Die Theosophie des Dionysius Areopagita: Eine Einführung in die christliche Theosophie III 9783959353120, 9783959353137

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Die Theosophie des Dionysius Areopagita: Eine Einführung in die christliche Theosophie III
 9783959353120, 9783959353137

Table of contents :
Die Theosophie des Dionysius Areopagita
VORWORT
INHALT
»EPIKLESE JESU«
ZUR MÄEUTIK DER ENGEL IM NOUS DES EINGEWEIHTEN
DIE ENGEL IM DIENST DER VERGÖTTLICHUNG DES MENSCHEN
VOM WESEN UND ZWECK DER »HIERARCHIE«
DIE MYSTAGOGISCHE WESENSSTRUKTUR DES NOUS
EXEGESE DER JESAJA-VISION
IKONOGRAPHIE ALS ANAGOGIE
ZUR MYSTAGOGISCHEN FUNKTION DER GÖTTLICHEN NAMEN
DIE KENOSIS GOTTES IM SPIEGEL DES SELBSTTÄTIGEN NOUS
»NOUS JESU« UND GEISTIGES SCHRIFTVERSTÄNDNIS
DIE THEOSOPHISCHEN ERFAHRUNGSEBENEN DES SYMBOLS
VOM MYSTAGOGISCHEN WIRKLICHKEITSGRUND JESU IM NOUS DES MYSTEN
DIE »KOIMESIS« ALS SCHLÜSSEL DER THEOSOPHIE
DER »NOUS JESU« UND DIE GENESE DES SYMBOLS
»HIERARCHIE« ALS URSPRUNG GÖTTLICHER EINWEIHUNG
VERGÖTTLICHUNG UND SYMBOLBILDENDE VOLLMACHT
GEMEINDE ALS MYSTENSCHAFT JESU
ZUR MYSTAGOGIE DER TAUFE
ZUR MYSTAGOGIE DER EUCHARISTIE
ZUR MYSTAGOGIE DER MYRONSALBUNG
ZUR SYMBOLTHEORIE DES 9. BRIEFES
ZUSAMMENFASSUNG
BIBLIOGRAPHIE

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Jörg Weber

Die Theosophie des Dionysius Areopagita Eine Einführung in die christliche Theosophie III

Weber, Jörg: Die Theosophie des Dionysius Areopagita. Eine Einführung in die christliche Theosophie III, Hamburg, disserta Verlag, 2016 Buch-ISBN: 978-3-95935-312-0 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95935-313-7 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2015

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VORWORT Die Schriften des Corpus Areopagiticum sind beseelt vom Wurzelbewusstsein des esoterischen Christentums. Sie stehen in der uroffenbarungsgeschichtlichen Tra­ dition einer prisca sapientia, die das verborgene Wesen des Christentums dem Menschen durch eine Geheimlehre zugänglich zu machen beabsichtigt. Die christ­ liche Geistlehre des Dionysius steht damit aber in einem grundlegenden Span­ nungsverhältnis zur Theologie, die als »kanonisches Wissen von der Offenba­ rung« den Hieratismus des kirchlichen Kultsystems selbst für „Mystagogie", das heißt für das Arkanum des Christentums ausgibt. Nach Dionysius Areopagita ist Mystagogie aber nur dann von göttlicher Herkunft, wenn die selbstentäußerte Gottheit des Logos sich als Antlitz (πρόσωπον) Jesu im gottförmigen Nous des Mysten selbst inkarniert. Vergöttli­ chung ist Schau (θεωρία), die der Nous des Mysten von der in ihm fleischgewor­ denen Gottheit Jesu selbst aktuiert. Sie isttheosophische Erkenntnis (γνώσις) der sich im Nous ereignenden Kenosis Jesu, die der Nous selbst macht, weil sie ganz seine ist. Die Vergöttlichung ist deshalb nicht im Sinne der palamitischen Theolo­ gie als bloße Teilhabe an der Energie Gottes zu verstehen, sondern sie ist ungeminderte Teilhabe des Mysten an der göttlichen Natur gemäß der im zweiten Pe­ trusbrief (2. Petr. 1, 4) gegebenen apostolischen Verheißung. Die göttliche Arkanwissenschaft der Mysten Jesu wird von Dionysius in der Schrift „Über die mystische Theologie" als die »Theosophie der Christen« (MTh 1,1; 997 A) bezeichnet. Diese Aussage bildet den Schlüssel zu einer authen­ tischen und organischen Deutung des Corpus Areopagiticum, die zugleich die palingenetische Entstehung des theosophischen Wurzelbewusstseins vom geisti­ gen Ursprung des Christentums selbst im Hermeneuten voraussetzt. Das heißt konkret, dass eine Erfahrung, wie sie die christliche Theosophie des Dionysius darstellt, historiographischem „Forschungsdenken" unzugänglich bleibt. Denn es gilt, wie Dionysius selbst sagt, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann. Dies aber bedeutet nichts anderes, als dass unser Interesse an Texten von spirituellem Erfahrungshorizont nur durch Transformation unseres eigenen Gei­ stes in das Erkenntnislicht des theosophischen Wurzelbewusstseins gerechtfer­ tigt werden kann, durch die das Denken selbst vom »Fluch des Gesetzes« (Gal. 3, 13) befreit und dadurch zu eigener Mystenschaft befähigt wird, die der Sinn ei­ ner Überlieferung von Offenbarung selbst ist. Die Einsicht in den theosophischen Ursinn des Corpus Areopagiticum lässt Zweifel wach werden, ob die palamitische „Synthese" mystischer Theologie als gelungen betrachtet werden kann, wie es uns die orthodoxe Theologie in ihrer anachronistischen f/mdeutung der patristischen Tradition weiszumachen ver­ sucht. Denn die mystische Theologie geht nach Dionysius auf die sie begründende Synapse Jesu selbst im Nous des Eingeweihten zurück und zugleich in dieser auf. Das göttliche Licht verweist deshalb auf die theosophische Bewusstseinswerdung des Mysten durch das sich im Nous verkörpernde »Antlitz« (πρόσωττον) Jesu selbst. So verwundert es nicht, wenn die Deutung des Taborlicht-Geschehens durch Gregor Palamas sich von der des Dionysius Areopagita (und auch von der des Maximus Confessor) grundlegend unterscheidet. Das theosophische Wurzelbewusstsein, das den Schriften des Dionysius zueigen ist, will den Menschen in eine Geheimlehre einführen, die von Jesus selbst stammt und darum auch nur von Jesus selbst gelehrt werden kann. So bil­

det der Nous im Lichte dieser Urerfahrung den theosophischen Wesensgrund, in dem sich die Kenosis der Gottheit selbst verwirklicht. Nach Dionysius ist Christ­ sein allein von der Mystenschaft des »Nous Jesu« abhängig. Denn die Mystenschaft des »Nous Jesu« stellt jene heilige Einweihung dar, durch die der Mensch sich als aus der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst geboren erfährt. Und nur eine solche Einweihung wird von Dionysius als „Theosophie der Chri­ sten" (De mystica theologia 1,1) bezeichnet. Diese Aussage ist folgenreich, da sie den historisch gewachsenen Kultmy­ thos des kirchlichen Offenbarungsglaubens bricht, indem sie ihn der Palingenese gottheitlicher Uroffenbarung im Mysten selbst opfert. Mit der Einsicht in das anamnetische Prinzip, durch das sich die »prisca sapientia« des Corpus Areopagiticum dem erleuchteten Bewusstsein des Mysten offenbart, vollzieht sich die Befreiung des Denkens vom Fluch des Gesetzes eines „kanonischen Offenba­ rungswissens", welche zugleich eine Befreiung des Denkens zu sich selbst, zur Wiedererlangung seines uroffenbarungsgeschichtlichen Wesens ist. Die Resultate, die das historiographische „Forschungsdenken" bezüglich der Hermeneutik des Corpus Areopagiticum vorzuweisen hat, stehen in einem krassen Missverhältnis zu ihrem materialen Aufwand und der Höhe ihres intel­ lektuellen Anspruchs. Deshalb muss sich dieses „Forschungsdenken" den Vor­ wurf der Ineffizienz gefallen lassen. Der Grund für dieses Scheitern des „For­ schungsdenkens" an der richtigen Deutung des Corpus Areopagiticum als eines Textes theosophischer Erfahrung liegt in dem methodologischen Grundirrtum eines innerhalb des abendländischen Vernunft-Kanons sich bewegenden und von diesem gefangen gehaltenen »Denkens selbst«. Das „Forschungsdenken" hat es versäumt, sein eigenes intellektuelles Bewusstsein auf den Prüfstand zu stel­ len und es als Selbstentfremdung vom Ursprung der Tradition der Offenbarung selbst zu erkennen. Die Tradition der Offenbarung selbst bleibt für den Kanon der Vernunft des Forschungsdenkens „Ding an sich". Damit aber wird das Denken selbst, welches der primordiale Mensch selbst ist, durch den Vernunftkanon vom Erkenntnisgrund göttlicher Offenbarung im Menschen selbst ausgeklammert. Damit aber büßt das Denken selbst seine Ursprungsrelation zur Offenba­ rung, das heißt seinen Wesensbezug zur Uroffenbarung(sgeschichte) der Gott­ heit selbst ein. In dieser Einbuße seiner theosophischen Substanz versteigt das entfremdete Denken sich zu dem Wahn, das Denken selbst zu „repräsentieren". Dieser Anspruch eines „repräsentativen" Denkens jedoch, mit dem der abendländische Vernunftkanon des „Forschungsdenkens" auftritt, verdrängt das »Denken selbst«, durch das die Uroffenbarungsgeschichte der Gottheit selbst im Menschen subsistiert, in die Schichten des Unbewussten der menschlichen Seele, aus denen die Gnosis der Tradition selbst nur befreit werden kann durch die Pa­ lingenese des Geistes (νους) im Lichte des theosophischen Wurzelbewusstseins von der Uroffenbarung der Gottheit.

INHALT

»EPIKLESE JESU«

1

ZUR MÄEUTIK DER ENGEL IM NOUS DES EINGEWEIHTEN

6

DIE ENGEL IM DIENST DER VERGÖTTLICHUNG DES MENSCHEN

9

VOM WESEN UND ZWECK DER »HIERARCHIE«

10

DIE MYSTAGOGISCHE WESENSSTRUKTUR DES NOUS

15

EXEGESE DER JESAJA-VISION

31

IKONOGRAPHIE ALS ANAGOGIE

36

ZUR MYSTAGOGISCHEN FUNKTION DER GÖTTLICHEN NAMEN

38

DIE KENOSIS GOTTES IM SPIEGEL DES SELBSTTÄTIGEN NOUS

40

»NOUS JESU« UND GEISTIGES SCHRIFTVERSTÄNDNIS

42

DIE THEOSOPHISCHEN ERFAHRUNGSEBENEN DES SYMBOLS

45

VOM MYSTAGOGISCHEN WIRKLICHKEITSGRUND JESU IM NOUS DES MYSTEN

52

DIE »KOIMESIS« ALS SCHLÜSSEL DER THEOSOPHIE

59

DER »NOUS JESU« UND DIE GENESE DES SYMBOLS

62

»HIERARCHIE« ALS URSPRUNG GÖTTLICHER EINWEIHUNG

67

VERGÖTTLICHUNG UND SYMBOLBILDENDE VOLLMACHT

72

GEMEINDE ALS MYSTENSCHAFT JESU

75

ZUR MYSTAGOGIE DER TAUFE

78

ZUR MYSTAGOGIE DER EUCHARISTIE

84

ZUR MYSTAGOGIE DER MYRONSALBUNG

92

ZUR SYMBOLTHEORIE DES 9. BRIEFES

97

ZUSAMMENFASSUNG

105

BIBLIOGRAPHIE

113

»EPIKLESE JESU« Dionysius beginnt seine Schrift „Über die Himmlische Hierarchie" nicht zufällig mit einer »Epiklese Jesu«, die uns eine umgekehrte Analogie zur »Epiklese des Hl. Geistes« in der Eucharistie nahebringt. Beide stehen gleichsam in einem chiastischen Verhältnis zueinander, durch welches sich das Mysterium der Kenosis Jesu in uns selbst erfüllt. Ούκοϋν Ίησοϋν έπικαλεσάμενοι, το πατρικόν φως, τό ον «τό άληθινόν, ο φωτίζει πάντα άνθρωπον έρχόμενον είς τον κόσμον», δι’ ού τήν προς τον άρχίφωτον πατέρα προσαγωγήν έσχήκαμεν, έπι τάς των ιερότατων λογίων πατροπαραδότους έλλάμψεις ώς έφικτόν άνανεύσωμεν και τάς ύπ’ αύτών συμβολικώς ήμιν και άναγωγικώς έκφανθείσας των ούρανίων νοών ιεραρχίας ώς οίοί τέ έσμεν έποπτεύσωμεν και τήν άρχικήν και ύπεράρχιον τοϋ θεαρχικοϋ πατρός φωτοδοσίαν, ή τάς των άγγέλων ήμιν έν τυπωτικοις συμβόλοις έκφαίνει μακαριωτάτας ιεραρχίας, άΰλοις και άτρεμέσι νοός όφθαλμοις είσδεξάμενοι πάλιν έξ αύτής έπι τήν απλήν αύτής άναταθώμεν άκτινα.1 Die areopagitische Rückbeziehung der Epiklese in der Göttlichen Liturgie aber auf die Jesus-Epiklese zu Beginn der „Himmlischen Hierarchie" hat es nicht auf einen Liturgie-Kommentar abgesehen, wie wir ihn als festen und traditions­ reichen Typus aus der Theologiegeschichte2kennen, sondern hier geht es viel­ mehr um die Rückführung der liturgischen Sprache und Handlung auf die kenomatische Wirklichkeit Jesu im Eingeweihten selbst3. Das Wesen des sakramen!CH I, 2; 121A - 121 B Günter Heil [Übers.], Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die himmlische Hierarchie [Bibliothek der Griechischen Literatur, Band 22], Stuttgart 1986, S. 28: „So wollen wir also Jesus herbeirufen, das Licht vom Vater, das wirkliche, «das wahre, das jeden Menschen bei seinem Eintritt in die Welt erleuchtet» [Joh. 1, 9], durch das wir «Zugang zum Vater haben» [vgl. Röm 5, 2; Eph 2,18], der Quelle des Lichts, und unsere Augen, so weit wir können, zu den durch die Väter vermittelten Erleuchtungen der allerheiligsten WORTE erheben und die Hierarchien der himmlischen Gedan­ ken, die sie uns in Symbolform und verweisend dargestellt haben, [wie Mysterienneulinge die heiligen Gegenstände] betrachten, soweit wir dazu in der Lage sind; sobald wir mit nicht beirr­ ten, durch die materielle Darstellungsform nicht getrübten Augen des Geistes erfaßt haben, daß es die ursprüngliche, ja jeden Begriff von Ursprung hinter sich lassende Lichtspendung vom Va­ ter, dem göttlichen Ursprung, ist, die uns die seligen Hierarchien der Engel in symbolischen Bil­ dern darstellt, wollen wir uns von dieser Darstellung zu der Ungeschiedenheit des Lichtstrahls emporrecken, der in ihr wirkt." Eine gelungenere Übersetzung von επί τάς των ιερότατων λογίων πατροπαραδότους έλλάμψεις bis έξ αύτής έπί τήν απλήν αύτής άναταθώμεν άκτινα bie­ tet dagegen Walther Tritsch in: Dionysios Areopagita, Die Hierarchien der Engel und der Kirche, München-Planegg 1955, S. 99/100: „Und laßt uns dann zu den vom Vater her überlieferten, in den Heiligsten Schriften enthaltenen Erleuchtungen uns wenden, nach unseren Kräften. Erschau­ en wir, so weit es uns möglich ist, die dort auf sinnbildlichen und anagogischen Wegen uns ange­ deuteten heiligen Ordnungen der himmlischen Geister. Versuchen wir, mit den reinen Augen des Geistes, ohne zu zucken, das ursprüngliche Licht in uns aufzunehmen, das Licht, das der über alle Ursprünge erhabene urgöttliche Vater über uns gnädig ergießen mag: dann offenbaren sich uns die seligsten Hierarchien der Engel in bildlich geformten Zeichen. Und hierauf blicken wir wieder zu ihrem ureinfachen Strahlenquell empor". 2Zu denken wäre hier etwa an klassische Liturgiekommentare wie die Ecclesiastica Historia et Mystica Contemplatio des Germanus von Konstantinopel [PG 98] oder die Sacrae Liturgiae Interpretatio des Nikolaus Kabasilas [PG 120], 3Charles M. Stang, Apophasis and Pseudonymity in Dionysius the Areopagite, New York 2012, S. 98: „Neither of the two treatises on hierarchies, it seems, can begin without explicit appeal to Jesus. And perhaps this goes well beyond the matter of the text: we cannot enter the hierarchies without Jesus. This is what Dionysius tells us in CH 1.2: "Jesus ...'through Whom we have access

1

talen Symbols wird damit der Gefahr enthoben, zum Gegenstand einer Liturgik zu werden, welche sich als Mystagogie missversteht. In einer solchen Antizipati­ on durch eine das Mysterium darstellen wollende Liturgik jedoch bleibt das im Nous des Eingeweihten wesensgegenwärtige Geistwort Jesu als Ursprung aller göttlichen Hierurgie unverwirklicht. Denn das noetische Wort der Mystagogie Jesu selbst ist der Ursprung göttlichen Kultes. Somit bleibt der Ursprung der gottheitlichen Mystagogie Jesu in der Liturgie dieser selbst verborgen. Diesen hingegen zu bergen obliegt einer »christlichen Theosophie«. Nur der Nous, welcher dem mystagogischen Wort Jesu selbst entspringt, vermag das Wesen der Hierurgie selbst auf diesen seinen erhabenen Ursprung zurückzuführen. Nur aus dieser Wesensreduktion der Hierurgie durch den gottförmigen Nous wird das Wesen der Hierurgie im Sinne des Areopagiten selbst begreifbar. Die »Jesus-Epiklese«*4 zu Beginn der „Himmlischen Hierarchie" des Diony­ sius Areopagita durchbricht die „mysteriologische" Deutung der sakramentalen Symbolik durch die Geburt des Bewusstseins von der gottheitlichen Wesensprä­ senz Jesu im Geistwort des Eingeweihten. Es ist gerade die Lehre von der im mystagogischen Wort des erleuchteten Nous selbst anwesenden gottheitlichen Selbstwirklichkeit Jesu, welche es unmöglich macht, die »christliche Theosophie« des großen Areopagiten im Rahmen einer traditionellen, d.h. einer „mysteriologischen" Hermeneutik auch nur ansatzweise zu begreifen. Denn diese Herme­ neutik offenbart eine tiefgreifende Legitimationskrise, da ihr ein heidenchristli­ ches Bild von Kirche zugrunde liegt, in dem diese noch nicht eingekehrt und zu­ rückgekehrt ist in das »gnostische Wurzelbewusstsein des Christentums selbst«. Die Verdrängung des Geistwortes Jesu durch eine „mysteriologische" Deutung des göttlichen Kultes koppelt die Spiritualität von dem Kriterium einer mystenschaftlichen Teilhabe des Menschen an Jesus selbst ab5. Da, wo Kirche und liturgische Anbetung Gottes nicht zurückgeführt werden auf das Geistwort Jesu im Nous des Eingeweihten selbst, da gebricht es der Kirche am Bewusstsein ihrer eigenen theosophischen Identität. Grund für die „mysteriologische" Krisis der Kirche ist die Unfähigkeit, das Geistwort Jesu im Nous des Mysten als Ursprung aller sakramentalen Symbolbildung (Hierurgie) zu begreifen. Das sakramentale [προσαγωγήν]’ to the Father, the light which is the source of all light.” Dionysius is here quoting Rom 5:2 - "Through [our Lord Jesus Christ] we have obtained access [προσαγωγήν] to this grace in which we stand, and we rejoice in our hope of sharing the glory of God.” If Dionysius’ under­ standing of Jesus as deifying light is based significantly on Paul’s experience on the road to Da­ mascus, and if Jesus is our access to the continuous stream of God’s work, then we might expect Dionysius to figure access on the model of Paul: as a private, luminous visitation of Jesus by which we are initiated into the deifying work of his Father. But in fact Dionysius does not under­ stand access as a private luminous visitation on each of our roads to Damascus. We obtain "ac­ cess” in the sacraments of the liturgy.” 4 CHI,2;121A: Ούκοϋν Ίησοϋν έπικαλεσάμενοι, το πατρικόν φως W.Tritsch[übers.], ibid., S.99: „Also laßt uns Jesus anrufen, das Licht des Vaters" 5 CH I, 2, 121 B: φωτοδοσίαν, ή τάς των αγγέλων ήμϊν έν τυπωτικοΐς συμβόλοις έκφαίνει μακαριωτάτας ιεραρχίας, άΰλοις καί. άτρεμέσι νοός όφθαλμοΐς είσδεξάμενοι πάλιν έξ αυτής επί τήν απλήν αυτής άναταθώμεν ακτίνα W. Tritsch [Übers.], Hierarchien, S. 99/100: „Versuchen wir, mit den reinen Augen des Geistes, ohne zu zucken, das ursprüngliche Licht in uns aufzunehmen, das Licht, das der über alle Ur­ sprünge erhabene urgöttliche Vater über uns gnädig ergießen mag: dann offenbaren sich uns die seligsten Hierarchien der Engel in bildlich geformten Zeichen. Und hierauf blicken wir wieder zu ihrem ureinfachen Strahlenquell empor"

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Symbol in das es begründende Geistwort Jesu im Nous selbst zurückzuführen6 ist ein Akt der Anamnese, der der Kirche selbst noch bevorsteht. Durch die „Auto­ nomie" des sakramentalen Symbols in der „mysteriologischen" Frömmigkeit7 wird dieses von dem es erst begründenden und bildenden mystagogischen Wort Jesu, welches Wort des Nous selbst ist, abgetrennt. Damit aber bleibt der eigent­ liche »anagogische Akt« der Kultleibwerdung Jesu, in welchem die Gemeinde als »Mystenschaft Jesu« konstituiert wird, aus. Aus einer bereits »verselbständigten« liturgischen Symbolsprache kann nur die Form des Liturgiekommentars erwachsen, welcher die Mystagogie in die sakramentale Symbolik der Liturgie hineinverlegt. Man kann hier von einer mysteriologischen Umkehrung jener Anamnese sprechen, deren untrügliches Kennzeichen die Palingenese des theosophischen Wurzelbewusstseins des Chri­ stentums selbst im Nous des Mysten Jesu ist. Damit soll ganz bewusst eine Auf­ fassung widerlegt werden, die den Symbolbegriff des großen Dionysius — allem Anschein folgend — in einen „mysteriologischen" Verständnishorizont einzurei­ hen versucht. Rückführung (reductio) bedeutet hier also alles andere als „Verengung" oder „Substanzverlust", sondern Erweiterung des Symbols in die es theosophisch erst begründende Mystenschaft des das mystagogische Wort Jesu in sich fassen­ den und aus sich verwirklichenden Nous8. Dennoch müssen wir den Begriff der Reduktion zugleich im sonst üblichen Wortverständnis als „Verengung" und „Verkürzung" verwenden, um einen geschichtlichen Prozess zu beschreiben, in dessen Verlauf das sakramentale Leben und das damit zusammenhängende Symbolverständnis ihre mystagogische Substanz eingebüßt haben. Das Geist­ wort Jesu, welches der Nous des Mysten selbst ist, wird ausgeklammert und durch einen kirchenchristlichen Kultmythos ersetzt. Damit aber ist eine Umkeh­ rung des Verhältnisses zwischen Begründendem und zu Begründendem vollzo­ gen, die selbst wiederum ins Symbol selbst hinein verlagert wird. Das Symbol selbst wird zum Deutungsmächtigen, das die Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem voraussetzt und zugleich mittels der Deutung, die jetzt wesentlich „Apriorität" des Symbolischen ist, zu überwinden sucht. Mit diesen Umrissen sollen die Konsequenzen erläutert werden, die zu ei­ ner Reduktion des Symbolbegriffes im Sinne einer Verkürzung führen. Es soll damit aber auch auf die Notwendigkeit verwiesen werden, die Entstehung einer „mysteriologischen" Deutung des Symbols aus der Komplexität von Rezeptions­ prozessen zu verstehen, die sich zwischen geschichtlich bedingter Wahrneh­ mung einerseits und der Intention göttlich inspirierten Schrifttums andererseits 6CH 1,2,121 A 7Alexander Schmemann hingegen hat in seinem bedeutenden Werk „Introduction to Liturgical Theology" [Crestwood/ New York 2003, 5th ed., S. 125-126] das Wort vom „breakthrough of mysteriological piety" im Kultverständnis der post-konstantinischen Kirche geprägt. Unter dem Einfluss paganer Mysterienreligiosität kam es nach Schmemann zu einer mysteriologischen Ver­ schiebung der Kultdeutung, die sich in der Kultpraxis der Kirche nachhaltig auswirkte. 8 CH I, 2; 121 E>: Kal γάρ ουδέ δυνατόν έτέρως ήμϊν έπιλάμψαι τήν θεαρχικήν ακτίνα μή τή ποικιλία των 'ιερών παραπετασμάτων άναγωγικώς περικεκαλυμμένην κα'ι τοΐς καθ’ ήμάς προνοία πατρική σνμφυώς κα'ι οίκείως διεσκευασμένην. [W. Tritsch [Übers.], ibid. S. 100: „Denn es ist nicht möglich, daß der urgöttliche Strahl unmittel­ bar in uns hineinleuchte, anders als durch die bunte Fülle heiliger Umhüllungen verdeckt: doch diese sind nur in väterlicher Fürsorge unserer Fassungskraft naturgemäß angepaßt und entspre­ chen stets einem höheren Sinn.”]

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ereignen können. In diesem Spannungsfeld kann ein Bild vom Rezipierten ent­ stehen, welches mit der dem Rezipierten zugrunde liegenden Intention nicht übereinstimmt oder sogar in Widerspruch steht. Unsere Aufgabe ist es, die »christliche Theosophie« des Areopagiten aus den Schichten ihres Verkanntseins zu bergen und für eine Erneuerung des Evangeliums aus dem mystagogischen Worte Jesu selbst nutzbar zu machen. Die »Epiklese Jesu«9, die Anrufung oder Herabrufung Jesu10 als des väterlichen, des wahren Lichtes, welches „jeden Men­ schen, der in die Welt kommt" erleuchtet und durch das wir Zugang zum Vater als dem Ursprung des Lichtes haben, diese Anrufung Jesu ist Symbol der Grund­ legung der areopagitischen Mystagogie durch die Kenosis Jesu allein und durch diese selbst. Denn es ist die unmittelbare Wesensgegenwart Jesu im Nous des Mysten, auf die alle Ebenen der gottheitlichen Mystagogie konzentrisch ausge­ richtet sind: Die Sphäre der himmlischen Geister, die dreifältige Gottheit, das Mysterium der Kenosis Jesu, die Mystenschaft des Menschen und die Hierurgie als Symbolbildung. Kurzum: Alles erfährt seinen theosophischen Wesensgrund im Nous, der den gottheitlichen Logos selbst kenomatisch in sich zu fassen ver­ mag. Und dieses Vermögen (potentia), diese »Dynamis« erwächst dem Nous aus der gottheitlichen Intentionalität des inkarnierten Logos11. Denn gottheitliche Intentionalität schafft Wesenheit. Es geht nicht um eine Schilderung individueller Gotteserfahrung, sondern um den im Nous verwirklichten theosophischen Wesensgrund, zu dem sich die Gottheit Jesu selbst entäußert, um den Menschen teilhaben zu lassen an der gött­ lichen Natur. In der einleitenden »Epiklese Jesu« der „Himmlischen Hierarchie" fasst Dionysius die Wesensstruktur seiner Idee gottheitlicher Mystagogie zu­ sammen, die in der Hierurgie der sakramentalen Symbolbildung ihren Abschluss findet. Hierurgie als Teil der Gesamt-Intention areopagitischer Mystagogie ist 9 Dieser »Epiklese Jesu« geht unmittelbar eine Anamnese voraus, die den Vater als den Ursprung aller Lichtspendung [mit Bezugnahme auf Jak.l, 17] preist. Der Epiklese Jesu wiederum sich an­ schließend wird die Mystagogie [oder Photagogie] Jesu in uns selbst gepriesen, durch die wir Zugang zum Vater als dem Ursprung des Lichtes haben, wodurch uns die Erleuchtungen der Hl. Schrift über die Engelsordnungen selbst zuteil werden. So setzt sich die Anamnese — von der Epiklese unterbrochen — fort, selbst emporgehoben zur von uns selbst getragenen göttlichen Wahrheit. Dass das Ganze die Form einer verkürzten Anaphora als Analogie zur Anaphora der Göttlichen Liturgie hat, muss Anlass sein zu tieferer Betrachtung. 10 Eine eklatante Verkennung der areopagitischen Idee von der Mystagogie Jesu im Nous des Eingeweihten stellt das Buch „Gott und die Seienden" [Göttingen 1976] von Bernhard Brons dar. Dort [S. 322] heißt es: „.Der Menschgewordene kommt überhaupt nur an den oben unter Punkt 2 zusammengefaßten Stellen in den Blick, die Rücksichtnahme auf christliche Traditionsstoffe zei­ gen. Aber auch dort erschöpft sich seine Funktion in der des Vermittlers bestimmter, ihm auf providenziell-hierarchischem Wege überkommener, von uns ebenso gut ohne ihn zu empfangen­ der Wissensinhalte [S. 261, 306f.], weswegen er ja auch folgerichtig in die Ordnung der Hierar­ chen eingegliedert wird [S. 261], Ferner ist er Vorbild bestimmter, von uns zu leistender mora­ lisch-erkenntnismäßiger Anstrengungen, der von uns zu vollziehenden Selbstetablierung in dem uns zukommenden ontischen Orte. Auch in den von christlichen Rücksichten bestimmten Text­ partien ist der Menschgewordene also nichts weiter als ein Exponent der Seinsstufe Mensch. In den mehr metaphysisch geprägten Textstellen sinkt seine „menschliche Natur" sogar zu der blo­ ßen Seinsstufe der Menschen herab, zu welcher „Jesus" hervorgeht." 11 CH I, 2; 121 A: Ίησοϋν έπικαλεσάμενοι,] το πατρικόν φως, το ον «το αληθινόν, ο φωτίζειπάντα άνθρωπον ερχόμενον εις τον κόσμον», δι’ ού την προς τόν άρχίφωτον πατέρα προσαγωγήν έσχήκαμεν [G. Heil [Übers.], BGL 22, S. 28: „So wollen wir also Jesus herbeirufen, das Licht vom Vater, das wirkliche, «das wahre, das jeden Menschen bei seinem Eintritt in die Welt erleuchtet» [Joh. 1, 9], durch das wir «Zugang zum Vater haben» [vgl. Röm 5, 2; Eph 2, 18], der Quelle des Lichts"].

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nicht sakramentale Symbolhandlung oder „Liturgie", sondern »Bildung« des sa­ kramentalen Symbols aus dem theosophischen Wesensgrund unmittelbarer Mystenschaft Jesu des Nous selbst. Dieser theosophische Wesensgrund erwächst dem Nous von der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst, weil der Nous in seiner natürlichen Beschaffenheit nichts Göttliches wollen kann. Der Nous als theosophischer Wesensgrund der selbstentäußerten Gottheit des Logos selbst ist die Wesensform, in die und zu der sich alle Ebenen der gottheitlichen Mystagogie zusammenziehen (kontrahieren), um sich darin selbst zu aktuieren und zu ver­ wirklichen. Die »Epiklese Jesu« leitet nicht nur die Schrift „Über die Himmlische Hier­ archie", sondern zugleich die areopagitische Idee gottheitlicher Mystagogie ins­ gesamt ein. Denn sie erhebt Jesus selbst zur theosophischen Wesens- und Be­ wusstseinsform des Nous, des bereits erleuchteten Nous des Mysten. Die areo­ pagitische Frage nach dem theosophischen Wesensgrund der selbstentäußerten Gottheit Jesu im Nous selbst versteht Vergöttlichung nicht als individuelle Aske­ se-Leistung, die innerhalb einer institutioneilen Kirchlichkeit irgendwo oder ir­ gendwann erbracht wird. Vergöttlichung im areopagitischen Sinn meint, dass der Nous im »Antlitz « (πρόσωπον) Jesu nicht der Gottheit selbst, sondern der Natur der Gottheit teilhaftig wird, wie sie dem Nous eben durch die selbstentäußerte Gottheit im »Antlitz« (πρόσωττον) Jesu selbst »erwächst«.12 Die Mystagogie des Dionysius führt die Hierurgie sakramentaler Symbol­ bildung in den unmittelbaren Wesens- und Ursprungsbezug des Nous Jesu selbst, der sich in dieser Reduktion als Quelle gottheitlicher Mystagogie selbst schaut. Die Mystagogie ist also nicht Beiwerk der sakramentalen Handlung, keine „Erklä­ rung", die das Symbol in dessen „Sakramentalität" kognitiv zu durchdringen sucht. Sie ist vielmehr die Energie oder Wirkkraft der sakramentalen Symbolbil­ dung selbst, die im »Nous Jesu« des Mysten ihren apodiktischen Ursprung er­ kennt. Die »Epiklese« offenbart uns den thearchischen Mysteriengrund, den sich die ihrer selbst entäußernde Gottheit Jesu im Nous aus diesem selbst bereitet. Dieser thearchische Mysteriengrund ist der Nous selbst, insofern dieser Wesens­ form gottheitlicher Intentionalität ist, welche die kenotische Wirklichkeit Jesu selbst trägt und in sich fasst und offenbart. Insofern manifestiert sich im Nous die Sophia Gottes, welche wesentlich »Sophia Jesu« ist. Wenn Dionysius mit Be­ zug auf Joh. 1, 9 Jesus als das väterliche und wahre Licht13 rühmt, das „jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt", und durch das wir Zugang zum Vater als dem Ursprung des Lichtes haben, dann rückt er den gesamten Umfang der Theologie in die theosophische Perspektive einer im Nous selbst wurzelnden »Mystagogie Jesu«14. 12 Dass die „Himmlische Hierarchie" und mit ihr die gesamte mystagogische Grundlegung des areopagitischen Symbolbegriffs unter dem Stern einer auf Jak. 1,17 und Joh. 1, 9 sich stützenden »Epiklese Jesu« steht, müsste jedem Exegeten des Corpus Areopagiticum zu denken geben. So­ bald dieses Leitmotiv der areopagitischen Idee göttlicher Mystagogie übersehen wird, ist eine Deutung des Corpus im Sinne einer „Hierarchie" göttlicher Lichtmitteilung durch Engel einerseits und durch Amtsträger der Kirche andererseits unausweichlich. Vgl. hierzu E. Stein, Wege der Gotteserkenntnis, in: Edith Stein Gesamtausgabe, Bd. 17, Freiburg/Br. 2003, S. 26: „Träger des hierarchischen Wirkens aber, Sendboten Gottes, um himmlisches Licht durch die Schöpfung zu tragen, sind nur die himmlischen Geister und die geweihten Stände der Kirche." 13 CH 1,2,121 A 14 CH 1,2,121 B

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Das Licht der Kenosis Jesu, das den Nous des Menschen und durch diesen den ganzen Menschen erleuchtet, erfüllt den Nous zugleich von innen mit der analogen Struktur der Engelshierarchien. Das thearchische Licht Jesu offenbart dem Nous dessen grundlegende hierarchische Wesens-Struktur, die sich analog zur Ordnung der Engelshierarchien verhält. Und dennoch: Die innere Wesens­ struktur des Nous in ihrer Analogie zu den Ordnungen der himmlischen Geister dient selbst wiederum einzig und allein der Offenbarung des vergöttlichten Men­ schen im theosophischen Nous der gottheitlichen Selbstentäußerung (κένωσις) Jesu. Im thearchischen Licht Jesu vollzieht sich am Nous die »Hiérarchisation des Nous« . Der so hierarchisierte Nous des Mysten umfasst in analoger Spiegelung die Sphäre der himmlischen Hierarchien. Die kenomatische Selbstwirklichkeit Jesu wirkt im Nous für den Nous die Hierarchisierung des Nous. Der Nous schaut seinen theosophischen Wesensgrund im Lichte der Selbstwirklichkeit Jesu, wel­ che dem Nous des Mysten zugrunde liegt. Durch die »Hiérarchisation« des We­ sens des Nous im Lichte der Wesensgegenwart Jesu ist der Mensch von Natur auf das theosophische Wurzelbewusstsein des Christentums selbst hin ausgerichtet.

ZUR MÄEUTIK DER ENGEL IM NOUS DES EINGEWEIHTEN Mit der Lichtspendung des Vaters15 meint Dionysius, dass uns in symbolischen Bildern die Engelshierarchien geoffenbart werden. Indem nun der Nous dieses Licht, welches das in ihm wesensgegenwärtige Antlitz Jesu ausstrahlt, empfängt, wird der Nous selbst in seinem Wesen grundlegend erneuert und in Analogie zu den Ordnungen der Enge strukturiert16. In der Einstrahlung des kenotischen Lichtes schafft der selbstentäußerte Logos jenen hierarchisch erneuerten und durchgebildeten Wesensgrund im Nous, durch den er sich im Nous des Mysten selbst offenbart. Deshalb ist es der Nous des Mysten selbst, der die Offenbarung der Engelshierarchien in heiligen Symbolen bildet17. Die Symbolik bezieht sich zutiefst auf das Mit-Geschöpfliche. In der Sym­ bolik nimmt etwas Geistiges und nicht Sichtbares eine uns aus der Schöpfung vertraute Bildhaftigkeit und Bildform an. Das Symbolische hat Wirkung auf uns, weil in ihm etwas nur geistig Fassbares in einer uns vertrauten und natürlichen Bildlichkeit ausgesprochen ist, ohne mit dieser zusammenzufallen. Die prim­ ordiale Lichtspendung aus dem thearchischen Grund Jesu im Nous selbst offen­ bart diesem die hierarchische Struktur der himmlischen Geister in symbolischen Bildern und verbindet damit die symbolische Wahrnehmung, die wesenhafte 15 CH I; 2,121 B 16 Charles M. Stang, Apophasis, S. 92/93: „The unquestioned assumption of most twentiethcentury scholarship is that whatever Christology the CD exhibits is largely "cosmetic,” masking his true Platonic commitments. By reading the CD almost exclusively against the backdrop of Neoplatonism, scholars have obscured the influence of Paul and consequently missed or at least misunderstood Dionysian Christology. For Dionysius the hierarchies communicate light and love. And Paul is in fact the linchpin for understanding Dionysian Christology and its relationship to the hierarchies, as it is Paul who provides Dionysius with an account of Jesus as both light and love and "access” to the hierarchies. For Dionysius, Jesus is the deifying light that is at work in the hierarchies, as witnessed in Paul’s blinding experience of the luminous Christ on the road to Da­ mascus [Acts 9:3-9; 22:6-11], And for Dionysius, again following Paul, Jesus is also our only "ac­ cess” [Rom 5:2] to the hierarchies, bestowed, however, not on the lonely road to Damascus but in baptismal rites of the church, wherein we share in his death [Rom 6:3].” 17 CH 1,2,121 A

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Umgestaltung des Nous zum Kenoma (zur mens hierarchizata) und die Schau der Mystagogie Jesu im theosophischen Nous des Mysten. Durch die innere Erfahrungsstruktur des Symbols werden die Engels­ hierarchien zurückgeführt in den analogen Aufbau des von der Mystagogie Jesu getragenen und von Grund auf erneuerten Nous des Eingeweihten.18 Dionysius entfaltet hier wie in einer Ikone eine theosophische Umformung der Theologie, indem er deren Absconditum aus jener äußersten Wesensform gottheitlicher Intentionalität ableitet, die der Nous des Eingeweihten Jesu selbst ist. Alle Ebe­ nen der göttlichen Wirklichkeit, von der Trinität über die Kosmologie und Chri­ stologie bis hin zur Anthropologie, fließen harmonisch zu einem in sich klar strukturierten Bild von der göttlichen Weisheit zusammen. Dionysius selbst spricht an selbiger Stelle von der προς αναγωγικήν δε και ενοποιόν των προνοουμένων σύγκρασιν19. Και γάρ ούδέ αύτή πώποτε τής οικείας ενικής ένότητος άπολείπεται, προς άναγωγικήν δε και ενοποιόν των προνοουμένων σύγκρασιν άγαθοπρεπώς πληθυνομένη και προϊοϋσα μένει τε ένδον έαυτής άραρότως έν άκινήτω ταύτότητι μονίμως πεπηγυια και τούς έπ ’ αύτήν ώς θεμιτόν άνανεύοντας άναλόγως αύτοις άνατείνει και ενοποιεί κατά τήν άπλωτικήν αύτής ένωσιν.20 Diese Symbolwerdung des Seienden21, diese Ikonisation der Schöpfung wie auch der göttlichen Sphäre aber geht aus von jenem Mysterium der Mystagogie Jesu, die im zum Kenoma umgeformten Nous des Mysten Wirklich­ keit wird, zum Haus, das die Weisheit Gottes sich baut. Die väterliche Pronoia (πατρική πρόνοια), welche das Mysterium der Kenosis Jesu selbst trägt und mit sich führt und von diesem zugleich selbst mitgeführt und hinabgeführt wird, sie ist es auch, die in der charismatischen Umgestaltung des Nous sich in diesem selbst zum Throne der kenomatischen Wesenseinwohnung macht. Wenn der thearchische Strahl den Nous mit Licht erfüllt, ist es nach Dio­ nysius nicht anders möglich, als dass er vom Nous des Mysten eingehüllt wird in die bunte Vielfalt sakramentaler Symbolbildung22. Das Wort, welches Dionysius hier für „Symbol" benutzt, ist: Vorhang, Verhüllung. Der Vorhang ist das, was in den antiken Mysterienfeiern wie in der alttestamentlichen Kultlogik die Schau 18 Zu CH I, 2,121 B: Iohannis Scoti Eriugenae, Expositiones in Ierarchiam Coelestem, ed. J. Barbet, Turnhout 1975, S. 9: Nam sequitur: ET ENIM NEQUE IPSE VSQVAM VMQVAM PROPRIA SINGULARI SVA VNITATE DESERITUR, hoc est ipsa Patris luminum claritas pure a nobis ac firmiter intellecta in simplum suum radium nos restituit, quoniam ipse radius nullo loco, nullo uel tempo­ re, propria etsingulari sua unitate, id estsimplicitate, relinquitur. 19 CH 1,2,121 B 20 CH 1,2; 121 B G. Heil [Übers.] ibid., S. 28/29: „Denn es ist ja bekanntlich nicht so, daß dieser [der Lichtstrahl] je etwas von seiner eigenen, dem Einen entsprechenden Einheit verliert; vielmehr, wenn er sich wie alles Gute in mannigfaltiger Gestalt konkretisiert und in die Gegenstände seiner Fürsorge eingeht und sie dadurch aus der Vielfalt zu höherer Einheit führt, bleibt er innerhalb seiner selbst, uner­ schütterlich in seiner unveränderten Identität festgegründet und zieht die, die nach Kräften die Augen zu ihm erheben, zu sich empor, soweit es ihnen zukommt, und macht sie zu einem Einen kraft seiner die Scheidungen aufhebenden Einheitswirkung.” 21 Richtig nennt E. Stein, Wege, S. 65, die Voraussetzungen der symbolischen Theologie: „Die Symbolische Theologie als Bildersprache von Gott und göttlichen Dingen setzt einmal ein be­ stimmtes Verhältnis zwischen der sinnenfälligen und der nicht-sinnenfälligen Welt voraus [wobei unter der nicht-sinnenfälligen viel Verschiedenes verstanden werden kann]. Sie setzt andererseits eine bestimmte Verfassung bei denen voraus, die sich dieser Sprache — redend oder verstehend — bedienen." 22 CH 1,2,121 B

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des Allerheiligsten verhüllt. Er schützt das Allerheiligste vor dem falschen Kult­ verständnis der Uneingeweihten.23 έπει μηδέ δυνατόν έστι τω καθ’ ημάς vói προς την άϋλον έκείνην άναταθήναι των ούρανίων ιεραρχιών μίμησίν τε και θεωρίαν, εί μή τη κατ' αύτόν ύλαία χειραγωγία χρήσαιτο τα μεν φαινόμενα κάλλη τής άφανοϋς εύπρεπείας άπεικονίσματα λογιζόμενος24 Aber Dionysius sagt mehr: Der in das Innere des Nous einfallende thearchische Lichtstrahl äußert sich als symbolbildende Wesenstätigkeit des erleuch­ teten Nous selbst (άναγωγικώς), die die bunte Vielfalt heiliger Symbole hervor­ bringt. Der Lichtstrahl nimmt im Nous und durch diesen selbst die Gestalt heili­ ger Symbole an, er hüllt sich in heiligende Symbolik, die er dem Nous selbst zu­ grunde legt. Mit dem Akt der Symbolbildung vollendet der Nous seine Mystenschaft, indem er seine göttliche Einweihung im Symbol selbst intentional vergegenwärtigt und zum mentalen Zeichen der Wesenspräsenz Jesu erhebt. Die Intentionalität des Symbols verweist auf dessen Ursprungsrelation zum Nous des Mysten, der durch seine hierurgische Wesenstätigkeit das Symbol selbst bildet und mit anagogischer Erfahrungsstruktur erfüllt25. Das Symbol als »mentales Zeichen« aber verweist auf nichts anderes als auf seinen Ursprung im Nous der Mystenschaft Jesu. Das Symbol kann deshalb einzig von diesem Ursprung her in seinem Wesen begriffen werden, nämlich als vom christförmigen Nous selbst geschaffenes Zeichen gottheitlicher Intentionalität. 23 Edith Stein schreibt in ihrer Abhandlung über die Symbolische Theologie des Dionysius [Wege, S. 36] hierzu: „Vorläufig suchen wir nur das zu fassen, worauf die Symbolische Theologie durch die vertrauten Bilder aus der Erfahrungswelt hinführen will. Es ist eine Mannigfaltigkeit, die wir am treffendsten vielleicht bezeichnen als das „Reich Gottes". Es hat seinen Seinsgrund und seinen einheitgebenden und beherrschenden Mittelpunkt in Gott selbst. Er ist auch das eigentliche und letzte Ziel, auf das es der Symbolischen Theologie ankommt. Aber es gehen Wirkungen von Ihm aus und in die geschaffene Welt ein, die etwas von seinem Wesen an sich haben [d.h. „göttlich" sind] und das, worin sie Aufnahme finden, „göttlich" machen. All diese „Ausstrahlungen" des gött­ lichen Wesens, all das, was an Gottähnlichem in den Geschöpfen lebt und sie mit Gott zur Einheit des Reiches Gottes zusammenschließt, ist so wenig mit Händen zu greifen und mit leiblichen Augen zu sehen wie Gott selbst. Darum muß es den Menschen, die in der Welt der natürlichen Erfahrung verhaftet sind, durch Bilder aus dieser ihnen bekannten Welt nahegebracht werden." 24 CH 1,3; 121C-121D G. Heil [Übers.], BGL 22, S. 29: „Denn unser menschliches Denken kann sich nicht direkt zu jener Nachgestaltung und geistigen, von jedem Bezug zu materiellen Vorstellungen freien Schau der himmlischen Hierarchien aufschwingen, wenn es sich nicht vorher der ihm gemäßen Führung durch konkrete Vorstellungen bediente und sich die sichtbaren Schönheiten als Abbildungen der unsichtbaren Harmonie bewußt machte...” 25 CH 1,2; 121 B Thomas Gallus, Paraphrase, op. eit, S. 1044: Neque enim possible est nostrae menti sursum excitari ad illam immaterialem imitationem et contemplationem caelestium hierarchiarum, nisi ipsa mens nostra [secundum conditionem praesentis caecitatis] utatur manuductione signorum materialium: reputando, quadam intima aestimatione, sensibiles pulchritudines esse imagines invisibilis pulchritudinis, et sensibiles gratos odores esse expressiones distributionis odoris insensibilis, et materialia lumina esse imagines intelligibilis luminis, et cognitivam intelligentiam sacrarum scripturarum esse imaginem comprehensivae contemplationis quae mentes satiat juxta illud «Satiabor cum apparuerit gloria tua», et reputando ordinationes congregationum sensibilium ordinate dispositarum esse imagines ordinationum et habituum quae sunt in caelestibus ordinibus ad Dei imitationem ordinatis, et assumptionem divinissimae Eucharistiae in via esse imaginem plenae participationis Jesu quae perficitur in patria, et similiter reputando de quibuslibet aliis, quae caelestibus quidem substantiis supermundane conveniunt, nobis autem sub signis sensibilibus in Scripturis traduntur.

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DIE ENGEL IM DIENST DER VERGÖTTLICHUNG DES MENSCHEN Mit der Ikonographie der Engelshierarchien führt uns die mystagogische Weis­ heit Jesu die »hierarchia mentis« vor Augen, durch die der Nous der Mystenschaft Jesu sich selbst in seinem vielfältigen theophoren Vermögen fasst und in seiner anagogischen Wesenstätigkeit heilige Symbole formt und zu sakramen­ taler Wirklichkeit verdichtet, in der wiederum die Gottheit selbst zugegen ist26. Wenn Dionysius feststellt, dass es unserem Nous nicht möglich wäre, sich bis zu jener immateriellen Nachahmung und Schau der Engelshierarchien zu er­ strecken, wenn er sich nicht der Bildlichkeit der sichtbaren und materiellen Welt bedienen und das sichtbar Schöne als die Abbildung der unsichtbaren Schönheit begreifen würde27. Diese Wesenstätigkeit des Nous wird von Dionysius als eine dargestellt, welche die Bildwerdung der unsichtbaren, intelligiblen Schönheit in der sichtba­ ren Schönheit des Geschaffenen intentional zusammenzufassen und somit als »mentales Zeichen« auf sich selbst als den mystagogischen Ursprung zu beziehen vermag. Denn dies gerade meint das scheinbar so unauffällige Partizip λογιζόμενος, welches mehr impliziert, als es die verharmlosenden Versionen der lateinischen Dionys-Übersetzer nahelegen28. Nur wenn der Nous sich der Bildlichkeit bedient als der Sprache seiner ei­ genen mystagogischen Vollmacht und Wesens-Tätigkeit und sich diese zueigen macht, um sich durch sie in seiner Wesensbestimmung auszusprechen, nur dann ist der Nous der Nachahmung und Schau der himmlischen Hierarchien fähig, in­ dem er diese »intentional« in sich zusammenfasst und auf sich selbst bezieht als Analogie seiner eigenen hierarchisierten Wesensstruktur und Wesenstätigkeit. Dieser Akt der »Hiérarchisation« des Nous entzündet sich am Erfassen des Wesens des Bildes, welches Erfassen eben ein Insichfassen des Bildes durch den Nous und dessen Wesens-Tätigkeit ist. Der Nous legt das Bild seinem Wesen zugrunde, damit dieses durch das Bild selbst in seine Wesens-Tätigkeit sich entäußern kann. Er lässt nicht anders seine Wesenheit tätig sein — und sich wie­ derum selbst in dieser Tätigkeit — als in und durch das Bild. Diese »intentionale Reduktion« des Bildes in die Wesenstätigkeit des mystagogischen Nous, welche Dionysius durch das λογιζόμενος29 ausdrückt, setzt jedoch das im Nous gegen­

26 Es ist ein Grundzug der Dionysius-Historiographie, die anagogische Funktion des Symbols mehr oder weniger aus diesem selbst abzuleiten. Damit aber ist die Einsicht in die »Symbolbil­ dung« versperrt, die allein im Wesen des hierarchisierten, d. h. des bereits erleuchteten Nous ihren Ursprung hat. Die Symbolbildung hat ihren Ursprung in der anagogischen Energie des Nous Jesu. Diese Energie ist Bildung des Symbols selbst und Anagogie durch das Symbol in einem. Das Symbol wird seiner Gegenständlichkeit enthoben durch die Schau des Nous, die das »Ding« mit mystagogischem Leben erfüllt. Das einstige bloße »Ding« wird so zum Mitarbeiter in der Ökono­ mie göttlicher Mystagogie. Es besitzt von nun an anagogische Identität durch jene Energie, die dem Wesen des Nous Jesu selbst entspringt. Das Symbol entfaltet seine emporführende Energie aufgrund der symbolbildenden Tätigkeit des Nous, die dieser in seinem göttlichen Wesen selbst ist. 27 CH I, 3,121 CD 28 Ph. Chevallier [Hrsg.], Dionysiaca, Bd. 3, S. 736: Hilduin von St. Denis [existimantes], Eriugena [arbitrans], Sarracenus [reputans], Robert Grosseteste (reputansj. 29 CH I, 3,121 CD

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wärtige und Wirklichkeit gewordene und wirksame Mysterium der Mystagogie Jesu voraus30. Es ist die im Nous des Mysten gründende mystagogische Wesenspräsenz Jesu, die den Nous wesenhaft umformt und zum Sylliturgen der Engelshierar­ chien macht, nämlich durch die Übertragung der Wesensstruktur der Engelsord­ nungen in das dadurch hierarchisierte Vermögen unseres eigenen Geistes (τη προς δύναμιν ημών άφομοιώσει τής θεοειδούς αύτών ίερώσεως)31. Die »von uns selbst ausgehende Nachbildung« (άφομοίωσις)32, von der Dionysius in diesem für den Symbolbegriff zentralen Zusammenhang spricht, wirkt sich aus, indem der Nous sich die Wesensanalogie zu den Engelshierarchien als neues, hierarchisiertes Vermögen seiner selbst einformt und zugrunde legt.33 Diese komplexe Umformung des Wesens und Vermögens des Nous impli­ ziert, dass der Nous sich selbst in seinem wahren Wesen neu begreift und aktuiert. Erst aus diesem Gesamtbild können wir ermessen, was der große Dionysius mit der »Wesensbildung« (άφομοίωσις) wirklich meint. Dort, wo die hierarchi­ sche Umgestaltung sich als »Wesensbildung« am Nous selbst vollzieht, zeichnet der Nous ikonographisch die Selbsterkenntnis seines Wesens in heilige Symbole ein und wird sich so zum Bild seiner eigenen mystagogischen Wesensstruktur im Lichte der in ihm gründenden kenomatischen Selbstwirklichkeit Jesu. Die von der Hl. Schrift gezeichnete Symbolik von den himmlischen Geistern bedarf der Zurückführung in den mystagogischen Wirklichkeitsgrund im Nous selbst, um wirklich begriffen werden zu können. Die religiöse Symbolik, so auch die der En­ gelshierarchien, bedarf also der Wesensreduktion in die Erfahrungsstruktur des mystagogischen Nous. Der Nous aber ist erst dann einer solchen Reduktion fähig, wenn er bereits im Lichte der Mystagogie Jesu als im Wesen seiner Gottesebenbildlichkeit selbst steht, wenn er selbst Licht aus diesem Lichte geworden ist. Es ist allein die selbsttätige Wesenheit des Nous Jesu, durch die dieser sich in seiner gottheitlichen Mystenschaft selbst schaut und intendiert.

VOM WESEN UND ZWECK DER »HIERARCHIE« Zunächst legt Dionysius dar, was unter dem Wesen der Hierarchie zu verstehen ist: Hierarchie ist eine heilige Wesensstruktur und Einsicht und Wirkkraft, die sich zum Gottförmigen bildet und sich zu den ihr von Gott eingegebenen Er­ leuchtungen analog emporführt. Έστι μεν ιεραρχία κατ’ έμέ τάξις ιερά και έπιστήμη και ένέργεια προς το θεοειδές ώς έφικτόν άφομοιουμένη και προς τάς ένδιδομένας αύτή θεόθεν έλλάμψεις άναλόγως έπι το θεομίμητον άναγομένη, το δε θεοπρεπές κάλλος ώς 30 CH I, 2; 121 C Thomas Gallus bezeichnet in seiner „Explanatio super Angelica Ierarchia" [in: Thomae Galli Explanatio in libros Dionysii, ed. D.A. Lawell, Turnhout 2011, S. 494] Christus selbst als "unseren Hierarchen": Et hoc est quod subdit: QVAPROPTER SANCTA POSITIO, id est ordinatio, PRINCIPIS omnis PERFECTIONIS, scilicet Dei qui omnia perfecta perficit, DIGNATA, id est pia dispositione dignam arbitrans, unde antiqua translatio habet "dignam iudicans”, NOSTRAM IERARCHIAM SANCTISSIMAM, id est ualde sanctam, uel sanctissima dici potest propter ierarcham nostrum Christum qui uere sanctissimus est. 31 CH I, 3,124 A 32 CH 1,2,121C;CH I, 3,124 A 33 Charles M. Stang, Apophasis, S. 102.

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άττλοϋν ώς αγαθόν ώς τελεταρχικόν άμιγές μεν έστι καθόλου πάσης άνομοιότητος, μεταδοτικόν δε κατ’ άξίαν έκάστω τοϋ οικείου φωτός καί τελειωτικόν έν τελετή θειοτάτη κατά την προς εαυτό των τελουμένων έναρμονίως άπαράλλακτον μόρφωσιν.34 Zuerst bestimmt Dionysius »Hierarchie« als »Struktur« (τάξις)35 welcher der Nous in seiner Vergöttlichung „unterworfen" wird. Der Begriff der „Ord­ nung", den Dionysius gebraucht, bezieht sich auf die Wesensausformung des Nous im Lichte der mystagogischen Einwohnung Jesu, welche dem Nous selbst widerfährt. Deshalb hat die Bedeutung des Begriffs der τάξις ιερά etwas mit der Erneuerung des Nous zu tun, welche sich durch die Wesenspräsenz Jesu im Nous am Wesen des Nous selbst ereignet. Als Nächstes bestimmt Dionysius die »Hierarchie« als »Einsicht« (έπιστήμη)36. Und wir dürfen hinzufügen, dass diese die Einsicht37 des Nous in die durch die Mystagogie Jesu gewirkte Hiérarchisation seines Wesens selbst ist, die der Nous an sich selbst erfährt. Und diese Einsicht des Nous ins eigene Wesen ist Wesensmoment seiner Vergöttlichung. Aus der theosophischen Erkenntnis seines eigenen Wesens erwächst dem Nous Fähigkeit. Als drittes Wesensmoment des Nous nennt Dionysius die »Wirkkraft« (ένέργεια)38. Diese »Wirkkraft« ist es, durch welche der Nous an sich selbst die Umformung seines Wesens zum kenomatischen Grund der Wesenspräsenz Jesu vollzieht. Sie ist deshalb die Aktuierung des Mysteriums der gottheitlichen Mystagogie Jesu im Wesen des Nous durch den Nous selbst. Die Wirkkraft ist heilig, weil sich durch sie der Nous als kenomatischer Wirklichkeitsgrund in die mystagogische Wesenheit der selbstentäußerten Gottheit Jesu einzuführen oder zu versetzen vermag39. Der selbsttätige Geist erkennt sich in sich selbst als hierarchisch verfasst, indem er sein wahres und volles Wesen aktuiert durch die Mystenschaft Jesu. Es geht also weniger um die Wirkung göttlicher Gnade als um die Selbsttätigkeit des Nous, der sich in der Gnade als den authypostatischen Wirklichkeitsgrund Jesu begreifen muss, um die Gottförmigkeit in sich selbst verwirklichen zu können. Das Entscheidende der areopagitischen Ausführungen über das Wesen der »Hierarchie« ist gerade die Einsicht in die grundlegende und unaufhebbare Selbsttätigkeit des Nous40, die die Wesenspräsenz Jesu im Nous überhaupt erst ermöglicht. 34 CH III, 1,164 D Edith Stein [Übers.], GA 17, S. 164: „Die Hierarchie ist eine heilige Ordnung, ein Wissen [έπιστήμη] und Wirken [disciplina seu operatio], das, soweit möglich, sich der Gottähnlichkeit nähert und vermöge von Gott im entsprechenden Maße eingegossener Erleuchtungen zur Nach­ ahmung Gottes aufsteigt. Die Gott geziemende Schönheit ist einfach, gut, Ursprung aller Voll­ kommenheit, mit nichts Unähnlichem vermischt. Sie teilt jedem nach Verdienst sein Licht zu und vollendet ihn im göttlichsten Geheimnis [sacramentum — sacrificium] durch Umwandlung zum Bilde seiner Unwandelbarkeit." 35 Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Dionysius vom Areopag [Die Graue Reihe 17], Zug/Schweiz 1996, S. 603. 36 CH III, 1,164 D 37 Kaltenbrunner, ibid., S. 604. 38 CH III, 1,164 D 39 Kaltenbrunner, ibid., S. 605. 40 CH III, 1 ,164D-165A Thomas Gallus verweist in seiner „Paraphrase" zu CH III mit Bezug auf Sap. 7, 26 eindeutig auf den theosophischen Hintergrund des Begriffs der »Hierarchie« [Dionysiaca Bd. 3, S. 1048]: Inten-

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Dass der tätige Geist das Gottförmige durch sich selbst abzubilden und dem Bild wiederum die Qualität der eigenen Substanz zu verleihen vermag, ist ein Arkanum, in dem sich das fürsorgende, pronoetische Wesen der Göttlichen Sophia zu erkennen gibt, von dem die Mystagogie Jesu getragen wird. Die areopagitische Noetik vollzieht sich inmitten der theosophischen Wesensdurchdrin­ gung des selbsttätigen Nous durch diesen selbst im Mysterium Jesu. Die rein christologische Perichorese der beiden Naturen im πρόσωττον des inkarnierten Logos bricht sich im Spiegel der theosophischen Energie des Nous, indem der selbsttätige Nous das Gottförmige durch die eigene Substanz verwirklicht und im eigentlichen Sinne wesensgegenwärtig macht. Die Gott geziemende Schönheit (το θεοπρεπές κάλλος)41, mit ihr meint Dionysius das Gottförmige (το θεοειδές)42 einer mystagogischen Selbstbegrün­ dung der noetischen Substanz durch den Nous selbst, der darum mit Recht selbsttätig zu nennen ist43. Mit dieser Ergründung seines hierarchischen Wesens aber verwirklicht der selbsttätige Geist sich selbst als Wirklichkeitsgrund der Kenosis Jesu, in welchem diese selbst theosophisch thront. Man darf es als eine Kernaussage des Dionysius betrachten, wenn die Schönheit des Gottförmigen im Nous gepriesen wird als Ursprung sakramentaler Wirklichkeit, als mystagogischer Ursprung von Mysterienfeier schlechthin, als dasjenige, welches dieser für uns überhaupt Wirklichkeit und göttliche Authentizität verleiht. Das Gottförmige, das der selbsttätige, sich selbst erforschende Nous in sich selbst erschaut, ist je­ nes Licht, in dem sich das Antlitz der Gottheit Jesu selbst zu erkennen gibt. Dieses Licht des selbsttätigen Nous durchfließt den ganzen Menschen und heiligt und salbt alle Ebenen des Erkenntnisvermögens, da es aus der We­ senspräsenz Jesu im Nous hervorgehend diesen von innen vollkommen erleuch­ tet. Das Gottförmige wird von Dionysius beschrieben in seiner anagogischen Wirksamkeit, die sich im Mysten Jesu selbst erfüllt. Diese Aussagen des großen Dionysius über die »hierarchische« Struktur des Nous und über die ihr eigenes Licht freisetzende anagogische Selbstergründung des selbsttätigen Nous sind von tiefster Bedeutung44, weil sie unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Notwen­ digkeit einer Begründung des sakramentalen Handelns durch eine christliche Theosophie lenken. Das Bahnbrechende der areopagitischen Mystagogie liegt gerade darin, dass es die Sakramentalität zurückführt auf deren Ursprung im Nous des Mysten. Und diese Reduktion ist unerlässlich, um das Wesen der Sa­ kramentalität begreifen zu können. dit autem hierarchia assidua speculatione in Deum, desiderans secundum suam possibilitatem assimilari et uniri Deo, ipsum habens ducem omnis sanctae cognitionis et operationis, indeclinabiliter aspiciens ad divinam pulchritudinem, et, earn contemplando, ab ipsa tamquam pulchrifica informata, et personas in se contentas Deum laudantes faciens esse divina insignia et clarissima et immaculata specula, susceptiva radii principalis etthearchici luminis, etimpleta sancta ciarlia­ te divina sibi per eumdem radium infusa, ita quod superiores ipsam claritatem suis inferioribus copiose cum splendore influant, secundum quod divinitus est eis constitutum. « C H III, 1,164 D 42 Ibid. 43 Thomas Gallus, Paraphrase zu CH III, 1-2 [Dionysiaca Bd. 3, S. 1048], 44 Das sakramentale Handeln im Verständnis des Areopagiten bedarf selbst der Begründung, und zwar durch die »symbolbildende« Tätigkeit des illuminierten Nous. Deshalb schreibt Edith Stein in ihrer Abhandlung „Wege der Gotteserkenntnis" (ibid., S. 38] sehr zutreffend: „Damit jemand etwas zum Bild eines andern gestalten könne, muß er das andere, das Urbild kennen. Aus einer Kenntnis Gottes heraus muß der Theologe (immer in dem areopagitischen Sinn des Gotteskün­ ders] seine Gottesbilder gestalten."

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Dionysius bezeichnet das »Gottförmige« (το θεοειδές)45, dessen Schönheit (κάλλος) als τελεταρχικόν46, d.h. als das den Kult an sich Begründende. Denn das vom Gottförmigen ausgehende Licht ist die innere geistige Gestalt des Mysten gemäß dem Gottförmigen selbst. Indem der selbsttätige Nous in seine eigene Gottförmigkeit einkehrt, wandelt er im gottheitlichen Lichte jener Mystagogie Jesu, welche er selbst authypostatisch trägt und aus sich selbst aktuiert. Dies ist der Geisteskult, der sich aus dem Wesen und Wollen des gottförmig selbsttätigen Nous selbst begründet, um selbst ganz kenomatisches Licht der Gottheit Jesu zu sein. Als Ziel der »Hierarchie« bezeichnet Dionysius die Vergöttlichung aus dem Wesen des Nous selbst, welcher die mystagogische Wirklichkeit des selbstentäußerten gottheitlichen Logos in sich trägt. Σκοπός ούν ιεραρχίας έστίν ή προς θεόν ώς έφικτόν άφομοίωσίς τε και ένωσις αύτόν εχουσα πάσης ίεράς έπιστήμης τε και ένεργείας καθηγεμόνα και προς την αύτοϋ θειοτάτην εύπρέπειαν άκλινώς μεν ορών ώς δυνατόν δε άποτυπούμενος και τούς εαυτού θιασώτας άγάλματα θεία τελών εσοπτρα διειδέστατα και άκηλίδωτα, δεκτικά τής άρχιφώτου και θεαρχικής άκτινος και τής μεν ένδιδομένης αίγλης ίερώς άποπληρούμενα, ταύτην δε αύθις άφθόνως είς τα εξής άναλάμποντα κατά τούς θεαρχικούς θεσμούς.47 Wenn Dionysius von der »Einung mit Gott« im Sinne einer »vom Nous selbst ausgehenden Gottesebenbildwerdung« (προς θεόν ώς έφικτόν άφομοίωσίς τε και ένωσις)48 als dem Ziel der »Hierarchie« spricht, so verwendet er gleich zwei Begriffe. Tatsächlich will der Areopagit uns damit deutlich ma­ chen, dass die Einung (ένωσις) mit Gott keineswegs am Anfang steht, so als eini­ ge sich Gott mit uns ohne unser Zutun, ohne Zutun unseres gottförmig selbsttäti­ gen Intellekts, ohne die Mystagogie einer Licht freisetzenden Selbstschau des gottförmigen Geistes, die kenomatischer Wirklichkeitskern der mystagogischen Präsenz Jesu im Nous selbst ist49. Die Einung (ένωσις) ist somit die reine Selbstaktuierung des Wesens des Nous, insofern dieses der mystagogischen Präsenz Jesu im Nous selbst bereits zugrunde liegt. Denn nur so hat der Nous Gott selbst zum Lehrer aller heiligen Einsicht und Wirkkraft (αύτόν εχουσα πάσης ίεράς έπιστήμης τε καί ένεργείας καθηγεμόνα).50 In jener Schau wird sich der selbsttätige Geist der Herausbildung seiner Gottförmigkeit im göttlichen Erkenntnislicht bewusst — sich in seinen vergött­ lichten Wesenskern zurückziehend (kontrahierend) — und sieht sich von der Liebe des selbstentäußerten Gottes authypostatisch in diesem selbst begründet. Das eucharistische Ur-Geschehen, das der Areopagit hier vor unseren geistigen Augen entfaltet, offenbart die innere Verknüpfung und perichoretische Durch­ 45 CH III, 1,164 D 46 Ibid. 47 CH III, 2,165 A Edith Stein [Übers.], ibid., S. 164: „Die Absicht [scopus] der Hierarchie ist die möglichste Anglei­ chung und Vereinigung mit Gott; Er ist ihr Führer in allem Wissen und Wirken. Beständig auf Seine göttliche Schönheit schauend, bildet sie diese, so weit möglich, nach und macht die ihr An­ gehörigen zu Abbildern, zu klaren, unbefleckten Spiegeln, die den Strahl des ursprünglichen Lich­ tes und der höchsten Gottheit auffangen. Von diesem erfüllt, lassen sie es nach göttlichem Ge­ setz neidlos auf die ihnen folgenden überströmen.” 48CH III, 2,165 A 49 Von der Hierarchie als >Vehikel von Offenbarung< spricht hingegen Andrew Louth, Denys the Areopagite, London 1989, S. 39. 50 CH III, 2,165 A

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dringung der anaphorischen Selbstdarbringung des selbsttätigen Nous in der Form seiner von ihm selbst hervorgebrachten Gottförmigkeit und der vergöttli­ chenden Gnade Gottes im theosophischen Spiegel der mystagogischen Men­ schwerdung Jesu im Nous selbst. Diese Selbstdarbringung des selbsttätigen Gei­ stes »ist« bereits Wandlung des selbsttätigen Geistes in dessen eigene gottförmi­ ge Wesenheit. Diese Wesens-Wandlung setzt das Erlöschen des natürlichen Er­ kenntnislichtes des Nous voraus. Im Lichte seiner ihm erwachsenden Gottför­ migkeit schaut der selbsttätige Geist das Licht der Mystagogie Jesu, durch das er sich selbst als Wirklichkeitsgrund der selbstentäußerten Gottheit begreift. Von dieser Ausformung zum mystischen Leibe spricht ja auch der unvergleichliche Dionysius, wenn er die Mysten der geistigen Eucharistie zu lebendigen Götterbil­ dern von der tätigen Liebe Jesu vollendet sieht und sie auch mit durchsichtigen und klaren Spiegeln vergleicht, die das ihnen eingegebene göttliche Licht neidlos weitergeben. Ού γάρ θεμιτόν έστι τοις των ιερών τελεταις ή τοις ίερώς τελουμένοις ένεργήσαί τι καθόλου παρά τάς τής οικείας τελεταρχίας ίεράς διατάξεις άλλ’ ούδέ ύπάρχειν έτέρως, εί τής θεωτικής αύτής άγλαΐας έφίενται και προς αύτήν ίεροπρεπώς άποσκοποϋσι και άποτυποϋνται κατά τήν έκαστου των ιερών νοών άναλογίαν.51 Worauf gründet — so hören wir Dionysius gleichsam fragen — die wahre, geistige Mysterienfeier überhaupt, wenn nicht allein auf der noetischen Hierar­ chienstruktur, wie sie der Selbsttätigkeit des gottförmigen Nous zugrunde liegt und durch die dieser in Analogie teilhat am Leben der Engelshierarchien. Die areopagitische Mystagogie setzt die theosophische Selbstschau52 des Nous vor­ aus, in der dieser sich im Wesen seiner eigenen Mystenschaft Jesu ergründet. Die Frage nach dem, worin das Wesen des göttlichen Kultes selbst begründet liegt, bildet das zentrale Anliegen des Dionysius. Deshalb betont Dionysius mit gutem Grund, dass es unzulässig sei, die hei­ ligen Kultfeiern auf etwas anderes zu gründen als auf die weisheitliche Einsicht in die gottförmige Wesenheit des in seiner Einweihung selbst tätigen Nous. Diese Einsicht oder Wesensintuition ist selbst bereits Sakramentalität begründende Mystagogik. Die Noetik ist in der Tat der Schlüssel zur Begründung von sakra­ mentaler Wirklichkeit. Dies gilt, sofern wir εί τής θεωτικής αύτής άγλαΐας έφίενται και προς αύτήν ίεροπρεπώς άποσκοποϋσι καί άποτυποϋνται κατά τήν έκάστου τών ιερών νοών άναλογίαν53, d.h. „sofern wir überhaupt des vergöttli­ chenden Glanzes der Gottheit begehren und nach ihm gottgeziemend Ausschau halten und nach Analogie jedes der heiligen Geister in uns zum lebendigen Bild Gottes gestaltet werden wollen." Ούκοϋν ιεραρχίαν ò λέγων ίεράν τινα καθόλου δηλοΐ διακόσμησιν, εικόνα τής θεαρχικής ώραιότητος, έν τάξεσι καί έπιστήμαις ίεραρχικαΐς τά τής οικείας

51 CH III, 2,165 AB Edith Stein [Übers.], ibid., S. 164: „Denn die heiligen Bekenner und Eingeweihten dürfen nichts tun, was den heiligen Gesetzen ihrer heiligen Ordnung widerspricht, oder abweichend denken, wenn sie nach seiner göttlichen Klarheit streben und sie gebührend ehrfürchtig anschauen und nach der einem jeden entsprechenden Fassungskraft umgewandelt werden wollen." 52 Sap. 7,26 53 CH III, 2,165 AB

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έλλάμψεως ιερουργούσαν μυστήρια καί προς την οίκείαν αρχήν ώς θεμιτόν άφομοιουμένην54 Was Dionysius hier ausspricht, ist die Rückführung des Sakramentalen auf die teletarchische Ursprünglichkeit und Kompetenz der eigenen Seelensubstanz. Es ist die Rede vom Ursprung aller sakramentalen Wirklichkeit Jesu im Mysteri­ engrunde des gottförmigen Nous. Die Selbstentäußerung Jesu wird erst im theosophischen Wesensgrund des Nous zum teletarchischen Ursprung der sakra­ mentalen Symbolbildung. Aus der Schau des weisheitlichen Bildes vom selbsttätigen Geist wird der Nous selbst zu gottförmiger Selbsttätigkeit und teletarchischer Vollmacht be­ stimmt55, zur Wahrnehmung und Wahrung seines unvergänglichen Wesens auf­ gerufen (έκκλησία)56. Die Intention der areopagitischen Mystagogie offenbart die Begründung von Sakramentalität und Kirche aus dem teletarchischen Schoß des sich in seiner Gottförmigkeit herausbildenden, schauenden und aktuierenden selbsttätigen Geistes. Dem Nous eignet nach Dionysius eine radikal mystagogische Vollmacht, der alle Wirklichkeit entspringen muss und die keine Wirklich­ keit gelten lassen kann, welche nicht ihr selbst entsprungen ist. Sie ist Begrün­ dung der sakramentalen Wirklichkeit Jesu. In diesem Bilde seiner selbst erschaut und aktuiert der Geist selbsttätig sein gottförmiges Wesen. Die Botschaft der areopagitischen Mystagogie von der sakramentalen Vollmacht des Nous beinhal­ tet das Geheimnis von der anaphoren Speisung des selbstentäußerten Logos durch die Weisheit des in seiner Gottförmigkeit selbsttätigen Nous. In diesem Sinne haben wir in Prov. 9, 1 ff. den hermeneutischen Schlüssel für das Ver­ ständnis der areopagitischen Idee göttlicher Mystagogie zu erkennen.

DIE MYSTAGOGISCHE WESENSSTRUKTUR DES NOUS Wenn die Lehre von den Hierarchien der Engelsmächte ein Kernstück der Mystagogie des Areopagiten genannt werden muss, so bildet sie zugleich jenes Element, welches am leichtesten zur Fehldeutung des areopagitischen Gesamt­ konzepts göttlicher Mystagogie führt. Den Engelshierarchien kommt für die Vermittlung des göttlichen Lichtes an den Menschen eine so große Bedeutung zu, dass selbst die kenotische Heilstat des Logos dagegen im Schatten einer „hierarchischen" Thron-Gottes-Kultmystik zu verblassen scheint. Müssen wir einer solchen durchaus berechtigten Sorge nicht stattgeben, solange nicht Jesus Christus als der wahre Hohepriester nach der Ordnung des Melchisedek57 von uns erkannt ist, dessen Weisheit doch alle Gotteserkenntnis der Engelsordnungen übertrifft und in den Schatten stellt?58 Wer will dem Menschen den Ruhm der Gotteskindschaft streitig machen, wer vermag ihn von der Liebe Gottes zu trennen, die in Jesus Christus als ganzer Gott ganz Mensch geworden ist? So heißt es im Hebräerbrief, den der Geist des 54 CH III, 2,165 B E. Stein [Übers.], ibid., S. 164: „Wer von der Hierarchie spricht, nennt eine heilige Anordnung, das Bild der Ur-Schönheit Gottes; sie feiert in heiligen Ordnungen und Wissenschaften die Geheim­ nisse ihrer Erleuchtung und ist, soweit möglich, ihrem eigenen Urgrund gleichförmig." 55 CH III, 2,165 A 56 CH III, 2,165 B 57 CH IX, 3, 261 A 58 CH IX, 4,261 BC

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großen Apostels durchweht: Denn nicht den Engeln hat er untertan gemacht die zukünftige Welt, von der wir reden.59 Und in Hebr. 1, 14 heißt es von den Engeln: Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen? So sehr die areopagitische Lehre von den Engelsordnungen der paulinischen Predigt vom Kreuz Jesu auf den ersten Blick zu widersprechen scheint, finden wir dennoch die Auflösung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen dem großen Apostel und dem areopagitischen Symmysten in der paulinischen Rede von Hebr. 1 ,1460 selbst begründet. Das Wort von Hebr. 1,14 nämlich findet seine Ergründung erst in der We­ sens-Schau des Nous, durch welche sich das paulinische Wort in seinem verbor­ genen mystagogischen Sinn enthüllt. Diese Letztbegründung des Heilsmysteri­ ums Jesu in unserem Geistwesen, das in seiner Wesensschau die ganze vergöttli­ chende Wirklichkeit Jesu authypostatisch in sich fasst, offenbart zugleich das Wesen gottheitlicher Mystagogie. Die Engel als „dienstbare Geister" sind dem Apostolat der Mystagogie Jesu verpflichtet, in welchem Jesus als der wahre Hohepriester im Heiligtum des Nous selbst die Erkenntnis unserer Einung mit ihm bewirkt. Wenn sich das hierarchisierte Wesen des Nous auch in Analogie zu den Engelsordnungen ausformt, so nimmt doch der selbstentäußerte Logos selbst Wohnung in der Blüte des gott­ förmigen Nous. Hebr. 3, 1 spricht in einer ungewöhnlichen Diktion vom Aposto­ lat und Hohenpriestertum Jesu und bezeichnet damit die Kenosis des Göttlichen Logos selbst als uns betreffende und in uns zugrunde gelegte mystagogische Gnadensubstanz Jesu61. Dies ist das Apostolat und Hohepriestertum, das vom selbstentäußerten Logos Gottes selbst unmittelbar ausgeübt wird als Quintessenz des im Nous von diesem selbst aktuierten Prinzips gottheitlicher Mystagogie. Dieses Prinzip bildet zugleich den Ursprung der Kirche Jesu Christi: Darum, ihr heiligen Brüder, die ihr teilhabt an der himmlischen Berufung, schaut auf den Apostel und Hohenpriester, den wir bekennen, Jesus.62Aus der paulinischen Forderung nach der mystagogi­ schen Begründung des kenotischen Heilsmysteriums Gottes im Nous selbst erst vollzieht sich die Emergenz der mystagogischen Funktion der Engelsordnungen im Wesen des Nous Jesu selbst. Wenn nun Dionysius in «De caelesti hierarchia» seine Lehre von den Engelshierarchien ausführlich entfaltet, so steht er in der Tat im sym-mystischen Erfahrungs-Apostolat mit jenem Autor, der doch das Apostolat der Mystagogie Jesu selbst verkündigt hat im Hebräerbrief. Er enthüllt 59 Hebr. 2, 5 60 Hebr. 1, 14: „Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer wil­ len, die das Heil ererben sollen?" [ούχ'ι πάντες ε'ισ'ιν λειτουργικά πνεύματα εις διακονίαν άποστελλόμένα διά τούς μέλλοντας κληρονομεΐν σωτηρίαν;] 61CH IX, 3, 261 A: Καί γάρ ούχ απλώς τον Μελχισεδέκ οί θεόσοφοι ού φιλόθεον μόνον άλλα κα'ι ιερέα κεκλήκασιν ή ϊνα τοΐς έχέφροσιν έναργώς έμφαίνωσιν οτι μή μόνον αύτός έπ'ι τόν όντως όντα θεόν έπέστραπτο, προσέτι δέ κα'ι άλλοις ως ιεράρχης ήγέϊτο της έπ'ι την άληθη κα'ι μόνην θεαρχίαν άναγωγης. Edith Stein, GA 17, 177 übersetzt die Stelle folgendermaßen: „Man betrachte nur Melchisedech, den Gott so teuren Priester, der nicht Priester der eitlen Götter, sondern des höchsten und wah­ ren Gottes war: Denn die Theologen nennen Melchisedech nicht nur einfach Gottes Freund, son­ dern auch Priester, um so den Verständigen deutlich zu machen, daß er nicht nur selbst zum wahren Gott sich hingewendet habe, sondern auch andern Führer auf dem Weg zur wahren, einzigen, höchsten Gottheit gewesen sei." 62 Hebr. 3,1

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die Lehre von den Hierarchien der himmlischen Mächte, die auf allgemein apo­ stolischer Erfahrung und Überlieferung basiert. Diese Enthüllung über das We­ sen und Wirken der Engelshierarchien findet jedoch in entwicklungsgeschicht­ lich umgekehrter Richtung zum Zeitalter des Apostels statt. Sie ereignet sich als »Repristination« des mystagogischen Erbes des Apostels Paulus inmitten eines „mysteriologischen" Frömmigkeitstypus, der sich, wie Alexander Schmemann treffend bemerkt hat, reichskirchlich entwickelt und verfestigt hat. Die »Repristination« intendiert — angesichts eines heterogenen Paradig­ mas — die Vergegenwärtigung der paulinischen Mystagogie-Erfahrung, und zwar in der ihr allein möglichen Form. Worin besteht diese Form? In der Durch­ brechung der vorherrschenden mysteriologischen Kultidee durch Zurückfüh­ rung der Kultformen in die »prisca theologia« der mystagogischen Wesensprä­ senz Jesu im Nous selbst. Dieses Programm einer mystagogischen Repristination des Kultes durchzieht als Leitidee das gesamte Corpus Areopagiticum. Es ist deshalb wichtig anzumerken, dass aufgrund dieser Leitidee die einzelnen Schrif­ ten des Corpus in einer organischen Dialektik zueinander stehen. Die Brechung des heidenchristlichen Kultmythos, die sich an den Formen des Kultes selbst hermeneutisch vollzieht, stellt das eigentliche Arkanum der areopagitischen Mystagogie dar, das es zu erkennen gilt. Dies lässt uns mit noch größerem Recht die Mystagogie des Corpus Areopagiticum bestaunen, die eben keine sich dem herrschenden „mysteriologischen" Kultverständnis anpassende „Deutung" litur­ gischer Symbolik ist. Vielmehr bricht die areopagitische Idee göttlicher Mystago­ gie mit jener „vorgegebenen" Symboldeutung, in welcher das Verständnis des Kultgeschehens selbst verschlossen liegt. Erst die Reduktion der Kultformen in der »Theoria« des mystagogischen Nous Jesu befreit das Kultgeschehen und er­ hebt es anamnetisch zum Begriff des »christlichen Kultes«. Diese areopagitische Umdeutung des Kultes durch dessen Verankerung in der gottheitlichen Mystenschaft des Nous Jesu hat zur Folge, dass die sakramen­ tale Handlung der Liturgie selbst zurückgeführt werden muss auf ihren Ursprung in der »Symbol bildenden« Authentie (Vollmacht) des gottförmigen Nous. Dies aber bedeutet, dass die Liturgie allein von jener hierurgischen Vollmacht her, welche im Nous des Mysten selbst begründet liegt, »konsekrative« Geltung für sich beanspruchen kann. Damit aber scheidet die Möglichkeit einer Deutung der Liturgie als „Mystagogie" im Sinne einer „Heil vermittelnden" Symbolhandlung aus. Die Hierarchien der Engel sind nach Dionysius nicht einfach dem liturgi­ schen Geschehen sylliturgisch zugesellt, sondern sie sind von Beginn an jenem Urmysterium zugeordnet63, das die selbstentäußerte Gottheit Jesu sich im Nous des Mysten selbst bereitet64. Sie stehen ganz im Dienst an dem anagogischen We­ sensmysterium des Nous. Denn diese Wesensanagogie des erhabenen Nous im Licht der Kenosis Jesu ist es letztlich, in die sich alles Kultgeschehen und aller Kultsinn zurückführen lassen muss. Jetzt erst, da die nötige Vorarbeit geleistet ist, können wir die Entfaltung der Engelshierarchien betrachten, wie sie uns von Dionysius — beginnend mit dem 7. Kapitel seiner Schrift «Von der Himmlischen Hierarchie» — dargeboten wird. Und gleich zu Anfang desselben Kapitels verweist der Areopagit auf den anagogischen Wesenszusammenhang zwischen den einzelnen Benennungen der 63 CH IX, 4, 261 C 64 CH IX, 3, 261 A: Vom Hohenpriestertum Christi heißt es: προσέτι δε και άλλοις ώς ιεράρχης ήγεΐτο της έπ'ιτήν αληθή και μόνην θεαρχίαν αναγωγής.

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himmlischen Geister und deren gottähnlichen Eigenschaften65. Und dabei dürfen wir nicht unerwähnt lassen, dass jener Wesenskontext zwischen Name und We­ sen des Benannten zugleich wiederum im Lichte der anagogischen Wesensstruk­ tur des Nous geschaut werden muss. Die erste bzw. oberste Engelshierarchie empfängt unmittelbar vom Ur­ sprung aller göttlichen Initiation, von Jesus selbst, das Licht ihrer Hiérarchisati­ on. Jesus wird von Dionysius bereits zuvor66 als derjenige beschrieben, der die Engelsmächte der ersten Hierarchie in sein menschenliebendes Heilswerk ein­ weiht. Diese Einweihung durch Jesus selbst im theosophischen Licht der göttli­ chen Kenosis ist zugleich die hierarchische Wesensausformung der Erkenntnis­ struktur der Engelshierarchien selbst, welche durch und durch Nous sind. Es ist Wille der Engelsordnungen, ihre noetische Beschaffenheit mitzutei­ len und zur Erkenntnis zu bringen. Denn solche Erkenntnis erweckt das Wesen des »hierarchisierten« Nous in diesem selbst und bildet somit die mystagogische Sendung der Engelsgeister. Diese »Hiérarchisation« der Engelsgeistigkeit, von welcher Dionysius spricht, gilt es gemäß ihrer Intention zu ergründen. Dionysius zeigt uns die »Hiérarchisation« der Engelsgeistigkeit zur ersten Engelsordnung als ein mystagogisches Ereignis, das nicht eine schon bestehende Rangabstufung unter den Engeln voraussetzt. Dieses ist nicht der Sinn, der hinter den Ausfüh­ rungen des Areopagiten verborgen liegt. Ούκοϋν ή πρώτη των ούρανίων νοών ιεραρχία προς αύτής της τελεταρχίας ιεραρχούμενη τω έπ’ αύτήν άμέσως άνατείνεσθαι τής παναγεστάτης καθάρσεως τοϋ άπλετου φωτός τής προτελείου τελεσιουργίας άναλόγως αύτή πληρουμένη καθαιρεται και φωτίζεται και τελεσιουργεϊται, πάσης μεν ύφέσεως άμιγής πρώτου δε φωτός πλήρης και πρωτοδότου γνώσεως και έπιστήμης μέτοχος άποτελουμένη. Συνελών δε και τοϋτο φαίην άν ούκ άπεικότως οτι και κάθαρσίς έστι και φωτισμός και τελείωσις ή τής θεαρχικής έπιστήμης μετάληψις, άγνοιας μεν οίον άποκαθαίρουσα τή κατά τάξιν ένδιδομένη γνώσει των τελεωτέρων μυήσεων, φωτίζουσα δε αύτή τή θεία γνώσει δι’ ής και καθαίρει τήν ού πρότερον έποπτεύσασαν οσα νϋν έκφαίνεται διά τής ύψηλοτέρας έλλάμψεως, και τελειοϋσα πάλιν αύτω τω φωτι τή καθ’ έξιν έπιστήμη των φανοτάτων μυήσεων.67

65 Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia, VII, PG 3, 205 B: Ταύτην ήμεΐς αποδεχόμενοι τήν των αγίων ιεραρχιών τάξιν φαμέν οτι πάσα των ουρανίων νοών επωνυμία δήλωσιν έχει τής έκάστου θεοειδούς ίδιότητος. Die «Ordnung der heiligen Engelshierarchien» wird dem Mysten geoffenbart, sie ist Offenbarungsgut, das in dem anagogischen Wesensanalogon des erhabenen Nous selbst aufbewahrt und begründet ist. Diese dem Nous entspringende Wesensanalogie zwi­ schen Namen der Engel und den göttlichen Eigenschaften der von ihren Namen getragenen En­ gelsmächten meint drei Ebenen zugleich, den anagogischen Wesenskontext zwischen Namen und göttlichen Eigenschaften der Engel und die Analogie schaffende Zuordnung beider zum selbstaktuierten Wesen des Nous im Lichte der göttlichen Mystenschaft des Nous Jesu, der Ursprung jener Analogie selbst ist. 66 CH VII, 3, 209 B 67 CH VII, 3, 209 CD W. Tritsch [Übers.], ibid., S. 126: „So wird die erste Hierarchie der himmlischen Geister unmittel­ bar von dem Urgrund aller Weihevollendung erleuchtet, durch direktes Erheben zu Gott hierar­ chisch erfüllt, von der allerheiligsten Reinheit des unermeßlichen Lichtes durchstrahlt, entspre­ chend erfüllt und geläutert, in übervollkommener Weihe und Wirkung. Diese oberste Hierarchie wird durch kein Sinken nach unten getrübt, mit dem ursprünglichsten Urlicht erfüllt und durch Teilnahme an erstverliehener Erkenntnis und Weisheit vollendet.”

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Dionysius schildert uns vielmehr die Dynamik einer primordialen mystagogischen Ausformung von Erkenntnis-Struktur, die das Nous-Sein der Engel prägt und wandelt und im »Mysterium Jesu« selbst begründet. Die Hiérar­ chisation der Engels-Geistigkeit als die rein geistigen Seins, meint die Ganzheitlichkeit einer neuen Erkenntnisstruktur, die aus dem menschgewordenen Logos ihre mystagogische Wesensfunktion empfängt und eine der Vergöttlichung (θέωσις) des Menschen dienende Engelsgeistigkeit sein will, aus einem Akt der »Hiérarchisation«, der ungeteilt der mystagogischen Intention Jesu selbst ent­ springt. Die »Ur-Hierarchisation«68 der Engelsgeistigkeit, die Dionysius uns ent­ wickelt, ist einheitlicher und Einheit schaffender Akt der mystagogischen Präformation des wesenseinen und selbstaktuierten Nous, die sich in diesem als hierarchische Wesensumformung vollzieht. Diese Unmittelbarkeit der »UrHierarchisation« der Engelsgeistigkeit setzt sich im Menschen fort und macht diesen zum Geistesverwandten der Engel im Licht Jesu. Die »Ur-Hierarchisation« des Geistwesens aus dem theosophischen Lichte Jesu ist ein unteilbarer, einheitlicher und einheitschaffender Akt, der nicht im Gegensatz steht zu einer „Hierarchie" der Engel, sondern aus welchem die En­ gelsordnungen hierarchisch hervorgehen als von dem Einheit schaffenden Prin­ zip gottheitlicher Mystagogie. Jeder Versuch, die Engelsmächte in ihrer hierar­ chischen Differenzierung anders zu denken als dem Einheit schaffenden Akt je­ ner Ur-Hierarchisation von Engelsgeistigkeit im Nous des Mysten selbst ent­ sprungen, verhindert die Erkenntnis dessen, was Dionysius vom Areopag uns über die Engelshierarchien mitteilen will. Damit aber verhindern wir, dass die Engelshierarchien sich dem Wesen des Nous selbst einformen und in diesem verwirklichen können. Denn das We­ sen des Nous kann die Wirklichkeit jener »Hiérarchisation« nur vollziehen, wenn diese in ihrer Ganzheitlichkeit sich als die Selbstaktuation des gottesebenbildli­ chen Nous im Licht der Erkenntnis Jesu selbst vollzieht. Sie kann dies aber nicht, wenn die »Ur-Hierarchisation« des Geistwesens der Engel als eine „Hierarchie" der Seinsminderung innerhalb der Engelsgeistigkeit miss- verstanden wird. Denn der einheitliche und Einheit schaffende und unteilbare Akt der »Hiérarchisation« aus dem Mysterium der Mystagogie Jesu kann weder selbst einen Wesensbruch erleiden noch seine Energie auf eine Wirklichkeit beziehen, die nicht vom Nous aus dem authypostatischen Sein der Kenosis Jesu im Nous selbst geschöpft ist. Der Akt der Einheit schaffenden »Hiérarchisation«69 des Geistwesens der Engel geht aller Differenzierung der Engelshierarchien voraus und gestaltet diese aus der Kraft und Fülle des mystagogischen Nous Jesu. Deshalb macht Dionysius ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die drei Momente von Reinigung, Erleuchtung und Vollendung, durch welche die Initiati­ on am Wesen der Engelsgeistigkeit sich im Lichte der Kenosis Jesu verwirklicht, nicht als drei voneinander getrennte oder nacheinander verlaufende Stufen zu verstehen sind, sondern als Ausformung der einen hierarchischen Wesensstruk­ tur des Nous aus der Quelle der Mystagogie Jesu im Nous selbst. Dieses Prinzip mystagogischer Wesens-Strukturierung des Nous entfaltet aus sich die Hierarchien der Engel nicht in Seinsabstufungen, sondern als Ausdif­ 68 CHX, 1,272 D 69 CH VII, 3, 209 C

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ferenzierung des einen Seins des Nous selbst angesichts der einheitschaffenden Hiérarchisation des Geistwesens der Engel aus dem Urgrund der »Mystagogie Jesu«. Es ist die Einheit schaffende Hiérarchisation, die aus sich die Gesamtheit der Engelshierarchien hervorgehen lässt zum Dienst am Heil des Menschen. Das, was Dionysius mit der »Reinigung«, »Erleuchtung« und »Vollendung« bezeich­ net, sind die Wirkweisen oder Auswirkungen des mystagogischen Lichtes Jesu auf das eine Wesen der Engelsgeistigkeit aufgrund Einheit schaffender Hiérar­ chisation oder Wesensumformung: κάθαρσίς έστι και φωτισμός και τελείωσις ή της θεαρχικής έπιστήμης μετάληψις70. Und Dionysius vergisst nicht zu betonen, dass jener Akt der Wesens-Hierarchisation des Engelsgeistes ohne jede Seins­ minderung im hierarchisch sich nach innen ausformenden Geistwesen selbst ist71. Και την μεν αγίαν των Σεραφιμ ονομασίαν φασίν οί τα Εβραίων είδότες ή το έμπρηστάς έμφαίνειν ή το θερμαίνοντας, την δε των Χερουβίμ πλήθος γνώσεως ή χύσιν σοφίας. Εικότως ούν ή πρώτη των ούρανίων ιεραρχιών προς των ύπερτάτων ούσιών ίερουργεϊται τάξιν εχουσα τήν πασών ύψηλοτέραν τω περί θεόν άμέσως ίδρϋσθαι και τάς πρωτουργούς θεοφανείας και τελειώσεις είς αύτήν ώς έγγυτάτην άρχικωτέρως διαπορθμεύεσθαι. Θερμαίνοντες γοϋν ονομάζονται και θρόνοι και χύσις σοφίας έκφαντορικω των θεοειδών αύτών έξεων όνόματι. Το μεν γάρ άεικίνητον αυτών περί τα θεία και άκατάληκτον και τό θερμόν και όξύ και ύπερζέον τής προσεχούς και άνενδότου και άκλινοϋς άεικινησίας και τό των ύποβεβηκότων άναγωγικώς και δραστηρίως άφομοιωτικόν ώς άναζέον έκεινα και άναζωπυροϋν έπί τήν όμοίαν θερμότητα, και τό πρηστηρίως και όλοκαύτως καθαρτικόν και τήν άπερικάλυπτον και άσβεστον εχουσαν ώσαύτως άεί φωτοειδή και φωτιστικήν ιδιότητα, πάσης άλαμποϋς σκοτοποιίας έλάτειραν ούσαν και άφανιστικήν ή των Σεραφιμ έπωνυμία έκφαντορικώς διδάσκει, ή δε των Χερουβίμ τό γνωστικόν αύτών και θεοπτικόν και τής ύπερτάτης φωτοδοσίας δεκτικόν και θεωρητικόν έν πρωτουργω δυνάμει τής θεαρχικής εύπρεπείας και τής σοφοποιοϋ μεταδόσεως άναπεπλησμένον και κοινωνικόν άφθόνως προς τά δεύτερα τή χύσει τής δωρηθείσης σοφίας, ή δε των ύψηλοτάτων καί έπηρμένων θρόνων τό πάσης άμιγώς έξηρήσθαι περιπεζίας ύφέσεως και τό προς τό άναντες ύπερκοσμίως άνωφερές και πάσης έσχατιάς άρρεπώς άνωκισμένον και περί τόν όντως ϋψιστον όλικάϊς δυνάμεσιν άκατασείστως και εύσταθώς ίδρυμένον και τής θεαρχικής έπιφοιτήσεως έν άπαθεία πάση και άϋλία δεκτικόν και τό θεοφόρον και θεραπευτικώς έπί τάς θείας ύποδοχάς άναπεπταμένον.72 70 CH VII, 3, 209 C G. Heil [Übers.], ibid., S. 46: „Sowohl Reinigung als auch Erleuchtung als auch Vollendung ist für die oberste Hierarchie die Teilnahme an der vom Gottesprinzip verliehenen Wissenschaft." 71 CH VII, 3, 209 C: πάσης μέν ύφέσεως αμιγής πρώτου δέ φωτός πλήρης καί πρωτοδότου γνώσεως καϊ έπιστήμης μέτοχος άποτελούμενη. G. Heil [Übers.], ibid., S.46: „Unzugänglich jeder Minderung, voll des ersten Lichtes, teilhaftig der erstvergebenen Erkenntnis und Wissenschaft vollendet sie sich." 72 CH VII, 1,205 B-D W. Tritsch [Übers.], ibid., S. 122: „Nach den Kennern des Hebräischen zu urteilen, bedeutet der heilige Name der Seraphim entweder „Entflammer” oder „Glutentfacher”. Der Name Cherubim dagegen entweder „Verbreiter der Erkenntnis” oder „Ergießer der Weisheit”. Mit Recht wird der alleroberste Heilsdienst der himmlischen Hierarchien darum von diesen allerhöchsten Wesen versehen. Denn sie nehmen eine über alle anderen erhabene Stellung ein. Ursprünglicher treffen die durch Gott gewirkten Offenbarungen auf sie und die Einweihungen in Göttliches werden

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An der Exposition der obersten Engelshierarchie, die sich aus den »Sera­ phim«, den »Cherubim« und den »Thronen« zusammensetzt, wird deutlich, was ich über die primordiale Wesens-Hierarchisation der Engelsgeistigkeit ausge­ führt habe. In der Erscheinung dieser Hierarchie offenbart sich die Unteilbarkeit der mystagogischen Selbstaktuation der reinen Nous-Wesenheit, die in sich den Prozess der Selbststrukturierung dieser Wesenheit notwendig beinhaltet73. Die Wesens-Hierarchisation des Nous im Lichte der unmittelbaren und ganzheitlichen Wirklichkeit der »Mystagogie Jesu« führt in sich selbst die hierar­ chische Differenzierung der Wesenskräfte der Engelsgeistigkeit syzygisch aus. So wird der eine unteilbare Akt der Ur-Hierarchisation der einen Engelsgeistigkeit oder Nous-Wesenheit, der sich in der Mystagogie Jesu selbst ereignet, von der hierarchischen Emergenz der himmlischen Wesenskräfte weitergetragen und bewahrt in einheitstiftender Harmonie der Engelsordnungen im Dienste am My­ sterium Jesu74. Diese hierarchische Wesensentfaltung der Engelsgeistigkeit75 entkräftet sich nicht in einem ontologischen Gefälle, sondern sucht ihren Grund in der vom Logos selbst angenommenen Mystenschaft und damit in denen, die ausrufen: ημείς δε νοϋν Χρίστου εχομεν76. Die areopagitische Lehre von den Engelshierar­ chien ist ein heikles Thema, weil sie dazu herausfordert missinterpretiert zu werden im Sinne eines ekklesiologischen „Hierarchien- Entwurfs", der mit dem Evangelium in unversöhnlichem Widerspruch steht. Den Begriff der »Hierarchie« von der gängigen alltäglichen Konnotation des Wortes abzulösen und zurückzuführen in die Intention der areopagitischen Mystagogie-Idee, dies heißt, die Mystagogie des Dionysius in der ganzen Fülle ihrer christlichen Gnosis zu vergegenwärtigen und wirksam werden zu lassen. Im Akt der Wesens-Hierarchisation des Nous, wie er von Dionysius in den Kapi­ teln 7 ff. exponiert wird, vollzieht sich die Wesensdifferenzierung der Engels­

unmittelbar auf sie übergeleitet; sie, die ersten von allen, stehen Gott am nächsten. „Glutentfacher” und „Ergießer der Weisheit” werden auch die Throne genannt - dieser Namen offenbart ihre gottähnliche Wesensart. Das immerwährende, unaufhörliche Bewegtsein um das Göttliche, die Glut, die Schärfe, das Übereifrige des beständigen, nie wankenden Immer-Umkreisens, ihre Fähigkeit, alle tieferstehenden Ordnungen emporzuführen, sie zu entzünden, sie zu ähnlich wirk­ samer Glut anzufachen und sich selbst so weit wie möglich anzugleichen, die Kraft, in brennen­ den und verzehrenden Flammen alle zu reinigen, ein Charakter, der kein Verhüllen und kein Verlöschen zuläßt und immer gleichmäßig jedes Dunkel lichtet, jede Finsternis verscheucht und vernichtet, lichtartig und lichtspendend: das ist es, was uns der Name „Seraphim" lichtvoll offen­ bart. Der Name „Cherubim” bezeichnet die Kraft des Erkennens und Gottschauens, die Fähigkeit, höchste Erleuchtungen aufzunehmen und die urgöttliche Schönheit in ihrer direkten, unmittelbar wirkenden Macht zu spiegeln: sie sind für weise machende Mitteilungen geschaffen, neidlos drängen sie, mit den Wesen der zweiten Ordnung Gemeinschaft zu schließen, und die von Gott geschenkte Weisheit unter ihnen zu verbreiten. Der Name „Throne” endlich bedeutet die höchste, erhabenste Riege: er weist auf jene Wesen hin, die aller erdhaften Niedrigkeit am wei­ testen entrückt sind. Überweltlich streben sie stets nach oben, bleiben von allen unter ihnen krei­ senden Gliedern unerschüttert, hinweggehoben über sie alle, festgehalten durch die Kraft des wahrhaft Höchsten, sichergegründet und voll Stärke, unfähig jedes Wankens, so daß sie frei von jeder sinnlichen, materiellen Störung die Einkehr Gottes genießen, als eigentliche Gottesträger, allen göttlichen Erleuchtungen ehrfurchtsvoll erschlossen.” 731. Bentchev, Engelikonen, Freiburg i. Br. 1999, S. 34. 74 CH IX, 3, 261 A 75 CH VII, 3, 209 C 76 1. Kor. 2,16

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hierarchien aber nicht als eine von außen hinein getragene und Wesen prägende, sondern als eine sich selbst wissende und sich selbst aktuierende des Nous. Dies aber setzt die Perichorese der Wesenskräfte des Engelsgeistes vor­ aus. So wie »Reinigung«, »Erleuchtung« und »Vollendung« nicht drei von einan­ der getrennt zu denkende oder nacheinander ablaufende Momente in der Hiér­ archisation des Geistwesens sind, sondern unmittelbare und unteilbare Einwei­ hung des Nous in der Mystenschaft Jesu selbst, so sind die Glieder der obersten Engelshierarchie 77 — die Seraphim, Cherubim und Throne — in ihrem mystagogischen Hervorgang zugleich perichoretisch miteinander verknüpft in der Offen­ barung Jesu. Die erste Hierarchie des Engelsgeistes trägt den primordialen Im­ puls der Wesens-Hierarchisation in die innere Wesensdifferenzierung der En­ gelsgeistigkeit hinein. Deshalb liegt in ihr die Kompetenz der mystagogischen Wesensentfaltung des Engelsgeistes selbst. Die anagogische Wesensanalogie der Engelsnamen, von welcher Dionysius spricht, liegt darin begründet, dass die En­ gelsmächte als Wesenskräfte der hierarchisierten Engelsgeistigkeit allein aus dem im Menschen geoffenbarten Mysterium Jesu manifestiert und benannt wer­ den können als der Weisheit Jesu entspringende analoge Wesensstruktur des hierarchisierten Nous78. Die Hierarchie der Engelsmächte nährt sich vom Nous Jesu selbst. Denn dieser ist ganz Herrlichkeit geworden, um aus der Wesensanalogie des Nous die Engelshierarchien zu benennen durch Manifestation ihrer göttlichen Eigenschaf­ ten und ihres Wesens. Aus dieser anthropomorphen Struktur der Engelsgeistig­ keit zeichnet sich der gottesebenbildliche Nous des Menschen als Grund der Kenosis Jesu ab. Aus diesem noetischen Gnadengrund Jesu im Menschen formt sich die Welt der Engelshierarchien, um im Nous des Mysten selbst äußerste mystagogische Wirklichkeit zu werden. Deshalb sind die Hierarchien, die aus der Ur-Hierarchisation des Nous hervorgehen, der Nous Jesu in der inneren Wesensentfaltung seiner Einheit schaffenden Wesens-Hierarchisation79. Dies meint die Unmittelbarkeit, die nicht Vorrecht einer obersten Engelswesen-Hierarchie ist, sondern Initiation des Nous in die selbstaktuierte Schaffung seiner Wesenseinheit mit sich selbst im Licht der ArkanWissenschaft Jesu. In diesen drei Ordnungen, welche die erste Engelshierarchie80 bilden, of­ fenbart sich das theosophische Mysterium der »mens hierarchizata« im Zentrum seiner mystagogischen Propria als Liebe, Erkenntnis und Gott empfangender Wesensgrund des Nous. Die höchste Engelshierarchie, die aus den »Seraphim«, »Cherubim« und »Thronen«81 besteht, hat als gemeinsame Grundlage die höhere Seelenkraft der »synderesis«. Diese verkörpert zugleich die Kraft der Throne als Fundament der gesamten obersten Hierarchie und zum anderen die perichoretische Synergie der aus diesem gemeinsamen Wesens-Grunde sich manifestieren­ den Seelenkräfte. Und der Abbas Vercellensis betont, dass das Wesensmerkmal der »synderesis« nicht die Tätigkeit des freien Willens ist, sondern vielmehr die Fähigkeit zur Empfängnis und Aufnahme des göttlichen Lichtstrahles. Und er macht noch eine weitere wichtige Aussage hinsichtlich der »synderesis«. Diese 771. Bentchev, Engelikonen, S. 36. 78 CH VII, 2, 208 D 79 CH VII, 4,212 A 80 CH VII, 1,205 BD 81 Bentchev, Engelikonen, S. 38.

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ist zugleich als Vollendung aller Werke der Natur wie der Tugendübung zu ver­ stehen. Thomas Gallus will uns damit sagen, dass alle unteren Seelenvermögen in der »synderesis« zur hierarchischen Intentionalität des Nous kontrahiert wer­ den, welche die Einung mit Gott bewirkt. Die mittlere Engelshierarchie82 setzt sich aus den »Herrschaften«83, den »Kräften«84 und »Mächten«85 zusammen. Sie ist dem rationalen Bewusstsein und dem freien Willen zugeordnet. Die Unterscheidung der Ebenen von νους und λόγος, die wir in der Mystagogie des Maximus Confessor wiederfinden, begegnet uns auch in dem des Thomas Gallus, wo das mittlere Heiligtum des Seelen-Tempels die unterhalb der »synderesis« liegenden Seelenkräfte beherbergt, nämlich die der Rationalität. Thomas ordnet der unter­ sten Ordnung innerhalb der mittleren Engelshierarchie die Meditation zu, der mittleren die Analyse der Erfahrung und der obersten die Schlussfolgerung aus der gegebenen Erfahrung und deren praktische und entschlossene Umsetzung. Die mittlere Engelshierarchie steht nicht für den Bereich des „freien" Wil­ lens, sondern setzt immer schon den vom eingegossenen göttlichen Licht er­ leuchteten Willen voraus. Die obere Ordnung bildet die »Herrschaften« (KupLoxprcç/dominationes), welche die selbstherrschaftlichen Akte des Willens bezeichnen, durch die der Nous in Konkomitanz mit der Gnade sein verborgenes Wesen an sich selbst aktuiert und die kreatürliche Funktionalität seiner affekti­ ven und intellektuellen Fähigkeiten zum Erliegen bringt, um sich selbst ins Licht seiner göttlichen Intentionalität zu versetzen. Diese Wesens-Selbstaktuation des Nous aber ist der Aufgang des Nous in das sich ihm selbst offenbarende Außersichsein seiner selbst. Und dieses ist sein Ruhen in sich selbst und die Verwirklichung seines theoleptischen Wesensgrun­ des. Der Name dieser Engelsordnung verweist uns darauf, dass sich die Anagogie selbst auf die Selbstaktuation des erleuchteten Nous gründet. Gegen dieses selbstherrschaftliche Walten des sich in seinem anagogischen Wesen aktuierenden Nous aber vermag keine Macht irgend etwas. Die mittlere Ordnung bilden die »Kräfte« (ôuvâpaç/potestates)86. Ihr Name87 verweist auf ihre Mannhaftigkeit und Festigkeit bei all ihrem Handeln. 82 CH Vili, 1, 237 B-240 B 83 CH Vili, 1, 237 C Edith Stein [Übers.], S. 172: „So glaube ich, der Name, der die heiligen Herrschaften bezeichnet, enthüllt einen absoluten Übergang zum Himmlischen, frei von jedem irdischen Nutzen, und eine durch keine tyrannische Entstellung [Ungleichheiten] geminderte, in großzügiger Freiheit stren­ ge Herrschaft, erhaben über jede verächtliche Knechtschaft, jede Erniedrigung, jeder Entstellung fern, voll dauernden Verlangens nach der wahren Herrschaft und dem Ursprung aller Herrschaft, indem sie sowohl sich selbst als [auch] alles ihr Untergeordnete zur echten Ähnlichkeit mit Ihm aufs Beste umgestaltet; keinerlei leeren Schein, sondern dem wahrhaft Seienden ganz und gar zugewendet, hat sie stets teil an der Gottheit des Herrn.” 84 CH VIII, 1,237 D-240A 85CH VIII, 240 AB 86 CH Vili, 1, 237 D-240 A Edith Stein [Übers.], ibid., S. 173: „Der Name der heiligen Kräfte bezeichnet eine tapfere, uner­ schütterliche Männlichkeit , die auf all ihre gottähnlichen Handlungen überströmt und nichts zuläßt, wodurch die ihnen von Gott verliehenen Erleuchtungen vermindert werden könnten. Sie strebt mit aller Kraft nach der Nachbildung Gottes, bleibt nicht in feiger Schwäche hinter dem zurück, was die göttliche Bewegung verlangt, sondern schaut beständig auf die überwesentliche, machtschaffende Kraft und ist, soweit möglich, ein Abbild dieser Kraft, wendet sich kraftvoll die­ ser ursprünglichen Kraft zu und fließt auf das, was ihr untergeordnet ist, kraftspendend gottähn­ lich über."

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Und ihre Gottförmigkeit kommt gerade dadurch zum Ausdruck, dass sie bei der Ausführung Unwandelbarkeit und Stärke zeigen, nicht aber wankelmütig sind oder bei der Verwirklichung eines Werkes scheitern. So ist ihr anagogisches We­ sensmerkmal die Ausdauer bei der Ausführung eines Werkes. Es ist das nicht Nachlassen in der Kraftanstrengung, was das Kennzeichen ihrer Wesensordnung ist und was die Gottförmigkeit ihres Wesens selbst ausmacht. Die untere Ord­ nung8 88 sind die »Mächte« (έξουσίαι/virtutes)89. Sie enthält sowohl die affektiven 7 als auch die intellektuellen Antriebe, durch die der Nous sich das eingegossene Licht (infusum lumen) zueigen macht. Schließlich expliziert uns Dionysius die drei letzten Ordnungen, welche die dritte Engelshierarchie bilden. Die άρχαί bilden hier wiederum die oberste Ordnung innerhalb dieser Hierarchie. Gewöhnlich wird ihr griechischer Name im Deutschen mit »Fürstentümer« wiedergegeben. Das griechische Wort άρχή heißt wörtlich: Anfang, Ursprung. Es hat aber auch die Bedeutung von „Herrschaft". Es ist die Wirkweise der Engelsordnung der »Fürstentümer« auf die Wesensstruk­ tur des Nous und die verschiedenen Seelenkräfte bezogen. In ihnen als den anagogischen „Ursprüngen" bildet sich die göttliche Herrschaft ab. In ihnen und durch sie drückt sich das mystagogische Wesen der göttlichen Gnade aus, durch das diese sich in uns verwirklicht und geltend macht: als leitendes Prinzip der anagogischen Ordination und Umformung des Nous und der Seelenvermögen. Έκφαίνει γάρ ή μέν των ούρανίων άρχών το θεοειδώς άρχικόν και ηγεμονικόν μετά τάξεως ίεράς και ταις άρχικαις πρεπωδεστάτης δυνάμεσι και το προς τήν ύπεράρχιον αρχήν αύτάς τε όλικώς έπεστράφθαι και ετέρων άρχικώς ήγέϊσθαι και το προς αυτήν έκείνην ώς δυνατόν άποτυποϋσθαι τήν άρχοποιόν αρχήν άναφαίνειν τε τήν ύπερούσιον αύτής ταξιαρχίαν τή των άρχικών εύκοσμία δυνάμεων.90 Der theoleptische Ur-Impuls weist zurück auf einen Ursprung des Göttli­ chen im Wesen des Nous selbst. Er muss sich ganz des Nous bemächtigen, damit das Geheimnis der Mystagogie Jesu unmittelbar im Nous Wirklichkeit zu werden vermag. Dies kann aber nur geschehen, wenn der Nous der Wesen schaffenden Energie der Gottheit Jesu die Herrschaft einräumt, durch die er sich selbst ganz erneuert weiß und versehen mit göttlicher Wesenheit. 87 Bentchev, ebd., S. 40. 88 Ibid., S. 40. 89 CH VIII, 1,240 A Edith Stein [Übers.], ibid., S. 173: „Der Name der heiligen Mächte bezeichnet eine den göttlichen Herrschaften und Kräften gleichgeordnete Gruppe, eine [mit den anderen] unvermischte Ord­ nung zur Aufnahme göttlicher Dinge, eine Verfassung geistiger und überirdischer Macht, die in keiner Weise ihre Kräfte tyrannisch zum Schlimmen mißbraucht, sondern sowohl sich selbst mit unbesiegtem Geist in der echten Weise zum Göttlichen hinwendet, als auch das ihr Untergeord­ nete voll Güte fördert und sich, soweit möglich, der ursprünglichen machtverleihenden Macht nähert und sie, soweit Engel es vermögen, durch die herrlichsten Leistungen ihrer machtvollen Kraft offenbart." 90 CH IX, 1, 257 B G. Heil [Übers.], ibid., S. 51: „Es offenbart nämlich die Benennung 'himmlische Prinzipien’ [vgl. Kol 1,16] das gottgemäß Prinzipielle und das mit geheiligter und den Kräften des Prinzips angemes­ sener Ordnung Leitende, zweitens, daß sie gänzlich auf das über jedem Prinzip stehende [Ur]prinzip hin ausgerichtet sind und andere nach Art des Prinzips leiten, drittens, daß sie die Prägung des Prinzipien erschaffenden Prinzips, soweit das möglich ist, an sich tragen und das in diesem begründete, über allem Sein stehende Ordnungsprinzip durch die schöne Ordnung der vom Prinzip ausgehenden Kräfte enthüllen."

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την δέ των άρχών καί αρχαγγέλων καί άγγέλων έκφαντορικήν διακόσμησιν ταΤς άνθρωπίναις ίεραρχίαις δ l’ άλλήλων έπιστατεΐν, ϊν’ ή κατά τάξιν ή προς θεόν άναγωγή καί έπιστροφή καί κοινωνία καί ένωσις καί μην καί ή παρά θεοϋ πάσαις ταις ίεραρχίαις άγαθοπρεπώς ένδιδομένη καί κοινωνικώς έπιφοιτώσα μετ’ εύκοσμίας ίερωτάτης πρόοδος. Ένθεν ή θεολογία την καθ’ ημάς ιεραρχίαν άγγέλοις άπονενέμηκεν, άρχοντα τοϋ ’Ιουδαίων λαοϋ τον Μιχαήλ όνομάζουσα καί άλλους έθνών ετέρων. «Έστησε» γάρ ò ϋψιστος «όρια έθνών κατά άριθμόν άγγέλων θεοϋ.»91 Die dritte Engelshierarchie bildet den Abschluss der neun Engelchöre zum Nous, der durch die Ordnungen der dritten Engelshierarchie und deren Wirk­ samkeit zur hierarchia mentis »ordiniert« wird im Licht Jesu. Es ist diese letzte und abschließende Engelshierarchie, welche für den Menschen zum Anfang sei­ nes mystagogischen Lebens und Wesens wird92. Dies wird besonders deutlich in der Auslegung des Johannes Scotus Eriugena über die Bedeutung des Namens der „Fürstentümer" (άρχαί/principatus), welche die obere Ordnung darstellen. Die άρχαί werden von Eriugena als Ursprünge einer mystagogischen Evolution der Völker verstanden. Sie sind die von Gott bestimmten Ethnarchen, die jedes einzelne Volk aufgrund eines spezifischen mystagogischen Erbes zu Gott als dem Ursprung von allen führen.93 So können wir sehen, wie die Intentionalität der Mystagogie Jesu sich über die Fülle der Engelshierarchien herablässt, um sich in der »Ordination« des Nous zur »hierarchia mentis« zu verwirklichen. Durch die Transmission der drei abschließenden Ordnungen wird die Gesamtheit der Engelshierarchien im We­ sensgrund des Nous rekapituliert, um von diesem selbst zur mystagogischen Wirklichkeit und Wesensumformung des Nous erhoben zu werden. Dies ist die mystagogische Wesensprägung des Nous, bei der das diesem Eingeprägte sich zur Wesenstätigkeit desselben Nous wandelt. Auf diese Weise erfasst das Göttliche sich im Wesenskern des Nous mystagogisch selbst. Diese Selbsterfassung des Göttlichen im Wesen des Nous ist die mystagogische Um­ formung oder Überformung des Nous selbst. So führt der Nous sich »intentional« in die Wesensgegenwart Jesu selbst ein, um sich vom noetischen Wesensgrund der menschgewordenen Gottheit selbst zu nähren94. Das perichoretische Wesen der Mystagogie Jesu offenbart sich erst dort, wo der Dienst der Engelshierar91 CH IX, 2, 260 AB Edith Stein [Übers.], ibid, S. 176: „die Ordnung der Fürstentümer, Erzengel und Engel schließlich ist zur Offenbarung über die menschlichen Hierarchien gesetzt: Damit durch diese Ordnung ein Aufstieg zu Gott sei und ein Verkehr, Gemeinschaft und Vereinigung, und damit diese von Gott allen Hierarchien gütig gespendet werde, durch eine gewisse Mitteilung eingeflößt werde und in heiligster Schönheit ausströme. Daher weist die Theologie unsere Hierarchie den Engeln zu, da sie Michael den Führer des jüdischen Volkes nennt und andere als Führer anderer Völker be­ zeichnet: Denn der Allerhöchste hat die Grenzen der Völker gesetzt entsprechend der Zahl der Engel." 92 Über die untere Engelshierarchie in der Deutung des Dionysius-Kommentators Thomas von Vercelli schreibt Jeanne Barbet, ebd., S. 48: „II est donc immédiatement acquis que l’esprit pos­ sède une nature, et que la nature de l’esprit correspond aux trois ordres de la hiérarchie inférieu­ re: anges, archanges, principautés." Ich möchte, um Missverständnisse zu vermeiden, zur Ver­ deutlichung hinzufügen, dass es bei Dionysius wie bei seinem Kommentator Thomas Gallus um die neue Natur des durch die göttliche Gnade hierarchisierten Nous des Mysten geht. 93Johannis Scoti Eriugenae, Expositiones in Ierarchiam Coelestem, ed. J. Barbet, CCCM 31, Turnhout 1975, S.134. 94 CH VII, 4,212 A

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chien am Heil des Menschen sich in der »Wesens-Ordination« des Nous zur »hierarchia mentis« zusammenfasst. ΤαΤς τε γάρ άγιωτάταις άρχάϊς κοινωνεΤ και τοΐς άγίοις άγγέλοις, τάϊς μεν οτι προς την ύπερούσιον άρχήν άρχικώς έπέστραπται και προς αύτήν ώς έφικτύν άποτυποϋται και τούς αγγέλους ενοποιεί κατά τάς εύκοσμους αύτής και τεταγμένας και άοράτους ηγεμονίας, τοΐς δε οτι και της ύποφητικής έστι τάξεως, τας θεαρχικάς έλλάμψεις ίεραρχικώς δια των πρώτων δυνάμεων ύποδεχομένη και τοΐς άγγέλοις αύτάς άγαθοειδώς άγγέλλουσα και δι’ αγγέλων ήμιν άναφαίνουσα κατά την ίεράν έκαστου των θείως έλλαμπομένων άναλογίαν.95 Die Ordnung der „Erzengel", welche sich den „Fürstentümern" anschließt und das Verbindungsglied zwischen diesen und der nachgeordneten Ordnung der „Engel" bildet, sie vermittelt die von den „Fürstentümern" empfangenen thearchischen Erleuchtungen weiter an die „Engel", welche sie — sie eröffnend und offenbarend — an uns weitergeben, und zwar nach der heiligen Analogie jedes einzelnen auf göttliche Weise Erleuchteten (κατά την ίεράν έκάστου των θείως έλλαμπομένων άναλογίαν). In seinem Kommentar zur „Himmlischen Hierarchie" unterscheidet Albert der Große den anagogischen Dienst der „Erzengel" von dem der „Engel"96, indem er betont, dass der Dienst der „Erzengel" ein die Allgemeinheit betreffender sei97, das heißt, der Erleuchtung nicht nur einer Person, sondern einer ethnischen Ge­ meinschaft oder der Menschheit als ganzer zugeordnet sei. Mit den „Erzengeln" und ihrem anagogischen Wesen offenbart sich uns der Ursprung der verschiede­ nen Völker aus dem göttlichen Licht der Mystagogie Jesu. Die Engel offenbaren den einzelnen Völkern das diesen von Gott gegebene mystagogische Erbe, das es aus der Kenosis Jesu zu ergründen und in diese durch geistinspirierte Auslegung oder »hypophetisch« zurückzuführen gilt. Erst hierdurch werden die verschie­ denen religiösen Überlieferungen in ihrer mystagogischen Bedeutung, in ihrem eigentlichen »anagogischen Sinn« erkannt als verborgene intentionale Zeichen der Kenosis Gottes. Aller Sinn religiöser Überlieferung erfüllt sich anagogisch im Arkanum der Mystagogie Jesu. Ganz im Sinne des areopagitischen Originals kommentiert Albert die noetische Wesenstätigkeit der „Engel" als der hypophetischen Ordnung zugehörig98. Sie haben mit den „Erzengeln" Anteil an dieser Ord­ nung. Diese wiederum stehen mit der Ordnung der „Fürstentümer" in anagogischer Wesensgemeinschaft. Die hypophetische Ordnung, an welcher Erzengel wie Engel teilhaben, be­ steht darin, dass die Einstrahlungen des göttlichen Lichtes nicht nur von den 95 CH IX, 2, 257 CD Stein [Übers.], ibid., S. 175: „...so faßt die Ordnung der Erzengel durch ihre Mittelstellung die äu­ ßersten zusammen nach einem allgemeinen hierarchischen Recht und stellt die Verbindung zwi­ schen den hochheiligen Fürstentümern und den heiligen Engeln her; mit jenen steht sie in Ver­ bindung, weil sie der überwesentlichen Führung in führender Weise zugekehrt ist und sich, so­ weit möglich, danach bildet; und den Engeln ist sie durch ihre schöne und wohlgeordnete un­ sichtbare Führung die Ursache der Einigung. Weil sie aber auch das Amt der Verkündigung hat, kündet sie den Engeln die göttlichen Erleuchtungen, die sie von den ersten Kräften auf hierarchi­ sche Weise empfängt, voll Güte, und durch die Engel offenbart sie uns nach dem Maße der Fassungskraft für heilige Dinge, die den von göttlicher Erleuchtung Getroffenen eigen ist." 96 CH IX, 2, 257 D-260 A 97Alberti Magni Opera omnia, Bd. 36/1, Münster 1993, S. 142. 98 CH XIII, 2, 300 BC; CH XIII, 3, 330 D-301 A

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oberen Engelsmächten empfangen und dann einfach an die folgende Ordnung weitergegeben werden. Vielmehr führt die Ursprung schaffende Eigenschaft der „Fürstentümer" jene Ordnung in die symbolbildende Fähigkeit des Nous ein und setzt sie dadurch in einen noetischen Wesensbezug zum empfangenen göttlichen Licht. Genau dieser Prozess ist gemeint, wenn Albert vom „operando sub dispensatione principium"99spricht. Und so besteht die »hypophetische« Fähigkeit100 der Deuter der göttlichen Überlieferungen darin, dass sie das göttliche Licht aus dem selbsttätigen Wesen des Nous in Symbolen heiliger Überlieferung hervorge­ hen lässt. Dies ist die anagogische Tätigkeit der erleuchteten Ausleger göttlicher Überlieferung. Die Wesenstätigkeiten von »Erzengeln« und »Engeln«" durch­ dringen sich gemäß der hypophetischen wie der prophetischen Ordnung.101 Die Einstrahlungen des göttlichen Lichtes vermögen nichts, sofern sie sich nicht in dem Inneren des Nous diesem selbst zugrunde legen und aus solchem noetischen Ursprung jene Bilder hervorbringen, die mentale Zeichen göttlicher Inspiration sind. Dies aber heißt nichts anderes, als dass der göttliche Lichtstrahl der authypostatischen Einwohnung Jesu im Nous von dessen Wesenstätigkeit selbst getragen sein muss, um wirklich zu sein. Deshalb werden die göttlichen Erleuchtungen schließlich den »Engeln« 102 mitgeteilt, damit deren göttliche Ei­ genschaft vom Wesen des Nous selbst aktuiert wird durch heilige »Symbolbil­ dung«. Έπεί ötl γε και των ετέρων έθνών,έξ ών και ημείς άνενεύσαμεν έπΐ το πάσιν έτοίμως εις μετάδοσιν άναπεπταμένον τοϋ θεαρχικοϋ φωτός άπειρόν τε και άφθονον πέλαγος, ούκ έκφυλοι τινες έπεστάτουν θεοί, μία δε πάντων άρχή και προς ταύτην άνήγον τούς επομένους οί καθ’ έκαστον έθνος ίεραρχοϋντες άγγελοι, τον Μελχισεδέκ έννοητέον ιεράρχην οντα φιλοθεώτοττον ού των ούκ οντων, άλλά τοϋ όντως οντος ύψίστου θεού. Και γάρ ούχ απλώς τον Μελχισεδέκ οί θεόσοφοι ού φιλόθεον μόνον άλλά καί ιερέα κεκλήκασιν ή ϊνα τοις έχέφροσιν έναργώς έμφαίνωσιν οτι μη μόνον αύτός έπί τόν όντως οντα θεόν έπέστραπτο, προσέτι δε καί άλλοις ώς ιεράρχης ηγείτο τής έπί την άληθή καί μόνην θεαρχίαν άν αγωγής.103 99Alberti Magni Opera omnia, Bd. 36/1, S. 143. 100 Bentchev, ebd., S. 41. 101Alberti Magni Opera omnia, Bd. 36/1, S. 143/4. 102 CH IX, 2, 260 B W. Tritsch [Übers.], ibid., S. 134: „Sodann die Engel. Diese schließen, wie schon angedeutet, die sämtlichen Ordnungen der himmlischen Geister ergänzend nach unten hin ab; sie besitzen also das Eigentümliche der Engelnatur unter allen himmlischen Wesen im untersten Grade. Mit um so größerem Recht werden sie von uns Engel genannt, gegenüber allen höheren Geistern. Denn ihre Hierarchie reicht tatsächlich weiter in das Gebiet des für uns mehr Sichtbaren: die Engel stehen der irdischen Natur näher...Und so muß endlich diese letzte Hierarchie der Fürstentümer, Erzen­ gel und Engel, als die Grundordnung der schließlich ins Sichtbare Tretenden, durch die Kette ihres gegenseitigen Einwirkens auch den ihnen unter Menschen nachgebildeten Hierarchien vorstehen." 103 CH IX, 3, 261 A Edith Stein [Übers.], ibid., 176/77: „Es haben ja auch über die andern Völker [aus denen wir em­ porgetaucht sind und zu jenem unendlichen, überfließenden Meer göttlichen Lichtes gelangt, das für alle bereit liegt und ausgebreitet ist, um daran teilzuhaben] nicht fremde Götter die Herr­ schaftgehabt, sondern der eine Urgrund aller Dinge; und dahin sollten die Engel, die an die Spitze eines jeden Volkes gestellt sind, ihr Gefolge führen. Man betrachte nur Melchisedech, den Go so teuren Priester, der nicht Priester der eitlen Götter, sondern des höchsten und wahren Gottes war: Denn die Theologen nennen Melchisedech nicht nur einfach Gottes Freund, sondern auch Priester, um so den Verständigen deutlich zu machen, daß er nicht nur selbst zum wahren Gott

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Den Engeln obliegt die hierarchische Wesens-Ordination des Nous im gottheitlichen Lichte der Wesenspräsenz Jesu, welche sich zum »thearchischen« Wesensgrund des Nous im vergöttlichten Menschen selbst wandelt. In diesem substantiellen Zusammenhang muss die areopagitische Lehre von den Engels­ hierarchien immer gesehen werden. Dies betont auch Dionysius mit seinem Verweis auf Melchisedek, welcher als der hohepriesterliche Mystagoge andere in die „wahre und einzige Thearchie" einzuweihen vermag104. Erst hierdurch erfüllen sich Ordnung und perichoretisches Wesen der göttlichen Mystagogie. Erst hier wird die göttliche Anagogie von uns als in uns selbst erfüllt erfahren aufgrund der hierarchisierten Wesensstruktur des mystagogischen Nous.105 Die Wesens-Umformung des Nous im Spiegel der mystagogischen Wesensanalogie der Engel macht die Tiefe und Wahrhaftigkeit der areopagitischen Lehre aus106. Diese besagt, dass der Nous des Mysten die in sein eigenes Wesen eingeführte Wesensanalogie der Engelshierarchien in sich und aus sich selbst rekapituliert und sich in seinem mystagogischen Licht selbst schaut. Diese Schau des eigenen mystagogischen Wesens durch den Nous im Prozess seiner Hiérarchisation ist das thearchische Licht der Mystagogie Jesu im Nous des Eingeweihten. Dort, wo sich das Mysterium Jesu im Nous selbst »thearchisch« ereignet, ist auch das Geheimnis zu suchen, durch das die verschiedenen Völker ihre je eigene mystagogische Überlieferung von Gott empfangen haben. In diesem Sinn zitiert der Areopagit Dtn 32, 8, wo es heißt, dass der Allerhöchste den Völkern Grenzen bestimmte nach der Zahl der Engel Gottes107. Der Text verweist auf jene »hierarchische« Ordnung von Engeln Gottes, durch welche die Völker als in einem gnostischen Genom göttlicher Uroffenbarung wurzelnd erkennbar werden. Durch diese mystagogische Wesensbestim­ mung, in die die Engelshierarchien einbezogen sind, treten Völker überhaupt erst ins Dasein108. Wir können hier durchaus von einer »mystagogischen Evolution« der Völker sprechen. Völker erscheinen im Lichte göttlicher Mystagogie über­ haupt nur unter einer ihnen von Gott gesetzten spezifischen mystagogischen Wesensbestimmung.109 Engel stehen also den verschiedenen Völkern vor, und diese werden von jenen mit göttlicher Erkenntnis und mystagogischer Weisheit geleitet. Und auf den Einwand, warum denn allein das hebräische Volk von dessen Engel zu wah­ rer göttlicher Initiation geführt wurde, antwortet Dionysius110 mit dem Hinweis, dass nicht die den anderen Völkern vorstehenden Engel Schuld daran hätten, dass jene Völker den Götzen [wörtlich: den nicht seienden Göttern] verfallen sei­ en. Es seien vielmehr Selbstliebe und Überheblichkeit sowie ein aus ihren eige­ nen Meinungen über Gott gebildeter Götzenkult gewesen, wodurch die Völker ihrer eigenen mystagogischen Bestimmung untreu geworden seien.

sich hingewendet habe, sondern auch andern Führer auf dem Weg zur wahren, einzigen, höch­ sten Gottheit gewesen sei.” 104 CH IX, 2, 260 B 105Johannes Scotus Eriugena, PL 122, 215 A. 106 Bentchev, ebd., S. 42. 107 CH IX, 2, 260 B 108 Thomas Gallus, Paraphrase zu CH IX, 4,261 C [Dionysiaca, Bd. 3, S. 1057], 109 CH IX, 3, 261 A 110 CH IX, 3, 260 C

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Durch den Verweis auf den von den Völkern selbst verschuldeten Verlust ihres eigenen mystagogischen Erbes111 führt uns Dionysius hin zum Lob des frei­ en Willens, der Authentie und Selbstaktuation des gottesebenbildlichen Nous, der jedes von Zwängen bestimmte Leben verwirft, verwerfen muss, weil es der Wahrheit seines selbstaktuierten Wesens zuwiderläuft. Die anagogische Wäch­ terfunktion der den verschiedenen Völkern vorstehenden Engeln besteht darin, den freien Willen als Siegel der Gottesebenbildlichkeit und der mystagogischen Vollmacht des Nous selbst zu würdigen. Indem die Engel der Wesensentfaltung des selbstaktuierten Nous nach der mystagogischen Bestimmung der Völker vor­ stehen, sind sie Übermittler und Schutzgeister der verschiedenen mystagogi­ schen Einweihungen der Völker in das eine unaussprechliche Mysterium Jesu. Der rechte Gebrauch des dem Nous von Gott wesensmäßig eingegebenen freien Willens ist Signum der sich am Nous selbst vollziehenden Wesens-Ordination, der die Engelsgeister als mystagogische Diener vorstehen112. Der Nous muss also zum äußersten Akt der Aktuierung seines eigenen Wesens werden. Und dieser Akt ist seine mystagogische Kompetenz, durch die er die Hierarchien der Engel in sich hineinnimmt und als Matrix seiner eigenen mystagogischen Wesensstruktur sich selbst zugrunde legt. In diesem Akte reali­ siert der Nous seine göttliche Bestimmung. Dieser Akt ist zugleich die Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde und der falschen Kulte. Der Sinn der mystagogischen Traditionen der Völker kann sich erst dort entfalten und selbst wirksam werden, wo die Engelshierarchien sich dem Nous selbst wesensanalog zugrunde legen in Form der Wesenshierarchisation des Nous. Denn diese bedeutet die noetische Reduktion und Rekapitulation der En­ gelsmächte im Wesen des Nous, der sich als »thearchischen« Grund der Einwoh­ nung Jesu selbst weiß113. Dieser Ursprung besagt ferner, dass der auf diese Weise sich in seinem Wesen selbst aktuierende Nous sich selbst als »Energie« fasst. Dies ist das oberste Prinzip der Aktuation seines gottesebenbildlichen Wesens. Durch die Ontologie des selbstaktuierten Nous erst wird die Gottesebenbildlich­ keit des Nous selbst implementiert. Deshalb spricht Johannes Scotus Eriugena, beseelt vom Geist des Areopagiten, mit gutem Grund aus, dass der unter einem Zwang stehende Nous kein Bewusstsein von seiner eigenen Göttlichkeit erlangen kann114. Dieses vom Nous nicht gewusste Sein seiner Göttlichkeit aber bedeutet nichts anderes, als dass es von ihm selbst nicht aktuiert werden kann. Insofern hat der gezwungene oder unfreie Nous kein göttliches Sein in sich.

111 Zu CH IX, 3, 260 C Thomas Gallus, Explanatio super Angelica Ierarchia, S. 621: Respondet obiectioni que sic posset fieri: si nationibus gentilium prefuerunt rectores boni Angeli sicut Iudeis, quomodo factum est ut, Iudeis Deum uerum colentibus, alie gentes adorauerunt idola? Respondet: non fuit hoc ex defectu presidentium Angelorum, sed ex superbia et concupiscentia gentium quibus presidebant. 112 Sehr schön drückt dies Johannes Scotus Eriugena in seinen Expositiones, IX, S.143/44 aus: Ait enim: neque coactam, sed liberam, nos homines habemus uitam: ac si diceret: non ideo conditor et ordinator omnium nationum principes Angelos eis proposuit, ut eas inuitas, absque liberi arbitrii appetitu, ad cultum suum conuerterent; si enim hoc fieret, diuine profecto imaginis gloria in seruitutem redacta uilesceret; sed propterea Angelos suos nescientibus se generationibus preor­ dinami, ut, occulta et intelligibili admonitione, intellectualis rationem ad cognitionem Creatoris sui spontaneo motu reduceret; 113 CH IX, 2, 260 B 114 Eriugena, ibid., S. 144.

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Der Sinn der verschiedenen mystagogischen Überlieferungen der Völker dient nicht vielen Göttern noch falschen, sondern der Uroffenbarung vom einen und einzigen Gott im Mysterium Jesu115. Wo das fleischliche Auge verschiedene Kulte und Götter, verschiedene Sprachen und Begriffe, verschiedene Sitten und Gebräuche sieht, vernimmt das Auge des hierarchisierten Geistes jene Fülle von Symbolen göttlicher Weisheit, durch die hindurch wie durch Verhüllungen viel­ fältiger Symbolsprache sich die einigende Kraft des Mysteriums Jesu in uns selbst offenbart116. So stehen nach Dionysius alle Völker in einer von Gott selbst gestifteten Gemeinschaft verschiedener mystagogischer Traditionen, die alle gemäß der Eigenheit ihrer unterschiedlichen religiösen Symbolik vom Mysteri­ um Jesu künden. Die in der göttlichen Pronoia verankerte »mystagogische Kontextualität« der Völker verweist die Völker auf den Weg der Treue zur eigenen mystagogischen Überlieferung. Was Dionysius in CH IX, 3 lehrt, ist nicht eine spezielle mystagogische Überlieferung, sondern die Schau jenes Prinzips, in welchem das Wesen göttli­ cher Mystagogie überhaupt begründet liegt. Damit aber wird die Kenosis Jesu als jenes Prinzip gottheitlicher Mystagogie im Nous selbst erkannt, welches allein imstande ist, religiöse Symbolik zu entschlüsseln und in das symbolbildende Licht des »Gott in sich fassenden« Nous selbst zurückzuführen. Dionysius lässt die rätselhafte Figur des Melchisedek117, wie sie in Gen. 14, 18 begegnet, nicht einfach zur allegorischen Deutung auf Christus werden, son­ dern zeigt uns Melchisedek vielmehr als im Nous selbst sich verwirklichendes Prinzip göttlicher Mystagogie. Eine weitere Eigenheit der areopagitischen Exege­ se von Gen. 14, 18 ist, dass auf dieses Prinzip göttlicher Mystagogie der Nous selbst als wesensanaloger Spiegel der Engelshierarchien zurückzuführen ist. Damit sind aber die Ordnungen der himmlischen Geister als dem gottesebenbild­ lichen Nous des Mysten selbst unterworfen und ihm dienend zu verstehen.118

115 CH IX, 3, 261 A 116 Die theosophische Spekulation Eriugenas hat intuitiv den Sinn der areopagitischen Exposition des Melchisedek im Zusammenhang mit der Lehre von den Engelshierarchien als deren krönen­ den Abschluss erfasst, wenn es in seiner Auslegung der „Himmlischen Hierarchie" [Buch IX] heißt, Expositiones, S. 146: An forte, inquit, diuini sapientes non amicum Dei tantum, uerum et sacerdotem Dei uocauerunt Melchisedech, ut sapientibus aperte euidenterque significarent quia non solum ab eis, Hebreis plane, in Deum conuertit, adhuc autem et ab aliis nationibus eduxit, ut summus sacerdos, ea reductione que est ad ueram et solam diuinitatem, fide uidelicet et actu et contemplatione. Pulchre autem post Angelos qui singulis nationibus imperant, introducitur Mel­ chisedech, rex uidelicet et summi Dei sacerdos, qui non solum ex Hebreorum populo, uerum etiam ex aliis generationibus multos in cultum ueri Dei conuertit. 117 Eriugena, Expositiones, S. 147: Pulchre, ut dixi, post Angelos gentium principes introducitur, ut per hoc intelligamus non solum Angelos, uerum et sanctos homines, cultus diuine dispensationis atque prouidentie legibus, singulis linguis et nationibus imperare. Wenn Eriugena seltsamer­ weise im folgenden Satz von der mystica commemoratio Melchisedech durch Dionysius Areopagita spricht, so ist die Analogie zur Eucharistie durchaus bewusst hergestellt. Die Wesensgegen­ wart Jesu im Nous des Eingeweihten ist die Wirklichkeit der göttlichen Mystagogie selbst, welche — wie sich Eriugena ausdrückt — die mystagogische Bestimmung der Völker ausmacht. Die Mystagogie von der Einwohnung des fleischgewordenen Gottes im inneren Menschen ist das verborgene Prinzip der geistigen Evolution der Menschheit. Sie ist zugleich Ursprung und Ziel dieser Evolution des Wesens des Menschen. Sie bildet den hermeneutischen Schlüssel zum Ver­ ständnis der Evolution. 118 CH IX, 3, 261 A

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Das Priestertum Melchisedeks ist ganz und gar das mystagogische Geist­ prinzip Jesu im Mysten selbst119 und deshalb dessen Einweihung in den „wahren und einzigen Ursprung seiner Vergöttlichung"120. Das Priestertum selbst erfährt in der areopagitischen Exegese von Gen. 14, 18 seine Zurückführung auf seine rein mystagogische Wesensgestalt, auf seine anagogische Ursprungsform im Nous des Mysten, der Nous Jesu selbst ist. Dies nämlich ist die bahnbrechende theosophische Aussage des Areopagiten.

EXEGESE DER JESAJA-VISION Die Berufungsvision des Propheten Jesaja121 nimmt in der Hierarchienlehre des Areopagiten eine besondere Stellung ein122, da sie die Offenbarung über die mystagogische Struktur des erleuchteten Nous beinhaltet. Die Schau der Ord­ nungen der Engelsmächte im Gefolge des thronenden Gottes ist Zeichen der gött­ lichen Inspiration Jesajas. Es handelt sich um die Offenbarung von den hierarchi­ schen Ordnungen der Engelsgeister in der Umgebung Gottes des Allerhöchsten, der im Kreise seines himmlischen Hofstaates thront und von diesem angebetet wird als der wahre König, als der König der Könige. Das, was in prophetischer Schau Jesaja sieht, wird von Dionysius als sym­ bolisch bezeichnet, denn durch das Symbolische der himmlischen Hierarchien in der Gegenwart des thronenden Gottes wird die Seelenstruktur des Menschen selbst ins Licht mystagogischer Einweihung123 gerückt, in welcher der Nous selbst an sich die Geburt seines neuen Wesens erfährt. Die allzu verbreitete, aber irrige Vorstellung von einer reinen Glau­ benspassivität der Propheten ist nicht geeignet, den Tiefsinn der areopagitischen Hierarchienlehre zu erfassen. Das also, was dem Propheten Jesaja in symboli­ scher Bildlichkeit über die Engelsgeister und deren Hierarchien mystagogisch mitgeteilt wird, hat seine unmittelbare Erkenntnis-Wirklichkeit in dem anagogischen Wesens-Aufbau des Nous. Dieser ist zu begreifen als mit der Mystenschaft Jesu des Nous im Nous selbst grundgelegt. Die himmlischen Mächte sind im Horizont der areopagitischen Anagogie sich im Nous selbst widerspiegelnde Wesensanalogien, die ihren Ausdruck in den übernatürlichen Fähigkeiten der »hierarchia mentis« des Mysten Jesu fin­ den. Die Abspiegelung des hierarchischen Lebens der himmlischen Geister im Nous des Mysten ist Wesen engelgleichen Lebens. Diese vollzieht sich im Spiegel der göttlichen Weisheit124, indem der Nous die hierarchische Struktur seines er­ leuchteten Wesens schaut, in sich fasst und aktuiert. In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zwei­ en deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und 119 CHX, 3, 273 C 120 CH IX, 3, 261 A 121 Die Rede ist hier von der Berufungsvision des Propheten Jesaja [ Jes. 6, 1], Dieser kommt bei der Entfaltung der areopagitischen Lehre von den Engelshierarchien in „De Coelesti Hierarchia" zentrale Bedeutung zu. 122 CH XIII, 1, 300B-4,308B 123 CHX, 1,272 D-273 A 124 CH XIII, 3, 304 AB

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sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!12S Die Vision von Jes. 6, 1 ff. ist göttliche Intuition in das Wesen göttlicher Mystagogie, sie ist mystagogische Selbstschau des Nous im Propheten aus der Unmittelbarkeit der Einwohnung Jesu im Nous. Das äußerliche Geschehen in der Vision wird selbst zurückgeführt auf die anagogische Handlung des Seraphs am Propheten, der durch das von ihm Erfahrene sich selbst zum Geist-Heiligtum, in welchem die Gottheit thront, erhoben sieht. Das Geschaute der Vision erweist sich als Projektion, die in Bezug auf ihren innergeistigen Wirklichkeitsgrund im Propheten erkannt und auf diesen zurückgeführt werden muss als mystagogi­ sche Schau des Nous in den »hierarchischen« Aufbau seines eigenen Wesens. Diese Intuition oder mystagogische Wesens-Schau des Geistes im Propheten Je­ saja holt das äußerlich geschaute Göttliche in sich selbst und legt es sich selbst zugrunde. In diesem theosophischen Spiegel, zu dem der Nous sich selbst wird, führt sich der Nous in die Schau seiner mystagogischen Wesensausformung ein. Im Unterschied zum materiellen Spiegel, bedeutet die im Spiegel des Nous sich vollziehende Wesenswandlung die Schau der eigenen Wesensausformung im Mysterium der noetischen Wesensgegenwart Jesu. Nur dort ist Gott wirklich126, wo er sich im Mysteriengrunde des Nous selbst zu offenbaren vermag. Deshalb bedarf der Nous der Intuition der Ausfor­ mung und Ergründung seines eigenen mystagogischen Wesens, durch die er sich selbst in das Leben der selbstentäußerten Gottheit Jesu einführt. Dies ist ge­ meint, wenn geschildert wird, wie der Seraph mit der Zange eine glühende Kohle vom Altar nimmt und mit der Kohle den Mund des Propheten berührt und Jesaja Worte mystagogischer Weisheit mitteilt. Das also, was in göttlicher Erleuchtung geoffenbart wird, verweist auf jene verwandelnde Wesens-Schau des Nous durch den Nous im Nous selbst, durch welche die Kenosis Jesu authypostatische Wirk­ lichkeit für den Nous selbst wird. Έλεγεν ούν ò ταϋτα φήσας την μεν ορασιν έκείνην ύποδειχθήναι τω θεολογώ δι’ ενός των έπιστατουντων ήμΤν άγιων και μακαρίων άγγέλων και προς τής φωτιστικής αύτοϋ χειραγωγίας έπ'ι τήν ίεράν έκείνην θεωρίαν άναταθήναι καθ’ ήν έώρα τάς ύπερτάτας ούσίας ώς έν συμβόλοις είπέιν ύπό θεόν και μετά θεοϋ και περ'ι θεόν ιδρυμένος και τήν απάντων και αύτών ύπεραρρήτως έξηρημένην ύπεράρχιον άκρότητα έν μέσω των ύπερβεβηκυιών δυνάμεων ύπεριδρυμένην.127 125Jes. 6,1-8 126 CH XIII, 4, 305 B 127 CH XIII, 3-4, 304 BC. Edith Stein [Übers.], ibid., 183: „Der dies ausführte, sagte also, jenes Ge­ sicht sei dem Theologen durch einen jener heiligen und seligen Engel vorgestellt worden, die uns leiten; durch dessen erleuchtende Führung sei er zu jener geistigen Schau erhoben worden, wor­ in er jene höchsten Wesen [gleichsam in Sinnbildern] unterhalb Gottes, neben Gott und rings um

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Die symbolische Handlung des Seraphs, der mit der Zange glühende Kohle vom Altar Gottes nimmt und mit der Kohle die Lippen Jesajas berührt, gibt uns eine Menge Rätsel auf. Warum entnimmt der »Seraph«, dessen Name auf die Glut seiner Gotteshebe schließen lässt, nicht mit seinen Händen die glühende Kohle dem Altar, sondern mit der Zange? Durch die Zange wird nämlich der mystagogische Dienst des Seraphs an dem Propheten versinnbildlicht, durch den die glü­ hende Kohle [als Sinnbild der sich perichoretisch durchdringenden zwei Naturen in der einen Hypostase des inkarnierten Logos] die Lippen [als Symbol des sich zum Göttlichen hin öffnenden und dieses in sich zurücknehmenden und begrün­ denden und synaptisch verwandelnden selbsttätigen Nous] berührt. Der theurgische Akt des Seraphs an Jesaja ist von großer Komplexität und symbolischer Dichte. Indem die Kenosis Jesu [Altar Gottes] sich authypostatisch im Nous des Propheten [durch die Synapse der Lippen mit der Kohle angedeutet] verwirk­ licht und begründet, wird der Nous impulsiert, in sich seine WesensHierarchisation auszuformen. Diese »hierarchische« Ausformung seines Wesens ist somit reine Selbsttätigkeit des Nous. Jes. 6, 6-7 lehrt eine »Synapse« des selbsttätigen Nous mit der mystagogischen Wirklichkeit Jesu im Nous des Ein­ geweihten. Aus dem Mysterium gottheitlicher Mystagogie im gereinigten und ent­ sühnten Propheten erst erwächst die Einsicht in die »hierarchische« Struktur des Nous selbst, durch die die Engelshierarchien herabgerufen werden zu ihrem mystagogischen Dienst. So wie der noetische Mysteriengrund des Mysten zum Altar der Mystagogie Jesu wird, so formt der selbsttätige Nous im Propheten sich gemäß seiner Synapse128 mit den Engelsgeistern in seine eigene »hierarchische« Wesens-Struktur aus129, die in Analogie die Ordnungen der himmlischen Geister in sich fasst.130 Die Weitergabe mystagogischer Erleuchtung von Engelsordnung zu Engelsordnung bis hinab zum Menschen ist zu verstehen als geschehend im weisheitlichen Spiegel des selbsttätigen Nous des Mysten Jesu. Der mystagogische Dienst an der göttlichen Erleuchtung des Menschen ist zugleich immer schon durch die »Synapse« des selbsttätigen Geistes zurückgeführt in die vom Nous geschaute und verwirklichte Wesens-Struktur seiner selbst131. Erst da­ durch ist der Nous Ebenbild der göttlichen Selbstherrschaft [Gen. 1, 26]. Das Wort »Hierarchie«, wie es uns in den Schriften des Dionysius Areopa­ ghi begegnet, bezieht sich auf die mystagogische Wesensbestimmung, welche der Nous in sich selbst verwirklicht. Der Nous kann der Vergöttlichung nur teil­ haftig werden, wenn er sich in die in ihm wurzelnde Wesensgegenwart Jesu Gott sah, und darüber ihrer aller überunaussprechlich überragenden, überwesentlichen Gipfel inmitten der überragenden Kräfte thronend.” 128Johannes Scotus Eriugena, ebd., S. 168: Laudai quippe et docet diuinam uirtutem in omnia uenientem, et implentem omnia, et omnia infinita sui diffusione penetrantem, dum sit omnibus inuisibilis, quoniam superessentialis est et ab omnibus remota, occulte in omnia prouidas suas actiones permittens uel, ut proprie transfertur, peruenire faciens, et dum sit ab omnibus remota, ineffabili quodam modo omnibus intellectualibus creaturis secundum uniuscuiusque proportionem, hoc est capacitatem, superlucet, proprie tarnen suam illuminationem pretiosissimis, hoc est excelsissimis, celestibus essentiis ingerit et per eas merito primas in submunitas, hoc est infra se constitutas, seipsam bene et orna­ te distribuit, iuxta mensuratam uniuscuiusque ordinis contemplationem. 129 CH XIII, 4, 305 B 130 CH XIII, 3, 304 AB 131 CH X, 3, 273 C

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selbst einzuführen und als Kenoma der selbstentäußerten Gottheit zu begreifen vermag. »Hierarchie« meint die mystagogische Wesens-Ausformung des Nous im Zeichen der gottheitlichen Wesenspräsenz Jesu im Nous selbst. Sie setzt das Licht der Mystagogie Jesu im Nous selbst voraus. Die mystagogische Authentie des Nous im Lichte der Wesenspräsenz Jesu im Nous selbst schließt von vornherein jedwede Idee von einer Heil vermittelnden „Hierarchie" aus. Nur was der selbst­ tätige Nous aus seinem Wesen selbst hervorbringt, hat Wirklichkeit. Der Prophet schaut die hierarchische Wesensausformung seines selbsttätigen Nous132 im Spiegel jener noetischen Wesensanalogie der Engel, die sich selbst nährt von je­ nem kenomatischen Mysterium Jesu, das sich im mystagogischen Wesensgrund des Nous selbst verwirklicht. τής δε των πτερών έξαπλής ίεροπλαστίας την έπι το θειον έν πρώτοας έν μέσοας έν τελευταίαις νοήσεσιν άπόλυτον και ύπερτάτην άνάτασιν, Αλλά και το άπειρόπουν αύτών και πολυπρόσωπον ορών ò ιερός θεολόγος και τό τοΤς πτεροΤς άποδιαστέλλεσθαι την ύπό τούς πόδας και την ύπέρ τα πρόσωπα θεωρίαν και την έν τοΤς μέσοις πτεροΤς άευανησίαν προς τήν νοητήν τών όρωμένων άνήγετο γνώσιν, έκφαινομένης αύτώ τής τών ύπερτάτων νοών πολύπορου και πολυθεάμονος δυνάμεως και τής ίερας αύτών εύλαβείας, ήν εχουσιν ύπερκοσμίως είς τήν τών ύψηλοτέρων και βαθυτέρων αύθάδη και θρασέΐαν και άνέφικτον ερευνάν, και τής έν συμμετρία τών θεομιμήτων ένεργειών άκαταλήκτου και ύψιπετούς άευανησίας.133 Dies alles finden wir in bester Übereinstimmung mit der Deutung der symbolischen Sechsflügeligkeit der Seraphim durch Dionysius. Das obere und untere Flügelpaar haben diese höchsten Engel bezeichnenderweise, um die un­ entwegte Selbsttätigkeit ihres Nous (άεικινησία)134, die durch die Flugtätigkeit des mittleren Flügelpaares symbolisiert ist, davon abzuhalten, den Grund des Wirkens und die Erkenntnis des Göttlichen woanders zu suchen als in der un­ entwegten Selbsttätigkeit ihres Nous selbst. Nur so ist ihr Nous im Gleichmaß mit den Energien, durch die er die Nachahmung Gottes vollbringen kann. An der seraphischen Natur der Engelsgeister selbst verdeutlicht die gött­ liche Offenbarung der Berufungsvision Jesajas das Merkmal analoger Rückfüh­ rung auf das Mysterium Jesu. Dies deutet der Reinigungsritus symbolisch an, welchen der Seraph mit der glühenden Kohle an dem Propheten vollzieht. Es hat seinen tieferen Sinn, wenn der Seraph die Glutkohle, die eigentlich seine eigene feurige Natur ausdrückt, mittels einer Feuerzange die Lippen Jesajas berühren lässt. Die Zange verweist auf die Distanz der Kohle zum vollziehenden Seraph und auf die Nähe zum Propheten. Die Feuernatur des Seraphs steht in einer Ana­ logie zur Entfachung des Feuers in Jesaja, die mit der Berufung Jesajas zum Pro­ pheten zusammenfällt. Zur noetischen Präsenz der Gottheit und der hierarchi132 CH XIII, 3, 304 AB 133 CH XIII, 4, 304 D-305 A Edith Stein [Übers.], ibid, S. 183: „Als er dann in dem heiligen Bilde der sechs Flügel die vollkom­ mene, höchste Bewegung zu Gott hin an den ersten, mittleren und letzten Geistern sah, ihre zahl­ losen Füße und vielen Angesichter, und wie sie mit den Flügeln die Füße und Angesichter gegen Blicke schützten und wie sich die mittleren Flügel beständig bewegten, da wurde er zum geisti­ gen Verständnis dessen, was er sah, geführt, es wurde ihm die vielfältige und vielschauende Kraft der höchsten Geister klargemacht und ihre heilige Scheu gegenüber einer dreisten, verwegenen, unmöglichen Erforschung der tiefsten Geheimnisse und die unaufhörliche, hochfliegende, dau­ ernde Bewegung ihrer Gott nachahmenden Tätigkeiten vortrefflich zu verstehen gegeben." 134 CH XIII, 4, 305 A

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sehen Wesens-Ausformung des Nous selbst stehen der Feuergeist des Seraphs und mit ihm die Ordnungen aller Engelsgeister in einer analogen Wesensbezie­ hung. Έδίδασκεν ούν αύτόν και τοϋτο, οτι κάθαρσίς έστι τοΤς ύπωσοϋν καθαροϊς ή τής θεαρχικής διαύγειας [άγνότητος] ώς έφικτύν μετουσία. Αϋτη δε προς αύτής τής θεαρχίας έξηρημέναις αίτίαις είς πάντας τούς ιερούς νόας ύπερουσίω κρυφιότητι τελετουργουμένη, ταις περ'ι αύτήν ώς ύπερτάταις δυνάμεσιν έκφανεστέρα πώς έστι και μάλλον έαυτήν έκφαίνει και διαδίδωσιν, έπί δε τών δευτέρων ή τών έσχατων ή τών ήμών νοερών δυνάμεων ώς αύτής έκαστη κατά τύ θεοειδές διέστηκεν, οϋτω τήν φανήν αύτής ελλαμψιν συνάγει πρύςτύ τής οικείας κρυφιότητος ένιάϊον άγνωστον.135 Die Engelshierarchien stehen demnach in einer strengen Symmetrie zu­ einander, die wiederum in ihrer analogen Rückführung auf das im Propheten sich offenbarende gottheitliche Mysterium ihre weisheitliche Verankerung fin­ det. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn wir in der Ikonographie die thro­ nende Sophia selbst mit Engelsflügeln und Herrschaftsinsignien136 dargestellt sehen. Αλλά και τήν θεαρχικήν έκείνην και πολυτίμητον ύμνωδίαν έμυσταγωγέϊτο, τού τυποϋντος τήν ορασιν άγγέλου κατά δύναμιν τω θεολογώ μεταδιδόντος τής οικείας ίερογνωσίας.137 Der Bekenntnisgesang des von den Engeln gesungenen Trishagions, durch den die Gottheit in ihrer trinitarischen Wesenseinheit verkündigt und enthüllt wird, hat seinen Ursprung im Nous des berufenen Propheten. οτι «τής είς σέ προς έμοϋ τελετουργουμένης καθάρσεως άρχή μέν έστιν έξηρημένη και ούσία και δημιουργός και αίτιος ò και τάς πρώτας ούσίας και προς τύ είναι παραγαγών και τή περ'ι αύτόν ιδρύσει συνέχων και διατηρών άτρέπτους τε και άμεταπτώτους και αύτάς κινών έπί τάς πρώτας τών οικείων προνοητικών ένεργειών μετουσίας138 Jene gottheitliche Mystagogie im Nous, welche sich in dem hierurgischen Handeln des Seraphs an Jesaja offenbart, sie ist der einende Grund, der die noetischen Wirkkräfte der Seraphe mit denen der anderen Engelshierarchien auf sich 135 CH XIII, 4, 305 B Edith Stein [Übers.], ibid., S. 183/184: „Er wurde auch belehrt, wie die Teilnahme an der göttli­ chen Klarheit und Reinheit den auf irgendwelche Weise Gereinigten Entsühnung wirkt. Sie wird in allen heiligen Geistern von Gott aus besonderen Ursachen auf geheimnisvolle Weise gewirkt, für die höchsten, Gott nächsten Kräfte aber ist sie offenkundiger und gibt sich klarer zu erkennen. Den zweiten und letzten aber und unseren geistigen Kräften gibt Er, dem Maß ihres Abstandes von der Gottähnlichkeit entsprechend, Seine klare Erleuchtung zu einem besonderen Nichtwis­ sen um Sein Geheimnis.” 136 Zur Sophien-Ikonographie, siehe: Vladimir Ivanov, Das Große Buch der russischen Ikonen, hrsg. durch das Moskauer Patriarchat, mit einem Vorwort von Metropolit Pitirim von Voloko­ lamsk und Jurjev, Freiburg-Basel-Wien 1988, S. 122/23. Pavel Florenskij, La colonne et le fondement de la vérité, Lausanne 1975, S. 209-254 K. Ch. Felmy, «Die unendliche Weisheit, des Lebens Allgrund und Erschafferin» — Die Ikonen der Weisheit und die Göttliche Liturgie, in: Die Weisheit baute ihr Haus, hrsg. von K. C. Felmy und Eva Haustein-Bartsch, München 1999, S. 43-69. 137 CH XIII, 4, 305 A G. Heil [Übers.], BGL 22, S. 61: „Aber auch in die Geheimnisse jenes berühmten, das Gottesprinzip verherrlichenden Hymnus [vgl. Jes 6, 3] wurde er eingeweiht, wobei der Engel, der das Gesicht gestaltete, dem Gotteskundigen seine eigene geheiligte Erkenntnis nach Kräften mitteilte.” 138 CH XIII, 4,305 D-308A

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selbst zurückbezieht. In dieser Reduktion der Engelshierarchien durch den Nous werden diese zur analogen Wesensstruktur des mystagogischen Nous selbst er­ hoben, welche diesem selbst unterworfen ist.139

IKONOGRAPHIE ALS ANAGOGIE Erst durch die Reduktion in die Gottheitlichkeit seines mystagogischen Wesens vermag der Nous sich in seine symbolbildende Tätigkeit zu entäußern, welche die Dinge als organische Ausformungen seines eigenen geistigen Wesens [της οικείας αυτω και συμφυούς άναγωγής προνοήσασα] ausspricht. Den himmli­ schen Geistern Gestalt zu verleihen, gehört zum Wesen des Nous, dem die hierurgische Vollmacht aufgrund der ihm innewohnenden Gottheit Jesu selbst zu­ kommt. 140 Και γάρ άτεχνώς ή θεολογία ταις ττοιητικαις ίεροττλαστίαις έτιι των άσχηματίστων νοών έχρήσατο τον καθ’ ημάς ώς είρηται νοϋν άνασκεψαμένη και τής οικείας αυτω και συμφυούς άναγωγής προνοήσασα και προς αύτόν άναπλάσασα τάς άναγωγικάς ίερογραφίας.141 Das 2. Kapitel seiner Schrift „Über die Himmlische Hierarchie" beendet Dionysius mit einer indirekten Christus-»Epiklese«, in welcher er von „Christus, der mein Eigen ist" [Χριστός ò έμός] spricht als von dem gottheitlichen Mystagogen, der im »Geistwort« des Eingeweihten selbst wohnt. Und zugleich wird Chri­ stus als „jene göttliche Erleuchtung" bezeichnet, „welche das verborgene Wesen der Hierarchien in Erscheinung treten lässt" [ή πάσης ίεραρχικής έκφαντορίας έπίπνοια]142. Dies ist die »Epiklese« Christi, durch die sich die im Nous kontrahierende gottheitliche Mystagogie Jesu im Mysten selbst ausspricht und verherrlicht. Der Ausruf vom »eigenen Christus« ist das personale Bekenntnis des Mysten Jesu, also dessen, in dem sich die gottheitliche Mystagogie des selbstentäußerten Lo­ gos selbst verwirklicht und zugleich vollendet. Die »Epiklese« vom »eigenen Christus in einem selbst« ruft die entscheidende Erkenntnis in uns wach, dass wahrer Kult gottheitliche Mystagogie ist, die der Nous im messianischen Licht der Gottheit an sich selbst vollzieht in der Authentie (Vollmacht) seines gottes­ ebenbildlichen Urwesens. Nur Mystagogie, durch die sich die Kenosis Gottes im Nous der Einweihung vollendet, ist wirklich göttlichen Ursprungs. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Anrufung Jesu als der „göttlichen Eingebung, welche das verborgene Wesen der Hierarchien in Erscheinung treten lässt"143. Οϋτω πάντες οι θεόσοφοι και τής κρύφιας έπιπνοίας ύποφήται των άτελέστων και των άνιέρων άχράντως άποδιαστέλλουσι τα « Άγια των άγιων » και τήν άνόμοιον ίεροπλαστίαν πρεσβευούσιν, ώς μήτε τά θεία τοις βεβήλοις 139 Origenes, In Isaiam hom. I, MPG 13,221 A. 140 CH II, 1,137 B 141 CH II, 1,137 B W. Tritsch [Übers.], Himmlische Hierarchie, S. 102/103: „Freilich hat sich die Offenbarung dich­ terisch geheiligter Formengebilde bedient, um gestaltlose Geister vor uns erscheinen zu lassen, weil sie, wie gesagt, auf unser Erkenntnisvermögen Rücksicht nahm. Sie sorgte aber nur für eine uns entsprechende, unserer Natur gemäße Emporführung und paßte die heiligen Darstel­ lungen anagogisch unseren Fähigkeiten an." 142 CH II, 5,145 B 143 Ibid.

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εύχείρωτα είναι μήτε τούς τών θείων άγαλμάτων φιλοθεάμονας ώς άληθέσιν έναπομεϊναι τοις τύττοις καί ώστε τα θεία τιμάσθαι ταις άληθέσιν άποφάσεσι καί τάϊς προς τά έσχατα τών οικείων άπηχημάτων έτεροίαις άφομοιώσεσιν.144 In dem Moment der Selbst-Aktuierung seines mystagogischen Wesens aber formt sich der Nous die Materie, die er zum Stoff seiner hierurgischen Selbsttätigkeit erhebt. Es ist diese symbolbildende Energie, durch die der gott­ förmige Nous des Mysten die ganze Schöpfung zum Symbol seines eigenen We­ sens erhebt. Denn erst aufgrund dieser mystagogischen Symbolwerdung der Schöpfung im Wesen des Nous durch diesen selbst hat die Schöpfung Anteil am Prozess göttlicher Erlösung145. Die hierurgische Energie des Nous, indem sie das „Ding" intendiert, bildet dieses neu und erfüllt es mit sakramentaler Wesenheit. So ist von nun an das Ding der »Dinglichkeit« enthoben und zum Zeichen seines mentalen Seins erho­ ben. Denn der Nous hat es zum Zeichen der mystagogischen Wirklichkeit seines eigenen Wesens gemacht, zum »Symbol«. Es ist die göttliche Wesens-Tätigkeit des Nous, welche sich durch die Symbolbildung in jene Ikonographie entäußert, worin die Hierarchien der himmlischen Geister wesenhaft sichtbar werden und sich offenbaren. Das »Ding« in seiner reinen Gegenständlichkeit146 wird nur durch die hierurgische Energie des Nous in seiner bloßen Daseins-Phänomenologie durch­ brochen und in den Rang »intentionalen Seins« im Wesen des Nous selbst erho­ ben. Ohne diese erlösende hierurgische Wesenstätigkeit des mystagogischen Nous Jesu bliebe Schöpfung bloßes Gedanken-»Ding« oder unerlöste Materialität. Wo das Ding nicht in Intentionalität zurückgeführt werden kann, da gebricht es dem Denken des Nous an der Göttlichkeit seines eigenen Ursprungs. Έστί τοιγαροϋν ούκ άπαδούσας άναπλάσαι τοις ούρανίοις μορφάς κάκ τών άτιμωτάτων τής ύλης μερών, έπεί καί αύτή προς τού όντως καλού την ϋπαρξιν έσχηκυϊα κατά πάσαν αύτής τήν ύλαίαν διακόσμησιν άπηχήματά τινα τής νοεράς εύπρεπείας εχει καί δυνατόν έστι δι’ αύτών άνάγεσθαι προς τάς άΰλους άρχετυπίας, άνομοίως ώς είρηται τών ομοιοτήτων έκλαμβανομενών καί

144 CH II, 5,145 A G. Heil [Übers.], ibid., S. 35: „So halten alle Gottesgelehrten und Künder der geheimen Inspiration das Allerheiligste von den Uneingeweihten und nicht Geheiligten fern und erweisen der nicht direkt zu verstehenden bildlichen Darstellung des Heiligen die Ehre, damit sich die Außenste­ henden des Göttlichen nicht so leicht bemächtigen können und nicht diejenigen, die an der Be­ trachtung der Gottesbilder ihre Freude haben, bei diesen verweilen, als seien sie die Wahrheit und nicht deren Abdruck. Auch wird so das Göttliche durch die wahren Negationen und die an­ dersartige Weise von Herstellung einer Ähnlichkeit, die auch die letzten Widerklänge seines We­ sens erfaßt, geehrt." 145 CH II, 5,145 B 146 Edith Stein, Wege, S. 66: „Die ganze sinnenfällige Natur spricht eine Symbolsprache: Wenn die Lilie zum Sinnbild der Reinheit, das Veilchen zum Sinnbild der Bescheidenheit gleichsam konventionell ernannt worden ist, so sind das Allegorien, die im anschaulichen Charakter dieser Blumen vorgezeichnet und daraus ohne weiteres zu verstehen sind. Aber es „spricht" uns auch noch anderes aus dem „Ant­ litz" dieser Blumen „an", was in den landläufigen Allegorien nicht zum Ausdruck kommt. Und alles, was uns daraus anspricht, läßt sich überhaupt nicht in Worten ausdrücken. Wir treffen in der „Natursymbolik" auf etwas, was geeignet ist, uns einen engeren und eigentlicheren Sinn von „Symbol" aufzuschließen."

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των αύτών ού ταύτώς, έναρμονίως δέ καί οίκείως έπι των νοερών τε καί αισθητών ιδιοτήτων οριζόμενων.147 Nur das göttliche Licht des sich in die Vollmacht seines selbsttätigen We­ sens einsetzenden Nous vermag die phänomenale Einhüllung des sich in seinem intentionalen Sein zeigen wollenden »Dinges« zu durchdringen. Nur es vermag vorzudringen zu jenem noumenalen Kern, der darauf wartet, durch die hierurgische Tätigkeit des erhabenen Nous dem »Ding« selbst entnommen zu werden [άνομοίως ώς είρηται τών ομοιοτήτων έκλαμβανομένων]148. Dieses »Dies-Sein« des nicht mehr „dinglich" Seienden ist, weil das Seiende seiner „Dingheit" entle­ digt wurde durch die wesenschaffende Energie des Nous, die kontrahierende Wesenstätigkeit des mystagogischen Nous selbst. Dionysius nennt die Theosophen auch „Deuter der verborgenen Eingebung"149, die, wir wir bereits vernah­ men, die Offenbarung von den Hierarchien enthält. Dieser tiefsinnige Ausdruck des Areopagiten darf nicht verstanden werden, als sei die Offenbarung von den Hierarchien Urbild einer göttlichen Gnadenvermittlung. Vielmehr meint der gro­ ße Areopagit hiermit die Unmittelbarkeit der mystagogischen Präsenz Jesu im Nous, durch welche der Dienst der Engelshierarchien selbst seine Terminierung erfährt. Diese Eingebung der hierarchischen Offenbarungen ist somit Christus selbst, insofern sich einzig aus der Hiérarchisation des Nous in der Synapse mit dem »eigenen Christus in einem selbst« (Χριστός ò έμός)150 das noetische Wesen der Engelshierarchien offenbaren kann.

ZUR MYSTAGOGISCHEN FUNKTION DER GÖTTLICHEN NAMEN Seine Schrift «Über die Göttlichen Namen» beginnt Dionysius mit dem Verweis auf die mystagogische Begründung des biblischen Offenbarungswortes. Das in der Hl. Schrift von Gott Geoffenbarte ist selbst Kult, der nur durch den Mysten seine göttliche Einsetzung erfahren kann. Denn nur der bereits Eingeweihte vermag die Wahrheit der Schrift aus der göttlichen Mystenschaft seines eigenen erleuchteten Nous darzutun. Έστω δέ και νϋν ήμιν ò τών λογίων θεσμός προδιωρισμένος το τήν άλήθειαν ήμας καταδείσασθαι τών περ'ι θεοϋ λεγομένων «ούκ έν πειθοις σοφίας άνθρωπίνης λόγοις, άλλ’ έν άποδείξει» τής πνευματοκινήτου τών θεολόγων «δυνάμεως», καθ’ ήν τοις άφθέγκτοις και άγνώστοις άφθέγκτως και άγνώστως συναπτόμεθα κατά τήν κρείττονα τής καθ’ ήμας λογικής και νοεράς δυνάμεως και ένεργείας ένωσιν.151 147 CH II, 4,144 BC Josef Stiglmayr [Übers.], Des hl. Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien [Bibliothek der Kirchenväter], Kempten und München 1911, S. 13-14: „Man kann also für die himmlischen Wesen auch aus den niedrigsten Elementen der Materie Gestalten for­ men, welche nicht unpassend sind. Denn auch die Materie hat ihr Dasein von dem wahrhaft Schönen und besitzt durch alle Reiche ihrer Stoffwelt hindurch gewisse Nachklänge der geistigen Schönheit. Vermittels derselben vermag man sich zu den immateriellen Urbildern zu erheben, vorausgesetzt, daß man, wie gesagt, die Ähnlichkeiten nicht als ähnlich nehme und dieselben nicht auf ein und dieselbe Weise, sondern in entsprechendem Einklang mit den geistigen und sinnfälligen Eigenschaften bestimmt." 148 CH II, 4,144 C 149 CH II, 5,145 A 150 CH II, 5,145 B 151 DN 1,1, 585 B

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Somit wird klar, dass die Einsetzung des göttlichen Kultes, der θεσμός, nichts anderes als der Akt der »Kultbegründung« durch den die Gottheit Jesu unmittelbar in sich fassenden Nous des Mysten ist. Der sich in seiner WesensSynapse mit dem selbstentäußerten Logos selbst schauende und aktuierende Nous ist jenes Kriterium, durch das erst der Kult in seiner göttlichen Einsetzung sichtbar wird. Dem Nous selbst muss der Lichtstrahl der Gottheit wesenhaft zu­ grunde liegen, damit das Wort der Hl. Schrift als aus der göttlichen Mystenschaft des Nous unmittelbar hervorgegangen erfahren werden kann152. In den Scholien des Maximus Confessor zu den „Göttlichen Namen" wird deutlich auf die mystagogische Funktion des Symbols in der Hl. Schrift verwie­ sen. Das Symbol erfährt seine Begründung in der Arkanwissenschaft der (be­ reits) Vollkommenen. Damit aber ist der Nous des Mysten Ursprung der mystagogischen Symbolbildung in der Arkangemeinschaft der Mysten Jesu. Es kann demnach keine Rede davon sein, dass der Mystagogie eine „Erkenntnis vermittelnde" oder „Heil vermittelnde" Funktion zufällt. Die Scholien des Maxi­ mus153 lassen nicht den geringsten Zweifel aufkommen, dass »Mystagogie« ge­ mäß ihrer genuin areopagitischen Intention die Wesenspräsenz Jesu im Nous des Mysten selbst zur Voraussetzung hat. Maximus kommentiert die areopagitische Bezeichnung der Symbole als „heilige Vorhänge", indem er betont, dass das Gött­ liche selbst von den Vorhängen materieller Bilder verhüllt werde um unserer Mystagogie willen. Die Bildung des Symbols beruht auf der mystagogischen Ana­ logie des Nous des Vollkommenen, welcher das Göttliche an der materiellen Ge­ genständlichkeit in Erscheinung treten lässt und diese somit zum sakramentalen Symbol erhebt. Diese »Hierurgie« setzt notwendig den Nous des Mysten Jesu voraus. Dionysius meint also nicht, dass die Hl. Schrift selbst schon den göttli­ chen Kult in unserem Herzen einzusetzen vermag durch den Buchstaben, der tötet, und ohne den Geist, der lebendig macht. Vielmehr will uns der Areopagit sagen: Es sei uns der göttliche Kult etwas, das dem von Gott Geoffenbarten selbst noch vorausgeht und als in uns selbst entspringend begriffen werden muss. Dies genau ist der verborgene, tiefe mystagogische Sinn, den der Areopa­ git seinen Ausführungen über die göttlichen Namen zugrunde legt. Es kommt nicht darauf an, über die Hl. Schrift klug zu reden, sie diskursiv ergründen zu wollen, sie mit den Mitteln menschlicher Intelligenz zu erforschen154, so als sei sie eine Instanz normativer Heiligkeit, die man durch die Kraft der kreatürlichen Vernunft zu erlangen hofft. B. Suchla [Übers.], Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes, Bibliothek der Griechischen Literatur [BGL], Band 26, Stuttgart 1988, S. 21: „Es sei uns jedoch auch hier von allem Anfang an die Weisung der Heiligen Schrift eine Richtschnur, daß wir die Wahrheit der Aussagen über Gott «nicht in überredenden Worten menschlicher Weisheit» ehren, «sondern im Erweis der Macht» [1 Kor 2, 4], die die biblischen Schriftsteller inspirierte. Durch diese werden wir mit dem Unaus­ sprechlichen und dem Unerkennbaren auf unaussprechliche und unerkennbare Weise vereinigt gemäß jener Einung, die unserer Verstandes- und Vernunftfähigkeit und Tätigkeit überlegen ist.” 152 DN 1,1, 588 A: ή των θεαρχικών λογίων άκτίς 153 Maximus, Scholia in lib. de divinis nominibus, PG 4,197 A: Καθηγεμόνων κρυφία. Σημείωσαι, ότι τά περ'ι των άνηγμένων καί υπέρ την των πολλών άκοήν όντα, είτε περ'ι θεολογίας είτε κα'ι περ'ι της τοϋ ζωοποιού Θεοϋ οίκοοομίας [!] κρυφίως παρεδίδοσαν οί θείοι απόστολοι, μυστηριωδώς άποκαλύπτοντες τοΐς τελείοις 154 DN 1,1 585 Β «ούκ έν πειθοΐς σοφίας άνθρωπίνης λόγοις, άλλ’ έν αποδείξει» της πνευματοκινήτου τών θεολόγων «δυνάμεως».

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Das, was die Hl. Schrift an Offenbarung über Gott aussagt, muss sich in der selbstaktuierten Wesensschau des Gott in sich fassenden Nous, d.h. im Mysten Jesu selbst, bewahrheiten. Denn der Nous ist jenes mystagogische Prinzip, in welchem die Symbolbildung der Hl. Schrift sich theosophisch selbst ergründet. Durch das Prinzip der Mystagogie Jesu im Nous des Eingeweihten erst erfährt der Kult, wie er von der Hl. Schrift gezeichnet wird, seine göttliche Einsetzung. Die areopagitische Kultbegründung beginnt mit der Entzauberung theolo­ gischer Idole, die erst den Weg bereitet für das mystagogische Prinzip der Kenosis Jesu im Nous des Vollkommenen [καθ’ ήν τοΤς άφθέγκτοις καί αγνώστοις άφθέγκτως καί άγνώστως συναπτό μέθα]155. In jener Synapse156, die Dionysius mit der mächtigeren Einung bezeichnet, weil sie eine sich im Wesen des Nous selbst aktuierende ist, schaut der Nous sich selbst in der kenomatischen Kontraktion seines Gott in sich fassenden Wesens. Die Deutung der in der Heiligen Schrift verwahrten Symbolik setzt die theosophische Wesensschau der im Nous selbst fleischgewordenen Gottheit Jesu durch den Nous selbst voraus. Denn nur so vermag dieser aufgrund hierurgischer Authentie die Bildung des sakramentalen Symbols aus sich selbst zu vollziehen. Dieser hierurgische Vollzug des gottförmigen Nous des Mysten Jesu aber ist selbst die Offenbarung der Analogie jener mystagogischen Erkenntnis-Struktur, welche dem sakramentalen Symbolismus der Heiligen Schrift selbst zugrunde liegt. Diese mystagogische Erkenntnis-Analogie des Nous bildet den Schlüssel für die Hermeneutik der biblischen Symbolik, da diese wesenhaft der theosophischen Reduktion in den Nous der Mystenschaft Jesu bedarf. Ohne diese Wesens­ reduktion fehlt dem Symbol der konsekrative Ursprungsbezug zum Nous, durch welchen es überhaupt erst zum intentionalen Zeichen göttlicher Wesenspräsenz erhoben wird. Dies ist die sakramentale Wesensanagogie des Symbols, die sich am Symbol aufgrund der hierurgischen Kompetenz des Nous vollzieht. Erst durch die in das Bild eingeführte und diesem zugrunde gelegte analoge Erkennt­ nisstruktur des Nous kann das Bild in seinem mystagogischen Wesen erkannt und als sakramentales Symbol »gelesen« werden. Das Bild verdankt seine Erhö­ hung zum sakramentalen Symbol allein dem Nous des Eingeweihten.

DIE KENOSIS GOTTES IM SPIEGEL DES SELBSTTÄTIGEN NOUS Dionysius schildert nicht einfach die Einstrahlung des göttlichen Lichtes in jeden einzelnen Engelsgeist. Er lässt vielmehr den göttlichen Strahl unter dem Aspekt der mystagogischen Kompetenz erscheinen, welche jedem einzelnen Geist auf eine diesen bezeichnende Weise zukommt. Die unmittelbare göttliche Einstrah­ lung begründet die sym-mystische Gemeinschaft aller durch Heiligung vollkom­ menen Geister. Sie begründet die Kultgemeinschaft zwischen Mensch und Engel. Sie bewirkt die Illumination des sich in seiner Wesens-Hierarchisation erfahren­ den Nous des Mysten Jesu. Ού μην άκοινώνητόν έστι καθόλου τάγαθόν ούδενΐ των οντων, άλλ' έφ’ έαυτοϋ μονίμως την ύπερούσιον ίδρυσαν άκτΤνα ταΤς έκαστου των οντων άναλόγοις έλλάμψεσιν άγαθοπρεπώς έπιφαινεται καί προς την έφικτήν αύτοϋ 155 DN 1,1, 585 Β 156 DN 1,1,588 A

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θεωρίαν καί κοινωνίαν καί όμοίωσιν άνατείνει τούς ιερούς νόας τούς ώς θεμιτόν αύτω καί ίεροπρεπώς έπιβάλλοντας καί μήτε προς τύ ύπέρτερον της έναρμονίως ένδιδομένης θεοφανείας άδυνάτως άπαυθαδιζομένους μήτε προς τύ κάταντες έκ τής έπί τύ χείρον ύφέσεως άπολισθαίνοντας, άλλ’ εύσταθώς τε καί άκλινώς έπί τήν άκτινα τήν αύτοις έπιλάμπουσαν άνατεινομένους καί τω συμμέτρω των θεμιτών έλλάμψεων ερωτι μετ’ εύλαβείας ίερας σωφρόνως τε καί ύσίως άναπτερουμένους.157 Dionysius berichtet, dass das Gute durch die anagogische Selbstentäuße­ rung in Form göttlicher Einstrahlung die heiligen Geister emporzieht158 zu seiner Schau (θεωρία), Gemeinschaft (κοινωνία) und Vergöttlichung (όμοίωσις) auf­ grund einer mystagogischen Wesensanalogie der Geister. Und er fügt nun etwas Entscheidendes hinzu, um dieses höchste Ereignis und Mysterium zu kennzeich­ nen. Er kehrt unerwartet die Perspektive um, indem er nun von der »Intentiona­ lität« (έπιβολή) der heiligen Geister in Bezug auf das Gute selbst spricht. Es ist die Intentionalität des Geistes, durch die sich die selbstentäußerte Gottheit des Logos als im Wesen des Geistes selbst gegenwärtige verwirklicht, weil in ihr der Nous sich mit dem kenotischen Eros der sich offenbaren wollen­ den Gottheit verbindet. Die »Intentionalität« ist das kenomatische Wesen des die Mystagogie Jesu in sich fassenden Nous, in welchem dieser sich in seiner Gottförmigkeit schaut. Die »Intentionalität« ist kenomatische Wesenskontraktion des Nous zur mystagogischen Wirklichkeit des gottheitlichen Logos im Nous selbst, in welcher der Nous in seinem neuen, vergöttlichten Sein sich selbst verwirk­ licht. Kenoma aber meint das in die mystagogische Wirklichkeit der Kenosis Gottes eingeführte Wesen des selbsttätigen Nous. Der vom Licht der Mystagogie Jesu zur »Intentionalität« kontrahierte Nous wird zugleich in eine Wesensanalo­ gie zu den Engelshierarchien159 gesetzt. Darum schildert Dionysius uns das sera­ phische Wesen160, über das er sich bereits im 13. Kapitel der Schrift „Über die Himmlische Hierarchie" — anlässlich der Auslegung von Jes. 6, 1 . — geäußert hat, hier noch einmal als Grundgepräge des selbsttätigen Nous, das sich durch die Analogien der verschiedenen Geisthierarchien hindurchzieht und diese mystagogisch eint in der allumfassenden Wirklichkeit der Kenosis Jesu. Das se­ raphische Gepräge des Nous161 kehrt in der Ikonographie des Seraphs von Jes.

157 DN 1,2, 588C-589A Edith Stein [Übers.], Von den göttlichen Namen, GA 17, S. 87: „Doch auch von dem, was ist, ist nichts ganz ohne Anteil am Guten. Denn jenen überwesentlichen Strahl, der Ihm bleibend inne­ wohnt, läßt es jedem Ding gütig in ihm angemessenen Erleuchtungen scheinen, und die geheilig­ ten Geister läßt es zu einer ihnen angemessenen Schau, Gemeinschaft und Ähnlichkeit kommen — jene, die Ihm, soweit sie können, zustreben, wofern sie sich nur nicht etwas Höheres anmaßen, als ihnen die göttliche Erleuchtung ihrem Fassungsvermögen entsprechend bringt, und nicht durch eine verkehrte Neigung in die Tiefe gleiten, sondern beständig, ohne die Augen abzuwen­ den, dem leuchtenden Strahl entgegenschauen und mit einer den ihnen gewährten Erleuchtun­ gen entsprechenden Liebe, in heiliger Ehrfurcht, mit Besonnenheit und frommer Scheu em­ porfliegen.” 158 DN I, 2, 589 A 159Johannes Scotus Eriugena, PL 122, 244 B. 160 CH XIII, 1, 300B-4,308B 161 Zum Begriff des »Seraph mentis«: Thomas Gallus, Commentaires du Cantique des Cantiques, texte critique avec introduction, notes et tables par Jeanne Barbet, Paris 1967, S. 82, 123, 124, 129,133,134,136,138,148,176,183, 208.

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6,1 wieder162 und wird zum Siegel der »Intentionalität« [έπιβολή] des gottför­ migen Nous, durch die sich das authypostatische Licht der Mystagogie des gottheitlichen Logos im monadischen Nous des Eingeweihten Jesu selbst verwirk­ licht.

»NOUS JESU« UND GEISTIGES SCHRIFTVERSTÄNDNIS Es ist die »Intentionalität« (έπιβολή}163, durch welche die Hierarchien der En­ gelsgeister — versinnbildlicht durch die Ikonographie des Seraphs in der Beru­ fungsvision des Propheten Jesaja — als analoge Wesensstruktur des Gott in sich fassenden Nous von diesem selbst aktuiert werden. Dies drückt Dionysius mit dem geheimnisvollen Wort von der »thearchischen Einjochung« (τοΤς θεαρχικοϊς ζυγοΤς) der Engelsgeister aus. Τούτοις επόμενοι τοις θεαρχικοις ζυγοΤς, οϊ και τάς ολας διακυβερνώσι των ύπερουρανίων ούσιών αγίας διακοσμήσεις, το μεν ύπέρ νοϋν και ούσίαν τής θεαρχίας κρύφιον άνεξερευνήτοις και ίεραις νοός εύλαβείαις, τα δε άρρητα σώφρονι σιγή τιμώντες, έπί τάς έλλαμπούσας ήμιν έν τοις ίεροις λογίοις αύγάς άνατεινόμεθα. Και προς αύτών φωταγωγούμεθα προς τούς θεαρχικούς ύμνους ύπ’ αύτών ύπερκοσμίως φωτιζόμενοι και προς τάς ίεράς ύμνολογίας τυπούμενοι προς τό και όράν τα συμμέτρως ήμιν δι’ αύτών δωρούμενα θεαρχικά φώτα και τήν άγαθοδότιν αρχήν άπάσης ίεράς φωτοφάνειας ύμνειν, ώς αύτή περί έαυτής έν τοις ίεροις λογίοις παραδέδωκεν.164 Diese »Einjochung« [συζυγία] der heiligen Geister„endet" nicht einfach in der »mens hierarchizata« des vergöttlichten Menschen, sondern wird vielmehr zur Analogie der hierarchischen Wesens-Ausformung des Nous selbst erhoben, welche der in der Mystagogie Jesu unmittelbar gründende Nous durch die Aktuierung seines Wesens an sich selbst vollzieht. Die Engelsgeister und das Wesen des Geistes bilden eine in der Menschwerdung Jesu selbst begründete mystagogische Wesens-Gemeinschaft. Der Nous vermag nicht eher in das mystagogische Geheimnis der Kenosis Gottes eingeweiht zu werden [ίεραις νοός εύλαβείαις]165, als dass er sich selbst der Mystagogie Jesu in Form der intentionalen Kontraktion seines eigenen Wesens zugrunde legt, um sich der Gottheit Jesu selbst als deren kenomatische Wesenheit darzubringen. Nur so weiß sich der Geist selbst als au­ thypostatische Wesensform der Kenosis Jesu. Der Nous muss sich durch seine »Intentionalität« [έπιβολή]166 in seinem »Gott in sich fassenden« Wesen aktuieren. Denn diese schafft Wesenheit, in wel162 Eriugena, ibid., 244 C. 163 DN 1,2, 588C-589A 164 DN I, 3, 589 AB Edith Stein [Übers.], ibid., S. 87: „Folgen wir also jener göttlichen Waage, die alle heiligen Klassen der himmlischen Ordnungen bemißt, ehren wir jenes Geheimnis der höchsten Gottheit, das alles Verstehen und jedes Wesen übersteigt, mit heiliger Scheu, die sich kein Forschen gestattet, und ihre Unsagbarkeit mit geziemendem Schweigen; strecken wir uns ihrem Glanz entgegen, der uns aus der Heiligen Schrift aufleuchtet; durch ihr Licht werden wir dann zu heiligen Gesängen ange­ regt, die uns überirdisch erleuchten, und durch die göttlichen Lobgesänge werden wir zum Schauen des göttlichen Lichtes herangebildet, das uns in ihnen gewährt wird, soweit es unserm Fassungsvermögen entspricht, und zum Preis des wohltätigen Urquells aller Erleuchtung, soweit er sich selbst über sich selbst in der Heiligen Schrift ausgedrückt hat.” 165 DN I, 3, 589 A 166 DN I, 4, 592 D

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che die selbstentäußerte Gottheit des Logos eingehen kann, um sich darin als in der Wesensform ihrer Authypostasie selbst zu verwirklichen. Dies aber kann nur geschehen, insofern der Nous sich selbst als reine apophatische Intentionalität begreift und sich als »Kenoma« (κένωμα) oder Gott in sich fassende Wesenheit aktuiert. Nur wenn der Nous sich selbst als reine »Intentionalität« entäußert, welche aus sich selbst »Gott empfangende« Wesenheit zu schaffen vermag, wird er durch göttliche Erleuchtung zum Verständnis der Heiligen Schrift emporge­ führt. Die Hl. Schrift ist keine Quelle der Erleuchtung und Vergöttlichung für den, der seinen Nous nicht schon zur Mystenschaft Jesu geführt hat. Denn der Nous muss diese in sich selbst aktuieren, damit er sich in dem Wesen seiner gottheitlichen Intentionalität selbst und selbsttätig schauen kann als Wurzel aller Theosophie. Selbsttätigkeit ist das vom Nous selbst geschaute und aktuierte We­ sen des Nous. So ist der Nous reine Intentionalität, in der sein selbstaktuiertes Wesen steht, unvergänglich und von göttlicher Art. Der Nous aktuiert sein ver­ borgenes Wesen durch Entäußerung des Lichtes seiner gottheitlichen Intentio­ nalität, um in dieser Aktuierung seines apophatischen Wesens zugleich außer sich zu sein und »Opfer«, in das der authypostatische Same des selbstentäußerten Logos sich einsenkt, um sich den Leib seiner Wesenspräsenz zu bereiten. Das geistige Wort der Hl. Schrift167, in dem das Licht der Gottheit selbst verborgen liegt, es wird zu Licht nur, wenn es als Photagogie der mystagogischen Wesenspräsenz Jesu im Nous durch diesen selbst begründet ist168. Das geistige Wort der Hl. Schrift bleibt in seinem Lichte unvernommen, solange der Nous nicht durch die Selbsttätigkeit seines Wesens sich selbst ins Licht des Wortes Gottes einführt, um aus solcher Erleuchtung das Mysterium der Mystagogie Jesu in sich selbst zu gottheitlicher Selbstwirklichkeit zu erheben. Nur der Nous, der sich im Lichte seiner Selbstschau in der Allwirklichkeit seines erhabenen Wesens aktuiert, wird zu jenem Geistwort der Hl. Schrift emporgeführt, in dem die Ge­ burt aus Gott sich ereignet. So ist der Nous der Ort, an dem die Selbstentäuße­ rung des Göttlichen Logos sich als theosophisches Urbewusstsein des Mysten begreift. So ist es allein der sich in seiner Wesens-Aktuierung selbst schauende Nous, welcher sich der selbstentäußerten Gottheit als mystagogische Substanz darbringt. Denn das Fleisch der Kenosis Jesu ist jene Selbstwirklichkeit169, die der Nous aus sich selbst aktuiert, um sie als Opfer der selbstentäußerten Gottheit selbst darzubringen, welche wiederum sich durch dieses Opfer in das selbstaktuierte Wesen des Nous einführt und daraus selbst zeugt. Τής γάρ ύπέρ λόγον και νοϋν και ούσίαν αύτής ύπερουσιότητος άγνωσία. Αύτή την ύπερούσιον έπιστήμην άναθετέον, τοσοϋτον έτιΐ το άναντες άνανεύοντας, οσον έαυτήν ένδίδωσιν ή των θεαρχικών λογιών άκτίς, προς τάς ύπερτέρας αύγάς τή περ'ι τα θεία σωφροσύνη και όσιότητι συστελλόμενους. Και γάρ εί τι δει τή πανσόφω και άληθεστάτη θεολογία πείθεσθαι, κατά τήν άναλογίαν έκαστου των νοών άνακαλύπτεται τα θεία και έποπτεύεται τής θεαρχικής άγαθότητος έν σωστική δικαιοσύνη των έν μετρώ τήν άμετρίαν θεοπρεπώς ώς άχώρητον άποδιαστελλούσης.170 167 DN I, 2, 588 C 168 DN 1,1,588 A 169 Die »Selbstwirklichkeit« [αύθυπόστασις] ist die sich im gottheitlichen Lichte Jesu schauende Selbstaktuierung der Wesenheit des Nous selbst. 170 DN 1,1,588 A

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Die apophatische Gnosis des großen Areopagiten begnügt sich nicht da­ mit, die Unerkennbarkeit und absolute Transzendenz des göttlichen Wesens zu betonen, sondern sie führt uns mystagogisch ein in jenes Opfer, das der erhabene Nous in seiner Wesens-Selbsttätigkeit an sich selbst vollbringt [Τής γάρ ύπέρ λόγον και νοϋν και ούσίαν αύτής ύπερουσιότητος άγνωσία. Αύτή την ύπερούσιον έπιστήμην άναθετέον]171. Dies aber ist nur möglich, wenn der Nous sich durch sein Selbstopfer in die noetische Substanz der Kenosis des gottheitlichen Logos einführt, welche er in sich selbst geworden ist. Nur so ist das rätselhafte Wort des Areopagiten vom „verborgenen Ursprung der Vergöttlichung"172 zu verstehen. Der Nous wird demnach allein durch die Anagogie seines Selbstopfers intentionale Wesensform der gottheitlichen Selbstwirklichkeit Jesu im Nous selbst und damit intentionaler Ursprung der ihn vergöttlichenden Gottheit Jesu. Auf dieses »Kenoma« hin also sind die Aussagen des Dionysius über die άγνωσία173 zu beziehen. Dies ist das Dunkel göttlicher Erkenntnislosigkeit, das dem Nous durch dessen Selbstopfer selbst widerfährt. Aber er erfährt oder „erleidet" diese Nichterkenntnis als den Keim seiner eigenen Vollkommenheit, welche er sich gerade durch das Selbstopfer eröffnet. Somit erwächst dem Nous durch das Dun­ kel des Selbstopfers der „verborgene Ursprung der Vergöttlichung"174aus der bereits anwesenden Gottheit Jesu. Denn die Dunkelheit, in welche der Nous durch sein Selbstopfer eingeht, ist nichts anderes als jenes übernatürliche Licht der Gottheit, durch das der Nous der Mystagogie des gottheitlichen Logos teilhaf­ tig wird. So aber nimmt der Nous selbst teil an der Natur der Gottheit. Erst indem der Nous zu jenem Licht des „geheimen Ursprungs der Ver­ göttlichung" des Menschen geworden ist in selbst gottheitlicher Mystenschaft Jesu, vermag sich der verborgene Sinn der Hl. Schrift uns zu offenbaren [τοσοϋτον έττι το άναντες άνανεύοντας, οσον έαυτήν ένδιδωσιν ή των θεαρχικών λογίων άκτίς]175. Die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift ist nicht aus dieser selbst erweisbar, wie auch das Symbol nicht aus diesem selbst gedeutet werden kann. Vielmehr liegt der Schlüssel zu einer Hermeneutik der Heiligen Schrift allein im Prinzip der gottheitlichen Mystenschaft des Nous Jesu selbst176.

Edith Stein [Übers.], ibid., S. 86: „Denn die Unerkennbarkeit ihrer Übernatur, die über alle Ver­ nunft [λόγος], allen Geist [νους] und alles Wesen [ουσία] ist— ihr selbst müssen wir das überna­ türliche Wissen zuschreiben: Soweit sollen wir nach dem unzugänglichen Licht streben, soweit der Strahl der göttlichen Worte sich in uns herabläßt, wenn wir uns mit der dem Göttlichen ge­ bührenden Besonnenheit und Ehrfurcht zurückhalten. Wenn wir nämlich der durchaus weisen und wahrhaftigen Gotteslehre glauben dürfen, so offenbart sich das Göttliche und wird erschaut nach dem Maß der Fassungskraft der einzelnen Geister, da die höchste Güte Gottes, in heilsamer Gerechtigkeit, den abgemessenen Dingen ihre Unermeßlichkeit, weil sie unfaßbar ist, in wahrhaft göttlicher Weise anmißt.” 171 Ibid. 172 DN I, 3, 589 B 173 DN 1,1,588 A 174 DN I, 3, 589 B 175 DN 1,1,588 A 176 Ibid.

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DIE THEOSOPHISCHEN ERFAHRUNGSEBENEN DES SYMBOLS Mit dem Wort »Thearchie« (θεαρχία) führt Dionysius einen Begriff ein, der für seine Idee göttlicher Mystagogie von zentraler Bedeutung ist. Dieser Begriff be­ zeichnet mit dem »Ursprung der Vergöttlichung« die im Wesen des Nous selbst sich verwirklichende Mystagogie des gottheitlichen Logos. Dieser »gottheitliche Grund der Vergöttlichung im Nous selbst«, den der areopagitische Begriff der »Thearchie« meint, muss zugleich als Ursprung der Göttlichen Namen, der Prädi­ kationen Gottes, verstanden werden. Diese sind die wohltätigen Hervorgänge, durch die das dem Nous des Mysten innewohnende Mysterium gottheitlicher Mystagogie vom Nous selbst als System »mentaler Zeichen« hervorgebracht wird. Durch die »mentalen Zeichen« zeugt der Nous von der in ihm selbst Wirk­ lichkeit gewordenen Mystenschaft Jesu. Die Symbole reflektieren die noetische Wesenspräsenz der Gottheit und lassen sie durch sich selbst Leib werden. Die Göttlichen Namen sind »Zeichen mystagogischer Intentionalität«, welche sich auf die Mystenschaft des Nous Jesu selbst als auf ihren hierurgischen Ursprung be­ ziehen. Deshalb ist die Arkandisziplin dem sakramentalen Symbol selbst imma­ nent. Ταϋτα προς των θείων λογίων μεμυήμεθα. Και πάσαν, ώς είπεΤν, την ίεράν των θεολόγων ύμνολογίαν εύρήσεις προς τάς άγαθουργούς τής θεαρχίας προόδους έκφαντορικώς και ύμνητικώς τάς θεωνυμίας διασκευάζουσαν. 'Όθεν έν πάση σχεδόν τή θεολογική πραγματεία την θεαρχίαν όρώμεν ίερώς ύμνουμένην ώς μονάδα μεν και ένάδα διά την απλότητα και ενότητα τής ύπερφυοϋς άμερείας, έξ ής ώς ενοποιού δυνάμεως ένιζόμεθα και τών μεριστών ήμών ετεροτήτων ύπερκοσμίως συμπτυσσόμενων είς θεοειδή μονάδα συναγόμεθα και θεομίμητον ενωσιν177 Die »Thearchie« (θεαρχία)178 — wir wollen der Einfachheit halber den Begriff des Dionysius hinfort als Fremdwort benutzen — sieht man deshalb auf allen Ebenen der Theosophie auf heilige Weise gepriesen als Monas oder Henas. Denn der Nous wird zur »gottförmigen Monade«179 kontrahiert [είς θεοειδή μονάδα συναγόμεθα] durch die gottheitliche Wesenspräsenz Jesu im Nous des Eingeweihten. Mit dieser einher geht die Reduktion der verschiedenen Seelen­ vermögen in die gottförmige Wesenheit des Nous, welche diesem aus der gott­ heitlichen Mystagogie unmittelbar erwächst. ώς τριάδα δε διά τήν τρισυπόστατον τής ύπερουσίου γονιμότητος εκφανσιν, έξ ής «πάσα πάτριά έν ούρανω καί έπίγής» εστι καί «ονομάζεται»180

177 DN I, 4, 589 D Edith Stein [Übers.], ibid., S. 88: „Dies haben wir aus der Heiligen Schrift gelernt; und Du wirst finden, daß sozusagen fast der gesamte heilige Lobpreis der Theologen, um uns Gott zu zeigen und Ihn zu loben, göttliche Namen entsprechend den Hervorgängen der göttlichen Güte gebildet hat. So sehen wir, daß fast in jeder theologischen Abhandlung die Gottheit heilig gepriesen wird als Monade oder Einheit [μάνας, ένας] wegen der Einfachheit und Einheit ihrer übernatürlichen Ungeteiltheit, durch die wir als durch eine einheitschaffende Kraft Eines sind und durch überirdi­ sche Verbindung unserer geteilten Verschiedenheiten zu einer gottähnlichen Einheit und Gott nachbildenden Vereinigung geführt werden;” 178 Ibid. 179 Ibid. 180 DN I, 4, 592 A

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Als Trias aber wird die »Thearchie« (θεαρχία)181 gepriesen wegen der sich in drei Hypostasen offenbarenden Überwesenhaften Zeugungskraft Gottes. Überstiege nämlich die Zeugungskraft nicht das Wesen, so wären die drei Hypo­ stasen der Gottheit nicht mit sich selbst eines selben Wesens. Nur in diesen drei wesenseinen Personen Gottes kann die alle Wirklichkeit zeugende Gottheit sich in sich selbst schauen, in dem mit sich selbst einen Wesen ihrer trinitarischen Wirklichkeit. In dem Sein jeder Hypostase zeugt sich die Ousia authypostatisch selbst und entfaltet aus der Zeugung zugleich die Homoousie aller drei Göttlichen Personen. Die »Thearchie« bezeichnet die Einführung des Prinzips der Authypostasie als Voraussetzung der Einsicht in die Wesenseinheit der Trinität. Der Nous wird als Prinzip der urgöttlichen Zeugungskraft der wesensei­ nen trinitarischen Gottheit und als gleichsam noetisches Identitätsprinzip ge­ schaut, durch das die Trinität sich in diese ihre Wesenseinheit einführt und so, identisch mit sich selbst, in sich selber wurzelt. Die Schau des großen Areopagiten entlockt dem Mysterium der Trinität Gottes etwas Unvordenkliches, das nicht einfach zur Dreifaltigkeit hinzugedacht werden muss, ohne das vielmehr die dreihypostatische Wesenseinheit Gottes im Nous keinen eigenen Offenba­ rungsgrund besäße. ώς αιτίαν δε των οντων, έπειδή πάντα προς το είναι παρήχθη διά την αύτής ούσιοποιόν άγαθότητα182 Als Ursache des Seienden preist Dionysius die »Thearchie«, da alles ins Sein hervorgebracht wurde wegen dieser ihrer Sein schaffenden Güte. σοφήν δε και καλήν, οτι τα οντα πάντα τά τής οικείας φύσεως άπαράφθαρτα διασώζοντα πάσης άρμονίας ένθεου και ίεράς εύπρεπείας έστιν άνάπλεα183 Als weise und schön aber wird die »Thearchie« gepriesen, weil das Seien­ de, insofern es die Unvergänglichkeit seiner eigenen Natur bewahrt, erfüllt ist von göttlicher Harmonie und heiliger Schönheit. So wird die Schöpfung selbst zurückgeführt in jenen evolutionären Prozess, der in der Mystagogie der Gottheit Jesu seinen Ursprung hat. Dionysius führt uns in Stufen ein in die verschiedenen Seins-Perspektiven der Sophia Gottes, die als gottheitliche Selbstschau die Be­ wusstseins-Ebenen göttlich erkannten und erkannten göttlichen Seins aus sich emaniert. Schließlich kommt der große Dionysius auf das Geheimnis der Kenosis Je­ su zu sprechen. Durch diese nämlich kommt der »Thearchie« die Eigenschaft der Menschenfreundlichkeit zu. Die »Thearchie« — als der intentionale Grund der Gottheit selbst — tritt in einer ihrer drei Hypostasen, nämlich im Logos, in wirk­ liche und volle Gemeinschaft mit der menschlichen Natur, indem sie jene äußer­

Edith Stein [Übers.], ibid., S. 88: „als Dreiheit aber wegen der dreipersönlichen Offenbarung ihrer übernatürlichen Zeugungskraft, von der jede Vaterschaft im Himmel und auf Erden herstammt und ihren Namen hat;” 181 DN I, 4, 589 D 182 DN I, 4, 592 A Edith Stein [Übers.], Dionysius Areopagita: Von den göttlichen Namen, GA 17, S. 88: „als Ursache der Dinge, weil alles durch ihre wesenschaffende [ούσιοποιός] Güte das Sein erhält;” 183 DN I, 4, 592 A Beate Suchla [Übers.], Pseudo-Dionysius Areopagita. Die Namen Gottes, BGL 26, S. 24: „als weise und schön, weil alles Sein, sofern es nur seine eigene Natur unversehrt bewahrt, mit jeglichem gottbegeisterten Wohlklang und aller heiligmäßigen Schönheit ausgefüllt ist;”

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ste Niedrigkeit des Menschen184 zu sich ruft und auf sich nimmt, aus welcher auf geheimnisvolle Weise Jesus in seiner Einfachheit gebildet ist. Der Ausdruck von der „äußersten Niedrigkeit des Menschen" bedarf der Hinterfragung besonders wegen des theosophischen Nexus, in welchen er von dem Areopagiten mit der „Gottbildung Jesu" gestellt ist.185 φιλάνθρωπον δε διαφερόντως, οτι τοις καθ' ημάς προς άλήθειαν όλικώς έν μια των αύτής ύποστάσεων έκοινώνησεν άνακαλουμένη προς έαυτήν και άνατιθεισατήν άνθρωπίνην έσχατιάν, έξ ής άρρήτως ò απλούς Τησοϋς συνετέθη και παράτασιν είληφε χρονικήν ò άΐδιος και είσω τής καθ’ ημάς έγεγόνει φύσεως ò πάσης τής κατά πάσαν φύσιν τάξεως ύπερουσίως έκβεβηκώς μετά τής άμεταβόλου και άσυγχύτου των οικείων ίδρύσεως.186 Die „äußerste Niedrigkeit des Menschen" ist menschliche Gottesferne, ist radikales Entferntsein des Menschen von Gott. Und dieses ist zugleich die menschliche Natur selbst. Diese nimmt der gottheitliche Logos in seiner Selbst­ entäußerung (Kenosis) auf sich, um sich aus ihr in seiner fleischgewordenen Gottheit zu bilden. Damit aber erfährt die menschliche Natur eine äußerste Ver­ änderung und Vertiefung an sich selbst. Sie wird aus dem einfachen intentiona­ len Sein der Gottbildung Jesu gottbildende Wesenheit des Nous selbst. Denn der intentionale Heilsgrund der Gottheit im fleischgewordenen Lo­ gos erfüllt die menschliche Natur mit Gott in sich fassender Wesenheit, welche die Selbstaktuierung des Wesens des Nous durch diesen selbst in der »Gottbil­ dung Jesu« ist. Diese also bezeichnet nichts anderes als das Mysterium der »Mystagogie Jesu« im Nous des Mysten. Heilsgeschichte bleibt bei Dionysius nicht außen vor, sondern ist aufs innigste verwoben mit dem Nous des Einge­ weihten Jesu, in welchem sie sich radikal verwirklicht. Heilsgeschichte wurzelt in dem intentionalen Grund der Gottheit selbst, in der »Thearchie«. Nun wird auch ersichtlich, warum Dionysius jene „Bildung des einfachen Jesus"187, also die »Gottbildung Jesu«, „unaussprechlich" nennt, denn sie ist unmittelbare gottheitli­ che Mystagogie oder Wesenseinwohnung Jesu im Nous des Mysten. Die Idee gottheitlicher Mystagogie im Nous des Vollkommenen, wie sie vom Corpus Areopagiticum entfaltet wird, liegt in der Heilsgeschichte selbst vor­ 184 CH IV, 4,181 B 185 Trefflich spricht Thomas Gallus dies in seiner Explanatio zu „De divinis nominibus", ebd. S. 76 aus: Et nota quod prius dicit nos istis splendoribus illuminari, quod pertinet ad perfectionem intelligentie, post figurari, quod pertinet ad perfectionem affectionis principalis, iuxta quod ip­ sum principium primo dicitur splendor glorie, post figura substantie paterne [Hebr. la], quia na­ turale est prius nosse quam laudare, admirari, desiderare, diligere, quamuis uice uersa affectio ad unitionem perducta incomparabiliter clariores fulgores ingignat intellectui, tamquam ordo Sera­ phim ordini Cherubim. 186 DN I, 4, 592 AB B. R. Suchla [Übers.], ibid., S. 24: „als menschenfreundlich, weil er wahrhaftig uneingeschränkt in einer seiner Hypostasen mit uns in Gemeinschaft getreten ist und dadurch die äußerste mensch­ liche Gottesferne zu sich herbeiruft und aufrichtet, aus welcher auf unaussprechliche Weise der einfaltige Jesus zusammengesetzt wurde, der Ewige den Zeitbezug genommen hat und derjenige, welcher die gesamte Ordnung im Bereich der gesamten Natur überwesentlich überragt, in unsere Natur hineingeboren wurde unter unveränderlicher und unvermischter Bewahrung seiner Ei­ genheit." 187 DN I, 4, 592 A: την άνθρωπίνην εσχατιάν, έξ ής άρρήτως ò άπλοϋς Ίησοϋς συνετέθη. Vergi, hierzu: Ep. IV, 1072 Β: Έστι δε ούδέν ήττον ύπερουσιότητος υπερπλήρης ò άε'ι υπερούσιος, άμέλει τή ταύτης περιουσία, καί εις ουσίαν άληθώς έλθών υπέρ ουσίαν ούσιώθη κα'ι υπέρ άνθρωπον ένήργειτά άνθρώπου.

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gezeichnet und wird zugleich von dieser selbst vorweggenommen. Heilsge­ schichte ist selbst im intentionalen Grund der Gottheit begründet. Deshalb muss sie sich im erleuchteten Nous der Mysten Jesu selbst inkarnieren, weil sie es nur in diesem tun kann. Die Kenosis Gottes wird Wirklichkeit erst durch die »Mystagogie Jesu selbst« im schauenden Nous. Der Nous muss zur Wesensform gottheitlicher Intentionalität werden, damit der inkarnierte Logos sich durch seine Gottbildung im Nous diesem selbst zu offenbaren vermag. Und diese Schau und Offenbarung ist diese »Gottbildung Jesu« selbst. Kal οσα άλλα θεουργικά φώτα τοΤς λογίοις άκολούθως ή των ένθεων ημών καθηγεμόνων κρύφια παράδοσις έκφαντορικώς ήμιν έδωρήσατο, ταϋτα και ημείς μεμυήμεθα188 Im Anschluss nun kommt Dionysius auf seine eigene, persönliche Mysterien-Erfahrung zu sprechen und auf deren mystagogische Grundstruktur. In dem theophoren Bekenntnis dürfen wir also eine weitere Stufe in der WesensEntfaltung der »thearchischen« Weisheit Gottes erkennen. Die Menschenliebe (φιλανθρωπία)189 der weisheitlichen Thearchie190 Gottes, aufgrund welcher der Nous in die monadische Selbstwirklichkeit der Kenosis Jesu selbst eingeführt wird, sie allein bildet die Quelle für das mystische, d.h. dem Mysten eignende Verständnis der Hl. Schrift sowie für die Arkanwissenschaft der göttlich inspi­ rierten Lehrer. Die Idee gottheitlicher Mystagogie setzt die eigene Mysterienerfahrung des Dionysius voraus. Denn erst aufgrund der gottheitlichen Energie in der Selbstaktuation seiner eigenen gottbildenden Wesenheit wird der Nous des My­ sten zum Wirklichkeitsgrund der Kenosis Jesu. Nur insofern der Geist die Selbstwirklichkeit der Kenosis Jesu als seine kenomatische Wesens-Selbsttätigkeit aktuiert und in sich fasst, erwächst ihm selbst jene »gottbildende« Wesenheit, aus welcher Jesus in der Einfachheit seiner gottheitlichen Einwohnung durch den Nous selbst Fleisch werden kann. Die Menschenliebe (φιλανθρωπία)191 meint, dass erst im »thearchischen« Horizont der Kenosis Gottes die menschliche Natur als jenes »Äußerste«192 geoffenbart wird, durch das dem Menschen selbst gottheitliche oder gottbildende Wesenheit erwächst aus der Einfachheit der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst. Und diese »gottbildende« Wesenheit, welche sich in der Kenosis Jesu zum Menschen selbst kontrahiert, ist der vollkommene Nous der Mystenschaft Jesu. Deshalb ruft der Areopagit als selbst Eingeweihter die bezeichnenden Worte aus: „In diese göttlichen Geheimnisse sind auch wir eingeweiht worden!" (ταϋτα και ημείς μεμυήμεθα)193. ταϋτα και ημείς μεμυήμεθα νϋν μεν άναλόγως ήμιν διά τών Ιερών παραπετασμάτων τής τών λογιών και τών ίεραρχικών παραδόσεων φιλανθρωπίας αίσθητοις τά νοητά και τοις ούσι τά ύπερούσια περικαλυπτούσης και μορφάς και τύπους τοις άμορφώτοις τε και άτυπώτοις περιτιθείσης και τήν 188 DN I, 4, 592 Β B. R. Sudila [Übers.], Die Namen Gottes, S. 24: „Wir sind auch in alle anderen göttlich wirkenden Erleuchtungen, welche uns in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift die geheime Überliefe­ rung unserer gotterfüllten Lehrer auf offenbarende Weise geschenkt hat, eingewiesen worden.” 189 DN II, 3, 640 C 190 Thomas Gallus, Paraphrase zu >De divinis nominibus< [Dionysiaca Band 1, S. 674], 191 Ep. IV, 1072 B 192 DN I, 4, 592 A 193 DN I, 4, 592 B

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ύπερφυή καί άσχημάτιστον απλότητα τη ποικιλία των μεριστών συμβόλων πληθυούσης τε καί διαπλαττούσης194 In diesem areopagitischen Bekenntnis wird zugleich das mystagogische Ursprungsprinzip von Kirche als einer mystenschaftlichen Gemeinschaft (έκκλησία) erkennbar. Damit aber stellt sich die Frage nach dem Wesen von Kir­ che neu. In diesem Bekenntnis des Mysten von der thearchischen Menschenliebe des fleischgewordenen Gottes im Nous selbst schaut sich das theosophische We­ sen des Nous als Ursprung von Kirche. Das monadische Heilsprinzip des thear­ chischen Nous Jesu im Mysten selbst aber schließt jede Form von sakramentaler „Heilsvermittlung" aus, weil alle symbolbildende Kompetenz der im gottbilden­ den Nous wesenstätigen Mystagogie Jesu selbst zugeschrieben werden muss. Der mystagogische Dienst der gottheitlichen Weisheit an der Zeugung der Kirche manifestiert sich in seinen beiden Wesensmomenten: • als vom Wesen des Nous selbst aktuierte und vollendete »Mystagogie Je­ su« im Nous des Mysten selbst195 • als »Hierurgie« oder Bildung des sakramentalen Symbols im Nous des Mysten Jesu196 durch diesen selbst Diese beiden Momente des mystagogischen Dienstes der »thearchischen« Weisheit Gottes an der Zeugung der Kirche Jesu werden von Dionysius durch die Satzanfänge „Dereinst aber, wenn wir unvergänglich und unsterblich sind" (Τότε δε, όταν άφθαρτοι και άθάνατοι γενώμεθα)197 „Nun aber benutzen wir, so­ weit wir können, Zeichen, um das Göttliche zu fassen” (Νϋν δε, ώς ήμιν έφικτόν, οίκείοις μεν τα θεία συμβόλοις χρώμεθα)198 gekennzeichnet. Τότε δε, όταν άφθαρτοι και άθάνατοι γενώμεθα και τής χριστοειδοϋς και μακαριωτάτης έφικώμεθα λήξεως, «πάντοτε συν κυρίω» κατά τό λόγιον «έσόμεθα» τής μεν ορατής αύτοϋ θεοφανείας έν πανάγνοις θεωρίαις άποπληρούμενοι φανοτάταις μαρμαρυγάϊς ήμάς περιαυγαζούσης ώς τούς μαθητάς έν έκείνη τή θειοτάτη μεταμορφώσει, τής δε νοητής αύτοϋ φωτοδοσίας έν άπαθέϊ και άΰλω τω νω μετέχοντες και τής ύπέρ νοϋν ένώσεως έν τάϊς των ύπερφανών άκτίνων άγνώστοις και μακαρίαις έπιβολάϊς. Έν θειοτέρα μιμήσει των ύπερουρανίων νοών «ίσάγγελοι γάρ», ώς ή των λογίων άλήθειά φησιν, έσόμεθα «και υιοί θεού τής άναστάσεως υιοί οντες»199 194 DN I, 4, 592 Β Josef Stiglmayr [Übers.], Des heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über „Göttliche Namen”, Bibliothek der Kirchenväter [Zweite Reihe, Band II], München 1933, S. 25: „Und in alle andern göttlich wirkenden Lichtquellen, die in Übereinstimmung mit den heiligen Schriften die geheime Überlieferung unserer gotterfüllten Lehrer uns erklärt und geschenkt hat, sind auch wir eingeweiht worden. Jetzt geschieht dies in der uns entsprechenden Weise durch die heiligen Schleier, indem die menschenfreundliche Güte der Schriften [Offenbarungen] und hierarchischen Überlieferungen sich bedient, das Geistige im Sinnlichen und das Überseiende im Seienden ver­ hüllt und Gestalt und Bild um das legt, was weder Gestalt noch Bild hat, und die über Natur und Konfiguration erhabene Einfachheit durch die bunte Mannigfaltigkeit der Teilsymbole vervielfäl­ tigt und ausgestaltet.” 195 DN I, 4, 592 C 196 DN I, 4, 592 B 197 Ibid. 198 DN I, 4, 592 C 199 DN I, 4, 592 BC

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Die eschatologische Schau des Areopagiten von der Idee gottheitlicher Mystagogie verwirklicht sich in der unmittelbaren »Gemeinschaft mit Christus«, welche selbst wiederum für den Nous in einer Teilhabe an der Natur der Gottheit gipfelt. Paradigma für diese eschatologische Dimension der Vergöttlichung des Menschen ist die »Verklärung Jesu« auf dem Tabor200 vor ausgewählten Jüngern. Damit aber erklärt Dionysius die »Mystenschaft Jesu« für das entscheidende Kri­ terium von Kirche201. Erst im eschatologischen Licht des monadischen Heilsprinzips im Nous Jesu des Eingeweihten selbst erscheint das Wesen von Kirche in seiner mystagogischen Begründung durch die thearchische Heilsintentionalität der Gottheit. Die Schau der Mystagogie Jesu im Nous durch diesen selbst im Licht der Gottheit be­ zeichnet die vom Nous selbst erlangte christförmige Wesenheit. Die sich in Ana­ logie zum Tabor-Ereignis vollziehende Mystagogie Jesu im Nous des Mysten ist nicht nur Ausgießung des geistigen Lichtes, an welcher der leidenschaftslose Nous teilhat, sondern Einung, welche von der wesenschaffenden Tätigkeit (ένέργεια) der gottheitlichen Intentionalität des »christförmigen« Nous selbst getragen wird. Durch die in den Nous einfallende Intentionalität (έπιβολή) des thearchischen Lichtes der Gottheit wird der Nous zur Aktuierung seines gottheit­ lichen Wesens befähigt. Und diese Befähigung ist zugleich die Aktuierung des gottheitlichen Wesens des Nous im Nous durch diesen selbst. Dies ist die apophatische Wesenskontraktion, die der Nous durch das ein­ fallende Licht gottheitlicher Intentionalität an sich selbst vollzieht. Der Nous zieht sich in seinem Wesen aus sich selbst zurück, insofern er von der Intentiona­ lität des gottheitlichen Lichtes getroffen ist. In diesem Betroffensein des Nous gründet die Wesenskontraktion des Nous, welche zugleich als Erlangung der christförmigen Wesenheit des Nous durch diesen selbst begriffen werden muss. Diese Erlangung der christförmigen Wesenheit durch den Nous wirkt sich auch aus in Bezug auf die Engelshierarchien, als göttlichere Nachahmung, in wel­ cher die Engel als dem im Nous des Mysten offenbar gewordenen Mysterium Jesu unterworfen und ihm dienend erkannt werden. Und dieser mystagogische

B. Suchla [Übers.], Die Namen Gottes, S. 24: „Dereinst aber, wenn wir unvergänglich und unsterb­ lich geworden und zur christusähnlichen und allerseligsten Ruhe gelangt sind, «werden wir», wie die Schrift sagt, «immerdar mit dem Herrn sein» [1 Thess 4,18], indem wir mit den ganz heiligen geistigen Schauungen seiner sichtbaren Gotteserscheinung, die uns mit den hellsten Strahlen umglänzen wird wie die Jünger in jener göttlichsten Umgestaltung, erfüllt werden und mit unse­ rem leidenschaftslosen und von der materiellen Realität abgelösten Intellekt an seiner intelligiblen Lichtspendung und in den unerkennbaren und seligen Berührungen mit den überhellen Strahlen an der den Intellekt übersteigenden Einung Anteil nehmen. Im göttlicheren Nachvollzug der überhimmlischen Vernunftwesen werden wir «nämlich engelgleich sein», wie die Wahrheit der Schrift sagt, «und Söhne Gottes, weil Söhne der Auferstehung» [Lk 20, 36], 200 Zu den palamitischen Streitigkeiten, siehe: Carl Andresen/Ekkehard Mühlenberg/Adolf Martin Ritter/Martin Anton Schmidt/Klaus Wessel [Hrsg.], Die christlichen Lehrentwicklungen bis zum Ende des Spätmittelalters, Göttingen 2011, S. 390/91. 201 Dieses eschatologische Wesens-Moment in der Idee gottheitlicher Mystagogie bezieht Diony­ sius auf die in Matth. 17, 17 berichtete Verklärung Jesu. Dionysius erhebt das Taborlicht zum Zeichen des im Mysten selbst leibwerdenden Nous Jesu und nicht, wie Palamas, zum „Symbol der göttlichen Natur". Damit wird die Axiomatik von 2. Petr. 1, 4 für die christliche Spiritualität über­ haupt erst einlösbar und die Kritik der palamitischen Energienlehre, die sich als „normative" Lehre von der Vergöttlichung des Menschen versteht, unvermeidlich.

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Dienst der Engelsgeister geschieht mittels der Analogie zum Wesen des christ­ förmigen Nous des Eingeweihten202. Νϋν δέ, ώς ήμϋν έφικτόν, οίκείοις μέν εις τα θεία συμβόλοις χρώμεθα κάκ τούτων αύθις έττι την απλήν και ήνωμένην των νοητών θεαμάτων άλήθειαν άναλόγως άνατεινόμεθα και μετά πάσαν την καθ' ημάς των θεοειδών νόησιν άποπαύοντες ημών τάς νοεράς ένεργείας είς την ύπερούσιον άκτινα κατά το θεμιτόν έπιβάλλομεν, έν ή πάντα τά πέρατα πασών τών γνώσεων ύπεραρρήτως προϋφέστηκεν, ήν ούτε έννοήσαι δυνατόν ούτε είπειν ούτε ολως πως θεωρήσαι διά το πάντων αύτήν έξηρημένην είναι και ύπεράγνωστον και πασών μέν τών ούσιωδών γνώσεων και δυνάμεων τάς άποπερατώσεις άμα και πάσας ύπερουσίως έν έαυτή προειληφυιαν, πάντων δέ άπεριλήτττω δυνάμει και τών ύπερουρανίων νοών ύπεριδρυμένην.203 Die mit einem „Nun aber" (Νϋν δέ) eingeleitete Textpassage, welche das zweite Wesensmoment in der areopagitischen Idee von der gottheitlichen Mystagogie Jesu formuliert, darf uns nicht dazu veranlassen, das darin über den Symbolbegriff Ausgesagte im Sinne eines eschatologischen Defizits misszuver­ stehen. Denn dem Gebrauch eigener Symbole204 zur Bezeichnung des Göttlichen liegt selbst eine profunde Analogie zur selbstaktuierten Wesenheit des christ­ förmigen Nous zugrunde. Die Bildung des sakramentalen Symbols205 aus der 202 Eine anachronistische und dualistische Deutung der zwei von mir darlegten Wesensmomente areopagitischer Mystagogie bietet aus neopalamitischer Sicht John Meyendorff, Christin Eastern Christian thought, Baltimore 1969, S. 108/09. 203 DN I, 4, 592 CD: Edith Stein [Übers.], ibid., S. 89: „Nun aber benutzen wir, soweit wir können, Zeichen, um das Göttliche zu fassen; durch sie werden wir zu jenem einfachen und einheitlichen wahren Sinn der geistigen Schauspiele geführt, wie es unserm Fassungsvermögen entspricht; und nach allem uns möglichen Verstehen göttlicher Dinge lassen wir unsere Verstandestätigkeit ruhen und werfen uns hinein in jenen überwesentlichen Strahl, soweit es recht ist, in dem alle Grenzen aller Er­ kenntnisse auf unsagbare Weise voraus bestanden haben; wir können ihn weder mit unserm Geist fassen noch mit Worten ausdrücken noch mit Augen sehen, weil er über alles erhaben und in überragender Weise unbekannt ist, weil er alle Abgrenzungen aller wesentlichen Erkenntnisse und Kräfte in sich vorausgenommen hat und über alle himmlischen Geister erhaben in unbegreif­ licher Kraft thront.” 204 DN I, 4, 592 CD 205 Friedrich Creuzer, Ideen zu einer Physik des Symbols und Mythus, in: Symbolik und Mytholo­ gie der alten Völker, Bd. 1, Leipzig 1819, S. 62/63 „Dies führet uns zur Steigerung des Symbols oder zu seinem höheren Gebrauche. Setzt sich nämlich der bildende Geist mit der Kunst in Be­ rührung, oder waget er das religiöse Ahnen und Glauben in sichtbaren Formen niederzulegen, so muß das Symbol sich gleichsam zum Unendlichen und Schrankenlosen erweitern. Auf dieser Stufe soll es sich über sich selbst erheben, und die allgemeinsten und höchsten Begriffe verkör­ pern. Soll aber die unerschöpfliche Fülle und die unergründliche Tiefe in der Form offenbar wer­ den, so ist hiermit eine Aufgabe gegeben, die, so schlechthin betrachtet, sich selbst aufheben würde. Oder vermöchte das Bedingte die Stelle des Unbedingten zu vertreten, und das Sterbliche Träger des Unsterblichen zu seyn? Aus dieser Unzulänglichkeit der Kraft zu der Aufgabe ent­ springt nun ein zwiefaches Bestreben. Entweder folget das Symbol seinem natürlichen Hange, der auf das Unendliche gerichtet ist, und suchet, einzig bemühet, diesen zu befriedigen, vor Allem nur recht bedeutsam zu seyn. In dieser Bestrebung genügt es ihm nicht, Viel zu sagen; es will Alles sagen. Es will das Unermeßliche ermessen, und das Göttliche in den engen Raum menschli­ cher Formen zwingen. Diese Ungenügsamkeit folget einzig dem dunkelen Triebe des namenlosen Ahnens und Glaubens, und, keiner Naturgesetze achtend, schweift sie über alle Gränzen aus, muß aber eben dadurch in schwebender Unbestimmtheit räthselhaft werden. Hier waltet das Unaus­ sprechliche vor, das, indem es Ausdruck suchet, zuletzt die irdische Form, als ein zu schwaches Gefäß, durch die unendliche Gewalt seines Wesens zersprengen wird. Hiermit ist aber sofort die Klarheit des Schauens selbst vernichtet, und es bleibet nur ein sprachloses Erstaunen übrig. Wir

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Stofflichkeit sinnlicher Erfahrung setzt immer schon den Nous des Eingeweihten Jesu als den einzig zureichenden Grund von Hierurgie voraus. Denn allein dem Nous des Mysten Jesu wohnt der Ursprung gottheitlicher Hierurgie inne. Das zweite Wesensmoment der areopagitischen Mystagogie betrifft die Wesensreduktion des Symbols in die es sakramental erst begründende hierurgische Authentie des »gottbildenden« Nous im Mysten Jesu selbst. In dieser We­ sensreduktion wird das Symbol selbst zum Spiegel des sich am Wesen des Nous selbst ereignenden gottheitlichen Mysteriums Jesu. Im ungeschaffenen Lichte gottheitlicher Intentionalität (έττιβολή) lässt der Nous jede Form menschlicher Erkenntnis hinter sich, indem er von seiner natürlichen Erkenntnistätigkeit ab­ lässt und getroffen vom göttlichen Lichte aus sich selbst gottheitliche Wesenheit aktuiert. Dies aber setzt das im gottheitlichen Lichte selbst wohnende Antlitz (πρόσωττον) Jesu voraus, welches durch das wesenschaffende Licht der Gottheit im Nous den Nous selbst als Wesensform seiner »thearchischen« Selbstwirklich­ keit offenbart. Die Wesensapophatik, in welcher Wesen und Erkenntnistätigkeit des natürlichen Nous selbst zum Erliegen kommen, ist selbst bereits »Zeichen« der Selbstaktuation des christförmigen Nous im Lichte gottheitlichen Wesens. Das Wesen apophatischer Gnosis206, wie es hier von Dionysius dem Areopagiten festgehalten wird, besteht gerade darin, dass der Nous selbst »verbum mentis« oder Zeichen seiner eigenen Christförmigkeit im Licht der Gottheit ist.

VOM MYSTAGOGISCHEN WIRKLICHKEITSGRUND JESU IM NOUS DES MYSTEN Die Menschwerdung Gottes bleibt, obwohl sie das Offenbarste der christlichen Gotteslehre ist, dennoch jedem Geiste unbegreiflich und jedem Worte unsagbar. Mit dieser Aussage verweist der Areopagit auf die mystagogischen Grundlagen der Kenosis Jesu, ohne welche diese für uns im Dunkeln bleiben muss. Denn die Erkenntnis der göttlichen Kenosis bleibt dem Nous unergründlich, selbst dem der ersten Engel. Αλλά και το πάσης θεολογίας έκφανέστατον ή καθ’ ημάς Ίησοϋ θεοπλαστία και άρρητός έστι λόγω παντ'ι και άγνωστος νω παντ'ι και αύτω τω πρωτίστω των πρεσβυτάτων άγγέλων.207

haben hiermit das Extrem bezeichnet, und nennen die Symbolik dieses Charakters die mystische, die jedoch, wenn auch dieser Richtung hingegeben, so lange sie noch Schranken anerkennt und nicht das Aeußerste suchet, dem religiösen Glauben zum glücklichen, bedeutsamen Ausdrucke dienet. Oder das Symbolische beschränkt sich selber, und hält sich bescheiden auf der zarten Mittellinie zwischen Geist und Natur. In dieser Mäßigung gelingt ihm das Schwerste. Es vermag selbst das Göttliche gewissermaßen sichtbar zu machen. Also weit gefehlt, daß es nun der Be­ deutsamkeit ermangele, wird es vielmehr höchst bedeutsam durch den großen Inhalt seines Wesens. Mit unwiderstehlicher Gewalt ziehet es den betrachtenden Menschen an sich, und nothwendig, wie der Weltgeist selbst, greift es an unsere Seele. Es ist quellende Exuberanz lebendi­ ger Ideen, die sich in ihm reget; und was die Vernunft, mit dem Verstände vereinigt, in successiver Schlußfolge erstrebet, das gewinnet sie hier, im Bunde mit dem Sinne, ganz und auf einmal." 206 DN I, 4, 592 D 207 DN II, 9, 648 A: J. Stiglmayr [Übers.], Göttliche Namen, S. 43: „Aber auch das offensichtlichste Faktum aller Offen­ barung, die unserer Natur entsprechende Gottbildung Jesu, ist unaussprechlich für jede Rede, unerkennbar für jeden Geist, auch für den ersten der vornehmsten Engel."

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Mit der Betonung der radikalen Unerkennbarkeit der Menschwerdung Gottes eröffnet Dionysius aber zugleich deren mystagogische Sinnebene. Nicht die Inkarnation Gottes für sich allein genommen, sondern sie in ihrer Bedeutung für den Nous, der sie in sich selbst zum thearchischen Prinzip seiner selbst erhe­ ben muss, bringt dem Menschen die Vergöttlichung. Die Mystagogie bildet dem­ nach den hermeneutischen Gipfel, die Sinnspitze der Kenosis Jesu. Die Kenosis Gottes bleibt unerfüllt, solange sie sich nicht in ihrer gottheitlichen Intentionali­ tät als Mystagogie Jesu selbst im Nous des Eingeweihten erfüllt. Die Inkarnation ist zu betrachten als noetische Wesensform, in welcher sich die Intentionalität der Gottheit selbst verwirklicht und dem Wesen des Nous zugrunde legt. Nur indem der selbstentäußerte Logos Wesensform der Intentionalität der Gottheit selbst im Nous wird, kommt dem Nous selbst gottheitliche Wesenheit zu, als wel­ che sich der Nous selbst aktuiert im Lichte der Wesenspräsenz Jesu. Der Logos muss den Nous zur intentionalen Wesensform seiner gottheitlichen Einwohnung erheben, damit er wiederum vom Nous aktuiert und erfasst werden kann. Die »Gottbildung« [θεοττλαστία]208 Jesu, mit welcher Dionysius zunächst die Inkarnation Gottes bezeichnet, rückt mit der Ausführung der areopagitischen Idee in das Licht einer mystagogischen Geistlehre, in welcher der selbstentäu­ ßerte Logos seine Gottheit durch die kenomatische Teilhabe des Mysten an der Natur der Gottheit selbst erfährt. Somit ist die Gottbildung Jesu nur möglich im Nous des Mysten, im Nous des Vollkommenen. Die »Gottbildung Jesu« im Sinne einer gottheitlichen Mystagogik, die sich am Wesen des Nous selbst ereignet und von diesem selbst aktuiert wird, setzt den Gott bildenden Nous des Mysten vor­ aus. και τα άλλα, οσα τής ύπερφυοϋς έστιν Τησοϋ φυσιολογίας.] Ταϋτα δε ήμϊν τε έν άλλοις ίκανώς είρηται καιτώ κλείνω καθηγεμόνι κατάτάς Θεολογικάς αύτοϋ στοιχειώσεις ϋμνηται λίαν ύπερφυώς, άπερ έκεινος είτε προς των ιερών θεολόγων παρείληφεν είτε και έκ τής έπιστημονικής των λογίων έρεύνης συνεώρακεν έκ πολλής τής περ'ι αύτά γυμνασίας και τριβής είτε και εκ τίνος έμυήθη θειοτέρας έπιπνοίας ού μόνον μαθών άλλα και παθών τα θεία κάκ τής προς αύτά συμπάθειας, εί οϋτω χρή φάναι, προς τήν άδίδακτον αύτών και μυστικήν άποτελεσθεις ένωσιν καιπίστιν.209 Das Arkanum der Menschwerdung Gottes ist allein zurückzuführen auf die apophatische Erfahrung des »gottbildenden« Nous im Mysten Jesu selbst. Denn erst im Mysten wird sich die Gottheit Jesu ihrer selbstbewusst. Das eigent­ liche Arkanum der Gottheit ist das Licht des gottbildenden Nous im Vollkomme­ nen. Denn aus dem Nous erwächst der Knechtsgestalt des Logos Gottheit, welche der Logos durch seine Selbsterniedrigung der Gottheit selbst erwarb. Deshalb 208 Ep. IX, 1105 B DN II, 9, 648 A CH IV, 4,181 B 209 DN II, 9, 648 AB: Edith Stein [Übers.], GA 17, S. 98: „...und anderes vollbrachte, was zeigt, daß die Natur Jesu über­ natürlich war. Aber darüber haben wir schon anderswo genügend gesprochen, und unser ruhm­ reicher Lehrer hat es in seinen Elementen der Theologie ganz übernatürlich gepriesen, wie er es z. T. von heiligen Theologen empfangen hat, teils selbst aus sorgfältiger Erforschung der Schrift in langer Zeit und Übung in den zusammenfassenden Blick bekommen hat; z.T. ist es ihm auch durch göttlichere Eingebung enthüllt worden, wobei er das Göttliche nicht nur erlernt, sondern erlitten hat; und dadurch, daß er es so mitgelitten hat, wenn man so sagen darf, ist er zu jener mystischen Vereinigung und zum Glauben vollendet worden, den man nicht erlernen kann.”

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bekennen die Mysten Jesu bei Dionysius: „Und dass er menschliches Sein ange­ nommen hat, haben wir auf mystische Weise empfangen"210. Die göttliche Mystagogie des Dionysius Areopagita hat als eine Quelle die auf gegenseitigem Austausch von Gotteserfahrung beruhende Arkangemeinschaft der Mysten Jesu. Als weitere Quelle wird von Dionysius die Hermeneutik genannt, welche die Symbolsprache der Heiligen Schrift auf den göttlichen Erfahrungsgrund im Nous des Mysten »zurückzuführen« vermag. Dritte Quelle schließlich ist die unmittel­ bare Einweihung des Einzelnen durch die Mystagogie Jesu 211 in diese selbst, von der es prägnant heißt, dass man „das Göttliche nicht nur erlernen, sondern auch erleiden muss" [ού μόνον μαθών άλλα και παθών τα θεία]212. Es ist wichtig zu begreifen, dass alle drei Quellen göttlicher Mystenschaft nicht getrennt voneinander zu sehen sind noch in einem Verhältnis der Unter­ ordnung zueinander stehen. Sie sind vielmehr Wesensmomente der gottheitlichen Einweihung in die Mystagogie Jesu durch diese selbst. In allen drei Momen­ ten erfüllt sich das Wesen der gottheitlichen Mystagogie Jesu im Nous, welches vom ungeschaffenen Licht des Nous selbst aktuiert wird. Und dieses einheitliche Wesen des Nous Jesu ist die »apophatische Erfahrung«. In diesem Bereich der theosophischen Apophatik des Nous selbst gründet die Lehre von der übernatür­ lichen Wesenheit Jesu. Denn die innere Substanz der göttlichen Kenosis wurzelt in der Intentionalität des vom geistigen Lichte der Gottheit Jesu erfüllten Wesen des Nous selbst. Die Lehre von der übernatürlichen Wesenheit Jesu setzt immer schon die apophatische Gotteserkenntnis des Vollkommenen, des Mysten Jesu voraus. Damit aber erwächst dem Nous durch das geistige Licht der Gottheit selbst neue213 und göttliche Wesenheit, die den selbstentäußerten Logos in sich zu fassen und zum authypostatischen Wesensgrund des Nous selbst zu erheben vermag. Die »Lehre von der übernatürlichen Natur Jesu« wird bei Dionysius gera­ dezu zum Zeichen der mystagogischen Realpräsenz Jesu im Nous des Vollkom­ menen, zum Siegel apophatischer Gotteserkenntnis, über die nichts hinausgeht. »Apophatie« bedeutet bei Dionysius Areopagita — wie bei Maximus dem Beken­ ner — nicht eine begriffstheologische Prädizierung dessen, was Gott nicht ist, sondern sie bezeichnet die Zunichtewerdung des Nous durch die ihm erwach­ sende gottheitliche Wesenheit im geistigen Lichte des Antlitzes Jesu. Die areopagitische Idee von Mystagogie geht aus vom geistigen Licht gottheitlicher Intentionalität, durch das der inkarnierte Logos sich im Nous des My­ sten als in der »Lehre von seiner (eigenen) übernatürlichen Natur«214 begründet. Der inkarnierte Logos offenbart sich durch seine mystagogische Einwohnung dem Nous in seinem übernatürlichen, d.h. gottheitlichen Wesen. Nur insofern der Nous selbst Bild der wesenschaffenden Intentionalität der Gottheit ist, vermag er jene gottheitliche Substanz aus sich selbst zu offenbaren, in welcher die Mystagogie des inkarnierten Logos selbst begründet liegt. Das gottheitliche Licht der Mystagogie Jesu, welches der Nous selbst ist, bezeichnet zugleich das Wesen 210 DN II, 9, 648 A 211 DN IV, 13, 712 A DN IV, 12, 709 B DN I, 5, 593 C 212 DN II, 9, 648 B 213 DN II, 10, 649 A 214 Ibid.

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der apophatischen Gotteserkenntnis, welche die Substanz der »Gottbildung Jesu« in sich zusammenfasst. Wenn Dionysius betont, dass die Ausgießung des geistigen Lichtes (φωτοχυσία)215 die Mysten zusammenzuführen und zu einen vermag, vollen­ dend wirkt und darüber hinaus emporführt zum wahrhaft Seienden, dann ist dies der gottheitlichen Intentionalität der Mystagogie Jesu zuzuschreiben, welche sich im Wesen des erleuchteten Nous selbst begründet.216 Es ist das im einzel­ nen Mysten wohnende geistige Licht der Gottheit, welches die Einung der Mysten zum mystischen Leib Jesu bewirkt. Die Entstehung der Mystenschaft Jesu aus dem Urstrahl (άκτίς πηγαία) göttlichen Lichtes beschreibt Dionysius als Abwen­ dung von den vielen Meinungen und den vielfältigen Sichtweisen menschlicher Vernunft und zugleich als Hinwendung zur Einzigkeit und Reinheit wahrer Er­ kenntnis durch Erfüllung mit dem einen und Einheit schaffenden Licht der Gott­ heit selbst. Das sich im Nous des Vollkommenen unmittelbar verwirklichende monadische Heilsprinzip der Mystagogie Jesu ist als Urstrahl gottheitlichen Lich­ tes zugleich der eine und einzige Ursprung von Kirche. Φως ούν νοητόν λέγεται το ύπέρ παν φως άγαθόν ώς άκτίς πηγαία και ύπερβλύζουσα φωτοχυσία πάντα τον ύπερκόσμιον καί περικόσμιον και έγκόσμιον νοϋν έκ τοϋ πληρώματος αύτής καταλάμπουσα καί τάς νοεράς αύτών ολας άνανεάζουσα δυνάμεις καί πάντας περιέχουσα τω ύπερτετάσθαι καί πάντων ύπερέχουσα τω ύπερκέϊσθαι καί άπλώς πάσαν τής φωτιστικής δυνάμεως τήν κυρείαν ώς άρχίφωτος καί ύπέρφωτος έν έαυτή συλλαβοϋσα καί ύπερέχουσα καί προέχουσα καί τά νοερά καί λογικά πάντα συνάγουσα καί άολλή ποιούσα. Καί γάρ ώσπερ ή άγνοια διαιρετική των πεπλανημένων έστίν, ούτως ή τοϋ νοητού φωτός παρουσία συναγωγύς καί ένωτική των φωτιζομένων έστί καί τελειωτική καί ετι έπιστρεπτική προς τύ όντως ον άπύ των πολλών δοξασμάτων έπιστρέφουσα καί τάς ποικίλας όψεις ή, κυριώτερον είπειν, φαντασίας εις μίαν άληθή καί καθαράν καί μονοειδή συνάγουσαγνώσιν καί ενός καί ενωτικού φωτός έμπιπλώσα.217 Mit dieser tiefgreifenden Aussage widerspricht der Areopagit jenen, wel­ che sein Werk ganz im Zeichen eines kirchlichen Hieratismus deuten. Die Grunderfahrung jedoch, wie sie den theosophischen Schriften des Dionysius zu­ eigen ist, impliziert den Bruch mit dem historisch gewachsenen Kult-Mythos ei­ ner heidenchristlichen Kirche und legt damit den Grund zu einer »christlichen Theosophie«, die das Erbe der Patristik in das palingenetische Bewusstsein einer gottheitlichen Uroffenbarung zurückholt und damit überhaupt erst geistig zu­ 215 DN IV, 6, 701 B 216 Ep. IV, 1072 BC 217 DN IV, 6, 701 AB: J. Stiglmayr [Übers.], Göttliche Namen, S. 64/65: „Geistiges Licht also wird das alles Licht übertreffende Gute genannt, denn es ist ein quellenhafter Strahl und eine über­ sprudelnde Lichtergießung. Diese bestrahlt aus ihrer Lichtfülle alle Geister über der Welt, um die Welt und auf der Welt, sie verjüngt alle geistigen Kräfte derselben, sie umschließt alle Geister, denn sie ist über alle ausgebreitet, und über alle erhaben übertrifft sie alle. Mit einem Worte, sie enthält als Prinzip des Lichtes und überlichtes Licht alle Gewalt der lichtspendenden Kraft in sich, da sie dieselbe eminenter und im vorhinein besitzt und die geistigen und vernünftigen Wesen alle vereinigt und zusammen verbunden hält. Denn gleichwie die Unwissenheit die Eigenschaft hat, die Irrenden zu trennen, so ist es der Anwesenheit des geistigen Lichtes eigen, alle, die es erleuchtet, zu sammeln und in eins zu vereinigen und zu vervollkommnen. Es hat die Kraft, die­ selben von den vielerlei Meinungen hinweg zum wahrhaft Seienden hinzukehren und die bunten Anschauungsbilder oder, besser gesagt, Phantasien zu einer wahren, reinen und eingestaltigen Erkenntnis zu sammeln und mit einem, und zwar einigendem Lichte zu erfüllen."

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gänglich macht. Das Corpus Areopagiticum ist deshalb als Schlüssel für eine theosophische Anamnese des patristischen Denkens zu begreifen. Dionysius benennt in seinen Ausführungen das Einheit schaffende gottheitliche Licht der Mystagogie Jesu im Nous des Eingeweihten als jenes Arkanum, aus welchem Kirche als heilige Mystenschaft selbst erst hervorgeht. Denn das monadische Heilsprinzip Jesu im eingeweihten Nous ist jener Urstrahl gottheitlicher Lichtausgießung selbst, der die Mysten jenseits von Raum und Zeit zum Leib des inkarnierten Logos Gottes vereint. Diese »einziggestaltige« (μονοειδής) Idee einer von der Gottheit selbst in­ tendierten und bewirkten Mystenschaft des Nous lässt in der Tat keinen Raum für irgendeine Art von hieratischer Erklärung der Kirche. Sie ist das definitive Ende aller theologischen Versuche, Kirche selbst aus der Pseudomorphose göttli­ cher Mystagogie zu „begründen". Erst der Durchbruch der Erkenntnis von der gottheitlichen Mystagogie im Nous am Nous selbst, wie er sich in der Theosophie des großen Areopagiten vollzieht, lässt den sakramentalen Kultmythos des kirch­ lichen Hieratismus als »Pseudomorphose« authentischer — von der Gottheit selbst bewirkter — Mystagogie sichtbar werden. Aufgrund des areopagitischen Durchbruchs in der Erkenntnis vom »gottheitlichen« Wesen der Mystagogie wird die Kirche selbst reif für die Kritik. Die epochemachende Erkenntnis vom Ur­ sprung der Kirche in der gottheitlichen Einziggestaltigkeit des erleuchteten Nous stellt die mystagogische Letztbegründbarkeit von Kirche als Destruktion des ge­ schichtlich vollendeten Kultmythos dar. Der mystagogische Quellstrahl gottheitlichen Lichtes bewirkt am Nous des Eingeweihten eine den Engelsmächten analoge Wesensstruktur, in welcher die anagogischen Erkenntnisvermögen der Engel zugleich zusammengefasst sind als in der noetischen Einziggestaltigkeit Jesu im gottheitlichen Licht des Mysten. Mit anderen Worten: Dionysius erteilt jeder Interpretation eine Absage, die ver­ sucht, die Engelsordnungen als Instanz von göttlicher Erkenntnisvermittlung zwischen Christus und den Nous des Mysten zu stellen. Eine solche Fehldeutung ignoriert nicht nur die tiefgründigen theosophischen Ausführungen des Dionysi­ us selbst, sondern auch das Wort des Apostels Paulus, welcher als Kronzeuge der areopagitischen Idee von der gottheitlichen Mystagogie Jesu im Nous des Einge­ weihten anzusehen ist: Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Got­ tes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. 218 Ψυχής δε κίνησίς έστι κυκλική μέν ή είς έαυτήν είσοδος άπό των εξω και των νοερών αύτής δυνάμεων ή ένοειδής συνέλιξις ώσπερ εν τινι κύκλω το άπλανές αύτή δωρουμένη και άπό τών πολλών τών εξωθεν αύτήν έπιστρέφουσα και συνάγουσα πρώτον είς έαυτήν, είτα ώς ένοειδή γενομένην ένοϋσα ταις ένιαίως ήνωμέναις δυνάμεσι και ούτως έπι το καλόν και άγαθόν χειραγωγούσα το ύπέρ πάντα τά οντα και εν και ταύτόν και άναρχον και άτελεύτητον. Έλικοειδώς δε ψυχή κινείται, καθ’ οσον οίκείως έαυτή τάς θείας έλλάμπεται γνώσεις, ού νοερώς και ένιαίως, άλλά λογικώς και διεξοδικώς και οίον συμμίκτοις καϊ μεταβατικάϊς ένεργείαις. Τήν κατ’ εύθέίαν δε, όταν ούκ είς έαυτήν είσιοϋσα και ένική νοερότητι κινούμενη, τούτο γάρ, ώς εφην, έστι το κατά κύκλον, άλλά προς τά περ'ι έαυτήν προϊοΰσα και άπό τών εξωθεν ώσπερ 218 Röm. 8, 38-39

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άττό τινων συμβόλων πεποικιλμένων καί πεπληθυσμένων έπι τάς άπλάς καί ηνωμένας ανάγεται θεωρίας.219 Dionysius lehrt drei mystagogische Bewegungsarten der Seele, die als de­ ren innere Wesens-Momente zu begreifen sind. Die erste und oberste Bewe­ gungsart der Seele ist die kreisförmige. In ihr vollzieht sich die Abkehr der Seele von der Außenwelt und zugleich die Einkehr in ihr eigenes inneres Wesen. Mit dieser Wesens-Selbsteinkehr der Seele geht einher die Zusammenziehung all ihrer geistigen Fähigkeiten in einer einzigen Gestalt, so dass ihr die Irrtumslosigkeit verliehen wird. Die kreisförmige Bewegung lässt die Seele wegstreben von der bunten Vielfalt der Erscheinungswelt hin zu sich selbst, um sich in ihrem ei­ genen Wesen zu sammeln und zu finden, sich in der gottheitlichen Einziggestaltigkeit ihres erleuchteten Wesens selbst zu schauen, dann, um in ihrer göttlichen Wesenseinung sich mit den einzelnen Kräften ihres Wesens zu verbinden und so hinzustreben zum Schönen und Einen und Identischen und Anfangslosen und Endlosen. Spiralförmig aber bewegt sich die Seele220, insofern sie auf eigene Weise die göttlichen Erkenntnisse in sich selbst zur Erleuchtung bringt, nicht in der Einziggestaltigkeit des Geistes selbst, sondern im sich mit sich selbst vermitteln­ den Denken, und zwar durch ineinander übergehende und sich miteinander aus­ tauschende Tätigkeiten. Die dritte Bewegungsart der Seele ist die geradlinige. Sie kommt der Seele zu, insofern diese nicht in sich selbst [in die Einfachheit ihres göttlichen Wesens] einkehrt und von Einheit schaffender Geistigkeit bewegt wird, sondern insofern sie selbst herantritt an die sie umgebende Dingwelt und von dieser wiederum wie von bunten und vielfältigen Symbolen zu den einfachen und mit sich selbst geeinten Erkenntnisakten ihrer eigenen gottheitlichen Wesenheit emporgeführt wird. Diese Dreiteilung der geistigen Wesenstätigkeiten, die sich im erleuchteten Nous vollzieht, wendet Dionysius auf die Schrifthermeneutik an. Και μή τις ημάς οίέσθω παρά τα λόγια τήν τοϋ έρωτος έπωνυμίαν πρεσβεύειν. Έστι μεν γάρ άλογον, ώς οίμαι, και σκαιόν τό μή τή δυνάμει τοϋ σκοπού προσέχειν, άλλά τάϊς λέξεσιν. Και τοϋτο ούκ εστι των τά θεία νοέιν έθελόντων ίδιον, άλλά των ήχους ψιλούς είσδεχομενών και τούτους άχρι των ώτων άδιαβάτους έξωθεν συνεχόντων και ούκ έθελόντων είδέναι, τί μεν ή τοιάδε λέξις σημαίνει221

219 DN IV, 9, 705 Α: Edith Stein [Übers.], ibid., S. 109: „Die Kreisbewegung der Seele ist ihre Einkehr zu sich selbst von den äußeren Dingen und die einförmige Zusammenwirkung ihrer Geisteskräfte, die ihr eine gleichsam in einen Kreis gebannte und von allem Umherirren freie Bewegung gibt und sie von den vielen äußeren Dingen zuerst zu sich selbst hinkehrt und in sich sammelt; dann, wenn sie schon einförmig geworden ist, vereint sie sie mit ihren auf einheitliche Weise geeinten Kräften, und so erst führt sie sie zum Schönen und Guten, das über alles Seiende ist, das eine und selbe, ohne Anfang und Ende. Spiralförmig dagegen bewegt sich die Seele, wenn sie ihrem Fassungs­ vermögen entsprechend im Hinblick auf göttliche Erkenntnisse erleuchtet wird, nicht auf geistige und einheitliche Weise, sondern in schrittweisem Denken und wie in gemischten und wechseln­ den Tätigkeiten. Gerade aber bewegt sie sich, wenn sie nicht bei sich selbst einkehrt und von einer einheitlichen geistigen Bewegung getragen wird [denn dies ist, wie gesagt, die Kreisbewe­ gung], sondern zu dem sie Umgebenden vorschreitet und von den äußeren Dingen wie von bun­ ten und vielfältigen Bildern zu einfacher und einheitlicher Schau emporgeführt wird." 220 DN IV, 9, 705 B 221 DN IV, 11, 708 B-708 C

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Was meint Dionysius mit dem »Lob des Eros gemäß der Heiligen Schrift«, durch welches sich der Myste im Gegensatz zum nicht in die Mysterien der christlichen Theosophie Eingeweihten auszeichnet? Er will damit zum Ausdruck bringen, dass der Myste sich an die gottheitliche Intentionalität des Geistwortes (verbum mentis) hält, welchem der selbstentäußerte Logos mystagogisch inne­ wohnt. Denn nur der im gottheitlichen Lichte selbst gründende Nous der Mystenschaft Jesu vermag das prophetische Wort der Schrift in sich selbst zu göttli­ cher Wirklichkeit und Wirksamkeit zu erheben. Der Myste hält sich nicht an den äußeren Sinn des Wortes in philologischer Manier, sondern fasst das Wort selbst als noetisches Zeichen gottheitlicher Intentionalität auf, durch das dem Nous selbst neue, ungeschaffene Wesenheit erwächst. Somit ist das geistige Wort (verbum mentis) die Aktuation der gottheitlichen Wesenheit des Nous durch diesen selbst. Dadurch aber begreift der Nous sich selbst als Wesensform der in ihm Wesen schaffenden Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit Jesu. Der Nous nimmt die Schrift als Offenbarungswort nur wahr, weil er es als intentionale Potenz seiner eigenen Vergöttlichung begreift, weil er dem selbst­ entäußerten Wort (Logos) Gottes zutraut, dass es durch die gottheitliche Inten­ tionalität (Energie) seines Sprechens im Nous des Menschen selbst, das heißt als πρόσωπον, Wohnung zu nehmen vermag. Die Kenosis gelangt erst dann zu ihrem eigentlichen Ziel, wenn der Logos wesenschaffend im geistigen Wort seiner gott­ heitlichen Intentionalität wohnt. Erst indem das Wort sich als noetisches Zeichen der wesenschaffenden Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit selbst be­ greift, kann der Göttliche Logos selbstwirklich dem Nous des Mysten innesein. Δέον είδέναι κατά τον ορθόν λόγον, οτι στοιχείοις και συλλαβαΤς και λέξεσι και γραφαΤς και λόγοις χρώμεθα διά τάς αισθήσεις. Ώς όταν ημών ή ψυχή ταις νοεραις ένεργείαις έττι τα νοητά κινείται, περιτταί μετά των αισθητών αί αισθήσεις ώσπερ και αί νοεραί δυνάμεις, όταν ή ψυχή θεοειδής γενομένη δι’ ένώσεως αγνώστου ταις τοϋ άπροσίτου φωτός άκτισιν έπιβάλλει τάϊς άνομμάτοις έπιβολάϊς.222 Die Reduktion der seelischen Wesensbewegungen in die gottheitliche We­ senheit des Nous ist selbst Anagogie, welche der Nous an sich selber vollzieht. Sie ist Hervorgang der Wesensstruktur des Nous aus der wesenschaffenden Selbstaktuation des gottförmigen (θεοειδής) Nous. Die anagogische Wesenskontrakti­ on des Nous besagt nichts anderes als den sich in seinem gottheitlichen und un­ geschaffenen Wesen selbst begreifenden und aktuierenden Nous selbst, welcher das Licht seiner Gottförmigkeit ist. B. Suchla, [Übers.], BGL 26, S. 50: „Es soll aber niemand argwöhnen, daß wir den Namen 'Eros' wider die Heilige Schrift ehren. Denn meines Erachtens ist es verständnislos und töricht, nicht den Sinn der Absicht zu bedenken, sondern nur die Wortwahl. Dieses ist nicht den Menschen eigen, die das Göttliche zu erkennen wünschen, sondern nur denen, die leeren Schall aufnehmen und diesen von außen bis zu den Ohren, aber nicht weiter festhalten und nicht wissen wollen, was eine solche Redeweise bedeutet..." 222 DN IV, 11, 708 D Edith Stein, ibid., S. 111: „Man muß nämlich wissen, wie es der gesunden Vernunft entspricht, daß wir Buchstaben, Silben, Wörter, Schriftzeichen und sprachliche Ausdrücke um der sinnlichen Wahrnehmung willen brauchen, und zwar so, daß die Sinne mit den sinnlichen Wahrnehmungen überflüssig sind, wenn unsere Seele sich mit ihren geistigen Tätigkeiten zu dem erhebt, was gei­ stig erkennbar ist; und ebenso sind die geistigen Kräfte überflüssig, wenn die Seele gottähnlich geworden ist und sich durch die unerkennbare Vereinigung in augenlosen Aufschwüngen zu den Strahlen des unzugänglichen Lichtes aufschwingt."

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Aufgrund des ekstatischen Wesens der in ihm wirksamen »Intentionali­ tät« (έττιβολή) des selbstentäußerten Logos vermag der Nous in die Negation seines eigenen geschöpflichen Wesens auszubrechen223. Und diese Apophase, welche der Nous an seiner eigenen Substanz verwirklicht, ist jene anagogische Selbstaktuierung des Nous, durch die dieser sich im Licht des Antlitzes (πρόσωττον) Jesu selbst schaut. Es ist für die apophatische Gotteserkenntnis des Dionysius bezeichnend, dass sie alle Wesensmomente göttlicher Mystagogie im Nous selbst vereinigt. Deshalb gibt es für den Nous keine Gotteserkenntnis jenseits der Apophatie des Nous selbst, der im Erlöschen seines „natürlichen" Wesens bereits Wesensgrund der gottbildenden Intentionalität der Gottheit Jesu ist224. Und diese gottheitliche Intentionalität der »Gottbildung Jesu« liegt der Einweihung des Nous durch die Apophatie selbst zugrunde. Und so erfüllt sich das Wesen göttlicher Mystagogie für den großen Dionysius in dem Lichte apophatischer Gotteserkenntnis, durch das der Nous, welcher der ursprüngliche Mensch selbst ist, gottheitlicher Digni­ tät teilhaftig wird.

DIE »KOIMESIS« ALS SCHLÜSSEL DER THEOSOPHIE Das dritte Kapitel der „Göttlichen Namen" ist für die areopagitische Theosophie deshalb von so herausragender Bedeutung, weil es den inneren Zusammenhang von Mystagogie, Göttlicher Kenosis und mystenschaftlicher Ekklesiogenese ge­ radezu ikonographisch ausmalt. Die Ikonographie der Entschlafung der Gottes­ mutter [κοίμησις] ist Chiffre für den gottheitlichen Ursprung der Mystenschaft Jesu im Nous des Eingeweihten225. Die Koimesis wird so zum Ursymbol einer in der apophatischen Gotteserkenntnis (γνώσις) des Mysten Jesu wurzelnden Ek­ klesiogenese. In der Schau des Leben zeugenden226 und Gott empfangenden Leibes227 der Theotokos erkennt sich Kirche in ihrem wahren Wesen, das heißt als monadisches Heilsprinzip der Mystenschaft Jesu. In dieser Schau des Gott empfangen­ den Leibes Mariens ruht das apophatische Geheimnis der gottheitlichen Mystagogie im Nous des Eingeweihten. Dionysius schildert uns die Tradition apophatischer Gotteserkenntnis als die Geheimlehre der Apostel Jesu und aller apostelgleichen Mysten. Die historische Rückblende in das apostolische Zeitalter unterstreicht dies. Und sie macht zudem deutlich, dass das in der Tradition apophatischer Gotteserkenntnis stehende monadische Heilsprinzip der My­ stenschaft Jesu »Herrschaftslosigkeit« impliziert. Denn Kirche entspringt allein der persönlichen Gotteserfahrung des gottbildenden228 Nous Jesu im Mysten. 223 Dieses kenomatische Hervorbrechen des Nous geschieht in vollkommener Wesens-Analogie zum kenotischen Eros des gottheitlichen Logos. DN IV, 13, 712 AB: Τολμητέον δε και τοϋτο υπέρ άληθείας είπεΐν, οτι κα'ι αυτός ò πάντων αίτιος τω καλώ κα'ι άγαθω των πάντων έ'ρωτι δι’ υπερβολήν τής ερωτικής άγαθότητος έ'ξω έαυτοϋ γίνεται τάϊς εις τά οντα πάντα προνοίαις κα'ι οίον άγαθότητι κα'ι άγαπήσει κα'ι έ'ρωτι θέλγεται κα'ι έκ τοϋ υπέρ πάντα κα'ι πάντων έξηρη μενού προς το έν πάσι κατάγεται κατ’ έκστατικήν υπερούσιον δύναμιν άνεκφοίτητον έαυτοϋ. 224 DN IV, 13, 712 A 225 DN III, 2, 681 C 226 DN III, 2, 681 D 227 Ibid. 228 DN 11,9,648 A

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Έπει καί παρ’ αύτοΤς τοΤς θεολήπτοις ημών ίεράρχαις, ήνίκα καί ημείς, ώς οίσθα, καί αύτός καί πολλοί των ιερών ημών άδελφών έπί την θέαν τοϋ ζωαρχικοϋ καί θεοδόχου σώματος συνεληλύθαμεν, παρήν δε καί ò άδελφόθεος ’Ιάκωβος καί Πέτρος, ή κορυφαία καί πρεσβυτάτη τών θεολόγων άκρότης, είτα έδόκει μετά την θέαν ύμνήσαι τους ίεράρχας άπαντας, ώς έκαστος ήν ικανός, την άπειροδύναμον άγαθότητα της θεαρχικής άσθενείας, πάντων έκράτει μετά τους θεολόγους, ώς οίσθα, τών άλλων ίερομυστών όλος έκδημών, όλος έξιστάμενος έαυτοϋ καί την προς τά ύμνούμενα κοινωνίαν πάσχων καί προς πάντων, ών ήκούετο καί έωράτο καί έγιγνώσκετο καί ούκ έγιγνώσκετο, θεόληπτος είναι καί θειος ύμνολόγος κρινόμενος.229 Somit aber hat die Ekklesiogenese ihren Ursprung in der Mystenschaft Je­ su des vollkommenen Nous. Es ist die Schau230 des Gott empfangenden oder Gott in sich fassenden Leibes Mariens231, welche nach den Worten des göttlichen Dio­ nysius das eigentliche Agens der Gemeindebildung darstellt. Die Schau des »Gott empfangenden« Leibes232 im gottheitlichen Wesensgrund des Nous durch den Mysten Jesu allein vermag Kirche zu bilden. Denn Kirche verwirklicht sich in der Mystenschaft des Gott in sich fassenden Nous233. Deshalb stellt die Ikonographie der Entschlafung Mariens ein Symbol höchster theosophischer Einweihung dar. Sie ist Chiffre für die vom Mysten selbst verwirklichte gottheitliche Mystagogie Jesu im Wesen des Nous. Und an Hierotheus als dem Prototyp des Eingeweihten wird die koimetische Symbolik des Nous im Nous selbst mystagogische Wirk­ lichkeit. Hierotheus ist die Inkarnation des »koimetischen« Prinzips des eingeweihten Nous, in welchem die gottheitliche Wirklichkeit der Kenosis allein be­ steht. Dies genau ist auch der Grund, warum die Figur des Hierotheus234 trotz ihrer idealen und archetypischen Züge zum fleischgewordenen Prinzip göttlicher Mystenschaft werden kann. Die Idealität, welche Dionysius von seinem apostelgleichen Lehrer Hierotheus zeichnet, will dessen Persönlichkeit nicht idealtypisch aufheben, sondern will uns diese vielmehr als tatsächlich erreichtes und erreichbares Maß mystischer Vollkommenheit darstellen. Hierotheus ist Verkörperung des monadischen Heilsprinzips der gottheitlichen Mystenschaft des Nous. So symbolisiert 229 DN 111,2,681 D-684A: J. Stiglmayr [Übers.], ibid., S. 52/53: „Denn auch bei unsern gottergriffenen Hierarchen sogar, als auch wir, wie du weißt, und er selbst und viele von unsern heiligen Brüdern zur Schau jenes Lei­ bes, in dem Ursprung des Lebens und Aufnahme Gottes ward, zusammengekommen waren — es war aber auch anwesend Jakobus, der Bruder des Herrn, und Petrus, die vornehmste und ehr­ würdigste Spitze der Theologen —, da gefiel es ihnen nach der Schau, daß alle Hierarchen, jeder nach seiner Fähigkeit, die unbegrenzt mächtige Güte der urgöttlichen Schwachheit preisen soll­ ten —, da nun übertraf er [Hierotheus], wie du weißt, nach den „Theologen" auftretend, die an­ dern Hieromysten, indem er ganz weg war, ganz aus sich heraustrat und die Gemeinschaft mit dem, was er pries, innerlich erlebte, und von allen, die ihn hörten und sahen, kannten und nicht kannten, als ein Mann erachtet wurde, der gottergriffen, ein göttlicher Lobpreisender sei." 230 DN III, 2, 681 D 231 DN III, 2, 681 C 232 DN III, 2, 681 D CH VII, 4,212 C Ep. VIII, 2,1092 B CH XIII, 3, 304 A 233 Zur Ikonographie der »Koimesis«, siehe: Konrad Onasch/Annemarie Schnieper[Hrsg.], Ikonen: Faszination und Wirklichkeit, Freiburg/i. Br. 2004, S. 152. 234 DN 111,2,681 D-684A

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er als ein Vollkommener die vielen Einen, die selbst der Vollendung durch die Mystagogie Jesu teilhaftig geworden sind. Hierotheus ist somit Archetyp der Per­ sonalität des Mysten Jesu. Denn »Person« setzt das Licht des Antlitzes Jesu im Nous gottheitlicher Einweihung voraus. »Personalität« ist keine evolutionäre Errungenschaft des Menschen, sondern Signum vollendeter Mystenschaft im Nous der selbstentäußerten Gottheit Jesu. In Hierotheus verkörpert sich die Au­ thentizität des monadischen Wesens apophatischer Gnosis. Denn die Selbstschau des »koimetischen« Prinzips des Nous im Nous durch diesen selbst ist nichts als die Wesenskontraktion des Nous im göttlichen Lichte des Antlitzes Jesu selbst. Deshalb gilt nach Dionysius, dass nichts die apophatische Gotteserkenntnis selbst übertrifft. Είγάρ «τελείων έστίν ή στερεά τροφή», το ταύτην εστίαν ετέρους ότιόσης αν είη τελειότητος; Όρθώς ούν ήμΤν και τοϋτο είρηται το την μεν αύτοπτικήν των νοητών λογίων θέαν και την συνοπτικήν αύτών διδασκαλίαν πρεσβυτικής δέίσθαι δυνάμεως235 Dionysius nimmt hier direkten Bezug auf Hebr. 5, 14, wo von der festen Speise der Vollkommenen die Rede ist. Die Vollkommenen sind diejenigen, wel­ che „aufgrund der (göttlichen) Fähigkeit (ihres Geistes) geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten und des Bösen"236. »Göttliche Mystagogie« im Sinne des Hebräerbriefes wie des Areopagiten meint die gottheitliche Wesensgegen­ wart Jesu im Nous, von welcher sich der Nous des Vollkommenen selbst nährt. Damit wird das Wahrheitskriterium echter Mystagogie erhoben, welches das ge­ nerische Prinzip kollektiver Heilsvermittlung als Pseudomorphose von Mystago­ gie sichtbar werden lässt. Der Verweis auf Hebr. 5, 14 ist deshalb nicht von mar­ ginaler Bedeutung, sondern betrifft die Grundidee »gottheitlicher« Mystagogik, wie sie vom Areopagiten wie schon vom Verfasser des Hebräerbriefes unzwei­ deutig vertreten wird. Der radikal apophatische Charakter dieser sich in der We­ sensschau des Nous am Nous selbst ereignenden gottheitlichen Anagogie Jesu schließt den anachronistischen Traditionalismus eines hieratischen Kultmythos aus, der sich selbst als „Mystagogie" missversteht. Und dies gilt umso mehr, wenn dieser sich auf den Areopagiten als den Kronzeugen seines „Hierarchien"Entwurfs beruft. Das Bild von der Mystenschaft Jesu, welches Dionysius in der Gestalt des Hierotheus, seines Lehrers, lebendig werden lässt, hat nichts zu tun mit priesterlichem „Amts-Charisma" und kirchlichem Kultmythos, sondern ist Realsymbol des mystagogischen Ursprungs von Kirche. Der Myste zeugt unmittelbar aus der Erleuchtung seines Nous göttliche Mystenschaft. Bezeichnend für das areopagitische Bild vom Eingeweihten Jesu als Ursprung von Kirche ist die mystagogische Lehr-Autorität oder Kompetenz, durch die wiederum Mystenschaft gezeugt wird. Die Entstehung von Kirche ist nichts als die Plurifikation des monadischen Heilsprinzips Jesu im Mysten selbst. Daraus wird wie von selbst evident, dass das 235 DN 111,2,681 BC: Josef Stiglmayr [Übers.], ibid., S. 52: „Denn wenn die feste Nahrung für die Vollkommenen ist, welche Vollkommenheit dürfte es dann erfordern, mit ihr auch andere zu speisen! Mit Fug und Recht sagen wir auch dieses, daß zur selbsteigenen Intuition der geistigen Offenbarungen und zur synoptischen Belehrung über dieselben die Kraft eines gereiften Alters erforderlich ist." 236 Hebr. 5,14: τελείων δέ έστιν ή στερεά τροφή, των διά την εξιν τά αισθητήρια γεγυμνασμένα έχόντων προς διάκρισιν καλοϋ τε καί. κακοϋ. Der Text von Hebr. 5, 14 spricht von einer Voll­ kommenheit, die selbst geistiges Wesensmerkmal der gottheitlichen Einweihung des Mysten selbst ist.

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areopagitische Konzept von der gottheitlichen Mystagogie Jesu im Nous des Vollkommenen jede Form von Heilsvermittlung ausschließt, weil diese die Vor­ stellung einer prästabilierten „Kirchlichkeit" von Kirche bereits unausgespro­ chen voraussetzt. Πόρρω δε οντες άπολειπόμεθα τής των θείων άνδρών είς θεολογικήν άλήθειαν έπιστήμης, οτι πάντως άν είς τούτο διά περισσήν εύλάβειαν έληλύθαμεν είς το μηδόλως άκούειν ή λέγειν τι περ'ι τής θείας φιλοσοφίας, εί μή κατά νοϋν είλήφαμεν, ώς ού χρή τής ένδεχομένης των θείων γνώσεως άμελειν. Και τοϋτο ή μάς έπεισαν ού μόνον αί κατά φύσιν έφέσεις των νοών έρωτικώς άει γλιχόμεναι τής έγχωρούσης των ύπερφυών θεωρίας, άλλα και αύτή των θείων θεσμών ή άρίστη διάταξις τά μεν ύπέρ ήμάς άποφάσκουσα πολυπραγμονεϊν και ώς ύπέρ άξίαν και ώς άνέφικτα, πάντα δε, όσα ήμιν έφίεται και δεδώρηται μανθάνειν, προσεχώς έγκελευομένη και έτέροις άγαθοειδώς μεταδιδόναι.237 Die Genese von Kirche als Individuationsprinzip238 der gottheitlichen Mystenschaft des Nous begreift das Wesen der Kirche als reine Präsentialität theosophischen Ur-Bewusstseins, von dem sich die Theologie als »kanonisches [und somit totes] Wissen von der Offenbarung« kategorisch selbst ausschließt. Kirche liegt somit allein in der Fähigkeit des Nous begründet, durch seine Substanz die Kenosis der Gottheit in sich selbst wirklich werden zu lassen, eben als Wirklich­ keit des Nous selbst. Mit den „Vielen" in Gemeinschaft zu treten und sie zu göttli­ cher Mystenschaft hinzuführen, ist wahre Mystenschaft, die sich durch das theosophische Wort im anderen neu gebiert. Und dieses theosophische Wort239 ist der Same der gottheitlichen Mystenschaft Jesu im Nous selbst, aus dem die Ekklesiogenese Jesu selbst organisch wächst.

DER »NOUS JESU« UND DIE GENESE DES SYMBOLS Die Schrift „Über die Kirchliche Hierarchie" beginnt mit einer persönlichen Anre­ de des Areopagiten an seinen geliebten Schüler, wodurch der Einweihungscha­ rakter unterstrichen wird, der gleichzeitig als sich auf das gesamte Corpus er­ streckend zu betrachten ist. 'Ότι μεν ή καθ’ ήμάς ιεραρχία, παίδων ιερών ίερώτατε, τής ένθεου και θείας έστι και θεουργικής έπιστήμης και ένεργείας και τελειώσεως, έκ τών 237 DN III, 3,684 BC: B. R. Sudila [Übers.], ibid., S. 41: „Weit davon entfernt bleiben wir hinter der den heiligmäßigen Männern zugehörigen Erkenntnis der Wahrheit der göttlichen Offenbarung zurück, weshalb wir wohl infolge übergroßer Scheu sicherlich dahin gekommen wären, über die göttliche Liebe zur Weisheit ganz und gar nichts zu hören oder zu sagen, wenn wir nicht verstandesmäßig erfaßt hätten, daß wir uns um die uns verstattete wahre Erkenntnis der göttlichen Dinge kümmern müssen. Dazu bewegte uns nicht nur das natürliche Verlangen des Intellekts, das aus Liebe im­ mer nach der zulässigen Schau der über die Natur hinausgehenden Dinge verlangt, sondern auch die sehr gute Anordnung der göttlichen Satzungen selbst, die uns zwar versagt, uns viel mit dem zu befassen, was uns überragt, da dieses sowohl jenseits unserer Würdigkeit liegt als auch für uns unerreichbar ist, andererseits aber unablässig befiehlt, all jenes, was zu lernen uns gestattet und überlassen ist, gütig auch anderen mitzuteilen.” 238 DN III, 2, 681 D 239 DN VII, 4, 873 A: Edith Stein [Übers.], ibid., S. 138: „Darum sterben die Führer und Lehrer unserer Gottesweisheit täglich für die Wahrheit, durch Wort und Tat, wie es sich geziemt, bezeugend, daß die einzig wah­ re Erkenntnis der Christen die allereinfachste und allergöttlichste ist, vielmehr daß sie die einzig wahre und einzig einfache Gotteserkenntnis ist.”

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ύπερκοσμίων καί ίερωτάτων ημάς άποδεϊξαι λογιών χρή τοις της ίερας μυσταγωγίας τήν τελετήν έξ ίεραρχικών μυστηρίων καί παραδόσεων τετελεσμένοις240 Gleich in der Darlegung des ersten Satzes der „Kirchlichen Hierarchie" legt Dionysius seinem Schüler241 ans Herz, dass der Ursprung unserer Heiligung in einer durch gottheitliche Einwohnung hervorgerufenen »Einsicht« (έπιστήμη), »Wirkkraft« (ένέργεια) und »Symbolbildung« (θεουργική τελείωσις) des Geistes (νους) besteht. Die Aussage zu Beginn der „Kirchlichen Hierarchie" ist von enormer Be­ deutung für das Verständnis der Sakramente und der Ekklesiogenese. Sie be­ gründet nämlich das gesamte sakramentale Leben der Kirche und die Kirche selbst auf dem monadischen Heilsprinzip der Mystenschaft Jesu. Wenn Dionysius von dem »Ursprung unserer Heiligung« [ή καθ’ ημάς ιεραρχία]242 spricht, so be­ zieht sich dieser auf das Wesen des bereits im göttlichen Lichte Jesu stehenden Nous. Es ist für die areopagitische Idee göttlicher Mystagogie von fundamentaler Bedeutung, dass der »Ursprung unserer Heiligung« allein aus der intentionalen Wesensgegenwart der Gottheit Jesu im Nous des Vollkommenen begriffen wer­ den kann. Mit dieser radikalen Formel ist die Kernidee des Areopagiten vom We­ sen der gottheitlichen Mystenschaft des Nous zugleich als der Inbegriff apophatischer Gotteserkenntnis bezeichnet. Diese bedeutende Aussage des Dionysius hinsichtlich des apophatischen Wesenszuges echter Mystagogie lässt nur noch eine von der gottheitlichen We­ senspräsenz Jesu im Nous des Eingeweihten selbst getragene Mystagogie als Mystagogie selbst gelten. Diese apophatische Verdichtung243 der Idee göttlicher Mystagogie durch Dionysius führt zu der Notwendigkeit einer völlig neuen Deu­ tung des Corpus Areopagiticum im Sinne einer »christlichen Theosophie«. Mit dieser vom Areopagiten aufgestellten paradigmatischen Begrifflichkeit zur theosophischen Apophatik244 wird der ursprüngliche Sinn von Mystagogie dem We­ sensgrund des illuminierten Nous selbst zugeordnet und darin allein lokalisier­ bar. Dieser Prozess der radikalen Reduktion der Anagogik in die als bereits vor­ handen zu begreifende Mystenschaft des Nous scheidet den kirchlichen Kultmy­ thos vom Begriff genuiner, das heißt gottheitlicher Mystagogie. Mit dieser We­ sensreduktion der Mystagogie auf die im Nous des Mysten selbst anwesende Gottheit Jesu wird von Dionysius zum einen das Paradigma echter Anagogik er­ hoben und zum anderen der kirchliche Kultmythos als Pseudomorphose göttli­ cher Mystagogie245 erkannt. Dionysius weist seinen Schüler auf das grundlegen­

d e m , 1,369 A-372 A: J. Stiglmayr [Übers.], Kirchliche Hierarchie [Bibliothek der Kirchenväter], Kempten und München 1911, S. 91: „Unsere Hierarchie, heiligster Sohn unter heiligen Söhnen, hat zum Gegenstände die in Gott gegründete, göttlich erhabene und göttlich wirkende Wissenschaft, Wirksamkeit und Vollendung. Aus den überweltlichen, hochheiligen Schriftworten müssen wir das Gesagte für diejenigen nachweisen, welche kraft der hierarchischen Mysterien und Überlieferungen zum geweihten Stand des heiligen sakramentalen Dienstes [der heiligen „Mystagogie"] konsekriert worden sind." d i EHI, 1,369 A dz EH 1,1,369 A 243 CH II, 3,141 A 244 DN XIII, 3, 981 AB 245 EH 1,1,369 A-372 A

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de Prinzip christlicher Theosophie246 hin: Die Beweisführung, dass unsere per­ sönliche Heiligung [ή καθ’ ημάς ιεραρχία] in der Wesenserkenntnis, Wirkkraft und Symbolbildung des erleuchteten Nous selbst ihren Ursprung hat, haben wir aus dem Offenbarungswort der Heiligen Schrift zu erbringen als diejenigen, wel­ che den Einweihungsweg göttlicher Mystagogie bereits an sich selbst erfahren haben. Das in der Hl. Schrift enthaltene Heilsversprechen von der Vergöttlichung (θέωσις) des Menschen muss für das kanonische Offenbarungswissen der Theo­ logie selbst fruchtlos bleiben, da es allein dem vom »Fluch des Gesetzes« befrei­ ten Wurzelbewusstsein von der christlichen Theosophie Vorbehalten ist, den Erweis für seine göttliche Herkunft unwiderleglich (apodiktisch) erbringen zu können247. Άλλ’ ορα, όπως ούκ έξορχήση τα αγία των αγίων, εύλαβηθήση δε καί τα τοϋ κρυφίου θεοϋ ταΤς νοεραΤς καί άοράτοις γνώσεσι τιμήσεις άμέθεκτα μεν αύτα και άχραντα τοις άτελέστοις διατηρών, ίεροις δε μόνοις των ιερών μεθ’ ίερας έλλάμψεως ίεροπρεπώς κοινωνών.248 Was Dionysius mit der Ermahnung an seinen Schüler [Άλλ’ ορα, οττως ούκ έξορχήση τα αγία των αγίων]249 ausdrücken will, ist, unter allen Umständen darauf zu achten, die Hierurgie als Entstehungsprozess des sakramentalen Sym­ bols zu verstehen, der allein in der gottheitlichen Mystenschaft des Nous selbst begründet sein kann. Die apophatische Begründung des sakramentalen Symbols setzt dessen Reduktion zur gottheitlichen Wesenheit des Nous Jesu selbst vor­ aus. Das Symbol wird in seiner Sakramentalität nur erfasst vom Nous, sofern die­ ser es in die Wesenheit seiner eigenen Mystenschaft zurückzuführen vermag. So dürfen wir die von Dionysius erhobene Forderung der Arkandisziplin nicht als Verbot betrachten, sondern als Gebot, welches an jeden wahren Schüler der christlichen Theosophie gerichtet ist. Deshalb dient dieses Gebot auch nicht dem Ausschluss von Menschen aus dem Kreise von „Auserwählten", sondern es bein­ haltet die Einsicht, Wirkkraft und hierurgische Kompetenz des gotterfüllten Nous selbst 250. Die Abtrennung der Kultsymbolik und Kulthandlung von ihrer mystagogischen Begründung im Nous des Eingeweihten führt zu einer Verdingli­ chung des Kultgeschehens. Das, was Dionysius mit Berufung auf sein Bewusst­ sein vom gottheitlichen Wesenszug echter Mystagogie als Dekadenz des Kultes selbst bloßstellt251, ist die „Autonomie" des sakramentalen Symbols. Diese ist gekennzeichnet durch die Herauslösung des Symbols aus der symbolbildenden 246 Edith Stein, Wege, S. 49: „Was der Prophet hört und schaut, ist gleichsam die Hohe Schule der Symbolischen Theologie·. Hier werden dem heiligen Schriftsteller Bilder und Worte an die Hand gegeben, um das Unsagbare zu sagen und das Unsichtbare sichtbar zu machen. Aber wichtiger noch ist das innere Berührtwerden von Gott ohne Wort und Bild. Denn in dieser persönlichen Begegnung findet das intime Kennenlernen Gottes statt, das erst die Möglichkeit gibt, „das Bild nach dem Original zu gestalten". Es können sich auf dieser Grundlage Bilder und Worte aufdrän­ gen, die geeignet sind, Gott so darzustellen, wie man Ihn kennengelernt hat." 247 EHI, 1,372 AB 248 EHI, 1,372 A: J. Stiglmayr [Übers.], ibid., S. 91/92: „Aber siehe zu, daß du nicht das Allerheiligste ausplauderst, sondern mit Ehrfurcht bewahrest und die Geheimnisse des verborgenen Gottes in einem intellek­ tuellen, dem Sichtbaren entrückten Erfassen in Ehren hältst. Gegenüber den Ungeweihten schüt­ ze sie vor Mitteilung und Besudelung und nur den Heiligen unter den Heiligen teile sie auf hei­ ligmäßige Art in heiliger Erleuchtung mit." 249 Ibid. 250 EHI, 1,372 B 251 DN III, 2, 681 D

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Tätigkeit des erleuchteten Nous. Und diese Loslösung des Symbolbegriffs252 aus der Wesensstruktur »gottheitlicher« Mystagogie im Nous selbst führt zu einer Pseudomorphose des christlichen Einweihungsweges. Dionysius ermahnt deshalb mit gutem Grunde seinen Schüler, das Gebot der Arkandisziplin zu be­ wahren, denn dieses birgt in sich das theosophische Licht von der gottheitlichen Mystenschaft Jesu. Der Nous ist Wesensform des theosophischen Bewusstseins der selbstentäußerten Gottheit Jesu. Das areopagitische Gebot der Arkandisziplin ist deshalb die Bewahrung des christlichen Einweihungsweges durch jeden ein­ zelnen Mysten Jesu253 selbst. Und eben dieses meint das monadische Heilsprin­ zip der christlichen Theosophie. Die prophetische Vorausschau der areopagitischen Arkanwissenschaft je­ doch wehrt einem »Verfall des mystagogischen Bewusstseins«, und dies in einem ganz besonderen Sinne. Sie verhindert nicht die Pseudomorphose der Mystago­ gie in der Kirche254, weil die Kirche selbst in dieser ganz aufgehen muss, ehe durch den Akt der Anamnese die Idee von der gottheitlichen Mystenschaft Jesu im Nous selbst als Substanz der Ekklesiogenese erkannt werden kann. Deshalb ist das theosophische Auge des Areopagiten ganz gerichtet auf die Anamnese des verborgenen Sinnes göttlicher Mystagogie im eschatologischen Rahmen der my­ stischen Heilsgemeinschaft Jesu. Wenn wir Dionysius im dritten Kapitel der „Göttlichen Namen" den mystagogischen Auftrag der Kirche im Zeichen der My­ stenschaft Jesu lobpreisen sehen255, so fordert er in der „Kirchlichen Hierarchie" von seinem Schüler die Arkandisziplin ein. Der Nomos dieser göttlichen Mystagogie256 ist dem Mysten257 vom göttlichen Logos selbst überliefert und geoffenbart258. Und dieses im Nous des Mysten wirkende Gesetz ist »Jesus selbst«, welcher der Ursprung aller Vergöttlichung im Nous des Mysten selbst ist. Deshalb wird er von Dionysius auch als Ursprung aller sich im Wesen des Nous ereignenden Konsubstantiation göttlicher Mystenschaft bezeichnet259. Wenn nun Dionysius die Engelsmächte als uns übergeordnete Wesen dar­ stellt, so zeigt er im Gegenzug, dass ihre Wesenheiten selbst sich hinabsenken, um vom Licht Jesu selbst zur mystagogischen Wesensstruktur des erleuchteten Nous nachgebildet zu werden. Denn die Wesenheiten der Engel finden durch 252 Georg Friedrich Creuzer berichtet auf S. 42 des ersten Bandes seiner Symbolik [Ausg. von 1819] von einem anonymen griechischen Kommentar zum Glaubenssymbol, der uns eine inter­ essante Deutung des Symbolbegriffs darbietet und den Matthaei in den Lectiones Mosquenses [vol. II] überliefert hat: „Daß nun die durch diese ganze Wortfamilie hindurch ziehende Grundbe­ deutung des Zeichens, besonders des sichtbaren Zeichens, auch bei dem christlichen Gebrauche statt fand, ergiebt sich theils aus dem Bisherigen, theils erklären sich auch christliche Schriftstel­ ler ausdrücklich darüber. So sagt z. B. ein erst neuerlich bekannt gewordener Griechischer Erklä­ rer des Symbolum fidei sehr populär: «Es sey σύμβολον genannt worden, als ein Zeichen des in der Seele vorhandenen Glaubens; denn die unsichtbaren Ueberzeugungen der unsichtbaren und unkörperlichen Seele seyen eines äußerlichen Bekenntnisses bedürftig, damit durch dasselbe der in der Seele liegende Glaube sichtbar werde, und nicht im Dunkeln zweifelhaft bleibe.»" 253 DN III, 2, 681 C 254 EHI, 1,369 A-372 B 255 DN III, 2, 681 B DN III, 3, 684 B 256 EHI, 4, 376 C 257 Ep. IX, 1,1105 C 258 EHI, 1,372 A 259 Ep. Vili, 1,1085 D Ep. IX, 1,1105 C Ep. VIII, 1,1092 B

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diese Nachbildung ihrer selbst im gottheitlichen Licht des eingeweihten Nous ihre eigene Vollendung. Diese wichtige Aussage des Areopagiten stimmt auf das genaueste überein mit Hebr. 1, 14, wo es von den Engelsmächten heißt: Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen? In der mystagogischen Wesensordnung unseres Geistes wirkt Jesus selbst durch unsere Liebe zum Schönen, durch die wir zu ihm em­ porgezogen werden. Und diese Liebe verbindet die Andersartigkeit von Mensch und Engel260 zu einzigartig göttlichem Leben und Wirken und verleiht so die Be­ fähigung zum geistigen Priestertum. Aufgrund dieser erst können wir das geisti­ ge Priestertum ausüben, indem wir gemäß unserem Vermögen die Beharrlich­ keit und Unwandelbarkeit der göttlichen Erkenntnisstruktur im Wesen unseres Nous selbst aktuieren261. Οϋτω γάρ, ώς ή θεολογία τοΤς θιασώταις ήμΤν παραδέδωκε, καί αύτός Τησοϋς, ò θεαρχικώτατος νους καί ύπερούσιος, ή πάσης ιεραρχίας άγιαστείας τε καί θεουργίας άρχή καί ούσία καί θεαρχικωτάτη δύναμις, ταΤς τε μακαρίαις καί ημών κρείττοσιν ούσίαις έμφανέστερον άμα καί νοερώτερον έλλάμπει καί προς το οίκεΤον αύτάς άφομοιοϊ κατά δύναμιν φως ημών τε τώ προς αύτόν άνατεινομένω καί ημάς άνατείνοντι τών καλών ερωτι συμπτύσσει τάς πολλάς ετερότητας και είς ένοειδή και θείαν άποτελειώσας ζωήν εξιν τε και ένέργειαν ιεροπρεπή δωρειται τής θείας ίερωσύνης τήν δύναμιν, έξ ής έπι τήν αγίαν έρχόμενοι τής ίερατείας ένέργειαν έγγύτεροι μεν αύτοι γινόμεθα τών ύπέρ ή μας ούσιών τή κατά δύναμιν άφομοιώσει τού μονίμου τε και άνεξαλλάκτου τής αύτών ίεράς ίδρύσεως και ταύτη προς τήν μακαρίαν ’Ιησού και θεαρχικήν αύγήν άναβλέψαντες οσατε ίδειν έφικτόν έποπτεύσαντες ίερώς και τής τών θεαμάτων γνώσεως έλλαμφθέντες τήν μυστικήν έπιστήμην άφιερώμενοι και άφιερωται φωτοειδέις και θεουργικοι τετελεσμένοι και τελεσιουργοι γενέσθαι δυνησόμεθα.262 Durch diese Nachbildung [άφομοίωσις] der geistigen Wesensstruktur der Engel in und durch den Nous der Mystenschaft Jesu selbst sind wir imstande, zu Jesus emporzublicken und ihn als den seligmachenden Ursprung unserer Ver­ göttlichung in uns selbst zu schauen. Und indem wir von der Erkenntnis dieser 260 EHI, 1,372 B 261 EHI, 3, 376 A 262 EH 1,1,372 B: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 92: „Denn auf diese Weise strahlt auch, wie die Gottesoffenbarung uns, ihren Jüngern, überliefert hat, Jesus, der urgöttlichste und überwesentliche Geist, der jegli­ cher Hierarchie, Heiligung und Gotteswirkung Prinzip und Wesen ist, er, die urgöttlichste Macht, in die seligen, über uns stehenden Wesen lichtvoller und geistiger zugleich hinein und bildet sie nach Möglichkeit nach seinem eigenen Lichte um. Die vielfachen Besonderungen unseres Wesens aber schließt er durch die zu ihm emporstrebende und uns mitemporhebende Liebe zum Guten und Schönen einheitlich zusammen, vervollkommnet sie zu einem eingestaltigen, göttlichen Le­ ben, Zustand und Wirken und gewährt uns so die heiligmäßige Gewalt des göttlichen Priester­ tums. Während wir aber aus dieser heraus an die heilige Betätigung des Priesteramtes herantre­ ten, gelangen wir selbst in größere Nähe der über uns stehenden Wesen und zwar durch die möglichste Verähnlichung mit dem Beharrlichen und Unveränderlichen ihres Zustandes. Und indem wir dergestalt zum seligen, urgöttlichen Strahl, Jesus, emporblicken und eine möglichst hohe Stufe heiliger Beschauung ersteigen, werden wir, mit der Erkenntnis der geschauten Dinge erleuchtet, in den Stand gesetzt werden, nicht bloß selbst in das Heiligtum der mystischen Wis­ senschaft einzutreten, sondern auch anderen Führer dahin zu sein, wir werden ebenso in uns lichtgestaltet werden wie göttliche Wirksamkeit an andern entfalten, wir werden selbst zur Voll­ endung gelangen und zugleich zu Lehrern der Vollkommenheit ausgebildet werden."

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mystagogischen Wesensschau erleuchtet sind, haben wir die mystische Wissen­ schaft aus uns selbst geheiligt und sind zu lichtförmigen Mystagogen vollendet, die ihre einweihende Tätigkeit ausüben, da sie mit der Fähigkeit zur göttlichen Einweihung ausgestattet sind.

»HIERARCHIE« ALS URSPRUNG GÖTTLICHER EINWEIHUNG Dionysius erörtert hier, was er, selbst in der Tradition der Mysten Jesu stehend, unter dem Begriff »Hierarchie« versteht. »Hierarchie« ganz allgemein bezeichnet die Lehre von den verschiedenen Gegenständen des Heiligen. Als »unsere Hier­ archie« schließlich wird jene umfassende Lehre bezeichnet, welche sich mit der Heiligung des Menschen beschäftigt. Aufgrund dieser hat der Hierarch selbst sei­ ne göttliche Einweihung empfangen und hat somit teil an der ihn heiligenden Gottheit selbst. Deshalb ist der Hierarch auch nach der Hierarchie benannt, weil er den gottheitlichen Ursprung seiner eigenen Heiligung in sich fasst. Έστί μέν ιεραρχία πάσα κατά το σεπτόν τής ημών ίεράς παραδόσεως ò πας των ύποκειμένων ιερών λόγος, ή καθολικωτάτη τών τήσδε τυχόν ιεραρχίας ή τήσδε ιερών συγκεφαλαίωσις. Ή καθ’ ή μας ούν ιεραρχία λέγεται και εστιν ή περιεκτική τών κατ’ αύτήν απάντων ιερών πραγματεία, καθ’ ήν ò θειος ιεράρχης τελούμενος άπάντων έξει τών κατ’ αύτόν ίερωτάτων τήν μέθεξιν ώς ιεραρχίας έπώνυμος.263 Es wird sogleich klar, dass der Areopagit nicht eine spirituelle Überhö­ hung der amtskirchlichen Strukturen im Auge hat. Vielmehr spricht er von der »gottheitlichen Intentionalität« der Mystagogie Jesu, die sich im Wesen des licht­ förmigen Nous selbst verwirklicht und Fleisch wird. Denn im göttlichen »Hierar­ chen« inkarniert sich das monadische Heilsprinzip der christlichen Theosophie. Der »Hierarch« ist Ikone des vollendeten Nous, der an dem vergöttlichenden Wort der Gottheit selbst teilhat durch die theosophische Schau264 seines eigenen göttlichen Wesens. Die Stelle, die der »Hierarch« in der areopagitischen Idee »gottheitlicher Mystagogie« einnimmt, lässt keinen Zweifel, dass Dionysius von jenen immateri­ ellen Mysterien Jesu spricht, in die der Nous bereits eingeweiht sein muss, damit dieser die Bestimmung seines »geistigen Priestertums« erfüllen kann. Es wäre deshalb irrig zu meinen, Dionysius gebe in EH I, 3 sein Bild vom „wahren Prie­ ster" im Zeichen eines idealtypischen „Hierarchienentwurfs"265 von Kirche wie­ der. Dies würde die mystagogische Grundintention des Areopagiten ignorie­ ren.266

263 EHI, 3, 373 C: G. Heil [Übers.], Kirchliche Hierarchie [BGL 22], S. 98: „'Hierarchie' insgesamt ist — nach der verehrungswürdigen Autorität unserer geheiligten Überlieferung — die Gesamtbezeichnung für alle vorhandenen geheiligten Akte [und Erkenntnisvorgänge], die allgemeinste Zusammenfas­ sung der geheiligten Akte in dieser oder jener speziellen Hierarchie. Die Hierarchie bei uns ist demgemäß und wird definiert als die Tätigkeit, die alles umfaßt, was an geheiligten Akten in ihrem Bereich vorkommt. In ihrem Bereich seine Bestimmung erfüllend wird der göttliche Hier­ arch an allen hochheiligen Akten, die in seinen Bereich fallen, teilhaben." 264 DN II, 4, 640 D 265 Siehe dazu: H. Goltz, Hiera mesiteia. Zur Theorie der hierarchischen Sozietät im Corpus Areopagiticum [Theol. Diss. Halle 1972], Erlangen 1974. 266 DN 111,2,681 D-684A

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Dionysius spricht von den Aposteln als den „ersten Lehrern unserer gött­ lichen Einweihung"267, welche von Jesus selbst als dem Quell aller Vergöttlichung ausgesandt wurden. Diese Aussendung geschieht durch den im Nous der Mysten wesensgegenwärtigen Christus selbst. Deshalb ist sie ein Herzensanliegen der Mysten. Als Vollendete wünschen sie nichts sehnlicher als die Weitergabe der göttlichen Mystagogie, mit der die Vergöttlichung des Menschen unmittelbar verbunden ist. Der gottheitliche Einweihungsweg Jesu selbst im Nous des Voll­ endeten ist Lehre, die allein vergöttlicht. Die christliche Theosophie268 ist die dem Nous Jesu im Mysten selbst in­ newohnende Vergöttlichung. Die Vergöttlichung des Menschen setzt voraus, dass sich die gottheitliche Intentionalität des inkarnierten Logos zur Konsubstantialität des »Wortes des Nous selbst« — des »verbum mentis« — erhebt. Denn nur so vermag sich der selbstentäußerte Logos im Nous zugleich als dessen gottheitlicher (thearchischer)269 Wesensgrund zu hypostasieren. Und dieses gottheitliche Geschehen in der Mystagogie des Areopagiten ist die Authypostasie Jesu im Nous des Mysten selbst. Und diese macht das Wesen echter Anagogik aus. Denn Mystagogie und Vergöttlichung sind gemäß dem Worte des großen Dionysius ein und dasselbe. Die Lehre der christlichen Theosophie lässt sich nur im Zeichen des monadischen Heilsprinzips Jesu, welches vom erleuchteten Herzen des Mysten selbst verwirklicht wird, auf die Apostel zurückführen. Und es ist eben diese ihre Rückführbarkeit, durch die dem amtskirchlichen Ursprungsmythos das Ende bereitet wird. Die Sehnsucht der Vollkommenen nach der Weiterreichung des theosophischen Erbes an die Mitmenschen sowie an die Nachwelt entspringt unmittelbar dem noetischen Mysterium Jesu. Deshalb kann der Nous durch kein hinzutretendes Interesse vom schmalen Einweihungsweg Jesu abgebracht und auf doktrinäre Abwege geführt werden. Die christliche Theosophie des Dionysius Areopagita ist das irrtumslose Licht göttlicher Mystenschaft, in welchem die ArkanWissenschaft270 selbst gründet. Durch das Wort »Hierarch« wird der von der Gottheit Jesu durchdrungene und erleuchtete Mensch bezeichnet, der unterwiesen ist in jener Erkenntnis, durch die sich das Wesen der Mystagogie Jesu im Nous selbst vollendet. Der »Hierarch« ist nach Dionysius also nicht Bild des Klerikers, sondern Archetyp des monadischen Heilsprinzips der Theosophie, aus dem die Ekklesiogenese hervor­ geht. Aus der Perspektive des areopagitischen Konzeptes einer »gottheitlichen 267 EHI, 5, 376 D-377 A Des heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien. Aus dem Griechischen übersetzt von Josef Stiglmayr. [Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 2] Mün­ chen 1911, S. 99: „Die ersten Führer unserer Hierarchie wurden von der überwesentlichen Urgottheit erst selbst mit der heiligen Gabe erfüllt und dann von der urgöttlichen Güte ausgesandt, um dieselbe auf ihre Nachfolger fortzupflanzen. Neidlos strebten sie aber auch von selber, weil ja göttlichen Sinnes, ihre Nachfolger emporzuführen und zu vergöttlichen. Notwendigerweise boten sie uns also bei ihren geschriebenen und ungeschriebenen Einweihungslehren im Einklang mit den heiligen Satzungen das Überhimmlische in sinnfälligen Bildern, das in Eins Geschlossene in Buntheit und Fülle, das Göttliche in menschlichen Analogien, das Stofflose im Stofflichen, das Überwesentliche in dem, was unser ist." 268 MTh 1,1,997 A DN 11,2, 640 A DN VII, 4,873 A 269 EH I, 4, 376 B 270 EH III, 7, 436 C:

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Mystagogie« erscheint der „mysteriologische" Grundtypus von Kult und Kirche und die damit einhergehende sakramentale Praxis der Kirche als Entstellung jener Imago, die uns die Apostel von der Kirche Jesu überliefert haben271. Die eigene Mystenschaft des Dionysius besteht gerade darin, uns mit dem »Hierar­ chen« nicht einfach ein stark idealisiertes Bild vom Priestertum zu präsentieren, sondern in der Ikonographie des »Hierarchen« die Idee vom gottheitlichen We­ sensgrund Jesu im Nous des Eingeweihten als apostolisches Vermächtnis zu vermitteln.272 ούτως ιεράρχην ò λέγων δηλοΤ τον ενθεόν τε και θειον άνδρα τον πάσης ίεράς έπιστήμονα γνώσεως, έν φ και καθαρώς ή κατ’ αύτόν ιεραρχία πάσα τελείται και γινώσκεται. Ταύτης άρχή τής ιεραρχίας ή πηγή τής ζωής ή ούσίατής άγαθότητος ή μία των οντων αίτια, τριάς, έξ ής και το είναι και το εύ είναι τοις ούσι δι’ άγαθότητα. Ταύτη δε τή πάντων έπέκεινα θεαρχικωτάτη μακαριότητι τή τρισσή τή μονάδι τή όντως ούση κατά το ήμιν μεν άνέφικτον αύτή δε έπιστητόν θέλημα μεν έστιν ή λογική σωτηρία των καθ’ ήμάς τε και ύπέρ ήμάς ούσιών' ή δε ούχ έτέρωςγενέσθαι δύναται μή θεουμένων των σωζομένων273 Die ganze Hagiographie um das mystagogische Ur-Geschehen der Entschlafung der Gottesgebärerin im dritten Kapitel der „Göttlichen Namen"274, wel­ ches den unabdingbaren Rahmen für die Sakramentenlehre des Dionysius liefert, lässt weder für eine Begründung der Kirche noch für eine Deutung des Corpus Areopagiticum im Sinne eines kultmythischen Bewusstseins irgendwie Raum. Dies gilt umso mehr, wenn wir uns die nicht geringe Versuchung vor Au­ gen führen, welcher das Werk des Areopagiten ausgesetzt ist, durch ein in der Kirche vorherrschend gewordenes kultmythisches Mystagogieverständnis umin­ terpretiert zu werden. Damit aber würde die Erkenntnis vertan, die Intention des Corpus Areopagiticum als Entkräftung des „mysteriologischen" Frömmigkeitsty­ pus selbst zu begreifen. Mit großem Scharfsinn hat Alexander Schmemann275 den heidnischen Grundinstinkt freigelegt, der hinter der „mysteriologischen" Instauration von 271 Für Alexander Schmemann stellt das Corpus Areopagiticum die erste klassische Formulierung des «mysteriologischen» Frömmigkeitstypus in der Alten Kirche dar. Siehe dazu: Alexander Schmemann, Introduction to Liturgical Theology, Crestwood/New York 2003, S. 129/30. 272 EH III, 11, 441 BC 273 EH I, 3, 373 CD: G. Heil [Übers.], KH, S. 98: „Wie nämlich der, der das Wort 'Hierarchie’ ausspricht, die Anordnung aller heiligen Akte auf einmal zusammenfassend meint, so stellt der, der das Wort 'Hierarch’ aus­ spricht, den von Gott erleuchteten, göttlichen Mann ins Licht, der sich auf das gesamte Gebiet der geheiligten Erkenntnis versteht, in dem außerdem die ihm entsprechende Hierarchie als Ganze sich rein erfüllt und klar erkannt wird. Das Prinzip dieser Hierarchie ist die «Quelle des Lebens» [vgl. Jer 2,13], das Sein der Güte, die eine Ursache dessen, was ist, Dreiheit, aus der das Sein und das Gut-Sein [vgl. Gen 1, 31] allem Seienden aus Güte zukommt. Diese über alles erhabene Glück­ seligkeit des obersten Gottesprinzips, die dreifache, die einzige, die wahrhaft ist, hat in einer uns unzugänglichen, ihr aber einsichtigen Weise den Willen, unsere Welt und die Welt über uns durch das Wort zu retten [vgl. Joh 1, 1 .]. Diese Rettung kann aber nicht anders geschehen als durch die Gottwerdung des zu Rettenden." 274 DN III, 2, 681 CD 275A. Schmemann, Introduction, S. 125/26: „As we have already said, the acceptance in the Church of that liturgical piety which was natural for the masses of people pouring into the Church following her reconciliation with the Empire must be acknowledged as the starting point of the process with which we are concerned. The basic idea in this liturgical piety was the distinction between the profane and the sacred and, consequently, the understanding of the cult as primarily a system of ceremonies and ritual which transmits sacredness to the profane and establishes

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Theologie und Kirche geschichtlich wirksam geworden ist. Und mit gutem Recht hat er dem die radikal eschatologische Perspektive im Sakramentenverständnis der vorkonstantinischen Kirche entgegengestellt. Diese von Schmemann gelei­ stete Aufklärungsarbeit an der Geschichte der „mysteriologischen" Umwertung von Theologie und Kirche könnte um eine wesentliche Erkenntnis bereichert werden, so wir bereit sind, die Mystagogie des Dionysius in ihrem [realen und nicht fiktiven] apostolischen Anspruch gottheitlicher Mystagogie als auf merk­ würdige Weise gerechtfertigten, heiligen Anachronismus inmitten einer ge­ schichtlich entstandenen mysteriologischen „Umwertung aller Werte" in der Kir­ che zu begreifen. In der Latenz einer solch gegenstrebigen Konstellation kann eine „mysteriologische" oder kultmythische Umdeutung des areopagitischen Erbes nicht ausbleiben. Das Corpus selbst scheint unter solchen Umständen den kirchlichen Kultmythos geradezu idealtypisch zu bestätigen. Und dennoch: Eine Bergung des Corpus Areopagiticum aus dieser historischen Entfremdung hieße, den Einwei­ hungsweg der Mystenschaft Jesu als das monadische Heilsprinzip wiederzuer­ kennen, dem die Kirche ihren mystagogischen Ursprung verdankt. Dieser Akt theosophischer Anamnese hat selbst apokatastatisches Ausmaß, denn er gibt die Idee von der gottheitlichen Mystagogie im Nous des Eingeweihten Jesu dem Nous selbst ein, um von diesem selbst verwirklicht zu werden. Die geschichtliche Anamnese der areopagitischen Kernidee göttlicher Mystagogie ist selbst unmit­ telbarer Akt göttlicher Einweihung im Nous des sich Erinnernden. Dionysius benennt als Ursprung unserer göttlichen Einweihung die Gott­ heit selbst, die in der Wesensform »gottheitlicher Intentionalität« das Heil des Menschen im erleuchteten Nous der Mystenschaft Jesu verwirklicht. Diese »gei­ stige Erlösung« (λογική σωτηρία)276 durch die sich im Nous selbst zur Wesenheit machende gottheitliche Intentionalität Jesu stiftet eine mystagogische Heils- und Wesensgemeinschaft zwischen Mensch und Engel, die sich allein auf die Wirk­ lichkeit der authypostatischen Einwohnung Jesu im Nous des Mysten zurückfüh­ ren lässt. Insofern erfährt die übergeordnete Geistigkeit der Engel, von der Dio­ nysius durchaus spricht, eine radikale Umdeutung durch Zurückführung in den hierarchischen Wesensgrund des Gott in sich bildenden Nous der Mystenschaft Jesu. Die Vergöttlichung (θέωσις)277 des Menschen wird von Dionysius gedeutet als »Ebenbildwerdung und Einung mit Gott«. Der Areopagit sichert das volle We­ sen der Theosis, indem er diese als wirkliche Einung mit Gott im »verbum men­ tis« der durch ihre Intentionalität im Nous selbst anwesenden Gottheit Jesu auf­ between the two the possibility of communion and communication. The pagan mystery was basi­ cally just such a consecrating and sanctifying act. But as a system of sanctification or means of communion between the sacred and the profane, the mystery thereby inevitably presupposed not only a precise distinction between these two spheres, but also their ontological incompatibili­ ty and immutability. For all the dramatic nature of the cult, for all its "historicity" in the sense of a portrayal of the drama of salvation, the mystery did not presuppose any history of salvation wha­ tever, no historical process leading to a final and decisive event having not just an individually sanctifying significance, but also a cosmic scope and meaning. "Salvation" is not the restoration of an order broken by sin but simply deliverance, whether from suffering or sin or death; the latter being acknowledged as "normal" for a profane world and a part of it. What is missing in this mysteriological piety is eschatology." 276 EH III, 11, 441 B 277 EH I, 3, 376 A DN II, 7, 645 AB EH II, 1,393 A

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fasst. Und dieses »verbum mentis« Jesu ist Subjekt der selbstaktuierten Wesen­ heit des erleuchteten Nous. In dieser mystagogischen Konstellation erst erfüllt sich das volle Wesen des areopagitischen Begriffs der Vergöttlichung (Theosis). ή δε θέωσίς έστιν ή προς θεόν ώς έφιππόν άφομοίωσίς τε και ένωσις. Άπάση δε τούτο κοινόν ιεραρχία τό πέρας· ή προς θεόν τε και τα θεία προσεχής άγάπησις ένθέως τε και ένιαίως ίερουργουμένη, και πρό γε τούτου των έναντίων ή παντελής και άνεπίστροφος άποφοίτησις, ή γνώσις των οντων ή όντα έστίν, ή τής ίεράς άληθείας ορασίς τε και έπιστήμη, ή τής ένοειδοϋς τελειώσεως ένθεος μέθεξις, αύτοϋ τοϋ ενός ώς έφικτόν ή τής έποψίας έστίασις τρέφουσα νοητώς και θεούσα πάντα τον είς αύτήν άνατεινόμενον.278 Gemeinsames Ziel des »Ursprungs göttlicher Einweihung« (ιεραρχία) ist die innige Liebe zu Gott und den göttlichen Dingen, wobei sich die göttliche Ein­ weihung durch die Einwohnung Gottes und die Einung mit Gott im Nous voll­ zieht, der dabei das Subjekt dieses Vollzugs (Aktes) selbst ist. Hierurgie bedeutet in diesem Zusammenhang nicht die symbolbildende Tätigkeit des Nous, sondern vielmehr das Werk der Selbstaktuierung, durch das der Nous die gottheitliche Intentionalität Jesu zu seiner ureigenen »gottbildenden« Wesenheit erhebt. Und erst jetzt wird wirklich klar, was Dionysius mit der Deutung der Vergöttlichung im Sinne eines sich dem Gotte selbst ebenbildlich Mächens (άφομοίωσίς) des Nous meint. Diese »Gottbildung Jesu« im eingeweihten Nous durch diesen selbst impliziert die ungeminderte Teilhabe an der göttlichen Natur. Die »Hierurgie«279 als Werk der selbsttätigen Wesensaktuierung des Nous im Lichte der gottheitlichen Einwohnung Jesu im »verbum mentis« bildet aber zugleich die Grundlage jener Tätigkeit, in der der Nous des Eingeweihten Jesu das sakramentale Symbol gebiert. Und dieses ist der andere Sinn, der dem Begriff der »Hierurgie« bei Dio­ nysius innewohnt. Jene Wesensaktuierung, die der Nous an sich selbst im Lichte der Mystagogie Jesu vollzieht und die Dionysius als »Hierurgie«280 in primärer Be­ deutung versteht, hat mehrere Voraussetzungen: Die völlige und endgültige Los­ lösung von allem, was der Begründung göttlicher Einweihung im Nous im Wege steht, die Erkenntnis des Seienden, insofern es seiend ist, die Einheit von göttli­ cher Schau und göttlichem Einweihungsweg, die vollendete Eingestaltigkeit des Mysten aufgrund der Teilhabe an der Natur der Gottheit sowie die Speisung durch die Schau des Einen, die auf geistige Weise jeden nährt und vergöttlicht, der zu ihr emporgezogen wird281.

278 EHI, 3, 376 A: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 96: „Vergöttlichung hinwieder ist das höchstmögliche Ähnlich- und Einswerden mit Gott. Überhaupt ist dies das gemeinsame Ziel jeder Hierarchie: die ununterbro­ chene Liebe zu Gott und zu göttlichen Dingen, welche auf Gott fußend und in der Tendenz nach dem Einen sich heilig auswirkt, zuvörderst aber die vollständige und unwiderrufliche Abkehr vom Gegenteil, die Kenntnis der Dinge nach ihrem eigentlichen Sein, das Schauen und Verstehen der heiligen Wahrheit, die gotterfüllte Teilnahme an der eingestaltigen Vollendung, ja an dem Einen selbst, soweit es möglich ist, der süße Genuß der Betrachtung, welcher jeden zu ihr erho­ benen Jünger geistig nährt und vergöttlicht." 279 Im Gegensatz zu Schmemanns mysteriologischer Evaluation der areopagitischen Mystagogie erbringt meine Forschung den Nachweis, dass dem Corpus Areopagiticum die Anamnese pauiinischer Mystagogie-Erfahrung zugrunde liegt. 280 EHI, 3, 376 A 281 DN IV, 12, 709 B

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Bereits hier im ersten Kapitel der „Kirchlichen Hierarchie" nimmt Diony­ sius das Leitmotiv des 9. Briefes (Brief an Titus) von dem Dienst Jesu282 an der eschatologischen Gemeinschaft der Mysten durch Darreichung des geistigen Gastmahles vorweg.283 Diese „Kirche der Erstgeborenen" bildet jene eschatologische Heilsgemeinschaft, welche sich im Nous der Mystenschaft Jesu bereits hier und jetzt verwirklicht. Denn das Eschaton der gottheitlichen Kenosis Jesu reicht hinab bis in die Tiefen des göttlich eingeweihten Wesens des Nous selbst. Und hier befindet sich gemäß der areopagitischen Idee gottheitlicher Mystagogie auch das »Reich Gottes«284, in welchem Christus seinen Mysten die geistige Spei­ se der Eucharistie selbst darreicht.

VERGÖTTLICHUNG UND SYMBOLBILDENDE VOLLMACHT Von Dionysius erfahren wir etwas Entscheidendes, nämlich, dass der »Ursprung göttlicher Einweihung« (Hierarchie) eine Gabe ist, welche von der Güte der gott­ heitlichen Natur selbst ausgeht zum Zwecke des Heils und der Vergöttlichung der geistigen Wesen. Und in dieser Gabe macht sich die Natur der Gottheit selbst zum »Ursprung der Vergöttlichung« (ή άρχή τής θεώσεως). Die Gottheit macht sich im noetischen Ursprung der göttlichen Einweihung zum thearchischen Prin­ zip des Nous selbst. Sie inkarniert sich demnach im Nous und legt sich diesem als »Thearchie« oder »Ursprung der Vergöttlichung« zugrunde. Die »Thearchie« ist die Gottheit selbst gemäß ihrer Natur und nicht nur gemäß ihrer Energie. Die gottheitliche Natur ist Ursprung der Vergöttlichung, insofern sie durch die Gabe der göttlichen Einweihung im Nous selbst anwesend ist. Durch die mystagogische Wesensform ist die Gottheit gemäß ihrer eigenen selbstentäußerten Natur im Logos dem Nous des Mysten selbst wesensgegenwärtig. Dies aber ist nur möglich, wenn der Nous als göttliche Gabe selbst zur Wesensform gottheitlicher Intentionalität wird, in welcher »die Gottheit gemäß ihrer Natur« (ή φύσει θεότης) wirklich wohnt als im Fleisch des gottheitlichen Logos selbst. Λέγωμεν τοίνυν ώς ή θεαρχική μακαριστής ή φύσει θεότης ή άρχή τής θεώσεως, έξ ής το θεοϋσθαι τοις θεουμένοις, άγαθότητι θεία τήν ιεραρχίαν έτιι σωτηρία και θεώσει πάντων των λογικών τε και νοερών ούσιών έδωρήσατο285 Die Gottheit entäußert sich in und durch die Kenosis des Logos selbst zur Wesensform gottheitlicher Intentionalität, durch die der Logos sich im Wesen des Nous überhaupt erst inkarnieren kann. Die Gnade der vergöttlichenden Energie setzt voraus, dass die Gottheit sich gemäß ihrer Natur zur Wesensform gottheitlicher Intentionalität kontrahiert, in welcher der Logos dem Nous selbst als »verbum mentis« innewohnt. Somit ist die Intentionalität göttlichen Heils nicht Energie Gottes, sondern diese erst begründende noetische Wesensform, durch welche sich die Gottheit Jesu im Wesen des Nous selbst offenbart. Die Energie ist nach Dionysius nur deshalb Wesen schaffend, weil ihr die gottheitliche 282 Ep. IX, 5,1113 A 283 Ep. IX, 5,1112 D 284 Ibid. 285 EH I, 4, 376 B: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 97: „Wir sagen also, daß die urgöttliche Seligkeit, das von Natur gött­ liche Wesen, die Urquelle der Vergöttlichung, aus welcher für alle, die vergöttlicht werden, die Vergottung fließt, in ihrer Gottesgüte zum Zwecke des Heils und der Vergottung aller vernünfti­ gen und geistigen Wesen die Hierarchie geschenkt hat."

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Intentionalität als Wesensform des Nous selbst vorausgeht, zu welcher sich die Gottheit gemäß ihrer Natur selbst kontrahiert im Logos auf die Kenosis des Logos selbst hin. Die Wesensform gottheitlicher Intentionalität, welche der Logos durch seine Kenosis im Nous selbst annimmt, birgt die Gottheit gemäß ihrer Natur in sich. Die Rekapitulation der Wesenheit des Geistes, welche durch den »Ursprung der göttlichen Einweihung« (Hierarchie) im Nous selbst sich vollzieht, ist Zei­ chen göttlicher Wesensgegenwart oder Geistwort (verbum mentis), dem Jesus selbst innewohnt. So ist der Nous erst aufgrund seiner hierarchischen WesensReduktion befähigt, das Mysterium der Mystagogie Jesu aus sich selbst zu aktuieren, dessen untrügliches Zeichen das Licht der vergöttlichenden Gnade ist. Ούσία γάρ τής καθ’ ημάς ιεραρχίας έστί τα θεοπαράδοτα λόγια. Σεπτότατα δε λόγια ταϋτά φαμεν, οσα προς των ένθεων ημών ίεροτελεστών έν άγιογράφοις ήμιν και θεολογικαις δεδώρηται δέλτοις και μην οσα προς των αύτών ιερών άνδρών άϋλοτέρα μυήσει και γείτονί πως ήδη τής ούρανίας ιεραρχίας έκ νοός είς νοϋν δια μέσου λόγου σωματικού μεν άϋλοτέρου δε όμως, γραφής έκτος οί καθηγεμόνες ήμών έμυήθησαν, ούδέ ταϋτα τών ένθέων ιεραρχών είς τό τής ιερουργίας κοινόν άπαρακαλύπτοις νοήσεσιν άλλ’ έν συμβόλοις ίεροις παραδεδωκότων.286 Wenn Dionysius das göttliche Offenbarungswort der Hl. Schrift die »Sub­ stanz unseres göttlichen Einweihungsweges« nennt, so sind damit wichtige Im­ plikationen verbunden. Die καθ’ ή μας ιεραρχία287 ist ein im Corpus Areopagiticum häufig wiederkehrender Terminus, der den „Ursprung unserer göttlichen Einweihung" bezeichnet, insofern dieser sich im Wesen des Geistes288 selbst aktuiert. Es ist die durch das Offenbarungswort der Hl. Schrift hierarchisierte We­ senheit des Nous, durch die sich der Nous als »Substanz seines göttlichen Ein­ weihungsweges« (Ούσία γάρ τής καθ’ ήμας ιεραρχίας)289 begreift. Somit aber ist 286 EH I, 4, 376 BC: Stiglmayr [Übers.], KH, S. 98/99: „Das Wesen unserer Hierarchie bilden nämlich die gottent­ stammten Offenbarungen. Hochehrwürdig erachten wir diese Offenbarungen, welche uns von unsern gotterfüllten Trägern der Weihegewalten in den heilig abgefaßten, Gottes Wort enthal­ tenden Schriften vermittelt worden sind. Und auf gleiche Stufe stellen wir die Geheimnisse, in welche von denselben heiligen Männern unsere geistlichen Führer eingeweiht wurden und zwar in einer weniger stofflichen, der himmlischen Hierarchie schon näher verwandten Unterweisung, nämlich von Geist zu Geist, durch das Mittel des mündlichen Wortes, das zwar noch etwas Mate­ rielles an sich hat, aber gleichwohl schon unstofflicher ist, ohne den Dienst der Buchstaben­ schrift. Diese Lehren haben die gotterfüllten Hierarchen zum Zwecke des heiligen Dienstes kei­ neswegs in unverhüllten Aufschlüssen, sondern nur in heiligen Symbolen überliefert." 287 EHI, 1,369 A 288 Edith Stein, Wege, S. 67: „Alle Erkenntnis seelischen Seins und Lebens ist wesentlich darauf aufgebaut. Ohne „Ausdruck" gäbe es keinen Zugang zu fremdem seelischen Sein; und wenn zum Verständnis der Ausdruck­ serscheinungen die innere Erfahrung des eigenen seelischen Seins wesentlich beiträgt, so ist die Selbsterfahrung doch ihrerseits von der Fremderfahrung abhängig. Erfahrung von seelischem Sein erwächst in Wechselbedingtheit von Selbsterfahrung und Fremderfahrung als sinnlich­ geistige. Einen Körper als menschlichen Leib auffassen, heißt alles, was an ihm Gestalt und Be­ wegung ist, als „Ausdruck" auffassen, alles „Äußere" als Symbol eines „Inneren". Das „Sinn-Bild" wird als solches verstanden. Das äußerlich Wahrgenommene [Gesichtszüge, Mienenspiel u. dgl. ] weist über sich hinaus auf etwas, was ganz anderer Art ist und doch mit ihm etwas gemeinsam hat, was die Ausdrucksbeziehung und das Verständnis des Ausdrucks möglich macht. Es gehört zu diesem eigentümlichen Verhältnis, daß ein Unbekanntes zugänglich wird durch ein Bekanntes, ohne daß das Verhältnis beider vorher bekannt sein müßte. Um zu erkennen, wer in einem Por­ trät dargestellt ist, muß man den Dargestellten kennen." 289 EH I, 4, 376 BC

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das biblische Offenbarungswort als Wort der hierarchisierten Substanz des Nous (verbum mentis) Wesensform der mystagogischen Intentionalität der Gottheit, welcher Jesus selbst innewohnt. Die Überlieferung des Offenbarungswortes der Hl. Schrift geschieht durch den Ursprung göttlicher Einweihung im Nous, der aus sich selbst Mystenschaft zeugt. Denn in ihm selbst ist die Intentionalität der Gottheit »Geistwort« (verbum mentis) geworden, das die kenotische Wirklichkeit des Logos in sich fasst. Der Weg göttlicher Einweihung, der im Nous selbst seinen Ursprung hat, vollzieht sich durch das innere Geistwort, das, wie der Areopagit lehrt, die Hierarchie der Engel bereits in sich nachgebildet hat. Göttliche Einweihung bedient sich des körperlichen oder ausgesprochenen Wortes, um es zum »mentalen Zeichen« der gottheitlichen Einweihung des Nous selbst zu erheben. Göttliche Einweihung erfahren die Mysten nicht durch das geschriebene Wort, sondern allein durch das Geistwort (verbum mentis), das die Substanz der gottheitlichen Mystagogie Jesu im Geist selbst bildet. Der Nous selbst ist somit von uns erkannt als »Ursprung aller göttlichen Einweihung«, die nur dann gött­ lich zu nennen ist, so Dionysius, wenn sie von der Gottheit selbst im Nous be­ gründetwird. Denn nur so hat der Nous teil an der göttlichen Natur. Wie im vorigen Kapitel erläutert, bezieht der Areopagit »Hierurgie« zu­ nächst auf das Einweihungsgeschehen, welches dem Nous seitens der Intentiona­ lität der Gottheit im »verbum mentis« Jesu selbst widerfährt und welches damit die Wesenheit des Nous von Grund auf neu erschafft. Der Nous im Zeichen der wesenschaffenden Intentionalität der Gottheit Jesu aktuiert sich in seiner eige­ nen mystagogischen Wesenheit. In diesem Akt begreift der Nous sich in seiner gottheitlichen Dignität. Erst hier begreift er sich als Person. In dieser ersten Be­ deutung des Wortes »Hierurgie« also handelt die Gottheit mystagogisch im We­ sen des Nous, um den inkarnierten Logos im verbum mentis dem Nous selbst wesensgegenwärtig zu machen. Nun hingegen290 spricht der Areopagit von der „Gemeinschaftlichkeit der göttlichen Einweihung" (εις το τής ιερουργίας κοινόν)291 und meint damit die zweite Semantik des Wortes »Hierurgie«, nämlich die Einsetzung der sakramen­ talen Handlung (Liturgik) in und durch das monadische Heilsprinzip göttlicher Mystenschaft im Nous Jesu. Die Einsetzung der Liturgie bedarf der symbolbil­ denden Tätigkeit des Nous in der Mystenschaft Jesu, durch die das Symbol in sei­ ner Sakramentalität begründet wird. Denn wie der Nous die Erneuerung seines Wesens durch die wesenschaffende Intentionalität der Gottheit im Geistwort (verbum mentis) Jesu selbst erfährt, so erwächst dem bloßen Ding durch die konsekrative Energie des Nous kultische Bestimmung und sakramentale Wesen­ heit, zu welcher der Nous des Mysten sich selbst entäußert. Damit ist das Symbol in seiner Sakramentalität begründet und als Zeichen der symbolbildenden We­ senstätigkeit des Nous Jesu selbst erkannt.292 Die gottheitliche Mystagogie, die der Nous an seinem eigenen, ihm neu erwachsenden Wesen als monadisches

290 DN III, 2, 684 A: Hier benutzt Dionysius den Begriff der κοινωνία als Paradigma des monadischen Heilsprinzips selbst, wie es sich in der Gestalt des »Hierotheus« urbildlich verkörpert. Die­ ses Prinzip ist im Sinne des Areopagiten zugleich Quell der Arkangemeinschaftder Mysten Jesu. 291 EH I, 4, 376 C 292 CHX, 3, 273 C

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Prinzip seines persönlichen Heils selbst erfährt293, sie wird von den gotterfüllten Mysten zum Zwecke »gemeinschaftlicher Hierurgie« durch die Verkörperung heiliger Symbole überliefert. Die Einsetzung des sakramentalen Symbols durch die innere mystagogische Erfahrung des Nous selbst und die Begründung der liturgischen Kulthandlung bedeuten ein und dasselbe294. Denn die »Gemein­ schaftlichkeit« (in) der göttlichen Einweihung295 besteht in der Symbol bilden­ den Selbstentäußerung des gotterfüllten Nous des Mysten296, durch die das blo­ ße Ding zum »mentalen Zeichen göttlicher Präsenz« — zum »Symbol« — erho­ ben wird und somit ein liturgisches Bewusstsein von sich selber hat297. Dies ist die Einsetzung der Liturgie durch die symbolbildende Wesenstä­ tigkeit des in die gottheitliche Mystagogie eingeweihten Nous. Damit aber ist die in der Kirche heimisch gewordene Vorstellung von der „Heil vermittelnden Sakramentalität" der Liturgie als politischer Kultmythos entlarvt. Die theosophische Kernidee des Areopagiten298 benennt die gottheitliche Wesenswirklichkeit Jesu im Nous des Eingeweihten selbst als den Ursprung der Ekklesiogenese.

GEMEINDE ALS MYSTENSCHAFT JESU Dionysius will uns den Mysten Jesu als das prophetische Heilsprinzip von Kirche vor Augen führen. Τοσοϋτον δε όμως ειπείν άναγκαΤον, ώς έκείνη τε καί πάσα καί ή νϋν ύμνουμένη παρ’ ημών ιεραρχία μίαν εχει καί την αύτήν δια πάσης τής ίεραρχικής πραγματείας την δύναμιν, αύτόν τε τον ιεράρχην, ώς ή κατ’ αύτόν ούσία καί άναλογία καί τάξις εχει, τελεσθήναι κατά τα θεία καί θεωθήναι καί τοΤς ύποβεβηκόσι μεταδοϋναι κατ’ άξίαν έκάστω τής έγγενομένης αύτώ θεόθεν ίεράς θεώσεως τούς τε ύποβεβηκότας επεσθαι μεν τοΤς κρείττοσιν, άνατείνειν δε τούς ήττους έπί τα πρόσω, τούς δε καί προϊέναι καί ώς δυνατόν έτέροις ήγεΤσθαι, καί

293 Edith Stein, Wege, S. 51: „Im Grunde ist dies das Ziel aller Theologie: den Weg zu Gott selbst freizumachen. Der Areopagit hat es ausdrücklich auch als Ziel seiner Symbolischen Theologie bezeichnet: Sie wendet sich an einen auserwählten Kreis und will bei denen, die ihm angehören — d. h. bei denen, die schon eine gewisse Erleuchtung erfahren haben und die darum nach Hei­ ligkeit streben, mehr erreichen als Belehrung über den Glaubensinhalt. Indem sie ihnen durch ihre Bilder eine übersinnliche Welt enthüllt, will sie sie anleiten, sich von der sinnlichen Welt mehr und mehr frei zu machen, und dahin bringen, daß sie der sinnlichen Bilder schließlich gar nicht mehr bedürfen. Sie will sie „an der Hand führen", zunächst vom Sinnenfälligen zum Geisti­ gen und Übersinnlichen und zuletzt zum höchsten Gipfel, zur Einigung mit dem Einen. Das Letzte steht freilich nicht in ihrer Macht, sondern ist Gottes Sache, sie kann nur in der Richtung dahin führen." 294 E. Stein, Wege, S. 45: „Wir fragen nun: Was gibt dem Propheten die Gewißheit, daß er vor Gott steht? Das Schauen mit den Augen oder mit der Einbildungskraft gehört nicht notwendig dazu. All das kann fortfallen, und es kann doch die innere Gewißheit vorhanden sein, daß es Gott ist, der spricht. Diese Gewißheit kann auf dem „Gefühl" beruhen, daß Gott gegenwärtig ist; man fühlt sich im Innersten von Ihm, dem Gegenwärtigen, berührt. Das ist es, was wir Gotteserfahrung im eigentlichsten Sinn nennen. Sie ist der Kern alles mystischen Erlebens, die Begegnung mit Gott von Person zu Person." 295 EH I, 4, 376 C 296 DN III, 2, 681 C-684 A 297 DN III, 3, 684 BC 298 EH II, 7, 396 C EH IV [Μυστήριον], 473 A EH IV, 12 [Θεωρία], 485 B

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διά ταύτης τής ένθεου καί ίεραρχικής αρμονίας τοϋ όντως οντος καλοϋ καί σοφοϋ καί άγαθοϋ μετέχειν έκαστον οση δύναμις.299 Der »Hierarch« der areopagitischen Mystagogie ist, um es noch einmal zu sagen, nicht Glied einer „Kirchenhierarchie", nicht Ort innerhalb einer vorgege­ benen klerikalen Rangordnung, durch welche die Kirche als vorhandene objekti­ ve Größe in Erscheinung tritt, sondern Gestaltwerdung des monadischen Heils­ prinzips gottheitlicher Einweihung. Das prophetische Wesen der Kirche300 lenkt die ganze Aufmerksamkeit auf seinen Ursprung in der sich im Nous selbst verwirklichenden Intentionalität der Gottheit Jesu. Die Gestaltwerdung des prophetischen Prinzips von Kirche setzt voraus, dass das Wesen dieses unseres Geistes durch die Energie gottheitli­ cher Intentionalität ganzheitlich erneuert wird. Und erst aufgrund dieser an sich selbst erfahrenen Neuheit seines Wesens vermag der Nous die Göttlichkeit sei­ nes Wesens zu begreifen und zu aktuieren. Der Nous ist somit Akt seines »gottheitlichen« Wesens, das ihm von der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst »er­ wächst«301. Alle Hierarchie [der Engel wie die unseres Geistes] hat ein und das­ selbe Vermögen, welches sich durch die umfassende hierarchische Tätigkeit des Geistes im »Hierarchen« (Eingeweihten) personifiziert. Diese gottheitliche Mystenschaft ist es, worauf die ganze Erkenntnistätigkeit des Geistes selbst ausge­ richtet ist als auf ihr innerstes Wesen. Die sich im Nous des Mysten offenbarende »gottheitliche Mystagogie Jesu« ist es, die alle Einweihungstätigkeit des Geistes selbst einmünden lässt in die personale Fähigkeit der Vergöttlichung, der die anagogische Wesensstruktur der Engelsgeister analog zugeordnet und dienend untergeordnet ist. So dient alle göttliche Erkenntnis als Einweihungstätigkeit des Geistes der Offenbarung des mystagogischen Geheimnisses Jesu im kenomatischen Dunkel des gottförmigen Nous, der selbst ganz Wurzel seiner Vergöttlichung geworden ist. Die Einweihungstätigkeit des Geistes besitzt in der mystagogischen Voll­ macht und Kompetenz des Mysten (»Hierarchen«) ihr Wesen, ihre WesensAnalogie und ihre Wesensordnung [ή κατ’ αύτόν ούσία καί άναλογία καί τάξις 299 EH 1,2, 372 C-373A 300Alexander Golitzin betreibt eine anachronistische Verkehrung der von ihm nicht erkann­ ten theosophischen Intentionalität des Corpus Areopagiticum in die Mentalität eines kirchlichen Ursprungsmythos. A. Golitzin, Et introibo ad altare dei [ΑΝΑΛΕΚΤΑ ΒΛΑΤΑΔΩΝ 39], Thessaloniki 1994 S. 158: "Reversing the order of progressive distance from the altar, we discover in the very physical ar­ rangement of the Church itself, and of the orders of laity and clergy, a process of concentration, a gathering and intensification of the mystery at once divine and yet manifest among and through humans and the stuff of their being, at once revealed and yet increasingly hidden as we approach its core and heart. From the world of darkness and error outside the doors, to the purified orders awaiting in the porch the hour of their entry [or re-entry] into the body of the Church and full citizenship in the Christian πολιτεία; to the laity occupying the nave, full participants indeed though still at the first stages of knowledge; to the monks at the gates of the sanctuary in “pure attendance upon God” and the contemplations brought them by the clergy within the enclosure; to the deacons who guard the gates within and without and who are charged with the task of purification; to the priests who illumine the faithful and guide the initiates to the divine visions [i.e. the physical sight] of the sacraments, who within the sanctuary surround the altar and the hierarch as the Seraphim stand about the Godhead, and who receive communion from the bishop directly within the holy place, to the hierarch himself “the inspired and divine man instructed in all sacred knowledge, in whom indeed the whole hierarchy belonging to him [ή κατ’ αύτόν ιεραρχία] is accomplished and made known”...” 301 DN I, 8, 597 A

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εχει, τελεσθήνοα κατά τα θεία καί θεωθήναι]302. Die ganze innere Struktur geisti­ ger Wesenheit sehnt sich nach der Offenbarung der Mystenschaft Jesu, weil alles Wesen, alle Wesens-Analogie und alle Wesensordnung des Geistes selbst sich in der mystagogischen Wirklichkeit der Gottheit Jesu vollendet.303 Die Mystenschaft Jesu des Nous ist das Äußerste, dem alle göttliche Er­ kenntnistätigkeit des Nous selbst dient. Diese ist somit »Aktuierung des gottheitlichen Wesens des Nous durch diesen selbst«. Denn durch dieses Äußerste fin­ den selbst die himmlischen Geister in ihrer göttlichen Erkenntnistätigkeit ihr Heil. Die Sentenz ή κατ’ αύτόν ούσία και άναλογία και τάξις εχει, τελεσθήναι κατά τα θεία και θεωθήναι bedeutet vor allem, dass alle Einweihungstätigkeit der universalen Geistesnatur ihren Grund im monadischen Heilsprinzip der My­ stenschaft Jesu hat. Somit speist304 sich die anagogische Erkenntnistätigkeit der Geistesnatur — als das »Erleuchtetwerden« des Nous selbst — aus der dem Wesen des mysti­ schen Nous innewohnenden Gottheit Jesu. Von dieser im Nous des Mysten ver­ wirklichten gottheitlichen Wesenspräsenz Jesu nährt sich auch die Vergöttli­ chung der Engelsgeister305. Die »Vollendung durch das Göttliche selbst«, welche dem Mysten nach den Worten des Areopagiten widerfährt, ist zugleich die Wesensaktuierung des Geistes durch diesen selbst, der sich so in seiner anagogischen Wesensstruktur begreift. Die Wesensaktuierung durch den Nous setzt vor­ aus, dass der Nous selbst »Wesensform gottheitlicher Intentionalität« ist. Denn nur so vermag er sich selbst in seiner neuen, göttlichen Wesenheit zu aktuieren, die imstande ist, den gottheitlichen Logos in dessen kenomatischer Wirklichkeit in sich selbst zu empfangen. Wenn Dionysius von der κατ’ αύτόν ούσία spricht, dann ist damit das gottförmige Wesen des eingeweihten Nous gemeint. Echte Mystenschaft setzt nach Dionysius voraus, dass der Nous selbst bereits über »gottheitliche Fähig­ keit« verfügt, durch die die anagogische Erkenntnistätigkeit des Nous mit der Wesensaktuierung des Nous durch diesen selbst koinzidiert [εχει, τελεσθήναι κατά τα θεία και θεωθήναι]. Die theosophische Kernidee des Areopagiten begründet Ekklesiogenese einzig und allein aus der »wesenschaffenden Intentionalität« der Gottheit Jesu im Nous des Mysten. Anagogie und Vergöttlichung sind nach Dionysius dasselbe, weil Anagogie sich am Wesen des Nous durch die wesenschaffende Energie der im Nous selbst anwesenden Gottheit Jesu vollzieht. Die Zurückverlegung der Mystagogie in die theosophischen Tiefen der Lehre vom Nous des Eingeweihten bedeutet faktisch das Ende für den kirchli­ chen Kultmythos und die Theologie selbst. Denn das sakramentale Symbol ist Zeichen einer „Vollendung durch das Göttliche selbst" (Dionysius). Die gottheitli­ che Einweihungstätigkeit des Nous ist selbst universale Lehre, die göttliche My­ stenschaft im Menschen zeugt306. Die Ekklesiogenese des Areopagiten beruht nicht auf einem amtskirchlichen Herrschaftsverhältnis, sondern auf der unmit­ 302 EH 1,2, 372 D 303 Vladimir Lossky sieht den Areopagiten aus der Perspektive einer neopalamitischen Theologie. Vgl. dazu: Vladimir Lossky, The mystical theology of the Eastern Church, Crestwood, New York 1976, S. 38/39. 304 EH I, 3, 376 A 305 CH VII, 4,212 A 306 DN III, 2, 681 C-684 A

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telbaren Wirksamkeit, welche von der Mystenschaft Jesu des Nous selbst aus­ geht. Im Gegensatz zur gottheitlichen Anagogie am Wesen des eingeweihten Nous meint Dionysius hier die Einweihungstätigkeit des Mysten Jesu, welche Ursprung von Kirche ist. Pseudomorphose wird damit als historisches Prinzip einer gescheiterten kirchlichen Einweihungspraxis erkennbar. Den „Glauben" an eine institutioneile Vorgegebenheit von Kirche dürfen wir als den eigentlichen Grund ansehen, wel­ cher der Erfassung der mystagogischen Kernidee des Areopagiten am meisten im Wege steht. Dies ist schon daraus ersichtlich, dass die bisherige kirchliche Praxis dem monadischen Heilsprinzip einer Mystagogie Jesu selbst im Nous des Einge­ weihten völlig zuwiderläuft und die Entstehung eines echten mystagogischen Bewusstseins verhindert. Der »Nous Jesu selbst« ist nach Dionysius als die einzi­ ge Quelle göttlicher Einweihung zu betrachten.

ZUR MYSTAGOGIE DER TAUFE In der Mystagogie des Areopagiten ist das Bild das zuletzt Begründete, welches aus der noetischen Substanz der kenotischen Wirklichkeit Jesu selbst als »sa­ kramentales Symbol« hervorgeht. So ist das Symbol das in Erscheinung tretende und sich in Gegenständlichkeit fassende »Geistwort« (verbum mentis) des My­ sten Jesu selbst. Das Symbol hat nichts mit dem normalen Sinnenbild gemein. Ihm ist vielmehr eine Rätselhaftigkeit zueigen, welche herrührt von seiner Ver­ bindung mit der mystischen Schau des Göttlichen im Nous selbst. Αϋτη μην ώς έν συμβόλοις ή τής ίερας τελετή θεογενεσίας ούδέν άπρεπες ή άνίερον ούδέ των αισθητών εχουσα εικόνων, άλλ’ άξιοθέου θεωρίας αινίγματα φυσικοις και άνθρωποπρεπέσιν έσόπτροις ένεικονιζόμενα.307 Es verweist nicht auf seine Bildlichkeit, sondern auf das Wort der My­ stenschaft des Nous (verbum mentis), in dem das gottheitliche Wort selbst wohnt als in der Matrix seiner Selbstentäußerung. Und dieses Geistwort, das der Nous der Mystenschaft Jesu selbst ist, verkörpert sich in der epiphanischen Ding­ lichkeit des sakramentalen Symbols. Das Symbol erweist sich somit als Spiegel, in welchem sich der Nous in der gottheitlichen Anagogik seines eigenen Wesens zusammenfassend schaut. Damit aber ist das Bild308 durch seine Symbolwerdung das zuletzt zu Begründende309 in der göttlichen Mystagogie des vom Glauben Jesu erleuchteten Nous. Betrachten wir genau, was Dionysius mit dem Satz Αϋτη μήν ώς έν συμβόλοις ή τής ίερας τελετή θεογενεσίας310 wirklich meint und nicht, was er nur zu sagen scheint, so können wir etwas Entscheidendes festhalten: Die am Wesen des Nous selbst sich vollziehende Mystagogie der Geburt aus Gott und die symbolische Begehung des Taufrituals sind nicht dasselbe. Aus dem Vollzug des sakramentalen Symbols lässt sich die göttliche Einweihung des Mysten nicht

307 EH 11,1, 397 A: Edith Stein [Übers.], GA 17, S. 200: „Diese Einweihung durch die göttliche Geburt enthält in den heiligen Sinnbildern nichts Unschönes oder Unreines noch auch sinnliche Gestalten, sondern die Rätsel einer Gottes würdigen Schau in natürlichen Spiegelbildern, die dem Fassungsvermögen der Menschen angepaßt sind.” 308 EH II, 1,397 A 309 EH II, 2, 397 C 310 EH II, 1,397 A

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ableiten. Es stellt sich somit die Frage nach dem Bezug zwischen dem sakramen­ talen Symbol und dem Wesen göttlicher Mystenschaft. Ταύτη δ’ ούν, εί καί μηδέν τι θειότερον είχεν ή των τελουμένων συμβολική παράδοσις, ούκ άνίερος ήν ώς οίμαι διδασκαλίαν μεν εύθέτου ζωής είσηγουμένη, την παντελή δε τής έν κακία πολιτείας άποκάθαρσιν όλικώς τω σώματι καθαιρομένω φυσικώς δι’ ϋδατος αίνισσομένη. Άλλ’ έστω μεν αϋτη τοις άτελέσιν εισαγωγική ψυχαγωγία τά τε ίεραρχικα καί ένοειδή τής πληθύος ώς θέμις άποδιαστέλλουσα καί συμμετροϋσα ταις κατά μέρος τάξεσι τήν έναρμόνιον άναγωγήν, ήμέις δε άναβάσεσιν ίεραις έπί τας των τελουμένων άρχας άναβλέψαντες καί ταύτας ίερώς μυηθέντες έπιγνωσόμεθα, τίνων είσί χαρακτήρων τα έκτυπώματα καί τίνων άφανών αί εικόνες.311 Ohne diese Reduktion der natürlichen Sinnenbilder in die Wirklichkeit göttlicher Mystenschaft werden diese nicht zu sakramentalen Spiegeln, welche den persönlichen Einweihungsweg des Mysten in sich abbilden. Der Vollzug der sakramentalen Symbolhandlung für sich allein ist nach Dionysius Seelenführung für die noch nicht Vollkommenen, für die noch nicht Eingeweihten. Die Mysten Jesu hingegen schauen empor zum Ursprung dessen, was in den heiligen Hand­ lungen symbolisch vollzogen wird. Und indem sie von diesem geistigen Ursprung des Symbols selbst eingeweiht werden, erkennen sie auch, auf welche göttliche Wirklichkeit sich die symbolischen Zeichen selbst beziehen. Symbole sind Zeichen, durch welche sich die göttliche Mystenschaft des Nous im Wesen des Nous selbst widerspiegelt. Und in eben dieser Selbstschau wird das sakramentale Symbol vom Nous des Mysten Jesu selbst gebildet. Dieser »Akt der Symbolbildung« ist selbst Zeichen erlangter Einweihung in das Myste­ rium der gottheitlichen Mystagogie. Indem der Nous sich in das Wesen seiner gottheitlichen Mystenschaft zusammenfasst und darin begründet selbst erblickt, bringt er aus sich das sakramentale Symbol als Verkörperung seines inneren Wortes hervor, in dem das gottheitliche Wort in Realpräsenz selbst wohnt. Wenn die Mysten Jesu aus göttlichem Antrieb selbst die Weiterreichung des theosophischen Erkenntnisweges an die nach ihnen Kommenden begehren, so folgen sie den Aposteln nach, welche Dionysius als „die Ersten" bezeichnet, welche „vom Ursprung unserer göttlichen Einweihung lehrten". Die Nachfolge besteht also im vergöttlichenden Einweihungsweg, den Jesus durch seine gott­ heitliche Wesenspräsenz im Nous dem Mysten selbst eröffnet. Jetzt wird auch klar, warum Dionysius »Anagogie« und »Vergöttlichung« als identisch be­ greift312. Mystagogie bedeutet deshalb notwendig Vergöttlichung des Menschen, 311 EH II, 2, 397 C: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 108/109: „Es wäre also schon an und für sich die Überlieferung der Zeremonien nach ihren sinnbildlichen Zeichen, auch wenn sie keinen göttlichem Sinn in sich schlösse, meines Bedünkens gar heilig, da sie die Anleitung zu einem wohlgeordneten Leben gibt und die vollständige Losschälung vom Wandel im Bösen durch das natürliche Abwaschen des ganzen Körpers vermittels Wasser sinnbildlich vor Augen stellt. Aber diese äußeren Symbole mögen für die Unreifen ein Vorstadium jener Seelenführung sein, welche die Geheimnisse der Hierarchie nach ihrem einheitlichen Sinne der großen Menge, wie es sich gebührt, vorenthält und die harmonische Emporführung in denselben den einzelnen Stufen entsprechend zuweist. Wir jedoch richten in heiligen Aufstiegen unsern Blick zu den Urquellen der Sakramente empor und werden, heilig in sie eingeweiht, die Kenntnis der geistigen Typen, deren äußere Abprägungen uns vorliegen, und der unsichtbaren Welt, deren sichtbare Bilder uns entgegentreten, zu gewin­ nen vermögen." 312 EHI, 5, 376 D

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weil sie Einweihung durch die im Wesen des Nous selbst unmittelbar gegenwär­ tige Gottheit Jesu ist. Diese nicht nur göttliche, sondern gottheitliche Einweihung des Nous setzt aber voraus, dass sich die selbstentäußerte Gottheit des Logos im Geistwort, im »verbum mentis«, Wesen schaffend zusammenfasst, um sich darin selbst zu vergegenwärtigen. Durch diese Einwohnung des Logos im »verbum mentis« aber werden Wesen, Erkenntnistätigkeit und Wirklichkeit des Nous durch die selbstentäußerte Gottheit Jesu als »gottheitlichen Ursprungs« begrün­ det. Daher die Neuheit, die der Nous aus seiner Vergöttlichung empfängt. Der Myste hat aufgrund des gottheitlichen Geistwortes (verbum mentis) des Nous teil an der Natur der Gottheit und nicht nur an der ungeschaffenen Energie Got­ tes. Denn die wesenschaffende Energie geht hervor aus der sich im »verbum mentis« unmittelbar vergegenwärtigenden Kenosis des gottheitlichen Logos selbst. Somit entspringt das Geistwort (verbum mentis) der ganzen Fülle der Gottheit. Der Begriff des Symbols313 wird von Dionysius ganz in Beziehung zur gottheitlichen Mystagogik gesetzt, welche sich im Geistwort des erleuchteten Nous ereignet. Sie hat sich somit befreit von der historischen Last des kirchlichen Kultmythos. Vermittelt wird Heil, wenn überhaupt, einzig und allein in und durch das monadische Heilsprinzip der im Nous des Mysten wesensgegenwärtigen Gottheit Jesu selbst, welche sich durch ihren Einweihungsweg im Nous des „Nächsten" fortpflanzt. Der Begriff der Nächstenliebe ist bei Dionysius von der göttlichen Mystagogie gar nicht zu trennen. Denn er fällt mit dem monadischen Prinzip der gottheitlichen Einweihung des Nous selbst zusammen. Es ist die Güte Gottes selbst, welche in dem Erkenntnisweg der Mystenschaft Jesu tätig ist. Und dieser Weg ist ganz das Wesen des Nous selbst, sofern dieses selbst zum gott­ heitlichen Geistwort geworden ist. Das Symbol wird vom gottförmigen Nous der Mystenschaft Jesu gebildet, deshalb ist es dem Uneingeweihten verwehrt, den Sinn des Symbols selbst zu fassen. Der Ursprung unserer göttlichen Einweihung ist von symbolischer Natur, welche auf einem analogen Verhältnis zur Wesensstruktur des Nous selbst ba­ siert. Die Symbolbildung bedarf der Sinnendinge zum Zwecke der Mystagogie, die, wie wir bereits hörten, die Vergöttlichung (θέωσις) selbst ist. Die Bildung des Symbols ist Akt der göttlichen Mystagogie im Nous selbst. Sie ist deshalb Akt des bereits gottförmigen Nous der Mystenschaft Jesu. Sie ist nicht Mittel zur Ver­ göttlichung des Nous. Als Akt des erleuchteten Nous ist die Symbolbildung men­ tales Zeichen erlangten göttlichen Heils. Und in eben diesem Zeichencharakter besteht die Sakramentalität des Symbols. Nur insofern das Symbol Signatur des monadischen Prinzips göttlichen Heils im Nous des Mysten selbst ist, kann es als »göttlichen Kult begründend« anerkannt werden. Und eben daraus folgt zwin­ gend, dass das heidenkirchliche System „sakramentaler Gnadenvermittlung" mit

313 Zur kultmythischen Rekonstruktion des Symbolbegriffs, siehe A. Golitzin, Et introibo, S. 154: "The icon or symbol, and so our hierarchy itself, is of necessity anagogie. It effects the education, paideia, of the believer who is called upon to discern "within the schemes and images the divine intention underlying them”. By its nature the symbol, a putting-together or indwelling of the divine in matter, gesture, or word, requires this continual effort toward apprehension - as well, of course, as the presence or power of God actively at work in assisting the anagogy. It implies an increasing process of purification, enlightenment, and perfection, a continual affirmation and negation that bears witness both to the nature of a symbol as a meeting of created and uncreated, and to the double aspect of God’s own being, at once hidden and revealed.”

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einer Gnosis des Christentums, wie sie von Dionysius vertreten wird, unverein­ bar ist. Deshalb ist die Loslösung des liturgischen Lebens von der Tradition des theosophischen Geistwortes (verbum mentis) und die Herausbildung eines kirchlichen Kultmythos ein Entfremdungsprozess, der zur Amnesie des uroffenbarungsgeschichtlichen Bewusstseins vom Christentum selbst im Menschen führt. Aus dieser Einsicht erst wird die Äußerung des Areopagiten in der Einlei­ tung des zweiten Kapitels seiner „Kirchlichen Hierarchie" verständlich, wenn es da heißt: Έξης δε τα θεία της θεογενεσίας έτιοτττεύσωμεν σύμβολα. Καί μοι μηδεις άτέλεστος έπίτήν θέαν ίέτω314. Diese Sentenz enthält das Verbot, die Sakramente anders zu erfahren als durch die apophatische Gotteserkenntnis der Mystagogie Jesu selbst315, weil nur der Myste Jesu selbst fähig ist, das noetische Gesetz seiner eigenen gottheitlichen Einweihung im geistigen Zeichen des sakramentalen Symbols nachzubilden316. Es wird somit das eucharistische Wesen deutlich, welches die sakramentale Sym­ bolbildung durch den Nous gottheitlicher Mystenschaft grundlegend prägt. Die eucharistische Begründung des Symbols durch den bereits eingeweihten Nous verweist uns auf den wahren Ursprung der sakramentalen Gültigkeit des Sym­ bols. Diese ist nur gegeben, wenn das Sinnending im Nous durch diesen selbst zum mentalen Zeichen jenes gottheitlichen Einweihungsweges gebildet wird, den der Nous als sein neues Wesen in sich selbst aktuiert. Die Uneingeweihten können den Sinn des sakramentalen Symbols durch das Sinnending nicht fassen, weil dieses allein durch den Nous in gottheitlicher Einweihung zum mentalen Zeichen erhoben und zum Symbol konsekriert wird. Symbolbildung und Konsekration des Symbols laufen im Nous des Einwei­ hungsweges Jesu als in ihrem gemeinsamen Ursprung zusammen. Dies ist die eucharistische Wesens-Reduktion des sakramentalen Symbols, die der gottheitli­ chen Mystagogie des Areopagiten zugrunde liegt und dem inneren Zusammen­ hang der Sakramente vorausgeht. Καί μοι συνετώς έννόει τα ιερά μεθ’ όσης οίκειότητος εχει τα σύμβολα. Και γάρ έπειδή θάνατός έστιν έφ’ ημών ού τής ούσίας άνυπαρξία κατά το δόξαν έτέροις άλλ’ ή των ηνωμένων διάκρισις είς το ήμΤν άφανές άγουσα την ψυχήν 314 EH II, 392 BC: G. Heil [Übers.], KH, S. 101: „Jetzt wollen wir die göttlichen Symbole der Geburt in Gott betrach­ ten. Und dabei soll mir kein Uneingeweihter zum Zuschauen kommen!” 315Johannes Scotus Eriugena, ebd., S. 50: Sancta illa diuinarum rerum figuratio, quamuis longe dissimilis sit ipsis intellectibus per earn significatis, honoratur a sanctis theosophis atque prophetis. Dum enim eas res que significantur pure intelligunt, ipsas prius honorant, quoniam diuine et supermundane sunt. Consequenter etiam earum figurationes, siue ex superioribus materialis creature partibus, siue mediis, siue nouissimis translatas, non immerito uenerantur, intellectualique distinctione et discretione res ipsas suis figurationibus segregant, nec figuras pro ueris intellectibus, nec ueros intellectus pro figuris approbant, sed omnibus, remota omni confusione, suas diffinitiones et cognitiones distribuunt. 316A. Golitzin, Et introibo, S. 186: „It is through the sacraments that we are called to incorporation into, and conformity to, Christ. They are his "mysteries”, reflections of his "theurgies”. Our hierarchy is designed to bring us through the variety of the material to deification and to its source in Jesus." »Anagogie« meint hier nicht — wie bei Dionysius — die aus der Organizität der gottheitlichen Mystagogie im Nous Jesu des Eingeweihten gezeugte εκκλησία, die wirklich Grund hat, Gott für das zu danken, was sie von ihm erhalten hat [ευχαριστία], sondern das generische Heilsprinzip eines »kanonischen Wissens von der Offenbarung«.

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μέν ώς έν στερήσει σώματος άειδή γινομένην, το σώμα δε ώς έν γή καλυπτόμενον ή καθ’ έτέραν τινά των σωματοειδών άλλοιώσεων έκ τής κατ’ άνθρωπον ιδέας άφανιζόμενον, οίκείως ή δι’ ϋδατος ολική κάλυψις είς τήν τοϋ θανάτου καί τοϋ τής ταφής άειδοϋς εικόνα παρείληπται. Τον ούν ίερώς βαπτιζόμενον ή συμβολική διδασκαλία μυσταγωγεί ταις έν τω ϋδατι τρισί καταδύσεσι τον θεαρχικόν τής τριημερονύκτου ταφής Τησοϋ τοϋ ζωοδότου μιμεισθαι θάνατον ώς έφικτόν άνδράσι τό θεομίμητον, έν φ κατά τήν τοϋ λογίου μυστηριώδη καί κρυφίαν παράδοσιν ούδέν εϋρηκεν ό τοϋ κόσμου άρχων.317 Die areopagitische Mystagogie der Taufe ist keine Erklärung der sakra­ mentalen Symbolik, keine nachträgliche Darlegung des „Sinns" der Taufe, keine Unterweisung darüber, was durch das Taufritual selbst „vermittelt" an uns ge­ schehen sein soll. Sie geht hingegen von der allein verlässlichen Wirklichkeit der Mystenschaft Jesu im erleuchteten Nous selbst aus, durch die wir die Heilstaten des fleischgewordenen Logos an uns und unserem Wesen in prophetischer Nachahmung sich erfüllend schauen318. Dionysius weist seinen Schüler darauf hin, in welch angemessener Weise die Symbole die im Nous des Mysten durch Jesus selbst geschehende Einweihung wiedergeben. Das Symbol ist Zeichen, das der Nous von seiner eigenen gottheitlichen Mystenschaft bildet. In der Bildlich­ keit des Taufrituals spiegelt sich die Genese des sakramentalen Symbols in Ana­ logie wider. Im Symbol stellt das Sinnenbild kein für sich existierendes „Objektives" und in dieser „Objektivität" erschließbares Ding mehr dar. Dieses wird aus seiner sein Wesen verhüllenden Erkennbarkeit und Sichtbarkeit gelöst und in die ge­ staltlose Geistigkeit seines wahren, mystagogischen Wesens geführt. Das Bild erfährt seine sakramentale Begründung allein aus der Unmittelbarkeit des Ein­ weihungsgeschehens im Nous der Mystenschaft Jesu, das sich im sakramentalen Symbol selbst bezeichnet. Nicht der Vollzug des Taufrituals, sondern die »Lehre vom Wesen des Symbols« [ή συμβολική διδασκαλία]319 als die symbolbildende Erkenntnistätigkeit des mystischen Nous selbst vollzieht die Einweihung. Dionysius hebt hervor, dass der Tod nicht die Nichtexistenz des Wesens bedeutet, sondern die gegenseitige Trennung dessen, was zuvor verbunden war, nämlich Körper und Seele. Diese Trennung aber führt, wie Dionysius sich aus­ drückt, die Seele in ein uns nicht erscheinendes Sein. Die Seele ist durch den Ver­ lust des Leibes sozusagen gestaltlos geworden. Der Leib hingegen als in der Erde verborgen ist aufgrund des Wandels der Seele zu einer anderen körperlichen 317 EH II, 7, 404 B: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 115/116: „Einsichtsvoll erwägen wir nun, wie angemessen die sinn­ bildlichen Zeichen der heiligen Geheimnisse sind. Unser Tod ist nicht, wie andere meinen, die Vernichtung unseres Wesens, sondern nur die Trennung der vereinigten Teile, welche unsere Seele ins Reich des Unsichtbaren entführt, weil sie, des Leibes beraubt, nicht mehr wahrgenom­ men wird, unserm Leib aber, der in der Erde verborgen wird, die menschliche Gestalt verschwin­ den läßt, weil er in irgend eine anders beschaffene Form der körperlichen Stoffe eintritt. Zutref­ fend ist das vollständige Verbergen im Wasser zu einem Bilde des Todes und des der Sichtbarkeit entrückten Begrabenseins verwendet. Die Belehrung über die Symbole erschließt ferner den geheimnisvollen Sinn, daß der auf heilige Weise Getaufte durch das dreimalige Untertauchen im Wasser den urgöttlichen Tod des Leben spendenden Jesus während der drei Tage und drei Näch­ te dauernden Grabesruhe nachahmt, soweit Menschen die Nachahmung des Göttlichen möglich ist. Denn an Jesus hat nach dem geheimnisvollen und verborgenen Schriftwort der Fürst der Welt nichts gefunden." 318 Ep. IX, 2,1108 C 319 EH II, 7, 404 B

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Form aus der Wesensgestalt des Menschen gewichen. Das menschliche Wesen ist somit frei geworden zur Offenbarung einer herrlicheren Gestalt als der vorigen. Diese ganze Wirklichkeit wird auf geeignete Weise nachgeahmt durch die Sym­ bolik des ganzkörperlichen Untertauchens des Täuflings im Taufritual. Dionysius betont, dass die Einweihung nicht in der symbolischen Handlung selbst besteht, sondern in dem symbolbildenden Geistwort der Mystenschaft Jesu, welches der Nous selbst ist. Die Entstehung des sakramentalen Symbols setzt die Weiterreichung je­ nes mystagogischen Geistwortes voraus, welches als Nous des Eingeweihten Jesu in die noetische Substanz des Einzuweihenden übergeht, um von dieser selbst aktuiert und zum Ursprung sakramentaler Wirklichkeit erhoben zu werden. Die Einweihung aus dem Geistwort der Mystenschaft Jesu ist selbst Ursprung von Symbolbildung, durch die sich das Sakrament im Kult selbst erst verwirklichen kann. Die »symbolbildende« Tätigkeit des mystagogischen Geistwortes, das der eingeweihte Nous selbst ist, stellt den Akt der »Konsekration« dar, durch den die Dinglichkeit des Kultes selbst erst sakramentale Geltung erhält. Der Initiand muss das einweihende Geistwort — die „symbolische Lehre"320 — bereits in sich aufgenommen und sich zueigen gemacht haben, damit er selbst teilhat an dem unteilbaren Akt der Konsekration, der die Einsetzung des göttlichen Kultes durch Bildung des sakramentalen Symbols selbst ist. Der Begriff der »Konsekration« hat also durchaus mehrere Sinnebenen. Durch die Symbolik des dreimaligen Un­ tertauchens des Täuflings wird nach Dionysius der Tod der drei Tage und Nächte dauernden Bestattung des Leben spendenden Jesus als Ursprung der Vergöttli­ chung des Menschen bezeichnet, insofern es Menschen vergönnt ist Gott nachzu­ ahmen. Dionysius will uns demnach sagen, dass die »Gottesnachahmung« (το θεομίμητον) in nichts anderem besteht als in dem »Geistwort« (verbum mentis) von der gottheitlichen Mystenschaft Jesu im Nous selbst. Schließlich nimmt Dio­ nysius Bezug auf die rituelle Einkleidung des Täuflings mit einem weißen Ge­ wand sowie auf die vollendende Salbung mit dem Myron, die dem Eingeweihten süßen Wohlgeruch verleiht. Das Bekleiden des Täuflings mit dem weißen Ge­ wand symbolisiert die Schmückung des Unansehnlichen und Gestaltlosen mit der Lichtförmigkeit göttlichen Lebens. Es besteht in der Unvergänglichkeit der gottförmigen (gottheitlichen) Intentionalität des Nous (Τη γάρ άνδρικη και θεοειδεϊ των έναντίων άπαθεία και τη προς το εν έν συντονία συννεύσει το άκοσμον κοσμείται και το άνείδεον ειδοποιείται τη φωτοειδει καθόλου ζωη λαμπρυνόμενον)321. Die Einweihung in das Mysterium der »Geburt aus Gott« (θεογενεσία) vollzieht sich in der Einung des Nous mit der wesenschaffenden Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst. Dass der geistig wahr­ nehmbare Wohlgeruch, welchen die kenotische Herabkunft Jesu mit sich bringt, gänzlich unaussprechlich ist, erfahren, so Dionysius, diejenigen geistig, welche der vergöttlichenden Gemeinschaft mit Gott aufgrund des gottheitlichen Wesens ihres Geistes (νους) selbst würdig sind. Der durch die apophatische Gotteser­ 320 Ibid. 321 EH II, 8, 404 C: Edith Stein [Übers.], ibid., S. 204: „Denn durch mannhafte und gottähnliche Unzugänglichkeit für schlechte Regungen sowie durch die Richtung alles geistigen Strebens auf das Eine Ziel wird das Schmucklose geschmückt, das Unschöne in ein Schönes verwandelt, ganz strahlend von lichtvol­ lem Leben.”

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kenntnis selbst gestaltlos gewordene Nous fasst die wesenschaffende Intentiona­ lität der selbstentäußerten Gottheit des Logos in sich, aus welcher ihm die Digni­ tät gottheitlichen Wesens selbst »erwächst«. Somit ist das neue Wesen, das der Nous gleich einem Gewand empfängt, nichts anderes als die wesenschaffende Intentionalität der sich im Nous ihrer selbst entäußernden Gottheit Jesu. Im Lich­ te dieser ihm erwachsenden gottheitlichen Wesensform (είδος) ist der Nous »Myste Jesu«. Die Wirksamkeit kann nicht aus einer nur postulierten Gültigkeit des sa­ kramentalen Symbols erwiesen werden. Der bloße äußerliche Vollzug der sym­ bolischen Handlung vermag das Geschehen nicht in das noetische Wesen des Einzuweihenden zurückzuführen. Das geistige Geschehen der göttlichen Mystagogie bleibt im Nous des Einzuweihenden selbst aus. Diese im Nous nicht geschehene Mystagogie Jesu selbst wird Gegenstand eines äußerlichen Kultes. Es handelt sich also um eine noch nicht wirksame Einweihung322, die Dionysius mit dem „auf heilige Weise Getauften"323 bezeichnet, der aufgrund der an ihm prakti­ zierten „Seelenführung (Psychagogie) eben noch nicht »Myste Jesu« ist. Denn erst die gottheitliche Mystenschaft Jesu im Nous selbst liefert das Kriterium für Kirche, welche im Kern »Gemeinschaft der Mysten Jesu«324 ist, Kir­ che der in Christo Gleichen, d.h. der in gleicher Weise durch Jesus selbst Einge­ weihten325. Nur aufgrund der Einweihung des durch das Symbol [des dreimali­ gen Untertauchens im Wasser] Getauften in die noetische Wesenswirklichkeit des durch die Taufsymbolik Bezeichneten vermag der Myste den Tod der dreitä­ gigen Grabesruhe des Leben spendenden Jesus als Ursprung seiner eigenen Ver­ göttlichung an sich selbst nachzuvollziehen und zu schauen326.

ZUR MYSTAGOGIE DER EUCHARISTIE Der Lobpreis der zum Heile des Menschengeschlechts vollbrachten Gottestaten Jesu, den der »Hierarch« — als Urbild des Mysten — vor dem Altar stehend327 322 Eriugena, ebd., S. 51/2: Talis siquidem error multos ac pene omnes invasit et adhuc invadit, existimantes sensibilia sacramenta nil altius significare preter seipsa, ac per hoc approbantes falsa pro veris; et seipsos fallunt et simpliciores se decipiunt, remanentes in figuris, in earum vero mysticum intellectum mentis aciem infigere négligentes. De talibus ait Apostolus: „Littera occidit, spiritus autem vivificat". Omnis quippe nihil ultra quod sentit existimat esse, littera occiditur, quoniam spiritum, id est ipsius littere intellectum, neque valet neque vult attingere. 323 EH II, 7, 404 B 324 EHI, 1,372 A 325 EH I, 5, 377 AB 326 EH II, 392 B: W. Tritsch [Übers.], Kirchliche Hierarchie, S, 172: „Denn wie mein gepriesener geistlicher Führer sagte, die Liebe Gottes ist die erste geistige Bewegung zum Göttlichen hin. Und das ursprünglich­ ste Hervortreten der heiligen Liebe zur Ausübung der göttlichen Gebote ist jene unaussprechli­ che Schöpfung, die da macht, daß wir göttlich werden. Wenn aber diese göttliche Art des Seins gleichbedeutend ist mit der Geburt aus G ott, dann möchte doch wohl derjenige, welcher diese göttliche Art des Daseins überhaupt noch nicht erlangt hat, auch noch nicht imstande sein, von den Gottesgaben etwas zu verstehen oder zu betätigen.” 327 Golitzins Umkehrung der mystagogischen Intention des Corpus Areopagiticum zielt darauf, dieses in den Dienst des kirchlichen Kultmythos zu stellen. Vgl. dazu: Golitzin, "Suddenly, Christ”: The Place of Negative Theology in the Mystagogy of Dionysius Areopagites, in: Michael Kessler and Christian Sheppard [eds.] Mystics: Presence and Aporia, Chicago 2003, S. 19/20.

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ertönen lässt, ist ein In-das-Gedächtnis-Rufen der besonderen Art, nämlich eine Zurückführung der Hymnologie in die geistige Schau und Wirklichkeit des ge­ priesenen Heilswerkes Jesu »im Nous des Mysten durch diesen selbst«328. Jesus wird von Dionysius als „unsere allergöttlichste Vorsehung" (τής θειοτάτης ημών προνοίας) bezeichnet, welche ihre Heilstaten als Wesensform gottheitlicher In­ tentionalität im Nous des Mysten selbst vollendet. Der trinitarische Prozess der Gottheit wird in dieser theosophischen Schau des Areopagiten zum gottheitlichen Geschehen, das sich erst in Jesus selbst als der Wesensform gottheitlicher Intentionalität verwirklicht und vollendet. Die trinitarische Gottheit hebt sich im pronoetischen Sein der Kenosis des Logos selbst auf, um durch diese sich im Nous des Mysten Jesu selbst »wesenschaffend« zu begründen. So ist der Nous des Mysten »intentionaler Wesensgrund« der Gottheit Jesu, in welchem sich der Pro­ zess der trinitarischen Selbstoffenbarung der Gottheit vollendet. Dionysius deutet auf die Entsprechung zwischen dem Lobpreis der Heils­ taten Jesu und deren Schau in und durch den Nous des Mysten Jesu hin. Die gei­ stige Epoptie329 des Heilswerkes Jesu setzt voraus, dass der Nous des Mysten über die Fähigkeit verfügt, die wesenschaffende Intentionalität, welche dem gottheitlichen Geschehen der Kenosis selbst zugrunde liegt, zum Erkenntnisakt seines vergöttlichten Wesens zu erheben. Im Geistwort des Nous der Mystenschaft Jesu allein wird sich das Geschehen der gottheitlichen Intentionalität seiner selbst Wesen schaffend ansichtig und gegenwärtig. Dies meint der Begriff der »Epoptie«, den Dionysius im Zusammenhang mit der Hymnologie der Heils­ taten Jesu im göttlichen Kult verwendet. Die sakramentale Symbolbildung, zu der der Nous des Mysten übergeht, wird von Dionysius ganz als Ausfluss mystischer Epoptie begriffen, die, wie von mir hinreichend dargelegt, den Mysten nicht nur an der ungeschaffenen Energie Gottes, sondern an der göttlichen Natur teilhaben lässt. Ένθεν ò θείος ιεράρχης έπΐ τοϋ θείου θυσιαστηρίου καταστάς ύμνει τάς είρημένας ίεράς θεουργίας Τησοϋ τής θειοτάτης ήμών προνοίας, άς έπι σωτηρία τοϋ γένους ήμών εύδοκία τοϋ παναγεστάτου πατρός έν πνεύματι άγίω κατά το λόγιον έτελείωσεν. Ύμνήσας δε και τήν σεβασμίαν αύτών και νοητήν θεωρίαν έν νοεροις όφθαλμοις έποπτεύσας έπι τήν συμβολικήν αύτών ιερουργίαν έρχεται και τοϋτο θεοπαραδότως' οθεν εύλαβώς τε άμα και ίεραρχικώς μετά τούς ιερούς τών θεουργιών ύμνους ύπέρ τής ύπέρ αύτόν ιερουργίας άπολογέϊται πρότερον ίερώς προς αύτόν άναβοών' Σύ είπας «Τοϋτο ποιείτε είς τήν έμήν άνάμνησιν».330

328 Der »Hierarch« ist — im Spiegel der mystagogischen Schau des Areopagiten — nichts anderes als das zum Symbol gewordene monodische Prinzip der Mystenschaft des Nous Jesu. Das Symbol kann in seiner Sakramentalität deshalb einzig aus der »Symbolbildung« durch den Nous der My­ stenschaft Jesu selbst begriffen werden. 329 EH III, 14, 445 C 330 EH III, 12, 441 CD: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 141: „Darauf preist der göttliche Hierarch, vor dem Altare Gottes ste­ hend, die erwähnten heiligen Gottestaten der göttlichsten Fürsorge Jesu um uns, die er zur Ret­ tung unseres Geschlechtes nach dem Wohlgefallen seines allerheiligsten Vaters im heiligen Gei­ ste, wie die Schrift sagt, vollbracht hat. Wenn dann der Hierarch das Preisgebet [auf die Werke Gottes] vollendet und in ihren hehren, geistigen Anblick mit den Augen des Geistes sich versenkt hat, geht er zur mystischen Opferhandlung über und zwar auf Grund der göttlichen Einsetzung. Deshalb entschuldigt er sich, nachdem er die Großtaten Gottes gepriesen hat, voll Ehrfurcht und im Geiste der Hierarchie wegen des für ihn zu erhabenen Konsekrationsaktes, indem er vorher zu Christus den frommen Ruf erhebt: Du hast es gesagt: >Tut dies zu meinem Andenken«"

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Dies alles macht uns von vornherein einsichtig, dass bei Dionysius nicht von einem äußerlich verrichteten priesterlichen Dienst die Rede ist, sondern von der »symbolbildenden Tätigkeit« des Nous gottheitlicher Mystenschaft. Das, was der Priester zelebriert, muss immer schon mystagogische Selbstwirklichkeit Jesu im Nous des Eingeweihten sein331. Dies heißt nichts anderes, als dass das Kultge­ schehen selbst der »Zurückführung« in das gottheitliche Geschehen im Nous des Mysten Jesu bedarf. Nur auf diese Weise erhält es sakramentale Gültigkeit und Wahrheit. Denn das Symbol ist Sichtbarwerdung332 des Göttlichen im Nous. Dies alles erfährt seine nochmalige Bestätigung durch die areopagitische Kommentie­ rung der priesterlichen Anrede Jesu, die selbst verweist auf den anamnetischen Auftrag, welcher der sakramentalen Symbolbildung333 der Eucharistie selbst zu­ grunde liegt. Der vom Mysten ausgesprochene Satz Du hast gesagt: Tut dies zu meinem Gedächtnis! spricht Jesus persönlich an, indem er ihn in Erinnerung ruft als den Ursprung des anamnetischen Grundcharakters der eucharistischen wie jeder anderen sakramentalen Symbolhandlung. Das sakramentale Symbol erhält sein Leben allein aus dem anamnetischen Wesensakt des in der Mystenschaft Jesu stehenden Nous. Wird das Symbol von seinem Wesensgrund getrennt und als vorgegebene und äußerliche Kultordnung missverstanden, so büßt es seine sakramentale Geltung ein. Die Anrede Jesu durch den Mysten bringt das Herren­ wort in Erinnerung, um durch dieses die sakramentale Symbolbildung in die Anamnese ihres noetischen Ursprungs zurückzuführen. Nur das Symbol als Anamnese der symbolbildenden Erkenntnistätigkeit des Nous Jesu im Mysten kann als sakramental gültig begriffen werden. Ohne Anamnese entbehrt das Symbol der Sakramentalität. Dionysius gibt uns darüber hinaus noch einen weiteren Hinweis: Der Myste tut jene anamnetische Anrede Jesu „in Gottesfurcht und gemäß göttlicher Einweihung", denn er erkennt in seinem Nous Jesus selbst als den einzigen und wahren Ursprung sakramentaler Symbolbildung. Damit aber wird vom Areopagiten jede andere Begründung des sakramentalen Symbols334 als die vom gottheitlichen Geistwort (verbum mentis) Jesu im Nous des Mysten selbst geleistete verworfen. 331 EH III, 428 A 332 EH III, 12, 441 CD 333 Georg Friedrich Creuzer, Ideen, ebd., S.57/8: „Will nun die Seele das Größere versuchen, sich zur Welt der Ideen aufschwingen, und das Bildliche zum Ausdruck des Unendlichen machen, so offenbaret sich vorerst ein entschiedener, schneidender Zwiespalt. Wie könnte doch das Begränzte, so zu sagen, Gefäß und Aufenthalt des Unbegränzten werden? Oder das Sinnliche Stell­ vertreter dessen, was, nicht in die Sinne fallend, nur im reinen geistigen Denken erkannt zu wer­ den vermag? Die Seele, befangen in diesem Widerspruche, und ihn wahrnehmend, siehet sich mithin vorerst in den Zustand einer Sehnsucht versetzt. Sie möchte das Wesen erfassen ganz und unverändert, und es in der Form zum Leben bringen; aber in die Schranken dieser Form will sich das Wesen nicht fügen. Es ist ein schmerzliches Sehnen, das Unendliche im Endlichen zu gebären. Der in die Nacht dieser Unterwelt gestellte Geist möchte sich erheben und hindurchdringen zu der vollen Klarheit des heiteren Tages. An sich und ohne Hülle möchte er sehen, was allein wahr­ haft ist und unveränderlich bestehet, und im Abbilde es hinstellen in dieser wandelbaren Welt des schattenähnlichen Daseyns. Da mithin die Seele, so betrachtet, zwischen der Ideenwelt und dem Gebiete der Sinne schwebet, da sie beide mit einander zu verbinden und im Endlichen das Unendliche zu erringen strebt, wie kann es anders seyn, als daß das, was sie erstrebt und errun­ gen hat, die Zeichen seines Ursprungs an sich trage, und selbst in seinem Wesen jene Doppelna­ tur verrathe? Und in der That lassen uns die wesentlichen Eigenschaften, und gleichsam die Ele­ mente des Symbols, jene doppelte Herkunft deutlich erkennen." 334 EH III, 14, 444D-445A

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Είτα τής θεομιμήτου ταύτης ιερουργίας άξιος αίτήσας γενέσθαι καί τή προς αύτόν Χριστόν άφομοιώσει τα θεία τελέσαι καί διαδοϋναι πανάγνως καί τούς των ιερών μεθέξοντας ίεροπρεπώς μετασχειν ιερουργείτά θειότατα καί ύπ’ οψιν άγει τά ύμνημένα διά των ίερώς προκειμένων συμβόλων. Τον γάρ έγκεκαλυμμένον καί άδιαίρετον άρτον άνακαλύψας καί είς πολλά διελών καί το ένιάϊον τού ποτηριού πάσι καταμερίσας συμβολικώς την ενότητα πληθύνει καί διανέμει παναγεστάτην έν τούτοις ιερουργίαν τελών.335 Worum der »Hierarch« im eucharistischen Gebet bittet, das macht der areopagitische Kommentar evident, ist nicht die Wandlung der beiden Gestalten zum Leib und Blut Christi. Nicht diese ist bezeichnenderweise Gegenstand der eucharistischen Bitte, sondern die Fähigkeit des »Hierarchen« und der Gemein­ schaft der Mit-Eingeweihten zum Vollzug der sakramentalen Ikonographie, durch die das Geschehen der gottheitlichen Mystenschaft Jesu im Geistwort des Nous selbst bezeichnet wird. Durch diese Bezeichnungsfunktion der sakramenta­ len Symbolbildung erst wird der liturgische Kultraum vom Nous des Eingeweih­ ten selbst geschaffen, in welchem dieser sich selbst als Arkangemeinschaft ge­ genübertritt. Die Ausführungen des Areopagiten lassen nicht den geringsten Zweifel darüber aufkommen, was der gemeinsamen Ikonographie sakramentaler Sym­ bolbildung durch den Hierarchen und seine Mit-Eingeweihten vorauszugehen hat, nämlich die mystagogische Präsenz Jesu im »wesenschaffenden Wort« des gottheitlichen Nous des Mysten selbst. Denn die Realpräsenz Jesu bezieht sich auf das eucharistische Geistwort des eingeweihten Nous, welcher der Bildung des sakramentalen Symbols und damit der Einsetzung des göttlichen Kultes fähig ist. Es ist das monadische Heilsprinzip der selbstentäußerten Gottheit Jesu im Nous des Mysten, welches zugleich Prinzip göttlicher Kulteinsetzung ist. Diese Kulteinsetzung durch die Intentionalität des gottheitlichen Geistwortes im Nous des Eingeweihten Jesu aber macht jede „Institutionalisierung" des göttlichen Kul­ tes selbst a priori unmöglich. Der Myste bittet im eucharistischen Gebet darum, dass diejenigen, die an dem heiligen Mahl teilnehmen, dies aufgrund ihrer gottheitlichen Mystenschaft tun. Denn diese ist erforderlich für den konsekrativen Akt sakramentaler Sym­ bolbildung, der allein vom monadischen Prinzip göttlichen Heils im Nous des Mysten Jesu selbst ausgehen kann. Die Teilhabe an der sakramentalen Handlung ist also von der Mystenschaft des Teilnehmenden nicht zu trennen. Der Kult geht einzig aus der Wesensform gottheitlicher Intentionalität im Geistwort des er­ leuchteten Nous selbst hervor als dessen symbolbildende und konsekrative Er­ kenntnistätigkeit. Dionysius erhebt damit das entscheidende Kriterium für die Gültigkeit des sakramentalen Symbols. Die eucharistische Bitte bezieht den bittenden »Hierarchen« selbst ebenso ein wie alle übrigen am göttlichen Kult Beteiligten. Und es geht in dieser Bitte um 335 EH III, 12,444 A: G. Heil [Übers.], KH, S. 121: „Dann bittet er, dieser Gott nachahmenden heiligen Handlung würdig zu werden und kraft seiner Annäherung eben an Christus das göttliche Werk zu vollziehen und das so Gewirkte in völliger Reinheit auszuteilen, auch daß die, die an den heiligen Gaben teilneh­ men wollen, sie in geziemender Heiligung empfangen. Darauf vollzieht er die göttlichste heilige Handlung und führt den Inhalt seines Gesanges durch die ausgestellten Symbole vor Augen. Denn das verhüllte und unzerteilte Brot deckt er auf und zerteilt es in viele Teile, und den einen Inhalt des Kelchs teilt er unter Alle aus. Damit vervielfältigt er symbolisch die Einheit und verteilt sie.”

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die mystagogische Würdigkeit und Reife der Teilnehmenden als Voraussetzung für die sakramentale Gültigkeit des Kultes. In der Bitte des »Hierarchen« wird die vollendete Mystenschaft der Kultteilnehmer als unabdingbare Voraussetzung für die sakramentale Wirksamkeit des Symbols benannt. Denn das Symbol wird in seiner sakramentalen Gültigkeit erst gebildet in und durch die »konsekrative Erkenntnistätigkeit« des Nous im Geistwort (verbum mentis) der Gottheit Jesu selbst. Im eucharistischen Gebet geht es also nicht um etwas, das noch nicht da ist und eben deshalb erbeten werden muss, sondern um etwas, das durch das Geistwort als im Nous selbst wesensgegenwärtig erscheint. In diesem Gebet voll­ zieht sich die Anamnese des mystischen Nous. Die Bitte setzt folglich die Einwei­ hung des Nous voraus. In der Anamnese, die das eucharistische Gebet selbst ist, zieht sich der Nous in die Mystenschaft Jesu zurück, um sich ganz in seiner sym­ bolbildenden Fähigkeit zu sammeln. Indem der Nous sich in seine eigene gottheitliche Einweihung zurückzieht und so seiner selbst ansichtig wird, setzt er jene konsekrative Erkenntnistätigkeit in sich frei, die das bloße Sinnending des kultischen Vollzugs zum sakramentalen Symbol erhebt und bildet. In der Ana­ mnese des eucharistischen Gebetes vollzieht der Nous den Rückzug in seine gött­ liche Mystenschaft und sammelt sich ganz in dieser336. Diese Bewegung ist dem Einatmen zu vergleichen. Denn nur der sich in seiner eigenen gottheitlichen My­ stenschaft selbst schauende Nous vermag die konsekrative Erkenntnistätigkeit auszuüben, durch die das Symbol in seiner Sakramentalität selbst gebildet wird. Die konsekrative Erkenntnistätigkeit des erleuchteten Nous, durch die das Symbol in seiner sakramentalen Gültigkeit selbst erst gebildet wird, lässt wie­ derum das geistige Wort göttlicher Mystenschaft durch das Symbol an diesem selbst sichtbar werden (ιερουργεί τα θειότατα καί ύπ’ οψιν άγει τα ύμνημένα δια των ίερώς προκειμένων συμβόλων)337. Es ist das Geistwort des eingeweihten Nous, das Symbol bildend aus sich selbst heraustritt und sich durch die Bildlich­ keit des sakramentalen Symbols selbst sichtbar macht. Darin genau liegt die mystagogische Bestimmung und Zeichenhaftigkeit des Symbols, dass sich das Geistwort durch die konsekrative Energie seiner sakramentalen Symbolbildung selbst vor Augen führt. Außerhalb dieser »zeichentheoretischen« Immanenz ist das Symbol in seiner Sakramentalität nicht zu begründen. Die konsekrative Erkenntnistätigkeit des eingeweihten Nous ist demnach nichts als das sich seiner selbst entäußernde gottheitliche Geistwort des Mysten, das durch die Bildung des sakramentalen Symbols sich selbst zur Erscheinung bringt und zum »mentalen Zeichen« göttlicher Kulthandlung erhebt. Deshalb wohnt dem Symbol aufgrund dessen zeichentheoretischer Bestimmung durch das geistige Wort des Mysten das Licht der Mystagogie Jesu selbst inne. Die Ent­ hüllung des ungeteilten Brotes, dessen Zerteilung und Verteilung sowie die Aus­ teilung des Weines in dem einen Kelch bezeichnen nichts anderes als die im Nous selbst gründende gottheitliche Mystenschaft Jesu. Die symbolische Sprache des eucharistischen wie jedes anderen Sakraments verzeichnet nichts, was nicht aus der symbolbildenden Erkenntnistätigkeit338 des erleuchteten Nous selbst 336 EH III, 12, 444 A EH III, 13, 444 CD 337 EH III, 425 D EH III, 12, 444 A 338 Creuzer, Ideen, S. 64: „Diese höchsten Aeußerungen des bildenden Vermögens nennen wir Symbole, und auf diesen engeren Kreis verkörperter Ideen sollte diese Benennung im streng wis­

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hervorgeht339. Aus diesem Grunde schildert der Areopagit in der „Theoria" zur eucharistischen Kulthandlung nicht den konkreten, in der Liturgie vom Priester zelebrierten Ritus [der Anaphora im Allgemeinen und der Epiklese im Besonde­ ren], sondern entfremdet uns bewusst von den gewohnten Bildern liturgischer Teilnahme und führt uns hinüber in die Schau jenes gottheitlichen Einwei­ hungsweges, welchen der Nous des Mysten Jesu schauend an seinem eigenen Wesen selbst erfährt. Und dieser radikale Wandel seines Wesens erwächst dem Nous des Mysten durch das Wesen schaffende Einweihungswort, dem die selbstentäußerte Gottheit Jesu selbst innewohnt340. Nur in und durch das Prinzip gottheitlicher Mystenschaft im Nous selbst »ist« Kirche und kann diese als solche die sakramentale Gültigkeit der Euchari­ stie vollziehen und die noetische Wirklichkeit des eucharistischen Opfers Jesu zur Erscheinung bringen durch die auf heilige Weise vom »Hierarchen« dargebo­ tenen Symbole341. Der »Hierarch« also handelt nicht anders als im Sinne der von den Mysten selbst getragenen und geschauten Weisheit Jesu. Die »Theoria« der Sakramente342 in der „Kirchlichen Hierarchie" des Areopagiten hat die Bedeu­ tung einer radikalen »Reduktion« der sakramentalen Symbolik in die Wurzel der gottheitlichen Mystenschaft des Nous, durch die die sakramentale Symbolbil­ dung als hierurgisches Prinzip des Mysten überhaupt erst offenbar wird343. Die Liturgie als Prozess sakramentaler Symbolbildung344 im Sinne des Areopagiten senschaftlichen Gebrauche eingeschränkt bleiben. Sie sagt Alles, was dieser Gattung eigenthümlich ist, und sie auf die höchste Stufe erhebt: das Momentane, das Totale, das Unergründliche ihres Ursprungs, das Nothwendige. Durch ein einziges Wort ist hier die Erscheinung des Göttlichen und die Verklärung des irdischen Bildes bezeichnet, und zwar, wie dargethan worden, ganz dem hö­ heren Sprachgebrauche der Alten gemäß, die jedoch den Umfang dieses vielsagenden Wortes auch auf geringere Begriffe ausdehnten." 339 EH III, 9, 437 C: W. Tritsch [Übers.], KH, S. 197: „Erwäge in frommem Sinne auch diesen Umstand, daß nach der Aufstellung der ehrwürdigen, symbolischen Opfergaben auf dem heiligen Tische Gottes — wo­ durch die Gegenwart Christi angedeutet wird und wodurch wir Ihn empfangen — das Verzeich­ nis der Heiligen ununterbrochen daneben offen liegen bleibt. So deutet es die unauflösliche Ver­ bindung an, welche in ihrer heiligen Einigung mit Christus wirksam geworden ist über diese un­ sere Welt hinaus." 340 Creuzer, Ideen, S.59: „Denn bedeutsam und erwecklich wird das Symbol eben durch jene Incongruenz des Wesens mit der Form und durch die Ueberfülle des Inhalts in Vergleichung mit seinem Ausdrucke. Desto anregender daher, je mehr es zu denken giebt. Aus diesem Grunde ha­ ben es die Alten vorzüglich wirksam geachtet, um den Menschen aus der Gewohnheit des tägli­ chen Lebens zu einem höheren Bestreben zu erwecken. Ein Kunstrichter, der über die Natur der Sprache mit ungemeinem Scharfsinne nachgedacht hat, bemerkt daher sehr treffend: «Alles, was nur geahnet wird, ist furchtbarer, als was hüllenlos vor Augen liegt. Daher auch die Geheimlehren in Symbolen vorgetragen werden, wie in Nacht und Dunkel. Es ist aber das Symbolische dem Dunkeln und der Nacht zu vergleichen». Jenes Erweckliche und zuweilen Erschütternde hängt mit einer andern Eigenschaft zusammen, mit der Kürze. Es ist wie ein plötzlich erscheinender Geist, oder wie ein Blitzstrahl, der auf einmal die dunkele Nacht erleuchtet. Es ist ein Moment, der unser ganzes Wesen in Anspruch nimmt, ein Blick in eine schrankenlose Ferne, aus der unser Geist bereichert zurückkehrt." 341 EH III, 14, 444D-445A 342 EH III, 2, 428 C 343 EH III, 12, 441 C 344 Creuzer, Ideen, S. 67/8: „Doch kannten sie auch eine andere Symbolik. Wenn sie nämlich ihr höheres Wissen ausdrücken, und die vom gemeinen Glauben abweichenden Belehrungen ein­ dringlich machen wollten, so mußte das Symbol Organ geheimnißvoller Wahrheiten und Ahnun­ gen werden. In dieser Bestimmung suchte es hauptsächlich bedeutsam zu seyn, unbekümmerter um das Gefällige und Schöne. Je mehr es diesem heiligen Bedürfniß huldigte, desto größer die

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begreifen heißt, sie in die »Schau« (θεωρία) der mystagogischen Wirklichkeit Jesu im Nous des Mysten selbst zurückzuführen, durch die sie erst sakramentale Geltung beanspruchen kann. Die areopagitische »Schau« (θεωρία) zur Darstel­ lung der einzelnen Sakramente der Kirche ist keine nachträgliche geistige Über­ höhung durch eine illustrative Allegorik oder einen mysteriologischen Symbol­ begriff, sondern Zurückführung der Theologie selbst in das Absconditum einer christlichen Theosophie. Die areopagitische »Schau« (θεωρία) in Bezug zum bloßen Vollzug der Sakramente ist Akt mystagogischer Anamnese, ist Reduktion des sakramentalen Symbols in die — dieses erst bildende — gottheitliche Substanz des selbstaktuierten Nous. Damit aber macht die Schau als der Einweihungsweg Jesu im Nous das gottheitliche Wesen des Nous des Mysten selbst aus. Nun leuchtet auch ein, warum Dionysius in seiner mystagogischen »Schau« (θεωρία) der liturgischen Anaphora den Akt der Konsekration nur andeutet mit den Worten ιερουργεί τα θειότατα.345 Denn die »Konsekration« selbst hat ihren Ursprung im Nous, der durch Jesus selbst eingeweiht ist. Und diese Einweihung, durch die Jesus dem Nous wesenhaft innewohnt, geschieht im Nous der Gottheit Jesu selbst. Deshalb hat die liturgische Epiklese eucharistischen Charakter. Sie hat ganz und gar die Bedeutung einer Danksagung für die im Nous für den Nous bereits Wirklichkeit gewordene Mystenschaft Jesu, welche die Herabkunft des Heiligen Geistes einbe­ zieht. Der eucharistische Wandel von Brot und Wein auf dem Altartisch bezieht sich deshalb einzig auf die hierurgische Symbolbildung selbst, durch die der Nous die beiden Gestalten zu geistigen Zeichen seiner ihm zuteil gewordenen gottheitlichen Wirklichkeit erhebt.346 Dionysius betont in EH III, 13 zunächst den Zeichencharakter, welcher in der Enthüllung, Aufteilung und anschließenden Verteilung der eucharistischen Gestalten an die Kommunizierenden zum Vorschein kommt. Denn diese Symbol­ handlungen des Hierarchen bringen das kenotische Heilswerk Jesu zur Erschei­ nung. Die liturgische Handlung des Hierarchen wird von Dionysius als Setzung des geistigen Zeichens selbst begriffen. Dem Symbol kommt erst durch den Akt seiner Setzung als geistigem Zeichen sakramentale Geltung zu. Denn diese ist Neigung zum Unverständlichen, bis es im Aeußersten endlich zu einem verkörperten Räthsel ward. Auf diesem Wege liegt ein großer Theil der gesammten Tempelsymbolik des ältesten Grie­ chenlandes und Roms. Wie oft trat daher nicht der Fall ein, daß ein recht bedeutsames Tempel­ bild mehrere Auslegungen zuließ. In noch höherem Grade gilt dieses von dem eigentlich mysti­ schen Symbol. Man lese z. B. nur, was Clemens von Alexandria über die vielen Deutungen der Orphischen Thallophorie sagt; wo es fast Verwunderung erregt, daß ein anscheinend so einfacher Gebrauch so vieldeutig geworden war. Manche hatten den Schlüssel verloren, den man im Unter­ richt der Mysterien empfing; wie denn alle Symbolik dieses geheimen Dienstes eine Belehrung voraussetzte, die der Eingeweihete nur von den Ordenspriestern und Exegeten erhielt. Wenn daher das Kunstsymbol sich ganz und vollständig selbst aussprach, und wenn das, was man Bil­ dung nennt, schon zu seinem Verstehen fähig machte, so mußte dort hingegen ein besonderer Unterricht die Mittel an die Hand geben, gleichsam die harte Schale zu zerbrechen, unter welcher der Kern verborgen lag." 345 Creuzer, ebd., S. 70: „Es ist daher auch der Unterschied beider Arten in das Momentane zu setzen, dessen die Allegorie ermangelt. In einem Augenblicke und ganz gehet im Symbol eine Idee auf, und erfaßt alle unsere Seelenkräfte. Es ist ein Strahl, der in gerader Richtung aus dem dunkelen Grunde des Seyns und Denkens in unser Auge fällt, und durch unser ganzes Wesen fährt. Die Allegorie locket uns aufzublicken, und nachzugehen dem Gange, den der im Bilde verborgene Gedanke nimmt. Dort ist momentane Totalität; hier ist Fortschritt in einer Reihe von Momenten." 346 EH III, 12, 444 AB

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untrennbar verknüpft mit dem Akt der Bezeichnung, den der Nous dem geistigen Wort (verbum mentis) seiner gottheitlichen Einweihung selbst entnimmt. Somit erscheint das Symbol selbst als Akt »zeichenbildender Intentionali­ tät«, der auf die gottheitliche Wesenheit des Geistwortes des eingeweihten Nous selbst zurückzuführen ist. Nur insofern das Symbol in seinem intentionalen Sein als Akt geistiger Zeichenbildung begriffen wird, erwächst dem gottheitlichen Geistwort des Nous durch eben diesen intentionalen Akt der Symbolwerdung selbst »sakramentale Wesenheit«. Nur wenn das Symbol Akt seiner mentalen Zeichenwerdung selbst ist, vermag es auf den Nous des Eingeweihten wesenbil­ dend zurückzuwirken347. Ταϋτα τοΤς ίερώς δρωμένοις ò ιεράρχης έμφαίνει τά μεν έγκεκαλυμμένα δώρα προς το έμφανές άγων το δε ένιάϊον αύτών εις πολλά διαιρών και τη των διανεμόμενων προς τά έν οίς γίνεται κατ’ άκρον ενώσει κοινωνούς αύτών άποτελών τούς μετέχοντας. Διαγράφει γάρ έν τούτοις αίσθητώς ύπ’ οψιν άγων Ίησοϋν τον Χριστόν την νοητήν ημών ώς έν είκοσι ζωήν έκ τού κατά τό θειον κρυφίου τή παντελέϊ και άσυγχύτω καθ’ ήμάς ένανθρωπήσει φιλανθρώπως έξ ήμών είδοποιούμενον και προς τό μεριστόν ήμών άναλλοιώτως έκ τού κατά φύσιν ενός προϊόντα και διά τής άγαθουργοϋ ταύτης φιλανθρωπίας είς μετουσίαν εαυτού και τών οικείων άγαθών καλοϋντα τό άνθρώπειον φϋλον, εϊπερ ένωθώμεν αύτοϋ τή θειοτάτη ζωή τή προς αύτήν ήμών κατά δύναμιν άφομοιώσει και ταύτη προς άλήθειαν κοινωνοι θεού και τών θείων άποτελεσθη σό μεθ α.348 Die sakramentale Symbolik der Eucharistie wird von Dionysius als Opfer­ akt beschrieben, in welchem die beiden Gestalten von Brot und Wein mit demje­ nigen, in das sie eingehen, geeint werden aufgrund der gottheitlichen Einwei­ hung des Nous selbst. Klarer und unmissverständlicher kann der Areopagit das monadische Heilsprinzip von der gottheitlichen Mystenschaft des Nous Jesu nicht aussprechen. Die ganze Sakramentalität des Symbols gründet in nichts an­ derem als in dem Begriff des Symbols als jenes Aktes zeichenbildender Intentio­ nalität, durch den das Geistwort des erleuchteten Nous in seiner sakramentalen Wesenheit am Symbol selbst als »sakramentale Epiphanie« sichtbar wird. Deshalb kann Dionysius die sakramentale Handlung an den eucharistischen Ge­ stalten mit der Kenosis Jesu in eine kühne Analogie setzen, die sich in der gott­ heitlichen Einweihung des Nous Jesu selbst vollendet.

347 EH III, 13, 444 C 348 EH III, 13, 444 C: W. Tritsch [Übers.], KH, S. 201/202: „Dies sind die heiligen Geheimnisse, die der Hierarch durch die heiligen Handlungen der Liturgie andeutet, indem er die verhüllten Gaben sichtbar macht, ihr einheitliches Ganzes an viele zerteilt und durch die innigste Vereinigung des Verteilten mit dem Wesen der Empfänger auch diese zu vollendeten Teilnehmern an diesem Mysterium heiligt. Zeichnet er doch in den erwähnten Zeremonien auf sinnlich wahrnehmbare Weise gleichsam ein Bild des geistigen Lebens unserer eigenen Seelen, da er uns Jesus Christus vor Augen hält: denn so ist Christus selbst aus dem Dunkel der Gottheit vollständig und unvermischt ein Mensch gleich uns geworden, so hat er aus Liebe zu den Menschen eine Gestalt unserer Natur angenommen. So ist er, ohne eine Veränderung zu erleiden, aus dem, was der göttlichen Natur nach Eines ist [ein Unendliches], in das geteilte [endliche] Wesen unserer Natur hervorgetreten. Und nur durch diese werktätige Liebe zu den Menschen hat er unser Geschlecht zur Gemeinschaft mit sich selbst und mit seinen Gütern berufen. Die Voraussetzung ist, daß wir durch eine möglichst treue Nach­ ahmung Seines Wesens wirklich eins mit seinem göttlichen Leben werden: nur dadurch gelangen wir in Wahrheit zu einer vollkommenen Teilnahme an Gott und dem Göttlichen."

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ZUR MYSTAGOGIE DER MYRONSALBUNG Dionysius spricht davon, dass „die verborgenen und über allem Begreifen wohl­ duftenden Schönheiten Gottes makellos sind und auf geistige Weise nur in den Geistigen sichtbar werden und dass sie die unvergänglichen Tugendbilder in den Seelen als von derselben Gestalt sehen wollen"349. Das genau nachgeahmte gott­ förmige Bild der Tugend350 ist jene geistig wahrnehmbare und wohlduftende Schönheit, die sich beim Hinblicken des Betrachters in diesen selbst einprägt und einformt zum allerherrlichsten Abbild. Άχραντοι γάρ είσιν od τοϋ θεοϋ κρυφίοα καί ύπέρ νοϋν εύώδεις εύπρέπειαι καί νοητώς έμφοάνονται μόνοις τοΤς νοεροΤς όμοειδέϊς εχειν έθέλουσαι τάς κατ’ άρετήν έν ψυχάϊς άπαραφθάρτους εικόνας. Το γάρ της θεοειδούς άρετης άπαράγραπτον εύ μεμιμημένον άγαλμα προς έκεινο το νοητόν και εύώδες άφορών κάλλος ούτως εαυτό τύποι και διαπλάττει προς το κάλλιστον μίμημα. Και καθάπερ έπι των αισθητών εικόνων εί προς τό άρχέτυπον είδος ό γραφεύς άκλινώς είσορά προς μηδέν άλλο των ορατών άνθελκόμενοςή κατά τι μεριζόμενος αύτόν έκέινον οστις έστιτόνγραφόμενον εί θέμις είπέιν διπλασιάσει καί δείξει τόν έκάτερον έν έκατέρω παρά τό τής ούσίας διάφορον, οϋτω τοις φιλοκάλοις έν νώ γραφεϋσιν ή πρός τό εύώδες καί κρύφιον κάλλος άτενής καί άπαρέγκλιτος θεωρία τό άπλανές δωρήσεται καί θεοειδέστατον ίνδαλμα.351 Dionysius benutzt einen Vergleich, den mit einem Maler, der ein Portraitbild anfertigt. Wie der Maler unverwandt und ohne sich durch irgend etwas ab­ lenken zu lassen auf das Urbild hinsieht und jene Person, welche sie auch sei, zum Bild werden lässt und die Wahrheit im Abgebildeten zeigt, das Urbild im Bilde und umgekehrt, ohne Verschiedenheit des Wesens, so schenkt die unabläs­ sige Schau der wohlduftenden und verborgenen Schönheit Gottes jenen, die das Schöne im Nous selbst abzumalen begehren, die Gottesebenbildlichkeit. Dionysius stellt zunächst fest, dass die wohlduftende Schönheit Gottes rein und verborgen ist und nur den Geistigen auf geistige Weise erscheint. Mit dieser Aussage wird der Nous zum Wesensgrund göttlicher Mystagogie erklärt, insofern er selbst aus der gottheitlichen Wurzel der apophatischen Gotteser­ kenntnis neu erwächst. Der Nous, welcher sich im kenotischen Opfer der Gottheit Jesu selbst begründet weiß, nur ihm erscheint der menschgewordene Logos 349 EH IV, 1, 473 B sso DN III, 2, 684 A 351 EH IV, 1, 473 BC: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 148: „Denn die verborgenen und über alle Begriffe wohlduftenden Schönheiten Gottes sind makellos und werden nur geistiger Weise den Geistigen sichtbar und wollen ihre gleichförmigen Abbilder, welche die Tugend in den Seelen erzeugt, unverfälscht be­ wahrt sehen. Denn das nicht [in materiellen Linien] gezeichnete, aber treu nachgeahmte Bild der gottgleichen Tugend prägt und formt sich über dem Hinblicken auf jene geistige und wohlduften­ de Schönheit zum herrlichsten Nachbilde aus. Gleichwie bei den sinnlich wahrnehmbaren Bil­ dern, wenn der Maler unverwandt zum Urbilde hinschaut, ohne sich zu irgend einem andern sichtbaren Gegenstand abziehen oder irgendwie zerstreuen zu lassen, den Gemalten, wer er auch sei, sozusagen verdoppeln und die Naturwahrheit in der Nachbildung und das Original in der Kopie, eines im andern, ausgenommen die Verschiedenheit des Wesens, zeigen wird, so wird auch den Malern im geistigen Sinne, die von Liebe zur Schönheit erfüllt sind, das ununterbroche­ ne und unverwandte Schauen auf die wohlduftende, verborgene Schönheit [Gottes] deren fehler­ loses und ganz gottähnliches Bildnis verleihen."

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selbst in seinem gottheitlichen Glanz. Vergöttlichung bedeutet also, dass sich Gott dem Menschen im Nous und durch diesen selbst offenbart, wodurch dieser zum Mittelpunkt des mystagogischen Heilswillens Gottes selbst wird. Die we­ senschaffende Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit verwirklicht das Heil im Nous als gottheitliche Mystagogie, durch die dem Nous selbst eine neue, unvergängliche Wesenheit »erwächst«. Die „Geistigen", von denen Dionysius spricht, sind die Mysten, in denen sich der Einweihungsweg der inkarnierten Gottheit als Geistwort (verbum men­ tis) der Göttlichen Sophia im Wesen des Nous selbst verkörpert. Der Areopagit macht in seinen tiefsinnigen Ausführungen über die Mystagogie der Myronsalbung deutlich, dass es der Nous des Mysten ist, welcher die Wesen schaffende Intentionalität der Gottheit in seinem Geistwort (verbum mentis) selbst zum Wesen seiner eigenen Einweihung erhebt. Die Anagogie geschieht im Wesen des Nous selbst, indem der Nous die Intentionalität der Gottheit Jesu zur Wesens­ form seines geistigen oder inneren Wortes (verbum mentis) selbst macht. Somit ist der Myste oder „Geistige" der Vollender der wesenschaffenden Energie der Gottheit Jesu selbst. Deshalb kann nur der „Geistige" die wohlduftende Herrlich­ keit Gottes selbst schauen. Denn der Nous des „Geistigen" muss als Vollender göttlicher Offenbarung bereits mystagogischer Wesensgrund der selbstentäu­ ßerten Gottheit Jesu im Nous selbst sein. Von der herrlichen Erscheinung Gottes geht gottheitliche Intentionalität aus. Wir können sogar sagen, dass die Schön­ heit Gottes reine Intentionalität selbst ist, welche sich im Nous als gottheitliches Wesen des Nous selbst verwirklichen will. Die Intentionalität als Wesensform, unter der die Gottheit dem „Geistigen" selbst erscheint, schafft im Nous diesem selbst Wesenheit, die Substanz der Gottesebenbildlichkeit des Nous selbst ist. Somit ist diese intentionale Substanz der selbstentäußerten Gottheit dem »Gei­ stigen« als Wesen göttlicher Mystenschaft gegeben. Daraus aber folgt, dass die »Gottesebenbildlichkeit« vom Nous selbst aktuiert wird als geistige Wesensform, in welcher sich die Gottheit Jesu selbst vergegenwärtigt. Und diese gottheitliche Wesensform, die der Nous des »Geistigen« selbst ist, stellt das unvergängliche Bild des ursprünglichen Menschen dar. Erst aufgrund dieser dem Nous des Mysten von der Gottheit gegebenen ebenbildlichen Wesensform wird der Nous selbst zu jenem bildenden Künstler, der die Intentionalität der Gottheit Jesu in sich selbst zur gottheitlichen Wesen­ heit seines Geistwortes kontrahiert. Εικότως ούν προς την ύπερουσίως εύώδη και νοητήν εύπρέπειαν οί θειοι γραφείς το νοερόν εαυτών άμεταστρέπτως είδοποιοϋντες ούδεμίαν δρώσι των έν αύτοις θεομιμήτων άρετών« Είς το θεαθήναι» κατά το λόγιον «τοις άνθρώποις», άλλ’ ίερώς έποπτεύουσιν ώς έν είκόνι τω θείω μύρω τα τής έκκλησίας ίερώτατα περικεκαλυμμένα. Διό και αύτοί το κατ’ άρετήν ιερόν και θεοειδέστατον είσω τοϋ θεομιμήτου και θεογράπτου νοός ίερώς περικαλύπτοντες προς μόνην άποβλέπουσι τήν άρχέτυπον νόησιν. Ούδέ γάρ άθέατοι μόνον είσίτοις άνομοίοις, άλλ’ ούδ’ αύτοί προς τήν έκείνων καθέλκονται θέαν.352 352 EH IV, 1, 473 C-476 A: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 148/149: „Geziemend üben daher die göttlichen Maler, indem sie ihre Seele nach der überwesentlich wohlduftenden und geistigen Schönheit unablässig umbilden, keine der ihnen eigenen, Gott nachahmenden Tugenden zu dem Zwecke, um, wie die Schrift sagt, von den Menschen gesehen zu werden. Sie betrachten vielmehr in dem göttlichen Myron wie in

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Indem die göttlichen Maler ihren Geist unablässig zur gottheitlichen We­ sensgestalt des Nous selbst bilden, üben sie ihre gottbildende Fähigkeit nicht deswegen aus, um von den Menschen dabei gesehen zu werden, sondern sie schauen im göttlichen Myron das Heiligste durch die Verhüllung des Symbols. Dionysius möchte damit sagen, dass die sakramentale Symbolik allein von der göttlichen Mystenschaft des Nous selbst implementiert, ikonographisch gebildet und ins Dasein gerufen wird.353 Das sakramentale Symbol ist dem Uneingeweih­ ten nicht von Nutzen, weil das Auge nur sieht, was der Geist schon an göttlicher Einweihung erfahren hat, was er in sich selbst schon als Gestalt seines eigenen erleuchteten Wesens geschaut hat. Erst solche Schau ist »Epoptie« im Verständ­ nis der areopagitischen Arkan Wissenschaft.354 Ούκοϋν ή τοϋ μύρου συμβολική σύνθεσις ώς έν μορφώσει των άμορφώτων αύτόν ήμιν ύπογράφει τον Τησοϋν πηγάϊον οντα των θείων εύωδών άντιλήψεων όλβον άναλογίαις θεαρχικαις είς τα θεοειδέστατα των νοερών άναδιδόντα τούς θειοτάτους άτμούς, έφ’ οίς οί νόες εύπαθώς ήδόμενοι και των ιερών άντιλήψεων άποπληρούμενοι τροφή νοητή χρώνται τή προς το νοερόν αύτών είσδύσειτών κατά θείαν μέθεξιν εύωδών διαδόσεων.355 Dies macht Dionysius klar, wenn er davon spricht, wie die Symbolbildung als Gestaltung des Gestaltlosen uns Jesus selbst als die reiche Quelle der von uns empfangenen göttlichen Wohlgerüche [Dionysius meint die Charismen] vor Au­ gen führt und wie Jesus gemäß der anagogischen Wesensstruktur des Nous die­ sen selbst mit göttlichsten Düften durchströmt, von denen die Geister voller Ent­ zücken und Verlangen und erfüllt von dem Empfang der heiligen Mitteilungen geistige Nahrung genießen, da die mitgeteilten Wohldüfte aufgrund göttlicher Teilhabe in das Wesen des Nous selbst eindringen. Ούκοϋν ή θειοτάτη των ύπερουρανίων ούσιών τάξις ούκ ήγνόηκε τον θεαρχικώτατον Τησοϋν είς το άγιάζεσθαι κατεληλυθότα, νοεί δε αύτόν ίερώς έν τοις καθ’ ήμάς εαυτόν ύφέντα διά θείαν και άρρητον άγαθότητα, και προς τοϋ πατρός έαυτοϋ τε και τοϋ πνεύματος άνθρωποπρεπώς άγιαζόμενον όρώσα τήν οίκείαν οίδεν αρχήν, έν οίς άν θεαρχικώς δρά, το κατ’ ούσίαν άναλλοίωτον εχουσαν. 'Όθεν ή των ιερών συμβόλων παράδοσις άγιαζομένω τω θείω μύρω τούς Σεραφιμ περιίστησιν άπαράλλακτον είδυια και διαγράφουσα τον Χριστόν έν τή καθ’ ήμάς ολική προς άλήθειαν ένανθρωπήσει.356

einem Gleichnis die Verborgenheit der heiligsten Geheimnisse der Kirche. Deshalb verhüllen sie auch selbst das heilige, gottähnlichste Tugendbild in heiliger Zurückhaltung innerhalb ihres Gott wi[e]derspiegelnden und nach Gott gebildeten Innern und schauen nur auf die eine, urbildliche Intelligenz. Wie sie aber selbst den profanen Blicken entrückt sind, so werden sie auch ihrerseits nicht zum Schauen der niedrigen Dinge hingezogen.” 353 EH II, 3, 400 A 354 EH IV, 473 B 355 EH IV, 4, 480 A: W. Tritsch [Übers.], KH, S. 209: „So zeigt uns die Zusammensetzung des Myron, gemäß ihrem sinnbildlichen Charakter, gleichsam in Gestaltung des Gestaltlosen, wie Jesus selbst die reichste Quelle aller göttlichen Wohlgerüche ist, und wie er nach urgöttlichen Maßverhältnissen in jene Seelen, die dem Göttlichen durch ihre Reinheit am nächs[t]en kommen, das Göttlichste verströmt, ungreifbar und unsichtbar, und köstlich allgegenwärtig wie der Duft jenes heiligen Öles. Das er­ füllt und entzückt die ihm rein hingegebenen Geister, voll heiligster Empfindungen genießen sie diese unsichtbare Labung, und der in göttlicher Teilnahme gespendete Wohlgeruch tritt ins Inne­ re, in den geistigen Teil ihres Wesens." 356 EH IV, 10, 484 A:

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Daher hat die göttlichste Ordnung der Engelswesen sehr wohl Kenntnis davon, dass Jesus, der Urgrund unserer Vergöttlichung, zum Zwecke der Heili­ gung für uns Mensch geworden ist. Sie weiß, dass er aus der Unermesslichkeit seiner göttlichen Güte unsere menschliche Natur angenommen hat. Und indem sie schaut, wie er von seinem Vater und vom Heiligen Geiste nach Art des Men­ schen geheiligt ist, erkennt sie zugleich, dass der ihm eigene Ursprung in dem, was er selbst zur Vergöttlichung des Menschen vollbringt, die Unveränderlich­ keit der göttlichen Wesenheit besitzt. Deshalb umgibt die Überlieferung von den heiligen Symbolen das geweihte göttliche Salböl mit den Seraphim, wohl wissend und durch das Symbol andeutend, dass Christus in seiner Annahme der ganzen Wirklichkeit unserer menschlichen Natur dennoch ganz Gott blieb. Dionysius lässt die in „De caelesti hierarchia" entfaltete Lehre von der mystagogischen We­ sensstrukturierung des durch die Gottheit Jesu eingeweihten Nous (hierarchia mentis) unmittelbar in der sakramentalen Wirklichkeit der Myronsalbung wirk­ sam werden. Mit der Engelsordnung der Seraphim wird das höchste Vermögen in der Erkenntnis- und Wesensstruktur des erleuchteten Nous bezeichnet. Dio­ nysius schildert die Erkenntnispotenz der seraphischen Engel als Synapse, wel­ che durch die Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit die Erkenntnis­ struktur des Nous Jesu im Mysten selbst empfängt357. Es ist der „süße Wohlgeruch"358 der gottheitlichen Intentionalität Jesu, der die seraphische Potenz im Nous und mit dieser die mystagogische Wesensstruk­ turierung am Nous hervorruft. Und dieses höchste, seraphische Vermögen des Nous bewegt, wie Dionysius sich auszudrücken beliebt, die gottheitliche Inten­ tionalität dazu, sich als Wesensform des erleuchteten Nous in diesem selbst zu verwirklichen359. Wenn der Hierarch bei der Taufe das Myron kreuzförmig in das J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 159: „Daher ist die göttlichste Ordnung der überhimmlischen Wesen nicht in Unkenntnis über den urgöttlichsten Jesus geblieben, daß er nämlich zum Zwecke der Heiligung herniedergestiegen ist. Sie weiß, daß er in seiner göttlichen und unaussprechlichen Güte heilig zu unserer Niedrigkeit sich herabgelassen hat. Und wenn sie sieht, daß er von seinem Vater und vom heiligen Geiste nach menschlicher Art geheiligt wird, so weiß sie doch, daß er in allen seinen urgöttlichen Handlungen seinen eigenen Ursprung hinsichtlich der Wesenheit un­ verändertbewahrt. Deshalb stellt die Überlieferung des symbolischen Ritus die Seraphim um das konsekrierte göttliche Myron, indem sie Christus in der unserer Natur vollständig entsprechen­ den, wahrhaften Menschwerdung als unveränderlich erkennt und anschaulich vorführt.” 357 Thomas Gallus, Explanatio super Eccles. Ierarch. IV, S. 875/6: Et hoc estquod scribit: ETENIM RADIUS SANCTISSIMORUM, id est diuinum lumen radians mentibus sub figuris crismatis et aliorum sacramentorum, ELVCENS INTELLIGIBILITER [alia translatio habet "inuisibili luce”], MUNDE, absque obfuscatione sensibilium umbrarum, ET IMMEDIATE, id est per se ipsum quia unitiue, DIVINIS, id est spiritualibus et contemplatiuis, VIRIS SICVT sibi COGNATIS, id estfamiliaribus et coniunctis, ET FACIENS INTELLECTUALES, id est intimas, SVSCEPTIONES Dei in ordine Thronorum mentis BENE OLERE spirituali suauitate INCIRCVMVELATE, id est nullo uelamine interposito, per immediatam experientiam. Qui enim ad radium superiorem intellectualiter et superintellectualiter per unitiuam contemplationem exercentur, diligenter diuina lumina non solum intellectualiter discendo sed et affectualiter patiendo cognoscunt, sicut sensibiles pulcritudines, dulcedines, suauitates, leuitates et consonantias per earum imitationes, quas patiendo suscepimus, cognoscimus dum sensibiliter experimur. Vnde DN 2u de Ierotheo: "ex quadam doctus estdiuiniore inspiratione, non solum discens sed etpatiens diuina etc. usque: unionem”. 358 Thomas Gallus, In Cant, ed. J. Barbet, S. 122/3. 359 EH IV, 9, 481 D: Edith Stein [Übers.], GA 17, S. 221: „Denn jenes Wesen, dessen süßer Duft kein Herz fassen kann, liebt es, sich von glühenden und reinen Herzen zur Offenbarung Seiner selbst auffordern zu las­ sen und Seine göttlichsten Eingebungen in seligen Ausspendungen jenen zuzuwenden, die es auf so überirdische Weise einladen.”

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Taufwasser gießt, so führt er uns geistig vor Augen, wie Jesus für unsere göttli­ che Wiedergeburt sich bis in seinen Tod am Kreuz erniedrigte und durch diesen göttlichen und unbezwingbaren Hinabstieg diejenigen, welche — nach dem ge­ heimen Wort der Schrift — in seinen Tod getauft sind, vom einstigen Fall in den Verderben bringenden Tod befreite und zu einem gotterfüllten und ewigen Le­ ben erneuerte. Die Ausschüttung der wohlriechenden gottheitlichen Wesenheit, welche in der unsagbaren Kenosis Jesu geschieht, ist Wirklichkeit des sich selbst gekreuzigten Menschen, durch die der Nous in seinem neuen, gottheitlichen Sein wiedergeboren wird. Und dieses gottheitliche Sein des Nous ist das diesem er­ wachsende gottheitliche Wesen selbst. Dass der Nous den Tod an sich selbst als heilbringend erfährt, verdankt er der gottheitlichen Intentionalität Jesu, welche sich im geistigen Wort des Nous (verbum mentis) selbst »wesenschaffend« ver­ wirklicht. In diesem Geistwort des von der Gottheit Jesu selbst eingeweihten Nous360 allein erfüllt sich die gottheitliche Seinswerdung des Nous im Lichte der apophatischen Gotteserfahrung. Denn dieser entströmt das duftende Myron der selbstentäußerten Gottheit, durch das der Nous mit der Mystenschaft Jesu gehei­ ligt ist und selbst gottheitliches Sein besitzt. A καί τής ιεράς θεογενεσίας ή τελεσιουργός δωρεά καί χάρις έν τοις τοϋ μύρου τελείται θειοτάταις τελειώσεσιν. 'Όθεν ώς οίμαι κα! τω καθαρτικω βαπτιστηρίω το μύρον έν σταυροειδέσι βολαΤς έττιχέων ò ιεράρχης ύττ’ οψιν άγει τοις θεωρητικοις όφθαλμοις άχρις κα! αύτοϋ θανάτου διά σταυρού τον Τησοϋν ύπέρ τής ήμών θεογενεσίας καταδυόμενον αύτή τή θεία κα! άκρατήτω καθόδω τούς είς τον θάνατον αύτοϋ κατά τό κρύφιον λόγιον βαπτιζομένους έκ τής τοϋ φθοροποιού θανάτου παλαιάς καταπόσεως άγαθοπρεπώς άνασπώντα κα! άνακαινίζονταπρός ενθεον κα! αιώνιον ϋπαρξιν.361 Da durch die „wohlduftende Wesenheit" (εύώδης ούσία) die »wesenschaf­ fende Intentionalität« der selbstentäußerten Gottheit Jesu bezeichnet wird, kann Dionysius mit Recht darauf verweisen, dass sie das sakramentale Symbol schlechthin begründet. Denn sie stellt das konsekrative und symbolbildende Vermögen dar, welches dem inneren Wort (verbum mentis) der Mystenschaft Jesu entspringt. „Und was noch göttlicher ist: Sie benützt zu jeder Weihe heiliger Dinge die göttliche Salbe, um nach der Heiligen Schrift augenscheinlich zu zeigen, wie Der, der das zu Heiligende heiligt, immer sich selbst gleich und in allem Wir­ ken der göttlichen Güte derselbe ist. Darum wird auch die vollkommenheitwir­ kende Gabe und Gnade der göttlichen Wiedergeburt mit Hilfe der Weihe der göttlichen Salbe vollzogen."362 Dionysius verweist nun auf die Altarweihe, für die das Myron notwendig ist, und betrachtet diesen kirchlichen Ritus zugleich in der Zurückführung auf dessen mystagogische Erfahrungsanalogie in der gottheitli­ chen Wirklichkeit des erleuchteten Nous. Die »Schau« (θεωρία) der sakramenta­ lò

360 EH IV, 10, 484 A 361 EH IV, 10, 484 B: J. Stiglmayr [Übers.], KH, S. 159/160: „Deshalb wird auch die vollendende Gnade und Gabe der heiligen Geburt aus Gott unter den göttlichsten Weihungen vermittels des Myron vollzogen. Das ist nach meinem Dafürhalten auch der Grund, weshalb der Hierarch das Myron in kreuzesförmi­ gen Aufgießungen in den reinigenden Taufbrunnen schüttet, um dem betrachtenden Auge näm­ lich zu zeigen, daß der für unsere Geburt aus Gott bis in den Tod des Kreuzes hinabgetauchte Jesus gerade durch sein göttliches und siegreiches Hinabsteigen diejenigen, welche nach dem geheimnisvollen Schriftworte in seinen Tod getauft sind, aus dem alten Schlund des verderbli­ chen Todes in Güte emporhebt und zu einem gotterfüllten, ewigen Dasein neubelebt." 362 Edith Stein, Wege, S. 221.

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len Symbolik setzt deren Reduktion zum Zeichen mystagogischer Erfahrungs­ wirklichkeitvoraus, welche im Nous des Eingeweihten gründet. El γάρ έστι το θειότατον ημών θυσιαστήριον Τησοϋς, ή θεαρχική των θείων νοών άφιέρωσις, έν φ, κατά το λόγιον, άφιερούμενοι και μυστικώς όλοκαυτούμενοι τήν προσαγωγήν εχομεν, ύπερκοσμίοις όφθαλμοΤς έποπτεύσωμεν αύτό το θειότατον θυσιαστήριον, έν φ τα τελούμενα τελείται και αγιάζεται, προς αύτοϋ τοϋ θειοτάτου μύρου τελούμενον. Αγιάζει γάρ ύπέρ ήμών εαυτόν ò παναγιώτατος ’Ιησούς και πάσης ήμάς άγιαστείας άποπληροι των έπ’ αύτφ τελουμένων οίκονομικώς είς ήμάς ώς θεογεννήτους λοιπόν άγαθουργικώς διαβαινόντων.363 Die Symbolik der Altarweihe wird nur in der Schau des symbolbildenden Nous des Eingeweihten Jesu diesem selbst offenbar. Denn die anagogische Ein­ sicht in die Erfahrungsanalogie des geistigen Zeichens setzt die Unmittelbarkeit gottheitlicher Mystenschaft im Nous voraus, durch die dieser sich selbst als Ur­ heber der sakramentalen Symbolbildung begreifen kann. Das sakramentale Symbol wird dem Nous selbst eingeschrieben. Die Einwohnung Jesu im Nous des Mysten, durch die Jesus diesem zum göttlichsten Altar wird, bedarf der gottes­ ebenbildlichen Wesenheit, welche dem Nous durch die kenotische Intentionalität Jesu im »Geistwort« (verbum mentis) selbst erwächst. Das ganzheitliche Selbst­ opfer des Nous muss sich im geistigen Wort vollziehen, das aus der wesenschaf­ fenden gottheitlichen Intentionalität Jesu selbst hervorgeht. Das ganzheitliche Selbstopfer, von welchem der Areopagit spricht, ist jene »Wesenbildung« selbst, welche die wesenschaffende Intentionalität der Gottheit Jesu am Nous selbst verwirklicht. Und im geistigen Wort des Nous macht sich die Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit selbst zum Ursprung der »Gottesebenbildlichkeit« des eingeweihten Nous. Denn durch diese Wesenbildung am Nous ist die gottheitliche Mystenschaft des Nous selbst bereits begründet. Diese mystagogische Wesens­ bildung am Nous durch die Gottheit des selbstentäußerten Logos im »Geistwort« des Nous selbst, welches geistige Wesensform gottheitlicher Intentionalität selbst ist, begreift die ganze mystagogische Selbstwirklichkeit Jesu im Nous des Eingeweihten in sich. Durch diese gottheitliche Wesensbildung am Nous, die als »Geistwort« dem Nous selbst erwächst, wird Jesus selbst zum wahren und einzi­ gen Ursprung der gottheitlichen Mystenschaft des Nous.

ZUR SYMBOLTHEORIE DES 9. BRIEFES Die Mystagogie des Dionysius ist kein Kommentar zur Göttlichen Liturgie oder zu anderen Sakramenten. Sie handelt nicht von vorgegebenen symbolischen Kult­ 363 EH IV, 12, 484 D-485 A. W. Tritsch [Übers.], KH, S. 214: „Denn wenn unser göttlichster Altar Jesus ist, er selbst, die urgöttlichste Heiligung aller göttlichen Geister, und wenn wir nach dem Worte der Schrift nur durch ihn geheiligt werden und nur durch ihn zu mystischen Brandopfern geworden, nur durch ihn den Zutritt erlangen: dann dürfen wir so auch — mit den Augen des Geistes, die nicht dieser Welt verhaftet sind — den göttlichsten Altar betrachten, auf welchem ja alles, was Weihe empfängt, geweiht und geheiligt wird. Denn auch er empfängt durch das gött­ lichste Myron des Geistes die heilige Weihe. So heiligt der allerheiligste Jesus sich selbst für uns und erfüllt uns mit jeglicher Heiligung, und die in ihm vollzogenen Geheimnisse der Erlösungstat erstrecken fortan auch auf uns ihre Heilswirkung: auf uns als die heilig aus Gott wiedergebore­ nen Kinder.”

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formen, die durch eine Hermeneutik des „geistigen" Sinnes zu erschließen sind. Eine Theologie, die ihr spirituelles Potential aus der Kommentierung der liturgi­ schen Formensprache schöpft, darf denn auch als Indiz für den Verlust des theosophischen Bewusstseins des Christentums gewertet werden, der sich selbst histo­ risch niedergeschlagen hat in Form eines heidenchristlichen Kultsystems und der für den historischen Niedergang des kirchlichen Christentums wesentlich verantwortlich ist. Damit ist ausgeschlossen, eine mystagogische Begründung des Kultes durch die Gottheit Jesu selbst auch nur ansatzweise zu denken. Und dennoch: Es ist die »christliche Theosophie« des Dionysius, die in der Geltendmachung des prophetischen Erbes des Christentums den Rahmen der reichskirchlichen Kul­ tidee von innen sprengt und den Durchbruch zu einem palingenetischen Ver­ ständnis von Mystagogie schafft, das diese als »Mystenschaft des Nous Jesu selbst« begreift.364 Somit markiert die »christliche Theosophie« des Areopagiten einen histo­ rischen Wendepunkt, der umso folgenreicher ist, wenn man sich bewusst macht, dass die Idee von der Mystagogie Jesu selbst im Nous des Vollkommenen den kirchlichen Kultmythos von der sakramentalen Heilsvermittlung im Kern zer­ stört. Damit aber wird die sakramentale Symbolik selbst frei, um aus dem noetischen Wesensgrund einer Einweihung durch die selbstentäußerte Gottheit des Logos365 neu begründet und begriffen zu werden. Die Tilgung des religiösen Ur­ sprungsmythos im Begriff der Mystagogie meint die Zurückführung der Kultsym­ bolik in die gottheitliche Mystenschaft des Nous Jesu, der damit als Seinsgrund aller anagogischen Wirklichkeit von uns erkannt ist. Der Bruch mit dem kirchlichen Ursprungsmythos, den Dionysius in der Tat vollzieht, verwirft jene falsche Perspektive, in die das sakramentale Verständnis der Kirche historisch geraten ist. Damit aber wird die Frage nach der Begrün­ dung der sakramentalen Wirklichkeit des Symbols neu gestellt und zugleich akut. Neu zu begründen ist der Gotteskult, weil er in seinem mystagogischen Wesen nicht erkannt worden ist von einer „Spiritualität", die sich selbst an der Liturgie als der angeblichen Urform von göttlicher Mystagogie festmacht. Die areopagitische Idee von der unmittelbaren Einweihung des Nous durch die Gottheit Jesu selbst hingegen vermittelt uns ein völlig anderes Bild von Mystagogie, welches nämlich im monadischen Heilsprinzip des Nous selbst seinen Ursprung hat. Da­ mit aber ist Kirche nicht mehr anders denkbar denn als Ekklesiogenese der »Mysten Jesu«366. Diese Denkbarke it ist zugleich die einzige Legitimität von Kirche im theosophischen Licht der Gottheit. Die Kultsymbolik kann daher nur aus der hierurgischen Kompetenz des Geistwortes im Nous Jesu367 selbst begriffen wer­ 364 DN VII, 3,872 B DN VII, 4,873 A 365Meister Eckhart, Sermo Vili: , in: Meister Eckhart, Die lateinischen Werke, Bd. 4: Sermones, hrsg. und übers, von E. Benz, B. Decker und Joseph Koch, Stuttgart 1956, S. 88: Quia gaudium illud, ut multiplicetur in anima et illabatur mediante gignitione verbi, semper novum est, secundum pertracta Apoc. 21: 'ecce nova facio omnia’; Eccl. 24: 'qui bibunt me, adhuc sitient’. Tarnen Joh. 4: 'qui biberit ex aqua, quam ego dabo ei, non sitiet in aeternum’. Und von jener Freude heißt es zuvor (S. 87], dass sie „die Kräfte alles Geschaffenen übersteigt": Ubi die gaudium illud est super vires omnis creati, sed oportet intellectum habentem spiritum sanctum in se illud suscipere gaudium in se. Unde 'in lumine tuo videbimus lumen’. 366 DN III, 2, 681 D DN II, 4, 640 D 367 DN I, 8, 597 A

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den. Im Lichte dieser palingenetischen Rechtfertigung des Gotteskultes368 er­ scheint die areopagitische Lehre vom Wesen des sakramentalen Symbols als von der Göttlichen Weisheit369 selbst eingegeben. Daher macht der Bezug auf Prov. 9, 1-6 guten Sinn. Hier findet Dionysius das prophetische Zeugnis von der Einset­ zung des eucharistischen Mahles durch die Göttliche Sophia vor. Dionysius nimmt nicht Bezug auf die Einsetzung des eucharistischen Mahles durch Jesus Christus, wie sie vom Evangelium [Matth. 26, 26-28] berichtet und von der Anaphora der Göttlichen Liturgie aufgegriffen wird, sondern er beruft sich auf Prov. 9, 1-6, wo von der »Einsetzung des Gastmahles« durch die Göttliche Weis­ heit die Rede ist. Καλώς ούν ή ύπέρσοφος και αγαθή σοφία προς των λογίων ύμνειται κρατήρα μυστικόν ίστώσα και το ιερόν αύτοϋ πόμα προνάουσα, μάλλον δε προ τούτων τας στερεας τροφας προτιθεισα και μετά ύψηλοϋ κηρύγματος αύτή των δεόμενων αύτής άγαθοπρεπώς έφιεμένη.370 Auf diesen prophetischen Topos beruft sich der Areopagit, um das sakra­ mentale Symbol auf die symbolbildende Fähigkeit des Nous in der Mystenschaft Jesu zurückzuführen, in dem zugleich das generative Prinzip der Ekklesiogenese Jesu sich verkörpert. Die Einsetzung des Mahles durch den fleischgewordenen Erlöser im Kreise seiner Jünger, wie sie von der Kulthandlung der Göttlichen Li­ turgie widergespiegelt wird, bedarf selbst der anagogischen Reduktion in die Einweihungswirklichkeit des gottesebenbildlichen Nous, zu welcher sich der gottheitliche Logos selbst entäußert haben muss, damit der Nous symbolbilden­ de Fähigkeit besitzt. Dionysius verweist auf das schöne Lob der Heiligen Schrift, mit dem diese die Göttliche Sophia preist als Urheberin des eucharistischen Kul­ tes. Sophia setzt den mystischen Mischkrug ein zur Ausspendung des heiligen Trankes. Zuvor aber reicht sie auf einem Tisch feste Speise dar. Durch ihre laute Verkündigung zeigt sie, dass sie in ihrer Güte diejenigen anzusprechen begehrt, welche ihrer wirklich bedürfen371. Betrachten wir den Textabschnitt etwas eingehender, so stellen wir fest, dass die Einsetzung des mystischen Kelches und die Spendung der konsekrierten Gaben und die vorausgehende Darbietung oder Vorzeigung des zur Zerteilung vorgesehenen konsekrierten Brotes in einem tiefen mystagogischen Zusammen­ hang mit den Ausführungen des Areopagiten in Kapitel III, 12 von „De eccle­ siastica hierarchia" stehen, worauf hier zweifellos Bezug genommen wird. Das Vorzeigen und das Zerteilen des konsekrierten Brotes, die Spendung des heiligen Trankes aus dem Kelch in der Einheit des darin auf mystische Weise wieder ge­ 368 DN VII, 4, 873 A 369 DN III, 2, 684 A DN VII, 3, 872 B 370 Ep. IX, 3,1109 B. Edith Stein [Übers.], Dionysius Areopagita: Brief IX, GA 17, S. 273: „Treffend wird also in der Hl. Schrift von der überweisen und gütigen Weisheit gesagt, daß sie einen ge­ heimnisvollen Mischkrug aufstelle und seinen hl. Trank ausspende; davor aber lege sie feste Speisen vor und mit erhabener Stimme lade sie freundlich die ein, die ihrer bedürfen." 371 Corpus Hermeticum, tome 1, texte établi par A. D. Nock et trad, par A.-J. Festugière, Paris 2002, S. 50: τον μέν ούν λόγον, ώ Τάτ, έν πάσιτοΐς άνθρώποις έμέρισε, τον δε νοϋν ούκέτι, ού φθόνων τισιν· ò γάρ φθόνος ούκ ένθεν έ'ρχεται, κάτω δε συνίσταται τάϊς τόν νοϋν μή έχόντων ανθρώπων ψυχαΐς. — Διά τΐ ούν, ώ πάτερ, ού πάσιν έμέρισε τόν νοϋν ό θεός; —Ήθέλησεν, ώ τέκνον, τοϋτον έν μέσω τάϊς ψυχαΐς ώσπερ άθλον ίδρϋσθαι. 4 — Καί ποϋ αύτόν ίδρύσατο; — Κρατήρα μέγαν πληρώσας τούτου κατέπεμψε, δούς κήρυκα, καϊ έκέλευσεν αύτω κηρύξαι ταΐς των άνθρώπων καρδίαις τάδε· βάπτισον σεαυτήν ή δυναμένη εις τοϋτον τόν κρατήρα, ή πιστεύουσα ότι άνελεύση προς τόν καταπέμψαντατόν κρατήρα, ή γνωρίζουσα έπιτίγέγονας.

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einten Leibes Jesu, all dies verweist auf die Einsetzung des eucharistischen Mah­ les durch die Göttliche Sophia. Dionysius vollzieht in der »Schau« (θεωρία) des Kult einsetzenden (eu­ charistischen) Wortes Jesu selbst372 eine Zäsur, welche die Reduktion des eucha­ ristischen Geschehens zum geistigen Wort (verbum mentis) des Nous Jesu im Eingeweihten selbst bezeichnet. Und diese Zäsur ereignet sich genau am Schnitt­ punkt der Konsekration, die aus dem Kultablauf der eucharistischen Feier her­ ausgelöst und zugleich zurückgeführt wird in das Geistwort der Mystenschaft Jesu des Nous. An entsprechender Stelle in der „Kirchlichen Hierarchie"373 ist von der Enthüllung des verborgenen und unzerteilten Brotes die Rede, welches dann zerteilt wird. Und wenn Dionysius darauf folgend von der Einheit des Kelches spricht, die allen ausgeteilt wird, so will er damit zum Ausdruck bringen, dass das Opfer Jesu in der Spendung der eucharistischen Gestalten aus der Einheit des Kelches das monadische Heilsprinzip im Wesen des Nous selbst bezeichnet, wel­ ches der alleinige Ursprung von Kirche ist374. Bereits in E.H. III, 12 begegnet uns eine bemerkenswerte Deutung der »Konsekration«, indem nämlich das Brot enthüllt und zerteilt wird und anschlie­ ßend im Kelch seine neue Einheit, seine Einheit im höheren Sinne erfährt. Es ver­ schwindet nach der Zerteilung und geht im Kelch unter, um in Verbindung mit der anderen eucharistischen Gestalt eine neue Einheit zu erlangen als universale Einweihungswirklichkeit Jesu im Geistwort des Nous Jesu, welcher die Wandlung der Gestalten in sich selbst vollzieht.375 Die »Konsekration«, die als fester Bestandteil der liturgischen Ordnung von der areopagitischen »Theoria« nur dunkel angedeutet wird mit den Worten »ιερουργεί τα θειότατα«376, sie wird erst durch die anagogische Schau des eu­ charistischen Kelches als »Einweihungswort« des Nous Jesu im Eingeweihten selbst erfahrbar. Damit ist die theosophische Wirklichkeit der Konsekration selbst dem Kultmythos entzogen, denn der Nous führt die Wandlung der eucha­ ristischen Gestalten allein auf das »Einweihungswort« seiner Mystenschaft Jesu zurück. Im dritten Kapitel des neunten Briefes (Ep. IX, 3) halten wir das spiegel­ verkehrte komplementäre Stück zu E.H. III, 12 in Händen. Dionysius betont, dass die Schrift [mit Referenz zu Prov. 9, 1.] den mystischen Kelch als von der Göttli­ chen Sophia eingesetzt preist. Diese erscheint hier also als die Urheberin des wahren Gotteskultes377. Die Einsetzung der Mystagogie durch die Göttliche Weisheit steht in innigster Verbindung zum Mischkrug. Deshalb nennt Dionysius dieses eucharistische Gefäß mystisch. Am sakramentalen Symbol des Kelches wird die Einsetzung des göttlichen Kultes als Mystagogie Jesu im Wesen des Nous selbst sichtbar. Die Einrichtung des Kultes durch die Göttliche Weisheit setzt voraus, dass diese „sich ein Haus gebaut hat", wie es in Prov. 9, 1 heißt. Und in diesem Haus bereitet die Göttliche Sophia ein Gastmahl, das aus drei Dingen besteht: feste Speise (Brot), Trank (Wein) und Mischkrug. Dionysius sieht in die­ sen drei Symbolen die ganze sakramentale Wirklichkeit des »eucharistischen 372 EH III, 12 373 EH III, 12, 444 A 374 EH III, 12, 444B 375 EH III, 12, 444 AB 376 EH III, 12, 444 A 377 Ep. IX, 3,1109 B

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Geschehens« bezeichnet, insofern dieses allein im Nous des Mysten Jesu begrün­ det liegt. Dem Mischkrug kommt für die Wandlung der beiden eucharistischen Gestalten eine tragende Bedeutung zu. So nimmt das »eucharistische Geschehen« auf ihn allein Bezug, da es aus ihm allein zu erklären ist. Darum handelt Dionysi­ us zuerst von dem Mischkrug als dem mystischen Kelch, der sakramentales Bild der wesenschaffenden Intentionalität der Gottheit Jesu ist, insofern diese im Nous mystagogische Wesenheit des Nous selbst wird. Der Mischkrug, von dem aus und auf den hin die symbolischen Elemente des »eucharistischen Geschehens« selbst zu verstehen sind, ist für Dionysius selbst heiliges Symbol der göttlichen Vorsehung, deren Wesenseigenschaften sich am Symbol des eucharistischen Gefäßes selbst ablesen lassen. Damit wird der Mischkrug in der Exegese des Areopagiten zum mentalen Zeichen der von der wesenschaffenden Intentionalität der Gottheit bereiteten Mystenschaft des Nous Jesu, die als Wesen des Nous selbst zu begreifen ist. Somit ist der Nous des Mysten »intentionale Wesensform der Gottheit selbst«, welche den noetischen Wirklichkeitsgrund der Kenosis Jesu in sich selbst abbildet. Die feste Nahrung im eucharistischen Geschehen bezeichnet Dionysius als sakramentales Symbol der geistigen Vollkommenheit und gottheitlichen Selbst­ wirklichkeit des eingeweihten Nous. Die Sakramentalität des Symbols ist in dem Nous des Eingeweihten selbst verankert, insofern dieser von der wesenschaffen­ den Intentionalität der Gottheit selbst dazu bestimmt ist, in seinem mystagogischen Erkenntnisakt sich als »Wesensform gottheitlicher Identität« zu verwirkli­ chen. Dieser Akt von Einweihungserkenntnis, den der Nous an sich selbst voll­ zieht, setzt voraus, dass der Nous in seiner „natürlichen" Wesenheit erlischt. Denn dieses Erlöschen des Nous an sich selbst ist die vollkommene Leere, in der der Nous durch die wesenschaffende Energie der Sophia Jesu die Wesensbildung seiner gottheitlichen Identität empfängt als allerhöchste Gabe. Deshalb nennt Dionysius die Einweihungserkenntnis des Nous „Bestand habend", „Einheit schaffend", „unteilbar" und „mit (wesenbildender) Fähigkeit ausgestattet". Der mystagogische Erkenntnisakt des Nous unterscheidet sich von der natürlichen Erkenntnis des uneingeweihten Nous darin, dass er »Wesens­ form gottheitlicher Identität im Nous selbst« ist und sich auf den Nous wesenbil­ dend auswirkt. Sie verfügt also über die Fähigkeit zur »Wesensbildung«, durch die der Nous sich als »Wesensform gottheitlicher Identität« zu aktuieren vermag. Der Nous des Mysten wird von Dionysius Areopagita als das von der Gottheit selbst geschaffene »Wesensbild« begriffen, durch das sich das monadische Prin­ zip göttlichen Heils im ursprünglichen Menschen verwirklicht. Die andere eucharistische Gestalt378, welche die Göttliche Sophia bei ih­ rem Gastmahl ihren Jüngern darreicht, ist jener mystische Trank, der die davon Kostenden mit göttlichem Leben erfüllt, mit der reinigenden, nährenden, bele­ benden und bewahrenden Kraft der Gottheit selbst. Dieser Trank bezeichnet als sakramentales Symbol den Zustrom gottheitlichen Lebens, den der Nous des Eingeweihten an sich selbst erfährt. Das Zuströmen ist Eigenschaft der we­

378 Die beiden eucharistischen Gestalten beim Gastmahl der Göttlichen Sophia stehen in einer von Dionysius selbst hergestellten Analogie zur zweifachen Überlieferung christlicher Theosophie, wie sie in Ep. IX (1105 D] beschrieben und von Thomas Gallus in der Paraphrase zum 9. Dionysi­ us-Brief [Ph. Chevallier [ed.] Dionysiaca, Bd. 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, S. 715] ausgespro­ chen wird.

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senschaffenden Intentionalität der Gottheit Jesu selbst379. Es ist die zu allem Vor­ dringen wollende Absicht der Gottheit selbst. Es ist das Einströmen der intentio­ nalen Energie der Gottheit in den Nous des Mysten, wodurch dieser seine »gottheitliche Wesensbildung« an sich selbst erfährt. Dem Nous erwächst durch das Einströmen der Intentionalität der Gottheit selbst »gottheitliche« Wesenheit. Und diese bildet die Grundlage für die Verwirklichung der Mystenschaft Jesu im Nous durch diesen selbst380. Οικοδομούσα δε και ή σοφία οίκον έαυτή λέγεται και έν αύτω και τάς στερεάς τροφάς και τα πόματα και τον κρατήρα προτιθεμένη. ώς είναι τοις τα θεία θεοπρεπώς συμβάλλουσι δήλον, οτι και πρόνοια παντελής έστιν ò τοϋ είναι και τοϋ εύ είναι τα πάντα αίτιος και έπί πάντα πρόεισι και έν τω παντι γίγνεται και περιέχει τά πάντα και αύθις ò αύτός έν τω αύτω καθ’ ύπεροχήν ούδέν έν ούδενι κατ’ ούδέν έστιν' άλλ’ έξήρηται των όλων αύτός έν έαυτω ταύτώς και άϊδίως ών και έστηκώς και μένων και άεί κατά ταύτά και ώσαύτως εχων και ούδαμώς εξω έαυτοϋ γιγνόμενος, ούδέ τής οικείας έδρας και άκινήτου μονής και εστίας άπολειπόμενος' άλλά και έν αύτή τάς ολας και παντελείς προνοίας άγαθουργών και προϊών έπί πάντα και μένων έφ’ έαυτοϋ και έστώς άεί και κινούμενος και ούτε έστώς ούτε κινούμενος, άλλ’ , ώς άν τις φαίη, τάς προνοητικάς ένεργείας έν τή μονιμότητι και τήν μονήν έν τω προνοεϊν συμφυώς άμα και ύπερφυώς εχων.381

379 Ep. IX, 3,1109 D 380 Ep. IX, 1, 1105 C: Μή γάρ οίώμεθα τά φαινόμενα των συνθημάτων υπέρ εαυτών άναπεπλάσθαι, προβεβλήσθαι δε της απορρήτου καί άθεάτου τοΐς πολλοΐς επιστήμης, ώς μή τοΐς βεβήλοις εύχείρωτα είναι τά πανίερα· μόνοις δε άνακαλύπτεσθαι τοΐς τής θεότητος γνησίοις έρασταΐς, ώς πάσαν τήν παιδαριώδη φαντασίαν έπίτών ιερών συμβόλων άποσκευαζομένοις καί ίκανοΐς διαβαίνειν άπλότητι νοϋ καί θεωρητικής δυνάμεως έπιτηδειότητι προς τήν απλήν καί υπερφυή καί ύπεριδρυμένην τών συμβόλων αλήθειαν. Edith Stein [Übers.], ibid., S. 270/271: „Glauben wir also nicht, daß das, was an Zeichen in Er­ scheinung tritt, um seiner selbst willen gebildet ist; es ist vielmehr hingestellt für eine unaus­ sprechliche und für die Menge unsichtbare Erkenntnis, damit das Hochheilige den Ungeweihten nicht leicht zur Hand sei, sondern nur den wahren Liebhabern der Heiligkeit enthüllt werde, die sich freigemacht haben von allen kindischen Vorstellungen bezüglich der heiligen Symbole und fähig sind, durch Einfachheit des Geistes und Tauglichkeit der Schaukraft zur einfachen, überna­ türlichen, über die Symbole erhabenen Wahrheit zu gelangen.” Im Gegensatz zur Übersetzung Edith Steins, die davon spricht, daß der verborgene Sinn der heili­ gen Symbole „nur den wahren Liebhabern der Heiligkeit enthüllt werde”, ist bezeichnenderweise bei Dionysius selbst von den „wahren Liebhabern der Gottheit” die Rede, die aufgrund der gottheitlichen Wesenheit ihres eingeweihten Nous Ursprung der sakramentalen Symbolbildung sind. Auch die Übersetzung A. M. Ritters ist unzureichend, denn dort sind die Eingeweihten „echte Liebhaber des Göttlichen” [S. 110], aber nicht, wie bei Dionysius, wahre Liebhaber »der Gott­ heit«. 381 Ep. IX, 3,1109 C Edith Stein [Übers.], Brief IX, ibid., S. 273: „Es wird aber von der Weisheit auch gesagt, daß sie sich ein Haus baue und darin sowohl feste Speisen als Getränke und den Mischkrug vor­ setze, damit es denen, die göttliche Dinge in ihnen angemessener Weise in Verbindung bringen, klar sei, daß die Vorsehung für alle Dinge der Urheber ihres Seins wie ihres Wohlseins ist, sich auf alles erstreckt und in allem wird und alles umfaßt; und daß Er wiederum in sich selbst ist in ausgezeichnetem Sinne und darum in keiner Weise in irgendeinem Dinge, sondern getrennt ist von allem, Er selbst in sich selbst auf dieselbe Weise ewig, stehend und beharrend, sich stets im Hinblick auf dasselbe in derselben Weise verhaltend, auf keine Weise aus sich selbst herausge­ hend, niemals seinen heimischen Sitz und seine unbewegliche Wohnung und seinen Herd verlas­ send, sondern in sich selbst alles vollkommene Gute seiner Vorsehung wirkend, zugleich vor­ schreitend zu allem und in sich bleibend, immer stehend und bewegt und doch weder stehend

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In dieser heiligen Auslegung des Gastmahles durch die den Kult im Nous des Mysten begründende Sophia wird Gott, die Ursache alles Guten, wegen des unsagbaren und jenseits menschlicher Vorstellungskraft liegenden Übermaßes seiner Leben spendenden Kraft als trunken bezeichnet. Trunkenheit bei Gott hat man sich nämlich, so Dionysius, zu denken als Übermaß alles Guten, welches be­ reits in der Intentionalität der Gottheit selbst präexistiert. All das Gute, welches Gott aus sich selbst hervorbringt, verweist als Zeichen auf die Gottheit selbst, die sich im Herzen ihrer selbst — im Wort — zur Wesensform gottheitlicher Inten­ tionalität zusammenzieht und darin sich als Ursprung ihrer Wesenheit begreift. Diese »gottheitliche Intentionalität«, welche in das Innerste der Gottheit selbst reicht, begreift die Teilhabe an der göttlichen Natur seitens des Mysten in sich. Sie impliziert also mehr als die bloße Teilhabe an Gottes ungeschaffener Energie. Denn sie stellt die Kraft dar, durch die sich die Gottheit selbst zur Form ihrer trinitarischen Wesensbildung erhebt. Diese »wesenbildende« Eigenschaft der gottheitlichen Intentionalität (Energie)382 wirkt sich in zweifacher Weise aus. Sie ist zum einen zu beziehen auf den theogonischen Prozess der Gottheit selbst und zum anderen auf die heilsge­ schichtliche Wirksamkeit der Gottheit ad extra. Die Leben schaffende Kraft Got­ tes, die im Gastmahl der Göttlichen Sophia selbst manifest wird, steht in Bezug zur intentionalen Wesenskontraktion der Gottheit »im Logos«, der somit inten­ tionaler Erkenntnisgrund der Wesensbildung in der Gottheit selbst ist. Da der Logos die Wesensbildung der Gottheit selbst intentional in sich zu­ sammenfasst und auf sich selbst als gottheitliche Wesensform bezieht, ist die Offenbarung alles Guten und alles Heil an die Selbstentäußerung des gottheitli­ chen Logos selbst geknüpft. Und diese Kenosis des Logos entfaltet erst in der Mystenschaft des Nous ihre wesenschaffende Intentionalität, indem der Nous des Eingeweihten Jesu selbst Akt seiner gottheitlichen Wesensbildung ist383. Denn diese gottheitliche Wesensbildung, welche der Nous des Mysten an sich selbst aktuiert, lässt diesen teilhaben an den göttlichen Heilsgütern. Diese sind geistige Zeichen, dass der Nous wirklich teilhat an der Natur der Gottheit und nicht bloß an der ungeschaffenen Energie Gottes. Die Symbolik von der Trunkenheit und dem Außersichsein (Ekstase) Got­ tes bezieht sich auf die Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit, insofern diese zum Ursprung göttlicher Mystenschaft im Nous selbst wird. Mit der Trun­ kenheit beschreibt Dionysius jenes Übermaß vergöttlichender Kraft, die dem Logos als Form der wesenschaffenden Intentionalität der Gottheit selbst zu­ kommt. Indem der Logos zum Erkenntnisgrund wird, in den sich die Gottheit selbst intentional zusammenzieht, um sich darin wesenbildend selbst zu fassen, erwächst ihm selbst ein Übermaß an Kraft von göttlicher Güte. Diese Kraft ist das gottheitliche Vermögen (δύναμις), das der Kenosis des Logos selbst zugrunde liegt. Mit dem Außersichsein Gottes hingegen bezeichnet Dionysius die Selbst­ entäußerung des Logos, durch welche dieser sich außerhalb seiner Gottheitlichkeit in der menschlichen Natur als Gott neu begründet. Somit geht aus beiden noch bewegt, sondern sozusagen sein Vorsorgen-Wirken im Beharren und sein Beharren im Vorsorgen zugleich naturgemäß und übernaturgemäß habend." 382 Hermès Trismégiste: Corpus Hermeticum, tome I, S. 51: ή μέν ούν [ενέργεια] τοϋ κρείττονος αϊρεσις ού μόνον τω έλομένω καλλίστη τυγχάνει τον άνθρωπον άποθεώσαι, άλλα κα'ι την προς θεόν ευσέβειαν έπιδείκνυσιν' 383 Ep. IX, 5,1112 C

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theosophischen Aspekten des Logos — als des Erkenntnisgrundes der wesenbil­ denden Intentionalität der Gottheit selbst — die beide einende Idee von der gottheitlichen Mystagogie Jesu im Nous des Eingeweihten selbst hervor. Από δή τούτων όρμώμενοι και τα έν τή βασιλεία τοϋ θεού των οσίων συμπόσια κατά τον αύτόν έκληψόμεθα τρόπον. Παρελθών γάρ, φησίν, αύτός ò βασιλεύς κατακλινεΤ αύτούς και αύτός «διακονήσει αύτοις». Εμφαίνει δε ταϋτα κοινήν τινα και όμονοητικήν των αγίων έπί τοις θείοις άγαθοϊς κοινωνίαν και έκκλησίαν «πρωτοτόκων άπογεγραμμένων έν ούρανοις» και πνεύματα δικαίων πάσιν άγαθοϊς τετελειωμένα και πάντων άγαθών άποπεπλησμένα. Και την άνάκλισιν άνάπαυλαν οίόμεθα των πολλών πόνων και ζωήν άπήμονα και πολιτείαν ενθεον έν φωτι και χώρα ζώντων, άπάσης εύπαθείας ίεράς άναπεπλησμένην και παντοδαπών και μακαρίων άγαθών άφθονον χορηγίαν, καθ’ ήν εύφροσύνης άπάσης άναπίμπλανται, τούτου δή τοϋ εύφραίνειν Ίησοϋ και άνακλίνοντος αύτούς και διακονοϋντος και τήν αίωνίαν άνάπαυλαν δωρουμένου και τήν άποπλήρωσιν τών καλών διανέμοντος άμα και έπιρρέοντος.384 Indem der Myste von der wesenbildenden Intentionalität der Gottheit Je­ su im Nous selbst in Bewegung versetzt wird, vermag er das Gastmahl der Heili­ gen im Reich Gottes wirklich zu verstehen. Denn der Nous des Eingeweihten be­ greift sich selbst als das wesenbildende Prinzip gottheitlicher Intentionalität, durch das sich die Mystenschaft Jesu im Nous selbst als der eschatologische Sinn und Ursprung von Kirche offenbart. Der Nous der Mystenschaft Jesu ist einzig denkbarer Ursprung von Ekklesiogenese. Die eschatologische Heilsgemeinschaft, wie sie sich durch die Ekklesiogenese der Mystagogie Jesu im geistigen Men­ schen selbst verwirklicht, bedeutet das Ende des kirchlichen Kultmythos und zugleich die Wiedererinnerung des theosophischen Erkenntnisprinzips des Chri­ stentums selbst, weil nur durch dieses sich das Christentum selbst als Liebesgemeinschaft erweisen kann, in welcher der König selbst jeden einzelnen Mysten zum Mahle bittet und ihnen allen dienstbar ist.

384 Ep. IX, 5,1112 D Adolf Martin Ritter [Übers.], Brief IX, in: Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die Mystische Theo­ logie und Briefe, Bibliothek der Griechischen Literatur [BGL], Band 40, Stuttgart 1994, S. 114/115: „Dies als Ausgangspunkt nehmend, werden wir in derselben Weise auch die Festmäh­ ler der Heiligen in der Gottesherrschaft verstehen. Es heißt ja, der König selbst werde erscheinen, sie sich lagern lassen und «ihnen aufwarten» [Lk 12, 37; vgl. Joh 13,1-17]. Es zeigt das gewisser­ maßen eine gemeinsame und einträchtige Teilhabe der Heiligen an den Gütern Gottes an, die «Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind» und die «Geister» der in allem Guten «vollendeten Gerechten» [Hebr. 12, 32], erfüllt mit allen Gütern. Und das sich Lagern halten wir für das Ausruhen von vielen Mühen, ein Leben ohne Leid, für gottbegeisterten Wandel im Licht und im Lande der Lebendigen, angefüllt mit aller geheiligten Freude, für verschwenderi­ sche Gewährung gesegneter Güter aller Art, durch die man mit allem [nur denkbaren] Frohsinn erfüllt wird. Der aber der Grund dieser ihrer Freude ist, ist Jesus; er ist es, der sie sich lagern läßt, ihnen aufwartet, die ewige Ruhe beschert, ihnen zu gleicher Zeit die Sättigung mit den Gütern zuteilt und auf sie überströmen läßt.”

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ZUSAMMENFASSUNG De coelesti hierarchia Die »Epiklese Jesu« von CH I, 2 stellt Christus in den Mittelpunkt als Prinzip aller göttlichen Mystagogie, durch das wir Zugang haben zum Vater. Die Engel sind himmlische Geistwesen, die der Mystenschaft Jesu im Nous des Eingeweihten dienen. Jesus selbst wird das „väterliche Licht" genannt. Bei Dionysius fließt die Mystagogie als göttliche aus der kenomatischen Wesenspräsenz Jesu im Nous, in deren Licht der gottförmig gewordene Nous die Bildung des sakramentalen Symbols vollzieht. Dies hat äußerste Konsequenzen für die Spiritualität, da die sakramentale Symbolik allein durch den »Gott in sich fassenden« Nous ihre Be­ gründung und konsekrative Rechtfertigung erfährt. Die Idee der areopagitischen Mystagogie ist Rückführung der sakramentalen Symbolbildung in die vom Göttin sich fassenden Nous selbst verwirklichte gottheitliche Wesenspräsenz Jesu. Die Neubegründung des geistigen Wesens des Nous durch die göttliche Mystenschaft stellt das eigentliche »eucharistische Geschehen« dar, in welchem sich der Nous ganz im Lichte der Selbstwirklichkeit Jesu selbst erschaut und sich seiner Einweihung selbst bemächtigt. Mit der »Hiérarchisation« des Nous ver­ bunden ist die Offenbarung der Engelshierarchien in ihrer Zu-Ordnung auf den Gott in sich fassenden Nous des Mysten. Die Engelsordnungen offenbaren sich dem Eingeweihten, weil sie diesem dienen im Spiegel der mystagogischen We­ sens-Struktur des illuminierten Nous. Sie sind zu deuten im Spiegel des sich in der Wesensgegenwart Jesu selbst schauenden und sich mystagogisch selbst aktuierenden Nous. Der Begriff μεταβολή ist im Sinne einer solchen Neubegründung zu begreifen, die der menschliche Nous durch die Erleuchtung an sich selbst er­ fährt. Die sich im Menschen ganzheitlich rekapitulierende mystagogische Kom­ petenz der Engel bildet den Kern der areopagitischen Ausführungen über die himmlischen Hierarchien. Das Symbol wird von Dionysius als „Vorhang" oder „Verhüllung" bezeichnet. Es verbirgt, worauf es verweist. Es selbst muss zurück­ geführt werden auf seinen mystagogischen Ursprung im Gott in sich fassenden Nous des Eingeweihten Jesu. Das Symbol muss in einen konsubstantialen Bezug zur mystagogischen Gegenwart Jesu gesetzt werden, wenn es in den sakramenta­ len Rang von Wirklichkeit erhoben werden soll. Der sich in seiner mystagogi­ schen Kompetenz und seinen Seelenkräften neu fassende und erfahrende Nous wird von Dionysius als Spiegel und zugleich als Ursprung der Symbolbildung der geistigen Engelsordnungen begriffen. Die Bestimmung der »Hierarchie« durch den Areopagiten meint nichts anderes als die göttliche Einweihung in die Wesens-Struktur und die WesensTätigkeit des sich in seiner Mystenschaft Jesu selbst schauenden und vergegen­ wärtigenden Nous. Die Wesensgegenwart Jesu fasst sich in der illuminierten und neu begründeten Wesensstruktur und Wesenstätigkeit des Nous durch diesen selbst. Der durch das Licht Jesu hierarchisierte Nous schaut sich als Wesensbild der kenomatischen Wirklichkeit der selbstentäußerten Gottheit Jesu, aus dem der Prozess der sakramentalen Symbolbildung selbsttätig hervorgeht. Nicht zu­ fällig bezeichnet Dionysius die Gottförmigkeit des Nous als »Teletarchie«, durch die die Sakramentalität der Kulthandlung als aus der symbolbildenden Tätigkeit des erleuchteten Nous hervorgehend begriffen und auf die Einweihung des Nous durch Jesus selbst zurückgeführt wird. Ziel der Hierarchie nach Dionysius ist die 105

„Bildwerdung Gottes im Wesen des Nous als Form der Einung des Nous mit Gott selbst". Die Symbolik des Kultes kann nur durch die Mystenschaft des Nous Jesu in ihrer Sakramentalität enthüllt und in ihrer Wirkkraft erschlossen werden. Die Engelshierarchien sind Symbol der im Nous der Mystenschaft Jesu neu begrün­ deten Vermögen des Geistes und der Seele. Sie stehen also in einem noetischen Wesensbezug zur Einweihung des Nous durch Jesus selbst. Sie sind Abbild der Wesens-Selbsttätigkeit der »mens hierarchizata«. Mit der Epiklese „Christus mein Eigen" wird das thearchische Zentrum im Mysten selbst als Zeuge angeru­ fen, aus welchem und zu welchem hin sich die Wesenskontraktion und SelbstSchau der »mens hierarchizata« im Licht der Kenosis Jesu vollzieht. Die Theosis als kenomatische Wesensgegenwart oder »Konsubstantiation« der Gottheit Jesu im mystischen Nous lässt das in der engelgleichen Wesensstruktur des Nous ge­ bildete Symbol nicht als Mittel „spiritueller" Unterweisung gelten, sondern einzig als »mentales Zeichen« einer durch Jesus selbst erlangten Mystenschaft. De divinis nominibus Dionysius beginnt seine Abhandlung „Über die göttlichen Namen" (De divinis nominibus) mit dem fundamentalen Verweis auf die Heilige Schrift als Kriterium jeder authentischen Offenbarung des Göttlichen. Dies bedeutet die Ablehnung einer äußerlichen Normativität der Schrift. Das Hauptkriterium der Schrift ba­ siert auf dem Erweis der vom Geist Gottes bewegten Kraft der Mysten, aufgrund welcher diese mit dem Göttlichen geeint sind jenseits der Grenzen menschlicher Vernunfterkenntnis. Das Schriftprinzip der areopagitischen Lehre ist der Nous der Mystenschaft Jesu, durch dessen exegetische Tätigkeit das Wort der Schrift implementiert und zum mentalen Zeichen seiner persönlichen Einweihung »konsekriert« wird. Die Wahrheit des in der Schrift über Gott Ausgesagten kann nur erwiesen werden, indem sie der Theoria des Nous Jesu selbst entnommen wird, ihr zugeordnet wird. Die Namen Gottes als das in der Schrift über Gott Ausgesag­ te erlangen allein durch die Mystenschaft Jesu des Nous ihre Wirklichkeit und Wirksamkeit. Die Nachbildung der Engelshierarchien durch die neue Wesens-Struktur des Nous Jesu erhebt diesen zum Subjekt der engelsgleichen Selbsttätigkeit, die er selbst ist. Deshalb ist der Nous der Mystenschaft Jesu nicht einfach Empfänger von Visionen, welche der „Vermittlung" durch Engel bedürfen. Das Bild von den Engelsordnungen im erleuchteten Nous ist als grundlegende Transformation des Nous durch die Sophia Jesu zu verstehen. Nach Dionysius setzt die geistige Ex­ egese der Heiligen Schrift notwendig die Hiérarchisation des Nous durch die My­ stenschaft Jesu voraus, da diese die mystagogische Befähigung des Nous selbst ist. Die »Thearchie« als der »Ursprung der Vergöttlichung« ist nach Dionysius der Erkenntnisgrund aller gottheitlichen Wirklichkeit, die sich im Nous der My­ stenschaft Jesu selbst verkörpert. Denn in ihr entäußert sich das Wesen der Gottheit zum intentionalen Wesensgrund, durch den der menschgewordene gottheitliche Logos selbst im Nous des Eingeweihten wohnt. In diesem intentio­ nalen Geschehen der Kenosis Jesu erlischt der kreatürliche Nous ganz in sich und wird so zu jenem »gottheitlichen Ursprung« kontrahiert, aus dem der Nous wie­ dergeboren wird als gottförmige Monade, die das ungeschaffene Licht der Gott­ heit in sich birgt. Denn nur so ist seine Vergöttlichung auch seine Wirklichkeit. 106

Nur so ist seine Vergöttlichung auch wirklich. Die »Thearchie« umfasst nicht nur die verschiedenen Ebenen der Gotteslehre, sondern sie führt diese organisch zu­ rück zum intentionalen Wesensgrund der Gottheit im Nous der Mystenschaft Jesu. Inwiefern können die göttlichen Namen, so fragt Dionysius, überhaupt Gegenstand von theologischer Erörterung werden, da die Gottheit gemäß ihrem transzendenten Wesen unnennbar und unerkennbar ist? Müssen die Namen Got­ tes nicht notwendig menschlicher Begriffsbildung entstammen? Die Benennung des Göttlichen ist, so Dionysius, mit Begriffen aus der menschlichen Erfahrungs­ welt dennoch möglich, insofern sie als symbolbildende Tätigkeit des eingeweihten Nous verstanden wird, in welchem Jesus selbst wesenhaft gegenwärtig ist. Der gottförmige Nous ist die Aussetzung aller seiner natürlichen geistigen Ener­ gien, in welcher er aus sich und über sich hinausgeht und sich einführt in die authypostatische Wirklichkeit der selbstentäußerten Gottheit Jesu. Mit dieser ge­ eint erlischt das Wesen des Nous, um aus dem intentionalen Wesensgrund der Gottheit Jesu als neues Wesen dem Nous selbst zu erwachsen. Diese völlig neue Wesenheit wird dem Nous aber nur zuteil, indem er sich als gottheitlichen Ur­ sprung seiner selbst weiß. Ohne diese gottheitliche Ursprungsrelation durch die Mystenschaft Jesu würde dem in der apophatischen Gotteserkenntnis erlosche­ nen Nous kein neues Wesen erwachsen. In diesem seinem neuen, gottförmigen Wesen schaut sich der Nous als im Angesicht der Gottheit Jesu. Erst aus dieser noetischen Bildwerdung der Gottheit im Nous des ursprünglichen Menschen er­ wächst dem Nous jene Dignität konsekrativer Energie, durch die sich die sakra­ mentale Symbolbildung am „Ding" selbst vollziehen kann. Der aus dem intentionalen Wesensgrund der selbstentäußerten Gottheit im erloschenen Nous sich selbst bildende Nous ist die Voraussetzung und Grund­ lage der areopagitischen Lehre von der Dreiteilung der Wesenstätigkeiten des Nous. Es geht um die Zurückführung der Anthropologie in die mystagogische Wirklichkeit Jesu im Nous, nicht um eine Explikation des Wesens des Nous an und für sich. Die Schaffung von Wirklichkeit als die eigentlich göttliche Vollmacht verwirklicht der Nous durch sein Selbstopfer in der Mystenschaft Jesu selbst. Der Nous muss das kenotische Opfer Jesu zu seinem machen, sich in seinem Wesen selbst als Kenoma der selbstentäußerten Gottheit Jesu erfahren, nur so verfügt er über jene Energie, durch die die Materialität der Schöpfung in die Wahrnehmung des erleuchteten Nous eingeführt wird, um durch diese sich selbst als göttliche Epiphanie des Seienden offenbaren zu können. Aufgrund seiner göttlichen Ener­ gie kann der erleuchtete Nous Wirklichkeit auf den verschiedenen Seinsebenen schaffen, auf der Ebene der geschöpflichen Dingwelt als Symbolbildung, auf der Ebene des Denkens als Abstraktion und auf der Ebene der Theoria als Einung mit der Gottheit Jesu im Nous selbst. Die Ikonographie der „Entschlafung der Gottesmutter", wie sie im dritten Kapitel der „Göttlichen Namen" dargeboten wird, ist Chiffre der Ekklesiogenese im Angesicht (πρόσωττον) der Mystenschaft des Nous Jesu. Die Deutung der „Entschlafung" durch den Areopagiten ist Wurzel-Anamnese des apostolischen Verständnisses von Mystagogie. Die Besinnung auf das eigentliche Wesen der Mystagogie nimmt in der Perspektive des großen Dionysius die Form einer uns mit den Aposteln verbindenden Arkanwissenschaft an. Der Ernst einer durch den Nous Jesu gestifteten Arkangemeinschaft aller Mysten jenseits von Raum und Zeit bildet die Grundlage der vom Areopagiten vertretenen prisca sapientia. Es ist 107

eben jene durch die Mystenschaft des Nous Jesu bedingte apostolische Gleichzei­ tigkeit, welche das theologische Rahmenwerk des byzantinischen Kultmythos von innen sprengt. Die Spannung zwischen der Schilderung der einzelnen sakra­ mentalen Kulthandlungen und der »Theoria«, die diesen zugeordnet ist, kann nicht größer sein, wenn man sich klarmacht, dass das Kultsymbol durch die »Theoria« des eingeweihten Nous überhaupt erst in seiner sakramentalen Wirk­ samkeit gebildet wird. Dadurch aber erscheint die zuvor beschriebene Agenda der Kulthandlungen in umgekehrter Perspektive, nämlich als Mythos, der die Ri­ ten der kirchlichen Sakramente ohne die nötige »konsekrative Energie« nicht implementieren kann. Der rituelle Ablauf der Sakramente selbst vermag die Kultsymbolik nicht zu sakramentaler Wirklichkeit und Wirksamkeit zu erheben. Damit aber ist der Ritus selbst erkannt als Mythos, denn ihm fehlt die »konsekra­ tive Vollmacht«, durch die das Symbol in seiner sakramentalen Wirksamkeit al­ lein gebildet werden kann. Im dritten Kapitel von „De divinis nominibus" bezieht sich Dionysius auf seine physische Anwesenheit bei der Entschlafung der Gottesmutter, die in der anamnetischen Struktur der »prisca sapientia« zum reinsten Symbol der My­ stenschaft des Nous Jesu erhoben wird. Alle echte Mystagogie — und eine solche ist nach Dionysius allein die gottheitliche Mystenschaft des Nous Jesu — ist „Schau des Leben zeugenden und Gott empfangenden Leibes" der entschlafenden Gottesmutter. Denn in dieser Schau empfängt der erleuchtete Nous die mystagogische Matrix seines neuen Wesens, das die gottheitliche Intentionalität der Kenosis Jesu in sich selbst verwirklicht. In dieser Wesens(selbst)schau des Nous Jesu im Eingeweihten erkennt Dionysius den Ursprung der Ekklesiogenese, die ihrer göttlichen Bestimmung gemäß »Arkangemeinschaft der Mysten Jesu« ist. De ecclesiastica hierarchia Die Rede des Dionysius an seinen Schüler bildet die Einleitung zur Schrift „Über die Kirchliche Hierarchie" und nimmt das Leitmotiv dieser Abhandlung in den Blick, die Begründung der sakramentalen Symbolbildung durch den sich in sei­ ner Mystenschaft selbst schauenden »Nous Jesu«, welcher der Eingeweihte selbst ist. Es geht um die aus dieser Schau hervorgehende göttliche Erkenntnis, Tätig­ keit und Vollendung der Hierurgie selbst, die mit der Liturgie nicht identisch ist. Die Liturgie bedarf vielmehr der Rückführung in den Prozess der sie erst be­ gründenden sakramentalen Symbolbildung, die ganz »konsekrative Energie« der Wesens-Einwohnung Jesu im Nous selbst ist. Mit dieser Wesensreduktion wird das liturgische Symbol der ihm imputierten „Sakramentalität" entkleidet. Es wird zum Erscheinungsbild ohne mentale Signatur. Das Wort von der Wesensreduktion liturgischer Symbolik bildet den Kern des mystagogischen Gesprächs zwischen Dionysius und dessen Schüler, in dem die Hierurgie exponiert wird als jene Energie des Nous Jesu, welche die sakra­ mentale Bildung des Symbols selbst erst begründet und bewirkt. Diese von Dio­ nysius dargelegte hierurgische Energie des gottförmigen Nous steht im klaren Gegensatz zum kultmythischen Frömmigkeitstypus einer Amtskirche. Der Ein­ führungsrede des Dionysius liegt der Charakter einer theosophischen Argumen­ tation zugrunde, die sich auf eine vorgegebene kirchliche Liturgiepraxis bezieht, welche für sich bereits mystagogische Qualität geltend zu machen versucht.

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Wir können bei der Betrachtung der areopagitischen Mystagogie drei ver­ schiedene Aspekte unterscheiden: 1. Die Mystagogie als Wesensgegenwart Jesu im Nous des Eingeweihten. 2. Die Hiérarchisation als Bestandteil des sich in seinem kenomatischen We­ sen selbst schauenden gottförmigen Nous, welcher in dieser Schau (Theoria) sich in seinem neuen Wesen selbst aktuiert. 3. Der Nous tritt selbst als »konsekrative Energie« nach außen und bildet das Symbol. Dies ist die Geburt des sakramentalen Symbols, das als »mentales Zeichen« die mystische Wirklichkeit des Nous im Bild selbst ge­ genwärtig werden lässt. Hierin erkennen wir zugleich die drei Momente der areopagitischen Seelenlehre, wie sie in DN entfaltet werden. Die Exposition der areopagitischen Mystagogie dient nicht der reichskirchlichen Kultidee, sondern schließt diese aus durch de­ ren Überwindung. Die Beweisführung des Dionysius ist gegen diejenigen in der Kirche gerichtet, die die autonomisierte Kultsprache des kirchlichen Kultmythos selbst für „Mystagogie" halten. Dionysius wendet sich also damit gegen den hi­ storischen Prozess der Verkennung und Verdrängung des Begriffs genuiner Mystagogie, die, wie er selbst betont, in der gottheitlichen Mystenschaft des Nous Jesu selbst besteht. Denn der Nous Jesu ist der unmittelbar von der Gottheit Jesu selbst eingeweihte Nous des Mysten. Die kultmythische Lehre in der Kirche steht für den Abfall von der pro­ phetisch legitimierten Mystagogie der Apostel und aller anderen Mysten Jesu. Deshalb steht nach Dionysius echte Mystagogie notwendig in einer symmystischen Gleichzeitigkeit mit den Aposteln Jesu, während der kirchliche Kultmythos auf einem Bruch mit dieser organischen Tradition beruht. Der areopagitische Begriff der »Hierarchie« verweist uns nicht auf ein hieratisches Machtgefüge, sondern besagt nichts anderes als den „Ursprung göttlicher Einweihung". So ist der »Hierarch« Urbild des Nous Jesu und damit Uridee der göttlichen Einwei­ hung selbst. Theosis ist für Dionysius „Gottesebenbildwerdung und Einung des Menschen mit Gott". Diese Definition paraphrasiert Dionysius, indem er von ei­ ner Liebe zu Gott spricht, die von Gott selbst erfüllt und durch die gottheitliche Intentionalität des Nous Jesu geheiligt ist. Diese Liebe fließt aus der Mystenschaft Jesu, die der Nous selbst in sich als sein eigenes gottheitliches Wesen verwirk­ licht. Der Nous ist somit Form des Bewusstseins von seiner eigenen Wesenstä­ tigkeit im Licht des πρόσωττον Jesu. Es folgt eine Aufzählung, durch welche Dio­ nysius die Stufen der Verwirklichung der Theosis im Mysten anschaulich macht: Das Aussetzen aller Erkenntnistätigkeit des Nous, die Erkenntnis des Seienden, insofern es Seiendes ist, die Schau der heiligen Wahrheit und Wissenschaft, die gotterfüllte Teilhabe an der ein(zig)gestaltigen Vollendung. Die Einung wird dem Mysten als ein heiliges Mahl dargereicht, welches diesen nährt auf geistige Weise und vergöttlicht. Der »Hierarch«, der in der um­ gekehrten Perspektive der areopagitischen Kult-Anamnese allein im Kontext der Mystenschaft Jesu als deren Urbild begriffen werden kann, ist alles andere als der „Bischof" einer Amtskirche. Im Corpus Areopagiticum stoßen wir auf eine merkwürdige Asymmetrie zwischen dem »Hierarchen« als dem Exponenten der Mystenschaft des Nous Jesu und dem zelebrierenden Amtsträger eines institu­ tioneilen Kultes. Und doch erscheint dieser in der Anamnese des theosophischen 109

Wurzelbewusstseins als Ausgangspunkt einer palingenetischen Wesensreduktion des Christentums selbst zum Arkanum von der gottheitlichen Mystenschaft des »Nous Jesu«. Mit der Mystagogie der Taufe eröffnet Dionysius seine Theorie der Sym­ bolbildung an den Riten der einzelnen kirchlichen Sakramente. Die Theorie der sakramentalen Symbolwerdung geht aus von der konsekrativen Wandlung des „Dinges" durch den Nous der Mystenschaft Jesu. Das „Ding", an welchem sich die Symbolbildung vollzieht, ist der menschlichen Erfahrungswelt entnommen. Und dennoch spiegelt sich in ihm das Erfahrungslicht der Mystagogie Jesu wider. Das „Ding" in seinem Erscheinungsbild wird erst in seiner Begründung durch den Nous des Eingeweihten zum Symbol erhoben. In der Mystagogie des Dionysius ist das Symbol das zuletzt zu Begründende, weil es aus dem, was am äußersten Rand zum Nichts hin steht, durch die Wesenstätigkeit des hierarchisierten Nous hervorgeht. Es ist die konsekrative Vollmacht (Authentie) des Nous, welche die für die sakramentale Symbolbildung unerlässliche Wesen begründende Analogie zwi­ schen Bild und noetischer Wirklichkeit herstellt. In der »Theoria« zur Taufsym­ bolik macht Dionysius klar: Erst die Lehre vom mystagogischen Wesensgrund der Symbolbildung im eingeweihten Nous führt den Getauften wirklich in die Erkenntnis ein, dass durch das dreimalige Untertauchen im Wasser der thearchische Tod des drei Tage und Nächte dauernden Grabesaufenthaltes des Leben spendenden Jesus nachgeahmt wird. Aus der Diktion des Areopagiten wird evi­ dent, dass die symbolbildende Authentie allein durch die Lehre vom anagogischen Wesensgrund des sakramentalen Symbols im Nous Jesu selbst begründet werden kann, denn nur diese vermag den Bezug zwischen sakramentaler Hand­ lung — hier: das dreimalige Untertauchen des Täuflings im Wasser — und der mystischen Gegenwart Jesu im Nous des Eingeweihten herzustellen. Es gilt: We­ der ist der reine Vollzug des (Tauf-J Rituals noch eine dem Ritual hinzugefügte Auslegung desselben Mystagogie im Sinne der christlichen ArkanWissenschaft des Areopagiten. Die »Theoria« der eucharistischen Symbolik steht ganz im Mittelpunkt der Anamnese. Dionysius schildert, wie der Hierarch die göttlichen Heilstaten sowie das anamnetische Wort der Abendmahls-Einsetzung geistig schaut in der mystagogischen Introspektion des eigenen Nous, um schließlich überzugehen zur Symbolbildung, die das Wort und die Handlung der Liturgie erst zur Qualität einer sakramentalen Handlung erhebt. So ergibt sich der Dreischritt von: a) My­ stenschaft des Nous Jesu, b) Symbolbildung (Hierurgie) und c) Liturgie als sa­ kramentale Handlung. Die mystagogische Wesenspräsenz Jesu im Nous ist für Dionysius der Schlüssel zum Verständnis des eucharistischen Geschehens. Dies wird an der »Theoria« des eucharistischen Opfer-Geschehens Jesu ersichtlich, das sich im Geistwort (verbum mentis) zum Leib und Blut der gottheitlichen My­ stenschaft des Nous Jesu selbst wandelt. Denn die Kenosis Jesu verwirklicht sich allein durch ihre intentionale Wesensform »im Geistwort« (verbum mentis) des Mysten selbst. Das eucharistische Opfer der Kenosis Jesu kann somit nur durch das Wort des Nous selbst, durch das »verbum mentis«, Leib und Blut der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst werden. Das Wort des Nous selbst ist Wesens­ form, durch die die gottheitliche Intentionalität sich als Nous Jesu im Nous selbst verwirklicht. Denn der Nous Jesu lebt vom eucharistischen Opfer Jesu. Das Wort des Nous selbst ist also pronoetische Wesensform des Nous. Es ist »gotteseben­ 110

bildliche Intentionalität«. Die Mystenschaft Jesu ist das ungeschaffene Licht der selbstentäußerten Gottheit im Nous des Vollkommenen, mit dem dieser die eucharistischen Gaben der Liturgie zum Symbol konsekriert und so die liturgische Handlung selbst mit sakramentaler Wirklichkeit erfüllt. Das rätselhafte ιερουργεί τα θειότατα, mit dem der Areopagit die Wandlung der eucharistischen Gaben kommentiert, verweist auf die entsprechenden Ausführungen des Dionysius in der »Theoria«. Denn allein hier ist der Ort, um das ιερουργεί τα θειότατα Symbol einer allein in der Mystenschaft des Nous sich ereignenden eucharistischen Spei­ sungwerden zu lassen. In der »Theoria« zur Myronsalbung geht es um die Auswirkungen, welche die Einwohnung Jesu im Nous auf den Nous selbst hat. Das Myron wird von Dio­ nysius als Symbol der „wohlriechenden Wesenheit" gefasst, durch welche die wesenschaffende Intentionalität der selbstentäußerten Gottheit Jesu selbst be­ zeichnet ist. Diese dringt ein in das Innere des Nous und vollzieht an diesem die Erfahrung der apophatischen Gotteserkenntnis, in der sich der Nous des Mysten in seine neue, ihm erwachsende gottheitliche Wesenheit selbst einführt. Die gottheitliche Intentionalität der Kenosis schafft im Nous jene erhabene Wesen­ heit, von der die Mystenschaft Jesu selbst getragen wird. Denn die mystagogische Selbstwirklichkeit Jesu im Nous, die das »Antlitz Jesu« ist, bedarf der neuen, gottheitlichen Wesenheit des Nous, um von dieser selbst aktuiert zu werden. Deshalb schafft die gottheitliche Intentionalität Jesu im Nous selbst neue, näm­ lich gottheitliche Wesenheit in der Gestalt der Gottesebenbildlichkeit. Diese er­ wächst dem Nous, insofern dieser sich im bewussten Sein seiner apophatischen Erfahrung selbst in sein gottesebenbildliches Wesen einführt, welches das Antlitz Jesu in sich trägt, die Quelle göttlichen Lebens. Der Nous aktuiert sich selbst als »Nous Jesu« in der Bewusstheit seines eigenen gottheitlichen Seins. Wir sehen also, dass es durchaus in der Natur der Intentionalität Jesu selbst hegt, dass der Nous an dieser durch seine eigene Tätigkeit teilhabe. Denn die wesenschaffende Intentionalität Jesu schafft im Nous der apophatischen Er­ fahrung nicht Wesen, ohne dass der Nous dieses in sich selbst fasst. Insofern der Nous dieses neue, gottheitliche Wesen seiner selbst in sich fasst, aktuiert er es auch selbst. Denn dieses ist sein gottheitliches Wesen, in welchem der selbstentäußerte Logos durch das »Antlitz Jesu selbst« wohnt. Diese Beteiligung des Nous des Mysten an der wesenschaffenden Intentionalität der Gottheit Jesu, durch die dem Nous neues, gottheitliches Wesen als Bewusstsein seiner selbst erwächst, ist die Grundlage dafür, dass der Nous des Mysten das eucharistische Geschehen Jesu durch sein ihm erwachsenes neues Wesen in sich selbst schaut und verwirk­ licht. Die Gottheit verwirklicht sich im Nous allein dadurch, dass der Nous sich zum intentionalen Wesensgrund des eucharistischen Geschehens kontrahiert. Und dies geschieht in der Bewusstheit seines eigenen apophatischen Seins. Der zweite Aspekt der Myronsalbung in der Exegese des Areopagiten be­ trifft den Zusammenhang zwischen der wesenschaffenden Intentionalität Jesu und der mystagogischen Wesensstrukturierung des Nous. Die wesenschaffende Intentionalität der Gottheit Jesu ruft im Nous die Wesenshierarchisation hervor, die ihren Ausgang nimmt von dem seraphischen Vermögen des eingeweihten Nous. Aber diese Wesensstrukturierung des Nous in Analogie der Engelshierar­ chien ist eingefasst in das »Geistwort« des Nous, in welchem sich die gottheitliche Intentionalität Jesu Wesen schaffend verwirklicht. Die Ausschüttung der „wohlriechenden (gottheitlichen) Wesenheit" durch das eucharistische Opferge­ 111

schehen Jesu selbst im Nous ist apophatische Wirklichkeit des Nous, in der der Nous sich in dem Erlöschen seines eigenen alten Wesens selbst erfährt. Und dies ist das von ihm selbst gewusste Sein seines eigenen mystagogischen Todes im Zei­ chen der Kenosis Jesu, die auf diese Weise im Nous des Eingeweihten selbst We­ sen und Leben schafft, das in dem gottheitlichen Sein des Nous der Mystenschaft Jesu besteht. Brief an Titus (9. Brief) Eine wichtige Aussage des Dionysius über das Wesen des Symbols ist, dass die­ ses nicht um seiner selbst willen gebildet wird. Das Symbol muss man nach areopagitischer Lehre begreifen als hervorgegangen aus einer für die „Vielen" unzugänglichen Erkenntnis. Die Wissenschaft von der wahren Natur des Symbols wird nur den echten Liebhabern der Gottheit geoffenbart als denjenigen, welche nicht dem ästhetischen Reiz des Symbols erliegen, sondern sich durch ihre gött­ liche Mystenschaft davon lösen, welche zur einfachen und übernatürlichen Wahrheit des Symbols emporführt. Das Symbol wird von Dionysius im 9. Brief unter zwei verschiedenen As­ pekten betrachtet. Das mystagogische »Geistwort« des Nous verwirklicht seine symbolbildende Tätigkeit am „Ding" der menschlichen Erfahrungswelt. Die sym­ bolbildende Tätigkeit des »Geistwortes« wird als Konsubstantialisierung be­ zeichnet, durch die das Ding in seiner „Dinglichkeit" erlischt und zugleich neu ersteht als Chiffre sakramentaler Wirklichkeit. Der 9. Brief steht eine Abbreviatur der Symboltheorie des Areopagiten dar. Der Brief darf als Ergänzung zur »Theoria« der Eucharistie in der „Kirchli­ chen Hierarchie" angesehen werden, denn in ihm wird die Einsetzung der Arkanwissenschaft vom »Nous Jesu«, die die Göttliche Weisheit am Mysten selbst vollzieht, als Kult im eigentlichen Sinne begriffen. Diese theosophische Einsetzung der Mystagogie steht im krassen Gegensatz zur kultmythischen Auslegung der Eucharistie in der Geschichte der Kirche. Die geheimnisvolle Kulteinsetzung durch die Göttliche Sophia beruft sich auf Prov. 9, 1-6, nicht aber auf die Einsetzung des Abendmahls durch Christus selbst. Es wird demnach bewusst Gewicht gelegt auf die Einsetzung des eucharistischen Geschehens im Nous des Eingeweihten, welche von der gottheitlichen Weisheit Jesu selbst vollzogen wird. Liturgische Formensprache bedarf also der Reduktion in das sie erst bildende und begründende anagogische »Geistwort« der Mystenschaft Jesu, damit die Kulthandlung überhaupt sakramentale Geltung erlangen kann. Allein im »Geistwort« selbst erwächst dem Symbol sakramentale Wesenheit. Aus dieser Destruktion des Kultmythos folgt ein neues ekklesiologisches Verständnis. „Kirche" ist fortan in keiner anderen Form mehr denkbar denn als Ekklesiogenese, die im »Nous Jesu« ihren göttlichen Ursprung hat. Die »Theoria« des eucharistischen Sakraments in der „Kirchlichen Hierarchie" deutet die Kon­ sekration aus einer neuen, höheren Einheit, welche die beiden Gaben durch ihr Eingehen in den »mystischen« Kelch erfahren, der den gottförmigen Nous des Mysten symbolisiert. Die Ausspendung der verwandelten Gaben steht im Zu­ sammenhang mit der im Kelch geschehenen Wandlung, die auf die konsekrative Vollmacht des »Nous Jesu« zurückverweist als auf ihren Ursprung.

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