusammenhang stimmig darzustellen, scheidet sie hier aus demselben mehr oder minder komplett aus, um fortan nur noch als bloß ontischer Sachverhalt zu dienen. Spätestens als umfassende Begründungsmodelle ihre Glaubhaftigkeit per se eingebüßt und die der Vernunft verpflichtete einzelwissenschaftlich objektivierende Betrachtungsweise ihren Siegeszug angetreten hatte, war es nur logisch, dass die Liebe schließlich auch mehr und mehr aus dem Zentrum philosophisch/theologischen Denkens herausfiel. Auf der Grenze der ontologischen und epistemologischen Wende stehen Malebranche und Spinoza, die das metaphysische Ansinnen auf cartesianischer Grundlage zu tradieren versuchen.112 Eine vehemente Gegenreaktion dazu sehen wir bei Pascal, dessen charite als „ordre du coeur" eine Art höchste Seinsordnung vornimmt.113 Leibniz, der noch einmal zur ontologischen Tradition zurückkehrt,114 lässt die Liebe als benevolentia universalis sich an der unendlichen Substanz erfreuen,115 an der sie auch

110 Rene Descartes, Sur les Passions de l'äme, Π, 56. 79f. 111 John Locke, An Essay Concerning Human Understanding, Π, 20, 4. 112 S. Kuhn, „Liebe", HWPh, Bd. 5,1980, 304f. 113 S. Blaise Pascal, Gedanken, 1978,139-141. 114 S. dazu Heideggers interessante Kommentierungen in: Nietzsche Π, GA, 1997, 397ff. 115 S. Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe IV,1, 1926, 34ff. Leibniz' erstaunlich expressive Ausführungen bezeichnen die Liebe als die „würdigste Substanz", die uns „die größte Lust gewähren" muss, „derer wir überhaupt fähig sind. ... Man darf sogar behaupten, daß die Liebe Gottes uns schon jetzt einen Vorgeschmack der künftigen Glückseligkeit gewährt. Und obgleich sie uneigennützig ist, bewirkt sie doch von selbst unser größtes Wohl und unsern größten Vortheil, selbst wenn man ihn gar nicht darin suchte, und nur die Lust, die sie gewährt, in Betracht zöge, ohne den Nutzen zu beachten, den sie bringt." Kleinere philosophische Schriften, 1883,148f.

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Die Deformierung des christlichen Seins

schon bei Spinoza teilhat. 116 Bei beiden dominiert aber die rationalistische Interpretation. Auf empirisch-sinnlicher Ebene erscheint die Liebe bei Kant, um in erster Linie moralistisch gedeutet zu werden. Kant empfiehlt die „Liebe zum Gesetz", wobei nur im Hintergrund eine durch „das Unbedingte" bewirkte Liebe aufscheint. 117 Eine tiefere Qualifizierung der Liebe im kantischen Sinne versucht Schellings Identitätsphilosophie, die die Liebe noch einmal als kosmogonisches Ordnungsprinzip kennt. Wie auch bei Hegel bewirkt sie die Vereinigung der ontologischen Differenzen, wobei die sittlich-sinnliche Anmut es ist, die als wahres Wesen des Naturgeistes Gewissheit spendet, „dass aller Gegensatz nur scheinbar, die Liebe das Band aller Wesen und reine Güte Grund und Inhalt der ganzen Schöpfung ist". 118 Schelling reflektiert auch die biblischen Aussagen zur Liebe und kann so resümieren: „Die Liebe aber ist das höchste. Sie ist das, was da war, ehe denn der Grund und ehe das Existierende (als getrennte) waren". 1 1 9 Bei Hegel selbst und ähnlich Fichte schließlich verschmilzt die Liebe mit dem Bewusstsein von Gott, wobei Fichte die Liebe mit dem Leben schlechthin identifiziert, von ihr als auf Gott bezogene Lebensgrundkraft handelt, in welcher das Sein mit seiner Lebendigkeit auch seine Seligkeit erfährt. 120 Für Hegel ist die Liebe Integral für das von ihr gesuchte „Ganze", 1 2 1 als „die versöhnte Rückkehr aus seinem Anderen zu sich selbst". 122 Dies scheint der ontologischen Implikation nahe zu kommen, zumal dem jungen Hegel die Liebe auch als Zentralelement der christlichen Gemeinschaft gilt.123 Von besonderer ontologischer Tiefe und Schönheit ist ohne Frage der Satz: „Das Gefühl des Lebens, das sich selbst wiederfindet, ist die Liebe, und in ihr versöhnt sich das Schicksal." 124 Wenn aber die Liebe konkretisiert wird als „die Innigkeit

116 S. Baruch de Spinoza, Die Ethik, Lehrsätze 31-36. 117 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, 15ff. 118 F. W. J. Schelling, Über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, Sämtliche Werke 7,315f. 119 Ders., Über das Wesen der menschlichen Freiheit, ebd., 405f. 120 Johann Gottlob Fichte, Die Anweisung zum seligen Leben, 11-25. 121 G. W. E. Hegel, Frühe Schriften, Werke 1, 302. 122 Ders., Vorlesungen über die Ästhetik Π, Werke 14,155. 123 Ders., Frühe Schriften, Werke 1, 318ff. 124 Bemerkenswert ist auch das - für den Autor eher untypische - Beispiel des Verbrechers, mit dem Hegel seine Aussage exemplifiziert; ebd., 346.

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des Geistes, das Gefühl, die Empfindung", 125 klingen doch bereits romantische Töne durch. Erst recht wenn es heißt: „Das wahrhafte Wesen der Liebe besteht darin, das Bewusstsein seiner selbst aufzugeben, sich in einem anderen Selbst zu vergessen, doch in diesem Vergehen und Vergessen sich selbst zu besitzen."126 Hegel erstrebt schließlich die Vermittlung der Liebe Gottes auf die Gesellschaft über die Vernunft. In diesem Sinne wird das biblische Doppelgebot mit der Kantischen Pflichtethik gleichgesetzt.127 Die Romantik kennt noch einmal so etwas wie eine unendliche, dezidiert Leiblichkeit und Erotik integrierende Allliebe, die das in allen Dingen befindliche Göttliche entdeckt. Für Novalis ist die Liebe zwischen Mann und Frau „das höchste Reale, der Urgrund", „der Endzweck der Weltgeschichte, das Amen des Universums". 128 Dagegen wendet sich Feuerbach, der die Liebe als Inbegriff dialogischen, also personalen Geschehens außerordentlich hochschätzt, dieses aber als rein vernünftigen Naturprozess interpretiert haben will, durch welchen der Mensch in sich die Gottesidee realisiert.129 Kierkegaard unterscheidet menschlich-selbstsüchtige von christlich-selbstloser Liebe130 und vollzieht somit eine Annäherung an das schenkende Element der Agape, wobei hier nun bedauerlicherweise auf das kosmische Element verzichtet wird, das zu einer biblisch-fundamentalontologischen Zusammenschau ebenso gehört. Deutlich wird an dieser Stelle, dass die Liebe als integratives Prinzip besonders angewiesen ist auf die integrative Erkenntnis ihrer komplexen Struktur, um nicht die Verzweiflung an ihr generell zu provozieren. Nachdem aber gerade im 19. Jh. in mitunter ungemein tiefgründiger Weise etwa das anabatische wie auch das seinsumgreifende und -durchdringende Wesen der Liebe erkannt, deren Kombination aber unterlassen wurde, ist es nicht verwunderlich, dass im Gegenzug, im Ringen um Alternativen letztlich, Schopenhauer die Geschlechterliebe nur als „Strategem der Natur" anerkennt 131 und die „reine", christliche Liebe in Durchschauung der

125 126 127 128

Vorlesungen über die Ästhetik Π, Werke 14,154. Ebd., 155. S. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke 12, 55ff„ 404f„ 525ff. S. Novalis, Werke 1,147ff.; Π, 290ff.

129 Ludwig Feuerbach, a.a.O. 130 Sören Kierkegaard, Der Liebe Tun, 19. 131 Arthur Schopenhauer, Werke 4, 626.

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Die Deformierung des christlichen Seins

leidvollen Willensindividuationen als „Erkenntnis des fremden Leidens", sprich als „Mitleid". 132 Für Nietzsche hingegen, Schopenhauer naturalistisch radikalisierend, in der Konsequenz aber umkehrend, ist die christliche Liebe schließlich nur Inbegriff des Verfalls und als im Endeffekt lebensfeindlich abzulehnen. Statt Nächstenliebe empfiehlt Nietzsche „Nächsten-Flucht und Fernsten-Liebe". 133 Ihre phänomenologische Würdigung erfährt die Liebe bei Husserl und Scheler. 134 Indem hier aber ihrer personalen Vergegenständlichung gewehrt werden soll, erfährt sie allerdings auch ihre Subjektivierung, an die schließlich der ethische Indifferentismus Sartres anknüpfen kann. 135 In dagegen mehr aktiv-altruistischer Fassung findet die Liebe Beachtung im Gefolge des deutschen Idealismus sowie als „elan", oder „emotion" in der Lebensphilosophie (Nietzsche, Bergson, Klages, Neovitalismus). Die Liebe begegnet dem Menschen hier als stabilisierender Faktor am Abgrund seiner Existenz, ein Aspekt, den insbesondere Karl Jaspers aufgegriffen hat. 136 Auch hier aber handelt es sich jeweils um die immanent-anthropologische Komponente, die ontologische also, nicht um die transzendental-fundamentalontologische, um die Liebe, die allein Gottes ist und die allein integres, einheitliches Sein konstituiert, das dem Abgrund seiner Ver-Nichtung standhalten kann. Auch der Pansexualismus eines Sigmund Freud, bei dem die Libido als die die praktische Lebensgestaltung bestimmende Grundkraft fungiert, greift hier zu kurz, wenngleich die Psychoanalyse des Trieblebens die fundamentalontologische Intention auch jener Affekte verdeutlicht hat. 137

132 ...wobei zu sagen ist, dass Schopenhauers Mitleid sich nicht in emotionalem Angerührtsein erschöpft, sondern „in der aufrichtigen Theilnahme" am „Wohl und Wehe" des anderen zeigt „und an den uneigennützigen Opfern, die man diesem bringt"; ebd., 11, 465f. Insofern kommt Schopenhauers Liebesbegriff tatsächlich der Agape einigermaßen nahe, entbehrt allerdings einer echten Positiv-Dimension (vgl. o.). 133 Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke 6, 64. Richtig ist dabei der Hinweis Nygrens, dass Nietzsche die aktive, konstruktive christliche Liebe mit bloßem Altruismus verwechselt; Eros und Agape, 2 1954,38. 134 S. a.a.O. 135 S. a.a.O. 136 S. a.a.O. 137 Die Liebe als „sublimierter Geschlechtstrieb" ist, was wir an anderer Stelle als Entstellung des Eros beschreiben, eine von vielen Reduktionen der fundamentalontologischen Tragweite echter, kompletter Liebe. Falsch ist hier - wie so häufig - nicht die

Der reformatorische Neubeginn

323

Summa: Das Sein ist Sache der theologischen Liebe, die als seinsstiftende das Sein nicht nur von Grund auf determiniert, sondern so auch seinsgemäße Erkenntnis ermöglicht, indem wir „dem Logos ... nachdenken". 138 Dabei wollen wir noch einmal hervorheben, dass auch die anthropologische Liebe in abgeblasster Analogie zur theologischen beträchtliche seinsrelevante Wirkung zu erzielen in der Lage ist. Auch sie bewirkt Seinsentfaltung, Aufleben, Identität. Indem sie bereits seinsordnend, seinsstabilisierend verfährt, legt sie aber nur Zeugnis ab von den Möglichkeiten der Liebe des Herrn allen Seins. Die immanente Bejahung stiftet wohl angesichts so vieler Infragestellungen unserer Person, so vieler Situationen, in denen wir uns „behaupten" müssen, wundervollen Seinstrost, nicht aber die umfassende Erkenntnis der eigenen Lage und erst recht nicht den Ausgang aus derselben. Demgegenüber haben wir die Agape zu akzentuieren als Einbruch der seinsfundamentierenden Transzendenz, in und mit der die Ganzbejahung des Seins reaktiviert und damit ein neues fundamentalontologisches Prinzip in eine Welt eingeführt wird, die ansonsten auf Wehrhaftigkeit, auf Verteidigung der Besitzstände, aufs Zurückschlagen angelegt ist. Die so gesehen „unnatürliche" Feindesliebe ist darum der Agape ausdrucksvollste Version. Sie realisiert in besonderer Weise die Kraft Gottes sub specie contraria.139

5. Die soteriologische Reformation 5.1 Der reformatorische Neubeginn / Die teilweise Wiederherstellung des Werkes Gottes In der Betonung der zu uns kommenden Gnade Gottes ist bei Martin Luther die mittelalterliche Entstellung der Gottesbeziehung, wie Ny-

körperliche K o m p o n e n t e , sondern deren H e r a u s n a h m e aus d e m geist-leiblichen Ges a m t k o n t e x t d e r Liebe; vgl. Josef Pieper, a.a.O. 138 M a r t i n Heidegger, Ü b e r d e n H u m a n i s m u s ,

10

2000,40.

139 D a s Prinzip victor quia victima (vgl. a.a.O.) ist d a r u m in besonderer W e i s e das echter Christlichkeit, g e r a d e wie die Feindesliebe - nicht die Nächstenliebe, z u der selbstverständlich a u c h Nichtchristen befähigt sind - den Gipfel der christlichen Liebeslehre bildet.

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Die Deformierung des christlichen Seins

gren dies gezeigt hat, einschneidend korrigiert. 140 Tatsächlich hat Luther die Untauglichkeit auch der spätmittelalterlichen Sublimierungen der augustinischen Caritassynthese 141 erkannt und in deren Verwerfung die radikale Konsequenz gezogen, um zurückzukehren zur neutestamentlichen Wirkweise der Liebe Gottes, der Agape, die nach Nygren „spontan und unmotiviert" 142 in Erscheinung tritt. Luthers Theologie kennzeichnet ganz und gar das Abstellen auf die durch Christus gereichte Barmherzigkeit Gottes. Von den Reformatoren ist er infolgedessen derjenige, der am intensivsten von der Liebe Gottes spricht - von Gott als einem „glühenden Backofen voll Liebe" 143 - , die als die Gnade Gottes nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben in Empfang genommen wird. Luther erlaubt in der Tat - nicht zuletzt aufgrund seiner ureigenen Erfahrungen - keine Veredelung und keinen Kompromiss mit irgendeinem sich die Nähe Gottes erarbeitenden Eros, der in dieser Hinsicht in strikter Antithese zur Sache der Agape Gottes steht. 144 Gleichwohl sind Gottes gute Gaben dem Menschen gegeben, sich an diesen zu erfreuen und dafür ihrem Schöpfer die Ehre zu geben. 145 Luthers theozentrischer Ansatz, der zurückkehrt zu einer Liebe, die exklusiv Gottes ist, 146 wird so in vorzüglicher Weise der theologischen Dimension dieser als dem geschenkhaften, schöpferischen Realgrund der menschlichen Liebe gerecht. „Amor dei non invenit, sed creat suum diligibile, Amor hominis fit a suo diligibili". 147 Hervorzuheben ist auch die demgemäße richtige Erkenntnis, wonach der Mensch in der Liebe

140 ...wobei dahingestellt sein mag, ob gerade im Zusammenhang mit dem Liebesthema von einer „kopernikanische(n) Umwälzung Luthers" gesprochen werden muss (Eros und Agape, 21954, 538). Die Neigung des Autors tritt hier zutage - wie etwa auch bei der Darstellung der augustinischen Theologie - in einer etwas überzogenen Personalisierung theologiegeschichtlicher Wendungen, Anknüpfungspunkte und Verbindungslinien zu vernachlässigen. 141 S. ebd., 513ff. 142 Ebd., 45. 143 WA 10 ΠΙ, 56, 2-3. 144 Nygren, a.a.O., 563. 145 Vgl. Tuomo Mannermaa, „Liebe", TRE, Bd. 21, 1991,153. 146 S. dazu Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 1962, 107£., 372ff.; sowie Theodosius Hamack, Luthers Theologie, Nachdr. 1969,371-401. 147 WA 1, 365, 2f.

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sucht, was er eigens benötigt, letztlich die verlorene unio mit dem Schöpfer. Dabei erscheint allerdings die dynamische, kreatürliche Interaktivität der Liebe in vertikaler und, was für uns von besonderer Bedeutung ist, in horizontaler Hinsicht noch steigerungsfähig. Obgleich die Nächstenliebe starke Betonung erfährt, bleibt einerseits wenig Raum für eine positive Selbstliebe, wie es andererseits Luther auch nicht möglich ist, die Liebe mit der Gerechtigkeit zu verbinden, von deren agapeologischer Requalifizierung entscheidend die soziale Komponente profitieren würde. So rückt Luthers Impuls das Gott-MenschVerhältnis wieder gerade, bleibt aber stehen vor der Frage nach dem insgesamten Gott-Schöpfungs-Verhältnis. Insbesondere kommt dabei die pneumatologisch-ekklesiale Komponente von 1.Kor. 12-14 und Eph.4 zu kurz.148 Zu tun hat dies damit, dass Luthers Ausgangspunkt die Frage des von seinem Gewissen gepeinigten Individuums nach einem „gnädigen Gott" ist. Auch diese Fragestellung ist ein, wenngleich für die verzweifelte Seele nicht illegitimer, ego-zentrierter Ansatz, der, wenn nicht in den Gesamtkontext der neutestamentlichen Lehre vom Reich Gottes gestellt, seiner über den Einzelnen hinausreichenden Weite notwendig entbehren muss. Darum finden wir, bei aller Großartigkeit der Wiederbringung der Rechtfertigungserkenntnis sola gratia, hier nicht auch denselben theologischen Reichtum hinsichtlich deren überindividueller Applikation,149 sondern haben es bei Luther zu tun mit Paulusentdekkung wie auch mit Paulusverkürzung. - Ein Dilemma, das grundlegend geworden ist für die nachreformatorischen Auseinandersetzungen bis in unsere Tage, sofern das die einzelnen neutestamentlichen Lehren fundierende und einende ontologische Paradigma verschollen geblieben ist. Die Rede ist, wie schon gesagt, von der Gemeinschaftsfrage.150 Wohl interpretiert Luther die Gnade Gottes treffend als die 148 S. WA 11, 279,19ff.; 18, 80,33; 19, 642, 7; vgl. Althaus, a.a.O. 149 ...was wir keineswegs dem großen Wittenberger vorhalten möchten, sondern, sofern die Defizite noch immer bestehen, uns selbst, die wir aufgerufen waren und sind, in dessen Fußstapfen gewiss kleinere, im Dienste der biblischen Gesamterkenntnis aber zwingend erforderliche Schritte weiterzugehen. 150 ... in Bezug auf welche wir freilich einräumen, dass die Praxis der Communio Luther ein gewichtiges Anliegen war, wie Paul Althaus dies - vielleicht etwas zu wohlwollend - betont hat in: Communio Sanctorum, 1929. Sie ist nur schwerlich geeignet auch ins theologische Zentrum zu gelangen, solange ein der Civitas implantiertes

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Die Deformierung des christlichen Seins

zugesprochene Vergebung und betont dabei auch entschieden deren horizontale Verpflichtung, 151 in systematischer Hinsicht aber wird dieser zentrale theologische Sachverhalt bei allen Reformatoren nicht so ausgebreitet und zur Anwendung gebracht, dass er als Leitmotiv für eine im Glauben die Gemeinschaftskomponente integrierende ReichGottes-Perspektive dienen könnte. Gerade auch das Verständnis der Nächstenliebe als gewissermaßen Verlängerung der Liebe Gottes152 ermangelt seiner pneumatologisch-differenzierten Ausformung. Indem vielmehr in Sachen Liebe und Vergebung auf horizontaler Ebene das paränetische Element dominiert, unterbleiben die biblisch-ontologischen Konsequenzen der neuentdeckten biblischen Soteriologie. Als Tugend begriffen 153 statt als fundamentalontologische Kategorie, ist die Liebeslehre Luthers schließlich so wenig geeignet, eine biblischpaulinische Ekklesiologie zu fördern wie auch eine christliche - bei Paulus so problemlos kombinierte - Kosmologie. Wiewohl die Liebe somit gerade bei Luther einen überaus hohen Stellenwert hat, ist ihre Erneuerung aber, insofern sie überwiegend als auf Gott gerichtete Glaubensfrucht beim Einzelnen gedacht wird und auf diesem Weg mit dem Unio-Motiv konvergiert, 154 von eher mystisch-psychologischer Spielart. Mit dem Verzicht auf die charismatische Systematik, in welcher - den einschlägigen biblischen Partien gemäß Evangelium mehr mit der Unterscheidung von echten und nicht-echten Christen beschäftigt ist, als dass es als dynamisches Prinzip des Christusleibes zu genau dessen Ausgestaltung begriffen wird, wie Eph.4 dies nahe legt. Der damit angesprochene Unterschied zwischen Volkskirche und Gemeinde der Glaubenden hat durchaus zu tun mit der Frage des Quantums an Heuchlern, ob die Glaubenden der Regel- oder sozusagen der Ausnahmefall sind. Im ersteren sind biblische Reinigungsprozesse möglich, im zweiten ist man hinsichtlich der Communio gezwungen, sich auf Variationen der auch von Luther favorisierten ecclesiola in ecclesia zu verlegen, gegen deren infiniten Regress dann wiederum kein theologisches Regulativ einsichtig zu machen ist. S. dazu auch Joachim Wiebering, Kirche als Bruderschaft in der lutherischen Ekklesiologie, 1977,300-307. 151 Etwa in WA 15, 484, 14-18: „Gott will keinem gnädig sein noch Sünde vergeben, er vergebe denn seinem Nächsten auch. So kann auch der Glaube nicht rechtschaffen sein, er bringe denn diese Frucht, daß er dem Nächsten vergebe und um Vergebung bitte; sonst darf der Mensch nicht vor Gott kommen. Ist diese Frucht nicht da, so ist der Glaube nicht rechtschaffen." 152 Vgl. Nygren, a.a.O., 577f. 153 WA 9, 90, 34. 154 Vgl. Mannermaa, a.a.0,154.

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die Fülle der Liebe Gottes sich in der interpersonalen Feinstruktur des Leibes Christi erweist, ist aber zugleich mit einem, man möchte sagen: existenzialistisch geneigten Nachfolgeverständnis eine neue Überforderung des frommen Menschen vorprogrammiert. 155 Weil der in den kleinen Dosen neuer Zwischenmenschlichkeit auf reale kreatürliche Umprägung zielende Aspekt nicht genügend gesehen wird, kann die Liebe Gottes darum gar als „verlorene Liebe"156 bezeichnet werden. Luthers soteriologische Präzision steht somit gewinnbringend gegen Augustin, die ontologische Verkürzung seiner Theologie aber auch gegen Paulus.157 Insgesamt steht in Luthers personalistischer Theologie eindeutig das Element des Glaubens im Vordergrund, in dessen Relation er sich einer Liebesterminologie nur spärlich bedient. Luther akzentuiert mit dem Glauben die seinerzeit dringend angesagte Verantwortung des Einzelnen vor Gott gegenüber einem überzogenen Anspruch des kirchlichen Dogmas, er untergewichtet aber dasjenige Element, das nicht nur „höher" als der Glaube ist (l.Kor.13,13), sondern auch ungleich komplizierter, gehören doch zur Liebe mindestens zwei, denen nicht nur der Glaube, sondern eben auch das Problem aufgegeben ist einander zu lieben. Der Herausforderung der Liebe korrespondiert die gesamte Palette der betroffenen schöpfungsgemäßen Aspekte, angefangen bei den kleinsten Äußerlichkeiten, die an unserem Gegenüber uns bereits so leicht zu stören vermögen, bis hin zu tiefsitzenden Prägungen und Überzeugungen, die uns gar vollends unüberwindlich scheinen. Diese Realita des Anderen, des tatsächlich Anders-Seienden, möchte und soll die Liebe von Herzen so bejahen, dass daraus fruchtbares, erfüllendes, die jeweiligen Parteien auch in ihrer individuellen Konstitution bereicherndes Miteinander-Sein entsteht. Darum ist die Liebe im Vergleich zum Glauben das anspruchsvollere Unterfangen. Dem Glauben hingegen korrespondiert das Wort Gottes - bei den Reformatoren nicht als Seinsgrund (wodurch es mit der Liebe wiederum eins wäre), sondern

155 ...bei Luther etwa in der Vorstellung zum Ausdruck kommend, dem Nächsten gegenüber die Stelle Christi einzunehmen; vgl. WA 7, 66,3f., 34f. 156 WA 36, 435, 30f. 157 S. dagegen Emil Brunner, der deutlich macht, dass die Ekklesia „für Paulus die im Christusglauben enthaltene und insofern notwendige Konsequenz seines Glaubensbegriffs bzw. seiner Christusauffassung" ist. Dogmatik 3,21964, 58.

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in der vermeintlichen „Reinheit" der Lehre von einem überproportional persönlich begriffenen Evangelium. Demgegenüber kann die Liebe nur von sekundärem Rang sein. 158 Bei Luther im Glauben mit eingeschlossen, 159 ist sie so nicht in der Lage, ihr originäres Potential voll zu entfalten, ihre gemeinschaftsbildende Kraft, ist sie doch so nicht einmal mit ihren realen, trivialen Hürden konfrontiert. So sind bei allen - auch zur Liebe - wundervollen Aussagen in systematischer Hinsicht die Prioritäten bei Luther doch subtil verschoben und ist ihre konkrete Praktikabilität außerhalb die biblische Anleitung gestellt. 160 Die hohe geistliche Kunst der konkreten Manifestation

158 S. ebd., 111. 159 S. besonders den Sermon von den guten Werken (1520), in dem das bei Luther unumkehrbare Folgeverhältnis von Glaube und seinen (Liebes)Früchten besonders deutlich wird; WA 6, 196ff.; vgl. auch das polemische „Nos autem loco charitatis istius ponimus fidem" in WA 40/1, 228, 27. 160 Wir haben es bei Luther gewiss mit den biblischen Inhalten, in deren Systematik aber mit einer zweifachen Ungenauigkeit, wenn nicht gar Verwechslung zu tun, nämlich erstens mit der von Glaube und Liebe, zweitens von Liebe und Gesetz. Zum Ausdruck kommt dies gerade in der Vorstellung, dass man durch Glauben zur Liebe gelangen soll (WA 36, 423, 22f.), während in biblischer Perspektive mehr die Liebe es ist, die den Glauben ursächlich bewirkt und wachstümlich befördert (Eph.3,17; 6,23; Kol.2,2ff.; l.Thess.3,2). Die Liebe ist bei Luther die vom Gläubigen geforderte Tat, die der Glaube als der göttliche Täter mit Leichtigkeit vollbringt. S. dazu Ebeling, Luther, Einführung in sein Denken, 41981, 178-197, wo gut dargestellt wird, wie für Luther der Glaube als die Kraft zur Liebe das „göttliche Werk in uns" ist, in dem die radikale Neuwerdung unserer Existenz zum Ausdruck kommt (188f.). „Denn wie dir der Glaube die Seligkeit und das ewige Leben bringt, so bringt er dir auch mit sich gute Werke und ist unaufhaltsam. ... Glaube nur, so wirst du alles von dir selbst tun" (WA 12, 559, 20ff.). Es verwundert nicht, dass Luther den Jakobusbrief nicht mochte, wo es demgegenüber heißt: „Du glaubst, dass ein einziger Gott ist? Du tust wohl daran. Auch die Dämonen glauben es und zittern" (Jak.2,19). Deutlich wird hier, wie Luther die Qualitäten der Agape in den Glauben hineinträgt, so dass auch nicht verwundert, wenn die Liebe in die Nähe der Werke gerückt wird, die ihr gewiss beizuordnen sind, über die sie aber gerade als Vergebungskraft qualitativ hinausragt. Sofern in dieser Kraft die Liebe Gottes zum Ausdruck kommt, die als solche weitertransportiert werden soll, ist zweifelsfrei die Liebe das „göttliche Werk" in uns, an deren Beginn der Glaube steht, in dem dieses „Werk" aber nicht zu seinem Abschluss kommt, sondern gerade einmal beginnt. Darum ist, wie Jüngel korrekt formuliert, der Glaube die „primäre Entsprechung zur Liebe Gottes" (s. Gott als Geheimnis der Welt, 1977, 466) und darin die entscheidende Zäsur zur Erostendenz. Er kann und soll aber die Liebe nicht so in den Hintergrund drängen, wie dies bei Luther schwerlich anders auszumachen ist. In der Weise ist schließlich auch der Glaube

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der Glaubensgemeinschaft, der Kirche als dem biblisch-ontologischen Ausdruck der Liebe Gottes, bleibt erneut außen vor. Luthers prinzipielles Kontra gegen deren apparathafte Selbstpervertierung ist damit das andere, individualistische Extrem desselben falsch verstandenen Problems christlichen Seins. Der fromme Zuspruch der Gottesliebe anstelle der frommen Anstrengung ist ebenfalls keine grundlegend tragfähige, keine wirklich seinsergreifende Lösung, solange dieser Zuspruch nicht auch in seine Horizontale übersetzt und dort die Realität von Demut, Erbarmen und Vergebung täglich exerziert wird.161 So hat mit den Einsichten Martin Luthers unser Thema fraglos den Anstoß in die richtige Richtung erhalten, indem die Liebe aus dem bedrückenden Konvolut der Mitwirkungsvarianten herausgelöst ist. Luther erkennt und bekämpft mit aller gebotenen Heftigkeit die selbsterlöserische Tendenz des Eros und hat nicht zuletzt darin seine bleibende Bedeutung. Die Liebe verbleibt jedoch bei ihm als Beiaspekt seiner Theologie von der Rechtfertigung aus Gnaden. Sie wird mit dieser faktisch identifiziert und damit ihrer Seinsdimension beschnitten, statt dass umgekehrt das sola gratia als Spitze und Ausgangspunkt der neutestamentlichen Theologie von der Gottesagape begriffen wird. Im Endeffekt verbleibt sie als verbal-kommunikatives und dann schließlich wiederum sakrales Geschehen.162 Das Sakrament ist es denn auch, dem ontologisch fundiert, indem er auf dem Grund der sich bestätigenden Erfahrung der Liebe Gottes genährt wird und weiter zunimmt. Andernfalls aber tendiert ein ontologisch - auch psychologisch - überdehnter Glaubensbegriff in den Bereich des Mystischen. Richtig muss es heißen, dass die Liebe tut, was der Glaube fordert, und nicht umgekehrt, und dass die Liebe - die Agape jedenfalls - mindestens so sehr „Gottes Sache", nicht des Menschen, ist wie der Glaube (191f.). Richtig ist, was Ebeling sagt: „Darum bedarf die Liebe des Glaubens, weil nur da, wo dem Menschen die Sorge um sich selbst kraft letzter Gewißheit abgenommen ist, die Liebe reine Liebe ist" (192). Richtig ist aber auch, dass in der Regel - bei Luther mag dies anders gewesen sein - solche Liebe es ist, die „unaufhaltsam" dazu beiträgt, dass Menschen zu glauben vermögen. Vgl. zu Luther Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 1962,374; Nygren, a.a.O., 564ff. 161 Bei Nygren wird diese solipsistische Neigung der Liebesanschauung Luthers zu Recht so charakterisiert, merkwürdigerweise aber damit entschuldigt, dass Luthers Ethik „ihrer ganzen Anlage nach nicht teleologisch, sondern kausal" sei; ebd., 580. Die dort zitierten, sich zur Nächstenliebe bekennenden Lutherworte sind bei genauerem Hinsehen auffällig formaler Art - so, dass sie gerade von dem Versuch Abstand nehmen, das Bekannte praktisch-theologisch oder gar ekklesiologisch zu explizieren. 162 Besonders deutlich in WA 18, 203, 39-204,9.

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auch heute noch die Funktion konzediert wird, das Wort Gottes sichtbar zu machen, 163 während die Gemeinde hingegen, deren umfassender agapeischer Lebensvollzug allein solches gewährleisten könnte und sollte, im Gefolge - und auch im Sinne - Luthers in ihrer geistlichen Eindeutigkeit für unsichtbar erklärt wird.164 Calvins verhältnismäßig rationalistische Redeweise von der Gottesliebe erfährt eine zusätzliche Schwächung noch durch seine strenge Prädestinationsauffassung, während bei Zwingli die Motive vom summum bonum und summum esse wieder auftauchen. Beide tragen in theologischer Hinsicht - der Calvinismus freilich in ethischer - nichts über Luther Hinausführendes bei und können darum hier vernachlässigt werden. Gleiches gilt für den Pietismus, dessen Vorstellung von Bekehrung oder Wiedergeburt zwar legitimerweise auf die dem Liebeswort des Evangeliums nur angemessenen Reaktionen abzielen, 165 dessen Heiligkeitsideal aber besonders stark unter der Absenz einer biblisch vollausgebildeten ontologischen Liebesbasis leidet. 5.2 Die reformatorische Grenze / Die vergessene Dimension Nachdem die mittelalterliche Phase beherrscht war vom Ringen um die theologische Kluft zwischen Gott und Mensch, revitalisiert die Reformation in grandioser geistiger Leistung die neutestamentliche Soteriologie, damit aber nur den Kern, nicht das „Fleisch" der neutestamentlichen Reich-Gottes-Botschaft. Sie entdeckt und verficht kompromisslos den Glauben als Modus der Heilsaneignung, ohne allerdings in biblischer Konsequenz das Soteriologische ontologisch voll zur Anwendung 163 Vgl. Ernst Kinder, Was bedeutet ,Wort Gottes' nach dem Verständnis der Reformation?, 1966, 24ff. 164 Gerade ihr sozusagen wahrer Kern ist es, der den Reformatoren gleichermaßen als zumindest „verborgen" gilt, trotzdem insbesondere Luther am empirischen Charakter der Kirche festhalten will; s. WA 18, 652, 23; Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis, 1955/86, IV/I,1, 690. Lukas Vischer erklärt dies mit einem „tief eingewurzelten Reflex des Anti-Instutionalismus", dem die Reformatoren nachgaben („Das Ereignis der Reformation" in: Gottes Bund gemeinsam bezeugen, 1992, 94); vgl. hierzu auch Emil Brunner, Dogmatik 3, 2 1964, 43-49; sowie die differenzierte Darstellung dieses besonders bei Calvin facettenreichen Themas bei Ulrich Kühn, Kirche, 1980, 24ff„ 58ff. 165 Vgl. Günter Meckenstock, „Liebe", TRE, Bd. 21, 1991, 156-158; sowie Gerhard Uhlhorn, Die christliche Liebestätigkeit, 1959,653-668.

Die vergessene Dimension

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zu bringen. Dies verhindert eine mit gleichem Erfolg durchgeführte Erneuerung von Pneumatologie und Ekklesiologie als den biblischen Gestaltungsfeldern des Christlich-Ontologischen, wodurch die Soteriologie aber ihre relative Isolierung erleidet. Indem die Konzentration der Heilswirklichkeit im Heilswort selbst stattfindet, erfährt dieses eine Uberstrapazierung, der es nicht genügen kann, dieweil das Ontologische, unter die Rechtfertigungslehre subsumiert, sich nicht seiner schöpfungsgemäßen Konzeption nach voll entfalten kann. So leidet unter den reformatorischen Soli, bei aller daran geknüpften und nicht in Abrede zu stellenden Befreiungskraft des geängstigten Individuums, das sich daran anschließende, konkrete Sein auch gläubiger Menschen, trotzdem sie in den Genuss dieser Befreiungskraft gekommen sind.166

166 Das Problem der ontologischen Verkürzung der christlichen Wahrheit durch Verabsolutierung der reformatorischen Grundsätze hat in wohl unerreichter Klarheit und Schärfe Paul Schütz gesehen und formuliert in: Freiheit - Hoffnung - Prophetie, 1324 („Zur Kritik der reformatorischen Grundlagen"), 1985. Beim Versuch, im Sinne eines trinitarischen Gleichklangs den dritten Glaubensartikel neu zu gewichten, im Gegensatz dazu das theologische Diktum ganz auf die Rettung des Sünders zu konzentrieren, erkennt Schütz präzise die ekklesiologischen Konsequenzen in der hier angezielten Weise. Die besagte „Fehlleistung findet fort und fort ihre Bestätigung in der Unklärbarkeit des reformatorischen Kirchenbegriffs und der Aufsplitterung des Protestantismus in sektenhafte Kirchengebilde" (13). Schütz beklagt die individualistische Engführung der reformatorischen Theologie als anthropologische „Selbstumkreisung des neuzeitlichen Individuums" (19) zum Nachteil des corpus trinitatis, zum Nachteil auch der Erkenntnisdimension des Glaubens. „Der Glaube bedarf der Erkenntnis, ohne die ihm Hoffnung nicht greifbar werden kann. Und darum ist der ,Geist der Wahrheit' der Tröster des Menschengeistes, weil er tröstet durch Erkenntnis" (23); vgl. zur biblischen Einheit der Glaubensartikel auch Oscar Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, 1958, 1-2. Problematisch bei Schütz ist, dass es ihm nicht gelingt, die Christologie für sein Anliegen in Anspruch zu nehmen, den Dritten Artikel, der seinerseits zu sehr von „Ich", „Mir" und „Mich" spricht (18), aus einer, wie Dilschneider dies angedacht hatte (s.o.), morphologisch aufgefächerten Christologie heraus zu entfalten, so dass seiner Kritik des Christozentrismus Schütz spricht gar von „Christifizierung der Trinität", die deren „Auflösung" bedeute (17) - denn doch etwas Befremdliches anhaftet. Großartig und viel zu selten bedacht bleiben indes geradezu prophetisch anmutende Aussagen wie: „Diese Selbstumkreisung des neuzeitlichen Individuums hat tiefgreifende Folgen für die menschliche Existenz. Die Gemeinschaft ist nicht mehr mit umgriffen von der heiligen Ordnung, in die hinein die Trinität alles Sein stiftet... So bedeutet das sola fide zuerst den Verlust der Gemeinschaft" (19). Oder: „Das große Thema der Allvollendung im ,Reich der Himmel' in der Verklärung der ersten zur zweiten Schöpfung klingt (im „Solafideismus") kaum am Rand mit an. Hier aber, nicht in der Rechtfer-

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Die Reformation hat das Evangelium wiederentdeckt, die Botschaft vom christlichen Heil, das christliche Heil selbst aber ist nur in Ansätzen erfahrbar geworden, nicht in seiner von der Bibel intendierten originalen geschöpflichen Fülle. 167 Das Manko in Sachen Heilswirklichkeit besteht bis heute als das Problem der unerledigten ekklesiologischen Frage, der Frage nach der „sozialen" Heilswirklichkeit. Beim Versuch, die christliche Heilswirklichkeit dem Heilswort einzupassen, hat die reformatorische Theologie eine auf die Einsichtskräfte des Einzelnen abstellende Frömmigkeitspraxis geschaffen, eine subjektivistische konzentrierte „Heils-Lehre" echten Typus auf dem Boden einer objektivistischen Wort-Glaube-Metaphysik, die im Ernstmachen mit dem Zorn Gottes und gewiss auch mit seiner Liebe in Reinform den biblischen Kern des Erlösungsgeschehens wiedergibt, die in Verkennung der Tragweite jener aber gerade ungeeignet war eine integrative Heilswirklichkeit zu stiften, die allen Komponenten des Seins und insbesondere dessen personeller Komplexität gerecht würde. Das reformatorische Evangelium bleibt ohne unmittelbare Bedeutung für die Gemeinschaft, die keine pneumatische Durchprägung „von unten" erfährt. Indem die kirchformenden Konsequenzen des ontologischen Elements gescheut werden, bleibt es bei einem Verbalevangelium für den Einzelnen, auf dessen innere Haltung es ankommt. Die Reformation stellt den Menschen wieder vor Gott, nicht aber im Sinne von Apg.17,28 „in" Gott hinein, die neu errichtete Vertikale bleibt ohne direkte Interaktion mit der Horizontalen. Man predigt gegenüber einer korrumpierten Verdienstfrömmigkeit unverdrossen den Glauben als die Eingangstür zum Reich Gottes, die Liebe als dessen Substanz aber bleibt verschlossen, 168 die Sicht versperrt für eine evangeliumsnotwendige Ungespaltenheit des

tigung des Sünders, wartet unser die ganze Wahrheit. Sie ist es, von der der Geist spricht, den die Christenheit im Dritten Artikel des Credo anbetet, zu der hin der Weg der Geschichte führt, von dem der Zweite Artikel lautet - dieselbe ganze Wahrheit, aus der im Wort die Schöpfung hervorging" (21). 167 Zu Recht spricht Beyschlag von einem „Christusbild von einer so komplexen Wucht und Konsistenz, wie es in der gesamten altchristlichen Literatur seinesgleichen nicht hat". Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 1, 1982, 167. Genau diese Wucht und Konsistenz präzise in schriftgemäßer pneumatologisch-ekklesiologischer Konzentration zu erfassen, ohne abzudriften in „Visionen eines kosmischen Christus" (Sittler, Fox), ist die immerwährende Aufgabe der theologischen Kerndisziplin. 168 Vgl. Tillich, a.a.O.

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Christusleibes, für seine Identität als pneumatischer Lebensgemeinschaft. Gerade mit der Akzentuierung des Kriteriums der Rechtgläubigkeit bleibt das Evangelium Theorie, seine praktische Ausgestaltung ein Desiderat. 169 Fraglos ist gerade dieser Bereich eine eigene, größere Betrachtung wert - wir haben uns an dieser Stelle zu begnügen mit den strukturellen Problemen der reformatorischen Leistung in fundamentalontologischer Hinsicht. Vom christologischen Standpunkt aus besteht in systematischer Anlage ein besonders gravierendes Problem in der Missachtung der biblisch-pneumatologischen Christuskontinuität. Das Instruktionswort wird von den Reformatoren nicht auf das Konstruktionswort bezogen. So besteht keine Möglichkeit der christologischen Refundierung der Kirche. Christus existiert weiterhin nur als ZweiNaturen-Mysterium und als solches nur im Schriftwort. Christus ist „in der Schrift gewickelt", 170 die Gemeinde als „externum subsidium" 1 7 1 nur von sekundärem theologischen Rang. In dieser Hinsicht fehlt es den Reformatoren an einer theologischen Gesamtperspektive der biblischen Botschaft, innerhalb deren die Rechtfertigungslehre gewiss mehr als einen „Nebenkrater" (Schweitzer) bildet, aber nun einmal auch längst nicht alles, was nötig ist, um ein neues christliches Sein ontologisch zu begründen und in praxi zu ermöglichen. Erst mit den ReichGottes-Konstanten der Heiligkeit und Liebe Gottes ist Wesen und Umfang Christi recht erfasst und mit ihm als dem biblisch-christlichen Seinsgrund die Möglichkeit gegeben, dementsprechend auf die christliche Praxis einzuwirken. Der Mangel an Reich-Gottes-Perspektive wäre wohl einigermaßen zu kompensieren gewesen, hätte man bei den offen zutage liegenden ekklesiologischen Fragen sich mit der gleichen Entschlossenheit ausschließlich neutestamentlich orientiert, wie dies in der Rechtfertigungsfrage geschehen ist.

169 Mit der Absenz ihrer pneumatisch-ekklesialen Praxis wird freilich auch die Theorie fragwürdig. Die Botschaft vom Heil macht keinen Sinn, sie ist im Grunde Verführung, wenn das Sein des Heils selbst nicht erfolgt. Das dennoch Festhalten an der christlichen Botschaft ist dann kein besonders fester Glaube, einer der „glaubt, obwohl er nicht sieht" (Joh.20,29), sondern ein Akt der Hartnäckigkeit, eine quasi fundamentalistische Form positiv gewendeter frommer Verzweiflung. 170 WA 10/1,80,3ff. 171 Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis, 1955/86, IV/1,1, 683.

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Ähnlich der Alten Kirche hatten die Reformatoren jedoch ein kirchenpolitisches Problem, aus dessen Erwägung heraus sie sich scheuten, die biblisch-ontologischen Konsequenzen der biblischen Soteriologie zu ziehen. Das Sein von Gemeinde und Volk sollte in jedem Fall zusammengehalten werden, wodurch der christlich-ontologische UrDualismus leichtfertig ignoriert wurde, wodurch Gottes Heiligkeit und Gottes Liebe nicht wirklich Raum greifen konnten. 172 Damit eng verwandt ist das methodische Problem der Reformatoren, ihre kontroverstheologische Akzentuierung, die bei aller theologischen Genialität, insbesondere Luthers, speziell am integrativen Element der Liebe scheitert. Von hier aus liegt das exegetische Problem in der aufrechterhaltenen theologischen Unterqualifizierung der Agape, ihrer Nichtbeachtung als fundamentalontologische Größe, als eigentliches, seinsumfassendes und seins-neubildendes Gnadengeschenk Gottes. Indem die Agape von untergeordneter, für die Ekklesiologie nicht wirklich belanghafter Bedeutung bleibt, wird jedoch auch die Wiederherstellung des biblischen Seinsrahmens versäumt für das Thema Heiligung, die ebenfalls im Weiteren Probleme bereiten sollte. Die Heiligung unmittelbar aus dem Rechtfertigungsgeschehen heraus zu erwarten, erwies sich bereits zu reformatorischer Zeit als illusionär. Die Reformatoren waren eifrig, aber weitestgehend vergeblich bemüht, dem gläubigen Volk nun auch einen dem Heilswort adäquaten Wandel einzuimpfen, da sie sich weder praktisch noch theologisch imstande sehen, denjenigen Seinsrahmen schriftgemäß zu erneuern, aus dem heraus Heiligung als Prozess der Prägung durch das Heilswort nur entstehen kann. Rechtfertigung ohne ekklesial fundierte - auch im Lebenswandel der ekklesia zu Ausdruck kommende - Heiligung muss ein christliches Torso bleiben, Heiligung ohne Liebe als Seinsgrund jedoch wird wieder zum Gesetz. Die Folge der reformatorischen Inkonsequenzen war und ist heute mehr denn je - eine nur eingeschränkte Durchschlagskraft des Christlichen beim Einzelnen und seine nicht minder eingeschränkte Durchschlagskraft in der „Welt". Mit dem Problem seiner rechten ekklesial-ontischen Ausformung besteht das Glaubwürdigkeitsproblem

172 Auch inwiefern die Reformatoren an dieser Stelle zu unkritisch auf dem altkirchlichen Dogma fußen, wäre einmal eine, soweit ich sehe, bislang nicht erfolgte Untersuchung wert.

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des Christentums - in jeder Hinsicht. Und es besteht die Identitätskrise nicht nur des Christentums, sondern auch des Heidentums, die beide nicht recht um die Eigentümlichkeiten speziell ihres Seins Bescheid wissen, sondern einander unnötig das Leben schwer machen. Im Endeffekt bewirkt die Reformation gerade nicht, was man ihr bis heute zu unreflektiert attestiert: die schriftgemäße Wiederherstellung des christlichen Gottesvolkes. Als Folge der beschriebenen, lehrmäßigen Verzerrungen wird dafür die nachhaltige Trennung von Christologie und Ekklesiologie verursacht sowie die dogmatische Begründung der Gemeinde als der rechten Glaubens und rechter Sakramentsverwaltung.173 Diese praktiziert nicht Liebe, sondern „Heiligkeit" gegenüber den eigenen Geschwistern anderen Erkenntnisstandes und liebäugelt infolge der eigenen konfessionalistischen Enge zwangsläufig mit der Welt. So war die Reformation eine solche nur im Kernbereich der christlichen Theorie. Den Bereich der christlichen Wirklichkeit reformiert sie keineswegs nach biblischem Vorbild. Die Reformation korrigiert den kirchlichen Verfallsprozess in theologischen Ansätzen, da aber nicht mit letzter Konsequenz, so dass eine nachhaltige seinshafte Wiederherstellung der Kirche trotz entsprechender Reflexionen unterbleibt und der Boden bereitet wird für viel ekklesiologische Konfusion. Wir haben den halben theoretischen Weg noch vor uns und den ganzen praktischen, der sich freilich heute anders - wohl kaum einfacher - darstellt als im 16. Jh. Die Aufgabe wirklicher Reformation im Sinne des Neuen Testamentes bleibt weiter bestehen. 5.3 Die Notwendigkeit des totus Christus / - ekklesialer Ganzheit Das Christliche - das ist Christus selbst - will überzeitliches Heil sein und in Form des pneumatischen „Unterpfandes" (2.Kor.l,22; 5,5) auch zeitliches Wohl. Das Heil hat uns in Stellvertretung der Mensch Jesus Christus erwirkt. Dass das Christliche aber keine Ubermengen an heilsbeglaubigendem Wohl aufzuweisen hat, liegt an der theologisch ungenügenden Darstellung der hierfür vorgesehenen göttlichen Seinsweise des Christus. Die altkirchliche Christologie hat das Göttliche der Person Christi wesentlich in deren übernatürlichen Fähigkeiten festge173 S. die klassische Passage in CA 7, 61: „Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in quia evangelium pure docetur et recte administranta sacramenta."

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macht. Diese Sichtweise hat die Reformation unverändert übernommen und hat ihrerseits in der soteriologischen Eruierung seines Werkes die menschliche Komponente vertieft. Das über Christus an Ubernatürlichem biblisch Ausgesagte geht aber gerade über sein Tun als Mensch hinaus und betrifft sein ewiges, auch schon vorinkarnatorisch wirksam gewordenes Sein (Joh.l, 1-3.18; 5,39; l.Kor.10,4; 2.Kor.3,17). Seine göttliche Komponente ist darum nicht allein intrapersoneller, sondern transpersonaler Art. Die irdischen Werke, die Jesus selbst nur gering einschätzt (Joh.14,11), stehen in keinem Verhältnis zur Schöpfungs- und Neuschöpfungsrelevanz des Christus, der schon „vor Abraham ward" (Joh.8,59). Darum hat eine biblisch ausgerichtete Christologie die morphologe Präsentation des Logos zu beachten, deren Elastizität die konkrete Zuständigkeit des Gottessohns in allen Fragen des Seins garantiert. Die Erfordernisse sind ebenso persönlicher wie globaler Art. Was wir für die Gestaltung der christlichen Seinswahrheit 174 benötigen, ist ein Christus, in dem nicht nur die Tröstung über die individuellen Daseinsdefiziten möglich ist, sondern auch die Erklärung der ontologischen und erkenntnistheoretischen Menschheitsfragen, ein Christus, aus welchem all diejenigen „Schätze der Weisheit und der Erkenntnis" (Kol.2,3) herleitbar sind, deren der menschliche Geist zu einer menschenwürdigen Gestaltung seines Planeten bedarf, ein Christus, in dem eine universale Wirklichkeitsdeutung möglich ist, ein Christus, der uns wie zur „Gerechtigkeit" so auch zur „Weisheit, zur Heiligung und zur Erlösung gemacht ist" (1.Kor.1,30). Und gerade ein solcher Christus ist der biblische, den besonders ein Paulus und ein Johannes gepredigt haben. Darum besteht in der theologischen Wiedergewinnung nicht allein des solus Christus, sondern des totus Christus heute wie zu jeder Zeit das dringlichste Anliegen nicht nur der Theologie, sondern der Kirche überhaupt. Dieser Christus ist der göttliche Christus, den die Bibel bezeugt und zwar als den heilsamen realen Seinsgrund aller geschöpflichen Dinge. Dieser Christus als Seinsgrund ist das biblische Ewigkeitswort Gottes, das die Genesis erstmalig vorstellt (Gen.1,3),

174 Vgl. zu deren spezifischer Unterschiedenheit zur statisch-überzeitlichen, sprich abstrakten, dem griechischen Ordo-Prinzip verpflichteten Wahrheit: Wolfgang Beinert, Christentum ist ökumenisch. Kirchliche Einheit und konfessionelle Vielfalt als Kriterien des Christlichen, 2000,124f.

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dessen segensreiche Absichten sich als Gottes Weisheit zu erkennen geben (Hi.28,12-28; Spr.3,13-20; Wh.7,22-8,1) und das schlussendlich im Neuen Testament als derjenige Christus identifiziert wird, der in Jesus Fleisch geworden ist (Joh.1,14) und der nach seiner Himmelfahrt uns als Stellvertreter den Heiligen Geist gegeben hat (Apg.2,1-4). Was wir brauchen, ist demnach die schriftgemäße Rehabilitierung und Darstellung der Lehre vom Logos asarkos. Diesen als Konkurrenten zum Logos ensarkos aufzufassen ist eine Fehlinterpretation von fataler Tragweite, ist doch der Logos asarkos zur Begründung des Logos ensarkos notwendig, umso mehr aber zur umfassenden Explikation des christlichen Seins als des Seins in Christus, als des pneumatologisch fundierten und durchprägten Seins.175 Der Logos asarkos in seiner pneumatologischen Konkretisierung ist es, der wesentlich für das christliche Wohl zuständig ist, das wiederum der Bezeugung des Christusgeschehens insgesamt dient in der realen Ausprägung der aktuellen Manifestation des Reiches Gottes. Das ist das Christliche, das uns und das der Welt gegeben ist - der Christus präsens als die Wirklichkeit des Heiligen Geistes, der schon jetzt im Minimalformat an Reich-Gottes-Strukturen verwirklichen kann und will, was in Gänze noch bevorsteht. Der Realisierung dieses Christus gilt es zu dienen. Unter dem signum des totus Christus ist eine vollausgewogene, umfassende und im besten Sinne ökumenische Theologie ermöglicht, eine Theologie, die der ganzen Wahrheit dient und nicht nur der Verabsolutierung von Teilaspekten, eine Theologie, die die theologischen Disziplinen recht ordnet und die weiß, dass sie der Erkenntnisanteile anders-seiender, auch anders-denkender Geschwister bedarf. Die Wahrheit Gottes ist die ganze Wahrheit, wie eben der ganze Christus die ganze Wahrheit ist und damit die alleinige Wahrheit, die das Prädikat „Wahrheit" tatsächlich verdient. Darum ist Christentum als „Ereignis Christi" 176 seiner Natur nach ökumenisch oder es ist nicht wahrhaft christlich177 - nicht christlich im Blick auf seine vollmächtige Erscheinungsform und erst recht nicht im Blick auf die hinter dieser Erscheinungsform stehenden Kraft Gottes, seiner Agape. Vielmehr leugnet es 175 Vgl. a.a.O. 176 Diese passende Formulierung findet sich bei Peter Eicher (Hg.), Neue Summe Theologie Bd. 3,1989, 25. 177 Vgl. Wolfgang Beinert, a.a.O.

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genau diese in dem Maße, als es an jene Spaltung kultiviert, die „in Christus" dessen eigenen, elementaren Selbstwiderspruch bedeuten würde. Diese größtdenkbare Aporie hat Paulus vor Augen, wenn er fragt: „Ist denn Christus zertrennt?" (l.Kor.1,13). Die vor diesem und dem realen kirchenhistorischen Hintergrund tatsächlich zu konstatierende Fragmentierung des Christus ist freilich ein Phänomen, das im Zuge der Konfessionalisierung nur folgerichtig auf den Plan trat und entsprechend nur in einer überaus entschlossenen ökumenischen Anstrengung zu reparieren sein wird. Dafür wird hilfreich sein, dem Ungeheuerlichen geradewegs ins Auge zu schauen: Kirchenspaltung zertrennt unweigerlich die Christuswahrheit und schafft damit Raum für nicht-christliche Surrogate. Die Konfessionen werden darum nicht umhin kommen, das jeweilige Christusteil der anderen als ein solches nicht nur anzuerkennen, sondern auch nach der Wiedervereinigung mit demselben zu streben, wollen sie je wieder die Fülle Gottes im Raum der Kirche wiedergewinnen. 178 Darum ist das Programm des totus Christus ein Programm der kirchlichen Bußbereitschaft, der Bereitschaft zur Relativierung des eigenen Erkenntnishorizontes und der Offenheit für Schwerverdauliches. Die Erhabenheit der Wahrheit Gottes besteht doch gerade in ihrer Überlegenheit gegenüber abgeschlossenen menschlichen Denksystemen. Dass zusammenkommt und tatsächlich fruchtbar harmoniert und interagiert, was menschlich anscheinend so gar nicht zusammenpasst, dass unter dem Kreuz Selbstbescheidung und Selbstdemütigung möglich ist, das Höherachten desjenigen anderen, zu dem das Fleisch natürlicherweise Feindschaft aufbaut, das ist schließlich auch dasjenige Geheimnis des Leibes Christi, welches diesen ultimativ von allen sonstigen sozialen Korporationen unterscheiden kann und unterscheiden muss, soll unser christliches Sein ein glaubwürdiges sein, eines das dieser Welt tatsächlich Hoffnung macht. Kernelement des Christus präsens ist die Wirklichkeit der Agape Gottes, seines ureigensten Wesens in der Wirklichkeit dieser Welt. Diese, als die Vernunft Gottes, ist das spezifisch Christliche, das spezifisch

178 Den Aspekt der „Wiedervereinigung der Christen, nicht nur im Sinne von Rückkehr", ... sondern „Umkehr zu Jesus Christus selbst" hat sehr schön Pannenberg gesetzt in: Einheit der Kirche als Glaubenswirklichkeit und als ökumenisches Ziel (Ethik und Ekklesiologie, 1977), wo dieser Prozess auch „Buße" genannt wird (201).

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Göttliche und genau das, wonach diese Welt verzweifelt Ausschau hält und um deren Verwirklichung sie sich mit ihren Mitteln vergeblich müht. 179 Als die Macht echten, selbst-befreiten Sich-erbarmen-Könnens ist die Agape imstande, nicht sich selbst zu produzieren, zu glänzen, zu imponieren, zu vergelten, zu horten; sie ist imstande, all solches loszulassen, abzugeben, zu verzichten auf alle Formen von SelbstHerrlichkeit und Selbst-Gerechtigkeit, selbst da, wo man sie des ihr Gebührenden beraubt hat, wo man sie verletzt, sie gedemütigt, sie unterdrückt hat - sie ist imstande zu vergeben. Um solcher höherer Fähigkeiten willen besteht, was ein Christentum, das diesen Namen zu Recht trägt, dieser Welt demonstrieren muss: die Realität der Vergebung als den vielleicht einzigen Beweis für die Wahrheit der christlichen Sache.180 Dabei müssen wir sehen, dass wie die Christusrealität das Umfassendste und Stabilste überhaupt ist, sie so gleichzeitig das Subtilste und Empfindsamste ist. Genau darum erleben wir bisweilen so wenig von ihr und genau darum sind wir so anfällig für mehr oder minder grobsinnliche nicht-christliche Surrogate wie auch für solche, die gutgemeint im frommen, auch theologischen Gewände daher kommen. Die Störung wahrhaftiger Christusrealität ist geradeso leicht und so schnell geschehen, wie es möglich ist, den Geist zu „dämpfen" (l.Thess.5,19), denn „der Herr ist der Geist" (2.Kor.3,17) - der Geist die Seinsweise 179 S. die schöne Formulierung von Heinrich Scholz, der von der göttlichen Liebe sagt: „Darin besteht sie, daß Gott an die Menschenkinder etwas verschenkt, was für diese entweder überhaupt nicht existiert oder dadurch, daß es ihnen von Gott geschenkt wird." Eros und Caritas, 1929,48. 180 Die Verballhornung der „goldenen Regel" (Mt.7,12) im Sinne des „wie du mir so ich dir" wird tatsächlich in Mt.5,38-42 nicht nur in dialogischer, sondern auch in materieller Hinsicht durch die Agape überboten, also auch das distributive „do ut des". Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Praxis der Bergpredigt bei Ungläubigen nicht immer wie gewünscht ankommt, dass, gerade wo sie konsequent praktiziert wird, hierin häufig ein Ausdruck der Schwäche gesehen wird, das Objekt der Agape sich womöglich provoziert fühlt und weniger zur Raison kommt, als schlichte Gegengewalt dies bewirken würde. Hier gilt leider, dass „der natürliche Mensch nicht versteht, was vom Geist Gottes ist, er es vielmehr für Torheit hält" (l.Kor.2,14). Es gilt aber auch, dass jene Praxis unter den Gläubigen auch hartnäckige Gemüter zu beeindrucken vermag, wenn sie sozusagen nicht direkt betroffen sind, sondern nur einmal gesehen haben, dass es „auch anders" geht. Auch hierfür bedarf es der authentischen Seinssphäre des Leibes Christi, damit Gottes höhere Gerechtigkeit ihre Überlegenheit erweisen kann.

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seiner aktuellen Präsenz. Auch in diesem Sinne ist somit eine rechte biblische Pneumatologie die Grundbedingung rechter christlicher Existenz, wie entsprechend eine rechte biblische Christologie die theologische Grundbedingung einer christlichen Pneumatologie ist. 5.4 Das ganze Evangelium als bleibende Aufgabe Mit Christus ist nicht allein die Rechtfertigung aus Gnaden, sondern das Wesen Gottes offenbar geworden und mit diesem sein heilsgeschichtliches Wirken. Die biblische Christusuniversalität wird begreifbar anhand ihrer phänomenologischen Darstellung, deren Vernachlässigung zur substanzhaften Verarmung von Theologie und Kirche beigetragen hat. Die Bibel kapriziert sich nicht auf das ohnehin unbegreifliche Paradoxon der göttlich-menschlichen Natur der Person Jesu. Sie stellt uns den Christus Gottes vor, wie er vor Anbeginn der Schöpfung war, wie er heute gegenwärtig sein will, was er für kommende Zeitalter bedeutet und freilich, ganz entscheidend, auch die Phase seiner irdisch-personalen Präsenz. Worauf es der Bibel ankommt ist, ihn als das Universalwort Gottes zu zeigen, das gleichzeitig Gottes Universaltat ist, durch welche das Universum gehalten und gerichtet wird, durch welches die Gemeinde besteht und in welchem der Einzelne die Vollentfaltung seiner individuellen Existenz erfährt. Die Bibel betreibt so gesehen eine universale Ontologie in heilsgeschichtlicher Sukzession mit Jesus Christus als ihrem Hauptakteur. Von ihm her ist eine Pneumatologie gefragt, die seine Gegenwärtigkeit plausibilisiert und eine Ekklesiologie, die von den Prinzipien des Geistes wiederum aus das Funktionieren der Neuschöpfung Gottes in Christus zeugnishaft anzeigen hilft. Das Instruktionswort bezüglich des Werkes Gottes ist hinsichtlich seiner ontologischen Tiefe noch keineswegs ausgeschöpft. Dabei beginnt an diesem Punkt das Christliche nicht ins Philosophische abzudriften, sondern gerade praktisch zu werden, insofern das Gelände einer neutestamentlichen Ontologie die den Instruktionen Gottes entsprechende Gemeinde bildet. Bereits die evangelischen notae ecclesiae zeigen allerdings die Tendenz an, empirische Wesensbeschreibungen der Kirche zu vermeiden. Im Maße aber, wie der Kirche nicht der Aufweis der Geistesfrüchte - mit diesen auch Vergebungs- und Vereini-

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gungsbereitschaft - abverlangt werden, ermangelt die Kirche ihrer uneingeschränkten christologischen Substanz. Sie ermangelt des Faszinosums der Gottesliebe, untergräbt ihre eigene Seinsidentität und wird darum ihrem Seinsauftrag nicht gerecht. Das Evangelium wird in der Theorie wohl hochgehalten, in seiner praktisch-ontologischen Ausgestaltung aber in Frage gestellt. Wir haben es so gesehen nur mit einem halben Evangelium zu tun. Ein halbes Evangelium ist aber kein wirkliches, sofern das Soteriologische erst im Ontologischen sein Ziel erreicht. Dessen theologische Ausarbeitung ist noch nicht zu Ende gekommen - die des totus Christus und seiner praktisch-kirchlichen Realisation. Erst wenn das geschehen ist, ist das sola scriptum zu seinem materialen Recht gekommen. Die schon gezogene Konsequenz des Festgestellten ist unbehaglich, aber ebenso unvermeidlich: Das Christliche besteht als soteriologischontologische Einheit oder es ist nicht genuin christlich. Denn es ist nicht möglich, auf das eine nur zu verzichten, ohne auch das andere in Mitleidenschaft zu ziehen. Genau in dem Versuch aber besteht die Paradoxie des Protestantismus, in der Ausblendung der selbstverständlichen, unmittelbaren ontologischen Konsequenzen des so bravourös wiedergewonnenen soteriologischen Elements. Die Erfahrung der entsprechenden Konflikte, die der Protestantismus mit sich selbst hat, drängen auf ihre schriftgemäße Lösung, gerade weil das gegenwärtige pluralistische Modell das spezifisch Christliche endgültig preiszugeben droht und Seins-Einheit nur noch als Toleranzgebaren zulassen möchte. Demgegenüber hat die aktiv-schöpferische Kraft der Agape fundamental andere Möglichkeiten zur Schaffung echter Kooperation in Gestalt echter christlicher Gemeinschaft. Nicht Resignation vor dem kirchformenden Anspruch des Evangeliums ist darum das Gebot der Stunde, nicht das ontologische Unterfangen der Bibel in Fortsetzung der einstigen traumatischen Erfahrung weiter zu fliehen, sondern danach im Glauben an die Kraft Gottes so unvoreingenommen wie möglich stets aufs Neue zu trachten - dem sola scriptum gemäß, wobei man gerade von dessen theoretischer Erarbeitung seitens der Gegenpartei vielfältig Positives lernen könnte. Wenn diese ihrerseits die evangeliumsgemäße Initiierung des kirchlichen Seins bereit wäre aufzunehmen, stünde der kirchlichen Umsetzung des christlichen Mysteriums in dieser Welt zumindest intra muros nichts mehr im Wege.

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5.5 Exkurs: Der Streit um die Bibel Trotz allen unbestrittenen Segnungen der Reformation klafft mit der ekklesiologischen erneut die christliche Seinslücke aufgrund der Tatsache, dass die Reformation den totus Christus weder praktisch noch theologisch in Gänze wieder hat zutage fördern können. Christus selbst wurde in das Schrift- bzw. Predigtwort hineingepresst, aus denen heraus er nur gelegentlich entkommen ist. Wo das einmal zu geschehen schien, wurde - nicht selten zutreffend - „Schwärmerei" diagnostiziert und mit repressiven Maßnahmen aufgewartet. Keine Christusrealität außerhalb von Wort und Glaube - so das genuine evangelische Credo. Damit war der Boden bereitet für die orthodoxen Scholastizismen, die konsequenterweise in einem inspirierten Bibelbuch und einem rationalistischen Glaubensbegriff das Heil ansiedelten, wie freilich auch für die pietistische Gegenbewegung, die die Christuswirklichkeit in einer expressiven Frömmigkeitspraxis sicherstellen wollte, die beide damit aber den Blick verstellten für die originalen Möglichkeiten des Christus präsens. 181 Einher mit der ontologischen kommt es so auch zu folgenreicher skriptologischer Verwirrung, denn ohne die genuine christliche Konstruktion bekommen wir es folgerichtig zu tun mit entsprechenden Missverständnissen und Extremismen hinsichtlich der Instruktion. Der Mangel am christologischen Seinsgrundwort verursacht den ersatzweisen Streit um das Bibelwort, sofern dieses gewissermaßen in die ontologische Bresche springen soll. 182

181 Mit Überraschung lesen wir ausgerechnet bei dem gegen jenen orthodoxen Rationalismus recht unbarmherzig zu Felde ziehenden Emil Brunner den Karl Barth zustimmenden Satz: „Wir haben Jesus Christus selbst' nie anders als in und mit der Lehre von ihm." Dogmatik l, 41972, 65; s. dagegen Ingolf U. Dalferth: „Lehre ist ... zwar ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Moment im Leben der Kirche, und sie ist als ein spezifisches opus hominum vom kirchenkonstituierenden opus dei präzis zu unterscheiden." Wissenschaftliche Theologie und kirchliche Lehre, 1988, 99. 182 Für die Entstehung des evangelisch-orthodoxen Biblizismus spielen gewiss noch andere Gründe eine Rolle, insbesondere der einer abnehmenden Unterscheidung zwischen der viva vox evangelii und dem sola scriptum. Auch dies Missverständnis aber wird entscheidend begünstigt durch das hier Dargestellte, insofern eine mangelnde Perspektive für die ekklesial-ontische Ausformung des Evangeliums die Ökonomie der Gottesrede unterbricht. Dass im Ringen um ein Ersatz-Ontisches der Biblizismus vorzügliche Karten hat, ist unschwer zu begreifen.

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Wie einst auf den Priester, so setzt mit der Orthodoxie die Fixierung auf das Bibelbuch ein, das nun nicht nur zum „papiernen Papst" mutiert, sondern auch selbst als das Gnadengeschenk Gottes begriffen, indem es undifferenziert als das „Wort" betrachtet wird, auf dessen Entstehung das Geisteswirken sich in besonderer Weise kapriziert habe.183 Auf die Weise das Pneuma grammatisch arretierend, wird durch das Gute das Beste wo nicht verdrängt, so doch in den Hintergrund gestellt, das Unverfügbare der Liebe Gottes weicht dem Objektivierbaren, dem man mechanisch gehorchen und dadurch gefällig werden kann. In der Anwendung einer verbal inspirierten Schrift anstelle einer im Sinne der Schrift vom Wesen Gottes inspirierten und dieses verkörpernden Gemeinde soll ein zur Sache selbst aufgeblähtes Instruktionswort nun als Ersatz-Konstruktionswort funktionieren. So macht die Bibliolaterie die Bibel zum neuen Heilsmedium mit dem strukturell alttestamentlich vergleichbaren Resultat einer gesetzlich konnotierten Heilswirklichkeit. Eine soteriologisch überhöhte Bibel hält in der Folgezeit, wie wir wissen, der historisch-kritischen Wissenschaft nicht stand, die als zwangsläufige rationalistisch/liberalistische Gegenreaktion Einzug hält. In Ermangelung der sichtbaren Weisheit Gottes schlägt das von der Bibel zur Torheit Erklärte (1.Kor.1,27) in Form der Bibelkritik zurück und demontiert das überhöhte Instruktionswort, freilich ohne ihrerseits ihren materialen Vollgehalt zutage zu fördern. Vielmehr geschieht mit der Demontage der christlichen Glaubensgrundlagen die säkularistische Destruktion von Jesus als dem Christus184 - letztendlich als Konsequenz des frommen Verzichtes auf die christologische Wirklichkeit. Ohne christliche Zentrallehren aber kann erst recht weder eine christliche Theologie gedeihen noch eine christliche Praxis. Der Streit um das Christentum wird auf diesem Weg zum bislang ungelösten Streit um die Bibel,185 der in seiner konfessionellen Zuspitzung aber den Konflikt der auseinandergerissenen Christusteile vertieft. Mit der Entstehung der fundamentalistischen Konfessionen wird dieser Konflikt noch beträchtlich in die Breite vermehrt und kann zahl-

183 S. dazu Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990, 64ff. 184 ... in den Schriften etwa von Herbert Braun oder Dorothee Solle. 185 S. die Kontroverse zwischen Willi Marxsen (Der Streit um die Bibel, 1971) und Gerhard Bergmann (Alarm um die Bibel, 1974).

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reiche instruktionsfixierte Geister für ein so verstandenes Christentum sammeln. Gleichzeitig wird mit der Konservierung des eigentlich „christlichen" Hiatus die Kirche aber als eine zunehmend unglaubwürdige erlebt.186 Der „Alarm um die Bibel"187 ist ein Ersatzgefecht aufgrund der Absenz der christlichen Hauptsache, des eigentlichen Wortes Gottes. 188 Mit der Ausbildung der Liebe Gottes reinstalliert das Konstruktionswort die Mitte des Lebens schlechthin. Sie schafft eine neue, dem natürlichen Menschen unmögliche Lebenspraxis und die Möglichkeit einer neuen wissenschaftlichen Reflexion derselben. Mit der Wiederbringung der Ganzheit geistlichen Lebens ist auch die Erkenntnisperspektive der Ganzheit ermöglicht, die Uberwindung bzw. Integration damit auch der Extreme einschließlich der christlich-skriptologischen. Wie alle Extreme - auch die prinzipiellen des Katholizismus und des Protestantismus - sind diese das Produkt der Abwesenheit der sachlichen Mitte und können von dieser aus ihre rechte Platzanweisung erfahren. Der Bibelkritik und der Bibliolaterie ermangelt es gleichermaßen stark an der Ergriffenheit vom Werk Gottes, die aufgrund einer fehlerhaften Selbsteinschätzung auch die Fehleinschätzung der Bibel bedingt.

186 Pannenberg bringt es auf den Punkt: „Die Entfremdung so vieler Menschen von den Kirchen im Verlaufe der neuzeitlichen Geschichte, die weitgehende Entchristlichung des öffentlichen und vielfach auch des privaten Lebens muß ganz konkret als Folge der Unglaubwürdigkeit der einander ausschließenden Konfessionskirchen in ihrem Anspruch, die eine Kirche Christi zu sein, begriffen werden." In: Einheit der Kirche als Glaubenswirklichkeit und als ökumenisches Ziel (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 201. Ähnlich auch Emil Brunner: „Darum ist ihnen auch das Wort der Kirche fremd und - weil diese ständig von Liebe spricht, aber so wenig von ihr sehen läßt - unglaubwürdig." Dogmatik 3, 2 1964,134. 187 A.a.O. 188 Hier liegt das fundamentaltheologische Problem der „bibeltreuen" Evangelikaien begraben, sofern diese in der nicht genug zu bejahenden Ernstnahme des Wortes Gottes dem Umstand nicht ausreichend Rechnung tragen, dass die Bibel sich mit diesem keineswegs eins zu eins identifizieren, sondern wie Johannes der Täufer (Joh. 1,23-27) göttlicher Fingerzeig auf das eigentliche Wort Gottes sein möchte. Damit ist aber freilich auch gesagt, dass dieser Fingerzeig erhaben ist und bleiben wird über alle Versuche, an diesen Hand anzulegen, so sehr diese Versuche unter wissenschaftlichen Ansprüchen wiederum folgerichtig, ja geboten sind. Beruhigenderweise werden die Resultate historisch kritischer Reflexion selbst in historischer Retrospektive kritisch geprüft und das der göttlichen Sache nicht Dienliche für zu leicht befunden werden. Das Gute hingegen wird bleiben.

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Das führt im einen Fall zur Erhebung des außerhalb des Konstruktionsworts fehlerkennenden Subjekts über das instruktive Wort Gottes, im andern Fall zur Erhebung des instruktiven Wortes über das konstruktive, dessen praktisch-kirchliche Ausgestaltung ihre Vergleichgültigung erfährt und dessen im Konstruktionswort christozentrisch recht waltende kritische Vernunft geleugnet bzw. für das als Wort Gottes schlechthin verstandene Instruktionswort für gefährlich erklärt wird. Die Instruktions-Vergötzung ist ebenso wie die InstruktionsVerachtung die natürliche religiöse Haltung außerhalb des originalen Werkes Gottes. Dabei ist die Instruktions-Verachtung, die in die Leugnung der Göttlichkeit Jesu mündet, kein Problem, das der Wirklichkeit des totus Christus ernsthaft schaden könnte, sondern nur die verständliche Reaktion auf dessen Absenz.189 Theologisch problematischer ist ein Inverbationsverständnis analog des in/carnatorischen, das die Bibel zum ontologischen Christusersatz macht und nicht nur das Christliche alttestamentlich verfremdet, sondern sich selbst in eine überaus schwierig aufzubrechende, selbst-immunisierende Position verfrachtet als Hort christlicher Ernsthaftigkeit. Das Gesetzliche erscheint dort als Nachfolge, das Kompromisslose als Konsequenz, die diese Positionen stärkende, biblizistische Hartnäckigkeit als Standhaftigkeit gegenüber den als zahllos erkannten Varianten vermeintlich weltlicher Verwässerung. Im Ganzen eint die nachreformatorische Entwicklung ein in der reformatorischen Theologie selbst angelegter verbalistischer Zug - sei es in biblizistischer oder schließlich wieder in kerygmatischer Gestalt.190 Von ihrem steten Seitenblick auf die katholische Bemächtigung des Ontologischen aus steht sie im Ganzen für das andere Extrem des Ontologieersatzes, dem Abhilfe geschehen könnte auf urprotestantischem Wege, indem das vollständige biblische Wort-Verständnis zugrunde gelegt würde.191 Der evangelische Verbalismus hingegen ist die falsche 189 Vgl. das bereits oben dazu Festgestellte. 190 Dabei ist, wie Walter Künneth zu Recht betont hat, der existenzialistische Verbalismus der Bultmannschule als Pendant zum orthodox-fundamentalistischen anzusehen; s. Glauben an Jesus?, 1962,18ff. 191 Dass dem Protestantismus das Konstruktionswort so sehr weiterhelfen könnte wie dem Katholizismus das Instruktionswort, wäre als Gegenstand einer eigenen, spezifisch ökumenisch orientierten Untersuchung nachzuweisen, wie sie hier nicht beab-

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Alternative zum katholischen Sakramentalismus, weil ebenso einseitig und ebenso ungeeignet, das christliche Sein in seiner integren Ganzheit zu befördern. Diese Aufgabe, der ontologischen Defizienz des Christentums abzuhelfen, seine seinshafte Glaubwürdigkeit und Fruchtbarkeit wiederherzustellen, liegt damit noch vor uns.

6. Die bleibende ontologische Lücke 6.1 Das kontinuierliche Missverständnis der Liebe / Die Diskussion um Agape und Eros / Die Liebe im Konfessionalismus Der Liebesgedanke wird vom Protestantismus prinzipiell in Theorie und Praxis zu tradieren versucht, was vornehmlich im Calvinismus auch in beträchtlichem Maße gelingt, wohlweislich unter obrigkeitlicher Regie. Mit dem lutherischen Unio-Motiv ist immerhin das hohe Maß an Intensität und Spontaneität in der Gottesbeziehung gewährleistet, welches mit der Orthodoxie verlorengeht, die mit der Liebe theologisch wenig anzufangen weiß, sondern in der Eigenschaftslehre die mittelalterliche Metaphysik repristiniert, welche die Liebe Gottes als Ausfluss seiner bonitas begreift. Demgegenüber betont der Pietismus die Liebe auf Seite des Menschen als Hingabe und erneuert hauptsächlich ihr emotionales Moment. Auch das Freiwilligkeitsprinzip hinsichtlich der zunehmend diakonisch verstandenen Liebestätigkeit lebt neu auf zu Zeiten der Erweckungsbewegungen wie des Pietismus, während im 20. Jh. endgültig der Staat sich der mit der Industrialisierung dramatisch gewachsenen Aufgabe annimmt, um so diejenige duale Teilung der Caritasverpflichtung zu begründen, die im Wesentlichen heute noch Gültigkeit besitzt. In der Neuzeit haben wir es zu tun mit vereinzelten Versuchen der Vorordnung der Liebe vor die Erkenntnisfrage,192 aber ohne den biblisch-ontologischen Bezug. Von Oeffingen ist es, der die Liebe wieder als Wesen Gottes193 wie auch als Erkenntnisgrund194 begreift, ähnlich sichtigt ist, trotzdem wir dies Thema mit Blick auf die durch die Agape gewährleistete Integrität und Einheit des Seins noch verstärkt ins Blickfeld nehmen müssen. 192 S.o. 193 Alexander v. Oeffingen, Lutherische Dogmatik Π, 1900,140ff. 194 Ebd., Bd. 1,1897, 6ff.

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Kähler, der das Liebesthema gründlich biblisch aufarbeitet.195 Bei Schleiermacher erscheint die Liebe als Zentralstück der Heiligungslehre,196 bei Ritsehl als - wohlgemerkt sittliche - Grundkategorie des Reiches Gottes.197 Die Reich-Gottes-Lehre selbst wird in kosmologischer Hinsicht kurzzeitig durch die Blumhardts reaktiviert, in sozialer durch die Vertreter des „religiösen Sozialismus" (Ragaz, Kutter), um danach aber den säkularen Utopien im Gefolge von Marx zu weichen. Der (nicht mehr) realexistierende Sozialismus scheitert schließlich als der großangelegte Versuch, auf von Gott gelöstem Weg die Verheißungen des Reiches Gottes planmäßig umzusetzen. Während die Schrift das Evangelium als Total-An-Spruch der Liebe Gottes schildert, verbleibt kirchlicherseits trotz des reformatorischen Einschnittes das christliche Sein als wesentlich kognitives, als Reaktion darauf teilweise mystisches Produkt (z.B. Tersteegen) und erzielt entsprechend dürftige Außenwirkung. Juridische Ausgleichsmechanismen stellen sich wieder ein, Sonderlehren finden Nahrung. Die Liebe erscheint wieder als bloß intrapersonale Forderung (Buber, Rosenzweig) oder als diffuses Ideal (Feuerbach, Jaspers). Sie bestimmt weder theologisch noch praktisch das Sein von Grund aus, so wie das Neue Testament dies vorsieht. Zensuren werden eher von Seiten der Philosophie (schließlich auch von Soziologie und Psychologie) beigebracht, bleiben aber in der Regel systematisch unausgeführt.198 Anthropologische Potenzen aber bleiben beim Versuch, die originale Seinsfülle zu realisieren, wie eh und je überfordert. Insgesamt steht der neuzeitliche Protestantismus im Blick auf eine Theologie der Liebe noch ganz unter dem reformatorischen Diktum und damit vor dem Problem, dessen einstige Brisanz nicht hinreichend aktualisieren zu können. Die Kirche versteht die Liebe neben einer heute nicht mehr beeindruckenden Gleichsetzung mit der Verbalbotschaft des Evangeliums als wesentlich gesellschaftlich/ethische Aufgabe,199 in Variation dazu etwa auch als Befreiung von politischer (Befreiungs-

195 In: Die Wissenschaft von der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt, Nachdr. 3 1966, 230ff„ 481ff., 537ff., 582ff. 196 Friedrich Daniel Schleiermacher, Der christliche Glaube Π, Ί 9 6 0 , 198ff. 197 Albrecht Ritsehl, Unterricht in der christlichen Religion, Nachdr. 1966,11. 198 Vgl. das zur Romantik, zu Pascal, Scheler, Tillich u.a. Gesagte a.a.O. 199 S. die Denkschriften der EKD zu Frieden, Versöhnung und Menschenrechte, 1978.

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theologie) oder geschlechtlicher Repression (Feminismus) oder auch als Ausgang aus zivilisatorischer Zerstörungskraft, insbesondere der Umwelt (Konziliarer Prozess u.ä.). Die römisch katholische Kirche transportiert die Tradition, wonach die übernatürliche Liebe die natürliche perfektioniert, während die orthodoxe Kirche die Liebe ganz als sakrales Geschehen begreift. Zu erwähnen, nicht ausführlich zu behandeln, wäre hier noch das Phänomen einer intensiven gemeinschaftlichen Form der Liebe - unserer nahestehend - als Grundzug religiöser Sondergemeinschaften. Diese hat zum einen schwärmerisch-libertinistische Ausprägungen gefunden besonders in den Bewegungen der 60er und 70er Jahre wie der Jesus People, aber auch der nichtchristlichen Hare Krishna- oder der Baghwan-Sekten sowie in zahlreichen kleineren Gruppierungen, zum anderen in den fundamentalistischen Gemeinschaften ebenso zahlreicher evangelischer Freikirchen. Letztere, noch auf dem Markt befindliche, kommen dem biblischen Modell besonders nah, indem sie eine nicht sakramental und nicht verbalistisch ausgelegte Gemeinschaftspraxis der Liebe mit dem Aspekt gemeinschaftlicher Heiligkeit kombinieren möchten, sind aber in ihrer konfessionellen Abwehrbewegung mit vielfach noch stärkeren Ausgrenzungstendenzen behaftet als die evangelischen Großkirchen und ihnen von daher bei allen Vorzügen hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und Konsequenz ihrer Glaubensund Liebespraxis doch strukturell beizuordnen. 6.2 Anders Nygren Die explizite Diskussion der Agape ist im 20. Jh. aufgebrochen mit dem klassischen Werk von Anders Nygren Eros und Agape.200 In diesem steht die Agape in kategorialem Gegensatz zum Erosmotiv. Eros und Agape „unterscheiden sich nicht dem Grade, sondern der Art nach. Kein Weg, auch nicht der der Sublimierung, führt von Eros weiter zu Agape" (29). Nygren sieht hier einen „prinzipiellen Gegensatz" (140), Eros und Agape seien „zwei völlig fremde Größen" (154). Sein umfangreiches Werk schildert den theologiegeschichtlichen „Kampf des Agapemotivs 200 Das Buch ist in erster Auflage 1930 erschienen. Die hier angesichts ihrer Vielzahl aus Übersichtsgründen im Text untergebrachten Angaben entstammen der zweiten Auflage von 1954.

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gegen die Erosfrömmigkeit" (95), in dem es um den Übergang „von der egozentrischen zur theozentrischen" (25) Religiosität geht, für den das Christentum im Gegensatz zu den traditionellen Religionsformen steht. Bei der Agape als ihrem Zentrum haben wir es zu tun mit der „originale^) Grundkonzeption des Christentums" (26), denn die Agape ist „Gottes Weg zum Menschen" (72), Eros hingegen steht für das umgekehrte Unterfangen aufsteigender Gottessehnsucht. Dieser ursprüngliche Gegensatz ist Nygren zufolge in nachapostolischer Zeit sukzessive eingeebnet und erst mit der Reformation wieder vollständig zurechtgerückt worden. Nygren hält die Frage nach dem christlichen Liebesgedanken für „eine der zentralsten und zugleich eine der am meisten vernachlässigten Fragen der Theologie" (5), stellt sich die Liebe doch als „christliches Grundmotiv" dar (21), als sich hingebende, verschenkende Liebe, wohingegen Eros „prinzipiell Selbstliebe" ist (147). Im Liebesgebot begründet (35), erscheint die Liebe im Alten Testament partiell - im Nomos (179, vgl. 42ff.) - im Neuen, diesen überwindend (180ff.), universell als Ausdruck des Wesens Gottes schlechthin. Zwischen Gott und Agape besteht „sachliche Identität" (97), wobei Gott als causa efficiens der Nächstenliebe erkannt (146), deren unmittelbarer Transport angenommen wird. Als Genetivus subjectivus ist die Liebe Gottes somit zugleich Nächstenliebe - beide heißen Agape. Religionshistorisch gilt sie nun als „Schlag ins Gesicht für die jüdische Gesetzesfrömmigkeit wie für die hellenistische Erosfrömmigkeit" (135). Sie ist nicht nur diametrales Gegenstück der klassischgriechischen Gottesvorstellung, sondern auch der als individualistisch gekennzeichneten antiken Ethik, der gegenüber Nygren die christliche als „gemeinschaftlich" versteht, die Agape mithin als „Gemeinschaftsbegriff" (24). Dass Götter lieben, galt der Antike als „Torheit", deren Eros auch keine Nächstenliebe kennt (92). Paulus aber ist es, der genau diese Sachverhalte nachdrücklich einschärft, der so die „Umwertung aller antiken Werte" vollzieht und sich darum etwa den Spott von Celsus zuzieht (138). Dabei wird auch der Unterschied zwischen christlicher Liebesgemeinschaft und Rechtsgemeinschaft betont (41, 56, 96). Die überindividuelle Bedeutung der Liebe erscheint auch, wenn etwa gesagt wird, dass mit der „Offenbarung der Liebe" das „Kommen des Gottesreiches" verbunden sei (66). Zu Recht stellt Nygren die Agape als

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Terminus technicus bei Paulus heraus (73, vgl. 2.Kor.13,11; l.Thess.4,9) und betont, dass Agape und Kreuzestheologie im Grunde dasselbe sind. Er spricht von der paulinischen „Agape des Kreuzes" (32), der zufolge Gott das unbedingte Subjekt der Agape sein muss (77). Da der Begriff der Agape somit reserviert ist für die Bewegung von oben nach unten, hält Nygren, auf Paulus sich berufend, für die Reaktion des Menschen Gott gegenüber den Glaubensbegriff für den neutestamentlich angemesseneren (80ff.). Den Grund für die vielfältigen Irrungen und Wirrungen des Themas der Gottesliebe sieht Nygren gelegt in den Versäumnissen der frühkirchlichen Lehrbildung. „Die Agape ist niemals im eigentlichen Sinn Gegenstand der Dogmenbildung geworden", wird zutreffend festgestellt, weshalb das Erosmotiv in die christlich Lehre eindringen und deren „Hellenisierung" betreiben konnte (167f.) bis hin zur augustinischen „Caritassynthese" (301, 351ff.). Mit Augustin und Dionysios Areopagita gelingt schließlich die dauerhafte Verankerung des neuplatonischen Erosgedankens im katholischen Christentum (122, 34).201

201 Der frühkirchliche Kampf zwischen Eros- und Agapemotiv stellt sich als ein äußerst komplexes Gebilde dar, dessen Verwicklungen Nygren mit großer Präzision und Sachkenntnis aufzeigt. Wir beschränken uns hier auf eine komprimierte Zusammenfassung. Nygren diagnostiziert eine erste „nomistische Abstumpfung des Agapemotivs" (189) bereits in der zweiten Generation. Die Rede ist von „Angleichung und Assimilierung" bei den Apostolischen Vätern (185ff.) und wird exemplifiziert anhand des Agape-Hymnus im 1. Clemensbrief (176). Paulus gerät so in Vergessenheit, das Liebesgebot wird wieder gesetzlich interpretiert, wogegen Marcion zugunsten des Agapemotivs opponiert (180ff.). Auch die Apologeten fördern die gesetzliche Komponente, wehren dabei aber doch den Eros ab. Besonders positiv wird Justin eingeschätzt, der gegenüber dem platonischen Erosweg der Gnosis als Heilsweg zum christlichen Exklusivitätsanspruch zurückkehrt (196ff.). Den erneuten „Durchbruch des Agapegedankens" sieht Nygren bei Marcion gegeben, der gegen Nomismus und Eros gleichermaßen ankämpft (240ff.), dessen Verketzerung aber wiederum das Nomosmotiv stärkt, so dass sich „die kirchliche Polemik teilweise gegen den Agapegedanken selbst richtete", der nun „auf der Grenze zur Häresie" erschien (253f.). Die nomistische Tendenz erscheint vollendet bei Tertullian (261ff.), bei dem das Christentum „konsequent zur Gesetzesreligion umgebildet" wird (266). Bei Clemens dominiert dann ein als Agape verbrämtes Erosmotiv. Als „innerste Kraft" (277) des in die Tiefe blickenden „Gnostikers" hat sie mystische Bedeutung auf den verschiedenen Ebenen des christlichen Stufenbaus (278). Die „prinzipielle Identifikation" von Eros und Agape (300) führt schließlich Origenes durch, der eine „erste wirkliche Synthese zwischen der christlichen und der hellenistischen Liebesanschauung" errichtet (301). Origenes antizipiert so Augustin, der angesichts der of-

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Der Vorherrschaft des Erosmotivs über die Agape, worunter die gesamte spätantike und mittelalterliche Theologie einschließlich der Mystik (149) subsumiert wird, gipfelt nach Nygren in der „Religionssynthese" der Renaissancezeit (170, 527ff.), die erst durch Martin Luther zerstört wurde, dem vermeintlichen „Erbauer der reinen Agapeliebe" (34, 538ff.). „Das Agapemotiv bricht in der ursprünglichen Kraft der Reformation durch" (34) und stellt dort die ursprünglichen Verhältnisse wieder her.

fenkundigen Häresien in der Lehre Origenes' für die Folgezeit bestimmend wird. Irenaus (302ff.) ist es, der die Agape rettet, aber um des Tributs, dass das Menschliche zum Göttlichen gesteigert wird. Dieses ist zwar ganz Gottes Werk - die Gottesgemeinschaft beruht auf der Inkarnation als der agapehaften Herabsenkung Gottes , diese Gemeinschaft wird aber „auf Gottes eigener Stufe betrachtet, auf der Stufe der Heiligkeit und Vollkommenheit" (318). Der Themenreihe Nomos - Eros - Agape korrespondiert so die ihrer Vertreter: der Apostolischen Väter - der Gnosis - Marcion, später der Theologen Tertullian - Origenes - Irenaus. Die Auseinandersetzung um Eros und Agape endet im vierten Jahrhundert schließlich mit der nizänischen Theologie als Kompromiss zwischen Irenaus und Origenes (318ff.), „wobei der Einfluß des letzteren mit der Zeit immer größer wird" (319). Ein jahrhundertelanges „Ringen mit wechselnden Siegen und Niederlagen" um Nomos-, Eros- und Agapemotiv hat zu deren „gegenseitigen Abstumpfungen" geführt (351). Mit der „Caritasanschauung" Augustins wird schließlich ein „wirklicher Neuansatz" geboren, „ein charakteristisches Drittes, das weder als Eros noch als Agape bezeichnet werden kann", sondern „als eine echte Synthese" (353). Dabei ist Augustin geprägt von einer neuplatonischen Grundhaltung (359ff.). Der Eros ist dasselbe wie die Agape, aber unbeständig und störanfällig (365). Die Agape hilft der erostypischen superbia ab (370ff.), wodurch das Begehren als Grundform des Lebens legitimiert ist (375ff.), der Eros in seine bestimmungsgemäße Richtung in Gang gebracht, die verirrte Selbstliebe theozentrisch korrigiert (430ff.). Die cupiditas ist verborgene Gottesliebe (390). Sie entspricht dem vulgären Eros Piatons, die Caritas hingegen dem himmlischen Eros. Entscheidend ist der jeweilige Gegenstand. Die Caritas ist nach oben auf das bonum gerichtet, die cupiditas nach unten, auf die geschaffenen Dinge (378). Die cupiditas, die eine niedrigere Seinsqualität liebt, ist deswegen sinnlos (384). Gott als das „summum bonum" (385) ist das natürliche Korrelat der Begierde, eine „conversio" zur richtigen Liebe - um der Selbstliebe willen - darum nötig. Indem das sursum cor die fruitio dei erreicht, gelangt der Mensch zur Seelenruhe, die als Bedürfnislosigkeit, als quies (382), verstanden wird, gewährleistet nur durch die einzig richtige Liebe, die Caritas, die Gottesliebe, von der die Nächstenliebe ein Spezialfall ist (433ff., vgl. o.). Sie wird durch die gratia Gottes gereicht, eingegossen in das menschliche Herz, und ermöglicht nun, was vorher unter dem Signum des Gesetzes bei Anstrengung doch misslang - der Aufstieg der Seele zu Gott wird „leicht und lieblich" (415).

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Als Prinzip der Sündenvergebung markiert die Agape aber auch den Gegensatz zur Herrschaft des Nomos (136). Die Agape ist nicht rechtend, sondern schenkend. Sie liebt unverdientermaßen gerade den Sünder. Keinerlei Kalkül - „Spontaneität" und „Unmotiviertheit" zeichnen sie wesensmäßig aus; die Agape ist „grundlose" Liebe (45). Sie ist wertindifferent, schöpferisch und gemeinschaftsstiftend (46ff.), bezeugt im Gegensatz zu sentimentaler Liebe und Altruismus ihre exklusiv göttliche Qualität als Sünder- und Feindesliebe (65). Sie ist „die sich selbst opfernde Liebe, die Liebe, die sich hingibt, sogar für das am tiefsten Gefallene und Verlorene" (78). Bisweilen scheint Nygren sie mit einem geradezu irrationalen, schwärmerischen Zug versehen zu wollen (63), wenn es etwa heißt: „Die christliche Liebe will etwas ganz anderes sein als die menschliche Liebe" (58). Dennoch wird die Realität der Liebe gut beschrieben als Hingabe (78), ihre Bedeutung als Gott wohlgefälliges Opfer (79), ihre Kreuzesdimension (81f.), ihre praktische Gesetzeserfüllung (83), ihre zwischenmenschliche Durchreichung zum Nächsten (84f.). Als zweifelhaft aber muss gelten, wenn Nygren meint, „daß Paulus den Agapebegriff ... beiseite schiebt, wenn er das Verhältnis des Menschen zu Gott zum Ausdruck bringen will" (81), wenngleich hiervon die fundamentalontologische Bedeutung der Liebe unberührt bleibt. Paulus kennzeichne „eine auffallende Zurückhaltung" beim Thema der Liebe zu Gott (144). Das mag richtig sein (vgl. Rö.8,28; l.Kor.2,9; Eph.6,24). Zu fragen aber ist, ob Paulus nicht sehr wohl diese Richtung der Liebe im Auge hat, wenn er den mehr funktionalen Begriff des Glaubens gebraucht bzw. wenn er im Kontrast zu den überkommenen Bemühungen den neuen Zugang zu Gott im Status von Versöhnung und Neuschöpfung beschreibt (vgl. Rö.5,10-11; 8,7-9). Fraglos jedenfalls erscheint die Liebe zu Gott in intensivster Weise in den allermeisten biblischen Schriften. Die Psalmen gar drücken wiederholt aus, wie die Gotteserfahrung sehnsüchtig begehrt (Ps.42,2; 63,2; 73,25), im Sinne des Eros also betrachtet wird. Die Frage, die sich aufdrängt, ist demnach, ob nicht gerade solche eroshafte Liebe Gottes guten biblischen Grund hat, denken wir etwa auch an die Verheißungen der Bergpredigt (Mt.5,1-12) oder an Phil.1,23, zumal gerade dann, wenn wir die Agape als Vergebung fassen, die in der Tat nur „von oben nach unten" geschehen kann.

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Dabei bleibt Nygren nicht verborgen, dass besonders Johannes deutlich von der Liebe zu Gott redet (98f.), Nygren spricht hier nicht unpassend von „johanneischer Agapemetaphysik" (100), was bei ihm allerdings abwertenden Klang besitzt, etwa wenn er von deren „kosmisch-metaphysischem Anstrich" spricht (ebd.). Die dogmatische Vorentschiedenheit seiner Überlegungen wird aber deutlich, wenn Nygren sich gegen die johanneische Präexistenzlehre wendet, weil diese „rational und motiviert" (101) sei. So missdeutet er die johanneische Theologie als Nahtstelle zum Erosstadium, 202 als „Verschiebung in Richtung auf die begehrende Liebe" (105f.) und ihre bruderschaftliche Stoßrichtung als „partikularistisch" (102). Vor dem Hintergrund seines eigenen Axioms zeigt Nygren wenig Bereitschaft, der ontologischen Spezifik des neutestamentlichen Gesamtbefundes unvoreingenommen theologisch Rechnung zu tragen. 203 In Nygrens Vertikalismus finden wir nicht nur keine aufsteigende, sondern auch keine einander entsprechende, vervollständigende Liebe, sondern existiert christliches Sein nur als herabsteigendes, wodurch das gemeinschaftliche Element doch ziemlich gestutzt wird. 204 Die Betonung der katabatischen Bewegung erscheint auch überkonturiert, wenn etwa gesagt wird, der paulinische Agapegedanke kenne keine Selbstliebe, die als Höchstwert des Eros gilt (85,147). In der schroffen Diastase von Glaube und Leistung schließlich (150) wird dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen, dass die Agape primäre Glaubensfrucht ist und die Basis für die Werke, die nach Jakobus den Glauben erweisen.

202 ...was gut ins Auge sticht bei seiner Auslegung von l.Joh.4,lff., worin Nygren die Verschmelzung von Agape- und Inkarnationsmotiv sieht. 203 Nygren wendet sich von daher auch - in bemerkenswerten Platoanalysen - gegen die Ansicht des Eros als Vorbereitung für die christliche Offenbarung mit dem korrekten Hinweis, dass dessen Aufweis seinerseits als Heilslehre konzipiert sei (108). Die am Eros ausgerichtete Philosophie wolle als Soteriologie begriffen sein (Ulf.). Ausschließlich auf Seiten des Menschen befindlich (119), sei der auf das Schöne und Gute gerichtete Eros (117) nicht nur begehrend, egozentrisch, sondern auch selbsterlöserisch (119). Dass dem Eros aber zumindest Negativ-Offenbarung zukommt, die Gottessehnsucht durch Gott beantwortet wird, haben wir bereits weiter oben festgestellt. 204 ... und was auch der Logik Probleme bereitet - wo soll das enden?

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Der guten philosophiegeschichtlichen Darstellung des Eros korrespondiert so eine insgesamt unbefriedigende theologische Agapeinterpretation. Zu Recht ist u.a. von Warnach die Kompromisslosigkeit der These kritisiert worden, die Agape sei gänzlich „spontan und unmotiviert". 205 Dabei möchte Nygren gewiss nicht einer völligen Kontingenz der Liebe das Wort reden, seine zumindest missverständliche Terminologie legt dies aber gerade nahe. Dass sie um dieser Eigenschaften willen Gnade sein müsse (77) ist eine - im Ergebnis freilich richtige Zirkelargumentation. Als Ausgangspunkte einer neutestamentlichen Agape-Lehre sind die besagten Prädikate äußerst fragwürdig. Tatsächlich widerspricht eine solche Agape nicht nur Johannes, sondern auch Paulus, die das Motiv der Liebe Gottes in heilsgeschichtlicher Betrachtung und Systematik klar zutage fördern: die Wiederbringung der Schöpfung Gottes. Dies ist, was Gott will und wofür er eine als Liebe bezwingende Strategie einsetzt. Gerade das Kreuz macht deutlich, wie tief und gründlich Gottes Überlegungen und seine entsprechenden Taten sind. Die Agape ist von daher nicht "unmotiviert und absichtslos" (63), auch nicht „grundlos" (45), sie ist grundlegend - aufgrund wiederum der Beabsichtigung seines Reiches. Dabei zeigt sich in Gottes leidenschaftlichem Einsatz für den rechten Weg seines Volkes (Jes.1,1-9; 65,1-2) auch ein - ebenfalls im ούτος γαρ von Joh.3,16 aufscheinendes Element, das dem Eros beizuordnen wäre, das nicht zuletzt durch das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassende Bild des um die Braut werbenden Bräutigams verstärkt, (Jer.3; Hos.2), im Hohenlied sogar poetisch ausgemalt wird. Von daher schießt auch Nygrens scharfe Antithetik gegen das Erosmotiv bei aller zeitgeschichtlichen Verständlichkeit, biblischtheologisch betrachtet, klar übers Ziel hinaus. Von einem „prinzipiellen Gegensatz" kann nicht die Rede sein, da das Erosmotiv in der Bibel verwandt wird, ohne mit der Heilslehre zu konkurrieren. Darum kann viel eher von der Agape als der ultimativen Antwort auf die Sehnsüchte 205 S. Victor Wamach, Agape, 1951, 195ff., der diesbezüglich zutreffend von einem „dogmatischen Apriori" spricht. Nygren erwähnt im Vorwort zur zweiten Auflage Warnachs sachliche Kritik, geht aber nicht weiter auf sie ein, da sie seiner Auffassung zufolge den Agapegedanken „in eine ihm völlig fremde Seinsmetaphysik einzuordnen versucht" (a.a.O., 8). Ein wenig davon würde Nygrens Konzeption nicht schaden und soll darum hier unter evangelischen Gesichtspunkten nachgeliefert sein.

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des Eros gesprochen werden. 206 Wiewohl das katabatische Schema prinzipiell gilt, besteht hier ein perichoretisches Moment im Dienste geistlich dominierten Schöpfungsreichtums. Das strenge dogmatische Schema hingegen, alles was nach oben sich richtet, sei abzulehnende Egozentrik, alles was sich schenkend nach unten, beugt die zu bejahende Agape und einzig rechte Frömmigkeitsform, trägt deutlichste Züge monistischer Einseitigkeit, erzwungen durch einen einigermaßen grobschlächtigen theologiegeschichtlichen Dualismus, wenn nicht gar Manichäismus. Für einen solchen ist die Eros-Agape-Thematik ein ungeeignetes Vehikel, auch wenn dieses nur das reformatorische Erbe fixieren soll. Genau darin besteht das Problem. Nygren arbeitet bei aller partiellen Gründlichkeit doch allzu häufig mit sehr holzschnittartigen Vergröberungen, 207 denen schließlich das Motiv der Gegenseitigkeit auch auf der menschlichen Ebene zum Opfer fällt. Am Ende völliger Konzentration auf das Herablassungsmoment steht eine Agape ohne Relevanz für das Verhältnis von gleich zu gleich, steht doch der Christ „mitten zwischen Gott und dem Nächsten" (577). Ein solches AgapeIdeal, das als „Spiegelung der Liebe Gottes" (61) keinen Raum lässt für christlich einwandfreie geschöpflich-seelische (natürliche) Geneigtheit, neigt seinerseits dem Doketismus zu und entbehrt wesentlicher biblischer Inhalte, wenngleich zugunsten des bedeutendsten. Nicht das christliche, das reformatorische Grundmotiv ist hier unzulässig überdehnt, nämlich zum alleinigen theologischen Prinzip avanciert, eine umfassende christliche Seinssicht verhindernd. Demgegenüber tut eine ausgewogene, differenzierte Betrachtung Not, die frei von konfessionalistischen Vorurteilen die Liebe so würdigt, dass dem Sein in seiner geschöpflichen Komplexität Genüge getan wird und der Ehre Gottes so, dass das Begehren wie auch das Genießen der göttlichen Wirklichkeit mit seiner gnadenhaften Herabneigung koinzidiert. Nicht die Bewegungsrichtung des individualisierten Gottesverhältnisses ist das Problem, sondern dessen von der Reich-Gottes-Perspektive gelöste Fassung ist es, die die ontologische Wirkkraft der Agape beschneidet. In Ermangelung einer solchen Sichtweise beschreibt Nygren ein minimiertes, lebloses, ein entwirklichtes Agape-Verständnis. Sein „Agape-

206 S.o. 207 S. die Kontrastierung von Flaton und Paulus, S. 15ff.

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komplex" (149) erscheint am Ende so wenig integrativ wie dafür lutherisch-konservativ. 6.3 Die Liebe als trinitarisches Thema und das Problem der Nächstenliebe Eingeläutet durch Nygren wurde das Problem aufsteigender Menschen· und absteigender Gottesliebe neu verhandelt. Dabei hat sich gezeigt, dass trotz der formalen Richtigkeit dieser Perspektive eine inhaltlich präzisere Sichtweise geboten ist, die gleichzeitig den Erfordernissen der Trinitätsthematik Rechnung trägt. Karl Barths Verdienst besteht in diesem Kontext in der Einführung der Kategorie Hingabe anstelle der Katabasis, wodurch eine gegenseitige Gott-Menschen-Liebe ermöglicht wird, 208 die im Einschluss des Elements der Vorbehaltlosigkeit dennoch tiefer greift als etwa die thomanische amor amicitiae. Hiervon profitieren kann auch die Interpretation der christlichzwischenmenschlichen Liebe als dem theologisch legitimen Abbild der göttlichen. Sehr umsichtig und instruktiv wird die Liebe als trinitarisches Grundelement auch bei Härle reflektiert,209 wenngleich er die reformatorische Vorstellung des Wirkens Gottes als Erlösung und Erhaltung für „leistungsfähig" aber doch „unzureichend" hält, da diese rein „(inner)geschichtlich" verfahre, „also weder die Schöpfung noch die eschatologische Neuschöpfung der Welt" umfasse. 210 Dem ist aus unserer Sicht relativ leicht abzuhelfen, indem der traditionelle Begriff der Erhaltung ersetzt oder interpretiert wird durch die Vorstellung des DieSchöpfiing-Tragens, die sehr wohl Schöpfung, Neuschöpfung wie auch 208 Karl Barth, KD IV/2, 828ff. 209 Härle, Dogmatik, 1995, 384ff.; vgl. auch Pannenberg, ST 1, 1988, 456ff.; sowie die ausgezeichneten Ausführungen von Bruno Forte, Trinität als Geschichte, 1989, 142161. Mit Interesse aufgeschlagen, aber mit Befremden gelesen habe ich hingegen das Werk von Markus Mühling-Schlapkohl: Gott ist Liebe. Studien zum Verständnis der Liebe als Modell trinitarischen Redens von Gott, 2000, in welchem dem Thema mit physikalischen Feldtheorien, allerlei Relationslogik u.ä. zu Leibe gerückt wird. Vergleichbar irreführend finde ich, dass Niklas Luhmann seine reichlich nüchternen sozio-historischen Untersuchungen des Liebes-Themas „Liebe als Passion" genannt hat; 3 1996. 210 A.a.O., 393.

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das Wirken des Geistes zu integrieren geeignet ist. Vorzüglich aber ist bei Härle insbesondere die Würdigung der Gottesliebe in der Trias von „Ermöglichungs-, Verwirklichungs- und Vermittlungsgeschehen". 211 Auf dem Weg ermöglicht die „erste Seinsweise" die übrigen, indem „die Liebe Gestalt an"(nimmt) und schließlich zu „welthafter Realität" wird. 212 Härle erreicht so die überzeugende Einung der Dreieinigkeitslehre mit ihren heilsökonomischen Grund-Wirkweisen, die Einheit von Person Gottes und seinem weltgestaltenden Werk. 213 Eros und Agape hält Härle für „miteinander verwandt, aber auch verschieden". 214 Sie sind als die selbstlose und die nicht-selbstlose Form der Zuwendung auf Gegenseitigkeit angelegt. In ähnlicher Weise hat die jüngere Theologie sich vielfach bemüht, Gotteslehre, Liebe und Schöpfung einander zuzuordnen. 215 Sofern diese Ansätze auf dem klassischen, wenngleich kritisch reflektierten 216 TheoPersonalismus basieren, transportieren sie aber im Endeffekt die alten Paradoxien, statt von einer ökonomischen Ontologie aus die gewünschten Plausibilitäten zu liefern. Obwohl es gerechtfertigt ist, die Schöpfung als Abbild der Liebe Gottes zu interpretieren, 217 erscheint es uns etwa wenig hilfreich, hierfür das exegetisch fragwürdige Postulat der innertrinitarischen Liebe aufzustellen, wie auch, von der als Versöhnungsgeschehen erfahrenen Liebe ausgehend, im trinitätstheologischen Rückgriff den Ort der Fixierbarkeit der christlichen Heilsgewiss-

211 Ebd., 401. 212 Ebd., 402. 213 Aus dieser Einheit abzuleiten, „der christliche Glaube" kenne „keinen Logos asarkos, sondern nur einen Logos ensarkos" (ebd.), erscheint uns allerdings voreilig und nicht schlüssig; s. a.a.O. 214 A.a.O., 240f. Auf dieser Linie versuchen auch Gollwitzer und Jüngel den Eros dahingehend zu rehabilitieren, dass sie dessen Schöpfungsgemäßheit betonen, in der eine gemeinsame Struktur von Eros und Agape erblickt wird; s. dazu Hermann Ringeling, „Liebe", TRE, Bd. 21, 1991, 177. Eine solche kann tatsächlich konstituiert werden, muss aber der Unterscheidung ihrer spezifisch göttlich/menschlichen Komponenten (s.o.) unbeschadet bleiben. 215 Auch Althaus geht in seiner heilsökonomischen Interpretation der Trinitätslehre von der Liebe Gottes aus; Die christliche Wahrheit, 51959, 691; ebenso Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 5 1990, 149. 216 Besonders deutlich Emil Brunner in Dogmatik 1, 4 1972,243f. 217 Wolfgang Beinert, Christus und der Kosmos, 1974, 82.

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heit zu bestimmen.218 Das Verhältnis der göttlichen Personen untereinander war stets reizvoller Anlass zur Spekulation, kann aber in Ermangelung biblischer Aussagen nur als solche verbleiben,219 obschon es nahe liegt, das Liebeswesen Gottes auch in diesem Zusammenhang zu reflektieren. Wir meinen jedoch, dass die immanente Differenz aus der ökonomischen resultierend nur erahnbar wird, und nicht umgekehrt aus trinitätstheologischen Erwägungen heraus die Heilsökonomie gefolgert werden kann.220 An seinem Tun wird Gott erkennbar, nicht Gottes Tun erklärlich anhand seines - ansonsten theosophisch vordefinierten - Wesens.221 Entsprechendes gilt für die Liebe. Gott schafft nicht, weil er - sich selbst - liebt, sondern er liebt, indem er schafft nämlich das Erschaffene. Gott schafft und liebt - aus der Perspektive des Geschöpfs - „tripersonal".222 Zu kurz kommt auch in den neueren Konzeptionen der Gottesliebe schließlich der Aspekt der vergebenden Liebe; - zu kurz für das Sein, kommt doch in ihrer Vergebungskonzentration die Welt erst in den Genuss dessen, was Gottes Liebe als Agape spezifisch neutestamentlich kenn- und auszeichnet. Mit Blick darauf muss aus biblischer Sicht gerade die Verbindung gesehen werden zwischen Aussagen, die, wenn man so will, als kosmologisch-metaphysisch bezeichnen werden können, die aber immer auf unmittelbare geschichtliche Relevanz drängen, um dort schließlich auch zweifelsfrei - nach Art von l.Joh.4,9-11 - das Wesen Gottes zu verifizieren.

218 ...wie Konrad Stock dies tut in: „Liebe", RGG 4 , Bd. 4, 2001, 341. 219 Dies gilt auch für die Charakterisierung Gottes als „absolute Innerlichkeit"; ebd. 220 Gegen Beinert, a.a.O., 78. 221 Auch gegen Barths Vorrang der immanenten Trinität vor der ökonomischen, wohingegen Moltmann (mit Rahner) eine Gleichsetzung vornimmt. Trinität und Reich Gottes, 1980, 155ff„ 214ff.; s. dazu Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 51990, 138-142. 222 Wir stimmen Emil Brunner zu, dass aus der Trennung von immanenter Gottesliebe und Heilsgeschichte das Problem bzw. das theologische Phänomen der innertrinitarischen Selbstliebe Gottes erst entsteht. „Nicht Selbstliebe, sondern Selbstmitteilung ist das Wesen der innertrinitarischen Liebe" demgegenüber (a.a.O., 244). Vom Blick auf das Heilswirken Gottes erübrigt sich die innertrinitarische Liebesspekulation, denn die ökonomische Trinität ist hinreichend plausibel nicht nur im Blick auf die Liebe, sondern auch auf das von dieser intendierte Gottesreich. Insofern ist die Trinitätslehre, wie Joachim Schwarz bemerkt, die „begriffliche Zusammenfassung der biblischen Theologie der Liebe. Ihre innere Logik lautet: Warum ist alles, was ist? Weil es geliebt wird!" „Liebe", EKL, Bd. 3,1992,112.

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Auf „weltlicher" Ebene ist das Problem der horizontalen Agape genau deren unmittelbarer Transport, der durch die sündhafte und schwerfällige Natur des Menschen retardiert wird. Als Vergebung begriffen, ist die Agape durchaus mühevolle Arbeit, wenn nicht gar trotz der göttlichen Vorgabe die mühevollste überhaupt. Entsprechende Schieflagen oder gar Brüche in ihrer reflexiven Erscheinung dürfen wir, wollen wir vor Gott wahrhaftig bleiben, nicht theologisch überspielen, sondern müssen ihnen nachgehen. Zu Ungunsten einer klaren Unterscheidung von Gottes- und Menschenliebe haben mit Nygren insbesondere die Theologen der dialektischen Theologie votiert. Die Liebe zum Nächsten als Mitvollzug der katabatischen Liebesbewegung Gottes223 bedeutet nach ihrer Anschauung, dass auch umgekehrt unsere Liebe Gott gegenüber sich eben darin zeigt, dass wir an seiner Liebestätigkeit teilnehmen, in unserer Nächstenliebe also. Die Nächstenliebe ist, so gesehen, „eingeschlossen" in unserer Liebe zu Gott.224 223 Diese Sichtweise, die auch Pannenbergs Rede von der „Teilnahme an Gottes Liebe zur Welt" eignet (ST 3, 1993, 212), ist unproblematisch, sofern das Mitvollziehen tatsächlich die Weiterreichung der Gnade Gottes meint und nicht nur „die Nachahmung, die Abbildung, das Sichtbarmachen des Umrisses dieses Ereignisses" wie bei Karl Barth in KD IV/2, 931, wo, wie wir sehen werden, auf der horizontalen Ebene denn auch mehr von Humanität, denn vom Evangelium die Rede ist. 224 So wiederum bei Karl Barth, KD 1/2, 425. Das Fragwürdige an dieser Akzentuierung ist, dass sie das Maß an Gottes- und Nächstenliebe als lineare Gleichung suggeriert, der zufolge das Problem des Versagens der Nächstenliebe gar zu leicht verdeckt wird. Deutlicher wird dieses Problem noch, wenn die Nächstenliebe als im Glauben eingeschlossen verstanden wird. Die Frage ist dann ernsthaft, wodurch der Glaube sich denn auszeichne? Wiewohl man die Dinge so sehen kann, dass gerade eine verletzte, eingeschlossene Nächstenliebe auch die Gottesbeziehung beschädigt, erscheint es uns doch plausibler, die Nächstenliebe als eine eigene, vom Glauben initiierte, diesen dann wiederum qualifizierende Größe anzusehen, wenngleich so beim Versagen der Nächstenliebe die Gläubigkeit infrage steht, in der linearen Weise, wie auch die Schrift dies klar macht (Mk.11,26). Wir haben es so mit dem vollen Ernst des Evangeliums in vertikaler und horizontaler Hinsicht zu tun. Zuverlässig „eingeschlossen" dürfte die Nächstenliebe allein in der Gottesliebe als exklusivem Genetivus Subjectivus sein, - weder also die Liebe im Glauben, denn es gibt im Blick auf den Glauben Heuchelei, noch freilich der Glaube in der Liebe, denn auch der glühendste Mystiker kann Falsches glauben. Es handelt sich schlicht und einfach um zwei aufeinander bezogene, aber nacheinander sich abspielende Wirklichkeiten, die dergestalt auch das Trinitätsgeschehen abbilden als einen geistlich homogenen, ontologisch zu differenzierenden Prozess. Der Glaube betrifft tatsächlich Gott und

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Das neuerliche Agape-Problem

Emil Brunner, der Nygren über weite Strecken folgt, indem er im „grundlose(n)", 225 herabsteigenden Moment der Gottesliebe den wesentlichen Unterschied zu aller griechischen Heilsvorstellung erblickt, 226 lockert dessen schroffe Antithetik im Sinne korrelativer Zuordnung in der Weise, dass bei ihm die Agape als Gottes Antwort auf das Fragen des Eros erscheint. 227 Die zwei Urformen der Liebe markieren einander entsprechende fundamentalpsychologische Grundgestimmtheiten in Form von Verlangen und Erfüllung. Den Eros verlangt es nach etwas, „was man nicht hat, aber haben sollte oder möchte", so dass er im weitesten Sinne als „wertbegehrend" zu definieren ist.228 Die Agape hingegen ist als „schenkende, dienende Liebe" 2 2 9 „wertgebend", 2 3 0 indem sie sich gerade dem „Wertlosen oder Wertwidrigen" zuwendet. 231 Darum zeigt sich der Unterschied zwischen Eros und Agape zweifelsfrei am Kreuz. 232 Bei Emil Brunner findet die Liebe gebührende fundamental ideologische Beachtung, indem sie im Zentrum der Gotteslehre erscheint, wie auch nachdrücklich in seiner „Lehre von der Kirche und vom Glauben", 2 3 3 bezeichnenderweise aber kaum in seiner Schöpfungs- und Erlösungslehre, wo ihre wesentlichen fundamentaloniologischen Inhalte anzusiedeln wären. Glasklar ist indes die Erkenntnis des einzigartigen christlichen Herzstücks: „Die Botschaft, dass Gott Liebe sei", wird als „ein völliges Novum in der Welt" und mit diesem das „eigentliche Thema der Offenbarungsverkündigung" vorgestellt. 234 „Daß Gott Liebe

mich, die Liebe eben den Nächsten und mich. Der Glaube empfängt die Liebe Gottes und trägt diese als Akt seiner Liebe zu Gott auf ihre praktische Wirkungsebene. In dieser Zuordnung ergibt auch das paränetische Element Sinn, denn so lieben wir den Nächsten nicht automatisch, so lieben wir Gott hingegen recht. 225 Emil Brunner, Dogmatik 1, "1972, 190. 226 S. auch ebd., 205. 227 S. hierzu auch: Eros und Liebe, 1937, 22. 228 A.a.O., 189. 229 Ders., Dogmatik 2, 3 1972, 301. 230 A.a.O., 189. Damit ist in biblischer Weise auch der ausdrücklich „wertbezogen(en)" Liebe Schelers widersprochen in: Wesen und Formen der Sympathie, 51948, 178. 231 A.a.O., 189. 232 Ebd., 187; vgl. Das Gebot und die Ordnungen, 41978, 42. 233 Dogmatik 3, 2 1964. 234 Dogmatik 1, "1972,186f.; vgl. o. Nygren.

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ist, das ist die Quintessenz, das ist das Hauptwort der ganzen Bibel."235 Von jener Warte aus betrachtet Brunner die Liebe in enger Verbindung mit der Heiligkeit Gottes, die davon „scharf zu unterscheiden" sei, obgleich die Liebe die Heiligkeit „vollendet" und nur in solcher Vollendung „ganz die Liebe" ist.236 Dabei wird in der Heiligkeit Gottes die Voraussetzung für seine grundlose Liebe gesehen, die Liebe als Ausbreitung der Heiligkeit, aber auch als deren Gestalt, die Gestalt eines „vollendet anderen". 237 Die Liebe ist somit keine Eigenschaft, sondern das sich öffnende Wesen Gottes selbst, sein „Aus-sichherausgehen", 238 seine Selbstkundgabe und Ausstrahlung, die bereits Charakteristikum der Uroffenbarung gewesen ist wie auch Grundlage der alttestamentlichen Erwählung und Bundesschließung. 239 Das Gesetz vermittelt dem Menschen einen „Schimmer" dessen, was Agape ist, ist aber ohnmächtig, „den Willen zum wahrhaft Guten zu bewegen",240 so dass er seiner Berufung gerecht würde, die Liebe Gottes widerzuspiegeln. Vielmehr sei im Alten Bund die Ursituation in Verkehrung vorhanden, der Anspruch ohne den hinreichenden Zuspruch zu einer unlösbaren Überforderung geworden. 241 In einem imperativistischen Christentum liegt Brunner zufolge dessen eigenes „Missverständnis" vor, was bei ihm die Kehrseite eines „orthodoxen Bibelbuchstabenglaubens" 242 bedeutet, gegen den er heftig zu Felde zieht.243 Demgegenüber ist die Liebe als das zentrale, maßgebende theologische Kontinuum festzuhalten, das in seinem christologischen Inhalt seine Volloffenbarung und Konkretion findet, indem es nicht zuletzt auch etwa nach Gal.5,6 - über die Echtheit des Glaubens entscheidet, der

235 Ebd., 203. 236 Ebd., 194. In vergleichbarer Weise fasst auch Karl Barth das Wesen Gottes als die „Einheit von Liebe und Freiheit" (KD Π/1, 386), wobei der Begriff der Heiligkeit, biblisch gesehen, dem der Freiheit wohl vorzuziehen sein dürfte. 237 Ebd., 161. 238 Ebd., 191. 239 S. Oscar Cullmarm, der das Wort Gottes in jener Universalität treffend „die der Welt zugekehrte Seite Gottes" nennt in: Die Christologie des Neuen Testaments, 1958, 262; vgl. a.a.O. 240 A.a.O., 200. 241 Ebd., s. auch: Der Mensch im Widerspruch, 51985,532ff., vgl. o. 242 A.a.O., 202. 243 Insbesondere in: Offenbarung und Vernunft, 21961,184ff.

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„nichts anderes" ist, als „das Ergriffenwerden von der Liebe Gottes in Jesus Christus ..., das Gefäß, das die göttliche Liebe aufnimmt". 244 In diesem Sinne von besonderem Wert ist bei Brunner, dass auch die kirchliche Verkündigung und - nicht ganz mit der selben Klarheit ihre Praxis als „Dienst und Akt der göttlichen Liebe"245 eingefordert wird, nachdem mit der Gabe der Liebe auch deren Aufgabe wieder ermöglicht ist. Dabei sprengt die Liebe die Möglichkeiten rationalmoralischer Antriebe zugunsten der originalen menschlichen Verantwortlichkeit im Angesicht des Empfangenen. Indem in der Liebe erst der Mensch wirklich „menschlich" wird,246 transzendiert er die natürlichen Reflexe seiner „Icheinsamkeit" 247 und wird befähigt zu wahrhafter Persongemeinschaft im Reich Gottes. So besteht in der Liebe schließlich „die einzig mögliche Verbindung des konservativen' und Revolutionären'", da sie - biblisch-christlich gefasst - radikale Veränderung hin zum Urzustand meint, die Progression Jesu Christi „als den Grund der Schöpfung". 248 Bei allen exzellenten theoretischen Analysen vermissen wir gerade bei dem ekklesiologisch so engagierten Brunner am Ende aber doch diesbezügliche Konsequenzen, damit die Anwendung der Einsichten im Sinne einer biblischen Ontologie. Wohl wird eindrücklich plädiert für ein Verständnis von Kirche als Liebesgemeinschaft, 249 gerade inwie-

244 A.a.O., 202f. 245 246 247 248

Ebd., 198. S. Offenbarung und Vernunft, z1961, 445. S. Wahrheit als Begegnung, 31984, 30. Das Gebot und die Ordnungen, "1978, 113. Die theo-soziale Realität der Liebe ist schon vorzüglich in Brunners Ethik ausgesagt, die jedoch nicht nur in diesem Punkt das Konkrete zu meiden pflegt. Als Brechung der natürlichen Willensrichtung ist die Liebe ausschließlich die Möglichkeit Gottes (148ff.), in dessen Offenbarung Christus als der „Realgrund eines Lebens in der Liebe" erscheint (43). Für den Menschen bedeutet die Liebe so eine neue Aufgeschlossenheit des vormals egozentrierten Subjekts, die schließlich den Schlüssel zur Realisierung des Gottesreichs liefert (lOlff.). In diesem ist das unerlöste Autonomiestreben aufgebrochen, das den Nächsten unweigerlich zum Objekt stempelt sowie alle Notwendigkeit individualistischer Selbstdarstellung Gott gegenüber. Gott lieben heißt sich von ihm lieben lassen und in dem Maße wie das gelingt, ist der Mensch auch frei, so von sich abzusehen, dass der Nächste „höher geachtet" (Phil.2,3) werden kann und so die geistlichen Grundgesetzmäßigkeiten des Reiches Gottes Raum gewinnen können (159ff.).

249 Das Mißverständnis der Kirche, 31988, 15f„ 60ff„ Dogmatik 3, 21964, 36ff.

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fern und auf welche Weise die Liebe im Raum der Kirche den neuen Wandel ausgestaltet, bleibt bei allen wohlfeilen Preisungen der Liebe aber ungewiss. Insbesondere die seinshafte Relevanz der Vergebungskomponente bleibt in unserem Zusammenhang unerkannt, somit die spezifische theologische Dynamik der Agape im Bereich zwischenmenschlicher Anwendung des Evangeliums. Umso enttäuschender ist dies, als neben ekklesia und Agape bei Brunner auch die fundamentalontologische Dimension des Wortes Gottes klar benannt wird.250 So sind die einzelnen Elemente einer biblisch-ontologischen Perspektive vorhanden, werden aber nicht so miteinander verknüpft, dass die Dogmatik auf neue Gefilde geführt würde, geschweige denn die Kirche herausgewiesen aus ihrem realexistierenden Sein.251 Freimütiger, obwohl ekklesiologisch deutlich vorsichtiger scheint Karl Barth zu verfahren,252 wenn er, ausgehend von Gottes Offenbarung „in der Identität von Sein und Liebe", 253 von der „ontologischen Grundbestimmung" 254 des Menschen spricht sowie von der Agape als dem durch Gottes Souveränität bestimmten „nicht nur Realgrund, sondern auch ... Erkenntnisgrund" 255 des seinerseits zur Liebe bestimmten menschlichen Seins. So wird „Gottes freie, majestätische, ewige Liebe" 256 in ihrer ontologischen Weite ins Visier genommen - dabei ist, indem Barth den Zorn wie auch die Gnade Gottes als Bestandteile seiner Liebe deutet, auch ihrem theologischen Umfang Rechnung getragen. „Gottes Liebe ist ganze Gnade für den sündigen Menschen, aber

250 Der Mensch im Widerspruch, 51985, 59-70. 251 Die in der dialektischen Theologie besonders ausgeprägte Reserviertheit ontologischen Redeweisen gegenüber wird in Brunners Liebeslehre für einen winzigen Moment unterbrochen, wenn das Wesen Gottes als „geistige Ausstrahlungsenergie" bezeichnet wird, um umgehend zur dialogischen Denkweise zurückkehrend, diese als „Selbstmitteilung" zu interpretieren und festzustellen: „Selbstmitteilungswille. Das ist die christliche Ontologie" (a.a.O., 190). Tatsächlich ist damit immerhin deren Ausgangspunkt benannt. 252 S. zum Vergleich beider theologischer Konzeptionen in Sachen Agape auch Ringeling, a.a.O. 253 KD IV/2, 857. 254 KD m/2,163. 255 KD 1/2, 413. 256 KD IV/2, 858.

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auch ganzes Gericht über ihn." 257 Die Liebe erscheint als Essential der christlichen Existenz, komprimiert etwa in der Aussage, dass der Gläubige liebt, „sofern er ein Christ ist", 258 wobei Barth zudem nicht versäumt, „die Erfindung eines Gebotes der Selbstliebe" 259 zurückzuweisen. Auch für Barth überragt die Agape den Eros, wobei ausdrücklich hier auch ihr Auf-Gott-Gerichtetsein bejaht wird. 260 Göttliche und natürliche Liebe seien nicht zu vermengen, das eine auch nicht als Vorstufe des anderen zu begreifen. Vielmehr handele es sich um „in umgekehrter Richtung verlaufende Bewegungen", die in „Auseinandersetzung" stünden. 261 Der Nygrenschen Entgegensetzung von Eros und Agape stimmt Barth von daher prinzipiell zu, kritisiert aber dessen „fast polizeilichen Spürsinn" 262 bei der anthropozentrischen Enttar-

257 Ebd., 876. An dieser Stelle übt Paul Althaus seine bekannte Kritik an der vermeintlichen Barthschen Aufweichung der Dialektik von Gesetz und Evangelium. Ausgehend von einem ähnlichen Grundverständnis der Liebe Gottes als „freie Zuwendung ohne Anspruch, Verdienst, Würdigkeit des Geliebten", hebt Althaus auf den Leitbegriff der Gnade ab, die das Wesen der Liebe nicht erst bei der Erlösung des Menschen, sondern schon bei dessen Schöpfung sei (Die christliche Wahrheit, 51959, 280). Hier muss freilich an Althaus und ähnlich auch an Barth die Frage gerichtet werden, ob nicht soteriologisch zu undifferenziert operiert wird und eine prononcierte christliche Gnadenlehre bei weiträumiger schöpfungstheologischer Ausdehnung nicht an ihrer spezifisch neutestamentlichen Eindeutigkeit Schaden nimmt. Auch ob die Einführung der Gnade „nicht erst im Vergeben, sondern schon im Geben" (ebd.) nicht das prälapsarische gemeinschaftsorientierte Interesse des Schöpfergottes aushöhlt. Damit einher würde denn auch die recht steile Aussage gehen, wonach Gott „unser und der Gemeinschaft mit uns" nicht bedürfe (279). Umso mehr spielt bei Althaus freilich das Thema der Gerechtigkeit Gottes in das der Liebe hinein, wobei wir zustimmen, wenn dieses Verhältnis so gefasst wird, dass in seiner Liebe Gott „seine Gerechtigkeit zur Geltung" bringt (282), wie auch der wiederum auch Barth nicht fern stehenden Aussage, dass Gottes Liebe als seine vehemente Bemühung um den Menschen seinen Zorn mit einschließt (s. 286), so dass Althaus auch der Formulierung von der „heiligen Liebe" zuneigt (die Barth wiederum ablehnt, wobei auch bei Barth allerdings die Gerechtigkeit der Liebe Gottes untergeordnet ist; s. KD II/l, 288ff.) und sagen kann: „Gott ist unerbittlich, seine Unerbittlichkeit aber ist die seiner Liebe" (287; vgl. o.). 258 KD IV/2, 888. 259 KD 1/2, 427. 260 S.o. 261 KD IV/2, 835. 262 Ebd., 848.

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nung des Eros und möchte darum dem Werk von Heinrich Scholz den Vorrang geben trotz dessen fragwürdiger Anführung nichtchristlicher Protagonisten christlicher Caritas.263 Wenn Barth die Erosanstrengung als obsolet schildert, weil der Gläubige mit der Agape des göttlichen Reichtums schon teilhaftig geworden sei,264 ist das prinzipielle Verhältnis der beiden Liebesweisen biblisch umrissen. „Als ein Drittes zwischen Eros und Agape" wird die Humanität eingeführt, die als „Grundform der Menschlichkeit" zwischen beiden Größen vermitteln soll.265 Mit dem Dreischritt Eros Humanität - Agape aber ist der Eros im Liebesgeschehen bei Barth auf unterstem Niveau angelangt, ungeeignet, mit der Agape konstruktiv zu interagieren. So überraschen schließlich Diskriminierungen des Erotischen nicht, die über die Nygrenschen noch hinausgehen, etwa wenn vom Eros als „Verleugnung der Humanität" die Rede ist,266 dieser als Missbrauch der zwischenmenschlichen Beziehung geschildert wird, als gar „im Widerspruch zur menschlichen Natur" befindlich.267 Konsequenterweise wird denn auch klipp und klar von der „Überwindung des Eros durch die Agape" gesprochen.268 Das „versöhnliche Wort", das diesbezüglich ergehen soll, ist keines, das die Gegensätze verrin263 Ebd., 837. Das ein Jahr vor Nygrens Buch erschienene Werk von Scholz kann an dieser Stelle bündig abgehandelt werden, da es in seiner Grundrichtung sich mit dem Nygrenschen Werk deckt, ohne aber mit dessen Gründlichkeit konkurrieren zu können und seine Hauptvertreter der als biblisch-christlich begriffenen Caritas Augustin, Dante, Pascal - bereits Nygrens Befremden zu Recht evoziert haben (a.a.O., 31f.). Auch bei Scholz steht die Qualität des exegetischen Befundes in erheblichem Missverhältnis zu seiner klassischen Kenntnis, insbesondere des Aristoteles. Wie bei Nygren wird die Konzeption beherrscht von der scharfen Diastatik platonischer und christlicher Liebestradition, ausgedrückt in deren unterschiedlicher anabzw. katabatischen Bewegungsrichtung. Der platonische Eros ist charakterisiert durch das „Angezogensein von dem Eidos des Schönen" (4), Caritas ist „herabsteigende, helfende, rettende Liebe" (83). Auch bei Scholz wird - hier zugunsten mystisch-kosmischer Akzente - die konkret gemeinschaftsbildende Dimension der Liebe in ihrer neutestamentlichen Spezifik verkannt, wenngleich sehr schön davon gesprochen wird, dass die Caritas „in der beständigen Bereitschaft zur Nachbildung" der Gottesliebe besteht (63). 264 S. KD IV/2, 845ff. 265 KD III/2, 340ff. 266 KD IV/2, 846. 267 Ebd., 843. 268 Ebd., 853.

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gert, sondern das von der Errettung des „erotischen Menschen" handelt.269 Indem der Eros den egoistischen Gegenspieler der Agape bildet, wird der Nygrensche Ansatz durch Barth tatsächlich noch verschärft, 270 zumal wenn unter die Agape eroshafte Elemente assimiliert bzw. in dieser transformiert, ihrer Eigenqualität damit aber beraubt werden. 271 Zusätzlich erschwerend in Bezug auf die Erkennbarkeit der christlichen Agape-Spezifik wirkt sich hier nun auch die Verringerung der SubjektObjekt-Differenz im Begriff „Hingabe" 272 - mitunter noch abgeschwächter als „Zuwendung" 273 - aus. Damit ist auch die spezifisch christliche Gemeinschaftskomponente bei Barth - im Gegensatz zu Brunner - unterentwickelt, entfaltet sie ihre volle Intensität doch nur auf der vertikalen Ebene. Hier gilt: „Es geht in Gottes Lieben um ein Suchen und Schaffen von Gemeinschaft um ihrer selbst willen."274 Auf der Horizontalen aber erscheint die Agape als eine theologische Abschlussqualifikation der Humanität, die durch die Agape „feuerfest" 275 gemacht wird im Sinne ihrer „Erwekkung und positiven Erfüllung" 276 . Es geht in der Nächsten- und Bruderliebe um die verbürgende „Wiederholung" der Hingabe Gottes an den Menschen wie auch um des Menschen Antwort hierauf, 277 nicht aber darum, „den Anderen mit der Liebe (zu) lieben, in der Gott auch ihn liebt",278 wodurch auch die Menschengemeinschaft eine spezifisch christliche Begründung erhielte. Indem stattdessen das „Zusammensein des Menschen mit dem anderen Menschen" 279 als der „natürliche Vollzug des menschlichen Daseins"280 angesehen wird, steht die Ge-

269 Ebd.,849ff. 270 Vgl. u. das von Helmut Kuhn Gesagte. 271 KD IV/2, 845ff„ vgl. KD ffl/4, 246, wo Barth im Zusammenhang mit der Ehe von einem „durch Gottes Gebot geheiligte(n) ... echten Eros" spricht, dem auch das „Begehren" zugestanden wird. 272 S.o. 273 KD IV/2, 862. 274 S. KD Π/l, 310f. 275 KD ΙΠ/2, 333. 276 Ebd., 340. 277 KD IV/2, 927ff. 278 Ebd., 931. 279 KD ΙΠ/2, 291. 280 Ebd., 332.

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meinschaftskomponente für das Wirkungsfeld der Agape, nicht aber für deren eigentliches Werk. Die Liebe wird in ihrer gemeinschaftsbereichernden Funktion beschrieben, ihre gememschaitsbildende aber bleibt ein Randthema.281 Gerade das für die Dimension des konstruktivZwischenmenschlichen, in gemeinschaftlicher Hinsicht also entscheidende Problem der „Andersheit" des Geliebten282 verflüchtigt sich in einem moralisierenden Zuwendungsethos, durch welches das Liebesthema einen seltsam individualistischen Zug erhält. Als das „Problem des einzelnen christlichen Menschen" 283 wird eindrücklich die „tätige Bruderliebe" geschildert,284 ohne die Evangeliumskomponente zur Anwendung zu bringen als die für das gemeinschaftliche Sein in Christus fundamental konstitutive. Nicht von Vergebung ist hier folglich die Rede, dafür umso mehr davon, dass der Mensch in der Agape auch „Kamerad, Gefährte, Genösse" sei.285 Mit der Betonung des gegenseitigen Dienstes286 wird eine spezifisch christliche Vertiefung der altruistischen Färbung der Liebe allenfalls im diakonischen Aspekt festgemacht, damit aber, wie wir gezeigt haben, weit oberhalb des christlichen nervus rerum. Die Überlegungen Karl Barths zum Liebesthema enden enttäuschend, wenngleich in subtiler Passung zum Konzept der souveränen Offenbarungsmächtigkeit Gottes. Über die Sorge vor anthropologischer Vereinnahmung hinaus offenbaren sie auch Barths Ressentiment gegen das Ansinnen metaphysischer Gesamtschau.287 Indem der Akzent darauf gelegt wird, die Humanität zu überbieten,288 den Eros „gegenstandslos, überflüssig" zu machen,289 fällt die ontologisch-strukturelle Komponente am Ende einem Agapemonismus zum Opfer, in welchem diese als kaum mehr denn Philia aufscheint. Dabei möchte man mei281 ... etwa am Ende ihrer Beschreibung als „erwählende", „reinigende" und „schöpferische"; KD IV/2, 883f. 282 KD 1/2,425. 283 KD IV/2, 825. 284 S. KD m/4, 572ff. 285 S. KD IV/2, 845ff. 286 Vgl. auch KD m/4, 572£. 287 ... explizit ausgeführt in der herben Kritik am vermeintlich „historisch-intuitiven" Typus der Liebe etwa bei Julius Kaftan in KD II/l, 382. 288 KD IV/2, 846. 289 Ebd., 852.

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nen, dass insbesondere das Thema Vergebung auch ohne ontologische Deutung im Zusammenhang mit der christlichen Liebe eine zentrale Stellung einzunehmen hätte. So aber bleibt schließlich auch die Frage, in welcher Weise denn die anvisierte wesenhafte Ausbildung des Gottesreiches durch die Agape geschehen könnte,290 eher verschwommen und unklar. Barths Liebeslehre erreicht auf der Ebene des Geschöpflichen wohl vielerlei der Liebe zugehörige Aspekte, nicht aber ihre integrative Ganzheit und auch nicht ihre beherrschende Stellung, die sie in der gesamten Bibel des Alten und Neuen Testaments besitzt. In Ermangelung ihrer theologischen Kernqualität erscheint die Agape Gottes auch bei Barth nicht als das große Ganze der christlichen Seinsperspektive. Vielmehr verbleibt im langen Schatten der Göttliches und Menschliches allzu scharf scheidenden dialektischen Theologie gerade auch die Aufgabe, die christliche Liebe neu ins Zentrum zu rücken und die entsprechenden dogmatischen und dann auch praktischen Korrekturen vorzunehmen im Sinne der leibhaften Glaubwürdigkeit der christlichen Sache. Die Diastase von Agape und Eros protestantischerseits zu überwinden, ist am konsequentesten wohl Eberhard Jüngel bemüht, 291 indem er Liebe als Habenwollen zum Zweck der Hingabe versteht. Er postuliert eine offene gemeinsame Struktur von Eros und Agape, denn Liebe ist „nicht identisch mit schlechthinniger Selbstlosigkeit. ... Zur Liebe gehört das Liebesbegehren." 292 „Die Agape ist dabei fraglos als die den Eros integrierende Kraft"293 die Größere von beiden, der Glaube indes die „primäre Entsprechung zur Liebe Gottes, um seinerseits ,durch Liebe tätig' (Gal.5,6) zu werden". 294 Er „verbürgt den Sieg der Liebe".295 Jüngels Kombinations- und Versöhnungsversuch von „Selbstbezogenheit" und „Selbstlosigkeit"296 überzeugt durch Realitätsnähe einerseits, durch theologischen Tiefgang andererseits, wenn

290 S. ebd., 815ff.; KD ΙΠ/4, 569; KD Π/l, 310f. 291 In: Gott als Geheimnis der Welt, 1977, 430-470. 292 293 294 295

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

435. 464. 466. 464.

296 Ebd., 437.

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die „Dialektik des Seins" 297 in Form von Selbstgewinn und Selbstverlust - hier in Anlehnung an Karl Barth - aufgelöst wird dadurch, dass die Liebe die onto logische Verwandlung bloßen Begehrens zu „gegenseitiger Hingabe" 298 bewirkt. „Im Ereignis liebender Hingabe geschieht also eine radikale Selbstentfernung zugunsten einer neuen Nähe zu sich selbst". 299 In der Weise entscheidet die Liebe über Qualität im fundamentalontologischen Sinne, denn „es geht bei der Liebe um Sein oder Nichtsein". 300 Jüngel konstatiert den „unvergleichlichen ontologischen Schwung" 301 der Liebe, der Nähe, Vereinigung stiftet. Liebe ist aktiv, stillstandüberwindend, konfrontierend. Sie ist der „Inbegriff des Schöpferischen". 302 Sie fürchtet ihre eigene Ohnmacht nicht, trotzdem sie stark und schwach zugleich ist. Sie führt schließlich auch über die Ich-Du-Beziehung hinaus, am deutlichsten erkennbar an Gott selbst, der „das ausstrahlende Geschehen der Liebe selbst" ist.303 Besonders interessant ist auch die „eigenartige Nähe zum Tod", 304 die Jüngel der Liebe bescheinigt, die von jeher die Dichtung fasziniert hat. Im Ganzen jedoch kann gesagt werden, dass trotz ihres transzendierenden Wesens die Liebe hier eine eher psychologisch denn fundamentalontologisch interessante Deutung erfährt. Die Position, die Nächstenliebe zum Maß der Gottesliebe zu machen, wird gestützt nicht nur durch die Zurückhaltung des Neuen Testaments betreffs der Letzteren.305 Neben der ausdrücklichen Verknüpfung beider Bereiche bei Johannes (l.Joh.3,10; 4,20f.) ist auch bei Paulus hinsichtlich der Gesetzesforderung die Nächstenhebe zentral im Blick (Rö.13,8-10; Gal.5,14), nachdem dem durch Jesus erneuerten vertikalen Liebesgebot auf gleicher Höhe seine horizontale Entsprechung beigeordnet worden war (Mt.12,29-31). Demzufolge liegt es tatsächlich nahe,

297 Ebd., 438. 298 Ebd., 437. 299 Ebd., 440. 300 Ebd., 438. 301 Ebd., 443. 302 Ebd., 464. 303 Ebd., 449. 304 Ebd., 442. 305 Bei Paulus ohne die vormals Imperativische Konnotation in: Rö.8,28; l.Kor.2,9; 8,3.

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mit Nygren 306 im neutestamentlich dominierenden Glaubensbegriff die - wenn man so will, soteriologisch relevante Präzisierung der - „Liebes"-haltung Gott gegenüber zu erblicken, ohne dass daraus allerdings die Notwendigkeit entstünde, diese und ihre über den Glauben hinausgreifenden Spezifika jenem zu opfern. Wir schließen uns mit dieser differenzierten Sichtweise Pannenberg an, der deutlich macht, dass der Glaube die Liebe als Voraussetzung impliziert, ohne selbst deren Attribute voll abzudecken. 307 Der Glaube wird hier konstituiert durch die „zuvorkommende Liebe Gottes und die von ihr im Menschen erweckte Gegenliebe", 308 steht gewissermaßen also im Zentrum des Liebesgeschehens. 309 In Bezug auf das Verhältnis von Gottes- und Menschenliebe macht Pannenberg zu Recht darauf aufmerksam, dass der Versuch, die Gottesliebe in der Menschenliebe aufgehen zu lassen, ihre Identifizierung also, dahin tendiert, das Verhältnis zu Gott als bloße Mitmenschlichkeit zu begreifen 310 und so einer „moralistischen Interpreta-

306 S. a.a.O. 307 ST 3,1993, 216. 308 Ebd., 222. 309 Der insofern die Liebe verbürgende Glaube ist darum einer, an dem die Liebe gründlichst arbeitet, vom Werk Gottes am Empfänger her wie auch vom Werk Gottes durch den Empfänger her, von wo aus der Glaube auf Herz und Nieren geprüft und wiederum bestärkt wird, er gewissermaßen das Siegel seiner Vollgestaltigkeit empfängt. Dabei dürfen wir auch sehen, dass dem Glauben mitunter ein eroshaftes Gottesbegehren - wie bei Augustin - vorausgeht. So gesehen ist der Glaube derjenige theozentrierte Eros, der die Agape des lebendigen Gottes empfängt und sie als Nächstenliebe weiterreicht. Er darf somit durchaus als fides caritate formata (Bei Thomas entwickelt in Summa Theologica ΙΙ-Π, 4, 3f.) verstanden werden - allerdings nicht im sakramentalistischen Sinne als infusa, gegen die bereits Luther heftig ihres Mitwirkungselementes am Heil wegen opponierte (s. WA 40/1, 228, 3ff.), sondern als Produkt der Vergebungstat Gottes, als Produkt der Agape. 310 ... die wir nicht gering achten, sondern wie die Barthsche Humanität mit Kraus schätzen als „Ausstrahlungen des Einen Lichtes ..., das vom Geist der Liebe, von Gott selbst als der Quelle und dem Ursprung alles Lebens ausgeht" (ST, 1983, 480). Auch hier hellen die Schwierigkeiten sich auf, wenn wir Klarheit über den Vergebungsinhalt der Liebe bekommen und gefordert sind, diesbezüglich das zu tun, was spezifisch an uns ist. Die Liebe, die von Gott kommt, ist mehr als Mitmenschlichkeit, denn sie vergibt erstens den Empfängern ihre Schuld, die sie gegen Gott auf sich geladen haben - dieser Dienst ist in der Beichte auch uns aufgetragen (Joh.20,23). Zweitens hält sie uns an zu vergeben, wo wir untereinander schuldig geworden sind, womit ebenfalls die soteriologische Komponente verknüpft ist. Sie wird jetzt nur in der umgekehrten Weise wirksam, nämlich für den zur Vergebung Verpflichteten

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tion des Christentums" zu dienen.311 Wir folgen Pannenberg darin, dass demgegenüber - wie auch Barth dies gesehen hat - das Neue Testament durchaus eine eigene Komponente der Gottesliebe intendiert, die auch die Priorisierung des Doppelgebots zum Ausdruck bringt.312 Gut gelöst erscheint bei Pannenberg somit die Frage der Gegenseitigkeit der Liebe zwischen Gott und Mensch. Die Kraft der Liebe Gottes ermöglicht echte Gegenliebe, indem sie den Menschen ergreift, verwandelt und aktiv werden lässt zur Teilnahme an Gottes eigenem Wesen und Wirken, so dass er in der „Seinssphäre" der Liebe bleibt. „Denn durch die Liebe nimmt der Glaubende an Gottes eigenem Wesen teil und bleibt ihm verbunden".313 Auch die Liebe zu Gott ist demnach Liebe von Gott, der wiederum beides, Gottesliebe und Nächstenliebe als „zwei Aspekte menschlicher Partizipation ein und derselben Liebe Gottes" 314 „ausgegossen hat in unsere Herzen" (Rö.5,5). Der Glaubende wird vertikal wie horizontal in die Bewegung der göttlichen Liebe „hineingezogen" und darin seiner Gemeinschaft mit Gott versichert.315 Somit muss die Liebe nicht dem Begriff des Glaubens weichen,316 vielmehr „impliziert" der Glaube die Liebe zu Gott „als Voraussetzung", 317 so dass in der Liebe „ein Moment der Gegenseitigkeit" besteht, durch welches die Teilnahme am trinitarischen Liebesgesche-

(Mk.11,26; s.o.). Auch hier dürfte hilfreich sein, die Nächstenliebe weniger mit der deutungsbedürftigen Vokabel „Teilnahme" an der Liebe Gottes (a.a.O.) zu beschreiben, sondern als analoges Handeln in Konsequenz dieser Liebe, wie sie im Gleichnis vom Schalksknecht geschildert wird (Mt.18,23-35). Im Maß wie die Vergebungsinhalte der Liebe im Vordergrund stehen, ist zweifellos auch ihrem moralistischen Missverständnis gewehrt. 311 A.a.O., 214. 312 Warum auch sollte dieses ehedem so zentrale, vom Psalmisten geradezu leidenschaftlich vorgetragene Element (Ps.42f.; 84,2ff.) im Neuen Testament abgeschafft sein? Pannenberg spricht hier passend von der „Gottesliebe vor und neben der Nächstenliebe"; ebd., 220. 313 Ebd., 207. 314 Ebd., 218. 315 Ebd., 208. 316 Die von Ritsehl wieder aufgegriffene Tendenz, im anabatischen Sinne anstelle von Liebe von Glauben zu reden, geht wohl tatsächlich auf Martin Luther zurück, bei dem, wie Pannenberg zu Recht vermerkt, andererseits auch die „Nähe zur Vorstellung einer Formierung des Glaubens durch die Liebe" besteht (a.a.O., 215; vgl. o.). 317 Ebd., 216.

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hen angezeigt wird.318 Die in beide Richtungen integrale Kraft der Liebe wird nach Pannenberg deutlich im Begriff der „Sohnschaft". 319 In der sorgsamen Aufbereitung des anabatischen Elements ist es nur folgerichtig, dass Pannenberg auch ein „differenzierteres Urteil" über die eroshafte Liebe gewinnen will.320 Diese würdigt er als die „entfernte Entsprechung zur ebenfalls aufsteigenden Tendenz der biblischen Gottesliebe". 321 Das eine ist suchende Liebe, das andere gewisse, erwidernde Liebe, so dass in Jesus aus Sehnsucht Gewissheit wird. Der Eros hat gar Teil an der Gottesliebe gemäß ihrer innertrinitarischen Relation. Auf der Ebene des Menschen ist er die „dunkel tastende und träumende, über ihr eigenes Wesen noch unaufgeklärte Erwiderung der Liebe des Schöpfers" - darum nicht ursprünglich bloßes selbstsüchtiges Begehren, vielmehr ist Konkupiszenz „Entstellung des Erotischen". 322 Die Überwindung des ichhaften Begehrens aber geschieht erst durch den durch die Liebe Gottes erwirkten Glauben, durch Gottes Gnade also.323 318 Ebd., 217f. Interessant ist hier auch Pannenbergs Hinweis darauf, dass Gott lieben bedeutet, „ihn uns gegenüber Gott sein (zu) lassen", so dass auch in diesem Sinne unserer Liebe Gott gegenüber das Element der Bejahung eignet. 319 Ebd. 320 Ebd., 220f. 321 Dabei findet ebd. im Zusammenhang mit der Liebe das kosmische Element positive Beachtung. Der Glaube an die Schöpfung durch das göttliche Liebeswesen erlaubt auch die Annahme der ubiquitären Präsenz seiner Liebe. Pannenberg verweist auf die ekstatisch-dynamische Interpretation des Eros in der griechischen Patristik, in deren kosmologisch-integrativer Kraft ihre Überlegenheit gegenüber der diastatischen westlichen Theologie gesehen wird. Der Autor erwägt sogar (in: Grundzüge der Christologie, 2 1966, 166-168) eine Erneuerung der Logoslehre. Gleichwohl er die Befürchtungen derer, die eine solche apriorisch für schädlich hielten, nicht teilt, scheinen ihm deren positive Möglichkeiten aber nicht so gravierend, als dass er eine solche Erneuerung selbst vorzunehmen sich bislang veranlasst gesehen hat. 322 A.a.O., 220. 323 Pannenberg bewegt sich an diesem Punkt auf der Linie von Emil Brunner (und Paul Tillich), der auch wir folgen, wenn wir sagen, dass der menschliche Eros zum Sein strebt, die Agape aber die Seinssehnsucht erfüllt. An dieser Stelle zeigt sich die universale, darum - auch - ontologische Qualität der christlichen Lehre in voller Tiefe. Während die Wissenschaft das Seiende untersucht, die Philosophie die Frage nach dessen Sein - in ihrer klassischen Ausprägung auch nach dem Seinsgrund - stellt, beantwortet die Bibel mit dezidierter soteriologischer Intention letztere Fragen implizit und zum nicht geringen Teil auch explizit. Um hier aber nicht irre zu werden, müssen wir Theologen uns aber auch auf die transpersonale Dimension des Heils

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Auch bei Wolfhart Pannenberg wird somit die trinitarische Dimension der Liebe als Ausgangspunkt beleuchtet für Ihre Weltgestaltungsfunktion, 324 hier allerdings - im Gegensatz zu Karl Barth - vom Wirken Gottes aus erschlossen. Die trinitarische Perspektive ist auf diesem Weg geeignet, zur Korrektur einer einseitig absteigenden Richtung der Liebe zu führen. Der Mensch nimmt teil an der Liebesrelation der immanenten Trinität durch seine Gegenliebe, an der ökonomischen Liebesbewegung auf dem Weg der Nächstenliebe. 325 Von hohem Wert ist in dem Zusammenhang auch Pannenbergs Sichtweise des Heiligen Geistes „als Macht und ,Feuer' der Liebe, das die göttlichen Personen durchglüht und vereint und als das Licht der Herrlichkeit Gottes von innen ausstrahlt". 326 Die trinitarischen Personen sind von hier aus als „die Singularitäten des dynamischen Feldes der ewigen Gottheit ..., als Konkretionen der göttlichen Geistwirklichkeit zu verstehen", wobei „gerade im Sohn die innere Dynamik des göttlichen Lebens in seiner Konkretion als Geist und Liebe zum Ausdruck" kommt. 327 Die Eigenschaften Gottes werden ebenfalls hervorragend als „konkrete Aspekte der Wirklichkeit der göttlichen Liebe" interpretiert. 328 Was wir bei Pannenberg vermissen, ist im überzeugend dargestellten Zusammenspiel von Gottes- und Menschenliebe die Einbeziehung der Gemeinschaftsfrage, die gerade vom Aspekt der Nächstenliebe als Teilnahme am trinitarischen Geschehen aus auf ihre biblische Konkretisierung drängt. Wiewohl auf die Einheit von Vertikalität und Horizontalität abzielend, wird die Partizipation am Göttlichen durch die Liebe auch bei Pannenberg abseits der Menschen-Gemeinschaftsfrage interpretiert, abseits damit auch der im Gebet des Herrn so eindrucksvoll zugespitzten Frage vollendeter Einheit (Joh.l7,21ff.), in welcher wir unsererseits die Versöhnung mit dem göttlichen Sein erst am Ziel se-

einlassen (s.o.) und diese in Bezug zum transontologischen Begründer allen Seins setzen, ohne dabei - wie Tillich - der Versuchung zu erliegen, „Gott selbst in die Seinsfrage zu transzendieren". Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 31; zu Tillichs ansonsten ganz vorzüglichen Ausführungen über die ontologische Dimension der Liebe s.o. 324 Vgl. ST 1,1988, 456ff. 325 A.a.O., 217f. 326 ST 1,1988, 462. 327 Ebd., 464. 328 Ebd., 466.

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Das neuerliche Agape-Problem

hen. Auch bei Pannenberg fehlt bedauerlicherweise eine prononcierte Qualifikation der Vergebungsliebe. Was demzufolge auch hier zu wenig Berücksichtigung findet, ist die Liebe als die „Kraft der Anerkennung des Verschiedenen", 329 sofern diese gemeinschaftsbildend wirkt. Pannenberg verweist hier, worauf wir noch einzugehen haben werden, in eschatologische Ferne, in welcher die Kirche „durch ihre Einheit die Liebe Christi in der Welt bezeugen" soll.330 Gewiss steht damit „die Wahrheit der biblischen Offenbarung Gottes in Frage".331 Das Problem der evangelischen Deutung der Liebe ist offenbar geworden. Es besteht in ihrer theologischen Indifferenz, verbunden mit der Vernachlässigung ihres soteriologischen Kernaspektes, wodurch auf der Lehrebene erschwert wird, dass die Liebe ihre volle ontologischekklesiologische Bedeutung entfaltet. Von den Hemmnissen der Liebe in der kirchlichen Praxis wird ebenfalls noch zu reden sein. Wir werden hier Ernst machen müssen mit der Banalität, dass mit dem schismatischen Ausgang der Lehrkonflikte die Liebe auch empirischen Schaden nehmen musste zugunsten christlicher „Wahrheiten", die allemal weniger bedeutend waren und sind als die eigentliche christliche Wahrheit: die Agape. Als ebenso begreiflich wie auch befremdlich und korrekturbedürftig muss vor diesem Hintergrund anmuten, dass - bereits bei den Reformatoren - die Liebe nicht als Gemeindekennzeichen eingeführt wird. Dagegen spricht der breite Konsens der neutestamentlichen Schriften, explizit ausgesagt etwa in Eph.4,3 oder Kol.3,14.332 Hier muss ernsthaft die Favorisierung derjenigen Schriften angefragt werden, die im Sinne der eigenen kontroverstheologischen Position als „Hauptschriften" angesehen wurden, weil sie vorwiegend verhandeln, was als der Eingang in das neue Sein der Liebe anzusehen ist - die Rechtfertigungslehre - , und muss auf den gesamtbiblischen Kontext dessen gezielt werden, was als Ausformung des Anfangsstadiums gerade Sache nur der Überwindung der kontroverstheologischen Position

329 A.a.O., 216. 330 5X1,1988,476. 331 Ebd. 332 ... sowie in Ansätzen die Sichtweise der oben rezipierten Althaus, Barth, Brunner, Kraus, Moltmann u.a. Die Liebe als „ein Kriterium der Kirche" wird explizit benannt bei Schräge, Ethik des Neuen Testaments, 1982, 237.

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sein kann. Das sola scriptum muss münden in das tot α scriptum. Auf diesem Weg nur ist eine Theologie wahrhaft christlich und katholisch.333 Von der Rehabilitierung der Liebe hängt die Richtigkeit aller christlichen Lehre und Praxis ab, denn ohne Liebe ist unser gesamtes Sein „tönendes Erz oder klingende Schelle" (l.Kor.13,1). Auf ihrem gegenwärtigen theologischen Niveau sprengt die Liebe tatsächlich selten einmal den Rahmen von Mitmenschlichkeit, Toleranz oder Sinnlichkeit. Die Säkularisierung der Liebe aber entleert nicht nur die biblische Verschränkung von Gottes- und Mitmenschenverhältnis, sie beschädigt auch die christliche Gottesvorstellung, ist Gott doch nicht nur in seiner Heiligkeit, sondern gerade auch in seiner Liebe der „ganz Andere". 334 6.4 Die Eros-Agape-Kombination Eine etwas andere Akzentuierung finden wir freilich auf katholischer Seite, die menschliches und göttliches Liebespotential traditionell nicht in ihrer Gegenläufigkeit, sondern als ein aufeinander Aufbauendes, einander Befruchtendes betrachtet. 335 Für eine neuere Spielart der Überlagerung von Eros und Agape stehen hier die Ausführungen von Alexandre Ganoczy, der zu unserem Thema hilfreiche fundamentaltheologische Überlegungen beibringt. 336 Ganoczy widmet sich dem Verhältnis von Liebe und Theologie und beschreibt dabei, was wir als Kombination von Eros und Agape ansehen können.

333 Paul Schütz ist es, der das Beunruhigende beim Namen genannt hat: „Das sola Luthers stammt nicht aus Gottes Wort. Es steht nicht in der Heiligen Schrift, und wie alle Hinzufügungen in ihren Text nach heimlich-unheimlicher Ordnung zugleich auch Raub an ihr sind, so auch Luthers sola." Parusia, 1985, 23. 334 Von hier aus wäre einmal die Heideggersche These ernsthaft zu prüfen, nach der eine vornehmlich reflexiv-appellative Theologie der „Wörter" des Menschen Gottverlassenheit zu verantworten hat; s. Nietzsche II, GA, 1997, 359; Über den Humanismus,

10

2000,36ff.

335 S. dazu Denzinger/Hünermann, Enchiridion symbolorum,

39

2001, 1530f., 1559, 1561,

1657. 336 In „Die Liebe als Prinzip der Theologie" und „Wahrheitsfindung durch Liebe". Prinzip Liebe. Perspektiven der Theologie, 1975,36-75.

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Das neuerliche Agape-Problem

Konstatiert wird die „theologische Verlegenheit" 337 bezüglich des Liebesbegriffs und sogar dessen Verzicht erwogen, nachdem es scheint, als sei dieser hoffnungslos verschlissen und zu profiliertem Gebrauch nicht mehr tauglich. Ganoczy entschließt sich dennoch am „Urwort der theologischen Sprache und des Christentums" festzuhalten und es in seinem „ganz besonderen Sinngehalt" zu erschließen.338 Ausgehend vom exegetischen Kontext der johanneischen Wesensaussage (l.Joh.4,8.16) mahnt Ganoczy zur Ernstnahme der biblischen Aussagen zur Bruderliebe im Blick auf die Gottesbeziehung. Er spricht dabei unumwunden vom „indirekten Gottesverhältnis", 339 für welches das „Mitlieben" 340 von entscheidender Bedeutung sei. Der Autor plädiert für „die Agape als Prinzip objektiv-sachgerecht arbeitender Theologie" 341 wie auch für deren „ekklesiale Dimension", die auf Einheit zielt. „Genuine Agape stiftet immer solche Einheit." 342 Damit nähern wir uns der theologischen Brisanz der Agape im Blick auf die kirchliche Gegenwartslage· Ganoczy reflektiert den so simplen wie bedeutsamen Tatbestand, dass wenn Gott Liebe ist, Theologie „Denkrechenschaft vom christlichen Glauben, als ein Logos von Liebe" bedeutet. 343 Dabei ist um der theologischen Eindeutigkeit willen entscheidend, die spezifisch neutestamentliche Bedeutung der Liebe zu eruieren. Insbesondere mit Johannes arbeitet Ganoczy dementsprechend ihre horizontale Betonung als „gottgewollte Mitmenschlichkeit" heraus,344 die, von der Verkündigung Jesu ausgehend, sich ebenso auf Paulus stützen kann, bei dem die Agape als „Prinzip aller anderen Charismen" erscheint.345 Ganoczy reaktiviert die Vorstellung von der Kreisbewegung der Agape,346 die, von Gott ausgehend, über die „Früchte der Mitmenschlichkeit und

337 Ebd., 39. 338 Ebd. 339 Ebd., 42. 340 Ebd., 52. 341 Ebd., 55. 342 Ebd., 57. 343 Ebd., 38. 344 Ebd., 44. 345 Ebd., 43. 346 S.o.

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gelebter Ekklesialität" wieder zu diesem zurückkehrt. 347 Theologie wird von daher begriffen als die wissenschaftliche Betrachtung jener gottmenschlichen Wechselbeziehungen, so dass in diesem Sinne die Liebe den notwendigen Gegenstand der Theologie bildet,348 indem sie „den jeweiligen Stand der Liebesgeschichte Gottes mit der Welt" untersucht.349 Systematische Theologie hat somit „nicht nur eine philosophische, sondern auch eine psychologische, soziologische und naturwissenschaftliche ,Antenne'". 350 Dass die Liebe darüber hinaus auch „Prinzip" der Theologie ist im Sinne eines gemeinschaftlich sich ergänzenden Erkenntnisprozesses, macht Ganoczy im Weiteren deutlich, wenn er von „Wahrheitsfindung durch Liebe" spricht.351 „Die Liebe als Agape ist eine von Gott initiierte ursprüngliche Grundhaltung des Christusgläubigen, die logisch dem eigentlichen Erkenntnisvorgang vorausgeht und von vornherein auf jene Tiefe und Ganzheit des anderen, d.h. auf seine Wahrheit abzielt, die von einer rein rationalen oder empirischen Erkenntnis nicht erreicht werden kann." 352 Der theologischen Liebe eignet somit die Aufgabe, gerade jene Verengungen des Seinsganzen zu überwinden, die für den rationalistisch-induktiven Wirklichkeitszugang so typisch sind. Denn: „Nicht die Erkenntnis macht liebend: die Liebe macht sehend. Die Agape öffnet die Augen und lässt wissen, was Gott und Mensch in ihrer tiefsten und umfassendsten Wirklichkeit sind",353 wie dies insbesondere die klassische Passage von 1.Kor.13 nahe legt. Dabei kann sich Ganoczy auch auf Scheler berufen, der als christliche Besonderheit die Vorordnung der Liebe vor den Erkenntnisprozess demonstriert hat.354 „Demnach entspringt das Offenbarungsgeschehen wie auch das Schöpfungsgeschehen einer ursprünglichen Bewegung der göttlichen Liebe und nicht

347 348 349 350 351

Ebd., 47; vgl. o. Ebd., 53f. Ebd., 55. Ebd. Ebd., 59; s. auch Ganoczys Einführung in die Dogmatik, 1983, in der die „Liebe als Wahrheitskriterium" einen durchgängigen Topos bildet. 352 Ebd., 63. 353 Ebd., 67; vgl. Einführung in die Dogmatik, 205: „Wo immer ein Liebender seinem Gegenüber gerecht wird, es so nimmt und annimmt, wie es ist, ja es im tiefsten Sinn des Wortes wahr-nimmt, verhält er sich sachlich, objektiv." 354 S.o.

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Das neuerliche Agape-Problem

etwa nur aus der göttlichen Vernunft." 355 In diesem Sinne rekurriert Ganoczy auch auf Habermas' These vom „erkenntnisleitenden Interesse" als Erstimpuls des „Erkennenwollens". 356 An dieser Stelle gelingt Ganoczy auch eine treffende Differenzierung von Eros und Agape in der Weise, dass Eros als der blinde „Treibstoff" der Erkenntnisbewegung gefasst wird,357 der selbst noch der konstruktiven, das Objekt des Interesses individuell würdigenden und fördernden Initiative entbehrt. Agape ist demgegenüber „Aufmerksamkeit, Bemerken, Beachten",358 ist „Annahme der gegenwärtigen Wahrheit des Geliebten".359 Mehr aber noch: „Sie ist all dies, aber darüber hinaus auch ... intentionale Bewegung „auf noch mögliche Rohere' Werte beim anderen hin. Diese Bewegung ... darf man als eine 'schöpferische' Haltung bezeichnen, wohl aber auch als eine ,soteriologische', d.h. befreiend-erlösende", 360 denn sie „schließt die Bereitschaft, ja die Verpflichtung in sich, am Wohl und Heil des Partners, bei aller Achtung seiner Freiheit, mitzuarbeiten. Ich bin bereit, gleichsam seine ,Selbstliebe' mitzuvollziehen und seine Selbstwerdung tatbereit zu bejahen." 361 So besitzt die Agape ebenso seins- wie erkenntnisbegründende und darüber hinaus auch soteriologische Bedeutung. Gesamtgesellschaftlich angewandt bedeutet dies: „Überall kann die Agape mit oder ohne tiefgreifende Gefühle als erkenntnisleitendes Interesse für die vielfältige Wahrheit von Mensch und Welt dienen", 362 was in Konsequenz heißt, „daß jegliche anthropologische, soziologische, humanwissenschaftliche bekenntnismäßige, ja dogmatische Wahrheitsfindung vorzüglich in Gemeinschaft, in von Agape beseelter Gemeinschaftsarbeit geschehen kann". 363

355 356 357 358 359 360 361 362 363

A.a.O., 69. Ebd., 70. Ebd., 71. Ebd., 72. Ebd., 73. Ebd. Ebd., 74. Ebd., 75. Ebd., 74.

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Ganoczy liefert so in Grundzügen eine überzeugende korrelative In-Beziehung-Setzung von Eros und Agape, 364 die nicht nur den Erkenntnisvorgang biblisch-theologisch beleuchtet, sondern auch den praktisch-sozialen Bezug der Agape, den wir allerdings durch die Vergebungskomponente noch zu ergänzen und ekklesiologisch zuzuspitzen haben, in und mit der das Soteriologische seine Nagelprobe erfährt und sich zeigt, ob unsere Nächstenliebe tatsächlich die Selbstdemütigung, das Erbarmen und die Großzügigkeit Gottes widerspiegelt, aufgrund deren dann tatsächlich auch dort Einheit gewährleistet ist, wo unsere Bereitschaft, der „Selbstwerdung" des Anderen zu dienen, an ihre natürlichen Grenzen stößt. 6.5 Victor Warnach Eine eindrucksvolle Neuauflage der klassisch-thomistischen Anschauung der Liebe hat Victor Warnach mit seiner voluminösen Arbeit365 als Gegenentwurf zur Nygrenschen Monographie vorgelegt. Der Autor setzt ein mit etymologischen Überlegungen sowie solchen zur spezifisch christlichen Füllung des Liebesbegriffs und beklagt ebenfalls den Verfall einer qualifizierten Liebesvorstellung. Infolge seines inflationären Gebrauchs erscheint das Liebesthema „wie eine abgegriffene Münze" und angesichts der zahllosen Deutungsmuster eine einheitliche Definition kaum möglich (15f.).366 Wir pflichten Warnach bei, dass von hier aus es sich schon anbietet, hinsichtlich der Liebe nach Offenbarung zu fragen. 367 In einer ersten Unterscheidung wird die Liebe allgemein als „Zuneigung" (18) gefasst, in Variation dazu Eros als seelisch-begehrende „Sehnsucht nach Ergänzung und Beglückung" (20). Agape hingegen ist „im vollen Sinne personale Liebe" und als solche „Hinneigung, die zur Einigung führen will" (26).

364 Zur Würdigung der Liebestheologie Ganoczys s. auch Thomas Franke u.a., Creatio ex amore. Beiträge zu einer Theologie der Liebe, 1989. 365 Victor Warnach, Agape. Die Liebe als Grundmotiv der neutestamentlichen Theologie, 1951. Auch hier belegen wir der Übersichtlichkeit halber im Text. 366 Vgl. Scheler, Wesen und Formen der Sympathie, 5 1948,176. 367 ...was aber nur bedingt geschieht.

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Das neuerliche Agape-Problem

Warnachs Agapeologie hat zunächst pneumatologische Stoßrichtung. Die Agape ist „pneumatisches Phänomen" (224f.). Sie ereignet sich im Pneuma, das ihr „wesensgemäßer Träger" ist (511) und für eine lebendige Heils Verwirklichung „aus der Lebensfülle des Göttlichen" steht (218f., 616). 368 Warnach unterscheidet hier - exegetisch überaus fundiert (darin anders als Nygren) - den „dynamisch-vitalen", den „personalen" und den „ontologischen" Aspekt des Pneumas und sieht speziell in dem Letzteren den „Faktor zur Qualifizierung des christlichen Seins" (221f.), der dann auch ekklesiologisch übertragen wird (224ff.). Das Pneuma ist das Wesensprinzip der Kirche (133ff.). Es „baut ihr inneres Sein, schweißt die Gläubigen in gnadenhafter Lebenseinheit zusammen" (ebd., 564). Die „Agape als Seinszusammenhang" vollendet sich in gemeinschaftlicher Hinsicht „im Phänomen der Solidarität' (347) ... die nicht bloß im äußeren Zusammensein, sondern in einem letztlich befreienden Mit- und Füreinander-Dasein besteht" (349). Auch unsere eigene Pointe wird gesetzt: „Im Verzeihen zeigt sich der Agape gemeinschaftsbildende Kraft aufs deutlichste, weil sie sogar die Kluft ärgster Feindschaft zu überbrücken vermag" (367), die vielmehr „zu echter und ,bleibender' Gemeinschaft befähigt" (634). Causa solcher Gemeinschaft ist das Kreuz (446f.), die „Kreuzesagape" (135), von der aus die christliche Daseinssphäre ihr spezifisches Gepräge als „In-derAgape-sein" erhält, welches dem „In-Christus-sein" entspricht und so den prolongierten Christus darstellt (558). Die Kirche ist „die unter uns fortlebende und sich verleiblichende Christus-Agape" (565). Mit ihr erschließt sich das christliche „Ganzsakrament" (562), göttliche „Fülle und Alleinheit" (566, 649). So beschreibt Warnach ausgezeichnet die „Gottförmigkeit" (396) der Agape, die auch mit Gottes Heiligkeit in Verbindung gebracht wird (205ff.) und bejaht folgerichtig, auf Paulus gestützt (106ff., 473ff.), die fundamentalontologische Bedeutung der Liebe (345) inklusive ihres anabatischen Elements (369). Die Perspektive einer neuen Seinsordnung in der Kraft der göttlichen Liebe leuchtet auf. Warnach spricht vom „neuen Äon in der Agape" (399) als die „eigentliche Existenzsphä-

368 Im Blick auf die Substantialität der Geisteskraft hat auch Nygren zu Recht bemerkt, dass die Agape im Neuen Testament gelegentlich „realistisch etwa wie ein pneumatisches Fluidum'" erscheint; a.a.O., 84f., womit Warnach jedoch das willentliche Element zugunsten magischer Vorstellungen gefährdet sieht (219).

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re des Christen" (137). Dabei fehlt auch die Betonung des Leidens nicht, auf dessen Weg die Agape ihr schöpferisches Potential nur zu entfalten vermag. Durch die „Nacht des Leidens" muss die „gekreuzigte Liebe" gehen, um die Wandlung des Seins zu bewerkstelligen (379f., 618ff.). Namentlich die Aussagen zum Verhältnis von Agape und Sein sind bemerkenswert und lehrreich. Die scholastische Tradition aufnehmend, wird das Sein als Einheit verstanden (500), die von der Agape als „seinshaft einigende Liebe" (345, 635) hergestellt wird im Sinne der Ganzheit des Seienden (228; 245; 476). Das Sein ist durch die Agapeidee bestimmt (501f.). Die Agape ruft zum Sein (213). Der Mensch ist „seinshaft auf sie hingeordnet" (211) - ja, das Sein ist „als Agape zu verstehen" (259), denn in Gott stimmen „die Begriffe von Agape und Sein zutiefst überein" (264). So ist mit der Agape als Zentralmotiv der or do salutis prinzipiell in seine biblische-ontologische Systematik gebracht. Gott ist Agape (482f.), seine Charis und Doxa sind Präzisierungen dieses seines originalen Seins (492ff.), Pendancen zu Gutheit und Wahrheit, während seiner Agape die Einheit des Seins entspricht (274). Als die „Wurzel des Seins", das „Urmysterium" (495), ist die Agape das eigentliche Schöpfungs- und Erlösungsmotiv (496ff.), wobei Erlösung die „Wiederherstellung des ursprünglichen Seins" meint (511). Darum ermöglicht die Agape auch die Teilhabe am Wesen Gottes (433ff.). Der Eros hingegen wird zunächst von seiner negativen Seite her beschrieben als ungezügeltes Verlangen, das unfrei macht (25). Im Gegensatz dazu sei die Agape „heilige Nüchternheit", die den Menschen aus seiner Selbstbezogenheit herausholt (461). Dennoch sei Eros „keineswegs etwas Unwertiges oder gar Schlechtes", da er sich auch auf das höchste Gut - Gott - hinwenden könne (26). So wird er verstanden als natürliche Gottesliebe (212f.), das Goethesche strebende SichBemühen des Menschen (463f.).369 Unter dem Zorn Gottes befindlich, ist der zwiespältige Mensch zur gemeinschaftsbildenden Gottesliebe allerdings unfähig. Im Status des „Seins zum Tode" wirken Eros und Sexus als deren „Surrogat" (525). Dieses Sein ist gekennzeichnet durch die Herrschaft von Individualismus und Kollektivismus anstelle echter Gemeinschaft (526).370 Seine originale Harmonie ist hier zerstört (527).

369 Vgl. Nygren, Eros und Agape, 21954, 465f., zu Thomas und der Scholastik S. 467 Anm.; sowie a.a.O. 370 Vgl. Brunner, Dogmatik 3, 2 1964,131ff.

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Das neuerliche Agape-Problem

Das Pneuma der Agape stiftet „echte Seinsgemeinschaft" von Personen, wohingegen Eros nur seelische, Sexus nur körperliche Verbundenheit schafft (275). Die Agape gibt sich allerdings im Eros kund (469), wobei sie diesen läutert und verwandelt (479f.). Eros und Agape werden von daher als „Grundgegebenheiten der geschöpflichen Existenz schlechthin" verstanden (503). Die Agape „strömt ... in das Nichts hinein, ,erfüllt' seine Leere und kehrt zu ihrem Ursprung in Gott zurück" (488). Von der Agape bestimmtes Sein ist somit „volle Wirklichkeit" jenseits der Seinspolaritäten (276, vgl. 228ff.). Wir stimmen von Herzen zu, dass Christus in diesem Sinne der „Bringer einer neuen Seinsordnung" ist (546). Verneinen müssen wir aber, in welcher Weise Warnach all diese Erkenntnisse auf das Sein von Kirche und Welt anwendet. Warnach unterscheidet die Agape als „wesensgemäße Seins- und Lebenssphäre des neuen Menschen" (616) von der Charis als „freischenkende Güte" (476) - in Antithese zu Nygren, gegen dessen vermeintliche Verwechslung beider er sich wendet (193) sowie gegen das Postulat der „Unmotiviertheit", in dem ebenso wie in der Ersetzung der Agape durch den Glauben eine Verfälschung der christlichen Lehre gesehen wird (195ff., 433). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Bibel vom „Lohn" der Agape handelt (196).371 Mit ihrer Trennung von der Charis aber ist schon angezeigt, dass die Agape mehr auf eine intensive Form frommen Erlebens zielt denn auf die Weitergabe göttlichen Erbarmens. Nachdrücklich plädiert Warnach für die Vorstellung der Bewegungsumkehr der Agape, damit gegen ihre „Verweltlichung" (199). Dies allerdings wird als auf mystischem Wege motivierendes Geschehen verstanden. Die Agape erhält ihr „christliches Gepräge von der Kreuzesmystik her" (446). Von daher wirkt sie als mystische Grundpotenz (450), die den Einzelnen mit Gott auf dessen Augenhöhe interagieren lässt. Folgerichtig ist die Rede von der Agape „in uns" (447), nicht aber von der Agape „zwischen uns". Hier nun schwenkt Warnach, um die ontologische Wirklichkeit der Agape im Sein des einzelnen Gläubigen aufzuweisen, ein in eine gemeinschaftsirrelevante Position. Die ontologischen Erwägungen entpuppen sich als spekulativ-anthropologisch ausgerichtet. Die Agape ist „nicht nur die Gabe des göttlichen Pneuma an uns, sondern auch eine

371 S. bes. Mt.5,46; 25,34ff.

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Wirklichkeit, die sich im Pneuma des Menschen ... ereignet" (225). Sie ist die „göttliche Sphäre im pneumatischen Wesensgrund des Menschen", stammt „aus der innersten Seinsmitte der Person" (244); der Leib ist ihr Werkzeug (644). „Das Personale im Menschen" wird „als Anlage auf das Göttliche hin" verstanden (234f.), so dass schließlich auch die Rede vom „Seelenfünklein" auftauchen kann (238). Der „Ganzheitsakt" (245), den die Liebe Gottes vollbringen soll, ist nun doch nur ein persönlich-inwendiger, der den „engelsgleichen Menschen" zum Ziel hat (246). So ist es nicht verwunderlich, dass am Punkt der Agape als „existentiell-ontischer" Natur des Menschen (248) Heidegger ins Spiel kommt (249, 272). Die anthropozentrisch-mystische Stoßrichtung liegt zutage. Der Unterschied zur biblischen Niedrigkeitsarbeit der Agape im Bereich des Geschöpflichen wird ebenso offenkundig wie das Gemeinschaftliche zum fernen Ideal, wenn Warnach von „Gottesgemeinschaft auf der Ebene Gottes" spricht, von „Alleinheit" (433f.) in der Agape, in und mit der das Reich Gottes bestehen soll (435). Auf diese Weise unterläuft und verdrängt Warnach das horizontale Motiv so sehr, wie die Agape anthropologisiert wird. Gerade am Punkt personaler Seinsgemeinschaft müsste die einheitsstiftende Wirkweise der Agape als vom Evangelium bestimmte Seinsgrundlage aufgewiesen werden. Wenn Warnach die „Personhaftigkeit in der Agape" betont (277ff.),372 wird jedoch versäumt, hieran die Multipersonalität des neuen Seins zu knüpfen, wie wir diese bei Paulus vorfinden. Vielmehr wird umgekehrt gesagt, dass die personale Existenz „'Strukturmodell' des Seinsbegriffs" sei (292).373 So ist das biblische Prinzip, wonach die personalen Gnadengaben „dem Aufbau des Leibes in Liebe" dienen müssen (Eph.4,16), schlicht verkehrt und ersichtlich, dass es sich bei der neuen Agape-Wirklichkeit nur um eine des gottseligen Bewusstseins handeln kann, das vom Genuss der Gnadenmittel einer Kirche zehren soll, in der die „neue Seinsordnung" (133) schon vorausgesetzt wird, ohne zu prüfen, ob und in-

372 ... zusammen mit den Vertretern des zu jener Zeit im Schwange stehenden Personalismus (Buber, Brunner, Guardini u.a., 296f.); s. dazu Bernhard Langemeyer, Der dialogische Personalismus in der evangelischen und katholischen Theologie der Gegenwart, 1963. 373 Entsprechend wird (ebd.) bei Nygren die fehlende personalistische Akzentuierung bemängelt, weil dort die Agape nur „Bewegung von Gott her" sei.

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wieweit diese Kirche selbst aus Bausteinen der Agape besteht. Wohl wird sie als die „leibgewordene Christus-Agape" bezeichnet (550), als heilige gotthafte Wirklichkeit" (555), mit Thomas als „instrumentum divinitatis" (551). Das göttliche Instrument aber ist ein sakramentales mit hierarchischer Stufung (555ff., 584ff.), das - wenn man so will: calvinisch - der Frömmigkeitspraxis des Einzelnen dient. Warnach müht sich redlich um eine neutestamentliche Ontologie (264ff.), zieht aus seinen fundamentalontologischen Einsichten, die Agape betreffend, aber Schlussfolgerungen, die kaum als solche des einzigartigen Novums einer agapebestimmten Seinslehre einleuchten möchten, sondern letztendlich Altbekanntes wiedergeben. Die Verwirklichung der Agape und damit die „Neuschöpfung" geschieht durch Glaube und Sakrament (581f., 269). Der Glaube ist die „erste Antwort", die uns versetzt in die göttliche Lebenssphäre des neuen Aon (584). „Mitsterben und Mitauferstehen" aber vollziehen sich als sakramentale Gnadenwirklichkeit (585, 124). Die göttlich-menschliche Wirkeinheit der Agape besteht als „sakramentale Unterbauung" (239). Die gnadenhaft eingegossene göttliche Agape ist es, die - abseits direkter gemeinschaftlicher Implikationen - Gott zurückliebt (200).374 Das Heilsgeschehen ist damit seiner ontologischen Verifizierbarkeit entrückt zugunsten seiner klassischen ontischen Verdinglichung. Als „kultsymbolische Erscheinung" ist die „Heilswirklichkeit in konkret erfahrbarer Gestalt" zugegen und darin die „reale Teilnahme am Geschick des Erlösers" (586f.). Die daraus resultierende „Teilhaftwerdung der göttlichen Natur" (588) hält Warnach für „Gotteskindschaft". Dessen konkrete Ausprägung heißt „echte Mystik" (622), für die das Sakrament die „objektive, existentielle Grundlage" schafft (623). Die ontologischen Fragwürdigkeiten der Warnachschen Sichtweise sind so klar ans Licht getreten, bestehend in der problemlosen Vereinbarkeit seiner Erkenntnisse mit der Wirklichkeit seiner Kirche. Die ontologische Perspektive mündet direkt ein in die traditionelle mystischsakramentale Erlösungslehre. Die pneumatisch-ontologische Wirklichkeit der Agape ist nicht anders denn in realkatholischer Form gegeben (567f.), was bedeutet, dass die Konkretion der Gottesliebe nicht Sache des kirchlichen Seins, sondern der kirchlichen Darreichung ist. Die

374 Vgl. Thomas, a.a.O.

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Agape ist die „Heilswirklichkeit, der Inhalt des Heilsmysteriums" (616), dabei aber nur die Hülle kirchlicher Operationen. Das traditionelle katholische Übernatur-Modell, in das die Agape eingepasst wird, wird vollends ersichtlich, wenn Warnach etwa von der „Vertiefung der Natur durch die Gnade zu gotthaft freiem Sein" spricht (208) oder von der „Erfüllung der geistigen Natur" des Menschen (210). Bei aller ontologischen Erwägung hat die Liebe hier schließlich doch nur „ontischen Charakter" (125), denn die Agape wird nicht im Sinne der Logoslehre als Seinsgrund der Welt unterlegt, sondern versucht, deren reales Sein mit der Agape zu verbinden. Die biblische Heilsökonomie verschwindet hinter dem bruchlosen Ineinanderfließen von Agape - Pneuma Sein (276ff.), wodurch Warnachs Konzeption neben ihrer anthropozentrischen auch eine nicht unerheblich idealistische Färbung erhält. Ekklesiologisch betrachtet, bleiben Warnachs Ausführungen trotz vorzüglicher Einzelaspekte doch in der Zusammenschau reichlich indifferent. Sie gipfeln aus unserer Sicht in der formal exzellenten Beschreibung der Kirche als „genuine Gestaltwerdung der Gottesagape im Raum der Menschheitsgeschichte" (340). In diesem Kontext aber wirkt das Ontische eher doketisch, wenn gesagt wird, die Einheit sei eine „nicht sinnlich erfahrbare, überräumliche Gegenwart" (349). So verwundert es schließlich auch nicht, dass nach Warnach das verbindende Werk der Agape „durch die äußere Trennung keineswegs beeinträchtigt" wird (350). Die Agape realisiert hier nicht in biblischekklesialer Weise die Christuswirklichkeit, sie ist der bestimmende Faktor individueller Gottes- und Christusmystik, die anstelle der Erkenntnis die Kluft zum Göttlichen überwindet (404f., 575ff.). Von der „Mysteriengegenwart" des Leibes Christi ist die Rede (391), statt von dessen personal-ontologischer Wirklichkeit, trotz der schönen Theorie von der „Existenzgemeinschaft in der Bruderliebe" (395). In gemeinschaftlicher Hinsicht dominiert - vergleichbar Karl Barth - die ethische Deutung der Liebe, „die uns wahre Freiheit als Hingabe an den ewigen Gotteswillen schenkt" (326.), wobei auch jene Hingabe einen deutlich mystischen Akzent erhält (375). Vom „existentiellen Verhalten von Personen zueinander" wird gesprochen (252), von der „heiligen Atmosphäre" der Agape (346), das Thema Vergebung aber bleibt wie bei jenem unausgeführt.

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Warnachs Reflexion der Agape ist besonders unbefriedigend vor dem Kontext des Evangeliums. Glaube und Liebe erfahren hier eine Identifizierung (308), die nicht gründlich genug erläutert wird, auch nicht mit dem knappen Hinweis, dass die Liebe Frucht der Gnade sei (310). So bleibt, obwohl gesagt wird, dass die Agape „nicht nur habitus operativus" sei, sondern dass sie zusammenhängt mit der „heiligmachenden Gnade" (204), das konkrete Wie dieser Verbindung ungeklärt. Zudem wirkt sich in ähnlicher Weise nachteilig wie bei Karl Barth bei Warnach die Kontingenzvorstellung der Liebe als freier Gnadenakt aus (126), die fraglos Richtiges beinhaltet, die aber ohne den komplementären Gedanken ontologischer Grundstabilisierung - als ohne Frage ebenfalls freie Gnadentat Gottes - vereinseitigend wirkt. Warnachs Darstellung hinkt im soteriologischen Bereich als Ausgangspunkt des ontologischen, so dass eine korrekte ekklesiologische Grundsicht mit einer evangeliumsfremden Praxis zusammengepresst wird. Darin manifestiert sich der typische Gegensatz zu der genau gegenteiligen protestantischen Hemmung, die korrekte Sicht des Evangeliums auch zu dessen voller kirchlicher Ausgestaltung zu bringen. Was bei Warnach fehlt, ist die Heiligkeit als Grundbaustein des Reiches Gottes ebenso wie die ekklesiologische Relevanz der Vergebung - dort, wo die Verletzung der strukturellen Heiligkeit des kirchlichen Seins geschehen ist. Ein intaktes kirchliches Sein präsumierend, kommt hier die Vergebung aus prinzipiellen Erwägungen zu kurz, während man bei den protestantischen Kollegen an diesem wesentlichen Punkt Nachlässigkeit unterstellen möchte. Warnach fehlt es nicht - wie Nygren - an der psychologischen Sensibilität für die gemeinschaftsstiftende Funktion der Agape, aber an der Sicht für deren theologische Brisanz. In beiden Fällen fehlt die ekklesiologische Beauftragung einer von der Agape aus verstandenen christlichen Nachfolgepraxis, damit das Thema, das gerade durch dasjenige der christlichen Liebe wie kein anderes gestellt und gelöst ist.375 Bei allem Positiven, was zu Warnach zu sagen ist, müssen wir auch hier feststellen, dass das fundamentalontologische Element im Zusammenhang mit der Agape wohl vorhanden, aber doch nicht mit der

375 Dass wir von der Mitarbeit hieran in keinem Fall enthoben sind - auch nicht durch die Tatsache, dass der Herr selbst es ist, der seine Kirche baut - ist zum Ausdruck gebracht in jedem einzelnen Fall, in dem er bzw. sein Wort uns zur Agape ermahnt.

Victor Warnach

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wünschenswerten Zentralität und Konsequenz herausgearbeitet ist. Kirchbildende Anwendungen im Sinne einer kausalen Verschränkung von Liebe und Sein unterbleiben. Dabei könnten die ontologischanthropologischen Reflexionen des Autors zweifellos ekklesiologisch fruchtbar gemacht werden, würde es gelingen, sie durch den evangelischen Aspekt zu ergänzen und so auch zu konturieren. Indem sich an dieser Stelle abzeichnet, dass eine christliche Ontologie die Einbeziehung der konfessionellen Grundansätze benötigt, gewinnt freilich nicht nur die Liebe eine neue, großartige Perspektive, sondern auch der ökumenische Prozess, der uns noch näher zu behandeln bleibt. Sollte die ontologische Dimension der christlichen Liebe eine Sache der kirchlichen Einheit sein, dann wäre mit dieser nichts weniger als die christliche Substanz selbst neu zutage gefördert. 376 Im Blick auf ihre Divinität müssen wir sagen, dass genau aus der „Nacht des Leidens" die Agape strahlend als die Siegerin hervorkommen möchte und dass wir in diesem Zusammenhang speziell am Punkt der Vergebung wesentlich über Warnach hinausgehen müssen. Vielmehr haben wir die Agape als die Ermöglichung und dann auch die Realisierung konsequenter Vergebungspraxis zu würdigen, durch welche der entscheidende Unterschied zu den Kämpfen und am Ende sinnlosen Streitigkeiten dieser Welt markiert ist. „Das Mitleiden mit Christus" - nach Warnach „die Aufgabe unseres gegenwärtigen Daseins" (618) - darf keinesfalls das Versagen der Christenheit im Umgang mit der eigenen Versöhnungsbotschaft rechtfertigen. Die Agape überwindet gerade nachhaltig das Leiden soweit, wie dies in dieser Zeit möglich ist. Das schließlich ist, was 1.Kor.13 beschreibt, wenn deutlich gemacht wird, dass die Liebe gerade dann sich bewährt, wenn menschliche Möglichkeiten am Ende sind. Geradezu geleugnet wird demgegenüber bei Warnach das transzendentale Element der Agape, wenn zu Philia nur ein gradueller Unterschied angenommen (356, 457), wenn von „gereinigtem Edelmut" gesprochen wird (359), oder davon, „gleicherweise mitleidende Leiden zu teilen" (384). Ist dies etwas anderes als ein christianisierter Eros?

376 Warnach selbst deutet die ökumenische Perspektive der Agape nur an: „Überdies vermag nur die ,ganz andere' Liebe die Spannungen und Spaltungen zu überwinden, die sich aus der Begrenztheit der menschlichen Natur auch im religiösen Raum notwendig ergeben" (565).

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Das neuerliche Agape-Problem

Nachdem dieser von Nygren diskreditiert, von Warnach innerhalb der von jenem so vehement gerügten Caritas-Synthese zu rehabilitieren versucht wurde, besitzt die Gottesliebe noch immer - wie könnte es auch anders sein? - theologisches und erst recht praktisches Potential. Nygrens wie Warnachs gemeinsames Verdienst besteht, wie Pannenberg (bezüglich Warnach) vermerkt, in der „Revision der von Augustin her üblich gewordenen, finalen Strukturanalyse des Liebesbegriffs und der dadurch bedingten Uberordnung der Gottes- über die Nächstenliebe". 377 Die Liebe ist hier als Mitvollzug der göttlichen Liebe gedacht, die sich auf ein personales Gegenüber bezieht. Gerade in Warnachs mystischer Konzeption aber erscheint die Nächstenliebe nur als Beiwerk. Im Ganzen leiden beide Entwürfe unter vielfach mit Händen zu greifenden dezisionistischen Grundhaltungen, die verhindern, dass eine vorurteilsfreie fundamentalontologische Gesamtschau der biblischen Liebeslehre entwickelt wird, die sich gleichzeitig strikt am Evangelium orientiert. So sehr Nygren die neutestamentlich-personalen Besonderheiten der Agape übersieht, so sehr erscheinen diese bei Warnach als zweitrangig, etwa wenn am Ende die Agape als Erzieherin „für das Zusammenleben in Familie, Gemeinde und Volk" beschrieben wird (635ff.).378 Indem die Transzendenz der Agape bei Warnach anthropologisch aufgelöst wird, ist die ekklesiologische Dimension der Agape entscheidend cupiert, damit aber auch das Personale selbst. Die Liebe ist fraglos der Totalaspekt des menschlichen Wesens (227), intrapersonaler Wesenskern (228). Sie ist aber auch extrapersonale Wesensgrundlage, auf der eine pneumatische verfasste, personale Kollektivität entstehen darf und soll, in welcher dann auch jeglicher biblische Raum 377 S. Pannenberg, ST 3,1993, 211. 378 Emil Brunner lässt wohl grüßen, wenn auch an dieser Stelle davon gesprochen wird, dass die Agape jenseits von Individualismus und Kollektivismus „die personale Gemeinschaftsordnung" setzt (637), wird aber sogleich auch mit eschatologischen Hinweisen verabschiedet. Die Betonung des personalistischen Pols auf der einen, des ethisch-sozialen auf der anderen Seite, abseits des verbindenden Themas wahrhafter christlicher Gemeinschaft, erscheint noch deutlicher in dem späteren Aufsatz Wamachs zum Liebesthema „Liebe als Grunderfahrung", 1963, 231-257. Hier bildet im Dreischritt des Erkennens - Fühlens - Wollens (253) die Liebe als „Grundakt der personalen Existenz" (250) die „entscheidende Antriebskraft im gesamten Weltgeschehen" (254). Das sind gewiss schöne Sätze, die aber den oben beschriebenen heilsgeschichtlichen Verwerfungen wie auch der differenzierten Wiederbringungsstrategie des Neuen Testaments nicht Rechnung tragen.

Helmut Kuhn

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zur Entfaltung von Individualität gegeben ist. Das ist, was katholische wie evangelische Lehre bislang zu wenig bedacht haben. 6.6 Helmut Kuhn Uber seine im engeren Sinn theologischen Gesichtspunkte hinaus haben zur inhaltlichen Wiederauffüllung des Liebesbegriffs im klassischmetaphysischen Geiste Helmut Kuhn und Josef Pieper Wertvolles beigetragen, das hier nicht unerwähnt bleiben soll, darf doch im Verhältnis zu ihrer überragenden Bedeutung das Nygrensche Wort von der „stiefmütterlichen" Behandlung der Liebe im Bereich theologischer Dogmatik und Ethik379 noch immer Geltung beanspruchen. Kuhn behandelt die Liebe als dynamisches Korrelat zum statischen Seinsbegriff,380 als universale Bewegkraft, die durch die wechselseitige Durchdringung von Eros, Agape und Philia im Gleichgewicht gehalten wird. Die erotizistische Entstellung der aristotelisch-thomistischen Tradition im Gefolge Jakob Böhmes und Franz von Baaders wird kontrastiert mit den spezifisch protestantischen Auflösungstendenzen des weltgestalterischen Elements, die exemplarisch in der dialektischen Theologie festgemacht werden. Beides soll abgewiesen werden: ein glühender, aber egoistischer Eros auf der einen, eine altruistische, aber blutleere Agape auf der anderen Seite381 - als Extremismen, die die originale ontologische Integrität des Liebesbegriffs beschädigen.382 Das 379 Anders Nygren, Eros und Agape, 21954, 5. 380 Eros - Philia - Agape, 1954/55,141. 381 S. ebd., 158. 382 Die neuplatonische Übersteigerung der ontologischen Tradition im Sinne einer differenzlosen All-Einheits-Mystik diagnostiziert Kuhn besonders bei Nikolai Berdiajew und Wladimir Solowjew. Aber auch Ludwig Klages, D. H. Lawrence und Sigmund Freud bewegen sich nach Kuhn auf dieser Linie einer Vereinigungslehre mit dem Verschmelzungsideal. Auf dem Grund der menschlichen Geschlechterliebe wird hier ein christlich-metaphysisch verklärter Naturalismus errichtet, das Verhältnis Mann - Frau dabei dem von Gott und Schöpfung analogisiert (ebd., 142ff.). Ziel ist eine romantisierte Seins-Unio, die Aufhebung aller Subjekt-Objekt-Unterschiede, eine Vorstellung, die mit Recht, als den ordo amoris zugunsten eines „absolut gesetzten desideriums" zerbrechend, abgelehnt wird (ebd., 144), zu deren Vertretern nicht nur Novalis, sondern auch ein R. M. Rilke gezählt werden. Dem entspricht schließlich auch die prinzipielle Gleichsetzung von Religion und Erotik, wie sie durch Walter Schubart (a.a.O.) vorgenommen wurde. Kuhn spricht hier vom Ver-

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„Totum" der Liebe, dessen klassische Fassung neben Augustin auch Bernhard von Clairvaux zuerkannt wird,383 sieht Kuhn ansatzweise wiederhergestellt bei Claudel und insbesondere Scheler, wo die Liebe, auf ein Höchstmaß von Wert gerichtet,384 wieder zum qualifizierten Kern einer „Weltordnung wie auch der in sie hineingestellten Personordnung" wird.385 Nach Kuhn hat die Neigung zur theologischen Isolierung der Nächstenliebe, zur Vertreibung des Eros im Verzicht auf das personale Element der Liebe,386 nicht schon mit Nygren, sondern erst mit Karl Barth ihren Höhepunkt erreicht,387 verschärft dieser doch trotz energischer Einsprüche gegen Nygren die Diastase von absteigender und aufsteigender Liebe, indem er nicht wie Nygren die Anabasis des Menschen, sondern den Menschen selbst vor Gott „verkleinert", 388 wodurch dessen Person-Sein und Verantwortlichkeit angegriffen werden.389 Indem die Liebe bei Barth als Antwort, Unterordnung, Gehorsam erscheint,390 fehlen ihr wesentliche geschöpfliche Potenzen. So bemängelt Kuhn - wie wir bereits gesehen haben, nicht zu Unrecht - , dass gerade als Abbild der göttlichen Liebe in der Darstellung der menschlichchristlichen bei Barth das Element des Erbarmens zu kurz kommt angesichts dessen, dass dieses wie auch das der leibhaften Ganzheit der Liebe zum elementaren biblischen Befund gehört.391 Als Implikat der Gehorsamsforderung ist das Thema Barths nach Kuhn weniger das der Liebe selbst als vielmehr das des Lieben-dürfens.392 Die Negation, die Einschränkung dominiert bei aller Bemühung um eine Rehabilitation

such „zween Göttern zu dienen, Dionysios und Christus" (ebd.). Hinsichtlich der protestantischen Verengung des Liebesbegriffs demgegenüber wird insbesondere Karl Barth ins Visier genommen (s.u.). 383 Ebd., 142. 384 Max Scheler, Wesen und Formen der Sympathie, 51948, 187. 385 „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975, 267. 386 Eros - Philia - Agape, 1954/55, 151. 387 Vgl. o. unsere eigenen Ergebnisse. 388 Eros - Philia - Agape, 1954/55,147; vgl. Zwei Grundgestalten der Liebe, 1956, 188. 389 Vgl. Emil Brunner, Der Mensch im Widerspruch, 51985, 549ff. 390 S. KD 1/2,410ff. 391 S. in der Tat etwa Ps.41, das Hohelied oder l.Kor.13. Bei Kuhn: Eros - Philia - Agape, 1954/55,148; sowie: Zwei Grundgestalten der Liebe, 1956, 191. 392 Ebd., 184.

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der Liebe faktisch über ihre dynamische Vitalität und geschöpfliche Ganzhaftigkeit. Kuhn sieht in der „innigen Verquickung und wechselseitigen Abhängigkeit von Menschen- und Gottesliebe und beider Bedingtheit durch die vor gängige Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen" das „Kernstück der evangelischen Botschaft".393 Den Gegensatz von Eros und Agape hält er für einen „Scheinwiderspruch",394 der allerdings auf dem seinerseits fragwürdigen Weg einer massiven ethischen Aufwertung des Eros aufgelöst wird.395 Dargestellt als die legitime Bemühung um die „Kontinuität" des eigenen Seins,396 als „Urkraft des Strebens, durch die der Strebende erst wird, was er sein kann", 397 werden unter dem Motto „Liebe will das Gute für das geliebte Wesen" 398 dem Eros bedenkenlos alleredelste altruistische Motive unterstellt.399 „Das leidenschaftliche Sich-selbst-wollen ist zugleich Bereitschaft zu äußerster Selbstpreisgabe und Selbstvergessenheit."400 Indem dem Eros „Opferbereitschaft"401 zugeschrieben wird, reklamiert Kuhn für den Eros freilich genau die Qualität, welche das Neue Testament als eindeutiges Charakteristikum der Agape zuordnet. In der Relativierung des egoistischen Moments erhält die Kuhnsche Sichtweise des Eros somit einen ausgesprochen optimistisch anmutenden Anstrich. So besteht Kuhns gewagtes Unterfangen am Ende darin, die Agape einem moralisch ungebrochenen Erosprinzip von universeller Geltung einzugliedern, welches nach langer geistesgeschichtlicher Deformation wieder auf dem Weg der Genesung gesehen wird.402 Dass hierunter die 393 „Liebe". Geschichte eines Begriffs, 1975,14. 394 Ebd., 26. 395 Darin wiederum überschneidet sich Kuhns Sichtweise nicht nur mit der Barths, sondern auch Warnachs (s.o.). 396 Der Weg vom Bewußtsein zum Sein, 1981, 495ff. 397 Ebd., 27. 398 Ebd., 495. 399 ... diejenigen, die Barth und Warnach wiederum der Agape zuordneten (s.o.). 400 Ebd., 27. 401 Ebd., 496. 402 Nach Ansicht von Kuhn strebt die Liebe bereits bei Madinier und Marcel wiederum der Seinsfrage zu, um bei Max Picard und Jean Guitton wieder in diejenige Kreislauf-Ganzheit zu münden, die bei Picard und Guitton dadurch erreicht wird, dass die Agape als im Eros angelegt verstanden wird (Eros - Philia - Agape, 1954/55, 156f.), das absteigende Element als natürlicher Bestandteil des Erotischen, wie etwa

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theologischen Aspekte der Agape, ihre transzendenten Besonderheiten leiden, liegt auf der Hand. Einem einheitlichen, dennoch umfassenden Liebesbegriff dürfte zuträglicher sein, die Erosbewegung als die im Paradigma der Immanenz tatsächlich moralisch nicht negativ zu konnotierende, vielmehr legitime menschliche Normalanstrengung zu begreifen, die Agape aber als die eigentlich „erotische" Herausforderung über das schwierigste zwischenmenschliche Gut überhaupt zu verfügen - unbeschränktes Erbarmen als die eigentlich ganzheitlich verbindende ontologische Potenz. Dieses Ziel erreicht der Eros als rationales Selbstvollendungsstreben gerade nicht. Die Gottesliebe realisiert solch „egoistisches" Ansinnen dann, wenn wir uns auf ihren Kern konzentrieren und Abstand nehmen auch von ihrer Einebnung in einen undifferenzierten ethischen Liebesbegriff, wie er zwar der deutschen Sprache, nicht aber dem neutestamentlichen Denken gerecht wird. Dieses weiß, warum es nur noch wenig vom Eros, dafür umso mehr von der Liebe Gottes erwartet. Wenn wir sie begreifen als die - mehr denn moralische - Kraft des Absehen-Könnens von der eigenen Vollendung, die doch immer nur eine vermeintliche ist, und darüber hinaus gar als die Kraft der Vergebung auch im Falle massivster Verletzung legitimen Eigeninteresses, erst dann erreicht das Phänomen „Liebe" jene interaktive und integrative Dynamik, nach der der Eros eigentlich verlangt. Erst dann ist dem Sein wirklich „gedient" und dieses in die Lage versetzt, die ihm seinerseits abverlangten Dienste zu erbringen. 403

6.7 Josef Pieper Als erstrangig, obgleich ebenfalls der thomistischen Tradition verpflichtet, muss Josef Piepers Essay „Über die Liebe" genannt werden, 404

auch bei D'Arcy, der meint, der Mensch verfüge gleichermaßen über eine nehmende wie gebende Potenz (ebd., 159f.). 403 Vgl. Heinz-Dietrich Wendland, Ethik des Neuen Testaments, 1978, der in diesem Sinne deutlich macht, dass die neutestamentliche Ethik „die geschichtlich-soziale Wirklichkeit der Gemeinde, der Kirche voraussetzt" (64). 404 In: Lieben, Hoffen, Glauben, 1986,15-189.

Josef Pieper

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dessen Überlegungen vom Gesichtspunkt der Seins-Bejahung aus stärker als diejenigen Kuhns an der Empirie orientiert scheinen. Pieper beschreibt das Fluktuieren des vielschichtigen Begriffs „Liebe" zwischen Vulgarität und Altruismus, innerhalb der Bandbreite also von profaner Unterhaltungsindustrie bis hochvergeistigter Mystik, von philosophischer Pragmatik bis theologischer Gotteslehre, die - wieder einmal - den Verzicht nahe legen möchte, „sich zum Thema Liebe überhaupt zu äußern". 405 Die Armut der deutschen Sprache, die bei diesem Thema nicht wie die klassischen differenziert, begreift Pieper indes als Chance, „das dennoch Einheitliche in allen Gestalten der Liebe nicht aus dem Blick zu lassen".406 Mit Tillich - und uns - anerkennt Pieper, dass die Liebe eine unvollständige Einheit voraussetzt und eine vollständige schafft.407 Pieper versteht das Prinzip der Liebe als „Ur-Akt des Wollens überhaupt", als Gutheißen der geliebten Person, als ihre seinshafte Bejahung.408 Die Liebe sagt: „Es ist gut, daß du existierst; wie wunderbar, daß du da bist!". 409 Im Sinne solcher „existenzsetzenden Kraft, Zuerteilung des 405 Ebd., 21. 406 Ebd., 23. ...wie denn auch der Begriff Amor bei Thomas die sinnliche wie die geistige Dimension umschließt (ebd., 32). Amor ist „nicht anders als das deutsche Wort ,Liebe' der sämtliche Dimensionen einbegreifende Name" (ebd., 33). Pieper verweist darauf, dass im Sinne solcher Bedeutungsbreite die spezifisch christlich verwandte Caritas auch im klassischen Latein, etwa bei Cicero, vorkommt, so dass auch hier gefolgert wird: Die Caritas „begreift ... alle Gestalten menschlicher Liebe in sich ein" (ebd., 184). Tatsächlich heißt auch die neutestamentliche άγάπη in der Vulgata einmal Amor, einmal Caritas, einmal - um den Aspekt der Erwählung zu konnotieren Dilectio, während die Septuaginta mit άγάπη vielfach des hebräische 3ΠΧ übersetzt; s. Gerhard Schneider, „άγάπη", ExWNT, Bd. 1, 1992, 21. Ohne Frage ist auch έρος ein ausgesprochen vielschichtiger Begriff. Im Blick auf Piaton und Sophokles mahnt Pieper, dass hier „die wesentliche Zusammengehörigkeit von Liebe und Freude ... nie mehr vergessen und verloren werden dürfte" (ebd., 34). 407 Ebd., 39; vgl. Paul Tillich, Liebe, Macht, Gerechtigkeit, 3 1982,158. 408 Vgl. u. Pieper hat keine Probleme, hierfür den Theisten Blondel - „Uamour est par excellence ce qui fait etre" (ebd., 50) - wie auch den Atheisten Sartre zu bemühen: „Dies ist in der Freude der Liebe der Kern: wir fühlen uns darin gerechtfertigt, da zu sein" (ebd., 56). Aufgrund der immanenten Gültigkeit des Liebesprinzips, auch da, wo ihr Ursprung geleugnet wird, ist dies tatsächlich unproblematisch. 409 Ebd., 56.; vgl. a.a.O. Gesteigert - wie Pieper vermutet, schon eher übersteigert - wird diese ontologische Sichtweise in Bezug auf das Todesproblem durch Solowjew (s.o.) wie auch durch Marcel, der das Wort wagt: „Einen Menschen lieben heißt sagen: Du wirst nicht sterben" (zit. ebd., 51).

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Lebensrechts, Daseinsermächtigung" 410 nennt Pieper die „creatio" gemäß Gen.1,31 „die äußerste Gestalt der Bejahung, die überhaupt gedacht werden kann". 411 Die „kreatorische Bejahungskraft Gottes" ist nun Grund für uns, auch unserem Mitmenschen zu sagen: „Gut, daß es dich gibt." 412 Darin besteht dessen wie unser eigener „Mut zum Sein": „Wir bejahen bewußt, daß wir bejaht sind." 413 Pieper stellt zutreffend fest, dass im Neuen Testament von der Agape gesprochen wird, „so, als begründe sich durch die Liebe selbst so etwas wie eine neue Personqualität, die Beschaffenheit eben des ,Inder-Liebe-seins', die offenbar wiederum das Weltverhältnis des Menschen von Grund auf bestimmt und auch verändert". 414 Solcher Liebe „Nachvollzug" ist denn auch die menschliche Liebe, die der Autor folglich nicht in Antithese, sondern in Synthese mit der göttlichen verstanden haben will. 415 Der Schöpfungscharakter der Welt prägt somit das gesamte Daseinsgefühl. 416 Liebe ist das „Urgeschenk" schlechthin, 417 jenes Urvertrauen stiftend, ohne welches das Seiende Schaden nimmt an seiner originalen Identität 4 1 8 Auch das Problem der „Bevorzugung" durch die Liebe wird reflektiert und sehr schön gelöst, indem gesagt wird: „Gerade diese ausnahmehafte, einem einzigen Menschen, vor allen anderen, entgegengebrachte Liebe, die uns ganz ausfüllt und, so scheint es, gar keinen Raum läßt für irgendeine Liebe sonst - gerade sie macht offenbar eine Universalität der Bejahung erst möglich, die den Liebenden sagen läßt: Wie wunderbar, daß es dies alles gibt!". 419 Die Liebe - die andererseits auch hassen kann, ja muss, „was die zu verderben droht, die wir lieben" 4 2 0 - öffnet also den Blick für alle Geschöpfe, denen sie gleiches Erleben wünscht und grenzt sich folglich nur ab gegen die Eifersucht, 410 Ebd., 52. 411 Ebd., 53. 412 Ebd., 183. 413 Ebd., 82f., enüehnt bei Tillich, Der Mut zum Sein, 31982, 131. 414 Ebd., 36. 415 Ebd., 54. 416 Ebd., 60ff. 417 Ebd., 63. 418 Vgl. Scheler, a.a.O. 419 Ebd., 90. 420 Ebd., 92.

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die ihrer Sache gerade nicht gewiss ist und in egoistischer Beanspruchung auch nicht gewiss werden kann. Davon frei, um irgendetwas noch selbst ringen zu müssen, ist die Liebe ein generelles „Seinlassen".421 Auch Pieper kritisiert die evangelische Tradition der Diffamierung des Eros in der Nygrenschen Linie.422 In etwa dieselbe Richtung wie bei Kuhn zielt Piepers Kritik an Karl Barth, dem die „Annullierung des Menschen" vorgehalten wird, der, vom Eros als seiner „vorchristlichen" Natur bestimmt, nur als Medium der Liebe Gottes fungiere.423 Der Mensch sei demgegenüber nicht nur „,Kanal' oder ,Leitungsrohr', sondern wahrhaft Subjekt und Person". 424 Auch Pieper zielt auf den Ausgleich der Eros-Agape-Differenz. Der Eros ist hier „naturhafter Impuls, der unmittelbar gegeben ist mit dem schöpfungshaften Wesen des Menschen, mit seiner Kreatürlichkeit".425 Der Mensch kann somit nicht wählen zwischen Eros und Agape. Die Grenze ist fließend,426 eine „reine" selbstlose Agape eine gar nicht wünschenswerte427 Illusion, schon weil alles menschliche Streben immer auch solches nach Glückseligkeit sei, dem „Stern", unter dessen „Regentschaft ... die ganze Konzeption von der Caritas steht". 428 Die Liebe hat denn auch „zur natürlichen Frucht die Freude" 429 und ist in diesem Sinne stets und in jedem Fall auch Selbstliebe.430 Darum ist sie in ihrer erotischagapeischen Synthesis der reale Grund aller weiteren Liebesentfaltung, etwa der Freundschaft.431 Letztendlich ist für Pieper gerade die Integration der so divergent scheinenden Aspekte des Liebesbegriffs „das Entscheidende" - „vom geschlechtlichen Begehren bis zur übernatürli-

421 Ebd., 94. 422 ... wobei überraschenderweise an keiner Stelle auf Victor Warnach Bezug genommen wird. 423 Ebd., 109f. 424 Ebd., 113. 425 Ebd., 116. 426 Ebd., 140. 427 Ebd., 148. 428 Ebd., 184, wie Augustin und auch Thomas dies gelehrt haben; s. a.a.O. 429 Ebd., 118. 430 Ebd., 132. 431 Ebd., 134.

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chen Agape". 4 3 2 In authentischer Liebesgemeinschaft „gibt es keine Trennung von ,Eros' und ,Agape'". 4 3 3 Bemerkenswertes und unverändert Aktuelles finden wir bei Pieper zum Thema Erotik. Dabei wird auf die Gefahr hingewiesen, durch deren Trivialisierung, wie sie durch die sexuelle Revolution eingeläutet worden ist, den Verlust des Erotischen insgesamt kompensieren zu wollen, wodurch am Ende beide Schaden leiden, Eros und Sexus. Als Flucht geradezu vor dem Anspruch des Eros kann das Vehikel Sexualität dienen. 434 Das Leichtmachen des Sexus aber verdirbt dessen Geheimnis und führt zu Enttäuschung, ja zu Lustlosigkeit. 435 Pieper zitiert Walter Schubart: „Wer den Eros ächtet, verfällt dem Sexus" 4 3 6 und plädiert für die Wertschätzung des Eros als die gewissermaßen einende Mitte der Liebesformen. Der Eros hat „mittlerischen Charakter", 437 er erfüllt den Sexus zu seiner umfassenden Qualität 438 und ist selbst offen-

432 Ebd., 148. 433 Ebd. 434 Ebd., 37; ...wie auch schon der verselbständigte Eros sich vor der Agape verbirgt; s. a.a.O. 435 Ebd., 168ff. 436 Ebd., 149f. 437 Ebd., 150. 438 Ebd., 162ff. Auch Anselm Grün, der die Liebe sehr schön unter seelsorgerlichen Aspekten behandelt, dabei allerdings ungenügend zwischen Eros und Agape differenziert, hat diesen Sachverhalt unterstrichen, dass die Sexualität gemeinhin überfordert wird, indem sie als „einziger Ort der Selbsttranszendenz" gesucht wird. Im Haus der Liebe wohnen, 1995, 83. Zweifelsfrei hat im Bereich der „Erotik" der Eros ein besonders ergötzliches Betätigungsfeld, in welchem in der Spannung zwischen Wollen und Haben auch besonders gut seine innere Ambivalenz zum Ausdruck kommt - die Frage also, ob der Eros tatsächlich bekommt, was er begehrt, gerade dann, wenn er es bekommt. Gerade die Erotik lebt vom Reiz der Verheißung, von der Dialektik des Verlockens und Versagens, den zarten Gesten des Verbergens und Entbergens (s. dazu Kierkegaards feinsinnige Analyse sinnlich-erotischen Begehrens in: Entweder - Oder, 7 2003, 57ff.). Bei der bewussten und mehr noch unbewussten Verströmung sinnlicher Reize vollzieht sich das eigentlich Erotische im Modus der Andeutung, ohne dass wir wirklich wissen, was uns erwartet. Das Wünschen, das Erspüren, das Erahnen, das Erhäschen sind es, durch welche das Bekommen erst Bedeutung erhält. Die Neugier bestimmt den Reiz der geschlechtlichen Differenz und will bewahrt bleiben, soll dieser Reiz am Leben erhalten werden, weshalb im Spiel von Andeuten und Abstandhalten, in der Koketterie subtiler Umgarnung die Sehnsucht nach Erotik zugleich auch die nach Verführung und Verführbarkeit ist. Solchen Zauber erotischen Genusses zer-

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zuhalten für das Geheimnis des Göttlichen, das sich anzuverwandeln im Vermögen des Menschen steht.439 Eine Sentenz von C. S. Lewis wird angeführt, der wir uns voll und ganz anschließen: „Eros verspricht etwas, was er selber nicht zu geben vermag." 440 Bei Pieper aber ist es die positive Naturanlage des Menschen, die jenes gibt.441 Andeutungsweise spricht er schließlich von der „Vollendung" des Eros „zur Caritas", die „vielleicht dem Hindurchschreiten durch eine Art Sterben gleicht". 442 Das Entscheidende dieses Vorgangs aber bleibt unausgesagt; unscharf, auf welchem Wege der Mensch das hohe Ziel erreicht, gerade so unscharf die Sache des Evangeliums bleibt. Auch für Pieper gilt das schon mehrfach Gesagte, dass die schöne, einheitliche Konzeption der Liebe nicht wirklich trifft, wie Gott uns geliebt hat und wie er uns beauftragt hat weiterzulieben. Die Exklusivität des genuin christlichen modus operandi geht auch hier unter im

stört allerdings gerade jene Barbarei der prompten Befriedigung, die sich nach ordinären Marktmechanismen - Nachfrage, Lieferung, Effizienz - richtet, statt dem Geheimnis das anderen Seins sich behutsam auch auf Umwegen zu nähern. Die Verfügbarmachung des Erotischen, wie sie auf den Covern der Gossenblätter und in den Schmierformaten des Fernsehens geschieht, ist das Eigentor seiner Sexualisierung und gerade die Vertreibung einer sinnlichen Lebenskunst, die die erotische Leidenschaft des Geistes wandern, suchen und endlich ans Ziel kommen lässt. Das erotische Erlebnis kann gerade nicht beschafft werden. Genau wo dies versucht wird, ist es höchst bedroht, weil sein psychisches Potential in Gefahr ist, dergestalt verdinglicht zu werden, wie Heidegger dies im Blick auf das „Seiende" als „Verwahrlosung" beklagt hat (s. Anm. a.a.O. Illusionslos offengelegt wird das Fiasko erotischen Overkills als Dekadenzerscheinung der sexuellen „Befreiung" in Michel Houellebecqs Elementarteilchen, 1999, wo jene leidenschaftliche Bewegtheit nicht nur des Körpers, sondern ebenso des Geistes, einem sexuellen Pragmatismus gewichen ist, der mit dem Bekenntnis zur Unmöglichkeit echten Einsseins die Desublimierung all dessen, was Liebe und Zärtlichkeit heißt, vollständig besorgt hat. Dass so auch jene Einswerdung perveriert ist, die nach Eph.5,32 ein Sinnbild sein möchte für die noch größere mit Gott, dürfte so evident sein, wie dass wir diesem Bekenntnis widersprechen.). Ihre Enttabuisierung als Konsumgut und erst recht jede Form sexueller Reizüberflutung sind der Tod der Erotik. Sie unterbinden gerade jenen Flug der Phantasie, der an ihr das Erregendste ist, sowie jene tieferen Gefühle und Hoffnungen, die ihre Sinnerfüllung bedeuten. Diesen Aspekt sollte eine als repressiv gescholtene christliche Sexualmoral offensiver als bislang hervorheben. 439 A.a.O., 181ff. 440 Ebd., 152. 441 Ebd., 184. 442 Ebd., 187f.

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Das neuerliche Agape-Problem

Plädoyer für allerlei Wünschenswertes und Menschenmögliches, das gewiss guten Willens, aber keiner Offenbarung bedarf. In der bewusst christlich angelegten, seinsbildenden erotisch-agapeischen Synthesis unter Einbeziehung der Selbstliebe besteht die beeindruckende Stärke der ontologisch ausgreifenden, dennoch stets sachlichen Pieperschen Darstellung. Präzisieren müssen wir diese aber durch die Feststellung, dass die Agape wiederum den Eros hin zu dessen ganzheitlicher Qualität erfüllt, dies aber, indem sie aus der entgegengesetzten Richtung kommt. Die beidseitige Verbindung der Dinge - mit dem Eros und der Agape - darf zweifellos gegenüber jener erosverachtenden Lehre betont werden, die noch immer manch frommes Gemüt beim Anblick des Schönen so reagieren lässt, als habe die Phantasie Gottes Verachtung verdient. Was aber deutlich nur einer Seite zugehört, ist die auch von Pieper unzureichend gewürdigte christliche Vergebung. 443 Als Frucht des Kreuzes Christi ist sie es, die erst ein einheitliches Wirklichkeitsverständnis eben auch dort ermöglicht, wo das Begehren des Attraktiven nicht nur des anderen Geschlechts - zu Leid und Verletzung geführt hat. Gerade weil das gemeinsame Kennzeichen aller Formen der Liebe das „Tendieren auf Einswerdung" 444 ist, braucht es jene von Gott gereichte Vergebung, um solche Tendenz fruchtbar wirksam werden zu lassen. Die Uberschätzung des Sexuellen ist gewiss nichts anderes als das irrige Gefühl des Menschen, zu meinen, hierbei am Ziel seiner Wünsche angekommen zu sein, was aber sowenig der Fall ist wie in den Situationen nicht-sexuellen Eros-Verlangens, auch wenn dieses bei Pieper, an Augustin angelehnt, veredelt wird als die einende anthropologische, letztlich auf Gott ausgerichtete Mitte. Ruhe über seinen eigentlichen Problemen findet der Mensch erst und ausschließlich in derjenigen Agape Gottes, die keinerlei menschlicher Mächtigkeit untersteht, die vielmehr das göttliche Regulativ all solcher bildet. Die „Glückseligkeit ... als die objektive seinshafte Stillung des Willens

443 Immerhin findet die Vergebung am Rande Platz in Piepers Betrachtungen als „einer der Grundakte der Liebe" (ebd., 75) - wohlgemerkt im Plural und ohne dass die Vergebungsbotschaft des Neuen Testamentes gesondert in Augenschein genommen wird. 444 Ebd., 145.

Die christliche Aporie

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durch das bonum universale" 445 ist die vollkommene Zu-sich-selbstFindung, wie der zu allem Mit-Sein in allen Bezügen dessen, was Liebe heißt und Erfüllung verschafft durch die zuvorkommende und in Christus verlässlich nachfolgende Aussage Gottes: „Es ist gut, dass du da bist".

7. Die christliche Aporie 7.1 Das Problem des Konfessionalismus als bleibendes Problem des christlichen Seins / - als bleibende Aufgabe der Agape Speziell bei den zuletzt betrachteten Autoren rückt die Liebe in vielen Punkten nahe an die Gesamtschau des neutestamentlichen Befundes heran, ohne allerdings deren Kernpunkt zu treffen und demzufolge auch ohne dem kardinalen Problem der christlichen Einheit als Primärfrucht vergebender Liebe ausreichend Rechnung zu tragen. Mit dem Ärgernis der christlichen Uneinheit aber besteht der elementare Selbstwiderspruch des Christentums im Verhältnis zu seiner ureigensten Botschaft. Darum ist von der christlichen Kernbotschaft aus das christliche Sein selbst in Ordnung zu bringen, um so die Grundlage christlicher Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, intaktes Sein nach dem Willen Gottes, für das dann auch wieder vermittels der christlichen Verkündigung und des christlichen Zeugnisses wirksam geworben werden darf. Die Untersuchungen haben bis zu diesem Punkt gezeigt, dass der Liebe nicht auf dem Wege der großen konfessionellen Gegensätze - in sakramentalistisch/verbalistischer Einseitigkeit - und auch nicht dem der klassischen Ontologie einschließlich ihrer anthropologischen Aktualisierung vollgültig entsprochen werden kann. Die Sache der Liebe verlangt, wie gerade die jüngeren Autoren gezeigt haben, die Vereinung aller Elemente geschöpflichen Seins, der geistigen, emotionalen, auch der physischen, ohne aber dass dafür der Primat der Agape leiden muss oder ihre klare biblische Interpretation in Abgrenzung - nicht in Verneinung - des Eros. Darum bleibt eine solche Verbindung gewährleistende, spezifisch christliche Liebeslehre weiterhin gefragt. Dem 445 Ebd., 184.

400

Das neuerliche Agape-Problem

Geheimnis ist weiterhin nachzuspüren nach einer Form von Vollständigkeit und Harmonie, die sowenig sie in Gestalt einer sich abschottenden Rechtgläubigen-Gemeinschaft die innere Zusammengehörigkeit mit der Preisgabe christlicher, der Gottesliebe keinesfalls vorzuenthaltender Weltbezogenheit bezahlt, sie in einer säkularisierenden Ausholbewegung die Besonderheit und Exklusivität der spezifisch christlichen Sozialität aufgibt. Das Thema der Fülle der Agape im Bund mit der Heiligkeit Gottes spitzt sich somit zu als die Frage nach der genuinen christlichen Glaubensgemeinschaft.

VII. Ansätze zu einer Lösung des Problems 1. Ecclesia semper reformanda 1.1 Das christliche Spezifikum als Schlüssel zur Wiedergewinnung der christlichen Glaubwürdigkeit / Die Überwindung des Konfessionalismus in der Agape / Vergebung als Problem der christlichen Wahrheit Als herausragende theologische Qualität und ebenso herausragende praktische Dysfunktion hat sich beim Thema Liebe die Fähigkeit herausgestellt, die ungetrübte Verbindung von Personen zu wahren, dort wo die Liebe schwerwiegende Schäden erlitten hat, - Vergebung also zu praktizieren, wie Gott in Jesus vergeben hat, was sich uns als das biblisch-neutestamentliche Kernelement der Agape empfohlen hat. Damit ist die Aufgabenstellung der Liebe als eine gemeinschaftliche benannt, die in ihrer pneumatisch-ekklesialen Konkretion wesentlich zur christologischen Identität und Vollgestaltigkeit des neuen Seins Gottes beitragen möchte. Insofern haben wir das Problem der Liebe auch in kirchenhistorischer Hinsicht zu würdigen, in welcher die ungenügende Einheit auf die Gottesliebe sich berufender Personen als ein, wenn nicht das christliche Zentraldefizit jedermann geläufig ist. Die heute gern als Ausdruck der göttlichen Vielfalt - gar des Leibes Christi - beschönigte konfessionelle Vielgestaltigkeit ist nachweislich nichts anderes als der geschichtliche Ausdruck solchen Scheiterns der Liebe in den Fällen, wo Differenzen gerade nicht in Anwendung der Macht der Agape überwunden wurden, sondern Eigensinn und Unversöhnlichkeit zur Auflösung der christlichen Einheit geführt haben,1 zu einer Pluralität, die analog derjenigen säkularer Neigungsgemeinschaften das - um des Evangeliums willen verbindliche - biblische Vorbild 1

Deutlich sagt dies auch Lukas Vischer: „Die Spaltung ist weitgehend durch Irrtum und Versagen zustandegekommen" („Das Ereignis der Reformation" in: Gottes Bund gemeinsam bezeugen, 1992, 84).

402

Ansätze zu einer Lösung des Problems

innigster Lebensgemeinschaft von ihrer natürlichen Neigung her unüberbrückbar divergierender Individuen preisgegeben hat. Noch ist diese tiefe innere Aporie des Christentums nicht gänzlich aus dem theologischen Bewusstsein verschwunden und der Gleichgültigkeit bzw. prinzipieller Verkehrung anheimgefallen, wenngleich alles dahin deutet. Noch besteht ein schwach glimmendes Restbedürfnis nach originaler Einheit, die diesen Namen in Erfahrung der verbindenden Kraft des Kreuzes Christi verdient, weshalb das Schlusskapitel unserer Untersuchung der Frage gewidmet sein muss, wie solche Einheit als korporatives ontologisches Ziel der Agape bewerkstelligt werden kann. Art und Umfang der Schäden, die im an sich legitimen Ringen um christliche Sachfragen entstanden sind, bestimmen dabei Art und Umfang unserer Erwartungshaltung. Wenn das Ärgernis der Spaltung irgend nachhaltig überwunden werden kann, dann durch die christliche Agape als der göttlichen Einungsstrategie. Und wenn die Agape auf die Überwindung einer Sache drängt, dann auf die der nichtchristlichen Spaltung als der Selbstverstümmelung des christlichen Seins. Wir haben von daher die Frage neu zu belichten, wie innerhalb der christlichen Gemeinde mit Erkenntnisunterschieden, die solche Spaltungen immer wieder begründen möchten, umzugehen sei - nicht mit der erschlagenden Vorgabe unserer vermeintlichen Wahrheiten, sondern der Liebe Gottes, in der Hoffnung, dass jene selbst unsere Ansichten zu etwas wie einer gemeinsamen Einsicht zu verbinden vermag. Das wohl enervierendste Thema der Theologie könnte dasjenige sein, das von ihrem Glanzlicht am meisten profitieren kann. Unsere These ist vor dem Hintergrund des Gesagten eine äußerst unkomplizierte: Ist die Liebe tatsächlich das primäre christliche Gut, darf es keine Spaltung aufgrund von Lehrfragen geben, soll das Sein als christliches bewahrt bleiben. Das bedeutet freilich nicht, dass unvermeidliche Erkenntnisunterschiede ignoriert werden sollten oder dauerhaft auch nur könnten. Selbstverständlich würden sie in dem Fall über kurz oder lang wieder aufbrechen. Entscheidend aber ist, daran festzuhalten, dass das Kreuz Christi die Macht hat, trotz aller disparaten Sichtweisen die Einheit der neutestamentlich-ontologischen Konzeption Gottes zu gewährleisten, die Einheit des „Leibes", es sei denn, es steht das Kriterium der Offenbarung Jesu Christi selbst auf dem Spiel

Das christliche Spezifikum als Schlüssel

403

(l.Joh.4,2). 2 Dann aber handelt es sich nicht um einen christlichen, sondern um einen apologetischen bzw. missionarischen Diskurs. Die entscheidende Sachfrage der Kirche ist die der heilsamen Gegenwart Christi selbst, an deren Ermöglichung jegliche Lehre auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu messen ist. Ist diese Gegenwart des Göttlichen aber als die Agape Gottes in der gezeigten Weise an die christliche Einheit geknüpft, ist evident, dass diese höher anzusiedeln ist als jedweder Lehrdissens. Aus diesem Grund mahnt Paulus so eindringlich um eben Christi willen diese Einheit zu wahren (1.Kor.1,10-13). Darum haben wir den Umstand betont, dass wenn es im Umfeld der biblischen Gemeinde - etwa in Korinth - zu Spannungen kommt, so doch nicht zu einem Nebeneinander verschiedener Kirchen, zu Spaltung also. Vielmehr können wir in puncto Einheit von einem intakten, verbindlichen biblischen Muster sprechen, an dem wir uns - vornehmlich als Protestanten - zu orientieren haben.3 Die Konfliktsituationen der Gemeinden des Neuen Testaments sind nicht zu vergleichen mit der nachbiblischen Situation eines organisierten Konfessionalismus, der theologisch nur legitimierbar ist auf der Grundlage der irrigen Scheidung von christlicher Liebe und christlicher Wahrheit. Um deren Einheit willen ist die in Christus geschenkte Einheit der Gläubigen eine Verpflichtung, aus der sie in keinem Fall entlassen sind.4 Erich Geldbach ist gewiss zuzustimmen: „Das ökumenische Fixiertsein auf Kirche und ihre Strukturen hat das eigentliche Thema der Kirchen - das Heil Gottes in Jesus Christus seit Jahren in den Hintergrund der ökumenischen Debatte treten las-

2

S. dazu Christian Link; Ulrich Luz; Lukas Vischer, Sie aber hielten fest an der Gemeinschaft, 1988, 195ff. Gut reflektiert ist hier das Problem der verkürzenden Vereinnahmung der Christuswirklichkeit auf dem Wege der traditionellen Bekenntnisbildung und der schon an diesem Punkt entstehenden Spaltungen. - Ein ohne Frage gewichtiges Problem, zu entscheiden, an welchem Punkt „Christus, im Fleisch gekommen" geleugnet ist, zugespitzt in der Frage, wer denn darüber entscheidet? Indem in die Liste suspekter Vorstellungen generell auch solche aufgenommen würden, die den im „Fleisch" seiner Kirche bestehenden Christus beschädigen, dürfte gerade von dem Kriterium der Einheit aus hier aber eine neue Dimension aufgetan sein. Rationalistischer Kurzsichtigkeit wäre zudem abträglich, die christliche Taufe als einen bewussten Seins-Wechsel neu zu gewichten - als ein echtes, ganzhaftes Lebensbekenntnis, demgegenüber das verbale als nachrangig zu begreifen wäre und wie jedes intellektuelle Produkt grundsätzlich falsibel.

3

S. Anm. a.a.O.

4

S. Franz Annen in: Neue ökumenische Eiszeit (Hg. Hans Halter), 1989, 32.

404

Ansätze zu einer Lösung des Problems

sen." 5 Aber gerade um des Heils Gottes willen muss die heilsfördernde Formation des Leibes Christi mit bedacht werden und kann sich keinesfalls begnügen mit „eucharistischer Gastfreundschaft". 6 Die Bereitschaft, den andersdenkenden Bruder - in jedem Fall - „in Demut höher zu achten als sich selbst" (Phil.2,3), ist der biblische Garant der Einheit in jeder innerchristlichen Konfliktsituation, die gleichzeitig Gott zutraut, einen womöglich einstweilen gar nicht klärbaren Dissens zu seiner Zeit selbst zu lösen. Eine solche Haltung7 ist gewissermaßen vorauslaufende Vergebungspraxis, die vorbeugend die Verletzung der Liebe verhindert einschließlich jener brutalsten Form, die dem anderen erklärt, mit ihm aufgrund seiner abweichenden Sichtoder Handlungsweise nichts mehr zu tun haben zu wollen. Die diesem Schritt üblicherweise vorgeschalteten Phasen der Erbitterung und der gegenseitigen Vorwürfe mitgerechnet, haben wir es mit drei Ebenen der Liebesverletzung zu tun: der inwendigen, der im Konflikt ausgeübten und derjenigen, die als Folge der ersten den anderen verlässt, wobei im unseligsten Fall das Verlassen auch ohne eine Auseinandersetzung und damit überhaupt der Möglichkeit einer Bereinigung stattfindet. Dabei werden wir nicht im Unklaren darüber belassen, dass bereits in der Verletzung der Liebesgesinnung der Grund der dann schließlich auch äußeren Verfehlung gelegt ist (Mt.5,22.28), weshalb wir gemahnt werden, in unseren Herzen bereits keinen Ärger entstehen zu lassen (Jak.3,14ff.). Umso deutlicher macht dieses Niveau des Anspruchs Gottes, wie wenig wir auf eigene, innere Potentiale vertrauen dürfen, sondern wie sehr wir gerade hinsichtlich der Unwägbarkeiten unserer eigenen Seele (vgl. Mk.7,21-23) auf die Regulierung durch eine außerhalb unserer selbst befindlichen Macht gewiesen sind. Auf der letzten der drei genannten Ebenen erst ist das Desaster des Beisammen-Seins vollendet,8 die erwartende, von dem anderen ein bestimmtes individu-

5

Erich Geldbach, Ökumene in Gegensätzen, 1987,125.

6

Ebd., 121.

7

S. dazu die schöne Passage „Wie also sollen wir miteinander umgehen?" in dem ökumenisch überaus erfrischenden Buch von Jörg Zink: Die eine Kirche, wann endlich?, 2002, 157f.

8

...unbeschadet freilich der Tatsache, dass es auch Situationen gibt, in denen ein schiedlich-friedliches Auseinandergehen sinnvoll ist. Wir denken an Abraham und Lot (Gen.13,8-12), weniger an die Situation zwischen Paulus und Barnabas im Zwist

Das christliche Spezifikum als Schlüssel

405

elles So-Sein verlangende Liebe gescheitert. Nicht so die Agape als die barmherzige, den anderen gerade in seinem Anders-Sein achtende Liebe, die in der Lage ist, die unerwünschten Eigenarten innerhalb des übergreifenden Vorsatzes Gottes zu sehen. In Falle eingetretener Liebesverletzung ergreift sie als die aktive christliche Vergebungstat, durch welche die Vergebungsgesinnung demonstrativen Ausdruck erhält, den Charakter einer versöhnungsbesiegelnden Handreichung. Indem so unter der Einwirkung der Vorleistung Jesu Christi auch gravierendste Seins-Brüche geheilt werden können, erweist das christliche Essential sich auch als das fundamentalontologische. Solche Vergebung ist, was das im Konfliktfall AuseinanderdriftenWollende allen natürlichen Kräften zum Trotz zusammenhält, ja sogar wieder zusammenbringt. Darin besteht die praktische Bewährungsprobe des christlichen Seins. Gelingt diese, gelingt tatsächlich das „Unmögliche", der Sieg über die Härtigkeit des menschlichen Herzens, die Durchbrechung der Immanenzstruktur der menschlichen Seele und mit diesem Durchbruch das Wunder geglückten, an Konfliktsituationen reifenden, sich nicht entfremdenden und schließlich zerbrechenden Miteinanders: das Wunder der Liebe. Die Kraft zu solcher Vergebung ist die mächtigste überhaupt, ist sie doch die Kraft des Kreuzes, das restlos alles „vollbracht" (Joh.19,20) hat, wozu Menschen außerstande sind. Darum wird dieses, so wir denn ernsthaft an der Erfahrnis der Liebe Gottes interessiert sind, wieder so gepredigt werden müssen, dass es bewirkt, wozu es errichtet wurde. Darum wird auch die Liebe Gottes selbst in ihrer Seinsmächtigkeit neu gewürdigt werden müssen und ihren gebührenden Rang zurückerhalten, den sie im Neuen Testament besitzt. Die Agape, die im Kreuz zum Ausdruck kommt, ist nicht nur der rechte biblische Zentralbegriff, sie ist der wahre Schatz des Christentums, der dieses weit überlegen macht über alle auf verabredeten Arrangements beruhenden Sozialstrukturen. Anhand der Agape ist darum zu jederzeit die Erneuerung von Kirche und Gottesvolk auszurichten und tatkräftig in Angriff zu nehmen - allemal solange diese in ihrem organisatorischen Sein ihren pneumatischen Möglichkeiten widersprechen. Vor dem Heilsplan Gottes und seiner gloriosen um Johannes Markus (Apg.15, 36-40), die wohl erst später dem Evangelium gemäß geregelt wurde (vgl. Kol.4,10).

406

Ansätze zu einer Lösung des Problems

Mitte kann ein solcher Zustand nur als Provisorium gelten. Die christliche Botschaft enthält unmissverständliche ontologische Implikationen, die ihrer Verifikation harren - nicht deshalb, weil solche Verifikation nicht gelingen könnte, sondern weil die Kirche mit ihren eigenen Möglichkeiten nicht ernst genug macht. Ihr Sein ist auch heute kein unveränderliches, sondern eines, das vom biblischen Wort aus zu jederzeit umso mehr der Veränderung bedarf, je aussichtsloser ein solches Unterfangen scheint. Gerade angesichts der Tendenz, sich gar mit dem Konfessionalismus als der „christlichen" Variante der Christuszertrennung zu arrangieren, ist das semper reformanda angesagter denn je. 1.2 Der Konfessionalismus als Ausdruck des Scheiterns der Reformation9 / Die Notwendigkeit ekklesialer Komplettierung des Evangeliums / Die bleibende Aufgabe reformatorischer Vollendung Ist die Einheit des christlichen Seins dessen Essential, stehen wir vor der brisanten Frage nach dem realexistierenden Sein von Kirchengebilden, die dieses Merkmals entbehren. Wir wären inkonsequent, würden wir bei unseren ontologischen Folgerungen der Frage nach dem Sein der ekklesia ausweichen. Wir sagen es darum deutlich: Gerade deren Sein ist in zertrennter Form Un-Sein und vor dem Anspruch des Evangeliums Un-Sinn, denn der Glaubensgemeinschaft ist in Form des Evangeliums jeglicher Boden natürlicher Rechtfertigungen des Getrennt-Seins entzogen. Eine in Absichts- und Konsenserklärungen konstatierte Einheit, die keinen Ausdruck findet in einer gemeinsamen Nachfolgepraxis, kann nur als platonisches Konstrukt gelten. Die Einheit muss, wie wir gesehen haben, in ihrer konkreten, biblischlebensgemeinschaftlichen Gestalt begriffen werden als das christliche Spezifikum, ohne welches folglich kein Christliches, kein Christentum ist, damit eben auch keine ihrem pneumatischen Sein entsprechende christliche Kirche. Zudem steht auch in lehrmäßiger Hinsicht die neutestamentliche Auffassung von Gemeinde unter dem Grundsatz, dass „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe" ist (Eph.4,5). Wir müssen uns von daher entscheiden, ob wir die biblische Ekklesiologie bejahen oder die

9

S. Wolfhart Pannenberg, Reformation und Einheit der Kirche (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 254-267.

Der Konfessionalismus als Ausdruck des Scheitems

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bestehenden Kirchen als gespaltene. 10 Um nichts weniger, als dass die Kirche wieder eine mit sich selbst identische werde, geht es beim Bemühen um die Ökumene, in welche die ontologische Frage christlich einmündet. Die ökumenische Frage ist in ihrem Kern nicht die Frage nach der Einheit, sondern die nach dem Sein der Kirche. Die Frage ist nicht, wie die Kirche eins wird, sondern wie die gespaltene Christenheit Kirche wird, Kirche des lebendigen Gottes. Ist die Kirche aber nur in Einheit Kirche, dann ist sie solche nur als transkonfessionelle, als ebenso evangelische wie katholische. Die Kirche ist zu realer, nicht imaginärer Einheit verpflichtet um der Seinswahrheit des Werkes Gottes willen. Auf diesem Weg nur erreicht die Kirche ihr geistliches Vollmaß. Die Einheit der Kirche bezeugt die Wirkkraft Gottes (l.Kor,12,4ff.) im Sinne der Erkenntnis und der Wirklichkeit geglückter Seinsvielfalt zum Wohl der ganzen Schöpfung. Diesem Anspruch wird die reale Uneinigkeit konfessionellen Kirchentums nicht gerecht - zum Schaden für die Welt wie auch zum eigenen.11 Der Konfessionalismus verletzt den Primat der durch die Liebe 10

Im Votum für die Letzteren wurde denn auch in der Vergangenheit die biblische Ekklesiologie reichlich strapaziert; s. die einschlägigen Einlassungen von Bonhoeffer, Barth, Brunner über Kinder, Kreck, Schlink bis zu Moltmann, a.a.O. Dem biblischen Realismus näher steht an diesem Punkt Pannenberg, dessen Sichtweise noch in Augenschein zu nehmen sein wird.

11

Am deutlichsten in der Formulierung scheint mir hier Trillhaas, der von der „Wunde der konfessionellen Trennung" als „Schädigung und Schande für den Namen Christi" spricht (Dogmatik, 1962, 551), der es aber ablehnt, in Bezug auf die Verantwortung solcher von persönlicher Schuld zu sprechen. Bezüglich dieser sehr verbreiteten Sichtweise sollten wir uns vom AT her allerdings dahingehend belehren lassen, dass Gott nicht nur die Initiatoren des Versagens seines Volkes zur Verantwortung zieht, sondern auch die deren Tradition Konservierenden (Ex.20,5). Diese Verantwortung aktiv wahrzunehmen mahnt hingegen Althaus an, den „Kampf" aufzunehmen mit der Sünde und Krankheit des Kirchentums, welches er mit der eigentlichen „Kirche" kontrastiert (Die christliche Wahrheit, 51959, 526), um dennoch zu meinen, diese sei nur „paradox" Kirche Christi (527). Die Inkonsistenzen im Bereich der evangelischen Ekklesiologie sind gewiss eine eigene Arbeit wert. Sie sind sowenig geeignet, den gesunden Menschenverstand zu überzeugen wie Engagement oder gar Begeisterung für die Sache der christlichen Kirche zu wecken. Deren fortschreitende Entleerung hängt somit nicht nur zusammen mit der liberalistischsäkularistischen Verkündigung in Sachen zentraler christlicher Artikel, sondern ebenso mit der fehlenden Sicht für die eigene Sozialität als einer echten Gegenkultur. Dem theologischen Säurebad korrespondiert eine nicht weniger betrübliche ekklesiologische Depression, deren lehrhafte Untermauerung - bislang zu leise - nach ei-

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Ansätze zu einer Lösung des Problems

geschaffenen Schöpfungsintegrität.12 Längst ist offenkundig, dass im Dienste einer gesamtbiblischen Systematik die Einseitigkeiten der Bekenntnisse nach Überwindung rufen, so dass rechte, ausgewogene Lehre gerade in der Kernfrage der Liebe als das zu stehen kommt, was sie schon immer sein sollte - Glaubensreflexion der Una Sancta. Vollständige Lehre braucht eine vollständige Kirche, gerade wie eine vollständige Kirche vollständiger Lehre bedarf. Darum ist die Liebe - die praktizierte Liebe - gerade das Geeignete, beides zu ermöglichen.13 Nichts anderes gilt hinsichtlich der jeweiligen Frömmigkeitsstile sowie klarer Positionen einem zunehmend entchristlichten Umfeld gegenüber. Die gespaltene Gemeinde ist die orientierungslose Gemeinde. Soviele Spaltungen, soviele Theologien, soviele gelehrte und auch gelebte Widersprüche, die ihrer pneumatischen Synthese und Bereinigung harren. Der Schaden der Spaltung schreit nach dem heilsschaffenden Wirken Gottes im eigenen Haus. Darum ist die Kirche selbst es, die das Evangelium für sich neu in Anspruch nehmen muss und darf, bevor sie sich womöglich dereinst wieder anschickt, den Mut zu fassen, solches auch wieder klar und kompromisslos zu predigen. Das Gottesvolk wird in jeder Phase seiner Geschichte vom Kreuzesgeschehen her definiert.14 Das Kreuz aber dient nicht, wie häufig bemüht, der Erkläner Art Tempelreinigung ruft, einem von den bisherigen Fehlleistungen und Illusionen befreienden Erlebnis, wie es einst in seinem Turm dem Reformator in Bezug auf die Erlösungslehre beschieden war. Wenn Gott in Ergänzung dieser einstmals noch volle biblische Klarheit in Bezug auf das intakte Sein der Gemeinschaft seiner Erlösten schenkt, wird tatsächlich von „Reformation" gesprochen werden können mit allen Konsequenzen für die missionarische Glaubhaftigkeit wie für die Bodenhaftung der christlichen Soteriologie. 12

Dies hat scharfsinnig C. S. Peirce erkannt, der in diesem Sinne den Konfessionalismus als „unmoralisch" brandmarkt und meint, „eine kleine, exclusive Kirche" sei „fast schlimmer ist als keine"; Religionsphilosophische Schriften, 1995, 215. Besonders pikant und in ihrer Konsequenz überaus bedenkenswert ist auch Peirce' Bemerkung, wenn in den Glaubensbekenntnissen eine Bestimmung der Liebe aufgenommen worden wäre, diese nicht dazu hätten dienen können, irgendjemand zu verdammen (253).

13

Darum gilt auch das klare Wort von Udo Kern: „Christliche Gemeinde ist also in ihrer Authentizität und Legitimität nur dann als solche anzusehen, wenn sie liebende Gemeinde ist." Liebe als Erkenntnis und Konstruktion von Wirklichkeit, 2001, 120.

14

...was bedeutet, dass seine bloß sozialwissenschaftliche Analyse wie bei Scheler (Vom Ewigen im Menschen, Ges. Werke 5, 4 1954) oder - noch erheblich flacher - bei

Der Konfessionalismus als Schuld

409

rung der christlichen Zerrissenheit, sondern deren Beendigung.15 Christus leidet nicht mit uns an der Sünde der Spaltung seines Leibes, sondern hat deren Beseitigung ermöglicht! Darum ist der Triumph der Gnade kein Triumphalismus, sondern christliche Normalität. Was an dieser Stelle hilfreich sein sollte, wäre, anstelle vom Problem des Konfessionalismus16 ungeschönt von der Sünde des Konfessionalismus zu sprechen und seine prinzipielle Unvereinbarkeit mit dem Charakter des Reiches Gottes anzuerkennen. Was Not tut, ist dass wir auch strukturelle Sünde, als solche wahrnehmen und uns für die Verfehlungen nicht nur des persönlichen, sondern auch des kirchlichen Seins in die Verantwortung nehmen lassen.17 Karl Barth war es, der mit großartiger Klarheit betont hat, dass mit der Spaltung der Kirche genauso umzugehen sei wie mit sonstiger Sünde.18 Jene Einsicht, auf Luhmann (Die Religion der Gesellschaft, 2000) nicht nur unzureichend, sondern prinzipiell ungeeignet ist. 15

An dieser Stelle gegen Ulrich Körtner, der wohl für eine Ökumene im Zeichen des Kreuzes plädiert in: Versöhnte Verschiedenheit, 1998, 93ff., gleichwohl aber meint, dass die Kirche „als ein Stück weltlicher Wirklichkeit... an deren Antagonismen und ihrer inneren Zerrissenheit" partizipieren müsse. Die historisch gewachsenen konfessionellen Resultate „schuldhafte(r) Trennung" werden anzuerkennen empfohlen mit dem Ziel der „Ermöglichung von Interkommunion". Damit ist gewiss ein realistisches ökumenisches Ziel ins Auge gefasst, nicht aber jene Form christlicher Gemeinschaft, die das Herrenmahl tatsächlich ausdrücken will (s. a.a.O.).

16

Vgl. Paul Althaus, Die christliche Wahrheit, 51959, 263.

17

Vgl. Kurt Koch, Gelähmte Ökumene, 1991, 34. Der Autor, der sich katholischerseits als Akt bewusster Wahrnehmung und im Willen zur Uberwindung der Kirchenspaltung (wie Geldbach) für „eucharistische Gastfreundschaft" ausspricht (234), beklagt in klaren, leidenschaftlichen Worten die „zutiefst anormale Lebenssituation der gegenwärtigen Christenheit", der ein wechselseitiges Schuldbekenntnis und Trauerarbeit ans Herz gelegt wird angesichts einer „Katastrophe der Christentumsgeschichte" (34). Erfreulich, weil viel zu selten gesehen und benannt, ist bei Koch auch die Forderung, „die in Christus begründete Einheit der Kirche ... sichtbar und im alltäglichen Leben der Kirchen verbindlich zu machen", was als Bedingung für die Mahlgemeinschaft angeführt wird: „Man kann nun einmal das eucharistische Brot nicht miteinander teilen, wenn man nicht dazu bereit ist, auch das tägliche Brot des Lebens und Uberlebens miteinander zu teilen" (234). Diese Forderung stellt freilich nicht nur an eine interkonfessionelle Mahlpraxis Fragen. Vgl. auch Jürgen Roloff, Heil als Gemeinschaft. Kommunikative Faktoren im urchristlichen Herrenmahl (Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze, 1990), 171-200.

18

In: Die Kirche und die Kirchen, 1935, 9-10; vgl. KD IV/1, 754, wo Barth die Kirchenspaltung als „ein finsteres Rätsel, ein Skandal" bezeichnet. S. auch Hans Joachim Kraus, Heiliger Geist, 1986, 104: „Die Vielfalt der christlichen Konfessionen ist ein

410

Ansätze zu einer Lösung des Problems

breiter Front durchgedrungen, wäre der erste und gewiss auch der entscheidende Schritt zur Besserung des christlichen Seins. 1.3 Exkurs: Zu Pannenbergs Konzeption des Antizipatorischen An dieser Stelle einmal ähnlich wie Karl Barth 19 sieht Pannenberg die Kirche als „antizipatorisches Zeichen" der künftigen Gemeinschaft im Reich Gottes. 20 Bemerkenswert ist Pannenbergs Feststellung einer „unvollendeten" Reformation bis zur Erreichung der kirchlichen „Einheit aus dem Evangelium in einer wahrhaft katholischen Kirche". 21 Bis dahin sei ihre „Zerrissenheit ein Spiegel der Spaltungen der Welt", die Kirche folglich nicht Kirche „im vollen Sinn". 22 Zwischen ökumenischem Pathos und theologischer Reserviertheit bei der Bestimmung des kirchlichen Seins befindet die Theologie Pannenbergs sich allerdings in einem merkwürdigen Zwiespalt. Pannenbergs Kirchenverständnis zeichnet sich aus durch die dynamische pneumatologisch-christologische Anlage, 23 welche die Herrschaft Christi darin bekundet, „daß er als der eine Sohn und Messias alle Glaubenden zur Einheit mit ihm selber und so auch untereinander zur Gemeinschaft der Kirche verbindet". 24 Solcher Vorgabe entspricht die Kirche, indem ihre „authentische Spiritualität" 25 die Wirklichkeit des neuschaffenden, lebensstiftenden Wirkens Gottes wiedergibt. „Als Geschöpf des Geistes und des Sohnes zugleich" 26 ist sie gewürdigt, die Evangeliumsbotschaft in ihren Reichunerträglicher Skandal, eine Zerreißung des Leibes Christi und Sünde gegen den Heiligen Geist"; im gleichen Sinne auch Wolfhart Pannenberg (a.a.O.) sowie Walter Kasper, der sagt: „Alle Spaltungen der Kirche sind ... letztlich ein Widerspruch gegen den Willen Gottes und die Wirklichkeit Jesu Christi; sie sind Ärgernis und Sünde. Sie verdunkeln zudem das Erscheinungsbild der Kirche nach außen und versagen der Welt den Dienst der Einheit, des Friedens und der Versöhnung, welcher der Kirche aufgetragen ist." Die Kirche als Sakrament der Einheit, 1987, 3. 19

S. KD IV/2, 742.

20

Pannenberg, ST 3,1993,44ff., vgl. Anm. a.a.O.

21

Ders., Einheit der Kirche und Einheit der Menschheit (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 320.

22

Ebd.

23

A.a.O., 16ff.

24

Ebd., 30.

25

Ebd.

26

Ebd., 31.

Pannenbergs „Antizipatorisches"

411

Gottes-bildenden Auswirkungen zu transportieren, das Rechtfertigungsgeschehen als empirisch verifizierbaren Prozess, untermauert durch ihr neues Sein, so dass sie gar als „Heilsmysterium in Christus" behandelt wird. 27 Der eschatologische Vorbehalt, unter den ein solcher Anspruch gestellt wird, 28 relativiert nun allerdings deutlich, was man an jetzt schon ermöglichter Heilswirklichkeit erwarten möchte. Wie wenig davon Pannenberg in kirchlicher Gestalt für möglich hält, wird schon deutlich, wenn gesagt wird, dass zwischen ihr und der Sache des kommenden Reiches Gottes keine Identität „oder auch nur ... Teilidentität" bestehe, die Kirche „nicht einmal als die unvollständige Anfangsgestalt des Reiches Gottes aufzufassen" sei.29 So ist es denn auch im Blick auf die Frage der Einheit nicht so, dass wir uns diese in naiver Weise als Überwindung der Denominationen hin zu einer gemeinsamen Verfasstheit, Lehre und Liturgie vorstellen dürften. Denn: „Die Kirche ist als Leib Christi nur Zeichen der künftigen Gemeinschaft im Reiche Gottes, und sie ist Werkzeug für die Einheit der Menschen mit Gott und untereinander nur durch ihre Zeichenfunktion, nicht im Sinne der Herstellung des Reiches Gottes, also nicht als ,Werkzeug, mittels dessen es in der Geschichte der Menschen Wirklichkeit werden soll'".30 Pannenberg verwahrt sich entschieden hiergegen mit dem erstaunlichen Hinweis darauf, eine solche Kirche „würde zum Trauma aller nicht-christlichen Weltanschauungen und Religionen werden". 31 Warum gerade eine solche, die unterschiedlichen Frömmigkeitsformen und Auffassungen zueinanderbringende Kirche sich durch „Uniformität" und „repressive Begleiterscheinungen" auszeichnen sollte,32 erscheint uns allerdings schleierhaft. Sind denn Monotonie und autoritäres Gebaren nicht die folgerichtigen Begleiterscheinungen von Gruppenbil-

27

Ebd., 51-62.

28 29

Ebd., 19. Ebd., 42.

30

So gegen Leonardo Boff, ebd., 61. Wie anders - und paulinischer - hatte sich da doch Eduard Schweizer über die Gemeinde geäußert: „Gerade als Leib Christi wächst sie in die Welt hinein, durchdringt sie, und in ihr durchdringt Christus selbst den Kosmos." „σώμα", ThWNT, Bd. 7,1964,1079. Wolfhart Pannenberg, Einheit der Kirche und Einheit der Menschheit (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 321. Ebd.

31 32

412

Ansätze zu einer Lösung des Problems

düngen Gleichdenkender? Eine unierte Kirche muss gerade keine uniforme sein, wenn sie versteht nach neutestamentlichem Muster die Gabenvielfalt zu kombinieren, verschiedenartige Charaktere und Prägungen fruchtbar in Beziehung zu setzen. Sie ist vielmehr so und nicht anders denn auch Zeichen für die Einheit der Menschheit, die doch gerade vor diesem Problem steht und ihrerseits in dessen legalistischer Bewältigung das repressive Element nicht verhindern kann. Außerordentlich problematisch erscheint uns von daher Pannenbergs Einschätzung, der zufolge umfassende „Gerechtigkeit" das Reich Gottes auszeichnet.33 Das Reich Gottes ist nach Pannenberg vom Gottesrecht - nicht also von der Liebe - bestimmt.34 In ihm geschehe die Verwirklichung des suum cuique.35 In diesem Sinne sei die Gemeinde „Modell des Gottesreichs", „gegenseitige Anerkennung und Solidarität" praktizierend.36 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Kirche auch als Antizipation des Reiches Gottes in jedem Fall mehr ist als ein vorgestelltes weltliches, so sehr das Prinzip der Vergebung immer größer ist als das des suum cuique! Der prinzipielle, qualitative Unterschied von Gottes- und Menschenreich wird bei Pannenberg offenbar verkannt bzw. ist einem graduellen Unterschied gewichen, der einen sukzessiven Übergang möglich erscheinen lässt.37 33

Indem Pannenberg nicht von dem biblischen Konzept einer in Einheit bestehenden Vielfalt her denkt, sondern von dem säkularen Ideal einer in Vielfalt bestehenden Einheit, muss er denn auch zu einer juridischen Perspektive gelangen. Eine in entgrenzter Vielfalt erstrebte Einheit wird immer eine rechtlich garantierte sein müssen. Das heißt, gerade hier ist es ein Zwang, der das Gemeinwesen aufrechterhält und der die Entfaltung des Individuellen beschränkt. Wenn hingegen die Vielfalt in einer Einheit gesucht wird, von der klar ist, dass sie gerade keine reglementierte sein soll, kommt hinsichtlich der Frage, worauf diese Einheit sich denn gründen soll, überhaupt nur die Liebe ernstlich in Betracht. Zur breiten Palette aktueller theologischer Fassungen des Einheit-Vielfalt-Themas s. Joachim Mehlhausen (Hg.) in: Pluralismus und Identität, 1995.

34

Pannenberg erwähnt zwar, dass das Recht Gottes „durch Liebe vollendet ist" (a.a.O., 630); was dies aber bedeutet, bleibt unausgeführt.

35

Ebd.

36

Ebd., 628.

37

Beider bleibende Heteromorphie hat besonders einprägsam wiederum H. J. Kraus formuliert: „Die ekklesia ist die klassenlose Gesellschaft, die das neue Leben in einem neuen Zusammenleben freier Brüderlichkeit unter den Bedingungen ihrer Zeit zu verwirklichen anfängt. Gewaltlos leidend und Frieden stiftend hebt sich diese neue Gruppe von ihrer in Gewaltherrschaft und Kriegen existierenden Umwelt ab,

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413

Diese, nicht eben euphorisierende Perspektive des Gottesheils erreicht nach Pannenberg ihre maximale kirchliche Gegenwart im gemeinsamen Abendmahl, mit welchem die „Heilszukunft des Reiches Gottes ... bereits gegenwärtig wirksam" ist und von wo als Zentrum der gottesdienstlichen Versammlung aus diese auch in die Welt hinein wirkt.38 Auch hier aber bewegt sich Pannenbergs Lehre unterhalb des biblischen Anspruchs und scheint ebenso unstimmig wie die gleichzeitige Betonung und Untersagung der geschichtlichen Komponente, drückt doch das Abendmahl genau das aus, was auch nach Pannenberg dem Volk Gottes sträflich ermangelt - seine Einheit. So gesehen ist die Kirche in ihrem derzeitigen Erscheinungsbild gerade kein Zeichen, und wenn sie stündlich Mahl feierte, sondern es wäre ernsthaft zu überlegen, ob sie nicht besser daran täte, statt auf ihren Exklusivitätsanspruch solange auf die Mahlfeier zu verzichten, bis dieses ihrer Lebenspraxis nicht mehr eindeutig zuwider liefe. „Zeichenhaftigkeit" und „Erbärmlichkeit"39 der Kirche werden bei Pannenberg nicht hinreichend unterschieden, so dass unklar bleibt, inwieweit das Zeichenhafte mit der Defizienz des kirchlichen Seins zusammenhängt und auch wie weit und auf welchem Wege der Insuffizienz abzuhelfen sei. Beides liegt bei Pannenberg sachlich so nahe beieinander, dass der Schluss nahe zu liegen scheint, dass mit weniger Erbärmlichkeit mehr die Sache selbst in ihrer Intaktheit zum Vorschein käme. Diese Folgerung aber wäre der Zeichenhaftigkeit als positivem theologischem Prinzip abträglich, so dass Pannenbergs Ausführungen an diesem Punkt interpretationsbedürftig bleiben. Ist die Rede vom „Zeichen" nur der Erbärmlichkeit der Sache geschuldet, so dass sie verzichtbar wäre mit deren Besserung? Wenn nein, wie viel Entstellung verträgt ein Zeichen?„Auch ein undeutlich gewordenes Zeichen bleibt seiner Bestimmung nach Zeichen." 40 Wie passt das zusammen mit der Aussage oben,41 wo sinnvollerweise von der Kirche verlangt wird, dass trägt sie die Kennzeichen des inkoordinablen Politikums des Reiches Gottes, trifft sie als perhorreszierte Minorität der Verdacht und die Schmähung der Gesellschaft, folgt sie ihrem gekreuzigten Herrn nach und nimmt sie teil an den Siegen der Auferstehung, die auf ihrem umkämpften Weg aufleuchten." ST, 1983, 500. 38

A.a.O., 4 4 , 4 7 0 .

39

Ebd., 45.

40

Ebd., 471.

41

Anm. a.a.O.

414

Ansätze zu einer Lösung des Problems

„sie selbst" eins ist, wenn sie für eine künftige Menschheitseinheit ein „wirksames Zeichen" sein soll? Bejaht Pannenberg denn auch noch ein unwirksames Zeichen? Wenn schließlich von der „Gebrochenheit des Bildes der Einheit der Menschen im Reich Gottes" gesprochen wird,42 ist freilich die Hoffnung bewahrt für die einstige Ungebrochenheit der Sache selbst. Wenn nur das Bild gebrochen ist, kann das ja so schlimm nicht sein; - eine tröstliche Perspektive also, aber eine pädagogisch wenig hilfreiche. Sinnvoller erscheint uns, den Schaden am Original undialektisch, klar zu reklamieren und diesen durch Buße und Umkehr zu reparieren. Wäre nicht dies das „Zeichen" echter Christlichkeit? Das „Noch-nicht" ist gegenüber dem „Schon" bei Pannenberg von erheblich überproportionalem Gewicht. Dass die Zukunft des Reiches im Sohn schon gegenwärtig ist, wird betont, die Gegenwärtigkeit des Zukünftigen aber fällt gar zu dürftig aus. An allem, was nicht „zeichenhaft-sakramentaler" Art ist, hat die Kirche „an der Gebrochenheit dieses irdischen Lebens teil". 43 So entpuppt sich das „antizipatorische Zeichen" bei genauerem Hinsehen als ein antizipatorisches Desiderat, ein antizipatorischer Hoffnungsschimmer bestenfalls. Die wiederum mit allem begrüßenswerten Nachdruck verfochtene ökumenische Thematik wäre geeignet, hier die fehlende Mitte zu bilden. Dafür müsste aber die „Geistgemeinschaft"44 mit ihrer vollen christologischen Bedeutung versehen werden als gerade in ihrer Einheit die kommende Verwandlung der Welt schon jetzt dokumentierende Größe. Damit müsste freilich auch entschieden Abstand genommen werden von der Vorstellung einer bereits - in diesem Falle zweifellos unsichtbar - bestehenden Einheit. Diese Annahme ist nicht weniger schadhaft als die vormalige einer unsichtbaren Kirche und nicht weniger abwegig. An diesem Punkt scheint uns - bei Pannenberg vorsichtig eingestanden - eine Kernaporie evangelischer Ekklesiologie zu bestehen, die womöglich bislang zu optimistisch im Sinne des Ist-Zustands aufgelöst wurde. Wenn man die Einheit der Kirche als eine ihrem We-

42

Ebd., 56.

43

A.a.O., 153.

44

Ebd., 150ff.

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415

sen inhärente Qualität betrachtet, wie dies gemeinhin geschieht,45 so ist daraus nicht nur logisch ableitbar, dass die Kirche allem Augenschein zum Trotz eine Einheit - die nur Gott kennt - besitzt, sondern alternativ dazu auch, dass eine augenscheinlich nicht einige Kirche nicht wirklich diesen Namen verdient. Diesen Schluss zieht ansatzweise Pannenberg, wenn er sagt, dass wir es nicht mit Kirche „im vollen Sinn" zu tun haben und darauf verzichtet, die Einheit hartnäckig in irgendeiner spekulativen Form als gegeben zu betrachten.46 Dass wir als Christen an einer anderen Sache als der ekklesia Gottes beteiligt sind, sagt Pannenberg freilich nicht. Wenn diese Perspektive einmal konsequent in die Verkündigung einflösse, würden Kirche, Ökumene und Reich Gottes vielleicht sehr schnell sehr viel gegenwärtiger werden, als man im anderen Fall gezwungen ist, ihr eschatologisches Moment überzustrapazieren. Voll und ganz unterstreichen möchten wir bei Pannenberg dennoch die Feststellung, dass die Überwindung der Partikularität zur „Eigenart" der Kirche gehört.47 Darum muss aber die Konsequenz der Aussage: „Nur unter Verzicht auf exklusive Ansprüche für ihre jeweilige eigene, partikulare Gestalt kann sie deutlich Zeichen der Universalität des Reiches Gottes und Instrument zur Versöhnung ... sein", 48 beherzt in Angriff genommene Neuformierung bedeuten, was bei Überwindung der jeweils eigenen Partikularität sehr wohl „exklusive Ansprüche" begründen dürfte. Die Dialektik von kirchlicher Glorie und kirchlicher Niedrigkeitsgestalt erfährt bei Pannenberg keine befriedigende Auflösung. Die Argumentation ist zirkulär. Die Kirche ist - immerhin Zeichen, indem sie ihre eigene Uneinigkeit bekennt. Sie ist aber - nur Zeichen, weil sie selbst uneins ist. Wir meinen, dass entweder die negativ diagnostizierte, aus schuldhaftem Verhalten resultierende Niedrigkeit der Kirche, ihre „Erbärmlichkeit" also, der Grund für ihre „Zei45

Vgl. Ernst Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, 1960, 199ff. oder auch Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik, 1983, 684, die in besonders deutlicher Weise nur den Konsens formulieren.

46

S. auch Ferdinand Hahn: „Wenn die Kirche wesenhaft eine ist, dann kann jede Uneinigkeit und Spaltung nur ein Verfehlen dessen sein, was Kirche und Kirchengemeinschaft bedeuten." Die Einheit der Kirche und Kirchengemeinschaft in neutestamentlicher Sicht (Gesammelte Aufsätze, 1986), 158.

47

Ebd., 44.

48

Ebd., 45.

416

Ansätze zu einer Lösung des Problems

chenhaftigkeit" ist, dann ist sie mehr als nur Zeichen im Falle der Buße und der Umkehr und ist hierauf alles Gewicht zu legen. Oder aber ihre Zeichenhaftigkeit ist der derzeitige legitime theologische Status der Kirche. Dann aber darf man diese Zeichenhaftigkeit keinesfalls mit der Erbärmlichkeit verquicken. 49 In diesem Falle aber muss die Frage erlaubt sein, ob oder inwiefern das Problem der Erbärmlichkeit überhaupt angegangen werden muss. Das Verhältnis von kirchlicher Niedrigkeit und Glorie ist biblisch nicht antagonistisch gelagert. Ihr nicht reziprokes, sondern direkt proportionales Verhältnis ist es, das für das Gesamt-Erscheinungsbild der Kirche maßgeblich ist. Beides bedingt einander unmittelbar, insofern ihre äußere Niedrigkeit ihre innere Stabilität geradezu evoziert, wie umgekehrt ihre innere „Größe" ihre äußere Niedrigkeit geradezu erfordert. Wo beides in harmonischem Einklang steht, haben wir es zu tun mit Kirche im vollen Sinn des biblischen Begriffs. Damit rühren wir erneut an das systematische Problem von Gottes Heiligkeit und Liebe. Die Ek-klesia ist aus dem Weltgeschehen herausgelöst und darum von diesem auch verachtet, ja verstoßen. Umso größer muss ihre innere Festigkeit sein - wiederum zum verstärkten Befremden der „Welt". 5 0 Als Botschafterin der Liebe Gottes aber ist sie genau zum Zeichen für die Welt gesetzt, einem realen, in sich vollständigen Zeichen, damit aber auch auf Distanz zu deren defizienten Gemeinschaftsmodi. In jener geschöpflich sich vollziehenden Wechselwirkung der ureigenen Wesenszüge Gottes besteht ihr analogieloses Sein bei aller schuldhaften Niedrigkeit, aller Erbärmlichkeit, die sie in Gestalt des Fleisches weiterhin kennzeichnet und von ihrem Herrn und Haupt bis zum Ende dieser Schöpfung bleibend unterscheidet. Pannenbergs Ausführungen sind freilich nicht wirklich in sich widersprüchlich. Dafür ist der bedeutende Systematiker zu beschlagen. In der Perspektive historischer Vollendung aber geraten sie hinsichtlich

49

Befremdlich mutet in dem Zusammenhang auch an, dass Kirche und Gottesreich sich unterscheiden sollen wie Jesus vom Vater. Dass Jesus selbst bei Pannenberg nur als „Zeichen" der Gottesherrschaft gehandelt wird (ebd., 56f.), strapaziert deutlich die biblischen Selbstaussagen etwa in Mk.1,15; Lk.11,20; 17,21.

50

Vgl. hierzu Gerd Theißens Schilderung der „beiden Grundwerte urchristlichen Ethos': „Nächstenliebe und Statusverzicht" in: Die Religion der ersten Christen, 2

2001, 101-122.

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der Präsenz des Gottesheils zu bescheiden - jedenfalls wenn die kirchliche Reunierung befördert sein möchte. Sie zielen mit allem biblischen Recht auf einen höheren Ermöglichungsgrad des Reiches Gottes durch eine entsprechende Selbstpräsentation der Kirche, wovor Pannenberg dann aber auch wieder zurückzuschrecken scheint, sei es um seiner Sichtweise einer universalgeschichtlichen Teleologie willen oder aus Gründen ekklesiologischer Desillusionierung. 51 Solcher gegenüber und wohl im Sinne Pannenbergs - ist mit Paulus zu betonen, dass die Tatsache, dass „wo die Sünde mächtig geworden ist, die Gnade noch überschwänglicher" sich erweist, nicht zum Verharren in der Sünde führen darf (Rö.5,20ff.). Das bedeutet für uns, dass wir nicht um der eschatologischen Aussicht willen die derzeitige Würde und Verantwortung der Kirche kleiner reden dürfen als das Neue Testament dies tut. Gerade mit der theologischen Untergewichtung der Gemeinde ist der ökumenische Impuls entscheidend unterminiert und kann nicht hinauskommen aus dem Bereich des Ethisch-Moralischen. Seiner verbindlichen Antriebsfeder, der Vorstellung einer ihrem Herrn adäquat sich darstellenden Gemeinde beraubt, ist das Movens zu jener Einheit geschwächt, die wiederum Pannenberg als zentrales Merkmal des Reiches feststellt.52 Der Ökumene wie auch dem Reich Gottes ist nur ge-

51

Bei Pannenberg scheint am Ende die Zeichenhaftigkeit der Kirche das Schisma gar zu rechtfertigen, wenn es heißt, dass dieses erst „den Weg zum Gedanken der Toleranz" eröffnet habe; ebd., 567.

52

... und die insbesondere in den früheren Schriften Pannenbergs so vehement eingeklagt wird, so besonders in: Einheit der Kirche als Glaubenswirklichkeit und als ökumenisches Ziel (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 200-210, wo es in schönster Deutlichkeit heißt, dass „die Tatsache der christlichen Spaltungen nur als Ausdruck eines Abfalls, eines Abweges" beurteilt werden kann, „der die christliche Identität, das Christsein jedes einzelnen Christen zweifelhaft werden läßt und den Anspruch der getrennten Kirchen, Kirche Christi zu sein, unglaubwürdig macht" (201); in: Konfessionen und Einheit der Christen, ebd., 241-253, wo dargelegt wird, dass im Blick auf das gemeinsame Bekenntnis zu Jesus Christus „die damaligen Gegensätze innerhalb der heutigen Gesamtsituation ihre kirchentrennende Bedeutung verloren haben" (252f.); in: Reformation und Einheit der Kirche, ebd., 254-267, wo von der Unvollendung der Reformation im Status der Kirchenspaltung die Rede ist (256); sowie in: Einheit der Kirche und Einheit der Menschheit, ebd., 318-333, wo - im Blick auf das Antizipatorische - erstaunlicherweise sogar gesagt wird: „Wirksames Zeichen der künftigen Einheit der Menschheit kann die Kirche nur dann sein, wenn sie selbst eins ist" (320). Demgegenüber hat man fast den Eindruck, dass beim späteren Pannenberg der ST der ökumenische Impuls spürbar nachgelassen hat.

418

Ansätze zu einer Lösung des Problems

dient, wenn man die Bedeutung der Gemeinde uneingeschränkt betont, nicht wenn man sie, durch welche Türen auch immer, aus dieser Bedeutung entlässt. Das Reich Gottes entbehrt bei Pannenberg leider seiner biblischtheologischen Spezifik. Die Kirche als Gestaltungsraum des Christus ist bereits sehr viel mehr, als was Pannenberg für das kommende Reich Gottes erwartet. Sie ist gelebte Vergebung, von welcher denn auch in Pannenbergs Reich-Gottes-Theologie so gut wie keine Rede ist.53 Deswegen ist auch sein ökumenischer Elan ohne theologische Stichhaltigkeit, sondern zielt auf die besagte juridische Befriedung. 54 Das Reich Gottes ist Rechtsgemeinschaft, in der gleichwohl „die Macht der Sünde ... überwunden" ist.55 An dieser Stelle wird der angenehm realistische Blickwinkel Pannenbergs, den wir als theologisch allerdings als zu pessimistisch bewerten mussten, mit einem tatsächlich eschatologischen Aspekt kombiniert, damit das Augenmerk weit in die Zukunft gerichtet, ohne schon das Zwischenstadium einer evangeliumsdominierten Neuschöpfung in Gestalt der christlichen Glaubensgemeinschaft voll ausgereizt zu haben. Übersprungen wird die soteriologischontologische Einheit des regnums dei, die schon jetzt in quantitativ noch kleinem Format zum Zeugnis der Gottesmächtigkeit unzweideutig gesetzt sein will. Mit dem eschatologischen Spagat hin zur Ganzerneuerung der Schöpfung ohne die ekklesiologische Mitte als konkretem ontologischen Gestaltungsraum des Evangeliums aber wird die christliche Zukunftshoffnung nicht eben glaubhafter. Pannenberg sieht völlig richtig, dass „Ziel der Wege Gottes ... die Realisierung der Schöpfungsabsicht selber" ist.56 Er übersieht aber deren Charakteristik als geheiltes Zusammenspiel divergierender Elemente zum seinshaften Gotteslob einer - wenngleich sündigen - Schöpfung. Er übersieht die Charakteristik der Gemeinde und deren Funktion als Speerspitze des Gottesreichs, die schon jetzt in aller Niedrigkeit, in aller Konsequenz, in aller Herrlichkeit, die das Evangelium schon jetzt verlangt, ermöglicht ist. Während diese das Große des Got-

53 54

... außer a.a.O., 629, wo sie bezeichnenderweise als Toleranztugend erscheint. S. dagegen Brunner a.a.O., der sich in der Abwehr der juridischen Vorherrschaft zu Recht auf die Betonung des pneumatischen Charakters der ekklesia konzentriert.

55 56

A.a.O. Ebd., 689.

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tesreichs in kaum mehr denn senfkornartigem Ausmaß schon jetzt für realisierbar erklären möchte, dominiert bei Pannenberg genau die umgekehrte Perspektive, eine bereinigte Fassung der schon existierenden Gesellschaftsform, keinesfalls aber deren Provokation durch eine „ganz andere", wie sie den gegenwärtigen Erfordernissen heilsgeschichtlicher Offenbarung entspräche. Die Agape erweist ihre ontologische Macht gerade da, wo die Macht der Sünde noch am Werk ist. Darum ist mit der Bemühung um ein genau in voreschatologischer Phase spezifisch christliches Sein sie uns zur Hauptaufgabe gemacht. Diese Aufgabe ist es, wofür es sich lohnt, jetzt schon Jünger Jesu zu werden und der Zukunft seines Reiches sich zu verpflichten. Alles in allem ist Pannenbergs „Antizipation" als solche eine eher dürftige. 57 Paul Tillichs Lehre vom „neuen Sein", von der Pannenberg offenkundig zehrt, 58 ist zwar weitaus abstrakter, geht hier aber sehr viel weiter, erscheint im Blick auf den christlichen Präsens konsequenter, auch schriftgemäßer, 59 trotz der bis ans Unerträgliche gehenden Weige-

57

In diese Richtung stößt auch die Kritik von Jon Sobrino in: Christologie der Befreiung, wo moniert wird, dass bei Pannenberg „die Fülle des Reiches jegliche geschichtliche und gesellschaftliche Konstellation relativiert" und bemerkt wird, dass vor dem biblischen Befund sehr wohl die Frage zu klären sei, „wieviel an Reich in konkreten gesellschaftlichen Konstellationen ... vorhanden ist". Nur so lasse sich „die Vorstellung verhindern, alle gesellschaftlichen Zustände seien ... unendlich weit von ihm entfernt" (165). Sobrino fordert mit Recht von Reich-Gottes-zentrierten Christologien ihre „evangeliumsgemäße und historische Konkretisierung für die Gegenwart und bemängelt anderweitige „Aufrufe der Kirche zum Aufbau des Reiches Gottes" als „oft harmlos", da diese nicht den „risikoreichen und konfliktiven ... Kampf gegen das Antireich" intendieren (166). Sobrino kritisiert in dem Zusammenhang auch die eher individualistische Ausrichtung der Reich-Gottes-Lehre Pannenbergs, während in der Schrift sich „Reich Gottes auf ein ganzes Volk" bezieht. Wenn hierbei allerdings in klassischer befreiungstheologischer Manier primär „das Volk der Armen" im Blick ist, trifft Sobrino gewiss ein akutes Aktionsfeld des dem Volk Gottes verheißenen Reiches, nicht aber dessen umfassende geistliche Konstitution, wie sie hier angesprochen sein möchte.

58

... trotzdem dessen von Schelling herrührende Essentifikationsvorstellung als „heterogene Zusammensetzung" des - gewiss problematischen - Wesens- und des Existenzbegriffs als zu Lasten der zeitlich-geschichtlichen Dimension gehend gerügt wird (ST 3,1993, 648f.).

59

... und theologisch ausgewogener als Sobrino.

420

Ansätze zu einer Lösung des Problems

rung, auch biblisch-konkret zu werden. 60 Als schriftgemäßer erachten wir bei Tillich, dass im Blick auf die Vollendungszukunft des Reiches Gottes auch die Möglichkeiten des aktuellen christlichen Seins zu voller Geltung kommen. Tillichs neues Sein ist echtes Gekommensein des Zukünftigen, 61 insofern schon die Geistgemeinschaft als solche - nicht als „Zeichen" - an der Qualität des göttlichen Seins partizipiert, trotzdem es auch hier „fragmentarisch und antizipatorisch" bleibt.62 Wie auch wir akzentuiert Tillich die Liebe als die Vorwegnahme desjenigen, was bei Pannenberg im Sakrament, „im Gedenken an Jesus" und „in der Erwartung" der „Vollendung" geschieht. 63 Der Fokus liegt somit auf der unsichtbaren Essenz der „Geistgemeinschaft", 64 die ganz und gar „Gemeinschaft der Liebe" ist.65 Wohl existiert sie „unter den Bedingungen der Endlichkeit", zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie „Entfremdung und Zweideutigkeit siegreich überwindet... Die Geistgemeinschaft ist eine unzweideutige." 66 Zwar ist auch für Tillich die reale Uneinheit des neuen Seins der Essenz nicht ernstlich abträglich, dennoch wird auch nicht wirklich versucht, diese mit der Spaltungssituation zu harmonisieren. Tillich sagt zwar auch auf der anderen Seite kaum einmal, was Einheit konkret heißen muss, „unzweideutiges" Leben unter den Bedingungen der Existenz, er nimmt aber - immerhin - daran auch keine Abstriche vor. Er benennt die Qualitäten des Christlichen - eigenwillig in der Diktion, aber immer hochpräzise - u n d lässt Raum für Konzepte, ihnen Genüge zu verschaffen. Insofern auf diesem Weg dem neutestamentlichen Befund widersprechende Aussagen vermieden werden, ist das Schweigen Tillichs wertvoller als etwa die gängigen pragmatischen Relativierungen. 67 Selbst

60 61 62 63 64 65 66 67

Dass formale Ontologielastigkeit nicht auf Kosten biblischer Inhalte gehen muss, hoffen wir auch für unsere eigenen Ausführungen reklamieren zu dürfen. S. ST3, 4 1984, 416f. Ebd., 167,184. A.a.O., 470. Unter diesem ekklesiologisch vorzüglichen Titel wird das kirchliche Sein schon bei Tillich behandelt in ST 3, «1984, 176ff. Ebd., 208ff. Ebd., 177; vgl. ST 1,81987, 235ff„ wo Tillich „essentielle Endlichkeit" des neuen Seins und „existentielle Verzerrung" des natürlichen unterscheidet. Manchmal wird ein Theologe eben auch wertvoll durch das, was er nicht sagt, wenngleich bei anderen Glaubensartikeln, etwa dem der Gotteslehre oder seiner

Pannenbergs „Antizipatorisches"

421

wenn Tillich vom „paradoxen Charakter der Einheit der Kirchen" spricht, wird doch deutlich, dass die kirchlichen Partikularitäten in ihrer Bejahung als solche auch „gerichtet sind". 68 Indem die Betonung darauf liegt, dass die Agape imstande ist, das Getrennte wiederzuvereinigen, wird das neutestamentliche Motiv getroffen. Während Tillich so die Liebe als Zentralelement des Gottesreichs in ihrer Gegenwartsbedeutung würdigt, sieht Pannenberg diese verwirklicht in der Durchsetzung des Vollendungsgeschehens, das erst mit dem „Eintritt der Ewigkeit in die Zeit" sich vom Gegenwartsgeschehen signifikant abhebt.69 Hier erst wird „radikale Verwandlung" erwartet,70 „die Ganzheit des Lebens, darum auch seine wahre und definitive Indentität" in Abwesenheit nicht nur der Sünde, sondern auch von Leid und Tod.71 Was hier vorliegt, ist die Verwechslung der Liebe mit der Weisheit Gottes. Gottes Weisheit dürfen wir solches alles zutrauen. Lieben aber bedeutet hierzu, den nächsten verbindenden Schritt zu tun. So halten wir auch Schritt mit dem Logos Gottes. Das Ausweichen vor der Gegenwartsmacht der Agape muss als ein Ausweichen vor der ekklesialen Heilskonsequenz gedeutet werden, welche die Offenbarung Gottes fordert. Sie ist ungeeignet, die pneumatische Zukunft der noch ausstehenden Wunder Gottes zu eröffnen, sondern führt auf menschlich-logischem Weg zurück in die alten Antinomien. Pannenberg steht, obgleich seiner offenbarungsgeschichtlichen Annäherung von Soteriologie und Ontologie, in der Tradition der diastatischen Betrachtung beider Bereiche, die weder den katholisch-ekklesiologischen Positivismus noch den protestantischen Indifferentismus aus ihren Ghettos herauszuführen vermag. Die Bezogenheit von Heil und kirchlichem Sein wird gesehen, aber nur mit derjenigen angezogenen Handbremse vollzogen, die auch das biblisch-heilsgeschichtliche Verhältnis von Ekklesiologie und Christologie schon so lange paralysiert. Das dynamischste aller Elemente will und kann auch hier belebend wirken. Bis schwer verdaulichen Lehre des „Symbolischen", bei Tillich der Wert der Aussage an den Grad ihrer Missverständlichkeit gekoppelt scheint, so dass man gelegentlich froh sein möchte, nicht klar zu erfahren, woran konkret geglaubt wird bzw. woran nicht. 68

ST 3, "1984, 213.

69

A.a.O., 689ff.

70

Ebd., 653.

71

Ebd., 688.

422

Ansätze zu einer Lösung des Problems

dahin kommt mit den von Pannenberg an vielen Stellen so beispielhaft aufgebrochenen kontroverstheologischen Reserviertheiten beim Versuch, die eigentlich „theologische" Bedeutung des Seins der Gläubigen zu würdigen, die Größe des strukturellen Problems zum Ausdruck. 1.4 Das christologisch-ekklesiologische Vakuum Das Problem hat kirchenhistorische Dimension und wird auch in solcher nur gelöst werden können im Sinne einer Rückführung auf ein christliches Sein, das als Projekt der Liebe Gottes identifizierbar ist. Als umfassendes christliches Sein wird dasselbe soweit neue Überzeugungsund Anziehungskraft entwickeln können, wie seine famose zeitlose Architektur jedermann neu einsichtig wird. Wo hingegen die Mitte des christlichen Projekts fehlt, verselbständigen sich notwendig die Ränder und bilden neue Mittelpunkte aus, die sie für die wirkliche Mitte zu halten in Gefahr stehen und somit für weitere Irritation sorgen. Die konfessionellen Spielarten dieses Vorgangs sind unzählbar. Es gibt nichts, was Menschen nicht geneigt sind, anstelle der Gottesliebe hochzuhalten im guten Glauben, dabei dem Willen Gottes zu entsprechen.72 Zur Mitte des Christlichen, die Christus selbst ist, gehört nun aber gerade das vollständige christliche Projekt als solches, als sein „Leib". 73 Im Maße, wie die Kirche nicht als Raum des Christus begriffen wird, in welchem das Evangelium aktuell und konkret zum Tragen kommen möchte, muss notwendigerweise das Heil in Teilbereichen fixiert werden, die dem Christuswerk beizuordnen sein mögen, die aber ohne ihre rechte Mitte auch dem christlichen Projekt nicht dienlich sind, die vielmehr an der Evangeliumswirklichkeit wahrhafter Gottes- und Menschengemeinschaft vorbeizielen. Darin besteht die zentrale Irrtumsge72

Tatsächlich besteht darin, wie Pannenberg richtig feststellt, das Wesen der Häresie. „Häretisch wird eine Lehre erst dann, wenn sie sich in einer Teilwahrheit abschließt und sich weigert, die Fülle des christlichen Erbes und darüber hinaus die eschatologische Fülle der katholischen Wahrheit in ihren Gesichtskreis aufzunehmen." Die Bedeutung der Eschatologie für das Verständnis der Apostolizität und der Katholizität der Kirche (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 240.

73

Darum ist an dieser Stelle das gravierendere als das Häresieproblem berührt. „Die Ablehnung ... der Geistgemeinschaft und ihrer Manifestation in Christus, ist keine Häresie, sondern Trennung von der Gemeinschaft, für die das Problem der Häresie besteht" (Tillich, ST 3, 41984, 207).

Das christologisch-ekklesiologische Vakuum

423

fahr der christlichen Lehre als Folge der Frage, wie der hohen biblischchristologischen Bedeutung der Gemeinde entsprochen und gleichzeitig der Gefahr ihrer Abkoppelung von der Herrschaft ihres Hauptes gewehrt werden kann. Die Gefahr für die protestantische christologisch-ekklesiologische Disproportion als spiegelbildlich-kehrwertige Abbildung der katholischen Schieflage beherrscht noch immer die Szenerie und erschwert damit weiter eine wohlaustarierte Perspektive des christlichen Seins. Historisch begründet ist die evangelische Negationshaltung an diesem Punkt allemal angesichts des katholischen Positivismus, der wohl die Kirche als den empirischen Christus begreift, der aber hierzu die Instruktionen der Schrift missachtet und somit dem evangelischen Extrem - als so gesehen legitimem Gegenpart - weiterhin Vorschub leistet. Dennoch ist der Protestantismus gefordert, den eigenen positiven Gehalt aufgrund jener Erfahrung nicht dauerhaft zu unterdrücken. So sehr es der katholischen Kirche obliegt, die Vernachlässigung der christologischen Theorie abzustellen, so sehr muss die protestantische Theologie an der christologischen Praxis ihrer Kirchentheorie arbeiten, um so das ekklesiologische Trauma zu überwinden. Der regelmäßige Rückschritt gegenüber - auch unter Evangelischen nicht unbekannter biblischer Courage in christologisch-ekklesiologischer Hinsicht hat den Eindruck erweckt, Lehre und Wirklichkeit der Kirche seien gänzlich zweierlei und das eine ungeeignet, das andere tatsächlich voranzubringen. Die Gewöhnung wiederum an jenen Widerspruch hat dazu geführt, dass das dogmatische Gebäude selbst als davon unbeschadet betrachtet wird, wiewohl es sich tatsächlich so verhalten dürfte, dass das kontroverstheologische Ressentiment der Ekklesiologie gegenüber gleichzeitig von beträchtlich retardierender Wirkung auf die vollständige Ausformung auch der übrigen Artikel sein dürfte.74 Vom Stand74

Bonhoeffer sticht mit seiner These von „Christus als Gemeinde existierend" (a.a.O.) und seiner Empfehlung, die Dogmatik einmal mit der Ekklesiologie beginnen zu lassen, nur formal aus dieser Linie heraus. Auch bei ihm hat gemeindliche Christuspräsenz keine wirklich gemeinschaftliche Dimension, nicht die von der Agape dominierte Sozialität, trotz der späteren Betonung des „Für-Andere-Daseins" (a.a.O.). Vorsichtige Versuche, der Ekklesiologie mehr theologische Geltung zu verschaffen, kehren immerhin einigermaßen regelmäßig wieder und werden ihre Zeit - so Gott will - noch erleben, vielleicht erst, wenn es gelingt, einer Kirche seines Wortes auch wieder ihr legitimes theologisches Selbstbewusstsein einzuhauchen. Walter Klaiber

424

Ansätze zu einer Lösung des Problems

punkt einer theologischen Ontologie aus darf die klassische Diskrepanz zwischen Christozentrik und Ekklesiologie uns lehren, wie entschlossen eine christliche Lehre von der Kirche ohne alle falsche Scheu und ohne alle theologischen Hintertürchen in maximaler biblischer Klarheit und Vorurteilsfreiheit agieren muss. 75 Gerade eine Theologie des Wortes Gottes hat hier die Chance und Aufgabe, eben dieses Wort in voller morphologischer Breite festzustellen. Nur wenn die Gemeinde das Wort Gottes an die Welt nicht nur verkündigen, sondern auch darstellen soll, besteht eben auch für die Gläubigen die verbindliche Notwendigkeit, sich entsprechend zu formieren. Wenn wir anerkennen, dass die Gemeinde das Wort Gottes nicht nur predigt, sondern gesamthaft ist, dann wird auch die das reformatorische Projekt eine in jeder Hinsicht unabweisbare Notwendigkeit. Ist die Gemeinde wirklich Jesu „geschichtliche Existenzform", 76 ist es nur logisch, ihre augenblickliche Verfassung als einen Interimszustand zu begreifen, so logisch, wie die bekannte Tatsache, dass das Evangelium nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt sein will. Nicht mehr an Modernität, mehr an Toleranz, Solidarität, Emotionalität, auch nicht mehr an regressiver Beharrung ist es, die dann auch das Wort der Kirche erhärten, sondern die seinshafte Ubereinstimmung mit der Liebe, mit der Gott uns geliebt hat. Der Verkündigungsauftrag der Kirche leidet unter nichts stärker als unter der Defizienz seiner eigenen Ausgangsbasis, die nicht mit dem Niedrigkeitsstatus der Kirche zu tun hat,

etwa spricht (in: Rechtfertigung und Kirche, 1996) wohl gegen eine „ekklesiologische Heilsvermittlung", aber für deren „ekklesiologische Dimension und Ausprägung" (303). Die Strukturen der Kirche seien so zu gestalten, dass sie „für die ChristusWirklichkeit transparent" (313) würden (vgl. Pannenberg, a.a.O.). Wir fragen: „Vermittelt" sie dann nicht dessen Heil? 75

Eklatant klafft die Lücke zwischen christologischer Heils- und Kirchenlehre etwa auch bei Karl Barth, dessen These „Dogmatik muß ... grundsätzlich Christologie und nur Christologie sein" (KD 1/2, 975) im Bereich seiner Kirchenlehre den Nachweis vermissen lässt. Barths Ekklesiologie stellt zwar ganz auf das Werk Christi ab, dessen Versöhnungskraft aber erscheint fraglich, dadurch dass sie im Bereich des Ekklesiologischen nicht wirklich greifen möchte. Die Rede von der „Entschlossenheit" der Gemeinde (KD IV/3, 820ff.) befindet sich in unauflösbarem Widerspruch zum unentschlossenen dialektischen Oszillieren zwischen der biblisch christologischen Theorie der Gemeinde und deren gleichzeitiger Beschneidung hinsichtlich sämtlicher praktischer Konsequenzen, die eine solche Theorie eigentlich zwingend fordert.

76

S. Anm. a.a.O.

Wahrheit als Einheit

425

sondern mit dem Problem des eigenen Gehorsams gegenüber dem Gepredigten. Der verbale Zeugendienst verlangt seine ontologische Fundamentierung - nicht nur im Blick auf die Glaubwürdigkeitsfrage, sondern auch und entscheidend vor der Frage, ob man denn weiß, wovon man eigentlich redet. 1.5 Die christliche Wahrheit als Ergebnis der Liebe / Wahrheit als Einheit77 Was Gott redet betreffs der Verantwortung seines Volkes, ist bereits im Alten Testament klar ausgesagt (Ex.19,6) und wird im Neuen im Blick auf Christus noch zugespitzt (l.Pt.2,9). Das Gottesvolk, in der Agape dem Evangelium gemäß strukturiert, besitzt die Verheißung, als das korporative Sein des Geistes all die Dilemmata im Versuch, menschliches Zusammen-Sein zu erträumen, zu entwerfen, zu regeln, zu verordnen, in diejenige Bezeugung zu überführen, an der eine ganze Menschheitsgeschichte sich die Zähne ausgebissen und vielfach ausgeschlagen hat. Dabei können und sollen gleichermaßen die Bedürfnisse nach personhafter wie nach Integrität des gesamten Schöpfungskomplexes erfüllt werden, indem als Brücke zwischen beiden das Modell in Einheit versammelter Vielfalt, damit das simple, aber alles damit Tangierte tatsächlich - in gewinnender oder ablehnender Weise - „ergreifende" Modell echter Gemeinschaft seine reale Funktionalität erfährt. Von der Kombination des individuellen und globalen Elements in der Kunst echter Gemeinschaft als weltumspannender Bruderschaft haben wir schon gesprochen. Indem die Wirklichkeit so mit den Aussagen des Schöpfers breitestmöglich korrespondiert, wird von ontologischer Seite aus zutiefst realisiert, was im höchsten Falle als Wahrheit denkbar ist. Mit der ontologischen Restauration ist damit auch der epistemologischen gedient und so dem Verfall des natürlichen Seins umfänglich Einhalt geboten. Diesem Verfall, nicht dem eigenen, gilt das christliche Augenmerk. In der Auflösung des klassischen Wahrheitsmotivs spiegelt der erkenntnistheoretische Ausgang der Moderne den ontologischen und bietet ein nicht weniger zerfahrenes Bild. Die sukzessive Reduktion des Wahrheitsanspruchs bis aktuell dahin, wo als Problem

77

S. auch das oben hierzu schon Gesagte.

426

Ansätze zu einer Lösung des Problems

der Wahrheit nur noch der Nachweis gelten soll, dass es kein solches Problem gibt, ist in höchstem Maße biblisch abzulehnen.78 Dabei ist nicht das Präzisionsideal, in erkenntnistheoretischer Hinsicht also die Verfeinerung der apperzeptiven Methodik, das Hauptproblem. Problematisch ist vielmehr jene Fragmentierung des gegenständlichen Seins sowie dessen Legitimierung als Fragmentarisches, die schlussendlich keinen darauf passenden Wahrheitsbegriff mehr erlauben. Die antike Wahrheitslehre hat ihren Vorzug in ihrer diesbezüglich noch vorhandenen Komplikationslosigkeit. In schönster Einfachheit und Klarheit heißt es bei Aristoteles: „Eine falsche Aussage ist die Aussage, dass das was ist nicht sei, oder dass das was nicht ist sei; eine wahre Aussage dagegen ist die Aussage, dass das was ist sei, und dass das was nicht ist nicht sei."79 Die kongeniale Formel des Thomas von A q u i n lautet: Veritas est adaequatio rei et

intellectus.80

Das griechische Denken hat ursprünglich als „Wahrheit" die wahre Natur der Dinge angesehen - ihre ersichtliche „Richtigkeit" also. Der Wesenszusammenhang von Wahrheit und φύσις, den die Antike festhält,81 wird vom biblischen Denken nicht aufgelöst, sondern auf den Bereich des Reiches Gottes konzentriert, in welchem Gottes Weisungen die „richtigen" ontologischen Auswirkungen zeitigen. Die neutestamentliche αλήθεια hat damit Elemente des Hellenistischen aufgenommen, um diese geschichtlich-soteriologisch zuzuspitzen, ohne dabei den Bezug zur alttestamentlichen ΠΜ zu verlieren.82 Auch im Neuen Testament ist mit Christus die Verlässlichkeit Gottes erschienen, das feste Fundament unseres Heils inmitten allen Irrtums, aller Zweifelhaftigkeit und allen Scheins.83 Dabei ist es die Vernunft Gottes, mit der

78

Diesen „Prozess gegen die Wahrheit" als erkenntnistheoretische Abfolge von „Reduktionismus - Relativismus - Skeptizismus" hat Armin Kreiner gründlich dargestellt in: Ende der Wahrheit?, 1992,13ff.; s. dazu auch Kuno Lorenz, „Wahrheitstheorien", Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4 , 1 9 9 6 , 5 9 5 - 6 0 0 .

79

Metaphysik 1011 b 81.

80

Summa Theologica I, q 16, a 2.

81

Vgl. o. Heidegger.

82

...was schon deutlich wird an der „Amen"-Formel, mit der Jesus besonders gewichtige Aussagen beschließt; s. dazu Hans-Georg Link, „Wahrheit/Lüge", ThBNT, Bd. 2, 2000,1834-1846.

83

Auf die Unterschiedlichkeiten, aber eben auch Übereinstimmungen im hebräischen und im griechischen Wahrheitsbegriff hat auch Pannenberg verwiesen in: „Was ist

Wahrheit als Einheit

427

alles Sein inklusive dem menschlichen Intellekt in Übereinstimmung gebracht ist. Die Seinsmächtigkeit des Seienden ist der Grund dafür, dass auch Gottes Ebenbilder zweifelsfreie Erkenntnis gewinnen können - Heideggers „Denken ... aus dem Sein". 84 Im Maße aber, wie das Sein zweifelhaft wird, ergeht es ebenso auch der seins-abhängigen menschlichen Vernunft, die in diffizilen Operationen dieses zu retten versucht, dieweil Gott auch über das von ihm abgewichene Sein eine völlig klare Sichtweise behält. Auch das vor ihm flüchtende Sein bleibt ihm ein „ un verborgenes". Die vermeintliche Unschärfe der Korrespondenztheorie - in der Frage, was mit adaequatio rei genau besagt sein kann - , die im Verbund mit den neuzeitlich-rationalistischen Relativierungen des Erkenntnisvorgangs die Anspruchminimierung des Wahrheitsdenkens insgesamt verantwortet, ist in biblischer Perspektive obsolet, indem gerade von der Klarheit der Sache Gottes her die Ubereinstimmung mit der darauf abgestimmten Vernunft ermöglicht wird. Von dem aus, der in Person höchste ontologische Konsistenz verkörperte, sich darum auch nicht zu scheuen brauchte, sich selbst als die Wahrheit auszugeben (Joh.14,6) darum wohl auch auf die ihm ins Angesicht gestellte Frage des Landpflegers mit Schweigen antwortete (Joh.18,38) - , führt der Weg geradewegs zum Primat des Ontologischen, dessen „Herrlichkeit" sich als eine völlig zweifelsfrei feststellbare präsentiert hat (Joh.1,14; l.Joh.1,1-2; 2.Pt.l,16). In der personalen Kohärenz der christlichen Gemeinde wird solche Korrespondenz mit dem Vorsatz Gottes fortgeführt. Das Christentum ist Lieferant ontischer Wahrheit. Mit seinem unverfälschten Dasein die materiale Grundlage für werte- und orientierungsbewusste Handlungen und Aussagen erbringend, wird Wahrheit als Sachgemäßheit, Wahr-

Wahrheit?" (Grundfragen der Systematischen Theologie, 1967), 202-222. Vgl. auch Yrjö Alanen, Das Wahrheitsproblem in der Bibel und in der Griechischen Philosophie, 1957, 230-239; lean Giblet, Aspekte der Wahrheit im Neuen Testament, 1973, 169-173; sowie Walter Kasper, der sehr schön die Tatsache herausarbeitet, dass Gott seiner Wahrheit regelmäßig einen Platz bereitet - den der Gegenwart Christi - , an dem sie zu finden ist. Demzufolge kann auch gesagt werden, dass die Wahrheit „keinen spaltenden, sondern im Gegenteil einen friedensstiftenden und versöhnenden Charakter" besitzt („Die Kirche als Ort der Wahrheit" in: Theologie und Kirche, 1987, 271). 84

Martin Heidegger, Nietzsche Π, GA, 1997, 394.

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Ansätze zu einer Lösung des Problems

heit also in ihrem klassischen Sinne zum reflexiven Teil originaler Schöpfungswirklichkeit. Kurz: Die ontische Wahrheit ist verantwortlich für die ontologische Qualität der Aussagewahrheit.85 Was wir brauchen, ist die Rückkehr zu dieser Wahrheit, zur Wahrheit als der spezifisch christlichen Seinswahrheit, deren untrügliches Signum sein soll, dass sie „frei macht" (Joh.8,32), frei von den Formen und Folgen spezifisch menschlicher Egozentrik und Kleinkariertheit. Solche Wahrheit liefert die Liebe Gottes,86 deren gemeinschaftsstiftende Kraft wir neu erfahren dürfen - damit neu erfahren, was unser Leben wahrhaft bereichert, unseren Horizont weitet, unser Sein vervollständigt. Wir benötigen die Re-Realisierung geschöpflich gelebter Wahrheit, deren Versöhnungsstruktur den Orientierungs- und Entwicklungsrahmen bildet für das Wohl des Einzelnen wie für eine dem genuinen Leib Christi - nicht länger konfessionellen Interessen - dienenden Theologie. Vor allem

85

Oder, logo-ontologisch gesehen: Die Wortgemäßheit der Sache ist Voraussetzung für die Sachgemäßheit der Worte, sofern diese nicht bei irgendeiner Sache hängen bleiben möchten, sondern zur originalen Idee vordringen, die Sache also ihrem sie determinierenden Logos gemäß beschreiben wollen.

86

Wunderbar ausgesagt ist die Identität von Wahrheit und Gottesliebe bei Ernst Fuchs, „Wahrheit", RGG 3 , Bd. 6, 1962, 1517: „Die Wahrheit ist das erfreuliche Wort der Liebe, bei dem Gott bleibt, so gewiß Gott bei sich selbst bleibt, also sich selbst treu bleibt. Wer immer von der Wahrheit reden wird, der hat von Gottes Liebe geredet das weiß der Glaube an Jesus. ... Diese Wahrheit kommt, wenn sie geglaubt wird, und sie ist da, weil sie geglaubt wird. Sie ist die Macht jener Liebe, welche sich in Jesus bezeugt hat, das die Menschen mit Gott vereinigende Sein, mit welchem sich die Liebe den Ihren verspricht." Walter Kasper konkretisiert dieses: „Wahrheit und Liebe sind also zuinnerst ineinander verschränkt, und es ist reine Gedankenlosigkeit, das eine dem andern zu opfern. Wahrheit ohne Liebe wird chauvinistisch, intolerant und totalitär"; und benennt auch das andere: „Liebe ohne Wahrheit dagegen ist blind und stumm, sie ist des Menschen unwürdig; sie täuscht äußerlich eine Gemeinschaft vor, die innerlich nicht gegeben ist. Allein die Liebe, die zur Suche nach der Wahrheit antreibt, ist echt und dauerhaft, und allein die Wahrheit, die aus Liebe gesucht und in Liebe verwirklicht wird, macht frei" (a.a.O.). S. auch Peder Hojen, der von der Praxisbezogenheit der christlichen Wahrheit spricht in: Wahrheit und Konsensus, 1977, 131-156; sowie Paul Schütz, der „im Konflikt zwischen Wahrheit und Liebe" gar der Liebe den Vorrang zuerkennt. Denn: „Es gibt in der Christenheit zur christlichen Wahrheit keinen Zugang als durch die Begnadung mit der Agape." Weil die Wahrheit „agapisch" ist, darum besteht in ihrer Vorherrschaft „das Christliche". „Denn die Liebe ist der Geist. Der Geist aber ist der Herr. Darum hat in der Christenheit die Liebe den bedingungslosen Primat. Sie ist der Herr." Das Evangelium, 3 1951, 59f.

Wahrheit als Einheit

429

aber braucht die Welt all dieses, die Welt und ihre juridische, ihre soziale, ihre philosophische, ihre ethische, ihre wissenschaftlichtechnologische Anstrengung, damit sie erkennt, dass ihrem zerrissenen Sein eine Hoffnung bereitet ist, die verkündigte und die gelebte Hoffnung des Gottesvolkes. Die Interdependenz von christlichem Wahrheitsanspruch und gemeinschaftlicher Selbstintegrität des Christentums hat Ulrich Kühn gut beleuchtet, der die theologischen Erträge interkonfessioneller Dynamik heben möchte. Nach Kühns Ansicht sind die reformatorischen Spitzenthesen unter Einbeziehung der exegetischen Fortschritte in ihrer kirchtrennenden Schärfe vielfach nicht mehr aufrecht zu erhalten.87 Entsprechend wandelt sich unter neuzeitlichen Bedingungen das sola scriptum „zur kritischen Rückfrage an die Theologie und Kirche, die sich vehement darauf beruft". 88 Kühn plädiert dafür, den status confessionis anhand neuer, überkonfessioneller Erfahrungen mit der einen, im Evangelium verwurzelten Glaubenswahrheit in ekklesiologischer Hinsicht als entwicklungsfähig zu betrachten, um von da aus auch das Dogma weiter zu vervollständigen. Zu der gegenwärtigen Erfahrung der Glaubenswahrheit könne auch „die neu gefundene geistliche Gemeinsamkeit über die Konfessionsgrenzen hinweg gehören", so dass vom Evangelium her zu fragen sei, ob nicht „unsere eigene Tradition in diesem Lichte weitergeführt werden müßte". 89 Die ökumenische Perspektive wird unausweichbar, will die Kirche auch ihren künftigen Anforderungen gerecht werden. „Die Frage nach der Zukunft des 87

Vgl. auch die Lukas Vischer („Das Ereignis der Reformation" in: Gottes Bund gemeinsam bezeugen, 1992), der die Erschütterung der Reformatoren selbst über der von ihnen ausgelösten kirchlichen Trennung schildert und meint, dass dennoch genau jene auch innerlich hart erkämpften Zuspitzungen und Urteile über die vermeintliche Anti-Kirche „der Revision bedürfen" (92), wurde so doch bei aller berechtigten Überzeugung von der Unaufgebbarkeit der eigenen Sichtweise, auch von der prinzipiellen Irrtumsfähigkeit von Amtsautorität und Konzilstradition,

die

Grenze zwischen wahrer und irrender Kirche „zu rasch und zu endgültig gezogen" (96). Vischers ausgewogene Moderation wirbt für eine Aufarbeitung der Ereignisse (93), dafür, anstelle eines „kunstvoll ausgedachten Kompromiss(es)" (95) inne zu werden, was Gott seiner Kirche durch das Ereignis der Reformation und die darauffolgende Zeit der Trennung sagen wollte und will (85). Dem schließen wir uns an. 88

Ulrich Kühn, Die ökumenische Verpflichtung der lutherischen Theologie, 1997, 528.

89

Ebd., 529.

430

Ansätze zu einer Lösung des Problems

christlichen Glaubens und der Kirche kann heute nur gemeinsam gestellt und bedacht werden." 90 Auf die Weise kommt Kühn zu der unverblümten These, dass ohne die Bemühung um Versöhnung bei Christen und Kirchen der Geist Gottes nicht am Werk, dass vielmehr in diesem Falle auch die Lehre zu hinterfragen sei, auf der sich entsprechende Gleichgültigkeit gründen lässt.91 Deutlich wird herausgestellt, dass bei der christlichen Einheit es um den „Ausweis" 92 der christlichen Wahrheit geht. Für eine „Lebensfrage nicht nur für die Kirche" hält Kühn es, „einen entsprechend umfassenden Wahrheitsbegriff wiederzugewinnen: nämlich Wahrheit als Lebensvollzug aus der Versöhnung". 93 „Damit ist aber das Problem der Einheit in der Wahrheit als ein solches erwiesen, das aufs engste eingebunden ist in den Lebensvollzug der Kirche insgesamt und ausgreift auf die Dimension der Einheit in der Liebe."94 Mit einem solchen Wahrheitsbegriff95 und seiner Umsetzung wäre denn auch - auf ekklesialer Ebene - erreicht, was Herbert Schnädelbach

90

Ebd., 532.

91

Das reformatorische Proprium und die Ökumene, 1986,186.

92

Ebd., 187.

93

Ebd.

94

Ders., Kirche, 1980, 211; vgl. zum Verhältnis von Wahrheit und Liebe auch Helmut Gollwitzer, Vortrupp des Lebens, 1975, 27-35.

95

... dem als kommunikatives Geschehen, als personale Selbstmitteilung im Gegensatz zu „neutraler", abstrakter Lehrwahrheit freilich ganz entschieden Emil Brunner vorgearbeitet hat besonders in: Wahrheit als Begegnung, 3 1984, der seinerseits wieder Ebner und Buber die Ehre gibt in Dogmatik 2, 31972, 9. Brunners originäres Verdienst ist zweifellos, dieses Wahrheitsverständnis nachdrücklich in den Zusammenhang mit der Liebe Gottes gebracht zu haben, etwa wenn er sagt: „Daß Gott sich offenbart hat und was er offenbart hat ist... eins: seine Mitteilsamkeit,... seine Agape" (Das Mißverständnis der Kirche, 3 1988,16). Auch die Ekklesia ist demnach für Brunner „eine ganz und gar personal zu verstehende Größe", sie ist „das eigentliche Korrelat zu dem Wort Gottes, das Jesus Christus selbst ist" (Wahrheit als Begegnung, 3 1984, 169). Sie ist „die Gemeinschaft des Christus", wobei Gemeinschaft „gegenseitige Anteilnahme, Miteinandersein, Bruderschaft bedeutet" (Das Mißverständnis der Kirche, 3 1988, 13). „An ihr soll die Welt erkennen, daß sie die Seinen sind" (ebd., 16). Die Entstehung der Gemeinde der Gläubigen durch die Ausgießung des Heiligen Geistes ist somit „eine, nämlich die letzte der großen Heilstatsachen der Offenbarungsgeschichte" (ebd., 13). Die Kirche ist für Brunner „nicht nur Gemeinschaft des Heils", sondern zugleich „göttliches Mittel, göttliche Veranstaltung, um anderen

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431

am Hegeischen für Utopie hält. Schnädelbach analysiert diesen als idealistisch/holistische Synthese von Spinoza und Kant und apostrophiert treffend dessen ontologischen Totalitätsanspruch, wenn „das Wahre das Ganze" und zugleich das „lebendige Gute" 96 sein soll gleichzeitig aber auch die Crux der Hegeischen Sichtweise, dessen dialektisches Wahrheitskonzept nicht nur die „Einheit von Wahrem und Falschem" bilden soll,97 sondern auch „von Begriff und Sache, Anspruch und Realität". 98 Angesichts insbesondere der Letzteren eklatanter Diskrepanz ist von Hegel her notwendig, die verborgene Ubereinstimmung der vordergründigen Seins-Gegensätze99 zu folgern nach dem berühmten Zweizeiler: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig",100 da andernfalls ein innerer SeinsKonflikt auch die „philosophische Versöhnung mit der Wirklichkeit" nicht gestatten würde.101 Das „wahre Ganze" könnte darum „nur ein selbst versöhntes Ganzes" 102 sein, aber nach Schnädelbach existiert „kein Kollektivsubjekt, das sie exekutieren könnte ... so dass Hegels Lehre von der Wahrheit ein intellektueller Traum ist". 103 Adorno wird ins Feld geführt, der Hegel gegenüber befindet: „Das Ganze ist das Unwahre" 104 und damit der pessimistischen Weltsicht Schopenhauers konzediert.

dasselbe Heil zu geben" (Offenbarung und Vernunft, 1961, 157). So beantwortet das Dasein der Ekklesia „die zwei Grundfragen der Menschheit nach Wahrheit und Gemeinschaft", die in Christus „ein und dasselbe" sind (Das Mißverständnis der Kirche, 31988, 15; vgl. Wahrheit als Begegnung, 31984, 23ff.). Ähnliches formuliert Pannenberg für die Christenheit im anzustrebenden Zustand der Ungespaltenheit: „Damit würden sie das große Menschheitsproblem der Vereinbarkeit von Freiheit und Gemeinschaft für das Zusammenleben der Christen selber lösen, und damit würde sich die Gemeinschaft der Christen als exemplarisch für das Zusammenleben der ganzen Menschheit darstellen." Reformation und Einheit der Kirche (Ethik und Ekklesiologie, 1977), 267. 96

Herbert Schnädelbach, Hegels Lehre von der Wahrheit, 1993,13.

97

Ebd., 12.

98

Ebd., 17.

99

Ebd., 13.

100 G. W. E. Hegel, Philosophie des Rechts, Werke 7,24. 101 A.a.O., 18. 102 Ebd., 18f. 103 Ebd., 19f. 104 Ebd., 18.

432

Ansätze zu einer Lösung des Problems

Schnädelbach stellt - völlig in unserem Sinne - fest, dass die Hegelsche Wahrheit nur eine theologische sein könne,105 da Versöhnung Angelegenheit Gottes sei.106 Nichts anderes möchten wir an dieser Stelle gesagt haben mit dem gravierenden Zusatz allerdings, dass Gottes Agape auch Gottes Wahrheit unter uns Menschen möglich gemacht hat. Schnädelbach selbst plädiert für den „Rückstieg vom metaphysischen Wahrheitsbegriff zu den begründeten Geltungsansprüchen" 107 und resümiert, dass „nicht der Pluralismus ... die Alternative zu Hegels Singular" darstellt, sondern „das, was in der Menschenwelt Pluralität möglich macht: die kommunikative Einheit der Vernunft", die zwar nicht „Versöhnung", wohl aber „Frieden" herstellen könne.108 Damit wiederum steht Schnädelbach in entidealisierter Form Hegel ebenso relativ nahe wie beide dem hier Postulierten, wonach die kommunikative Vernunft gerade der göttlichen Zutat bedarf, um in Einheit zu münden. Solche soll dem Wort Gottes gemäß tatsächlich den Frieden schaffen, dessen säkulare, auf die kränkelnde Göttin Vernunft abstellende Verheißung bei Schädelbach ebenso unausgewiesen bleibt wie Hegels vermeintlich theozentrischer Harmonismus.109 Indem aber die

105 Ebd., 16. 106 Ebd., 23. 107 Ebd., 21. 108 Ebd., 22f. 109 Das Problem bei Hegel ist sein in Wirklichkeit säkularer, nämlich pantheistischer Holismus (eine wichtige Unterscheidung, die bei Schnädelbach unterbleibt), der weit entfernt ist von einem christlichen, wie wir ihn als biblisch-ekklesialen zu interpretieren versucht haben. Auf dem Grund eines solchen aber ist tatsächlich diejenige fruchtbare Fusion der Geister verheißen, die Hegel dem „absoluten Weltgeist" zuschreiben wollte. Alle haben darum recht: Hegel mit seiner gewaltigen pneumatologischen Einheitskonzeption, Schnädelbach mit seiner weltlich-rationalen Perspektive, Feyerabend, der die Vernunft von ihrem hohen Sockel stoßen wollte, Schopenhauer, der als das „Ding an sich" den Willen zum Dasein ausmachte, Nietzsche, der diesen als „Wille zur Macht" zuspitzte, Feuerbach, der auf des Menschen Projektionsneigung hinwies und darauf, dass im Christlichen es auf die Liebe ankomme, Marx, der das Problem der Entfremdung formulierte, Adorno das der Unwahrheit des Systems, Bloch das „Prinzip Hoffnung", Heidegger, der das Existieren in Angst entlarvte und ein vergessenes Sein anrief, Luther, der bereits dessen Eingangstür aufstieß, Tillich, der es ontologisch kategorisierte, Kanitscheider mit seinem Verifikationspostulat metaphysischer Rede, die moderne Kosmologie, die solche wieder wagt, Ritsehl, der an die Dimension des Reiches Gottes erinnerte, Kraus mit der Erkenntnis dessen revolutionärer Kraft, Pannenberg, der die Offenbarung

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Einheit des Geistes Gottes Frieden stiftet auf dem Wege der Versöhnung, gerade so sehr, wie sie Versöhnung ermöglicht, lässt sie das scheinbar Utopische nicht weniger realistisch erscheinen als die Möglichkeit, dass das Vernünftige sein volles „theologisches" Niveau erreicht. In diesem Sinne erweist sich der Konflikt zwischen Wahrheit und Gemeinschaft auf genuin christlichem Hintergrund als ein Scheinkonflikt, der seiner biblischen Neufassung bedarf. Einheit ist in der Tat „nie unter Verzicht ... sondern nur durch tiefere Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheit möglich". 110 Die geoffenbarte Wahrheit aber ist, wie wir gesehen haben, die Liebe Gottes, in deren Vereinigungsleistung stückweise Menschenerkenntnis zu vollständiger Wahrheit wird. Darum gilt auch: Dieser Wahrheit erschließt sich die Wahrheit des Menschen. Vor die Erkenntnis - nicht Partikular-, sondern umfassende Seinserkenntnis - ist darum die das Ganze ermöglichende Einheit gesetzt, damit von der Erkenntnis des Ganzen aus diesem dienende - , auch rechte Partikularerkenntnis, möglich ist. Gemeinschaftliches Ganz-Heil ist, was Gott in seinem Werk ermöglicht haben will. Darum sind christliche Wahrheit und christliche Gemeinschaft im Kern so identisch,111 wie auch Gespaltenheit und Lehreinseitigkeit einander bedingen.

geschichtlich greifen möchte, Nygren, der die Gottes- mit der Menschenliebe kontrastierte, Warnach, der beide wieder verband - alle haben Recht als Fragmentbeschaffer der Wahrheit. Der Sohn Gottes aber ist es, der das wahre Ganze ermöglicht, denn „wenn das Vollkommene kommt, wird das Stückwerk abgetan" (l.Kor.13,10), das Stückwerk der Erkenntnis ebenso wie das Stückwerk des Seins der Erkennenden, das jenem Stückwerk zugrunde liegt. Darum harren alle - so sehr, wie sie sich zunächst einmal dagegen verwahren würden - ihrer ekklesialen Synthese, in welcher die Geistesgeschichte sub specie aeternitatis ihrer Erfüllung zustreben würde, hätte Gott das Kleinod nicht „den Klugen" dieser Welt „verborgen, den Unmündigen aber offenbart" (Mt.11,25). Deren Synthesis des Geisteswerkes aber vollzieht sich sub specie contraria, „damit kein Fleisch sich rühme" (l.Kor.1,29) „in Reinheit, in Erkenntnis, in Langmut, in Güte, in heiligem Geist, in ungeheuchelter Liebe, im Reden der Wahrheit, in Gotteskraft... unter Ehre und Schmach, unter böser und guter Nachrede, als Irrlehrer und doch wahrhaftig" (2.Kor.6,6-9). Indem die Kinder Gottes so beisammen sind und kraft des Kreuzes seiner Liebe bleiben, verifiziert das geistliche „Kollektivsubjekt" die Art von Wahrheit, nach der die Welt in Wahrheit verlangt. 110 Heinz-Albert Raem, „Ökumenismus", TRE, Bd. 25,1995, 83. 111 S. Emil Brunner, a.a.O.

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Ansätze zu einer Lösung des Problems

1.6 Einheit als Signum des Gottesreichs / Der biblisch-ökumenische Seinsweg Darum benötigt es heute, wo das zentrale Rechtfertigungsgeschehen als der Beginn des christlichen Lebens so hinreichend geklärt ist, dass die Konfessionen sich nicht mehr gegenseitig den Anspruch auf generelle Christlichkeit streitig machen können, für die Erlangung epistemologischer und ontologischer christlicher Vollausgeprägtheit weniger die Bemühung um Rechtgläubigkeit als vielmehr die Bemühung um Einheit. Nicht das unrealistische Ideal eigener Perfektibilität bedarf seiner Konservierung, sondern die Ökumene der biblisch-realistischen Einschätzung des Ernstes der Lage - um des Wahrheitsanspruchs der christlichen Sache willen. Das Problem der ökumenischen Bemühung besteht in der Nicht-Erkenntnis, wie prekär die Situation sich am Punkt der Einheit ausnimmt, mit der die Rechtmäßigkeit der Kirche einschließlich die ihrer Doktrin steht und fällt.112 Sachliche Fragen wie nach Amts-, nach Sakramentsverständnis sind vor dem ontologischen Krater,113 über den hinweg die Verständigung geführt wird, durchaus sekundäre, deren stabile Lösung erst von ihrem theologischen Zentrum aus zu erwarten ist. Die ökumenische Frage ist im Kern die nach der Agape, durch welche das Heil vertikal und horizontal vermittelt wird. Im Blick auf das Zweite ist darum zuerst von den personellen Bedingungen des Leibes Christi aus zu klären, inwiefern die Kirche am Heilswerk Gottes partizipiert, um dann auch jener Agape dienende Aspekte biblisch zu regeln. Die Frage der Heilsvermittlung - speziell die Frage der Una Sancta - ist zu klären und gewiss geeignet, dem ökumenischen Impuls erst seine rechte, bislang unbekannte Schubkraft zu verleihen.

112 Wolfgang Beinert sagt zu Recht, dass beim Versuch der Bewältigung der konfessionellen Kontroversen offensichtlich nicht wie üblicherweise „der Teufel im Detail" steckt, sondern „im Ganzen" des Prozesses „irrlichtet"; Konfessionelle Grunddifferenz. Ein Beitrag zur ökumenischen Epistemologie (Π), 1980, 37. 113 Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass wir öfters, so auch hier, „ontologisch" gesetzt haben, wo eigentlich „ontisch" gemeint ist. Dies geschah dann, wenn wir glaubten, dass die Vermeidung des allzu häufigen terminologischen Wechsels dem Verständnisfluss diente, ohne den tatsächlichen Aussagesinn zu gefährden, was zu erkennen wir dem aufmerksamen Leser ebenfalls zutrauten.

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Die Bewegung hin zur Einheit aber kann nur funktionieren, basierend auf der Sicht für eine zerbrochene Einheit, nicht für eine unzerbrechliche. Wir müssen daher tatsächlich die Vorstellung verwerfen, die Einheit der Kirche sei schon immer gegeben.114 Im Blick auf den paränetischen Gesamtbefund müssen wir vielmehr sehen, dass zum Wesen auch des christlichen Seins innerhalb einer gefallenen Schöpfung gerade seine eminente Zerbrechlichkeit gehört, die vornehmlich da ansetzt, wo die Situation geistlich am empfindlichsten ist. Erst wenn wir anerkennen, dass keine Einheit ist - mit allen fatalen Konsequenzen einschließlich der, dass ohne Einheit keine christliche Kirche ist - , werden wir uns angemessen um Einheit bemühen und uns so dem ontologischen Niveau der Agape nähern. Die Ökumene benötigt darum mehr Herzblut als Kirchendiplomatie, denn sie ist nicht das Kopfprodukt einer Theologenelite, sondern Sache eines in der Breite des Volkes Gottes angelegten Herzenswunsches um Einheit um der Wahrheit des Herrn willen. Die Einheit der Kirche kann sich nur gleichzeitig „von oben" wie „von unten" vollziehen,115 bei Aufbietung aller geistlichen Mittel und Kräfte. Für den personalen Lebensvollzug der Gnade Gottes braucht es auf allen Ebenen anstelle der ins Leere gelaufenen Annährungsarrangements einen bislang noch nicht da gewesenen Konsens der Bußbereitschaft, einen Bußkonsens der Herzen, nicht allein der Köpfe; einen Bußschub, der als Bußökumene das Gottesvolk in Marsch setzt, wie es sich vielleicht seit seiner Vertreibung aus Jerusalem nicht mehr bewegt hat. Insofern benötigen wir nicht nur das verbindende, sondern auch das motivierende Wesen des Geistes, das uns veranlasst, nicht nur in eschatologische Ferne zu blicken, sondern uns auch nach den Zwischenzielen unserer himmlischen Berufung auszustrecken. Wir benötigen, wenn es um die Einheit der Gemeinde geht, den originalen Schwung der Nachfolge, das „Feuer" des Geistes, das, geleitet von der biblischen Vision des Reiches Gottes, davor bewahrt werden wird, als Strohfeuer zu verpuffen. Wichtig ist, dass wir im Auge behalten, dass es dabei um nichts weniger als die Seinswahrheit Christi, das Kreuzeswerk der Agape geht - um die Versöhnungskraft des Evangeliums, die sich manifestie114 In der gerne gern bemühten Stelle Joh.17,20-21 wird die Bitte um Einheit formuliert, nicht deren eherne Unumstößlichkeit postuliert. 115 Vgl. Peter Lüning, Zur Frage nach der Wahrheit in der Ökumene, 2001, 86.

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ren möchte als Lebensgemeinschaft der in Christus auch untereinander versöhnten Gläubigen jedweder Herkunft, jedweder Neigung und jedweden Erkenntnisstandes. Die christliche Einheit steht nicht in Absichtserklärungen und öffentlichen Gesten, auch nicht in einem konsensualen Nebeneinander getrennter Neigungs- oder Uberzeugungsgemeinschaften, sondern im empirischen Beieinandersein und -bleiben der Gläubigen und, wo dieses verletzt ist, in der Evangeliumskraft der Wiedervereinigung. Der Verbreitung des Wunsches hiernach hat nicht nur die ökumenische, sondern die christliche Theologie zu dienen. Eine theologisch hinreichende Ekklesiologie muss in der Weise auf christologischer wie auf soteriologischer Grundlage das christliche Wahrheitsverständnis explizieren, hat doch die christliche Kirche keinen geringeren Auftrag, als dasselbe pneumatisch-ekklesial auszuleben. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Einlassungen von Michael Weinrich,116 der in schöner Klarheit sagt, dass in dem christlichen Wahrheitsverständnis, die ökumenische Dimension enthalten sein müsse und dass nur unter dieser Voraussetzung „auf den ökumenischen Bemühungen eine Verheißung liegen" könne, weil sich so „Wahrheit und Ökumene nicht mehr gegeneinander ausspielen" ließen.117 Weinrich beklagt die Vielzahl der theologischen Konsense der „Konferenz-Ökumene", 118 die ohne relevante kirchenverändernde Bedeutung geblieben sind, und kritisiert folgerichtig die herkömmliche Konvergenz- bzw. Konsenslogik als in ökumenischer Hinsicht unzureichend.119 Eine nicht ökumenische Ekklesiologie sei ekklesiologisch nicht in Ordnung. Der christologische Hinweis der Ekklesiologie sei fadenscheinig, solange das ökumenische Anliegen nicht deutlich erkennbar

116 In: Ökumene am Ende? Plädoyer für einen neuen Realismus, 1995. 117 Ebd., 143. Ähnlich formuliert dies mit Nachdruck auch immer wieder Pannenberg die Wahrheit sei „allgemein und insofern ökumenisch", die ökumenische Bewegung darum die „Vollendung der Reformation", bei dem, wie gesehen, aber das Maß an wünschenswerter Konsequenz - darin vergleichbar Emil Brunner - weniger imponierend ausfällt als der visionäre Ausblick; s. Anm. a.a.O.; dazu: „Was ist Wahrheit?" (Grundfragen systematischer Theologie, 1967), 202-222; sowie ST 1, 1988, llff. 118 A.a.O., 23. 119 Ebd., 2,137.

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sei.120 Das theologische Herz müsse an dieser Sache hängen, da das Ökumenische zum Wesen jeder Kirche gehöre.121 Auch Weinrich wendet sich gegen jene Überbetonung der Vielfalt, der gegenüber eine realexistierende Einheit als selbstverständlich bestehend vorausgesetzt wird.122 Auf die Art entbehre die Rede von der Einheit ihres mobilisierenden Charakters und bedeute stattdessen de facto den Friedensschluss mit dem status quo. Die Einheit sei aber keine abstrakt feststellbare „Verträglichkeit".123 Um hier wirklich weiterzukommen, müsse darum dem ekklesiologischen Defizit der Ökumene 120 Ebd., 8. 121 Auch Moltmann formuliert hierzu Vorzügliches: „Erneuerung der Kirche kann nur als ein Ereignis gesehen werden, das unmittelbar und unablösbar mit der Einheit der Kirche verbunden ist. Eine Erneuerung, die nicht die Einheit zum Ziel hat, ist illusorisch" (a.a.O., vgl. Kirche in der Kraft des Geistes, 2 1989, 25). Für die Erneuerung aber bedarf es wie zu Zeiten der Reformation der Wiederentdeckung der befreienden Evangeliumsbotschaft, das heißt in unserem Falle ihrer noch brachliegenden heilsstiftenden Potentiale. „Keine Vereinigung ohne Erneuerung, keine Erneuerung ohne Befreiung" (ebd.). Wohl noch immer mit das Beste und Klarste zum Problem weitest gediehener Erkenntnis des kirchlichen Erneuerungsbedarfs einerseits, seiner stoisch unterbleibenden Umsetzung andererseits, zum Problem auch der Aporie kirchlicher Steuerung geistlicher Um- und Durchbrüche, sind die Ausführungen von Hans-Joachim Kraus (ST, 1983, 512): „Die Kirchen haben eine erschreckende Systematik entwickelt, um die letzten Konsequenzen hinsichtlich der una sancta ecclesia zu tabuisieren. In Jesus Christus verbürgt und eschatologisch aufgehoben erscheint die Einheit jedem sich ihr nähernden Schritt weit entrückt; und einige kleine Verständigungserfolge und Kooperationsversuche lenken, indem sie bejubelt werden, von der Unerreichbarkeit des ,eschatologischen' Fernziels ab. So werden die Kirchen vor aller Welt zum Spott, zum Inbegriff der Unversöhnlichkeit und zu einem immer fragwürdiger sich darstellenden religiösen Relikt. Gewiß, man hat sich gewöhnt an das Unerträgliche, Unzumutbare, dass Versöhnung gepredigt wird von denen, die unversöhnt nebeneinander im Weihrauch ihrer Selbstrechtfertigung oder Unfehlbarkeit dahinschreiten. Aber wer mit Ernst Christ sein will und nur einen Hauch verspürt hat, was ekklesia in Wahrheit ist, der wird sich nicht an den Zustand gewöhnen, sondern auf der untersten Ebene das Neue wagen: in Basisgemeinden und Gruppen, die über alle Grenzen hinweg dem Einen folgen, vor dem alle Schranken gefallen sind: Jesus Christus. Aus allen geschichtlich gewordenen und konfessionell verfestigten Kirchenformen ist der Exodus in die dem Reich der Freiheit entgegengehende ekklesia verheißen und geboten. Ganz unten, da, wo Jesus sich aufhielt und wirkte, tun sich die ganz neuen Wege auf. Sie stehen unter der Verheißung, die keine Garantie der Kirche zu geben vermag. Der Exodus in die Einheit ist das Gebot der Stunde, in dem die Anfänge der Erneuerung beschlossen liegen." 122 A.a.O., 78. 123 Ebd., 138.

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abgeholfen werden, dessen theologische Unabweisbarkeit bislang nicht genügend evident gemacht worden sei. Das Christusbekenntnis müsse stärker zum Chrisfwsbekenntnis werden.124 Weinrich macht überdies aufmerksam darauf, dass das Doxologische als theologischer Bezugsrahmen gerade für die Ekklesiologie relevant ist125, sowie zu Recht auch darauf, dass die eigentliche ökumenische Frage das Verhältnis der Kirche zu Israel betrifft.126 Wir halten fest: Ökumene und Wahrheit sind biblisch-christologisch in Korrelation zu setzen, um so die Ganzrealität des Gotteswesens im Bereich des Geschöpflichen wiederzugewinnen. Der totus Christus, um dessen Offenbarung es Gott zu tun ist, ist in ontologischer Hinsicht weit mehr als Wort und/oder Sakrament. Wichtig ist darum, dass wir uns um einer ekklesialen Wahrnehmung des Seins willen von den Beschränkungen beider Konfessionen freimachen, dass wir gegenüber aller dinghaft-individualistischen Verkürzung der Heilszueignung in der Kategorie des Volkes Gottes und seiner Lebensvollzüge denken lernen, das Reich Gottes nach seinen geist-leiblichen Grundsätzen vor Augen, den Christusorganismus als den korporativen Hoffnungsträger dieser Welt. Was wir brauchen, ist um der realen Zerrüttung des Seins willen seine ekklesiale Vorausgestalt gemäß der biblischen Verheißung, darum den festen Willen zum Evangeliums-Ganzen als dem tatsächlich praktizierten Zusammenspiel der Geistesgaben.127 In dem Maße, wie wir es ernst meinen mit dem Eingeständnis der Partikularität unserer eigenen Erkenntnis und erst recht der unseres eigenen Seins, ist uns solches schon jetzt in Christus ermöglicht. Über das Werk Christi erschließt sich das Sein Christi in kirchlicher Gestalt. Darum ist die Einheit von Werk und Gestalt ein ökumenisches Unternehmen. Die Kirche ist, vereinfacht gesagt, die katholische Sache auf evangelischem Weg, wobei das eine wie das andere für sich genommen ein Torso bleibt. Protestantismus und Katholizismus benöti-

124 Ebd., 76. 125 Ebd., 91. 126 Ebd., 149ff„ vgl. Ulrich Körtner, Versöhnte Verschiedenheit, 1998, 89-92. 127 Nach Käsemann ist die Charismenlehre des Paulus „Projektion der Rechtfertigungslehre in die Ekklesiologie hinein"; „Amt und Gemeinde im Neuen Testament" in: Exegetische Versuche und Besinnungen Bd. 1, 1964,119.

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gen einander nicht nur zur gegenseitigen Ergänzung, sondern schon für die Integrität der jeweils eigenen Position.128 Wir benötigen das ganz-christologische Kriterium, das ebenso das dialogisch-evangelische wie das substanzhaft-katholische Element umgreift und ermöglicht. Gerade in der ganz-christologischen Fundamentierung ist auch der Kirche rechtes Innen- wie Außenverhältnis gegeben - ihre geistleibliche Identität in Liebe und Heiligkeit als den Charakteristika des lebendigen Gottes.129 Das Wesen der Kirche ist exklusiv nach außen und inklusiv nach innen.130 In der konsequenten Anwendung beider Aspekte besteht ihre typologische Besonderheit, die sie in den Augen des Herrn angenehm macht. Wenn wir uns aufmachen, mit Nachdruck die vielgeschmähte „organisatorische" Einheit zu fördern, können wir als Evangelische für uns in Anspruch nehmen, uns der Souveränität Gottes zu beugen. Wenn diese Einheit gleichzeitig den Unterschied verdeutlicht zu jeder Form eroshafter Säkular-Religiosität, können wir als Katholische guten Gewissens der Kirche christologische Autorität behaupten.

2. Die Notwendigkeit theologisch/dogmatischer Erneuerung 2.1 Die Rehabilitation der Agape im Zentrum einer theologischen (Fundamental-)Ontologie Die Erneuerung der Kirche muss im Zusammenhang aller übrigen dogmatischen Artikel, insbesondere des christologischen und des 128 Vgl. Ulrich Kühn, a.a.O.; sowie Martin Bieler, Die Radikalität der Versöhnung. Der ökumenische Dialog und das Problem der theologischen Denkform, 1998, 219-236. 129 Vgl. Körtner, Vesöhnte Verschiedenheit, 1998,81ff. 130 S. a.a.O., vgl. Körtner, Christus allein?, 1998, 8ff.; Heinrich Döring in: Das unterscheidend Christliche und die anderen Religionen, 2001, lOOff., die dieses Prinzip jeweils sehen, aber, ähnlich Hans Küng, mit den Aporien - wie wir meinen vergeblich - kämpfen, eine Exklusivität sichern zu wollen, die (bei Döring in: Ökumene vor dem Ziel, 1998, 48) die Gestalt einer „Weltkirche" hat und konsequenterweise einer „De-absolutierung der Christologie" das Wort reden muss (a.a.O., 117). Vgl. hingegen zur „integrative(n) Kraft der Gemeinde" in neutestamentlicher Perspektive Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 131-135; sowie ebd. das Thema der Anfeindung der christlichen Gemeinde seitens der Umwelt und ihre Reaktion darauf, 196-211.

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pneumatologischen, geschehen. 131 Die Christologie ist im Hinblick auf die Einheit und Identität der Kirche der zentrale, der grundlegende Artikel, wie die Pneumatologie der zu solcher Einheit und Identität anleitende, ausgestaltende ist.132 Den theologischen Gesamtkontext einer im Sinne ihrer Einheit verpflichtenden Ekklesiologie bildet dabei die biblische Reich-Gottes-Lehre, die die verbindlichen, dauerhaften Vorgaben für das Volk Gottes liefert. Eine solche Neukonzeption dürfte mit Fug und Recht „christliche Ontologie" heißen, was wir jedoch der Vorbelastung des Begriffs wegen nicht empfehlen. Der Sache nach aber ist eine systematisch konsistente christliche Konzeption der Wirklichkeit in für jedermann begreiflicher Klarheit und Widerspruchsfreiheit anzustreben, auch wenn auf diesem Weg die biblischen Inhalte nicht zwingend in die klassische dogmatische Montage münden. Das neue Sein, das Gott schafft, erlaubt auch neue akademische Formate, sofern diese seiner verbindlichen Instruktion nicht zuwiderlaufen. Die Bedienungsanleitung des christlichen Seins ist uns unüberbietbar in Form der Heiligen Schriften in die Hand gegeben und will im Sinne der Glaubhaftigkeit der christlichen Botschaft in jeder nutzbringenden Weise reflektiert und angewandt sein.

131 Die Unaufgebbarkeit und Präzedenζ der christologischen Perspektive für das Unterfangen kirchlicher Einheit „als eines der hervorragenden Strukturprinzipien der Einheit, insbesondere bei der Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Verschiedenheit" (107), hat Tobias Brandner (in: Einheit - gegeben - verloren - erstrebt, 1996) ebenso schön herausgearbeitet wie die die christologische Substanz präzisierende und dynamisierende Funktion des Geistes in seiner „Brückenfunktion zur Welt" (110). „Die relative Statik christozentrischer oder überhaupt christologisch qualifizierter Einheit erhält eine Dynamik, ohne dass die Bindung der Einheit an Christus aufgehoben würde. Die christologische Bindung der Einheit spiegelt sich in der christologischen Bindung der Pneumatologie" (116). Brandner lässt keinen Zweifel daran, dass diese Perspektive dem ursprünglichen Ideal des ORK von „organischer Einheit ... äußerst nahe" liegt (98). Wenn demgegenüber der (ebd., 101) erwähnte Einwand gemacht wird, „dass eine christozentrische Perspektive keine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Phänomen religiöser Pluralität ermögliche", so spricht das nicht gegen, sondern für die christologische Perspektive, die in der Tat sich mit dem religiösem Pluralismus der gegenwärtigen Stoßrichtung so wenig verträgt, wie sie stattdessen die ganze, uneingeschränkte plurale Fülle der Schöpfungs- und Geistesgaben in der durch Christus gehaltenen Glaubensgemeinschaft gewährleistet. 132 Vgl. Martin Bieler, der empfiehlt, „das Schwergewicht von der Rechtfertigung auf die Christologie" zu verlegen in: Die Radikalität der Versöhnung, 1998, 234.

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Auch im Blick auf die reformatorische Vollendung solchen mit der Rechtfertigungslehre schon eingeleiteten Unterfangens steht es sicher gut an, am Wort Gottes anzusetzen und zu unterstreichen, dass dieses „Teil Gottes ist, Gott, der sich selbst für das Leben manifestiert".133 In diesem Sinne bedarf das Dogma vom Wort Gottes, ausgehend von der Anerkennung seiner sprachlichen Fixierung, jedoch seiner christologisch-phänomenologischen Ausdifferenzierung. Das Wort Gottes soll „reichlich unter uns wohnen" (Kol.3,15) - über die Kanzelrede und die Bibelstunde hinaus. Unserer - echten - Gemeinschaft Gott verherrlichende Seinsäußerung will es bilden „in aller Weisheit... mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern" (V.16). Das Gotteslob ist die eigentlich anabatische Komponente der Agape, in welchem die Schöpfungskomplexität ihre definitive ontologische Erfüllung erfährt. Gott, der allein keine Vergebung benötigt, will auf unseren seinshaftimpliziten wie verbal-expliziten Lobpreis keinesfalls verzichten. Das ist sein Eros. Von diesem, wenn man so will, propädeutischen Ausgangspunkt aus, wird der Bogen über eine der Gesamtspannweite des Seins angepasste, theologisch verbreiterte Christologie und Soteriologie, eine entsprechend zu präzisierende Pneumatologie bis zu einer theologisch prononcierteren Ekklesiologie zu spannen sein, wobei auch die Lehre vom Menschen, von der menschlichen Kultur, ja schließlich die Lehre von der Herkunft und Zielbestimmung des insgesamten kosmischen Prozesses mit zahlreichen belebenden Impulsen sollte versehen werden können, Impulsen, die die Theologie nicht weiter in ein realitäts- und verifikationsfreies Ghettodasein drängen, sondern ganz im Gegenteil sie auch mit den Sozial- und Naturwissenschaften neu gesprächsfähig machen dürften. Unter dem reformatorischen Schriftpathos hat eine biblische Differenzierung des Wortes Gottes bis heute andauernden Schaden genommen, den es um dessen realer Seinsmächtigkeit - das meint seiner realen Macht über das Sein - willen aufzuarbeiten gilt. Es kommt heute darauf an, das Konstruktionswort wiederzufinden sowie das rechte Verständnis der Instruktion Gottes. Wir benötigen die dem gemäße Heils-

133 Interessanterweise Tillich, Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, 1956, 69.

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Wirklichkeit, damit die ontologische Komplettierung des Christentums. Beides, Vertikale und Horizontale sind dessen Standbeine. Die christliche Ontologie muss wieder als Grundlage fungieren für die christliche Soteriologie. Die praktische Ausformung der soteriologischen Komponente aber ist Sache der biblischen Logos-Christologie. Diese im Kontext der Dogmatik neu zu bestimmen, ist Aufgabe der Fundamentaltheologie. Die entsprechenden ekklesiologischen Konsequenzen einzufordern und soweit wie möglich zu praktizieren, obliegt indes dem gesamten Kirchenvolk. Bei all dem ist die Agape als nervus rerum keineswegs übergewichtet, sondern ermöglicht die Anwendung der christlichen Lehrartikel im Bereich des Ontischen - in der Praxis. Eine ontologische Neubesinnung in theologischer Hinsicht benötigen wir schlicht darum, weil die Liebe eine ganz und gar ontologische Größe ist. Von der Agape als göttlicher Schlüsselqualität aus lehrt die Bibel die Möglichkeit realer wesenhafter Veränderung, die Verwandlung letztendlich des gesamten, ins Heil gestellten Seins und sie lehrt den Realgrund solcher Verwandlung. Sie identifiziert diesen als den Grund und Herrn allen Seins, den Sohn Gottes, Jesus Christus.134 „Dieser Christus ist der Realgrund eines Lebens in der Liebe." 135 Den offenbart sie uns, um uns in ihm wieder fest und unerschütterlich zu verankern, damit wir in unserem originalen Seinsgrund diesem gemäß „recht" wandeln. So ist dabei auch die Bibel nicht untergewichtet, gilt es sie doch wieder als Begleitoffenbarung zu begreifen, als inspiriertes Offenbarungszeugnis, dessen christologischer Gehalt den skriptologischen Disput obsolet macht, im Maße wie mit der Sicherstellung der soteriologisch-ontologischen Begründung des Seins auch die Selbstevidenz der Schrift ans Licht rückt. Christus ist der Herr der Schrift, weil ihr Subjekt (Joh.5,39).136 Wir müssen Christus selbst neu sehen und annehmen lernen, wie die Bibel ihn präsentiert.137 Die Aufgabe der Kirche ist 134 S.o. 135 Emil Brunner, Das Gebot und die Ordnungen, 41978, 43. 136 Rechtes Schriftverständnis kann darum kein anderes sein als das Schriftverständnis Jesu (s. Peter Stuhlmacher, Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik, 2 1986, 64f.), eines, das ihn erschließt als den Christus Gottes (s. dazu noch einmal den Klassiker von Walter Künneth, Glauben an Jesus, 1962); vgl. o. 137 In diesem Sinne bejahen wir Schlatters „Hermeneutik der Wahrnehmung" dessen, was geschrieben steht und dem nicht von vornherein weniger Glaubwürdigkeit zu

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seine ontische Umsetzung, zu zeigen, was es bedeutet, dass Jesus der Christus ist. Das Ob haben die biblischen Autoren schon hinreichend geklärt. Aufgabe der Theologie ist die Explikation der Inhalte, der Sache selbst in der Weise, dass aus dem Heil auch glaubensförderndes Wohl wird. Sie hat so von Christus zu reden, dass seine unverkürzte Erscheinung möglich wird einschließlich der Möglichkeit, Dissense christlich-integrativ zu regeln. Bei der Sache müssen wir bleiben. Die Inhalte der Bibel gilt es zu lesen und umsetzen, die Lücken zu schließen und so diejenige Glaubhaftigkeit des christlichen Projekts neu zu erfahren, die sich aus der christologischen Gesamtkonsonanz des Werkes Gottes ergibt. Ohne christliche Inhalte haben wir im Ergebnis leere Kirchen und/oder leeres Ritual. In der Darstellung des vollständigen Sohnes Gottes nach dem Muster der neutestamentlichen Pneumatologie aber kann und wird die Überwindung aller konfessionellen Einseitigkeiten und Extreme möglich sein. Dieser Prozess verlangt die schriftgemäße Synthese der Christusanteile, basierend auf der Geistesfähigkeit, den Anderen höher zu achten als die eigene Klugheit. Wenn es darum geht, das Sein der Kirche der ontologischen Weisheit Gottes anzupassen, besteht kein Grund, von der verborgenen Richtigkeit der eigenen Position auszugehen, sondern getrost auch von deren offenbaren, himmelschreienden Fraglichkeit. Wir dürfen und sollen unsere Bedürftigkeit anerkennen und so demütig werden, wie es dem auf Christus allein hoffenden Sünder angemessen ist und ihm zum Heil dient. Indem, wo der Austausch von Argumenten keine Einung erbracht hat, anstelle von Rechthaberei die Demutshaltung der Agape greift und so dem Heiligen Geist Raum für eine höhere Einsicht geschaffen wird, dürfen wir aber zuversichtlich sein, dass dieser zu seiner Zeit auch das Gute unserer eigenen Position an passender Stelle zur Geltung bringen (vgl.l.Pt.5,6), so dass es am Ende unter Reich-Gottes-Dienern tatsächlich keine Verlierer geben wird, sondern die alle gleichermaßen frappierende und beschämende göttliche Konstruktion. Darum ist im Sinne dieser Hoffnung eine selbstkritische Einstellung aller Parteien das Entscheidende, idealerweise kombiniert mit dem gemeinsamen Befragen der Heiligen Schrift,

konzedieren ist als den gewiss weniger konsistenten Ergebnissen der modernen Schriftkritik; zu Schlatter s. Stuhlmacher a.a.O., 170f.

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ob es sich denn so verhält (Apg.17,11) mit dem, was nicht so sehr der Andere, vielmehr man selbst bislang als unumstößlich vertreten hat. „Wo immer um die Wahrheit des Evangeliums recht gerungen wird, muß das Ziel die Erneuerung der Einheit der Kirche sein; denn sonst wird die Wahrheit bestenfalls partiell erreicht."138 Solange die Parteien noch in ihrer selbst gewisser Manier darüber verhandeln, über welchem Niveau von Wahrheit man nur zusammenkommen könne, ist der ökumenische Prozess ebenso eine Schimäre wie das christliche Wahrheitsideal. Es bedarf stattdessen als Verhandlungs-Ausgangsposition der Einsicht in die Angewiesenheit auf die Ergänzung durch den andersdenkenden Bruder, um sich tatsächlich derjenigen Wahrheit gemeinsam anzunähern, die gemäß der Schrift wie auch gemäß der Vorstellung kirchlicher Repräsenz139 die Wahrheit des totus Christus sein kann und sein soll.140 Wenn unter diesem Blickwinkel eine christologisch fundamentierte Ökumene auf den Weg gebracht ist als Ausdruck gemeinsamer Umkehr zu Christus als wahrem Haupt und wahrer Menschheit, wird ersichtlich werden, dass präzise für das Sein der Christenheit gilt: omne ens est verum. So gilt es, durch die Beziehung des Instruktionswortes auf das Konstruktionswort die Wiedergewinnung christlicher Reich-Gottes-Theologie und Reich-Gottes-Wirklichkeit zu erreichen, die agapeische Grundstruktur des Heils in universalgeschichtlicher Perspektive und ekklesialer Konkretion.

138 Ferdinand Hahn, Die Einheit der Kirche und Kirchengemeinschaft in neutestamentlicher Sicht (Gesammelte Aufsätze, 1986), 158. 139 Dass wir von den katholischen Freunden dabei lernen dürfen - anstatt ihnen solches vorzuhalten

die Kirche als aktuellen Vollzug des Christusgeschehens zu verste-

hen, ist hier hoffentlich nicht unterbetont geblieben. 140 So betrachtet ist Nicolai Hartmann zuzustimmen, wenn er sagt, dass Erkenntnis „im Grunde ein Seinsverhältnis ist, ein solches nämlich zwischen seiendem Subjekt und ebenso seiendem Objekt". Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie, Kleinere Schriften, Bd. 1,1955,133.

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3. Die Notwendigkeit kirchlich-praktischer Umkehr 3.1 Der christliche Normalzustand als norma ecclesiae / Die Rehabilitierung des Christlichen infolge kirchlicher Buße Für die komplette Rückgewinnung der christlichen Wahrheit ist die Bereitschaft nötig, den urchristlichsten aller Wege hin zu dieser Wahrheit einzuschlagen, die Bereitschaft zur Buße auf theoretischem und erst recht auf praktischem Gebiet. Was wir benötigen, ist theologische Besinnung und kirchliche Umkehr, die schlichte Rückkehr zum christlichen Normalzustand - keine hohe kirchliche Idealgestalt, als wollten wir vorwegnehmen, was uns als ein Künftiges bereitet ist, aber die geistlich korrekte Niedrigkeitsgestalt der Una Sancta. Die Alternative hieße tiefer hineinzuschlittern in einen womöglich uneinholbaren Pluralismus, der auch durch wohlfeile Plaketten wie „offene Einheit", „differenzierter Konsens" u.ä. nicht christlicher wird. 141 141 Mit solchen Vorstellungen ist der ökumenische Prozess bedauerlicherweise von seinen früheren, auf korporative Einheit, wie sie hier gemeint ist, gerichteten Zielen, die etwa auf der Vollversammlung des ORK in Neu Delhi 1961 noch formuliert wurden, wo die fortbestehende Kirchenspaltung als der Glaubhaftigkeit des Evangelium abträgliche kirchliche Fehlentwicklung angeprangert wurde, mittlerweile fast völlig abgerückt. Das Ringen zwischen den alten, tatsächlich ökumenischen und den neuen, den Ansprüchen einer zusammengerückten Welt verpflichteten Idealen hat Konrad Raiser als „Die Unschlüssigkeit der ökumenischen Bewegung" (11) beschrieben (in: Ökumene im Übergang, 1989), und korrekt festgestellt, dass es hierbei im Kern „um die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Christus und seiner Kirche" geht (19), wobei in Raisers universal-christozentrischer Schau gerade die ekklesiologische Konkretion des Christusgeschehens leider auf der Strecke bleibt. Ahnlich äußern sich Joachim Wanke, der „das „Fehlen einer verbindlichen Leitvorstellung von Einheit" beklagt (in: Erlahmt der ökumenische Impuls?, 1999, 103); sowie auch Ulrich Körtner, der meint: „Es bedarf ... einer theologischen Theorie, in welcher der Begriff der Einheit überhaupt erst eine sinnvolle Funktion bekommt" (in: Versöhnte Verschiedenheit, 1998, 78). Der von Körtner postulierte Paradigmenwechsel „von der Konsensökumene zur Differenzökumene" (in dem gleichnamigen Aufsatz, 2001, aus dessen 2003 erschienener Fassung wir ebenfalls zitieren) erhärtet allerdings den Eindruck, dass besagtes Ringen zugunsten des Zeitgeistes bereits vorentschieden ist. Die konfessionelle Vielgestaltigkeit soll im Zuge der Letzteren hier nur noch bedingt als Ausdruck schuldhafter Trennung interpretiert werden, insoweit dadurch die Tischgemeinschaft verhindert wird. Folgerichtig soll es nicht mehr um die „Einebnung", vielmehr um die „Zuordnung des Unterschiedlichen" gehen (2001, 294). Die pneumatisch-dynamische Bewegung in Richtung Einheit soll ermöglichen, dass „im

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Geschehen der Versöhnung historisch gewachsene konfessionelle Identitäten gleichermaßen anerkannt wie verwandelt und unter Umständen sogar überwunden werden" (2003, Pkt. 5). Sind wir zu phantasielos, zu kleingläubig gar, wenn wir hierin das Bemühen um die Quadratur des Kreises sehen? Oder ist die „Kohärenz des unaufhebbar Differenten" (2001, 305, an Raiser a.a.O. anknüpfend), wie wir vermuten, nur die dialektische Euphemisierung dessen, was Ökumene heißen dürfte? Ist ein solches ontologisches Jonglieren tatsächlich im Sinne der Eindeutigkeit des christlichen Projekts vertretbar, wie insbesondere dessen Stifter sie gefordert hat? (vgl. Mt.5,37). Plausibel wird das Paradoxe freilich, insofern Veränderungsbedürftigkeit sich ganz um das Anliegen der Interkommunion dreht, die neue ökumenische Zielsetzung also eine nur minimale und gewiss nicht mehr allzu schwierig erreichbare ist. Unsere eigenen Vorstellungen greifen demgegenüber erheblich weiter. Wir halten „konstruktive Toleranz" und „konfessionellen Respekt" u. dgl. (2001, 296) für diskursive Selbstverständlichkeiten und für allemal zu wenig, um als ökumenische Erfolge bewundert zu werden. Wir meinen, dass an dieser Stelle das Christliche noch nicht einmal begonnen, geschweige denn sein Ziel erricht hat und dass auch das gemeinsame Abendmahl keineswegs der Schlusspunkt ökumenischer Optionen sein kann, sondern nur deren Beginn. Mit Blick auf die ursprünglichen, anspruchsvolleren ökumenischen Intentionen darf auch künftig gelten: Nicht dann, wenn die Konfessionskirchen sich gegenseitig anerkennen, ist christlicher Fortschritt erreicht, sondern wenn es statt diesen ein gemeinsames Haus gibt, in dem man gemeinsam zur Ehre des Hausherrn in Versöhnung lebt und dementsprechend echte Tischgemeinschaft und nicht nur gelegentliches gemeinsames Picknick pflegt. Im Ganzen zeichnet sich die neue ökumenische Sachlichkeit - für die Körtner nur exemplarisch steht - aus als die schätzenswerte Reflexion der Möglichkeiten christlicher Einheit unter den Bedingungen der gegenwärtigen Moderne. Genau darin liegt aber auch ihre - man möchte sagen: unverzeihliche - Insuffizienz. Das christliche Modell ist nur wirklich interessant als die zeitlose Gegenposition zum gesellschaftlich „Machbaren" (s. a.a.O.). Wir Christen sind tatsächlich „Schwärmer" für das den säkularen Idealen überlegene Modell der Gottesgesellschaft und ihren genuinen, in und mit der Liebe Gottes verbürgten, einzigartigen Möglichkeiten. In diesen als Alternative zu einer pluralistischen Ekklesiologie „totalitäres Einheitsstreben" zu sehen (2003, Pkt. 20), heißt gerade die pneumatische Dynamis Gottes leugnen. Zugespitzt als „Einheit von Identität und Differenz" (2003, Pkt. 4) erscheint in Körtners dialektischer Differenzierung das Verhältnis Einheit - Vielfalt systematisch tatsächlich nahezu vollendet ausbalanciert. Die Frage aber ist, ob die so vollzogene Bejahung des bislang als widersprüchlich Geltenden überhaupt noch jener christlichen Eigenarten bedarf, denen zufolge die Heiligkeit und Liebe Gottes die oben beschriebenen, sein Reich konturierenden typischen Grenzen einerseits, seine typischen Entgrenzungen andererseits realisiert. Im biblischen Modell des Christusleibes sind der „undialektische Begriff von Einheit" und der „theologische Begriff von Differenz" (2001, 300) gerade keine kluge Paradoxie-Deutungen erfordernden Antagonismen, sondern - innergemeindlich - in vollendeter Korrelation befindlich. Sie sind es nur hier, wo einem Maximum an Einheit auch ein Maximum an Differenz korrespon-

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Die V e r ä n d e r u n g der Kirche beginnt im H e r z e n ihrer Glieder u n d h a t v o n d a a u s alle w u n d e r b a r e V e r h e i ß u n g . D a r u m besteht die A u f g a b e k i r c h l i c h e r P r e d i g t h e u t e in e r h e b l i c h e m M a ß e d a r i n , a u f d i e B e r e i t s c h a f t z u r U m k e h r h i n z u w i r k e n . 1 4 2 Sie m u s s s i c h s e l b s t b e e i n d r u c k e n lassen v o n der ekklesialen Dimension des E v a n g e l i u m s u n d m u s s u m echte Reue ringen143 über den schuldhaften Entstellungen dessen, w a s in e i n t r ä c h t i g e m , l e i b h a f t e m Z u s a m m e n s p i e l z u r u n l e u g b a r e n

Reprä-

s e n t a n z des H e r r n selbst u n d seines Reiches b e s t i m m t w a r u n d allen I r r u n g e n u n d W i r r u n g e n z u m T r o t z b e s t i m m t bleibt. D i e R e u e ist, w i e Scheler richtig g e s e h e n hat, die „revolutionäre Kraft schlechthin", d e n n sie s c h i c k t u n s m i t g r ö ß t m ö g l i c h e m A n t r i e b in d i e r i c h t i g e R i c h t u n g . 1 4 4 R e u e ist d e r e r s t e g e i s t i g e S c h r i t t w e g v o n d e m a l s f a l s c h E r k a n n t e n u n d sie ist d a b e i d e r g a n z e n t s c h e i d e n d e S c h r i t t , d e n n d i e R e u e l ä d t d a s E r b a r m e n G o t t e s ein, d a s er n i c h t v e r s a g e n w i r d . N o c h v o r d e r R e u e

diert, wird durch die Agape - und nur durch diese - doch das Verschiedenste engstmöglich zueinandergebracht. Das bedeutet nun eben doch schöpfungsgemäße sozio-/anthropologische Vielfalt in Proportionalität zur Überwindung der die Menschen separierenden Sünde, ist doch im Maße, wie das Differente zusammenkommt, zusammensteht und freimütig zusammenbleibt, überhaupt erst echte Begegnung möglich. Um darauf bei allen Konzessionen an ein Paradigma guter Nachbarschaft doch nicht ganz zu verzichten, wird als Katalysator für die christliche Einung gerne auf die Sachzwänge der säkularen bzw. multireligiösen Situation abgestellt (s. ebd., 295). Indem und solange wir darauf hoffen, liegt aber weiterhin gerade jener innere Faktor brach, von dem aus spezifisch christliche Veränderung beginnt. Mit seiner Neufixierung hoffen wir der gewünschten theologischen Theorie, entgegen der gerade im Pluralismuskonzept greifbaren ökumenischen Resignation, schrift- und der Kraft Gottes gemäß zugearbeitet zu haben. Zum Werdegang der ökumenischen Theologie s. Lukas Vischer, Die Einheit der Kirche, 1965; sowie Reinhard Frieling, Der Weg des ökumenischen Gedankens, 1992. 142 Dabei ist das restitutive Element nicht gegen das teleologische auszuspielen, sondern sind beide aufeinander zu beziehen; vgl. Brandner, a.a.O., 146ff. 143 Das Moment der Buße, das den ökumenischen Prozess von Beginn an ausgezeichnet hat, wurde besonders in Lima (1982) thematisiert, um dann noch einmal durch die Groupe des Dombes (Für die Umkehr der Kirchen, 1994) eindrücklich in Erinnerung gerufen zu werden. Seine Praxis steht noch aus. 144 Vgl. zum Thema Buße oder „Reue" im Zusammenhang mit „Wiedergeburt" Schelers schöne Ausführungen, in denen auch „der zum Heile leitende Prozess der Gesamtreue und Volksreue" - wenngleich verhältnismäßig knapp - behandelt wird. Vom Ewigen im Menschen, Ges. Werke 5, 4 1954, 26-59; Varia Π, Ges. Werke 15, 1997, 143-144. S. auch Helmut Harsch, Das ,Unterscheidend-Christliche' in der Psychotherapie, 2001, 150-162, wo „Metanoia als psychotherapeutische Aufgabe" (155) beschrieben wird, die mit „neuer Schulderkenntnis" beginnt (154).

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steht darum die Tugend der Wahrhaftigkeit, die von der Kirche gefordert ist im Blick auf ihr tatsächliches Sein. Wir reden von Wahrhaftigkeit, nicht von Erkenntnis, denn in puncto Einheit ist die Diskrepanz der aktuellen Kirche zu ihrem biblischen Vorbild jedem, der Augen hat, offenkundig. Die schon beschriebene Verzweiflungslogik, die lieber an den offenkundigen Fakten spitzfindig manipuliert, anstatt der Wahrheit des eigenen Seins ins Gesicht zu schauen, ist unser als Christen unwürdig. Theologisch ist sie ungehörig, drückt sie doch fehlendes Vertrauen in die Gnade Gottes aus, die in der Weise, wie sie das Leben eines Sünders umwandeln, gewiss auch der Kirche zur Besserung verhelfen kann. Ohne Frage ist das Eingeständnis unserer eigenen Fragwürdigkeit als Kirche ein besonders peinliches, ein in beunruhigender Weise am vertrauten Selbstbild rüttelndes. Mit dieser Zumutung aber hat das Volk Gottes zu allen Zeiten zu rechnen. Die Bereitschaft zu fundamentalem Umdenken ist unumgänglich, wollen wir in unserer eigenen Misere die heilsschaffende Kraft Gottes erfahren, die wir Außenstehenden mit immer weniger Erfolg predigen. Tut sie dann auch praktische Schritte der Buße, ist die Kirche schlagartig aus dem Schlimmsten, aus dem Zustand der Trägheit und Halsstarrigkeit nämlich heraus. 3.2 Kirche als Gestaltwerdung der Agape / Spannung statt Spaltung / Die ekklesia als Antizipation des Gottesreichs / - des eschatologischen Gotteslobs Damit ist zum Thema Liebe und Sein das Wesentliche gesagt. Es hat sich gezeigt, dass nach biblisch-ontologischer Vorstellung das Sein als Ganzheit von der Weisheit Gottes künden soll und dass die Kraft der Ganzheit das Wort Gottes als die Liebe Gottes ist, die mithin das christologische Fundament allen Seins bildet. Es hat sich auch gezeigt, dass Sein in den Augen des Schöpfers Sein in Einheit ist, das skriptologisch aufgeschlüsselt nach ekklesialer Umsetzung verlangt. Im Maße, wie wir uns davon entfernt haben, sind wir zur Umkehr gefordert und angewiesen auf den entsprechenden Ruf in der Predigt, die uns zu überführen hat von jenen Halb- und Lauheiten, die das Volk Gottes zu allen Zeiten am meisten gefährden. Die Spaltung womöglich nicht mehr als Sünde erkennen, ist ein Zeichen fortgeschrittener christlicher

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Wahrnehmungstrübung. Aber auch die Spaltungssünde anprangern und gleichzeitig die Konfessionsvielfalt legitimieren, ist nicht besser ein in biblisch-ontologischer Hinsicht schizophrenes Unterfangen, das für die Wiedergewinnung christlicher Seins-Glaubhaftigkeit höchst ungeeignet ist. Beides, Letzteres wider besseres Wissen, überantwortet das christliche Projekt dem Diktat des Säkularismus. Wirklichkeit, Wahrhaftigkeit und Vollständigkeit des christlichen Heils beanspruchen erklärtermaßen die Überwindung der Seinsweise der christlichen Unversöhntheit. Insofern ist die ökumenische Anstrengung nichts anderes als das Zum-Zuge-Kommen des Evangeliums und kann auch nur auf diesem Weg einschneidenden und anhaltenden Erfolg haben. Die Einheit der Kirche bekundet den ontologischen Sieg der Liebe Gottes und ist darum um der Offenbarung willen zu suchen, um der Glaubhaftigkeit und um der Eigenerfahrung des Kreuzes Christi willen. Die kirchliche Trennung hingegen setzt die Passion Christi fort. Sie ist nicht Ärgernis des Evangeliums, sie ist Ärgernis am Evangelium.145 Wir brauchen darum mehr als nur die Kirche anders, wir brauchen eine andere Kirche, eine, die für sich reklamieren kann, tatsächlich Kirche Christi zu sein und nicht der schadhafte Ausdruck menschlichen Befindens. Die konzeptionelle Ganzheit des Seins ermöglicht und erfordert als dessen heilshafte Antizipation die Einheit der Kirche. Die Christusoffenbarung begründet solche Einheit, gerade weil und indem sie die Zurechtbringung des einzelnen Glaubenden begründet einerseits, die Integrität der Schöpfungskomplexität andererseits. Beides, die Einheit der Gläubigen wie auch ihre je einzelne Rechtfertigung, muss als die eine selbe Sache gesehen werden im Blick auf den Bau des neutestamentlichen Gottesreichs. Dabei dürfen wir optimistisch sein, dass das vermeintliche Problem der Vielfalt biblischer Ekklesiologien146 in Bezug auf die grundsätzlichen notae des Reiches Gottes tatsächlich keines ist, da die entsprechenden Texte keinesfalls als Gegensätze, sondern komplementär in Bezug auf das komplexe geistliche Mysterium der ekklesia zu begreifen

145 Völlig abwegig ist von daher der Gedanke einer kreuzestheologischen Begründung der ökumenischen Not - zu meinen, dass wir mit unseren Schwierigkeiten in Sachen Einheit am Leiden Christi gemäß 2.Kor.4,10 teilhätten, wie dies bei Körtner gesagt wird (a.a.O., 303). 146 Vgl. Hans lörg Urban, Harald Wagner (Hg.), Handbuch der Ökumenik, 1985, 79ff.

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sind. Vielmehr dürfen wir davon ausgehen, dass ein hochgradig brisantes Evangelium sich eine hochinteressante, eine hochgradig ungewöhnliche, auch differenzierte Ausdrucksform verschaffen möchte, deren christliches Signum bei aller - dann konstruktiven - Spannung in der Wahrung der Einheit besteht. Die christliche Einheit ist am Ende mehr als eine Lehreinheit, sie ist eine organische, eine, die sehr wohl Lehrunterschiede bis zum Grad des Christusbekenntnisses erträgt.147 Das Christusbekenntnis als ein pluripersonal gelebtes aber ist wiederum gerade ganz wesentlich durch die Agape garantierte, ungeteilte praktisch gelebte Bruderschaft vor Ort.148 Die Bedeutung und die Würde christlicher Gemeinde als christologisches Versöhnungsgeschehen in einer überaus versöhnungsbedürftigen Welt zu unterschreiten, besteht keinerlei biblische Veranlassung. Eine durch die Agape des Kreuzes organisierte und in Einmütigkeit gehaltene Kirche hingegen darf und soll sich mit aller biblischen Befugnis als die Speerspitze des Gottesreichs begreifen.149 Die christliche Ganzheit zeichnet sich aus durch geeinte Vielfalt, die nur innergemeindlich, als eine durch die Agape garantierte, etwas Be147 Auch hier kommen wir von der Bibel her nicht umhin, an den reformatorischen notae ecclesiae Kritik zu üben, genauer: daran, dass ihre Ungenügsamkeit nicht hinreichend theologisch aufgearbeitet ist. Das biblische Sein der Gemeinde ist mehr als der Ort rechter Predigt und rechter Sakramentsverwaltung, wie das biblische Sein Christi mehr als seine Zwei-Naturen-Paradoxie (die kein biblisches Thema ist, s.o.), die die Soteriologie (denn auch nicht wirklich) ergänzt und wie auch das biblische Sein des Heiligen Geistes eindeutiger, bestechender und fruchtbarer als jene pneumatologische Konfusion, die der Vergessenheit der christlichen Ontologie notwendig folgt. 148 Die Betonung der „Wirksamkeit Christi in der Ortskirche" entdecken wir bei Christian Link; Ulrich Luz; Lukas Vischer, Sie aber hielten fest an der Gemeinschaft, 1988, 107-116. Insgesamt wurde das Ortsprinzip der neutestamentlichen Gemeinde bislang in der Theologie zu wenig beleuchtet, freilich auch belastet durch Extrembetonungen diverser freikirchlicher Gruppierungen (wie etwa der sog. „Gemeinde", die den alten Fehler begeht, die an Einheit interessierten Gläubigen statt auf einem neutralen Forum wiederum in einem kirchlicher als alle anderen sich dünkenden Gebilde zu versammeln, um so am Ende die Zersplitterung nur weiter zu fördern. Der Urvater der Bewegung, Watchman Nee, auf den man sich beruft, hat an diesem Punkt klarer gesehen und genau diesen Schnellschuss nach hinten zu vermeiden versucht). 149 Vgl. Jürgen Moltmann und Hans-Joachim Kraus a.a.O. - auch Schleiermachers Gleichsetzung von Kirche und Gottesreich in: Der christliche Glaube Π, 7 1960, 136ff., 207ff.

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sonderes ist. Hier ist sie unabdingbar und hier ist sie auch möglich durch das im Gemeinschaftssinne „innere" Wirken des Heiligen Geistes. Dessen ontologisch einzigartige Wirkweise gilt es neu zu begreifen und von da aus Erneuerung zuzulassen. Wir können und wir müssen nicht die Einheit der Kirche aus eigener Kraft realisieren.150 Wir können und wir müssen aber die Kraft Gottes zulassen - die Bibel zeigt uns wie. Sie ist uns unverrückbar geschenkt und ihre Früchte sind uns unverbrüchlich verheißen. Darum gilt das Wort von Kurt Aland: „Die Wiedervereinigung in der Liebe ist jederzeit möglich. Es ist eine Schande, wenn wir diesen Weg nicht weit genug beschreiten." 151 Mit der Agape selbst aber steht das Thema wie auch die Substanz des Christentums zu seiner Neuentdeckung und seiner Neubelebung an. Die Liebe Gottes ist die Leiblichkeit Gottes. Eine Kirche, die diesem, ihrem kostbarsten Schatz, dereinst wieder dem Evangelium gerechten Ausdruck verleiht, kann und wird darum auch das unleugbare Signum Gottes in dieser Welt sein.152 Als solches gibt sie auch Zeugnis der un-

150 S. Martin Luther, WA 50, 476, 31-35. 151 Kurt Aland, Einheit der Kirche?, 1964, 56. 152 An dieser Stelle hat wiederum Jürgen Moltmann (in: Kirche in der Kraft des Geistes, 2 1989) Wegweisendes gesagt, ausgehend von der Erkenntnis, dass die Rechtfertigung nur den Beginn des christlichen Lebens darstelle, so dass für eine pneumatologische Christologie geworben wird. Moltmann spricht von der Sendung des Heiligen Geistes als dem „Eschaton der Geschichte Christi" (50), würdigt ebenfalls den totus Christus als die Zusammengehörigkeit von Haupt und Leib (89, vgl. Heinrich Schlier, Der Brief an die Epheser 51969, 91ff., 206ff.), um gleichwohl Bedenken gegen die Vorstellung des Christus prolongatus zu äußern (90). Die Kirche ist nach Moltmann eine „zugleich eschatologische und geschichtliche Größe" (36). Sie ist die „Antizipation des Reiches Gottes in der Geschichte", ihre Angehörigen sind das „Volk des Reiches Gottes" (220). Moltmann möchte mit der geschichtlichen Komponente der Kirche erklären, dass sie gespalten, „unheilig" sei und konstatiert, dass „nur in der Annahme des eigenen Kreuzes die Verheißung Christi" gegeben sei (40). So existiere die Kirche - wie bei Tillich - als Paradoxum (41). Eine „heilige Kirche" sei eine „umkehrende Kirche" (381). Eine solche wiederum, so ist kritisch anzumerken, wird durch Überstrapazierung des „Messianischen" nicht eben gefördert, wenngleich Moltmann zu ihrer Konkretion die Ergänzung der apostolischen und reformatorischen notae ecclesiae durch weitere, auch äußerlich verifizierbare fordert (367f.). Die Liebe als das unterscheidend-christliche Agens pneumatisch-gemeinschaftlichen Seinsvollzugs suchen wir auch hier vergeblich. Auch bei Moltmann ist nicht die Agape, sondern das Sakrament „eschatologisches Geheimnis Gottes" (228). Seine schöne pneumatologisch-ekklesiologische Theorie kollidiert besonders fla-

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sichtbaren Welt von der unwiderstehlichen Kraft des Herrn allen Seins. In ihrem einhelligen, reinen Chor hört man bereits weniger das Seufzen der Kreatur, es klingt schon leise der Gesang der Überwinder durch (Off. 15,3-4; 4,8-11). 3.3 Das kirchliche Mysterium Von hier aus muss auch zum kirchlichen Sakrament ein Wort erfolgen. Was das tatsächliche göttliche Mysterium der Kirche ist, haben wir gesehen. Gestützt durch das eschatologische Bewusstsein der frühen Gemeinde manifestiert sich die Agape als Auswirkung der Vergebungsbotschaft nach außen hin nicht zuletzt in ihrem missionarischen Engagement. 153 So haben wir, indem darin das Bewusstsein des Dazugehörens wie des Nicht-Dazugehörens zum Ausdruck kommt, das „Drinnen-" und das „Draußensein", erneut die Liebe und die Heiligkeit der Gemeinde als ihre wesentlichen Kennzeichen vor Augen, als die inneren und äußeren Konturen des Gottesreichs. Für beides sind Taufe und Abendmahl die je adäquaten Symbole, die ebenfalls nicht die Sache selbst bilden, sie aber auch nicht nur symbolisieren, sondern sie sichtbar zum Ausdruck bringen - sofern die ekklesia tatsächlich als ekklesia existiert. Die Taufe drückt sichtbar den Eintritt in Gottes neue Schöpfung aus, das Abendmahl deren unbedingten Zusammenhalt. Beide sind somit nicht zeichenhafte Antizipation der Heilsverheißung, sondern zeichenhafte Realisation. In dem Zusammenhang müssen wir auch das Fehlen wesentlicher kirchlicher Merkmale bei den Reformatoren erwähnen, bei denen weder die Heiligkeit noch die Liebe eine ekklesiologisch tragende Rolle spielt. Bedingt durch die Vernachlässigung des Zeugnisauftrags der Gemeinde konnte neben ein formales Verkündigungsprinzip die Aufrechterhaltung des katholischen Sakramentsgedankens treten und dazu beitragen, dass die Kirche anstelle eines leibhaften prophetischen Gerichts- und Verheißungsworts an die Welt wieder zu einer objektivistischen Institution degenerieren konnte, zur Hüterin deren moralischer grant mit der kirchlichen Wirklichkeit, bleibt darum aber gut geeignet, dieselbe kritisch zu beleuchten. 153 ... „als Proklamierung des Endes"; Hans-Werner Bartsch, Die unvollendete Reformation des 16. Jahrhunderts, 1968,78.

Das kirchliche Mysterium

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Ordnung, anstatt Zeugin zu bleiben von der höheren Weisheit Gottes. Mit dem Sakrament ist das Heilige zurückgekehrt bzw. unverrückt geblieben und hat die Heiligen ihrer evangeliumsgemäßen Seinsverantwortung weitgehend enthoben.154 Bei der Bemühung um die reine Lehre kam wiederum die Liebe zu kurz.155 Nachhaltig aus diesem Reaktionsgeflecht heraus finden wir nur, wenn wir die Predigt des Evangeliums unmittelbar und konsequent beziehen auf das kommunitäre Sein des Gottesvolkes, wenn wir begreifen, dass die Botschaft Gottes die Gläubigen strukturell, nach außen und nach innen neu positionieren will. Die Kirche ist nicht Kirche der Welt, sie ist als Kirche Gottes Gegenüber der Welt. Darin steht ihre Heiligkeit und mit dieser steht und fällt die Inständigkeit ihrer Liebe.156 Das „Reich Gottes" meint in diesem Sinne die Vollständigkeit der Rechtfertigungsaktion Gottes, nicht nur deren individuellen Beginn bei diesem und jenem Einzelnen. „Wo zwei oder drei" in seinem Namen „zusammen sind", ist er „mitten unter ihnen" (Mt.18,20) und in der Weise mitten unter der Welt. Die Rechtfertigung nicht nur des Sünders, sondern der Sünder will das Reich der Liebe Gottes verwirklichen, sein Volk aus dem Weltgeschehen herausschälen, und sie tut dies, indem sie „die Menge der Sünden zudeckt" (l.Pt.4,8). Darum bildet die Vergebung in jeder Hinsicht den Schlüsselakt des Gottesreichs. Im Blick auf seine Heiligkeit ist dieses die Auswirkung empfangener, im Blick auf die Liebe weitergewährter Vergebung, die Wechselwirkung beider ist das Gütesiegel des neuen Bundes.157 Von hier aus ist der rechte Blickwinkel auf alles Weltgeschehen einschließlich auf das alte Gottesvolk gegeben. Was wir zum Verständnis der Agape entsprechend benötigen, ist die heilsgeschichtliche Sichtweise Gottes entgegen ihrer anthropologischen Verkürzung nicht zuletzt als Alternative zu den ontologischen Theorien säkularer Weltinterpretation. Die Geschichte des Seins, geschaffen, gesucht und wiedergebracht in, mit und durch die Agape Gottes: Das ist die ontolo-

154 155 156 157

S. Brunner, Dogmatik 3,21964, 71. 79ff. 120; vgl. o. S. ebd., 111. Vgl. o. So auch Bartsch, der die Vergebung als „das entscheidende Zeichen der Gemeinde" benennt. „Durch sie wird das Gottesreich konstituiert. In der Vergebung ist das Gottesreich bereits in dieser Welt wirksam." A.a.O., 79.

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gische Offenbarung, die die Heilige Schrift uns nahe bringt. Die Bibel hat eine Weltformel und wir Christen allen Grund, diese - nicht nur verbal, sondern seinshaft umfassend - darzustellen.

4. Die Wiedergewinnung der eigentlichen eschatologischen Spannung / Das „Noch nicht" 4.1 Das bleibend Eschatologische und das „Angeld" des Geistes 4.1.1 Die individuelle und universelle Hoffnung / Die soziale Wirklichkeit des Christentums als Uberbrückung des „Noch nicht" Die Liebe realisiert, wie gesehen, den Einklang der Schöpfung - Sein als Einheit. Dies ist ihr zentrales Unterfangen, weshalb wie der Begriff der Liebe auch der der Einheit eine den Bereich des Ethisch-Moralischen übergreifende, ontologisch gehaltvolle, nämlich seine originale theologische Interpretation benötigt, seine „fundamentale" Interpretation. Dabei ist deren beider ekklesiale Wirklichkeit nur das „Angeld" des Heiligen Geistes (2.Kor.l,22). Es bleiben die Nöte und Defizite des Einzelnen, wie sie besonders eindrücklich der 2. Korintherbrief schildert, und es bleibt die globale Unvollendetheit, wie sie quer durch das gesamte Neue Testament bezeugt wird. Die Hoffnung der Nachfolger Jesu ist, „überkleidet zu werden, damit das Sterbliche vom Leben verschlungen werde" (2.Kor.5,4). Die Hoffnung richtet sich auf einen „neuen Himmel und eine neue Erde", in der „kein Leid noch Geschrei noch Schmerz" sein werden (Off.21,1-4), ein Dasein ohne Verhängnis, Verletzung, Scheitern und Neubeginn, Gebrechen und Tod. Es bleibt mit den vielfältigen, individuellen und globalen Seinsdefiziten auch der Status irdischer „Fremdlingsschaft" (Heb.11,13; l.Pt.2,11), gleichwohl aber soll in den ekklesialen Räumen des Heiligen Geistes dem Gläubigen schon ein neues Zuhause bereitet sein. Nachdem die eigentliche ontologische Zäsur mit dem Glaubensbeginn geschehen ist, soll zwischen dem Jetzt und dem Einst kein garstiger Graben, sondern Ubergang bestehen. Weil völlige Befreiung nach christlicher Vorstellung in der gegenwärtigen Welt nicht zu realisieren ist, noch zu realisieren sein wird, ist jetzt schon das Leben der Christusgläubigen als ein Leben der Geistespräsenz, ein Leben bruderschaftlicher Hilfeleistung, zual-

Das „Angeld" des Geistes

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lermeist aber ein Leben der Vergebungswirklichkeit vorgesehen, ein Leben das schon jetzt ein eminent identisches, erfülltes sein darf und das doch ein Leben in hoffnungsfroher Aussicht dessen sein soll, was erst noch kommt „an Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll" (Rö.8,18). Gerade wegen des verbleibenden Umfangs des Noch-nicht müssen wir Gläubige wenigstens die „Erstlingsgabe" (Rö.8,23) des Heiligen Geistes zurückgewinnen und mit diesem die biblische Sicht von der Kirche als dessen opus proprium. Weil das gegenwärtige Heil noch nicht in vollem Maß individuell und auch noch nicht universell besteht, will, soll und kann es gemeinschaftlicher Art sein, sprich: das schon jetzt ermöglichte konstruktive Zusammenwirken der Glieder des Leibes Christi.158 Dieses Heil funktionierenden zwischenmenschlichen Ausgleichs, nicht vertraglich wie bei Kant, nicht als Ausgeglichenheit individueller Triebenergien wie bei Freud, sondern in pneumatischekklesialer Symphonie wie bei Paulus, will in seiner kommunitären Dynamis bereits heute in die noch offenen Bereiche, die Geister scheidend, hineinwirken. Solches, ontologisch klar konturiertes Christentum ist „in", aber nicht „von" dieser Welt (Joh.15,19; 17,14). Im Maße wie es seine geistliche Identität gewinnt, gewinnt es sein Welt eröffnendes Wesen, um gleichwohl deren überwiegende Ablehnung zu provozieren. Darum ist nicht die Quantität an Christlichkeit entscheidend, sondern dessen Qualität. Das Maß seiner Qualität schließt nicht die eschatologische Lücke, aber verringert sie auf ein schon jetzt erträgliches Quantum.

4.2 Reich Gottes und Weltwirklichkeit 4.2.1 Die christliche Provokation (Der christliche Dualismus) / Das „Nein" der Welt zum „Ja" Gottes / Christliche Erneuerung Die These Barths, wonach das Christentum ganz und gar Eschatologie sein müsse,159 ist somit zu bejahen im Blick darauf, wie groß die christliche Hoffnung auf das Zukünftige ist. Sie ist jedoch abzulehnen im 158 An dieser Stelle gegen Oscar Cullmann, der die kirchliche Einheit zum „Noch nicht" der Heilsgeschehnisse rechnet; s. Einheit durch Vielfalt, 1986, 138f. 159 Karl Barth, Der Römerbrief,

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1989, 298; vgl. Moltmann, a.a.O.

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Blick auf die Größe der Gegenwartsverheißung. Richtig ist, dass die Kirche mit der eschatologischen Emphase auch ihre Aufbruchsstimmung als Gerettetenschar der Zeitenwende verloren hat und dass das christliche Sein sich zu einer von der Mächtigkeit des je herrschenden Daseins anscheinend unbegrenzt adaptierbaren und modifizierbaren, einer in jeder Richtung biegsamen Seins-Unterfütterung hat funktionalisieren lassen. 160 So steht das Gottesvolk am vorläufigen Ende eines schier endlos langen ontologischen Desillusionierungsprozesses, an einem Punkt, an dem sich schließlich „die Hoffnung gegen die Kirche kehrt". 161 Der biblische Glaube aber ist je und je Exodus aus Ägypten und das soll uns anspornen nicht zu schwärmerischen Utopien, die mit großer Geste die vergangene Wegstrecke ignorieren wollen, aber doch aufzubrechen in das Land der Verheißung. Im Maße wie das Ursprüngliche nach Wiederbelebung verlangt, zeigt sich, dass das Christentum ganz und gar Aktualität sein muss. Ein solcher, auch in der Perspektive des Seins des Reiches Gottes konsequenter Glaube kann auch „das Elend des Christentums" 162 bewältigen, indem er wie vor dessen Segnungen auch vor dessen Verirrungen die Augen nicht verschließt. Der Friede mit Gott kann nichts anderes als Unfriede mit der Kirche bedeuten, sofern deren Sein ein Stück Welt geworden ist. Die Bibel liefert uns die verbindlichen Maßstäbe nicht zur Verurteilung, aber zur rechten Beurteilung auch dieser Situation. Biblische Erneuerung ist darum nicht die selbstherrliche Überhebung über die Geschichtswirklichkeit, sondern die demütige Identifikation mit derselben und das gleichzeitige energische Pochen auf die offenbaren Wahrheiten Gottes, auf die ontologischen Gesetze des Heiligen Geistes. „Werde wach und stärke das übrige, das sterben will" (Off.3,2), heißt der Grundsatz wahrer christlicher Reform. Die Kirche kann auch heute noch die Rolle eines fundamentalen gesellschaftlichen Anders-Seins spielen. In der christlichen Sache liegt noch immer die eigentliche „Umkehr aller Werte" beschlossen. Sie muss bei sich selbst aber solche Umkehr vollziehen, bevor sie den Finger gegen die Welt hebt.

160 ... worin wir mit Heidegger tatsächlich „das Verhängnis des Abendlandes" erblicken (Vorträge und Aufsätze, GA, «2000, 77). 161 Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung, 1997, 12. 162 S. die gleichnamige Schrift von Joachim Kahl, 1969.

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Das Problem des Christentums war und ist zu allen Zeiten die Frage seiner Eindeutigkeit und Konsequenz als „Christenheit". 163 Sein Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung und Kooperation war schon immer unverträglich mit seiner spezifischen Eigenidentität, da es ausdrücklich entgegen den „Grundsätzen der Welt", sondern nach denen „des Christus" (Kol.2,8) konzipiert ist. Darum haben seine praktischen wie theologischen Errungenschaften bei tiefer blickenden Geistern - gerade von der „Gegenseite", wie Nietzsche oder auch Heidegger - mehr Abscheu denn Respekt bewirkt, hat es doch statt der Köstlichkeit der Liebe Gottes gar zu oft bloßen Pragmatismus dargeboten. Die tatsächlich vorhandene, echte Qualität der Liebe aber ist es, die das Christentum unterscheidet von einer Welt, die davon nur singt und redet. Womöglich ist ein Christentum ohne die Liebe als seinen Kern noch immer Christentum, aber nur als leere, schlaffe Hülle, in welche alles und jedes leicht einzudringen und die göttliche Frucht zu verunstalten vermag. Entsprechend sind die der Agape dienlichen Reinigungsprozesse des christlichen Seins unvermeidlich. Das Christentum kann nicht im Frieden mit sich selbst sein und schon gar nicht mit seinem Begründer, solange es im gleichen Boot mit den Spöttern sitzt und es wird gerade diese dort nicht überzeugen. „Wisst ihr nicht, dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott bedeutet?" (Jak.4,4). Den Ernst dieser Aussage gilt es erst noch zu begreifen, nicht im Sinne neomanichäistischer Neigung, sondern zugunsten der eigentlichen Attraktivität des christlichen Projekts.164 Das Lavieren zwischen mehre-

163 Zu allen Zeiten gültig - ob mit oder ohne Unterstützung durch äußere Drucksituationen - ist darum auch der Appell von Nikolai Berdiajew: „Man darf nicht den Willen zur Vollkommenheit, die Sehnsucht nach der göttlichen Gerechtigkeit und nach dem Reiche Gottes durch den Hinweis lahmen, dass die menschliche Natur von der Sünde verletzt ist und das christliche Ideal auf dieser Erde stets unverwirklicht bleiben wird. Der Mensch muss sich bemühen, die göttliche Wahrheit zu erfüllen, ohne sich darum zu kümmern, auf welche Weise sie sich in der Fülle des Lebens manifestieren wird. Mag es auch sein, dass sich nur ein winziger Teil der Menschen um die Verwirklichung der Wahrheit Christi auf Erden bemüht, und mag es auch geschehen, dass der Mensch nur eine Stunde seines Lebens dieser Verwirklichung widmet: die Wahrheit Christi wird in diesem Leben dennoch Wirklichkeit werden." Von der Würde des Christentums und der Unwürde der Christen, 41937, 30. 164 Zu dessen Zukunftsfähigkeit, dann wenn „Gottes Herrschaft als Inbegriff von Leben und Freude" (28) wieder zu stehen kommt, vgl. die interessanten Ausführungen von Heinrich Döring in: Ökumene vor dem Ziel, 1998, 25-45.

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ren Seiten war schon immer der Untergang des Volkes Gottes und kann und wird in keinem Fall und in keiner Variante etwas anderes sein, auch wenn kirchliche Honoratioren im öffentlichen Diskurs sich noch so geschickt winden. Das Christentum taugt nicht als gesellschaftliches Regulativ, es taugt nur als gesellschaftlicher Gegenentwurf, als Gegengesellschaft, die eindeutig Flagge zeigt und insbesondere eindeutig in Einheit existiert. Beides, ihr Abgetrennt-Sein von den autodestruktiven säkularen Modetrends und ihre diesen das positive Spiegelbild ihres tatsächlichen Begehrens vorhaltende substanzhafte Daseinspraxis machen die Geistgemeinschaft in geistloser Zeit erst interessant. Ihr „Nein" zu zügellosem Missbrauch gottgegebener Seinsgeschenke und ihr „Ja" zu deren faszinierenden schöpfungsgemäßen Eigenarten begründen die Schönheit der Gemeinde wie auch ihre Außenseiterrolle. So besteht das ontologische Dilemma des Christentums nicht zuletzt darin, dass es aus biblischer Perspektive als im wahrsten Sinne fundamentaloppositionelle Minderheitenbewegung seine Verheißung hat, als eschatologisch konzentriertes Ausstiegsvolk aus dem „gegenwärtigen Weltlauf" (Gal.1,4) 165 und dass diese Rolle hochgradig außer Mode gekommen und verunglimpft ist, zumal die Aneignung dieser Rolle von radikalen Gruppierungen regelmäßig sehr unerfreuliche Ergebnisse zeitigt. Dass das Christentum in diese Rolle - wenn man so will als „Subkultur", als im Sinne des hier Dargelegten christliche „Sekte" sich freiwillig wieder hinein begibt, erscheint ebenso unwahrscheinlich wie darum auch die Konsequenz, dass es seine originale Ausstrahlungskraft wiedergewinnt, seine Korrektivfunktion als echtes gesellschaftliches Alternativmodell. Ein infolge seiner Verbürgerlichung kraftloses Christentum bleibt in Sachen des Seins ebenso wenig wegweisend wie gegen solche Verbürgerlichung aufbegehrende Bewegungen, die als Rechts- oder als Linksausleger des Mainstreams eher skurril wirken 166 und ihrerseits erleben müssen, wie weltliche Karawanen an ihnen links wie rechts vorüberziehen, ohne dass sie selber ein genuin christliches Gesamtangebot bereitzustellen in der Lage wären. Es kann einem schon jeden christlichen Elan rauben, wenn man sieht, wie

165 S. Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 1993, 91, 99. 166 ... die „Promisekeeper" etwa oder auf der anderen Seite die „Jesusfreaks".

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die Kirche, bemüht um jeweilige Zeitgemäßheit und Akzeptanz, in ihren ureigenen Anliegen, ganzheitliche, heilsame Lebensgestaltung betreffend, von säkularen Alternativofferten auch noch abgehängt wird, von Wellness, Fitness u. dgl. bis hin zum sozialen Unterfangen des communitarism. Grund dafür ist, dass nichts und niemand das schlichte, unverfälschte, einzig wirklich gemeinschaftsstiftende christliche Sein ersetzen kann. Das Nischendasein der Kirche ist immer die Folge davon, dass man mehr haben möchte als „bloß" dessen geistliche Intaktheit. Ihre Belanglosigkeit entsteht durch den Eingriff in Belange und die Aneignung von Kompetenzen, die die ihren nicht eigentlich sind, mit denen sie vielmehr ihre wahren Defizite zu übertünchen versucht. Dabei wird die Kirche selbst zu einem Wellnessangebot, wenn sie ein anderes Wohl offerieren möchte als das des Evangeliums. Sie muss sich darum entscheiden, ob sie ihre vermeintliche gesellschaftliche Bedeutung genau so erkaufen möchte oder ob sie mit Blick auf ihre tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung - das ist noch immer in erster Linie eine missionarische167 - alteingesessene sowie modernistische Kungeleien überprüft. Sie kann nicht zwei Herren dienen; nicht Christus und irgendeinem „Weltethos" (Küng). Sie wird am Ende den einen lieben und den anderen verraten. Womöglich hat die Rückkehr in die Diaspora solcher Exklusivität schon bereits begonnen. Wir sollten diesen Weg von Herzen bejahen, koste er auch vieles,168 denn es ist ausschließlich der schmale Weg, auf dem die christliche Preziose erlangt wird (Mt.7,14). Ihrer ek-klesialen Anlage entsprechend, ist mit ihrer Marginalisierung die Kirche vorzüglich in die Lage versetzt, zu sich und zur Welt zu finden, sofern sie sich nicht als spiritueller Konsumartikel in die Sphäre privater Muße verdrängen lässt, sondern in gereinigter Fasson die Liebe Gottes zum Vorschein bringt, seine Einladung an den in seiner natürlich-aggressiven Selbstbehauptung nicht liebenswerten Menschen geschenkweise all jene

167 S. zum Thema „Mission als das Grundverhalten zur Welt" Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 1987, 211ff. 168 ... etwa das Vergnügen, in Buchhandlungen fundierte christliche Literatur zu erwerben. Auch dass Vereinzeltes sich heute nur noch hinter meterweisen Einführungen in den Buddhismus, insbesondere in die verbalen Flachheiten des Dalai Lama findet, muss uns nicht wirklich beunruhigen. Es gilt das Diktum von Karl Barth, wonach das Christliche ohnehin nicht in Büchern steht (vgl. Pred.12,12-14).

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ewigkeitsfeste Wertschätzung zu empfangen, die das menschliche Sein - um Christi willen - zurecht erwarten und erhoffen darf. 169 Solches verkörpernd, ist und bleibt das Christliche nicht ein Angebot auf, sondern das singulare Angebot abseits dem säkulares Wertekarussells. Beiden zuträglich ist darum eine Differenzierung von Welt und Gottesreich, die auf die prinzipiellen und strukturellen Unterschiede einander widerstreitender Daseins-Realitäten abzielt. Was der Glaubwürdigkeit der christlichen Sache Not tut, ist echte Seinswahrheit anstelle von „seligem Wahnsinn". 1 7 0 Die Welt bedarf nicht moralisierender Einmischungen eines über seine eigene Beschaffenheit im Unklaren befindlichen, profillosen „Christentums". Wir selbst benötigen die klare biblische Lehre vom Reich Gottes, dessen mutige Verkündigung und womöglich noch mutigere - dem gemäße Konsequenzen, die uns herausführen aus den überkommenen dogmatischen Einseitigkeiten und den entsprechenden institutionellen Gebilden. Dabei muss die Vorstellung vom Reich Gottes, so sehr dieses als nicht der Welt entstammend zu begreifen ist, gerade „weltlich" gefüllt werden, mit allem, was „Welt" eigentlich will und inmitten der Welt Fuß fassen. Über seine geschöpflich-leibliche Komponente hinaus, die als Aspekt des Messianischen bereits ins Eschatologische übergreift, ist „Reich Gottes" vom Sein der Liebe aus zu verstehen als sozialer Begriff und zu erstreben als das eigentlich soziale Unterfangen überhaupt. In dem Moment, wo Rechtfertigung als ontologische Interpretation der Reich-GottesVerkündigung geschieht, bekommt sie den sozialen Bezug, den sie bei den biblischen Autoren stets besitzt und der weiter reicht als die Frage nach Recht und Gerechtigkeit. Das Evangelium ist es, das diejenige schrankenlose Gesellschaft schafft, von der politische Idealisten immer geträumt haben. 171 Während diese auf Menschenkräfte setzten und 169 Mit Blick hierauf ist es verunmöglicht, fundamental-christliche (wie die unsrigen) und fundamental-nichtchristliche Absichten in irgendeiner Weise für geistesverwandt zu halten, bedeutet das Fundamentalistische im Christentum doch niemals die kämpferische Beanspruchung säkularer Rechtsgüter, sondern im eigenen Hause die Zulassung desjenigen Fundamentes, welches erkennen lässt, dass neben der ontischen Flickschusterei, der in Absenz der Agape der politische Kompromiss nachgehen muss, auch das Andere noch immer nicht verunmöglicht ist: die freie, konstruktive Einheit des Seins. 170 Diese nette Vokabel findet sich bei Karl Jaspers, Von der Wahrheit, 4 1991, 462. 171 So ist auch die neutestamentliche Gütergemeinschaft (Apg.2,44f.) als Ausdruck der alleinigen Abhängigkeit von der Gnade Gottes eine unmittelbare Konsequenz der

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scheiterten, ist uns im Evangelium jedoch zur Verfügung gestellt, was die Welt tatsächlich im innersten verbindet. Bei all dem wird deutlich, dass wir keinesfalls ein neues theologisches Paradigma benötigen. Bereits mit evangelischer Konsequenz wäre evangelischerseits das Entscheidende getan. Auf biblisch-konservativem Wege wird progressiver Fortschritt im Reich Gottes erzielt.172 Was wir „nur" brauchen, ist der Neuaufbruch zu einer christlichen Lebensweise, sprich insbesondere Gemeinschaftspraxis, die leibhaftig demonstriert, was keine Menschheitsepoche je erlangt hat - den Frieden Gottes, in welchem seine Kinder tatsächlich „in Eintracht beisammen sind" (Ps.133,1). Nach dieser Realität als der Realität der Agape gilt es zu trachten um der Offenbarung Gottes willen. An eschatologischer Spannung bleibt auch einer geeinten Kirche genügend erhalten und die Kirche benötigt diese Spannung so lebensnotwendig wie ihre Einheit. 173 Beide stehen in einem korrelativen Verhältnis, ist doch gerade im Maße der Spannung zur Außenwelt die innere Stabilität der Kirche gefragt und womöglich erst durch dieselbe entscheidend gefördert - so dass die Heiligkeit der Gemeinde als ihrem äußeren Grundprinzip ihrem inneren, der Agape, dienlich ist. Eine rechte christliche Eschatologie 174 - einschließlich ihres apokalyptischen Elements - ist eine, die das Wesen biblischer ekklesia befördert. Das kommende Reich Gottes ermöglicht und stärkt das gegenwärtige. 175 „Die Liebe erhält Kraft und Gehalt von der Zukunft, auf die Rechtfertigungsfakten; vgl. Jürgen Becker, a.a.O., 71f.; Ludger Schenke, Die Urgemeinde, 1990,90ff. 172 Vgl. Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte, Bd. 2 , 1 9 9 1 , 2 f . 173 S. Hans-Werner Bartsch, Die unvollendete Reformation des 16. Jahrhunderts, 1968, 30ff. 174 Wir schließen uns hier H. J. Kraus an, der die „sich realisierende Eschatologie" als die dem kommenden Reich Gottes entsprechende ansieht in ST, 1983, 358; vgl. Ladd, a.a.O.; sowie zu den Problemen der Eschatologie auch Wilfried Härle, Dogmatik, 1995, 604-608. 175 Die eschatologische Grundausrichtung der Gemeinde bei gleichzeitiger pneumatologischer Erdverbundenheit wird uns bei Lukas vor Augen geführt, der die „normale" Existenz im Gottesreich als ein einmütiges Leben in dessen Anbrach und als Ausdruck desselben schildert. Das Sein des Auferstandenen prägt das Bewusstsein der Gläubigen und die Vision der neuen Welt schweißt sie zusammen. Die Gemeinde formiert sich entsprechend, macht sich bereit für das Kommende, ist im Aufbruch

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Ansätze zu einer Lösung des Problems

wir zugehen." 176 Im fundamentalen Mangel an solcher evangeliumsgerechten Liebe indes besteht das Problem der Absenz des Reiches als das Problem der kirchlichen Unglaubwürdigkeit.177 Die Welt hält heute wie zu allen Zeiten genau danach Ausschau, Ausschau nach der durch die Agape geformten und glänzenden ekklesia. „Die Kreatur lechzt nach dem Offenbarwerden der Herrlichkeit der Söhne Gottes" (Rö.8,19). Dieses stellt nicht das eschatologische Ende, sondern vielmehr den eschatologische Anfang dar. Denn „ihn (Christus) muss der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung alles dessen, wovon Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von alters her geredet hat". Darum gilt: „So tut nun Buße und bekehret euch, damit eure Sünden getilgt werden, auf dass Zeiten der Erquickung vom Angesichte des Herrn kommen und er den für euch bestimmten Christus Jesus senden möge" (Apg.3,19-21). 4.3 Möglichkeiten christlicher Apologetik 4.3.1 Seins- und Verbalverkündigung der ekklesia / Die Universalität des Christlichen / Theologie als Fundamentalwissenschaft / - als ganzheitliche Wirklichkeitswissenschaft Das Christentum ist wohl bestens geeignet, nicht nur Religion, sondern auch Wissenschaft und Kultur nachdrücklich zu befruchten, und muss keinerlei Konkurrenz durch irgendeine kulturelle Modeerscheinung fürchten. Es muss aber mit seiner exklusiven Botschaft von der Liebe Gottes auf der Transzendentalität seiner Prämisse beharren, um diese auch immanent fruchtbar werden zu lassen. „Nur vom Leben außerhalb der Kultur kann die Ordnung der Kultur kommen." 178 Der Siegeszug des praktischen Atheismus der gegenwärtigen Moderne muss uns darum nicht mit Sorge erfüllen und schon gar nicht veranlassen, ihm eine christlich-ästhetische Garnierung angedeihen zu lassen, ein kirch-

befindlich und hält freudig fest an den Schenkungen des Heiligen Geistes als ihren schon jetzt erwirkten Heilsgütern. 176 Hans-Werner Bartsch, Die unvollendete Reformation des 16. Jahrhunderts, 1968, 31. 177 Emil Brunner, Dogmatik 3, 2 1964, 134. 178 Ders., Christentum und Kultur, 1979, 326.

Seins- und Verbalverkündigung der ekklesia

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liches Kompensationsangebot der phantasielosen Alltäglichkeit. Er sollte uns zurückzuverweisen geeignet sein auf die genuinen Prinzipien des Gottesreichs, die in jedem Stadium der Menschheitsgeschichte die gleichen waren und sind, die Verkörperung der Heiligkeit und der Liebe Gottes als die Kennzeichen christlichen Seins. In diesem Sinne sollte der Ausverkauf der christlichen Volksfrömmigkeit als Chance zu einer gründlichen Neubesinnung begriffen werden, die angewöhnte Chamäleonhaftigkeit abzustreifen und Farbe zu bekennen wider die ontologische Unübersichtlichkeit und Beliebigkeit. Der Herausarbeitung der Seins-Urfärbung - der Liebe als „Fundament für alles Wünschenswerte und Gute"179 - möchte diese Arbeit behilflich sein, sollen wir doch „vermögen, mit allen Heiligen innezuwerden, welches die Breite und Länge und Höhe und Tiefe sei, und zu erkennen die das Erkennen übersteigende Liebe Christi" (Eph.3,18f.). Das wäre christliche Theologie und christliche Kirche. Und das ist unsere Berufung. Mit unserem Glauben an Christus dürfen wir auch hoffen auf ein originales, echtes Christentum, in dem das Wesen und die Kraft Gottes selbst zum Zug kommt, die endlich „Neues unter der Sonne" erzeugende Kraft der Agape. Der darf der ehrwürdige christliche Komplex von Tradition, Bekenntnis und Institution, so es denn sein soll, gerne weichen. Die christliche Auskunft an die Fragen einer nichtchristlichen Umwelt ist, wie wir gesehen haben, zunächst und zuallererst die Auskunft des genuinen christlichen Seins, mit dessen Repräsentation die Kirche ihren Auftrag der Bezeugung der Gnade Gottes wahrnimmt. Indem die christliche Gemeinde seine liebende Zuwendung bekundet kraft eines von Grund auf veränderten Zusammenseins, wird sie in maximaler Weise ihrem Verkündigungsauftrag gerecht. Dessen verbale Ausübung ist in keiner Weise zu vernachlässigen, er ist aber auch in seinem personellen Minimalanspruch vorzuexerzieren. Wenn dann das Sein, das die Agape kreiert, noch immer kein perfektes, aber doch ein umfassendes ist, sind die gravierendsten hausgemachten Hindernisse dafür beseitigt, dass Menschen weiterhin zum Glauben kommen und sich mit Begeisterung dem Willen Gottes verschreiben. Danach, der ekklesialen Identität des Reiches Gottes erwachsend, muss die christliche Theologie

179 C. S. Peirce, Religionsphilosophische Schriften, 1995,10.

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auch vor keiner Philosophie oder irgendeiner Wissenschaft und deren Bemühungen um Seinserschließung das Feld räumen. Ganz im Gegenteil: Als Wissenschaft von der fundamentalen Seins Verankerung im Logos Gottes, von den Gesamtzusammenhängen des Seienden in seiner Liebe ist sie unverzichtbare Basiswissenschaft für die partikularontologischen Ergebnisse der akademischen Disziplinen - im Logos Gottes ist Logik! - , wenngleich sie stets zu akzeptieren hat, dass diese den Seinslösungsweg des fleischgewordenen Logos nicht nur nicht anerkennen, sondern zu umgehen, ja zu ersetzen versuchen und darum niemals in der Lage sein werden wahrzunehmen, worin sie selbst erst gegründet sind. Es bleibt folglich die Spannung, dass einerseits gilt: „Keine Philosophie, die dem universalen Logos gehorsam ist, kann im Widerspruch zu dem konkreten Logos stehen, dem Logos, der ,Fleisch geworden ist'".180 Und andererseits: „Sehet zu, dass euch niemand beraube durch die Philosophie und leeren Betrug nach der Überlieferung der Menschen, nach den Grundsätzen der Welt und nicht nach Christus" (Kol.2,8). Es bleibt die Notwendigkeit des empirischen Aufweises wahrhaftigen Seins in der Liebe Gottes durch sein Volk. Es bleibt dessen Verantwortung, den Sohn Gottes glaubhaft zu transportieren. „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle Gottes leibhaftig, und ihr habt alles völlig in ihm" (Kol.2,9-10).

180 Paul Tillich, ST l, »1987,37.

Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlassen hast. So bedenke nun, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die früheren Werke. Sonst komme ich über dich und werde deinen Leuchter von seiner Stelle stoßen, wenn du nicht Buße tust." (Off.2,4-5)

„Die Zeit ist angebrochen, in der die Christen nicht mehr wie früher ein Stein des Anstoßes und ein Hindernis auf dem Wege der Verwirklichung des Christentums sein werden." (Nikolai Berdiajew, Von der Würde des Christentums und der Unwürde der Christen, 31)

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Register Abendmahl 257, 413, 446, 452 Adam, Α. 3 0 0 , 3 0 7 Adler, Α. 7 Aland, Κ. 451 Alanen, Υ. 427 Albert, Η. 158 Althaus, P. 82, 208, 236, 324, 325, 329, 357, 364, 374, 407, 409 Andresen, C. 298, 301, 311 Angst 46, 48, 49, 89, 9 1 , 1 0 1 , 1 0 3 , 1 0 7 , 142, 432 Annen, F. 403 Anzenbacher, A. 2 Aristoteles 4, 5, 16, 27, 28, 33, 37, 43, 134, 135, 142, 156, 315, 316, 365, 426

Baumgartner, H. 34 Baur, F. C. 181 Bayer, O. 60, 287 Beck, U. 14

Arnold, E. 282 Assmann, J. 1 2 6 , 1 2 7 , 1 2 9 Athenagoras 288 Aufklärung 79,137, 207, 311 Augustin 43, 80, 81, 87, 287, 292, 298, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 316, 318, 327, 350, 351, 365, 370, 388, 390, 395, 398 Averroes 292 Avicenna 292

298, 303, 308, 332, 461 Bieler, M. 439, 440 Bloch, E. 432 Blumenberg, H. 126 Blumhardt, J.-Ch. 347 Boethius, A. 292 Boff, L. 411 Böhme, J. 3 8 , 1 2 2 , 3 8 9 Böhmerle, Th. 219 Boman, Th. 31 Bonaventura 292, 309 Bonhoeffer, D. 8 1 , 1 7 6 , 185, 246, 259,

Baader, F. v. 318, 389 Balthasar, H. v. 300, 304 Barth, H. 8,293. Barth, K. 26, 29, 40, 55, 68, 72, 73, 79, 83, 84, 95, 108, 168, 171, 180, 184, 185, 217, 236, 254, 259, 264, 271, 277, 305, 342, 356, 358, 359, 361, 363, 364, 365, 366, 367, 368, 369, 371, 373, 374, 385, 386, 390, 391, 395, 407, 409, 410, 424, 455, 459 Bartsch, H.-W. 280, 290, 452, 453, 461, 462 Barz, H. 47

Becker, J. 22, 228, 234, 242, 297, 439, 459, 461 Beierwaltes, W. 136, 293, 316 Beinert, W. 40, 73, 74, 78, 81, 211, 288, 336, 337, 357, 358, 434 Beintker, H. 254 Berdiajew, N. 3 8 9 , 4 5 7 Bergmann, G. 343 Bergson, H. 1 2 2 , 3 2 2 Berlinger, R. 25 Bernhard v. Clairvaux 309, 390 Beyschlag, K. 284, 288, 290, 295, 297,

277, 407, 423 Bornkamm, G. 282 Brandner, T. 242, 440, 447 Brandt, R. 207 Brentano, F. 208 Breytenbach, C. 174 Brinkmann, K. 37 Brkic, P. 112 Brunner, E. 6, 13, 16, 20, 39, 42, 55, 57, 59, 63, 64, 66, 67, 68, 69, 70, 81, 83, 88, 95, 98, 139, 161, 165, 166, 168, 169, 172, 173, 175, 182, 183,

498 186, 188, 192, 206, 207, 209, 210, 212, 214, 217, 228, 235, 236, 242, 244, 252, 254, 255, 257, 260, 261, 264, 271, 276, 277, 279, 280, 281, 282, 327, 330, 342, 344, 357, 358, 360, 362, 366, 372, 374, 381, 383, 388, 390, 407, 418, 430, 433, 436, 442, 453, 462 Bruno, G. 313 Buber, M. 66, 254, 347, 383, 430 Buddha 130 Bultmann, R. 35, 40, 42,186, 259 Buße 50,184, 304, 338, 414, 416, 445, 447, 448, 462 Calvin, J. 178, 263, 277, 330, 333 Campenhausen, Η. 285, 286 Camus, A. 12 Capra, F. 38,126,155 Chalmers, A. 157 Christmann, Η. 311 Christologie 29, 40, 53, 60, 69, 80, 250, 252, 254, 255, 257, 259, 264, 270, 271, 272, 273, 285, 288, 298, 300, 306, 331, 335, 340, 421, 424, 439, 440, 441, 442, 451 Christus präsens 79, 337, 338, 342 Chul-Han, Β. 112 Claudel, P. 159,390 Clemens ν. Alexandrien 290, 292, 350 Cochlovius, J. 236 Congar, Y. 190, 248, 271, 300 Conzelmann, H. 187,228 Cullmann, O. 166,179,180,181,189, 211, 273, 289, 331, 361, 455 Cyprian 287 D'Arcy, M. 392 Dahl, N. 216 Dalferth, U. 27,157, 342 Dante, A. 312,365 Darwin, Ch. 92 Dembowski, H. 250 Descartes, R. 121,138, 293, 319 Deuser, H. 14,54 Diemer, A. 31, 32, 33, 135, 139, 140, 158,159, 263

Register Dilschneider, O. 69, 80, 331 Dionysios Areopagita 309 Dodd, Ch. 187 Döring, H. 439, 457 Dörrie, H. 286,290 Drewermann, E. 125 Duns Scotus 292, 309, 311 Dürr, H.-P. 144,152,155 Ebeling, G. 28, 57, 60,113, 328 Ebner, F. 66,254,430 Echnaton 129,130 Eckhart, Meister 112,292 Eicher, P. 274, 276, 337 Einheit der Kirche 38, 53, 55, 156, 176, 190, 198, 200, 203, 204, 208, 226, 235, 240, 242, 243, 244, 246, 250, 251, 260, 264, 265, 267, 274, 276, 277, 287, 298, 338, 341, 344, 373, 376, 379, 380, 387, 399, 401, 402, 403, 404, 406, 407, 409, 410, 411, 412, 413, 414, 417, 418, 420, 425, 430, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 440, 444, 445, 446, 448, 449, 450, 451, 455, 458, 461 Einheit des Seins 33, 51, 65, 79, 118, 122, 138, 140, 141, 146, 152, 155, 164, 189, 190, 191, 202, 204, 210, 220, 224, 226, 231, 232, 234, 243, 245, 246, 262, 298, 300, 310, 313, 346, 381, 432, 448, 454, 460 Einstein, A. 93,149,152 Eisenhuth, H. 27 Eisenstadt, Sh. 129,131 Ekklesiologie 39, 53, 80, 185, 253, 257, 258, 259, 264, 273, 274, 277, 308, 326, 331, 334, 335, 340, 406, 407, 414, 421, 423, 424, 436, 438, 440, 441, 446 Eiert, W. 28 Empedokles 16,156, 313 Engels, F. 294 Erkenntnis 1, 4, 7, 11, 16, 17, 38, 41, 52, 57, 59, 72, 77, 81, 82, 83, 93,107, 119, 123, 128, 130, 131, 134, 138, 139, 150, 152, 159, 162, 167, 173, 183, 200, 202, 231, 235, 239, 259, 270, 292, 294, 300, 302, 308, 310,

499

Register 311, 314, 315, 316, 317, 318, 321, 323, 331, 336, 360, 377, 385, 407, 427, 433, 434, 438, 444, 448 Eros 5, 6, 8, 9, 12, 13, 17, 21, 42, 51, 58, 93, 110, 121, 122, 123, 124, 127, 137, 160, 189, 191, 195, 196, 197, 207, 214, 216, 217, 218, 220, 221, 222, 224, 225, 245, 264, 290, 306, 307, 308, 309, 311, 313, 315, 316, 317, 322, 324, 329, 339, 346, 348, 349, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 357, 360, 364, 365, 366, 367, 368, 370, 372, 375, 378, 379, 381, 387, 389, 390, 391, 392, 395, 396, 398, 399, 441 Erotik 220, 321, 390, 396 Eschatologie 80,180, 455, 461 Ethik 9, 12,15, 24, 27, 46, 72, 88,126, 129, 130, 140, 144, 146, 149, 176, 177, 178, 187, 207, 211, 216, 224, 227, 249, 254, 262, 286, 289, 309, 317, 318, 321, 322, 329, 330, 347, 349, 367, 385, 388, 389, 391, 392, 417,454 Evangelium 19, 22, 28, 41, 48, 53, 60, 76, 77, 80, 82, 104, 113, 122, 127, 150, 169, 170, 175, 177, 178, 181, 182, 184, 185, 189, 191, 209, 211, 229, 231, 232, 233, 234, 235, 238, 240, 241, 243, 245, 248, 250, 251, 252, 253, 259, 260, 261, 263, 264, 265, 266, 267, 271, 276, 281, 285, 290, 297, 301, 302, 304, 326, 328, 330, 332, 340, 341, 342, 347, 359, 363, 364, 383, 386, 388, 397, 401, 405, 406, 408, 410, 418, 422, 424, 425, 428, 429, 435, 438, 444, 445, 447, 449, 450, 453, 451, 459, 460 Fangmeier, J. 180 Faus, J. 160 Feine, P. 182,186 Feiner, J. 282 Fenelon, F. 309 Feuerbach, L. 201, 294, 321, 347, 432 Feyerabend, P. 8, 18, 44, 151, 155, 157, 432 Fichte, J. G. 138, 293, 318, 320

Ficino, M. 292, 313 Fischer, E. 44 Fischer, N. 88,140 Flasch, K. 294 Forte, B. 356 Fox, M. 332 Franke, Th. 379 Franz v. Assisi 127, 309 Frede, M. 294 Freud, S. 122,147, 322, 389, 455 Friedländer, P. 63 Frieling, R. 273, 447 Fromm, E. 15, 99 Fuchs, E. 165,428 Gadamer, H.-G. 121,125 Galilei, G. 137 Ganoczy, A. 95, 155, 262, 277, 375, 376, 377, 378, 379 Geldbach, E. 403, 404, 409 Gerhard, W. 46,48 Gerlitz, P. 284 Gesetz 41, 60, 68, 75, 77, 113, 161, 162, 163, 166, 184, 193, 195, 235, 237, 264, 283, 320, 328, 334, 349, 351, 361, 364, 369 Geyer, C.-F. 132,133 Giblet, J. 427 Gilg, A. 288 Gilson, E. 294 Glaube 7,10,12,19, 20, 22, 23, 25, 26, 27, 40, 41, 42, 48, 94, 95, 108, 116, 125, 134, 139, 145, 149, 152, 158, 171, 180, 182, 184, 199, 200, 202, 223, 229, 231, 232, 234, 235, 239, 250, 255, 257, 276, 285, 286, 326, 327, 328, 329, 331, 332, 333, 335, 342, 348, 352, 353, 357, 359, 361, 368, 370, 371, 372, 384, 386, 406, 418, 428, 430, 456 Glockner, H. 32 Gogarten, F. 26,66,161 Gollwitzer, H. 182,183, 266, 357, 430 Goppelt, L. 289 Grammer, K. 14 Grülmeier, A. 80, 288, 289 Grün, A. 230,396 Guardini, R. 66, 257, 276, 383

Register

500 Guitton,J. 391 Habermas, J. 3,378 Hahn, F. 233, 242, 245, 415, 444 Härle, W. 73, 236, 255, 356, 461 Harnack, A. v. 282, 291, 295, 296, 298, 311 Harnack, Th. 324 Harsch, H. 447 Hartmann, N. 20, 32, 33, 38,122,138, 139,144, 293, 294, 444 Hegel, G. W. F. 38, 60, 63, 138, 210, 246, 293, 318, 320, 431, 432 Heidegger, M. 4, 25, 29, 32, 33, 34, 35, 37, 38, 39, 42, 43, 72, 88, 92,100, 101, 102, 103, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 128, 138, 139, 141, 142, 143, 293, 294, 323, 383, 397, 426, 427, 432, 456, 457 Heiligkeit 62, 64, 87, 92, 194, 206, 232, 234, 241, 249, 265, 273, 281, 282, 287, 301, 333, 334, 335, 348, 351, 361, 375, 380, 386, 400, 416, 439, 446, 452, 453, 461, 463 Heiligung 175, 251, 255, 334, 336 Heilsgeschichte 29, 66, 74, 168, 174, 178,179,180,181,182, 358 Heilswirklichkeit 64, 69, 70, 87, 163, 182, 230, 231, 232, 233, 238, 240, 241, 252, 256, 258, 285, 301, 331, 332, 343, 384, 411, 442 Heilswort 230, 231, 233, 238, 256, 285, 301, 331, 332, 334 Heim, K. 269 Heintel, E. 190 Heisenberg, W. 152 Hemminger, H. 47, 48, 49 Hempelmann, H. 31, 46, 47, 48 Heraklit 156, 289 Herbart, J. 294 Herms, E. 255 Hesiod 132, 314 Heussi, K. 302 Higgins, K. 128 Hildebrand, D. v. 19,190

162, 235, 264, 385, 240,

Hoffnung 12, 24, 44, 49, 59, 89, 90, 122, 123, 129, 130, 184, 188, 199, 222, 223, 236, 256, 274, 294, 338, 397, 402, 414, 418, 429, 432, 438, 443, 454, 455 Hojen, P. 428 Hollweg, A. 50 Homer 132 Hommes, U. 11,12,137,159 Hoppe, H. 111 Horkheimer, M. 151,246 Houellebecq, M. 397 Huber, W. 206 Hübner, J. 148 Hübner, K. 126,156 Hühnerfeld, P. 112 Hummel, G. 83 Husserl, E. 38,108,138, 293, 294, 322 Ignatius 280, 283, 306 Ilien, A. 6 Irenaus 279, 281, 290, 291, 351 Ittel, G. 35 Jacobs, M. 279,280,286 Jacoby, G. 38,138 Jäger, A. 108,109,143 Jaspers, K. 4, 5, 87,102,109,110,111, 114, 116, 118, 139, 149, 191, 202, 226, 294, 315, 322, 347, 460 Jenni, E. 192 Johannes vom Kreuz 309 Jung, C.G. 122 Jüngel, E. 84, 230, 328, 357, 368 Justin 288, 292, 350 Kahl, J. 456 Kahler, M. 347 Kamp, J. 309 Kanitscheider, B. 144,145,146, 432 Kant, I. 3, 7, 33, 37, 88,138,139, 293, 320, 431, 455 Karpp, H. 236 Käsemann, E. 194, 242, 438 Kasper, W. 63, 189, 190, 273, 274, 276, 410, 427, 428 Kehl, M. 274 Keil, G. 56

501

Register Kelber, W. 288,289,290 Keller, A. 31, 37 Kelly, J. 291 Kepler, J. 137 Kern, U. 22, 216, 318, 408 Kierkegaard, S. 43, 77, 88, 253, 321, 396 Kinder, E. 185, 231, 262, 264, 273, 276, 330, 415 Klages, L. 322, 389 Klaiber, W. 230,423 Klein, G. 182 Knapp, M. 187 Kobusch, Th. 89 Koch, K. 409 Köhler, M. 282 Konfessionalismus 298, 346, 399, 401, 403, 406, 407, 408, 409 Korsch, D. 182,183 Körtner, U. 46, 409, 438, 439, 445, 446, 449 Kosmos, Kosmologie 76, 78, 80,124, 129, 133, 135, 148, 154, 155, 177, 188, 245, 263, 296, 298, 326, 432 Kranz, Μ. 5 Kranz, W. 2,133,134, 313, 314 Kraus, H.-J. 30, 166, 178, 180, 183, 185, 186, 202, 211, 242, 247, 266, 370, 374, 410, 412, 433, 437, 450, 461 Kreck, W. 185, 259, 276, 407 Kreiner, A. 426 Kuhn, H. 5, 8, 15, 93, 99, 128, 137, 191, 309, 310, 313, 314, 315, 317, 318, 319, 366, 389, 390, 391, 395 Kuhn, Th. 140,155 Kühn, U. 330, 429, 430, 439 Kümmel, W. 54,234 Küng, H. 46, 185, 259, 273, 274, 439, 459 Kung-fu-Tse 130 Künneth, W. 40, 66, 84, 85, 91, 173, 196, 215, 269, 345, 442 Kuss, O. 123,197 Kutter, H. 347 Ladd, A. 187,461 Langemeyer, B. 383

Lao-Tse 130 Lawrence, D. H. 389 Lee, B. 38 Leibniz, G. W. 3,159, 289, 293, 319 Leipoldt, J. 282 Levinas, E. 106 Lewis, C. S. 15,315,397 Liebe Gottes 14,16,18, 22, 23, 25, 40, 41, 42, 47, 50, 51, 55, 56, 57, 61, 62, 64, 65, 66, 68, 70, 73, 83, 84, 86, 87, 88, 90, 93, 95, 98, 99, 100, 117, 118, 119, 120, 123, 142, 150, 154, 159, 161, 165, 166, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 176, 179, 185, 189, 191, 192, 194, 195, 196, 198, 200, 201, 203, 204, 210, 211, 213, 214, 215, 217, 222, 224, 226, 227, 229, 230, 232, 243, 244, 245, 247, 248, 256, 260, 261, 262, 273, 274, 282, 286, 287, 288, 291, 309, 311, 316, 317, 318, 319, 321, 324, 326, 327, 328, 329, 333, 343, 344, 346, 347, 349, 352, 354, 355, 357, 360, 361, 364, 368, 370, 371, 372, 383, 391, 392, 395, 402, 405, 416, 422, 428, 430, 433, 446, 448, 449, 451, 453, 457, 459, 462, 464 Liessmann, K. 51 Lietzmann, H. 280, 284, 304 Link, Ch. 149,154, 211, 243, 275, 403, 450 Link, H.-G. 426 Lochman, J. 251 Locke, J. 3,293,319 Logos 2, 39, 40, 64, 65, 69, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 83, 93,113,114,119,132, 134, 136, 142, 155, 157, 164, 165, 169, 171, 172, 174, 175, 230, 231, 252, 253, 264, 283, 288, 289, 290, 291, 293, 295, 298, 299, 317, 323, 336, 337, 357, 376, 421, 428, 442, 464 Lorenz, K. 426 Lotze, R. 294 Luhmann, N. 356, 409 Lullus, R. 309 Lüning, P. 435 Lütgert, W. 197

502 Luther, Μ. 81,176,180, 239, 268, 304, 323, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 334, 351, 370, 371, 375, 432, 451 Lütkehaus, L. 42,101,102,115 Luz, U. 243,275,403,450 Macleod, D. 74 Madinier, G. 391 Malebranche, Ν. 293, 319 Mannermaa, Τ. 324,326 Maraval, P. 306 Marcel, G. 116,391,394 Marcion 303,350 Martinez, G. 38 Martius 294 Marx, K. 294,347,432 Marxsen, W. 343 Materialismus 44,100,128 Meckenstock, G. 177, 330 Mehlhausen, J. 412 Messner, J. 311 Metaphysik 10, 11, 19, 26, 27, 37, 43, 57, 60, 68, 105, 108, 109, 114, 115, 117, 119, 124, 125, 127, 130, 133, 135, 136, 137, 138, 140, 141, 143, 146, 148, 151, 153, 155, 157, 158, 252, 294, 315, 317, 332, 346, 426 Meyer-Abich, K.-M. 154 Miketta, G. 14 Moltmann, J. 250, 266, 273, 358, 374, 407, 437, 450, 451, 455, 456 Montanus 303 Mo-Zi 130 Miihling-Schlapkohl, M. 356 Müller-Lauter, W. 116 Nächstenliebe 163,192, 208, 214, 244, 245, 322, 323, 325, 326, 329, 349, 351, 356, 359, 369, 370, 371, 373, 379, 388, 390, 416 Nee, W. 450 Newton, I. 137 Nietzsche, F. 7, 99,101,102,104,110, 122, 123, 143, 146, 268, 294, 322, 432, 457 Nink, C. 135 Norberg, J. 5 Novalis 44, 318, 321, 389

Register Numenios 136 Nygren, A. 259, 309, 311, 312, 326, 329, 348, 354, 355, 356, 380, 381, 382, 390, 433

290, 313, 349, 359, 383,

306, 316, 350, 360, 386,

307, 317, 352, 365, 388,

308, 324, 353, 370, 389,

Oehler, K. 315 Oelmüller, W. 2, 7,141,143,147,155, 157 Oesterreich, P. 6,190 (Dettingen, A. v. 346 Offenbarung 27, 29, 36, 42, 68, 70, 84, 95, 96, 116, 119, 125, 128, 162, 164, 166, 167, 168, 169, 182, 188, 219, 241, 252, 253, 259, 260, 265, 271, 276, 284, 289, 311, 317, 349, 353, 362, 363, 374, 379, 398, 402, 419, 421, 433, 438, 449, 454, 461 Ökumene 407, 409, 415, 417, 434, 435, 436, 437, 438, 444 Ontologie 23, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 33, 38, 39, 41, 43, 51, 56, 57, 82, 83, 91,106,109,124,125,133,134,135, 136, 138, 139, 140, 141, 148, 154, 156, 158, 159, 169, 175, 179, 182, 223, 233, 250, 251, 252, 253, 255, 256, 263, 267, 286, 290, 293, 295, 296, 299, 302, 305, 308, 340, 357, 362, 363, 384, 387, 399, 421, 424, 439, 440, 442, 444, 450 Ontologische Differenz 40, 105, 134, 136 Origenes 185, 288, 290, 292, 298, 306, 350 Orthbrandt, Ε. 128 Ott, Η. 33, 107, 108, 113, 115, 116, 141,142 Pannenberg, W. 26, 46, 47, 48, 49, 50, 57, 59, 68, 73, 83, 84, 95, 120, 168, 169, 181, 186, 193, 207, 210, 234, 254, 266, 270, 271, 272, 273, 274, 338, 344, 356, 370, 371, 372, 373, 388, 406, 407, 410, 411, 412, 413, 414, 415, 416, 417, 418, 419, 420, 421, 422, 424, 426, 431, 433, 436

Register Park, H.-W. 234 Parmenides 3,133 Pascal, B. 83, 87, 124, 262, 293, 318, 319, 347, 365 Pätzold, D. 31 Peirce, C. S. 14, 274, 408, 463 Pesch, O. 287 Pherekydes von Syros 132 Philo 283, 289, 292 Picard, Μ. 391 Picht, G. 154 Pico della Mirandola, G. 292 Pieper, J. 6, 16, 137, 216, 323, 389, 392, 393, 394, 395, 396, 397, 398 Piper, O. 189 Plato 5, 38, 63,122,134,136, 314, 316, 351, 355 Plotin 38,112,136, 316, 317 Pneumatologie 53, 60, 63, 80, 258, 264, 270, 271, 273, 274, 275, 331, 340, 440, 441, 443 Pöggeler, O. 103 Pöhlmann, H. 11, 30, 38, 84,149,166, 167, 183, 235, 269, 272, 343, 357, 358 Pollard, T. 74 Popper, K. 157 Postmoderne 44, 50, 106, 144, 156, 157, 249 Preisker, H. 280, 284, 297 Prenter, R. 67, 83, 84, 246 Proklos 309 Przywara, E. 294 Quell, G. 197 Quine, W. 38,140,143 Quitterer, J. 144 Raem, H. 433 Ragaz, L. 211,285,347 Raiser, Κ. 445, 446 Rawls, J. 207 Recht 16, 47, 76, 100, 112, 140, 148, 174, 205, 206, 207, 208, 272, 284, 302, 315, 341, 412, 417, 433, 440, 460

503 Rechtfertigung 29,125,175, 230, 251, 255, 256, 274, 302, 329, 332, 334, 340, 424, 440, 449, 451, 453, 460 Reformation 268, 313, 323, 330, 332, 335, 336, 342, 349, 351, 406, 408, 410, 437 Reich Gottes 49, 60, 81, 98, 166, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 195, 200, 209, 210, 211, 229, 231, 232, 237, 250, 251, 252, 255, 265, 273, 297, 312, 325, 332, 349, 354, 358, 362, 368, 383, 410, 412, 414, 415, 416, 417, 418, 419, 421, 434, 438, 448, 449, 450, 452, 453, 455, 460, 461, 463 Richard St. Victor 309 Ricken, F. 2,315 Rüke, R.-M. 389 Ringeling, H. 357, 363 Ritsehl, A. 347, 371, 432 Rod, W. 132,133 Roloff, J. 230, 233, 234, 267, 277, 409, 458 Rosenzweig, F. 347 Rousseau,]. 44,156,318 Runggaldier, E. 144 Safranski, R. 7,51,103 Salomon, R. 128 Sartre, J.-P. 101,116, 294, 322, 393 Schaeffer, F. 81 Scheffczyk, L. 149,152 Scheler, M. 4, 18, 61, 99, 122, 127, 217, 322, 347, 377, 379, 390, 394, 408, 447 Schelling, F. W. 60, 293, 318, 320, 419 Schenke, L. 234,461 Schlatter, A. 443 Schlegel, F. 318 Schleiermacher, F. 318, 347, 450 Schlier, H. 20, 68,197, 451 Schlink, E. 30, 234, 407, 415 Schmid, W. 42, 91,100,101,110,122, 126 Schmidt, K. L. 182,187, 259 Schmidt, K. D. 302 Schnädelbach, H. 8, 430, 431, 432 Schneider, C. 270, 282, 302

504 Schneider, D. 275 Schneider, G. 197,393 Schneider, R. 45 Scholz, H. 339,365 Schopenhauer, A. 4, 7, 42, 64, 91, 99, 101, 122, 123, 127, 130, 146, 153, 154, 293, 321, 431, 432 Schorsch, Ch. 44 Schräge, W. 200, 228, 244, 267, 374 Schrenk, G. 274 Schubart, W. 220, 390, 396 Schuller, A. 47 Schütte, H. 182 Schütz, Ch. 270, 271, 272, 273, 276 Schütz, P. 80, 188, 229, 253, 254, 255, 275, 331, 375, 428 Schwarz, J. 205,223,358 Schwarzwäller, Κ. 206 Schweitzer, A. 187, 274, 333 Schweizer, Ε. 73, 80, 230, 248, 251, 273, 286, 289, 411 Schwemmer, Ο. 31 Sciacca, F. 294 Seidel, Ch. 207 Seinsfrage 16, 17, 25, 27, 31, 51, 56, 59, 61, 87, 109, 110, 121, 123, 133, 134, 138, 139, 141, 143, 157, 263, 294, 306, 311, 313, 373, 391 Seinsgrund 13, 25, 36, 39, 40, 41, 52, 58, 64, 65, 70, 74, 75, 82, 83, 86,115, 118, 120, 121, 160, 161, 169, 170, 176, 213, 236, 253, 291, 299, 300, 306, 327, 333, 334, 336, 372, 385, 442 Seinsintegrität 3, 6,16, 27, 38, 51, 64, 79, 93, 121, 122, 159, 160, 164, 175, 188, 189, 191, 198, 233, 237, 240, 241, 245, 250, 257, 261, 265, 267, 346, 408, 425, 429, 449 Seinskomplexität 30, 37, 39, 51, 68, 69, 70, 71, 75, 86,123,146,147,151, 156, 177, 188, 202, 208, 209, 217, 233, 243, 244, 254, 267, 296, 305, 308, 319, 332, 355, 441, 449 Seinslobpreis 69, 117, 147, 238, 257, 265, 267, 295, 441

Register Seinsvielfalt 33, 37, 38, 51, 56, 133, 138, 156, 190, 262, 280, 407, 412, 425, 450 Semmelroth, O. 274 Sittler, J. 332 Sloterdijk, P. 16,127 Sobrino,]. 183,419 Sohm, R. 281 Solowjew, W. 202, 218, 219, 220, 389, 393 Soteriologie 29, 57, 66, 73, 75, 76, 80, 115, 119, 124, 182, 233, 251, 252, 256, 257, 258, 260, 295, 296, 298, 299, 301, 302, 308, 326, 330, 334, 353, 408, 421, 441, 442, 450 Spinoza, B. 38, 293, 319, 320, 431 Staudinger, H. 151 Stauffer, E. 197,203 Stein, E. 294 Stock, K. 358 Stoebe, H.-J. 192 Strecker, G. 73,289 Ströker, E. 150 Strolz, W. 112 Stuhlmacher, P. 443

230, 233, 236, 442,

Tatian 288 Tebel-Nagy, C. 14 Tersteegen, G. 347 Tertullian 286, 290, 350 Theißen, G. 416 Thomas v. Aquin 5, 6, 16, 33, 117, 189, 292, 310, 311, 318, 370, 384, 393, 395, 426 Tillich, P. 2, 3, 28, 34, 35, 42, 55, 57, 60, 66, 74, 82, 91, 95, 120, 124, 144, 145, 155, 169, 191, 206, 222, 223, 224, 226, 228, 231, 246, 252, 254, 261, 271, 273, 289, 296, 298, 305, 332, 347, 372, 393, 394, 420, 421, 422, 432, 441, 451, 464 Tipler, F. 148 Tod 1, 9, 20, 26, 28, 34, 42, 49, 83,103, 104, 127, 129, 133, 143, 186, 197, 219, 238, 280, 369, 397, 421, 454

Register Totus Christus 80, 95, 182, 241, 251, 255, 305, 335, 336, 337, 338, 341, 342, 345, 438, 444, 451 Trillhaas, W. 54, 83, 277, 407 Urban, J. 2 4 2 , 4 4 9 Uhlhorn, G. 282, 283, 312, 330 Unio mystica 292 Varillon, F. 309 Vergänglichkeit 2, 5, 8, 22, 34, 35, 36, 42, 88, 9 8 , 1 1 3 , 1 2 1 , 1 2 8 , 1 3 0 , 1 3 3 Vergebung 34, 174, 178, 186, 196, 207, 208, 212, 213, 214, 216, 220, 232, 242, 243, 244, 246, 247, 248, 261, 264, 267, 284, 295, 308, 326, 329, 339, 352, 359, 367, 368, 371, 385, 386, 387, 392, 398, 401, 405, 412, 418, 441, 453 Vernunft 2, 3, 7, 8, 9, 12, 16, 17, 44, 48, 59, 64, 67, 68, 69, 70, 71, 86, 89, 90, 92, 94, 95, 116, 123, 135, 138, 144, 149, 153, 154, 155, 156, 158, 159, 162, 168, 171, 172, 173, 191, 193, 229, 238, 288, 289, 292, 293, 295, 306, 319, 338, 345, 378, 426, 427, 432 Versöhnung 44, 77, 160, 181, 194, 207, 213, 245, 347, 352, 373, 410, 415, 432, 437, 439, 440, 446 Vischer, L. 243, 275, 330,

175, 176, 251, 276, 430, 431, 401, 403,

429, 447, 450 Vollkommenheit 53, 70, 87, 89, 90, 187, 196, 199, 203, 204, 226, 262, 265, 266, 292, 314, 316, 318, 351, 399, 433, 457 Wagner, H. 242, 449 Wahrheit 1, 2, 28, 45, 46, 60, 63, 64, 72, 73, 74, 86, 92, 95, 102, 105, 107, 110, 111, 115, 119, 121, 122, 125, 131, 135, 142, 144, 159, 167, 172, 177, 194, 201, 202, 203, 225, 240, 245, 255, 256, 264, 268, 270, 274, 281, 293, 315, 317, 331, 336, 337, 338, 339, 374, 377, 378, 381, 401,

505 403, 422, 425, 426, 427, 428, 430, 431, 432, 433, 435, 436, 438, 444, 445, 448, 457 Walter, M. 2 3 4 , 2 8 6 Walther, H. 102 Wanke,]. 445 Warnach, V. 177, 193, 196, 200, 204, 276, 354, 379, 380, 382, 383, 384, 385, 386, 387, 388, 391, 395, 433 Weber, O. 260 Weinrich, M. 436 Weischedel, W. 112, 113, 119, 128, 305 Weizsäcker, C. F. v. 154 Wendland, H.-D. 123, 228, 272, 392 Werk Gottes 64, 65, 69, 71, 160, 163, 164, 169, 170, 176, 190, 200, 210, 213, 217, 232, 233, 234, 236, 238, 239, 240, 241, 278, 280, 323, 336, 340, 344, 345, 370, 407, 434, 443 Werner, M. 280 Whitehead, Α. 38 Widengren, G. 1 2 9 , 1 3 1 Wiebering,]. 326 Wiederkehr, D. 2 5 0 , 2 5 7 Winston, D. 283 Wischmeyer, O. 203 Wissenschaft 4, 10, 11, 13, 15, 20, 44, 58, 59, 95, 100, 124, 125, 126, 129, 135, 137, 138, 140, 147, 149, 150, 151, 152, 153, 155, 156, 158, 159, 189, 293, 343, 347, 372, 462, 464 Wittgenstein, L. 9 Wort Gottes 16, 62, 63, 65, 66, 67, 68, 70, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 82, 86, 87, 89, 90, 99, 119, 154, 156, 162, 166, 169, 170, 171, 173, 174, 180, 203, 231, 232, 235, 236, 239, 241, 250, 257, 258, 259, 278, 289, 290, 304, 305, 327, 330, 344, 345, 361, 363, 424, 430, 432, 441, 448 Zarathustra 131 Zeller, E. 136 Zink,]. 404 Zorn Gottes 36, 9 0 , 1 2 0 , 1 8 4 , 332, 363, 364, 381

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von Oswald Bayer/Wilfried Härle Zuletzt erschienen: 132. Reuter, Christina: Autorschaft als Kondeszendenz. Johann Georg Hamanns erlesene Dialogizität. 2005. VIII, 31 I S . 131. Kuhn, Dieter: Metaphysik und Geschichte. Zur Theologie Ernst Lohmeyers. 2005. XIII, 197 S. 130. Feil, Michael: Die Grundkgung der Ethik bei Friedrich Schleiermacherund Thomas vonAquin. 2005. X, 290 S. 129. Grove, Peter: Deutungen des Subjekts. Schleiermachers Philosophie der Religion. 2004. XII, 658 S. 128. De, Asha: Widerspruch und Wider ständigkeit. Zur Darstellung und Prägung räumlicher Vollzüge personaler Identität. 2005. XIV, 410 S. 127. Konstruktion von Wirklichkeit. Beiträge aus geschiehtstheoretischer, philosophischer und theologischer Perspektive. Hrsg. v. Schröter, Jens / Eddelbüttel, Antje. 2004. XVI, 293 S. 126. Schwanke, Johannes: Creatio ex nihilo. Luthers Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts in der Großen Genesisvorlesung (1535-1545). 2004. XIV, 320 S. 125. Schleiermacher and Whitehead. Open Systems in Dialogue. Ed. by Helmer, Christine. In collab. with Suchocki, Marjorie / Goetz, Katie / Quiring, John. 2004. XII, 356 S. 124. Mikoteit, Matthias: Theologie und Gebet bei Luther. Untersuchungen zur Psalmenvorlesung 1532-1535. 2004. XI, 335 S. 123. Riedl, Gerda: Hermeneutische Abb.

Grundstrukturen frühchristlicher

Bekenntnisbildung.

2004. 498 S. 16 S. färb.

122. Willi, Hans-Peter: Unbegreifliche Sünde. "Die christliche Lehre von der Sünde" als Theorie der Freiheit bei Julius Müller (1801-1878). Mit einem Anhang der Tagebuchnotizen Kierkegaards über die Sündenlehre von Julius Müller. 2003. X, 470 S. 121. Kern, Udo: "Gottes Sein ist mein Leben". Philosophische Brocken bei Meister Eckhart. 2003. VII, 352 S. 120. Frey, Jörg / Röhls, Jan / Zimmermann, Ruben: Metaphorik und Christologie. 2003. IX, 424 S. 119. Wiemer, Axel: "Mein Trost> Kampf und Sieg ist Christus". Martin Luthers eschatologische Theologie nach seinen Reihenpredigten über l.Kor. 15 (1532/33). 2003. XVIII, 280 S. 118. Gräb-Schmidt, Elisabeth: Technikethik und ihre Fundamente. Dargestellt in Auseinandersetzung mit den technikethischen Ansätzen von Günter Ropohl und Walter Christoph Zimmerli. 2002. XIII, 370 S. 117. Roth, Michael: Gott im Widerspruch? Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik. 2002. XVIII, 618 S. 116. Lohmann, Friedrich: Zwischen Naturrecht und Partikularismus. Grundlegung christlicher Ethik mit Blick auf die Debatte um eine universale Begründbarkeit der Menschenrechte. 2002. X, 467 S. 115· Tobler, Stefan: Jesu Gottverlassenheit als Heilsereignis in der Spiritualität Chiara Lubichs. Ein Beitrag zur Überwindung der Sprachnot in der Soteriologie. 2002. X, 396 S. 114. Moustakas, Ulrich: Urkunde und Experiment. Neuzeitliche Naturwissenschaft im Horizont einer hermeneutischen Theologie der Schöpfung bei Johann Georg Hamann. 2003. IX, 308 S. 113. Dittmer, Johannes Michael: Schleiermachers Wissenschaftslehre als Entwurf einer prozessualen Metaphysik in semiotischer Perspektive. 2001. XII, 683 S 112. Religion-Metaphysik(kritik)-Theologie Kobusch, Theo. 2001. VI, 362 S.

im Kontext der Moderne/Postmoderne.

Hrsg. v. Knapp, Markus /

111. Religion als Phänomen. Sozialwissenschaftliche, theologische und philosophische Erkundungen in der Lebenswelt. Hrsg. v. Failing, Wolf-Eckart / Heimbrock, Hans-Günter / Lötz, Thomas A. 2001. VI, 215 S.

110. Danz, Christian: Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich. 2000. XI, 459 S. 109. Kern, Udo: Liebe als Erkenntnis und Konstruktion von Wirklichkeit. "Erinnerung" an ein stets aktuales Erkenntnispotential. 2001. X, 295 S. 108. Stolina, Ralf: Niemand hat Gott je gesehen. Traktat über negative Theologie. 2000. VIII, 202 S. 107. Sperber, Jutta: Christians and Muslims. The Dialogue Activities of the World Council of Churches and their Theological Foundation. 2000. X, 484 S. 106. Mogk, Rainer: Die Allgemeingültigkeitsbegründung des christlichen Glaubens. Wilhelm Herrmanns KantRezeption in Auseinandersetzung mit den Marburgern Neukantianern. 2000. XIII, 480 S. 105· Dieter, Theodor: Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie. 2001. XVI, 687 S. 104. Reinhuber, Thomas: Kämpfender Glaube. Studien zu Luthers Bekenntnis am Ende von De servo arbitrio. 2000. XI, 265 S. 103. Krötke, Heike: Selbstbewußtsein und Spekulation. Eine Untersuchung der Spekulativen Theologie Richard Rothes unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Anthropologie und Theologie. 1999. VIII, 344 S. 102. Wolfes, Matthias: Protestantische Theologie und moderne Welt. Studien zur Geschichte der liberalen Theologie nach 1918. 1999. XIV, 837 S. 3 Taf. 101. Being Versus Word in Paul Tillich 's Theology / Sein versus Wort in Paul Tillichs Theologie. Proceedings of the VII. International Paul-Tillich-Symposium held in Frankfurt/Main 1998 / Beiträge des VII. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/Main 1998. Ed. by Hummel, Gert / Lax, Doris. 1999. VII, 349 S. 100. Colpe, Carsten: Weltdeutungen im Widerstreit. 1999. XXVI, 381 S. 99. Emersleben, Lars: Kirche und Praktische Theologie. Eine Studie über die Bedeutung des KirchenbegrifFes für die Praktische Theologie anhand der Konzeptionen von C. I. Nitzsch, C. A. Gerhard von Zezschwitz und Fr. Niebergall. 1999. XIII, 422 S. 98. Guth, Rupert: Der Ausdruck von Wahrheit und Freiheit. Ethischer Entwurf zur schöpferischen Selbstgestaltung. 1999. X, 194 S. 97. Bendrath, Christian: Leibhaftigkeit. Jakob Böhmes Inkarnationsmorphologie. 1999. X, 385 S. 96. Bauke-Ruegg, Jan: Die Allmacht Gottes. Systematisch-theologische Erwägungen zwischen Metaphysik, Postmoderne und Poesie. 1998. XVII, 569 S. 95. Truth and History — a Dialogue with Paul Tillich / Wahrheit und Geschichte — ein Dialog mit Paul Tillich. Proceedings of the VI. International Symposion held in Frankfurt/Main 1996 / Beiträge des VI. Internationalen Paul-Tillich-Symposion in Frankfurt/Main 1996. Ed. by Hummel, Gert. 1998. VI, 303 S. 94. Christophersen, Alf: Friedrich Lücke (1791-1855). T1 1: Neutestamentliche Hermeneutik und Exegese imZusammenhang mit seinem Leben und Werk. T1 2: Dokumente und Briefe. 1999. T1 1: XII, 470 S. T1 2: X, 499 S. 93. Schlag, Thomas: Martin von Nathusius und die Anfänge protestantischer Wirtschafts- und Sozialethik. 1998. XIII, 431 S. 92. Wabel, Thomas: Sprache als Grenze in Luthers theologischer Hermeneutik und Wittgensteins Sprachphilosophie. 1998. XVIII, 434 S. 91. Wyller,Trygve: Glaube und autonome Welt. Diskussion eines Grundproblems der neueren systematischen Theologie mit Blick auf Dietrich Bonhoeffer, Oswald Bayer und K.E. Logstrup. 1998. IX, 225 S. 90. Honecker, Martin: Evangelische Christenheit in Politik, Gesellschaft und Staat. Orientierungsversuche. 1998. VIII, 373 S.