KRITISCHE UNIVERSITÄT: Freie Studienorganisation der Studenten in den Hoch- und Fachschulen von Westberlin. PROGRAMM UND VERZEICHNIS der Studien-Veranstaltungen im Wintersemester 1967/68

KRITISCHE UNIVERSITÄT, PROGRAMM UND VERZEICHNIS der Studien-Veranstaltungen im Wintersemester 1967/68

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KRITISCHE UNIVERSITÄT: Freie Studienorganisation der Studenten in den Hoch- und Fachschulen von Westberlin. PROGRAMM UND VERZEICHNIS der Studien-Veranstaltungen im Wintersemester 1967/68

Table of contents :
I N H A L T
Vorwort 2
Vorgeschichte und Dokumente
Erklärung des Allgemeinen Studentenausschusses der Freien Universität
zu dem Gutachten Knauer-Borinski 9
Helmut Gollwitzer: Von der Wissenschaftlichkeit eines wissenschaftlichen
Gutachtens 20
Norman Birnbaum: Gegenuniversitäten in den USA 26
Kenkyukai — Ein Brief aus Japan 28
„Akademische Drachensaat" (aus: NEUES DEUTSCHLAND .. .1948) 30
Diskussionsbeiträge
„Politisierte Wissenschaft" 31
Die Freie Universität als unkontrolliertes Experiment 34
Die Bedeutung der Kritischen Universität für die Studenten der
Technischen Hochschulen 39
Die Gegenuniversität in der Kritischen Universität 40
Wie wird die Kritische Universität arbeiten? 42
Ziele und Organisationen der Kritischen Universität
Verzeichnis und Programm der Arbeitskreise 44
1 Hochschulgesetzgebung — Hochschulreform — Hochschulrevolte 48
2 Technische Intelligenz und Gesellschaft 49
3 Vorlesungsrezensionen und Prüfungskritik 49
4 Prüfungskritik in den Naturwissenschaften 49
5 Funktion der Intelligenz und der Wissenschaft im Vietnam-Krieg
und in der imperialistischen „Entwicklungspolitik" 49
6 Das Modell Kuba und die Zukunft Lateinamerikas 51
7 Wirtschaftskrise und Sozialpolitik in Westberlin 51
8 Arbeitskreis Springer-Tribunal 52
9 Politische Sprache und gesellschaftlich falsches Bewußtsein 53
10 Sexualität und Herrschaft 55
11 Sexualität und Bewußtseinsindustrie 56
12 Arbeitsmedizin 56
13 Medizin ohne Menschlichkeit 57
58 Arzt und Gesellschaft 58
15 Psychosomatische Medizin 59
16 Herrschaftsstruktur der Schule und Rolle des Lehrers 60
17 Mitbestimmungsmöglichkeiten für Schüler 60
18 Konkrete Didaktik: Theorie und Praxis politischer Bildung 62
19 Kritik und Analyse Westberliner Lehrpläne und Lehrbücher zur
politischen Bildung 62
20 Architektur und Gesellschaft 63
21 Rechtsstaat und Demokratie in Deutschland — Herrschaft und Interesse 65
22 Konservative Revolution in der Nationalökonomie —
Kritik der Keynesschen Theorie 67
23 Verschüttete Aufklärung — der affirmative Charakter der
gegenwärtigen Literaturwissenschaft 68
24 Ideologiekritik der akademischen Psychologie 70
25 Zur Ideologie der Naturwissenschaften in der Schule 71
26 Die Ideologie der Wertfreiheit in den Naturwissenschaften 71
27 Herbert Marcuse: „Der eindimensionale Mensch" und die Theologie 72
Kirchliche Hochschule
28 Methodik der gewaltlosen direkten Aktionen 72
29 Möglichkeiten und Probleme politischer Theologie 73
Hochschule für Bildende Künste
30 Architektur, Kunst und Gesellschaft 75
Pädagogische Hochschule
31 Strategie und Taktik politischer Aktionen als didaktisches Problem 74
32 Sexualerziehung ^
33 Politische Psychologie 74

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Stephan Leibfried

Wider die Untertanenfabrik Handbuch zur Demokratisierung der Hochschulen

In diesem Handbuch zur demokratischen Hochschule wird der Versuch gemacht, die kritischen Ansätze der letzten Jahre zusammenzufassen. Es ist die Hauptaufgabe dieses Buches, sonst schwer zugängliche Arbeiten so zusammenzustellen, daß sie eine Einführung in die Probleme der angepaßten Universität und der von den Studenten in praktisch-politischer Tätigkeit zu verwirklichenden demokratischen Hochschule in einer demokratischen Gesellschaft ergeben. Gleichzeitig soll dieses Buch ein Handbuch für die Studentenpolitik sein. Zu einzelnen Problemen, zu denen es noch keine befriedigende Literatur gab (Disziplinarrecht, Arbeitssituation der Studierenden, politisches Mandat, Geschichte der Studentenrebellion an der FU), sind neu erstellte Ausarbeitungen abgedruckt.

Inhalt: I. Entwicklung der Hochschulen seit 1945: Jürgen Habermas, Vom sozialen Wandel akademischer Bildung; Klaus Meschkat, Auf Sand gebaut? - Gedanken zur neuen Universität; Andre Gorz, Studium und Facharbeit heute; Elmar Altvater, Zum Verhältnis von ökonomischer Entwicklung und Bildungspolitik. II. Anpassung der Universität: Die Wissenschaftsratsempfehlungen zur Studienreform: Jürgen Habermas, Zwangsjacke für die Studienreform; Stephan Leibfried, Universität und Formierung; Friedhelm Nyssen, Die gesellschaftspolitischen Implikationen der geplanten „Neuordnung des Studiums"; Wissenschaftslose Praxis und praxislose Wissenschaft (Stellungnahme der Beratungskommission für Fragen der Studienreform der Freien Universität Berlin). III. Arbeit, Angst und Aufstand der Studierenden: Jutta Menschik, Am Existenzminimum...; Reiner Geulen / Gerhard Stuby / Stephan Leibfried, Im Räderwerk - Zum Disziplinarrecht; Materialien zum Disziplinarrecht; Reiner Geulen / Hubert Bacia, Arbeit und Angst im Leistungsbetrieb; Lothar Hack, Am Beispiel Berkeley: Rigider Funktionalismus und neue Unmittelbarkeit; Wolfgang Lefevre / Walter Weller, Der „berlinische Unwille": Zur Geschichte der FU-Studentenrebellion. IV. Hochschulkritik als Emanzipation: Vom Konsumenten zum Rezensenten: Wolfgang Nitsch, Vorlesungsrezensionen als Hochschulkritik (mit zwei Exkursen: Peter Müller, Begründung von Prüfungsrezensionen; Wulf Hopf, Schlimmstenfalls trivial - Rezensionskritik); Zwei Rezensionen als exemplarische Beispiele. V. Neue Modelle der Studienfinanzierung: Studienhonorar und solidarische Eigenbeteiligung: Wolfgang Nitsch/Uta Gerhardt/Claus O f f e / U l r i c h K. Preuß, Das Studienhonorar - Förderung und Eigenbeteiligung. VI. Die Hochschule im Prozeß der Demokratisierung: Wolfgang Nitsch, Thesen zur Demokratisierung der Studienreform; Knut Nevermann, Studienreform als politische Bildung (Rede des 1. AStA-Vorsitzenden der Freien Universität auf der öffentlichen Immatrikulation am 19. 11. 1966); Anregungen zu einem Dringlichkeitsprogramm (verfaßt von den Mitgliedern der Kommission des VDS zur Neugründung von wissenschaftlichen Hochschulen); Jeder Reformschritt als Experiment (9 Thesen des AStA der Freien Universität zur Studienreform); Was will der AStA: Qrganisationsmodell einer demokratischen Universität. VII. Von der Hochschul- zur Gesellschaftspolitik: „Demokratische Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen" (Resolution, verabschiedet von der versammelten Studentenschaft der Freien Universität auf dem Sit-in am 22./23. 6. 1966); Universität und Völkermord: interesseloser Lieferant oder aufgeklärte Wissenschaft (Vietnambeschluß des Konvents der Freien Universität vom 26. 5. 1967); Warum nicht nur studieren (Stellungnahme des AStA der Freien Universität im „Tagesspiegel" vom 5. 7. 1967); Was ist die kritische Universität? (Einführung zum provisorischen Verzeichnis der Studienveranstaltungen der kritischen Universität für das Wintersemester 1967/68); Wolfgang Nitsch, Argumente für eine kritische Universität; Ulrich K. Preuß/Stephan Leibfried, Wissenschaft als gesellschaftliche Praxis im Interesse der Emanzipation - Thesen zum politischen Mandat; Ulrich K. Preuß, Wissenschaftliche Lernfreiheit und studentische Selbstorganisation; Wolfgang Lefevre/ Walter Weller, Der 2. Juni und die Folgen - Zur Strategie einer außerparlamentarischen Opposition.

ca. 320 Seiten, glanzkartoniert ca. D M 8,85 Auslieferung voraussichtlich im Oktober 1967 prv

Pahl-Rugenstein Verlag

Köln

Barbarossaplatz 2

KRITISCHE UNIVERSITÄT Freie Studienorganisation der Studenten in den Hoch- und Fachschulen von Westberlin

PROGRAMM UND VERZEICHNIS der Studien Veranstaltungen im Wintersemester 1967/68

AStA der Freien Universität Berlin, Politische Abteilung I Berlin 33, Garystraße 20, Telefon 7690421 Drude: Oberbaumpresse Berlin Satz: P. v. Maikowski, Berlin Schutzgebühr: 1,— DM

Vorwort Die Texte und Veranstaltungsprogramme in diesem Heft sind voreilige, vorauseilende Zeugnisse eines Versuchs der Emanzipation von erstarrten Formen und Inhalten dei akademischen Lehre. Sie entstammen einem experimentellen Lernprozeß, der stets unabgeschlossen bleiben wird. Erst recht zu diesem Zeitpunkt aber bietet sich die Kritische Universität als eine unaufgeräumte Werkstatt dar, in der grob bearbeitete Stücke herumliegen. Es sollte auch Sache des interessierten Lesers sein, sie besser zuzurichten. Der Provisorische Initiativausschuß, der im September von den Studentenvertretungen der Freien Universität und der Technischen Universität und einer Versammlung von Vertretern aller vorbereitenden Arbeitskreise gebildet wurde, legt die einleitenden Texte als Diskussionsmateiialien der Öffentlichkeit vor. Die Programme der einzelnen Arbeitskreise wurden von vorbereitenden Gruppen ausgearbeitet. Uber die Ziele und die Organisation der Kritischen Universität werden Entwürfe vorgelegt, über die die erste Vollversammlung der Teilnehmer zu entscheiden haben wird. Die Termine und Räume für die im Verzeichnis angekündigten Studienvcranstaltungen werden durch Anschlag, Flugblätter und Rundschreiben bekanntgemacht. Literaturverzeichnisse, Arbeitspläne und andere Vorbereitungsmaterialien der einzelnen Arbeitskreise werden vom Sekretariat der Kritischen Universität im AStA der FU den Teilnehmern zugesandt. Anmeldungen nehmen entgegen der AStA der Freien Universität Berlin, 1 Berlin 33, Garystr. 20, Tel. 7 69 04 21, und die Studentenvertretung der Technischen Universität Berlin, 1 Berlin 30, Hardenbergstr. 34, Tel. 32 53 43.

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VORGESCHICHTE UND DOKUMENTE Auf dem Sit-in am 22723. Juni 1966 wurde von der dort versammelten Studentenschaft folgende Resolution verabschiedet:

RESOLUTION „Präambel Wir kämpfen nicht nur um das Recht, längere Zeit zu studieren und unsere Meinung stärker äußern zu können. Das ist nur die halbe Sache. Es geht uns vielmehr darum, daß Entscheidungen, die die Studenten betreffen, demokratisch nur unter Mitwirkung der Studenten getroffen werden. Was hier in Berlin vor sich geht, ist ebenso wie in der Gesellschaft ein Konflikt, dessen Zentralgegenstand weder längeres Studium noch mehr Urlaub ist, sondern der Abbau oligarchischer Herrschaft und die Verwirklichung demokratischer Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wir wenden uns gegen alle, die den Geist der Verfassung, gleich in welcher Art, mißachten, auch wenn sie vorgeben, auf dem Boden der Verfassung zu stehen. Es gilt, die Freiheit in der Universität als Problem zu sehen, das über den Rahmen der Universität hinausweist. Aus diesem Grunde sieht die Studentenschaft die Notwendigkeit, mit allen demokratischen Organisationen in der Gesellschaft zusammenzuarbeiten, um ihre Forderungen durchzusetzen." Die versammelte Studentenschaft erklärte die Beschlüsse der Vollversammlung aller Fakultäten vom 21. Juni zum Bestandteil ihrer Resolution, in denen es hieß: „Die versammelten Studenten fordern 1. Abschaffung der befristeten Zulassung und Zwangsexmatrikulation an unserer Universität 2. Paritätisch aus Professoren, Assistenten und Studenten besetzte Ausschüsse zur Planung und Durchführung einer umfassenden Studienreform; Vertreter der Öffentlichkeit, insbesondere des Senators für Wissenschaft und Kunst, sollen hinzugezogen werden. 3. Öffentliche Diskussion über alle anstehenden Probleme mit dem Rektor und dem Akademischen Senat." Der 18. Konvent schloß sich am 24. Juni dem Aufruf der Studentenschaft an und forderte „die unverzügliche Inangriffnahme der Reform des Studiums an dieser Universität". In der unter studentisdiem Druck schließlich zustknde gekommenen Universitätskommission zur Studienreform, die bereits in ihrer Zusammensetzung und Geschäftsordnung eine erhebliche Schwächung der studentischen Interessen zugunsten eines möglichen Kompromisses darstellt, wurden auf der konstituierenden Sitzung vom 15. November 1966 immerhin noch folgende Aufgaben gestellt: „Ausarbeitung einer v e r b i n d l i c h e n Stellungnahme zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates". „Mögliche Koordinierungsfunktion im Bereich der Gesamtuniversität". „Öffentliche Diskussion im Januar (1967) mit Rektor, Mitgliedern der Fakultäten und der Kommission". Im Februar 1967 erschien die Stellungnahme der Uni-Kommission zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, auf die sich studentische und pro3

fessorale Mitglieder der Kommission geeinigt hatten. Der Rektor verweigerte die Veröffentlichung dieser Stellungnahme in einer Broschüre für die Studenten (so daß der AStA sie schließlich aus eigenen Mitteln herausgeben mußte). Der Rektor war nicht gewillt, diese Arbeit als Stellungnahme der FU in der Rektorenkonferenz zu vertreten. Die angesprochenen Fakultäten bezogen die Stellungnahme nicht in ihre Arbeit ein. Die befristete Zulassung und die Zwangsexmatrikulation wurden beibehalten. Die nun überall entstehenden Studienreformkommissionen begannen zwar mit den Diskussionen, die sogar bei einigen Ordinarien ihren praktischen Niederschlag fanden. Eine umfassende inhaltliche und didaktisdie Reform wurde jedoch nicht begonnen. Die Studenten haben Studienreform nicht als etwas von der gesellschaftlichen Situation Isoliertes begriffen. Deshalb beschränkten sie sich nicht nur darauf, Studien- und Hochschulreform zu fordern. Um ihre Forderung auch verwirklichen zu können, mußten sie zu autoritären Tendenzen in der Bundesrepublik, die einer Demokratisierung der Hochschule entgegenstehen, Stellung beziehen. Ein solches Engagement konnte sich jedoch — wollte es wirksam sein — nicht allein auf Deklamationen und Resolutionen beschränken. Die Studenten begannen daher, neue Organisations- und Aktionsformen zu praktizieren, sich von erstarrten Parteiapparaten unabhängig zu machen, da diese die notwendige Opposition nicht mehr leisten konnten und wollten. Mit der Stärke der neuen Opposition wuchs auch die Unterdrückung dieser Bewegung durch die herrschenden Autoritäten. Im Verlauf des Sommersemesters 1967 wurde versucht, den Konflikt mit der kritischen Studentenschaft durch „ tölpelhafte VerwaltungsmaßnahmenM (K. Schütz) und Einsatz physischer Gewalt zu lösen. Am 2. Juni wurden zahlreiche Demonstranten verletzt, ein Student wurde erschossen. Auf seiner Sitzung vom 5. Juni, an der mehrere Tausend Studenten beteiligt waren, schloß sich der Konvent der Freien Universität den Forderungen der versammelten Studenten vom 3. Juni an. In dem Teil des Beschlusses, in dem der Konvent aufzeigt, wie weit die Freie Universität mit Schuld trägt an den Ereignissen vom 2. Juni, heißt es* Wenn die Studenten diese gerechten Forderungen erheben, so wissen sie zugleich, daß die politische Wirkung der Universität auf die Stadt, die Gesellschaft sehr gering ist, und sie wissen, daß dies nicht zuletzt an der Universität liegt. Es scheint fast, als käme der Appell, daß die Deutsche Universität nicht ein zweites Mal am Scheitern der Demokratie und an der Entmenschlichung der Gesellschaft schuldig werden darf, schon zu spät. Die Universitäten können deswegen keinen Augenblick mehr zögern, die gesellschaftlichpolitischen Aufgaben der universitären Wissenschaften zu definieren und die politische Praxis der Universität zu bestimmen. Der Konvent der FU Berlin sieht es als seine Pflicht an, die Angehörigen der Universität aufzurufen, noch heute einen Prozeß der Selbstklärung und der Entwicklung einer politischen Praxis zu beginnen, der die theoietische wie praktische Antwort und Kampfansage der FU an alle politischen Tendenzen darstellt, die die zweite deutsche Demokratie zu zerstören drohen. Der Konvent appelliert an die Universität: 1. Der reguläre Lehrbetrieb wird für mindestens eine Woche von Lehren4

den und Lernenden durch Diskussionen über folgende Themen ersetzt: a) über die Ereignisse der letzten Tage b) über die Verschleierung der Tatsachen durch Politiker, Polizei und Presse und die Bedeutung dieser Manipulation des öffentlichen Bewußtseins c) über den faktischen Ausnahmezustand in Berlin, die Tendenzen einer bürokratischen Aufhebung der Demokratie und über den von legalisierten Organen der Exekutive ausgeübten Terror d) über die Möglichkeiten der Universität als Ort sich politisch verstehender Wissenschaft, aktiv politisch zu intervenieren, um die Demokratie in Berlin wiederherzustellen, zu verteidigen und weiter zu entwickeln. Die Universitätsangehörigen klären zunächst in den einzelnen Fakultäten und Instituten die geeignetste Form, die konkrete, den Inhalt des Faches berücksichtigende Diskussion zu beginnen. Jeden Abend finden — wenn möglich im Henry-Ford-Bau — gemeinsame Diskussionen der Universitätsangehörigen statt. Diese Forderungen wurden größtenteils verwirklicht — wenn auch nur eine Woche lang. In den zahlreichen Vollversammlungen der Fakultäten und Institute, auf den täglichen Abendveranstaltungen im Auditorium Maximum wurde die Funktion der Universität und der Wissenschaft in unserer Gesellschaft diskutiert. In den Instituten bildeten sich spontan Arbeitskreise, die mit Hilfe ihrer Einzelwissenschaft versuchten, die psychische, soziale, ökonomische und politische Situation Westberlins, die den 2. Juni geschaffen hatte, zu begreifen. Diese Untersuchungen wurden nicht gemacht, um Scheine zu erwerben, und nicht, um „ d e r Wissenschaft" zu dienen. Sie wurden notwendig, weil die Studenten in den Tagen nach dem 2. Juni erfahren mußten, wie wenig die Methoden ihrer bisherigen wissenschaftlichen Arbeit zur Bewältigung ihrer eigenen Interessen und der Interessen ihrer Mitbürger geeignet waren. Bei allen Aktionen, die die Studenten in diesen Tagen durchführten, mußten sie außerdem erfahren, wie wenig sie sich bisher mit den Problemen der Stadt und ihrer Bürger beschäftigt hatten. Unvorbereitet stießen sie auf die Vorurteile dieser Berliner Bürger, empfanden sie die Feindseligkeiten, mit der ihren Aufklärungskampagnen begegnet wurde. Um die Arbeit in den ersten Wochen nach dem 2. Juni zu bewältigen, bildeten sich Aktionskomitees, in denen Studenten fast aller Berliner Hochschulkomitee, das Aktionskomitee für Politische Arbeit an der Technischen Universität (APA). Für die Zukunft benötigte man Gruppen, die langfristiger in Arbeitskreisen wissenschaftlich arbeiten wollten und deren Ergebnisse als Grundlage besserer Aufklärung und Aktion verwendet werden konnten. Diese Arbeitsgruppen bildeten sich mehr fachbezogen aus den einzelnen Instituten, mehr interdisziplinär aus den Aktionskomitees. Ihre Themen orientierten sich an den Problemen dieser Stadt, die Ergebnisse der Arbeit sollten den Studenten selbst zur Verfügung stehen, denn sie waren dringend auf diese Ergebnisse angewiesen. Das Problem war, in welchem Rahmen diese Arbeitskreise koordiniert werden sollten, wie ihr Verhältnis zur offiziellen Universität aussehen, welches die Schwerpunkte der noch zu bildenden Kreise sein sollten, wie sie arbeiten sollten, wollten sie nicht die 5

autoritäre Struktur der Universität wiederholen. Einen Orientierungspunkt bildeten bei diesen Diskussionen das Beispiel der amerikanischen „free universities" (s. Birnbaum). Man entschloß sich, nicht aus der bestehenden Universität auszuziehen; die Arbeitskreise der „Kritischen Universität4' sollten in ständigem Bezug zu den Lehrveranstaltungen der Freien Universität bleiben, sie sollten auf sie zurückwirken, um beispielhaft zu zeigen, wie Studenten sich Studienrelorm vorstellen. Die Studenten sollten in diesen, von ihnen selber geplanten und durchgeführten Arbeitskreisen lernen, besser an den Lehrmethoden und -inhalten Kritik zu üben. In dieser Kritischen Universität sollten sich die Studenten also einerseits kritisch mit ihrem eigenen Fach auseinandersetzen und auf den späteren Beruf vorbereiten und sich andererseits mit aktuellen Problemen Westberlins, seiner Wirtschaftskrise, Pressekonzentration, der Notstandsgesetzgebung, der revolutionären Bewegung in der Dritten Welt beschäftigen können. Die Diskussion um die Organisation der KU war noch lange nicht abgeschlossen, da begann bereits die Kampagne in der Presse (Morgenpost: „Die Mine von Dahlem") und der Professorenschaft gegen die KU. (Man erwog juristische Maßnahmen gegen Assistenten, die in Arbeitskreisen der KU mitarbeiten wollten. Der Rektor stellte dem AStA keinen Rauiii für eine Diskussion über die Kritische Universität zur Verfügung. Er gab ein juristisches und ein inhaltliches Gutachten in Auftrag, das letztere ist erschienen*.) Senator Stein sandte den folgenden Brief (mit Durchschlag an den Rektor) an den AStA: Der Senator für Wissenschaft und Kunst, Berlin-Charlottenburg, 11. Sept. 67 An den Vorsitzenden des Allgemeinen Studentenausschusses der Freien Universität Berlin Herrn Häußermann Sehr geehrter Herr Häußermann! Die beabsichtigte Einrichtung einer als „Kritische Universität" bezeichneten Studienorganisation der Studenten innerhalb der Berliner Hoch- und Fachschulen, deren Ziele und Veranstaltungen mir bisher lediglich aus einem im Buchhandel vertriebenen „Provisorischen Verzeichnis der Studienveranstaltungen im Wintersemester 1967/68" bekannt sind, veranlaßt mich — vorbehaltlich einer abschließenden Beurteilung dieser Bestrebungen — schon jetzt folgendes festzustellen. Zunächst habe ich grundsätzlich hochschulverfassungsrechtliche Bedenken, daß Mitglieder einer Umveisität in ihrer Hochschule eine Organisation errichten, die nicht nur den Namen Universität führt, sondern auch wesentliche Funktionen dieser Hochschule ausüben soll. Was aber auch immer mit einer „Kritischen Universität" gemeint sein soll, auf keinen Fall darf sie zu einer direkten oder indirekten Störung des regulären Lehr- und Forschungsbetriebes an der Freien Universität oder an ' Gutachten für den Rektor über die herausgegeben vom AStA der Freien lung. Redaktion: Fritz Borinski und Rektor der FUB; beratend wirkten mit: 6

Broschüre „Kritische Universität", Universität Berlin, HochschulabteiG. N. Knauer, herausgegeben vom Prof. Löwenthal und Prof. Stammer.

anderen Hochschulen in Berlin oder zu einer unzulässigen Einwirkung auf Organe bzw. einzelne Angehörige dieser Hochschulen führen. Veranstaltungen, die in einem solchen Rahmen durchgeführt würden, sind keinesfalls offizielle Lehrveranstaltungen der Freien Universität. Lehrveranstaltungen der FU sind nach dem Hochschullehrergesetz nur die im Vorlesungsverzeichnis der FU aufgenommenen oder in Ergänzung dazu in sonstiger Form angekündigten Veranstaltungen der Fakultäten. Die Grenzen der zulässigen Aktivitäten der satzungsmäßigen Organe der Studentenschaft liegen auf jeden Fall dort, — wo die Freiheit von Lehre und Forschung gefährdet ist, — wo die Unabhängigkeit der Hochschullehrer in Frage steht, — wo als wissenschaftlich bezeichnete Einzelveranstaltungen oder Veranstaltungsreihen der Rechtfertigung vorgefaßter politischer Meinungen dienen sollen und damit nicht mehr voraussetzungsfrei betrieben werden, — wo der Universitätsbetrieb beeinträchtigt wird a) durch Störung von Lehrveranstaltungen oder Forschungsarbeiten, b) durch unzulässige Einwirkung auf Organe, Einrichtungen oder einzelne Angehörige der Universität, — wo durch Form und Inhalt der Aktivität Organe der Studentenschaft sich zum Träger oder Mitträger politischer Aktionen in außeraniversitären Fragen machen. Was im „Provisorischen Verzeichnis" als Ziele und Aufgaben der „Kritischen Universität" genannt wird, hält sich meiner Auffassung nach nicht in dem hier aufgezeigten zulässigen Rahmen. Vor allem die Bezugnahme auf den Konventsbeschluß vom 26. Mai 1967, in dem der „politischen Neutralität" der Universität entgegengetreten wird, steht dazu im Widerspruch. Die Unabhängigkeit des Hochschullehrers wird in Frage gestellt, wo es nach den Vorstellungen des „Provisorischen Verzeichnisses" darum geht, im normalen Lehr- und Forschungsbetrieb Programme nicht nur im Einvernehmen mit den Hochschullehrern aufzustellen, sondern wo solche Programme auch „durch öffentliche Kritik... durchgesetzt werden" sollen. Auch die Art, wie die Broschüre ankündigt, daß in „vieler Weise an Methodik, Inhalt und Selbstverständnis" bestimmter Disziplinen gerührt und der „bisherige Status der Lehrenden einer notwendigen Kritik" unterworfen wird, läßt befürchten, daß die Unabhängigkeit der Hochschullehrer gefährdet ist. Ich habe hier lediglich einige mir für den Hochschulbereich als besonders gravierend erscheinende Eingriffe genannt. Hinzu kommt die Ankündigung einer Fülle von politischen Aktionen im außeruniversitären Bereich. Besonders die Ankündigung, daß die „freie Studienorganisation der Studenten. . zu einer radikal demokratischen Opposition oder Gegengewalt im Bereich von Wissenschaft, Schule und Intelligenz, und damit zu einer Komponente außerparlamentarischer antiautoritärer Opposition werden" könne, zeigt, daß die Verfasser politische Entwicklungen anstreben, die zu unterstützen keinesfalls Aufgabe eines Universitätsorgans sein kann. Innerhalb dieser rechtlichen Grenzen, auf die ich in meiner Verantwortung für die Berliner Hochschulen hinzuweisen hatte, besteht auch für die Organe der Studentenschaft ein weiter Raum, im Rahmen der Satzungen ihre bildungspolitische Aufgabe wahrzunehmen und kritische Beiträge zur Universitäts- und Studienreform zu leisten. Hierfür werde ich auch bei einer 7

künftigen Hochschulgesetzgebung eintreten. Außerdem gehe ich davon aus, daß berechtigte Wünsche der Studenten hinsichtlich der Ergänzung des Vorlesungsangebotes im Zusammenwirken mit Professoren erfüllt werden sollten. Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß, wenn die Studentenschaft eine Einrichtung der hier in Frage stehenden Art anstrebt, außer der Einhaltung der hier aufgezeigten Grenzen, die Verfassung der Freien Universität ein Zusammenwirken zwischen Studentenschaft und Akademischem Senat voraussetzt. Für den Fall, daß bei den Beratungen mit den übrigen Hochschulorganen Meinungsverschiedenheiten entstehen, die zu einer Anrufung meiner Verwaltung führen, weise ich schon jetzt darauf hin, daß meine Entscheidung wesentlich davon abhängen muß, ob der hier aufgezeigte Rahmen für die Bestrebungen der studentischen Organe eingehalten wird. Ich erwarte deshalb von Ihnen sobald als möglich, spätetens aber bis zum Beginn etwaiger Aktivitäten, eine klare Stellungnahme des AStA dazu, ob er weiterhin an den im „Provisorischen Verzeichnis" genannten Zielsetzungen und Methoden festhält oder an welche konkreten Veranstaltungen nunmehr gedacht wird. Durchschrift dieses Briefes erhält der Rektor der Freien Universität Berlin. Mit verbindlichen Empfehlungen gez. Prof. Dr. Stein Eine Woche später tagte der Akademische Senat und beschloß, daß es für die Kritische Universität keine Unterstützung (also Räume) geben werde, solange diese auf der Grundlage des provisorischen Verzeichnisses arbeite.

Entwurf eines Organisationsmodells Am 24.9.1967 fand eine Versammlung statt, zu der die Arbeitsgruppen und die AStA der beteiligten Hochschulen Delegierte entsandt hatten. Entsprechend einem Entwurf und der daran anschließenden Diskussion wurde ein Organisationsschema für die KU von den Anwesenden akzeptiert. Im Vordergrund der Überlegungen stand die verantwortliche Mitarbeit aller Beteiligten, die permanente Diskussion und Überprüfung der Ziele der KU sowie ein Mindestmaß an Organisation, das dennoch die Koordinierungsaufgaben erfüllen kann. Die Arbeitskreise bestimmen Thema und Arbeitsweise selbst. Die Vollversammlung ist das oberste Organ der Kritischen Universität. Sie soll abwechselnd in der Freien Universität und der Technischen Universität einberufen werden. Sie besteht aus allen Anwesenden, die mitarbeiten wollen. Sie kann einberufen werden vom Initiativausschuß, von einem Drittel der Mitglieder des Delegiertenrates, von drei Arbeitskreisen und von einem AStA. Die Vollversammlung tritt mindestens zweimal im Semester zusammen. Sie kann die Beschlüsse anderer Gremien aufheben. Jede Arbeitsgruppe entsendet zwei Delegierte in den Delegiertenrat. Diese Delegierten sollen im Turnus von verschiedenen Arbeitskreisteilnehmern gestellt werden. Der Delegiertenrat tagt alle drei Wochen. Zu dieser Sitzung sollen Protokolle aus den Arbeitsgruppen vorliegen. 8

Der Delegiertenrat tagt öffentlich. Der Initiatlvaussdiufi ist das Exekutivorgan, das die Arbeit zwischen den Vollversammlungen wahrnimmt. Er hat die Aufgabe, das endgültige Verzeichnis vorzubereiten, Räume zu besorgen, Veranstaltungen vorzubereiten und Werbung für die KU zu betreiben. Er vertritt die KU in der Öffentlichkeit. Er koordiniert die Planung und Durchführung von Arbeitskreisen. Er besteht aus 6 von den Delegierten gewählten Mitgliedern, aus je 2 Vertretern des AStA der Freien Universität und der Studentenvertretung der Technischen Universität sowie je einem Vertreter der AStA der Kirchlichen Hochschule und der Pädagogischen Hochschule. Die Kirchliche Hochschule, die Pädagogische Hodischule und die Hochschule für Bildende Künste sind assoziierte Mitglieder. In dem Initiativausschuß haben die Studentenvertreter der Technischen Universität und der Freien Universität ein Vetorecht, das nur durch die Vollversammlung aufgehoben werden kann. Denn Konflikte innerhalb der KU sollen durch Diskussion und nicht durch administrative Maßnahmen durch die Studentenvertretung gelöst werden. * Dieser Entwurf wird auf der 1. Vollversammlung der KU zur Abstimmung gestellt.

Erklärung des Allgemeinen Studentenausschusses der Freien Universität Berlin zum Gutachten der Professoren Knauer und Borinski über die „Kritische Universität" Der Akademische Senat hat in seinem Beschluß vom 18.9.1967 feststellen können, daß „Geist und Aktion des »Provisorischen Komitees* vom 26.11. 1966, das damals als extremer Flügel des SDS auftrat,... und des Gründerkreises der .Kritischen Universität' weitgehend identisch sind", obwohl der Gründerkreis der KU noch keinerlei Aktionen unternommen hat. Uber die geistige Identität wird im folgenden zu reden sein. Prorektor Lieber und Rektor Harndt bezweifeln in einem „Offenen Brief an die Studenten der FU die „Loyalität (der außerparlamentarischen Opposition) gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung nur weil ihrer Ansicht nach einige Anhänger der außerparlamentarischen Opposition „die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie... zum politischen Ziel erklärt" haben. Jeder denkende Mensch weiß, daß seit dem 2. Juni nicht* die danach erstarkte „außerparlamentarische Opposition" die verfassungsmäßige Ordnung gebrochen hat, sondern daß dieser Versuch vom Berliner Senat 9

unternommen worden ist. Die akademische Verwaltung läßt unter der Studentenschaft das „Gutachten zur Kritischen Universität" von den Professoren Knauer und Borinski verteilen, da sie offenbar der Meinung ist, diese? Gutachten habe eine solche Uberzeugungskraft, daß die Proteste dagegen, die von der Studentenvertretung vorgebracht werden, in der Studentenschaft keine Basis mehr fänden. Zum wiederholten Male wird damit der Versuch gemacht, die Studenten von ihrer Vertretung zu isolieren und jene altbekannte „Rädelsführertheorie" neu aufzutischen, die in dem Gutachten sogar so weit perfektioniert ist, daß man als Drahtzieher nur noch eine oder zwei Personen zu benennen braucht. Als der 1. AStA-Vorsitzende, Hartmut Häußermann, am 18.9.1967 sein Amt zur Verfügung stellte, weil am gleichen Tage der Akademische Senat das Verbot der „Kritischen Universität" beschlossen hatte, beeilte sich der Rektor darauf hinzuweisen, daß der Akademische Senat noch nicht endgültig entschieden habe; vielmehr, so stehe es ausdrücklich im Punkt 3 des Beschlusses, hänge alles vvon der Stellungnahme des Allgemeinen Studentenausschusses zu dem Gutachten der Professoren Knauer und Borinski ab, das der Entschließung des Akademischen Senats zugrunde lag. Richtig ist jedoch, daß der Akademische Senat ein Ultimatum stellte: Wenn sidi der AStA von der KU in der Form, wie sie im „Provisorischen Verzeichnis der KU" projektiert ist, distanziert, dann könne man über andere Pläne neue Verhandlungen aufnehmen; was jedoch die geplante KU, sowohl in ihrem grundsätzlichen Charakter wie in ihren Einzelheiten, betrifft, so erklärte der Akademische Senat die Einschätzung des KnauerBorinski-Gutachtens für zutreffend und versagte jede Unterstützung. Dadurch, daß Rektor und Akademischer Senat ihrem Beschluß ein 22seitiges Gutachten unterlegten, zu dem der Allgemeine Studentenausschuß sich äußern darf, versuchten sie, den unangenehmen Eindruck zu vermeiden, auf ein wissenschaftliches Unternehmen der Studenten und einiger Assistenten nur administrativ zu begegnen. Diese Taktik verfing. Am 21.9.196? schreibt der Tagesspiegel: „Die vorläufige Verweigerung der Räume ist keine Verwaltungsmaßnahme von Bürokraten, sondern... dem Beschluß liegt ein Gutachten zugrunde... die Professoren (Knauer und Borinski) haben mit wissenschaftlicher Gründlichkeit... herausgearbeitet..." etc. Es ist nicht Grundsatz des AStA, einem Ultimatum Folge zu leisten; der AStA ist jedoch bereit, das Gutachten Knauer-Borinski, auf das sich Rektor und Akademischer Senat offenbar so viel zugute halten, zu kommentieren. Das Knauer-Borinski-Gutachten dient dem Akademischen Senat dazu, seine inhaltliche Zensurtätigkeit gegenüber den von Studenten und Assistenten selbständig und frei geplanten Veranstaltungen zu begründen. Der Akademische Senat hebt aus dem Gutachten drei Hauptpunkte heraus, die ihn zum Verbot der KU bestimmten. 1. Der Akademische Senat wirft dem AStA vor, „in dieser Frage offenbar nicht als Organ der Studentenschaft, sondern als Sprachrohr außeruniversitärer politischer Kräfte" zu handeln. Angesichts studentischer Massenveranstaltungen verweist der Akademische Senat auf die alleinige Repräsentationsfähigkeit der Studentenvertretung, angesichts von Handlungen der Studentenvertretung jedoch

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stellt er die Frage, ob diese dem Willen der Masse der Studenten entsprechen. Diesmal geht er sogar einen Schritt weiter, wobei der AStA Sprachrohr außeruniversitärer politischer Kräfte sein soll. Knauer und Borinski stellen folgende Verscbwörungs- und Agententheorie auf; a) Man könne in folgenden Schriftstücken eine „identische geistige Haltung" aufzeigen: Ganz am Anfang, gleichsam als Ur-DrahtziehDokument, steht die SDS-Hochschuldenkschrift „Hochschule in der Demokratie"; es folgt die Erweiterung dieser Denkschrift als Luchterhand-Buch unter gleichem Titel von Gerhardt, Nitsch, Offe, Preuß u. a.; dann folgt, als das zentrale Vermittlungsglied in dieser Genealogie, das „Fachidiotenflugblatt" vom 26.11.1966; es steht wohl deshalb dermaßen im Mittelpunkt, weil man zu erreichen sudit, daß die KU als eine Potenzierung von SA-Methoden angesehen wird, wie man sie angeblich — die Falschmeldung ist hartnäckig — am 26. IL 1966 erlebt hat; über einige weitere Stationen, darunter das AStA-Flugblatt „Was will der AStA14 vom 5.5.1967, mündet die geistige Geschlechterkette im „Provisorischen Verzeichnis der KU". Also ist die KU das Unternehmen einer Verschwörung? In der Tat, solange Professoren die Identität von Gedanken als Beweis für Verschwörung werten, solange wird die Hochschulkritik der aufgeführten Schriftstücke zum Selbstverständnis der Studenten gehören müssen. Knauer und Borinski kommen natürlich nicht auf den einfachen Gedanken: daß es die sich nicht verändernde Misere der Universität ist, was der Kritik an dieser Universität Kontinuität, Identität und Verbreitung verschafft. b) Die nachgewiesene Identität der „geistigen Haltung" gestattete es dem Gutachten, den SDS als eine der gesuchten außeruniversitären Kräfte dingfest zu machen«, mit dem Wort „außeruniversitär" hat das Gutachten wohl das Verbot des SDS an der FU vorweggenommen, möchte man vermuten. Die personellen Identitäten, die das Gutachten aufspürt, weisen W. Nitsch und U. K. Preuß als die anderen außeruniversitären politischen Kräfte aus. Knauer und} Borinski versäumen natürlich nicht anzugeben, in welchen Institut diese beiden außeruniversitären politischen Kräfte angestellt sind und wer dort der Chef ist, auf den man Druck ausüben kann, damit er sie kündigt. Von diesen Kräften also, vor allem von deren Ideen, soll sich der AStA befreien, um wieder Organ der Studentenschaft — gemeint ist wohl: Instrument der Professorenschaft — zu werden. Gleichsetzung von Geist und Inhalt des Flugblattes vom 26.11.1966 und anderer Dokumente gründet jedoch auf keiner genauen Analyse. Auf S. 1 wird die Hypothese aufgestellt, die dann im folgenden verifiziert werden soll. Dies geschieht aber nicht, denn das Flugblatt vom 26.11. wird inhaltlich gar nicht erst weiter untersucht. Vor allem fällt dadurch völlig der Unterschied unter den Tisch, der zwischen einer kritisch auf den bestehenden Lehrbetrieb bezogenen, diesen gerade qua vorbildlichem Experiment beeinflussen wollenden KU einerseits und einem Unternehmen andererseits besteht, das die Ausgeschiedenen und s i c h V e r w e i g e r n d e n aufnehmen will. Es ist kaum anzunehmen, daß z. B. die Initiatoren vom 26.11. sich um eine Ergänzung des Studien11

Programms innerhalb des Rahmens der FU bemühen wollten, ihre Absicht war vielmehr, ihre Kommilitonen davon zu überzeugen, ihr Studium als solches überhaupt aufzugeben, sich dem UniversitätsBetrieb zu verweigern, um zu dokumentieren, daß Studium in dieser Gesellschaft heute sinnlos ist. Die KU dagegen versucht darauf hinzuweisen, daß sie ihre Struktur und damit auch ihre Funktion im politischgesellschaftlichen Zusammenhang neu bestimmt. 2. Der Akademische Senat lehnt die KU ab, weil sie „nicht als Beitrag zur Hochschul- und Studienreform, sondern als Beitrag zur politischen Aktion der außerparlamentarischen Opposition gedacht ist". Die Trennung von Politik und Hochschulpolitik ist ein altes Anliegen des Akademischen Senats. Zumindest seit 1959 vertritt der Akademische Senat die Auffassung, daß sich die Studentenvertretung nur mit hochschulpolitischer Praxis befassen darf, mit Politik dagegen nur in Form von Bildungsabenden, über deren apolitischen Charakter der Rektor notfalls vermittels des Hausrechts wacht. Sich der Einheit von Theorie und Praxis zu nähern versuchen, also z.B. in den Notstandsgesetzen nicht nur die Zerstörung der Demokratie zu erkennen, sondern sich auch noch etwas zur Erhaltung der Demokratie ausdenken zu wollen, und zwar auch als Universitätsbürger, gilt als verbietenswert. Das Gutachten geht aber noch weiter. Für Knauer und Borinski scheint schon die gar nicht so schwer nachvollziehbare Einsicht, daß an die Demokratisierung der Universität nicht zu denken ist, solange die Gesellschaft nicht wirklich demokratisch wird, ein Gedanke zu sein, der so unmittelbar ist, daß man ihn nicht einmal widerlegen muß (S. 14), um ein Verbot der KU zu reditfertigen. Die Distanz der Studenten zum naiven Reformoptimismus bezeichnet in der Tat der Satz, „auch noch so progressive (Reform-)Einrichtungen dienen nur der Verschleierung der traditionellen Herrschaftsverhältn i s s e ( D i e etwas problematische Formulierung stammt von Knauer und Borinski.) In dem Gutachten zur Kritischen Universität werden solche Studenten als „besessen" (S. 14) hingestellt, die den Zusammenhang zwischen einer partiellen Veränderung, wie es z.B. eine Studienreform wäre, und den grundlegenden Verhältnissen einer Gesellschaft in der Weise begreifen, daß in einer von fundamentalen Widersprüchen gekennzeichneten Gesellschaft eine bloß partielle Veränderung zur Verschleierung und damit zur Erhaltung dieser Widersprüche beiträgt, wenn diese partielle Veränderung nicht im Zusammenhang mit einer Praxis steht, die auch die Aufhebung der fundamentalen Widersprüche erstrebt. Diese Auffassung des Verhältnisses von partieller und umfassender Reform als wissenschaftsfeindlich, als Ausdruck parteilicher Indoktrinierung und totalitäre Ideologie zu bezeidmen, wie es das Gutachten tut, und von daher die Ablehnung des KU-Unternehmens zu empfehlen, kommt dem autoritativen Einschreiten gegen eine ganze theoretische Richtung und Tradition nahe, dem notwendig nicht nur die Initiatoren der KU zum Opfer fallen müssen. Wenn für das Gutachten dieser Gedanke die „Vorstellung" von „Besessenen" ist, die nicht mehr diskutiert wird, weil sie offenbar unmittelbar ihre ganze Verwerflichkeit zeigt, dann darf man ja wohl allmählich fragen, wann der Akademische Senat die Werke von 12

Hegel, Marx, Lukacs, Benjamin, Horkheimer, Adorno und auch — so muß man hinzufügen — von H. J. Lieber aus den Bibliotheken der FU zu entfernen beschließt. Alle politischen Anschuldigungen von Knauer und Borinski folgen diesem, den Springer-Blättern entlehnten Denunziationsmechanismus; merke: Klammere Vietnam aus der Betrachtung einer Vietnamaktion aus und schon hast du eine faschistische Aktion um der Aktion willen; klammere das wirkliche Verhältnis von bürgerlicher Gesellschaft und Wissenschaft bei der Betrachtung der Reformdebatte aus, und schon verwandelst du den in einen „totalitären Ideologen", der versucht, die Misere der Universität als mit den Widersprüchen der Gesellschaft zusammenhängend zu begreifen und danach seine Praxis einzurichten; klammere die tatsächliche Reformunwilligkeit der bestehenden Universität aus der Betrachtung der Studenten Vertretung aus, und schon hast du eine böswillige Studentenvertretung, die nur den Lehrbetrieb stören will. (Der AStA findet es nur noch peinlich, wenn Rektor und Akademischer Senat ihre „Entschlossenheit", „unbeirrt" die Hochschulund Studienreform „voranzutreiben", mit den Studienreformkommissionen dokumentieren, welche ihnen die Studenten mit Massenaktionen abgezwungen haben und deren Ergebnisse Rektor und Senat zu diskutieren bisher sich weigern.) Das Argument, die KU leiste keinen Beitrag zur Hochschul- und Studienreform, laufe vielmehr auf eine Störung des Lehr- und Forschungsbetriebes hinaus, wie das Gutachten nachzuweisen versucht, weist sogar einige Plausibilität auf. Nach dem Gutachten stellen folgende Handlungen Störungen des ordentlichen, einzig kritische Wissenschaft gewährleistenden Universitätsbetriebes und damit systematische Sabotagemanöver gegen die Wissenschaftlichkeit selbst dar (S. 16f): a) Empfehlende und kritische Hinweise auf Lehrveranstaltungen; b) Parallelkurse zu Lehrveranstaltungen und Formen gemeinsamer Vorbereitung? c) vorlesungskritische Arbeitskreise; d) Erarbeitung von Vorlesungsskripten, Lektüreplänen, Studien- und Prüfungsführern, um Studenten von unrationell organisierten Pfliditveranstaltungen zu entlasten; e) Wissenschafts- und gesellschaftskritische Seminare, die sich, auch in öffentlichen Disputationen, mit herrschenden Lehrmeinungen auseinandersetzen, wenn nicht „sachlich offen diskutiert" wird (Wer entscheidet das?); f) öffentliche Kritik, durch die die Bearbeitung relevanter Probleme in einem Fach herbeigeführt werden soll, wenn diese Kritik „in Publikationen oder Massenveranstaltungen" vorgetragen wird; g) Protest gegen den Mißbrauch der Wissenschaft für inhumane und destruktive Zwecke; h) die kritische Auseinandersetzung selbst, weil sie zu „physischer und geistiger Anstrengung" führt; i) die Kooperation mit einzelnen Ordinarien oder einzelnen Institutionen. Wenn all das, wie das Gutachten versichert, den Universitätsbetrieb 13

stört, wenn schließlich alie Befürchtungen hinsichtlich dieser Störung darin gipfeln, die auf die universitäre Arbeit bezogene Kritik der KU könne leicht „in sachlich unqualifizierter Weise — in Publikationen, Massenversammlungen — vorgetragen" (S. 16) werden, dann wird doch wenigstens klar, warum Rektor und Akademischer Senat in der KU keinen Beitrag zu der Reform erblicken, die sie „unbeirrt", „mit Entschlossenheit vorantreiben": Durch die KU wäre das Privileg der Ordinarien bedroht, sich nur auf solche Auseinandersetzungen und Kritik einzulassen, deren Form und damit auch deren Inhalt selber sie souverän bestimmen. Nur an diesem Punkt, an dem die Professoren als Verteidiger ihrer Privilegien auftreten, bringt es das Gutachten zu einiger Klarheit. Der Akademische Senat lehnt die KU ab, weil es sich in ihr „nicht um das Erlernen kritisch wissenschaftlicher Methoden handelt, sondern um die Schulung in .radikal^demokratischer Opposition' und für entsprechende politische Aktionen". Die wissenschafts-theoretische Kritik des Gutachtens an der KU muß wirklich dem wissenschaftlichen Selbstverständnis aller Fachrichtungen entsprechen, wenn sich der Akademische Senat in 20 Minuten darauf einigen konnte (so viel Zeit stand den Senatoren zur Lektüre des 22seitigen Gutachtens zur Verfügung). Wir verdanken also dem Senat die Renaissance eines einheitlichen wissenschaftlichen Selbstbewußtseins der Universität, das sich im Gutachten in folgenden Hauptpunkten artikuliert: a) Die in der FU praktizierte Wissenschaft ist immer schon kritische Wissenschaft. Wenn deshalb die KU sich kritisch mit der Wissenschaftspraxis der FU auseinandersetzen will, so will offenbar die KU kritische Wissenschaft abschaffen (S. 2). Diese Beweisführung verschlägt jedem Kommentator die Sprache. b) Da die KU schon vor Beginn ihrer Arbeit sich über die Ziele ihrer Arbeit verständigt, werden offenbar durch die KU „die Arbeitsmethoden als auch die Resultate von vornherein festgelegt... Wissenschaftstheoretisch bedeutet eine solche Auffassung einen Rückschritt um über 150 Jahre" (S. 13). Die Ziellosigkeit, Desorientiertheit und der Mangel stringenter Methodenreflexion, wie sie überall in der bestehenden Universität zu beobachten sind, gelten von nun an offenbar als Ausdruck kritische Offenheit und Vorurteilsfreiheit von Wissenschaft. Eine Kritik am Fehlen jeder Selbstversicherung über Ziele und Methoden wissenschaftlicher Arbeit ist von nun an als dogmatisch, metaphysisch oder dezisionistisch einzuschätzen, ja schlimmer noch: als „parteipolitische Indoktrinierung" und damit als „das Ende" „der freien, kritischen Wissenschaft". Die Vertreter der bestehenden Unverbindlichkeit jeder wissenschaftlichen Aussage sind ihrerseits natürlich nicht Partei; ihr Agnostizismus kommt natürlich niemandem zugute. Nun verstehen wir auch, warum die gegenwärtige Wissenschaftspraxis in der FU kritische Wissenschaft ist. c) Vor dieser „Offenheit", diesem „kritischen" und „freien" Charakter der universitären Wissenschaft ist natürlich die gesellschaftskritische Ausrichtung der KU eine „Verengung" des „Wesens der

kritischen Wissenschaft" (S. 2). Ferner ist -es allerdings eine mit kritischer Wissenschaft derart unvereinbare Einseitigkeit, wenn die Lektürelisten für die Kurse der KU vornehmlich solche Autoren (S. 5) nennen, die sich nicht durch die Desorientiertheit der üblichen universitären Wissenschaft auszeichnen. Knauer und Borinski verschweigen selbstverständlich, daß die Organisationsform der Kurse an der KU, im Gegensatz zu der der regulären Lehrveranstaltungen, erstmals überhaupt die umfassende, auch bestimmende Kritik jeder einseitigen Themen-, Methoden- oder Lektürewahl für die Kursteilnehmer ermöglicht, die auch praktische Folgen hat. Die Trennung von Wissenschalt und Gesellschaft garantiert nach Knauer und Borinski kritische Wissenschaft. Auch der übelwollendste Kommentator hätte nicht zu hoffen gewagt, im Gutachten einen Satz von solcher politischer Deutlichkeit zu finden wie: „Arbeiterbildungskurse können und dürfen (die apodiktische Formel ,können und dürfen' findet sich an sonst keiner Stelle des Gutachtens) keine wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen sein, wenn man den Zielen der Arbeiterbildung und den Zielen der wissenschaftlichen Bildung und Ausbildung gerecht werden will" (S. 20). Angesichts dieser Feststellung muß jeder Versuch der KU, gar die Trennung von Theorie und Praxis zu überwinden, sie als ein jede Wissenschaftlichkeit vernichtendes Unternehmen erscheinen lassen. Das Verdikt jeder Einheit von Theorie und Praxis in der KU seitens des Akademischen Senats gilt allerdings gleichermaßen für solche Wissenschaftler oder solche wissenschaftlichen Institute, die — etwa im Auftrage des CIA wie die Michigan-State-University — die Niederwerfung der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt planen oder unterstützen. Im Gegenteil, das Gutachten wirft gerade der KU vor, zu planen, sich mit einer solchen menschenfeindliche Politik unterstützenden wissenschaftlichen Arbeit auch praktischkritisch auseinandersetzen zu wollen. Der Unterschied zwischen der KU und z. B. der Michigan-State-University ist allerdings gravierend, wie man konzedieren muß: Menschen, die die Ziele ihrer wissenschaftlichen, keineswegs bei Theorie stehenbleibenden Tätigkeit mit nichts als mit ihren Argumenten legitimieren können, sind wissenschaftsfeindlich im Gegensatz zu denen, die zu dieser Legitimation einen Vertrag mit staatlichen oder privaten Auftraggebern vorlegen können. Angesichts auch nur der in Vietnam blutig sich versuchenden Konterrevolution bezeichnet der AStA diesen Opportunismus im wissenschaftlichen Selbstverständnis der vom Akademischen Senat repräsentierten Universität als Zynismus und Ausdruck des Versagens der universitären Wissenschaft, wie es sich in Deutschland während der faschistischen Herrschaft manifestiert hat. Eine grundsätzlich kritische Besinnung auf die politische Funktion und die gesellschaftliche Dimension, die grundsätzlich aller wissenschaftlicher Arbeit eingeht, ob sie sich darüber im klaren ist oder nicht, wird aber, trotz gegenteiliger Beteuerungen, von den Autoren des Gutachtens gerade abgelehnt: Kritische Wissenschaft sei an der FU von vornherein schon verwirklicht, weil 15

die FU ex definitione kritische Wissenschaft leistet, brauche sie keine neuen kritischen Anstöße durch studentische Initiativen. Selbstkritik wird ausdrücklich für die FU als überflüssig abgelehnt: Denn Borinski und Knauer werten eine kritische Stellungnahme gegen die bestehende Universität als unzulässige Opposition (S. 2). Wenn sie weiter feststellen (S. 20), die Universität sei grundsätzlich bereit, sich der Kritik von innen und außen zu stellen, so zeigt dies lediglich, daß die Ordinarien nach wie vor autoritativ darüber entscheiden wollen, welche praktischen Konsequenzen theoretischer Kritik für die Universität bekömmlich und welche schädlich sind. „Wachsame Selbstkritik" und „sachgemäße Reform" sind demnach die undiskutierten Kriterien, nach denen studentische Initiative von den Ordinarien gemessen und im Falle der KU verworfen werden. Was sachgemäß ist, bestimmt sich nach den Ausführungen des Gutachtens in erster Linie nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Folgenlosigkeit. Das Wesen der kritischen Wissenschaft wird also mißverstanden, wenn es gesellschaftliche Bezüge einbegreift. Statt das Wesen kritischer Wissenschaft gerade in seiner Offenheit für die Probleme des praktischen Lebens und der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu sehen, wird ein solcher Bezug im Gutachten als Verengung (S. 2) der wissenschaftlichen Fragestellung angesehen. Wer von gesellschaftspolitisch v e r e n g t e m Wissenschaftsbegriff sprechen kann, um damit einem Wissenschaftsbegriff das Attribut der Offenheit zuzusprechen, die sich gerade immer wieder gegen gesellschaftliche Bezüge abgekapselt hat, leugnet die humanistische Tradition der Wissenschaft. Auf S. 3 des Gutachtens wird eine These vereinfacht und dadurch verfälscht, die in der von Borinski miterarbeiteten Stellungnahme der FU zum Wissenschaftsratgutachten sehr gründlich ausgeführt wurde. Die Gefahren, die von einer staatlich forcierten Wissenschaftspolitik drohen, scheinen den Ordinarien Knauer und Borinski dann aus dem Bewußtsein zu treten, wenn es gilt, kritische Reformpläne von studentischer Seite zu diskreditieren, die geeignet sein könnten, die mangelnde Reformbereitschaft der OrdinarienUniversität bloßzustellen. Das gesellschaftspolitische Moment der Intentionen der KU wird mit einem aktivistisdien Interesse gleichgesetzt. Wenn „aktivistisehM als Gegensatz zn einer lediglich kontemplativen Erkenntnisabsicht verstanden wird, so ist der Formulierung ohne weiteres zuzustimmen. In der Tat hat ein gesellschaftskritisches Wissenschaftsverständnis, wie es nicht nur in der dialektisch-kritischen, sondern auch der neopositivistisch-rationaiistischen Wissenschaftstheorie konstituiert wird, einen aktivistischen Zug im Vergleich mit jenem in sich ruhenden geisteswissenschaftlichen Eirkenntnisinteresse, das die deutsche Universität dominierend geprägt hat, ohne sich über die politischen Implikationen ihres bornierten Selbstverständnisses bewußt zu sein. Typisch für eine gesellschaftskritische Wissenschaftstheorie ist z. B. die Formulierung Gadamers: „Es ist echter Erkenntniswille und nichts sonst, was den Forscher befeuert" (in: Die Universität des henneneutischen Prinzips, in: Philologisches

Jahrbuch der Goerres-Gesellschaft, 73. Jahrgang, S. 220). Die Gutachter scheinen ganz in die Nähe eines solchen von Erwägungen über die gesellschaftliche Nützlichkeit f r e i e n Wissensdranges zu geraten, wenn sie „wissenschaftliche Redlichkeit" gegen „unwissenschaftliches Engagement" ausspielen wollen und alle Versuche damit für wissenschaftsfeindlich erklären, die gewonnene Erkenntnis praktisch unter eigener Kontrolle wirksam werden zu lassen. Allerdings soll die Vokabel „aktivistisch" auch hier wiederum diskreditierend wirken und muß daher zurückgewiesen werden. Die Vorhaben der KU sind nicht aktivistisch orientiert in dem Sinne, daß sie zu theoretisch unfundiertem und vorschnellem gesellschaftlich-politischen Handeln antreiben, sondern sollen im Gegenteil zunächst eine theoretische Durchdringung aktueller gesellschaftlicher und politischer Probleme leisten und damit gerade blindem Aktivismus entgegenarbeiten. Es kann aber durchaus nicht Aufgabe einer KU sein, praktische Folgerungen aus theoretischer Einsicht für überflüssig zu erklären oder gar zu verhindern. Insofern ist es eine Selbstverständlichkeit, daß kritische Wissenschaft zu einer „Komponente außerparlamentarischer antiautoritärer Opposition werden kann", wenn die gesellschaftlichen Zustände autoritäre Züge aufweisen, die gerade mit den parlamentarisch etablierten politischen Mächten zusammenhängen. Daß kritische Wissenschaft in sich antiautoritär wirkt, ist eine Selbstverständlichkeit, daß die politische Wirkung dieser Tendenz erhöht werden kann, wenn wissenschaftliche Erkenntnis auch praktische Folgen hat, die allerdings von handelnden Subjekten ins Werk gesetzt werden müssen, kann nur dem unklar sein, der auf die Selbsttätigkeit des Geistes vertiaut. Die Studentenschaft ist sich wohl der Tatsache bewußt, daß Marx, Adorno und Marcuse kein Monopol auf Gesellschaftskritik haben. Sie beanspruchen es auch gar nicht. Wohl aber hätten Vertreter anderer gesellschaftskritischer Positionen sich mit diesen Autoren auseinanderzusetzen, ehe sie jene vorschnell als einseitige Ideologen abtun, wie es im Knauer-Borinski-Gutaditen geschieht. Die offene Diskussion im Rahmen der KU ist dadurch mit gewährleistet, daß, im Gegensatz zu manchem universitätsoffiziellen Seminar, jeder seine wissenschaftstheoretische Position in der Diskussion behaupten kann, ohne daraus persönliche Nachteile befürchten zu müssen. Die Uberflüssigkeit von Veranstaltungen der KU soll dadurch bewiesen werden, daß Untersuchungen über dieselben Themen anderwärts schon stattgefunden haben. Wenn argumentiert wird: „Es bedarf keines besonderen Seminars außerhalb des normalen Lehrbetriebes", weil sprachwissenschaftliche Untersuchungen zu dem geplanten Thema schon vorliegen, so wäre entsprechend unsinnig argumentiert, wenn man sämtliche philosophischen Seminare streichen würde, weil die Universitätsbibliothek doch recht stattlich mit entsprechenden Schriften versorgt sei, die man ja studieren könne. Schließlich weist die denunziatorische Rezension des Nitsch-Gerhardt-Offe-Preuß-Buches exemplarisch nach, mit welcher Technik dieses Gutachten abgefaßt ist. Ohne auch nur im geringsten inhaltlich auf die dargestellten Thesen einzu-

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gehen, wird ein Versdiwörungszusammenhang nachgewiesen, der darin besteht, daß sich Autoren anderer hochschulpolitischer Schriften von den Argumenten des zitierten Buches haben überzeugen lassen. Dieses Buch wird deshalb als Beweis dafür gewertet, daß ein „einheitliches Konzept zur Politisierung, Umfunktionalisierung, Unterwanderung zunächst der FU besteht". An anderer Stelle als „Machtergreifung" bezeichnet, wird den Studenten damit unterstellt, lediglich aus revolutionärem Aktivismus die alte Universität kritisieren zu wollen. Die inhaltlichen Forderungen, der Charakter der Politisierungsabsicht, die Frage der Vereinbarkeit von gesellschaftsbewußtem Forschen und wissenschaftlichem Anspruch, all dieses wird nicht diskutiert. Es wäre sehr verdienstvoll, wenn sich Knauer und Borinski in einem zweiten Gutachten explizit zu ihrem Wissenschaftsbegriff äußern würden, anstatt den Leser im wissenschaftstheoretischen Dunkel tappen zu lassen. Eine ehrliche und offene Aussage hat da Professor Bettermann in seinem Gutachten zum politischen Mandat der Studentenschaft getroffen, indem er „gesellschaftsbewußtes Forschen und politisches Engagement des Wissenschaftlers als Merkmal eines totalitären Systems" definiert. Borinski und Knauer dagegen vernebeln ihren Wissenschaftsbegrifl mit der vagen Beteuerung, auch zur Selbstkritik bereit zu sein (S. 20). Mit einer solchen Position, die den Gegner allein durch die Wortwahl denunzieren will, kann man sich schlecht auseinandersetzen. über das Gutachten sollte daher öffentlich diskutiert werden, damit alle Beteiligten ihre Karten offen auf den Tisch legen. Die Vertreter der KU hätten eine solche Diskussion nicht zu scheuen. Sie trauen es sich zu, darzulegen, wcicher Zusammenhang besteht zwischen Hochschul- und Studienreform und politischen Aktionen der Studentenschaft, zwischen den Erfolgsaussichten für die Politik einer Studentenvertretung und dem Handeln anderer gesellschaftlicher Kräfte und auch zwischen den theoretischen Erfahrungen, die kritische Wissenschaft vermittelt, und den praktischen Folgen, die sich in politischen Aktionen erreichen ließen. Die Stellungnahme des AStA zu diesem Knauer-Borinski-Gutachten, die gewünscht wird, könnte nur in folgender Feststellung bestehen: Die Richtigkeit und Notwendigkeit der geplanten KU wird durch das Knauer-BorinskiGutachten und den darauf basierenden Beschluß des Akademischen Senats noch einmal in aller Eindringlichkeit dokumentiert. Der AStA wird seinen Teil dazu beitragen, daß mit der Verwirklichung der projektierten KU in diesem Wintersemester begonnen wird. Wenn der Akademische Senat daran festhält, dieses Projekt verhindern zu wollen, dann liegt es auch in seiner Verantwortlichkeit, wenn es bei dieser Verwirklichung zu „Störungen" des Lehrbetriebes kommen sollte. Die zeitliche Auslastung der Räume der FU gestattet es, ohne jede Störung des regulären Lehrbetriebes die Kurse der KU in der FU durchzuführen. Die Fragen, die am Schluß des „Gutachtens" an den AStA gestellt werden, können in dieser Form nur gestellt werden, wenn man von einer Wissenschaftsauffassung ausgeht, die 1. politische Aktion als ein Phänomen sieht, das keinerlei Zusammenhang mit wissenschaftlicher Betätigung haben kann und den gesellschaftlichen 18

Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Politik leugnet, 2. die Universität als von der Gesellschaft isolierte Institution begreift, die sich nicht um die Voraussetzungen und die Folgen ihrer Arbeit Gedanken zu machen braucht, 3. das Lernen kritischer Wissenschaft als absoluten Gegensatz zu politischer Opposition versteht. Die Antwort des AStA kann deshalb nur die Frage an den Akademischen Senat sein, ob er sich die Wissenschaftsauffassung der Autoren Knauer und Borinski — die diese im Gutachten selbst nicht offengelegt haben — zu eigen macht und diesen dogmatisch für die Freie Universität dekretieren möchte. Nur so könnte der Akademische Senat seinen Entscheid aufrechterhalten, den Studenten für die Arbeit der Kritischen Universität keine Räume zur Verfügung zu stellen.

Berliner Rechtshilfe Die Berliner Justiz beschäftigt die außerparlamentarische Opposition: Haftbefehle, Ermittlungsverfahren, Vernehmungen, Vorladungen. über zweihundert politische Verfahren laufen heute gegen Berliner Bürger — Studenten, Arbeiter, Angestellte und ausländische Bewohner. Eine Handvoll unabhängiger Juristen hat den Betroffenen Rechtshilfe geleistet — bis heute fast immer unentgeltlich. Diese Hilfe aber hat Grenzen. Eine Anwaltskanzlei kostet Geld. Gebühren müssen aufgebracht und Spesen ei setzt werden. Die Beschuldigten, die sich für ein politisches Anliegen des Westberliner Gemeinwesens einsetzen, sollen die Kosten für ihre Verteidigung nicht selbst aufbringen müssen. Wir haben einen Fonds für Berliner Rechtshilfe eingerichtet. Wer der Opposition zu ihrem Recht verhelfen will, den bitten wir, mit einer Geldspende dazu beizutragen. Unser Konto lautet: Republikanische Clubgesellschaft mbH, Sonderkonto Rechtshilfe, 1 Berlin 15, Wielandstraße 27, Postscheckkonto Nr. 2035 45 Berlin West. Ein Kuratorium der unterzeichneten Verbände wird über die Verwendung der Mittel entscheiden und alle sechs Monate öffentlich Bericht erstatten. AStA der Freien Universität Berlin, Studentenvertretung der Technischen Universität Berlin, AStA der Pädagogischen Hochschule Berlin, AStA der Kirchlichen Hochschule Berlin, AStA der Hochschule für Bildende Künste Berlin, Evangelische Studentengemeinde Berlin, Gewerkschaftliche Studentengemeinschaft Berlin, Humanistische Studenten-Union Berlin, Liberaler Studentenbund Deutschlands Berlin, Sozialdemokratischer Hochschulbund Berlin, Sozialistischer Deutscher Studentenbund Berlin, SJD — Die Falken Landesverband Berlin, Internationale Liga für Menschenrechte — Sektion Berlin, Kampagne für Abrüstung — Regionaler Ausschuß Berlin, Republikanischer Club Berlin

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Helmut Gollwitzer: Von der Wissenschaftlichkeit eines wissenschaftlichen Gutachtens Bemerkungen zu dem Gutachten von Prof. Borinski und Prof. Knauer über die Broschüre „Kritische Universität" „Es sei ausdrücklich betont, daß die Universität als Stätte kritischer Wissenschaft selbst jederzeit bereit ist, sich der Kritik von innen und von außen zu stellen." (S. 20) Das Gutachten ist verfaßt von einem Philologen und einem Pädagogen, der zugleich Senatsbeauftragter für Politische Bildung ist. Es beschwört des öfteren das Ethos kritischer Wissenschaftlichkeit. Man wird also fragen dürfen, wieweit es selbst dieser Wissenschaftlichkeit entspricht, wieweit die Regeln philologischer Textinterpretation eingehalten, die Forderungen pädagogischen Verstehens erfüllt und die politischen Zusammenhänge heutiger Universitätsfragen bedacht sind. Jeder von uns bleibt oft genug im Abstand vom Ideal. Die Befragung geschieht also nicht selbstgerecht und will nicht verletzen, sie will aber dazu beitragen, daß eine Verletzung des Universitätslebens, die dieses Gutachten zur Folge haben kann, vermieden werde. 1 Eine der ersten Fragen, die sich der Interpret eines Textes zu stellen hat, ist die nach dem Ausreifungsgrad des Textes. Ob ein Text einen Entwurf, eine erste Skizze oder ein vom Autor als abgeschlossen bezeichne ies Werk darstellt, darf nicht ignoriert werden. Aus vorläufigen Niederschriften wird verantwortliche Literaturkritik kein endgültiges Urteil über ein geplantes Werk wagen. Von der Broschüre „Kritische Universität" (KU) ist bekannt, daß sie in den letzten Wochen des vergangenen Semesters unter großem Zeitdruck entstanden ist, um vor Ferienbeginn allen Interessierten eine erste Vorstellung der mit diesem Veranstaltungsplan des AStA verbundenen Ideen zu geben. Von den Initiatoren und dem AStA wurde immer betont, daß nicht nur das Verzeichnis der geplanten Veranstaltungen, sondern auch die einleitenden Ausführungen als durchaus vorläufig anzusehen sind. Die Gutachter behaften den hinter der Broschüre stehenden Kreis dennoch beim Wortlaut der Broschüre, als sei sie ein endgültiges Manifest. Man wird nach dem Motiv solch unwissenschaftlicher und unpädagogischer Ignorierung des Charakters eines zu interpretierenden Textes fragen dürfen 2. Wissenschaftliche Interpretation zieht alle nur erreichbaren Auskünfte des betreffenden Autors heran. Jeder Philologe wünscht sich, er könnte seinen Autor mündlich befragen. Für Professoren, die einen Text ihrer Studenten zu interpretieren haben, sollte Einholung mündlicher Auskünfte selbstverständliche pädagogische Pflicht sein. Die Gutachter verschmähen solche Interpretationshilfe. Der eine Gutachter hat in der Senatssitzung vom 18.9.1967 durch die Frage, wer die Verfasser der Broschüre seien, gezeigt, daß er nie um eine Unterredung mit ihnen sich bemüht hat. 3. Wissenschaftliche Interpretation whd des öfteren schwanken zwischen 20

einer interpretatio peior und einer interpretatio melior — erst recht dann, wenn die Aufgabe pädagogischen Verstehens gegenüber einem Text der jungen Generation hinzutritt. Das Gutachten ist von diesem Schwanken frei: es kennt nur die interpretatio pessima. Weil z. B. in dem Bande „Hochschule in der Demokratie11 von den versäumten deutschen Revolutionen die Rede ist (Gutachten S. 9), ist den Gutachtern sicher, daß „jede geplante Veranstaltung in mehr oder minder verschlüsselter Form als ein Schritt auf dem Wege zur erhofften allgemeinen Umwälzung dienen soll" (S. 14). Weil die Broschüre a u c h die wissenschaftliche Vorbereitung politischer Aktionen ins Auge faßt, sehen die Gutachter als Sinn der KU „ausschließlich die politische Aktion" (S. 15). 4. Wissenschaftliche Interpretation beachtet bei einem Text, ob er von einem oder von mehreren Verfassern stammt. In letzterem Falle fragt sie nach unterschiedlichen Tendenzen, die sich in ihm ausdrücken, und nach der Art des Kompromisses, den diese miteinander gefunden haben. Dem Gutachten ist diese Frage fremd. Es behandelt die Broschüre als homogenes Produkt, das sie nicht ist, und legt sie auf die extremste Tendenz fest — ein Vorgehen, das sich jeder weise Pädagoge im Umgang mit Gruppen jüngerer Menschen verbieten wird. 5. Philologische Interpretation bemüht sich um Erklärung der Begriffe. Hätte sich das Gutachten z. B. um die häufig vorkommenden Begriffe „radikaldemokratisch" und „Kritik" bemüht, so wäre es auf die Frage gestoßen, wie eine Tendenz auf „Radikaldemokratie" und „rationale Kritik" zugleich „dem bewußt parteilichen Verhalten totalitärer Ideologien" sich annähein kann (S. 15) — eine Frage übrigens, die keineswegs irreal ist und bekanntlich unter den Studenten selbst, da vielen die Möglichkeit eines solchen Umschlags durchaus bewußt ist, lebhaft diskutiert wird. Statt dessen benützt das Gutachten solche Begriffe unerklärt, offenbar als Bürgerschreck zur Erzeugung nur emotionaler Reaktionen. Daß bei der Jugend eines demokratischen Staates im Begriff „radikaldemokratisch" sich die Kritik an empirischen Unzulänglichkeiten und die Entschlossenheit zur Demokratie ausdrücken könnte, wird von zwei Universitätslehrern des Jahres 1967 nicht einmal erwogen. 6. Wissenschaftliche Interpretation unterscheidet bei einem Programm zwischen schon enthaltenen Übeln und erst noch drohenden Geiahren. Sie deckt erstere auf und warnt vor letzteren. Da alles auf Erden seine Gefahren hat, genügt Aufweis von Gefahren noch nicht zur Verurteilung eines Programms. Das Gutachten verschmäht solche diffizilen Unterscheidungen. S. 15: „Vorlesungskritische Arbeitskreise" (Zwischenfraget Sollte es tatsächlich Kollegen geben, die sich nicht freuen, wenn lebhaftes Interesse ihrer Hörer zur spontanen Entstehung solcher Kreise führt?!) „können zur Störung werden, wenn nicht sachlich offen diskutiert, sondern unsachlich, politisch demagogisch, im Stil der Massenversammlungen polemisiert wird", „öffentliche Kritik" von Lehrveranstaltungen „müßte... zu einer Störung . . . werden", wenn sie in „sachlich unqualifizierter Weise" vorgetragen wird usw. Zwei Universitätslehrer halten ihre Studenten offenbar zu einer anderen Art von Kritik für unfähig und setzen deshalb den Potentialis mit dem Indikativ gleich: Die KU i s t eine Störung. Der Pädagoge ist damit der Pflicht, die Jüngeren vor Gefahren ihres Unternehmens zu warnen, enthoben, an 21

die Stelle der pädagogischen Aufgabe kann das bequeme administrative Verbot treten. 7. Wissenschaftliche Interpretation fragt bei jedem Text nach den historischen Koordinaten. Nicht einmal durch die breite Heranziehung des Sammelbandes „Hochschule in der Demokratie" läßt sich das Gutachten dazu verführen, auch nur den kleinsten Schritt in dieser Richtung zu tun. Historische Interpretation macht Motive verständlich und bewahrt vor selbstgerechtem Moralisieren. Indem dies Gutachten auch die leiseste Frage nach dem Warum, nach den möglichen Ursachen der in der KU sich äußernden stürmischen Kritik an unseren universitären Zuständen unterläßt, erscheinen die Initiatoren der KU samt den Autoren des Bandes „Hochschule in der Demokratie" als undankbare, ungerechte, böswillige, ja gemeingefährliche Revoluzzer mit einem ausgearbeiteten Plan der systematischen Destruktion. Beweiskräftig für diese Tendenz des Gutachtens scheinen die auch mir sehr ärgerlichen Äußerungen des Konventspräsidenten W. Lefevre in der „Neuen Kritik" vom April 1967 (Gutachten S. 12) zu sein. Die Gutachter haben offensichtlich den ganzen Aufsatz, aus dem das Zitat stammt, gelesen. Er konnte sie erinnern an die Situation, in der er als Votum innerhalb der studentischen Kontroverse über den weiteren Weg geschrieben wurde. Von Seiten akademischer Instanzen war die Schließung der FU als Gefahr an die Wand gemalt worden, von Politikern war mit ihr gedroht worden. Lefevre vertrat die These, man solle sich dadurch nicht schrecken lassen, da die Schließung nur beweisen würde, daß man den administrativ-autoritären Kurs nicht durchhalten könne. Man kann dieser These scharf entgegentreten, wie ich es getan habe. Wer sie aber aus dem historischen Kontext herauslöst und die Schließung der FU abstrakt als „Teilziel" ausgibt (S. 12), sol), nicht wissenschaftliches Ethos anrufen. 8. Zu wissenschaftlicher Interpretation gehört Kenntnis der Sache, von der ein Text handelt. Ich nehme an, daß die Gutachter diese Kenntnis haben. Ich verstehe nicht, warum sie sie nicht erkennen lassen. Dabei meine ich den Zusammenhang der Hochschulfragen mit den allgemeinen politischen Fragen, die Bedingtheit des Wissenschaftsbetriebes durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die konkrete Abhängigkeit der Hochschulreform von politischen Entwicklungen und Entscheidungen. Empirische soziologische Analysen und Ideologikritik haben dafür viel Material geliefert. Man wiid die Konsequenzen, die die Autoren von „Hochschule in der Demokratie" daraus ziehen, kritisch zu prüfen haben. Aber ihnen wegen ihrer doch nicht aus der Luft gegriffenen These von der Korrespondenz zwischen einer echten Hochschulreform und der Demokratisierung unserer noch nicht durchdemokratisierten Gesellschaft vorzuwerfen, sie wollten Wissenschaft unter das Joch politischer Dogmen bringen, verrät eine nicht genügende Kenntnis der heutigen Diskussion über Universität und Gesellschaft, nicht einmal genügendes Bedenken der Fakten, die uns durch die Zeitungen bei jeder Etatberatung mitgeteilt werden. J.Habermas schreibt im Vorwort dieses Sammelbandes: „Die Lektüre mag für die, die eine große Tradition ungebrochen fortzusetzen meinen, provozierend sein. Aber nur darum ist diese Kritik so unerbittlich, weil sie ihre Maßstäbe dem besseren Geist der Universität selber entlehnt. Die Verfasser indentifizieren sich mit dem, was die deutschen Universitäten einmal zu sein beanspruch22

ten." Ein akademischer Senat als Gremium von Wissenschaftlern hätte sich doch besser Zeit genommen, erst in diesen Band wenigstens hineinzusehen, bevor er sich öffentlich einem Gutachten anschließt, in dem kurzerhand diesen Studien „wissenschaftsgeschichtlich'1 ein „Rückschritt von 150 Jahren - (warum gerade 150?) (S. 13) bescheinigt wird. Wenn die Versicherung von Vertretern der KU, sie dächten nicht an Politisierung im Sinne von „politischer Gleichschaltung" (S. 5), als „nicht wahr" bezeichnet wird (S. 11), so dürfte auch daran, wie überhaupt an dem ganzen Schreckbild eines „Aktivismus", der „die politische Aktion zum H e r r n , zum Ziel, zum Kriterium aller Wissenschaft" macht (S.5), schlicht der Mangel an wissenschaftlichem Mitvollzug jener ganzen Diskussion schuld sein. Bei solchem Mangel freilich muß es als gefährliche Bosheit „linksextremistischer Gruppen" (S. 8) erscheinen, wenn „Wissenschaftspolitik als wesentlicher Faktor der Gesellschaftspolitik begriffen wird" (S. 4). Hätte der Gutachter an dieser Stelle wenigstens die Rektoratsantrittsrede, die Rektor Lieber am 27. November 1965 gehalten hat, in Erinnerung gehabt, so wäre ihm das nicht so neu und furchterregend vorgekommen. 9. Wenn wissenschaftliche Interpretation zwei Texte vergleicht, wird sie sehr genau die Vergleichspunkte anzugeben haben. Das Gutachten will die These erhärten, daß der hinter der KU stehende Kreis mit den Verfassern des bekannten „Fachidioten"-Flugblattes vom November 1966 in der „geistigen Haltung identisch" sei (S. 1). Das Gutachten hält bei seinem Vergleich die Nicht-Übereinstimmungen nicht für erwähnenswert. Es sagt nicht, daß von den gesellschaftspolitischen Ambitionen der KU (S. 3—7) im Flugblatt kein Wort steht und daß der Schluß des einzigen Satzes, den es aus dem Flugblatt zitiert (S. 1), von den Verfassern der Broschüre nicht befolgt wird, da sie sich ja keineswegs „bewußt verweigern", sondern innerhalb der Universität zu einem Element der Hochschulreform werden wollen. Die selbstzufriedene Bemerkung auf S. 7, die Identität sei durch die Analyse bestätigt, ist übertrieben: denn die Übereinstimmung besteht lediglich in der Flugblatt-Forderung, es sollten „diejenigen sich selbst organisieren, die es wirklich betrifft" (S. 1). Weshalb ist man aber überhaupt an dieser Identität interessiert? Der Beschluß des Akademischen Senats vom 18.9.1967 verrät es, indem er hervorhebt, die KU sei „weitgehend identisch" mit „Geist und Aktion" derjenigen Gruppen, „die damals... eine Veranstaltung mit dem Rektor sprengte". Diese Erinnerung soll bei Professorenschaft und Öffentlichkeit die panische Vorstellung vom Einbruch einer randalierenden „Kampftruppe" (S. 3) hervorrufen, mit der man jetzt zu rechnen habe. Allen, die in studentischer Eigeninitiative „sich selbst organisieren", wird unterstellt, daß sie „terroristische Akte" (wie Rektor Lieber in seinem Brief an den SDS vom 28.11.1966 die Ungezogenheit der eigenmächtigen Verlesung des Flugblattes am Mikrophon bezeichnete) billigen und planen. Wissenschaftliche Interpretation hat die humane Funktion, Ressentiments und Pauschal-Verdächtigungen abzubauen: hier werden sie aufgebaut. 10. Zum wissenschaftlichen Leben gehört, wie die Gutachter selber versichern, die Bereitschaft, die eigene Position in Frage stellen zu lassen, also die Bereitschaft zur Selbstkritik (S. 15). Mögen die Gutachter auch von der Bereitschaft „der (!) Universität", „sich der Kritik von innen 23

und außen zu stellen" (S. 20), überzeugt sein und mögen sie von dem Tempo und der Energie in Sachen der Hodischul- und Studienreform befriedigt sein, so dürften sie doch diejenigen nicht verketzern, die ihre Unzufriedenheit und Ungeduld äußern. Als Universitätslehrer müssen sie Verständnis dafür haben, daß diese Äußerungen von Studenten, die unter den gegenwärtigen Zuständen fühlbarer leiden als wir Professoren, oft reichlich aufsässig und ungercht klingen. Ebensowenig dürfen sie für ihre Zufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen Allgemeingültigkeit beanspruchen und scharfe Kritik an der „heutigen Staats- und Wirtschaftsführung" (!) (S. 3) schon für undemokratisch erklären. Daß die KU sichtbar von den gesellschaftskritischen „Theorien von Marx und Lenin, von Theodor Adorno und Herbert Marcuse" (S. 5) beeinflußt ist, kann noch nicht Grund sein, ihr den Platz in der Universität zu verweigern, und nur, wer das kritische Element in diesen Theorien verkennt, kann ihr von vornherein vorwerfen, daß sie damit „einer politischen Gleichschaltung gefährlich nahekommt" (S 5) — wobei zu dieser Gefahr das unter 6. Gesagte zu vergleichen ist. 11. Universität ist Einheit von Forschung und Lehre. Für einen Gelehrten, der sich nur der Forschung widmet, können Unruhen, wie sie unsere Universität seit einiger Zeit bewegen, nichts als eine lästige Störung sein, auf die er nur unwillig reagiert. Für einen Universitätsgelehrten, der zugleich Forscher u n d Lehrer ist, werden sie a u c h eine lästige Störung sein, über die er seufzen darf, zugleich aber eine pädagogische Aufgabe, der er sich nicht entziehen darf, und eine menschliche Förderung, sobald er, wie er soll, in lebendigem Kontakt mit den Studenten steht und bereit ist, auch von ihnen zu lernen. Er wird dann nicht nur darüber einen Klagegesang anstimmen können (S. 16!), und er wird diese Unruhen nur dann für „bewußt inszeniert" (S. 16) halten können, wenn er sich nicht genügend Anschauung von ihnen verschafft hat, und wenn er, mangels genügender Selbstkritik, die Schuld an ihnen einseitig nur auf der studentischen Seite sucht. Vermeidet er dies, dann wird er auch nicht fürchten müssen, daß ihm die Studenten etwas „vortäuschen", wie das Gutachten „manchen ,modernen' Professoren" unterstellt (S. 14). Diese Verdächtigung ist schon deswegen hinfällig, weil in den herangezogenen Veröffentlichungen, die den betreffenden Professoren sehr genau bekannt sein dürften, die den Studenten zugeschriebenen Absichten ja nach eigener Aussage des Gutachtens ganz „unverhüllt" hervortreten (S. 9). 12. Die Relativierung der eigenen Position, wie sie in der wissenschaftlichen Diskussion nötig ist, gilt auch für die Fragen der weiteren Ausgestaltung der Universität. In den Ländern des Westens wie des Ostens werden heute neue Versuche, weitere Bevölkerungskreise mit der Universität zu verbinden, gemacht und diskutiert. Die Broschüie hat das aufgegriffen. Ob und wie es sich durchführen läßt, wird man abwarten müssen. Das Gutachten hält davon nichts. Es deutet an, daß es dafür juristische Hinderungen geben könnte (S. 17) — als ob diese nicht, wenn der Versuch sich empfehlen sollte, weggeschafft werden müßten und könnten. Als Grund für seine Ablehnung stellt es die These auf: „Arbeiterbildungskurse können und dürfen keine wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen sein" (S. 20) — eine These, die man bei allem 24

Respekt vor dem in diesen Fragen besonders bewanderten Herrn Gutachter doch sicher nicht als letztes Wort in dieser Sache wird akzeptieren können, da sich gegen sie manche Fragen vorbringen lassen. Die Diskussion darüber würde ebenso wie die Diskussion über den politischsozialen Kontext von Wissenschaft zu einer Diskussion des in dem Gutachten vorausgesetzten Wissenschaftsbegriffes führen, der, soweit ich erkennen kann, Wissenschaft in einer Neutralität und Abgezogenheit von gesellschaftlicher Verantwortung festhält, wie das seit der Diskussion über Max Webers Thesen nicht mehr möglich sein dürfte. * Das Gutachten hat die tatsächlich eine Unzahl von Angriffspunkten bietende Broschüre benützt, um dem Akademischen Senat eine ablehnende Haltung gegen die Veranstaltungsreihe „Kritische Universität" nahezulegen. Es schließt aber mit drei an den AStA gerichteten Fragen. Der normale Gang wäre gewesen, daß der AStA diese Fragen beantwortet hätte und dann der Akademische Senat, ausgerüstet mit dem ganzen Material für seine Urteilsbildung, als oberste inneruniversitäre Instanz Stellung genommen hätte — oder noch besser, abgewartet hätte, bis zu Beginn des Semesters das endgültige Veranstaltungsverzeichnis der KU samt dem Antrag des AStA auf die dafür nötigen Räume vorgelegt worden wäre. Statt dessen hat der Akademische Senat in unverständlicher Eile gehandelt: er trat am 18.9.1967 zu einer Sondersitzung zusammen, er ignorierte gegen den Geist des Berliner Modells die Tatsache, daß der eine studentische Sprecher der Ferien wegen abwesend war und der andere, der sein Amt soeben erst übernommen hatte, zum erstenmal an einer Senatssitzung teilnahm, und lehnte die Bitte des 1. AStA-Vorsitzenden, angesichts dieser unzulänglichen studentischen Vertretung an der Sitzung teilnehmen zu dürfen, ab (er wurde in der 2. Hälfte der Sitzung zu einigen Fragen gehört). Das 22 Seiten starke Gutachten bekamen die Senatsmitglieder erst zu Beginn der Sitzung zur Kenntnis. Dies hat den Akademischen Senat entgegen allen Regeln für solche Gremien nicht gehindert, nach dreistündiger Diskussion noch in der gleichen Sitzung einen Beschluß zu fassen, in dem er sich mit diesem nur flüchtig gelesenen Gutachten identifiziert, seine Veröffentlichung anordnet und die von dem Gutachten dem AStA gestellten, von diesem aber noch gar nicht gekannten, geschweige denn beantworteten Fragen seinerseits in Form von Feststellungen in negativem Sinne zu beantworten. Der Senatsbeschluß wurde sofort veröffentlicht. Dieses in seiner Eile wie in seinem Hergang ebenso ungewöhnliche wie unverständliche Verfahren schafft Tatsachen, bevor noch auf der studentischen Seite der Klärungsprozeß in einem endgültigen Plan der Veranstaltungsreihe sich niedergeschlagen hat. Der neue Senat und der neue Rektor stehen damit bei ihren Entschlüssen unter dem Druck dieses Senatsbeschlusses, gegen den in wissenschaftlicher und pädagogischer Hinsicht die gleichen Einwände wie gegen das Gutachten zu erheben sind. Man kann im Interesse unserer Universität nur wünschen, daß der neue Senat und der neue Rektor sich von diesem Beschluß des alten Senats weder beeinflussen noch binden lassen, sondern über den zu Beginn des Wintersemesters zu erwartenden AStA-Antrag auf Räume für den dann vorgelegten Veranstaltungsplan frei und unvoreingenommen beraten und 25

entscheiden und, wie es einer Freien Universität ansteht, dieses studentische Experiment, wenn es bei allem Anfechtbaren im Ganzen sich als einigermaßen diskutabel darstellt, den Winter über vonstatten gehen lassen. Erst dann wird man entscheiden können, ob es unserer Universität förderlich öder schädlich ist. Helmut Gollwitzer

Norman Birnbaum*: Gegenuniversitäten in den USA Das Bemerkenswerte an den Projekten Freier Universitäten in den USA ist das Ausmaß, in dem sie sich der Struktur der normalen Universitäten angepaßt haben. In der Tat ist der Begriff der „free universities" weniger gebräuchlich als der Begriff „counter universities". Diese Gegen-Universitäten wurden jedoch aufgebaut von Studenten — und, nicht zuletzt, von Lehrern —, die (hinsichtlich ihrer überwiegenden Beschäftigung und ihrer meisten Zeit) voll integrierte Mitglieder der gewöhnlichen Universitäten blieben. Die Bewegung der Gegen-Universitäten in den USA hat mehrere Gründe: Die allgemeine soziale und politische Unruhe hat einen guten Teil der amerikanischen Generation ergriffen, die heute sich dem Studium widmet, und hat übergegriffen auf ihre Lehrer; das in Amerika erhöhte öffentliche Interesse an der Erziehung hatte den ziemlich unbeabsichtigten Nebeneffekt, Studenten und Lehrer davon zu überzeugen, daß es wichtig ist, was sie tun; schließlich entstand eine Flut von Experimenten und Kritik innerhalb der Universität selber, die oft genug in die Wege geleitet wurde von Universitäts-Präsidenten, Dekanen und Professoren von unanfechtbarem Ansehen. Das allgemeine Bild dieser Gegen-Universitäten gleicht sich im gesamten Land. Eine Gruppe von Studenten beschließt, daß gewisse wichtige Themen nicht oder unzulänglich gelehrt werden, so wie es an ihrer Universität zugeht. Sie wenden sich dann an ältere Studenten und graduierte Studenten (diejenigen, die sich auf die Promotion vorbereiten) oder oft audi an Lehrer, seien es jüngere oder ältere, besorgen sich einen Raum oder Räume irgendwo in der Nachbarschaft der Universität (nicht selten in der Universität selber durch die Gefälligkeit von Universitätsbehörden), improvisieren das Material und beginnen mit der Arbeit. Im allgemeinen haben die Projekte mehr die Form von Seminaren oder Studiengruppen als die einer Reihe von Vorlesungen, obwohl es zu erwähnen ist, daß Vorlesungen im Normalfall in Amerika mit Diskussionen verbunden sind. Die Themen dieser Kurse sind äußerst verschieden: Ich habe von Kursen über alles mögliche gehört, von amerikanischer Außenpolitik bis zu Studien über das Alte Testament. Die Entstehung dieser Gegen-Universitäten folgte nicht nur auf die Woge studentischer Unruhen, für die die Revolte von Berkeley typisch ist, sondern ebenso einer Periode intensiver Selbstkritik auf Seiten der amerikanischen Universitäts-Lehrer (gekennzeichnet durch den Muscatine Report, in dem der Akademische Senat von Berkeley tatsächlich erklärte, daß die revoltie* Professor, Department of Sociology, New School for Social Research, New York 26

renden Studenten völlig plausible Gründe hatten, um mit der Ausbildung unzufrieden zu sein, die sie empfingen). Nach ihren Möglichkeiten haben eine gute Anzahl Präsidenten und Dekane (ebenso wie Professoren und jüngere Lehrer) diese Gegen-Universitäten auf ihrem eigenen Campus begrüßt und auch unterstützt. In der Tat ist manchmal schwer zu unterscheiden zwischen inoffiziellen Gegen-Universitäten und offiziellen Experimenten mit neuen Formen und mit neuem Inhalt in der Universitäts-Ausbildung. Ein gesamter neuer Campus der State University of New York zum Beispiel soll ein kontinuierliches Experiment abgeben: Studenten lehren einander, und ein radikal unkonventioneller Lehrplan ist in der Entwicklung. An der ausgezeichneten Jesuiten-Universität Fordham war der Druck, den Studenten ausübten, zu einem guten Teil verantwortlich für zwei Experimente: eine intensive gemeinschaftliche Form für gemeinsame Ausbildung von Lehrern und Studenten, die ihre Unterkünfte teilen, und ein Programm von StadtStudien, in dem New York als Laboratorium begriffen ist. Insgesamt kann man sagen, daß die Gegen-Universitäten oft stimulierend gewirkt haben auf offizielle Revision übernommener begrifflicher Gehalte und AusbildungsTechniken. Man sollte jedoch nicht annehmen, daß der Prozeß der Anpassung oder Integration von Gegen-Universitäten in solche offizieller Natur eindeutig wäre. Gelegentlich stehen Gegen-Universitäten als Repräsentanz studentischer Meinung und offizielle Strukturen in öffentlich erklärter Opposition. In Berkeley war die Universität im letzten Jahr nicht in der Lage (aus Gründen, die unklar sind), den Vertrag eines ausgezeichneten Mitgliedes des Lehrkörpers zu erneuern: die studentische Selbstverwaltung gewährte ihm sofort eine Berufung für ein Jahr, in der er (ganz ansehnlich) aus ihren eigenen Mitteln bezahlt wurde. Eine institutionell gewordene Form von Konflikt zwischen Gegen-Universitäten und offiziellen ist in der Tat das Aufkommen einer Professorenschaft, die direkt von den Studenten bezahlt wird und die die Studentenschaft beruft. Keine dumme Person wurde jemals auf einen solchen Stuhl berufen. In allen diesen Entwicklungen wurden die Neuerer politisch gestärkt durch die Tatsache, daß einige der größeren Stiftungen und einige Individuen in der Bundesregierung (die jährlich etwa 100 Millionen Dollar für die Erforschung des Bildungswesens ausgibt) heute sehr positiv eingestellt sind gegenüber Neuerungen und gewiß nicht zögern, wenn es darum geh , Leuten und Ideen den Rücken zu stärken, die man als exzentrisch oder ungewöhnlich ansehen mag. Schließlich gibt es natürlich einige Bewegungen akademischer Abweichung (zum Beispiel die sogenannte „Free School" in New York), die sich außerhalb des Universitäts-Systems gebildet haben. Es ist jedoch wahr, daß der größte Teil der Bewegung, die ich beschrieben habe, in einem fruchtbaren Verhältnis, nur teils dem des Antagonismus, zu einem offiziellen Universitäts-System lebt, das selber in Veränderung begriffen ist. Was die Frage angeht, warum so viele amerikanische Verwaltungsbeamte und Lehrer so tolerant sind gegenüber den Gegen-Universitäten, gehen die Meinungen auseinander. Die Tolerantesten sind diejenigen, die am ehesten zuzugeben bereit sind, daß ihre eigenen Verfahrensweisen der Korrektur bedürfen .Insofern diese allgemeine Bewegung jedoch Forderungen nach Mitbestimmung von Studenten in der Verwaltung der Universität enthalten (und nicht bloß Neuerungen im Lehrplan), sind wachsende Widersprüche zu erwarten zwischen Studenten und Verwaltung. Aber in diesem Fall werden die Studenten 27

vermutlich von einer zunehmenden Zahl ihrer Lehrer sich begleitet sehen, die ihrerseits deutlich unzufrieden sind mit ihrem Status als Abhängige und keineswegs abgeneigt sind, ihre eigenen revolutionären Impulse mit denen ihrer Studenten zu vereinen. Interessante Zeiten stehen den amerikanischen Universitäten bevor: Im Augenblick hat die Bewegung der Gegen-Universitäten wenige Lehrer aus ihrem Gleichmut gebracht.

Kenkyukai — Ein Brief aus Japan Johannes Ernst Seiffert, Dr. phil Lektor an der Staatl. Universität Hirosaki, Japan 22. August 1967 Aomori-ken, Hirosaki-shi, Tomino-cho 5—17, Japan ^ Herrn Wolfgang N i t s c h Mitarbeiter am Institut für Bildungsforschung Sehr geehrter Herr N.! Durch einen nicht übermäßig intelligenten Artikel in der „Zeit" vom 21.7.67 erfuhr ich immerhin von Ihrem und Ihrer Kommilitonen Vorhaben. Was darin aus Ihrem mir ansonsten leider noch unbekannten Memorandum zitiert ist, scheint mir durchaus beachtlich zu sein. Nebenbei erfüllt es auch den Zweck, den begleitenden Kommentar der „Zeit" zu widerlegen. Offen gesagt, es scheint mir wichtig, auf einige zentrale Punkte aufmerksam zu machen. Soweit ich damit Eulen nach Spree-Athen trage — um so besser. Sicher darf ich Ihr Verständnis vorausetzen, daß ich ohne Umschweife in medias res gehe. Zurückzuweisen wäre die Aulfassung, das Vorhaben sei schlechthin ungewöhnlich. Es wäre vielmehr als das im richtigen Sinne Normale darzustellen. Idee oder Ursprung der Universität besteht geradezu im Exodus, in einer gewissen Exilierung aus vorgegebenen Zusammenhängen der je bestehenden Gesellschaft (als Kronzeugen hierfür kann man sogar Schelsky angeben: in rde 171/172, S. 16). So ist der Exoduscharakter wichtiger Universitätsgründungen gar nichts Außergewöhnliches. Nicht nur die FU, sondern die Universitäten Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt und Leipzig entstanden durch „Abwanderung von Dozenten und Studenten aus bestehenden Universitäten" (Schelsky a. a. O. S. 17). Gerade die FU hat am allerwenigsten Grund, eine Emanzipation abzulehnen, in der die geistige und die gesellschaftliche und politische eine und dieselbe sind. 2. Die Tatsache, daß Studenten oder Dozenten in einem bestehenden Universitätsbetrieb frustriert sind, muß ihrerseits institutionell im weitesten Sinne, also recht verschiedene Organisationsformen einschließend, ausgedrückt werden können. — Ein Beispiel: Hier in Japan erfüllen manche der unzähligen Studien- und Forschungsgruppen (Kenkyukai) an den Peripherien der Universitäten in den Gebieten von Tokyo und von Kyoto-Osaka die Funktion einer Ersatzuniversität, vereinzelt sogar einer zur etablierten Universität antithetischen Institution auch mit der Absicht, wo möglich koordiniert in die bestehende, feudalistisch (hokenteki) strukturierte Universität hineinzuwirken, den Lehrbetrieb inhaltlich und methodisch zu demokratisieren. Der letztgenannten Richtung gehöre ich selber an,- unsere Forschungsgruppe hat sogar zwei Jahre lang vom Erziehungsministerium (Mombusho) Geld für Bücher, Materialien und Reisekosten erhalten, natür28

lieh für die Bearbeitung der sachlichen Thematik und nicht für die Einführung von Neuerungen, was sich aber praktisch nicht trennen ließ — Eine wie mir scheint im wesentlichen noch durchaus aktuelle Begründung mr eine Initiative der Studenten in dieser Richtung gab schon vor einem halben Jahrhundert Walter Benjamin mit seinem Aufsatz „Das Leben der Studenten11, der Ihnen sicherlich bekannt ist. 3. Die selbstgefällige Etabliertheit gewisser bestehender Universitäten führt zur Sterilität der Wissenschaft, ablesbar etwa am Zustand der Philosophie. Eine Universität, die auf sich hält, müßte um ihrer eigenen Entwicklung willen eine stimulierende Gegengründung sogar und gerade in ihrem eigenen Hause^ begrüßen. 4. Der Veränderung bedarf nicht nur die Fom, sondern auch der Inhalt. Die faktische Thematisierung im Vorlesungs- und Seminarbetrieb — was wird thematisiert, was nicht? — mindestens der Germanistikr der Geschichtswissenschaft und der Philosophie wäre in Arbeitsgruppen kritisch zu überprüfen. Dem sehr anfechtbaren geltenden curriculum sollte dann provokativ das Ubergangene, Unterdrückte und Totgeschwiegene in extra curricular activities, in Arbeitsgruppen, Antiseminaren und wo möglich Antivorlesungen entgegengestellt werden. Der tägliche ideelle Mord muß aufhören. Es mag an meiner Uninformiertheit liegen, wenn ich den Eindruck habe, daß selbst die Bestwilligen über das ganze ungeheuerliche Ausmaß der Verschweigung und verfälschenden Uminterpretation noch nicht im klaren sind. — Da ich unter politisch-philosophischem und politisch-pädagogischem Gesichtspunkt am Umsturz und Neubau des Bildungskanons arbeite, übrigens hier in der Staatlichen Universität Hirosaki sogar unter den Rubriken Germanistik und College (oblig. Studium Generale) im offiziellen Vorlesungsverzeichnis, wäre ich in absehbarer Zeit in der Lage, einschlägige Materialien zur Verfügung zu stellen. Dabei spielt meinerseits auch die Hoffnung auf Kooperation eine Rolle. 5. Die programmatische Bezeichnung „Kritische Universität" scheint mir sehr glücklich gewählt; denn sie macht darauf aufmerksam, daß Wissenschaft vom Begriff der Kritik sinnvollerweise nicht abtrennbar ist. Eigentlich sollte der Ausdruck „Kritische Universität" eine Tautologie sein. Solange er dies faktisch nicht ist, bleibt die Bezeichnung, entsprechende Praxis vorausgesetzt, gerechtfertigt. 6. Das utopische Moment der Universität (auf das sogar Schelsky, a. a. O., S. 111, aufmerksam macht — ein unermüdlicher Vorwegnehmer oder eher Vorne wegnehmer, dabei zugleich, von der „ Skeptische (n) Generation" bis zu „Einsamkeit und Freiheit", ein dem Bestehenden zuträglicher Erfinder verklärender Schlagworte statt das Licht der Aufklärung aufsteckender Parolen) — das utopische Moment der Universität also sollte nicht vergessen werden, das Beste. Knapp drei Jahre war ich Lektor an der Kyoto University, deren Studentenschaft die beste in Japan ist, soweit mein Uberblick reicht (ich bin immerhin fünf Jahre hierzulande tätig). Dort tat es mir immer wieder weh zu erleben, daß die jungen Studenten mit utopischen Erwartungen in die Universität eintraten und dann aufs grausamste enttäuscht und zum Teil demoralisiert wurden. Man muß fordern, daß dieser Jugend ihr Recht auf ein erfülltes Dasein im Bereich der Universität wird. Dies scheint mir eigentlich das stärkste Argument für eine Gegenuniversität zu sein, das allerdings zugleich diese selber der schärfsten Kritik unterwirft: wehe, wenn sie zur Sache von cleveren Betriebmachern wird und sich das 29

Universitätsvolk darin in statu alienationis wiederfindet. Das wollte ich nur sagen und im übrigen meine Solidarität mit Ihrem Vorhaben durch eine — leider verhältnismäßig winzige — Spende ausdrücken, für die ich Sie bitte, mir die einschlägige Kontonr. anzugeben. Unbekannterweise mit guten Grüßen und vielen Wünschen gez. J. E. Seiffert

„Akademische Drachensaat" Verzicht auf Forschung zugunsten einer politischen Kampfstellung

(aus: NEUES DEUTSCHLAND . . . 1948) Die Berliner „freie4* Universität soll am 1. November — unter sanftem USA-Druck — in Dahlem in den Räumen des Kaiser-Wilhelm-Institutes ihre Vorlesungen beginnen. Sie verfügt zwar über keine Institute, sie kann somit der Forschung nicht dienen, sie soll nur als „Lehranstalt" fungieren, vor allem als Kampfinstitution derer, die sich aus politischen Gründen an der Spalterei in Berlin — insbesondere in seinem Geistesleben — nicht genug tun können. Die Sache ist nämlich die, daß man einfach nicht die gehörige Anzahl von Dozenten zusammenbekommt, zumal die Professorenschaft der Humboldt-Universität ebensowenig wie ihre Studenten daran denkt, ihre Hörsäle zu verlassen, um einen „Kampfposten" zweifelhafter Art in Dahlem — ohne Lehrmittel und ohne Forschungsgelegenheit — zu übernehmen. Die finanziellen Mittel sind nur für ein Jahr vorhanden. Man schlägt vor, sich mit Assistenten und Kursen (natürlich „wie in USA") zu behelfen. Also — eine Assistenten-Universität? — Die Studenten werden sich bedanken. — Im übrigen haben die westdeutschen Universitäten ihre eigenen beträchtlichen Mängel abzustellen. Nein, die Dinge haben ihr eigenes Schwergewicht, auch bei einer Universität. Eine Gründung auf diesem Felde muß eine innere Legitimation haben. Eine Universitäts r e f o r m wäre eine solche. Aber davon ist gar nicht die Rede, kann gar nicht die Rede sein. Der Popanz der „Unfreiheit" muß herhalten, um eine faule Gründung mit unzureichenden Mitteln zu bemänteln. Der Dekan der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität, Prof. Dr. Hans Peters, der Mitglied der Berliner CDU ist, hat Jüngst von Köln aus klar erklärt: „Angehörige auswärtiger Hochschulen mögen bestätigen, daß das, was an kritischen Äußerungen in voller Öffentlichkeit von Dozenten wie Studenten über wirkliche oder vermeintliche Mißstände an der (Humboldt-)Universität in den letzten zwei Jahren bekanntgeworden ist, besser als alles andere die Legende vom Maulkorbzwang widerlegt." Es ist, so stellt Peters fest, „nicht ein einziger Fall bekanntgeworden, daß irgendeinem Professor wegen seiner Lehre oder Forschung irgendein Nachteil zugefügt worden wäre." Bringen wir es auf eine Formel: Man redet von Unfreiheit der Lehre und „irregeleiteten" Studenten, um selber die „Lehre" im Sinne eigener Parteiziele zu nutzen. Denn was bedeutet der Versuch einer KampfGründung anderes, als daß man „westlich orientierte" Söhne kapitalkräftiger Bürger anlocken und gegen die alte Alma Mater scharfmachen möchte? Ist das keine „Ausrichtung"? Nein, wir halten es mit der Studentenschaft, die in Zuschriften an uns 30

immer wieder den Grundsatz vertrat: „Berlin hat eine Universität, und die steht Unter den Linden!" Möchten sich Rektor und Studentenrat der Humboldt-Universität diesen freien und freimütigen Stimmen auch recht nachdrücklich offiziell anschließen! Dr. A. Holtz

DISKUSSIONSBEITRÄGE „Politisierte Wissenschaft" Politisierte Wissenschaft scheint dem herrschenden wissenschaftlichen Selbstverständnis so sehr ein Widerspruch in sich, daß ihm der Nachweis, eine wissenschaftliche Tätigkeit sei als politisierte Wissenschaft charakterisierbar, mit dem Nachweis identisch scheint, daß es sich dabei um etwas Unwissenschaftliches handelt. Entsprechend soll es Wesensmerkmal kritischer Wissenschaft sein, aller Politisiertheit frei zu sein. Der politischneutrale Charakter von Wissenschaft ist eine Selbstverständlichkeit für das herrschende wissenschaftliche Selbstbewußtsein. Aber gerade in dieser Selbstverständlichkeit täuscht sich dies Selbstbewußtsein am gründlichsten. Es gibt keine politisch-neutrale Wissenschaft. Daran ändert auch keine Beschwörung und kein Senatsbeschluß etwas. Wir brauchen, um das zu zeigen, nicht allein auf die bekannten Formen von Auftrag-Forschung zurückzuverweisen, nicht auf die — zweifellos untypische — Blonde Mathematik der braunen Jahre. Vielmehr gehen wir, um das zu zeigen, auf das politisch-neutrale Selbstverständnis der Wissenschaft selbst zurück. I.

In Erkenntnistheorie und Methodenreflexion versichert sich Wissenschaft ihres wissenschaftlichen Charakters, ihrer Garantie für Wahrheit. In der Aufklärung hatte das aufsteigende Bürgertum in Theologie und Metaphysik die alten Garantiemächte für Wahrheit als Garantien klerikal-feudaler Herrschaft kritisiert. An ihre Stelle trat das vernünftige menschliche Individuum, das seine Erfahrungen reflektiert. Die Frage nach der richtigen Verarbeitung von Erfahrung durch das vernünftige Individuum war die neue Frage nach der Garantie für wissenschaftliche Wahrheit. In dem Wort „richtig" lag die Schwierigkeit; es ging mit ihm nicht allein darum, daß die Wissenschaft sich an und vor ihren Gegenständen als „richtig" erweise, sondern zugleich darum, daß sie auch für die sie Betreibenden „richtig" sei, also für die Menschen. Die Wahrheit an das wirkliche, mit Irrtümern und Sonderinteressen behaftete Individuum zu delegieren, war die Schwierigkeit. Der Ausweg, in einem alle Individualität reduzierenden Rekurs eine gereinigte vernünftige Struktur im Individuum bloßzulegen, der man über den Weg trauen könne, half so wenig wie der andere, der die Vernunft zu einem überindividuellen Wesen erhob, das sich in der Geschichte durch die Gedanken der Unzahl beschränkter Köpfe einen siegreichen Weg bahnt. Beide Auswege hatten gerade nichts an der grundsätzlichen Schwierigkeit gebessert, daß bei den wirklichen, tätigen Menschen, nicht bei ihrer reinen Vernunftstruktur und nicht bei einer über ihnen schwebenden Vernunft, die Wahrheit aufbewahrt sein muß, nachdem mit dem Sturz der alten Mächte Theologie und Metaphysik keine Orientierung mehr boten. Angesichts des zwischen den Sonderinteressen der wirklichen Individuen tobenden Kampfes gab es 31

nur zwei Möglichkeiten für die Wissenschaft, sich ihrer Wissenschaftlichkeit zu versichern. Entweder sie vermochte es weiterhin, den wirklichen Kampf unter den Menschen als den geschichtlichen Kampf um und für das der Wahrheit fähige Individuum zu begreifen, wie es ihr in der bürgerlichen Revolution gegen das ancien regime gelungen war; dann war sie genötigt, sich in den wirklichen Kampf zu mischen, politisch zu bleiben. Oder aber sie reduzierte die Wahrheitsfrage auf die Frage nach richtiger Rezeption der Gegenstände, dann hatte sie sich allerdings vom Problem dispensiert. Der Positivismus, der sich im 19. Jahrhundert durchsetzte, ist diese Verdrängung des Problems. (Daß der frühe Positivismus, etwa eines A. Comte, durchaus noch den Fragestellungen der Aufklärung verpflichtet war, kann beiseite gelassen werden; denn gerade dieser Positivismus setzte sich nicht durch.) Indem der Positivismus die reine Rezeption des Wirklichen zur Gewähr für Wahrheit macht, hat er sich aus der Schwierigkeit bürgerlicher Wissenschaft so geholfen, daß er die Wirklichkeit auch zum Wahren deklariert. Die Kritikfähigkeit bürgerlicher Wissenschaft gegenüber der Wirklichkeit versiegte nicht zufällig gerade dann, als die bürgerliche Gesellschaft selbst diese Wirklichkeit geworden war. Der Positivismus war und ist also alles andere als wertfrei oder neutral. Die Wissenschaft entscheidet sich gerade im politisch-neutralen Selbstverständnis des Positivismus eindeutig für die Unkritisierbarkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Das ist nicht harmlos. In dem Maße, so ist unsere erste Folgerung, wie für die bürgerliche Gesellschaft die Wissenschaft zur maßgebenden Bedingung für beispiellose politische Verbrechen wurde, deren Opfer ganze Völker sind, in dem Maße kann der loyale Charakter bürgerlicher Wissenschaft, der gerade in ihrem politisch-neutralen Selbstverständnis liegt, nicht als vernachlässiqenswert angesehen werden. II. Mit der Reduktion der Wahrheitsfrage auf die Frage nach richtiger Rezeption wird der Wissenschaftler in ein reines Rezeptionswerkzeug verwandelt. Darin ist die Reinigung von aller individuellen Interessiertheit in einer Gründlichkeit vollbracht, daß von der Bestimmung des Garants für Wahrheit als „vernünftiges menschliches Individuum" allein übrigblieb, daß dieser Garant Werkzeug sein muß. Die vernünftige Selbstbestimmung, die die Aufklärung im Auge hatte, wurde zur — für das Selbstverständnis der wertfreien, positivistisdien Wissenschaft: notwendig unvernünftigen Fremdbestimmung. Wenn sich so die Wissenschaft in allem, was über instrumentale Rationalität hinausgeht, für agnostizistisch deklariert, so geht es ihr dabei nicht nur darum, ihre grundsätzliche Unverantwortlichkeit und Unbelangbarkeit sicherzustellen. Vielmehr nimmt sie damit zugleich die Aufgabe wahr, jeden umfassenderen Vernunftgebrauch abzuwehren. Zu dem, was sie abwehren muß, gehört bereits die Reflexion ihres eigenen Charakters. Die Kritik an ihrer Unfähigkeit, ihre Methoden anders als instrumental zu reflektieren, bezeichnet sie als den totalitären Anschlag auf das Prinzip, daß die Methoden am Gegenstand bestimmt werden müssen: die Kritik an ihrer Weigerung, ihre Ziele zu reflektieren, als das unanständige Ansinnen, Offenheit mit Dogmatismus zu vertauschen; die Kritik an ihrer Trennung von Wissenschaft und Praxis bezeichnet sie als Nötigung, ihre umfassend-kritische Dimension Tagesfragen zu opfern; die Kritik an ihrem Opportunismus bezeichnet sie als den Versuch, Vorurteilsfreiheit durch Parteilichkeit zu ersetzen; die Kritik an ihrer Beteiligung am 32

politischen Verbrechen bezeichnet sie als terroristischen Angriff auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit (vgl. als excellenten Beleg das KnauerBorinski-Gutachten). In diesen Abwehrleistungen gibt sich also bürgerliche Wissenschaft keineswegs agnostizistisch oder pluralistisch-tolerant, sondern bestimmt. Um der „Offenheit", „Vorurteilsfreiheit", „Unabhängigkeit" willen ist sie in der Lage, jeder Kritik, cie ihren unselbständigen und dienstfertigen Charakter im Namen rationalei Selbstbestimmung von Wissenschaft angreift, formal nachzuweisen, politische, anstatt rein wissenschaftliche Kritik zu sein. Ihr Agnostizismus hat nichts mit sokratischer Bescheidenheit und nichts mit der Skepsis der frühen Aufklärung zu tun; vielmehr ist er ein Kampfinstrument, um jeden Ausbruch aus der Fixierung auf die instrumentale Dimension zu verhindern. In dieser instrumentalen Beschränktheit entschärft die bürgerliche Wissenschaft das allzu leicht explosive Verhältnis von Theorie und Praxis. Die Aufhebung der instrumentalen Beschränktheit wäre in der Wiedergewinnung der rationalen Reflexion der Ziele wissenschaftlicher Arbeit zugleich die Wiedergewinnung der Einsicht, daß Wahrheit nicht Resultat von reiner Reflexion ist, sondern Resultat von rational bestimmter Praxis und sich in Praxis bestimmender Rationalität. Die bürgerliche Wissenschaft hat also recht, wenn sie den Angriff auf sich als etwas Politisches abwehrt; sie vollführt jedoch ein Manöver, wenn sie behauptet, bei dieser Abwehr selbst nicht politisch zu sein; vielmehr führt die bürgerliche Wissenschaft den politischen Kampf gegen eine Wissenschaft, die sich ihren politischen Charakter einzugestehen vermag und deswegen fähig ist, ihre politischen Ziele rationaler Kritik zu unterwerfen, sich ihrer Fesselung an die beschränkte bürgerliche Wirklichkeit und ihrer opportunistisch-zynischen Mitwirkung an politischen Verbrechen zu entledigen, fähig ist, ihre Praxis rational und selbständig zu bestimmen und ihre Rationalität in Praxis. In der Abwehr sich politisch begreifender und politisch tätiger Wissenschaft, so ist unsere zweite Folgerung, geht die bürgerliche Wissenschaft über ihre scheinbar unverantwortliche Willfährigkeit gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft hinaus; in dieser Abwehr übernimmt sie aktiv und selbstbewußt eine spezifische Aufgabe: die Bekämpfung der Emanzipation von Vernunft, die diese für bürgerliche Zwecke unbrauchbar machen würde. Die Bekämpfung solcher Vernunft hat im selben Maße an Bedeutung gewonnen, wie der bürgerliche Gebrauch von Wissenschaft für die Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft ein unabdingbarer Faktor ist. III. Die „Neutralität" der Wissenschaft, ihre Unberührtheit vom politischen Leben der Gesellschaft findet in der bürgerlichen Universität ihren deutlichsten institutionellen Ausdruck. In ihr ist zugleich am deutlichsten die hervorgehobene Stellung der wissenschaftlichen Produzenten gegenüber den anderen Produzenten in der Gesellschaft markiert. In der formalen Autonomie der Universität drückt sich die partielle Selbständigkeit der wissenschaftlichen Produzenten, ihr Privileg aus. Die in Stätten wie der Universität institutionalisierte Bereitschaft der Wissenschaft, sich dem tatsächlichen gesellschaftlichen Leben gegenüber „neutral" zu verhalten, und die zugleich darin institutionalisierte privilegierte Stellung der Wissenschaftler, die die Belohnung dieser Bereitschaft ist, haben ihren gesellschaftlichen und politischen Charakter darin, Wissen33

sdiaft den übrigen Produzenten vorzuenthalten. Daß Wissenschaft nur über die herrschenden Schichten vermittelt zu den übrigen Produzenten gelangt, wird einer Wissenschaftlerschicht quasi-natürlich erscheinen, die ihre privilegierte Stellung der bestehenden Unterdrückung und Unmündigkeit der übrigen Produzenten verdankt. Die Wahrheit, die an das von allen Sonderinteressen gereinigte Individuum delegiert ist, ist also in »Wirklichkeit den Angehörigen einer Schicht anvertraut» deren Sonderstellung mit solchen gesellschaftlichen Verhältnissen steht und fällt, in denen es Mündige und Unmündige gibt. Da auf dieser Erde der geschichtliche Kampf um die Verhältnisse noch blutig tobt, in denen das Individuum seine Wahrheit finden könnte, und es in diesem Kampf um die Aufhebung von Privilegien, Unterdrückung und Unmündigkeit geht, kann die Wahrheit nicht an die Integrität privilegierter Individuen geknüpft sein. Aus der gesellschaftlichen Stellung der Wissenschaftler in der bürgerlichen Gesellschaft ziehen wir die dritte Folgerung: Die bürgerlichen Wissenschaftler sind opportunistisch und „neutral" nur den Mächten gegenüber, die ihre privilegierte Stellung garantieren, d. h. die bürgerliche Wissenschaft ist explizit politisch, sie ist konterrevolutionär. * Es geht also nicht um unpolitische oder politische Wissenschaft. Vielmehr geht es um die permanente wissenschaftliche, von Praxis nicht getrennte Reflexion der politischen Ziele von Wissenschaft. In unserer Situation sind zunächst zwei Aufgaben gestellt: 1. den elitären, zynischen und vernunftfeindlichen Charakter der bürgerlichen Wissenschaft gründlich aufzudecken und zu kritisieren 2. die Voraussetzungen zu schaffen für die permanente wissenschaftlichpraktische Auseinandersetzung über die politischen Ziele, die mit Vernunft vereinbar sind und deswegen Ziele von Wissenschaft werden können. Die bestehende Universität ist in ihrem jetzigen Zustand dazu nicht fähig. Diese Aufgaben kommen deswegen der KU zu. Wenn ihr vorgeworfen wird, politisch zu sein, so zeigt das, daß sie den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Die Freie Universität als unkontrolliertes Experiment Die Untersuchung der sozialen Vorgänge läßt diese Vorgänge nicht unberührt, sondern wirkt ziemlich stark auf sie ein. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum maßgebende Kreise tiefer schürfende Untersuchungen auf dem sozialen Gebiet so wenig ermutigen. (Brecht, Flüchtlingsgespräche) Der folgende Essay zeigt Indizien aus verschiedenen Bereichen der FUEntwicklung auf, die in den bisherigen Diskussionen aus praktischen Gründen nicht zusammen behandelt wurden: Disparate Phänomene werden unter dem Gesichtspunkt vereint, daß die von bürokratischen Entscheidungsprozessen Betroffenen das Recht beanspruchen, diese Entscheidungen ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Vom Erfolg praktischer, solidarischer Politik kängt die Beweiskraft von Gedanken ab, die bislang der Trennung technisch 34

verfügter praktischer Arbeitsbedingungen von theoretischer Arbeit kaum mehr als Betroffenheit entgegenzusetzen hatten. Die Geschichte der Freien Universität entzieht sich anders als die Entwicklung von Institutionen, die von heroischen Gründern sich herleiten, nicht der empirischen Uberprüfbarkeit. Die tatsächliche Entwicklung des organisatorischen wie des äußeren Aufbaus wurde jedoch bestimmt durch eine quasi-natürliche Anpassungsleistung und durch eine Investition, deren Generosität auf diese Anpassung verwies: Die Anerkennung des Versuchs einer Freien Universität im Kreise der westdeutschen Hochschulen verlangte von den Pionieren der FU den Aufschub, das Ziel ihres antistalinistischen Protests, die Hochschulreform für eine inhaltlich bestimmte demokratische Universität, nicht selber schon in Angriff zu nehmen; und die bereits 1951 übergebene Schenkung der Ford Foundation war nicht einmal formell an ein Korrektiv gebunden, wie es an Hochschulen der USA eingebürgert ist, nämlich eine mögliche Variante der „Institutes for College Seif Study". Es blieb daher in wechselnden politischen und sozialen Lagen den formell politisch Agierenden und der Verwaltung überlassen, eigene Definitionen der Situation an die Stelle früherer zu setzen und zu handeln, ohne daß die möglicherweise Betroffenen auf Grund permanenter Kontrolle hätten eingreifen können. Planung, Öffentlichkeit und Herrschaft in der FU als Wissens-Organisation Das Ausbleiben von Plan-Diskussionen und die Schwäche der mit der Wahrnehmung von FU-Interessen beauftragten Instanzen lassen sich an Mängeln des äußeren Aufbaus ablesen: Universitätsbibliothek und Auditorium Maximum sind an der südlichen Peripherie des Universitätsgeländes gelegen, seit die Ansiedlung in einem Parkgelände westlich davon verhindert wurde. Obwohl diese Entwicklung in einer universitätsnahen Zeitschrift als kurios herausgestellt worden war und obwohl Berufungen von Professoren daran scheiterten, daß das geplante Kollegiengebäude der Philosophischen Fakultät zu weit von der Bibliothek entfernt sein würde, hat man den Ausbau der FU unbeirrt in Richtung Norden um den U-Bahnhof Dahlem-Dorf neu zentriert. Die vom städtischen Bausenat für etwa 10 Jahre geplante Verlegung der Juristischen und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten in Bürohäuser am Lützowplatz in Tiergarten konnte im Juni 1966 vom Konvent und vom Akademischen Senat noch abgewendet werden. Eine öffentliche Diskussion über die Pläne der neuen Strukturkommission des Akademischen Senats ist jedoch bisher nicht angekündigt; das Bauamt des Stadt-Senats versuchte im Gegenteil, Kritik an dem 1963 ausgeschriebenen Wettbewerb zur Bebauung des ehemaligen Obstbaugeländes der Technischen Universität in Dahlem der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Die Sondernummer der Bauwelt 6/1964, die über die Ergebnisse des Wettbewerbs berichtet, enthält eine leere Seite, auf der nur in einem gekennzeichneten Teil der Auflage die Kritischen Anmerkungen eines Architekten zum Projekt des Teams Candilis/Josic/Woods abgedruckt sind. Er trat ein für die Verlegung der FU auf ein zusammenhängendes Gelände in der Innenstadt und andernfalls für eine günstigere Ansiedlung der Neubauten. Die Unterdrückung seiner alternativen Vorstellungen — darunter die Auflösung der Fakultäten in Abteilungen — verdeutlicht die Notwendigkeit, der Arkan-Praxis der Verwaltung entgegenzutreten: Die Kritische Universität läßt allererst die Geschichte der Freien Universität als Experiment 35

erkennen und unterzieht dieses Experiment der Kontrolle einer Öffentlichkeit, deren politisches Interesse in diesem Prozeß definiert wird. . . . am Beispiel Medizin Die demokratische oder antidemokratische Tendenz bürokratischen Denkens bemißt sich an seinem Verhältnis zur Planung und zur Öffentlichkeit. Allgemein werden in den westlichen Industriegesellschaften die Tendenzen zu gesamtgesellschaftlicher Planung verstärkt gerade mit Hilfe einer „ Verwissenschaftlichung * ( deren Steuerung selber der Kontrolle von Wissenschaft entzogen ist. Die desorganisierende Wirkung dieser Art von Anwendung der Wissenschaften ist exemplarisch sogar für den Extremfall eines gesellschaftlichen Bereichs und einer Wissenschaft erwiesen, deren Einheit von Theorie und Praxis prinzipiell als lebensnotwendig anerkannt ist: Im Bereich der Medizin konkurrieren als Forscher und medizinische Lehrer, als Krankenhausärzte und als frei praktizierende Ärzte drei Berufsgruppen, deren widersprüchliche Orientierungen von einer Hochschulmedizin unangetastet bleiben, die im wesentlichen bloße Indoktrinierung darstellt Die Täuschung der Einzelnen über das Wesen von erlebnisbedingten Krankheiten, die 50 % der heute vom frei praktizierenden Arzt allgemein zu behandelnden Fälle ausmachen, dürfte nicht zufällig sich in einem gesellschaftlichen Kollektiv um so hartnäckiger halten, das kollektive Erfahrung bislang nur wahnhaft in der Entrüstung und dem Feldzug gegen angezeigte Feinde der Menschheit gemacht hat: Bei allem Kampf gegen die Verletzung quasi-natürlicher Werte wie Normalität und Gesundheit ist deshalb nachzuprüfen, wer mit welchem Interesse oder Auftrag handelt. Das Interessen-Kalkül und die Prüfungs-Methoden, die zur Ermittlung der richtigen Praxis als geeignet gelten, sind vornehmlich zum Gegenstand von Wissenschaft zu machen, die nicht ihrerseits sich den herrschenden, aus Praxis bloß resultierenden Interessenlagen unterwirft und die Prüfung der Realität ersetzt durch die rituelle Prüfung der einzelnen, ob sie sich dem methodisch eingeübten Konsensus unterworfen haben. . . . am Beispiel der Philosophischen Fakultät Das aufgestörte Verhältnis zwischen Universität und Stadt* wird sich nicht dadurch kurieren lassen, daß man mit dem Bau des technisch modernsten Klinikums Europas die Institutionen ausbaut, die lediglich das physische Uberleben zu garantieren haben (das Fehlen einer psychosomatischen Klinik stellt bislang eine unmoderne Beschränkung im internationalen Vergleich dar). Bloße technische Modernität wird auch den Bau von Candilis/Josic/ Woods für die Philosophische Fakultät auszeichnen: Denn welcher Prüfung wurde die innere Konstruktion der universitären Struktur untei zogen, deren Widersprüche die Studenten herausgestellt haben? Der Hinweis der Studienreformkommission auf Universitäts-Ebene, ein Grundstudium sei wahrscheinlich „falsch geplant, das dazu führt, daß die Studenten mit einem Minimum an geistiger Anstrengung die Zwischenprüfung zu bestehen versuchen, deren Anforderungen vor allem auf den obligatorischen Lehrveranstaltungen beruhen", wurde in der abschließenden Sitzung einer Kommission zur Uberprüfung des kürzlich eingeführten Grundstudiums bloß indirekt beantwortet * Zur historischen Analyse vgl. Wolfgang Lefövre: Ursachen und Konsequenzen des 2. Juni, in: Neue Kritik 42/43, S. 4, Frankfurt 1967. 36

mit der Erklärung, man erziehe eben „Technokraten der Literatur". Die Technokraten des Grundstudiums wußten aber nicht anzugeben, welche Konzeption über die Auswahl der Grundstudien-Inhalte in den LiteraturFächern entschieden — ob es interpretätorische oder historisch-überschauende Orientierung sei. Die Behandlung dieser Frage wurde delegiert an die Direktorien der einzelnen Institute, im Vertrauen, die Studenten würden in der unersetzbaren Einführungs-Vorlesung den roten Faden schon erkennen. Die Frage der inhaltlichen Auswahl, von einem Erziehungswissenschaftler gestellt, hätte ihm ebenso unmißverständlich verwehrt werden können, wie die Gutachter des Akademischen Senats dem Experiment der Kritischen Universität unwissenschaftliches Interesse vorwarfen. Der Rückschritt um über 150 Jahre, den die Kritische Universität nach Auffassung der Gutachter darstellt, hieße inhaltlich: „Theoretisch-philosophische Gedankengänge, Erfahrungen und Beobachtungen der Praxis wirken wechselseitig aufeinander und bestimmen so den Charakter der Pädagogik. Da sich die Pädagogik jedoch auf ,das Menschenleben und dessen freie Gestaltung' bezieht, so hat sie auch die Ergebnisse der anderen Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen, zu berücksichtigen; sie wird daher zu .einer sogenannten resultierenden Wissenschaft, indem sie ihre Lehren aus verschiedenen anderen Disziplinen entlehnt, die sich zu ihr teils als Quell-, teils als Hülfswissenschaften verhalten"4. Diese „einheimischen Begriffe11 des Neuhumanismus gebraucht Wilhelm Rößler in seiner umfangreichen Arbeit „Die Entstehung des modernen Erziehungswesens in Deutschland", Stuttgart 1961, zur Charakterisierung der Erziehungswissenschaft als praktischer Philosophie im Selbstverständnis des beginnenden 19. Jahrhunderts, des sogenannten pädagogischen Jahrhunderts. Der Autor ist allerdings der Auffassung: „Dieser zeitgenössische Ansatz zur wissenschaftstheoretischen Durchdringung des Bereiches .Pädagogik' kann auch heute noch vertreten werden, und die damals getroffenen Unterscheidungen und Aufgliederungen erweisen sich bis heute noch als fruchtbar" (S. 10). Er reflektiert die „Geschichte der Geschichtsschreibung zur Entstehung des modernen Erziehungswesens", dessen letzte zulänglich umfassende Darstellungen auf den Streit um die Realgymnasien zurückgehen. Die Vereinigung sozial- und kulturgeschichtlicher Methodik mit hermeneutischen Methoden des Sinn-Verstehens verleiht dem Urteil des kritisch-konservativen Autors über die wissenschaftliche Fassung von Institutionen der Ausbildung etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts einige Zuverlässigkeit und praktische Relevanz auch für die Hochschuldidaktik. Er konstatieit, „die modernen Wissenschaften haben sich auf den mannigfachsten Gebieten eingehend um die Erhellung der sich wandelnden Verhältnisse und Strukturen bemüht. Im politischen Bereich wurde die Wandlung von der überkommenen Herrschaft zum modernen Staat gerade in den letzten Jahrzehnten eingehend untersucht,- die Soziologen bemühen sich um einen genauen Aufweis des sozialen Wandels in der neu entstehenden Gesellschaft, die literarische Forschung hat sich seit langem der literarischen Schöpfungen dieser Zeit angenommen. Es fehlt jedoch an einer entsprechenden, geschichtlich orientierten, erziehungswissenschaftlichen Besinnung auf diesen Zeitabschnitt". Sie wäre aber unabdingbar zur wissenschaftlichen Urteilsbildung in der heutigen Situation von Ausbildung und Gesellschaft. Denn „das moderne Erziehungswesen entsteht als pädagogische Antwort auf grundlegende Wandlungen (darunter die Französische Revolution, d. Red.) 37

im Kultur- und Sozialfeld um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Es hat zwar in den folgenden anderthalb Jahrhunderten vielfache Modifikationen erfahren, ist aber keiner grundlegenden Umstrukturierung mehr unterzogen worden. Die damals entwickelten und durchgesetzten Grundüberzeugungen bestimmen bis heute Erziehungsdenken und Erziehungswollen unseres Kulturraumes" (7). Das Versagen des Wissensdiaftsbetriebes Die bewußtesten Teile der Studentenschaft haben das feudale Herrschaftsprinzip ihrer Universitäten und Hochschulen, das bloß die Verlängerung der Repression im Schulwesen darstellt, auch nicht aus der reinen Reflexion heraus begriffen. Aber sie waren zur Kritik an der herrschaftlichen Struktur ihrer Hochschule bereit und fähig, als sie durch Aufklärungsaktionen, angefangen 1957/58 mit dem Anti-Atom-Kongreß, auf Widersprüche in der historischen Situation des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft gestoßen waren, zuletzt durch das Verbot politischer Veranstaltungen und durch die „Befristung" ihres akademischen Bürgerrechts. Den letzten Anstoß, dessen es bedurfte, um sich ernsthaft und kollektiv nach den Chancen von Aufklärung zu fragen, boten die Auseinandersetzungen um den Staatsbesuch eines orientalischen Herrschers. Am Vorabend seiner Ankunft in Westberlin machten die Studenten mit einer Aufklärungsveranstaltung des Philosophen und Lehrers Bahman Nirumand über Persien und die Entwicklungsländer Gebrauch von dem ihnen einst zugestandenen politischen Mandat. Wie mit ihren Aufklärungsaktionen über den Völkermord der Amerikaner in Vietnam behaupteten sie das Interesse an geschichtlicher Wahrheit: das repressive Bündnis von Agenten der Manipulation und staatlicher Gewalt sollte sie eines anderen belehren. Sie erfuhren die in der Ohnmacht der einzelnen wie in der Ohnmacht der Intelligenz verankerten Herrschaftsverhältnisse als derart entmündigend, daß sie spontan zur rätehaften Organisation der Vertretung ihrer nächsten Interessen übergingen. Der allgegenwärtige Erstickungs-Versuch, Verlangen nach praktischer Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit rituellem AbwehrVerhalten unmöglich zu machen, bezeichnete auch die Trauer-Woche nach dem Tode Benno Ohnesorgs — was ihre Wirkung im Wissenschaftsbetrieb anging: Aus den Einzelwissenschaften, deren Emanzipation von Philosophie angeblich selber schon ein Fortschritt ist, war es nicht möglich, diejenige Aufklärung über Interessenlagen und Bewußtseinszustand der Bevölkerung zustand der Bevölkerung zu bekommen, die man für die aktuelle Praxis zu bekommen, die man für die aktuelle Praxis benötigte.

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Die Bedeutung der Kritischen Universität für die Studenten der Technischen Hochschulen Während die Arbeiter gegenwärtig unter den ökonomischen Bedingungen des westdeutschen Nachkriegskapitalismus das Bewußtsein von ihrer Ausbeutung eingebüßt haben, hat die Technische Intelligenz vollständigen Einblick in den Produktionsprozeß: Wo, wie in einer westdeutschen Fabrik für Werkzeugmaschinen, Legierungen in ihrer Qualität um die Hälfte herabgesetzt werden, um das Produkt rascher verfallen zu lassen; wo Ersatzteile aus der Produktion genommen werden, um Konsumenten zum Neuerwerb von Gütern zu zwingen, die weder veraltet sind noch funktionsuntüchtig geworden waren; wo allgemein geplante Verzögerung des technologischen Fortschritts im Bereich der Konsumgüterindustrie die Gesetze von Produktion und Zirkulation bestimmt, arbeitet die hochbezahlte Technische Intelligenz an der Vernichtung ihrer eigenen Arbeit und damit für die Interessen des Kapitals. Die Technische Hochschule ist heute praktisch die Vorschule der Industrie; diese ist mit ihr verbunden durch Forschungsaufträge und Finanzierung der Forschungsapparatur, Industriestipendien, Absprache von Studiengängen und Prüfungsordnungen, personelle Verflechtung von Industriemanagement und akademischem Lehrkörper. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats wurden bereits vor deren Edition an den Technischen Hochschulen praktiziert: die Studiengänge sollen jetzt schon so effektiv gemacht werden wie die Arbeit der Technischen Intelligenz in der Industrie. Innerhalb der Perspektive der „Formierten Gesellschaft" arbeitet Technische Intelligenz für einen Gesamtbetrieb an der Entwicklung des technischen Geräts; ihr Fortschrittsbegriff verheißt sozialen Fortschritt parallel zum technologischen und duich technologischen Progreß. Dessen Ideologie wird durchsichtig, wenn man die Beteiligung der Technischen Intelligenz an militärischer bzw. paramilitärischer Forschung verfolgt; es läßt sich heute ohne weiteres sagen, daß der Wert Technischer Intelligenz sich genau an demjenigen Wert bemißt, den er für den Militärapparat hat. Dem Spezialismus der technischen Wissenschaften ist komplementär die Spur eines Bewußtseins von deren intellektueller Verelendung. Der Versuch einiger Technischer Hochschulen — z.B. Berlins —, die sogenannte humanistische Bildung nicht zu kurz kommen zu lassen, muß fehlgehen; die Einrichtung einer Humanistischen Fakultät bezeichnet die Regel gewordene Arbeitsteilung zwischen geisteswissenschaftlichen und technisch-na turwissenschaftlichen Disziplinen, innerhalb derer — trotz des unleugbaren Gewinns dieser Arbeitsteilung für den technologischen Progreß — die zynisch als „Humanismus" klassifizierte „Bildung" apologetische Funktion innehat; die gesellschaftlich relevante Praxis in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern bleibt von der unvermittelten Wissensakkumulation dort notwendig unberührt. Diese fehlende Vermittlung hätte die Kritische Universität zu leisten — etwa durch Veröffentlichung und inhaltliche Diskussion von Lehrprogrammen und Prüfungsnormen. Die bisherigen Bemühungen um eine studienimmanente (fachbezogene) Reform der Studien an den Technischen Hochschulen unterstützen die Interessen der um höhere Effektivität der technisch-naturwissenschaftlichen Fächer bemühten Industrie; sie gehen an dem akuten Interesse der Studen39

ten an einer qualitativen Veränderung der Lehrinhalte, Lernbedingungen und Prüfungsformen vorbei. Die Kritische Universität hätte dieses akute Interesse zu mobilisieren; sie hätte darüber hinaus innerhalb kooperativer Seminare klarzumachen, in welcher Weise den Wünschen der Herrschenden an die Technische Intelligenz zu begegnen ist: mit dem bewußtesten Teil der Arbeiter in den Betrieben zusammen den Verhüllungszusammenhang aufzubrechen, nach welchem die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse Bestandteil eines gleichsam naturwüchsigen Systems sind. Dies könnte geschehen etwa durch die Herstellung von Arbeiterzeitungen für die Betriebe, in welchen exemplarisch und bezogen auf die spezifischen Erfahiungen bestimmter Schwerpunktfabriken die Gesetzmäßigkeiten des Vergeudungskapitalismus dargestellt werden. Mit der fortgeschrittensten Rationalität würde die irrationale Herrschaft im System bewußt gemacht, um praktischpolitisch das blinde Arrangement der Konzerne mit der Technischen Intelligenz zerschlagen zu können. Das heißt im Rahmen des bereits Möglichen: im Bewußtsein von ihrer unabdingbaren Notwendigkeit für die Reproduktion des Kapitals kann die Technische Intelligenz jetzt Bedingungen stellen, sollte, mit dem ihr oktroyierten Warencharakter spekulierend, diesen praktisdi-kritisch mißbrauchen. Die Reflexion jedoch über irgendeine Reform der Studien an den Technischen Hochschulen bliebe leer, wenn sie das Bewußtsein der Studenten nicht aktivierte für den Kampf der Technischen Intelligenz in den Fabriken gegen die systembedingte Vernichtung der eigenen Arbeit.

Die Gegenuniversität In der Kritischen Universität Die Kritische Universität ist nicht die Erfindung einzelner unzufriedener Studenten. Sie ist entstanden im Kampf mit der Universitätsadministration: sie ist eine Antwort auf deren Absicht, vermittels der neuen Betriebsgemeinschaft (Hochsdiulreform) das Interesse dieser Gesellschaft nach erhöhtem Spezialistenausstoß und das Interesse der universitären Machthaber nach Erhaltung ihrer Herrschaft (Studienreform) gleichzeitig durchzusetzen. Mit dem Aufbau der Kritischen Universität reißen die Studenten das Gesetz des Handelns an sich; zum erstenmal reagieren sie nicht nur auf die Maßnahmen ihrer Bürokratie. Die Funktion und die Entwicklung dieser neuen Form der Universität ist somit abhängig von den Ergebnissen des Kampfes, davon, inwieweit die Offensivstrategie der Studenten durchgehalten werden kann. Die Kritische Universität ist eine Universität des Überganges. Bleiben die Studenten auf dem Campus in Quarantäne, finden sich keine Bundesgenossen unter den sozial relevanten Schichten der Bevölkerung, so wird der Senat sich durchsetzen können und die Studentenbewegung abwürgen. Der Staatsapparat dieser Stadt, in seiner Allmacht gleichzeitig ohnmächtig und hysterisiert, kann seine Zwangsgewalt nicht mehr gezielt gegen den „inneren Feind", die Studenten, einsetzen, wenn er auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig angegriffen wird. Dieses zunächst nur formale Postulat muß mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unserer Stadt in Zusammenhang gebracht werden. Die Studenten dürfen sich nicht gleich den Narodniki »ans Volk wenden", bei Allen und Jedem um Verständnis werben. Die Krise dieser Stadt ist augenscheinlich, aber der Augenschein 40

verhilft den Betroffenen noch nicht zum Bewußtsein der eigenen Lage. Gerade in der Analyse der Widersprüche unserer Gesellschaft, der Aufklärung über sie, erhält die Kritische Universität ihre neue Funktion, ihre andere Organisationsstruktur. Sie entwickelt sich in dem Maße von der Kritischen zur Gegenuniversität, in dem ihre Arbeit und deren Ergebnisse direkt als gesellschaftliche Kampfmittel eingesetzt werden können. Es muß der Kritischen Universität gelingen, den aufkeimenden Widerstand unter den arbeitenden Massen dieser Stadt theoretisch zu artikulieren und damit praktisch voranzutreiben. Gelingt ihr das, so kann sie der Kritik jener spotten, die auf die Freiheit der Lehre pochen, während sie arbeitsteilig die Bedürfnisse der von ihr vorgefundenen Gesellschaft befriedigen. Es ist müßig, darüber zu streiten, inwieweit in der alten Universität kritische Theorie erarbeitet und diskutiert werden kann. Sie bleibt dort konzessionierter Luxus im Rahmen einer Ausbildung, die dem Bedarf der kapitalistischen Gesellschaft nach spezialisierten, kurzfristig ausgebildeten Fachleuten nachgibt. Fest steht, daß die bestehende Universität immer mehr ihre „Ungleichzeitigkeit" gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung einbüßt, den freien Raum für eine umfassende, auch gesellschaftsorientierte Ausbildung verliert. Die Lernfreiheit schrumpft auf die Freiwilligkeit zusammen, im kapitalistischen System verwertbare Kenntnisse zu erlernen. Indem die Kritische Universität den Gegenstand der einzelnen Fächer in Richtung auf die Gesellschaft zu überschreiten sucht, wird sie zur Kritik der bestehenden Universität. Diese kann die Vermittlung der je speziellen Fächer mit der gesellschaftlichen Totalität längst nicht mehr leisten. Sobald die wissenschaftlichen Objekte, mit denen die Arbeitskreise und Seminare sich befassen, eine direkte Beziehung zur gesellschaftlichen Praxis finden, erhält diese Kritische Universität eine neue Qualität, die sie grundsätzlich von allen anderen Universitätsformen unterscheidet. Nehmen wir als Beispiel die Seminare über Sexualität und Herrschaft, über Sprachkritik und über Berliner Wirtschaft. Eine durchdachte Kampagne für die Verbreitung von Verhütungsmitteln, für die Möglichkeit der Abtreibung, wird, wenn sie den Universitätsrahmen verläßt, bald auf die Grenzen der gesellschaftlich zugestandenen erotischen Freiheit stoßen. Eine Analyse des faschistischen Jargons der Springer-Zeitungen, die als Gutachten in einem Tribunal gegen diesen Konzern verwandt werden kann, wird germanistisches Kampfmittel. Das Seminar über die Entwicklungsfähigkeit der Berliner Wirtschaft steht in Konkurrenz mit den Maßnahmen des Berliner Senats, jener erstarrten Apparatur, deren vage Illusionen von diesem Seminar ebenso entlarvt werden wie seine tägliche Flickschusterei. Die Kritische Universität jagt nicht der Schimäre eines universitären Gelehrten-Führers nach, der seinerseits für seine revolutionären Pläne nach Gefolgschaft Ausschau hält. Gerade weil das Zusammenspiel der Bürokratien des Staates, der Kapitalisten und der Gewerkschaftsspitze in unserer Stadt so umfassend ist, werden die ersten spontanen Abwehrkämpfe der Arbeiter das System im ganzen in Frage stellen, wird im Klassenkampf das Bild der Gegengesellschaft aufblitzen. In diesem Augenblick wird die auf Praxis gerichtete Universität zur praktisch umwälzenden, zur CegenUniversität. Faßt man diese Möglichkeit eines unverhüllten Klassenkampfes ins Auge, so muß die Funktion der dann zur Gegenuniversität gewordenen Kritischen Universität innerhalb dieses Kampfes beschrieben werden. Die Praxis der 41

Räteschule für die Großberliner Arbeiter, die sich 1920 das Berliner Proletariat schuf, kann Grundlinien für eine künftige Arbeit sichtbar machen, freilich nicht im Sinne eines Modells. Die Schule vermittelte Kenntnisse ausschließlich mit dem Ziel, erreichte Machtpositionen der Arbeiter zu stabilisieren und auf die Übernahme von Kontrollfunktionen, später Leiterfunktionen in den Betrieben und der öffentlichen Verwaltung, vorzubereiten. Die angebliche Wertneutralität der Wissenschaften wurde von ihr ironisch am Beispiel der sozialdemokratischen Volkshochschule vorgeführt. Die Organisation der Räteschule ruhte auf dem Prinzip der Selbstleitung, der zeitweiligen Delegation, der Rückrufbarkeit jedes Beauftragten. Der AStA wird die Unterrichtsmaterialien und die Organisationspläne des Jahres 1920 publizieren, um der Diskussion über eine künftige Gegenuniversität in eintem künftigen Klassenkampf eine historische Dimension zu geben.

Wie wird die Kritische Universität arbeiten? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Vor- und Frühgeschichte der Kritischen Universität innerhalb der Freien Universität. Die Kritische Universität benennt ihre Arbeitsformen zum Teil nach den Mustern der alten Universität — Seminare, Arbeitsgruppen (Vorlesungen alter Art allerdings sind nicht vorgesehen) —, zum Teil hat sie neue, demokratischer Praxis entnommene Formen vorgesehen: Disputationen, Tribunale, Hearings, Dokumentationen etc. Die Kritische Universität wird auch jene Formen wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlicher Auseinandersetzung weiter praktizieren, weiter experimentieren und ausbauen, die die Studentenschaft im Kampf um eine demokratische Universität und um ein besseres Studium seit zwei Jahren in die alte Universität hineingebracht hat: Wissenschaftlich-politische Foren zu aktuellen Gegenständen, inhaltliche — und natürlich auch formelle und didaktische — Kritik an den Lehrveranstaltungen der alten Universität, öffentliche Diskussion der etablierten Thesen, Lehrmeinungen und Vorurteile der heute Dozierenden. Dies alles soll an die Stelle der alten monologisierenden Säkular-Predigten (Vorlesungen) und der langweilenden Ansammlungen dillettierender und unkritisierter Referate (Seminare) treten und ihnen kritisch gegenübergestellt werden. Zwei weitere Umstände sollten in Erinnerung gerufen werden: die Praxis dieser neuen Arbeitsformen — deren Beginn vielleicht mit den Auseinandersetzungen um die Redefreiheit unkonventioneller Meinungen in der Universität und um die Vorlesungsrezensionen markiert ist — hat sich durchhalten lassen, weil sie öffentlich war. Ihrer wissenschaftlichen Qualifikation wurde immer nur mit administrativen Maßnahmen begegnet, aber so gut wie nie als Basis rational-wissenschaftlicher Argumentation angesehen. Ihre öffentlich-politische Relevanz bemißt sich an der Aufregung, mit der diejenigen Machtgruppen und -inhaber, die die demokratische Öffentlichkeit nur allzugern für sich monopolisiert hätten, der Praxis wissenschaftlicher Auseinandersetzung in der Universität entgegenzutreten versucht haben Aus der Erinnerung dieser Tatbestände leiten sich die Arbeitsformen der Kritischen Universität ab: 1. Man wird Vertreter derjenigen gesellschaftlich unterprivilegierten 42

Gruppen, deren unmittelbares Interesse mit dem an der Demokratisierung identisch ist, zur Mitarbeit auffordern; 2. Man wird die Vertreter politischer und gesellschaftlicher Guppen, auch der Machtgruppen, nicht nur nicht fernhalten, sondern ausdrücklich zur Vertretung ihrer Positionen in den Arbeitsgruppen der Kritischen Universität auffordern; 3. Man wird die Veranstaltungen aller Art, einschließlich von Vorbereitungskomitees, Vertreterversammlungen, Publikationskonferenzen, für alle zugänglich machen; 4. Man wird prinzipiell die institutionalisierte Privilegierung bestimmter Standpunkte und Argumentationen, wie sie im herrschenden Lehrbetrieb der alten Universität gang und gäbe ist, abbauen, um der überlegenen, einsichtigeren, rationaleren Sachargumentation in j e d e m Fall den Raum freier Entfaltung zu verschaffen. Dazu gehört beispielsweise, daß Professoren nicht besonders eingeladen oder zur Leitung von Arbeitsgruppen aufgefordert werden; aber selbstverständlich wird niemand etwas gegen ihre Teilnahme an Arbeitsgruppen, Foren, Theoriediskussionen etc. einzuwenden haben. Dazu gehört das Experiment, die Institution des ständigen Seminarleiters, der dann auch noch mit dem ständigen Diskussionsleiter identisch sein wird, abzuschaffen. Experten werden in der Kritischen Universität keine zusätzliche Autoritätsstellung innehaben. Den Diskussionsleiter und den Protokollanten wird man von Sitzung zu Sitzung neu bestimmen, ebenso von Fall zu Fall nötig werdende Vorbereitungskomitees und Unter-Arbeitsgruppen für die Erledigung bestimmter Aufgaben im Interesse größerer Arbeitsgruppen und -vorhaben? 5. Man wird in die Bestimmung und Ausarbeitung der Arbeitsthematik jeweils die konkreten Interessen der teilnehmenden Studierenden einfließen lassen und über die Einzelgestaltung der Arbeit, die Aufgliederung der Arbeitsbereiche, die Formen der Kooperation und Publikation demokratisch entscheiden; 6. Man wird in den Arbeitsformen der Kritischen Universität die Momente der theoretischen Diskussion und der wechselseitigen Kritik der Mitarbeiter untereinander gegenüber der bloßen institutionalisierten Schein- und Berechtigungsverteilung in den Mittelpunkt stellen; 7. Man wird in der Kritischen Universität die politisch-gesellschaftlichen Funktionen und Implikationen jedweder Art von öffentlich betriebener . Wissenschaft — und natürlich auch die herrschaftsaffirmativen Funktionen apolitischer Sachlichkeit und Innerlichkeit — ständig mitreflektieren und selbstverständlich auch die Strategien und Erfahrungen der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnis in politische Aktion diskutieren und reflektieren. 8. Man wird in der Kritischen Universität die Arbeitsformen prinzipiell vom erstarrten Ritual des etablierten Lehrbetriebs lösen und die Art des Vorgehens am Erkenntnisinteresse und der Struktur des jeweiligen Gegenstandes ausrichten: Seminar- und Komiteesitzungen, öffentliche Hearings und Strategiediskussionen, Dokumentations- und Publikationsarbeiten werden nicht in jener Art akademisch-traditioneller Arbeitsteilung organisiert werden, die jede direkte Anteilnahme der wissenschaftlichen Arbeiter an der Verfügung 43

über ihre Arbeitsergebnisse ausschließt und diese Verfügung weitgehend den Launen und Interessen der akademischen und nichtakademischen Machthierarchien überläßt. Auch in ihren Publikationswegen wird sich die Kritische Universität nicht allein der traditionellen Formen literarisch-kulinarischer Öffentlichkeit bedienen: Flugblätter können in vielen Fällen eine wirksamere Publikationsform von Wissenschaft unter demokratischem Selbstverständnis sein. Die Kritische Universität wird mehr und weniger zugleich sein als die Sezessionsformen amerikanischer „free universities", die aus der weitgehenden Resignation und ermüdeten Abkehr vom etablierten akademischen Betrieb heraus entstanden sind und die ihre erklärte Ohnmacht gegenüber den in diesem Betrieb verkörperten Machtinteressen zum Ausgangspunkt ihrer Existenz nahmen. Mit dem Anspruch, bessere Universität in der etablierten Universität auf demokratischem Wege einrichten zu können, veibindet sich in der Tat mit ihrer Existenz und ihren Arbeitsformen ein keineswegs resignativer Zug. Kritik in der Form der Kritischen Universität setzt das Bewußtsein der Veränderungsbedürftigkeit und Veränderbarkeit der etablierten Institutionen voraus. Von der alten Universität haben wir nichts zu erwarten, es sei denn, wir konzipierten und praktizierten sie neu. Auf eine vernünftige und effektive Praxis der Arbeit der Kritischen Universität wird vieles ankommen.

ZIELE UND ORGANISATION DER KRITISCHEN UNIVERSITÄT In den Monaten nach dem 2. Juni 1967 haben sich in Diskussionen und vorbereitenden Arbeitskreisen die folgenden Ziele und Aufgaben der Kritischen Universität herausgebildet. Der provisorische Initiativausschuß wird sie der ersten Vollversammlung der Kritischen Universität zur Beiatung und Stellungnahme vorlegen. I. Kritische Reflexion und wissenschaftliche Analyse für eine demokratische politische Praxis Die kritische Universität stellt sich die Aufgabe, durch kritisch-theoretische Reflexion und Anwendung empirisch-analytischer Methoden mitzuwirken an der Bestimmung der Ziele und Aktionen der außerparlamentarischen radikaldemokratischen Oppositionsgruppen in Westberlin, die an einer aufgeklärten Demokratisierung unserer Gesellschatf und an der Befreiung von Unterdrückung und Unmenschlichkeit, insbesondere in den Ländern der Dritten Welt, aktiv teilnehmen wollen. Sie will deren aufklärerische Agitation und Praxis aktuell und langfristig verständlicher und wirksamer, d. h. auch experimentell lehrbar machen. Sie begreift sich darin als kritisch denkendes und praktisch handelndes S u b j e k t gegenüber einer Gesellschaft, in der „Wissenschaft" überwiegend zur bloßen Technik, zur „Substanz des praktischen Lebens" (Schelsky) und damit zum reinen O b j e k t der herrschenden Politik geworden ist. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollen insbesondere die politische Praxis der Studenten Vertretungen, die an der demokratischen Oppositionsbewegung 44

teilnehmen, unterstützen. In dieser Konkretisierung des „Politischen Man* dats" der Studentenschaft wird ein spezifischer historischer Zusammenhang zwischen kritischer Theorie, Wissenschaft und Praxis öffentlich-demonstrativ wiederhergestellt. Dieser Anspruch, der sich aus der verfassungsrechtlich geschützten Teilhabe der Studenten an der Wissenschaftsfreiheit und ihrer akademischen Selbstverwaltung legitimiert, kann durch administrative Gewalt behindert, aber nicht beseitigt werden. II. Demokratische Studienreform und Hochschulkritik Die Kritische Universität versteht sich als eine neue Organisationsform praktischer experimenteller Hochschulreform und permanenter Hochschulkritik. überall dort, wo bestimmte Inhalte und Methoden der Wissenschaft, ihrer Anwendung und ihrer Vermittlung mit gesellschaftlicher Praxis, die dem Emanzipations- und Demokratisierungsprozeß der Gesellschaft dienen, von den herrschenden Exponenten und Gremien der Hochschulen behindert oder ausgeschlossen werden, sollten Studenten in Verbindung mit interessierten Assistenten, Dozenten und Experten aus der Berufspraxis dazu übergehen, die Arbeit an diesen Themen selbst zu organisieren. Diese autonome kooperative Tätigkeit dient dem stets gefährdeten Versuch einer subjektiven Emanzipation und Selbstverwirklichung der Studenten und jungen Wissenschaftler gegen den herrschenden akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb. Sie kann sich aber auch auf lange Sicht als nützlich für den Kampf um subjektive befriedigende und emanzipatorische Arbeitsformen und Arbeitsziele in der späteren Berufspraxis erweisen (vgl. III.). Zur Sicherung dieser selbst organisierten Studienreform muß die Kritische Universität einerseits an einer permanenten Hochschulkritik arbeiten, die irrationale und repressive Strukturen und Ziele des herrschenden Lehrbetriebs innerhalb der Hochschulen und in der Öffentlichkeit demonstrativ angreift und in Frage stellt (durch Vorlesungs- und Prüfungsrezensionen, öffentliche Disputationen und Tribunale). Andererseits muß sie zusammen mit den studentischen Fachschaftsvertretungen allen Studenten eine effektive solidarische Hilfe zur erfolgreichen Bewältigung der bestehenden, vielfach irrationalen Studien- und Examensanforderungen anbieten (z. B. kritische Studienführer, Lektürepläne und Vorlesungsskripten als Ersatz für zeitraubende, unrationelle Pflichtveranstaltungen, deren Besuch dann zu vermeiden wäre). Durch die praktisch vorweggenommene und selbst organisierte, wenn auch fragmentarische Studienreform und eine permanente öffentliche Hochschulkritik will die Kritische Universität die Position der Studentenvertretungen und der abhängigen Wissenschaftler im Kampf um die Demokratisierung der Hochschulstruktur stärken. Ausgehend von ihrer Arbeit an Strategien der demokratischen gesellschaftlichen Veränderung zum Abbau von Herrschaft und Unterdrückung und auf Grund ihrer eigenen experimentellen Studienveranstaltungen und kleineren Forschungsobjekte will sich die Kritische Universität darum bemühen, daß neue emanzipatorische und kritische Fragestellungen in die offiziellen Programme der Forschung und des Studiums, aber auch der Lehrerbildung, der akademischen Fortbildung und des Schulunterrichts aufgenommen werden. III. Demokratische Wissensdiafts- und Bei ufspotitik der Intelligenz 45

Selbst organisierte experimentelle Hochschulreform, permanente Hochschulkritik und die Auslösung genereller demokratischer Hochschulreformen dienen letztlich der rascheren und breiteren Entfaltung von theoretischwissenschaftlichen Fortschritten und der Stärkung der sozialen Selbstorganisation der Träger dieser Fortschritte im Kampf gegen die permanente verschleierte Vernichtung oder den Mißbrauch ihrer praktischen Realisierungschancen unter den herrschenden Arbeits- und Wirtschaftsverhältnissen. Je intensiver der t h e o r e t i s c h e wissenschaftlich-technologische Fortschritt sich zu entfalten und sozial in seinen Subjekten zu organisieren vermag, desto eher kann die Wissenschaft angesichts der bestehenden gesellschaftlichen Barrieren ihrer objektiv möglichen praktischen Anwendung im Dienste der Verbesserung des menschlichen Daseins wieder zu einer emanzipatorischen historischen Kraft werden. Die Kritische Universität wird daher auch versuchen, zu einem Forum und Aktionszentrum der Studenten, Wissenschaftler und akademischen Praktiker zu werden, die sich bewußt in den Dienst eines solchen objektiv gesellschaftskritischen Fortschritts der Wissenschaft stellen — gegen jene Institutionen und Unternehmen, die wissenschaftliche Methoden zur Organisation der verschleierten Vernichtung geistigen Kapitals, zur Sabotierung oder zur inhumanen Perversion wissenschaftlicher Fortschritte mißbrauchen, z. B. bei der planvollen Herabsetzung der Lebensdauer von Piodukten und Dienstleistungen oder bei der Verwissenschaftlichung der Manipulation von Menschen in den Bewußtseinsindustrien. In Verbindung mit interessierten Wissenschaftlern und Gewerkschaftsorganisationen soll ein „Dokumentationszentrum über den Mißbrauch der Wissenschaft für inhumane und destruktive Zwecke" (vgl. H. Marcuse in „Kritik der reinen Toleranz", Frankfurt 1966) vorbereitet werden. In der Kritischen Universität können sich die Studenten und jungen Akademiker, die in ihrem Berufsleben an der Realisierung der progressiven wissenschaftlich-technologischen Möglichkeiten für die Emanzipation der Menschen von Unterdrückung, Mangel und Manipulation mitwirken wollen, auf die unvermeidlichen Konflikte mit etablierten Machteliten und bürokratischen Apparaten, aber auch mit konformistischen und autoritären Kollegen vorbereiten. Es sollen Organisationsformen und Strategien entwickelt werden, die es der kritischen Intelligenz in den Berufen und Betrieben ermöglichen, für eine gesellschaftliche Demokratisierung und menschliche Rationalisierung der Arbeitsverhältnisse und Arbeitsziele zu kämpfen. Dazu gehören u. a. die systematische Kritik von irrationalen Strukturen in der Arbeitsorganisation, die auf der objektiv überflüssigen Herrschaft privilegierter und überalterter Führungseliten beruhen; die Bildung einer organisierten Opposition in den berufsständischen Interessen verbänden; die Nutzung von günstigen Arbeitsmarktsituationen zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse sowie Aufklärungsaktionen zur Herstellung einer politischen Kooperation mit den bewußten Teilen der lohnabhängigen Arbeiter und der Jugend.

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1068:

im 10. Jahrgang .Kritische Universität41

Das Argument

Das Argument

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D»ArgmtK Das Argument Das Argument Das Argument

„DAS ARGUMENT darf ohne Übertreibung als das derzeit bedeutendste theoretische Organ der linken Intelligenz der BRD bezeichnet werden." Ruhr-Reflexe (Bochumer Studentenzeitung)

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VERZEICHNIS UND PROGRAMM DER ARBEITSKREISE In den Semesterferien haben sich um die in dem Provisorischen Verzeichnis angekündigten Arbeitsgruppen gebildet. Sie hatten die Aufgabe, für das Wintersemester ein Arbeitsprogramm auszuarbeiten, das in diesem endgültigen Verzeichnis abgedruckt werden sollte. Bei den Diskussionen in den Arbeitsgruppen ergab sich manchmal, daß das am Ende des Sommersemesters gewählte Thema nicht ganz dem Interesse der Teilnehmer entsprach. Der Schwerpunkt der Arbeit verlagerte sich auf ein anderes als bisher vorgesehenes Problem. In anderen Arbeitskreisen wurden die verschiedenen Interessen, mit denen die Teilnehmer sich zum allgemeinen Thema hin gemeldet hatten, so gelöst, daß eine Reihe von Untergruppen gebildet wurden, deren Arbeit jedoch koordiniert werden soll. Es kam auch vor, daß man sich gar nicht einigen konnte, auf welche Art man die Themen, die man sich gestellt hatte, bearbeiten wollte, wo der Schwerpunkt liegen soll und womit nun konkret begonnen werden soll. Dies bedeutet aber nicht das Ende des entsprechenden Arbeitskreises. Wir meinen, daß die Diskussion um Ziel und Arbeitsmethode in den Arbeitskreisen der Kritischen Universität eine sehr wesentliche Funktion hat — denn gerade auch dadurch unterscheidet sie sich von der offiziellen Universität, daß sie sich die Zeit dazu nimmt und damit jedem Teilnehmer die Möglichkeit gibt, Einfluß auf den Gang des Seminars zu nehmen. Die Seminare, die sich im folgenden vorstellen, haben jeweils einen verschiedenen Grad der Festlegung ihres Arbeitsvorhabens erreicht. Eine Reihe von Seminaren wird hier das erste Mal vorgeschlagen. Die Vorschläge kommen von einzelnen oder von Gruppen, die bereits getagt haben.

Hochschulgesetzgebung - Hochschulreform - Hochschulrevolte (t bis 4) Die vorliegenden Ausarbeitungen zur Strategie und Zielsetzung demokratischer Hochschulpolitik sollen kritisch mit den Erfahrungen und Ergebnissen der demokratischen Studentenbewegung vor und nach dem 2. Juni konfrontiert werden, um die politische Praxis im kommenden Semester vorzubereiten und auszuwerten.

I Hochschulgesetzgebung Ein Arbeitskreis, an dem sich Studenten Vertreter aller Berliner Hochschulen beteiligen, wird in diesem Semester eine Stellungnahme der Studentenschaft zu dem Gesetzentwurf Senator Steins erarbeiten. Vergleiche mit anderen Hochschulgesetzen und Entwürfen aus den Bundesländern werden bei der Erarbeitung herangezogen. Eine Literaturliste wurde ausgearbeitet. Der Arbeitskreis wird eine öffentliche Diskussion zum Thema Hochschulgesetzgebung vorbereiten. 48

2 Technische Intelligenz und Gesellschaft Es ist Aufgabe dieses Seminars: — die gesellschaftliche Position der Studenten technischer Fachrichtungen zu untersuchen, — Ansatzpunkte zur Bewußtmachung sozio-ökonomischer Abhängigkeitsverhältnisse zu erarbeiten, — Formulierung der studentischen Interessen für eine Hochschulreform, — Erarbeitung von Vorlesungsrezensionen in diesen Fachrichtungen.

3 Vorlesungsrezensionen und Prüfungskritik Da in den einzelnen fachbezogenen Arbeitskreisen auch Rezensionen und Prüfungskritiken erarbeitet werden sollen, wäre die Aufgabe dieses Arbeitskreises, Kriterien für die Kritik von Lehrveranstaltungen zu erarbeiten. Es muß untersucht werden, welche Möglichkeiten es gibt, um die Diskussion über Inhalt und Form der Lehrveranstaltung unter den Studenten und mit den Dozenten zu intensivieren (Fragebogen, Vorankündigungen, Vollversammlungen). Entwürfe von Rezensionen können hier diskutiert und verbessert werden. Die Funktion der Rezension für die Studienreform und für die Emanzipation des Studenten ist zu untersuchen.

4 Prüfungskritik in den Naturwissenschaften

Um nicht in einer reinen Theorie der Prüfung zu verharren, ist der wiederholte Besuch von Prüfungen im Bereich der Naturwissenschaften und Mathematik durch alle Teilnehmer des Arbeitskreises vorgesehen. Da bis jetzt für Fächer der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät nur die Prüfungen für das Amt des Studienrats öffentlich sind, werden nur diese Prüfungen untersucht. Bei den Prüfungen ist zu untersuchen a) Theorie und Praxis, b) der Einfluß auf den Studiengang, c) die Kompatibilität mit den Ansprüchen eines wissenschaftlichen Studiums. Zu erarbeiten wären schließlich Kriterien, nach denen beurteilt werden kann, ob ein Studium mit Erfolg absolviert wurde. Was unter einem „erfolgreichen Studium" verstanden wird und verstanden werden soll, ist deshalb zu diesem Zeitpunkt auch Gegenstand der Untersuchungen.

5 Funktion der Intelligenz und der Wissenschaft im VietnamKrieg und in der imperialistischen „Entwicklungspolitik" Zentralthema: Theorie und Funktion der „ Entwicklungspolitik" und die Auswirkung auf die Entwicklungsländer Arbeitsziele: I. Untersuchung der Theorien der „ Entwicklungspolitik" und Kritik des ideologischen Gehalts dieser Theorien, II. Untersuchung der Zielsetzung und Praxis der offiziellen und halboffiziellen, politischen und wissenschaftlichen Institutionen, die in West49

deutschland, in Westberlin und in den USA „Entwidclungspolitik" betreiben, III. Die Auswirkung dei praktischen Arbeit dieser Institutionen auf die Entwicklungsländer. Inwieweit fördert oder behindert sie den Kampf der Völker dieser Länder um ihre Befreiung? Für das WS 67/68 ist die Behandlung von Punkt I vorgesehen. Zielvorstellungen: Zunächst sollen die theoretischen Grundlagen der „ Entwicklungspolitik" untersucht werden. Die Untersuchung soll nicht von der Fragestellung einer Disziplin allein bestimmt sein, sondern von ökonomischen, soziologischen, ethnologischen und philosophischen Fragestellungen. Erst eine solche Betrachtungsweise wird es erlauben, den ideologischen Charakter dieser Theorien zu prüfen. Der dadurch erkennbar gewordene Bezug zum bestehenden gesellschaftlichen System schafft die Voraussetzung, die praktische Arbeit von Entwicklungshilfe-Institutionen und die Bedeutung dieser Arbeit für die Industrieländer und die Entwicklungsländer zu beurteilen. Die Ergebnisse des Arbeitskreises sollen in einer Materialsammlung zusammengefaßt werden, die I. den Studenten eine kritische Betrachtung des ihnen vermittelten Wissens zu Problemen der „ Entwicklungspolitik" erleichtert und Studenten, die an Entwicklungshilfe-Instituten ein Zusatzstudium absolvieren, den Charakter ihrer Arbeit besser begreifen läßt, II. die sachliche Grundlage für Protestaktionen gegen EntwicklungshilfeInstitutionen, die den Befreiungskampf der unterdrückten Völker erschweren, bilden soll, III. den Ländern der Dritten Welt hilft, die Arbeit und Absicht solcher Institutionen zu durchschauen. Geplante Arbeitsweise: Der Arbeitskreis ist als wöchentlich tagendes Seminar geplant. Teilnehmerkreis: Als Teilnehmer sind besonders Volks- und Betriebswissenschaftler, Soziologen, Politologen, Religionswissenschaftler, sog. Entwicklungshelfer, Absolventen von Zusatzstudien an Entwicklungshilfe-Instituten erwünscht. ParallelVeranstaltung:

Imperialismus und Entwicklungspröbleme In Zusammenhand mit diesem Seminar weisen wir auf die von der Fachschaft Politologie am Otto-Suhr-Institut veranstaltete Vortragsreihe „Imperialismus und Entwicklungspröbleme" hin. !. Entstehung und Voraussetzung der industriellen Gesellschaft 2. Der Imperialismus und die Zersetzung und Teilentwicklung traditioneller Gesellschaften 3. Das Problem der nachzuholenden Entwicklung Und die Grenzen des westlichen Entwicklungsmodells 4. Die Sowjetunion als Modell einer nachgeholten Entwicklung 5. Die Entkolonialisierung und die Entwicklungskonkurrenz der Großmächte 6. Die Wirkung der Entwicklungshilfe und von Kapitalinvestitionen auf die Dritte Welt 7. Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland 8. Das maoistische Entwicklungsmodell 50

9. 10. 11. 12. 13. 14.

Persien als Entwicklungsland Entwicklungsländer in Südamerika: Chile und Venezuela Entwicklungsmodell Kuba Agrarreform in Japan und Taiwan Revolution und Evolution in der Dritten Welt Die Rolle der Intelligenz in der Auseinandersetzung der hochindustrialisierten Staaten mit den Entwicklungsländern Ort: Otto-Suhr-Institut, FU Berlin, Hörsaal A und B Zeit:dienstags, 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr, Beginn: 24. Oktober 1967

6 Das Modell Kuba und die Zukunft Lateinamerikas Im Seminar soll zunächst die historische Entwicklung bis 1958 diskutiert werden. Die Festlegung der weiteren, im WS zu bearbeitenden Themen erfolgt im Seminar zu Beginn des Semesters. Zu untersuchen ist a) der sozio-ökonomisdie Mechanismus der indirekten amerikanischen Herrschaft über Kuba vom Augenblick der Loslösung von der spanischen Kolonialherrschaft bis 1958, b) die Auswirkungen dieser Herrschaft auf die kubanische Sozial- und Wirtschaftsstruktur, c) die kommunistische Partei Kubas, d) die Bewegung des 26. Juli (Fidel Castro), e) die kubanische Revolution von der Machtübernahme bis heute, f) die wirtschaftliche und politisch-militärische Reaktion der Vereinigten Staaten auf die Kubanische Revolution 1. gegenüber Kuba, 2. gegenüber Lateinamerika, g) die Stellung der Sozialrevolutionären Bewegung Lateinamerikas zur Kubanischen Revolution.

7 Wirtschaftskrise und Sozialpolitik in Westberlin Die Grundlage dieses Arbeitskreises sind die Erfahrungen der Wochen nach dem 2. Juni. Die Westberliner Bevölkerung ist von den Machthabern systematisch über die wirkliche wirtschaftliche und politische Lage ihrer Stadt getäuscht worden. Schon werden in der sogenannten Öffentlichkeit die Tatsachen so weit verdreht, daß die Studenten für die immer unübersehbarer einsetzende langfristige Strukturkrise verantwortlich gemacht werden. Die Aufklärung muß an den unmittelbaren, alltäglich erfahrbaren Lebensinteressen ansprechbarer Gruppen der Bevölkerung ansetzen. Praktisch kann sie werden in einer Anleitung zu selbsttätiger Abwehr aller Versuche, die Lasten der Krise auf die Masse der abhängig Arbeitenden abzuwälzen. Nur aus solcher Aufklärung können allmählich im Bewußtsein der Betroffenen selbst Vorstellungen für ein auf die Dauer lebensfähiges Westberlin erwachsen und gegen die bestehenden Formen bürokratischer Verwaltung durchgesetzt werden. Dazu ist zunächst eine unverhüllte Darstellung der tatsächlichen Lage Westberlins notwendig. Vor allem müssen dafür die sorgsam aufgebauten Tabus der öffentlichen Sprachregelung zerstört werden. Weiter müssen aber 51

über die Fragestellungen und Begriffe der etablierten Wissenschaften hinaus jene schwachen Stellen aufgesucht und dargestellt werden, von denen aus erst ein umfassender, selbsttätiger Widerstand aller Betroffenen gegen die bürokratischen Bewältigungsversuche der etablierten Machtgruppen möglich wird (z.B. Unmöglichkeit der freien Verfügung über das Eigentum an Giund und Gebäuden in Westberlin, Riesenaufwand für Verwaltung und Polizeiarmee). In diesem Arbeitskreis wird also ebenso b e w u ß t wissenschaftliches Arbeiten als Vorbereitung für praktisches Handeln der ökonomisch und psychisch Abhängigen aufgefaßt, wie große Teile des etablierten Wissenschaftsbetriebes ihre Dienste für die Stabilisierung der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse zur u n b e w u ß t e n Voraussetzung ihrer reinen Wissenschaft gemacht haben. Alle Einzelprobleme sollen unter der grundsätzlichen Fragestellung stehen, ob überhaupt mit den herrschenden sozialwissenschaftlichen Methoden und den entsprechenden Spartengrenzen eine mehr als vorläufige Lösung für die Lebensprobleme Westberlins zu erreichen ist. Da sich der Westberlin-Arbeitskreis im Republikanischen Club bereits mit der Ausarbeitung einer Broschüre über die wirtschaftliche Lage dieser Stadt beschäftigt, werden die Ergebnisse dieser hauptsächlich ökonomischen Analyse als Grundlage dienen; zu einzelnen Problemen sollen Referenten aus dem Republikanischen Club gewonnen werden. Im Mittelpunkt der Arbeit sollen folgende Probleme stehen: 1. Tote Kosten (z.B. in der Verwaltung? doppelte Kosten im Vergleich zu Ländern der BRD? Fehlleitung von Subventionen, z. B. Finanzierung des Springerhauses; systematische Erzeugung von Objekten sozialstaatlicher Verwaltung, wie Invalider, Obdachloser, Verwahrloster). 2. Abwälzung der Lasten der Strukturkise in der BRD. a) Mieterhöhungen und Wohnungsproblem, Abbau von Sozialleistungen, b) Situation in den Betrieben? Funktion und Verhalten der Westberliner Gewerkschaften. 3. Bevölkerungsstruktur und mögliche Entwicklung (Lage der Rentner? Benachteiligung kinderreicher Familien und lediger Mütter? neue Formen des Zusammenlebens anstelle isolierter Kleinfamilien). Voraussichtlich Anfang November wird ein Wochenendseminar stattfinden, auf dem anhand einiger einführender Sachvorträge die methodische Einstellung und damit die sinnvolle Organisation der Einzelarbeit in gemeinsamer Diskussion geklärt werden soll.

8 Arbeitskreis Springer-Tribunal Seit langem benutzt der Springerkonzern sein Pressemonopol in Westberlin, um die Bevölkerung gegen die studentische Opposition aufzuhetzen. Die diffamierende Berichterstattung der Springerblätter hat aus den protestierenden Studenten eine terroristische Minderheit gemacht, welche die Lebensgrundlagen der Stadt zu zerstören droht. Spätestens seit dem 2. Juni aber ist klar geworden, daß es Springers Meinungsmaschine ist, welche die Westberliner Krise wenn nicht produziert so doch zu ihrer Verschärfung entscheidend beiträgt. Diese Meinungsmaschine produziert das Berlinsyndrom, die aggressiv antidemokratische Mentalität einer über ihre realen Probleme nicht informierten Bevölkerung. Pressekampagnen gegen oppo52

sitionelle Minderheiten rufen nadi dem Polizeiknüppel und mobilisieren gleichzeitig die Bevölkerung zum Pogrom. Daß nicht in den Wind geredet wird, zeigen die Debatten des Abgeordnetenhauses zum Thema „Radikale" ebenso wie die Prügeleien in Neukölln: Die Springerblätter sind an die Stelle der faschistischen Massenorganisationen getreten. Der Arbeitskreis sollte folgende Themenkomplexe bearbeiten: 1. Die Entwicklung des Antikommunismus in der Springerpresse — die Gleichung Rot = Braun — Entspannungsphase und die Verschärfung des Druckes nach innen 2. Die Verschleierung der Krise — Darstellung der ökonomischen Krise (Ruhrkrise, Arbeitslosigkeit) — Darstellung der politischen Krise (Notstandsgesetze, Große Koalition etc.) 3. Konstruktion des Innnenfeindes — Mord, Unfall, Katastrophe, Krankheit — Minoritäten (Gammler. Gastarbeiter, Studenten) 4. Mobilisierung der Bevölkerung — Arbeitsteilung der Springerblätter — Freundbilder (Greise, Kinder, Tiere etc.) — Scheinplebiszite (Leserbriefe, BILDleserparlament) Die Ergebnisse des Arbeitskreises bilden die Grundlage des in diesem Semester stattfindenden Springertribunals.

9 Politische Sprache und gesellschaftlich falsches Bewußtsein Das Sprachseminar in der KU geht von den Erfahrungen der relativen Wirkungslosigkeit aufklärender Öffentlichkeitsarbeit aus. Sein Interesse wird bestimmt von der Notwendigkeit, neue politische Ubersetzungstechniken zu entwickeln. Es hat seinen besonderen Stellenwert darin, daß traditionell ideologiekritische Verfahrensweisen an politischem Aussagewert verlieren. Sprachkritik könnte daher zum angemessenen analytischen Verfahren werden angesichts einer Öffentlichkeit, deren politische Sprache zu einem Signalsystem geronnen ist, in dem die Funktionsträger des politischen Apparates Suggestiv-Formeln mit Identifikationszwang ausgeben. Je mehr die öffentliche Sprache von magischen, autoritären und hypnotischen Elementen durchdrungen ist, desto weniger kann das öffentliche Ritual von Lügen, Dementis und Ausflüchten durch traditionelle Aufklärungsmittel und faktische Gegenbeweise durchbrochen werden. Sprachkritik im wissenschaftsimmanenten Raum wäre unter dieser Bedingung bloß deklamatorisch. Neue Ubersetzungstechniken für politische Aufklärung lassen sich daher nur entwickeln, wenn Sprachkritik im Zusammenhang mit politischen Aktionsformen diskutiert wird. Die „autoritäre Ritualisierung" (Marcuse) der politischen Sprache muß als Symptom dafür angesehen werden, daß die Öffentlichkeit selbst zur verdrängenden Instanz geworden ist. Deren Verdrängungsfunktion wird zunehmen, je weniger die steigende Aggressivität innerhalb der Gesellschaft im Rahmen ihrer Spielregeln zum politischen Austrag gelangen kann. Für die Vedrängungsleistung entschädigt die politische Sprache, indem sie diejenigen Minderheiten, die dazu angetan sind, den Verdrängungsschutz zu durchbrechen, als Aggressionsobjekte und Sündenböcke herausarbeitet. 53

Daraus resultiert die unmittelbare Aktualität eines solchen Seminars für die Studenten in Berlin. Verdrängung, d. h. Enlpolitisierung durch Öffentlichkeit bedeutet Verschiebung der politischen Momente in unpolitische Sphären, bedeutet tendenzielle Aufhebung der Grenze privat/öffentlich. Die Verschiebungsarbeit der öffentlichen Sprache sollte an exemplarischen Beispielen (Sportberichte, Berichte über Gammler etc.) untersucht werden. Vorläufiges Programm: I. Zum Verhältnis Sprache—Gesellschaft 1. Diskussion des Verhältnisses Ideologiekritik—Sprachkritik 2. Zum Verhältnis Sprache—Öffentlichkeit. Konfrontation aufklärerischer Sprachtheorien (sprachliche Produktivität, Ausdrucksfähigkeit und künstlerische Sensibilität als Produkt einer politisch fungierenden Öffentlichkeit) und affirmativer Sprachtheorien (sprachliche Produktivität bedingt durch ästhetische Differenz zur gesellschaftlichen Praxis). Verhältnis gegenwärtiger Sprachtheorien zum gesellschaftlich falschen Bewußtsein. II. Analyse der politischen Sprache und der Möglichkeit politischer Aufklärung In Arbeitsgruppen soll analysiert werden, inwieweit und mit welchen Mitteln der politische Gehalt prinzipieller gesellschaftlicher Konflikte und Tendenzen durch Öffentlichkeit verdrängt bzw. auf Minderheiten abgeschoben wird. Analytisches Material bilden Zeitungen, Abgeordnetenreden und Parteiäußerungen bei exemplarischen politischen Vorfällen. Arbeitsergebnisse sollen ständig mit den Aussagen der einschlägigen Wissenschaft konfrontiert werden. Es sollten didaktische Modelle für den Schulunterricht in den Fächern Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde zu dieser sprachlichen Problematik erarbeitet werden. Die rationalisierende wissenschaftliche Praxis gegenüber politischen Irrationalismen soll von diesem Ansatz her untersucht werden. 1. Umfunktionierung und Inhaltswandel demokratischer Begriffe und Ritualisierung im demokratischen Vokabular — publizistische Wiederspiegelung der Kollision von direkter und formaler Demokratie (am Beispiel der außerpalamentarischen Opposition) — funktionaler Typus des autoritären Charakters und Rechtfertigungsstereotypie für Notstandsgesetze, Konzepte der formierten Gesellschaft etc. — Fetischisierung demokratischer Spielregeln und öffentliche Abschrekkungsstrategie, falls Minderheitsrechte und geltende GG-Legitimationen durch plebiszitäre Aktionen aktualisiert werden — Personalisierungsformen politischer Konzepte und repressive Identifikationen politischer Vorstellungen durch signalisierende Attribute (bei Personen, Gruppen und Verbänden) — tendenzielle Ablösung politischer Konzepte durch Formeln („kleine Schritte", „Anerkennungspartei" etc.). Aufgehen der politischen Sprache in die Sprache der Werbung — herrschende Pluralismustheorien und etablierte Stereotype gegen außerparlamentarische Opposition 2. Stereotype der negativen Solidarität („hartarbeitende Bevölkerung") und sprachlicher Terror — Durch wirtschaftliche Strukturkrise und Kapitalflucht produzierte Exi54

Der Schlußabsatz im Programm des Seminars Nr.9, ("dieses Arbeitsprogramm könnte bearbeitet werden von Studentenn Roherer Semester^ Studienreferendaren und Lehrern. ) ist falsch. An Aufnähmebedingungen ist nicht gedacht. Das würde nicht nur der Intention des Seminars widersprechen^ sondern auch der bisherigen Zusammensetzung des Mitarbeiterkreise.s.

stenzengst der Berliner Bevölkerung und der Verdrängungsgehalt der spezifischen Berliner Öffentlichkeit (vgl. die Erklärung des Wirtschaftssenators König zu der Artikelserie von Prof. Kade in der „Berliner Stimme") — Ableitungsstrategie von Existenzangst in Agressivität gegen Minderheiten — Stereotype der Aktualisierung von Frontstadtneurose — Aussagewert und Rationalisierungsfunktion der herrschenden Sozialpsychologie gegenüber ingroup^outgroup-Spannungen 3. Sprachstereotype des Antikommunismus und deren Aktualisierung und Umfunktionierung auf innergesellschaftliche Konflikte (außerparlamentarische Opposition als „totalitär'') 4. Brutalisierung der politischen Sprache als Rückschlag auf die Befreiungskriege der Dritten Welt — Funktion von Angstformeln wie „Gelbe Gefahr" etc. 5. Sprache des Faschismus und Probleme zeitgenössischer Sprachkritik (Karl Kraus, Klemperer) faschistische Sprache. III. Analyse der bislang explizierten Konzepte und des kritischen Instrumentariums für das Springertribunal (z. B. Manipulations-Theoreme etc.) und Ausarbeitung inhaltlicher Kriterien IV. Vorurteilsforschung und Linguistik — Kriterien inhaltlicher Sprachkritik. Diskussion der analytischen Mittel der Vorurteilsforschung. (Zur Frage, inwieweit sich Untersuchungstechniken z. B. der „Authoritarian Personality" auf eine allgemeine Sprachkritik der herrschenden Öffentlichkeit übertragen lassen.) — wissenschaftlicher Aufklärungswert der Linguistik (der deutschen Sprachwissenschaft und des Strukturalismus und deren implizite Gesellschaftstheorien) — methodisch-didaktische Möglichkeiten einer inhaltlichen Sprachkritik für die Schulpraxis Angesichts des Vorbereitungsstandes für dieses Seminar wurde vorerst ein maximaler Umriß der Arbeit gegeben, die nicht auf ein Semester unbedingt beschränkt bleiben muß. Arbeitsweise und Prioritäten sollten unter Bezug auf das Springertribunal diskutiert werden. Dieses Arbeitsprogramm könnte bearbeitet werden von Studenten höherer Semester, Studienreferendaren und Lehrern.

10 Sexualität und Herrschaft Die Funktion spezifischer sexueller Normen innerhalb unseres Herrschaftssystems soll analysiert werden. Es wird darzustellen sein, in welchem Ausmaß einzelne Zw-ige der Wissenschaft (insbesondere Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Medizin) das intellektuelle Rüstzeug sexueller Repression liefern. Unser Hauptziel wird darin bestehen, ein Modell von Aufklärung zu entwerfen. Einige Ergebnisse unserer Arbeit sollen in Form von Materialsammlungen und öffentlichen Vorträgen dargestellt werden. Innerhalb der AG werden sechs Teams bestimmte Teilbereiche des gestellten Themas relativ unabhängig voneinander erarbeiten. In bestimmten Zeitabständen sollen sich diese Teams treffen, um über Ergebnisse und weitere Vorgehensweisen zu diskutieren. 55

Geplant sind folgende Gruppen: a) Schichtenspezfische Normen b) Erotische Ideale als repressive Norm c) Sexuelle Normen in Ehe und Familie d) Sexuelle Normen im Strafrecht e) Einstellung zur Geburtenregelung f) Sexuelle Normen in der Presse Zu den Teilnehmern dieser AG sollten neben Psychologen, Soziciogen, Pädagogen und Medizinern unbedingt auch Schüler gehören. Die Tätigkeit der AG wird sich über mehrere Semester erstrecken, was aber nicht ausschließt, daß einige Teilnehmer der AG nur für ein Semester angehören.

11 Sexualität und Bewußtseinsindustrie 1. Daß der — freiwillige oder erzwungene — Verzicht auf Lustgewinn etwas mit der Aufrechterhaltung einer Gesellschaftsordnung zu tun haben könnte, ist eine Hypothese, die schon sehr früh mit dem Beginn der psychoanalytischen Theoriebildung auftauchte. Wie dieses Verhältnis beschaffen sei, war eine Frage, die verschieden beantwortet wurde: etwa, der Lustverzicht sei notwendige Voraussetzung für kulturelle Leistungen (Freud); die kapitalistische Gesellschaft basiere wesentlich auf dem Lustverzicht, die sezuelle Emanzipation sei also ein Moment der allgemeinen Emanzipation des Menschen, die die kapitalistische Gesellschaft transzendiert (Reich) etc. Reduziert man diese Feststellungen auf die Behauptung, daß die Unterdrückung der sexuellen Emanzipation in einer Gesellschaft Teil einer allgemeineren Unterdrückung ist, dann ergibt sich die für dieses Seminar relevante Fragestellung: In welcher Hinsicht dient die sexuelle Repression der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise? Welches sind die Medien dieser Repression? Wie weit ist diese Repression konkret faßbar und wieweit äußert sie sich nurmehr als permanent betriebene Deformation der motivationalen Struktur? 2. Die Schwerpunkte werden der Logik der Sache folgend besonders da liegen müssen, wo die Repressionsmittel und -medien nicht unmittelbar erkennbar sind: Presse, Werbung, Modezwänge etc., aber auch faschistoide Ideologien, die sich in den Erziehungsmethoden niederschlagen. Mit diesen Schwerpunkten ergeben sich auch gleichzeitig Möglichkeiten zur Unterteilung in verschiedene Arbeitsgruppen. 3. Praktisches Ziel des Seminars könnte sein, eine Dokumentation über die Verwendung vorwiegend sexueller Reize in der Journalistik und Werbung zur Konditionierung von Menschen auf bestimmte Konsumgewohnheiten, politische Einstellungen etc. herzustellen. Der Berliner Zeitungsmarkt bietet Material genug.

12 Arbeitsmedizin Die alarmierenden Zahlen über die wachsende Frühinvalidität der Arbeiter und Angestellten sind sichtbarer Ausdruck für Leiden, die durch Arbeit und am jeweiligen Arbeitsplatz hervorgerufen werden. Wohlverstandene Arbeitsmedizin kann sich für die Betroffenen engagieren. Die 56

bisherige Methodik im Fach „Arbeitsmedizin" scheint die einer unverbindlichen Bestandsaufnahme von Arbeitskrankheiten und Arbeitsschäden zu sein Die erste Tätigkeit der Gruppe wird sein, anhand der Lektüre der Standardwerke und Sammlung der verstreut erscheinenden Fakten eine Methodenkritik des Faches zu leisten. Der Gang einer der üblichen arbeitsmedizinischen Untersuchungen kann daraufhin geprüft werden, ob er Erkenntnisse beispielsweise über den Zusammenhang zwischen der Stagnation oder Regression eines Industriezweiges und der Zahl und Art der dabei auftretenden Krankheiten und Unfälle bei den Beschäftigten zuläßt. Eine andere Fragestellung wäre die nach möglichen Zusammenhängen zwischen Arbeitszeitverkürzung und Anstieg der Arbeitsunfallziffern. Die seit langem sich verschlechternde Wirtschaftssituation Westberlins bietet genügend Beispiele. Die Kenntnis derartiger Fakten wirkt politisierend, wenn sie über den Kreis der Arbeitsmediziner und Werksärzte den Vertretern der unmittelbar Betroffenen, den Betriebsräten und Vertrauensleuten und direkt den Arbeitern zugänglich gemacht wird. Eine enge Kommunikation zwischen der Wissenschaftsdisziplin „Arbeitsmedizin" und ihrem „Material" verändert sowohl das Feld arbeitsmedizinischer Forschung wie auch die Lage der Betroffenen. Der Arbeitskreis wird die Möglichkeit einer Famulatur bei Werksärzten vorbereiten. Er wird darüber hinaus den Kontakt mit den Arbeitern suchen, indem er zunächst über kooperierende Gewerkschaftsmitglieder, dann durch direkten Umgang mit den Arbeitern und Angestellten das Bewußtsein der konkreten Ursachen arbeitsbedingter Krankheiten verbreitern hilft. Die Arbeitsgruppe wird zu diesem Zweck Beratungsstellen für Arbeiter und Angestellte einrichten helfen, wo u. a. auch Auskunft und Ratschlag in Sachen Arbeitsmedizin und Arbeitsunfallschutz geleistet wird. Langfristige Pläne der Arbeitsgruppe umfassen das Ziel, Krankheitsquellen in besonders von konjunktureller Stagnation und Regression bedrängten Westberliner Wirtschaftszweigen aufzudecken und mit den Betroffenen öffentlich auf Abhilfe zu drängen. Das wird in Form wohlvorberei teter Flugblattaktionen, Ur-Zeitungen vor den Betrieben und auch in „Tribunalen" geschehen.

13 Medizin ohne Menschlichkeit dargestellt an Menschenversuchen im „Dritten Reich" sowie in den Jahren 1947 bis 1966 1. Anhand der Dokumente des Nürnberger Arzteprozesses im Jahre 1946/47 sollen Verhaltensweisen der Angeklagten innerhalb des Machtapparates des „Dritten Reiches" sowie ihre vorgebrachte Verteidigung untersucht werden. Eine Einführung in die sozio-ökonomischen sowie ideologischen Voraussetzungen dieser Geschichtsperiode ist notwendig. 2. Ausgehend vom Nürnberger Kodex über „Zulässigkeit medizinischer Versuche" vom August 1947 bzw. der „Deklaration von Helsinki 1964" sind Humanversuche in den Jahren 1946 bis 1966 zu untersuchen. Die Ergebnisse der Untersuchungen können Ausgangspunkt einer Vorlesungskritik der „Geschichte der Medizin" sein, denn sie läßt die Vor57

gange während des „Dritten Reiches" überhaupt aus und ist im übrigen reine Faktendarstellung. Die für die heutige Medizin wichtigen soziologischen bzw. anthropologischen Aspekte der Geschichte der Medizin läßt sie unberücksichtigt. Als Fernziel ist eine Diskussion bzw. der Versuch einer Neufoimulierung des Hippokratischen Eides vorgesehen, da durch die technische Entwicklung eine Arbeitsteilung der ärztlichen Tätigkeit in die des Therapeuten und die des Forschers aufgetreten ist.

14 Arzt und Gesellschaft Nach wie vor gilt der selbständige praktische Arzt oder Facharzt als das Berufsziel des Gros der Medizinstudenten. Aus der Problematik dieses Berufes hat sich die Universität bislang die naturwissenschaftlich-technischen Aspekte herausgeschnitten, die sozialen und ökonomischen Momente existieren für sie nicht. Der angehende Arzt kommt mit diesen Seiten seines künftigen Berufes daher erst sehr spät und unter Umständen in Berührung, die es fraglich machen, ob er noch vernünftige Lösungen anzielen kann. Wahrscheinlicher ist, daß er ratlos den bereits vorgefertigten Verhaltensmustern folgen wird. Der AK wid sich im Wintersemester mit einer Rollenanalyse des praktischen Arztes befassen, kennzeichnen, was die verschiedenen mit ihm in Beziehung tretenden Gruppen (Patienten, Kassen, Standesorganisationen etc.) von ihm erwarten, welche Sanktionen ihn bedrohen und welche typischen Konflikte sich aus dieser Rollensituation ergeben. Anhand empirischer Unterlagen soll untersucht werden, wie der Arzt diesen Konflikten begegnet und ob daraus Folgerungen für das derzeitige Gesundheitswesen gezogen werden können. Anschließend soll eine Enquete unter Studenten verschiedener Semester, möglichst unter Einschluß von Medizinalassistenten, Aufschluß darüber geben, ob und wie genau sich angehende Arzte dieser Fragen ihres künftigen Berufes bewußt sind und welche Orientierungsschemata vorherrschen. Der AK wird für dieses Programm ca. 3 Semester benötigen. Er soll wöchentlich tagen. Mitarbeiten können Medizinstudenten aller Semester, Medizinalassistenten, Ärzte und Soziologen sein. Der Teilnehmerkreis sollte 15 Personen nicht überschreiten.

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Georgenstreöe 73

R£GIS D E B R A Y Die Revolution in der Revolution ca DM 5.50 ERNESTO -CHE" GUEVARA / FIDEL CASTRO Botschaft an die Völker der Welt / Rede vom 13. März DM 3.60 V O N G U Y E N GIAP Volkskrieg - Volksarmee

ca. DM 7.00

15 Psychosomatische Medizin Die allgemeine Anerkennung der wachsenden Bedeutung der Psychosomatik für die medizinische Wissenschaft steht in krassem Widerspruch zu der Anwendung dieser wissenschaftlichen Methode in Forschung und Lehre an dieser Universität. Angesichts der großen Zahl von Patienten, die in das Gebiet der psychosomatischen Medizin fallen, muß der Mediziner eingehender als bisher während seines Studiums auf psychosomatische Syndrome hingewiesen und seine psychologisch-soziologische Ausbildung intensiviert werden. Dazu ist die Vermittlung eines kritischen Problembewußtseins, das heute in der medizinischen Ausbildung weitgehend vernachlässigt wird, Ausgangspunkt zum Erwerb von Einzelerkenntnissen. Die Voraussetzungen der Psychosomatik, die Lehre von den psychophysischen Wechselwirkungen und das Wissen um Entstehung und Wesen der Neurosen sind heute allgemein anerkannte Begriffe. Die Vermittlung dieser Grundlagen ist gerade für die Ausbildung künftiger Ärzte notwendig. Spärliche Hinweise auf psychologische und soziologische Zusammenhänge in manchen Vorlesungen sind völlig unzureichend und bedürfen einer gründlicheren und systematischen Ergänzung. Der an den Universitäten im allgemeinen vermittelte Begriff der Krankheit und des Krankseins muß insofern dringend ergänzt werden, als er die psychologischen und soziologischen Grundlagen in dem gleichen Maße berücksichtigen muß, wie das bei der Physik und der Chemie als naturwissenschaftlichen Hilfsmitteln der Fall ist. Die Tätigkeit des Arbeitskreises Psychosomatik begreift sich als kritische Ergänzung zum Lehrplan der Fakultät. Vorgesehen für das WS 1967/68 sind folgende Veranstaltungen und Aktionen: 1. Zwei Symposien über die Grundvorstellungen der psychosomatischen Medizin — wobei möglichst Fälle demonstriert werden sollen — unter Mitwirkung von Prof. von Kreß und Prof. Mitscherlich sowie Vertretern der verschiedenen psychoanalytischen Richtungen. Das Symposion mit Prof. Mitscherlich wird sich wahrscheinlich an den beiden von ihm verfaßten Büchern „Krankheit als Konflikt, Studien zur psychosomatischen Medizin" (eds, Band 64 — das zweite Buch erscheint voraussichtlich im November) orientieren. 2. Eine Vorlesungsreihe von Gastprofessoren zu etwa folgenden Themen: a) Gegenstand und Methode der psychosomatischen Medizin b) Psychosomatik und Psychoanalyse (Neurosenlehre) — die psychosomatische Erkrankung als somatisierte Neurose c) Sozialer Wandel und Krankheit — soziokulturelle Konditionierung von Krankheit und Kranksein (Familienkonstellation, Arbeitswelt, Gesellschaftsstruktur, Kultur) d) Widerstände der rein naturwissenschaftlichen Medizin und ihre Ursachen 3. Kontinuierliche Herausgabe von Arbeitspapieren und Materialsammlungen für Medizinstudenten zur Förderung eines Problembewußtseins in der Medizin an Hand der Psychosomatik in zwei Reihen: a) theoretische Grundlagen der Psychosomatik b) ausgewählte Kasuistik 4. Unterstützung sämtlicher Bestrebungen, auch in Berlin ein Zentrum für psychosomatische Medizin zu errichten und die psychosomatische Methode in die Ausbildung des Medizinstudenten einzubeziehen. 59

Demokratisierung der Schule (16 bis 19) 16 Herrschaftsstruktur der Schule und Rolle des Lehrers Programm: 1. Dokumentation von für die gegenwärtige Herrschaftsstruktur der Schule signifikanten Ereignissen, „Fällen" und Konflikten 2. Analyse der Herrschaftsstruktur unter besonderer Beachtung der Rolle des Lehrers a) Beamten- und verwaltungsrechtliche Bestimmungen der Lehrerrolle — Interpretation im Lichte pädagogischer und grundrechtlicher Pinzipien b) Amtshierarchie und Eigenverantwortlichkeit der Lehrer in der Unterrichtsgestaltung und -praxis c) Berufsmotivation, Berufsbewußtsein und Berufseinführung der Lehrer — Mängel der Ausbildung d) Psychologische und soziologische Komponenten des Lehrer-Schülerverhältnisses 3. Modelle einer „herrschaftslosen Schule" 4. Möglichkeiten zur Verwirklichung eines solchen Modells und zur Demokratisierung der Schule a) Ungenutzte rechtliche Möglichkeiten b) Schulgesetzgebung und -Verwaltung c) Reformerfordernisse des Lehrerstudiums d) Reformerfordernisse der Berufseinführung (einschließlich Referendariat) Zeit: voraussichtlich alle 14 Tage freitags abends (19—22 Uhr) Organisation: Die Arbeitsgruppe bestimmt selbst über ihre Arbeitsweise und über das endgültige Arbeitsprogramm und wählt für jede Sitzung den Diskussionsleiter und den (die) Protokollanten. Die Arbeitsgruppe ist prinzipiell offen für alle Interessierten und kann später neu Hinzukommende noch in die Arbeit integrieren. Die Thematik wird anhand des anfangs zu bestimmenden Arbeitsprogramms von Sitzung zu Sitzung festgelegt; Vorbereitimgsarbeiten werden von allen Teilnehmern übernommen; prinzipiell wird jeder Teilnehmer sich auf jede Sitzung vorzubereiten haben. Von Fall zu Fall kann ein Vorbereitungskomitee oder können Referenten bestimmt werden. Für den Verlauf der Arbeit scheint es sinnvoll, Vertreter bzw. Repräsentanten aller Interessierten (Lehrer, Referendare, Junglehrer, Studenten von FU und PH, Erziehungswissenschaftler, Schüler, Schulverwalter) zur Teilnahme zu gewinnen.

17 Mitbestimmungsmöglichkeiten für Schüler Themenbereich Aus dem Themenbereich Demokratisierung des Bildungswesens, der Schule und des Unterrichts will das Seminar informieren und diskutieren über Demokratisierungsmöglichkeiten für Schüler in der Schul- und- Unterrichtsorganisation. Folgende Einzelaspekte sollen eventuell behandelt werden: Motivation 60

der Schüler, Demokratisierung des Unterrichts I (Lehrinhalte), Demokratisierung des Unterrichts II (Methoden und Disziplinarmaßnahmen), Demokratisierung außerunterrichtlicher Schulorganisationen (Kritik an SMV, Schulrecht und Schulordnung) usw. Intentionen und Methoden Nach der Erarbeitung notwendiger Kenntnisse werden sich die Sitzungen zu Beginn des neuen Jahres in verschiedenen Konkretionsstufen (Protokolle, Filme, Hospitationen mit Diskussionen, Konferenzen, Vorbilder) der Schulpraxis zuwenden, um die Realisierbarkeit (Barrieren, Vorbilder) der theoretischen Überlegungen abzutasten. An diesen konkreten Teil schließen sich noch ein bis zwei Sitzungen zu dessen Auswertung und zur Planung für das Sommersemester 1968 an. Organisation Um zu einem vernünftigen Kompromiß zwischen der sachnotwendigen Vorplanung des Seminars und der demokratischen Steuerung durch die Seminarteilnehmer zu gelangen, ist beabsichtigt, das folgende Zweistufensystem zu organisieren: Die Hauptsitzungen des Seminars finden alle 14 Tage statt. In der Woche zwischen diesen Sitzungen arbeitet die für alle Teilnehmer offene Vorbereitungsgruppe einen Thesenkatalog aus, der als Entwurf zu diesen Vorbereitungssitzungen vorliegen wird und der dann in den Hauptsitzungen diskutiert wird. In jeder Sitzung soll der Diskussionskoordinator neu vom Plenum gewählt werden, während der technische Organisationsleiter bis auf Widerruf zur Verfügung steht. Das Seminar dient der Bewußtseins- und Verhaltensänderung der Teilnehmer, kann also mit dem erst zu erarbeitenden Horizont noch keine direkten Demokratisierungsaktionen vorausplanen, wohl aber anregen und ermutigen.

«. . u n d h e i i t o B o w l i n g , w * i f a Spa0 macht!

Kurf ürstendamm 1 58 Tag und Nacht geöffnet

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18 Konkrete Didaktik: Theorie und Praxis politischer Bildung Thema: Thema des Seminars ist: Konkrete Didaktik — Theorie und Praxis kritischer politischer Bildung. Das Seminar befaßt sich mit der Kritik der affirmativen politischen Bildung und mit der Erarbeitung konkreter Unterrichtsmodelle für die schulische und außerschulische politische Bildung. Arbeitsziele: Die Arbeit gliedert sidi in zwei Abschnitte: Im ersten Abschnitt wären Kategorien und Probleme kritischer politischer Bildung in der Konfrontation mit heutigen Positionen der politischen Bildung in der BRD herauszuarbeiten. Dies könnte nicht geschehen, ohne die Entwicklung und heutige Praxis der politischen Bildung in Deutschland zu reflektieren. Im zweiten Abschnitt wären neue, didaktisch reflektierte Modelle für die schulische und außerschulische politische Bildung als ein konkreter Zugang zur pädagogischen Praxis zu entwickeln. Es wird vorgeschlagen, daß das Seminar z.B. zu den drei Themenbereichen: „Notstandsgesetze", „Opposition" und „Revolution in der Dritten Welt" in der Praxis handhabbare Unterrichtsmodelle entwirft. Es soll versucht werden, die Modelle (u. U. erst im SS) in der Praxis, d. h. in Schulen, Jugend- oder Gewerkschaftsgruppen, innerhalb der Erwachsenenbildung, zu erproben, sie einer Fehlerkritik zu unterziehen und neu zu konzipieren. Mit diesem Seminar soll versucht werden, die weitgehend unreflektierte Theorie und Praxis politischer Bildung auf ein Niveau gesellschaftlich reflektierter und kritisch intendierter Aktion zu heben. Angesichts einer den status quo bloß befestigenden politischen Bildung ist das Seminar ön einer Didaktik der bisher unterschlagenen politischen Bildungsinhalte orientiert. Das Seminar soll unter dem Anspruch der Emanzipation stehen; darum klärt es auf über die Möglichkeiten einer politischen Bildung, die trotz institutioneller und ideologischer Schwierigkeiten von der Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung zur Demokratie nicht abläßt. Arbeitsweise: Das Seminar soll die Selbsttätigkeit und die Kooperation der Teilnehmer praktisch ermöglichen. Deshalb wird nach einer gemeinsamen vorläufigen Gesamtplanung die Arbeit in kleine Arbeitsteams verlagert, deren Thesen und Arbeitsergebnisse im Plenum erörtert und ergänzt werden sollen. Die pädagogische Praxis soll in der Form von Hospitationen und der Erprobung der Modelle im Unterrichtsvollzug die pädagogische Reflexion konkretisieren Teilnehmer: Für Schüler, Studenten, Gemeinschaftskundelehrer, Bildungssekretäre, Erwachsenenbildner und nicht zuletzt für Referenten politischer Bildung könnte das Seminar interessant sein.

19 Kritik und Analyse Westberliner Lehrpläne und Lehrbücher zur politischen Bildung Die Beschäftigung mit den Fragen politischer Bildung in der Schule ist in unseren Universitäten bisher nahezu vollständig unterschlagen worden. 62

Nicht nur, daß zukünftige Lehrer für einen solchen Unterricht unzureichend vorbereitet werden,- die Universität hat es bisher auch nicht geschafft, sich darüber Rechenschaft zu geben, welchen Stellenwert dieser Unterricht (und damit die dazugehörige Lehrerbildung) in einem gesamtgesellschaftlichen Konzept einnimmt. In diesem Zusammenhang ist bisher vor allem eine wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit den gültigen Lehrplänen und den vorliegenden Lehrbüchern zur politischen Bildung im wesentlichen unterblieben. In diesem Seminar soll diese Auseinandersetzung nachgehölt werden. Es wird die Westberliner Lehrpläne und die am häufigsten verwendeten Lehrbücher vor allem auf das von ihnen vermittelte Gesellschaftsbild hin analysieren. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, den irrationalspekulativen Charakter der politischen Bildung aufzudecken und ihn als Teil der tendenziell vorhandenen Entpolitisierung der Gesellschaft in eine Gesellschaftsanalyse eiiizubi ingen. Zukünftige Lehrer in der politischen Bildung und alle anderen Interessenten sollen in diesem Seminar die Möglichkeit haben, die die Gesellschaft stabilisierende Funktion der „Gemeinschafts"-, „Sozial"- oder ähnlichen „-künde" aufzuzeigen und in gemeinsamer Arbeit daraus Konsequenzen für einen Unterricht in diesem Bereich zu ziehen. Als solche Konsequenzen wären etwa die Reform der Unterrichtsinhalte denkbar, soweit sie vom einzelnen Lehrer geleistet werden kann. Darüber hinaus sollte in Erwägung gezogen werden, der Lehrplankommission beim Senator für Schulwesen einen eigenen Entwurf für einen neuen Lehrplan einzureichen. Es ist geplant, daß nach einem einleitenden Referat in der ersten Sitzung in den folgenden Wochen die Lehrpläne und Lehrbücher von den Teilnehmern in der oben angedeuteten Weise analysiert werden. Es wird dazu notwendig sein, daß sich die Seminar-Teilnehmer mit einem Teil der bisherigen erziehungswissenschaftlichen Diskussion um die politische Bildung vertraut machen. Eine Einengung des Teilnehmerkreises auf Grund bestimmter vorhandener Fachkenntnisse besteht nicht.

20 Architektur und Gesellschaft Intentionen (Erkenntnisleitendes Interesse) Das allgemeine Phänomen gesellschaftlicher Arbeits- und Bewußtseinsteilung erfährt im Falle der Architektur eine spezifische Verschränkung. Das nur scheinbare Spannungsverhältnis zwischen der Vermittlung von mehr oder weniger anachronistischen Spezial- und Geheimwissen in mittelalterlich anmutenden Meister-, Gesellen-, Lehrlingsverhältnissen und der gleichzeitigen Tendenz, unter massivem gesellschaftlichem Druck unmittelbar zur Serienproduktion von Architekten überzugehen, hat seine Entsprechung gerade in jener Praxis, deren Produkte gesellschaftliche Arbeitsteilung zu überwinden scheinen: Die Kehrseite des möglicherweise gelungenen „Gesamtkunstwerks", der vorwegnehmenden Versöhnung fortbestehender gesellschaftlicher Widersprüche ist vorerst noch immer das Elend entmündigender Arbeitsorganisation und -praxis in den Architekturbüros. Handelt es sich hier um bereits überfällige Herrschaftsausübung? Bietet gerade der Verzicht auf k ü n s t l e r i s c h e n Totalitätsanspruch, der Anschluß an fortgeschrittenere Stufen t e c h n i s c h e r Rationalität qualitativ neue Arbeitsbedingungen? 63

Zwischen der Scylla des Beharrens auf überfälligen Berufsnonnen und deren institutionellen Entsprechungen und der Charybdis einer panischen Technologiegläubigkeit einen Prozeß der Begriffs- und Bewußtseinsklärung in praktisch-politischer Absicht einzuleiten, soll das vorläufige Ziel dieses Seminars sein. Hierbei hätte die Prüfung von bereits vorhandenen theoretischen Ansätzen auf ihre Relevanz für die konkreten Probleme von Architekten also zu dienen: a) der Selbstverständigung der Architekten selbst, b) der Kommunikation u. a. auch mit einer gesellschaftskritisch orientierten Soziologie, c) der besseren gesellschaftlichen Praxis. Arbeitsvorhaben Die Kunst-Technik-Antinomie; Ursachen, Formen und Uberwindung des gesellschaftlichen lags der Architektur als Theorie und Praxis. 1. Historischer Ansatz: Genesis und Funktion des Selbstverständnisses von Architekten (Architektengruppen) in bezug auf den Stand der gesellschaftlichen Produktivkräfte, die gesellschaftlichen Bedürfnisse und die Auftraggeberinteressen auf dem Boden gesellschaftlicher Eigentumsverhältnisse (Werkbund und Deutsche Industrie, Neue Sachlichkeit, Gläserne Kette und Vorfaschismus, Le Corbusiers Sozialutopien). 2. Systematischer Ansatz: (Soziologische Entscheidungsmodelle als Hilfskonstruktionen einer Systematik struktureller Antinomien) a) Der Architekt als Dezisionist: Legitimität (Kriterien!) des Totalitätsanspruchs des Ardritekten als Künstler (gesellschaftliche Bedingungen von Kreativität, Chancen und Kosten — Funktion gebauter Utopien innerhalb fortbestehender Antagonismen) oder: Bloßer Omnipotenzwünsch? (der Architekt als Baumeister der Gesellschaft — Vorstellungen über Veränderbarkeit der Gesellschaft durch Form). b) Der Architekt als Technokrat: Entdecker und Auslöser von Material- und Sachgesetzmäßigkeiten: Experte für perfekte „Gehäuse". Funktional = progressiv? — Erarbeitung möglicher Ansätze für eine Kritik des Funktionalismusbegriffs (sozial-technische Verkleidung formaler Intentionen — ästhetische Uberspielung von baugesetzlichen und technischen Vorschriften?) Exkurs: Der Technokrat als notwendiger Katalysator gesellschaftlicher Veränderungen. 3. Exemplarischer Ansatz: Analyse von diskussionswerten Versuchen der Überwindung solcher Antinomien — Entwicklung eines am Material geprüften Ideologiebegriffs anhand fortgeschrittener architektonischer bzw. städtebaulicher Modelle (insbesondere auch Berliner Beispiele). 4. Praktisch-politischer Ansatz: Möglichkeiten der Institutionalisierung eines Prozesses der „Aufhebung" technisch-ästhetischer und soziologischer (in den gegenwärtigen Verhältnissen bestenfalls scheinvermittelter) Tätigkeit in praktisch-politische, soll heißen gesamtgesellschaftlich orientierte Kooperation von Ökonomen, Soziologen, Architekten, Ingenieuren, Psychologen, Pädago64

gen etc. — Möglichkeiten der Umfunktionalisierung der Architektenund Architekturfabriken sind Assoziationen von Selbsttätigen. Teilnehmergruppen: Am Beispiel der Problematik von Architektur ist gesellschaftstheoretische Vorklärung für interfakultative Arbeit zu leisten. Außer den fachlich direkt Betroffenen ist deswegen die Mitarbeit von Soziologen, Ökonomen etc. (s. o.) erforderlich. Insofern Angehörige anderer Fakultäten der TU an einer Technologiediskussion interessiert sind, sind sie ebenfalls eingeladen. Insbesondere wird mit Mitgliedern des bereits praktisch-politisch arbeitenden APA an der TU gerechnet. Zur Arbeitsweise: Es sollen kooperative Arbeitsgruppen gebildet werden zur Vorbereitung und Leitung von Diskussionen über Thesen, die eine Integration der speziellen Gesichtspunkte in die skizzierte Thematik zu leisten haben werden.

21 Rechtsstaat und Demokratie in Deutschland — Herrschaft und Interesse Der Arbeitskreis hat sich in vier Gruppen unterteilt (bestehend aus Juristen, Politologen, Soziologen), die in regelmäßigen Sitzungen öffentliche Veranstaltungen mit Gästen vorbereiten. Sie werden dazu zeitig Konzepte und Literaturlisten vorlegen, die an alle Interessenten verteilt werden sollen. Es ist daran gedacht, die Materialien zum Semesterende zusammenzufassen und möglicherweise zu veröffentlichen, vielleicht als Vorarbeit einer umfassenderen Kritik der deutschen Staatslehre, die der Arbeitskreis nach mehreren Semestern leisten könnte. Konzepte, Literaturlisten und Informationen sind zu erhalten bei der Studentenvertretung der Juristischen Fakultät. Die einzelnen Gruppen befassen sich mit folgenden Themen: 1. Die politische Funktion des staatsrechtlichen Positivismus — Positivismus und Dezisionismus Die wissenschaftliche Einheit von öffentlichem Recht, Politikwissenschaft und Soziologie ist, wo sie je bestanden hat, seit etwa der Mitte des vorigen Jahrhunderts auseinandergerissen. Ein einflußreicher Teil der Staatslehre arbeitet methodisch mit den überkommenen Mitteln der Gesetzesinterpretation, setzt den „Staat" als vorgegebene Einheit voraus und klärt lediglich die Weise seines Funktionierens. Diese positivistische Methode der Staatsrechtslehre hat Implikationen für die öffentlich-rechtliche Begriffsbildung, denen im einzelnen nachgegangen werden soll. Gleichzeitig soll an Hand der Analyse der gesellschaftlichen Veränderung der letzten 100 Jahre die politische Funktion einer solchen Begriffsbildung untersucht werden. Aus der Behandlung der Begriffe des staatsrechtlichen Positivismus soll die Diskussion verwandter staatsrechtlicher Theorien folgen, vor allem die des Dezisionismus. Hier ist besonders der Zusammenhang zu untersuchen zwischen politischer Entscheidung, gesellschaftlicher Struktur und rechtsstaatlicher Ordnung. 2. Integrationslehre Die wissenschaftlichen Alternativen zum staatsrechtlichen Positivismus 65

und Dezisionismus sind bis heute eine geisteswissenschaftlich und eine sozial wissenschaftlich orientierte Staatslehre geblieben. Als „Stammvater" der geisteswissenschaftlichen Staatslehre in Deutschland ist Rudolf Smend anzusehen. Seine „Integrationslehre" versteht den Staat als werthafte Kultur- und Gemeinschaftsordnung, deren Wirklichkeit „als die EinheitsWirkung aller, der Wertgesetzlichkeit des Geistes entsprechend sich immer von neuem automatisch zu einheitlicher Gesamtwirkung zusammenschließenden Integrationsfaktoren" (Smend) aufgefaßt wird. Hierin wird der Ansatz deutlich, den Staat als Willenszentrum zum „politischen Gemeinwesen" zu erweitern, wobei freilich reale gesellschaftliche Prozesse noch völlig außer acht gelassen werden. Es wird zu untersuchen sein, ob die Smend-Schüler, die diesen Mangel zu überwinden versuchen, zu einer realitätsnahen Staatslehre gefunden haben. 3. Juristische Ausbildung und sekundäre Sozialisation In einem Exkurs soll an dieser Stelle der Zusammenhang geklärt werden zwischen den kritisch' diskutierten Staatstheorien und der juristischen Ausbildung. Ausgehend von der Untersuchung Dahrendorfs über die Selbstrekrutierung der Juristen ist zu analysieren, welches Interesse Theorie und Praxis der Rechtswissenschaft leitet Dabei muß erstens untersucht werden, welche spezifische Funktion der Studiengang der Juristen hat im Sinne einer sekundären Sozialisation. Besonders sind dabei Zwangsexmatrikulation, Prüfungssystem und Referendarausbildung kritisch zu beleuchten. Zweitens muß auf den juristischen Studieninhalt eingegangen werden und auf die Notwendigkeit, sozialwissenschaftliche Methoden in die Erörterung juristischer Probleme einzubeziehen. 4. Der soziale Rechtsstaat — „soziale Demokratie" Die bisherige Staatslehre hat (auf dem tradierten dualistischen Schema des Liberalismus aufbauend) den Bereich von Staat und Gesellschaft getrennt behandelt. Die Verfassung war ihr ein Organisationsschema, und Demokratie reduzierte sich auf den „status activus" in Wahl und okkasionellen plebiszitären Akten. Erst das sozialwissensdiaftlidie Vorgehen Hermann Hellers ermöglichte eine Staatslehre, die sowohl die Prozesse der politischen Machtbildung als auch die durch verfaßte Organe wahrgenommene politische Machtausübung umfaßt Heller unternimmt den ersten Versuch der Vermittlung von gesellschaftsbezogener Analyse und Staatslehre. Artikel 20 I und 28 1,1 des Grundgesetzes sind die Normierung einer vom liberalen Rechtsstaat entscheidend abweichenden Verfassungswirklichkeit: Gesellschaft bleibt nicht mehr sich selbst überlassen, sondern ihre Entwicklung und Erneuerung wird politisch vermittelt. Ein großer Teil der Lehre entnimmt dem Sozialstaatsprinzip nur eine subsidiäre Zuständigkeit und Pflicht zur Administration lebensnotwendiger Leistungen. Dieser entpolitisierten Interpretation des Sozialstaates steht eine Konzeption von Sozialstaatlichkeit gegenüber, die von der politischen Vermittlung des Staates mit der Gesellschaft Kenntnis nimmt und den Sozialstaat als Teilhabe an Leistungen und Mitbestimmung über Produktion und Verteilung der Güter begreift. Der Arbeitskreis könnte eine Vorbereitung für Vorlesungs- und Seminarrezensionen darstellen. 66

22 Konservative Revolution in der Nationalökonomie — Kritik der Keynesschen Theorie Kritik der Keynesschen Theorie Solange die bürgerliche Ökonomie die Rechtfertigungsideologie einer von den politischen — insbesondere staatlichen —Machtpositionen weitgehend ausgeschlossenen Klasse darstellte, war sich die Wirtschaftswissenschaft des Zusammenhanges von Wirtschaft und Gesellschaft ebenso bewußt wie der Wechselbeziehung von Theorie und Praxis. „Politische Ökonomie war nicht nur die adäquate und allgemein akzeptierte Bezeichnung dieser Fachdisziplin bei den bürgerlichen, sondern auch bei den sozialistischen Ökonomen. In dem Maße aber, wie die feudalistisch-aristokratische Gesellschaftsform von der bürgerlich-kapitalistischen abgelöst wird und die Machtposition des Kapitals im Staat sich festigt und unanfechtbar wird, vollzieht auch die bürgerliche Ökonomie unter dem Motto der „Wertfreiheit" dfe Abkehr von der „Politischen Ökonomie" zur sogenannten „Reinen Theorie". Die kapitalistische Rationalität schlägt sich nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis nieder und verdrängt damit auch den letzten Rest historischer Vernunft. In dem Bestreben, ihre Kategorien den Strukturen der Wirklichkeit anzugleichen, gerät in der reinen Ökonomie die Erforschung der Praxis zur bloßen Ontologie. Der gemeinsame Ursprung von Theorie und Praxis läßt sich in der kapitalistischen Rationalität nur dann aufrechterhalten, wenn es gelingt, die Widerspruchsfreiheit der Theorie auf die Praxis zu übertragen; an der Funktionsfähigkeit der Praxis erweist sich die Funktionsfähigkeit der Theorie und umgekehrt. Keynes liefert dem Kapitalismus ein Instrumentarium, das einen radikalen Bruch mit der liberalen Harmonieillusion darzustellen vorgibt, in Wirklichkeit aber nur den angesichts der gegenseitigen Durchdringung von Staat und Großkapital überflüssig gewordenen Teil der Liberalismuskonzeption abstößt. Keynes hat mit seinem scheinbar unkonventionellen Denkansatz dem Kapitalismus einen Ausweg aus der Krise gewiesen, indem es ihm gelang, ein den veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen adäquates Modell zu liefern. Sein Verdienst liegt darin, aus der damals unübersehbaren Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis im Kapitalismus die Konsequenzen zu ziehen und eine Theorie zu liefern, welche die bestehende Gesellschafts- und Herrschaftsordnung im wesentlichen unangetastet läßt. Die konkreten — an sich interessengebundenen — Mächte Staat, Kapital und Arbeit werden in bloße operationale Größen wie ASt, I, C etc. umfunktionalisiert, die in Beziehung zum Volkseinkommen Y — dem formalisierten Rest eines „Gesamtinteresses" — stehen. Es kann nicht Aufgabe dieser Arbeitsgruppe sein, das Keynessche System zu verfeinern oder von innen heraus zu kritisieren. Es soll jedoch versucht werden, neben einer gründlichen Darstellung des Systems die Voraussetzungen und Wirkungen zu analysieren, die seine Rezeption für Theorie und Wirklichkeit hat. Im Rahmen des Programms soll also daran erinnert werden, daß die Lehre des Keynesschen Systems an einer Fakultät geschieht, die den Namen „Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät" trägt und die deshalb die gesellschaftliche Bedingtheit einer theoretischen Konzeption reflektieren sollte. Da dies bisher nur unzureichend geschehen ist, soll es im Rahmen der KU nachgeholt werden. 1. und 2. Sitzung Gesamtdarstellung des Keynesschen Systems 67

(Wirtschafte- und dogmengeschichtliche Einordnung; relevante Kategorien und deren Zuordnung; das Modell; Dynamisierung und Erprobung am konkreten Fall) 3. Sitzung Interesse und Eigentum in der Keynesseben Theorie (Eigentum an Produktionsmitteln rechtfertigt die Stellung des Unternehmers; seine Dominanz erfährt durch die Theorie ihre Stabilisierung.) 4. Sitzung Die Behandlung der Arbeit in der Keynessdien Theorie (Auch eine Theorie der Arbeit muß die Vorherrschaft des Kapitals anerkennen; sie wird zum Faktor und muß gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen untergeordnet werden.) 5. Sitzung Der Einbau der Staatetätigkeit in die Keynessche Theorie (Die Staatstätigkeit wird zum integralen Bestandteil der Keynesschien Ökonomie; er subventioniert eine obsolet gewordene Unternehmerwirtschaft, die Theorie liefert die Rationalisierung dieser Interessenkoalition.) 6. Sitzung Struktur und Geschichte in der Keynessdien und Post.-K.-schen Theorie (Die neue Dimension der zeitlichen Entwicklung von einem Zustand zum anderen löst die Theorie durch Einführung von Zeitindices; diese ahistorische Darstellung verhindert die Frage nach der Herkunft bestimmter Erscheinungen.) 7. Sitzung Versuch eines Gegenmodells (In einem Gegenmodell müßte die Arbeit wieder zum eigentlichen Element der wirtschaftlichen Entwicklung erhoben werden.)

23 Verschüttete Aufklärung — der affirmative Charakter der gegenwärtigen Literaturwissenschaft Die Aufgabe des Seminars ist es nicht nur zu untersuchen, in welchem Maße die Germanistik die herrschende Ideologie aufnimmt und reproduziert, sondern vor allem zu analysieren, wieweit sie geeignet und bereit ist, affirmative Funktionen in der Gesellschaft zu übernehmen. In der Betrachtung ihrer historischen Entwicklung sollen ferner die Gründe dafür aufgezeigt werden, weshalb der Versuch einer kritischen Literaturgesdiichtsschreibung im Geist der Aufklärung, wie ihn z. B. Gervinius und andere unternahmen, vergeblich blieb, d. h. den weiteren Verlauf dieser Wissenschaft nicht bestimmen konnte. Die Untersuchung wird der Hypothese folgen, daß der affirmative Charakter dieser Wissenschaft schon konstitutiv für sie war, bevor sich die Fiktion einer wertfreien Wissenschaft verbreitete — die als „wertfreie" doch nur frei ist gegenüber Wertsetzungen von außen; statt deren irrationalen und konservativen Gehalt mit den verbliebenen Mitteln bloßzulegen, lieferte sie sich ihnen infolge ihrer Insistenz auf der Fiktion einer wertfreien Wissenschaft um so hilfloser aus. So erwiese sich die fast reibungslose Integration der Germanistik in den Faschismus als äußerste Konsequenz ihrer Implikationen.) Das Seminar besteht aus fünf Arbeitsgruppen: 68

1. Sie wird sich mit der Literaturwissenschaft, insbesondere der Literaturgeschiditsschreibung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigen, um die historischen Voraussetzungen ihrer späteren Entwicklung aufzuzeigen. Sie soll außerdem Kriterien für eine aufklärerische, d. h. gesellschaftsbezogene Literaturwissenschaft erarbeiten und die Behauptung von der notwendigen Entwicklung der Germanistik zu einer konservativen und nationalistischen Wissenschaft überprüfen. 2. Sie soll sich mit dem klassischen Positivismus (Scherer/Schmidt-Schule) und der Reflexion des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Chauvinismus in der deutschen Literaturwissenschaft befassen. 3. Hier steht im Mittelpunkt die antihistorische und mystizistische George-Schule (Gundolf, Bertram etc.), die Diltheyrezeption und die an ihn anschließende sog. geisteswissenschaftliche Schule. Das Schwergewicht der Arbeit liegt bei den Arbeitsgruppen 4 und 5. 4. Sie untersucht an ausgewählten Modellen die affirmativen Faktoren und Tendenzen in der Gegenwartsgermanistik (ab 1945) und entwickelt zugleich in fortschreitender Arbeit die Kategorien ihrer Kritik. Ausgehend von der Rezeption eines bedeutenden Autors (1. Modell), z. B. Kleist, führt der nächste Schritt zur Rezeption einer ganzen Epoche (2. Modell), z.B. Barock, um schließlich zur Analyse der bedeutendsten Standardwerke der gegenwärtigen Germanistik (3. Modell), z.B. Staiger, Kayser, und zur Untersuchung der meistbenutzten Literaturgeschichten (4. Modell), z. B. de Boor/Newald, fortzuschreiten. Als letztes Modell ist die Betrachtung progressiver und gesellschaftskritischer Literaturwissenschaftler vorgesehen bzw. jener, die sich als solche verstehen. 5. Sie wird auf empirisch-statistischer Basis versuchen, einen Überblick über die Produktion der Nachkriegsgermanistik zu gewinnen. Am Beispiel der Westberliner Germanistik sollen Dissertationen und Lehrstuhlpublikationen mit Hilfe vorläufiger Klassifikationen in methodischem Ansatz und Themenstellung analysiert und der Zusammenhang von Lehrangebot und Forschungsproduktion ermittelt werden. Dabei werden Umfang und zeitliche Erstreckung methodischer Richtungen und die Abhängigkeit der wissenschaftlichen Entwicklung von institutionellen und personellen Faktoren festgestellt. Aus dieser Modellstudie sollen Ansätze gewonnen werden für eine Theorie der wissenschaftlichen Reproduktion der Germanistik. Das induktive Verfahren der Gruppe macht eine ständige Orientierung an den Ergebnissen der AG 4 notwendig, denn eine genauere Aussage über die Bedeutung einzelner Schulen und Richtungen ist ohne empirische Grundlage nicht möglich. Zur Methodik und Didaktik des Seminars: Um die herkömmliche Arbeitsweise der Universitätsseminare audi praktischer Kritik zu unterwerfen, soll (besonders in AG 4) die dort erzeugte spezialistische Isolation durchbrochen werden; die individualistischen, vom Konkurrenzstreben diktierten Arbeitsmethoden werden weitgehend durch kollektive ersetzt, d. h. jedes Modell und damit jeder Gegenstand wird von allen Teilnehmern bearbeitet und anschließend gemeinsamer Reflexion und Diskussion unterzogen. Basis des Seminars sind die Arbeitsgruppen; sie tagen wöchentlich. Voll69

Sitzungen finden monatlich statt. Die auf den einzelnen Sitzungen der Gruppen erarbeiteten Ergebnisse werden schriftlich niedergelegt und allen übrigen Teilnehmern zugänglich gemacht. Zu den jeweiligen Vollsitzungen legt jede Gtuppe einen Arbeitsbericht vor, der, durch einen kürzeien mündlichen Vortrag ergänzt, als Diskussionsgrundlage dient. Vor den Seminarsitzungen besprechen die Koordinatoren und andere interessierte Mitgliedei der Gruppen ihre Ergebnisse und stimmen sie für die Sitzung thematisch aufeinander ab. Im Vordergrund steht nicht so sehr die Fixierung inhaltlicher Ergebnisse als die Erarbeitung von Methoden und Begriffen, die einem Leinprozeß dienen sollen, dem es zunächst mehr um die Spontaneität und das Bewußt sein des Einzelnen als um die Rezeption vorgegebener Fakten geht. Erst am Ende des Semesters kann das ganze erarbeitete Material mit Hilfe der im Laufe der Praxis gewonnenen Kriterien erneut auf seine sachliche Gültigkeit redigiert werden. Es ist beabsichtigt, im Rahmen des Seminars auch Vorlesungsrezensionen anzufertigen. Teilnehmerkreis: Studenten und Personen mit entsprechenden Vorkenntnissen.

24 Ideologiekritik der akademischen Psychologie An ausgewählten Arbeitsbereichen der akademischen Psychologie soll untersucht werden, inwieweit sie in einer versteckt normativen Strategie der Aufrechterhaltung von Herrschaft dient: Eine Begabungspsychologie zum Beispiel, in der mittelständisch orientierte Psychologen die Leistungen sozial privilegierter, begabter Kinder zur Norm erklären, führt in ihrer Operationalisierung zur Konstruktion von Auslesetests für Sekundärschulen, deren Elemente mittelständischen „bias" zeigen, an denen also soziokulturell unterprivilegierte Schüler scheitern. Eine Sozialpsychologie, in der die Auswirkungen von Herrschaftsverhältnissen in ein Strukturschema eingehen und als objektiv ausgegeben werden, dient der Hinnahme von Herrschaft und der Uberlieferung dieser Hinnahme an die Studenten. Eine pädagogische Psychologie, die mit falschem karitativem Zungenschlag ihre Klienten an eben jene gesellschaftliche Praxis wieder anpaßt, derentwegen sie zum Fehlverhalten konditioniert wurden, beseitigt zwar eklatante Widersinnigkeiten und Ungerechtigkeiten, aber nur, um die eigentlich unterdrückende Funktion des Herrschaftssystems desto nachdrücklicher zu bestätigen. Die Arbeitsgruppe wird erst einen genauen Arbeitsplan ausarbeiten.

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Mathematik und Naturwissenschaften (25, 26) Die Naturwissenschaften begreifen sidi in der heutigen Universität als gesellschaftlich unabhängige Wissenschaften, deren einzige Aufgabe es ist, Natur zu erkennen und sich selbst fortzuentwickeln. Eine historische Einordnung des heutigen Erkenntnisstandes erfolgt so lediglich als Darstellung der eigenen Entwicklung ohne Reflexion der jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Sichtbaren Niederschlag findet dieses Selbstverständnis dort, wo nach Antworten auf die Motivation zu wissenschaftlicher Arbeit gesucht werden muß: im Bildungswesen. So konservieren die Naturwissenschaften ein unpolitisches Verständnis, das bei der Frage nach der Verantwortung der Arbeit schon am Paradebeispiel der Atombombe so sehr ins Wanken gerät, daß dieses Beispiel bereits fatalistisch als Beweis politischer Ohnmacht benutzt wird. Folgende Arbeitskreise haben sich gebildet:

25 Zur Ideologie der Naturwissenschaften in der Schule In der Schule werden häufig Themen und Probleme durchgenommen, deren Auswahl und Art der Behandlung meist mit den Erfordernissen und der Eigengesetzlichkeit des Faches begründet werden. Da der Schüler diese Erfordernisse meist nicht überprüfen kann, werden hier gerade im mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht durch Lehrbücher und Unterrichtsgestaltüng Standpunkte und daraus resultierende Verhaltensweisen von Schülern und Lehrern gefördert, die weder den heutigen gesellschaftlichen noch den wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht werden. In diesem Seminar sollen die hierbei wirksamen Mechanismen aufgedeckt und auf ihre Berechtigung und Wirksamkeit hin untersucht werden. Dabei sollen möglichst auch Alternativen zur heutigen Situation diskutiert und entwickelt werden. An dieser Arbeitsgruppe Sollten außer Naturwissenschaftlern und Mathematikern auch Politologen, Soziologen, Psychologen, Lehrer und Schüler teilnehmen.

26 Die Ideologie der Wertfreiheit in den Naturwissenschaften a) Der Begriff der Wertfreiheit (Versuch einer Definition) b) Der Wertfreiheitsbegriff in der Geschichte der Naturwissenschaften Die Ursachen seiner Entstehung Hat der Begriff zur progressiven Entwicklung der Naturwissenschaften beigetragen? Wie änderte sich die Stellung des Naturwissenschaftlers nach der Entstehung des Wertfreiheitsbegriffes? c) Die Auswirkungen innerhalb der modernen Naturwissenschaft Die Entwicklung der Atombombe Die Rolle der IG-Farben im Dritten Reich Die amerikanische Rüstungsforschung am Beispiel des Vietnamkrieges Die neueren genetischen Forschungen der Biologie 7t

d) Kritik des Selbstverständnisses der Naturwissenschaft Die Funktion des Begriffes Wertfreiheit der Naturwissenschaft in der heutigen Gesellschaft Ist der Begriff der Wertfreiheit angesichts der gesellschaftlichen Struktur noch sinnvoll? Die Verantwortung der Naturwissenschaftler an den Auswirkungen ihrer Forschungsergebnisse Naturwissenschaft ohne Wertfreiheitsbegriff An dieser Arbeitsgruppe sollten außer Naturwissenschaftlern noch Soziologen, Historiker, Politologen und Philosophen teilnehmen.

27 Herbert Marcuse: „Der eindimensionale Mensch" und die Theologie Eine offene Auseinandersetzung der Theologie mit dem Marxismus ist erst jungen Datums. Dabei beschrankte sich der Dialog auf philosophische Grundlagenfragen. Der junge Marx und Ernst Bloch sind die bevorzugten Gegenstände rivalisierender Entwürfe. Gesellschaftskritische Analysen als Vermittlung der Theorie werden nicht riskiert, geschweige denn die Praxis möglicher gemeinsamer Aktionen. Herbert Marcuse gibt hier der Theologie wichtige Anstöße. In diesem Wintersemester soll auf Initiative der Evangelischen Studentengemeinde der FU zunächst „Der eindimensionale Mensch" als Leitfaden benutzt werden, um die Theorien Marcuses und ihre Vermittlung zu sichten, um erste theologische Antworten zu versuchen, die vor allem Probleme der Hermeneutik und Sozialethik betreffen. Im Sommersemester 1968 sollen die erreichten Ergebnisse vertieft werden durch den Versuch, die Freud-Rezeption Marcuses in „Triebstruktur und Gesellschaft" auszuwerten in ihrer Bedeutung für die theologische Anthropologie. Die Arbeitsweise des AK wird vor allem Interpretation von Texten sein; die theologische Problematik sollte am Schluß in Thesenform festgehalten werden.

Kirchliche Hochschule 28 Methodik der gewaltlosen direkten Aktion 1. Vortrag: Einführung in die Methodik der direkten Aktionen in Formaldemokratien (2.11.1967) 2. Workshop: Zivile Ursurpation sozialer Rollen, untersucht am Beispiel amerikanischer sit-ins (9.11. 1967) 3. Vortrag: Die Aktionsmethoden der englischen, amerikanischen und deutschen Atomwaffengegner (16.11.1967) 4. Workshop: Erörterung der Planung und Durchführung eines Sitzstreiks am Beispiel des sit-down des „Committee of hundred" in London am 17.9.1961 (23.11.1967) 5. Vortrag: Das Verhalten von Demonstranten gegenüber der Polizei und einer aufgebrachten Öffentlichkeit (30.11.1967) 6. Workshop: Soziodrama: Konfrontation von Demonstranten, Polizisten 72

oder gewalttätigen Zivilisten (7.12. 1967) 7. Vortrag: Gewaltfreie direkte Aktion zur Demokratisierung der Hochschule (14.12.1967) 8. Workshop: Erörterung der Wirkungsweise verschiedener direkter Aktionen im Universitätsbereich und in der Öffentlichkeit (Vorlesungsstreik, sit-in, picketing etc.) (11.1.1968) 9. Vortrag: Zur Methodik der kolonialen Revolution, Frantz Fanon und M. K. Gandhi (18.1.1968) 10. Podiumsdiskussion: Black Power — Guerillakrieg in den Städten? (25.1.) 11. Wochenendseminar: Methoden direkter Aktionen zur Demokratisierung Berlins Methodik der gewaltlosen direkten Aktion Das Ziel der fortschreitenden Demokratisierung der deutschen Bevölkerung ist ohne intensive selbstkritische Reflexion nicht erreichbar. Um diese Methodik demokratischer direkter Aktion zu erarbeiten, sollen die Erfahrungen ausländischer Bürgerrechtsbewegungen geprüft werden. Vorträge mit anschließender Diskussion sollen einen Wissensfundus vermitteln. In workshops soll an bestimmten Modellfällen die Methodik der direkten gewaltlosen Aktion entwickelt werden. Der Teilnehmerkreis ist nicht beschränkt. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Studentischen Hochschule an der Kirchlichen Hochschule Berlin statt. Ort wahrscheinlich ESG-Heim.

29 Möglichkeiten und Probleme politischer Theologie „Die Gefahr des Unfriedens, der Unfreiheit, der Ungerechtigkeit ist zu groß, als daß die Gleichgültigkeit ihr gegenüber nicht zum Verbrechen werden könnte." Mit diesem Satz schließt Prof. Johann B. Metz seine Diskussionsthesen über „Christliche Religion und gesellschaftliche Praxis". Diese Thesen dienen dem Seminar als Ausgangspunkt und Diskussionsgrundlage. Anschließend sollen andere exemplarische Möglichkeiten der Verbindung von Politik und Theologie erörtert werden. Mit welchen anderen Formen theologischen Denkens, das auch seiner Intention nach politisch relevant sein will, das Seminar sich eingehender beschäftigt, soll sich aus der Diskussion mit Hilfe des in den ersten Sitzungen erarbeiteten Informationsstandes ergeben. Arbeitsweise: Das Seminar soll sich aus Teams zu je drei Teilnehmern zusammensetzen. Für die Gestaltung jeder Sitzung ist ein Team verantwortlich. Das Team formuliert eine Reihe von Thesen, die in der Sitzung von den Mitgliedern erläutert, verteidigt und in Frage gestellt werden. Die Ergebnisse der Sitzungen sollen zu Artikeln verarbeitet und möglichst veröffentlicht werden. Professor Metz ist eingeladen und hat zugesagt, an der Kirchlichen Hochschule ein Referat zu halten und mit dem Seminar zu diskutieren. Der Teilnehmerkreis ist nicht beschränkt. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Studentischen Hochschule an der Kirchlichen Hochschule statt.

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Pädagogische Hochschule Die Pädagogische Hochschule wird keine eigenen Veranstaltungen der Kritischen Universität haben. Im regulären Vorlesungsbetrieb werden aber mehrere Veranstaltungen angeboten, die sowohl formal als auch inhaltlich der Kritischen Universität entsprechen. Auf folgende Lehrveranstaltungen wollen wir aufmerksam machen: 1. Helmut Kentier: Sexualerziehung, Mi 17.00 bis 19.00 Uhr 2. Kramp/Bongard mit Gästen: Die verwaltete Schule, Fr 11.00 bis 12.00 Uhr 3. Gottschalch/Müller/Soukup- Strategie und Taktik politischer Aktionen als didaktisches Problem, Fr 17.00 bis 19.00 Uhr 4. Hochheimer: Politische Psychologie, Mo 15.00 bis 17.00 Uhr

31 Strategie und Taktik politischer Aktionen als didaktisches Problem Dieses Seminar beschäftigt sich mit den großen Revolutionären des 19. und 20. Jahrhunderts. Es untersucht die Strategie und Taktik ihrer Aktionen an Hand der theoretischen Schriften und der revolutionären Praxis. Dabei sollen praktikable Ergebnisse für die politischen Aktionen der Studentenschaft gefunden und methodische und didaktische Möglichkeiten hinsichtlich der Vorbereitung politischer Aktionen studentischer und anderer Gruppen erarbeitet werden. Das Seminar ist gleichzeitig ein hochschuldidaktisches Experiment, in dem sich aus ihm heraus eine Reihe ausschließlich studentischer Übungen entwickelt. Eine „ Seminarleitung" durch Dozenten gibt es nicht. Eine abschließende Reflexion soll die hochschuldidaktischen Ergebnisse fixieren.

32 Sexualerziehung Am Beispiel der Sexualerziehung soll gezeigt werden, welche Bedeutung repressive und nichtrepressive Erziehungsprozesse für die Sozialisation haben. Die Konzeption einer „nichtrepressiven Sexualerziehung" soll entwickelt-und Folgerung für die Berliner Schule gezogen werden. Das Seminar stützt sich auf die Werke von Herbert Marcuse, besonders auf „Triebstruktur und Gesellschaft" und auf ein im Wintersemester erscheinendes Buch des Juventa-Verlages, München, dessen Titel noch nicht bekannt ist. Planung und Form des Seminars wird von allen Teilnehmern in der ersten Sitzung entwickelt.

33 Politische Psychologie In diesem Seminar soll eine kritische, auch tiefenpsychologische Verhaltens- und Gesellschaftsanalyse vollzogen werden. Die Thematik umfaßt Gebiete wie: Der Sozialisierungsprozeß: Anpassung an Autorität, repressive Kollektivierung oder Erziehung zu gesellschaftlicher Mündigkeit, öffentliche Meinung und Propaganda, Massenmedien: Lenkung von wem und wozu? Stereotype und Vorurteil als psychologischer Komplex Autorität, Macht, Aggression: Verhinderung oder Förderung von Humanität? Kritik der repressiven Toleranz zum Selbstverständnis politischer 74

Demonstranten und Gegendemonstranten in Abhebung von non-engagement. Letzterer Themenkreis stützt sich auf Material über den Schahbesuch in Deutschland vom Juni 19^7.

HOCHSCHULE FÜR BILDENDE KÜNSTE 1. Kritische Vortragsreihe „Kunst und Gesellschaft" Es wurde eine Veranstaltungsreihe von wöchentlich stattfindenden Vorträgen mit wechselnden Referenten gewählt. Die Vortragsreihe zielt ab auf die Findung eines neuen Selbstverständnisses der Kunsthochschulen und des Kunststudenten in soziologisch-politischer Hinsicht. Für die Vortragsreihe wird ein detaillierter Themenplan noch ausgearbeitet. 2. Architektur-Arbeitskreis „Analytisch-kritischer Vergleich: Der Architekt — Ausbildung und Bedeutung in der heutigen demokratischen Gesellschaft — Modellfall für die Zukunft" In diesem Arbeitskreis finden sich Professoren, Assistenten und Studenten zusammen, um in Erweiterung der in der Durchführung befindlichen Reformbestrebungen in der Substruktur der SHFBK im Sinne der KU ein gesellschaftskritisches Bild des Ardiitekten, seiner Ausbildung und seiner soziologischen Funktion zu erarbeiten.

Das Ende der Utopie Herbert Marcuse diskutiert mit der außerparlamentarischen Opposition Westberlins an der Freien Universität Berlin über die Möglichkeiten und Chancen einer politischen Opposition in den Metropolen in Zusammenhang mit den Befreiungsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt Dieser Band erscheint im November 1967; er umfaßt 152 Seiten und enthält das vollständige Protokoll der Juli-Veranstaltungen mit Herbert Marcuse. zu beziehen durch den Buchhandel zum Preise von 6,— DM Programm 1. Der Verlag ist ein politischer Verlag der Opposition in den Metropolen und der Dritten Welt. 2. Als Herausgeber können alle oppositionellen Gruppen und Einzelne fungieren. 3. Der Verlag arbeitet auf privatwirtschaftlidier Basis, dient aber nicht der privaten Akkumulation; er hat eine offene Buchführung. 4. Der Verlag ist ein Projekt-Verlag, d. h. Ziel sind Publikationen und Verwendung der Einnahmen zu politischen Zwecken. 5. Der Verlag schlägt eine dezentralisierte Zentralisierung mit anderen politischen Verlagen zum Zwecke der Absprache und Diskussion der Projekte vor. 6. Ferner werden zur Verminderung der Produktionskosten technische Kooperationen vorgeschlagen.

Verlag Peter von Maikowski, 1000 Berlin 62p Crellestraße 22 75

INHALT Vorwort 2 Vorgeschichte und Dokumente Erklärung des Allgemeinen Studentenausschusses der Freien Universität zu dem Gutachten Knauer-Borinski 9 Helmut Gollwitzer: Von der Wissenschaftlichkeit eines wissenschaftlichen Gutachtens 20 Norman Birnbaum: Gegenuniversitäten in den USA 26 Kenkyukai — Ein Brief aus Japan 28 „Akademische Drachensaat" (aus: NEUES DEUTSCHLAND .. .1948) 30 Diskussionsbeiträge „Politisierte Wissenschaft" 31 Die Freie Universität als unkontrolliertes Experiment 34 Die Bedeutung der Kritischen Universität für die Studenten der Technischen Hochschulen 39 Die Gegenuniversität in der Kritischen Universität 40 Wie wird die Kritische Universität arbeiten? 42 Ziele und Organisationen der Kritischen Universität Verzeichnis und Programm der Arbeitskreise 44 1 Hochschulgesetzgebung — Hochschulreform — Hochschulrevolte 48 2 Technische Intelligenz und Gesellschaft 49 3 Vorlesungsrezensionen und Prüfungskritik 49 4 Prüfungskritik in den Naturwissenschaften 49 5 Funktion der Intelligenz und der Wissenschaft im Vietnam-Krieg und in der imperialistischen „Entwicklungspolitik" 49 6 Das Modell Kuba und die Zukunft Lateinamerikas 51 7 Wirtschaftskrise und Sozialpolitik in Westberlin 51 8 Arbeitskreis Springer-Tribunal 52 9 Politische Sprache und gesellschaftlich falsches Bewußtsein 53 10 Sexualität und Herrschaft 55 11 Sexualität und Bewußtseinsindustrie 56 12 Arbeitsmedizin 56 13 Medizin ohne Menschlichkeit 57 58 Arzt und Gesellschaft 58 15 Psychosomatische Medizin 59 16 Herrschaftsstruktur der Schule und Rolle des Lehrers 60 17 Mitbestimmungsmöglichkeiten für Schüler 60 18 Konkrete Didaktik: Theorie und Praxis politischer Bildung 62 19 Kritik und Analyse Westberliner Lehrpläne und Lehrbücher zur politischen Bildung 62 20 Architektur und Gesellschaft 63 21 Rechtsstaat und Demokratie in Deutschland — Herrschaft und Interesse 65 22 Konservative Revolution in der Nationalökonomie — Kritik der Keynesschen Theorie 67 23 Verschüttete Aufklärung — der affirmative Charakter der gegenwärtigen Literaturwissenschaft 68 24 Ideologiekritik der akademischen Psychologie 70 25 Zur Ideologie der Naturwissenschaften in der Schule 71 26 Die Ideologie der Wertfreiheit in den Naturwissenschaften 71 27 Herbert Marcuse: „Der eindimensionale Mensch" und die Theologie 72 Kirchliche Hochschule 28 Methodik der gewaltlosen direkten Aktionen 72 29 Möglichkeiten und Probleme politischer Theologie 73 Hochschule für Bildende Künste 30 Architektur, Kunst und Gesellschaft 75 Pädagogische Hochschule 31 Strategie und Taktik politischer Aktionen als didaktisches Problem 74 32 Sexualerziehung ^ 33 Politische Psychologie 74



JVaUrh&t • mit klarem Standpunkt und eigenem Profil • mit neuen Gedanken für eine neue Politik • mit Informationen, die Springer nicht bringt Bestellungen an: Zeitungsdienst Berlin, Berlin 21, Kaiserin-Augusta-Allee 101 Telefon: 3 90 70 41/42 „Die Wahrheit" erscheint viermal wöchentlich. Monatsabonnement 2,30 DM

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