Vitruv und die Poliorketiker; Vitruv und die christliche Antike; Bautechnisches aus der Literatur des Altertums

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Vitruv und die Poliorketiker; Vitruv und die christliche Antike; Bautechnisches aus der Literatur des Altertums

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Verzeichnis der Abbildungen
Berichtigungen
I. Vitruv und die Poliorketiker
II. Aus der Belagerungskunst des Apollodorus
III. Die Elemente der antiken Holzkonstruktion
IV. Die Poliorketik des Vitruv
V. Athenaeus Mechanicus
VI. Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus
VII. Die antike Dachkonstruktion
VIII. Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike

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VITRUV JUU 11 UTILAJE

TECHNIK UND LITERATUR

W.SACKUR . VERLAG VON WILHELM ERNST & SOHN . BERLIN .

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.

VITRUV UND DIE

POLIORKETIKER VITRUV UND DIE

CHRISTLICH EANTIKE. BAUTECHNISCHES AUS DER LITERATUR DES ALT ERTUMS. W.SACKUR O.PROFESSOR Ä.D.TECHN.HOCHSCHULE ZU KARLSRUHE

SULTS

BERLIN.MCMXXV . VERLAG VON WILHELM ERNSTÅ SOHN

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Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen , vorbehalten. 1

Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. 1

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376556 SEP 30 1931

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+792 YSAL

Vorwort. dem Titel des Buches sind zwei kulturgeschichtliche Epochen mit einander In verbunden, deren Verbindung auf den ersten Blick nicht verstanden werden kann ; und ebenso befremdlich wird die Verknüpfung zweier Stoffe sein, deren Behandlung für gewöhnlich verschiedenen Händen überlassen bleibt, einmal dem philologisch geschulten Textkritiker, das andre Mal dem Kunsthistoriker. Trotz dieser durch den Titel sichtbar gemachten Trennung des Buches in zwei Abschnitte, die keine unmittelbaren geschichtlichen Beziehungen mit einander aufweisen, hoffe ich, daß der Leser die innere Einheit anerkennen wird : Sie liegt in dem technischen Gedankengang und wird durch den Namen gekenn zeichnet, den ich als verbindendes Glied den beiden Überschriften gegeben

habe und der tatsächlich im Mittelpunkt meiner Betrachtung steht: Vitruv . Mein Bestreben, in den eigentlichen, fachlichen Inhalt der besprochenen Literatur einzudringen und sie dem Leser, insbesondere unter den Lesern meinen Fachgenossen, wieder lebendig zu machen, wird, wie ich ebenfalls zu hoffen

wage, in den ersten Abschnitten schon erkennbar werden. Die im V. und VI. Abschnitt behandelte Athenaeusfrage , mit der ich mich an die gelehrten textkritischen Bearbeiter und verdienstvollen Pfleger des uns erhaltenen antiken

Literaturgutes wende, ist aus dem gleichen Bestreben hervorgegangen. Wenn es gelingt, den inneren Gehalt dieser Literatur wirklich auszuschöpfen, so muß sich die kritische Würdigung der fachlichen Qualitäten ihrer Autoren eigentlich von selbst ergeben, und mit dieser fachlichen Würdigung auch ein lebensvolleres Bild ihrer Persönlichkeiten .

Die von mir in diesen beiden Abschnitten gebrachte Lösung der Athenaeusfrage ist nur ein Resultat dieser methodischen Durch dringung des technischen Stoffes und folgt für mich deswegen mit einer

gewissen Zwangsläufigkeit aus der Herausschälung des technischen Kerns dieser von Technikern über einzelne Gebiete der Technik verfaßten Schriften .

Auch die Fragen, die mich im VIII. Abschnitt in die Literatur der Kirchen väter führen, stehn in innerlichem Zusammenhang mit rein bautechnischen Fragen , und zwar mit den im VII . Abschnitt behandelten für den Techniker

so interessanten Fragen nach Form und Wesen der antiken Großkonstruktion . Bei den im Zusammenhang damit im VIII . Abschnitt verfolgten Problemen verhält es sich ähnlich wie bei der Athenaeusfrage: Sie können ebenfalls

nur auf der Grundlage der richtigen Erkenntnis der eigentlichen technischen Probleme zur Lösung gebracht werden.

Vorwort.

IV

Einen verhältnismäßig großen Umfang nehmen die Anmerkungen zum Text ein ; das liegt zum Teil in der Eigenart des Stoffes, in der Vielsprachigkeit

!

des Textes und in der großen Verschiedenheit und teilweisen Entlegenheit der

in Betracht kommenden Literaturgebiete. Daneben ließen sich aber auch die vielfachen Beziehungen und Anregungen, die sich für benachbarte Gebiete der Architektur und Technik aus den gewonnenen Resultaten ergaben, kaum in anderer Weise unterbringen, ohne den Gedankengang unliebsam zu unterbrechen.

Besonderen Dank schulde ich dem bewährten Verlage, der sich der nicht einfachen Drucklegung des Buches verständnisvoll angenommen und mir mit der gleichen Bereitwilligkeit die Beigabe zahlreicher Illustrationen ermöglicht hat. Karlsruhe , im Juni 1925 .

Sackur.

1 1

1

Inhalt. I. Abschnitt.

Vitruv und die Poliorketiker. Ihre Bedeutung für die technische Literatur und die Überlieferung ihrer Texte S. 1–22. Die Gebiete der architectura . Der Name Poliorketiker S. 2.

Die verloren

gegangenen technischen Autoren S. 2. Vitruv : Name und Persönlichkeit, Zeit der Abfassung seines Werkes. Quellen der X Bücher ; particulae errabundae S. 2, 3.

Technik und technische Literatur als besondere Erscheinung der antiken Kultur. Stellung des Mittelalters zu Vitruv. Bedeutung für die Renaissance . Varro . Alberti 8. 4, 5. Beruf der Architekten nach Vitruv. Gegensatz der mittelalterlichen Auffassung. Über sicht über die Vitruvausgaben . Die Handschriften und ihr Verhältnis zum Urtext S. 6–9. - Die Poliorketiker , ihre Handschriften und Ausgaben S. 10. Apollodorus:

Datirung. Seine Bedeutung als Architekt. Die Donaubrücke. Seine Belagerungskunst. Athenaeus : Datirung nach den bisherigen Annahmen . Anonymus: Die Handschrift.

Datirung S. 10–12. – Die handschriftlichen Bilder. Urtext des Vitruv. Erwähnung

von Illustrationen . Illustrirte Bücher im Altertum . Der Verleger Vitruvs. Schwierig keiten für die techn. Literatur in Bezug auf Illustration S. 12–16. Begriff des Dia gramms. Beispiel aus Heron S. 16–18. Apollodorus und Athenaeus. Begriff der techn . Zeichnung nach Vitruv ( species dispositionis ). Andeutungen des Apollodorus

über die Art seiner Zeichnungen . Gesichtspunkte zur Beurteilung des Quellenwertes der handschriftlichen Bilder zu den Poliorketikern S. 19-22. II . Abschnitt.

Aus der Belagerungskunst des Apollodorus S. 23-35 . Maßstäbe.

Fuß und Elle S. 23. Die Widderschildkröte S. 24-26. Belagerungstürme S. 26–30 . Die Leiter 30-32. Die handschriftlichen Bilder. Bild des Anonymus zum Apollodorusturm S. 32–35.

Die Das

III . Abschnitt.

Die Elemente der antiken Holzkonstruktion auf der Grundlage der Poliorketik des Apollodorus, ihr Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit S. 36-63. Knaggen, Besatzlatten und Klammerstacke, χελωνία, κανόνες und περιστομίδες. Italienische Baurustungen. Die Doppelzange, derdi Guyo , als Eigenart der antiken

Bauweise. Lykische Felsengräber S. 36—41 .

Nachweis und Terminologie in der

röm . Literatur. Chelonia, ancones, fibulae S. 41 , 42. Caesars Rheinbrücke. Schlüssel zur Konstruktion die fibula S. 42–45 . Die Bauwinden und Flaschenzüge bei Vitruv S. 47–50. – Der Einmastkrahn Vitruvs und das Haterierdenkmal S. 51–13. - Der Fuß des Einmastes, das carchesion versatile Vitruvs. Das carchesion des Athenaeus. Die

1

Inhalt.

VI

Gaffel“ S. 54, 55. – Der Krahnmast des Zabaglia S. 55. - Weitere Konstruktionselemente

>>

wie Seilumschnürungen. Dazu Apollodorus pag. 159, Zabaglia, Rusconi, Fontanas Obelisk versetzung, Gerüst mit Verschnürung und eisernen Bändern S. 56 – 59. Eiserne Bänder

bei Apollodorus und Vitruv ; die verschiedenen Verbindungsteile in der Technik des Zabaglia S. 60, 61 . Die Donaubrücke des Apollodorus nach der Darstellung auf der Trajanssäule. Rekonstruktion des Sprengewerks S. 62, 63. IV . Abschnitt. Die Poliorketik des Vitruv S. 64–85. Inhalt zerfällt in 4 Abschnitte. Innerer Zusammenhang dieser Teile trotz der

Verschiedenartigkeit der Quellen. Paralleltext des Athenaeus S. 61 , 65. — Der 3. Abschnitt der Poliorketik : Die Schildkröte zum Grabenzuschutten , testudo ad congestionem fossarum , %wotgis medovn. Rekonstruktion nach Vitruv und Athenaeus. Die Variante des Athenaeus für die Räder. Wert der handschriftlichen Zeichnungen zum Athenaeus S. 66-71 . Das Konstruktionsschema entspricht dem mittelalterlich-deutschen binder 1

losen Dach. Hinweis des Varro auf die testudo- Dächer der Militärtechnik beim atrium testudinatum . Varianten zwischen Vitruv und Paralleltext für andere testudines des 3. Abschnitts und das Verhältnis der beiden Texte zu einander S. 72–75. - Der 4. Abschnitt

der Poliorketik des Vitruv : Die Widderschildkröte des Hegetor. Rekonstruktion nach dem Vitruvtext. Die „ arrectaria“, Vitr. 277, 21 , sind ein Textfehler. transversaria und transtra S. 75-77 . Der dreischiffige Grundriß. Die media contabulatio. Die beiden Pultdächer im Querschnitt von Athenaeus bezeugt. Die Seilzüge S. 78–80. - Der

Paralleltext des Athenaeus enthält den gleichen Textfehler, entspricht sonst wörtlich dem Vitruvtext. Abhängigkeit von Vitruv und vom Anonymus. Die Beschreibung des Anonymus S. 80–85. V. Abschnitt.

Athenaeus Mechanicus , ein literarischer Doppelgänger S. 86-98. Trennung des Paralleltextes vom übrigen Text, der eine Denkschrift an Marcellus

wegen Herstellung techn .-poliorket. Zeichnungen ist, und als Athenaeus Maior bezeichnet wird .

Ein zugehöriger Satz ist mitten Weitere Inhaltsangabe der Denkschrift: Das „Äffchen “, 711 Inxrov . Das verstellbare

Zweck und Inhalt der Denkschrift S. 86–88 .

in den Paralleltext verschoben S. 89, 90. Sambyken .

Ktesibios.

Theaterleitern S. 91 .

-

Rad, odnyós. Heron , Automatentheater. Das „ Karchesion “ S. 92–94 .

- Der Handwidder. dem der

Die „ Sublicae pro ariete subiectae“ bei Caesar's Rheinbrücke S. 94, 95. Die Inhalt entsprechende Datirung des Athenaeus Maior. Die äußere Situation in

Denkschrift weist auf die Belagerung von Syrakus. Der Empfänger der Denkschrift ist M. Claudius Marcellus S. 96 , 97 . Der Paralleltext ist eingeschoben . Auch der Anonymus hat nur den Athenaeus maior ohne Paralleltext gekannt. Der Paralleltext ist der Vitruv S. 98.

VI . Abschnitt .

Vitruvius , Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus S. 99–122 .

Die Entwicklungsgeschichte und die Poliorketik des Diades im Vitruv und im Athenaeus S. 99.

Das Bild des tounovov im Athenaeus an falscher Stelle S. 101 , 102.

-

Die Türme des Diades ; Vergleich der beiden Texte . Die im Vitruvtext fehlenden Sätze des Athenaeus über die Stockwerkshöhn stammen aus dem Anonymus S. 102, 103.

Die Widderschildkröte des Diades, Textvergleich S. 104.

Der Hinweis auf das Pro

portionsschema der Türme von Athenaeus mißverstanden S. 105 .

Rekonstruktion der

Proportionsschemata. Die grundsätzlich falsche Auffassung des Anonymus. Athenaeus ' Abhängigkeit von dieser Quelle erwiesen S. 105–112. Das Querschnittschema der Widderschildkröte und ihr Dachaufbau S. 112-114 . Das τρύπανον in Wirklichkeit und die falsche Auffassung des Athenaeus S. 115, 116. Die von Athenaeus aus dem Vitruv

1

Inhalt.

entnommene Notiz über die helepolis S. 117.

VII

Die Persönlichkeit und Arbeitsweise

des Athenaeus und seine Unterlagen für den von ihm eingeschobenen Paralleltext Die handschriftlichen Zeichnungen zum Paralleltext des Athenaeus Minor

S. 117–120.

und ihre Andersartigkeit gegenüber den Illustrationen zur Denkschrift des Athenaeus Maior S. 120.

Die Bedeutung für die Textkritik S. 121 , 122. VII . Abschnitt S. 123–143 .

1. Die antike Dachkonstruktion auf Grund der Angaben Vitruv's und die damit ver. bundenen technischen und architektonischen Probleme S. 123-127.

Die Unterscheidung des gewöhnlichen verbandlosen Daches von den transtra cum capreolis bei Vitruv S. 123. Die Strukturgleichheit des antiken Daches und der antiken Decke S. 124 Die Grundfigur der transtra cum capreolis . Der Dachverband in der Tradition des italienischen Daches und der Basilikadächer S. 125-127.

2. Die aus der Grundfigur entwickelten Sprengewerksbinder S. 127–132.

Die Verdopplung der Sprengewerke begründet S. 130. – Der alte Binder von S. Paolo fuori le mura S. 131 , 132 . 3. Der Dachbinder der alten Basilika von S. Peter in Rom S. 132-139. Die Zeichnung des Fontana, seine Quelle S. 132–131. Das Wandbild in den nuove grotte und die Aufzeichnungen des Grimaldi S. 135. Die Erklärung der von

Fontana gegebenen Darstellung S. 136-138. Die ursprüngliche Form S. 139. 4. Die Konstruktionsreihe der Hängewerke, Abb. 58 , und der jüngere Binder von S. Paolo, Abb. 59 S. 139–143.

Die Form der Hängewerksbinder S. 139–141. Die Erklärung des Binders von S. Paolo S. 142. – Die Anwendung des Hängewerks bei Vitruv S. 143. VIII . Abschnitt.

Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike S. 144-191.

1. Der Bautyp nach den Angaben Vitrav's und die basilica der colonia Julia Fanestris S. 144–160.

Der allgemeine Begriff bei Vitruv S. 144. Die basilica Ulpia. Die Überhöhung des Mittelschiffes, die basilica in Pompeii S. 145. Die Illustration des Dan . Barbaro.

Die aegyptischen Säle Vitruv’s ; ihre Rekonstruktion von Perrault S. 146–148. basilica des Herodes in Jerusalem S. 149.

- Das tribunal bei Vitruv S. 149, 150.

Die - Be

schreibung der Fanestrischen basilica : Die durchgehenden Säulen ; die Unterbrechung der porticus vor dem tribunal. Die Rekonstruktion des tribunal S. 150–152. pronaos aedis S. 153 .

Die Echtheit der Textstelle S. 154 , 155.

Der

Der Aufbau des

Gebälks und der Dachbinder, das Hängewerk S. 156, 157 . Das binderlose Dach der Militärtechnik und das Pfettendach . „ Germanische “ und römische Dachkonstruktion . Die testudo bei Vitruv und der Servius -Kommentar . S. 158-160 .

Der offne Dachstuhl der basilica

2. Dach und Decke der antiken Basilika S. 160—188 .

Renaissance: Der Plafond des Alberti als Programm . Begriff des Plafond S. 160, 161 . Die baugeschichtliche Hypothese von Hübsch u. a. S. 162, 163. – Die römische Ziegel Baukonstruktionslehre Vitruv's : contignatio deckung. Optatus Milevitanus S. 164, 165. und tectum. lacunaria und camera . Das tectum lacunatum . Die an der contignatio oder am tectum aufgehängte camera S. 165–169. Die Zeugnisse über das Dach der

alten Peterskirche : Beschreibung des Alfarano. Brief des Paulinus Nolanus S. 170--172. Die Briefe und Gedichte des Paulinus über seine Basiliken in Nola S. 173, 174 .

VIII

Inhalt .

Die griechische Gedichte des Prudentius über S. Hippolyt und S. Paul S. 175, 176. Terminologie des Daches : όροφος und στέγη S. 177-179. Eusebius und die Grabeskirche in Jerusalem. Der Brief Constantin's an den Bischof Makarios. Die camera lacunata bei Constantin und bei Paulinus. Die camera in der kirchlichen Literatur S. 179–182.

Die Beschreibung des Eusebius. Die napaoredes. Die Apostelkirche in Constantinopel. Die Geburtskirche in Betlehem . Gedicht des Sophronios S. 182—187 . Alle Stimmen aus dem Altertum weisen auf den offnen Dachstuhl hin , Bedeutung der sizilianischen Kirchen für die antike Tradition. Morey. S. 187, 188. 3. Das Ende antiker Baukunst und Technik S. 188–191 .

Heidnische und christliche Basilika. Das technische Problem der Basilika.

Ab

schluß der architektonischen Epoche der Antike bei der Basilika erkennbar. Wann hat die antike Technik Überhaupt ihren sichtbaren Abschluß gefunden ?

Verzeichnis der Abbildungen . Die Abbildungen sind, wo nichts anderes angegeben, vom Verfasser nach den Angaben der alten Texte oder nach eignen Skizzen bezw. den angegebenen Quellen gezeichnet. Abb .

Seite

1. Figur der Handschrift zu Heron's Bedonojiná. Wescher, Fig. XXII

.

17

.

2. Rekonstruktion . Bild zu 1. ...

18

3. Widderschildkröte des Appollodorus. Rekonstruktion

22-23 24

4. Einzelheit zu Abb . 3

5. Turm des Apollodorus. Grundriß . Ansicht und Schnitt. Rekonstruktion .

.

8. Zusammengesetzte Leiter des Apollodorus. Rekonstruktion

25 26 27 31

9. Widderschildkröte des Apollodorus, Figur aus cod. Paris. Wescher, Fig. LIX

32

10. Widderschildkröte des Apollodorus, Figur aus cod. Paris. R.Schneider, Taf. IV

33 33 34 37

6. Einzelheit zu Abb. 5 .

7. Einzelheit zu Abb . 5, Variante der {moçuyides .

11. Turm des Apollodorus, Figur aus cod. Minas. Wescher, Fig. LXVII 12. Leiter des Apollodorus, Figur aus cod. Minas. Wescher, Fig. LXXII .

13. Italienische Baurüstung, Einzelheit



14. Italienische Baurüstung , Einzelheit

39

15. Fußstreben-Verbindung nach Apollodorus und Anonymus. Rekonstruktion

38 39 40 40 43 45 46 48 49 50 52 53

16. Einzelheit zu Abb. 15 .

17. χάνων επεζευγμένος nach Apollodorus

18. περιστομίς mit Bolzen und χελωνιον nach Apollodorus 19. Caesar's Rheinbrücke.

Rekonstruktion .

.

20. Caesar's Rheinbrücke. Rekonstruktion des Palladio 21. Flaschenzug (trispastos) Vitruv's. Rekonstruktion

22. Flaschenzug mit Doppelrollen und ergata. Rekonstruktion 23. Flaschenzug wie vor, aber mit Tretrad . Rekonstruktion . 24. Einmast (polyspaston ) Vitruv's. Rekonstruktion

25. Haterier -Relief, nach Photographie gezeichnet . 26. carchesion versatile oder Gaffel nach Vitruv. Rekonstruktion . 27. carchesion nach Athenaeus. Rekonstruktion 28. carchesion für den Fuß des Einmastes. Rekonstruktion .

54

29. Krahnmast. Figur aus dem Zabaglia

54 56

30. Einmast Vitruv's. Figur aus Rusconi

57

31. Obelisken-Transport aus dem Fontana 32. Rad mit Eisenarmirung nach Vitruv und Athenaeus. Rekonstruktion

58 60 61

33. Eiserne Verbindungsteile. Figur aus Zabaglia . .. 34. Fig. 1. Donaubrücke nach dem Relief der Trajanssäule . Fig. 2. Donaubrücke . Rekonstruktion . . 35. Schildkröte zum Grabenzuschütten . Rekonstruktion 36. Die auswechselbaren Räder nach Athenaeus. Rekonstruktion 37. Die auswechselbaren Räder nach Vitruv . Rekonstruktion ..

62 63 66 67

68

Verzeichnis der Abbildungen.

X

Seite

40. Schildkröte wie vor, Figur aus cod. Minas. Wescher, Fig. II 41. Schildkröte wie vor, Figur aus cod. Minas. Wescher, Fig. III

42. Schildkröte wie vor. Proportionsschema . 43. Schildkröten , Varianten zwischen Vitruv und Athenaeus

44. Widderschildkröte des Hegetor. Rekonstruktion .

Der ódnyós des Athenaeus Zusammenstellung des Proportionsschema zur Poliorketik des Diades Der Mauerbohr, Figur aus cod . F. Wescher, Fig. 1 . . Dachverfallung der Widderschildkröte des Diades Widderschildkröte des llegetor, Figur aus cod. F. Rud . Schneider, Taf. I, 1 Dachbinder. Figur aus Zabaglia .

54. Tafel der Sprengewerke

55. Kopf der Hängesäule, Einzelheit zum Doppelsprengewerk 56. Alte Basilika von S. Peter. Kupfer von Ciampini 57. Alte Basilika von S. Peter.

Dachbinder aus Fontana

58. Tafel der Hängewerke . 59. Der jüngere Dachbinder von S. Paolo f. l. m. .

60. Vitruv's basilica in Fanum .

Rekonstruktion des Dan . Barbaro

61. Grundriß der basilica Ulpia aus Springer-Michaelis 62. 63. 64. 65. 66.

Typ der basilica nach Vitruv, aus Dan . Barbaro oecus aegyptius des Vitruv, aus Claude Perrault's Vitruv basilica in Fanum, Grundriß . Rekonstruktion . basilica in Fanum , Innenansicht. Rekonstruktion basilica in Fanum, Einzelheit. Rekonstruktion .

67. Italienische Balkendecke .

Aufpahme

71 71 72

73 74 74

75 76 77 84

45. Grundriß und Querschnitt zum vorigen . 46. Längeschnitt zum vorigen . 47. Bild zur Widderschildkröte des Hegetor

48. 49. 50. 51. 52. 53.

dn2884% E7 % Bwm

Abb .

38. Querschnitt der Schildkröte, Abb. 35. Rekonstruktion . 39. Querschnitt der Schildkröte, Abb . 35. Variante

93 100 101 113

119 125 128 131 133 136 140 141 143 145 147 148 151 156 157 162

70. Italienische Dachstühle des Mittelalters, aus Ostendorf

167 169 172

71. Dom von Messina, Dachstuhl aus Morey -Roux .

184

68. Dom von Murano, Dachstuhl ; nach Rathgen . 69. concameratio nach Vitruv. Kupfer aus dem Rusconi

Berichtigungen und nachträgliche Anmerkungen. Seite Seite Seite Seite

29. Abs. 2, Zeile 39. Zeile 4 ; lies : 70. Anm . 2 ; lies : 73. Zeile 7 ; lies :

4 ; lies : sie statt es. und statt sind. ovotetav statt ovoudrai. seiner statt seines.

Seite 93. Anm. Die byzantinischen Illustratoren und durch sie beeinflußt R. Schneider Verstehen unter πρότροχος σφαιροειδής das Vorderrad. σφαιροειδής heigt aber kugel förmig , schon aus diesem Grunde kann npótpoyos niemals ein Rad sein. Ich habe in unbewußter Beibehaltung der falschen Vorstellung die mit nporcoyos bezeichnete Unterlagsscheibe, Abb . 48, d, versehentlich mit ebner Oberfläche dargestellt. Das ist falsch ; die Scheibe ist oben gewölbt zu denken , weil sie eben opaigosdós ist. Eine sehr zweckmäßig gewählte Form ; denn dadurch wurde die Reibung mit dem darüberliegenden Balken des Grundgestells auf ein Mindestmaß gebracht und

überhaupt der ådnyós besonders bei unebenem Gelände leicht beweglich erhalten. Auch die Übersetzung ist demgemäß zu berichtigen. Seite 95. Zeile 4 ; lies : gebräuchlichen statt gebränchlichen . Seite 98. Vorletzter Abs., Zeile 5 ; lies : Konstruktion statt Rekonstruktion . Seite 101. Abs. 3 ; lies : únotpoyo statt únotqóyw . Seite 111. Abs. 4, Zeile 4 ; lies : kleiner statt größer. Seite 112. Anm. 1 ; lies : detós statt ñeros.

Seite 119. Zu Abb. 52. Ich habe diese aus dem cod. F (fragmenta Vindobonensia) stammende Zeichnung (R. Schneider, Taf. I, 1 ) zur Wiedergabe gewählt und nicht die ihr fast vollständig entsprechende aus dem cod. Minas (Wescher, fig. IV), weil sie sich in einem Punkt von der letzteren sehr zu ihrem Vorteil unterscheidet, nämlich in den Achsenlagern der Räder. Diese Figur aus cod. F ist sogar die einzige in die αμαξίποδες technisch der ganzen Poliorketik , die diesen Konstruktionsteil verständlich wiedergibt (vgl . damit die Abb. 36 u. 37 auf S. 67 u. 68 ). Das spricht nicht nur für einen gewissen Traditionswert dieser Zeichnung, sondern auch sehr zu Gunsten der von Wescher schon anerkannten Wiener Handschrift ( vgl. S. 102, Anm. 1 ) . Seite 144. Über den Begriff basilica ist fast durch ein Jahrhundert hindurch ein ganz

müßiger Streit geführt worden ; besonders die entwicklungsgeschichtlichen Hypothesen haben die größte Verwirrung angerichtet. Es kommt aber in Wirklichkeit nur darauf an, den Begriff so zu bestimmen , wie er in der Vorstellung der Zeitgenossen Vitruv's und der späteren Jahrhunderte lebte. Die etymologische Frage nach der Bedeutung des Wortes spielt dafür gar keine Rolle. Die gerade in ihrer allgemeinen Fassung richtigste Definition hat unzweifelhaft Alberti (de re aedificatoria, S. 109 ) gegeben : „Sed basilicam sic diffiniemus, ut sit ea quidem perampla atque admodum expedita quaedam ambulatio circumspecta sub tecto porticibus intimis . “ Seite 148. Zu Abb. 63. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß Perrault's Verdienst bei

dem Bilde eigentlich nur in der effektvollen Darstellung besteht ; der architektonische Entwurf zu diesem oecus aegyptius stammt von Palladio ( i quattro libri dell'archi

tettura, libro sec., S. 42) und ist von Perrault nur kopirt. Sachlich weicht dieser von seiner Vorlage nur in etwas ab : Er hat den guten Dachstuhl Palladio's, ein ein faches Hängewerk mit Spreizen (s. Abb. 53), in diese unverstandene und unzulängliche Form (s. Abb . 63) verwandelt.

Seite 159. Anm . 1. Daß die falsche Vorstellung der humanistischen und späteren Interpreten von der testudo Vitruv's dem vollkommen mißverstandenen Servius Kommentar entstammt, ergibt sich auch aus den Erklärungen Philander’s zum Vitruv, Gulielmi Philandri Castilioni in X libros M. Vitruvii Pollionis de architectura ad notationes, Romae 1544, S. 218 : Philander rekonstruirt sich unter ausdrücklichem Hinweis auf den Servius

aus dem Vitruvtext eine Gewölbelehre, wobei er unter der testudo ein Kreuzgewölbe verstehen will. Auf diesen falschen Weg sind ihm alle späteren nachgefolgt. Von

XII

Berichtigungen und nachträgliche Anmerkungen .

alledem ist natürlich im Vitruv auch nicht die geringste Spur zu finden . Es war schon ein Anachronismus, dergleichen bei ihm auch nur zu suchen , das eigentliche Gewölbe als architektonisches Gestaltungsmittel issen wir als für Vitruv noch gar

nicht vorhanden ansehn (vgl. die Ausführungen dazu auf S. 150 u. 155). Durch dieses Mißverständnis ist die Tradition verdunkelt worden, die bei

richtigem Verständnis des Vitruv und bei sachgemäßer Auslegung des Servius Kommentars zwischen der antiken Raumbildung und den Basiliken des mittelalter lichen Italiens auch hier klar ersichtlich wird. Denn Vitruv beschreibt einen offnen

Dachstuhl nicht nur in der mediana testudo seiner basilica, sondern auch in der Ausbildungsform durch eine im Dachstuhl aufgehängte camera. Das sind aber auch im

mittelalterlichen Italien die beiden allgemein üblichen Deckenformen der ungewölbten Basilika (vgl. Abb . 68, 70 u. 71 ). Bei richtiger Erfassung des technischen

Zusammenhanges erhalten auch die Ausführungen des Servius -Kom mentars den richtigen Sinn ; denn so unzulänglich die Erklärungen dieses

Grammatikers auch in technischer Beziehung sein mögen, so kann man doch auf keinen Fall das von ihm unter Berufung auf Varro über die Form der cella -Decke

des Tempels gesagte als gänzlich aus der Luft gegriffen ansehn. Vielmehr ist mit der von ihm und Varro richtig als testudo bezeichneten cella -Decke eine camera in der von Vitruv beschriebenen Konstruktion gemeint, und diese concameratio wurde von ihm und Varro offenbar als die eigentlich urtümliche cella- Decke des Tempels angesehn . Die Tradition dieser auf Abb. 70 dargestellten mittelalterlichen Deckenform ist demnach uralt, sie geht noch weiter zurück als auf die antike Basilika, nämlich bis auf eine Deckenform des antiken Tempels.

Seite 174. Zeile 3 ; lies : spreizende statt spreizenden.

Seite 174. Anm. 1 : Die beiden Strophen bilden einen zusammenhängenden Vers. Der Vermerk : ep. XXXII, 15, gehört an das Ende.

Seite 185. Eine prächtig bemalte und vergoldete Decke dieser Art erwähnt auch Gregor von Nyosa in einer Predigt, allerdings ohne sie näher zu beschreiben und nur um die Farben symbolisch für seine Predigt zu verwenden. Die Terminologie ist im übrigen die gleiche wie bei Eusebius : õpopos und yaupai (Gregorii Nysseni opera , Parisiis, 1638. tom. II. S. 41. Vgl. auch Augusti, Beiträge zur christlichen Kunst

geschichte. Leipzig 1841. S. 142). καιδράς υπέρ κεφαλής τούτον όροφος, ως καλός ιδείν , ως γλαφυρός ταϊς γλυφαίς , επανθεί το χρυσίον ώστε χρύσεος ών όλος την επιφανείαν , κύκλοις τισι πολυγώνιος, κυανό διακεχρoϊσμένος υποκεχάρακται.** , Siehst du das Dach da über uns ? Wie herrlich ist es zu schaun ! Wie kunstvoll durch die Ausschnitte ! Es glüht daran das Gold, als wenn das ganze

Äußere aus Gold wäre ! Durch die Rundfiguren da gemustert, ist es durch Absetzen mit Dunkelblau verzahnt !"

Seite 187. Mit den angeführten Stellen ist die Quelle des Eusebius erschöpft. Wenn Choisy in seinem bekannten Werk, l'art de bâtir chez les Romains, Paris 1873, mehr aus dem

Eusebius herausgeholt haben will, so scheint seine Phantasie mit ihm durchgegangen zu sein : Er schreibt S. 153 : , Saint Paul hors les Murs, édifice de la même date que

la basilique de Vatican , avait

nous le savons par Eusébe – un plafond horizontal

à caissons. “ Hier hat sich Choisy so gründlich geirrt, daß man den Satz mit wenig Worten gar nicht berichtigen kann : S. Peter ist ganz sicher nicht gleichzeitig mit S. Paul. Die vatikanische Basilika gilt mit Recht als konstantinisch, obwohl Eusebius sie nicht erwähnt ; denn Eusebius sagt von den römischen Bauten Constantins auf fallender Weise überhaupt nichts. Am wenigsten konnte er aber von S. Paul etwas sagen , denn dieser Bau wurde fast 50 Jahre nach seinem Tode erst begonnen . Eusebius starb zwischen 337 und 340 und S. Paul wurde 386 von

Theodosius gegründet. Und schließlich spricht der Kirchenvater überhaupt an keiner Stelle von einem horizontalen Plafond.

I. ABSCHNITT .

Vitruv und die Poliorketiker. Ihre Bedeutung für die technische Literatur und die Überlieferung ihrer Texte .

es Buch versucht, den literarischen Nachlaß der antiken Technik nach ieses Dies seinem technischen Gehalt für unsere Erkenntnis technischer und archi tektonischer Fragen zu verwerten . - „ Der antiken Technik “ : richtiger würde es nach dem lateinischen Sprachgebrauch heißen , Architektur " ; denn archi tectura “ ist da der am weitesten umfassende Begriff des technischen Schaffens. 99

Besteht sie doch nach Vitruvs Einteilung aus den drei Sondergebieten, der eigentlichen Baukunst oder Architektur in unserem tektonisch - künstlerischen und im technischen Sinne, dem Maschinenbau und dem Bau feinmechanischer Apparate. Aber ich werde mich in der Auswahl des Stoffes beschränken und den Inhalt der folgenden Ausführungen am besten durch die Überschrift „Bau technik “ bezeichnen.

Als Quellen kommen dafür die im folgenden aufgeführten Werke antiker Techniker oder Technologen in Frage : 1. Vitruvii de architectura decem libri : Die zehn Bücher des Vitruv

über die Architektur ').

2. Die Gruppe unter den sogenannten Poliorketikern , die bautechnische Gegenstände enthält. Der Name ,„ Poliorketiker "“ ist dabei dem Titel entnommen, unter dem C. Wescher im Jahre 1867 die uns erhaltenen Handschriften griechischer Kriegsschriftsteller herausgab ?). Diese Gruppe besteht aus drei Werken, die ich hierunter mit den meist üblichen Titeln anführe :

a ) Apollodorus, Belagerungskunst. b) Athenaeus mechanicus. c) Anonymus Byzantinus.

Vitruv, Apollodorus und Athenaeus sind Techniker, den sogenannten Anonymus Byzantinus können wir als Technologen bezeichnen ; er ist ein Ge lehrter, der militärtechnische Gegenstände aus älteren Quellen - darunter auch sammelt und kommentirt. aus den unter a) und b) genannten Autoren " ) Vitruvii de architectura libri decem. ed . F.Krohn. Lipsiae in aedibus B.G.Teubneri MCMXII.

Die bei allen Zitaten angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Paginirung

der älteren, gleichfalls bei Teubner erschienenen Ausgabe von Valentin Rose und

Hermann Müller - Strübing, Leipzig 1867. Diese Seitenzahlen sind bei der Krohnschen Ausgabe am Rande vermerkt.

2) Poliorcétique des Grecs, C. Wescher. Paris 1867. Sackur, Literatur der Antike.

1

2

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker.

Wir beschränken die Auswahl demnach auf die Vertreter der praktischen Technik und übergehen die Theoretiker, d. h . die Mathematiker und Mechaniker. Damit folgen wir nur den Spuren des Athenaeus, der am ausgeprägtesten den

Typ des reinen Praktikers vertritt und von vornherein die Theoretiker darunter auch Aristoteles – als für die eigentliche Praxis unbrauchbar ablehnt. Ich will ferner nicht unerwähnt lassen , daß zur Gruppe der praktischen Polior ketiker auch Biton und Heron gehören ; aber ihre Werke beschäftigen sich fast ausschließlich mit Geschützkunde und das ist ein der Bautechnik ferner liegendes Spezialgebiet, das wir deshalb als vom Thema abseits liegend ebenfalls zunächst unberührt lassen dürfen .

Daß die wenigen auf uns gekommenen Werke, die man als technische Literatur des Altertums bezeichnen kann, nur einen Bruchteil dieser Literatur

darstellen, geht aus den Angaben Vitruvs am Eingang des VII. Buches hervor. Vitruv zählt hier nicht weniger als 21 griechische Architekten als Autoren auf, die teils ihre eignen Bauten veröffentlichten und kommentirten, teils Leitfaden

über architektonische Stilfragen verfaßten. Dazu kommen weitere 12 Archi tekten, die über rein technische Dinge

de machinationibus

und drei ,

die über Bühnentechnik und Bühnenperspektive geschrieben haben. Wesent lich geringer ist der Anteil der Römer : Vitruv nennt nur drei römische Autoren , unter ihnen Terentius Varro, der zwar kein Techniker , aber einer der fruchtbarsten wissenschaftlichen Geister gewesen ist, die das Römertum hervorgebracht hat.

Es wird zunächst unsere Aufgabe sein, über die Persönlichkeit unserer vier Autoren, über die besondere in ihren Werken verfolgte Absicht, über ihre Texte, die Illustrationen und andere für ihre kritische Würdigung bedeutungs volle Fragen das nötige zu sagen : Nach der Anlage seines Werkes, nach dessen Wirkung auf die Nachwelt und dementsprechend nach seiner Bedeutung für die

Entwicklung der modernen Technik überhaupt gebührt dem Vitruvius unter ihnen ein bevorzugter Platz ; unter diesem Gesichtspunkt treten die anderen ihm gegenüber weit in den Hintergrund.

Vitruv . Uber Vitruvius' Persönlichkeit ) wissen wir im wesentlichen nicht viel mehr

als das, was er selbst in seiner Widmung an den Kaiser Augustus am Eingang des I. Buches mitteilt : Er ist in dessen Armee als architectus bei der Zu

richtung und Instandhaltung der Geschütze und Wurfmaschinen tätig gewesen. Mit des Kaisers Oheim und Adoptivvater, Julius Caesar, hat er in irgend einer Beziehung gestanden – näheres gibt er darüber nicht an er war jedenfalls 1) Alle Handschriften überliefern nur den Geschlechtsnamen Vitruvius, und die spätere antike Literatur ist bei der Erwähnung seines Namens dabei geblieben ; nur des M. Cetus Faventinus' Buch über die Baukunst, ein kurzer, aus dem 2. Jahrh. n. Chr.

stammender Auszug aus dem Vitruv, gibt ihm den Beinamen Polio.

Alle ihm zu

gelegten Vornamen sind haltlose Konjektur der italienischen Gelehrten der Renaissance. Vgl. Vitruvausgabe von Rose, praefatio .

Vitruv.

3

ein Parteigänger Caesars '). Aus einer Notiz des Frontinus ) geht hervor, daß unser Autor als architectus der römischen Wasserleitungen tätig war, und zwar muß diese Tätigkeit vor dem Jahre 20 v. Chr. gelegen haben "). Die Ab fassung seines Werkes fällt in den Zeitraum der Jahre 40 bis 28 v. Chr. “) . Uber sein Lebensalter beim Abschluß seines Werkes ist in seiner Vorrede zum

II . Buch eine Andeutung gegeben "). Vitruv war im Jahre 28. v. Chr. ein alter Mann, er war also ein Zeitgenosse Varros und Ciceros. Die zehn Bücher Vitruvs über die Architektur sind ein encyklopädisches Werk, das aus griechischen Quellen schöpft. Der Verfasser legt offenbar

Wert darauf, die Benutzung griechischer Literatur seinen Lesern erkennbar zu machen : Er verwendet überall die technische Terminologie der Griechen und , wo es sich um römische oder griechische Sondergewohnheiten oder Sonder

benennungen handelt, versäumt er nicht, auch terminologische Vergleiche der römischen und griechischen Technik zu geben. Sehr interessant ist, was er uns über die Art seiner Quellen und über seine Absicht und Methode bei ihrer Benutzung in seiner Vorrede zum IV. Buch mitteilt ): Seine Bücher denn es bezieht sich seine Bemerkung nicht nur auf dieses Buch sollen zugleich ein Sammelwerk bilden, um die vielen herumfahrenden Einzel Lehrbeispiele und literarisch nicht geordneten Schriftfragmente über Architektur zusammenzufassen ).

Wir dürfen es also als ein Verdienst Vitruvs ansehen,

daß uns die Tradition dieser anscheinend schon zu seiner Zeit verzettelten und

jetzt restlos verlorenen griechischen Literatur übermittelt ist. Was aber das Werk besonders dem Fachmann auch heute noch so interessant und anregend macht, ist die Frische und Unmittelbarkeit der fachmännischen Anschauung, mit der Vitruv die eigentlich bautechnischen Fragen behandelt. Der Architekt Vitruv schreibt freilich nicht nur für den Fachmann, sondern auch für den

gebildeten Laien ; und dieser Umstand ist gerade für die Wirkung des Buches in der Renaissance und somit für die Entwicklung der modernen Technik über haupt von der allergrößten Bedeutung geworden. Aus dem vorerwähnten Verzeichnis, das Vitruv von der älteren technischen

Literatur bringt, ergibt sich ganz allgemein die Tatsache, daß die Technik und ihre Vertreter, die Architekten, im Geistesleben des Altertums eine Stellung

einnahmen. Im Vitruv tritt in ganz ausgeprägter Weise das Bestreben in den Vordergrund, die Technik in ihrer Beziehung zu den anderen geistigen Interessen 1) Vitr. 1 , 16 : ideo quod primum parenti tuo fueram notus et eius virtutis studiosus. 2) Frontinus de aquaeductu urbis Romae. ed. F. Krohn. Leipzig 1922. Frontipus verfaßte sein Werk unter dem Kaiser Nerva ; er war also ein Zeitgenosse des Plinius.

3) Vitruvius und seine Zeit. D. D. Ludwig Sontheimer. Tübingen 1908. S. 29 bis 32.

4) Sontheimer wie vor und Krohn , Vitruvausgabe, praefatio, pag. VIII. 5) Vitr. 32, 23 : mihi autem , imperator, staturam non tribuit natura, faciem defor. mavit aetas, valetudo detraxit vires.

5) Vitruv, pag. 83, 13 : Cum animadvertissem , imperator, plures de architectura praecepta voluminaque commentariorum non ordinata sed incepta uti particulas erra bundas reliquisse, dignam et utilissimam rem putavi tantae disciplinae corpus ad per fectam ordinationem perducere etc.

i Vgl . dazu auch Theodor Birt, Kritik und Hermeneutik nebst Abriß des antiken Buchwesens.

München 1913.

S. 343 u . 344. 1*

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker .

4

darzustellen . Ihre Verbundenheit mit allen übrigen Disziplinen ist überall

betont. Wenn wir diese besondere ideale Seite des Buches ins Auge fassen , so gewinnt unser Autor mag der Umfang seines Stoffes im Verhältnis zu der ver lorenen griechischen Literatur auch bescheiden, die Behandlung desselben oft auch wenig original sein – doch gerade dadurch eine ganz besondere Bedeutung, weil er hierin offenbar ein treues Abbild der antiken Kultur überbaupt darstellt. -

Eine technische Literatur, wie sie die Alten hatten, ist nur unter der Voraussetzung denkbar, daß das Schaffensgebiet der Technik mit allen Wissens gebieten in Verbindung steht.

Das verstehen wir heute unter Technik und

den gleichen Sinn legten die Alten in den Begriff der architectura “.

Die

Technik muß in den Gesamtumfang der geistigen Interessen eingeordnet sein ; das rein intuitiv schaffende Handwerk muß einen wissenschaftliche Erkenntnisse

beherrschenden Führer haben : Das ist die Bedeutung des von Vitruv nach

Bildung und Tätigkeit so genau umrissenen Berufs des architectus, cuius iudicio probantur omnia, quae ab ceteris artibus perficiuntur opera“ 1). Techniker, Technik und technische Literatur sind eine besondere Erscheinung der antiken

Kultur. Das Mittelalter hat sie nicht gehabt. Es kommt bei der Frage nicht auf einzelne Erfindungen an, die dem mittelalterlichen Handwerk wabrhaftig nicht abzusprechen sind.

Auch nicht

die Reichweite der technischen Mittel ist das entscheidende, die in unserer Zeit natürlich unendlich größer ist ; sondern allein die besondere geistige Disposition der Zeit.

Technisches Denken setzt ein besonderes Verhältnis zwischen For

schung, d. h. durch Wissen errungene Anschauung, und Schaffen voraus. Das Mittelalter hat diese Disposition nicht besessen ; es hat viele und reich ent wickelte Handwerke gehabt, aber keine Technik und keine technische Literatur, denn handwerkliche Rezeptbücher sind noch keine technische Literatur.

Man darf aus der Tatsache, daß Vitruv frühzeitig eine gewisse Wert schätzung in den mittelalterlichen Klöstern fand und auch behielt, nicht die Folgerung machen, als ob hier eine gewisse Tradition antiker Kunst und Technik gepflegt wurde.

Diese Zeit blieb in Wirklichkeit ganz ohne innerliche Be

rührung mit dem Buch . Vitruv verdankt diese Wertschätzung und damit zugleich seine Erhaltung lediglich der bemerkenswerten Menge der in seinem Werk enthaltenen praktischen Erfahrungen aus dem Gebiet der reinen Bautechnik.

Seine Brauchbarkeit als bautechnisches Rezeptbuch war hier unzweifelhaft der Hauptgrund seiner Pflege. Was Vitruv über Luftkalk , seine Bereitung und seine

verschiedenen Verwendungsarten, über hydraulischen Kalk, über Fundirungen, Mauerwerk in seinen verschiedenen Ausführungsarten, über Lehmsteine und Backsteine, über die Herstellung gewölbter Decken in Mörtelmasse, über Fuß

boden, Wandputz und andere rein bautechnische Einzelfragen sagt, ist durchaus sachverständig, ja seine Art, es zu sagen , verrät ganz den Praktiker des Bauplatzes. Hier sind deswegen die Grenzen, innerhalb deren man die Unabhängigkeit des Autors von seinen Quellen erkennen kann , unschwer zu finden und der Versuch, ihm auch hier den Varro als Vorlage unterzuschieben, ist sachlich

verfehlt. Varros Buch über die Architektur, das neunte unter den neun Büchern 1) Vitruv, pag . 2, 18.

Vitruv.

5

des gelehrten Verfassers über die freien Künste '), war wahrscheinlich in besserem Latein geschrieben und das wissenschaftliche Material wird wohl methodischer verarbeitet gewesen sein. Aber die bautechnische Erfahrung oder auch nur den Sinn für die vielen nur dem Praktiker zugänglichen Einzelheiten können

wir bei ihm unmöglich in dem gleichen Maße voraussetzen , wie bei dem Archi tekten Vitruv. Man vergleiche heute einmal die decem libri de re aedificatoria des Leo Baptista Alberti ”) unter diesem Gesichtspunkt mit den Büchern Vitruvs

und man wird den Unterschied im Angreifen des Stoffes zwischen einem Kunst liebhaber und einem Praktiker verstehen.

Auch Varro kann seinem Stoff nicht

anders gegenübergestanden haben als der Humanist Alberti. Das scheint mir in Wirklichkeit der innere Grund zu sein, weshalb Varros Buch über die

Architektur so frühzeitig verlorenging, während die decem libri des Vitruv allen Unbilden der rauhen Zeiten Trotz bieten konnten.

Wenn man sich ein Bild von der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Vitruv machen will, so wird man darüber bei den textkritischen Bearbeitern Vitruvischer

Einzelfragen ebenso wenig Belehrung finden wie bei den zusammenfassenden Kunstgeschichten neuerer Herkunft. Man darf sogar sagen , von Gottfried Semper an, dessen künstlerisch so unfruchtbare tektonische Analyse des Stils den eigent lichen Abstieg von fruchtbringender Kunsttheorie zu moderner Stilgeschichte ein leitet, beginnt eine Epoche auffallender Minderbewertung Vitruvs. Wir müssen also, um die Bedeutung seines Werkes würdigen zu können, seinen Einfluß auf

die große Zeit geistiger Erneuerung kennen lernen, die man als Renaissance bezeichnet : Aus der Wirkung , die er auf die Ideenwelt dieser Zeit aus geübt hat, kann man rückblickend die besondere geistige Atmosphäre wahrnehmen , die diesem Literaturdenkmal der Antike eigen ist. Ich will dabei nur nebenbei erwähnen , daß die ästhetischen Kategorien Vitruvs für die architektonische Anschauung der Zeit grundlegend wurden und

fortan stets das feste Gerippe aller Kunsttheorie gebildet haben. Es wäre auch falsch, bei den Vertretern der Renaissance und des Barock, den Vignola, Serlio, Scamozzi, Palladio, Galiani, Claude Perrault und wie sie alle heißen

mögen, denen Vitruv noch als reinste Quelle antiker Tradition und unbedingter Autorität gegolten hat, bei diesen archäologisch geklärte Anschauungen über die in den zehn Büchern enthaltenen architektonischen Fragen suchen zu wollen.

Nicht einmal die zahlreichen Säulenordnungen, die, mit Vignola beginnend, nach dem Vorbild Vitruvs aufgestellt wurden, werden in dieser Beziehung seiner Lehre gerecht. – Aber die Bedeutung , die man von da an den Ordnungen “ als dem formalen Ausdruck architektonischen Gestaltens gab , ent

sprach durchaus dem Geist antiker Architektur , und damit war man eben doch in den Kern der Frage eingedrungen . 1) Diese Encyklopädie des M. Terentius Varro, disciplinarum libri IX, behandelte die Architektur unter den freien Künsten : Grammatik, Dialektik, Rhetorik , Geometrie, Arith

metik, Astrologie, Musik, Medizin, Architektur. Das ganze Werk ist verlorengegangen 3) De re aedificatoria libri decem Leonis Baptistae Alberti. Argentorati 1541 . Die erste gedruckte Ausgabe des in den Jabren 1450—1470 etwa verfaßten und in einzelnen Bänden den Zeitgenossen bekannt gewordenen Buches erschien 1485. (Otto Stein, Die Architekturtheoretiker der italien. Ren . DD. Karlsruhe 1914.)

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker.

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Um ein zweites Beispiel zu wählen : Die Vorstellung dieser Architekten von der antiken Bühne wurde den besonderen Bedingungen des von Vitruv beschriebenen Theaters tatsächlich nicht gerecht. Aber sie verstanden die Haupt

sache doch sofort und durchaus richtig, daß es sich für die Bühne bei Vitruv darum handelte, mit den Mitteln perspektivischer Malerei einen illusionistischen Rahmen für die Bühnenhandlung zu schaffen .

Und diese Erkenntnis setzte sich

auch hier in künstlerische Tatkraft um, von der „ prospettiva pratica“ Vignolas zu 6

den Bühnen Serlios und von Palladios teatro Olimpico bis zu den „ theatra sancta “

Pozzos und den Bühnen der Bibiena für die gesteigerte Schaulust der Barockzeit. Auf die geistigen Berührungspunkte kommt es an, nicht auf die Einzel heiten archäologischer Tatbestände. Der Vitruvische architectus, dieser uni verselle Mensch , der das Wissen der Zeit beherrscht und zur Grundlage seines Schaffens macht, wurde den Menschen der Renaissance ein Bildungsziel. Die

harmonische Verbindung von , ingenium “ und „ scientia “ , die Vitruv als das Ziel architektonischer Bildung verkündete, wurde ein neues Zeitideal . Dieses Ideal hat es vorher nicht gegeben ; auch nicht den architectus in diesem Sinne ). Es >

1) Das Mittelalter hat den Beruf des Architekten im Sinne Vitruv's als außer halb der Zünfte und über diesen stehenden Sachverständ ren und Treuhänder des Bau

herrn überhaupt nicht gekannt. Über diesen von Vitruv an verschiedenen Stellen klar gezeichneten Beruf brauche ich hier wohl nicht viel Worte zu machen , es bedarf nur eines Hinweises auf den heutigen Berufstyp , der in allem restlos auch in der rechtlichen Stellung dem Bauherrn gegenüber dem Vitruvschen architectus entspricht. Das ist nur selbstverständlich ; denn er ist aus dem Vitruv entnommen .

Freilich bei uns nicht

auf unmittelbarem Wege, denn noch das 16. Jahrhundert hat in Deutschland den Beruf des Architekten überhaupt nicht gehabt, das 17. nur in ganz einzelnen Persönlichkeiten.

Einen guten Beleg dafür gibt uns die Vitruvliteratur selbst : Auf dem nach Sitte der Zeit sebr umständlich und ausführlich gehaltenen Titelblatt der ersten deutschen Vitruv. Übersetzung von Walter Rivius (vgl. S. 8, Anm.), das der 1548 in Nürnberg er schienenen Ausgabe angehört und noch 1614 in dem gleichen Wortlaut gedruckt ist, heißt es zwar : „Dermaßen fleißig und ordentlich in Schrifften verfasset , daß bierin ein jeder Kunstbegiriger Leser der Architectur und Künstlichen Bauwerks unterwisen wirt “

wobei sich der Verfasser an die Kunstliebhaber, zu

denen er selbst zählt, wendet. Bei der Aufzählung der eigentlichen Berufe, für die das Buch bestimmt war, ist jedoch von dem Beruf eines Architekten noch gar keine Rede : „ Allen künstlichen Handtwerken , Werkmeistern , Steinmetzen , Baw

meistern , Zeug- und Büchsenmeistern , Brunnenleytern , Berckwerckern ,

Malern, Bildhawern, Goldtschmiden , Schreinern , und allen denen , welche sich des Zirckels und Richtscheids künstlich gebrauchen , zu sonder lichem nutz und vilfeltigem vortheil , Erstmals verdeutscht, und in Truck verordnet. “

Unter den künstlichen Handwerken “ marschiren in gleicher Front mit dem

ganzen Handwerk die Werkmeister, Steinmetzen, Bawmeister auf , d . h. die Zimmer meister, Steinmetzen und Maurermeister. Diese Einbeziehung in das Handwerk neben den andern Handwerken ist das bezeichnende Merkmal, während der architectus Vitruve eben über dem Handwerk steht. Rivius muß sich deswegen, um über

haupt ein Publikum für seine Arbeit zu finden, an alle Innungen zngleich wenden. Der architectus, „ cuius iudicio probantur omnia, quae ab ceteris artibus perficiuntur opera “, für den Vitruv sein Werk eigentlich geschrieben hat, fehlt bei dem deutschen Publikum .

Diese Sachlage ist viel zu wenig bekannt und gewürdigt und doch ist sie für das Verständnis der deutschen Architektur von der allergrößten Bedeutung . Vor allem

Vitruv.

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entstand ein neuer Beruf, der in der Kultur der Renaissance eine ungleich größere Rolle spielen sollte, als er in der Antike tatsächlich jemals gespielt hat.

Vitruv vermochte es vor allem bei den führenden und für die Antike und

ihre Wiedererweckung entflammten Geistern der Zeit, die Architektur in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Die geistige Disposition dieser Zeit war dafür besonders günstig. Daher auch die erwachende schrankenlose Baulust,

die oft über die Grenze jeder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ging, aber der Architektur und ihren Jüngern eine so überragende Stellung verschaffte. Habent sua fata libelli !

Das Schicksal der zehn Bücher des Architekten

Vitruv ist freilich besonders bemerkenswert: Das robust- empirische in seinem Inhalt hat es vor der Gefahr der Vernichtung bewahrt, der die alte Literatur zum größeren Teil anheimgefallen ist. Sein eigenartig geistiger Inhalt be fähigte es, der Renaissance einen erheblichen Teil des geistigen Erbes der Antike zu vermitteln.

Dabei hat es als starke Triebkraft die künstlerisch

technischen Triebe der neuen Kultur zur Entfaltung gebracht, und ist damit zum Ausgangspunkt der modernen Technik geworden. Was die Überlieferung des Textes anbetrifft, so braucht hier auf die mit

dem Ende des 15. Jahrhunderts beginnenden älteren Ausgaben ) nicht näher erklärt dieser Umstand allein die Tatsache, daß die baulustigen deutschen Fürsten und großen Herren im 17. Jahrhundert nur Italiener als Architekten nahmen ; sie waren

einfach gezwungen dazu, denn es gab diesen Beruf in Deutschland zunächst nicht. Die Deutschen haben ihn erst durch die Italiener kennen gelernt, und es hängt damit traditionell zusammen , daß auch später wie Leonhardt Christoph Sturm 1708 noch klagt der Deutsche vor allem in Rom gewesen sein mußte, um in seinem Lande als Architekt zu gelten . Nur dadurch war er legitimirt , über den , künstlichen -

Handwerken “ zu steben.

1) Eine Übersicht aller bisher erschienenen Vitruvausgaben mit dem Anspruch bibliographischer Genauigkeit kann ich im folgenden nicht bringen ; Gottlob Schneider gibt in der Vorrede zu seiner Vitruvausgabe allerdings nur nach rein textkritischen Gesichtspunkten eine Übersicht aller bis zum Jahre 1807 erschienenen Ausgaben . Ich will unter Benutzung seiner Angaben nur über die Ausgaben hier einiges von Interesse erwähnen , die mir selbst zugänglich gewesen sind . Ich verweise im übrigen auf die bibliographische Übersicht, die Bodo Ebhardt in seinem Buch, „Die zehn Bücher des Vitruv und ihre Herausgeber seit 1484 " über die Vitruvausgaben bringt. Die erste Ausgabe des Vitruv im Druck von Jo. Sulpicius erschien zwischen 1484

und 1492, Ort und genaues Datum sind nicht bekannt. Im 15. Jahrhundert erschienen noch zwei weitere Ausgaben , die Florentiner von 1496 und die Venetianer von 1497.

Eine zweite Gruppe von Ausgaben beginnt im Anfang des 16. Jahrhunderts mit der ersten venetianischen Ausgabe des veronesischen Architekten Jocundus ( Jocondo) von 1511 , die 1513, 1522 und 1525 in Florenz wiederholt wurde; sie unterscheidet sich von der

ersten Gruppe, die sich mit ziemlich wortgetreuem Abdruck der zur Verfügung stehenden Handschriften begnügte, dadurch, daß Jocundus vielfach nach eigner Konjektur den Text veränderte.

In dem gleichen Jahrhundert folgen dann neben Neuausgaben und Kommentaren die italienischen Übersetzungen und die Illustrationen. Die erste, 1521 erschienene

illustrirte und kommentirte Übersetzung von Cesare Ciserano kenne ich nicht, ebenso wenig die von Gottlob Schneider genannte, aber von ihm auch nicht eingesehne des

Jo. Baptista Corporali von 1536. Im Jahre 1556 ließ Daniele Barbaro eine kommentirte und illustrirte Übersetzung erscheinen, die 1567 , 1584 und 1629 neu aufgelegt wurde. Von dieser Übersetzung liegt mir die Ausgabe von 1584 vor: sie ist fleißig kommentirt

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker.

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eingegangen zu werden ; sie geben zum Teil nicht zu unterschätzende Kom

mentare und haben ihren eigenen Maßstab durch den sachlichen und künstle rischen Wert ihrer Kupferstiche. Zur kritischen Bearbeitung des Textes können sie nichts wesentliches mehr beitragen, denn es liegt allen älteren Ausgaben nur immer ein kleiner Teil des uns auch bekannten handschriftlichen Materials

zugrunde, vielfach durch eigne Konjekturen verändert und nicht durch Ver gleich der maßgebenden Handschriften genügend gesichert . Die gewissenhafte kritische Sichtung des Textes beginnt erst mit der Vitruvausgabe von Gottlob Schneider 1807. Die Ausgabe, die zum ersten Male einen durch kritische Ver gleichung sämtlicher in Frage kommenden Handschriften festgestellten Text bietet, ist die 1867 erschienene von Valentin Rose und Müller-Strübing. Eine lückenlose Wiederherstellung des stellenweise sehr unsicheren und

verderbten Textes stößt jedoch auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten, weil die uns zur Verfügung stehenden Handschriften, obwohl ihre Zahl nicht gering ist, in Wirklichkeit alle nur von einer einzigen späteren Abschrift stammen. und sehr reichlich illustrirt. Die Kupferstiche zeigen die einfache Zeichenmanier der damaligen Italiener, die mit architektonisch klarer Darstellung hohen sachlichen Wert vereint. Alles Architektonische bewegt sich dabei mit voller Freiheit und künstlerischer

Intuition in der Formenwelt der Antike. Trotz manch archäologischer Unsicherheiten macht sich gerade in den Illustrationen besonders gegenüber modernen Illustrations

versuchen die stärkere künstlerische Affinität der Zeit gegenüber der

Antike bemerkbar, das sichert dieser Arbeit bleibende Bedeutung (vgl. Abb. 60 u. 62 ) . Auch die 1544 erschienenen Kommentare zum Vitruv (Gulielmi Philandri in

X libros adnotationes) zeigen eine bemerkenswerte Höhe der gelehrten Forschung und des Verständnisses. Die von Gottlob Schneider erwähnte italienische Übersetzung Vitruvs von Rusconi vom Jahre 1590 ist mir nicht bekannt ; dagegen die 1660 nach gedruckten Kupfer Rusconis (i dieci libri d'architettura di Gio. Antonio Rusconi, se condo i precetti di Vitruvio etc.), von denen Abb. 30 u. 69 Beispiele geben. Rusconi bringt besonders zu technischen Einzelheiten des Textes sehr gute Illustrationen.

In einer ausgeprägten Sonderstellung zu diesen italienischen Vitruvausgaben des 16. Jahrhunderts gewährt die 1548 in Nürnberg erschienene, 1575 und noch 1614 in Basel nachgedruckte deutsche Übersetzung des Walter Rivius mit ihren zahl reichen , sehr reizvollen Bildern und Bildchen, die ganz dem Stil und Vorstellungskreis der „Deutschen Renaissance “ und des späten Mittelalters angehören, einen ungemein 2

»

lehrreichen Einblick in das Verhältnis der deutschen Renaissance zur Antike.

Rivius

gibt z. B. neben richtig gezeichneten Details der Säulenordnungen und anderer „ Anti

quitäten“ als Kommentar zu Vitruv's Lehre vom architektonischen Entwurf die „ Tri apgulation “ des Domes in Mailand mit richtigem Verständnis des Wesentlichen, aller

dings unter Benutzung des der Gotik mehr zusagenden gleichseitigen Dreiecks statt des rechtwinkligen. So sucht er bei Kommentar und Bildern mit gesundem

Blick für die rein praktischen Forderungen beide Vorstellungskreise mit einander zu verbinden und damit erlangt er doch auch wieder jene geistige Berührung mit dem fachlichen Inhalt, die gelehrte Werke unserer Zeit

vermissen lassen. Dabei zeigt die Übersetzung selbst mit ihren oft drolligen Über setzungsfehlern eine recht bescheidene und von den Vorarbeiten der gelehrten Italiener erstaunlich wenig berührte Gelehrsamkeit. Aus dem 17. Jahrhundert ist die französische kommentirte Übersetzung des Claude

Perrault durch ihre Kupferstiche bemerkenswert, die bei sehr sorgsamer Interpretation durch ibre künstlerische Ausführung wohl die schönsten Illustrationen bringt, die zum

Vitruv jemals gezeichnet wurden, und deren sachlicher Wert nicht unterschätzt werden darf (vgl. Abb. 63) ; der ersten Ausgabe von 1675 folgte 1684 eine zweite. Die 1649 erschienene,

Vitruv .

9

Dieser codex archetypus selbst ist verlorengegangen, aber in zwei unabhängig voneinander gefertigten Abschriften erhalten, auf die alle andern zurückgehen. Es sind das der nach Rose's Meinung noch zu Karls des Großen Zeiten ge schriebene codex Harleianus im Britischen Museum in London und der codex

Gudianus Nr. 69 der Bibliothek in Wolfenbüttel, der dem 11. Jahrhundert an gehört). Keine dieser Handschriften weist Bilder auf; deswegen wird auch der codex archetypus keine gehabt haben. Die zahlreichen und beiden Abschriften gemeinsamen Fehler und Lücken des Textes lassen darauf schließen, daß auch

zwischen dem archetypus und dem Urtext Vitruvs schon ziemlich verständnislos gemachte Abschriften gelegen haben. 1

von Gottlob Schneider genannte holländische Ausgabe von Joannes de Laet ist mir nicht bekannt.

Galiani brachte 1785 eine Neuausgabe des lateinischen Textes mit italienischer

Obersetzung nebeneinander, aber mit weniger interessanten Illustrationen heraus. Eine große Vitruvausgabe wurde von Poleni schon 1730 begonnen, von Stratico 1784 weiter geführt. Die Ausgabe, die alle früheren Kommentare von Philander an zusammenfassen sollte, erschien so verspätet ( 1825), daß sie wissenschaftlich bei ihrem Erscheinen Überholt war. Das aus acht Bänden bestehende Werk enthält mit den dazugehörigen Bilder tafeln in Form eines Sammelwerks alle Vitruviana des 16. bis 18. Jahrhunderts.

Zur

Vervollständigung der Ausgaben des 18. Jahrhunderts füge ich noch die von Gottlob Schneider genannten beiden englischen Übersetzungen von Robertus Castellus von 1730 und von M. Newton von 1771 sowie eine spanische von Jos. Ortiz y Sanz vom Jahre 1797 an . Den Abschluß dieser Epoche bildet August Rode, der 1796 eine deutsche Über setzung und 1800 eine Neuausgabe des lateinischen Textes veranstaltete . Das wertvollste

der Rodeschen Neuauflage sind die Kupfertafeln zu Vitruv, die in besonderem Band 1801 erschieden sind.

Einen Merkstein in der Geschichte der Vitruvausgaben bildet die 1807 bis 1808 in Leipzig erschienene Ausgabe von Gottlob Schneider , weil mit ihr die neuere Textkritik mit dem klar ausgesprochenen Ziel einsetzt, alle Kommentirung und Inter pretirung nur in den Dienst der Bereinigung des Urtextes zu stellen . In dieser Beziehung

ist der kritische Apparat Gottlob Schneiders heute noch mustergültig und unentbehrlich.

Es folgt 1857 die nur bis zum V. Buch gediebene Ausgabe von Lorentzen. Lorentzen hat als erster festgestellt, daß die beiden noch vorhandenen Gruppen der handschriftlichen Texte alle aus einer Quelle, einem codex archetypus geflossen sind. Nachzuholen ist die 1836 erschienene römische Neuausgabe von Marini. Die erste

Ausgabe, die den Urtext unter Benutzung der ältesten Exemplare der beiden Hand schriftengruppen des codex Harleianus und des Gudianus bringt, ist die von Valentin

Rose und Müller - Strübing von 1867 (vgl. Anm. 1 auf 8. 1 ). Ihr kritischer Apparat ist durch die neueste Ausgabe von F. Krohn von 1912 nach meiner Meinung nicht ganz entbehrlich geworden. Von neueren deutschen Übersetzungen erwähne ich die mit

Recht geschätzte und viel benutzte von Franz Reber, Stuttgart 1865. Die in Straßburg 1912 erschienene, illustrirte Übersetzung von Prestel kann ihr gegenüber keinen Anspruch auf wissenschaftliche Geltung machen . Auch die von Auguste Choisy

im großen Stil 1909 unternommene Vitruvausgabe mit französischer Übersetzung, Kommentar und Illustrationen kann einer ernsthaften wissenschaftlichen Kritik nicht überall standhalten .

1 ) Vitruvii de arch. libr. X. ed. Valentinus Rose praefatio, pag. I-XII: Die Er haltung Vitruvs verdanken wir den kulturellen Bestrebungen Karls des Großen ; sein Berater Einbart hat einen Vitruv besessen und alle Klöster scheinen damals gewett eifert zu haben, in den Besitz einer Abschrift zu gelangen. Nachweislich haben die Mönche von Fulda und Reichenau einen Vitruv gehabt.

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker.

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Die Poliorketiker. Die Handschriften der Poliorketiker genießen den Vorzug, Abbildungen zu besitzen . Die erste unter Benutzung aller vorhandenen Handschriften text kritisch durchgearbeitete Ausgabe ist die von C. Wescher, die unter dem Titel „ Poliorcétique des Grecs “ 1867 in Paris erschienen ist. Hier sind zwei unab hängige älteste Quellen vorhanden, zwei aus dem 11. Jahrhundert stammende ganz gleiche Handschriften, die eine im Vatikan, die andere in Paris, und der nach seinem Entdecker benannte noch ältere Minaskodex der Staatsbibliothek

in Paris.

Der Anonymus Byzantinus nimmt dabei eine Sonderstellung ein ;

denn seine Quelle ist ein erst 1533 geschriebener, also verhältnismäßig moderner Kodex in der Universitätsbibliothek zu Bologna. Eine deutsche Ausgabe der für uns in Frage kommenden drei Poliorketiker

verdanken wir Rudolf Schneider '). Sie bringt außer dem Text Kommentare und deutsche Übersetzung.. Die Wiedergabe der Abbildungen ist auf photo graphischem Wege nach den Originalen erfolgt, während Wescher zu seiner Zeit nur Holzschnitte bringen konnte.

Die photographische Vervielfältigung

gestattet nunmehr ein viel sichereres Urteil über die Bilder, als es bisher auf Grund der freilich sehr zuverlässigen Holzschnitte möglich gewesen ist. Text lich fußt die Schneidersche Ausgabe ganz auf der von Wescher, so daß ihr Verdienst mehr in der Übersetzung und Kommentirung des Stoffes zu suchen ist.

Apollodorus. Der Verfasser der unter dem Titel ,,Des Apollodorus Belagerungskunst“ 2).

überlieferten Schrift ist Apollodorus von Damaskus, den man nach der Zahl und der Bedeutung der nachweislich von ihm errichteten Bauwerke als einen der hervorragendsten Architekten des Altertums bezeichnen muß. Er war der Architekt Trajans und hat als solcher die Prachtbauten des forum Traianum mit der Basilika, der Trajanssäule und dem Triumphbogen gebaut. Auch unter Hadrian hat er in Rom noch Monumentalbauten aufgeführt. Ein im

Altertum mit Recht bewundertes Werk war seine unter Trajan gebaute Donau brücke, über die er auch eine für uns leider verlorene Schrift verfaßt hats) . Über seine Persönlichkeit wissen wir im übrigen nicht viel , wir erfahren am Eingang seiner an den Kaiser Hadrian gerichteten Schrift, daß er in Trajans Armee einen Rang

also wohl als architectus

bekleidet hat und daß er

zusammen mit Hadrian im Felde gestanden hat. Hadrian hat an beiden Feld zügen gegen die Dacier unter Trajan teilgenommen “). 1) Griechische Poliorketiker, mit den handschriftlichen Bildern herausgegeben und übersetzt von Rudolf Schneider. In den Abhandlungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen. Berlin 1908. 2) 'Απολλοδώρου πολιορκητικά.

3) Diese Schrift wird bezeugt durch Prokop und andere, sein Anteil an den ge nannten Bauten und noch an anderen Monumentalbauten besonders durch Dio Cassius

bezeugt. Zur Literatur über Apollodorus siehe den Aufsatz von Aschbach in den Mitt. der K. K. Zentralkommission, III. Band, 1858, S. 197, „ Uber Trajans steinerne Donau brücke “ .

4) Der Brückenbau füllt nach Aschbach in das Jahr 103 bis 104 n . Chr.

Die Poliorketiker.

Seine „ Belagerungskunst" ist

Apollodorus. Athenaeus.

11

wie wir gleichfalls aus seinen eigenen

Angaben erfahren -- ein vom Kaiser Hadrian bestellter Bericht, dem Zeichnungen

zu jedem der besprochenen Gegenstände beigefügt waren ; man wird sogar richtiger sagen müssen : Er schickte dem Kaiser technische Zeichnungen, denen ein erklärender Text beigegeben war ). Die Arbeit Apollodors wurde von einem genau instruirten technischen Gehilfen überbracht, der an der Spitze einer Zahl geschulter Arbeitskräfte bei der Armee blieb, um die Ausführung

der gezeichneten Konstruktionen im Bedarfsfalle leiten zu können. Jedenfalls handelt es sich hier nicht um eine eigentlich literarische Arbeit ;

es wird daher auch keinerlei fremder Stoff zum Vergleich herangezogen, sondern ganz aus dem Schatz eigener Erfahrungen geschöpft, die dem Verfasser aus seiner Dienstzeit in der Armee Trajans zur Verfügung standen. Die Darstellung geht außerordentlich sorgfältig auf die Einzelheiten auch der rein handwerk lichen Ausführung ein , und das macht sie für uns so wertvoll , da wir aus dem

verhältnismäßig gut erhaltenen Text dokumentarisch sichere Aufschlüsse über antike Zimmertechnik erhalten. Denn der Wortlaut des Textes erlaubt es , von allen Beschreibungen sichere Rekonstruktionen herzustellen.

Athenaeus. Der Verfasser der unter dem Titel Athenaeus Mechanicus ) bekannten Schrift hat uns in bezug auf seine Persönlichkeit und den Charakter seiner

Arbeit vor nicht leicht zu beantwortende Fragen gestellt. Ein großer ja der größte Teil – des Athenaeustextes stimmt fast wörtlich mit den die Poliorketik behandelnden Kapiteln des X. Buches Vitruv’s überein. Als Entstehungszeit der Schrift wird vom Herausgeber, Rudolf Schneider, das 2. Jahrhundert n. Chr. an

genommen ), eine Datirung, die ihm durch das Urteil Diels' gesichert erscheint. Diels hat den Athenaeus für einen Ingenieur etwa Hadrianscher Zeit erklärt. Infolge der Übereinstimmung beider Texte hat man im Athenaeus zunächst

eine Teilübersetzung des Vitruv gesehen . Aber schon Wescher führt die Überein stimmung der beiden Texte auf die Benutzung der gleichen griechischen Quelle zurück . Diese Annahme sucht Max Thiel in den Leipziger Studien “) näher zu begründen . Seiner Beweisführung hat sich auch Rudolf Schneider angeschlossen 1 ) Nach der an den Kaiser persönlich gerichteten Einleitung sind die Zeichnungen offenbar die Hauptsache ; sie werden zuerst genannt. Erst am Schluß dieser Einleitung ist von dem erklärenden Text die Rede.

2) 'Αθηναίου περί μηχανημάτων. 3) Die Datirung schien von jeher schon sehr unsicher. Athenaeus galt früher nach der von Lambecius angegebenen Datirung als ein Zeitgenosse des Archimedes, weil Lambecius in dem von Athenaeus angesprochenen Marcellus den M. Claudius Marcellus sah , den Eroberer von Syrakus . Aber die von Lambecius durch keinen Beweis

gestützte Hypothese wurde durch Schweighofer widerlegt, dessen Ansicht auch Gottlob Schneider vertritt. Vgl. Athenaeus von Rudolf Schneider, Abhandlungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen , Bd. XII, 1912, Einleitung 8. 1 u. 2. Lambecius (Peter Lambeck) lebte 1628 bis 1680. Seine ,,commentarii de bibliotheca caesarea Vindo bonensi " erschienen 1665 bis 1679 .

- ) Quae ratio intercedat inter Vitruvium et Athenaeum mechanicum , exposuit Maximilianus Thiel. Leipziger Studien 17. Band, 2. Heft, 8. 275. Leipzig 1896 .

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker .

12

Die Frage ist natürlich für die Beurteilung Vitruvs und des Vitruvschen Textes von größter Wichtigkeit. Wir werden darauf später noch näher eingehen müssen. Die vorhandenen Illustrationen zum Text bin ich von vornherein geneigt mit einigem Mißtrauen zu betrachten. Denn der Text selbst enthält eigentlich keinerlei beweiskräftige Hinweise auf Abbildungen und die am Schluß der

Schrift gegebene Andeutung wegen einer späteren Anfertigung von Zeichnungen spricht ziemlich überzeugend gegen eine Beigabe von Bildern.

Anonymus . Inhalt und Verfasser der unter dem Namen „ Anonymus Byzantinus “ bekannten Schrift - die Handschrift gibt weder Titel noch Verfasser an

kann nicht besser als durch die Worte Rudolf Schneiders ) gekennzeichnet werden : „ Der byzantinische Verfasser hat sein Material aus antiken Quellen zusammengetragen und durch eigene Zusätze vermehrt . “

Die Entstehungszeit

des Buches setzt Schneider in das 10. Jahrhundert n. Chr.; er nimmt an , daß es zu den Büchern gehört, die der Kaiser Konstantin VII., Porphyrogenetos , für seine Encyklopädie der Altertumswissenschaften hat anfertigen lassen . Durch diese Datirung scheint mir der Anonymus seinem Charakter nach richtig eingeschätzt.

Auch in der Beurteilung der Bilder geht Rudolf Schneider nicht

fehl, wenn er ihnen den vollen Quellenwert der byzantinischen Originalbilder zuerkennt , obwohl diese Bilder des codex Bononiensis der Zeit seiner Nieder

schrift entsprechend in der Haltung der Figuren Renaissancecharakter zeigen. Aber dieser Quellenwert geht eben nicht über die Zeit der Entstehung des Urtextes hinaus, also über die byzantinische Periode : Daß ihnen in die Traditionen der Antike zurückreichendes Material zugrunde gelegen hätte, ist nicht erkennbar.

Die handschriftlichen Bilder. Zur Klarstellung des Quellenwertes der handschriftlichen Bilder müssen wir zunächst einmal der Frage nähertreten, bei welchen der vier Literatur werke überhaupt eine Beigabe von Abbildungen für den Urtext vorausgesetzt

werden kann. Ganz sicher ist das, wie wir bereits gesehen haben , beim Anonymus der Fall . Bei den drei übrigen liegt die Sache wesentlich anders. Ich will zunächst die Frage bei Vitruv stellen : War der Urtext des Vitruv mit Abbildungen versehen und sind diese später nur verloren

gegangen? oder war auch die erste Ausgabe schon nicht illustrirt? Die Frage läßt sich für die Stellen in den zehn Büchern sehr leicht beantworten, an

denen im Text selbst auf eine Abbildung hingewiesen ist. Ich zähle im ganzen Vitruv nur zehn derartige Stellen ; aber bei diesen Stellen handelt es sich durchweg nicht etwa um einen eigentlich technischen Gegenstand , sondern

um eine mathematische Figur : Die Doppelfigur für die Windrose ?), die mathe matische Linie für die Säulenschwellung :), desgleichen die viel umstrittenen 1) Siehe a. a. 0 . 2) Vitr. 28, 13. 3) Vitr. 75, 8 .

Die Poliorketiker. – Anonymus.

Die bandschriftlichen Bilder.

13

scamilli impares ") , die Spiralkurve der ionischen Kapitälvoluten ?), die chorobates 3) genannte Wasserwage im VIII. Buch, dann die drei geometrischen Figuren im IX. Buch “), die Figur des Pythagoras im X. Buch “) und schließlich die Tonfigur 9

des Aristoxenos über die Einteilung der musikalischen Geschlechter ).

Bei keiner anderen Beschreibung weist Vitruv sonst auf eine vorhandene Ab

bildung hin ; das ist eigentlich Grund genug anzunehmen, daß auch keine vorhanden war. Diese Annahme wird aber auch noch gestützt durch die Vorrede zum V. Buch. Vitruv verbreitet sich hier ausführlich über die Schwierigkeit, den technischen Stoff seiner zehn Bücher dem Publikum näherzubringen . Schon die fach

männische, dem Publikum nicht geläufige, Ausdrucksweise lege seinem Bestreben Hindernisse in den Weg ; er hofft trotzdem, das Interesse seiner Leser fesseln zu können , aber er betont, wie leicht das den Historikern und den Dichtern schon durch die Wahl ihres Stoffes gemacht wäre. Diese Stelle ist nicht nur

für die literarischen Absichten seines Werkes kennzeichnend, denn man ersieht daraus, daß er sich nicht nur an die Fachleute, sondern in erster Linie sogar

an den gebildeten Laien wendet ; sie ist auch für die Frage der Illustrationen von Bedeutung: Denn es muß auffallen, daß er auch hier nicht die leiseste Andeutung über Illustrationen macht, die doch gerade dazu bestimmt sind, für das Laienpublikum den vom Autor beklagten Mißstand zu beseitigen . Ja, man

kann ruhig sagen , der große Vorteil, durch Textillustrationen der Auffassungs gabe der Leser unmittelbar zu Hilfe zu kommen , konnte in diesem Zusammen

hang unmöglich unerwähnt bleiben

wenn Vitruv solche Illustrationen eben

hätte bringen können. Also auch dieser Gedankengang muß unsere Annahme bestätigen, daß im Vitruv keine Bilder außer an den ausdrücklich durch Hinweis gekennzeichneten wenigen Stellen vorhanden waren . Die Ansicht, daß die zehn Bücher Vitruvs illustrirt waren, und daß die Illustrationen verlorengegangen sind, ist so allgemein - auch der Herausgeber

der Poliorketiker, Rudolf Schneider, hat sie sich zueigen gemacht -, daß ihre

Wahrscheinlichkeit für gewöhnlich überhaupt keiner Prüfung mehr unterzogen wird .

Wenn ich aber auch die vorstehend verfolgten Gesichtspunkte ganz

außer Betracht lasse, und nur die Frage stelle, auf welche Weise hätte Vitruv nach den zeitgenössischen Verhältnissen des Buch wesens und den besonderen für 1 ) Vitr. 77,4 . 3) Vitr . 80,5 . 3) Vitr. 206 , 19 . Vitr. 215, 7 . 4) Vitr. 214, 4. Die Platonische Figur der Quadratverdopplung. Die Figur des Pythagoraeischen Lehrsatzes. Vitr. 234. Verzeichnung der Sonnenuhren . Es ist an dieser Stelle zwar kein Hinweis, aber die in der Beschreibung genannten Buchstaben deuten auf eine Figur hin .

5) Mit dem Hinweis Vitr. 259, 13, mit dem die Beschreibung des Schneckenrades zum Wasserheben abschließt, ist nicht etwa eine Abbildung dieser Maschine angedeutet,

sondern nur die beigegebene Figur eines rechtwinkligen Dreiecks mit den Katheten 3 und 4 unter Bezugnahme auf den Pythagoras für die Berechnung der Hypotenuse.

6) Vitr. 116 , 2 : „ diagramma musica ratione designatum“ . Der Satz 121,20 enthält bei richtiger Übersetzung keinen Hinweis auf eine Abbildung, wie Reber annehmen möchte ; übrigens würde ja auch diese Figur, wenn Reber wirklich recht hätte, nur in zwei Kreisen bestehen, von denen dem einen vier gleichseitige Dreiecke, dem anderen drei Quadrate einbeschrieben sind .

14

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker .

sein Werk vorliegenden Bedingungen Illustrationen bringen können, so werden

wir erkennen, daß die Beantwortung dieser Frage sehr wenig positive Unter lagen zur Bestätigung dieser Ansicht zutage fördert. Uber das Vorhandensein illustrirter Bücher im Altertum kann zunächst

einmal, wenn wir die Frage so allgemein fassen, kein Zweifel herrschen. Theodor Birt gibt im V. Abschnitt seiner „ Buchrolle in der Kunst “ 1) den Beweis für das Vorhandensein bildlicher Darstellungen in Buchform ; sie waren danach sogar zahlreich vorhanden und wurden durch den Buchhandel verbreitet. Die am

besten bezeugten derartigen Bücher fallen übrigens gerade in die Zeit Vitruvs ; es sind das die von Varro und von Atticus herausgegebenen Bücher mit Porträts

berühmter Männer, die Plinius ?) erwähnt und mit fast überschwänglicher An erkennung würdigt. Aber bei all diesen Büchern handelt es sich in Wirklich keit nicht um illustrirte Bücher, sondern um Bilderfolgen, die in Buchform , das heißt nach antikem Gebrauch in Rollenform , hergestellt und buchhändlerisch ver trieben wurden. Zudem sind es natürlich in der Mehrzahl der Fälle künstlerische

Darstellungen von Personen als Porträts, oder als handelnde Personen in irgend einer Szene, freilich auch mit landschaftlichem oder architektonischem Hinter grund. Aber die handelnden Personen bleiben jedenfalls das Hauptmotiv der bildlichen Darstellung.

Dagegen sagt Birt über das illustrirte Buch selbst, daß „ für das Rollen buch wesen Texte mit Bildern nur in gewissen Grenzen nachweisbar “ sind .

Wir dürfen hinzufügen, daß diese Grenzen sehr eng gezogen sind, wenn wir dabei zunächst einmal die von Birt hier erwähnten „Lehrschriften des Hero >

ausschalten ; ich komme auf diese Art Illustrationen später noch zurück, man muß sie scharf von den hier gemeinten Bildern trennen. Sie haben damit tat sächlich nichts zu tun und rechnen zu den mathematischen Figuren , zu denen

ja auch die im Vitruv bezeugten zehn Figuren gehören ; man muß sie schon um dessentwillen gesondert behandeln, weil zu ihrer Herstellung kein

Künstlerpersonal gebraucht wurde : Und das ist für unsere Frage ein sehr wichtiges, wenn nicht das allerwichtigste Moment. Daß die Alten im übrigen auch rein technische oder architektonische Themata, bei denen die Darstellungen von Personen vollständig in den Hinter

grund treten, in Bilderfolgen wiedergaben, dafür kann das Haterierrelief ) als bester Beleg dienen (Abb. 25) ; denn dieses Relief mit seiner Nebeneinander stellung verschiedener technischer Vorgänge und architektonischer, in gedräng tester Form aneinandergeschobener Objekte erinnert geradezu an das Blatt eines Skizzenbuches ; von einer Rolle kann hier freilich nicht gesprochen werden, aber von einem Einzelblatt der teuren und bis zum Rand aus 1) Die Buchrolle in der Kunst. Archäologisch-antiquarische Untersuchungen zum antiken Buchwesen von Theodor Birt. Leipzig 1907. S. 281. 2) Plinius, Natur. Histor. lib. XXXV. 11 . 3) Vgl. die Ausführungen darüber in Abschn. III, S. 53. Es ist dort nachgewiesen, wie gewissenhaft das Relief technische Einzelheiten gibt, die nur für den Fachmann verständlich sind. Daß ein von einem Techniker illustrirtes Blatt dem ganzen Relief

zugrunde liegt, steht für mich deswegen außer Zweifel. Die menschlichen Figuren sind dabei genau so nebensächlich und schlecht, wie sie bei technischen Illustrationen zu sein pflegen ; sie sind eben nur Staffage.

Die handschriftlichen Bilder.

15

genutzten „charta". Ohne diese Vorstellung ist dieser Komplex von Dar stellungen kaum verständlich ; es muß ihm eine derartige Illustration zugrunde gelegen haben .

Aber die wesentliche Frage ist doch die : Wer sollte derartige scäno

graphische Darstellungen zum Text der zehn Bücher Vitruvs für die erste Auflage des Werkes herstellen lassen ? Natürlich der Verleger. Bei den von

Plinius genannten „ imagines “ des Varro und des Atticus waren die Autoren zugleich die Verleger. Atticus war ein reicher Mann und machte Verlags geschäfte im großen Maßstabe, er ist bekannt als Verleger Ciceros, und für Varro wird man wohl auch kaum an Schwierigkeiten geschäftlicher Art zu denken haben.

Wer aber war der Verleger des Vitruvius ?

Zur Beantwortung dieser Frage folge ich der Darstellung, die Birt “) vom antiken Buchwesen gibt; danach übernahm den Verlag diejenige Persönlichkeit, der Vitruv seine zehn Bücher gewidmet hat ; denn das war im römischen Buch wesen die Bedeutung der Widmung, die nicht nur eine symbolische, wie bei uns, sondern eine wirkliche Zueignung im Sinne einer Eigentumsübertragung war : Der mit der Zueignung bedachte verfügte demnach über das Manuskript als sein Eigentum und übernahm damit die Pflichten und Kosten des Verlages,

vor allem die Kosten der Herstellung der nötigen Exemplare für eine Auflage. Und die Frage der Illustrationen war damals natürlich gerade so wie heute in allererster Linie vom Verleger abhängig.

Vitruv hat jedes seiner zehn Bücher mit einer besonderen Vorrede dem Kaiser Augustus gewidmet ?). Daß er es wagen durfte, sich mit dieser Zu eignung die bei solcher Sachlage immer zugleich eine Zumutung ein schloß - an den Kaiser zu wenden, ergibt sich aus der Dedikation zum I. Buch : -

Er bezog für geleistete Dienste eine Pension und darf sich auf die Verwendung seiner Gönnerin Octavia, der Schwester des Kaisers, berufen . Augustus war danach der Verleger des Werkes und hatte damit die Aufgabe übernommen ,

für die Erscheinung des Buches zu sorgen. Der Kaiser hat diese Pflicht dem Buche gegenüber erfüllt, aber man kann nicht annehmen , daß er dafür den kostspieligen Luxus bildmäßiger Illustrationen aufgewendet haben sollte, und eben das Fehlen jedes Texthinweises auf diese spricht dafür , daß der Autor diese Zumutung auch gar nicht gestellt hat. Dann hat er also beim besten Willen auch nichts anderes bringen können, 1) Kritik und Hermeneutik nebst Abriß des antiken Buchwesens von Theodor Birt. München 1913 .

2) Diese Vorreden werden anscheinend pie ganz richtig nach diesem aus dem antiken Buchwesen sich ergebenden Gesichtspunkt beurteilt. Sie stehen meist mit dem

Inhalt des Buches in gar keinem innerlichen oder nur ganz losem Zusammenhang und sind alle erst nach Fertigstellung des ganzen Werkes und unter dem Zwange einer

Form vorgesetzt, die nicht zu umgehen war, wenn Augustus veranlaßt werden sollte, sich der Bücher anzunehmen . Man würde sonst dem Vitruv gerechter werden ; sie sind

nicht besser und nicht schlechter, als derartige Widmungen zu sein pflegen und haben oftmals sogar sachlich recht bemerkenswerten Inhalt. Dort, wo er den Augustus apo

strophirt, sind sie jedenfalls sehr viel genießbarer, als solche Widmungen an hohe Herren späterhin zu sein pflegten ; man lese dagegen nur die Widmung Claude Perraults zu seiner Vitruvausgabe an Ludwig XIV.

16

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker.

als die zehn vorgenannten mathematischen Figuren, die jeder Buchschreiber mühelos kopiren konnte.

Daß solche im antiken Buchwesen begründeten Schwierigkeiten für alle Fachliteratur vorgelegen haben , zeigen auch die Werke der technischen Literatur im weiteren Sinne, die uns nicht nur mit Figuren überliefert sind, sondern auch durch den Wortlaut der Texte selbst auf Illustrationen hinweisen.

Unter

diesen ist der Lehrschriften Herons ) schon Erwähnung getan . Es sind im einzelnen seine Pneumatik, seine Mechanik und Katoptrik, sein Automaten theater und schließlich seine Geschützkunde ). ?

Auch die Poliorketik des Biton )

gehört zu dieser Gruppe. Gerade ein Buch z. B. wie das Automatentheater mit seinen künstlerisch

durchdachten mechanischen Spielereien würde einen außerordentlich dankbaren

Stoff für scänographische Illustrationen geboten haben in der gleichen Art, wie wir sie in den zur Zeit der Antike beliebten Bilderbüchern sehen.

An sich

können überhaupt alle diese Bücher bei dem komplizirten Aufbau ihrer Apparate Figuren ebensowenig entbehren, wie die Bücher der Mathematiker. – Aber was wir in Wirklichkeit bei ihnen sehen, sind nicht etwa bildmäßige

Dartellungen wie in den Bilderbüchern, sondern nur ganz kunstlose Figuren ,

die ich nach dem heutigen Gebrauch des Wortes als Diagramme bezeichnen möchte.

Diagramme nennt man heute graphische Darstellungen , die ohne Rücksicht auf die korrekte Form der körperlichen Erscheinung eines Gegenstandes gewisse

Zusammenhänge einzelner Teile vor Augen führen , um deren gegenseitige Be ziehung oder Lage klarzustellen.

So macht man Diagramme von Grundrissen

von Geschäftsgebäuden oder von ganzen Fabrikanlagen, indem man durch bestimmte zusammenhängende Linienzüge Raumgruppen verbindet, um ihre un mittelbare oder mittelbare Beziehung miteinander anzudeuten. Von den baulichen

Verhältnissen , der Höhenlage der Räume zueinander, der Stockwerkseinteilung und anderem wird dabei ganz abgesehen. Die Räume werden meist nur durch

umrahmte Aufschrift, andere Teile werden durch mehr oder weniger naturalistische Symbole angedeutet. Das wesentliche ist, daß es sich beim Diagramm

immer um eine Zweck- , aber keine Formdarstellung handelt. Genau so verhält es sich mit diesen Buchillustrationen ; wir können sie

nur verstehen, wenn wir von vornherein davon Abstand nehmen, die einfachen 1) Herons von Alexandria Druckwerke und Automatentheater.

Griechisch und

deutsch. Herausgegeben von Wilhelm Schmidt, Leipzig 1899. Herons von Alexandria Mechanik und Katoptrik. Herausgegeben und übersetzt von L. Nix und Wilhelm Schmidt, Leipzig 1900 .

Herons Bücher stammen aus der Zeit von etwa 100 n. Chr. Vgl . Kap. I der Ausgabe von Wilhelm Schmidt, „Zur Heronischen Frage“ . Schmidt bezeichnet zur Datirung Herons das Jahr 55 n. Chr. als terminus post quem, und setzt seine Blüte in die Zeit vor Ptolemaeus, dessen Werke zwischen 125 bis 151 n . Chr. erschienen sind.

3) " Howvos Bɛdonoiizá in der Poliorcétique von Wescher a. a. 0 . 3) Bitwros xaraoxıvai nodeuexwv dgyavov. Poliorcétique, Wescher a. a. 0. Die Anrede

„ König Attalus“ ! gleich am Eingang des Buches läßt eine gewisse Datirung zu, da der letzte Attalide, König Attalos III., Philometor, 133 v. Chr. gestorben ist. Das Buch muß also vor diesem Datum erschienen sein.

Die handschriftlichen Bilder.

17

Linienzüge etwa als Bild des Gegenstandes auf uns wirken zu lassen . Ich gebe als charakteristisches Beispiel die durch den Zusammenhang mit dem

Text zweifelsfrei als ursprünglich gesicherte Figur (Abb . 1 ) der yaorgagérn aus dem Heron ') . Wer diese armbrustartige Schußwaffe nicht kennt, kann sich auf Grund dieser Darstellung niemals eine Vorstellung von ihrem Aussehen machen ; freilich, wenn man die bildmäßige Darstellung in Abb. 2 daneben

betrachtet, erkennt man , daß dem alten Buchzeichner dieses Ziel auch gänzlich ferngelegen hat : Die Figur ist ein Diagramm , das beim Lesen des

Textes Linie für Linie nach den bezeichneten Buchstaben verfolgt werden muß ; sie ist keine Zugabe zum Text , sondern ein Teil des Textes.

Der Zeichner, der Textes selbst ist, durfte ren

Form

bei

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seinen

Lesern sicherlich voraus

setzen ; jedenfalls kommt es ihm auf die Wieder

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scheinung seines Gegen

16 TWN ICTHM TIWN 0x & OTHPIA

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standes für seinen beson

deren Zweck gar nicht an : Der Hauptteil der Schußwaffe , die beiden übereinanderliegenden

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gabe der körperlichen Er

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die Kenntnis der äuße

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wohl der Verfasser des

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und gegeneinander ver mittels einer schwalben T

schwanzförmigen

Füh Х

rungsnut verschiebbaren Schäfte sind in Wirklich

keit gleich breit ). ?

Abb. 1 .

Das

Diagramm breitet aber alle Linien ohne Rücksicht auf eine korrekte Horizontal

projektion des Gegenstandes nebeneinander aus, damit das Auge alle im Text genannten Linienzüge verfolgen kann.. Auch die im oberen Schaft befindliche Geschoßrinne ist weit auseinandergezogen , damit auch ja die Einzelteile der Abzugsvorrichtung deutlich gemacht werden können. Damit noch nicht genug,

wird der Konturenzug des Innenschaftes unter gänzlicher Nichtachtung der wirklichen Form L - förmig gekröpft; und der Kontur der rechten Kante des 1) Wescher, “Howvos Bedonorizó, Fig. XXII. 2) Der Grund für die Anordnung des doppelten Schaftes ist, die Armbrust mit

Einsatz des ganzen Körpergewichts spannen zu können. In Abb. 2 ist der Oberschaft so weit als möglich vorgeschoben ; die Sehne wird vom Abzugshebel festgehalten. In dieser Stellung wird die Waffe gespannt, indem der Schutze den bügelartigen Kolben gegen den Bauch drückt ; daher der Name yaotgagéin – und die Spitze gegen eine Mauer stemmt. Der Oberschaft wird durch Sperrhaken festgehalten, die in Zahnleisten des Unterschaftes eingreifen. Sackur , Literatur der Antike.

2

18

I. Abschnitt: Vitruv und die Poliorketiker.

äußeren Schaftes wird unterbrochen, offenbar nur in der Absicht, die Unab hängigkeit der beiden Schäfte voneinander zu betonen.

Es ist selbstverständlich, daß solche Figuren im Text nicht nur durch einen Hinweis Erwähnung finden , sondern daß sie mit ihren durch Buch staben bezeichneten Linien den Gang der Darstellung im Text begleiten.

Sie entsprechen darin genau den unentbehrlichen Figuren der Mathematiker; man darf sich dadurch nicht täuschen lassen, daß einzelne der an sich sehr sorgfältig gezeichneten Figuren ) auch bildmäßiger erscheinen, weil sie sich

bis

zu

einem

gewissen Grade einer

Horizontalprojektion ihres

Gegenstandes

annähern .

In Wirk

lichkeit fallen sie alle

mehr oder weniger je nach ihrem Gegen stand unter den Be

griff des Diagramms, und ebenso verhält es sich bei den übrigen Werken Herons . Immer handelt es sich

bei diesen Abbildun

gen um Diagramme oder um rein geome

trische Figuren, d. h. stets um Darstellun gen ,

die

von

den

Buchschreibern

mit

leichter Mühe bewäl

tigt werden konnten. Wir können die der alten Handschriften nach nun damit

Illustrationen

Gruppen ordnen und

Abb . 2.

sind jetzt imstande, die Fragen , von denen

wir ausgegangen

sind ,

schärfer zu präzisiren :

Wenn uns die angeführten Gründe wirklich in der Überzeugung befestigt haben, daß Vitruv außer den genannten zehn geometrischen Figuren keine Bilder bringen konnte , so bleibt nun doch noch die Frage offen : Hat viel leicht die Augusteische Erstausgabe außerdem, wenn auch keine eigentlichen

Bilder, so doch Diagramme aufgewiesen ? Wir werden uns nicht bedenken, auch diese Annahme abzulehnen , weil wir erkannt haben, daß die innige Ver 1) z. B. Fig. XXXI, Wescher a. a. 0.

19

Die handschriftlichen Bilder.

bundenheit mit dem Text eine Wesenseigenschaft des Diagramms ausmacht. Es gibt daher auch in dieser Literatur kaum ein Beispiel, wo nicht der

Text auf das zugehörige Diagramm Rücksicht nimmt. Eine derartige Bezug nahme ist aber an keiner Stelle des Vitruv zu bemerken ; wir stoßen demnach auch hier wieder auf dieselben Unwahrscheinlichkeiten für die Annahme von

Vitruv- Illustrationen. Kein Argument spricht für Illustrationen , aber alle in Betracht kommenden Umstände sprechen dagegen , so daß eine Berechtigung , von verlorenen Vitruv - Illustrationen zu reden , nicht anerkannt werden kann .

Zu welcher Bildergattung sind nun die vorhandenen Illustra tionen zum Apollodorus und Athenaeus zu rechnen ?

Und auf welche

weisen die Texte selbst hin ?

Zu der ersten Frage können wir ganz allgemein feststellen, daß die vor

handenen Bilder keine Ähnlichkeit mit Diagrammen haben ; und was die zweite Frage anbetrifft, so ist in beiden Texten auf „ technische Zeichnungen “ hin gewiesen : Apollodorus hatte sie beigefügt, Athenaeus stellt ihre Lieferung in Aussicht. Technische Zeichnungen sind aber ganz etwas anderes als Diagramme und überhaupt als Buchillustrationen , die Rücksicht auf buchtechnische Ver

vielfältigung kommt bei ihnen zunächst einmal in Fortfall. Bei Apollodorus – das ist jedenfalls ganz sicher

kann solche Rücksicht ursprünglich auch

gar nicht vorgelegen haben ; seine Poliorketik war ja von Haus aus nicht für die literarische Öffentlichkeit bestimmt .

Was man unter technischen Zeichnungen zu verstehen hat, darauf können wir am besten Vitruv antworten lassen : In seinen

species dispositionis “ ), d. h . Darstellungsarten des Entwurfes , nennt er als Darstellungsweisen : die ich nographia , die orthographia und die scaenographia .

Das

ist die

korrekte Antwort,

die

auch

wir

nicht anders geben könnten ; denn sie ist in der Sache selbst begründet. Grundriß und Aufriß, ichnographia und orthographia, sind die Horizontal und die Vertikalprojektion des Gegenstandes und die scaenographia ist die perspektivische Darstellung. Abb. 5 zeigt Ichnographie und Orthographie um Beispiele zu geben

vom Turm des Apollodorus und Abb. 3 eine Scaenographie ) seiner Widderschildkröte . Die Scaenographie erreicht eine

Bildwirkung ; sie entspricht daher am ehesten dem Begriff und dem Bedürfnis Die einfachen Projektionsdarstellungen geben dagegen

der Buchillustration.

eine unmittelbar verwendbare Vorlage für die praktische Ausführung der dar gestellten Bauwerke .

Apollodorus leitet seine Schrift mit folgenden Worten ein : „ Ich habe Dein Schreiben, Herr, wegen der Konstruktionen gelesen und bin ganz glücklich geworden, daß Du mich wert befunden hast, an dieser Deiner 1 ) Vitr. 11 , 21 .

2) Abb. 3 ist in Wirklichkeit eine isometrische, also genau genommen keine richtige perspektivische Darstellung. Aber ich darf sie in diesem Zusammenhang unter die Scaenographien rechnen, denn sie erfüllt auch hier die Absicht bildmäßiger Wirkung, und man wird derartige Gegenstände als Bilder meist isometrisch und nicht perspek

tivisch darstellen. Eine korrekte perspektivische Darstellung ist dagegen Abb. 65. 2*

I. Abschnitt: Vitruv und die Poliorketiker.

20

Gedankenarbeit teilzunehmen . Ich habe nun etliche zur Belagerung geeignete Aufgaben gemacht, sie aufgezeichnet und übersandt ; ich habe sie in allem

durchgesprochen und habe meinen Gehilfen erst gehen lassen, nachdem ich ihm alles gezeigt und in seiner Gegenwart ausgeführt habe, damit er nach den Beispielen, wenn es zur Ausführung kommen sollte, arbeiten kann.

Da ich

nun die Gegend nicht kenne, habe ich viele und mancherlei Art Pläne auf gezeichnet “ usw.

Und erst am Schluß der Einleitung) sagt er etwas über den Text : „ Ent schuldige, Herr, wenn ich mich in den Erklärungen zu den einzelnen Entwürfen ungeschickt ausdrücke; denn die Fachausdrücke ) weichen von der allgemeinen Rede ab und das Bauwerk läßt eine vieldeutige Beschreibung zu. Zudem bin ich selbst sehr ungewandt in der Rede. “ Wenn man diese Einleitung liest, – dazwischen teilt er unter anderem

noch mit, daß er auch tüchtige Bauhandwerker mitgeschickt hat – so weiß man schon von vornherein , daß es sich nicht um ein illustrirtes Buch handeln

kann in der Form, wie es uns jetzt in den Handschriften vorliegt, sondern um technische Zeichnungen, nach denen gearbeitet werden sollte . also schon nach den Worten dieser Einleitung unter den Bildern in der

Hauptsache Ichnographien und Orthographien erwarten. Tatsächlich weist aber auch der weitere Text an verschiedenen Stellen sogar darauf hin :

So heißt es am Schluß des Kapitels über die Schildkröten, 156 , 1 : „ to δε σχήματα και τα όρθια και τα κάτω γεγραμμένα παράκειται “. Der Übersetzer Rudolf Schneider, hat die Worte für unverständlich erklärt (S. 23, Anm.) und sie einfach fortgelassen. Der Sinn wird sofort verständlich sein, wenn ich hier

Vitruv's (pag. 11 , 23) wörtliche Erklärungen für seine species dispositionis danebensetze : 1. „ orthographia est erecta frontis imago“ „ ra öpfra oxýuara “ ;

2. „ ichnographia... e qua capiuntur formarum in solis arearum descriptiones “ και τα σχήματα τα κάτω γεγραμμένα . Beide Techniker bemühen sich an dieser Stelle ihren selbst geäußerten Absichten entsprechend, für ihren laienhaften Leser eine Umschreibung der

„ óvóuatu ins Èriornuns “ 3) zu geben, und die Stelle 156, 1 ist demnach ein sehr deutlicher Hinweis “) auf die Spezies von Zeichnungen, die wir bei sinngemäßer Auffassung der eingangs gebrachten Ankündigung Apollodors nur erwarten

können ; die Übersetzung ist : „ Aufriß- und Grundrißzeichnungen sind mitgegeben “ . Von diesen im Text erwähnten Zeichnungen finden wir unter den Bildern der Handschriften in Wirklichkeit nichts; es ist so gut wie kein Material dabei , das wir unter die Spezies der eigent lichen Bauzeichnungen rechnen könnten . So kann man sich auf den ersten Blick schon nicht dem Eindruck verschließen , daß diese 1) Apoll. 138, 13.

2) τα ονόματα της επιστήμης. 3) Vitr. 103, 14 : vocabula ex artis propria necessitate concepta inconsueto sermone obiciunt sensibus obscuritatem .

4) Ahnliche Hinweise auch 163, 2 : και τα σχήματα πρόκεινται , τότε κείμενον και το wioIwuévov.“ und 193, 1 : „ ůnettunv xai ws 0090ypaqzitae“, nachdem vorher 192, 10 auf den Grundrie hingewiegen ist: κατά το υπογεγραμμένον πρώτον σχήμα .

Die handschriftlichen Bilder.

21

Bilder jedenfalls in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Originalzeichnungen des Apollodorus stehen. Es sind durchweg bildmäßige Darstellungen, Scaenographien '), meist von recht hilflos ungeschickter Form , die uns die Handschriften zum Apollodorus

Wenn wir aber auch deswegen sicher sind , daß sie in keinem Fall eine unmittelbare Wiedergabe der verlorenen Zeich

text bieten .

nungen Apollodors sind ; ihr Quellenwert würde auch dann noch un bestreitbar und groß genug für uns sein , wenn in ihnen - ich will

nicht einmal sagen – ein Bächlein , sondern auch nur ein schmales Rinnsal einer Tradition aus der Quelle des Apollodorus bemerkbar wäre. Denn man könnte sich ja denken, daß bei Vornahme der ersten Aus gabe, mit der die ursprünglich nur für den kaiserlichen Gebrauch bestimmte

Arbeit des berühmten Architekten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, außer dem Text auch die Zeichnungen vorgelegen hätten und von den Illu

stratoren zur Anfertigung ihrer Scaenographien benutzt worden wären. Das scheint mir jetzt also die letzte und eigentlich entscheidende

Frage zu sein , die uns zu beantworten bliebe , und sie ist auch für die

handschriftlichen Bilder der beiden anderen Texte für den

Athenaeus und den Anonymus im Grunde genommen die gleiche : Sind diese Illustrationen, die in der Art der Auffassung und Wieder

gabe des Gegenstandes bei allen drei Schriften meist größte Ähn lichkeit miteinander aufweisen , von byzantinischen Zeichnern unter Benutzung antiken Materials entworfen ? Nur im Falle wir das be

jahen können , hat die betreffende Illustration für uns Quellenwert; sonst ist sie entweder wertlos oder sie hat nur den beschränkten Wert etwa

einer byzantinischen Paraphrase : Das heißt, sie kann uns einen Fingerzeig geben , falls nämlich der byzantinische Zeichner eine Einzelheit richtig wieder gibt, die noch einen Gegenstand des zeitgenössischen Gebrauchs betrifft. Denn die beschriebenen Kriegsmaschinen besaßen ja auch in byzantinischer Zeit noch aktuellen Wert und auch die handwerkliche Technik der Antike kann in byzan

tinischer Zeit noch nicht ganz erloschen gewesen sein, so daß für den byzan tinischen Zeichner der Weg zum Verständnis des Textes auch ohne zeichnerische Quellen an sich leichter gewesen wäre als für uns. Ich darf hier ein Urteil gleich in etwas verallgemeinernder Weise vorwegnehmen : Es ist in An betracht dieser Tatsache geradezu erstaunlich, wie wenig Aufklärung wir von den Zeichnern erhalten .

Aber ich will ja erst einmal die Fragestellung klar formulieren, und die allgemeinen Gesichtspunkte aufdecken, die uns für jeden Einzelfall die Beantwortung der letzten Frage ermöglichen sollen . Denn die Antwort selbst kann nur auf dem Wege gefunden werden , daß wir für die einzelne Illustration ihr sachliches Verhältnis zum Text feststellen ; 1) Ich sehe dabei von einzelnen Figuren einfacherer Gegenstände ab, wie z. B.

den auf Tafel V bei Rudolf Schneider dargestellten Widderaufhängungen. Hier läßt die Art des Gegenstandes kaum etwas anderes als einen Aufriß zu. Im übrigen bedeuten

derartige Figuren für unsere Frage nicht viel, weil bei diesen einfachen Gegenständen der Text eigentlich schon alles gibt und technische Schwierigkeiten nicht zu lösen sind.

I. Abschnitt : Vitruv und die Poliorketiker.

22

diese Feststellung werde ich mir aber für die nächsten Abschnitte vorbehalten müssen, weil ich da erst auf die technischen Zusammenhänge innerhalb der Texte näher eingehen kann.

Eine Textillustration, die in der Form der Scaenographie auftritt, wendet sich ganz anders als ein Diagramm und ganz unabhängig vom gedanklichen

Aufbau des Textes unmittelbar an die Vorstellungsgabe des Lesers . Sie unter stützt seine Auffassung also insofern , als sie ihm das fertige Vorstellungsbild des Gegenstandes schon im voraus suggerirt, das durch die Beschreibung nur

mühsam auf dem Wege der Kombination und von den weniger vorstellungs mächtigen Lesern oft gar nicht errungen werden kann. Eine Scaenographie umfaßt daher sachlich den ganzen Textinhalt, soweit die äußere Form wenigstens durch ihn bestimmt wird. Folglich kann sie auch immer nur von einem Zeichner entworfen werden, der auf der vollen Höhe des sachlichen Verständnisses dem

Text gegenüber steht oder nach einer Vorlage von dieser Art arbeitet. Daß die Vorlagen, wenn es sich um die Originalzeichnungen Apollodors handelt, dieses Niveau besessen haben müssen, steht außer Zweifel.

Wir erhalten

bei den Illustrationen also einen ganz sicheren Beweis ihrer Un

echtheit - im Sinne des Quellenwertes —, - wenn sie unter dem sach lichen Niveau des Textes bleiben oder gar durch grobe Mißverständnisse den Leser irreführen.

Unser Urteil über die Abstammung einer Abbildung könnte demnach nur dann schwankend sein, wenn eine Illustration in ihrem sachlichen Wert dem Text nahekommt, insofern diese Qualität ja auch in der besonderen technischen Einsicht des jeweiligen byzantinischen Zeichners begründet sein könnte. Aber die Gefahr eines Fehlschlusses ist bei dem vorhandenen Material in Wirklich keit sehr gering. Dieses persönliche Moment kann vor allem außer Betracht

bleiben, wenn wir in einer solchen Darstellung die gleiche byzantinische Hand der Bilderzeichner erkennen, während die gesamte Anlage der Abbildung noch deutlich das fremde Vorbild einer Bauzeichnung durchschimmern läßt.

Das

Vorhandensein einer antiken Tradition muß sich dann mit einer an Sicherheit

grenzenden Wahrscheinlichkeit aus dem Vergleich ergeben. Das sollen die Gesichtspunkte für die Beurteilung der Bilder sein, wobei unser Urteil auch nicht durch etwaige Unbeholfenheiten der Darstellung be einflußt werden soll. Es handelt sich nicht um das zeichnerische, sondern nur um das sachliche Niveau der Bilder ; um die Frage, ob sie im Zusammenhang

mit dem Text technisch richtige Vorstellungen bringen oder nicht. Nur auf diesem Wege können wir zu einer kritischen Sichtung des Bildermaterials

gelangen, an der es bisher sehr zum Schaden der Textauslegung vollkommen gefehlt hat.

II . ABSCHNITT .

Aus der Belagerungskunst des Apollodorus. Deraufbesonderen Bestimmung des Buches entsprechend beschränke ich mich die Beschreibungen Apollodors, die ein bautechnisches Interesse haben, und nehme aus dem übrigen Text nur Einzelheiten, die gleichermaßen imstande

sind, uns über technische Dinge aufzuklären . Wir werden auf diese Weise die

drei größten Konstruktionen kennen lernen, die der Apollodorus enthält ; gerade diese Beschreibungen sind auch für die vorher angedeutete Bilderfrage von Bedeutung, weil sich nur hier ein Zusammenhang ergibt, der technisches Ver Auf die militärisch -taktische Seite des Gegenstandes

ständnis erfordert.

werden wir dagegen nur soweit einzugeben haben, als es eben der technische Zusammenhang wünschenswert erscheinen läßt. Ich übersetze zunächst aus dem Text und weise dabei auf die beistehenden

Rekonstruktionsfiguren hin ). Die Beschreibungen werden dadurch vollkommen klar werden, denn der Text enthält kaum wesentliche Unklarheiten : Die erste Beschreibung bezieht sich auf die Konstruktion einer Widder-Schildkröte, d . h .

eines fahrbaren Daches zur Aufhängung und zugleich zum Schutz des Widders und der ihn bedienenden Mannschaften .

Da die Größe dieses Schutzdaches

für letzteren Zweck und für den Zugang der Mannschaften nicht ausreichte,

waren dabinter weitere Schildkröten , aber von kleinerer Form, herangeschoben , so daß also innerhalb der Reichweite feindlicher Geschosse ein gedeckter Gang entstand .

Der Widder ist ein Mauerbrecher in Gestalt eines aufgehängten

1) Abb. 3 bis 8. Der Maßstab ist überall Fuß und Elle. Bei Apollodorus kann ebenso wie bei Vitruv nur der römische Fuß und die römische Elle in Frage kommen .

Ob bei den Beschreibungen , die in ältere Zeit zurückreichen, die griechischen bezw. attischen Fuß- und Ellenmaße gemeint sind, lasse ich dahingestellt (vgl. Bemerkung zu Abschnitt IV, S. 65, Anm . 1 ). Allen gemeinsam ist die Teilung des Fußes in 16 Zoll während der ältere römische Fuß in 12 Zoll geteilt wurde. Bei einzelnen

Abbildungen habe ich ein Metermaß zum Vergleich zugerügt. Das Verhältnis der Maß stäbe zu unserem Metermaß ergibt folgende Tabelle : ( pes, nous) 4 palmi ( naderovai) = 16 Zoll (digiti , daxiv.oi ) = 0,296 m =4 = 16 Attisch : 1 = 0,308 Römisch : 1 Elle ( cubitus , nixus ) = 6 : 24 = 0,444 , = 24 =6 Attisch : 1 = 0,462 ,

Römisch : 1 Fuß

79

99

n

-

( Vgl. Griech . u. röm . Metrologie von Friedrich Hultsch , Berlin 1882, S. 67, 70, 74 , 96. )

II. Abschnitt : Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

24

Balkens mit eisernem Kopf; er wurde unmittelbar an die Mauer geschoben, und

die Vorladung des Daches bezweckte, ihn gegen die Verteidiger oben auf der Mauer zu schützen ').

Die Widder - Schildkröte. Apoll . pag. 151, 11 bis 155, 13 ) , Abb. 3 u. 4 : „ Die Konstruktion der Schildkröte ist folgende: Zwei Doppelzangen werden im Abstande von wenigstens 12 Fuß voneinander zugelegt und

zwischen jeder Doppelzange werden Sparren von 12 Zoll Stärke, 1 Fuß Breite und wenigstens 24 Fuß Höhe gerichtet, der Zahl nach vier .

mit

Diese sind

dem

b

Kopf und

gegeneinandergestoßen mit

einem

verklaut , der

Firstbalken

das Rückgrat

с

der Schildkröte vorstellt und

länger als die Doppelzangen ist .

Da, wo die Schildkröte

vorn überhängen soll , sind d

weitere Zangen auf der Mitte betreffenden Gesparres aufzunageln und vom Inneren her ist ein liegendes Gesparre nach außen vorzukragen und mit den Doppelzangen in der des

a

Mitte und mit dem Firstbalken abzubinden . An der Außen seite soll die Konstruktion

e

mit 4 Zoll starken , auf die Sparren aufgebrachten Bohlen Abb . 4 .

verschalt werden .

Damit ist

das Schema fertig.“ 1) Die Verteidiger versuchten, den Stoßbalken durch Herabwerfen von Steinen oder durch einen an einem Seil herabgelassenen schweren Querbalken zu zerschmettern oder durch Seilschlingen zu fassen .

2) Die Seiten- und Zeilenangaben beziehen sich immer auf die auch in der Ausgabe von Schneider vermerkten Seiten und Zeilen bei Wescher. Ich gebe eine neue Übersetzung, statt die von Rudolf Schneider zu wiederholen,

weil ich die letztere, was eine klare Wiedergabe des technischen Inhalts anbetrifft, für unzulänglich halte. Der Mangel an technischem Verständnis führt gerade an den technisch interessanten Stellen in zahlreichen Fällen zu Feblübersetzungen ; die ver

dienstvolle Arbeit versagt nach der Richtung des Technischen. Ich verwende überall die fachmännischen Bezeichnungen , auch wo Apollodorus keinen besonderen terminus technicus für ein Konstruktionsholz hat. Das ist z. B.

der Fall bei den „ Sparren “, für die er keine andere Bezeichnung als „6990otérat“, d. h. aufrechtstehende Hölzer, hat, weil eben der antike Dachverband keine Sparren als eigentliche Konstruktionshölzer kennt. Dagegen deckt sich unser Ausdruck

„ Zange“ bezw. „Doppelzange “ durchaus mit dem griechischen „ Svyć “. Näheres darüber in Abschnitt III, S. 39.

Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

23

* -6 /26 30 ,

་ ར w དར y







y ? 7E

76

778



778 / 16 '

Abb . 5 .

་་་

| 5/2 20

II. Abschnitt : Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

26

Es folgen nun konstruktive Einzelheiten :

„ Und die Innenseite der Zangen an der Grundfläche ist durch senk rechte Kloben (e, Abb. 4 ) nach dem Lot zu versteifen "). Der Zwischen raum dieser Doppelzangen soll Räder aufnehmen, auf denen die Schild kröte ruht. Die Doppelzangen sollen, um nicht auseinanderzugehen , Klammerbalken

er

halten (c, Abb. 4), die aber nicht durch den d2

( üblichen ) Ausschnitt, sondern mit Hilfe auf

genagelter Knaggen festhalten . Diese wer den die Fußbalken

lage der Schildkröte az

I

bilden. "

Belagerungstürme. Apoll. 164, 5 bis 167 , 10, Abb. 5, 6 u . 7 .

3

„ Falls man Türme den

с

Mauern

sprechend

aufschla

soll,

so muß in solcher

gen

man sie

с

ent

20

92

1) Diese Bemer.

kung , die im Wortlaut

e

sebr schwer verständ

lich ist, bezieht sich 29

auf das in Abb. 4 dar

gestellte Einsatzstück e.

e

d1

Der Versteifungskloben (e) ist für die Kon

α1

struktion

tatsächlich

unentbehrlich , weil ja die Zangen schon we. gen der Räder senk. recht stehen

müssen ,

während der Sparrenfuß Abb . 6.

die technische Bedeutung ganz klar.

( 6) eine schräge Stel lung hat. Insofern ist

Aber der Wortlaut pag. 155, 7 u. 8 ist in der

Tat schwer verstandlich : και από του εδάφους των έσω ζυγών τα έσω υποστυλούσθω ξυλοίς opfois xará xófstov“ . Diesen Satz, von dem der Herausgeber gesteht, daß ihm der Sinn unklar geblieben ist , hat wohl noch niemand bisher verstanden , auch keiner von den Schreibern , die ihn hingeschrieben haben. Ich möchte fast glauben , daß die Worte aus diesem Grunde in Verwirrung geraten sind ; denn die beabsichtigte Maß nahme würde doch ihren klaren Ausdruck in dieser Form etwa finden : „xai to v dnò rov

εδάσους ζυγών τα έσω υποστυλούσθω ξυλοϊς ορθοίς κατά κάθετον ; d. h. Das Innere (der Zwischenraum ) der Zangen (a, Abb. 4) an der Grundfläche soll mit senkrechten Kloben

(e, Abb. 4) nach dem Lot ausgesteift werden“ .

Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

27

--

Entfernung ausführen, daß nichts Schweres darauf geworfen werden kann, und sie aus kleinen Hölzern und fahrbar in folgender Weise konstruieren (Abb. 6 u. 7) :

Es werden kantige ungleichseitige Doppelhölzer, mit den Breitseiten parallel laufend und auf der Schmalseite ruhend, zwei und zwei von 16 Fuß Länge,

1 '/, Fuß Breite und

12 Zoll

Stärke zugelegt ( a ).

da

Wenn

-

man den Turm

größer als 40 Fuß machen

muß oder mehr, soll man Länge ,

az

Breite und Stär

ke vergrößern. Diese Hölzer

zwei und zwei gelegt, er zu

halten bei einem

Abstand

paar

weis von 12 Zoll o

Pfostenhölzer

ac

f

op

(6) 1 Fuß von

y

den Enden ent

PATTI

n o p

fernt, die bis zur Unterkante

O

RT

A ST ord

durchgehen von di

16 Fuß Länge , e

12 Zoll Stärke

und

11/4 Fuß

at

Breite. Die vorge nannten Höl zer werden mit Klammer Abb . 7 .

( e), Knaggen und Besatzlatten ") beschlagen und bleiben aufrecht stehen. stücken

1) pag . 165, 5: τα ξύλα ταύτα περιστομίσει και χελωνίοις και κανόσι προσηλούσθω. Diese

genaue Aufzählung aller Verbindungsmittel an den verschiedensten Stellen ist es gerade, die uns im Apollodorus eine Quelle der Belehrung über die antike Technik der Holz

konstruktion erschließt. Das uns ganz fremde Konstruktionsmittel, die nepiorouides (e, Abb. 6

den Beschreibung in u. 7), wird besonders durch den Vergleich mit der vorhergehen üblichen Weise aus einem seinem Wesen erklärt, bei der die neuorouides nicht in der

Stück geschnitten , sondern durch aufgenagelte Knaggen gebildet waren ( c, Abb. 4) ;

II. Abschnitt : Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

28

Diese vier Pfosten (6) werden die Mittelstiele ; denn es werden an jeden auf beiden Seiten Klappstiele von gleicher Breite und Stärke (c) und 9 Fuß Höhe auf die Doppelzangen unten gestellt, im ganzen acht Stück, und mit den Zangen selbst sowie mit dem Mittelstiel durch Besatzlatten

vernagelt. So entsteht aus drei Stielen ein einziger Pfosten . Neben diese Pfosten werden von Doppelzange zu Doppelzange wiederum Hölzer gelegt (di), so daß die Zulage quadratisch und der Unterbau geschlossen wird ?) . Und oben werden Doppelzangen (an) aufgelegt in der gleichen Weise und parallel zu den beiden unteren (ai), und ebenso werden auch hier wie bei den unteren Doppelzangen zwei Querzangen (d) aufgesetzt. Alle Hölzer werden mit Knaggen und Klammerstücken beschlagen . diese Weise entsteht ein vierseitiger Körper.

Auf

weil es dort eben Klammerbalken waren, während es hier Klammerstücke sind. Auf diese Dinge wird in Abschnitt III im Zusammenhang eingegangen werden.

Rudolf Schneider hat den technischen Zusammenhang hier gänzlich vernichtet, indem or eine Paraphrase aus dem Anonymus zu den xedwria ernst genommen hat, nach der diese übrigens auch bei Vitruv vielgenannten Knaggen „ Metallbeschläge von

gewölbter Form“ vorstellen sollen. Diese Vorstellung ist technisch zu sinnlos, um darüber noch viel Worte zu verlieren. Ich kann deswegen die Verkennung dieses ein fachen und heute im Süden noch angewandten Konstruktionsmittels auch nicht einmal

dem Anonymus zutrauen , sondern halte diese schon durch ihre ständige Wiederholung verdächtige Paraphrase für einen späteren Zusatz eines gedankenlosen Paraphrasten . 1) Ich habe eine Umstellung der Sätze vorgenommen, indem ich den Satz : „Und

oben werden Doppelzangen “ usw., der im Text vor dem vorhergehenden steht, dahinter

gestellt habe . Diese Stellungsänderung ist unbedingt notwendig, weil der nunmehr dahintergestellte Satz auf den jetzigen Vordersatz Bezug nimmt und ohne ihn nicht verständlich ist. Nur auf diese Weise setzt die Beschreibung ihren Übersichtlich auf gebauten Gedankengang fort, während nach der bisherigen Stellung trotz der an sich

leicht verständlichen Sätze eine große Verwirrung herrschte. Mit dieser Umstellung ergibt sich der folgende Wortlaut : pag. 165, 10 : και γίνεται τα τρία εις μεσοστάτης • κατά δε τους ορθοστάτας από των διπλών επί τα διπλά επιτίθενται έτερα ξύλα τετραγωνίζοντα το σχήμα και το κάτω σχάριον συντελούνταν και επιτίθεται αύτοϊς άνωθεν ζυγά ομοίως και παράλληλα

τους κάτω δύο • και δύο επιτίθενται ομοίως τους πρώτους κάτω ζυγούς επιζυγίδες• και χελωνίοις και περιστομίσι προσηλούνται και συμφύει το τετράπλευρον. Man wird zugeben müssen, daß die Sätze in dieser Stellung durch ihre gedanklich

lückenlose Aufeinanderfolge die Berechtigung der Umstellung überzeugend beweisen : Im ersten Satz handelt es sich um die Fertigstellung der untersten Zangenpartie zu einem quadratischen Verband

ξύλα τετραγωνίζοντα το σχήμα

und im zweiten Satz

um den gleichen Vorgang bei der Zangenlage des zweiten Stockwerks. Damit entsteht ein Viergeitiger Körper - TÒ το τετράπλευρον - ,

Die iniquyides habe ich mit „ Querzangen “ übersetzt , obwohl ich mir bewußt bin, daß in dem Ausdruck nur das Darüberliegen dieser Zangen über den (vyè bezeichnet ist. Ich bin aber darin des leichteren Verständnisses wegen der richtigen Kommentierung des Anonymus gefolgt, der sie pag . 240, 12 avršvyidas nennt. Im übrigen ist aus der

Beschreibung nicht mit unbedingter Sicherheit zu folgern, ob auch die imuçvyides Doppel zangen oder nur einfache Zangen sind. Ich hatte Doppelzangen angenommen (Abb. 6) hauptsächlich wegen der durch diese Annahme erleichterten Konstruktion der Treppen , die nach ausdrücklicher Angabe auf den {nçuyides ruhen ( Abb. 5), mußte aber bei wiederholtem Studium des Textes einsehen , daß es sich bei den inisuyides

auch um einfache Zangen handeln kann , wie es in Abb . 7 auch ge zeichnet ist.

29

Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

Die Länge dieser Querzangen sei die gleiche wie bei den Längs zangen, damit die Pfosten allseitig gleichen Abstand voneinander haben. In den Zwiscbenraum der unteren , die Mittelstiele umfassenden

Doppelzangen werden Räder von solcher Höhe eingesetzt , daß die untere Hälfte frei bleibt, so daß sie die Doppelzangen hoch genug über den Boden bringen, damit das ganze Bauwerk rollen und fort bewegt werden kann.

Weiter werden immer in der gleichen Weise wie bei den oberen , zu seiten der Mittelstiele befindlichen Zangen Längszangen und Querzangen gelegt, die gleich sind wie die untenbefindlichen, damit die Konstruktion auch oben denselben Verband erhält, den es im ersten Stockwerk hat.

Die Längs- und Querzangen werden aber gegen die darunter befindlichen um 1 Fuß kürzer, damit der Aufbau Verjüngung erhält und keinen

Überhang und ja kein Übergewicht durch Vorladung bekommt, sondern sicheren Stand auf dem Unterbau. Nichtsdestoweniger sollen an den Ecken noch Haltetaue oben und in der Mitte befestigt und nach außen

gespannt werden, die nach ihrer Anordnung gewissermaßen eine zweite und breitere Grundlage bieten . Sie sollen an Pfählen mit Bolzen oder an eisernen Stangen mit Querringen festgebunden werden, die in den Boden getrieben werden, um die Taue spannen zu können. Bei diesem Verfahren ergibt sich für die ersten Mittelstiele ein Längenüberstand von einem Drittel ihrer Länge ). Ebenso bekommen sie fortlaufend Klappstiele, die bei einer Länge von 9 Fuß über die Mittel stiele hinausragen . Dem Mittelstiel wird aber wieder der nächste Mittel stiel aufgesetzt und von den Klappstielen gefaßt. Dazu kommen in der

gleichen Weise Quer- und Längszangen in jedem Stockwerk. Der unterste Mittelstiel wurde aber den Klappstielen nicht gleichgemacht, damit ihre Stöße nicht nebeneinander liegen, sondern damit die ganze Fugenteilung überbindet und durch die anliegenden Binderstücke Halt bekommt. Auf die Querzangen gestellte Leitern werden von einer Seite zur andern in diagonaler Richtung durch den Bau zu führen sein .

Auf diese Weise wird mit Hilfe weniger und kleiner Hölzer nach und nach ein großer Turm in der Mauergleiche entstehen. “

Bis hierher der Text : Es ist auffallend, mit welcher Ängstlichkeit die Beschreibung über alle Einzelheiten Klarheit zu schaffen sucht, um jedes Mißverständnis auszuschließen ; aber diese Eigenart erklärt sich zur Genüge aus dem besonderen Zweck der Schrift: Apollodorus wendet sich an einen Laien, seinen kaiserlichen Auftraggeber, den er bei geringsten Anforderungen

an eignes Studium der technischen Gegenstände zufriedenstellen will. Es gilt dieses Urteil nicht nur für diese Beschreibung der größten Konstruktion, die 1) Die Angabe ist nicht genau : = 16

Mittelstiel, Länge

Klappstiel zuzüglich der Zangenhöhe von 11 , Fuß = 101 bleibt Überstand des Mittelstiels 16/3 51/3 Fuß . 1/3 der Länge des Mittelstiels -

Fuß N

53. Fuß .

30

II. Abschnitt : Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

uns Apollodorus überhaupt bringt, sondern für alle andern in gleichem Maße. Wir sind deswegen in der Lage, nach diesem Text ziemlich sichere Rekon struktionen herzustellen.

Weitere Einzelheiten von mehr taktischer Bedeutung, die z. T. aus der

Abb. 5 ersichtlich sind, deute ich hier nur an, wie die Verbindung einer Fall brücke mit der Turmkonstruktion und die Verschalung der ganzen Konstruktion mit Brettern. Die Bretter waren mit breitköpfigen Nägeln besetzt, um den starken Lehmauftrag festzuhalten ( in derselben Art war auch die Deckung der Schildkröten hergestellt). Über dem Lehmauftrag waren Häute freihängend befestigt. Durch diese elastische Decke wurde die Stoßkraft der Steinschüsse gebrochen, und auch die Brandgefahr behoben. Die Leiter, pag. 176, 11 bis 179, 2, Abb . 8 : „ Falls die Mauer so hoch ist, daß wir vor der Notwendigkeit stehn,

>

vier oder gar mehr Leitern zu vereinigen, so werden sie auf folgende Weise zusammengesetzt: Die Holme der zweiten Leiter werden zwischen die der ersten eingeschoben, dabei passen die Stellen der beiden letzten

Sprossen der ersten Leiter auf die (entsprechenden) Stellen der zweiten, um eiserne oder hölzerne Bolzen durchstecken zu können .

Die Enden

der Leitern sind mit eisernen Bändern seitlich der Länge nach zu beschlagen , um nicht unter dem Druck von den Löchern her aufzuspalten, und sollen so zusammengesetzt und auf einander verbunden werden. Fährt man

in der Weise fort, so wird man eine große Leiter bekommen . Zugleich mit dem Holm soll auch die erste, mittelste und letzte Sprosse mit einer Hülle aus Eisenblech beschlagen werden. Sie werden auf folgende Weise aufgebracht: Die unterste steht auf

recht ; sie paßt mit der zweiten zusammen ) und erhält einen Bolzen. Dann wird an die Leiter ein ziemlich hohes, oben mit einem Querholz versehenes Richtholz gelehnt, das mit Hülfe von 4 Tauen dirigirt wird, sodaß es aufrecht gehalten werden kann .

Richtet man es auf und zieht

es an der stehenden Leiter hinauf, so läßt man zugleich die schon fest gesteckte Leiter mitgehn und dann hebt man das Richtholz so hoch , daß

man jene aufrecht stellt ; und in dieser Lage erhält sie den zweiten Bolzen, sodaß aus den zwei eine einzige Leiter entsteht. Ebenso wird auch die dritte erst mit einem Bolzen festgesteckt und dann von dem Querholz

(des Richtholzes) angehoben und hochgestellt und erhält den zweiten Bolzen . Damit sie (die Leitern) nicht überkippen, bekommen sie oben vier Halte

taue breit auseinandergezogen, die es ermöglichen, die Drehung der Leitern zu reguliren ?). Genau so wird auch eine vierte Leiter folgen, falls es 1) „ xai { vaquóðei tñ devripo", sie paßt, was den inneren Raum zwischen den Holmen anbetrifft, vgl . die Abbildung.

2) σχοινία την ροπήν αυτών (κλιμάκων) καιροφυλακούντα. Die καιροπή“ muβ genau 180 ° bei der sich um den ersten Bolzen drehenden Leiter sein , wenn die Holmlöcher für die

zweiten Bolzen in einer Achse liegen sollen (vgl. die Abbildung), um den zweiten Bolzen durchstecken zu können. Ohne diese Haltetaue würde die drehende Leiter beim Hoch

drücken mit dem Richtholz im nächsten Augenblick natürlich überkippen .

Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

31

die Höhe erfordert. Es werden jetzt die vier Leitern wie eine einzige aufrecht stehn.

Unter der ersten Leiter soll sich eine Schwelle be

.8 Abb

finden , unten abgerundet und mit der Leiter durch gebohrte Zapfen

CL

OOO

oooo 0

D D

II. Abschnitt : Aus der Belagerungskunst des Apollodorus.

32

verbunden '), 1/2 Fuß und 12 Zoll stark und 15 Fuß lang ; an den Enden der Schwelle werden mittels aufgenagelter Knaggen Streben nach den Holmen der Leiter geführt, die den Verband nach den Seiten sichern ). Diesem Holz werden an beiden Enden und beiderseits zwei Pfähle bei

gepflockt, um es zu ermöglichen , die Leiter durch Drehung zu neigen, ohne daß sie unten ausrutscht :) .

Es werden nun die zum Aufstieg bestimmten Leute auf die Leitern treten, und bei erfolgendem Angriff werden sich zu gleicher Zeit alle Leitern senken und man stößt geschlossen die Gegner zurück .

Man

wird hinten Taue nach unten festmachen , die durch Flaschenzug -Kloben gezogen sind , damit man, falls der Vorstoß keinen Erfolg hatte, die Leitern von der Mauer fortziehen kann , indem man sie mit diesen Tauen hochrichtet. “

Auch hier brauche ich der Übersetzung nichts hinzuzufügen und darf nur

auf Abb. 8 verweisen. Gewisse Einzelheiten der eigentlichen Beschreibung am Anfang des Textes, wie der Rundbeschlag mit Eisenblech bei der ersten , mittelsten und letzten Sprosse, erklären sich einleuchtend aus dem geschilderten Vorgang der Aufmontirung der großen Leiter: Über diese Sprossen müssen die Seile zum Hochdrücken des Richtholzes geführt werden.

Der Beschlag

dient zur Verringerung der Reibung. In der Abb . 8 wird das Richtholz von den vier Soldaten der Gruppe B dirigirt.

By und Bd leisten die eigentliche Arbeit der Aufrichtung der Leiter.

O

Die handschriftlichen Bilder zu den drei

O O

O O

O

Beschreibungen. (Abb. 9-12. ) Wir haben hier nur da

nach zu fragen, wieweit die Bilder dem technischen Zu

sammenhang des Textes ge recht werden :

Die Abb. 9

u. 10 sind Wiedergaben aus

A

dem codex Parisinus (Ru

Abb . 9.

dolf Schneider , Tafel IV, Fig. 15 u. . 17) ^). Die erste

1) τόρμους και περόναις αυτήν (κλίμακα) δεχομένη - róquos ist das Zapfenloch (vgl. Wescher, ºIIowvos Belonouxà, S. 107, 4 ). negóvn ist der Holznagel. Unser Terminus für diese üblichste Holzverbindung in der Zimmerkunst ist „gebohrter Zapfen “. Wörtlich Übersetzt hieße es hier Zapfenloch mit Nagel. 2) την εφ' εκάτερα περίνευσιν κρατούσαι. 8) και μη και υποσύρωνται . 4) Nach Schneiders Angabe besitzt der cod. Vaticanus die gleichen Figuren ; eine zweite Figur derselben Tafel, Fig. 13, ebenfalls aus dem Parisinus, entspricht Fig. 15 >

fast vollständig, sodaß wir auf Wiedergabe verzichten können . Abb. 9 ist Wescher entnommen, der pag . 157, Fig. LIX die gleiche Figur bringt. Abb. 10 fehlt bei Wescher.

Die handschriftlichen Bilder zu den drei Beschreibungen.

33

zeigt wenigstens die fünf Sparrenpaare der Schildkröte, wenn auch den hinteren der beiden vorhängenden Stirnsparren in verzerrter Form ; auch die Spannbalken scheinen der Lage nach richtig angedeutet zu sein. Die zweite Figur ist falsch, insofern sie nur vier Sparrenpaare aufweist. Die sonst noch vorhandenen, hier nicht wiedergegebenen Bilder aus dem codex Minas stimmen in keiner Weise mit dem Text überein

und sind z. T. geradezu sinnlos. Aber auch die vorliegenden versagen voll ständig bei allen Einzelheiten, also da gerade, wo der Leser die Nachhülfe der

MO

Illustration wirklich braucht. Sie tragen

also in Wirklichkeit zum Verständnis nichts bei; dann ergibt sich aber auch an den für mich entscheidenden Stellen, daß der Zeichner selbst den technischen

Zusammenhang nicht verstanden hat,

weder den Sparrenfuß in seiner Be ziehung zu den Doppelzangen , noch diese selbst und die Bedeutung der

Zangen in mittlerer Höhe für die vor Es bleibt im hängenden Sparren .

Abb. 10.

Ganzen ein so weiter Abstand zwischen Text und Bild , daß man diese wohl als wertlos bezeichnen darf.

Nicht viel anders vermag ich die Fig. 25, Taf. VII bei Rudolf Schneider zu beurteilen , die das Bild des Turmes

aus

dem

codex

Minas,

MIZVEIC

Fol. 37 wiedergibt (Abb. 11 ) ' ). In dem Bild ist manches richtig ver standen , obwohl es sehr ungeschickt

м € СОСТАТНО

TADA CTATHC ERIZVIC

gezeichnet ist : Z. B. die unteren

Doppelzangen mit den Rädern , auch die Eckpfosten und ihre Zusammen setzung ; sogar ihr Fuß in seiner

Beziehung zu den Doppelzangen ist offenbar richtig verstanden . Auch die diagonal durchgeführten Leitern

sind angedeutet .

ZVOON

Darüber hinaus

gibt das Bild aber nichts und damit

fehlt eigentlich doch wiederum der

Nachweis ,

daß die eigentlichen

Schwierigkeiten , die nicht beim ersten Durchlesen der an sich so klaren Beschreibung erkannt werden können , auch verstanden

technischen

Abb. 11 .

1, Das gleiche Bild gibt Wescher pag. 167 in Fig. LXVII, die der Abb. 10 zu Grunde liegt. Sackur , Literatur der Antike.

3

3

34

sind

II . Abschnitt: Aus der Belagerungskunst des Apollodorus. Z. B. die Verbindung der Längs- und Querzangen in den oberen Stock

werken. Was davon aufdem Bild erscheint, ist technisch verständnislos angegeben .?) Und nun das Bild der großen Mauerleiter ( Rudolf Schneider, Taf. X), aus dem codex Minas! (Abb. 12) 2). Ich würde es nur als Kuriosum hierher setzen ,

wenn

es

nicht

auch von dem Übersetzer Rudolf Schneider ernst Der genommen wäre. Zeichner hat hier natür die Beschreibung lich

gar nicht verstanden und denkt

sich

die

oberste

Leiter also jedesmal an langen Stangen auf gehängt, eine technisch geradezu groteske Vor stellung, wenn man an

AN

TE

PE

IC

die Höhen denkt, um die es sich hier handelt und

AA

MEPWNH

an die Schwere dieser starken

nadoc | AOKOC CTPOPIVAH U ranoc Abb . 12.

Leitern .

Die

ganze Leiter mußte we

gen ihrer Schräglage ja noch erheblich höher als

1) Das größte Bild vom Turm des Apollodorus, das der Anonymus Byzantinus bringt, der den Gegenstand auch sehr eingehend im Text behandelt ( Rudolf Schneider,

napayyėhuata noliopxntıxá, Tafel VI), ist zwar viel besser gezeichnet als das des Apollo . dorustextes, aber es zeigt einen allerschlimmsten Fehler, der es zu einer vollständigen Unsinnsdarstellung macht. Denn die bei Betrachtung des Bildes zunächst aufsteigende

Vermutung wird zur Gewißheit , wenn man die schulmeisterlichen Ausführungen des Anonymus von pag. 242, 20 an , die Schneider so hoch einschätzt, liest. Sie zeigen mit aller Deutlichkeit, daß der Anonymus den Apollodorustext, den er kommentiren will, gründ.

lich mißverstanden hat : Denn er glaubt feststellen zu müssen, daß Apollodorus für seinen Turm weder eine Verjüngung noch Stockwerkshöhen angegeben habe.

Ich

brauche den Leser, der meine Übersetzung vorher mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat, auf das Grundlose dieser Behauptung nicht erst aufmerksam zu machen. Apollo dorus’ Turm verjüngt sich nach dem Maß der Verkürzung der įvyè und {mšvyides im ganzen in jedem Stockwerk von 1 Fuß, und die Stockwerkshöhe ergibt sich unzweideutig aus den

Längen der nagaotárai zu 9 Fuß. Das ist der technische Zusammenhang, der ebenso klar ergibt, daß die Eckständer um dieses Maß natürlich vom Lot abweichen müssen

(vgl. Abb. 5). Die ganze Rechnung, die der Anonymus auftut, indem er ganz willkür lich eine quadratische Verjüngung auf % der Grundfläche bis zum obersten Stockwerk annimmt, ist, auf den Apollodorus- Turm angewendet, ein Unsinn. Dieser hat in jedem Stock

werk allseitig einen linearen Absatz von // Fuß. Man kann sich deswegen nicht des Ver dachts erwehren, daß der Byzantiner senkrechte Pfosten annimmt, die in jedem Stockwerk

absetzen (wie es auch das Bild zeigt), sodaß der von unten bis oben durchgehende Eck pfosten des Apollodorus nicht verstanden zu sein scheint, was allerdings eine unglaubliche

Zerstörung des wesentlichsten technischen Zusammenhanges wäre. Vgl. Abschn. VI, S. 106. 3) Abb. 12 ist Wescher entnommen, der die gleiche Abbildung auf pag. 179 in Fig. LXXII bringt.

Die handschriftlichen Bilder zu den drei Beschreibungen.

35

die Mauer sein , sagen wir einmal wenigstens 20 m. Solche naiven Miß verständnisse zeigen am besten das geringe Maß technischen Verständnisses

bei diesen byzantinischen Buchzeichnern und beleuchten den geringen sach lichen Wert der Illustrationen . Ich kann natürlich nicht sämtliche von Rudolf Schneider auf seinen Tafeln

wiedergegebenen Bilder einzeln besprechen ; es würde auch unser hier gewonnenes Urteil nicht ändern können, weil die andern Bilder, auch wenn sie sachlich

richtiger sind, wegen der technischen Belanglosigkeit der dargestellten Gegen stände, deren Zusammenhang auch für den Laien schon ohne Abbildung ersicht lich ist, über das größere oder geringere Verständnis der Zeichner kein Urteil Und in den technischen Einzelheiten, die ja der Text mit erstaun licher Gewissenhaftigkeit verzeichnet, geben sie alle gar nichts. Es ist nichts mit dem Quellenwert der Bilder. Diese Byzantiner zulassen .

haben keine der Apollodorus'schen Bauzeichnungen je zu Gesicht bekommen ; sie haben keine antiken Vorlagen gehabt und haben den Stoff schlecht und recht und mit wenig Kunst nach ihrer technisch ganz ungeschulten Einsicht bearbeitet. Sie haben dabei wie immer, das Vertrauen ihres Heraus gebers, Rudolf Schneider, schmählich getäuscht, der sich auch bei der Leiter beschreibung von dem byzantinischen Spielzeugzeichner leider verleiten ließ, den klaren Wortlaut des Textes zu verderben ").

2) Tatsächlich läßt Schneider in seiner Übersetzung die hochzubringende Leiter an einem Baum befestigen , der dann an der aufrechtstehenden Leiter entlang. geschoben wird. Es steht nichts davon im Text, der ganz klar ist und mit nicht miß

zuverstehenden Worten den in Abb. 8 gezeichneten Vorgang beschreibt.

TO

III. ABSCHNITT.

Die Elemente der antiken Holzkonstruktion

auf der Grundlage der Poliorketik des Apollodorus, ihr Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

Schon Auguste Choisy hat trotz seiner nur oberflächlichen Kenntnis der Polior ketik Apollodors auf die Verwandtschaft seiner Technik mit der noch heute in Italien im Gerüstbau gebräuchlichen Bauweise hingewiesen '). Das ist ein sehr richtiger Fingerzeig ; wir finden bei den Italienern gleich zwei wichtige Konstruktionselemente Apollodors verwendet, die für die Eigenart der Bau

weise bestimmend sind : Das sind die xelovia und die xa vóveç ). Nur hat der italienische Handwerker die Namen verändert ; die eigenartigen Knaggen werden nicht mehr Schildkrötchen “, sondern „ Kätzchen “ , gatelli , genannt. Die xavóveç ), die wir in unserer deutschen Bautechnik als Verbindungsmittel in dieser Form der „ Besatzlatten “ überhaupt nicht kennen, werden bei den n

italienischen Baurüstungen heute noch in der gleichen Weise wie bei Apollodor

benutzt und heißen „ ganascie “ , das heißt : „ Kinnladen “ . Das wesentliche Verbindungsmittel bei dieser Konstruktionsweise ist der Nagel, und zwar der schmiedeeiserne Nagel mit großem Kopf. Der besonderen Art dieser Konstruktionselemente entspricht auch die

eigenartige Verwendung zusammengesetzter Ständer und die Verschränkung der von den Ständern getragenen Balken mit dem Ständerverband, die beide von Apollodorus so anschaulich beschrieben werden ; die Sicherung dieses Ständer verbandes geschieht durch die „ Besatzlatten “ . Der italienische Gerüstbau zeigt das alles in der gleichen Weise : Abb. 13 stellt die charakteristische Ver

bindungsstelle einer solchen modernen Konstruktion dar. Der Quer balken, die „ traversa “ (t), ist mit dem Ständerverband verschränkt. Der Längs

balken, die „ langherina“ ( ), liegt neben den Ständern . Die Lage der Hölzer ist im Prinzip die gleiche wie bei Apollodorus (Abb. 7 ). Die gatelli ( 9) und 1 ) L'art de bâtir chez les Romains, Auguste Choisy, Paris 1873, Kap . III, S. 157 ff. 2) Vgl. Anm . zu Seite 27, Abschnitt II . 3) xavóves heißt „> Latten“ .

I

37

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

die ganascie (k) sind Handelsware, die in Normalgrößen mit eingebrannten Nagellöchern hergestellt werden. Eine besondere Form erhält die Besatzlatte i infolge der hier nötigen Nagelung nach zwei Richtungen ; sie wird

zur „ ganascia à gatello “ '). Auch Apollodorus muß eine Besatzlatte von

dieser Form gehabt haben,

f in Abb . 7 .

Die Befestigung von Streben, Steifen, Kopf- oder Fußbügen im Verband mit Hülfe von Knag

gen und Besatzlatten ist bis auf den heutigen Tag die traditionelle

i

Bauweise in der italienischen Zim merei . Abb . 14 zeigt eine Ver

t

bindungsstelle von einer modern 10CI

i

DOO

römischen ausgekragten Putzrüstung. Die nach der Beschreibung Apollo dors ) gezeichneten Fußbügen der untersten Leiter, Abb . 8, lassen das selbe Bild erkennen . Ich füge in

k

Abb. 15, Fig. 1 eine ähnliche Kon 9

struktion hinzu, bei der die Fuß

bügen in Verbindung mit Doppel zangen auftreten. Es handelt sich um

das Fußgestell des von Apollodorus (pag. 161 , 9 bis 163, 3) beschriebenen

sogenannten „ Spähers “, einer Be obachtungsleiter, deren Drehpunkt sich im oberen Teil dieses Unter t

gestells befindet, und die durch Herunterziehn des kürzeren Hebel

armes aufgerichtet wurde. Der Anonymus Byzantinus, der den Apollodorus auch hier fleißig kom mentirt, gibt für dieses Untergestell

Abb. 13.

noch die in der gleichen Abbildung

Fig. 2 und 3 dargestellten Varianten an ") ; bei Fig. 2 werden die Ständer mit einfachen Schwellen verzapft*). Fig. 3 zeigt wiederum Doppelzangen , aber nur ein Paar, mit dem eine Querschwelle verblattet ist.

Der Anonymus

1) Ich verdanke diese genaueren Angaben Herrn Prof. Dr.-Ing. Alker in Karlsruhe,

der das italienische Bauwesen aus eigner Erfahrung näher kennt. * , Apoll. pag . 178, 4 ; vgl. die Übersetzung Seite 32. 3) Anon. pag. 237,5 bis 238, 11.

4) Anon. pag . 237 , 9 : επάνω δη των πλαγίων (ξύλων ) υπό γλωσσίδος κατά μέσον τα ορθά εφίστανται .

.3 FIG

III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

.Abb 15

.2 FIG

o

7 .FIG

38

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

39

bemerkt aber ausdrücklich, daß die von Apollodorus angegebene Form die Für alle drei Konstruktionen ist das schräge Anlaufen der Bügen charakteristisch ; diese Freiheit in der Lage der Hölzer zu einander wird eben durch die Verbindungsmittel der Knagge sind der Besatz latte gewährleistet. Die letztere kommt dabei als „ ganascia à gatello “ zur beste ist.

Anwendung, vgl. Abb. 16.

Der Hauptunterschied zwischen den beiden auf den Abb. 6 bezw. 7 u. 13

dargestellten Konstruktionen besteht aber in der Verwendung der Doppelbalken,

19

14 va

0

Abb. 16.

Abb. 14 .

die wir bei Apollodorus finden . Auch die zuerst dargestellte Konstruktion, Abb. 3 u. 4, zeigt Doppelbalken . Es ist das keine persönliche Vorliebe Apollodors etwa ; sondern er teilt sie mit den antiken Technikern überhaupt,

wir werden ihr auch noch bei Vitruv und auch im Dachverband begegnen ; wir können diese Verdopplung als besondere Eigenart der antiken Holzbauweise betrachten , und in dieser Vorliebe begegnen sich die antike und die moderne, ja die allermodernste Technik . Das ist auch der Grund, weshalb unsere Terminologie – wie ich vorher schon angedeutet habe – hier -

-

mit der des Apollodorus so leicht in Einklang zu bringen ist : Unsere , Zangen“ und die Guyá des Apollodorus , sowie unsere „ Doppelzangen“ und die durclã Guyd entsprechen sich in ihrer technischen Bedeutung ganz und gar. Noch mehr ; ein Holz von der Dimensionirung unserer einfachen Bohlenzange und in der gleichen Art der Verwendung nennt Apollodorus ein xávwv XnTEGEVYMévost) (Abb. 17). Die Verbindung in Abb. 18 nach der Be

schreibung, pag. 187, 14 nennt er aber wiederum eine neQ10touís, bezeich 1) pag. 179, 6.

40 III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

nender Weise ; sie ist durch eiserne Bolzen gesichert und durch einen Wirbel ablösbar festgehalten . ein χελώνιον εύστροφος Die Doppelzangen gehören in der modernen Bautechnik zu den jüngsten Errungenschaften ; sie haben sich erst seit der fabrikmäßigen Herstellung der Schraubenbolzen

richtig eingebürgert, also etwa seit dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts. Der Schrau benbolzen

ist

das Konstruktionselement für

die moderne Zimmerkunst , um Doppelzangen unter sich und mit ihren Verbandhölzern durch

ਹੈ H Abb. 17.

Verklammerung zu verbinden. Die gleiche Funktion wie die Schrauben bolzen übernehmen bei Apollodor die neoorouides (C, Abb. 6 u. 7 ) ; wir können uns ihre Bedeutung durch diesen Vergleich am besten

klarmachen , denn diese nediol ouídeç sind für die gesamte moderne Bautechnik in der Tat ein durchaus fremdes Konstruktionselement.

Die περιστομίδες sind h81 zerne Klammern ,

1

die durch

einen entsprechenden Ausschnitt aus einem Stück Bohlen- oder

Kantholz gewonnen werden.

Ich

habe das Wort mit „ Klammer

stück “ übersetzt, ein Ausdruck, der ihre Funktion am besten wiedergibt ; sie umklammern die

beiden Zangen von außen und üben damit die gleiche Funktion aus wie unser Schraubenbolzen .

Die Schraube, durch die erst die

eigentliche Verspannung des Ver bandes erzielt wird, ist bei dem Klammerstück durch den Keil ersetzt zu denken .

Wir erfahren auch genaueres

über Form und Herstellung der Klammerstücke aus dem Apollo dorustext

selbst.

Die

beiden

Grundschwellen , die in der Ge stalt

von

Doppelzangen

die

Sparrenfüße der Schildkröte auf

Abb. 18.

nehmen , werden durch

»

Klam

merbalken “ verankert, die ebenfalls als Teplotouideç bezeichnet sind ; aber diese

Balken

erhalten

die

Klammerform

durch

aufgenagelte Chelonien

(vgl. c in Abb. 4), und nicht, wie ausdrücklich erwähnt wird , durch „Aus

1 1

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

41

schnitt “ '). Die Klammerstücke wurden in die zu verklammernden Hölzer eingelassen , das werden wir bei der weiteren Verfolgung der eigenartigen

Bauweise in der antiken Technik noch genau feststellen können ; denn auch dieser Konstruktionsteil ist nicht eine Erfindung Apollodors, sondern ein in der antiken Technik offenbar allgemein gebräuchliches Verbindungsglied von Doppel

hölzern. Nur verdanken wir dem Apollodorus die genaue Beschreibung und Terminologie . Es handelt sich bei dieser Bauweise wahrscheinlich sogar um eine uralte bodenständige Holztechnik ; denn es ist kein Zweifel, daß die an

den steinernen Abbildern alter Holzbauten , wie sie die Felsengräber in Lykien in allen Einzelheiten zeigen, diese repiorouides ein Hauptmotiv der in diesen monumentalen Dokumenten der Zimmerkunst porträtirten Holzbauten bilden . Denn daß die dort oft an ganz unmöglichen Stellen sich zeigenden Balkenköpfe in Wirklichkeit Klammerköpfe sind , hat schon Choisy ?) erkannt, aber das in den Aufnahmewerken beigebrachte Material genügt nicht, um diese Bauten mit Sicherheit zu rekonstruiren .

Schon aus diesen Einzelheiten ergibt sich für diese Bauart die eine Grund bedingung : Sie ist nur auf zugerichtetes Bauholz, auf ,,Kantholz “, überhaupt anwendbar. Es ist eine sehr entwickelte , auf genaue Arbeit berechnete

Technik , die nichts „ urwüchsigeg " hat ; für diese Technik kommen die von den Rekonstrukteuren so gern zu Grunde gelegten Rundholz balken und Stangenhölzer gar nicht in Frage. Eine derartig „bar barische “ Bauweise ist der Bautechnik der ganzen antiken Polior . ketik völlig fremd . Alle Rekonstruktionen, die von solchem Rohmaterial ausgehn ), verkennen schon von vornherein die hier gegebenen Grundelemente

und sind deswegen durchaus verfehlt. Im übrigen hatte diese Technik durch die leichte Beschaffbarkeit und Wiederverwendbarkeit der Verbindungsglieder für den militärtechnischen Betrieb ihre besonderen Vorzüge. Dazu kam das

Fehlen aller komplizirten Holzverbindungen, die einen geschulten Zimmermann erfordern ; eine gewisse Schematisirung, die ein leichtes Auf- und Abmontiren auch mit ungelernten Kräften ermöglichte ). Das ist wohl der Grund, weshalb sie sich auch heute noch zumal im Gerüstbau im Lande antiker Tradition erhalten hat .

Um die uns von Apollodorus so eingehend geschilderte Bauweise in der Literatur der römischen Antike weiterverfolgen zu können, werden wir zunächst die lateinische Terminologie der Konstruktionselemente feststellen müssen : Das chelonion ist als Fremdwort in die Sprache des römischen Hand

werks übergegangen ; wir begegnen dem Ausdruck bei Vitruv zur Bezeichnung 1) pag. 155, 11 : περιστομίδας λήψεται ουκ έξω τομής γινομένης αλλά χελωνίων προσηλώσει zpatoioas. Vgl. auch Abschn. II, Seite 27 und Anm. 1 .

2) Choisy, A. , Histoire de l'architecture, Paris 1899. X. Les architectures pré helléniques, S. 248. 3) Vgl. z. B. die zahlreichen Rekonstruktionen von Caesar's Rheinbrücke, die alle an diesem Fehler kranken , indem sie die Vorbedingung jeder antiken Bautechnik von vornherein verkennen .

4) Diese Gesichtspunkte spielen auch in der Denkschrift Apollodors eine Rolle :

pag. 137, 9 : σχήματα ως επί το πλείστον ευπόριστα, ελαφρά, ευεργή, ταχέως υπό των τυχόντων συντελούμενα.

42

III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

des gleichen Konstruktionsteils nicht selten. Aber Vitruv läßt sich ja über haupt auf die Darstellung der landläufigen Technik mit ihren selbstverständ lichen Einzelheiten niemals näher ein, weil er dafür auf kein Interesse bei

seinem Publikum rechnen durfte. Das ist auch der Grund, weshalb die „ Besatz latten “ im Vitruv nur an einer Stelle erwähnt werden : Die xa vóves des

Apollodor entsprechen den „ ancones “ . ancon war für den Römer auch ein

griechisches Lehnwort und heißt der Ellenbogen . ancon und ganascia sind

beide für die Handwerkersprache sehr bezeichnende Benennungen des in Abb. 13, k gezeichneten Verbindungsgliedes ). Für die neQiOrquis hat der römische Techniker den Ausdruck „ fibula", der Form und Funktion treffend wiedergibt; denn fibula heißt Spange oder Klammer. Wir stoßen auf dieses Wort und auf die für die fibula charakteristische Bauweise an einer sehr bekannten Stelle der römischen

Literatur in der Beschreibung der Rheinbrücke in Caesars IV. Buch , de bello Gallico 2).

Die Rheinbrücke hat zahlreiche Kommentare schon

hervorgerufen, ja es hat zeitweise eine Brückenfrage gegeben. Aber ibre ingenieurtechnische Bedeutung ist in Wirklichkeit gering ; wodurch sie dagegen

Beachtung verdient , ist die genau beschriebene antike Bauweise , deren Besonderheit in den Doppelhölzern und den hölzernen fibulae be steht , wie wir sie im Apollodor bereits kennengelernt haben.

Die

Beschreibung beschäftigt sich dabei besonders mit den fibulae und betont mit technisch sehr richtiger Anschauung ihre Wirkung für den Verband des ganzen Tragwerks. Es handelt sich um eine einfache Bockkonstruktion (vgl. Abb. 19), noch dazu provisorischer Art - die Brücke wurde,, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatte, nach 18 Tagen wieder abgebrochen –- : Zwei quadratische Balken von

1 '/ Fuß Seitenlänge im Querschnitt, mit einem Zwischenraum von 2 Fuß mit einander gekuppelt (a), bilden auf beiden Seiten die Doppelständer des Bocks. Uber die Art der Verbindung der beiden Hölzer mit einander ist nichts gesagt;

es ist nur angegeben, daß sie vor dem Einrammen erfolgte. Das Einrammen geschah in schräger Richtung ; es müssen breite und schwere Rammbären ge wesen sein, um die beiden schon vorher verbundenen Pfähle einzurammen und diese Rammbären müssen zwischen schrägen Leitruten gelaufen sein.

Die

Verbindung der Ständer muß eine elastische gewesen sein, weil sie sich sonst bei der Rammarbeit auf jeden Fall gelöst hätte. Ich nehme deswegen Aus steifung durch ein Balkenstück ( b) und Seilumschnürung an, die einzige Ver bindung, die mir unter diesen Umständen überhaupt möglich erscheint. Welch

außerordentliche Rolle in der Zimmerei der alten Poliorketik derartige Seil verbindungen spielen, werden wir im Zusammenhang noch kennen lernen . Nach dem Einrammen der Doppelständer wurden die Brückenbalken ( c), ebenfalls von quadratischem Querschnitt und nach dem Zwischenraum der Ständerbölzer dimensionirt, also 2 Fuß im Quadrat, eingelegt. Die Be 1) Die betreffende Stelle , Vitruv, pag . 278, 18, sichert nach meiner Ansicht diese

Terminologie vollständig : „ conlocata erat alternis materies inter scapos et transversarium traiecta et cheloniis et anconibus firmiter inclusa “ .

3) C. Julii Caesaris comm. vol. I de bello Gallico . Leipzig 1911. lib. IV, cap. XVII.

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

43

Abb .19

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44 III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

schreibung des eigentlichen Verbandes lasse ich nun in möglichst wörtlicher Übersetzung folgen :

„ Nachdem die Brückenbalken eingelassen waren , wurden diese Doppelständer auf beiden Seiten oben durch je zwei Klammerstücke (fibulae , e) beiderseits außen herum verklammert.

Sobald die Doppelpfähle derart geschlossen waren und ein Paar gegen das andere auf diese Weise verspannt war , war die Festigkeit des Verbandes so groß und die gegebenen Ver

hältnisse von der besonderen Art , daß je reißender die Strö mung geworden wäre , die Verklammerung um so enger werden mußte " 1). Der Text ist leicht verständlich , wenn man nämlich die von Apollodor bezeugte eigenartige Konstruktionstechnik der antiken Poliorketik kennt ; und

der Gedankengang ist technisch durchaus richtig : Die Vorstellung von den im Tragwerk wirkenden Kräften ist folgende: Die durch die Strömung erzeugte Kraft bewirkt im Brückenbalken ( c) eine Druckspannung, die an den beiden Knotenpunkten die fibulae (e) gegeneinander und damit gegen die Doppelständer preßt. Dadurch wird die Verklammerung der letzteren entsprechend dem An

wachsen des Druckes verstärkt. Voraussetzung ist natürlich, daß ein Nachgeben der eingerammten Doppelständer unter der Strömung nicht stattfand; deswegen hatte man den Bock durch besondere Streben ( d) an dem unteren stromabwärts gelegenen Ständerpaar abgesteift). Die Beschreibung ist durchaus folgerichtig

aufgebaut ; aber den Schlüssel zum Verständnis gibt nur die richtige Deutung der fibulae. Von allen Kommentatoren dieser Stelle kenne ich nur einen, der die fibulae

richtig wiedergibt --- das ist Palladio 3) ; keiner von den gelehrten Rekonstruk teuren späterer Jahrhunderte hat es anscheinend für nötig gehalten, auf den Vorschlag Palladios einzugehn (Abb . 20) . Aber Palladio hat eine der fibulae 1) pag. 79. XVII. 6 u. 7 : „ Haec (sc. tigna bina sesquipedalia, a der Abbildung) utraque insuper bipedalibus trabibus immissis, quantum eorum tignorum iunctura distabat,

binis utrimque fibulis ab extrema parte distinebantur ; quibus (tigna, a der Abbildung) disclusis atque in contrariam partem revinctis tanta erat operis firmitudo atque earum rerum natura, ut, quo maior vis aquae se incitavisset, hoc artius inligata tenerentur. 6“

2) pag. 80,9 : ac nihilo secius sublicae et ad inferiorem partem fluminis oblique

agebantur, quae pro ariete subiectae et cum omni opere coniunctae vim fluminis exciperent (vgl. hierzu auch Abschn. V, S. 95 ) . 3) I quatro libri dell'architettura di Andrea Palladio. Venetia 1570, libro terzo, cap. VI. Die „ fibulae“ sind das einzige Konstruktionsmittel, das in der italienischen

Technik nicht mehr nachweisbar scheint. Sollte Palladio sie im damaligen Zimmer gewerbe doch noch gefunden haben ? Aber bei Palladio beginnen ja die Quellen antiker Tradition und technischen Denkens reichlicher zu fließen ; im gleichen Kapitel gibt er zugleich mit der Rekonstruktion von Caesars Brücke die ersten in klar durch geführtem Dreiecksverband konstruirten Brückenträger, die als Fachwerkträger im statischen Sinne für unsere Bautechnik so große Bedeutung erlangt haben. Ebenso gut konstruirt sind seine Dachbinder.

Wir denken bei Palladio heute meist nur an

seine kunstgeschichtliche Bedeutung ; aber die französischen Statiker haben noch im 19. Jahrh . gewisse Binder als Palladiobinder bezeichnet.

:

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

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Abb. 20.

45

46

III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

so gelegt, daß sie zugleich das Balkenauflager bildet und das ist falsch, denn es widerspricht dem Text ; die Balken ( c) werden, wenn wir diesem folgen, vor den fibulae eingelegt, es muß also auch vorher ein Auflager vorhanden

F

Z

Z

Z

Z

Z

Z

Abb. 21 .

gewesen sein. Über dieses Auflager sagt die Beschreibung ebensowenig ein Wort wie über die Form der Verbindung (iunctura) der Doppelständer. Beide

werden vermutlich die gleiche Form (6) gehabt haben, ein eingelassenes Balken

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

47

stück mit verkeilten Seilschlingen ' ) ; denn auch das Auflager mußte eine

elastische Verbindung mit den Ständern haben, und zwar fibulae :

Nach dem Ankeilen der fibulae mußten auch

-

wegen der

die Keile der Seil

schnürung angetrieben werden können ?). Jedenfalls geht das eine aus dem Text unzweideutig hervor , daß von allen Verbandsteilen die fibulae zuletzt ein gebracht wurden .

Wenn wir jetzt auf das Gebiet der Baurüstungen zurückkehren, deren antike Tradition wir vorher im modern-römischen Bauwesen verfolgt haben,

so können wir auch im Vitruv weitere Belehrung über die uns interessirende Holzbauweise erhalten ; denn in dieses Gebiet gehören auch die im II. Kap. des X. Buches, pag. 246 bis 249, 25, besprochenen Hebezeuge . Die Abb. 21 bis 24 zeigen die vier von Vitruv beschriebenen Formen.

Die bei uns ge

wöhnlichste Art des an einem dreibeinigen Bock aufgehängten Flaschenzuges ist bei Vitruv nicht vertreten . den Einmast.

Er kennt nur den zweibeinigen Bock und

Die Stabilität wird durch Haltetaue erreicht.

Die Beschreibung beginnt mit der einfachsten Maschine für kleinere

Lasten, einem Flaschenzug mit drei Rollen ( trispastos) und einem durch Hebel zu drehenden Zylinder zum Aufrollen des Seils (Abb. 21). Für größere Lasten dient ein Flaschenzug mit doppelten Rollen (Abb . 22 ) ; der Bock ist im übrigen

der gleiche, aber die Bewegungsvorrichtung selbst besteht in der bequemeren

Form einer Handwinde, ergata 3) ; der Flaschenzug erhält Doppelrollen, das gleichmäßige Aufrollen der Zugseile wird durch Zwischenschaltung einer Seil scheibe ( tympanon ) erreicht, auf dessen Achse sich die beiden Zugseile beiderseits 1 ) Die älteren Rekonstrukteure wie Rondelet (Traité théorique et pratique de l'art de bâtir ; Pl. XCVIII, Paris 1817) machen reichlich Anwendung von der Seil umschnürung und treffen damit zweifellos etwas richtiges, was ihnen zudem zu ihrer

Zeit noch geläufig war (vgl. die Ausführungen auf S. 57 , denn die Anwendung der Seilumschnürung besonders bei provisorischen Bauten hat in der älteren Zimmerei bis in das 19. Jahrb . hinein eine erhebliche Rolle gespielt.

?) Caesar hat die Brücke in zehn Tagen fertiggestellt; die Pfähle sind vom Floß aus gerammt und er wird bei der schnellen Bauausführung ein ziemlich großes Floß und mehrere Rammen gehabt haben müssen . Nach dem Einrammen wurden die Balken

lager vom Floß aus abgeschnürt und die Lagerstücke ( b ) eingebracht und mit Seil schlingen gesichert, die Lagerstücke sahen im Übrigen ebenso aus wie die „ iuncturae “

der Doppelständer. Daß man die letzteren aber gleich als Auflager benutzt haben könnte, ist ausgeschlossen, denn man kann nicht so gleichmäßig rammen , daß die vorher

eingebrachten iuncturae alle in einer Höhe liegen , da die Rammtiefe mit den mehr oder weniger wechselnden Bodenverbältnissen verschieden sein wird .

3) Ich glaube nicht, daß Vitruv hier unter ergata einen Göpel versteht; aus dem Zusammenhang scheint es mir nicht hervorzugehn , vor allem würde die Zwischen

schaltung der Seilscheibe dann unverständlich sein, weil sie für einen Göpel kein ge eignetes Verbindungsglied wäre. Vitruv wendet statt des Göpels zur Steigerung der Wirkung eben das Tretrad an, das sich besser mit den hier in Frage kommenden

Hebezeugen verbinden läßt. Wo es sich aber um die größten Lasten und den stärksten Flaschenzug handelt, verwendet er weder Göpel noch Zugtiere, sondern „ tres ordines ducentium“ . Wo es sich um solche Lasten handelt, sodaß ein Göpel nicht genügen würde, wird der ganze Göpelbetrieb außerordentlich schwerfällig. Wir sehen das aus der

Fontana’schen Beschreibung der Obeliskenversetzung (vgl. S. 59 ), von der Abb. 31 ein Bild bringt. Hier gebrauchte Fontana nicht weniger als 40 Göpel, deren Anordnung ein gewaltiges Areal erforderte und zudem einen sehr unübersichtlichen Betrieb zur

48 III. Abschnitt: Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

F .

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Abb . 22.

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

49

aufwickeln . Zur weiteren Steigerung der Leistungsfähigkeit fällt die ergata fort und die Seilscheibe wird zum Tretrad (Abb. 23).

Für die größten Lasten empfiehlt Vitruv den Einmast, für den auch der Flaschenzug bestimmt mit dreimal je drei Rollen in jedem stärkste

Flaschenkloben ) bild. 24). Den

(Ab drei

fachen Rollen entspre

chen drei Seilzüge, die von drei Reihen Ar beitern gezogen wer

den ? ) .

Diesem Hebe erkennt

zeug

Vitruv

den Vorzug der größten

Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit zu, will aber seine Anwendung

wegen der schwierigeren Handhabung mit großem Recht

nur

erfahrnen

Fachleuten gestatten . Soweit die Einzel heiten der Konstruktion

beschrieben sind, kom men überall

die uns

bekannten Verbindungs

glieder zur Verwendung. Die zweibeinigen Böcke

sind mit fibulae (F in Abb. 21 u. 22) versehn, um die beiden Ständer an ihrer Verbindungs stelle

zu

sichern ).

Abb . 23 .

Folge batte. Es kommt die Umständlichkeit in der Auf- und Abmontirung der Gopel mit ihren Seilzuleitungen zu und die unverhältnismäßige Verlängerung mancher Seil

leitungen, durch die eine sehr unerwünschte Ungleichmäßigkeit in der Summirung der einzelnen Kraftwirkungen herbeigeführt wird. Ich glaube deswegen nicht an eine Benutzung von Göpeln von seiten der antiken Techniker in der Weise, wie es Fontana macht ; sie werden da mit den „ordines ducentium “ weitergekommen sein, zumal sich die so wirksame Gleichmäßigkeit in der Summirung der Kräfte dabei ganz anders erreichen läßt als mit der Anhäufung von Göpeln.

1) pag. 249, 13 : ,hoc genus machinae polyspaston appellatur. “ 3) pag. 249, 12 : „ ita tres ordines hominum ducentes sine ergata celeriter onus ad summum perducunt.“

3) pag . 246, 4 : tigna duo a capite fibula coniuncta et in imo divaricata eriguntur.

pag. 247, 4: eadem ratione in summo fibulationibus, in imo sucularum versationibus expediendum. Sackur , Literatur der Antike.

4

50 III. Abschnitt: Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

Abb. 24,

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

51

Beim Einmast sind oben zwei Chelonien ) anzubringen, um einen Halt zur Befestigung des oberen Klobens zu bekommen. Alle Achsenlager für die Winden

und Seilscheiben werden ebenfalls durch aufgenagelte Chelonien gebildet ?). Das Bild des Einmastkrahnes (Abb. 24) entspricht in dieser Form dem Wortlaut des Textes.

Über den Fuß dieses Baukrahnes macht Vitruv selbst

keine Angabe, obwohl seine sichere und doch bewegliche ) Befestigung im Boden eine Hauptforderung für die Arbeit mit dieser Maschine ist. Aber auch in Betreff der Haltetaue und des Mastes selbst begnügt er sich mit einer kurzen Notiz : , Diese Art besteht aus einem Balken, der aufgerichtet und durch Halte taue vierfach verspannt ist. “

Diese Angaben genügen wohl, das mechanische Problem theoretisch zu fixiren ; für die praktische Durchführung bedürfen sie der Ergänzung und

der Detaillirung: Bei größeren Höhen

-

und um die wird es sich bei den

Ausmaßen antiker Architekturteile immer handeln

wird der Mast nicht mehr

aus einem Stück hergestellt werden können ; oder es müßte ein Balken von riesigen Querschnitt-Dimensionen werden, weil er sehr starken Knickspannungen ausgesetzt ist. Es wird sich dann nur noch um einen aus mehreren Balken zusammengesetzten Mast handeln können, wie das ja der antiken Technik sehr geläufig war.

Auch im Vitruv finden wir, wo starke Hölzer gebraucht

werden, das Mittel der Verdopplung “). Auch die Haltetaue werden in der

angegebenen einfachen Form nur ein sehr beschränktes und jedenfalls sehr gefährliches Hantiren gestatten. Wir sind nun in der glücklichen Lage, zu dieser Beschreibung Vitruvs

eine antike Illustration zu besitzen, die diesen praktischen Gesichtspunkten in vollem Maße Rechnung trägt und den Text dementsprechend ergänzt ; denn

als

technische Illustration

können

Lateran - Museum in Rom bezeichnen

wir

das

Haterier - Relief

(Abb. 25) 5).

Das

Bildwerk

im ist

spätrömisch und stammt von einem Grabdenkmal der Familie der Haterii , dessen bauliche Ausführung das Relief unter anderem vor Augen führt.

Der dargestellte Einmastkrahnbildet allerdings eine Variante zu Vitruv, insofern er statt der drei Reihen von Arbeitern zur Bewegung der Last ein Tretrad zeigt ; aber bei sinngemäßer Anwendung des ganzen Gedanken

ganges dieses Vitruvkapitels würde sich diese Variante ja auch schon aus dem Text ergeben.

1) pag. 248, 21 : sub retinaculo chelovia duo figuntur, troclea funibus supra chelonia religatur.

2) pag . 246, 15 : in quadris autem tignorum posterioribus, quo loci sunt divaricata,

figuntur chelonia, in quae coiciuntur sucularum capita. pag. 247, 21 : sucula cheloniis retinetur.

3) Daß der Fuß allseitig beweglich war, ist ausdrücklich gesagt pag. 249, 16 : una autem statutio tigni hanc habet utilitatem , quod ante quantum velit et dextra ac sinistra ab latere proclinando onus deponere potest. 4 ) tigna oder arrectaria compacta.

5) Es war mir nicht möglich, eine genügend scharfe Photographie zu bekommen , sodaß ich dieses bei Springer (Handb . der Kunstg . I , Das Altertum , Leipzig 1911) und

Durm ( Die Baukunst der Römer, Handb. d. Arch., Stuttgart 1905) Übrigens abgebildete Denkmal hier nach Zeichnung wiedergeben muß. 4*

52 III. Abschnitt: Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

Um die bildliche Darstellung recht zu verstehn, müssen wir uns freilich

TI

erst mit der Eigenart der Darstellungsweise, mit diesem Nebeneinander und Übereinander nicht zu einander gehöriger Dinge vertraut machen : Dann

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WALIOUTON

Abb . 25.

werden wir uns nicht von der wunderlichen Gruppe auf der Spitze des

Krahnmastes beirren lassen ; sie gehört nicht zu der Baumaschine, sondern ist eine mit ihrer Hülfe soeben versetzte Bekrönung, von der gerade die Seil schlingen gelöst werden.

Dieses Aneinanderreihen verschiedener Scenen, so

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

53

wie es der Platz gerade zuläßt, stempelt das ganze zu einer Art Bilderbuch ") ,

und es kann uns zugleich dazu dienen , unseren Begriffen über antike Illu strationen eine etwas sichrere Grundlage zu geben, weil wir hier einmal sehen können, was die Antike in Betreff der technischen Einzelheiten des dargestellten Gegenstandes für Anforderungen stellte ; denn trotz aller Anspruchslosigkeit,

was die Abgeschlossenheit der Komposition anbetrifft, sind gerade die technischen Einzelheiten außerordentlich naturgetreu und mit auffallendem Verständnis für das rein - technische wiedergegeben.

Wir sehen nun, wie die Haltetaue in der Praxis aussehen mußten, um

eine gesicherte Beweglichkeit des Mastes zu ermöglichen. Es sind alles Flaschen

züge, und es entspricht jedem oberen Rollenkloben ein unterer im Erdboden befestigter. Auch zählen wir nicht 4, sondern 6 solche Haltetaue in Form von Flaschenzügen, die auch sehr zweckmäßig über den ganzen oberen Teil des Mastes verteilt sind, auch

der Gefahr

sodaß

eines

Ab

knickens des Mastes in der

Mitte begegnet werden konnte . Und nun der Krahnmast selbst ! Wir erkennen sofort, daß wir es hier nicht mit einem ein

fachen Balken , sondern mit einem „ tignum compactum “ zu tun haben ; wir erkennen

das aus den „ fibulae “, die mit

Akkuratesse ,

derselben derselben

wie alle sonstigen Einzelheiten angegeben sind, ja wir können auch hier die besondere Ge wissenhaftigkeit Dar der

stellung noch weiter verfolgen ; denn diese in den Mast ein

gelassenen fibulae liegen alle an der inneren, der am Flaschen zug hängenden Last zuge wandten Seite , der

Außenseite

satzlatten

während an starke

ancones

Be zu

sehen sind . Die fibulae liegen also in den gedrückten Holz fasern , die ancones auf den

Abb . 26 .

gezogenen , sodaß ihre Lage durchaus der mechanischen Beanspruchung des Mastes entspricht. Und daß die Doppelbalken hier nicht nur mit Besatzlatten vernagelt, sondern wie die Doppelzangen verklammert sind, hat seinen Grund

darin, daß in dem Mast sehr starke Knickbeanspruchungen auftreten, was natürlich in den dreifachen Ständern des Apollodorusturmes nicht der Fall war. 1; vgl . Abschn. I , S. 14 .

54 III. Abschnitt: Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

Leider ist der Fuß des Krahns auf dem Relief zu kurz gekommen ; man kann nur soviel erkennen, daß er nicht etwa in so primitiver Weise wie Im Princip muß der Krahnmast die gleichen Bewegungen ausführen können wie ein „ Gaffelmast“ bei den Schiffen , der gleichfalls zur Hebung von Lasten dient ; er muß aufrichtbar und

auf Abb . 24 in der Erde steckt.

seitlich beweglich sein . Die Anbringung der

ace

Flaschenzüge an solchen Masten zum Beladen und Ausladen der Schiffe beschreibt Vitruv

pag. 249, 19-211).

Die Gaffelmaste, die an

einem Hauptmaast befestigt waren , konnten schräg -aufrecht oder wagerecht gestellt werden, und aus diesen Bedingungen ergibt sich eine gelenkartige Verbindung mit dem

Hauptmast, wie in Abb . 26 dargestellt. Diese bei unsern l genannte " Gaffe 2

Abb . 27.

heutigen

Seglern

Verbindung

ist

das , carchesion versatile " Vitruvs.

Auch Athenaeus beschreibt ein „ carchesion ", und zwar

recht genau, als ein Doppel gelenk , wie es in Abb . 27 dargestellt ist ?). Es dient zwar zu andern Zwecken, als bei den Krahnen ; es handelt sich dabei um ein polior ketisches Instrument : In die

,,Gaffel" ist wie eine Wippe ein Balken von solcher Länge eingelegt , daß sein längeres Ende bis zur Mauerhöhe ge 22

hoben werden kann. Wir er halten durch unsere Methode

der technischen Analyse auch hier wieder

Abb . 28.

nicht

nur

den

richtigen Sinn der Beschrei bungen , sondern auch die genaue Terminologie: ,, car chesion " heißt eigentlich „ Korb “ , der namengebende

1) Vitr. 249, 19—24 : Harum machinationum omnium, quae supra sunt scriptae , rationes non modo ad has res, sed etiam ad onerandas et exonerandas naves sunt paratae, aliae erectae, aliae planae, ip carcb esiis versatilibus conlocatae. 3) Athen, 35, 4 ; vgl. Abschnitt V, S. 94, Anm . 1 .

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

55

Teil bei diesen – was das Bewegungsprincip anbetrifft – gleichartigen Kon struktionen ist also der Teil, den wir als Gaffel ( Gabel) bezeichnen , und die -

richtige Ubersetzung von , carchesion " wäre Gaffel". Das Fußgelenk des Baukrahnes, der zwar nicht mit einem Hauptmast, aber mit dem Erdboden zu verbinden ist, muß ebenfalls ein „ carchesion " gewesen sein und seine Form wird etwa der von Athenaeus beschriebenen

entsprochen haben ; nur muß auch hier, um dem besonderen Zweck zu genügen,

eine Modifikation eingetreten sein. Der Fuß dieser im Haterier- Relief dargestellten Baumaschine wird die in Abb. 28 wiedergegebene Kon struktion gehabt haben ; auf ein solches Glied könnte die im Relief unten erkennbare Andeutung hinweisen .

Zu einer lebendigeren Vorstellung von der antiken Bautechnik gelangen wir auch hier durch die älteren Italiener, deren Tradition offenbar niemals ganz unterbrochen gewesen ist ; Abb. 29 stellt einen Krahnmast dar , den

der päpstliche Techniker maestro Zabaglia ") benutzte, um die Statuen auf den 19,00 m hohen Kolonnaden vor S. Peter zu versetzen. Der Mast selbst muß also wenigstens 24 m hoch gewesen sein. Sämtliche Statuen wurden nur mit diesem einen verschiebbaren Krahn ohne Zuhilfenahme irgendwelcher Bau rüstungen aufgebracht.

Das ist antike Technik , und der Maßstab dieses

Hebezeugs gibt uns auch annähernd einen Begriff für die Ausmaße der antiken Vorbilder.

Die Form dieser italienischen Ableitung des antiken Einmastes ist insofern abweichend, als der Fuß nicht mehr gelenkartig beweglich ist, weil der Mast selbst senkrecht stehen soll ; infolgedessen muß auch am Kopfende ein Ausleger angebracht werden, an dem die Last hängt. Aber bei dem Fehlen eines festen

Fußes erfordert das Hantiren mit dem gefährlichen Instrument besondere Geschicklichkeit. Dafür kann der Mast freilich leicht und in aufrechter Stellung verschoben werden . Die gezeichneten Rollen ( T ) werden, sobald der Krahn in Tätigkeit tritt, durch die Fußklötze ( V ) ersetzt; die Equilibrirung war dann nicht einfach : Damit der Mast durch das Zugseil nicht umgeworfen werden

kann, muß ein besonderes Tau vom Kopfende nach X geführt werden. Dadurch konnte ein Gegendruck ausgeübt werden. Zum Gegendruck gegen die Last ist noch ein besonderer Flaschenzug ( Q) (canapo di ritiro) vorgesehn. Ich möchte die Anknüpfung an das Werk Zabaglia's benutzen, um die noch fehlenden Konstruktionselemente zu besprechen : Wir haben gesehn,

welch große Rolle bei Apollodorus die Zusammensetzung der starken Ständer aus einzelnen Stücken der Breite und Höhe nach spielte. Das ist bei Zabaglia genau so.

Die Besatzlatte und die fibula waren nun nicht die einzigen Ver

bindungsmittel für solche zusammengesetzten Hölzer. Als weitere wichtige Verbindungsmittel kommen die Seilumschnürung und das eiserne Band hinzu :

1) „ Contignationes ac pontes Nicolai Zabaglia, Romae 1743. pontes sind hier nicht Brücken, sondern Gerüstkonstruktionen . Die Holztechnik war bei beiden ja auch die gleiche und ist im wesentlichen auch die gleiche wie bei den römischen Dach konstruktionen , die Zabaglia ebenfalls bringt. Regierung Benedict XIV ( 1740-1758).

Zabaglia's Tätigkeit fällt unter die

56 III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

VO

H

Abb. 29.

3

Wir sehen an dem Krahn Zabaglia's, daß der Mast selbst in der Höhen richtung gestoßen ist. Der Stoß ist durch starke Leisten geschient und durch Seilumschnürung befestigt. Diese Befestigung zusammengesetzter Hölzer durch

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

57

Seilumschnürung beschreibt uns Apollodorus aufs genaueste ; bei ihm handelt es sich um die Verschnürung aus mehreren Stücken zusammengesetzter Widder balken ) :

Wenn man kürzere Hölzer hat, so können auch mehrere, etwa zu zweien und dreien, zusammen einen großen Widder bilden.

Ihre Stöße

werden mit 4 Bohlen stücken von 8 Zoll Dicke

geschient ,

wobei

die

werden .

Die

GE

Hölzer noch vernagelt Enden

DIOR

sind mit Hanfstricken zu schnüren, die Schie nenhölzer sind mit den Stricken zu ver keilen und zwar mit geglätteten Keilen , da mit ihre scharfe Kante nicht die Stricke zer

schneidet ). " Eine vollständige Ar mirung durch Seilumschnü rung , die am besten Vitruv

beschreibt '), erhielt der 180 Fuß lange Widderbalken für die Belagerungsmaschine des Hegetor von Byzanz : Vom Kopf bis zum Fußende waren 4 Taue

von

8 Zoll

Dicke gespannt und die Quer armirung bildeten in Zwi

schenräumen von 11/4 Fuß von einander umgelegte Seil schlingen. In ähnlicher

Abb . 30 .

Weise – was die Querarmirung anbetrifft – verschnürt Rusconi “) seinen -

1 ) Apoll. pag. 159, 2–9.

2) Zu solchen Stoßbalken nimmt Apollodorus, pag . 179, 7 bis 181,3, auch 12 Fuß lange Dielenstücke von 2 Zoll Stärke und 1 Fuß Breite, die mit versetzten Stößen

zusammengeschnürt werden. Aufgenagelte Chelonien verhindern das Verrutschen der festgekeilten Seilschlingen . 3) Vitr. 279,5–9 : a capite autem ad imam calcem tigni contenti fuerunt funes IV crassitudine digitorum VIII, ita religati quemadmodum naves a puppi ad proram con tinentur, eique funes praecinctura transversa erant ligati habentes inter se palmipedalia spatia. Wir erfahren aus dieser Bemerkung zugleich von der allgemeinen Anwendung

einer Verschnürung der Schiffe durch 8 Zoll starke Längstaue, die dort also wie eine Ringarmirung wirken mußte. Vgl. auch S. 75, Abschn. IV. 4) I dieci libri d'architettura di Gio. Antonio Rusconi, in Venetia 1660. Vgl.

Abschn. I, S. 8, Anm. Die Bilder Rusconi's sind Illustrationen zu Vitruv.

58 III. Abschnitt: Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus. ST SV

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Abb. 31 .

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

59

Krahnmast (Abb. 30 ), in der richtigen Erkenntnis , daß ein einfacher Balken als Krahnmast (Abb . 24) praktisch nicht in Frage kommen konnte . Auch das turmartige Gerüst, das Domenico Fontana erbaute, um den antiken Obelisken auf der spina des Neronischen Circus nach seinem heutigen Platze vor S. Peter zu transportiren (Abb . 31 ), zeigt die Verbindung mit

Seilschnüren. An dem Ereignis dieser Niederlegung und Wiederaufrichtung des 24 m hohen, auf 300 t Gewicht geschätzten, granitnen Monoliths, die im Jahre 1586 stattfand, kann man nicht gut vorübergehn, ohne sich ein Bild von den Wirkungsmöglichkeiten antiker Technik ጊzu machen . Denn die Alten hatten außer diesem Vatikanischen Obelisken viele und noch größere,

wie den aus dem Circus maximus stammenden des Lateran, nicht nur, wie Fontana, etwa 300 m weit bewegt, sondern von Aegypten nach Rom geschafft “). Das waren für die antike Technik also keine außergewöhnlichen Leistungen , während die sichere Bewegung eines so großen Steinkörpers im Jahre 1586 ungeheures Aufsehn in der Welt erregte und noch in den

nachfolgenden Jahrhunderten als eine Großtat der Technik gegolten hat ; das beweist die außerordentliche Verbreitung und der vielfache Abdruck der von

Carlo Fontana ?) verfaßten und durch schöne Kupfer illustrirten Darstellung der Begebenheit.

Die alten römischen Rüstungen zum Niederlegen und Aufrichten werden ungefähr die gleichen gewesen sein ; denn die Konstruktionselemente waren dieselben, sie waren aber wahrscheinlich weniger schwerfällig, weil der alte

architectus mehr gewöhnt war, mit größeren Massen und Maßstäben zu arbeiten. Die Dimensionen der Ständer sind bei Fontana enorm ; obwohl der Abstand

zwischen ihnen nur 1,10 m beträgt, ist der Gesamtquerschnitt jedes Ständers 1,00 qm : Diese Ständer sind , wie die beim Apollodorusturm aus Balkenstücken mit versetzten Stößen zusammengesetzt und zwar kommen vier Balken auf den Querschnitt von je 50 x 50 cm. Die Verbindung wird abwechselnd durch Seil schlingen und durch eiserne Bänder bewirkt. Auch das letztere Konstruktionselement ist uns nichts neues ; denn der

eiserne Beschlag für Konstruktionsteile wird bei allen unsern tech nischen Gewährsmännern , bei Apollodorus sowohl wie bei Vitruv und Athenaeus an zahlreichen Stellen erwähnt ; er fand dort An wendung, wo besonders schwer belastete Teile zu sichern waren . Ich verweise dazu besonders auf die Abbildung 27 , die der Beschreibung im Athenaeus ent

spricht ) und auf Abb . 44, das später noch näher zu besprechende Zimmer 1) Plinius erwähnt den Transport des Vatikanischen Obelisken von Aegypten nach

Ostia (Nat. hist. XVI, 40), der auf Caligula's Befehl erfolgte. Die Erwähnung geschieht aber nur nebenbei, um die spätere Verwendung des mächtigen zu dem Zwecke gebauten Fahrzeuges für die Hafenbauten in Ostia unter Claudius zu beschreiben ... (navis) quae ex Aegypto Gai principis iussu obeliscum in Vaticano circo statutum quattuorque truncos lapidis eiusdem ad sustinendum eum adduxit. 2) Carlo Fontana, il tempio Vaticano e sua origine, Roma 1694. Zabaglia druckt den Fontana'schen Bericht und seine Kupfer nach.

3) Αthen. 35, 5 bis 36, 1 : ού (του καρχησίου ) τα μεν σιαγόνια έσονται μελέϊνα, δεδεμένα lenici wuyenhinois ( Abb. 27 ). Vgl. Abschn . V, S. 94.

60

III. Abschnitt : Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus .

gerüst der Widderschildkröte des Hegetor nach der Beschreibung des Vitruv ' ) und des Athenaeus. Die Terminologie ist bei beiden Texten – ich muß das -

hier vorweg nehmen

ganz klar : die eisernen Bänder werden ausdrücklich

als ηλεπίδες ψυχρηλάτοι ) « bezw. als „ lamnae ferreae ex frigido

ductae ?) “ bezeichnet , als „ kalt umgelegte

eiserne

Beschlag

bänder " .

Am lehrreichsten dafür ist

die Beschreibung der Konstruktion der Räder , welche die vorge nannte 157 t schwere Maschine

des Hegetor tragen : Die Räder sind 63/4 Fuß hoch und 3 Fuß dick und diese Holzmasse ist aus drei Lagen zusammengesetzt; die einzelnen Hölzer sind unter

sich und die Lagen gegen ein

ander „ verdübelt“ , das ganze ist nicht etwa durch heiß umgelegte Reifen , wie es die Schmiede bei

gehalten.

den Radreifen machen , sondern zimmermannsmäßig durch um Abb . 32 . gelegte eiserne Bänder zusammen Das Rad muß also so ausgesehn haben , wie Abb. 32 es zeigt, und wir

sehen auch hier die Antike im Besitz der stärksten Zimmerverbindungen, die man anwenden kann, verdübelter Balken mit eisernen Bändern. Wie nun diese Bänder in sich geschlossen wurden , um fest angezogen zu

werden , darüber gibt uns wieder Zabaglia Auskunft: Auf der Taf. I seines Werkes (Abb. 33) sind die damals gebräuchlichen Befestigungsmittel der eisernen Beschläge dargestellt; der Verschluß des eisernen Bandes geschah durch den Keil. Das war in der Antike genau so : Vitruv kennt keinerlei Schrauben verbindung und läßt auch bei der Saug- und Druckpumpe des Ctesibius

( pag . 259, 18 ff.) den Deckel des Windkessels durch einen verkeilten Bügel auf dem Kessel befestigen, nicht etwa durch Schrauben, wie wir es gewöhnt sind .

Die Bautechnik ist Jahrhunderte hindurch dabei geblieben ; denn der von Zabaglia gezeichnete Keilverschluß der eisernen Bänder ist ebenso wie die Ver keilung der eisernen Bolzen bis in das 19. Jahrhundert hinein angewandt worden und eigentlich erst ganz verschwunden, als die durch fabrikmäßige Anfertigung erleichterte Herstellung der Schraube den Keil verdrängte.

Nicht nur der Verschluß der Bänder wurde durch den Keil gesichert, sondern das Band selbst wurde genau wie die Seilschlinge noch gegen das Holz 1) Vitr. 278, 13–17 : erigebantur et arrectaria duo compacta pedum VL, crassi

tudine sesquipedali, latitudine S :, coniuncta capitibus transversario cardinato tigno et altero mediano inter duos scapos cardinato et lamnis ferreis religato. Vgl. Abb . 44 u. S. 78. 2) Vitr. 278, 1—2, so wird der eiserne Beschlag der Räder beschrieben (Abb. 32).

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

61

selbst verkeilt. Was Zabaglia darüber sagt, könnte ebenso gut im Apollodorus stehn und ich will es zum Schluß hierhersetzen, weil es alle vorher besprochenen

Verbindungsmittel zusammengesetzter Hölzer, die von der antiken Zimmerkunst

11 3+

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fresco Borrega bien

tlar

Salade

Abb . 33.

angewandt wurden, zusammenfaßt mit Ausnahme der fibulae, die in die Tradition

der späteren Jahrhunderte anscheinend nicht mit aufgenommen sind : Eiserne Bänder , welche die Balken eng verbunden halten ; und um sie noch enger im Verband zu halten , kann man zwischen Band und Balken Keile eintreiben . Man verbindet auch die be sagten Balken mittels Seilen oder mittels gut vernagelten Quer leisten " ) . " Das Bild antiker Konstruktionsweise wird sich erst in den folgenden Ab

schnitten vervollständigen lassen ; insbesondere fehlen noch die Dachkonstruk tionen (Abschn . VII), um eine geschlossene Übersicht zu ermöglichen. Aber wir besitzen von den Elementen doch schon so viel , daß ich den Abschnitt

mit dem Hinweis auf das einzige Bild einer großen Konstruktion der Ingenieur technik schließen kann, das wir besitzen : Es ist das unter den Reliefs der Trajanssäule erhaltene Bild der Donaubrücke (Abb. 34), das für uns ein be sonderes Interesse besitzt ; denn es ist ein Werk desselben Apollodorus, mit dessen Poliorketik wir uns soeben näher beschäftigt haben . Die Brücke, deren

Pfeilerfundamente bei niedrigem Wasserstand bei Turnu - Severin noch heute sichtbar werden, überschritt den Fluß mit neunzehn aus Holz konstruirten bogen 1) Zabaglia, Erklärung zu Tav. II, 57 : Staffe di ferro, che tengono strettamente unite

le travi, e per tenerle più strettamente unite possono mettersi tra le staffe e le travi le zeppe a forza. Si tengono unite le dette travi anche a forza di funi o di traverse di legno ben inchiodate (letzteres die xavóves vjdovuévou des Apollodorus , die Besatzlatten).

62 III. Abschnitt: Elemente der antiken Holzkonstruktion usw. des Apollodorus.

förmigen Sprengewerken von 120 Fuß Spannweite auf turmartigen Pfeilern von 150 Fuß Höhe und 50 zu 60 Fuß Querschnitt ').

Wir haben in den Reliefs der Trajanssäule eine jener Bilderfolgen in Rollenform ?), bei denen anders als beim Haterierrelief die Personendarstellungen die Hauptsache sind, während die uns interessirenden technischen Gegenstände

nur Staffage bilden. Hohe Anforderungen für die Wiedergabe technischer Einzel heiten dürfen wir hier deswegen nicht stellen . Der Bildhauer hat im Gegenteil

diesen plastisch sehr unbequemen Gegenstand mit ziemlicher Freiheit behandelt und auf die ihm charakteristisch erscheinenden Andeutungen beschränkt. Die Brücke bildet den Hintergrund einer Opferscene, die sich auf dem einen Donauufer abspielt. Der Vordergrund wird links und rechts durch die Castelle A und B (Abb. 34, Fig. 1 ) begrenzt. Auf der Abbildung ist ein großer Teil der Figuren fortgelassen , um die Situation nach Möglichkeit klar

zustellen ; die im Relief von den dichtgedrängten Figuren in Wirklichkeit ver С

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A

an

B

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Abb. 34, Figur 1 .

deckte Uferkante würde etwa der Linie a- b entsprechen. Trajan, der die Opferschale in der Hand hält, ist mit seiner Begleitung von rechts gekommen ; die Fahnenträger und Offiziere der Legionen schreiten aus dem Tor links heran,

das den Eingang zum Castell A und zur Brücke bildet. Der Standpunkt, von dem aus die Brücke gesehn wird, befindet sich also nahe an dem diesseitigen Brückenkopf und die Brücke selbst ist perspektivisch verkürzt zu denken. Dabei wird der größere jenseitige Teil mit seinem Brückenkopf von dem Castell B , das zum Vordergrund gehört, ganz verdeckt und das letzte sichtbare

Brückenjoch wird von diesem Vordergrund zur Hälfte überschnitten. Dieses letzte halbe Joch scheint dem Bildhauer gerade hingelangt zu

haben, um das Strebenwerk naturgetreuer, d. h . in der richtigen Aufteilung in 2 x3 = 6 Bogenfelder darzustellen . Er hat hier auf richtige Darstellung offenbar mehr Wert gelegt, denn die Stelle fällt durch exaktere und sorg -

fältigere Ausführung auf. Bei den andern Jochen, in denen er den ganzen 1) Aschbach a. a. 0. S. 10, Anm. 3. 2) Birt weist im V. Abschn. seines Werkes „ Buchrolle in der Kunst“ (a. a. 0.) in sehr überzeugender Weise nach, daß das Vorbild für die Trajanssäule die um den Stab gewickelte Bilderrolle ist. Vgl. dazu auch die Ausführungen unseres Abschn. I, S. 14.

ъ

Nachweis in der antiken Literatur und ihre Tradition in späterer Zeit.

63

Bogen darstellen mußte, wurde ihm die richtige Felderteilung zu klein, so daß sie plastisch in verständlicher Form nicht mehr durchführbar wurde.

Er hat

sich da die Freiheit einer größeren Felderteilung genommen. Aber die Grund form der Konstruktion ist trotz dieser Freiheiten doch kaum mißzuverstehn.

Trägt man das aus dem Relief herauslesbare Konstruktionsbild maßstäblich

auf (Abb. 34, Fig. 2), so ergibt sich eine sehr folgerichtig durchgeführte Sprenge werkskonstruktion, bei der alle Stäbe, Hirnholz auf Hirnholz an einander gereiht und durch Doppelzangen an ihren Stoßstellen verbunden, gleichmäßig in ihrer

Längsrichtung auf Druck beansprucht werden. Der Schub wird auf die Längshölzer der auf den Brückenpfeilern liegenden Balkenroste übertragen, die demnach in der gleichen Weise beansprucht werden und vor dem Ausbiegen nach oben durch den Dreiecksverband der über den Pfeilern befindlichen Streben bewahrt sind ). Erst mit Palladio hat die Technik wieder begonnen , für derartige Konstruktionen ein einfaches und statisch klar durchdachtes Schema zu finden , und das 17. und

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10

20 m

Abb . 34, Figur 2.

18. Jahrhundert hat diese Gedankengänge weiterverfolgt ?). Aber man muß in der Entwicklungsreihe dieser Konstruktionen schon bis zur jüngsten Epoche hinauf gehn, um dieser Konstruktion des Apollodorus die richtige Stelle geben zu können . 1) Die Bedeutung dieses Strebenverbandes für den Balkenrost wird besonders durch den Pfeiler bei C, Abb. 34, Fig. 1 , klar, bei dem die Sprengewerkskonstruktion

beginnt. Denn hier ist der Rost fest vermauert, bedarf also der Auflast durch den Strebenverband nicht mehr, der hier dementsprechend fehlt. Wenn Choisy aber diesen

Kämpferpunkt zum Ausgang seines Rekonstruktionsversuches macht (L'art de bâtir chez les Romains, a. a. O., S. 162), so halte ich das für ein Mißverständnis . Zum besseren

Verständnis der ganzen Situation sei noch bemerkt, daß der Pfeiler C noch an der Uferkante steht und die beiden gewölbten Joche davor die sehr hohe Böschung des felsigen Ufers überspannen, auf dessen Höhe die Castelle liegen und auf dessen Höhe sich auch die Opferscene abspielt. Vgl. dazu die genauen Aufnahmen, die Aschbach (a. a. 0. ) vom Donauflußbett und den Pfeilerresten der Brücke bringt. 2) Vgl. dazu die Sprengewerksbrücken, Palladio a. a. 0. libr. III, S. 18 u. 20. Unmittel

bar beeinflußt ist offenbar die von M. Perrault, Receuil de plusieurs machines, Paris 1700, vorgeschlagene Sprengewerksbrücke, demselben, der die Claude Perrault'sche Vitruv. übersetzung 1684 herausgegeben hat. Die Perrault'sche Konstruktion ist abgedruckt in der „ Zimmermannskunst“ von Joh. Jakob Schübler, Nürnberg 1736, tab. 15 u. 16.

IV . ABSCHNITT .

Die Poliorketik des Vitruy (lib. X, cap. XIII—XVI).. ie Poliorketik Vitruvs, die in den Kap. XIII bis XVI des X. Buches ent Die halten ist, unterscheidet sich von der des Apollodorus ganz wesentlich

dadurch , daß sie einen literarischen oder noch richtiger einen allgemein -wissen schaftlichen Zweck verfolgt. Wir können kaum an einer andern Stelle der X Bücher seine von ihm selbst klar bezeichnete Arbeitsmethode und literarische

Absicht ') so deutlich im Text gewahr werden wie in diesen Kapiteln. Wenn wir an das Thema denken , so möchten wir annehmen , daß

Vitruv als alter Kriegsingenieur den Gegenstand jedenfalls unbedingt be herrschte . Aber, ganz anders als Apollodorus und ganz der ihm eignen Auslese des Stoffes entsprechend , scheidet er zunächst einmal alles alltägliche und allgemein bekannte aus, also die landläufigen Dinge der römischen Militär technik ), die jeder Soldat kennt. Er will kein Instruktionsbuch schaffen, sondern den Stoff möglichst entwicklungsgeschichtlich umfassend und historisch anregend gestalten . Wir können für unsere technische Untersuchung deswegen

auch von dem ganzen Kapitel XVI, das von der Städteverteidigung handelt , von vornherein absehn , weil es gar nichts technisches, sondern nur kriegs geschichtliche Beispiele in der bei Vitruv beliebten anekdotenhaften Form enthält.

Der Inhalt der eigentlichen Poliorketik in den Kap. XIII bis XV ist in großen Zügen der : Vitruv gibt zunächst eine kurze Entwicklungsgeschichte der Belagerungstechnik bis zu Diades und Charias, den Kriegsingenieuren Alexanders

des Großen ; dann folgt eine ziemlich compendiös gehaltene Inhaltsangabe aus dem Werk des Diades über die Belagerungskunst ; sie bringt im allgemeinen nur die gerade notwendigsten Notizen von den Gegenständen , ohne sich auf konstruktive Einzelheiten einzulassen .

Der dritte Abschnitt beschäftigt sich nur mit den Schildkröten für ver schiedene Zwecke ohne Widder und zwar in einer gänzlich veränderten Schreib art ; denn er schildert nun als Haupttyp der Gattung die Schildkröte zum Grabenzuwerfen, ganz in der Weise Apollodors mit auffallender und unmittel bar für die Praxis berechneter Genauigkeit. Und den Schluß macht wieder ein besonderer Abschnitt, in dem auch ein Einzelstück, ein wahres Monstrum , 1 ) vgl. Abschn . I, S. 3 .

?) pag. 280, 2 : „ scalarum autem et carchesiorum et eorum, quorum rationes sunt imbecilliores, non necesse habui scribere. baec etiam milites per se solent facere. “

Die Poliorketik des Vitruv.

65

die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz, mit der gleichen Genauigkeit in allen technischen Details beschrieben wird .

Die Nahtstellen dieser vier Abschnitte sind deutlich erkennbar:

Der

dritte und vierte Abschnitt gibt alle Maßangaben in römischen Fuß, während der zweite die Elle ) anwendet. Und wiederum unterscheidet sich der dritte von allen andern auch in der Schreibweise dadurch, daß er durch die Benutzung

des Conjunktivs das Aussehn einer Anweisung erhält. Die Verschiedenartigkeit der Herkunft kann in diesen Abschnitten unmöglich verkannt werden : Es ist

keine Frage, daß wir in den beiden letzten zwei von diesen „ particulae erra bundae “ vor uns haben, deren Sammlung dem Vitruv nach seiner Angabe in der Vorrede zum vierten Buch so sehr am Herzen liegt. Die dritte Partikel

zumal ist wie ein Stück aus einer Baukonstruktionslehre, die für die schulmäßige Instruktion bestimmt war, und man kann es Vitruv wohl glauben, wenn er sie an das Kompendium aus dem Diades mit den Worten anfügt: „ Nun will ich so vortragen, wie ich es von den Lehrern gehört habe und wie es mir nützlich scheint ). “ Diese vier Abschnitte, von denen übrigens auch der letzte nur mit der

Formel : „ non mibi etiam videtur esse alienum de testudine exponere “ usw. angehängt ist, stehen freilich in einem gewissen inneren Zusammenhang, der aus der Disposition der ganzen Arbeit Vitruvs erklärlich ist : Zuerst ein ge schichtlicher Teil , dann eine genaue Schilderung der beiden Haupt typen , die für die antike testudo in Frage kommen , der widderlosen

und der Widderschildkröte , in zwei historischen Beispielen. Aber eben nur in dem bekundeten Sammlerinteresse Vitruvs ist dieses Zusammen

heften so verschiedenartiger Stücke zu einem inhaltlich bestimmten Zusammen

hang erklärlich. Seine Redaktion ist nicht schlecht ; aber daß dieses Quodlibet so nebeneinander in einer älteren griechischen Quelle gestanden haben, und in dieser Form von ihm kompilirt sein sollte , ist nicht denkbar. Die eigne Redaktion der von unserm Autor gesammelten Quellen ist so überzeugend erkennbar, daß wohl niemand auf den Gedanken gekommen wenn nicht der Athenaeus Mechanicus wäre, sie ihm abzusprechen

gerade zu diesem Vitruvtext von Seite 9,4–27 , 6 einen fast lücken losen

griechischen

Paralleltext

brächte.

Die

ganze Schrift des

Athenaeus über die Kriegsmaschinen ?) umfaßt etwa 39 Seiten . Damit entsteht die für die Beurteilung Vitruvs und seiner Arbeitsmethode und noch mehr für

die kritische Bearbeitung seines Textes so außerordentlich wichtige Athe naeusfrage.

Wenn wir zur Stellungnahme in dieser Frage Boden unter die Füße be kommen wollen, so müssen wir unserer Gewohnheit gemäß zunächst den eigent lich technischen Inhalt der Texte zu erschöpfen versuchen . Technische Zu 1) Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß Vitruv die Umrechnung hier unterlieb , weil die Maße des Diades die bei den Alexandrinern gebräuchlichen attischen Ellen waren (vgl. Abschn . II , Anm . S. 23 ) .

2) pag. 275, 19 : „ nunc, quemadmodum a praeceptoribus accepi et utilia mihi videntur, exponam . “

3) vgl. Abschn. I, S. 11 . Sackur, Literatur der Antike .

5

IV. Abschnitt: Die Poliorketik des Vitruv.

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Abb. 35.

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D

UUTUD

A

CHE

W

M

TE

Die Schildkröte zum Grabenzuschätten.

67

sammenhänge bieten uns aber in erster Linie die beiden Beschreibungen , die bei Vitruv den dritten und vierten Abschnitt seiner Poliorketik bilden.

Wir wollen sie nach beiden Texten, die sich durch kleine Varianten für das

Verständnis trefflich ergänzen, rekonstruiren und werden dabei zugleich eine Fülle von Anregungen für unsere eigentlichen technischen Probleme erhalten .

Die Schildkröte zum Grabenzuschütten . 3. Abschnitt der Poliorketik Vitruv's, Abb. 35 bis 43 '). (Vitr. 275, 21 : testudo, quae ad congestionem fossarum paratur.) (Athen. 16,1 : xwotpis xedavn.)

Die Rekonstruktion des Grundgestells (Abb. 35) wird erleichtert durch die zur Athenaeushandschrift vorhandene Illustration ), denn wir stoßen hier zum ersten Mal auf alte Abbildungen, denen ein sachlicher Wert zukommt, und in denen wir vor allem

noch das Vorbild technischer

Zeichnungen durchschimmern

sehn. Es ist ein quadratisches Gestell von 21 Fuß Seiten

länge :) aus überblatteten Bal ken von etwa 18/22 cm Quer

8

schnitt , deren Lage die An

bringung von vier

verstell

baren Rädern an den Ecken

a

berücksichtigt. Diese Räder sind in beiden Texten genau beschrieben , aber trotz mancher α

Übereinstimmungen zeigt die Konstruktion der Achsenlager bei beiden Verschiedenheiten,

-B

die wesentlich sind (Abb. 36 und 37). Die Form dieser Achsenlager ist zwar bei beiden

die gleiche.

Vitruv nennt sie

bezeichnenderweise „ arbu

sculae " d. h . „ Klötze “ , Athe naeus: duasirodes (a). Ebenso gemeinsam ist beiden die aus

Abb . 36.

eisernen Deckplatten bestehende Sicherung der Achsen gegen seitliche Ver schiebung (b). Auch der Vorgang bei der Richtungsänderung des Fahrzeuges 1) Vitruv gibt, wie vorher schon erwähnt, alle Maße in röm. Fuß, Athenaeus in röm. Ellen .

2) Rudolf Schneider, Athen. Taf. IV, Fig. 1 ; Wescher, pag. 19, Fig. II, Abb. 40. 3) Vitr. pag. 275, 24 hat die Zahl XXV, Athen. 14 Ellen. Es muß richtig heißen XXI, wie in der Krohn'schen Ausgabe verbessert. Vgl. die Bem. zu S. 69/70, Anm. 2. 5*

68

IV. Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv.

war für beide Konstruktionen der gleiche : In diesem Falle mußte das fahrende Schutzdach so hoch unterkeilt werden oder durch Hebebäume an den einzelnen

Ecken gehoben werden , daß die Räder nach Lösung der Deckplatten (6) aus

gehoben und in die andern Achsenlager umgelegt werden konnten.

la

a

a

PO 8

0 Abb . 37 .

Die Verschiedenheit besteht darin, daß Athenaeus ) unbewegliche Achsenlager annimmt (Abb. 36), sodaß seine Maschine bei zwei kreuzweis

zu einander liegenden Achsenlagern nur nach zwei zu einander senkrechten wie er auch angibt Richtungen verschoben werden kann. Vitruv ?) drehbare Achsen (Abb. 37 ) sieht mit Hilfe von Bolzen – cardines ( c) -

-

lager vor mit Löchern ( d ), um Hebelstangen zum Drehen der Lager ein 1) Αthen. 16, 9 : Λαμβάνει δε αμαξίποδας εκάστη χώρα τέσσαρας των εν ταις γωνίαις, εν οις στρέφονται οι των τροχών άξονες αποκλειόμενοι σπάθαις σιδηραϊς• ίνα ,όταν δέη παροδο ποιείν προάγοντας ή και παρατιθέναι τινά μηχανήματα, έξη εκσπάσαντα τους τροχούς μεταθείναι και αποκλείσαι τους άξονας.

2) Vitr. 276, 2 : supponanturque in singulis intervallis eorum arbusculae, quae graece duašinodes dicuntur, in quibus versantur rotarum axes conclusi lamnis ferreis. eaeque arbusculae ita sint temperatae, ut habeant cardines et foramina, quo vectes traiecti versationes earum expediant, uti ante et post et ad dextrum seu sinistrum latus, sive oblique ad angulos opus fuerit, ad id per arbusculas versatas progredi possint.

Die Schildkröte zum Grabenzuschütten,

setzen zu können. Er kann also – wie er gleichfalls richtig angibt

69

--

seine

Maschine außerdem noch in der Richtung von 450 zu den senkrechten Achsen bewegen . Auf dem Grundgestell liegen zwei beiderseitig 6 Fuß auskragende Balken

(a, Abb. 35 ), die an ihren Kopfenden wiederum zwei beiderseitig vorladende Hölzer tragen (6) ”). Diese letzten beiden Balken bilden die Fußpfetten der Sparrenlage; die Pfosten (Abb. 35) stehen nicht auf diesen Pfetten , sondern , wie der Athenaeustext deutlich sagt, auf dem Grundgestell, und dadurch be kommt der Aufbau erst eine seiner Zweckbestimmung entsprechende Ge staltung.

Denn sein Schwergewicht ruht nunmehr unmittelbar auf den Unter

stützungspunkten , während die Dachfläche selbst möglichst weit auslädt. Wir haben also ein quadratisches Grundgestell für die Pfosten und einen quadratischen Pfettenkranz für die Sparren ; die quadratische Form

ergibt sich mit zwingender Logik, da nur auf diese Weise die Dachneigung an den Stirnseiten die gleiche bleiben kann. Auf allen vier Seiten des Grundgestells stehn ringsum Pfosten ) von

9 Fuß (6 Ellen) Höhe und mit einem Zwischenraum von 1 '/, Fuß ( 1 Elle) 1) Was die Ausladung dieser Hölzer vor den Stirnseiten des Gestells anbetrifft, so folge ich hier zunächst dem Athenaeus : Nach dem Athenaeus beträgt diese Vorladung 4 Ellen = 6 Fuß . Athenaeus schreibt 17, 4 : nepi sè rès únepoy's avrov (sc. der Balken a)

περιπήγνυνται άλλα δύο ξύλα υπερέχοντα, εκ μέν του πρόσθεν μέρους πήχεις η (8), εκ δε του óriow (4 ) . Das heißt : Von der Spitze bis zum Balken a beträgt die Entfernung 8 Ellen und von der Stirnfläche des Gestells bis zu demselben Balken 4 Ellen . Damit wird auch

die Differenz, d. h. die Ausladung vor der Stirnfläche 4 Ellen oder 6 Fuß und dieses Maß

gibt etwas richtiges, denn nun wird auch der Pfettenkranz wie das Grundgestell quadra tisch , während die Zahl VII Fuß im Vitruvtext das nun einmal unentbehrliche quadratische Princip des Schemas durchbrechen würde : Die Zahl VII ist nur annehmbar, wenn auch die Auskragung der Balken a nicht sechs, sondern VII Fuß betragen würde. Es mußte der Text dann aber lauten : „ conlocentur autem insuper basim tigna duo in utramque partem

proiecta pedes septenos ( statt senos ) , quorum circa proiecturas figantur altera pro . iecta duo tigna ante frontes pedes VII . “ Diese Fassung wäre für mich deswegen die wahrscheinlichere, weil dieses Zablensystem erst richtig in das Proportionsschema, Fig. 2 auf Abb. 49 u. Abb. 42, passen würde. Ganz verdorben ist die Stelle in der Vitruv.

ausgabe von Krohn, dadurch , daß ganz einfach nach dem Athenaeustext aus der VII eine XII gemacht ist. Aber der Athenaeus ist dabei ganz mißverstanden : Vitruv gibt das Maß „ ante frontes“, Athenaeus will aber nicht nur dieses, sondern auch das Maß der ganzen

Vorkragung vor dem Balken a geben ; denn damit wird auch die Lage dieses Balkens auf dem Grundgestell festgelegt, wozu Vitruvs Angabe nicht genügt.

3) Man muß hier unbedingt dem Athenaeustext folgen , denn der Vitruvtext ist durch spätere Zusätze verdorben : Die Bezeichnung der Pfosten als „ compactiles“ und , quoquoversus palmopedales “ kann nicht ursprünglich, sondern muß eingeschoben sein ; diese beiden Angaben führen zu sinnlosen, bei einem Zwischenraum zwischen den Pfosten von nur 11/, Fuß ganz unmöglichen Holzmassen . Sicherlich waren außer dem

letztgenannten Maß für den Abstand im Vitruv ebensowenig wie im Athenaeus Maß angaben für die Dimensionen der Hölzer vorhanden .

Sie waren auch durchaus ent

behrlich, weil diese Dimensionen die gleichen bleiben wie beim Grundgestell, nämlich 10/19 Zoll. Innerhalb dieser Maße bewegen sich die meisten Hölzer der beschriebenen Konstruktionen ; besondere Angaben werden deswegen bei den gewöhnlichen Kon struktionshölzern bierüber nie gemacht. Wenn wir die Pfosten dementsprechend 3 Palaisten ( 12 Zoll) breit annehmen , so ergeben sich bei dem in beiden Texten ver

langten Zwischenraum von 11 , Fuß ( 1 Elle) für die 21 Fuß ( 14 Ellen ) langen Rahmhölzer

IV . Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv .

70

(Abb. 35 ); sie tragen einen Kranz von Rahmhölzern; alle Hölzer sind zimmer mannsmäßig mit Zapfen abgebunden "). Diese Rabmhölzer sind Dachpfetten und auf den Pfetten liegen die Sparren aus 2 Teilen bestehend und die Unter sparren sind dem Pfettenkranz am Fuß entsprechend an den Stirnseiten herum geführt. Auf den Sparren oben liegt der uns aus dem Apollodorus bekannte

Firstbalken. Die Beschreibung ist, was die Sparren anbetrifft, in beiden Texten leider nicht sehr deutlich ) . Aber der ganze Zusammenhang der Konstruktion läßt keine andre Kombination zu .

Die ringsherum in einer Entfernung von

66,5 cm von Mitte zu Mitte voneinander stehenden Pfosten entsprechen jedesmal einem Sparren, sie gehören zum Dachverband , darin liegt ihre Begründung. Unsere so auf ganz sicherem Wege schreitende Rekonstruktion wird unter stützt durch die handschriftliche Zeichnung (Abb. 41 ), auf der wir in der unteren Figur den quadratischen Kranz der Fußpfetten und die untere Sparren

lage angedeutet sehn durch die vier Eckgratsparren; dann kommt nach innen der ebenfalls quadratische Rahmen des Grundgestells mit den Pfosten auf allen

4 Seiten ; diese sind nach innen in die Horizontalebene umgeklappt dargestellt und tragen wiederum den quadratischen Kranz der Rabmhölzer, auf dem die Sparren des Oberdaches ruhn.

Jedes Gespärre ist für sich noch durch einen Strebenverband befestigt (Abb . 38) , wobei sich der Wortlaut beider Texte unzweideutig ergänzt: Ath . 17 , 12: οι δε συστάται αντήρισι και πλευρώμασι διαλαμβάνονται : Die Sparren sollen durch Streben (a) und angeblattete Verbandhölzer ( 6) versteift werden. “ Vitruv 276, 19 : ipsi (capreoli) autem laterariis circa fixis contineantur, laterarii ist der Ausdruck Vitruvs für die neugwuata . Es sind Verbandhölzer, die nach dem Aufschlagen des Daches eingebracht werden und deswegen seitlich,

d. h. durch Blattung befestigt werden. Auch die αντήριδες sind πλευρώματα ; des Grundgestells 10 Pfosten ( einschließl. der Eckpfosten) und die Teilung geht genau auf.

Deshalb darf hier unbedenklich das im Vitruvtext überlieferte Maß von XXV für

die Seitenlänge des Grundgestells nach dem Athenaeus in XXI verbessert werden ; denn die Zahl XXV ist falsch. Das ist in der Ausgabe von Krohn auch geschehen. Aber

ich glaube, daß darüber hinaus auch, wie schon in der Anmerkung 1 angedeutet, die seitliche sowie die vordere und hintere Auskragung ebenfalls auf die Grundzahl 7 ge bracht werden muß, sodaß für die Breite des Grundgestells die Zahlenproportion 3 x 7 für die Auskragung 2 x 7 und für die Höhe wieder 3 x 7 entsteht (vgl. das Proportions

schema Abb. 42). Über die Notwendigkeit, solche Proportionsschemata anzunehmen , wird in den folgenden Kapiteln noch das nähere gesagt werden . Es handelt sich bei diesen

testudo-Dächern schon wegen der Erleichterung der Konstruktion überall um sogenannte „ Winkeldächer“, und bei diesem Walmdach war es besonders wichtig, dieses „ Winkel schema“ streng durchzuführen. Zur Erklärung des Ausdrucks für den Nichttechniker füge ich hinzu, daß der Zimmermann unter „ Winkel“ den rechten Winkel versteht, also das 45 ° -Dreieck des

Winkelmaßes “ .

1) Vitr. 276, 14 : postes praeter cardines pedum IX . ei concludantur superne inter cardinatis trabibus.

2) Vitr. 276, 16 : supra trabes conlocentur capreoli ( cardinibus) alius in alium con

clusi. Ath.: και απ' αυτού ( sc. επιστυλίου ) συσσάται ίστανται εις αλλήλους εξερείδοντες .

car

dinibus im Vitruvtext ist wiederum irrtümlicher Zusatz, weil eine Zapfenverbindung bei den Sparren wegen des vorhandenen Firstpfette nicht möglich ist. Der Athenaeustext

ist richtig. Die Undeutlichkeit bei beiden liegt darin, daß die Sparren des Unterdaches nicht besonders erwähnt werden .

71

Die Schildkröte zum Grabenzuschütten .

Vitruv bezeichnet sie beide deswegen richtig als laterarii, und ihre Konstruktions figur sowie ihre Blattung ist treffend durch das , circa fixis “ charakterisirt. Ich habe für diesen interessanten Text der Konstruktion den genauen Wort

laut der beiden Texte herangezogen und möchte auch noch auf die alte Illustration

a

5

o

5

10

20

30

20

30

Abb. 38.

O

5

10

Abb. 39.

IV. Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv .

72

(Abb. 41 ) verweisen, die einen derartigen Verband, wenn auch in der Linien führung in nicht leicht verständlicher Form '), unzweifelhaft andeutet. Denn ich muß selbst gestehn , daß das Resultat dieser Rekonstruktion zunächst etwas verblüffendes

bat

und zwar deswegen, улвеоҳн на

πεΡΟΧΗ Η Η

weil dieser Verband seinem Kon struktionsschema in auffallender Weise

in

einem frühmittelalter lichen , binderlosen

ží πογc

und offnen Dachstuhl J

germanischer Her kunft entspricht.

‫ת‬

нсм . O

o

AIXNHsua o

Das

Schema

von

allen

ist

Kon

struktionen , die mit dem gewöhn lichen

Dach

der

Antike Beziehung haben ,

durchaus verschieden . den

Das einzige bei Konstruktionen

gemeinsame члєРохн ни

ўлееохн на

Glied

sind die capreoli , d . h . der „ Sprenge

bock “ , den bei der 7

testudo die Gespärre

Abb . 40.

bilden .

Wir werden

diesem Sprengebock im Abschnitt VII und VIII bei den Dachkonstruktionen begegnen ; aber er kommt dort erklärlicher Weise nur im Dreiecksverband , in Verbindung mit einem Spannbalken , den transtra, vor, wo er als Binder die eigentlich konstruktive Grundlage des antiken Dachsystems bildet. Aber der fundamentale Unterschied ist beim testudo - Dach , daß es keine

Systembildung hat, keine Binder und keine Binderpfetten (templa), sondern daß es ein binderloses Dach ist, dessen Gespärre alle gleichermaßen Konstruk tionsteile sind .

Daß dieses binderlose Dach nicht nur in diesem Einzelfalle

verwendet wurde, sondern auch bei andern Bauten der Militärtechnik, zeigt die einfache Überlegung ; bei all diesen Bauten waren die besonderen Grund bedingungen, nämlich Holzverband der tragenden Wände, vorhanden. Daß es bei dem praetorium im Lager den Dachverband bildete, geht aus der Bemerkung Varros (in Anm. 1 , S. 73) hervor.

Ja, von dort aus ist die testudo als Be

1 ) Die Konstruktionsfigur könnte danach auch wie Fig. 39 aussebn . Jedenfalls

muß der Verband den Pfosten in die Konstruktionsfigur einbeziehn, weil sonst das Gespärre keinerlei Stabilität bekommen kann .

73

Die Schildkröte zum Grabenzuschütten.

zeichnung eines , offnen Dachstuhls “ in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen.

Diese Bedeutung hat das Wort in Vitruv's Zeitalter allgemein besessen ; das geht aus einzelnen Stellen der Schriften Varros hervor ?). Sicher ist auch, daß sich bei Vitruv mit der

testudo dieser Begriff in der Beschreibung seines basilica

Eic Tac Téccaeac miereac THC XeXWNHC

Fanestris, pag. 106 , verband ).

Νόει το υποκειά cxH4 τ κιοΝωΝ

Wenn wir nun den Blick

wieder auf die am Eingang

angeschnittene

textkritische

Frage nach dem Verhältnis der beiden Autoren zu ein

ander lenken , so muß der bis

herige Verlauf unserer Unter

suchung der Vermutung Raum geben, daß beide die gleiche, aber in den Einzelheiten ab

weichende haben.

Quelle

benutzt por

In den Varianten der

Konstruktionen

zeigen

sie

Selbständigkeit, die man frei

lich mit der gleichen Berech tigung ihrer eignen redak

BESB6

tionellen Arbeit wie der Ver

schiedenheit ihrer Quellen zu schreiben kann . Wenn Vitruv

als Vorlage hier also eine seiner

articulae

Abb. 41 .

errabundae

gehabt hat, so scheint die Möglichkeit vorzuliegen, daß Athenaeus eine ähnliche Unterlage besaß ; daß er dazu auch Zeichnungen von gleichem Quellenwert 1) z. B. bei Varro, rerum rust. lib. III, cap. V, 1 (und cap. VII, 3) : „igitur testudo , ut peristylum tectum tegulis aut rete fit magna .“ Es handelt sich hier um eine Volière von großen Ausmaßen und die Bezeichnung „ testudo “ bezieht sich offenbar auf das offne Dach, das wie unsere testudo keine Balken im Querverband gehabt haben wird . Wenn Varro ferner in lib . V de lingua latina, 161 , die Diele mit geschlossenem Dach

– im Gegensatz zu dem üblichen atrium mit dem Compluvium – „ testudo “ nennt, so kann man den Gedanken nicht von der Hand weisen , daß Varro hier vor allem an die Diele des Bauernhauses denkt. Varro sagt folgendes: ... „ testudo dicebatur ab testu

dinis similitudine, ut est in praetorio et castris “ : Es wird also auf die Ähnlichkeit mit Bauten aus dem Gebiet der Militärtechnik Bezug genommen und diese Ähnlichkeit weist offenbar auf den offenen Dachstuhl mit testudo-Konstruktion hin. Das „atrium testudinatum “ . das Vitruv pag. 140, 25 im Rahmen des städtischen Wohn

wesens erwähnt, hat zwar mit der Bauerndiele nichts mehr als den Namen gemein, der Be griff ist dabei ebenso verändert, wie das bei unsern „ Dielen“ im städtischen Wohnwesen der Fall ist. Bei dem städtischen atrium testudinatum ist also von einer „testudo“ im

eigentlichen Sinne des Wortes nicht mehr die Rede, ganz gewiß aber bei dem bäuerlichen. 2) Vgl. dazu Abschnitt VII u. VIII.

IV. Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv.

74

gehabt hat, geht aus den besprochenen Bildern wohl mit ziemlicher Sicherheit hervor.

Weitere Fragen nach dem Verhältnis der beiden Autoren zu einander

jetzt schon zu stellen, wäre verfrüht. Ein Ergebnis können wir aber schon jetzt als Gewinn der technischen

Durcharbeitung buchen, das sich weiterhin freilich noch augenfälliger bestätigen wird : Es geht durchaus nicht an, den

Athenaeustext

ohne

weiteres

sachlich höher als den Vitruvtext zu bewerten und den letzteren im

prin von Abweichungen cipiell “ nach dem Athenaeus zu „ verbessern" . Das führt, wie das Beispiel lehrt , nur zu einer immer

Falle

3x12 "

weiter

umsichgreifenden

schlechterung

La

Textver

Es muß vielmehr

3x7

zum Princip gemacht werden , den

Abb . 42.

Vitruvtext nur dann unter Benutzung des Athenaeus zu verändern, wenn

sich eine falsche Überlieferung aus dem technischen Zusammenhang ergibt. Daß diese Notwendigkeit ver schiedentlich eintritt, haben wir bereits erkennen können ; die Texterhaltung ist bei Vitruv viel schlechter als bei allen Poliorketikern .

Aber in der Sache

haben wir kein weniger Vitruv Glauben als dem Athenaeus zu schenken. selbst

Recht ,

Eine gewisse Unab hängigkeit der beiden

NATALIELINKEINONI .

Texte von einander scheint auch in den diesen Ab

schnitt abschließenden

Notizen vorzuliegen , die kurze und deswegen tech nisch

B.

С

nicht

weiter

ver

wertbare Andeutungen über Varianten der vorher

Abb . 43.

genau beschriebenen Bau typs enthalten. Die beiden

Texte weichen nämlich auch hier sachlich zum Teil von einander ab, ohne daß

man Veranlassung hätte, einer der beiden Varianten vor der andern den Vorzug zu geben . Für die Schildkröte zur Ausführung von Grabarbeiten) gibt Vitruv als zweckmäßige Form die in Abb. 43 mit B bezeichnete an ; um welcherlei Grabarbeiten es sich handelt, ist nicht gesagt, bei Vitruv könnte es sich um Anlage einer Mine handeln, jedenfalls wird sein Dach nicht an die Mauer 1 ) Vitr. 277, 12 : quae autem testudines ad fodiendum comparantur. Athen. 19, 3 : περί ορυκτρίδος χελώνης.

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz.

75

herangeschoben, sondern erhält vorn Deckung gegen Geschosse durch die im Winkel vorgebaute Dachform . Athenaeus legt Wert darauf, die Stirnseite seiner Maschine unmittelbar an die Mauer rücken zu können und will sie deswegen

in der Weise wie C auf Abb. 43 gebaut haben. Beide denken dabei offenbar an ganz verschiedene Dinge.

„ Athenaeus versteht unter einer Schildkröte zum

Graben“ das gleiche, was der Anonymus Byzantinus (pag. 214,5) und Apollo dorus darunter versteht, nämlich ein Schutzdach zum unmittelbaren Heran

schieben an die Mauer, das es den Mannschaften ermöglichen soll, in der Deckung

mit der Spitzhacke Löcher in die Mauer zu schlagen. Ohne über die sachliche Richtigkeit der einen oder der anderen Meinung entscheiden zu wollen, kann man sich doch nicht eines leisen Verdachts erwehren,

als ob der Athenaeus bei seiner Variante hier vom Anonymus oder Apollodorus beeinflußt sein könnte. Im übrigen ist der Wortlaut des Athenaeus ") für uns von Interesse, weil er einen indirekten Beweis für die Richtigkeit unserer Rekonstruktion der Schildkröte zum Grabenzuschütten (Abb. 35–13 und A auf

Abb. 43) bildet : „ Der Typ der Schildkröte zum Graben wird in allem ähnlich dem vorhergenannten (der zum Grabenzuschütten) gebaut ; die Stirnfläche vorn

hat sie jedoch senkrecht. “ Denn daraus ergibt sich eben die Tatsache, daß die Schildkröte zum Grabenzuschütten keine senkrechte Stirnfläche aufwies.

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz. 4. Abschnitt der Poliorketik Vitruv's, Abb. 44 bis 472). ( Vitr. pag. 277 , 18.

Athen. pag . 21 , 2. )

Auf jeden, der die Beschreibung der Kriegsmaschine des Hegetor im Vitruv oder Athenaeus gelesen und dazu die vielen resultatlosen Versuche einer Rekonstruktion betrachtet hat, wird diese Beschreibung mit ihren un

erhörten Maßen zunächst einen etwas phantastischen Eindruck gemacht haben . Wenn ich aber eine auf den ersten Blick unverständliche Darstellung technisch erfassen oder was das gleiche ist rekonstruiren will, so muß ich von

dem angegebenen Zweck und der beabsichtigten Wirkung ausgehn. Beides finden wir in den Texten in nicht mißzuverstehender Weise gekennzeichnet. Es handelte sich um einen Stoßbalken zum Mauereinrennen von 180 Fuß Länge, der, frei beweglich hängend, vorwärts und rückwärts, nach beiden Seiten sowie nach oben und unten bewegt werden konnte. Der Kopf konnte 100 Fuß hoch gehoben werden und bestrich rechts und links einen Raum von 100 Fuß .

Das war sozusagen der erste Punkt des Bauprogramms. Ein zweiter Punkt des Programms war natürlich die allen Schildkröten in diesem eigene fundamentale Forderung, den Bedienungsmannschaften Falle 100 Mann - sichere Deckung zu bieten. Und schließlich wurde die

Aufgabe noch durch eine dritte programmatische Bedingung erschwert : Es 1) Αth. 19 , 4 : το δε της ορυκτρίδος χελώνης γένος τα μεν άλλα παραπλησίως ταϊς πρότερον ωκοδόμηται, την δε έμπροσθεν ορθήν έχει προσαγωγήν. 2) Alle Maße sind bei Vitruv wiederum in röm . Fuß gegeben , im Athenaeustext in röm . Ellen .

IV . Abschpitt : Die Poliorketik des Vitruv .

76

sollte in dem Bauwerk ein Raum vorhanden sein, in dem Geschütze postirt werden und natürlich auch in Tätigkeit treten konnten.

In diesen Programmpunkten stimmen beide Texte vollkommen überein, wir dürfen sie also als feststehend ansehn.

Wenn wir uns aber die zahlreichen

Bilder, die zur Erklärung der Beschreibung gemacht sind, und den Wortlaut der Beschreibung selbst ansehn, so belehrt uns schon eine oberflächliche Be

trachtung darüber, daß erstens die bildmäßigen Darstellungen der byzantinischen Handschriften und alle späteren Illustratoren in ihrem über dem Dach einer

Schildkröte hängenden Stoßbalken nur ein Spielzeug darstellen, aber niemals einen ernstlichen Versuch machen , die Durchführbarkeit des Pro

gramms und der Beschreibung innerhalb der praktischen Möglich keiten zu beweisen . Der Stoßbalken konnte überhaupt niemals über einem Satteldach so aufgehängt sein, daß die Seilzüge durch Löcher in den Dach flächen geführt wurden – wie es diese Illustratoren darstellen — ; denn dann

konnte der Widder selbst auf keinen Fall die programmäßig geforderten Manöver ausführen .

Und zweitens bemerken wir, daß auch der Wortlaut der Texte der Er

füllung des ersten Programmpunktes ganz unverkennbar entgegensteht ; denn die in ganz auffallender Weise gleich an erster Stelle und ohne Zusammenhang

mit dem übrigen Aufbau genannten vier starken , 36 Fuß hohen, Ständer?) können an keiner Stelle der Konstruktion Platz finden, ohne jede seitliche Bewegung des Widders direkt unmöglich zu machen . Mit diesen Ständern ist die Maschine unkonstruirbar.

Andrerseits kann irgend welches

technische Bedürfnis für diese vier Ständer aus der Konstruktion heraus nicht

ausfindig gemacht werden. Wenn wir nun zunächst im Vitruv den Gang der Beschreibung näher betrachten, so finden wir gleich am Eingang ein merkwürdiges Durch einander, wie wir es bei keiner Beschreibung bisher angetroffen haben , ja wie es in keiner Beschreibung in allen X Büchern angetroffen wird : Die Be

schreibung beginnt mit dem Grundgestell : fuerat enim eius baseos longitudo pedum LXIII, latitudo XIII ). Unmittelbar auf diese Angabe folgt die Be schreibung der vorerwähnten 36 Fuß hohen vier Ständer, die also offenbar irgendwo auf der Basis stehen sollen , deren Zweck aber vollständig rätselhaft gelassen ist :). Von den mysteriösen Ständern springt der Text wieder zur

Basis zurück und beschreibt sehr eingehend die vorhandenen acht Räder. Dann kehrt er unvermittelt zum Aufbau zurück und beschreibt jetzt in anschaulich durchgeführter Schilderung den ganzen Oberbau mit den Wandständern und 1 ) Vitr. pag. 277, 21 : arrectaria, quae supra compactionem erant quattuor conlocata, ex binis tignis fuerant compacta, in altitudinibus singula pedum XXXVI , crassitudine palmopedati, latitudine sesquipedali.

2) Die Handschriften haben die Zahl XIII. Krohn hat das in seiner Ausgabe in der schon gerügten Manier, ungeprüft alle Abweichungen vom Athenaeus zu Gunsten

des letzteren auszumerzen , in XLII verwandelt ; eine ganz unberechtigte Änderung des Textes, von der wir gleich erkennen werden, daß sie den Zusammenhang verwirrt. 3) Gewöhnlich werden sie als Eckständer betrachtet, aber ganz abgesehn von der Zwecklosigkeit dieser Annahme, würden sie gerade als solche für den ersten Programm punkt vernichtend wirken .

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz.

77

den zum Oberbau gehörigen mächtigen Ständern, die das Widdergehänge tragen. Aber zu diesem Oberbau gehören doch auch die zuerst für sich genannten

nicht viel kürzeren Ständer? Die Verwirrung wird noch dadurch gesteigert, daß dieser ganze Oberbau „ supra transtrorum planitiem “ liegen soll, d. b . über der Oberfläche von querliegenden Doppelbalken ! Die transtra “ Vitruv's haben wir schon vorher (S. 72) erwähnt; wir werden bei den Dachkonstruktionen in Abschnitt VIII noch näheres über sie

erfahren, denn es handelt sich dabei um einen Konstruktionsteil, den Vitruv hauptsächlich im Dachverband erwähnt. transtra sind Balkenhölzer im Querverband und eine andere Stelle im II. Buch , pag. 35 , 4 '), an der Vitruv gleichfalls von transtra spricht, zeigt, daß transtra vollkommen gleich 2

bedeutend sind mit tigna transversa ; für diese gebraucht Vitruv den Fachausdruck „ transversaria “. Aber wir sind doch zunächst in unserm Falle ganz ratlos, weil diese „ transtra “ ja bei der Beschreibung der basis, zu der

sie doch gehören, vorher gar nicht erwähnt sind ! So sieht die Beschreibung Vitruvs jetzt aus ; in diesem Durcheinander kann sie aber von ihm nicht aufgestellt sein ! Es ist ersichtlich, daß der Text hier verderbt ist und der eingeschlichene Fehler ist nicht schwer herauszufinden : Der Satz 277, 21 : „ arrectaria , quae

supra compactionem erant quattuor conlocata “ , der die Verwirrung von vornherein anrichtet, zeigt eine an sich wenigstens für Vitruv widersinnige Aus

drucksweise. Er würde wörtlich übersetzt lauten : Die aufrechten Ständer, welche über das Grundgestell vier an der Zahl gelegt waren .

Vitruv sagt

nie , wenn es sich um eine Konstruktion handelt, „ postes conlocatae “ oder „ arrectaria conlocata sunt“ , vielmehr - postes “ oder „ arrectaria eriguntur“ , und trabes sunt conlocatae “ 2). Das vermag uns einen Fingerzeig zur Wieder herstellung des Textes zu geben : arrectaria ist entweder ein Schreibfehler oder – was wahrscheinlicher ist - die „, Textverbesserung“ eines Unberufenen

und sobald wir das Wort durch transversaria ersetzen, ist nicht nur der Satz , sondern auch die ganze Beschreibung mit einem Schlage in schönste Ordnung und in einen konstruirbaren technischen Zu sammenhang gebracht. Wir brauchen auch nicht zu stutzen, weil der Satz

weiter lautet : „ ex binis tignis fuerant compacta, in altitudinibus singula

pedum XXXVI, crassitudine palmopedali, latitudine sesquipedali“. Dieser Zusatz 1) Hier schildert Vitruv die Hausbauten in Pontus in Block konstruktion : Die quer liegenden Balken oder vielmehr Bäume, denn es handelt sich um Rundhölzer, sind „ arbores transversae “ . Bei dem Dach das aber kein eigentliches Dach ist, sondern die gleiche Blockkonstruktion fortsetzt, nur daß die Holzlängen zwecks Erzielung pyramidenförmiger Flächen ständig abnehmen nenut er die gleichen arbores transversae : „transtra “. 2) conlocare heißt „ legen “ und conlocatum esse „ gelegen sein “ oder „ gelegt sein “ : Wenn Vitruv auch 69, 15 sagt : hae columnae ita sint conlocatae, ut inter columnii latitudinis intervallum sit etc., so heißt das eben , die Säulen sollen so liegen , daß etc.

Hier handelt es sich nicht um einen Bauvorgang, sondern um eine Grundrißbeschreibung ; es soll die „ Lage “ der Säulen im Grundriß angedeutet werden .

conlocare heißt bei Vitruv ferner in übertragenem Sinne „ hinsetzen “, z. B. 50, 28 domus, quam rex Mausolus ad suam rationem conlocavit. In diesem übertragenen Sinne kann man es freilich „ errichten “ übersetzen.

Aber im wörtlichen Sinne bedeutet das

viel gebrauchte Wort bei Vitruv niemals „ errichten “, sondern „ binlegen “.

IV. Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv .

78

„ in altitudinibus “ ist in jedem Fall upecht : Vitruv setzt bei allen andern Stellen der beiden Beschreibungen das Längenmaß der Hölzer so gewohnheits mäßig im Genitiv zu, daß dieses ,in altitudinibus “ an sich schon als Zusatz in die Augen fällt und sicher erst dem Erfinder der unglücklichen „ arrectaria “ sein Dasein verdankt; wir dürfen „ in altitudinibus “ mit gutem Gewissen aus streichen und der Satz pag. 277 , 21-24, heißt dann richtig : transversaria , quae supra compactionem erant quattuor conlocata , ex binis tignis fuerant compacta , singula pedum XXXVI, crassitudine palmopedali , latitudine sesquipedali “ (Abb. 44 ). Damit schließt die Beschreibung der eigentlichen Basis ab, es folgen die mit ihr verbundenen Räder und dann kommt der Aufbau, der über der Oberkante dieser 4 Transversarien denn diese sind ja mit der an >

gegebenen Verdopplung nichts weiter als die vorher unerklärlichen transtra (1) beginnt. Alles geht jetzt folgerichtig in der gehörigen Reihen folge vor sich, und weiter : Wir bekommen das gleiche Konstruktionssystem des Unterbaues wieder, das schon die testudo ad congestionem fossarum

(Abb . 35 ) zeigte ; das entspricht auch konstruktiv allein den gegebenen

Bedingungen : Übertragung des Gewichts auf eine verhältnismäßig schmale Grundfläche und somit unmittelbar auf die Unterstützungspunkte und möglichst weite Ausladung nach den Seiten, um genügende Deckung für die Mannschaften

zu gewinnen . Nach den von Vitruv gegebenen Maßen erhält man auch für diesen Querschnitt eine gleichmäßige Dreiteilung und ein durch das Winkelmaß zu gewinnendes Proportionsschema (vgl . Fig. 1 auf Abb. 49) . Das scheint mir

auch hier wieder der beste Prüfstein für die Richtigkeit der Zahlen und unserer Rekonstruktion zu sein ).

Auch die Erfüllung der dritten Programmforderung , an der bisher alle Rekonstruktionsversuche gescheitert sind , ergibt sich nunmehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit.

Der kurze Satz, mit

dem im Text dieses Punktes Erwähnung geschieht, reicht vollständig aus, um hierüber die nötige Klarheit zu schaffen : pag. 278, 12 : , habuerat autem mediam

contabulationem supra trabiculas, ubi scorpiones et catapultae conlocabantur“ . ,, In der Mitte – nämlich des dreischiffigen Grundrisses G ( G in Abb. 45 ) hat das Bauwerk einen Bohlenbelag auf Zwischenbalken besessen, wo die

Geschütze standen. “ Die einzige Stelle, an der dieser Geschützraum nach den gegebenen Verhältnissen liegen kann, ist damit zutreffend bezeichnet (vgl . auch den Längsschnitt L - M , Abb. 46). Der im Text beschriebene Aufbau ist in Abb. 44 dargestellt. In

der Mitte stehn die 45 Fuß hohen Ständer (a), die für das Widdergehänge be stimmt und in der uns bekannten Weise aus verdoppelten Hölzern zusammen gesetzt sind ; sie werden durch den Längsverband der Seitenwände in der Richtung ihrer Hauptbeanspruchung gestützt, auf die Konstruktion des Kopfes

und die Einzelheiten der Beschreibung ist in Abschnitt III ?) schon hingewiesen 1) Die angewandte Proportion ergibt für Höhe der großen Ständer des Widder gehänges die Zahl 46 Fuß , während die Texte 45 angeben , oder vielmehr der Athenaeus text. Der Vitruvtext hat die Zahl XXXV, die aber sicher als Schreibfehler anzusehen

ist und von Krohn mit Recht nach dem Athenaeustext (rouxorra trnyas) verbessert ist. 3) S. 42 und 60.

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz.

79

worden. Und nun das Dach : Der Vitruvtext sagt über seine Form nur : „ Uber dem gesamten Zimmergerüst des Aufbaues erhoben sich die Sparren in einer Höhe von 12 Fuß "). “ Hier hilft uns aber der Athenaeus durch einen kommentirenden Zusatz

über alle Zweifel hinweg. Athenaeus schreibt : „ Auf den Rahmhölzern (6) sind die Sparren aufgebracht bis zur Höhe von 8 Ellen ansteigend und über ihnen ist wagerecht ein Holz in Verband gebracht, an dem alle Sparrenköpfe befestigt sind ( c); so entstehen zwei geneigte Flächen?). “ Damit ist deutlich gesagt, 9

daß es sich nicht um ein Satteldach handelt, denn dann wäre ja der Zusatz

ganz zwecklos ; sondern eben um zwei getrennte Dachflächen. Ich kann im übrigen auch hierfür nur auf das Proportionsschema Fig. 1 auf Abb. 49 verweisen, in das sich alle Maße, die 18 Fuß hohen Seitenwände und die 12 Fuß hohen Dächer einordnen .

Der schwierigste Punkt sind die Seilzüge, denn es ist im Text darüber sehr wenig gesagt ; und doch ergibt sich dieses mechanische Problem aus der

Programmforderung eben als eine praktisch-mechanische Aufgabe und die Lösung zeigt, daß das wenige , was Vitruv sagt, richtig ist ; er unterscheidet :) zwei Arten von Tauen, die eigentlichen Halte- oder Hebetaue retinebant arietem

funes, qui

und die zum Lenken oder Beherrschen des Widders

funes, qui continebant arietem - .

Die ersteren ( R in Schnitt L - M,

Abb. 46) laufen über die Seilwalzen (axiculi). Von der zweiten Gruppe ( A und P , Abb. 45 u. 46) wird nur gesagt, daß über ihrem höchsten Punkt die Brustwehr für den Beobachter liegt, die sich wie eine Art Kommandobrücke über dem Widderlager aufbaut. Die Taue dieser zweiten Gruppe können dort über Rollen geführt gedacht werden .

Über die weitere Handhabung der Seile ist gar nichts gesagt ; sie müssen natürlich auch unten durch Rollen gezogen werden, damit die Mannschaften

überall in Deckung arbeiten konnten. Die R -Seile, die beim Heben und Senken des Widders das schwere Gewicht des mächtigen Stoßwerkzeuges trugen, habe

ich durch zwei Paar je auf einer Welle gekuppelter Treträder bewegt an genommen ; ich verfehle aber nicht darauf hinzuweisen , daß diese Annahme

willkürlich ist, da nichts als vielleicht die hohen Seitengänge des Bauwerks auf die Möglichkeit einer solchen Annahme hinweist.

Aber ich habe mich

da für die Rekonstruktion auf diesen Umstand in der Tat nichts ankommt 1 ) Vitr. 278, 7 : supra eam (totam compactionem ) capreoli extollebantur altitudine

pedum XII, supra capreolos tignum conlocatum coniungebat capreolorum compactiones. 2) Αthen. 22, 6 : επι δε των επιστυλίων πήγνυνται συγκύπται το ύψος εξαίροντες πήχεις

η ( 8) • και επ' αυτών δοκός εμπήγνυται πλαγία, εις ήν πάσαι αι κορυφαι των συγκυπτών πήγνυνται, και γίνονται δύο πλευραι κεκλιμέναι.

Wenn es sich dabei um das übliche und ja

Überall ohne weitere Erklärung beschriebene Satteldach handelte, so wäre der Zusatz eine poetische Ausmalung, aber keine technische Notiz ; Rudolf Schneider kommentirt : , also ein Satteldach “ . Nein , wir sind hier nicht im Reich der Poesie, sondern auf dem

Boden nüchternster Technik. Das Gegenteil ist richtig: Also kein Satteldach, sondern zwei Pultdächer!

3) Vitr. 278, 19 : in ea materia fuerunt ex torno facti axiculi duo, e quibus funes

alligati retinebant arietem . supra caput eorum, qui continebant arietem , conlocatum erat pluteum turriculae similitudine ornatum , uti sine periculo duo milites tuto stantes prospicere possent et renuntiare, quas res adversarii conarentur.

80

IV. Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv.

zu jeder im Rahmen der technischen und historischen Möglichkeiten liegenden Annahme für berechtigt gehalten, eingedenk der Worte des Anonymus, „ daß es dem Techniker freisteht, je nach der Größe der Widder und der Gebrauchs weise der Konstruktion auch die Art der Bewegung auszumitteln “ '). Die maßstäblich durchgeführten Rekonstruktionszeichnungen , Abb. 45 u. 46, beweisen die Brauchbarkeit des Widders in vollem

Umfange der geforderten Bewegungsfähigkeit : Es wurden für die

R-Taue 4 Mannschaftsgruppen, für die andern (A und P) 8 Gruppen, im ganzen also 12 Gruppen benötigt. Rechnet man für jede Gruppe 6 Mann , so blieb von den 100 Mann Bedienungsmannschaft nur noch eine Reserve von 28 Mann

übrig. Sollte der Widderkopf bis zur verlangten höchsten Höhe von 100 Fuß gehoben werden, so mußten zunächst sämtliche A-Gruppen nachlassen und ebenso die Gruppen Pi und P3, die Mannschaften der R-Taue in den Tret rädern mußten anziehn und dasselbe mußten die Gruppen P2 und P4 machen ; so lange, bis der hintere Aufhängepunkt der R - Taue senkrecht unter den Seilwalzen lag.

Wenn der Widder in der normalen Lage stoßen sollte, so mußten für

das Zurückziehn sämtliche P- Gruppen und die hinteren Treträder nachlassen, die vorderen und die A -Gruppen anziehn. Beim Vorstoß des Widders arbeiten die Gruppen umgekehrt. Bei der Drehung des Widders (Abb . +5) ziehen beide Treträder an, bis der Widder sich über der Höhe der Dachfirste befindet, dann

arbeiten die Gruppen A1 A , P3 P4 zusammen und A3 A4 P , P2. 1

Wir sind zur Herstellung der Rekonstruktion allein dem Vitruv text gefolgt und bekommen dabei ein technisch einwandfreies Ergebnis, indem wir die den Gang der Beschreibung, die Ausdrucksweise und den technischen Zusammenhang verwirrende Textverderbnis beseitigen konnten . Aus der Art

des vorhandenen Fehlers dürfen wir den sicheren Schluß machen, daß nämlich

der Urtext Vitruvs die richtige Lesart gehabt hat. Außer den angeführten sprachlichen Merkmalen läßt die ganze Arbeitsweise Vitruvs das als selbst

verständlich erscheinen. Vitruv hätte ein solches Beschreibungsdurcheinander seiner Unterlage nicht übernommen, ohne wenigstens den Versuch zu machen, Ordnung und Sinn in den Gegenstand zu bringen. Der übrige Text zeigt

aber von solchen Versuchen keine Spur ; er geht, wie wir gesehen haben, unbeirrt den richtigen Gang, ohne von der Unglücksstelle am Eingang Notiz zu nehmen. Das ist ein Beweis, daß die den Sinn verderbenden „ arrectaria “ ein fremder Bestandteil sind, der erst durch eine andere Hand in den Text gelangt ist.

Jetzt geraten wir in eine Zwangslage ; denn jetzt müssen wir den Athe naeus, da er den Text der Beschreibung mit dem gleichen Fehler am

Eingang bringt , in dieser Beschreibung für abhängig von Vitruv und zwar für abhängig von einem falschen Text seiner Vorlage erklären . Die Frage wird aber noch verwickelter ; denn wir müssen, um der Sache auf den Grund

zu kommen, noch einen dritten Text hinzuziehn, der den gleichen Stoff, den Widder des Hegetor, behandelt, das ist der Anonymus Byzantinus (pag. 230, 1 ) Anon . pag. 232, 10.

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz .

1 bis 232, 5) '). historische

und

81

Wir müssen dabei zunächst einmal, ohne uns um die literarische Persönlichkeit

des Athenaeus,

von

der

wir

noch nichts wissen, zu kümmern, nur aus der Textvergleichung allein unsere Schlüsse ziehn.

Wenn wir den Athenaeustext Zeile für Zeile mit dem Vitruvischen ver

gleichen, so finden wir unsere Annahme bestätigt, denn wir können die wört liche Übersetzung der Vitruvstelle nicht verkennen .

Dieser ängstlich an die

Vorlage sich bindenden Abhängigkeit widersprechen die wenigen kommentirenden kurzen Zusätze durchaus nicht, von denen wir den einen ?) über die getrennten Dachflächen bereits benutzt haben.

Ein zweiter ist ebenfalls textkritisch be

deutungslos: Auf die Notiz von der Verschalung des Aufbaues folgt bei Athe naeus die Bemerkung: er wird ähnlich abgedeckt wie die Schildkröten zum Grabenzuwerfen “ 3). Denn alle übrigen Zusätze und auch die kleinen vor handenen Auslassungen sind keine Anzeichen der Selbständigkeit des Über setzers, sondern Fehler der Übersetzung und Mängel des Verständnisses.

Athenaeus, der – wie ich nicht genug betonen kann – alles fast Wort auf Wort bringt, leitet die Beschreibung des Aufbaues ein : „ Kiovaç dê nńyvuotai ÉTà toŨ Xojapiov dudexanlines“, Vitruv: „ postes erant erecti pedes XVIII “ ; aber die für die Wiederherstellung des Textes für uns so ungeheuer wertvollen Worte im Vitruvtext : „ item supra transtrorum planitiem , quae supra basim

fuerat“ hat der Athenaeus bezeichnender Weise fortgelassen ; sie mußten ihm ja auch gänzlich unverständlich erscheinen. Ferner ist direkt falsch übersetzt die Stelle, die sich auf den Geschützstand bezieht “) : „habuerat

autem mediam contabulationem supra trabiculas, ubi scorpiones et catapultae conlocabantur. “ Die „ trabiculae “ sind ein Zwischengebälk resp. ein Stich gebälk. Athenaeus übersetzt: „ (Das Bauwerk ) besitzt in der Mitte einen

Bodenbelag, der auf den Rahmhölzern ruht“ 5). Trabes können freilich auch , Rahmhölzer “ sein, aber hier ist die Übersetzung technisch vollkommen ver kehrt; denn in der Höhe des énorvdíoy kann sich weder eine Decke noch ein

Fußboden befinden , weil dort der Widder hängt. 1 ) Uber den Anonymus vgl. Abschn. I, S. 12. Rudolf Schneider hat die ohne

Titel überlieferte Schrift unter der Überschrift napayyéhuara nohropxntıxd herausge geben.

Ich

bin

bei

allen

Hinweisen

„Anonymus

bei dem geläufigeren Titel

Byzantinus“ geblieben. 2) Vgl. S. 79, Anm. 2 : και γίνοντας δύο πλευραι κεκλιμέναι. 3) Athen. 22, 10 : oxenébetai naqaninoiws tais ywotgioi xehovais. Es bleibt zu bemerken, daß dieser Satz für einen im Athenaeustext fehlenden Satz des Vitruvtextes steht: „item

fixa habuerant lateraria in transverso “, der uns nach der vorhergehenden Beschreibung der Schildkröte zum Graben ohne weiteres verständlich ist ; denn es handelt sich bei den lateraria um die angeblatteten Dachverbandhölzer, die sich im Konstruktionsbild der Querschnitte zeigen (Abb. 38 und Schnitt C - D auf Abb. 45). Es scheint fast, als ob der Übersetzer diesen ihm nicht verständlichen oder überflüssig erscheinenden Satz

durch einen andern Hinweis auf die xwotgis yehavn ersetzt hat. 4) Vgl. S. 78 .

5) Αthen. 22, 10 : "Έχει δε και μέσην στέγην επί των επιστυλίων αναπαυομένην , όπως η βελοστασία επ' αυτής είη. Sackur , Literatur der Antike.

6

82

IV. Abschnitt : Die Poliorketik des Vitruv .

Weiter Vitr. pag. 278, 14 : „ Erigebantur et arrectaria duo compacta“ .. Zusatz , oniow Athen. pag. 22, 12: , Ιστανται δε σκέλη δύο συμβεβλημένα « ... vñs xplodóxns “. Der Zusatz ist falsch, aber für den Athenaeus bezeichnend; denn hier kommen wir gerade auf den kritischen Punkt, die Verwirrung, die von den vier unglückseligen vorausgenannten Ständern für die Widder »

aufhängung und Bewegung angerichtet ist und die nun bei dem auf Abwege

geratenen Übersetzer folgerichtig zu einer Trennung der Aufhängepunkte der beiden Seilgruppen führen muß, die in Wirklichkeit an einem Gestänge hängen . Athenaeus versucht offenbar ein Paar von den zuvielen Ständerpaaren auf diese

Weise zu verwerten und auf diesen Irrweg folgen ihm auch seine Zeichner. Nur hat er sich durch eigne Schuld ja drei Paar Ständer geschaffen

und damit werden diese Nothelfer nun aber doch nicht fertig ; sie registriren immer nur zwei Paar. Zwar die von Vitruv kurz angedeuteten Seilzüge gibt der Athenaeustext noch erkennbar richtig, wenn auch mit gewisser

Freiheit wieder : Athen. pag. 23, 7 ηονίσκοι τετορνευμένοι , εξ'ών τα όπλα εξήρτηται τα ανέχοντα των κριόν« .

Vitruv : e quibus funes alligati retinebant arietem .

Επί δε του επικεφάλου ) και της κριοδόχης πήγνυται θωράκιον

Vitruv :

„ supra caput eorum, qui continebant arietem , conlocatum erat pluteum “ etc. ... Die Freiheit ist bis zu einem gewissen Grade verständlich; denn für den

Vitruvischen Satz hat der griechische Übersetzer das Wort zg10dómn „ Widder gehänge“, das für diese spezifizirte Angabe freilich zu allgemein ist, um die Sachlage verständlich wiederzugeben .

Ich sagte, der Übersetzer habe sich durch eigne Schuld die Verwirrung geschaffen. Jawohl ! Wir brauchen gar nicht die Annahme zu machen, daß

gerade unser Athenaeus mit uns das ausgesuchte Mißgeschick geteilt habe, einen schon verdorbenen Vitruvtext in die Hände zu bekommen. So wird es nicht gewesen sein ! Der Text zeigt selbst sehr bald mit dankenswerter

Deutlichkeit, woher die Verwirrung stammt: Wenn wir unsere Textvergleichung etwas weiter fortsetzen, so stoßen wir

beim Athenaeus plötzlich auf eine Stelle, die mit dem Vitruvtext keine Be ziehung hat, aber deren Wortlaut unverkennbar aus einer andern uns bekannten Quelle stammt , und zwar aus der des Anonymus : Athen . 24,5 : 6

η και διαλαμβάνεται κατα μεσον εκτριών διαλημμάτων αλύσεσι παχαίαις ?) . “ Anonymus, pag. 230, 8 : ανελάμβανον κατά μέσιν εκ τριών μεν διαλειμμάτων, βασταγμάτων δε tégoagov“, auf Deutsch : „Man hängte ihn von der Mitte her nach drei Teilen ;) auf , also an vier Aufhängepunkten .“ Die Stelle im Anonymus ist ganz klar und wird ja auch durch unsere Abb. 46 illustrirt. Aber im Athenaeus ist die Sache nicht so klar und was sollen hier die starken Ketten ? Die Aufhängung geschah doch durch Taue, nur an den Aufhängepunkten waren sie allerdings durch ein Stück schwere Kette ersetzt ; aber das sagt er ja später noch be 1 ) įniriqahov „ der Kopfriegel“, der oberste Riegel zwischen den beiden Ständern. 3 ) „ Und der Widder wird von der Mitte aus in drei Zwischenräumen von dicken Ketten gefaßt. "

3) bezieht sich auf die drei Teilstrecken , die zwischen den vier Aufhängepunkten entstehn : Schnitt L -M in Abb . 46 .

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz.

83

sonders, ebenso wie die andern Texte. Die Hauptsache, die vier Aufhänge punkte, hat er überhaupt fortgelassen. Dafür läßt er einen Satz folgen, der Ꮎ vollständig unerklärlich wäre , wenn er nicht durch die handschriftliche Zeichnung (Abb. 52) bestätigt und zugleich ad absurdum geführt würde :

Athen. 24, 6 : “ Ο δε δεσμος ο εν μέσω τον κριον έχων επί παλαιστας ε (5) λαμβάνει xpio. “ „ Die den Widder in der Mitte haltende Schlinge tovéhoyuov šv »

schlingt sich in 20 Zoll (Breite ?) an dem Widder herum .“

Ich weiß nicht, ob das richtig übersetzt ist, aber jedenfalls kann ja nach dem vorhergehenden Satze und nach der Wirklichkeit in der Mitte des Stoß

balkens überhaupt keine Kettenschlinge sein, wie sie die alten Bilder unter dem Einfluß dieses Mißverständnisses angeben (vgl. die alte Illustration Abb. 52 ). Diese Angabe widerspricht in ganz auffallender Weise der unmittelbar vorher gehenden mit den drei Teilstrecken, also vier Aufhängepunkten, die damit ganz ohne Verständnis dem Anonymustext entnommen zu sein scheint. Und beide

Sätze sind ohne Beziehung zu den vorhergehenden, dem Vitruv entnommenen Angaben über den Aufhängungsmechanismus am Schluß der eigentlichen Widderbeschreibung, also auch ohne richtige Folge der Schilderung zugesetzt. Der ganze Text macht in diesem Punkt den Eindruck einer Sammlung von Notizen verschiedener Herkunft, die sich untereinander widersprechen ; auf

diese Weise ist er in der für die Maschine wichtigsten Frage in heillose Verwirrung geraten.

Noch andere, wenn auch für den Zusammenhang nicht so wichtige Stellen verraten , daß der Athenaeus bei seiner Bearbeitung des Vitruvtextes zugleich aus der Quelle des Anonymus geschöpft hat ).

Für die Darstellung des Stoß

balkens selbst scheint er dieser Quelle sogar den Vorzug gegeben zu haben ; so bringt er nicht Vitruv's genaue Angabe der Widderarmirung durch Längs und Quertaue ?), sondern er erwähnt, genau wie der Anonymus, nur die Längs taue, obwohl diese ohne Querschlingen fast wertlos sind . Das alles, mag es auch im einzelnen von keiner großen Bedeutung sein , trägt doch auch dazu bei , das Bild von der Zusammenarbeitung des Textes aus zwei Quellen zu vervollständigen . Athenaeus hat den Vitruvtext nach dem Anonymustext „ verbessern

wollen “ und die verhängnisvollste „ Verbesserung “ war dabei die am Eingang der Beschreibung, wo er kritiklos den letzteren nabm "): „ xai tờ {ni voő loyagiov Troos üyos πηγνύμενα renyviueva trocaga ozédn " und die vier „ transversaria “ Vitruv's προς ύψος τεσσαρα σκέλη ausstrich und den ozéln entsprechend vier , arrectaria “ daraus machte. Mit diesem Fehler hatte er sich gewissermaßen zwischen zwei Stühle gesetzt, sein

Text konnte nicht mehr in Ordnung kommen. 1 ) Vitruv, pag. 278, 23 : uti sine periculo duo milites tuto stantes prospicere possent et renuntiare quas res adversarii conarentur.

Anonym., pag. 231 , 5 : ώστε προς αυτό ασφαλώς δύνασθαι εστάνει τους εποπτεύοντας τα κατά του κριού από των εναντίων βαλλόμενα. Athen., pag . 23, 9 : ώστε εν αιτώ ασφαλέστατα δύνασθαι δοτώνει τους εποπτεύοντας τα αποστελλόμενα εκ των εναντίων προς τον κριόν . ? ) Vgl . S. 57 , Abschn . III .

3) Anonymus, pag . 231, 1 u . 2 .

84

IV. Abschnitt: Die Poliorketik des Vitruv .

Wir müssen uns, um das ganz zu verstehn, jetzt auch mit dem Text des Anonymus beschäftigen, der uns technisch freilich nichts neues bringen wird ; er behandelt denselben Gegenstand, aber gänzlich unabhängig von Vitruv; schon die Reihenfolge im Gang der Beschreibung ist durchaus anders.

Der Anonymustext beginnt mit der Schilderung des Widder balkens selbst , die klar und verständlich durchgeführt wird und zwar nicht textlich , aber

sachlich der Beschreibung Vitruvs ungefähr entspricht:

Was die

Aufhängung anbetrifft, so sind nur die vorerwähnten am Widder

selbst angebrachten Aufhänge

punkte beschrieben , sonst ist nichts gesagt; und von der Kon struktion der eigentlichen Schild y

t Ci

ME

kröte bringt der Anonymus nur folgende kurze Notiz :

pag. 230, 15 : „Man bing ihn (den Stoßbalken ) auf und bewegte ihn auf einer

achträdrigen Schildkröte, die unten im Grundgestell ge messen

Länge

eine

von

42 Ellen und eine Breite von 28 Ellen hatte. Und die vier auf dem Grund

Abb. 47 .

gestell nach dem Winkel errichteten Ständer ') machte man jedes Paar aus zwei zusammengesetzten Ständern

in einer Länge von 24 Ellen, 20 Zoll stark und 1 Elle breit. Ober halb des Widdergehänges befestigte man ein Türmchen nach Art einer Brustwehr. “ ...

Das ist alles, aber auch alles, was der Anonymus von der ganzen Zimmer konstruktion zu sagen hat; er weiß also auch nichts von einer „ media conta bulatio “, auf der die Geschütze stehen sollten . Es ist wenig, aber das, was er n

in dieser kurzen Beschreibung bringt, ist klar und verständlich. Man kann 1) Diese für uns wichtige Stelle lautet im Text 231, 1 : yxai tà łni roũ loyapiov após ύψος πηγνύμενα κατά τας γωνίας τέσσαρα σκέλη εκ δύο έκαστα συνημένων σκελών εποίουν.« Ich kann mich nicht entschließen, „xatd tds ywvias" anders als nach dem Winkelmaß zu

Übersetzen , denn ywvia ist auch das Winkelmaß. Die Errichtung der Ständer an den Ecken des Grundgestells

-

wie Rudolf Schneider es übersetzt

-

ergibt eine so hand

greiflich falsche Konstruktion, daß ich einen solchen Unsinn dem Anonymus nicht unter schieben möchte, dessen Beschreibung durchweg gute Uberlegung zeigt.

Die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz.

85

gewiß für die Widderaufhängung auch vier Ständer anordnen , wenn man sie

so nahe zusammenrückt, daß die geforderte Bewegungsmöglichkeit des Widders verbleibt, und da es jedem Konstrukteur nach dem Anonymustext freistand, das Gehäuse entsprechend niedriger zu halten - Maße sind dafür nicht angegeben - , so haben seine knappen Angaben an sich nichts unwahrscheinliches.

Der

Unsinn kommt in die Beschreibung erst, wenn man die vier Ständer des Anonymustextes mit den zwei Ständern des Vitruvtextes ad dirt

und das hat der Verfasser des Athenaeustextes getan. Diese falsche Verarbeitung zweier Quellen hat die Verwirrung des Athenaeustextes hervor gerufen und hat

-

das ist der Schluß, den wir machen dürfen

auf den

Vitruvtext eine sehr unerwünschte Rückwirkung ausgeübt, weil sie offenbar einen Unberufnen veranlaßt hat, den Vitruv an der bewußten Stelle nach dem Athenaeus zu verbessern.“

V. ABSCHNITT .

Athenaeus Mechanicus, ein literarischer Doppelgänger. Tir haben Vitruv, Athenaeus und den Anonymus der Einfachheit wegen als Wir handelnde Personen nebeneinander eingeführt, ohne daß wir von der Persönlichkeit des Athenaeus bisher etwas näheres wissen oder in sein Werk

„Tapi uńzavnuatwy “ einen Einblick genommen haben. Was den Anonymus Byzantinus anbetrifft, so ist mit diesem Namen eine mit Sorgfalt vorgenommene systematische und kommentirte Zusammenstellung alter Texte der griechischen

Poliorketik bezeichnet. Wenn wir also vorher in unserer vergleichenden Text darstellung von Vitruv und Anonymus sprachen, so handelte es sich dabei genauer bezeichnet einmal um eine von Vitruv redigirte „ particula errabunda “ griechischer Herkunft, das andre Mal um ein ähnliches von dem gelehrten Verfasser des byzantinischen Sammelwerks redigirtes Einzelstück der gleichen

Herkunft und über den gleichen Gegenstand. Wer aber war nun der ver antwortliche Redakteur , der bei der gleichen Beschreibung im Athenaeustext eine so unglückliche Hand bekundet hat ? uns mit dem Inhalt um diese Frage zu beantworten Wir müssen des Athenaeus Mechanicus bekannt machen. Das ist freilich nicht so einfach,

weil der Inhalt eines solchen Buches - in einer anderen als rein registrirenden Form wenigstens – nur darstellbar ist, wenn man das geistige Band auffinden kann, das die Einzeldarstellungen durchzieht. Wir haben gesehn, man kann die Poliorketik Vitruv's trotz der erkennbaren Verschiedenartigkeit ihrer Teile

unter einem Gesichtspunkt zusammenfassen und eine literarische Absicht ver folgen. Man kann das beim Athenaeus so, wie er uns in den Handschriften jetzt vorliegt, nicht machen ; man kann es aber machen, wenn man ihn zerschneidet und die Stücke zu zwei verschiedenen Teilen wiederzusammenheftet: Der Athenaeus Mechanicus ist in seiner heutigen Gestalt ein

literarischer Doppelgänger und hat zwei Gesichter. Wir nehmen jetzt diese Operation vor und denken uns den Paralleltext ) zum Vitruv, der uns bisher nur allein interessirt hat, herausgeschnitten. Die beiden übrig bleibenden Stücke setzen wir zusammen und wollen uns nun erst einmal

über die Bedeutung dieses durch die Operation gewonnenen Teiles Klarheit verschaffen.

Dieser übrigbleibende Athenaeus mechanicus Maior ihn nennen

kaum bezeichnen

verfolgt in seiner Denkschrift

so will ich als Buch kann man es

offenbar ein ganz besonderes Ziel, das sich weder mit

den literarischen Absichten Vitruvs noch mit denen des Anonymus, eher schon

mit dem Instruktionsbuch Apollodor's vergleichen läßt. Athenaeus wendet sich 1) Athen. 9, 4 bis 27,6. Vgl. Abschn. IV, S. 65.

Athenaeus Mechanicus, ein literarischer Doppelgänger.

87

auch an eine einzelne und hochgestellte Persönlichkeit, aber nicht in einer Widmung wie Vitruv, die, wie wir gesehn haben, die Publikation der Arbeit bedingte. Dagegen könnte man hierbei an den Apollodorus denken , dessen Schrift ja die Erfüllung eines kaiserlichen Auftrags war. Denn ein Auftrag ist vielleicht auch beim Athenaeus anzunehmen ; aber wenn wir vorsichtig sein wollen, so können wir vonseiten des Auftraggebers nur eine vorausgegangene Anfrage oder mündliche Rücksprache als sicher voraussetzen . Das Besondere

ist, die Denkschrift ist das Stück einer Korrespondenz , die mit diesem Stück noch nicht abgeschlossen ist ; es steht vonseiten der angeredeten Persön lichkeit eine Antwort noch aus, die durch die Denkschrift selbst veranlaßt

werden soll. Der Name der gleich in ihrem Eingang von Athenaeus angeredeten Persönlichkeit, Marcellus, hat uns bisher über die Zeit und geschichtlichen Voraussetzungen, aus denen die Schrift des Athenaeus maior hervorgegangen ist, ebenso wenig sicheren Aufschluß geben können, wie die Form der Anrede :

ώ σεμνότατε Μάρκελλε '). “ Diesem seinem Gönner Marcellus wendet sich unser Athenaeus Maior auch am Schlusse seiner Denkschrift wieder zu und zwar enthält diese Anrede nun

das für den verfolgten Zweck wirklich wesentliche, wie man ja immer bei

einer nicht abschließenden Korrespondenz die vom Empfänger zu beantwortende Frage an den Scbluß zu setzen pflegt. Der Schluß der Denkschrift gibt uns deswegen über die eigentliche Grundfrage : In welcher Absicht wendet sich Athenaeus an Marcellus ? erst die Antwort.

Athenaeus sagt pag. 39, 7 : „ Deshalb werden alle Konstruktionen, wenn Du dich entscheidest, in Zeichnungen dargestellt werden ; und durch diese wird dann auch das im Ausdruck nicht deutlich gesagte klar

werden . Was man aber gegen das Besprochene für technische Gegen maßnahmen treffen soll, auch das wollen wir uns an die Arbeit machen für Dich zu verfassen, falls wir jemanden aus dem Kreise der Alten ( Poliorketiker) dafür ausfindig machen werden 2). “ 1) Rud . Schneider, Athenaios, Einleitung S. 2 und Anm. zu 3,2 S. 52. Die Form der Anrede ist nach Schneider weder in den römischen, sehr sorgfältig geführten Beamtentitulaturen, noch in den byzantinischen Titeln von 400 bis 700 nachzuweisen. Der Name Marcellus sei lange Jahrhunderte hindurch so verbreitet gewesen, daß der Empfänger der Denkschrift nicht ohne weiteres zu ermitteln sei .

2) Αthen., pag. 39 , 7: η Διόπερ, εάν κρίνης , εσχηματογραφημένα πάντα έσται τα μηχανή ματα • και το εν τη λέξει δυσφραστον επ'αυτών εύδηλον έσται. “ Όσα δε δεί προς τα ειρημένα αντι

μηχανήσασθαι, εάν τινα αναλεξώμεθα παρα των αρχαιοτέρων, πειρασόμεθάσοι κακείνα γράψαι. Ich führe den griechischen Text hier an , weil natürlich jedes Wort für unsere

Frage wichtig ist : Wenn Schneider z. B. übersetzt : „ Was man gegen die oben be sprochenen Angriffsmittel für Vorkehrungen zu treffen hat, will ich die ebenfalls mit teilen, wenn ich darüber etwas bei den älteren Schriftstellern finde “ , so löscht eine

solche Übersetzung alle wichtigen Nuancen aus, die in den Worten liegen und die diese Worte in den richtigen Zusammenhang zum Inhalt der ganzen Denkschrift bringen. Athenaeus sagt : Wir wollen auf die Suche gehn nicht nach etwas , sondern nach

jemandem unter den alten Poliorketikern . Es ist von keiner „ Mitteilung “ die Rede, sondern von einer zu leistenden Arbeit, wobei Athenaeus an eine technische Durch arbeitung denkt. Das weist alles darauf hin, daß die Korrespondenz einen Vorgang gehabt hat .

V. Abschnitt: Athenaeus Mechanicus.

88

Aus diesen Worten ergibt sich der folgende für die Beurteilung der Denkschrift wichtige Tatbestand :

Erstens war die Denkschrift in der vorgelegten Form keine abgeschlossene Arbeit; sie entbehrte des wichtigsten Teils, der technischen Zeichnungen.

Welche Wichtigkeit der Verfasser, als wirklicher Praktiker, den Zeichnungen beilegt, setzt er gleich im ersten Teil seiner Denkschrift auseinander. Über haupt verfolgt die Korrespondenz auch das werden wir durch den Inhalt noch kennen lernen – kein literarisches, sondern ein rein praktisches Ziel und ich muß auch hier wieder auf meine Darlegungen im I. Abschnitt über

den Unterschied und die Bedeutung der technischen Zeichnung gegenüber der Illustration hinweisen, damit wir zum vollen Verständnis des eigentlichen Sinnes dieser Korrespondenz des Ingenieurs Athenaeus mit Marcellus gelangen . Ohne

Zustimmung zum Programm vonseiten seines Auftraggebers konnte Athenaeus das Durchkonstruiren der vorgeschlagenen Maschinen nicht vornehmen ; dazu ist solche Arbeit zu groß und deswegen zu kostspielig. Um Konstruktions zeichnungen handelt es sich hier aber ; das ist der Sinn der Anfrage und der

Hauptzweck der ganzen Denkschrift. Die zweite Tatsache ist die „ Unechtheit“ der in den Handschriften überlieferten

Illustrationen

wohlverstanden

zu

diesem Teil

des

Athenaeustextes , zu unserm Athenaeus Maior. – Diese Unechtheit ist -

unschwer zu erkennen. Wir werden sehr bald sehn, daß es sich hier nur um byzantinische Arbeit handelt; ja diese Illustrationen gehören zu den schlimmsten Vexirbildern , mit denen uns die Byzantiner beglückt haben.

Drittens liegt die Frage nahe : Wenn die Denkschrift des Athenaeus Maior auch in Bezug auf die Zeichnungen unvollständig war, enthielt vielleicht der vorliegende Text schon ein abgeschlossenes und fertiges Stück der geplanten Arbeit oder ist er nur als eine kurze programmatische Skizzirung des in Aus sicht genommenen Inhalts anzusehn ? Die Antwort wird sich von selbst aufdrängen , wenn wir uns den Inhalt näher

betrachten : Athenaeus beginnt mit einer Polemik gegen die Bücherschreiber, die Philosophen, denen er als praktischer Techniker und Tatsachenmensch vorwirft, daß sie mit ihrer unnützen Vielschreiberei nur die Zeit totschlagen, überhaupt will er den reinen Theoretikern wie Straton, Hestiaios, Archytus und auch Aristoteles nur einen sehr beschränkten , rein pädagogischen Wert zuerkennen ; nur soweit es sich um die Erziehung der Jugend handelt. Aber für den

Mann der Praxis und für die Technik hätten sie keine Bedeutung. Am besten könne man den Unterschied zwischen diesen Schulmeistern und der praktischen

Wissenschaft aus der „ Poliorketik“ des Deïmachos, aus dem Charias, dem Diades und aus dem Pyrrhos von Makedonien erkennen, die alle über Kriegs maschinen geschrieben hätten. Nach dieser Einleitung, die also die besondere Art des technischen Denkens und gegenüber der abstrakt wissenschaftlichen Literatur das Wesen der tech

nischen Literatur festlegen will, verbreitet er sich über die Art der Dar stellung des technischen Stoffes; die Sprache der Technik verlange Knappheit und Deutlichkeit, aber sie stelle keine Forderung an Rhetorik ; und dann zitirt er, um die Fähigkeiten und Leistungen des praktischen Technikers ins rechte

Ein literarischer Doppelgänger.

89

Licht zu setzen, den Mechaniker Agesistratos , der als Grundbedingung für den Techniker die Fertigkeit im technischen Zeichnen verlangt. Das Zitat ist ziemlich lang und bezieht sich auf die Leistungen und Arbeitsmethoden des durchgebildeten Technikers ; es schließt damit, daß es die Notwendigkeit der Kenntnis der technischen Literatur hervorhebt; der Techniker

könne nicht jedesmal Neues erfinden ,

das hieße dem Laien nur Sand

in die Augen streuen sondern er müsse vor allem auch vorhandene erprobte Erfindungen benutzen können . Die Autorität seines Zitats aus dem Agesistratus sucht er dadurch zu .

erhöhn, daß er ein Bild von dessen Leistungen gibt und zwar auf dem Gebiet der Geschützkonstruktion und dem der eigentlichen Poliorketik. Er sei der Nachfolger seines Lehrers Apollonios von Rhodos geworden und habe als solcher eine Widderschildkröte und eine Verteidigungskonstruktion erfunden. , Einem 80 hervorragenden Techniker müsse man in Sachen der Technik Glauben schenken. “

An dieser Stelle ?) platzt nun die entwicklungsgeschichtliche Einführung des Vitruvischen Paralleltextes in den Gedankengang unseres Athenaeus Maior wie aus der Pistole geschossen hinein, und dabei ist zudem noch etwas

ganz merkwürdiges vorgekommen : Athenaeus war nämlich noch gar nicht mit seinem Gedanken zu Ende ; der letzte Satz ist ihm vom Munde abgeschnitten: Wir finden ihn erst , indem wir weiter blättern , mitten im Parallel

text ) versteckt, in den er offenbar verrutscht ist ; seine Herkunft verrät er übrigens recht deutlich ; denn er fehlt selbstverständlich im Paralleltext des Vitruv , und mit der gleichen Selbstverständlichkeit be

fremdet er an seiner jetzigen Stelle durch eine auffallende Zusammenhang losigkeit, ja man kann sagen , Sinnlosigkeit.

Der verloren gegangene Satz lautet : „ Denn wenn die Konstruktion trefflich ausgeführt ist , 80 erwächst dem Ingenieur daraus Ehre ; wenn dieser aber die Zusammenhänge in systematischer Form heraus gibt , so erntet er viel größeren Ruhm im Gedächtnis der Nachwelt ).“

Dieser Satz bildet 80 deutlich die abschließende Begründung der für den Agesistratos als technischen Schriftsteller geforderten Autorität, daß an seiner Zugehörigkeit zum Text des Athenaeus Maior gar nicht gezweifelt werden kann .

Man darf die ganze Denkschrift schon nach dem ersten Teil ihres Textes wohl als Brief bezeichnen und zwar als Brief, der an einen Mann gerichtet ist,

dem Bedeutung und Stellung der Technik als Zweig der Wissenschaft von Haus aus nicht bekannt ist, auf den nur die vor Augen liegenden praktischen Erfolge Eindruck machen – also einen Römer ohne tiefere Kenntnisse der Vor -

bedingungen griechischer Leistungen auf dem Gebiet der Technik. Im Übrigen ist das alles, was wir hier von Athenaeus hören, erstaunlich echt auf den

Ton gestimmt, den wir von dem gleichen Berufstyp auch heute noch – ja fast 1 ) Athen. , pag. 9, 4.

3) Athen., pag. 15, 3.

3) Αthen., pag. 15, 3 : Του γαρ έργου καλως διατυπoυμένου τούτου, του αρχιτεκτονος ευρίσκε ται ευδοξία • κατά δε λόγον εκτιθεμένου τα συντάγματα μέγιστον έξει κλέος εν τοις υπομνήμασιν .

V. Abschnitt : Athenaeus Mechanicus .

90

im gleichen Gedankengang zu hören bekommen : Es ist der Kampf des Technikers, des Vertreters der angewandten Wissenschaft um seine Geltung. Wie sehr und einheitlich dieser Gedanke den Athenaeus beherrscht, beweist -

auch

wenn ich das vorausnehmen darf der Schluß der ganzen Denkschrift: „ Das ist gesagt, weil manche den Geisteszustand ihrer Mitmenschen nach

ihrer eignen Trägheit übel einschätzen und behaupten wollen, daß sich eine Kenntnis der Praxis nur in geringem Maße daraus ) gewinnen lasse, gerade als ob Kenntnisse die Spannkraft unseres Geistes beeinträchtigten . “

Hier klingt

der Ton noch gereizter ; das lautet alles weiß Gott nicht, wie theoretische Belehrung, sondern es hat einen sehr polemischen Accent, und richtet sich ganz ersichtlich gegen Einflüsse persönlicher Art, die gegen die Geltung seiner Wissenschaft und Erfahrung von Ungebildeten geäußert sind. Er kämpft bei Marcellus für seine eigne Geltung als Techniker , die er auf Grund seiner Studien beansprucht.

Diesem Marcellus, der praktische Forderungen stellt und dem er technische Entwürfe zur Lösung greifbar vorliegender Aufgaben anbietet, dem sollte er zum Beweis seiner praktischen Leistungsfähigkeit jetzt ein entwicklungs geschichtliches Colleg vorlegen in Gestalt dieses Vitruvparalleltextes ? Nachdem er vorher mit der größten Geringschätzung von den rein theoretischen Schriften

gesprochen hat? Der Gedanke wäre absurd ; auch wenn die vorher gezeigte Satzverschiebung nicht schon den Verdacht der späteren Einschiebung des Paralleltextes nahegelegt hätte, so müßten wir diese Folgerung aus dem Gedanken

gang machen . Athenaeus Maior hätte ein Narr sein müssen, wenn er so etwas dem Marcellus vorgelegt hätte, einer von den Schwätzern , die er doch selbst

so verurteilt ! Es wäre gerade so gewesen , als wenn etwa Apollodor seinem kaiserlichen Auftraggeber eine Belehrung über die Entstehung und Entwicklung der Kriegswerkzeuge geschickt hätte. Genau so ! denn wir werden uns bald darüber klar sein , daß die der Denkschrift Apollodors zu Grunde liegende äußere Situation beim Athenaeus Maior nicht viel anders war. Wir kehren nach dieser kurzen Abschweifung zum Text unseres Athenaeus

Maior zurück ; sie hat dem Gedankengang unserer Inhaltsangabe nichts ge schadet: Wir konnten hier unbedenklich eine Pause machen ; denn die Denk

schrift beginnt jetzt mit einem zweiten Abschnitt. Wenn der Verfasser bisher nur allgemein die Bedeutung der Technik für praktische Aufgaben behandelte, so kommen jetzt einzelne Beispiele, die kritisch besprochen werden ; aber aus der Kritik möchte man ebenfalls den Schluß machen, als ob eine Anfrage vorher gegangen wäre oder eine Beantwortung von andrer Seite gemachter Vorschläge vorläge.

Überhaupt handelt es sich in der ganzen Schrift nie darum , die üblichen Kriegswerkzeuge systematisch zu besprechen oder gar zu beschreiben ; vielmehr sind es nur einige besondere Konstruktionen, von denen gehandelt wird und

die auf besondere Verhältnisse und auf eine spezielle Anfrage hinweisen : pag. 27 , 7 : Maschinen auf Schiffen, sogenannte Sambyken , werden als bekannt vorausgesetzt, brauchen also nicht beschrieben zu werden ; 1) nämlich aus dem Studium der techn. Literatur.

Ein literarischer Doppelgänger.

91

sie sind im übrigen für die eignen Leute gefährlich und bleiben besser unausgeführt, wenn nicht ein erfahrener Techniker da ist, der die und die Fehler vermeidet, die da und da gemacht sind , und nun kommen zwei

historische Beispiele “), aus der wieder die Notwendigkeit hervorgeht, über einen leistungsfähigen Techniker zu verfügen. pag. 29, 3 : Zwei besondere Mittel, um auf die Mauern zu steigen, >

werden als nicht brauchbar bezeichnet ; beim ersten handelt es sich um

einen Vorschlag von Leitern bestimmter Art nach dem Beispiel der von den Schauspielern im Theater für die Bühne benutzten ?). Beim zweiten um eine Vorrichtung, die von dem Mechaniker Ktesibios in seinem Lehr buch angegeben ist.

Es ist eine fabrbare Wippe, bei welcher der hoch

gewippte Balken als überdeckter Gang ) ausgebildet ist. Es handelt sich anscheinend um eine erst theoretisch ausgedachte Erfindung und man kann

dem Athenaeus glauben, daß sie in der vom Erfinder angegebenen Form nicht viel taugt. pag . 6 : Wegen der Verwendung von Unterminirungen und geschützten

Gängen wird auf das Werk von Pyrrhus verwiesen, dessen trefflichen Ausführungen Athenaeus nur zustimmen kann. Das steht alles so nebeneinander und weist so sehr auf bestimmte

vorhergegangene oder aus einer bestimmten Situation aufgestiegene Fragen hin , daß man auch hier den Eindruck erhält, daß es sich bei der Denkschrift um den Teil einer Korrespondenz handelt.

Auf die hier

1) Belagerung von Chios und Irrtum des Mechanikers Kallistratos.

2) Αthen., pag. 29, 3-5 : Κατεσκεύασαν δέ τινες εν πολιορκία κλιμάκων γένη παραπλήσια τους τιθεμένοις εν τοις θεάτρους προς τα προσκήνια τους υποκριταίς . » Manche haben bei der Belagerung Leitern von der typischen Form konstruirt, wie sie in den Theatern für die

Schauspieler an das „ proskenion “ gestellt werden .“ Das proskenion, die eigentliche Bahne, lag beim griechischen Theater gewisser Zeit etwa um eine gute Stockwerkshöhe,

nämlich 3,50 m , sogar bis 4 m über der Orchestra . Der Schauspieler stieg von der Orchestra mittels einer Leiter zur Bühne auf; aber wie kann eine solche Leiter ausgesehn haben ? Das einzige Zeugnis dafür sind die sogenannten Phlyakenvasen, auf denen aber nur eine Leiter gewöhnlichster Art zu sehn ist (vgl. Bethe, Prolegomena zur Ge schichte des Theaters im Altertum , Leipzig 1896 ). Solche Leiter kann Athenaeus nicht gemeint haben ; denn dazu brauchte er nicht auf das Theater hinzuweisen ; diese primi. tivste Leiter war doch in jedem Hause vorhanden. Um die allbekannte Grundform eines Werkzeuges zu beschreiben, hat man doch keinen so fernhergeholten Vergleich nötig ! Es muß sich also bei diesen Leitern um eine besondere Form handeln , und man

ist sehr in Versuchung, dabei an Doppel-Leitern, sogenannte Standleitern , zu denken, wie sie etwa unsere Tapezirer benutzen , und wie sie auch Apollodorus für Belagerungs. zwecke im Princip wenigstens beschreibt (Abb. 18). Solche Leitern hätten es dem

Schauspieler ermöglicht, auf die Bühne zu steigen , ohne dem Publikum seine Rückseite zu zeigen ; denn diese Situation mußte ihn ja immer mehr oder weniger zur lächerlichen

Figur machen. Man berufe sich dagegen nicht auf die Darstellungen der Pblyaken vasen , denn bei den Phlyakenspielen war diese Lächerlichkeit ja erwünscht und eins dieser Vasenbilder zeigt sogar die Betonung des Lächerlichen bei diesem grotesken Aufstieg und seine Ausnutzung zur Situationskomik . Jedenfalls kann diese Stelle des Athenaeus für die Theatergeschichte wichtig sein ,

wenn es uns gelingt, die Denkschrift des Athenaeus Maior zu datiren . 3) ovgiyya xniwvevouévny, pag. 29, 14 (wippende Röhre ).

V. Abschnitt : Athenaeus Mechanicus.

92

besprochenen Dinge kann sich doch auch sein Angebot zur Anfertigung von Zeichnungen nicht beziehen?

Wir können diesen kurz skizzirten Text, pag. 27,8 bis 31 , 10 als den

negativen Teil des zweiten Abschnitts unserer Denkschrift bezeichnen, weil er bis auf die Bemerkung über den Pyrrhus nur ablehnende Kritiken bestimmter Maschinen oder Methoden enthält. Die beiläufige Bemerkung über das Werk des Pyrrhus ist ja überhaupt nur durch eine voraufgegangene Anfrage

zu motiviren, die noch zum Schluß kurz erledigt wird.

Denn nun kommt Athenaeus Maior mit etwas gespreizten Worten auf den zweiten und wichtigsten Teil dieses Abschnittes , nämlich

auf die von ihm zu machenden , und wie er betont , auf eigner Er findung beruhenden Vorschläge . Diesen Teil möchte ich den positiven Teil des zweiten Abschnitts der Denkschrift nennen.

Die Reihenfolge der Vorschläge zeigt ein bestimmtes Verhältnis zu den Gegenständen im negativen Teil ; es sind also Gegenvorschläge, und wir werden uns dabei auch über die äußeren Verhältnisse klar werden, aus denen diese

Vorschläge und Gegenvorschläge herzuleiten sind :

pag. 31, 11 : Belagerung einer Küstenstadt von der See her. Die Belagerungsmaschinen werden auf Schiffe gestellt und fabren bei

ruhiger See gegen die Befestigung vor. Jetzt wird die See unruhig und der ganze Aufbau kommt ins Schwanken.

Die Situation wird recht an

schaulich geschildert. Als Abhilfe empfohlen : Das von ihm, Athenaeus Maior, erfundene „Äffchen“ ?) . Auch rät er, die Maschine im Schiff ganz einzubauen und eine entsprechend kleinere zu wählen , die dann nach Ver ankerung des Schiffes vor der Mauer mit Flaschenzügen aufgerichtet wird .

pag. 33, 5 : Eine Vorrichtung, um jede Schildkröte und jede fahrbare Maschine nach allen Richtungen lenkbar zu machen . Der Apparat, der sogenannte odnyós, wird genau genug beschrieben, um die Rekonstruktion zu gestatten .

Ich verweise dazu auf Abb. 48 und auf die Anmerkung ?)

hierunter.

1) Athen ., pag. 32, 11 : tò heyóuevov 7.13ńziov. Wie diese Erfindung aussah, wird nicht beschrieben und man kann sich davon weder jetzt ein Bild machen, noch konnte man das offenbar im späteren Altertum ; denn auch der Anonymus muß sich darauf beschränken, den Athenaeus wörtlich zu zitiren , ohne eine Erklärung geben zu können. >

Ganz bezeichnend ist das Verfahren der byzantinischen Illustratoren in solchem Falle : Sie zeichnen , ohne sachlich irgendwie von dem Gegenstand berührt zu sein, einfach ein Schiff hin und schreiben darüber : „ dvraùfc tò noior " .

*) Ich möchte durch ein näheres Eingehn auf diesen Gegenstand meine Inhalts angabe nicht unterbrechen, bei der es mir ja zunächst darauf ankommt, die vom Ver fasser mit seinem Schreiben verfolgten Absichten zu kennzeichnen. Ich muß aber doch

eine Anmerkung dazu benutzen, den von ihm angedeuteten Gegenstand auch technisch

zu erklären, weil der Herausgeber Rudolf Schneider durch seine irreführende Interpretation auch hier den Sinn , Inhalt und Zeitcharakter des Textes in eine falsche Beleuchtung

ngt : Zu dieser Stelle pag. 33, 5 bemerkt er (Seite 65

der Anmerkungen zum Athenaeus) wörtlich : „ Die Konstruktion des verstellbaren Rades ist anschaulich beschrieben bei Heron, Automatentheater 11,9 (ed. W. Schmidt, pag . 378 mit Fig. 92 a) . “

Diese Bemerkung muß den Leser in den Glauben versetzen, als ab hier ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden zu vermuten wäre oder als ob Athenaeus aus

Ein literarischer Doppelgänger.

93

pag. 35 , 4 : Empfohlen das sogenannte „Karchesion " , eine Vor richtung, die, auf einer Schildkröte angebracht, den Mannschaften den dem Heron geschöpft hätte. Da Heron etwa um 100 n. Chr. lebte (vgl. Abschn. I, S. 16, Anm. 1 ), so wäre damit für die Datirung des Athenaeus natürlich ein gewisser Anhalt

gewonnen. In Wirklichkeit kann von irgendeiner Beziehung beider Stellen zu einander und damit von einer Beziehung des Athenaeus zum Heron nicht im ent ferntesten die Rede sein. Denn die hier geschilderte einfache Vorrichtung hat mit der Beschreibung Herons rein gar nichts zu tun.

Es handelt sich bei Heron um eine auf künstlerische und überraschende Wirkung berechnete Spielerei. Ein Kasten in Form eines Postaments fährt auf die Bühne,

macht eine Schwenkung und fährt dann in seine richtige Stellung, worauf die auf dem

Postament befindlichen Figurengruppen eine Opferscene vorführen. Das alles geschieht automatisch und nach der automatischen Produktion der Figürchen fährt das Postament ebenfalls automatisch zurück. Ich brauche auf Einzelheiten nicht einzugehen und

erwähne nur, daß die bewegende Kraft die Schwerkraft geschickt angebrachter Gewichte ist.

Wir sind gewöhnt, bei solchen Spielwerken Metallfedern zu benutzen.

Was aber

für unsern Fall die Hauptsache ist, die Achsen der drei vorhandenen Räder sind in den Postamentkasten eingelassen , zwar drehbar, aber unbeweglich ; die Seitenschwenkung

des kleinen Fahrzeugs wird nicht etwa durch Drehung der Radachse des Vorderrades in ihrer horizontalen Ebene erreicht, sondern durch automatisches Festhalten eines der

beiden Hinterräder, worauf natür lich die beiden andern Räder eine Schwenkung um das fest. a

stehende Rad als Schwenkungs . punkt machen .

Athenaeus sagt aber aus

à

drücklich , daß die Richtungs änderung

durch

Drehung

der Radachse geschieht und natürlich nicht automatisch , son dern an der Hand des Führers

ώστε, εφ ' ήν αν βούλωνται πλευρών , του άξονος επιστρεφομένου

εκεί πορείαν ποιείσθαι .

e

Außer

dem ist es hier eine schwere Maschine mit vier Rädern und

dort ein leichtes Spielwerk mit drei Rädern. Ich möchte nun also wissen , was beide Dinge

Abb. 48.

mit einander zu tun haben ? Nicht mebr schließlich als eine Lokomotive mit einem Kinderwagen , sie laufen beide auf Rädern.

Das Verständnis des Textes bereitet auch keine Schwierigkeiten, wenn man nur

richtig übersetzt: Man darf dann freilich nicht die Achsel (uaoyahn) in eine Achse verwandeln und aus einem Seil von 16 Zoll, nämlich Länge, ein solches von dieser Dicke (also über 30 cm !) machen. Solche Seile gibt es nicht. Und nicht „ rpórpoyos opaigoudis“ einfach mit verstellbarem Vorderrad übersetzen. Von einem Rad wird der Techniker Athenaeus doch nicht noch besonders hervorheben , daß es ,kreisförmig “ ist ! So sieht die Übersetzung aus, auf der Rudolf Schneider seine Interpretation aufbaut. Von den Rädern der lenkbar zu machenden Maschine ist in Wirklichkeit gar

nichts gesagt ; selbstverständlich, denn wie die Räder derartiger Fahrzeuge aussahn, das wissen wir jetzt hoffentlich aus den vorhergehenden Kapiteln, und Marcellus wußte das jedenfalls noch besser. Es handelt sich ja auch nicht etwa um eine neue Maschine, sondern um die denkbar einfachste Vorrichtung, um die vorhandenen Maschinen lenkbar zu

machen . Zu diesem Zweck brauchte nur die Achse des hinteren Räderpaares (vgl. Abb. 48)

94

V. Abschnitt : Athenaeus Mechanicus.

Zugang zu den Mauern ermöglicht. Der Name ist richtig gewählt ), denn die eigentlich originale Konstruktion liegt in dem schweren Doppel

gelenk (Abb. 27 ), das der Erfinder als Lager für den gedeckten Gang des Ktesibios benutzt ; die Vorrichtung ist nichts als eine praktische Ver besserung des Ktesibios und damit erklärt sich nun auch, weshalb im ersten negativen Teil die Maschine des Ktesibios verhältnismäßig ein gehend beschrieben wird, obwohl sie doch in der ursprünglichen Form abgelehnt wird .

Das sind die Vorschläge, die unser Athenaeus dem Marcellus vorlegt und für die er im Falle des Einverständnisses seitens des Angesprochenen die Konstruktionszeichnungen machen will . Was er in einem kurzen Absatz zum

Schluß noch bringt, sind mehr taktische Vorschläge, die aber zur Kennzeichnung der besonderen Verhältnisse, für die Athenaeus seine Ratschläge gibt, von großer Bedeutung sind. Es handelt sich um die Frage des Vorgehens gegen die Mauern von

Bergfestungen, bei denen wegen der Unzugänglichkeit des Geländes keine Maschinen herangeschafft werden können .

Für diesen Fall kommt als einziges

Angriffswerkzeug gegen die Mauern nur der Handwidder ohne Schildkröte in aus den Lagern, den duafónodes, genommen und unter den ósnyós (c, Abb. 48) gesetzt

zu werden . Die Verbindung mit der Achse wurde durch eine „ Seilschlaufe “ (e) aus einem 16 Zoll langen Seilende hergestellt, das durch ein Loch im ósnyós gezogen

In den osnyós war eine Drehscheibe ( d), das „kreisförmige Vorgelege“, ein gepa St : έναρμόζεται oκαι προτροχος σφαιροειδής «. ( προτροχος wird dabei von τρόχος = cursus und nicht von toogos = rota abzuleiten sein !) Der odnyós wurde gelen kartig in das „ Achselstück“ (uwoyéln) (b) der „ Feuerzange" (fequeorgis) (a) eingesteckt: do9oxu war.

Bohcitar“. Dieses Achselstück wurde an dem Stiel mit eisernen Bändern befestigt. Die Beschreibung sagt im übrigen nur, daß die Vorrichtung am Grundgestell unten in der Mitte der Stirnseite angebracht wurde ; es wird dazu also das stirpseitige

Rahmbolz dieses Gestells benutzt sein ; wie in Abb . 48 angenommen, brauchte darin unten nur eine dem Zapfen auf der Drehscheibe entsprechende Ausbohrung gemacht werden, aber das letztere kann man natürlich auch in anderer Weise machen : Für den

ganzen Apparat ist das ohne Bedeutung. Man sieht, daß der Vorschlag für eine ganz bestimmte Situation im Felde gemacht

ist und auch nach diesem Umstand beurteilt werden muß.

Ein Aushilfsmittel, das

mir nicht unzweckmäßig erdacht zu sein scheint. Wahrscheinlich verfügte der

Gegner über eine starke und auf die Zufahrtswege der Schildkröten gut eingeschossene Artillerie.

Rudolf Schneider hat sich zu seinem Trugschluß und zu seiner falschen Über setzung auch hier wieder durch die handschriftlichen Bilder verleiten lassen, die aller dings vollständige Unsinnsdarstellungen sind.

' ) Uber das carchesion vgl . die Ausführungen zu Abschn. III, S. 54 u. 55. Vitruv rechnet pag. 280, 3 die carchesia, wie die Leitern, zu den Gegenständen des poliorketischen Gebrauchs, die er nicht zu erklären brauche, „weil die Soldaten gewöhnt seien , sie ohne >

Anleitung zu machen “ . Dieser Standpunkt ist für jeden verständlich, der weiß, was

Vitruv unter einem carchesion versatile versteht ; nämlich ein drehbares Lager für einen Mast, wie es bei dem Gaffelmast jedes Schiffes zu finden war ( Abb. 26 ) . Ebenso wissen wir jetzt, welche Bedeutung das carchesion als die nach dem mechanischen Princip

gleiche Bewegungsvorrichtung an dieser Stelle für den Athenaeus hat. Beide Stellen

haben im übrigen natürlich keine anderen Beziehungen mit einander; Rud . Schneider's Annahme in seiner Bemerkung zu pag. 29, 3 des Athen. auf S. 65 beruht auch da auf einem Mißverständnis.

Ein literarischer Doppelgänger .

95

Frage ; dieser dient aber nicht zum Mauerbrechen, sondern zum Abstützen

der Leitern : Das ist der pag. 38, 10 mit åpetr xelovn bezeichnete Widder ; Athenaeus hat also in der Korrespondenz mit dem Römer Marcellus den „ aries“

in einer vielleicht im Soldatenjargon gebränchlichen Weise graecisirt. Dieser Widder ist ein ,, Schildkrötenwidder" wegen seines abgerundeten Querschnitts ")

und wird als Steife gegen die senkrecht an die Mauern gelehnten Leitern ge stemmt. Es ergibt sich damit die gleiche Stellung des Widders wie

bei den Steifen ( d) in Abb . 19 zu Caesar's Rheinbrücke, von denen es im Caesar heißt : sublicae oblique agebantur , quae pro ariete

subiectae vim fluminis exciperent.“

Die Athenaeusstelle gibt die Inter

pretation zu dem von Caesar gemachten Vergleich. Diese besondere Art der taktischen Verwendung des Widders, die Athenaeus beschreibt muß demnach auch in der Armee Caesars allgemein üblich gewesen sein. Und nun kommt unmittelbar vor dem von uns bereits vorausgenommenen

Schluß des Briefes ) eine durch ihren Inhalt sehr auffallende Versicherung der Loyalität gegenüber dem römischen Empfänger des Briefes, die an scheinend auch schon die gläubigen Vertreter der bisherigen Athenaeus-Hypo these stutzig gemacht hat. Denn es ist unmöglich, für irgend eine Periode des römischen Imperiums, am allerwenigsten aber für die Zeit des 2. Jahrh. n. Chr. einen den Worten entsprechenden historischen Hintergrund zu finden .

pag. 39, 1 : „ Denk nur nicht, daß wir so frech wären , mit all dem gesammelten Material zur Eroberung von Städten zu ermuntern, während es unsere Pflicht wäre, gerade für das Gegenteil zu sorgen. Denn auf der 1 ) Hier kann ich auch nur warnen , etwa der Übersetzung und Interpretation

Rud. Schneiders zu folgen ; sie ist auch hier ganz irreführend: Es heißt von der gegebenen

Situation ausdrucklich: εκεί ού προσακτέον μηχάνημα δια την δυσχέρειαν των τόπων , d. h. es läßt sich wegen der Unzugänglichkeit des Geländes keine Maschine heranbringen ; und dann heißt es von dem Vorgehn : „ tru doar v dveyovteS yedovnu, si aŭris 7000 Froovor rès shiuazas“ ; sie heben den Schildkrötenwidder auf und versteifen mit seiner Hülfe

die Leitern (gegen die Mauer). Daß es sich aber nicht um eine Widderschildkröte

(yedüvn Tòv xquòv qepoton) handelt, sondern um einen Schildkrötenwidder, wird durch folgende Erklärung deutlich gemacht: „ Eon de r dosti oic yehoovn opvoedis xai

περιστρόγγυλος άνωθεν εξ ημικυκλίου “. Der Widder ist aber wie eine Schildkrote keilförmig und oben nach dem Halbkreis abgerundet “ Wie eine Schildkröte, natürlich wie dieses Tier , das einen sehr charakteristischen Querschnitt hat ; nicht an die übertragene Bedeutung des Schutzdaches ist hier gedacht! Als Grund für diese Form

des Balkens ist angegeben, daß die vom Gegner daraufgeworfenen Gegenstände ab rollen sollen.

Rud. Schneider läßt in seiner Übersetzung trotz alledem eine „Widderschild

kröte“ vorschieben , die ein „ halbkreisförmiges Bogendach“ hat ( sic !!) . Und da ihm doch nicht entgangen ist, daß seine Übersetzung in diesem Zusammenhang einen unverkenn baren Widerspruch ergibt, so greift er zu dem bequemen Mittel, die ganze Stelle als einen Zusatz von späterer Hand zu erklären (Rud. Schneider, Einleit. z. Athen ., Seite 6 ). Das hieße Text und Sinn gründlich verderben ; zu solchem Verdacht liegt nicht der mindeste Anlaß vor.

plausibel und taktisch

Im Gegenteil, die Angaben des Athenaeus sind durchaus wie der oben gemachte Hinweis auf Caesar lehrt – durchaus

nicht auffällig. Für den ganzen Zusammenhang sind sie aber durch die ge schilderte Situation von Bedeutung. ) Vgl . S. 87 .

96

V. Abschnitt : Athenaeus Mechanicus.

andern Seite kann man sich gerade durch die Kenntnis dieser Dinge

leicht vor Schaden bewahren. Überhaupt haben wir in Wirklichkeit damit nur gegen diejenigen zu tun, die sich den gerechten Satzungen der Hegemonie nicht unterordnen )." Welche Anhaltspunkte ergeben sich nun aus der Denkschrift für beide Per

sönlichkeiten, unsern Athenaeus Maior und den von ihm angeredeten Marcellus ? Zunächst fällt es bei Athenaeus gegenüber den andern Poliorketikern auf,

daß er die ältere Literatur offenbar noch aus „ ungetrübten Quellen “ kennt ?). Ich gehe noch weiter, aus seiner Denkschrift geht sogar hervor, daß er sie noch im Original vorliegen hat; bei seiner ganz unliterarischen Tendenz wäre

es widersinnig anzunehmen, daß seine Angaben aus andern Quellen stammen könnten. Überhaupt welche Angaben denn ? Er bţingt ja keine Beschreibungen, die er irgendwo entnommen haben könnte, sondern nur Beurteilungen von Werken, die er doch also kennen muß und die auch der Adressat vielleicht sogar vorliegen hatte. Mit andern Worten: Zu seiner Zeit war diese Literatur noch vorhanden .

In diesem Athenaeus weist nichts auf eine spät - antike Zeit , alles aber auf eine frühere.

Die Stelle mit den Theaterleitern war bisher

eine crux chronologica für die Theatergeschichte, weil man sich gezwungen glaubte, den Athenaeus in das Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. zu verlegen. Und wo weist diese Loyalitätserklärung hin ? Sicher nicht in die Zeit des imperium Romanum, sondern deutlich in die Zeit, als Rom im Osten noch kein imperium hatte, sondern einen principatus auszuüben begann. Das war die Zeit, als der punische Krieg zu einem Weltkrieg wurde, und die ganze damalige Kulturwelt sich in zwei Mächtegruppen spaltete, eine von Rom und

eine von Karthago geführte. Zu Rom stand ein Teil der griechischen Staaten, der Aetolische Bund und Athen, außerdem Rhodos, Pergamon und Ägypten . Die griechischen Staaten suchten den Anschluß an Rom zum Schutz gegen Philipp III. von Makedonien, eine politische Konstellation, die schließlich zum Sturz Philipps durch die Römer und ihre griechischen Verbündeten führte. Und auf welche Situation weist der taktische Inhalt des Athenaeusbriefes

an den Marcellus bin? Den Hauptraum nehmen die Angriffsmittel gegen eine Festung von der See her ein : Ratschläge über den Transport der Sambyken auf Schiffen, Warnung vor falscher Anordnung, zusammengekuppelte Schiffe bei bewegter See, Vorschlag zum Ausbalanciren der auf Schiffen einmontirten Angriffsmaschinen ; weiter für den Landangriff ein Vorschlag, die fahrbaren

Schutzvorrichtungen zum Schutz vor starkem Artilleriefeuer beweglicher zu machen , und schließlich Angriffsmittel gegen eine auf steilem Felskegel gelegene Festung.

Der Inhalt weist unleugbar auf den Ort , mit dem der Name

des Empfängers aufs engste verknüpft ist : auf Syrakus. 1) Αthen. 39, 5: κατά των ουχ υποταγησομένων τους καλούς της ηγεμονίας νόμοις . Wie man rysuovia Ubersetzen will, hängt natürlich ganz von der geschichtlichen Periode ab,

in die man den Athenaeus einordnet. Ýyąuovia kann sowohl „ principatus“ wie „ im perium “ bedeuten. 2) Diese Bemerkung ist von Rudolf Schneider, der das, trotz seiner falschen Be

urteilung des Athenaeus, anerkennen muß.

Ein literarischer Doppelgänger.

Drei Jahre lag das Heer des Marcellus vor Syrakus.

97

Im Jahre 214 v. Chr.

begann die Belagerung : „ Inde terra marique simul coeptae oppugnari Syracusae ? ). " Livius schildert die seeseitigen Angriffe des Marcellus, bei denen die Römer ihre „ turres contabulatas machinamentaque" auf zu zweien gekuppelten Schiffen gegen die Mauern heranzuführen suchten .

Diese turres

contabulatae machinamentaque waren, wie uns Polybius erzählt, die Sambyken : προσηγον προς το τείχος τας λεγομένας σαμβύκας *, und von Polybius 2) bekommen wir auch eine sehr anschauliche Beschreibung der vielgenannten Maschinen, die nichts weiter als riesige, von zwei Türmen flankirte Leitern waren, die man an die Mauern heranbrachte .

Die Angriffe der Römer mißlangen vollständig. Ihre Sturmkraft erlag der überlegenen hellenischen Technik der von Archimedes geleiteten Ver

teidigung ; sie haben hier zum ersten Male die Mittel der griechischen Polior ketik näher kennengelernt, deren Vorbedingung, die Beherrschung der technischen Wissenschaft, ihnen fremd war.

Die Sambyken, diese gedeckten Leitern, waren

anscheinend ihre einzigen von den Griechen übernommenen Kriegsmittel; als Archimedes ihre Angriffswaffe mit den Mitteln seiner Technik „ spielend )" zerbrach , war ihre Kunst zu Ende. Syrakus fiel schließlich durch die Schuld seiner Einwohner und einen nächtlichen Handstreich von der Landseite her. Wir sehen in diesen Vorgängen alle für die Korrespondenz

zwischen Marcellus und dem Athenaeus Maior gesuchten örtlichen und geschichtlichen Voraussetzungen erfüllt. Die äußeren Vorgänge stimmen aber nicht nur mit dem Inhalt überein , sondern auch mit dem Grund

ton , der durch den Athenaeusbrief durchklingt; das ist die belehrende Uber legenheit des griechischen Ingenieurs gegenüber einem von der wissenschaft lichen Literatur der Griechen noch wenig berührten Römer . Ich trage deswegen

keine Bedenken, die so lange angefochtene Hypothese des alten Lambecius für unsern neugewonnenen Athenaeus Maior als durchaus zutreffend anzuerkennen :

Athenaeus mechanicus war ein Zeitgenosse des Archimedes und der an geredete Marcellus war kein anderer als M. Claudius Marcellus, der Bezwinger von Syrakus. Ob Athenaeus Maior in weiterer Verbindung mit Marcellus gestanden

und ihm Konstruktionszeichnungen geliefert hat, darüber läßt sich auch nicht einmal eine Vermutung aussprechen . Wenn es wirklich zur Ausführung der 1) Livius, lib. XXIV, cap. XXXIII. 2) ’Ex twv IIohvßiov. Evpazovowy nodopzic . Wescher a. a. 0. , Seite 321 : Die von Polybius beschriebenen Sambyken wurden vom Schiff aus unmittelbar an die Mauer

gelehnt ; sie standen nicht senkrecht, sodaß der Übergang auf die Mauer dann durch eine Fallbrücke hergestellt werden mußte, wie bei Athenaeus angegeben . Im Übrigen hatten die Römer ibre Sambyken auf zusammengekuppelten Schiffen montirt, transpor tirten sie aber wie Athenaeus rät liegend und richteten sie erst bei Annäherung an die Mauer auf.

In den Türmen

die auch nichts als gedeckte Leitergänge waren

stiegen je 2 Mann schon vorher hinauf und suchten beim Anlehnen der Sambyke an die Mauer die Verteidiger in Schach zu halten . Die übrige Mannschaft sollte auf der Leiter unmittelbar vom Schiff aus folgen . 3) Livius lib. XXIV, Kap . XXXIV, 2 : „ Archimedes inventor ac machinator belli

corum tormentorum operumque, quibus ea, quae hostes ingenti mole agerent, ipse perlevi momento ludificaretur.“ Sackur , Literatur der Antike.

7

V. Abschnitt : Athenaeus Mechanicus.

98

Zeichnungen gekommen ist, so haben sie jedenfalls das gleiche Schicksal gehabt, wie die des Apollodorus : Sie sind verwendet und dann verloren ge gangen und die Denkschriften sind später einmal, vielleicht aus einem alten

Archive ans Tageslicht gekommen . Es liegt nahe, in einer archivalischen

Aufbewahrung dieser beiden gleichermaßen als Staatskorrespondenz zu be trachtenden Denkschriften den Grund ihrer Erhaltung zu suchen. Denn man muß sich fragen : wie war es möglich , daß diese reiche, dem Athenaeus noch

zur Verfügung stehende Literatur restlos und schon so frühzeitig verloren ging, während diese Epistel mit ihren verhältnismäßig wenigen und nur skizzenhaft gefaßten technischen Notizen erhalten blieb ?

Erst unter diesem Gesichtspunkt der überaus schnellen Vergänglichkeit der alten Literatur kann man den Sammeleifer Vitruv's verstehn und würdigen. Schon der Anonymus Byzantinus verfügte kaum über einen viel größeren

Kreis technischer Schriften des Altertums, als wir heute besitzen ; ja, er hatte weniger, denn der Vitruv hat ihm nicht vorgelegen.

Den Athenaeus hat

er benutzt und zum Teil wörtlich übernommen , aber er hat ihn nur in der ihm zukommenden Gestalt des Athenaeus Maior gekannt.

Im Anonymus findet man den größten Teil des zweiten Abschnitts unseres Athenaeus Maior wörtlich und mit ausdrücklicher Angabe der Quelle wieder ; aber vom Athenaeus des Paralleltextes ist nichts im Anonymus. Die einzigen Gegenstände, die dem Anonymus mit diesem gemeinsam sind, die Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz und die Notizen über die Türme

des Diades und des Charias, zeigen eine vom Vitruv und dementsprechend auch vom Paralleltext vollständig unabhängige Redaktion einer ähnlichen Quelle ' ). Der Anonymus hat vom Paralleltext keine Ahnung gehabt; er erwähnt

an nicht weniger als vier Stellen seiner sehr sorgfältig und systematisch ver faßten Poliorketik „ Schildkröten zum Grabenzuschütten ?)“ ; er sagt sogar an einer Stelle, daß sie vorn ein Schutzdach haben 3) und bestätigt dadurch auch in etwas unsere Rekonstruktion, die anscheinend eine typische war ; aber er gibt keinerlei Beschreibung von ihr. Der eifrige Anonymus, der sich sonst nicht die kleinste technische Variante entgehen und bei den Zimmerkonstruk tionen Apollodor's keinen Nagel unerwähnt läßt, hätte auf die Wiedergabe dieser Beschreibung verzichten sollen ?

Er bringt auch nichts von dem schönen entwicklungsgeschichtlichen Com pendium der Poliorketik aus dem ersten Abschnitt des Paralleltexts. Das hätte dem gelehrten Anonymus doch so gut gelegen ; auch darauf sollte er freiwillig verzichtet haben? Nein , er hat den Athenaeus des Parallel textes nie gesehn ! Er hat die Poliorketik Vitruv's nicht gekannt : Der Paralleltext des Athenaeus Mechanicus

das ist der Vitruv !!

1) Vgl. die Ausführungen in Abschn . VI, S. 106. 2) Anon . 199,12 209, 4 .

χωστρίς χελώνη. 259, 4 260, 6

3) Anon. 209, 4 : τας χωστρίδας δεί προσάγεσθαι χελωνας , υποτρόχους αυτας ούσας και έμπροσθεν καταστεγείς .

VI. ABSCHNITT.

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor,

Anonymus Byzantinus. „ itaque miseratione sortis iniquae captus agressus sum laboranti Vitruvii famae et scripturae, quantum quidem ingenio meo conpiti possem, opitulari. “ Gottlob Schneider. :)

Tir haben gesehn, wie sich alle inhaltlichen Merkmale und Beziehungen Wir bisher lückenlos zum gleichen Bilde zusammenfügten, und innerhalb dieses

Bildes ist es uns gelungen, die Persönlichkeit des Athenaeus Mechanicus Maior - wie wir ihn nannten mit scharfem Kontur zu umreißen. Dagegen ver mögen wir den Verfasser des Vitruvischen Paralleltextes – dem wir

folgerichtig den Namen Athenaeus Mechanicus Minor geben müssen in diesem Bilde noch nicht mit der gleichen Deutlichkeit zu erkennen .

Sein

Verhältnis zu Vitruv ist zwar, was den dritten und vierten Abschnitt der

Vitruvischen Poliorketik anbetrifft, bereits festgestellt. Es wird jetzt noch unsere Aufgabe sein, die gleiche Feststellung auch für die beiden ersten Ab

schnitte, die entwicklungsgeschichtliche Erzählung und die Poliorketik des Diades, zu machen.

Wir kehren deshalb zum Paralleltext zurück :

Die allgemeine Annahme war bisher seit Gottlob Schneider, daß auch diese beiden Abschnitte die ältere griechische Quelle unabhängig von einander ausschöpfen . Nun, unabhängig sind die beiden so ungleichen Autoren auch in diesem ersten Teil ja keinesfalls, insofern der Athenaeus Minor seinen Parallel text nach dem Text Vitruvs wenigstens angeordnet haben muß ; denn daß er das X. Buch Vitruvs vorliegen hatte und benutzte, hat sich schon gezeigt. Aber über die Frage, ob er für diesen geschichtlichen ersten Teil die Urquellen

Vitruvs besaß und benutzte, läßt sich noch streiten . Auch für die Frage, wie weit bei Vitruv die Redaktion dieses Textteiles geistiges Eigentum ist, oder ob er auch hier nur eine „ articula errabunda“ planmäßig angefügt hat, wird unsere Untersuchung von Wichtigkeit sein .

Im ersten sehr kurzen Abschnitt, der anekdotenhaften Entwicklungs geschichte von der Erfindung des Sturmbocks durch die Karthager, ist inhalt 1 ) Vitr. d . arch. libri X, praefatio pag. LXXIV. 3) Daß der Athenaeustext außer dem König Philipp noch den Tyrannen Dionysios als Förderer der Poliorketik nenpt, der bei Vitruv unerwähnt bleibt (Athen . 10,6 ) , scheint

mir für unsere Frage von keiner Bedeutung. 7*

VI. Abschnitt: Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

Fig 4 3 * 75 - 1/5

Fig 1

50

40

20

36 18

10

115

1155 121 röm fub

112

--13

Fig 2

W

21

-2.75 -1/5 --

16



32

Fig 5 30

LEHITRU

20

10

5

На röm Ellen

-—75 - 75

4-75 + 75 - + 75-

Fig 3 Abb . 49.

$

+

12

30

120

100

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

101

lich zwar engste Übereinstimmung Satz für Satz zu bemerken, aber ich wage hier kein Urteil über Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der beiden Texte von einander abzugeben. In Ermanglung von Beweisen muß man hier die Möglich keit einer gemeinsamen Quelle bestehenlassen und kann nur von der Wahr

scheinlichkeit einer Benutzung des Vitruv durch Athenaeus Minor sprechen ?) . Im Übrigen ist der Vitruvtext unversehrter, klarer und besser. Besonders die Sätze über den Geras sind im Athenaeus zusammenhanglos ). Aber nach diesem rein historischen Abschnitt ändert sich das Bild in dem mehr technischen der Poliorketik des Diades ganz wesentlich : Die Texte

(Vitruv 273, 19) beginnen sich hier im Allgemeinen wörtlich zu entsprechen, ja soweit das bei zwei verschiedenen Sprachen möglich, ist fast die Reihen folge der Worte die gleiche. Wo Abweichungen sind, hat das seine besondere Bewandtnis.

Z. B. gibt es gleich im zweiten Satz beim Athenaeus eine kleine Ab biegung des Sinnes, deren Bedeutung für die Stellungnahme zu unserer Frage nicht zu verkennen ist.

Ich stelle die Sätze nebeneinander:

Vitruv, pag. 273, 23:

Athenaeus, pag. 10, 12 :

non minus utebatur ariete subrotato , cuius

εχράτο δε και τα υποτρύχω κριώ . Γράφει γούν

rationes scriptas reliquit.

την κατασκευήν αυτού ούτως . Κριού κατασκευή

(Abbildung hierunter)

Der im Zusammenhang durchaus verständliche Relativsatz Vitruvs – es handelt sich hier zunächst nur um die Aufzählung der einzelnen Gegenstände, ist durch einen ganz falschen Hinweis

deren Beschreibung später erst folgt

Κρις κατασκευή..

n

W DUA SER Abb . 30 .

ersetzt, denn das darunter gezeigte Bild ist gar nicht der inórgoyos zqiós, sondern der sogenannte Mauerbohr, das genarov, dessen Beschreibung in Wirklich keit erst sehr viel später erfolgt.

Der ganze Zusammenhang ist mit derselben

Unbekümmertheit um den Text umgeworfen , die wir bereits bei dem Einschub verfahren des gleichen Verfassers bemerken konnten, wo es ihm nicht darauf 1) Die Sätze wären sogar unverständlich, wenn sie nicht durch den Vitruvtext

korrigirbar wären ; aber das ist möglicherweise nur durch schlechte Erhaltung des Textes verschuldet.

102 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus. ankam , einen ganzen Satz aus dem Zusammenhang zu reißen und an einer

beliebigen Stelle ohne Rücksicht auf den Gedankengang unterzubringen. Hier

zeigt sich die gleiche Flüchtigkeit der Arbeit: Er setzt seine Figur an der falschen Stelle ein und ändert der falsch verwendeten Figur zu Liebe un bedenklich den sonst wörtlich verwendeten Vitruvtext ab .

Es handelt sich bei diesem Bilde sicherlich nicht um Einschub , wobei zugleich der Text in so fehlerhafter Weise könnte ; die Figur , Abb . 50 '), ist ohne Zweifel echt , sie von allen byzantinischen Illustrationsfiguren verschieden und in

einen späteren verändert sein ist himmelweit ihrer technisch

klaren und maßstäblich richtigen Darstellung das beste Stück der einzig nur durch die Zeichnungen zum Paralleltext vertretenen Klasse von Bildern, die deutlich die Tradition technischer, also antiker, Zeichnungen verraten ). Diese Zeichnung kann der Athenaeus auch nur als loses Blatt in seiner Sammelmappe

gehabt und nicht etwa unmittelbar aus einer Quellenschrift übernommen haben; denn dann wäre ihm das grobe Versehen nicht untergelaufen, mit dem er den

ganzen Vitruvischen Text durcheinanderbringt. Die Unachtsamkeit des Athenaeus Minor darf uns im übrigen an der Disposition dieses zweiten Abschnittes nicht irremachen ; bisher war alles nur Aufzählung, die eigentliche Beschreibung der aufgezählten Gegenstände beginnt

jetzt erst und zwar der Aufzählung entsprechend mit den „ turres ambu latoriae“ , den transportablen Türmen . Ich setze auch hier die einzelnen Sätze nebeneinander und werde der Übersichtlichkeit wegen in den beiden Texten die sich gegenseitig nicht entsprechenden Worte und Sätze einklammern : Vitruv 273 , 25 :

Athen . 11 , 4 :

turrim autem minimam ait oportere fieri ( ne minus) altam cubitorum LX, latitudinem XVII, contracturam autem summam imae

θαι το ύψος πήχων ξ, το δε πλάτος έχοντα πή

partis quintam , arrectaria in turris imo

dodrantalia , in summo semipedalia

Τον μεν ουν πύργον τον ελάχιστον, φησί, γενέσ

χεις ιζ: συναγωγήν δε (του πλάτους) εις το άνω το πέμπτον μέρος • των δε σκελών του πύργου (τα πάχη) έχεις κάτωθεν μέν τριπάλαιστα , άνω θεν οκταδάκτυλα .

fieri autem ait oportere eam turrim tabu

'Εγένετο δε αυτώ ο τηλικούτος δεκάστεγος, πε

latorum decem , singulis partibus in ea

ριπτέρου ούσης εκάστης χώρας.

fenestratis

1) Dieses Bild gibt nur der codex F. ( Fragmenta Vindobonensia), eipe in Wien befindliche, sehr nachlässig auf Papier geschriebene Handschrift des XVI . Jahrh. Im

Minascodex (vgl. I. Abschn., S. 10), der die Überschrift xploù xatasxevỳ ebenfalls bringt, fehlt die Figur. Das kann aber die ersichtliche Echtheit des Bildes ebensowenig in Frage stellen, wie das bei den Bildern des im gleichen Jahrhundert geschriebenen codex des Anonymus in Bologna (vgl. Abschn. I, S. 12) der Fall ist, zumal der codex F. von Wescher sehr hochbewertet wird ; er behauptet von ihm, daß er aus derselben Quelle wie der Minas entsprungen sei (vgl. Wescher, S. XXX bis XXXII). Ich darf annehmen, daß die Zeichnung Rud. Schneider, Taf. I, 1 (Abb. 52), ebenfalls aus der

Wiener Handschrift stammt, da sie bei Schneider auf der gleichen Tafel abgebildet ist und die gleiche Struktur der papiernen Grundfläche zeigt. Leider ist hierüber keine

genaue Angabe vorhanden, überhaupt reicht der kritische Apparat weder bei Wescher noch bei Schneider aus, um über solche Fragen ein sicheres Urteil zu gewinnen. 2) Vgl. die Ausführungen in Abschn. IV, S. 67 und die Abb. 40 u. 41 .

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

103

Vitruv 273, 25 :

Athen. 11 , 4 :

maiorem vero turrim altam cubitorum CXX, latam cubitorum XXIII, contracturam item

“Ο δε μέγιστος αυτώ πύργος το μήκος ( είχε) πή χεις ρκ , το δε πλάτος (είχε ) πήχεις κγς • την δε συναγωγήν και ούτος το πέμπτον ελάμβανεν εις το άνω μέρος : τών δε σκελών τα πάχη ποδιαία κάτωθεν (τετράγωνα ) είς και δακτύλους (το πάν

quinta parte, arrectaria pedalia in imo, in summo semipedalia.

συναγόμενα ) επί τα άνω.

hanc magnitudinem turris faciebat tabulatorum XX , cum haberent singula tabulata circumitionem cubitorum ternum ,

“Ο δε τηλικούτος αυτώ πύργος εγένετο εικοσάσ τεγος, περιδρόμους εχούσης εκάστης στέγης κύκλο πλάτος η πηχών (εις την εκβοήθησιν των εμ πυρισμών ).

Vitr.:

Athen . 12 , 6:

(“Η δε πρώτη στέγη εχέτω το ύψος πήχεις ζς . η δε δευτέρα ε, και έως πέντε στεγών το αυτό ύψος λαμβανουσών • αι δ' επίλοιποι δ πηχών και β παλαιστών το ύψος εγίνοντο. Ομοίως δε .

vacat

και επί του ελάττονος πύργου ή διαίρεσις των

tegebat autem coriis crudis, (ut ab omni plaga essent tutae)

στεγών τον αυτόν λόγον ελάμβανεν.) 'Εβύρσουν δε αυτούς αργαϊς βύρσαις.

Soweit die Beschreibung der Türme : Die Texte entsprechen sich Wort für Wort, nur hat der Athenaeustext öfter ein erklärendes Wort zugesetzt, wie του πλάτους - τα πάχη – τετράγωνα - το πάν συναγόμενα - , die bei näherem Zusehn aber vollständig überflüssig sind und nicht gerade ein tiefes Ver ständnis verraten ; denn es handelt sich ja bei den Türmen um ein im Grundriß >

quadratisches Schema, und es kann gar kein Zweifel sein, daß alle Grundriß und Querschnittdimensionen sich immer auf zwei gleiche Quadratseiten beziehn. Dagegen ist die Ausführung über die Stockwerkshöhen, Athen . 12, 6, im 2

Vitruv überhaupt nicht vorhanden . Das ist bei der sonst wörtlichen Uber einstimmung der Texte auffallend : Aber die ganze Stelle verrät sich schon von weitem als ein Zusatz des Athenaeus zum Vitruvtext und zwar

wie bei

ihm immer – als ein sehr flüchtig gemachter; denn er fällt hier auf einmal mit seinem ,,εχέτω , ,,soll haben ganz aus der bisherigen Rolle der reinen Schilderung. Dieser Verdacht bestätigt sich , sobald wir uns die sehr eingehenden Ausführungen des Anonymus Byzantinus über die Türme des Diades und Charias

etwas näher ansehn : Der ganze Zusatz stammt aus dem Anonymus und der letzte Satz findet sich sogar wörtlich im Anonymustext vor ' ). Wir haben den Anonymus Byzantinus bereits in Abschnitt IV als Gewährs

mann für den Athenaeus des Paralleltextes, unsern Minor, kennen gelernt ; aber wir konnten da erst tastend vorgehn, wir konnten eigentlich mit Sicherheit nur

behaupten, daß er die gleiche Quelle wie der Anonymus verarbeitet hat. Hier werden wir Gelegenheit haben, das Verhältnis der beiden Autoren zu einander

restlos klar zu stellen ; wir brauchen nur die entdeckte Spur weiter zu ver folgen.

Aber Geduld, wir müssen zunächst noch unsere Textvergleichung fort

setzen ; denn jetzt kommt erst die Beschreibung der in der einleitenden Auf zählung bereits genannten „ testudo arietaria " : 1) Anonymus, 244 ,3-11.

104 VI. Abschnitt: Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus. Athen . 12 , 12:

Vitruv 274, 9 :

tertudinis arietariae comparatio eadem

Της δε χελώνης της τον κριον φερούσης ή έρ

ratione perficiebatur.

γασία

habuerat autem intervallum cubitorum XXX, altitudinem praeter fastigium XVI1), fastigii

[ Η δε μεγίστη ) ελάμβανε το διάστημα του πλά

autem altitudo ab strato ad summum cubita

( VII) XVI ).

και η αύτη ( μικρής τε και μεγάλης ).

τους πήχεις λ, (το δε μήκος πήχεις μ), το δε ύψος χωρίς της αετώσεως (της εφισταμένης ύστερον ) πήχεις ιγ, της δε άετώσεως αυτής το ύψος από του καταστρώματος επί το οξύτατον πήχεις 1ς.

exibat autem in altum et supra medium

tectum fastigium non minus cubita duo,

et supra extollebatur turricula quattuor 3) ta bulatorum, in qua tabulato summo statue bantur scorpiones et catapultae, inferioribus congerebatur aquae (magna multitudo ad extinguendum si qua vis ignis inmitteretur).

constituebatur autem in ea ſarietaria ma china, quae graece dicitur] 2010 $ óxn, in qua conlocabatur torus [perfectus in torno) , in quo insuper constitutus aries rudentium et

reductionibus

'Εξερε δ'εκ μέσης της στέγης πυργίου τρίστε γον 3) , και εις μεν τας άνω στέγας ετίθει κα ταπάλτας, εις δε την κάτω ύδατος παράθεση εποιειτο.

[ Εγίνοντο δε αυτή τη χελώνη ορθοστάται κύκλο περίδρομον εχούσι ).

vacat

ductionibus

υπερέβαλλε δε την μίση στέγης ο άετος του λάχιστον πήχεις β, (παρακαταβαίνων την επι στέγην έως τών επ' αυτώ δοκών, όπως η περί δρομος έγκυκλος).

“Ιστα δε και κριοδόχη" εν αυτή, εφ ' ής και τον

κύλινδρον επετίθει, δι 'ου προωθούμενος και κριός δι αντισπάστων ενήργει την χρείαν.

efficiebat

(magnos] operis effectus. tegebatur autem is coriis crudis quemad-

Εύρσουν δε και ταύτην ομοίως τους πύργοις.

modum turris .

Ich will mich zuerst nur mit dem Vitruvtext beschäftigen : Vitruv be

schreibt nichts als ein Querschnitt - Schema und alle Angaben halten sich folgerichtig innerhalb dieses Programms. Zur Herstellung dieses Schema's bedarf es keines der von Athenaeus gemachten Zusätze ; sie sind zum Teil bedeutungslose kommentirende Bemerkungen gegenüber den knappen Angaben

des Vitruvischen Textes, zum Teil verraten sie nur zu deutlich, daß der Be arbeiter nicht ganz ,,im Bilde ist“ , zum mindesten die Absicht Vitruvs im Grunde genommen nicht verstanden hat. 1) Die von cod. G. und H. angegebene Ziffer. 2) Die Ziffer VII des Textes ist zweifellos falsch und muß nach dem Paralleltext in XVI verwandelt werden. Der Paralleltext hat hier die richtigere Zitler bewahrt. 3 ) Hier ist, wenn man nicht bei dem einen oder andern Text einen Schreibfehler

annehmen will, eine sachliche Verschiedenheit.

Der Vitruvtext hat einen Turm von

4, der Athenaeus von 3 Böden . Aber diese Abweichung ist weder für das System noch für die Konstruktion von irgendwelcher Bedeutung, sodaß die Frage auch gar nicht zu entscheiden ist, welche Lesart nun die rechte ist. Irgend welche Schlüsse lassen sich

daraus nicht machen ; denn da ein Maß für die Gesamthöhe nicht angegeben ist, so ändert sich an dem grundlegenden Schema nichts, ob mehr oder weniger Stockwerke genommen werden .

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

105

Das Schema (Fig. 5, Abb. 49) ist wiederum ein Proportionsschema , das durch Anwendung des Winkels d . h . des Winkelmaßes - entsteht. Ein solches Winkelschema liegt darüber ist für mich kein Zweifel all diesen Konstruktionen zu Grunde, die uns Vitruv aus der alexandrinischen Technik überliefert.

Alle Entwurfsarbeit beruht bei Vitruv - und damit

basirt er gerade auf den Kategorien der griechischen Kunst auf der Aufstellung solcher „ rationes symmetriarum “ 1). Aber es ist nicht nur diese in seiner persönlichen Anschauung begründete Tatsache, die uns hier immer wieder zum Winkelschema führt , sondern dieses Schema ergibt sich auch aus rein praktischen Rücksichten als eine Forderung zur Vereinfachung der zimmer technischen Ausführung der beschriebenen Konstruktionen.

Auch heute schneidet kein Zimmermann nur ein Kopfband anders als nach dem ,,Winkel" zu

wenn es nicht aus besonderen Gründen von ihm

anders verlangt wird ; und wenn er sich den Werksatz zu einem Dach er leichtern will, so macht er ein sogenanntes „ Winkeldach “ . Er hat dann alle Verbindungen, Klauen oder Zapfen , nur nach einem Winkel - nämlich von 150 – zu schneiden . Auch für Diades muß bei der Aufstellung der proportiones machinarum dieser Gesichtspunkt in gleicher Weise maßgebend gewesen sein , zumal diese Bauwerke leicht auseinandergenommen

werden sollten.

und

zusammengesetzt

Der Fachmann Vitruv gibt den Diades richtig wieder; er

weiß, daß es sich um Proportionsschemata bandelt und weist darauf auch hin . Der Athenaeus Minor legt einen andern Sinn unter.

Bezeichnend dafür ist gleich der erste Satz über die ,,testudo arietaria “, 274,9 : „ Das Proportionssystem der Widderschildkröte wurde nach dem gleichen Verfahren durchgeführt“ ?) nämlich wie die vorbeschriebenen Türme. Athenaeus hat zwar fast den gleichen Wortlaut, aber wiederum eine Abbiegung des Sinnes; er hat den Hinweis auf das vorhergehende Schema

nicht verstanden und setzt deswegen zu dem ☺ avun : „ zos vɛ zaì usycíhns“. Er sagt also durch diesen Zusatz trotz des sonst gleichen Wortlautes etwas ganz anderes: ,,Die Herstellung der Widderschildkröte ist die gleiche – sowohl bei

der kleinen wie bei der großen “. Aber es gibt gar keine kleine und große 1) Auf die Kategorien des architektonischen Entwerfens bei Vitruv kann ich hier

nicht näher eingehn . Aber ich verweise für die Proportionsschemata mit Hülfe des Winkelmaßes auf das Werk : „Gesetzmäßigkeit der griech . Baukunst“, Erster Teil, Das

Theseion in Athen , von Robert Reinhardt, Stuttgart, 1903. 2) Ich vermag comparatio hier nicht anders zu übersetzen als Proportionssystem .

Comparatio bedeutet bei Vitruv niemals „ Zurüstung “ , sondern immer das richtige Ver hältnis “ oder noch besser das „ System “ . Auch in dem Satz pag . 275, 18 : „ Quae sunt

ab Diade de machinis scripta, quibus sint comparationibus exposui“ wäre es gedankenlos, das Wort etwa mit „ Zubereitung “ zu übersetzen , denn es wird über die Zubereitung oder Konstruktion ja so gut wie gar nichts gesagt, wohl aber über die Systeme. Am bezeichnendsten für den Begriff: pag. 11 , 16 : „ Ordinatio est modica membrorum operis

commoditas separatim universaeque proportionis ad symmetriam comparatio. Bezeichnend für den Begriff auch pag. 106, 11 : Non minus summam dignitatem et

venustatem possunt habere comparationes basilicarum etc., wo das Wort etwa dem deutschen : , Entwurfsfassung " entspricht.

Das von Athenaeus gebrauchte Wort gyaoia entspricht wohl nicht ganz dem Sinn der , comparatio“, sondern dem besonderen Sinn, den Athenaeus dem Satze gibt.

106 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

Schildkröte : Weder vorher noch nachher ist davon die Rede ; es ist das gewisser maßen eine Konjektur ?) von ihm, die er nach dem Beispiel des kleinen und großen Turmes vorschlägt, weil die Angabe Vitruvs ihm einfach unverständlich ist. Denn er kann diesen Satz des Vitruvtextes gar nicht recht verstanden

haben ; und zwar deswegen nicht, weil er die „ ratio proportionum “, das System der Diadestürme , nicht verstanden hat : Das ergibt sich mit untrüglicher Sicherheit aus der von ihm eingeschobenen Notiz über die Stock werkshöhen, Athen. 12, 6, deren Entnahme aus dem Anonymus wir schon an gedeutet haben .

Denn daß er die ganze Notiz unmittelbar aus dem Anonymus entnommen hat, darauf weist schon die wörtliche Übereinstimmung des letzten Satzes hin : „ Ebenso zeigt auch beim kleinen Turm die Stockwerksteilung das gleiche Zahlenverhältnis “ . Aber die Entnahme und Verwertung dieser Stelle beweist

auch sein mangelndes Verständnis für das Turmschema : Denn die ganze Zahlenangabe dieser Notiz gründet sich auf einer falschen Auf fassung seines Gewährsmannes, des Anonymus. Der Anonymus Byzantinus ist ein sehr gewissenhafter Arbeiter von unserm Athenaeus Minor kann man das nicht behaupten -, aber ein eigent lich technisches Denken, wie es uns bei Vitruv überall entgegentritt, dürfen wir bei ihm nicht erwarten : Wir haben uns über ihn schon einmal geärgert, weil er in seinem Werk durch seine ganz überflüssige Rechnung die klare Beschreibung des Apollodorus von seinem Turme in Verwirrung brachte : Von

der falschen Vorstellung befangen, daß sich das bei Diades für die Verjüngung der Türme angegebene Maß auf die Grundfläche beziehe statt auf die Breite, schulmeisterte er damals den Apollodorus, indem er auf Grund dieser Flächen verjüngung ein natürlich ganz verkehrtes Exempel für einen Apollodorusturm durchführt ).

Trotz dieser unleugbaren Pedanterie und dem erkennbaren Mangel an

Vorstellungsgabe für technische Dinge muß man seinem Bemühn Anerkennung zollen, den Stoff systematisch anzuordnen und zu erschöpfen. Daher möchte er auch die Diadestürme – das einzige, was er von dessen Poliorketik bringt in eine innere Beziehung mit dem Apollodorusturm setzen, indem er einen inneren Zusammenhang zwischen beiden herzustellen versucht. Auf diese Weise bekommen wir über die Türme des Diades genauere Angaben und be

sonders viel Zahlenangaben, die uns zum Verständnis der knappen Schilderung Vitruvs sehr nützlich sein werden. Eine Beziehung zu Vitruv ist bei ihm

zweifellos nicht vorhanden ; er muß also auch eine ähnliche alte Quelle wie Vitruv gehabt haben , aller Wahrscheinlichkeit nach – wie wir nachher sehen werden – sogar eine Zeichnung . Aber er geht durchaus von einer falschen Grundanschauung aus, denn die Behauptung mit der Flächenverjüngung wäre an sich schon unglaubwürdig, -

1) Es ist bezeichnend, daß Athenaeus dann auch wirklich fortfährt: „, dè peyiorn “ ;

er setzt das dem Vitruvtext zu, sodaß sich nun das folgende auf die von ihm interpolirte Aber hinterher sagt er kein Wort von der „kleinen“ ; natürlich nicht, denn im Vitruvtext fand er ja nichts derartiges.

„ größte “ Schildkröte bezieht.

2) Vgl. Abschn. II, S. 34, Anm. 1 .

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

107

selbst wenn sie durch Vitruv und Apollodorus nicht widerlegt würde. Ein Techniker konnte so etwas nicht behaupten , und kein Fachmann konnte so etwas

glauben! Das wäre gerade so, als wenn Vitruv die vielen Verjüngungen seiner Säulen nach Bruchteilen des Querschnitt- Inhalts der Säulen hätte angeben wollen, damit man für jede Proportion Gelegenheit gehabt hätte, eine Wurzel rechnung vorzunehmen. Der gelehrte Anonymus tut sich noch etwas darauf zu gute, diese Operation seinen Schülern zu zeigen. Contractura ist bei Vitruv immer das lineare Maß der Verjüngung, wie es anschaulich bei der Aufriß figur in Erscheinung tritt. Der Anonymus betrachtet dagegen seinen capriciösen Gedanken als die Höhe aller Rechenkunst. Im übrigen bekommt er – um das noch beiläufig zu sagen - bei dem gefährlichen Exempel kaum ein nur

annähernd richtiges Resultat, und das ist bei den geringen Hülfsmitteln antiker Rechenkunst kein Wunder.

Für die Unmöglichkeit seiner Methode liefert er

schon damit selbst den Beweis .

Aber abgesehn von der grundsätzlichen Unrichtigkeit seiner Anschauung,

hat der Anonymus auch seine Quellen gänzlich mißverstanden. Apollodorus erhält die Verjüngung bei seinem Turm auf die einzige Art, die für die praktische Ausführung überhaupt in Frage kommen kann ; er gibt die Maße dort an, wo sie vom Zimmermann abgeschrieben werden müssen, und ver langt von ihm nicht die Durchführung einer Rechnung, die für die Antike in das Gebiet der höheren Mathematik gehörte. Ohne jede Mathematik braucht sein Zimmermann jedes Rahmholz nur um 1 Fuß kürzer zu machen als das nächst untere. Die Verjüngung des Turmes ist dabei eine sehr bedeutende ( Abschn. II u . Abb. 5). Vitruv gibt nun in seinen kurzen Notizen über die Türme des Diades freilich keine Instruktion, sondern nur die Zahlen eines Schemas. Diese Haupt zahlen beziehen sich auf die untere Seitenlänge, die Verjüngung oder, was dasselbe ist, den Unterschied der obersten und untersten Seitenlänge, die Höhe

des ganzen Bauwerks und die Anzahl der Stockwerke. Diese Angaben genügen aber nicht, um uns den eben auch von Athenaeus nicht verstandenen Satz verständlich zu machen, daß „ nach dem gleichen Verfahren auch das Proportionssystem der Widderschildkröte durchgeführt wurde " . Denn aus diesen Angaben des Vitruvtextes ergibt sich doch noch gar kein allgemein anwendbares Verfahren, kein Proportionssystem ! Hier hilft uns die Gewissenhaftigkeit, mit der unser fleißiger Anonymus seine Quelle ausschöpft, aus der Verlegenheit: Aus seinen Angaben geht

nämlich hervor, daß sich auch die Stockwerkshöhen nach oben pro portional den Breiten verjüngen '), und daß der größere und der kleinere Turm „ xat’åvahoviav “, d. h . nach einem gleichen Verhältnis gemacht wurden . Jetzt wissen wir , was Vitruv mit der Anwendung des gleichen Verfahrens auf die verschiedenen Gegenstände der Diades'schen Poliorketik gemeint hat; denn aus dieser Angabe des Anonymus ergibt sich mit Gewißheit die An

wendung des „ Winkelschema's". Nur dieses Schema - vgl . Fig. 3 u . 4 auf 1) Anon. 239, 5 : ,, Και μείζονας τε και ελάσσονας κατ' αναλογίαν κατεσκευαζον, επι τας τρείς

διαστάσεις τα ξύλα αυξάνοντες ή μειoύντες , τουτέστι κατά το μήκος πλάτος τε και πάχος• ωσαύτως δε και τας των στεγών διαιρέσεις προς την του ύψους κατεμέριζον συμμετρίαν .

108 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

Abb . 49 - erfüllt diese Bedingungen : Man braucht nur nach Auftragung der das sind ja die gegebenen unteren und oberen Seitenlänge und der Höhe Stücke - mit dem Winkelmaß unten beginnend fortlaufend die Diagonallinien

einzutragen, so ergibt sich eine proportional nach oben abnehmende Stockwerksteilung.

Das

Winkelschema" ist für Vitruv überhaupt das

architektonische Proportionsschema an sich, und ich glaube, daß er aus diesem Grunde hierüber keine Worte verliert.

Ich bin aber deswegen auch über

zeugt, daß er unter der Anwendung der gleichen „ ratio “ für Türme und Schildkröte sogar die Anwendung des Schemas auf die gleiche Grund

einheit versteht. Auch Anonymus sagt das für die Türme ja mit seinem και κατ' αναλογίαν . Damit ist uns jetzt auch die Möglichkeit gegeben, die in den Handschriften überlieferten Zahlen zu prüfen , die ja immer das unsicherste Element in der ganzen Textüberlieferung bilden . Denn selbstverständlich muß das Verhältnis der Grundlinie, Verjüngung und Höhe, so sein , daß das Winkelschema nach der gegebenen Anzahl der Stockwerke durchgeführt in der gegebenen Grund figur aufgeht. Und die zweite Bedingung ist, daß beide Türme und sogar die Schildkröte auf eine Grundeinheit zurückgeführt werden können.

Diese Bedingungen sind mit den angegebenen Seitenlängen für die Türme von XVII und XXIII Ellen nicht genau zu erfüllen, wohl aber, wenn wir

statt XVII = XV ( 15 ) Ellen und statt XXIII = XXIS ( 2.21/2) Ellen setzen : Die Grundeinheit ist dabei 7/2 Ellen und diese Grundeinheit wird wie wir später sehen werden – auch im Anonymus genannt. Diese Einheit bildet die Grundlinie der beiden Schemata Fig. 3 u. 4 auf Abb. 49. Wir wollen nachweisen, daß bei Verwendung dieser Grundzahl die Rechnung aufgeht, und geschlossene Figuren entstehn : Zunächst ergibt sich für den kleinen Turm eine untere Seitenlänge von

2 x 7,5 Ellen = 15 Ellen , eine Höhe von 8 x 7,5 = 60 Ellen, für den großen 3 x 7,5 = 22,5 Ellen , eine Höhe von 16 x 7,5 = 120 Ellen . Schema des kleinen Turmes, Fig. 3 ( Abb. 49). 7.50 Ellen .

Grundlinie 1

Verjüngung 7,50 = 1,5 Ellen = 36 Zoll. Verjüngung bei jeder der 9 Böden oberhalb der Grundlinie > Zoll = 44 Zoll . Gesamthöhe der 9 Stockwerke, wenn die Höhe in jedem Stockwerk 5

36

gleich der Seitenlänge ist :

9. 7,5 Ellen – 4. ( 1 + 2 + 3 + ... 9) Zoll = 67,5 Ellen

180

67,5

7,5

= 60 Ellen .

Schema des großen Turmes, Fig. 4 ( Abb. 49). Grundlinie, wie vor = 7,50 Ellen . 2,25 Ellen Verjüngung 3. 5 7,5 2 1

54 Zoll . 54

Verjüngung der 19 Böden oberhalb der Grundlinie : = 2,84 Zoll. 19

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

109

Gesamthöhe der 19' Stockwerke, wenn die Höhe in jedem Stockwerk gleich der Seitenlänge ist : 19. 7,5 Ellen – 2,84 •. ( 1 + 2 + 3 + ... 19 ) Zoll 142,5 – 2,84 · 190 Zoll = rd. 120 Ellen . 22,48 Ellen 112,5 >

Schema der Schildkröte, Fig. 5 ( Abb. 19). Das gezeichnete Schema gründet sich zunächst auf die Zahl XVI, die im Text für die Wandhöhe angegeben ist ; das zwang dazu, die im Text für die Breite angegebene Zahl XXX in XXXII abzuändern . Ich glaube aber, daß

der viel angezogene Hinweis : „ testudinis arietariae comparatio eadem ratione perficiebatur" den Beweis liefert, daß gerade die für die Breite im Text an

gegebene Ziffer XXX = + x 7,5 Ellen die richtig bewahrte Zahl ist , und daß die beiden Höhenzahlen XVII in XV = 2 x 7,5 verbessert werden müssen .

Damit erhalten wir erst dem Gedankengang des Textes wirklich entsprechende Systeme.

Die Frage liegt nahe: Was hat dem Anonymus eigentlich Veranlassung zu dem wunderlichen Gedanken gegeben, das angegebene Verjüngungsmaß von 1/5 auf die Flächen zu beziehn ? Das reine Vergnügen am Quadratwurzelziehn kann es doch nicht gewesen sein ! Den Grund habe ich vorher schon angedeutet : Der ge lehrte Pedant macht aus den beiden überlieferten Bauformen , der des Diades und der des Apollodorus, die in Wirklichkeit von einander ganz unabhängig sind, ein Turmproblem ; er will nachweisen, daß beide Formen auf dem gleichen System

beruhr . Zu diesem Zweck rechnet er einen Apollodorusturm von 10 Böden nach, der eine untere Seitenlänge von 16 Fuß hat: Der untere Boden hat danach 256 Fuß, davon 1/5 ergeben für ihn einen obersten Boden von 236 O Fuß 5

511); Fuß . Daraus die Quadratwurzel v 511/s, die er ungenau mit 74/6 berechnet, gibt ihm die Seitenlänge des obersten Bodens.

Er macht bei seinem Exempel, wie wir sehn, also einen zweiten Seiten sprung: Er berechnet für die Verjüngung gar nicht einmal die Differenz der beiden Bodenflächen , obwohl unter dem Begriff der Verjüngung gar nichts anderes verstanden werden kann und auch in allen Texten nichts anderes

verstanden wird.

Er müßte also die 51/2

Fuß in Wirklichkeit von den

256 Fuß abziehn , um die obere Bodenfläche zu erhalten ; aber dann hätte er seine Berechnung natürlich niemals mit der Konstruktion des Apollodorus in Einklang bringen können .

Mit diesem doppelten Irrtum, der seine ganze Rechnung in Wahrheit zu einer Spielerei macht, hat er nun den Erfolg, daß sie zufällig für den Apollodorus turm mit 10 Böden wenigstens annähernd stimmt.

Denn da der Turm , wie

wir wissen, mit jedem Boden um 1 Fuß abnimmt, und der unterste Boden 16 Fuß Seitenlänge hat, so beträgt die Seitenlänge des obersten Bodens

16 – 9 = 7 Fuß ; dieses Resultat macht den Anonymus offenbar sehr glücklich : Er glaubt dem Apollodorus jetzt die fünftel Verjüngung (!) nachgewiesen zu haben, obwohl „ dieser sie nicht ausdrücklich bemerkt habe“ und auch die „ Höhe der Stockwerke nicht angegeben habe“ (!) .

110 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

Hier sehn wir ihn einmal richtig bei der Arbeit, den gelehrten Anonymus, sorgfältig und fleißig, aber ohne wirkliches Verständnis für technische Dinge !

Er ahnt gar nicht, welche Verwirrung er jetzt angerichtet hat ; denn ich brauche

ja kaum darauf hinzuweisen, daß seine Angaben über die Diadestürme, die wir aus der Notiz des Athenaeus kennen, zu seiner Rechnung in unlösbarem

Widerspruch stehn und im übrigen nur beweisen, daß er auch hier das wesent liche so recht nicht verstanden hat. Ich setze den Wortlaut der beiden Texte für diese uns besonders inter

essirende Stelle hierunter zum Vergleich nebeneinander : Anon . 244 , 3-11 :

Athen. 12, 6–10 :

Τας δε των στεγών διαιρέσεις και τα προς ύψος

“Η δε πρώτη στέγη εχέτω το ύψος πήχεις ζs ( 7,5 ).

αναστήματα οι μεν περί Διάδη και Χαρίας: προς πήχεις αριθμούντες την εκ της κάτωθεν βάσεως πρώτη στέγην πηχών προς ύψος ετίθουν

αυτό έψος λαμβανουσών • αι δ'επίλοιποι δ (4). πηχών και Β ( 2 ) παλαιστών (413) το ύψος εγί

η δε δευτέρα ε ( 5 ), και έως πέντε στεγών το .

Ομοίως δε και επί του ελάτ

ζ και δακτύλων ιβ. (7,5) τας δ'ανωτέρας πέντε

TOYτο .

ανά πηχών ε ( 5 ) μόνον • τας δ'υπολειπομένας ανά τεσσάρων και τρίτου, (413) τό τε σύμπαχον

τονος πύργου ή διαίρεσις των στεγών τον αυτον λόγον ελάμβανεν .

του καταστρώματος των στεγών και το κάτωθεν του εσχαρίου συν τω άνωθεν αετώματι τω

ύψει συνηρίθμουν. Ομοίως δε και επί του ελάσσονος πύργου ή διαίρεσις των στε γών τον αυτον λόγον (προς ύψος ] ελάμ βα 'εν.

Die Angaben, die Anonymus macht, sind ohne weiteres nicht verständlich : Nur die erste Angabe ; daß die erste aus der Basis sich ergebende Seiten

länge von 7 '/2 Ellen zur Höhe genommen wird , erklärt sich aus unserm Schema Fig. 3 u. 4 auf Bl. 49, und spricht zugleich für dessen Richtig keit. Die nächsten „ fünf“ werden nur „ zu 5 Ellen “ genommen, und „ die übrigen zu 4 /3 " . - Diese Höhen nach Angabe auf einander gesetzt, ergeben

nun nicht einen Turm von 120 Ellen, sondern nur etwa von 100 Ellen : 5X7,5 = 37,5 5Χ5

= 25,0

9X4,3 = 38,7 101,2 Ellen.

Aber der nächste Satz, ,, Die Gesamtdicke der Balken der Stockwerke und des Unterbodens samt dem Boden oben rechneten sie der Höhe zu “, bringt die Lösung. Denn wenn ich für die hier – wenn wir ihn richtig verstehn ender Balken (des Längs- und Quer lieg nder eina er en alt zwei über Deck in Gest

balkens ) 1 Elle als Stärke rechne, so wird das Exempel richtig : 5 x 8,5 = 42,5 5Χ6,0 = 30,0

9 x 5,3 = 47,7 Gesamthöhe = 120,2 Ellen..

Mit andern Worten : Die angeführten Höhenzahlen 7,5 Ellen , 5 Ellen und 4/2 Ellen sollen lichte Maße vorstellen und als solche sind sie nicht ganz

falsch : Das oberste Geschoß unseres großen Turmes hat, wenn wir ein Rahm

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

111

holz von 1 Fuß Stärke abziehn, nach rechnerischer Feststellung 4 '/, Ellen, das zehnte Geschoß hat 5 Ellen und 14 Zoll, das fünfzehnte 4 Ellen und 23 Zoll.

Aber trotzdem ist die Sache an sich doch gänzlich unglaubwürdig. Welchen Sinn soll denn die gruppenweise Zusammenfassung der Stockwerkshöhen gehabt haben? Und welches System soll ihr denn zu Grunde liegen ? nicht einmal die Fünfteilung für die Gruppirung entspricht einem durchdachten Schema, denn den 20 Böden (oréyai, tabulata ) entspricht doch für die Stockwerke die Ferner hätten die Turmkanten, da die Seitenlängen der Böden

Zahl 19 !

proportional abnahmen, bei dieser Ausgleichung der Höhen nach drei Gruppen, ja keine geraden Linien mehr gegeben, sondern geknickte ! Schließlich ist es doch für die Praxis sinnlos, die Verjüngungen anders als durch Abstiche an

zugeben, wie es Apollodorus auch tut. Der Abstich für jedes Holz würde beim großen Turm für die Höhen wie für die Längen 2,8, also rund 3 Zoll, beim

kleinen genau 4 Zoll betragen . Was für ein bequemes Verfahren ! Weswegen also diese willkürliche Abweichung von einem so einfachen und für den Bedarf übersichtlichen System ? Ja, wenn der Anonymus noch erklären würde , man könne sich die pro

portionale Verjüngung der Geschoßhöhen sparen und, wie Apollodorus, gleiche Höhen machen !

Aber in Wirklichkeit schafft er sich mit seiner gruppenweisen

Zusammenfassung ja auch wieder eine Proportion ! Aber welche ? Wie in aller Welt kommt der Anonymus überhaupt zu diesen Zahlen ?

Die können ja nur aus dem Proportionssystem unseres

Schemas stammen !!

Nach der von ihm so eifrig vorgeführten Methode seiner quadratischen

Verjüngung kann er unmöglich auf diese Zahlen kommen : Eine quadratische Verjüngung drückt sich durch einen so geringen Längenunterschied der Hölzer aus, daß die oberste Höhe nicht viel mehr als 1 Elle größer als die unterste

wäre. Oder wenn man nach seinem Exempel dem obersten Boden den fünften Teil der untersten gibt, so zeigt die Proportion wiederum viel größere Höhen unterschiede, ja unmögliche; denn die obersten Stockwerkshöhen werden so gering, daß sie keine Kopfhöhe mehr haben . Meine Erklärung fußt ganz auf der Eigenart und Arbeitsmethode des so achtbaren, aber in technischen Fragen leider meist erfolglosen Gelehrten : Der

Anonymus schreibt niemals fremde Quellen gedankenlos oder gar flüchtig nach ; er ist immer sorgfältig und wir müssen das auch hier voraus setzen :

Der Anonymus muß seine Angaben aus einer zeichnerischen

Unterlage entnommen haben , der das richtige Proportionalschema

zu Grunde lag. Da er nun in die proportionale Verjüngung der Höhen kein System bringen konnte -- der Leser kann sich mit dem Zirkel an den Figuren 3 u. 4 ( Bl . 49) überzeugen, daß das bei maßstäblich kleinen Zeichnungen durch Abstechen allein unmöglich ist - , so hat er unten, in

der Mitte und oben ein Maß mit dem Zirkel herausgestochen , so genau ihm das eben mit diesem Hülfsmittel möglich war. Nur auf diese Weise vermag ich mir die in seinem Text auf einmal auftauchenden

Zahlen des richtigen Proportionsschemas der Diadestürme zu erklären .

112 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus. Was für uns aber die Hauptfrage bedeutet, für die richtige Einschätzung des Athenaeus Minor erhalten wir hier eine sichere Grundlage: Wir haben uns

bei der Beurteilung seines Verhältnisses zum Anonymus sehr große Zurück haltung auferlegt, obwohl die verschiedensten Indizien den deutlichen Hinweis

gaben, daß er sich des Anonymus unmittelbar als Gewährsmannes bedient hat.

Hier verdichtet sich der Verdacht zum Beweise.

Diese Notiz , pag. 12,

6-10 , über die Stockwerkshöhen der Diadestürme kann er nur aus dem Anonymustext selbst unmittelbar genommen und in den Vitruv text eingeschoben haben. Sie ist in diesem Text vollständig zusammen hanglos und absolut unverständlich und für seine Flüchtigkeit spricht auch, daß er das Wesentliche vergessen hat, nämlich den Zusatz, daß es sich um lichte Maße handelt .

Der weitere Textvergleich, den wir jetzt fortsetzen wollen , entspricht dem Bilde vollständig, das wir fortlaufend vom Athenaeus Minor gewonnen haben : Vitruvs Angaben über das Querschnittschema der Widderschildkröte sind wört

lich , wenn ich die Zahlen nach dem Schema verbessere : „ Sie hatte eine Weite von 30 Ellen Zusatz des Athenaeus: „ Eine Länge von 40 Ellen“ eine Höhe außer dem Dach – Zusatz des Athenaeus: „ das später aufgesetzt wird “" — von 15 Ellen ; die Höhe von der Dachgrundfläche bis zum First beträgt 15 Ellen . “

Von den Zusätzen des Athenaeus ist der erste betr. der 10 Ellen Länge

unglaubhaft; das Maß ist aus der nächsten Schilderung hierher verschoben, die den Mauerbohr behandelt, da fehlt diese Angabe nämlich bei ihm, obwohl sie dort nötiger ist : denn da handelt es sich um die Beschreibung einer

Draufsicht, hier aber um einen Querschnitt. Es hängt das ohne Zweifel mit der ja schon festgestellten Tatsache zusammen , daß Athenaeus den Mauerbohr Der zweite Zusatz „ das später aufgesetzt wird “ richtet sich durch seine Überflüssigkeit selbst.

mit dem Widder verwechselt.

Weiter : „ Über dem mittleren Dachteil stieg die Schrägfläche nicht weniger als 2 Ellen in die Höhe l ) und darüber erhob sich ein kleiner Turm

1 ) Der Athenaeustext gibt nur die wörtliche Übersetzung, aber bringt noch den Zusatz : ,,παρακαταβαίνων την επιστέγην έως τών επ ' αυτώ δοκών , όπως η περίδρομος έγκυκλος. " „ Der Giebel ( o četos fastigium - ) , a e b bezw. dfc Abb. 51 , läuft mit seiner Schalung also in Höhe e bezw.f- liegenden Balken, wo ringsum Umgang bis zu den über ihm ist. “ Rudolf Schneider übersetzt folgenden rätselhaften Satz : „ In der Mitte hob sich aber der Dachstuhl noch mindestens 2 Ellen höher und lief an den Seiten über die

Dachschalung hin bis zu den Giebelbalken , um ringsum eine Galerie zu bilden .“ Uff ! Was sich jemand unter einem „ über die Dachschalung hinlaufenden Dachstuhl “ denken

soll, das ist mir bei dieser Übersetzung dunkel geblieben . Aber soweit ist sie harmlos, weil sie nämlich gar keinen Sinn gibt; dagegen ist der Ausdruck Galerie für nepidpouos

höchst unglücklich gewählt. Bei Choisy hat offenbar gerade dieses griechische Wort

ganz phantastische Vorstellungen ausgelöst, ich habe sonst keine Erklärung für seine auf Möbelrolien fahrende Ritterburg , der er wahrhaftig einen ausgekragten Wehrgang angeklebt hat. Wo in aller Welt ist solch eine umständliche und für den Zweck un geeignete Konstruktion beschrieben ?

Überall, wo der Ausdruck pidpouos vorkommt, ist er die Übersetzung von cir cumitio : pag. 13, 9 : qñ yehwun zúzłw nepidoquov eyovon : „ Die Schildkröte, die freien Um

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

von 4 Böden.

113

Auf diesem wurden in Höhe der obersten Plattform Skor

pione und Katapulte aufgebaut, im unteren Teil wurde eine große Menge Wasser zum Löschen bereit gestellt, falls irgendwo Brandschaden an

gerichtet würde. Ferner wurde die im Griechischen „ Xp10dóXn “ genannte Maschine eingebaut, in die ein abgedrehtes Lagerstück eingesetzt war, auf dem der Stoßbalken ruhte und durch Vor- und Zurückziehen der Taue große Stoßkraft erzielte ."

Nicht ganz leicht verständlich ist der erste Teil des Satzes ; Der „ mittlere Dachteil“ ist die Dachfläche unter der Linie a- d, Abb . 51 , und der Satz enthält die nötige Angabe für die Höhe der „ Dach

verfallung “ , Abb. 51 : abe bezw. dcf. Damit ist zu e

с

B

gleich das Breitenmaß für

den Turm festgelegt, der sich über der Fläche a b c d erhebt ,

und das поп „ non minus cubita duo “ für die Höhe von e über a b bezw .

a

a

f über dc bedeutet für den Turm zugleich das

Mindestmaß von 4 Ellen entsprechend unserm Win Abb. 51 .

kelschema Abb. 49, Fig. 5 . Wir sehen an dieser Stelle ,

daß das Winkelschema grundlegende

Voraussetzung ist ; ohne diese Voraussetzung bätte die Angabe für die Höhe der Dachverfallung keinen Sinn und für den Turm würde das Breitenmaß fehlen .

nämlich für die Bedienungsmannschaften

gang

περίδρομος

hatte “. Dieselbe Bedeutung hat

circumitio – bei den Türmen, während fenestratus mit nëpintapos übersetzt

wird : „ singulis partibus fenestratis“ : 78 Inriqov oữons éxcoins yoipas. An allen diesen Stellen übersetzt Schneider ,,Galerie“ und damit ist die Gefahr nahegerückt, daß sich

seine Leser das gleiche darunter vorstellen, was Choisy unter nepidpouos verstanden

hat, nämlich einen ausgekragten Wehrgang. Über das taktisch und technisch Verkebrte einer solchen Vorstellung braucht wohl kein Wort verloren zu werden.

Die Turmschilderungen verleiten sehr leicht dazu, sich unter diesem polior

ketischen Hilfsmittel etwas ganz anderes vorzustellen, als es eigentlich war. Die genaue Beschreibung Apollodor's zeigt uns, daß es sich bei all diesen Türmen im Grunde genommen um nichts weiter als um gedeckte Leiteraufgänge handelt. die oriyaı oder Wir dürfen uns die Stockwerke, von denen immer die Rede ist

tabulata – bei Leibe nicht als durchgebildete Geschosse mit Boden und Decke vor stellen , sondern sie geben wie bei Apollodorus nichts als eine konstruktive Teilung an . Stockwerke mit Balkenlagen hätten ja auch keinen Sinn gehabt und das Gewicht dieser fahrbaren Bauwerke nur verdoppelt. Von den Stockwerken des kleinen Diades

Turmes heißt es, daß sie mit „ Luken“ versehen waren zum Brandlöschen ; um an die Fenster zu gelangen , genügten ringsherum die Doppel-Rahmhölzer, wie es uns das

Bild des Apollodorusturms zeigt (Abb. 5). Bei dem großen Turm von 221/, Ellen unterer Seitenlänge war zum gleichen Zweck ringsherum ein 3 Ellen breiter Umgang vorhanden. Sackur , Literatur der Antike.

8

114 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantipus. Weitere Angaben macht Vitruv in dieser schematischen Querschnitts

beschreibung nicht, das würde außerhalb des Rahmens seiner nur das Wesent liche berücksichtigenden Schilderung liegen . Wesentlich ist aber nur noch das Auflager des Stoßbalkens in Gestalt einer Walze und die Seilzüge, die ja die

Erklärung für den Aufbau abgeben ; denn die zu ihrer Bedienung bestimmten Mannschaften mußten gedeckt untergebracht werden. Die knappen Angaben genügen , um uns ein Bild der Konstruktion zu geben : Die vier Eckständer des ,, Türmchens" müssen aus konstruktiven Rücksichten bis zum Grund gestell heruntergeführt sein und bildeten dann zugleich den Hauptbestandteil

der ,, κριοδόχη . Was bringen nun die Zusätze des Athenaeus zur Ergänzung dieses zwar

nur mit wenigen Konturen angedeuteten, aber doch in sich ganz klaren Bildes ? In Wirklichkeit nichts von wesentlicher Bedeutung.

Gänzlich überflüssig ist

die Bemerkung, „ daß die Schildkröte senkrechte Pfosten besitzt und daher

ringsum freien Umgang bietet“ , denn das geht ja aus dem Schema hervor und ist selbstverständlich für diese Schildkröten mit Seilzügen, wegen der Bedienungsmannschaften . Der einzige Zusatz des Athenaeus von sachlichem Charakter ist die in Anm . 1 , S. 112 bereits besprochene Bemerkung wegen des Umganges im Turm auf Firsthöhe ; aber eine wesentliche Bedeutung kommt ihm auch nicht zu ; er enthält keine das Wesen der Konstruktion berührende Angabe. Er besagt nur, daß sich eine olbyn des Turmes in Höhe des Firstes befinden soll und versucht im übrigen den etwas schwer verständlichen Vitruvsatz zu kommentiren. Der in dem falsch eingeschobenen Bild (Abb. 50) dargestellte Gegenstand bildet den Schluß der Beschreibungen. Ich setze beide Texte zum Vergleich wiederum nebeneinander :

Athen . 14,4-15, 2 :

Vitruv 275,1-8 :

De terebra has explicuit scriptis rationes :

vacat

ipsam machinam uti testudinem in medio

habentem conlocatum in orthostatiscanalem , quemadmodum in catapultis aut ballistis

Το δε τρύπανον χελώνην μεν την αυτήν τω κριώ λαμβάνει τε [και πάσαν την κατασκευήν ομοίως έχονσαν ] • τίθησι δε επί της κρηπιδος συρίγγα

fieri solet, longitudine cubitorum L, alti

παραπλησίον τη εν τοις ευθυτόνους γινομένη

tudine cubiti, in quo constituebatur trans

καταπάλταις και πλάγιον ουίσκον ομοιως εκεί vais & zovơxv. ( Maße fehlen .)

versa sucula.

in capite autem dextra ac sinistra trocleae duae, per quas movebatur, quod inerat in eo canali capite ferrato tignum . sub eo autem in ipso canali inclusi tubi crebri celeriores et vehementiores efficiebant eius

'Εκ δε του άλλου μέρους αυτής από του άκρου

τροχιλέας εμβάλλει δύο , δι ών, προωθεί την επιτιθεμένην εν αυτή κεραίαν.

Και επί του

καταστρώματος δε του εν τω συριγγίω πυκνούς τίθησι κυλίνδρους, ένα ευκίνητος υπάρχη •

motus. vacat

και ούτως εμβάλλει την κεραίαν, εν ώ κριοκοπεί, εφελκόμενος αυτήυ εκ του κάτω όνίσκου κει uérov.

supra autem id tignum quod inibi erat arcus erigebantur ad canalem crebriter, uti su stinerent corium crudum quo ea machina erat in voluta.

Βυρσούται δε κύκλω συν ταϊς αψήσι την συρίγγα, ένα σκεπάζηται ή κεραία έσωθεν .

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

115

Wir müssen zunächst die Erklärung vorausschicken, daß der beschriebene Mauerbohr ein in seiner Arbeitsweise und seiner Wirkung durchaus vom Widder verschiedenes Instrument ist : Der „ Widder" hat – das wird auch in allen Illustrationen so dargestellt entweder einen ganz stumpfen Kopf oder – wie bei dem Widder des Hegetor beschrieben eine schiffsschnabelähnliche,

wenn auch scharfe, so doch immerhin so massige Endigung, daß er durch seine Stoßkraft Mauern oder Mauerteile umwirft.

Dem entspricht auch seine

Bewegung, die eine schwingende ist; das ist auch bei dem vorbeschriebenen Widder nicht anders, obwohl dieser auf einer drehbaren Welle auflagert ;

denn er muß eben doch in den Seilzügen hängen, um die richtige Bewegung zu erhalten.

Mauerbohr“ hat dagegen einen spitzen Eisenkopf , – auch in der alten Zeichnung (Abb : 50) ist das so dargestellt – , sodaß er die Mauer nicht um wirft, sondern ein Loch stößt. Der Stoß erfolgt geradlinig und immer auf Der

die gleiche Stelle.

Der principiellen Verschiedenheit der beiden Stoßwerkzeuge entspricht der Text Vitruvs in klarer Form : Der Stoßbalken der ,,terebra " ist kein „ Widder" und wird an keiner Stelle so bezeichnet. Das Wort „,Widder ist

nirgends in der Beschreibung genannt : Diese „ terebra “ war zwar wie ein Widder in einer Schildkröte untergebracht was sich schon wegen der Be dienungsmannschaften von selbst versteht -, aber diese Schildkröte hat in der

Konstruktion nichts gemein gehabt mit der „ Widderschildkröte" ; sie muß ebenfalls grundsätzlich anders aufgebaut gewesen sein . Das ergibt sich ohne weiteres aus dem Umstand, daß ein Widder an einer sehr starken Ständer konstruktion aufgehängt werden mußte und mit seinen Stößen den ganzen Längsverband der Schildkröte aufs stärkste beanspruchte. Die schweren und hohen Ständer führten so auch unmittelbar zu diesen Turmkonstruktionen , wie

sie uns für diese großen Maschinen geschildert werden . Die Widderschild kröte des Diades ist darin nur der Vorgänger der großen Widderschildkröte des Hegetor. Bei der Schildkröte für den Mauerbohr ist das Konstruktionsprogramm

ein durchaus anderes; die Beanspruchung durch die lebendige Kraft des Stoßes war nicht so groß und lag außerdem sehr viel günstiger, sie wirkte nämlich unmittelbar auf das Grundgestell.

Diese Schildkröte konnte infolgedessen viel

leichter im Aufbau gehalten werden. All diesen aus der Natur des Gegen

standes gegebenen Gesichtspunkten entspricht der Vitruvische Text in jeder Beziehung:

„ Die Maschine selbst war wie eine Schildkröte und hatte in der Mitte eine auf Ständern ruhende Rinne, von 50 Ellen Länge und 1 Elle Höhe, wie sie sich bei den Katapulten und Ballisten findet; auf dieser war in der Querrichtung eine Windenachse angebracht" usw. Während der übrige Text bis auf einen Zusatz, auf den wir noch

kommen werden , übereinstimmt, hat der Athenaeus diesem Satz einen durchaus andern Sinn gegeben , der freilich immer wieder auf die eingangs erwähnte

falsche Benutzung der Zeichnung binweist. Er schreibt: „ Der Mauerbohr erhält 8

116 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

die gleiche Schildkröte mit dem Widder, die auch den ganzen Aufbau in gleicher Weise besitzt."

Das glauben wir dem Athenaeus nicht, das können wir aus den vor genannten Gründen nicht glauben ! Aber wir wissen, was ihn zu dieser Ab änderung seiner Unterlage, des Vitruvtextes, veranlaßt hat : Er hat seine

Zeichnung vom Mauerbohr nun einmal als Darstellung des Widders ausgegeben und hält auch hier nur folgerichtig an seinem Irrtum fest. Und mit derselben Folgerichtigkeit läßt er die Maße, die Vitruv hier für die Rinne des Bohrers angibt, nicht etwa für die Schildkröte, fort und setzt sie – wie wir schon gesehn haben oben als Längenmaß der Widderschildkröte zu ') . Ein doppelter Irrtum ! Denn die Schildkröte - d. h . die richtige Bohrerschild kröte war viel kürzer als die Rinne, die an der Vorderseite weit über gestanden haben muß ; denn sonst hätte es gar keinen Sinn gehabt, den Kanal für sich schuß- und brandsicher abzudecken, wie es die Texte und auch die Zeichnung (Abb . 50 ) deutlich erkennen lassen. Auf den erwähnten Zusatz nur noch ein kurzer Hinweis : „ und auf diese Weise schießt er den Balken vor während der Widderarbeit durch den von

der Querwelle getriebenen Seilzug." Überflüssig und irreführend dadurch, daß hier von Widderarbeit gesprochen wird , während es sich doch nicht um den „ Widder" , sondern eben um den „ Mauerbohr“ handelt ). Athenaeus beendet seinen eingeschobenen Vitruvischen Text in einer für seine Arbeitsweise durchaus charakteristischen Art. Denn an die Kapitel XIII bis XV des X. Buches Vitruv's, die er nun vollständig in seinen Athenaeus Maior eingeschoben hatte, hängt er zum Schluß doch noch eine kleine Notiz an, ohne daß ihn auch hier die textliche Zusammenhanglosigkeit seiner Sammel arbeit gestört hätte :

Ich hatte am Eingang meines IV. Abschnitts schon gesagt, daß Vitruv zur

Frage der Städteverteidigung eine technische Poliorketik nicht gibt, sondern nur kriegsgeschichtliche Einzelbilder, die dieses Thema in dem an schließenden Kap. XVI desselben Buches illustriren.

Hier ist also der wiß

begierige Sammler Athenaeus Minor, dem es speziell auf technische Notizen 1 ) Der Athenaeustext gibt zwar 40 Ellen an, während der Vitruvtext die Zahl L

aufweist, aber diese Differenz, die wahrscheinlich wieder nur auf der schlechten Über lieferung der Zahlen durch die Handschriften beruht, kann unsere Mutmaßung von der

Verschiebung dieser Längenangabe innerhalb des Textes durch den Athenaeus nicht entkräften .

2) Es ist sehr wohl möglich, daß wir hier der fachmännischen Einsicht des Athenaeus Unrecht tun : Der Zusatz mit dem „ &v? xploxonei " sieht nämlich fast so aus, als ob er

den ersten Satz der Beschreibung: ,, Το δε τρύπανον χελώνην μεν την αυτήν τω κριό λαμβάνει. " wörtlich meint, das heißt, daß er den Bohrer in die gleiche Schildkröte mit dem Widder zusammen verlegen will , sodaß also beide zusammen arbeiten . Das wäre an sich technisch durchaus möglich : Der Bobrer würde unten Platz finden, und der Widder könnte über ihm ungestört arbeiten. Aber die Frage ist ja nur eben für die Beurteilung

der fachmännischen Einsicht des Athenaeus von Bedeutung; auch bei dieser Auslegung seiner Zusätze und Veränderungen des Textes zeigt sich die gleiche Gewaltsamkeit und Unsorgfältigkeit in der Behandlung seiner Vorlage. Denn die ganze Anlage und die

vorausgenommene Disposition der Beschreibung beweist unbestreitbar, daß an eine derartige Kombination der beiden Mauerzerstörer von Haus aus nicht gedacht ist.

!

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

117

ankommt, beim Durchlesen nicht auf seine Kosten gekommen. Aber eine

Notiz hat er doch gefunden, die ihm wertvoll genug erschienen sein mag, um sie noch mitzunehmen ; denn sie enthielt doch einige technische Angaben.

Bei Vitruv stehn diese Angaben in einem bestimmten gedanklichen Zu sammenhang mit einer historischen Begebenheit, die zu lang ist, um sie hier

zu erzählen; es handelt sich dabei um eine Angriffsmaschine, die sogenannte Helepolis, durch welche die Rhodier bedroht wurden.

Ein Architekt hatte

ihnen eine Abwehrvorrichtung im Modell gezeigt und sie dadurch für sein

Projekt gewonnen ; aber der Gedanke bewährte sich in der Ausführung nicht. Die Pointe der Geschichte ist dabei , daß eine geschickte Modellvorführung oft zur falschen Beurteilung der wirklichen Verhältnisse verleitet.

Von alledem hat sich der Athenaeus nur die folgende Notiz heraus geschrieben :

Ath. 27, 2 : „ Die von Epimachos aus Athen hergestellte Helepolis, die Demetrios bei der Belagerung von Rhodos heranführte, ist folgender Art : sie hat eine Höhe von 90 Ellen und eine Breite von 48 Ellen. (Sie hat die Form eines Turmes,) und hält dem Aufschlag einer Steinkugel von 3 Talenten stand. “

Das steht alles in der Schilderung Vitruvs bis auf den ( ) eingeklammerten bedeutungslosen Zusatz ; es kann kaum ein Zweifel sein , daß Athenaeus die Notiz dort entnommen hat. Wir haben somit auch den Doppelgänger des Athenaeus Maior Schritt für Schritt bei seiner Arbeit verfolgt und dürfen behaupten, daß wir auch für

ihn jetzt ein genügend scharfes Bild seiner Persönlichkeit und seiner Arbeits weise gewonnen haben :

Der von uns Athenaeus Mechanicus Minor

genannte Verfasser des Paralleltextes zum Vitruv gehört , da er den Anonymus Byzantinus benutzt hat , nicht mehr der Antike an. Denn daß der Anonymus Byzantiner war, steht unzweifelhaft fest; daß seine Schrift iu der ersten Hälfte des X. Jahrhunderts entstand, ist freilich nur eine von

R. Schneider ausgesprochene Vermutung, der eine Berechtigung nicht bestritten werden kann ). Diesen byzantinischen Athenaeus wird man als einen Sammler bezeichnen dürfen , der ohne wirkliche literarische

Interessen technische Notizen von praktischem Wert zusammen sucht und in einer literarisch sehr kritiklosen Form vereinigt. Sein Arbeitsverfahren charakterisirt ihn schon dadurch als einen Zeitgenossen der Vitruvliebhaber in unsern frühmittelalterlichen Klöstern, denen diese Reste antiker Literatur auch nur soweit Interesse abnötigen konnten, als ihre Ver wendung nach der Art technischer Rezepte in Frage kam ). 1) Vgl. Absch. I, Seite 12. Schneider hält es für sicher, daß diese Schrift zu den

jenigen gehört, die der Kaiser Konstantin VII , Porphyrogennetos 943—959, für die von ihm veranlaßte Sammlung der Werke antiker Wissenschaft und Literatur anfertigen ließ . Aber gerade bei dem hier behandelten Thema „Poliorketik “ ist man nicht gerade

genötigt, das anzunehmen . Denn alle Gegenstände die, den Krieg betreffen, haben eigentlich zu jeder Zeit Verständnis und liebevolle Pflege gefunden. ) Vgl. Abschn. I, Seite 4.

118 VI. Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus. Die Vorlagen , aus denen dieser Athenaeus Minor sein unter dem Titel

„ A9nvaiov Tepi unyavnuárov“ überliefertes Sammelwerk zusammenarbeitete, tauchen jetzt erkennbar aus der Versenkung empor ; es waren folgende: 1. Des Athenaeus Mechanicus Maior Denkschrift an den M. Claudius Marcellus über Belagerungsmaschinen, etwa um das Jahr 214 v. Chr. ,

jedenfalls vor 212 v. Chr. geschrieben, und im Original ohne Illustrationen. 2. Das X. Buch von den X Büchern des Vitruv über die Architektur,

das ebenfalls ohne Illustrationen vorlag.

3. Eine griechische „ particula errabunda“ – wie Vitruv es nennt – , >

d . h . ein literarisches Einzelstück über widderlose Schildkröten mit genauer

Beschreibung der „ Xwotgis xelovn “ , wie er sie bereits im Vitruv mit kleinen Abweichungen veröffentlicht fand . 4. Zwei zeichnerische Darstellungen antiker Herkunft, von denen die

eine die xwotpis xedavn, die andere das toitavov darstellte. 5. Das mit dem Titel „ Anonymus Byzantinus “ bezeichnete Sammelwerk byzantinischer Herkunft.

Athenaeus ging in der Verwendung seiner Vorlagen in folgender Weise vor :

a ) Aus dem X. Buch Vitruv's entnahm er die Kapitel über die Poliorketik, Kap . XIII – XV ; er übersetzte den ersten Abschnitt , die anekdoten hafte Entwicklungsgeschichte in freierer Wiedergabe, den zweiten Ab schnitt , die Poliorketik des Diades und Charias in wörtlichem, aber sachlich wenig sorgfältigem Anschluß an den Vitruvtext ; dabei setzte er

eine alte Zeichnung (Abb . 50) an falscher Stelle in den Text ein und veränderte den Text an einzelnen Stellen in einem diesem Irrtum ent sprechenden falschen Sinne . Die verschiedenen in den Text eingeschobenen Zusätze und Umbiegungen des Sinnes zeigen seine geringe Gewissen

haftigkeit gegenüber dem Text und die Flüchtigkeit seiner Arbeit. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die der Beschreibung der Türme kritiklos

zugesetzte Anmerkung, die er dem Anonymus Byzantinus entnommen hat. Für den dritten Abschnitt, der die widderlosen Schildkröten behandelt,

stand ihm offenbar die alte Quelle des Vitruv, eine „ articula errabunda “, mit zugehöriger Zeichnung ( Abb. 40 u. 41 ) zur Verfügung; die Variante technischer Natur, die der Text bei sonst engstem Anschluß an den Wortlaut bringt, ist von selbständiger Bedeutung.

Der technische Zu

sammenhang ist daher einwandfrei. Der vierte Abschnitt des Vitruvischen Textes, die Beschreibung der Widderschildkröte des Hegetor von Byzanz, wurde unter mißverständ licher Benutzung des Anonymus Byzantinus zu der unglücklichen Con fusion überarbeitet , die jetzt der Athenaeustext zeigt. Die zum Text erhaltene Zeichnung (Abb . 52), die sich immerhin durch ihre Anlage von

den gewöhnlichen byzantinischen Buchillustrationen abhebt, verdankt ihren Ursprung wohl ebenfalls erst dieser ,,Uberarbeitung" des Vitruvtextes ; sie zeigt den Versuch, nach dem Muster der alten technischen Zeichnungen

einen technischen Zusammenhang in sachlicher Form zu geben, aber ihre

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

119

Darstellung steht ganz unter dem Einfluß der von Athenaeus geschaffenen Textverwirrung.

Es ist nicht zu erkennen, daß dieser Zeichnung noch ein Rest einer richtigen antiken Zeichnung zu Grunde gelegen hat.

Wenn wir die

ohne weiteres verständliche und klar das wesentliche betonende antike 00





a

BA

de la

Abb . 52 .

Darstellung der Seilzüge des toúnavov (Abb. 50) betrachten, so wird es uns schwer fallen, in der Zeichnung, Abb . 52, wo dieser ja gleichermaßen wesentliche Mechanismus eine so sinnlose Form zeigt, eine technische Tradition der antiken Poliorketik zu finden.

b) Diesen vier Abschnitten der Poliorketik Vitruv's Kap. XIII-XV des X. Buches hing er noch eine aus der Vitruv'schen „ Städteverteidigung “ , Kap. XVI , entnommene Notiz an .

c) Die so ergänzte und überarbeitete Poliorketik Vitruvs in griechischem Gewande schob er jetzt nicht ganz wahllos denn die Einschubstelle ist an sich einigermaßen geschickt gewählt - , aber unsorgfältig, wie er überbaupt arbeitete, in den in seinem Besitz befindlichen oder von ihm

abgeschriebenen Text des echten alten Athenaeus Mechanicus Maior ein. Der Mangel an Sorgfalt und seine geringe Gewissenhaftigkeit in Bezug

auf den Gedankeninhalt zeigt sich besonders in der Art, wie er einen vom alten Text abgeschnittnen Satz mitten im neuen Text ohne Rücksicht auf den Zusammenhang unterbrachte.

Vielleicht ließ sich die bequemste

Seiteneinteilung auf diese Weise durchführen . d) Das aus so heterogenen Bestandteilen zusammengesetzte Werk wurde dann - das ist der letzte Vorgang - von byzantinischen Buchschreibern

120 VI . Abschnitt : Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

illustrirt, soweit das Manuskript nicht schon Bilder aufwies . Ich habe vorher schon angedeutet, daß die Heterogenität der beiden in einander geschobenen Texte am augenfälligsten durch die Verschiedenheit der vor handenen Illustrationen verraten wird .

Denn zu den sachlich durchaus

wertlosen Bildern des Athenaeus'schen Urtextes, die überall nur das

geringe technische Verständnis dieser byzantinischen Zeichner erkennen lassen, stehn die Zeichnungen zum Paralleltext in einem auffallenden Gegensatz ? ) . Unter 1. - 5. haben wir die Unterlagen und unter a ) -d) die Vorgänge

aneinandergereiht, die unsere Analyse der heute als ein scheinbar einheitliches Literaturwerk vorliegenden Schrift „ A9npvaiov naqi unyavnuárwv" ergeben hat. Es bleibt uns nur noch übrig, auf die Folgen hinzuweisen, die diese byzantinische

Textüberarbeitung für den Vitruv selbst gehabt hat : Zunächst für die textliche Überlieferung der X Bücher des Vitruv : Wir haben vorher in Abschn . IV bereits angedeutet, daß die gewaltsame Be handlung, die der Athenaeus bei Abfassung seiner Arbeit unter Verwendung

des Anonymus dem Vitruvischen Text zukommen ließ, anscheinend eine rück wirkende Kraft auf die Erhaltung dieses Textes ausgeübt hat. Dabei handelte es sich um einen ersichtlich unter dem Einfluß dieses Byzantiners eingeschleppten und sinnentstellenden Fehler, der letzten Endes auf den Anonymus Byzantinus,

wenn auch freilich nur auf dessen mißverständliche Benutzung, zurückging. Da die beiden codices, die für die Textüberlieferung des Vitruv in Frage kommen, der Gudianus und der Harleianus, diesen Fehler enthalten, so muß 1) Ich hatte mich darauf gefreut, dem verdienstvollen Herausgeber, Rudolf Schneider, in seinem allgemeinen Loblied auf die überlieferten Illustrationen einmal wenn auch mit starker Beschränkung zustimmen zu können . Aber leider, es geht bei näherem Zusehn doch nicht : Der Verehrer byzantinischen Buchschmucks hält das Bild, Abb. 40 u . 41 (bei

Schneider Taf. IV, 1 u. 2 ), für eine Schildkröte mit „ dreistöckigem Turm “ . „ Für den Turm gibt der Zeichner aber keinen Raum. Dieses aber ist der Gegenstand des dritten Bildes

(Abb. 52, bei Schneider Taf. VII, 1 ), wo die früher gezeichneten Teile nur angedeutet sind. “

So schreibt Schneider

ich zitire wörtlich

und behauptet noch dazu , daß

diese Bilder „ für das Verständnis des Vitruvius äußerst wichtig “ seien und daß „wegen 2

der Nichtberücksichtigung der Bilder die Untersuchungen von Thiel unvollständig ge blieben wären , ganz zu geschweigen von Sondheimer und Choisy “ . Also Schneider hält diese Gruppe von Bildern für die zusammenhängende Dar

stellung eines Gegenstandes – anscheinend der testudo arietaria des Diades ? Er bat selbst die von ihm so hoch geschätzten Bilder sachlich gänzlich mißverstanden und er irrt sich ; den Untersuchungen von Thiel hat die Vernachlässigung der Bilder wie sie Schneider verstanden wissen will

So

gar nichts geschadet, denen bat etwas

ganz anderes geschadet, sie gehen alle nach dem falschen Kehrreim solcher den eigent lichen Inhalt gar nicht berührenden Wortvergleichungen : „ Der vollständigere ist der Sondheimer möchte ich dabei gar nicht nennen , denn er hat allezeit einen besseren Instinkt bewiesen und vermutlich gerade deswegen die Fallstricke der byzan bessere . “

tinischen Bilderzeichner vermieden . Und Choisy ? In dem Paradies technischer Ab sonderlichkeiten, das er uns zur Illustration der Poliorketik Vitruvs aufbaut, sind gerade

genügend Anregungen von dieser Seite erkennbar, mehr, als man wünschen kanr.. Aber nichts hat der fleißigen Arbeit Rudolf Schneider's mehr geschadet, als seine

Kritiklosigkeit gegenüber den Bildern der Handschriften, weil es ihn überall verleite:

hat, auch den wertlosesten Bildern mehr zu glauben, als dem klaren und verständ lichen Text .

Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

121

auch der ihnen zu Grunde liegende codex archetypus den gleichen Fehler bereits aufgewiesen haben . Wir sind deshalb in Versuchung, in unserer Text überlieferung überhaupt byzantinische Hände zu erkennen. Das vorhandene Material reicht freilich nicht aus, dieses Problem weiterzuverfolgen . Aber wenn wir daran denken, daß die ersten Nachrichten von Vitruvhandschriften in

Deutschland in die Zeit Karls des Großen und seiner Nachfolger fallen, und wenn wir daneben bei den Karolingerbauten unverkennbaren byzantinischen Einfluß sehn, so regt sich in uns die Frage : Sollte der Weg, den Karl ein

schlug, um die Traditionen antiker Kunst und Technik für sein Reich zu ge winnen , über Byzanz geführt haben ?

Fast ebenso verhängnisvoll für den Vitruv sind die Folgen, die diese Über arbeitung des Athenaeus auf die textkritische Bearbeitung der Vitruv ausgaben und auf die Beurteilung seiner schriftstellerischen und fachmännischen

Persönlichkeit ausgeübt hat . Ich habe im Laufe unserer Untersuchungen bereits andeuten können, wie das unkritische Verändern des Vitruvtextes nach dem Athenaeustext nur zu einer immer zunehmenden Verschlechterung des Textes

führen muß. Aber die Wirkung erstreckt sich noch weiter und über die polior ketischen Kapitel hinaus, weil die bei der neueren Textkritik unverkennbare

auffallende Unterbewertung der fachmännischen Autorität Vitruvs ') , zum großen Teil auch auf die ganz falsche Bewertung des Athenaeus zurück zuführen ist .

Ich möchte deswegen in den erzielten Ergebnissen schon aus dem Grunde einen Gewinn erblicken, weil Vitruv damit zugleich rehabilitirt wird. Die selbständige Redaktion seiner Poliorketik kann ihm nicht mehr abgesprochen werden .

Was er gibt, ist immer als fachmännische Arbeit erkennbar,

und eben diese fachmännische Persönlichkeit wird durch seine Verwendung griechischen Gutes nicht in Frage gestellt, dessen Sammlung im Bereich seiner

Fachwissenschaft ja seine ausgesprochene Absicht ist. Es ist schon genau so, wie er es selbst sagt und wie wir es aus dem Wortlaut des Textes heraus gelesen haben . Und es ist wirklich so, wie wir im I. Abschnitt dieses Buches sagten, daß die Leute früher ihn besser verstanden haben, weil sie einen sichereren Instinkt für die Persönlichkeit hatten ; denn sie haben das auch

herausgelesen, sie haben ihn in puncto seines fachmännischen Urteils alle verstanden.

Auch Gottlob Schneider, dieser gelehrte Kenner und allerverdienteste Wiederhersteller des Vitruvschen Textes, hat ihn darin verstanden , und es sind 1 ) „Zwei Kompilatoren gleichen Schlages“ nennt Rudolf Schneider den Vitruv und den Athenaeus und auf diesen Ton sind die meisten textkritischen Arbeiten gestimmt .

Solche Urteile beweisen eigentlich immer nur, wie wenig der Beurteiler in den Stoff der

beurteilten Schriften eingedrungen ist. Ich möchte auch den Athenaeus nicht einmal als „ Fälscher“ bezeichnen, so sonderbar uns auch heute sein Arbeitsverfahren vor kommen mag. Zu einem Fälscher fehlt ihm sicherlich jeder literarische Ehrgeiz, es

kommt ihm augenscheinlich nur auf die Sammlung rein technischer Notizen von prak tischer Verwertbarkeit an . Alle Poliorketiker- Handschriften sind ja Sammelbände tech nischen, taktischen und rein kriegsgeschichtlichen Inhalts . Der Athenaeus hat sich sicher noch etwas darauf zu gute getan , daß er seine Notizen so „organisch “ mit einander verbinden konnte .

122 VI. Abschnitt: Vitruvius, Athenaeus Mechanicus Minor, Anonymus Byzantinus.

goldene Worte, die er über die Grenze der Textkritik in der Erfassung des besonderen fachlichen Inhalts sagt:

„ Quemadmodum autem is proterve atque impudenter facit qui in scriptore aliquo artis aut disciplinae, quam ipse totam non probe calleat, fines criticae artis egressus ad munus alienum interpretis transit ; ita contra

lectores vel interpretes non solum inique sed ingrate etiam agere mihi videntur ii, qui copiis ad eorum usum commoditatemque congestis atque apparatis usi universam philologorum operam sublato supercilio contemnunt atque etiam rident ). "

Die Kritiker haben den Weg nicht eingehalten, den Gottlob Schneider gewiesen, und es uns deswegen erschwert, unter die Oberfläche in den technischen Kern einzudringen, und sie selbst erhalten so ganz andere Resultate als wir ;

sie sind den Weg nicht gegangen und deswegen war ihnen Vitruv auch kein Fachmann mehr, sondern nur ein Schreiber und Fälscher ; schließlich haben

sie ihn einmal schon ganz totgemacht und hätte Sondheimer ) Vitruvs eigne, von ihm selbst bezeugte Existenz zur Zeit des Kaisers Augustus nicht ausdrücklich noch nachgewiesen, so wäre er auch heute noch mausetot.

Und was die Interpreten anbetrifft, so sind sie den Weg auch nicht ge gangen, wie die kommentirte und illustrirte Vitruvausgabe von Auguste Choisy :) zeigt ; denn sie mag manch interessante archäologische Notizen aufweisen, aber sie gibt nur wenig, was als Interpretation des Textes gelten kann, aber vieles,

was ihn in Verwirrung bringen muß, weil sie die bisher geleistete textkritische Arbeit unberücksichtigt gelassen hat.

Es macht freilich Arbeit, immer wieder bis an die Quelle durchzugraben, aber wir dürfen es uns nicht verdrießen lassen.

Eh wir uns weiter mit den

X Büchern des Vitruvius beschäftigen , muß seine fachmännische Persönlichkeit wieder so gewürdigt werden können, wie es seiner Bedeutung für unsere eigne künstlerische und technische Kultur zukommt.

Denn auch diese baut erst auf

den mit seiner Hülfe von der Renaissance gelegten Fundamenten auf. 1 ) „ Ebenso wie es Vorwitz ist, wenn jemand bei einem Werk über eine Kunst oder Wissenschaft, in der er nicht im vollen Umfange sachverständig ist, die Grenze der Textkritik überschreitet und das ihm nicht zukommende Amt des Erklärers übernimmt, so ist es auf der andern Seite unbillig und auch undankbar, wenn Leser und Erklärer

das zu ihrem Nutzen und Vorteil gesammelte und bearbeitete Material zwar gebrauchen, aber die umfassende Arbeit der Philologen mit Achselzucken ansehn oder sich gar darüber lustig machen.“ Gottlob Schneider, Vitruvii de arch. libri X, Lipsiae 1807. Tom . I. „ Lectori aequo editor salutem “, pag. LXXV. 2) 8. Anm. 3 auf S. 3 . 3) Vgl . S. 9, Anm .

VII . ABSCHNITT.

1. Die antike Dachkonstruktion auf Grund der Angaben Vitruv's und die damit verbundenen technischen und architektonischen Probleme.

Vitruv sagt über die Dachkonstruktion nur an einer Stelle etwas in syste matischer Form und zwar im II. Kapitel des IV. Buches ); und auch hier ist nicht der konstruktive Aufbau selbst der eigentliche Zweck seiner Be

schreibung, sondern die tektonische Bedeutung, die den einzelnen Dachhölzern dadurch zukommt, daß ihre sichtbaren Teile in die Steinplastik des antiken Tempels und seiner „ Ordnungen “ übertragen wurden . Aber wenn wir an

dieser Stelle auch keine Auskunft über Einzelfragen der Konstruktion erhalten, so gibt sie uns doch einen deutlichen Hinweis auf die grundsätzlichen Fragen der Dachbildung . Er unterscheidet nach der konstruktiven Besonderheit von vornherein zwei Arten von Dächern : Bei der ersten ist ein Dachverband

in unserm Sinne, d. h . im Sinne einer geschlossnen Zimmerkonstruktion über

haupt nicht vorhanden, sondern die Dachfläche ruht unten auf der Mauer, oben auf einer Firstpfette auf. Von Firstpfette dürfen wir allerdings nur unter Vorbehalt sprechen : denn dieses Holz (columen) gehört nicht wie unsere First

pfetten zum Dachverband , sondern zum Gebäude selbst ; es liegt auf den Giebeln und Zwischenwänden auf.

In dem gegebenen tektonischen Zusammenhang denkt Vitruv natürlich in erster Linie an das Tempeldach : denn am Tempel bilden sich die sichtbaren Teile dieser Konstruktion zur steinernen Ordnung um . Aber der Konstruktions

typ ist der gleiche auch beim Dach des Hauses, nur daß hier -

wie heute

noch beim italienischen Dach die Form des Pultdaches überwiegt; für die Konstruktion macht es keinen Unterschied , ob die Dachfläche oben auf einer Mauer aufliegt wie beim Pultdach, oder auf einem „ columen “ wie beim Satteldach .

Die Neigung des antiken Daches ist gering ?)

auch darin weist das

modern italienische Dach keine Änderung auf – und wir können uns, um ein

richtiges Bid zu gewinnen, dieses Dach ohne jeden Dachverband einfach als schrägliegende Decke vorstellen ; konstruktiv ist es in Wirklichkeit auch nichts anderes, denn die Struktur von Dach und Decke ist darauf macht auch Vitruv schon aufmerksam ) durchaus die gleiche : 1 ) Vitruv 88, 13 ff.

2) Die Höhe entspricht ' ';5 bis zu 1/4 der Breite. 3) Vitruv 88, 11 .

124 VII. Abschnitt : 1. Die antike Dachkonstruktion auf Grund der Angaben Vitruv's .

Die antike Decke (contignatio) besteht aus einem System von stärkeren Trägerhölzern, die wir nach unserm Gebrauch als „ Unterzüge“ bezeichnen würden – „ trabes“ - und aus einem rechtwinklig dazu liegenden und von ihnen getragenen Gebälk aus schwächeren Hölzern ,,tigna" -- Auf den (Abb . 67 ). Die trabes können wir uns in Abständen von 2 bis 3 m denken und die tigna darüber in Abständen

tigna sind die Dielen aufgenagelt – „ axes“ von

etwa 50 cm.

Beim Dach wechseln nur die Namen, aber nicht das

Konstruktionssystem, die trabes werden zu „ cantherii“, die tigna werden zu ,,templa" Pfetten –, und statt der Dielung werden – bei Ziegeldeckung Lattensparren wenigstens asseres aufgelegt; auf diesen liegen dann unmittelbar die Ziegelplatten (Abb. 54 u. 58) .

Die eigenartige Deckenstruktur der Dachfläche,

die das italienische

Dach unverändert beibehalten hat, ist natürlich bei beiden von Vitruv unter schiedenen Konstruktionsformen genau die gleiche; darin gibt es keinen Unter schied ; das unterscheidende Merkmal besteht nur darin, daß die tragenden

Unterzüge, die cantherii, nunmehr sich zu einem Verband vereinigen. Dabei wechseln sie den Namen ; aus den cantherii werden ,,capreoli “, und da zu einem geschlossenen Verband noch ein drittes Konstruktionsholz gehört, so sind die

capreoli immer - im Dachverband ! – mit den „ transtra “ verbunden , d . h. mit -

einem Binderbalken oder Binder-Doppelbalken ' ). Erst diese zweite von Vitruv so gekennzeichnete Dachkonstruktion fällt

nach den allgemeinen Begriffen der Bautechnik in das Gebiet der Zimmer konstruktionen, und es entspricht deswegen vollkommen der antiken Tradition , wenn beim heutigen Bauwesen in Rom die gewöhnlichen Hausdächer nicht vom Zimmermann aufgeschlagen, sondern vom Maurer – wie bei den Balken lagen auch bei uns üblich – verlegt werden.

Der Zimmermann tritt erst

dort in Tätigkeit, wo es sich um einen Dachverband handelt, also bei den Deswegen wird uns auch nur dieses Dach hier näher beschäftigen . Vitruv bezeichnet es mit dem sehr treffenden Fachausdruck „,transtra cum capreolis“. Daß es sich hier um einen in der römischen Technik üblichen capreoli- Dächern.

Fachausdruck handelt, geht aus der Basilikabeschreibung im V. Buch hervor,

wo er den gleichen Ausdruck ?) für die weitgespannten Binder des Dachstuhls verwendet. Treffend ist die Bezeichnung , weil sie das eigentlich wesentliche der Konstruktion , nämlich den Dreiecksverband trifft, den wir die Grundfigur (Abb . 51, Fig. 1 ) der Konstruktion nennen können. 1) Man versteht unter den „ transtra “ des Vitruv gewöhnlich Doppelbalken in dem an sich wohl richtigen Gefühl, daß die auf den ältesten christlichen Basiliken vor

handenen oder nachweisbaren Doppelbinder mit ihren Doppelbalken ein Bild der antiken , von Vitruv gemeinten Dachkonstruktion geben . Daß aber die transtra nicht in jedem Falle Doppelbalken sind, geht aus der im Abschn . IV, S. 77, Anm. 1 an. gegebenen Stelle hervor. Zu den capreoli vgl. Abschn. IV, S. 72. Ich brauche nicht hinzuzufügen , daß der Namenswechsel seine innere Begründung hat, da auch ein Wechsel in der statischen

Funktion der Hölzer eintritt : Die capreoli werden immer auf Druck in ibrer Längs richtung beansprucht; sie bilden einen „ Sprengebock “. 2) Vitruv, pag. 107 , 17 .

i 1

Die „ transtra cum capreolis“ Vitruv's .

125

Die Grundfigur ist ein „einfaches Sprengewerk “ , und der Umstand , daß sowohl die einfachste Grundform wie die entwickelte Form für die größten

Spannweiten – bei der Fanestrischen Basilika (Abb. 64) handelt es sich um Binder von rd. 18 m Spannweite – mit dem gleichen Ausdruck „transtra cum capreolis " benannt wird , weist schon darauf hin, daß bei allen Dachstühlen -

das Konstruktionsprincip das gleiche ist, und nur durch mehr oder weniger

große Verhältnisse modificirt wird. Aber wir entnehmen aus den Worten Vitruvs noch einen weiteren Hinweis, der uns auf den gleichen Weg führt : IV

Abb . 53

Die Vorbedingung für die Anwendung dieser transtra cum capreolis ist nach Vitruv ,,si maiora spatia sunt" ; das heißt, wenn es sich um größere Spann

weiten handelt“ . Mit andern Worten , die transtra cum capreolis sind Sprengewerks- oder auch Hängewerksbinder – beides sind ja sich

ergänzende Konstruktionen -- und es gibt im antiken Dach keinen andern Verband als einen Sprenge- oder Hänge werksverband; wir können auch wiederum hinzufügen, daß für das italienische Dach das gleiche gilt.

Wir brauchen bierzu nur wieder unsern Gewährsmann Zabaglia ) zu fragen: Er beantwortet uns die Frage nach der zeitgenössischen italienischen Dach 1) a. a. 0. S. 55, Anm . 1 .

126 VII. Abschnitt : 1. Die antike Dachkonstruktion auf Grund der Angaben Vitruv's.

konstruktion durch die beiden untersten Figuren der Abb . 53

von

der

obersten Figur der gleichen Abbildung bitte ich zunächst einmal abzusehen ,

ich komme auf diese später noch zurück ; durch sie spricht nicht der Techniker , maëstro Zabaglia , zu uns, sondern sein gelehrter Mitarbeiter ?). – Diese beiden Figuren genügen in der Tat auch vollständig , um über die italienische Dach konstruktion alles notwendige zu sagen : Immer das gleiche konstruktiv und

statisch klare Schema des Hänge- oder Sprengewerks, keinerlei komplizirte Holzverbindungen ; folgerichtige Anwendung der technisch zweckmäßigsten Konstruktionsform , um möglichst große Spannweiten zu bewältigen . Was die Art der Holzverbindungen anbetrifft, so verstehen wir die Italiener aus der Tradition des antiken Zimmerwerks heraus, von dem wir in Abschnitt III

ein Bild bekommen haben , und umgekehrt verstehen wir die kurzen Andeutungen Vitruvs erst vollständig, wenn wir uns die Besonderheit der italienischen Dachkonstruktion vor Augen halten ?).

Einzelheiten gibt Vitruv gar nicht ; er sagt über die Dachkonstruktion nichts als das vorher angeführte.

Wir müssen uns also die von ihm gemeinten

Sprengewerksbinder rekonstruiren und diese Rekonstruktion kann im Rahmen

der durch den Konstruktionsgedanken an sich begrenzten Möglichkeiten nicht weit fehl gehn; wir haben dafür aber auch noch weitere Stützen , das sind die Dachstühle der ältesten christlichen Basiliken, die zwar nicht mehr erhalten, aber doch durch Aufnahmen z. T. in ihrer Form nachweisbar sind , und schließ

lich kommt uns dabei wiederum die nie versagende technische Tradition der Italiener zu Hülfe, von der wir schon erkennen konnten, daß sie die grund sätzlichen Eigenarten der antiken Dachkonstruktion voll und ganz bewahrt hat. 1) Der ganze Text Zabaglia's ist, wie im Vorwort des Werkes gesagt wird, nicht von ihm selbst verfaßt.

Z. war Handwerker und des Lesens und Schreibens nicht

kundig. Er hat den Text von einem gelehrten Schreiber verfassen lassen und das beeinträchtigt seinen Wert für uns erheblich, weil virgends die Sprache des Handwerks in ihrer Unmittelbarkeit vernehmlich wird .

2) Die Besonderheit der italienischen Dachkonstruktion fiel älteren deutscben Beurteilern , aus der Zeit, in der die deutsche Zimmerei noch in der vollen Blüte ihrer

zünftigen Handwerkstüchtigkeit stand , natürlich noch stärker auf, als dem modernen Techniker, nachdem diese Konstruktionssysteme etwa seit dem 19. Jahrh . begonnen haben, ihren Einfluß auch auf die deutsche Zimmertechnik auszuüben.

Es ist deswegen von Interesse, ein deutsches Urteil aus dem Beginn des 18. Jahrh . zu bören ; Leonhardt Christoph Sturm, Architekt uod Prof. d. Math. in Wolfenbüttel, schreibt in seiner Übersetzung und Kommentirung des bekannten Cours d'architecture von Daviler, die 1700 in Amsterdam erschienen ist, vom italienischen Dach folgendes : „ Aus dem ohngefähren Entwurff der Verbindung an dem Gespärre ( d. h. Binder) wird man schon abnehmen können, wie weit die Italiener in dieser Arbeit von uns

unterschieden sind. Sie verzapfen kein Holtz , sondern lassen es nurineinander 2

und schneiden es ineinander ... Des Verzapfens bedienen sich die Italiener nicht, weil sie meinen, daß dadurch das Holtz geschwächt werde. Die liegende Dach

säulen sind gevierdt (gemeint sind die Streben , capreoli) und an Statt der Stuhl Fetten , nichts als eingelassene Latten , eine nahe bei der andern (gemeint die Pfetten, templa), also sind auch die Sparren nichts anderes als Latten (asseres), und wird all solch Gespärre bei ihnen gantz leicht, und weit hohl liegend gemachet, sonder lich über großen Sählen , sie bedienen sich hiezu viel der Fichten und wenig der Eich- Bäume . “

Die antike Tradition in der italienischen Zimmerkunst.

127

Daß die italienische Zimmerkunst im Mittelalter keinerlei fremde Ein

flüsse, etwa von deutscher oder französischer Seite, erfahren hat, glaubt auch Ostendorf ) in seiner Geschichte des Dachwerks feststellen zu müssen ; er kommt gerade durch den Vergleich aller andern europäischen Zimmertechniken mit der unverkennbaren Besonderheit der italienischen Technik zu dem Ergebnis,

daß diese unbeirrt und ohne von anderer Seite beeinflußt zu sein, ihre aus der Antike stammenden Traditionen fortgeführt hat. Wir werden die Andeutungen Vitruv's an dem noch feststellbaren Bestand der

altchristlichen römischen Basiliken und an der Beschreibung seiner eignen Basilika in Fanum zu verfolgen haben , nachdem wir den Konstruktionsgedanken der „ transtra cum capreolis" erst einmal vom rein technischen Gesichtspunkt in einen übersichtlichen und systematisch begründeten Zusammenhang gebracht haben. Die Basilika ist die einzige Gebäudegattung, die uns Überlieferungen aus der Technik des Zimmerwerks hinterlassen hat, und sie vermag auch in den

Raumabmessungen , die von der Antike angewandt wurden, ein Bild von den antiken freitragenden Dachwerken für große Spannweiten zu geben. Die christ lichen Basiliken der Spätantike verleugnen in Hinsicht auf dieses technische Problem ihre Abstammung von den großen Profanräumen der heidnischen Antike keineswegs ; für unsere bautechnische Untersuchung führt von der Basilika des

Vitruv in Fanum über die basilica Ulpia auf dem Trajansforum zur Basilika, die Constantin der Große dem Apostel Petrus am mons Vaticanus erbaute, nur ein Weg und der gleiche Weg führt weiter zu der Basilika, die Kaiser Theodosius 386 dem Apostel Paulus vor den Toren Roms errichtete.

Von der Constantinischen Basilika ist der letzte Rest unter Paul V. ( 1605 bis 1621) abgetragen, und der andere Zeuge antiker Baukunst auf dem Gebiet des Basilikenbaues, S. Paolo fuori le mura, ist einer unseligen Brandkatastrophe im Jahre 1823 zum Opfer gefallen ; wir sind für unsere Frage auf das Auf

nahmematerial angewiesen, das uns von den Bauten überliefert ist. Auch für die andern Basiliken Roms, die bis in die Antike zurückreichen, vermag ich mich nur auf das vorhandene Aufnahmematerial zu stützen , das durch Guten

sohn und Knapp ?) und durch Hübsch ) beigebracht ist. Die Dachstühle von S. Paolo bringt am vollständigsten und zuverlässigsten Rondelet “). Spätere zuverlässige Aufnahmen, die zu unserer Konstruktionsfrage Material liefern könnten, sind mir nicht bekannt geworden .

2. Die aus der Grundfigur entwickelten Sprengewerks-Binder (Abb. 51) . Die Grundfigur der „ transtra cum capreolis “, das einfache Sprengewerk,

Abb. 54, Fig. 1 , ist ein in der italienischen Zimmerkunst viel benutzter Binder, 1) Die Geschichte des Dachwerks, Friedrich Ostendorf. Berlin u. Leipzig 1908. 2) Denkmäler der christlichen Religion. Gutensohn & Knapp. Später erschienen als

Kupferwerk zu : Bunsen , Denkmäler des christlichen Roms. München (ohne Jahr) bei Cotta. 3) Die altchristlichen Kirchen von Dr. Hübsch, Carlsruhe 1862.

4) Traité théorique et pratique de l'art de bâtir, J. Rondelet. Paris 1817. benutze die deutsche Übersetzung von Diestelbarth , Leipzig, 1833.

Ich

128 VII. Abschnitt : 2. Die aus der Grundfigur entwickelten Sprengewerks -Binder.

Sprengewerke

Figur

Grund -

Fig. 7

Fig. 2.

A oben 12/72- 32/32cm , mitt.12/10-32/27cm unt. 12/89-32/22 cm . B 27/14 . 57/38 cm Z. (Zwischenraum ) C 15 /14- . 41/38 cm 74 " - 38 cm O 10,5 /10,5 "- 28/28 cm E 11/ 105 *- 30/28 cm F 8/8 " • 22/22 cm

6 12 /10º . 32/27 cm

Fig. 3

E А

B

Z

Paris. Fuß - 12º - 0,3248 m

Fig. 4. Alter Binder von S.Paolo fuori le mura , Rom . Abb. 54 .

Die Grundfigur der „ trapstra cum capreolis“.

129

der in den üblichen Holzstärken für mäßige Spannweiten in Frage kommt. Freilich beschränkt sich seine Verwendung nicht etwa nur auf kleinere Ver bältnisse ; wir müssen überhaupt von vornherein als ein besonderes Bildungs

princip dieser antiken Technik feststellen, daß keine dieser Konstruktions formen an bestimmte Maßstäbe gebunden ist. Solche Bindung tritt wenigstens nur bei ihrer rein technischen Anwendung ein, bei der natürlich je nach der Größe des zu überspannenden Raumes ein einfaches, zweifaches oder

dreifaches Sprenge- oder Hängewerk gewählt werden wird . Sobald jedoch,, wie bei den offnen Dachstühlen, architektonische Momente Geltung bekommen, wird das der Antike eigne architektonische Bestreben, unter Beibehaltung der einfachen Form durch großen Maßstab zu wirken, auch bei der Wahl der Kon struktionsform bemerkbar.

Ein gutes Beispiel für die Verwendung des einfachen Dreiecksverbandes der Grundfigur unter diesem Gesichtspunkt auch für ganz erhebliche Spann weiten bildet der aus dem 12. Jahrh . stammende offne Dachstuhl der Kathedrale

von Messinal) (Abb . 71), dessen Binder nur aus dem einfachen Sprengewerk der Grundfigur bei einer Spannweite von 14 m besteht, aber dementsprechend große Holzmaße aufweist.

Von dem einfachen Sprengewerk der Grundfigur, Fig. 1 auf Abb . 54, ausgehend, erhalten wir nun, je nachdem wir das Sprengewerksprincip bei behalten oder durch Einschalten einer Hängesäule in den Verband ein Hänge werk herstellen, zwei Konstruktionsreihen : Die Sprengewerke, Abb . 54 , und

die Hängewerke, Abb. 58. Abb. 59 zeigt eine Kombination zwischen beiden, die freilich ohne grundsätzliche Bedeutung ist und nur besondern, später noch

zu erörternden, Umständen ihr Dasein verdankt. Die gezeichneten Beispiele sind entweder italienische Dachstühle allgemein üblicher Form oder sie gehören römischen Basiliken der frühchristlichen Zeit an.

Wir verfolgen zunächst die Reihe der Sprengewerke, Abb . 54 : Eine Verstärkung der Konstruktion, Fig. 1 , wird durch Einstellung eines zweifachen

Sprengewerks in das einfache Sprengewerk der Grundfigur erreicht. Auf diese Weise erhalten wir die Binderkonstruktion, Fig. 3, einen in Italien von alters her gebräuchlichen Konstruktionstyp ?). Wenn man die Frage nach der Herkunft aus der Abweichung des Verbandes von allen in andern Ländern üblichen Holzbauweisen beantworten wollte, so wäre man in Versuchung, gerade diese

Durchbildung des reinen Sprengewerksverbandes in der Dachkonstruktion ohne weiteres als antike Tradition zu bezeichnen . Zwischen den Dachverbänden, die sich in größter Mannigfaltigkeit in Frankreich, Deutschland, England und allen nordischen Ländern seit dem

frühsten Mittelalter nachweisen lassen , und diesen Sprengebögen , bei denen die Hölzer, ohne Verband stumpf Hirnholz auf Hirnholz gestoßen , nur auf Druck in ihrer Längsrichtung beansprucht werden, besteht die denkbar größte Verschiedenheit des Konstruktionsprincips. Verfolgt man den konstruktiven Gedankengang, so findet sich wohl eine Beziehung, aber die weist nicht auf 1) Charpente de la cathédrale de Messine par M. Morey, architecte, gravée par H. Roux ainé, Paris, 1841. Vgl. auch Ostendorf a. a. O., S. 91 . :) Rondelet a. a. 0., 3. Band, 2. Abt. , 3. Kap ., S. 122. Sackur , Literatur der Antike .

9

130 VII. Abschnitt: 2. Die aus der Grundfigur entwickelten Sprengewerks -Binder.

irgendwelche Holzbauweisen außeritalienischer Dachwerke, sondern auf die

Sprengebögen der Donaubrücke des Apollodorus (Abb. 34, Fig. 1 u. Fig. 2). Dieses auch im Dachverband klar durchgeführte Konstruktionsprincip, dessen Bedeutung für die Großkonstruktion erst wieder seit dem 18. Jahrh . neu entdeckt wurde ), kann in der Tat nur antike Tradition sein . Es ist nicht nur in keiner

außerhalb Italiens herrschenden Holzbauweise vertreten, seine folgerichtige Durchführung hat sich offenbar auch schon in der mittelalterlichen Technik Italiens verloren .

Daß es sich nämlich um ein klar erkanntes und bis in seine

letzten Konsequenzen durchgeführtes System handelt, zeigen die Weiterbildungen , die beide Sprengewerke , Fig. 1 und Fig. 3, in den Konstruktionen Fig. 2 und Fig. 4 (Abb. 5t) erfahren haben .

Ihrem

Sinne nach bringen beide zwar eine Erweiterung des eigentlichen Sprengewerks schemas in der Absicht, bei außerordentlich gesteigerter Spannweite eine Auf hängung des Spannbalkens zu ermöglichen. Dabei ist jedoch unbeirrt am Gedanken des Sprengewerks festgehalten, der Verband ist unver ändert geblieben ; um die Hängesäule zu befestigen , ist der Binder verdoppelt worden , sodaß ein Doppelbinder entsteht , der die Hänge säule zwischen sich nimmt.

Diese beiden Binderkonstruktionen sind auf den vorhergenannten großen

christlichen Basiliken aus antiker Zeit nach weisbar. Die antike Herkunft der Konstruktionsform kann nach meiner Meinung unmöglich bestritten werden : sie ergibt sich allein schon aus der Tatsache, daß die Bauweise dieser Doppel

sprengewerke auch schon im frühmittelalterlichen Italien nirgends mehr wieder kehrt; sie findet sich nur auf den wenigen ältesten Basiliken Roms, deren

antike Herkunft trotz aller baugeschichtlichen Unklarheiten unanfechtbar ist. Sie erscheinen daher auch den italienischen Technikern der Renaissance als eine

durchaus fremde Bauweise ?) und sind von ihnen in ihrer Besonderheit auch gar nicht mehr verstanden worden .

Die Weiterbildung, Fig. 2, aus der Grundfigur ist, wie wir später zeigen werden, die wahre Gestalt des Dachbinders der alten Basilika von S. Peter :

Knapp stellt den gleichen Doppelbinder in seiner Aufnahmezeichnung) der Basilika von S. Pietro in Vincoli in Rom dar; aber in den Einzelheiten maß

stäblich genaue Aufnahmen dieser Konstruktion sind nicht vorhanden. Dagegen besitzen wir von dem 24 m weit spannenden Doppel binder der Basilika S. Paolo fuori le mura in Rom durch Rondelett) eine genaue Aufnahme. Die Figur 4 ist nach dieser Aufnahme und unter 1) Vgl . Abschn . III, S. 63. 2) Fontana a. a. O. , S. 97 . 3) Bunsen, Denkmäler a. a. 0., Taf. XI. 4) Rondelet a. a. 0. schreibt Bd . 3, Abt. 2, Kap . 3, S. 123 : „ Dieser Dachbinder

( Pl . CV, Fig. 4) ist von Tannenholz, einer der ältesten an dieser Kirche, und im Jahre 816 unter dem Papste Leo III. erneuert worden. “ Dacharbeiten am Dachstuhl von S. Paolo werden schon unter Hadrian I. 772 bis 795 erwähnt und diese scheinen umfang reicher gewesen zu sein , da der Nachricht entsprechend 15 neue Balken eingezogen

wurden. Rondelet hat das Datum 816 wohl gewählt, weil die Chronik weiter vermeldet,

daß die Erneuerung unter Leo III . geschab, weil durch ein Erdbeben ein Teil der Dach

Der alte Dachbinder von S. Paolo nach Rondelet .

131

Benutzung der von ihm angegebenen Einzelmaße gezeichnet. Die von ihm maßstäblich genau angegebenen Einzelheiten stellen es außer Zweifel, daß wir es hier mit einer unbedingt zuverlässigen , korrekten Aufnahme zu tun haben, die vor dem großen , alles vernichtenden, Brande von 1823 erfolgt ist ; sie ist für uns von unschätzbarem Werte, weil es die einzige fachmännische Aufnahme

ist, die uns ein sicheres Bild der eigenartigen Doppelsprengewerke gibt “) . Der Zwischenraum ( Z ) zwischen den Bindern beträgt 14 " ; die Hänge säule ( A ) verjüngt sich nach unten und hat am Kopfende nur einen Quer schnitt von 12:12 " , sie mußte deshalb zwischen den Streben

oben verkeilt

werden. Die Verkeilung machte aber eine Verklammerung der beiden Binder unter sich unentbehrlich . Dazu dienten, wie Rondelet aus drücklich angibt, die unter den Pfetten

( F ) liegenden profilirten Hölzer ( J ). Die Verdopplung liegt so ganz im Ge dankengang des antiken Konstrukteurs, wie wir ihn im II . und lII . Abschnitt

kennen gelernt haben , daß wir die Doppelbinder schon deswegen von vorn herein als antik ansprechen möchten ; und in diesen Hölzern ( J ) finden wir

auch die fiir jede Konstruktionsver dopplung

unentbehrlichen

fibulae?)

wieder, die Klammerstücke, die, um ihren Zweck zu erfüllen , natürlich

eingelassen sein mußten. Durch ihre Form und

Profilirung

dienten sie

Abb. 55.

Nun ist es ganz klar, daß von den Dachverbänden selbst kein Teil durch ein Erdbeben zusammenstürzen konnte, wenn nicht die Kirche selbst ein

rüstung eingestürzt war .

stürzte ; das ist für einen Holzverband undenkbar. Die Nachricht kann sich nur auf die Dachflächen selbst und allenfalls die Dachpfetten beziehn . Daß die Konstruktions

form selbst aus einer Erneuerung bei den angeführten Reparaturarbeiten hervorgegangen

ist, will Rondelet damit sicherlich nicht sagen ; das wäre auch eine ganz unwahrschein liche und unbegründete Annahme, zumal wir die durch Reparaturen umgewandelte

Form gerade bei S. Paolo in dem Binder, Abb. 59, deutlich erkennen können. Vgl. die Ausf. S. 142.

1) Den gleichen Doppelbinder zeichnet Knapp in seiner Aufnahme von S. Prassede

und von S. Maria in Cosmedin in Rom, die baugeschichtlich auch zu den ältesten christ lichen Basiliken gehören . Ob die Knapp'sche Darstellung in diesem Punkte zuverlässig ist, vermag ich nicht zu kontrolliren ; daß er bei S. Prassede etwas der Wirklichkeit entsprechendes wiedergibt, muß man aus dem Detail annehmen, das er in Gestalt einer

offenbar später angebrachten eisernen Verstärkung der Aufhängung zeichnet. Er kann das nicht gut alles aus der Phantasie hinzugesetzt haben. Dafür scheint es mir zu spezialisirt. ;) Vgl. Abschnitt III, S. 42. 9*

132

VII. Abschnitt : 3. Der Dachbinder der alten Basilika von S. Peter in Rom .

neben ihrer konstruktiven Aufgabe zugleich zur Bereicherung der sichtbaren Dachflächen, und dieser dekorative Zweck mag der Grund dafür sein, daß

wir ihnen als Unterlagshölzern für die Dachpfetten bei den offnen Dachwerken auch da später begegnen wo gar keine Doppelbinder mehr vorhanden waren, ihre Klammerfunktion also in Fortfall kam (vgl. Abb. 58, Fig. 3). Nicht ganz klar ist die Aufhängung der Säule am First ( H ) aus der von

Rondelet gegebenen Zeichnung ) zu ersehn ; es scheint mir unwahrscheinlich, daß die Säule an dieser Stelle nur an einem eisernen Bolzen hing ; ich glaube vielmehr die in Abb . 55 dargestellte Überkämmung mit den Firstklammern aus den Angaben entnehmen zu sollen .

3. Der Dachbinder der alten Basilika von S. Peter in Rom ( Abb. 56 u. 57 ). Vom Dachstuhl der alten Basilika von S. Peter ist uns ein sonderbares

Konstruktionsbild überliefert, das Zabaglia in der obersten Figur der Abb. 53 nicht etwa als zünftigen und zeitgenössischen italienischen Dachstuhl, sondern

als archaeologisches curiosum mitteilt. Der Gewährsmann ist für ihn auch hier Carlo Fontana ?) und dieser ist es auch für die ganze technische und bau geschichtliche Literatur des 18. , 19. und 20. Jahrh. gewesen, in der wir dem durch Fontana bezeugten Konstruktionsbild (Abb . 57) überall begegnen, ohne freilich an einer Stelle auf eine Erklärung für die doch ohne weiteres nicht

verständliche Binderkonstruktion zu stoßen. Die Figur wird in der Fachliteratur,

wie das so oft geht, wohl mit einem merkbaren Kopfschütteln, aber auf die Autorität Fontana's hin doch ohne Widerspruch weitergereicht.

Der Binder gehört in die Konstruktionsreihe der Sprengewerke, Abb. 54, und entspricht dem Doppelsprengewerk, Fig. 2 ; nur wird das Konstruktions princip, dessen folgerichtige Durchführung für alle auf antiker Tradition fußende Dachkonstruktionen das eigentlich bezeichnende Merkmal ist, in diesem Falle

in einer ganz auffallenden Weise durch eine dem Verband ganz unorganisch zugesetzte Zange durchbrochen. Wenn diese Zange zur Aussteifung der etwa 12 m langen Streben dienen sollte, so würde sie gewissermaßen den Ersatz für den in Fig. 4, Abb . 51,

dem Verband eingefügten Sprengewerksbock bilden. Aber kann sie ihn wirklich ersetzen ?

Dazu ist sie nach ihrer Form und vor allem nach der Art ihrer

Verbindung mit der Grundfigur ganz ungeeignet.

Diese Art der Verbindung

legt an sich schon den Gedanken einer späteren Zutat nahe. Wir vermögen es deshalb nicht, die Überlieferung Fontana's ohne Kritik hinzunehmen und müssen zunächst einmal die Frage nach seinen Quellen aufwerfen :

Fontana's „ il tempio Vaticano “ ist im Jahre 1694 erschienen, also etwa 80 Jahre später, als die letzte Mauer der alten Peterskirche gefallen war. 1) Rondelet, Fig. 8 auf Pl. CV. Auffallend ist auch , daß Rondelet zwar den Zweck der Hölzer ( J) sehr genau angibt, obwohl er sie doch nicht eingelassen zeichnet, sondern sie nur auflegt. Ich halte das nur für Ungenauigkeit seines Zeichners, denn der richtig angegebene Zweck kann auf andere Weise , als durch Einlassen , ja gar nicht erreicht werden .

Carlo Fontana, a. a. O., S. 59, Anm . 3, il tempio Vaticano, S. 99.

Der Dachbinder der alten Basilika von 8. Peter in Rom.

133

Augenzeuge kann er demnach nicht gelten . Er beruft sich auch gar nicht auf eigne Beobachtungen, sondern auf eine Übermittlung der Zeichnung von andrer Seite; aber die Unbestimmtheit, mit der er seine Quelle bezeichnet, ist auf

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Abb .56

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134

VII . Abschnitt : 3. Der Dachbinder der alten Basilika von S. Peter in Rom

fällig: Der Abschnitt über den Dachstuhl der alten Basilika, Kap . XI, S. 97, beginnt mit folgenden Worten :

„ Bei der Gelegenheit, als man sich nach den Eigentümlichkeiten der heiligen

Basilika umtat, hat uns eine gefällige Persönlichkeit " ) eine richtige Zeichnung des Dachstuhls mitgeteilt , der die Bedachung des Mittelschiffes trägt; und die Art des Verbandes sowie auch die Dachneigung hat uns so gefallen, daß sie uns zur Veröffentlichung veranlaßt hat.“

Diese Einleitung unter Berufung auf einen „ freundlichen Unbekannten“ kann kein großes Vertrauen auf die Sicherheit seiner eignen Information erwecken. Er muß auch für seine Person eine gewisse Unsicherheit in der Sache empfunden haben, das können wir deutlich aus dem Wortlaut des Kapitels herausfühlen ;

denn wenn wir nach dieser Einleitung nun eine sachverständige Äußerung zu der doch immerhin ungewöhnlichen und ihm selbst auch fremden Konstruktion erwarten durften,, so werden wir schwer enttäuscht: Im ganzen Kapitel

wird keine Erklärung über den Zimmerverband gegeben ; der ziemlich ausführliche Exkurs erstreckt sich nur auf die Frage der Neigung dieses alten

Dachstuhls, dessen gute Erhaltung gerühmt wird und der in Bezug auf die Dachneigung – aber nur in dieser Beziehung – als Muster für zeitgenössische -

Ausführungen hingestellt wird .

Wir erhalten den Eindruck, als ob Fontana für seinen „ giusto disegno " zum wenigsten über keine von sachverständiger Hand stammenden Unterlagen verfügt habe ?).

Freilich , ganz aus der Luft gegriffen kann die Darstellung nicht sein ; denn wir besitzen für die so interessante Zimmerkonstruktion aus der Zeit der

Antike noch eine zweite Quelle, die Fontana's Zeichnung in etwas bestätigt, das ist ein Querschnitt durch die Basilika mit zentralperspektivischer Darstellung

des Innenraumes. Diese Zeichnung ist meines Wissens zum ersten Male von Ciampini in seinem 1693 erschienenen Werke ) im Kupfer

stich veröffentlicht (Abb . 56) . Ciampini gibt seine Quellen an “) : Er hat 1) Fontana a. a. O., cap. XI, S. 97 : „ In occasione, che si andavano cercando le particolarità di questa Sacrosanta Basilica Costantiniana, avessimo da una Persona

dilettevole un giusto discgno dell' incavallatura etc. “ Da der Fontana, ebenso wie der Zabaglia zweisprachig, italienisch und lateinisch , erschienen ist, vermag ich auch für diese etwas sonderbar abgefaßte Stelle den lateinischen Text anzufügen : „ Res sacro . sanctae Basilicae peculiares explorantibus vir quidam nobis reram cantheriorum for

mam ... impetrivit.“ 2) Darauf deutet auch das Fehlen eines Maßstabes zu dieser Zeichnung hin – den

Meter - Maßstab auf Abb. 56 habe ich unter Benutzung des feststehenden Maßes von 22 m für die Spannweite hinzugefügt –, während Fontana sonst auf all seinen Tafeln jede seiner Figuren aufs sorgfältigste mit einem Maßstabe versieht.

Was die gute Erhaltung anbetrifft, so erzählt Fontana, daß die Balken nach dem Abbruch noch bei dem palazzo Farnese Verwendung finden konnten. Aber er schreibt die gute Erhaltung auch nur der richtigen Dachneigung zu .

3) De sacris aedificiis a Constantino Magno constructis . Synopsis historica Joannis Ciampini Romani, Romae MDCXCIII.

4) Ciampini, S. 31 : Hanc (ichnographiam ) sequentesque tubulas antiquam basilicam,

et in eis contenta representantes desumpsimus ex quodam codice, in archivo eiusdem basilicae extante, cuius mihi copiam fecit Rev. D. Thomas Vanninus praefatae basilicae Canonicus et Tabularius, permittente tamen Emin. et Rev. D. Carolo Cardinali Barberino, eiusdem

nach der Überlieferung des Fontana und Ciampini.

135

seine Zeichnungen aus einem „ codex “ im Archiv der Peterskirche entnommen und als seine Quelle für den Text nennt er das „ Manuskript" des Alfarano. Unter dem von Ciampini benutzten codex wird man die handschrift lichen Aufzeichnungen Grimaldi's ' ) zu verstehen haben, der unter Paul V.

( 1605 bis 1621 ) päpstlicher Notar an S. Peter war und in dieser Stellung den Abbruch des letzten Teiles der alten Basilika erlebte. Die von Ciampini aus dem codex des Grimaldi entnommene Zeichnung scheint aus der allerletzten Stunde des ehrwürdigen Baues zu stammen, darauf weist die Tatsache hin, daß

wir die gleiche Zeichnung als Wandbild mit dem inschriftlichen Datum

von 160) in den „ nuove grotte“ der jetzigen Peterskirche wiederfinden. Das Wandbild 2) befindet sich in der capella S. Maria de porticu unmittelbar neben der Statue Benedikt XII. , die im gleichen Jahre aus der alten Peters

kirche an diese Stelle versetzt wurde ; es steht inhaltlich in Beziehung zu dieser ; denn zugleich mit dem Standbild wurde auch die marmorne Inschrift

tafel übertragen und vermauert, die die besonderen Verdienste dieses Papstes um die Bedachung der Basilika verkündet: Benedictus XII . Papa Tholosanus fecit fieri de novo tecta huius Basilicae sub anno 1341 .

Die Translation der Denkmäler hatte unter Paul V. Grimaldi zu leiten und da er, wie sein Vorgänger Alfarano), ein pietätvoller Sammler aller

Erinnerungen der alten Basilika war, so wird er vermutlich an einer so ge >

eigneten Stelle die Verewigung des alten Zimmerwerks durch dieses Bild

veranlaßt haben ; denn daß es sich um diese besondere Absicht handelte, geht aus der dem Bild selbst beigefügten Inschrift hervor : contignatio tecti partis veteris basilicae sub Paulo V. demolitae *) . bas. Archipresbytero, quibus humillimas rependo grates, pariterque etiam Rev. D. Jos.

Mariae Cari de Sacris, antiquisque memoriis admodum benemaerenti, qui manuscriptum Tiberii Alpharani antiquae Vaticanae bas. acuratissimi scriptoris, Xysti V. Summi Pontificis coaevi, nobis libentissime communicavit, a quo plurima excerpsimus.

1) Vgl. J. P. Kirsch , Beiträge zur Geschichte der alten Peterskirche in Rom . Röm. Quartalschrift für Christl. Altertumskunde . Rom 1888. S. 113. Nach Kirsch's Angabe hat Jacob Grimaldi in seiner Tätigkeit bei der Translation der Denkmäler und beim Abbruch der letzten Reste der alten Kirche eine Menge von Einzelheiten ver zeichnet. Den reichsten Schatz enthält eine Handschrift der Bibl. Barberini, darunter auch Dokumente über den alten Bau und Innenansichten der Kirche. Ich vermute, daß sich hierunter die Unterlagen für die Wandbilder und für die Kupfer Ciampini's befinden . 2) Ciampini erwähnt in seiner Beschreibung (cap. IV, sectio XV, de partibus sub terraneis ) die in der Kapelle vorhandenen Wandmalereien, ohne näher darauf einzugehn,

weil – wie er sagt – die dort vorhandenen Bilder seinen Tafeln entsprechen. 3) Das Manuscript des Tiberio Alfarano ist neuerdings herausgegeben : Studi e testi 26. Documenti e richerche per la storia dell'antica bas. Vat. I. Tiberii Alpharani

de bas. Vat. antiquissima et nova structura . publ. dal Dott. D. Michele Cerrati , Roma, 1914. Aus dieser Veröffentlichung entnehme ich , daß von Alfarano nur die bekannte

Grundrißaufnahme stammt ; von den Schnittzeichnungen, die Ciampini bringt, wird bei ihm nichts erwähnt.

4 ) Die gleiche Absicht bekundet die das Datum enthaltende Inschrift : „Memoria tecti basilicae veteris. cum effigie Benedicti XII. , quae erat in facie anteriori supra altare mortuorum . MDCV. “ und die weitere Inschrift: „ Benedictus P. XII . , qui tecta

veteris basilicae restituit. Calabria et aliunde magnis abiegnis trabibus advectis, quarum aliquae integrae centum triginta tribus palmis Romanis (29,7 m) longae erant.“

VII. Abschnitt : 3. Der Dachbinder der alten Basilika von S. Peter in Rom

136

Nach dem mir zur Verfügung stehenden Material ist es nicht möglich, die Quelle tiefer zu verfolgen ; aber die äußere Form wenigstens der von Fontana gegebenen Darstellung der Konstruktion ist damit doch bestätigt und

bei derartigen Bildern, wie sie Ciampini bringt, darf man keine hohen An forderungen in Bezug auf eine technisch richtige Wiedergabe des Tatbestandes stellen .

Die uns hier eigentlich interessirenden technischen Fragen werden

erklärlicher Weise von den Darstellern sowohl wie von den Gelehrten absolut

nebensächlich behandelt “).

Eine bei der erkennbaren Unsicherheit Fontana's wohl berechtigte Zweifels frage müssen wir aber noch beantworten : Hat er etwa für sein „ giusto disegno überhaupt keine andere Quelle gehabt als dieses aus der Mappe des Grimaldi

தாயார் சாயபபாாதகதபாராய

UNUNU

22,00 m meter

Abb . 57 .

stammende Schnittbild, aus dem er sich dann schlecht und recht eine Rekon struktion des Binders hergestellt hätte, um seine Leser zu mystificiren ? Die Frage muß man verneinen.

Man kann das schon um deswillen nicht

annehmen, weil Fontana gewisse Einzelheiten bringt, die der ohne technisches Verständnis gezeichnete Schnitt nicht enthält, und die Fontana unmöglich als

1) Daß das eigentlich Technische nicht wichtig genommen wurde, zeigt sich schon in der Art, wie auch dieses Bild, das zu den bekanntesten Stücken der baugeschichtlichen Literatur gehört, ohne Angabe oder Prüfung der Quelle weitergegeben worden ist. Für Platner-Bunsen (Beschreibung der Stadt Rom, Stuttgart u. Tübingen 1829 ) scheint ebenso, wie für Hübsch und Gutensohn & Knapp Fontana die Quelle zu sein, der das Bild, S. 99 seines Werkes, auf der gleichen Tafel wie den Binder ( Abb. 57) bringt.

Die spätere baugeschichtliche Literatur scheint es aus einem dieser drei Werke ent zu haben , Nur Hübsch, dieser gewissenhafte Konstrukteur, hat den Schnitt nicht ohne Kritik hingenommen . Er hat zu dem Dachstuhl Fontana's anscheinend kein Vertrauen gehabt und in das gleiche Schnittbild den für ihn vertrauenswürdigeren von S. Paolo fuori le mura eingezeichnet (Hübsch a . a. O., Pl. IV, Fig. 2).

nommen

nach der Überlieferung des Fontana und Ciampini .

137

freie Erfindung hinzugefügt haben kann ; denn gerade diese Einzelheiten sind wichtig und geben recht eigentlich den Schlüssel, um das Rätsel dieses Kon struktionsbildes zu lösen.

Zabaglia gibt die Zeichnung Fontana's nicht richtig wieder ') ; wenn wir

seine Zeichnung mit dem Original Fontana's (Abb . 57 ) ?) vergleichen , so sehn wir, daß der Spannbalken nicht aus einem Stück besteht, wie es Zabaglia angibt, sondern gestoßen ist. Der Stoß wird von Fontana genau gezeichnet ; er hat die Form eines Hakenblattes und ist stark mit Eisen verwahrt.

Auch

die Sprengestreben sind am First durch besondere eiserne Bänder armirt, eine Einzelheit, die auch nur Fontana bringt. Diese Einzelheiten sind es, die dem Fontana eine gewisse Vertrauens

würdigkeit sichern müssen ; sie können nicht einfach ohne jede Unter lage rekonstruirt sein, weil sie sich aus der Konstruktion selbst ebenso

wenig ergeben, wie die gezeichnete Zange, sondern nur Zusätze und Ab änderungen vorstellen können, die zum Zweck bestimmter technischer Maß nahmen erfolgt sind.

Zumal die starke Verankerung am First ist als späterer Zusatz zu erkennen : Eine so starke Armirung an dieser Stelle ist bei den Sprengewerken ungewöhnlich, weil dort im allgemeinen keine Zugspannungen entstehen , die den Zusammenhang des Verbandes gefährden könnten.

Wir müssen es ferner als ausgeschlossen betrachten, daß die Spann balken des Binders in seinem ursprünglichen Zustande aus zwei Stücken

zusammengesetzt waren .

Die Rondelet'sche Aufnahme des alten Binders von

S. Paolo fuori le mura (Abb. 54, Fig . 4) beweist auch die Unmöglichkeit dieser Annahme für den Dachstuhl von S. Peter. Ganz abgesehen davon

zeigt aber auch die Nachricht über die großen Reparaturarbeiten unter Benedikt XII . :), daß man es sich sogar damals noch angelegen sein ließ , mög lichst lange Hölzer herbeizuschaffen

eben um

die Balken auch bei der

Wiederherstellung aus einem Stück anfertigen zu können . Ob das bei allen Reparaturarbeiten möglich war, ist eine andere Frage; vor allem wird bei

späteren Arbeiten keine große Rücksicht genommen sein, war doch der Abbruch 1 ) Zabaglia zeigt auch durch andere Einzelheiten, daß er mit der Zeichnung nichts anzufangen weiß und es ist andern auch so damit gegangen ; nur Choisy ( l'art de bâtir chez les Romains, a. a. O. , S. 152, Anm . 1 ) sagt etwas kritisches darüber; aber seine Kritik richtet sich nach der verkehrten Richtung: Er gibt kein ( ' rteil über ihren sach

lichen Wert, sondern er will den ganzen Dachstuhl nicht als antik gelten lassen ; er benutzt die Nachricht über die Reparaturarbeiten unter Benedikt XII . , um die ganze Konstruktion als mittelalterliches Erzeugnis zu erklären. Das heißt nun doch das Kind mit dem Bade ausschütten .

Nichts weist in der Nachricht von 1341 über die vor

genommenen Erneuerungen darauf hin, daß etwa wie nach einem Brande ein vollkommen neuer Dachstuhl konstruirt worden ist. Es kommt ja in Wirklichkeit nicht darauf an , wieviel Hölzer bei der Reparatur ersetzt worden sind, sondern darauf, daß man die alte Form beibehielt. Mit dieser Behauptung ist für die Sache auch gar nichts gewonnen. Denn wie kam denn nun der mittelalterliche Zimmermann zu dieser ihm ganz fremden und aus sich so wenig zu begründenden Konstruktionsform ? ?) Fontana a. a. O. , S. 99. 3, Vgl . Anm . 4 , S. 135.

VII . Abschnitt : 3. Der Dachbinder der alten Basilika von S. Peter in Rom.

138

der in schlechtem Bauzustande befindlichen alten Basilika bereits im Jahre 1447

unter Nikolaus V. eine beschlossene Sache '). Alle von Fontana angegebenen Einzelheiten weisen auf die Wieder herstellungsarbeiten hin, die der Dachstuhl in mittelalterlicher Zeit über sich hat ergehen lassen müssen. Auf welche Teile sich diese Reparaturen erstrecken mußten, lehrt die praktische Erfahrung. Die gefährdeten Teile waren die

eingemauerten und außen vorkragenden Balkenköpfe, ferner alle unmittelbar unter der Dachhaut liegenden Teile, wobei man nicht einmal nur an die im

Laufe der Jahre eintretenden Schäden in der Dachdeckung zu denken braucht, sondern auch an die bei offnen Dachstühlen unter gewissen Witterungs

verhältnissen unvermeidlichen feuchten Niederschläge an der inneren Dach fläche.

Das erklärt die im Konstruktionsbilde auffallenden Zusatzteile zur

Genüge : Wenn man einen vielleicht auf der Wetterseite am Kopf schadhaft gewordenen Balken durch Auswechslung der betreffenden Balkenhälfte wieder herstellen wollte, so war dafür keine andere Möglichkeit gegeben , als daß man

zunächst den Schub des Sprengebocks durch Anbolzen einer Zange abfing ; den First mußte man verankern, sobald man den jetzt gestoßenen Balken durch Verkeilung in den Stößen in Spannung versetzte und ihn an der Aufhängungs

stelle durch Antreiben der Keile an der Hängesäule „ sprengte“ . Zange und Firstarmirung haben aber wahrscheinlich auch noch eine zweite Aufgabe gehabt und das ist wohl auch der Grund, weshalb man sie nicht als provisorium betrachtet und später entfernt hat ; sie mußten die Aufhängung >

verstärken, wenn der Kopfteil der Hängesäule schadhaft geworden war. Es ist aber ohne weiteres ersichtlich, daß zu den durch die vorgenannten Einflüsse

stark gefährdeten Teilen vor allem der Kopf der mit der Hirnholzfläche unmittelbar unter dem First liegenden Hängesäule gehörte (vgl. Abb . 55) . Am Kopfende war die Säule, wie Abb. 54 Fig. 2, zeigt, ursprünglich aber nur aufgebängt.

Wir werden die gleichen Gesichtspunkte nachher bei den Bindern der Schwesterbasilika, S. Paolo fuori le mura, noch mit viel größerer Sicherheit

verfolgen können, weil wir dort in der glücklichen Lage sind , zwei Aufnahmen zu besitzen, die den ursprünglichen und den reparirten Binder nebeneinander darstellen. Aber wir können auch hier schon aus den besprochenen Einzelheiten den sicheren Schluß machen, daß Fontana zwar eine Skizze oder etwas dem

ähnliches vom Dachstuhl der Basilika wohl gehabt hat, aber eben nur eine laienhaft und ohne Maßstab aufgenommene, die nur den aus den Reparaturen hervorgegangenen Binder darstellte. Aus diesen Unterlagen hat er selbst wohl keine rechte Klarheit gewinnen können .

Auch die vielen und zum Teil an

ganz unmöglichen Stellen sitzenden Holzpflöcke zeigen , daß er sich ganz auf die Wiedergabe einer unfachmännisch gemachten Skizze beschränken mußte ; er bezeichnet diese Befestigungsteile in dem zugehörigen Index ganz summarisch unter einem Buchstaben mit den eisernen Bändern als „ cavicchie e staffe per concattenare “, d. h . als „ Pflöcke und Verankerungsbänder “, sie sind in kind 1 ) Memorie istoriche della gran cupola del tempio Vaticano, Gio. Poleni . Padova, 1748.

S. 14 .

Seine ursprüngliche Form .

139

licher Weise gleichmäßig als runde Pflöcke dargestellt, obwohl es sich bei diesen Befestigungsmitteln, wie auch Rondelet's Aufnahmen von S. Paolo beweisen, zum Teil um Verkeilungen, zum andern Teil um eiserne Bolzen handeln mußte .

Wir erhalten demnach die ursprüngliche Form des alten Dachstuhls von

S. Peter aus der Zeichnung Fontana's erst dadurch, daß wir uns die als Zusatz erkannten Teile fortdenken ; dann zeigt uns der in Fig. 2, Abb . 54, dargestellte Doppelbinder das alte Bild der Konstruktion in ihrer reinen Form . Wir

brauchen über die Verwendung des einfachen Sprengewerks bei einer Spann weite von 22 m um so weniger zu staunen , als ja die von uns als fremder Bestandteil entfernten Zangen für die Versteifung des Verbandes in Wirklichkeit so gut wie nichts beitragen konnten . Nach meiner überschläglichen Rechnung würde für die etwa 12 m langen Sprengestreben ein Querschnitt von 65/65 cm allen Ansprüchen für die Festigkeit

genügt haben. Dieses Maß entspricht auch ziemlich genau der Fontana'schen Zeichnung.

Daß der Dachstuhl sehr starke Holzmaße aufwies, wird in der

Beschreibung Alfaranos bezw . Ciampini's besonders erwähnt. Architektonisch ist die Zurückführung der Konstruktion auf die einfachste

Form nicht nur verständlich, sondern sogar die einzige Möglichkeit, einen Raum wie diese Basilika in architektonisch wirksamer Weise mit off'nem Dachstuhl

abzuschließen . Ein großer und einfacher, den Raum nicht zerschneidender

Linienzug und große Holzmaße, die mit den gewaltigen Abmessungen in richtigem Verhältnis standen, waren die wohlerwognen Mittel monumentaler Wirkung. Die Kathedrale von Messina ) (Abb . 71 ) und die ihr verwandten Bauten sind die Bauwerke, die diese monumentale Tradition ihrem Geiste nach

weiterführen, und die uns mit ihren allerdings bescheideneren, aber immer noch bedeutenden, Raumabmessungen einen Eindruck von der Wirkung eines derartigen Raumabschlusses geben können.

4. Die Konstruktionsreihe der Hängewerke, Abb. 58, und der jüngere Binder von S. Paolo fuori le mura bei Rom, Abb. 59. Da bei den Hängewerken die Aufhängung innerhalb des Binderverbandes selbst liegt, so fällt hier der Grund für eine Verdopplung der Binder fort und wir erhalten die für die italienischen Dachstühle aller Zeiten charakteristischen

Formen des einfachen, zweifachen oder dreifachen Hängewerks, Abb . 56. Über die Verbindung der Hölzer gilt das vorher bereits gesagte ?), sie geschieht durch Versatzung oder durch Knaggen , für die Aufhängung selbst werden eiserne Bänder verwendet.

Die bei weitem häufigste Form , das einfache Hängewerk mit zwei Spreizen, ist in zwei Varianten in Fig. 2 und Fig. 3 dargestellt. Bei der Fig. 2 nimmt das Spreizenwerk die Form eingelegter Sprengeböcke an ; diese technisch wobl rationellste Bildung ist meines Wissens nur bei einigen Dächern alter und 1 ) Seite 129.

3) Seite 126, Anm. 2.

VII. Abschnitt : 4. Die Konstruktionsreihe der Hängewerke

140

Hängewerke.

1.

Fig.

Par. Full

Fig.

2.

Fig .38itt ).

( Schn O

TO

ht

ic Fiegn.a3ns9 n n (I es des Dach )

meter

Fig.3 . is

Fig.

4.

Par . Fuß 1 Par Fuß = 12 "

0,3248 m

Abb . 58 .

und der jüngere Binder von S. Paolo.

141

ältester römischer Basiliken zu finden , wie S. Sabina, S. Clemente und S. Agnese. Über die Datirung dieser Konstruktionen vermag ich kein Urteil abzugeben.

Der Binder Fig. 3 ist nach der Aufnahme Gottfried Sempers ') gezeichnet und stellt den offnen und reich bemalten Dachstuhl von S. Miniato bei Florenz

dar, der laut Inschrift aus dem Jahre 1357 stammt. Aber der Binder kommt in der gleichen Form überall in Italien als offner Binder ) oder Träger einer aufgehängten Decke vor.

Im übrigen kann ich es mir versagen, auf diese Konstruktionen näher einzugehn ; sie bieten auch dem modernen Konstrukteur nichts neues und können ganz allgemein als Muster rationell und folgerichtig durchgebildeter Hängewerks binder angesehn werden ). Dagegen bedarf die ungewöhnliche Kon struktion des in Abb. 59 wiederum nach den Angaben Rondelets:)

S. Paolo fuori le mura, Rom

Späterer Binder

Paris. Fuß - 12 " - 03248 m

Abb . 59.

gezeichneten Doppelbinders, den Rondelet selbst als einen zweiten Binder von S. Paolo fuori le mura bezeichnet , einer eingehenderen Betrachtung

Rondelet gibt auch für diesen Binder genaue Maße an, die in Abb. 59 benutzt sind, und zeichnet ihn – ob aus Versehn oder aus Absicht, ist nicht festzustellen - ohne die bei dem älteren Binder (Abb . 51 , Fig. 4) ausdrücklich -

-

1 ) Gottfried Semper, , Der Stil“. München 1863. Bd. 2, Taf. XVII bis XX . 2) Vgl. Rohault de Fleury , la Toscane au moyen âge, Paris 1873. Beispiele sind : Pal. publ . Siena, Pal. comm. Pistoja u. S. Gimignano, u . a. 3) Ein vorzügliches Konstruktionsschema für ein dreifaches Aängewerk zeigt auch der Schnitt des Daniele Barbaro ( Abb. 62 ) ; hier ist der Dreiecksverband in folgerichtiger Weise zu einem statisch klaren System weitergebildet. 4) Rondelet a. a. O., Pl. CV., Fig. 5 .

VII. Abschnitt : 4. Die Konstruktionsreihe der Hängewerke

142

beschriebenen Klammerstücke ( J) ').

Seiner Herstellung nach erklärt er

ihn für jünger, was ohne weiteres einleuchtend ist ; aber über das Ver hältnis oder

auch

nur

über die Stellung

der beiden Binder zueinander

sagt er nichts.

Bei diesem Doppelbinder besteht jeder einzelne Binder für sich aus einem dreifachen Hängewerk und damit ergibt sich für die ganze Anordnung der Konstruktion ein innerer Widerspruch , da die Konstruktionsverdopplung eben durch das Vorhandensein der Hängewerke jeder Begründung entbehrt. Das Bild der späterhin behelfsweise aus der anderen und ursprünglichen Form , Abb . 51 , Fig. 4 , umgewandelten Zwitterbildung wird vollständig , wenn wir die mittlere Hängesäule betrachten, die oben zwischen den abgeschnittnen Säulen stümpfen der Hängewerksbinder verbolzt ist.

Auch hier zeigt wieder der gestoßene Spannbalken den aus der Reparatur hervorgegangenen Binder an.

Der Stoß ist von Rondelet

genau angegeben und besteht aus einem schrägen, verkeilten Hakenblatt, das auffallender Weise in der senkrechten Schnittebene des Balkens liegt , und mit drei eisernen Bändern

armirt ist .

Wenn wir beide Bilder, Abb . 5+, Fig. +

und Abb. 59, neben einander halten , so kann uns die Diagnose nicht schwer fallen ; sie wird etwa lauten : Ersatz einer Balkenhälfte und damit notwendig werdender Stoß ; dadurch bedingte bessere Aufhängung des gestoßenen Balkens

und damit Umwandlung des eingelegten Sprengewerks in ein Hängewerk. Umwandlung des Hauptsprengewerks in ein Hängewerk, um die am Kopf

schadhaft gewordene und deshalb abgeschnittne alte Hängesäule befestigen zu können .

Anscheinend sind einzelne der ursprünglichen und noch gut erhaltenen Binder zwischen diesen Reparaturbindern stehn geblieben ; auf eine andere Weise vermag ich mir die Aufnahme der beiden so verschiedenen und doch wieder nur aus einer Form abzuleitenden Konstruktionen , die doch nebeneinander bestanden haben müssen, nicht zu erklären .

Für die Hängewerkskonstruktionen (Abb. 58) findet sich nicht wie bei den Sprengewerken ein bestimmter Anhalt, um ihre antike Tradition un

mittelbar nachzuweisen, weil sie in der gleichen Form zu jeder Zeit in Italien gebräuchlich waren : Aber dennoch würde die Annahme, daß sie ihre

Ausbildung erst durch die mittelalterliche Zimmertechnik erfahren haben, nicht nur sehr unwahrscheinlich sein, sondern würde auch durch Vitruv selbst ohne weiteres widerlegt werden können.

Vitruv

versteht

unter

„ transtra cum capreolis " nicht nur Sprengewerke , sondern auch Hängewerke ; das ergibt sich klar aus seiner Beschreibung der 1) Tatsächlich würden die Doppelbinder, die als Hängewerke unter sich keinen konstruktiven Zusammenhang haben , die fibulae jetzt entbehren können, und das ist vielleicht der Grund, der Rondelet veranlaßt hat, sie wegzulassen . Knapp und nicht den alten, Fig. 4, bringen , haben aber die fibulae gezeichnet und es ist auch nicht denk bar , daß sie gefehlt haben könnten . Wenn der eine Bindertyp sie aufwies , so mußte sie der andere auch besitzen , denn sonst hätten ja die Pfetten in verschiedenen Hübsch , die bei ihren Aufnabmen nur diesen Binder

Abb. 54

Höhen gelegen .

und der jüngere Binder von S. Paolo.

143

Basilika in der colonia Julia Fanestris ; denn es handelt sich in dieser Beschreibung um beide Konstruktionen und sogar um Hängewerke mit sehr starker Aufhängung.

Wir werden uns mit dieser Beschreibung schon deswegen näher be

schäftigen müssen, weil alle technischen und architektonischen Probleme, die uns die Basilika aufgibt, hier bereits in klarster Form zum Ausdruck kommen und weil die Basilika der Bautyp ist, an dem wir die letzten architektonischen und die technischen Traditionen der antiken Dachkonstruktion verfolgen können.

VIII . ABSCHNITT.

Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike. 1. Der Bautyp nach den Angaben Vitruv's und die basilica der colonia Julia Fanestris. der Gebäudelehre Vitruv's wird die basilica besonders eingehend behandelt, weil hier ein vom Autor selbst entworfenes und ausgeführtes Bauwerk vor geführt wird .

Diese einzige Beschreibung eines von Vitruv nach eigenem Entwurf

errichteten Gebäudes knüpft unmittelbar an die allgemeine Besprechung der mit dem Wort „ basilica “ bezeichneten Gebäudegattung an. Es handelt sich um eine basilica für die colonia Julia Fanestris, das heutige Fano, also um

einen Spezialfall, der sich in der typischen Form dem allgemeinen Begriff unterordnet, aber in den Einzelheiten aus der besonderen Aufgabe hergeleitete

Eigenarten aufweist ; dieses Beispiel von Fanum zeigt damit zugleich die Entwicklungsfähigkeit der typischen basilica nach der technischen und archi tektonischen Seite für die besonderen Bedürfnisse des Einzelfalles. Wir müssen

also, um nach beiden Seiten Klarheit zu gewinnen, zunächst das wesentlichste

der allgemeinen Beschreibung hervorheben : „ Der Platz für die basilica

so beginnt diese

steht unmittelbar mit

dem forum in Verbindung und soll auf der wärmsten Seite desselben liegen ").“ Das forum dient dem Geschäfts- und Gerichtsverkehr, d . h. dem gesamten bürgerlichen Gemeinschaftsleben ; seiner Erscheinung nach ist es eine area, die von Säulenhallen - porticus - umgrenzt ist. Diese porticus sind nach italischer Sitte zweigeschossig; die area soll rechteckig sein und die Breite

ringsum

soll ?/; der Länge betragen. Wir können danach auch den Begriff der basilica, wie er sich aus dem 3

Vitruv ergibt, auf eine einfache Formel bringen , denn die Zweckbestimmung ist die gleiche wie die des forum , und ihre bauliche Gestaltung ist eine un

mittelbare Ableitung: Die basilica dient dem gleichen Zweck wie das forum und stellt ihrer Bauform

nach ein forum mit überdeckter

area, dar.

Durch die Bedachung der area wird das forum zum Gebäude, zur basilica, genau wie der bei neueren Monumentalbauten typische, von Corridoren oder Galerien eingeschlossene, Innenhof durch ein Glasdach zum Gebäudeteil, zur 1 ) Vitr. 105, 24 : Basilicarum loca adiuncta foris quam calidissimis partibus oportet

constitui, ut per hiemem sine molestia tempestatium se conferre in eas negotiatores possint .

1. Der Bautyp nach den Angaben Vitruv's, die basilica Ulpia u. die bas. Pompeiana. 145

Lichthalle, wird. Säulenhallen und Dach sind die beiden den Bautyp bestimmenden Teile , andere kann man aus der allgemeinen Beschreibung nicht ableiten ; aber in ihrer Verbindung liegen in Wirklichkeit auch alle technischen und architektonischen Probleme eingeschlossen , die der Bautyp basilica bietet.

Auch die Einschränkung der Breite für die area , die nunmehr zum Mittel

schiff wird, auf das Maß von 1/3 bis / der Länge liegt darin begründet; aus dem Abhängigkeitsverhältnis vom forum erklärt es sich auch, daß Vitruv weder im allgemeinen Teil noch in der Darstellung des speziellen Falles ein Wort

von den Treppen sagt, obwohl doch die obere porticus einer Treppe bedurfte. Die basilica brauchte normalerweise keine besondere Treppenanlage, da ihre porticus mit der des forum in Verbindung stand. Eine Illustration zu der aus dem Vitruv abzuleitenden Grundformel bietet

in gewisser Hinsicht die basilica Ulpia auf dem Trajansforum (Abb. 61) die freilich mit ihrer

doppelten porticus den von

den

organischen

ULPIA BASILICA

durch

BLIOTHEK

Vitruv gedachten Maßstab sehr übersteigt gerade Zusammenhang mit dem forum ; weil

die ganze

TRAJAN'S

TRAANS

Anlage im Sinne Vitruvs

TEMPEL

STATUE SAULE

tektonischen

Entwurf

None

einen einheitlichen archi

ROGEN

IE IE

FORUM

bildet, während es sich bei den meisten uns be kannten Basiliken um einen dem forum später zugefügten Bau handelt.

‫نی‬ Abb . 61 .

Wie in Fanum trat auch

hier die basilica mit ihrer Längsseite mit dem forum in Verbindung. Das

Gesamtareal war ein Rechteck mit dem Seitenverhältnis von 2 : 3 ; es war so geteilt, daß 2/3 Fläche für das Forum , 1/3 für die Basilika bestimmt war.

Was den Querschnitt des allgemeinen Typs anbetrifft, so ist die in unserem Sprachgebrauch als „ basilikal“ bezeichnete Überhöhung des Mittelschiffes zum Zweck der unmittelbaren Lichtgewinnung für Vitruv zwar eine gewohnte Form

denn er beschreibt sie bei seinem Einzelbeispiel Fanum –, aber keine Grundbedingung ; in der allgemeinen Beschreibung ist davon nichts gesagt ; es handelt sich also um keine den Typ bestimmende Forderung ), sondern um 1) Ein gutes Beispiel einer basilica, für die eine Mittelschiffüberhöhung aus prak tischen Gründen nicht gefordert zu werden brauchte und deswegen unterblieb , ist die basilica von Pompeji , von der A. Mau in den Mitt. d. kais. Deutsch. arch. Inst.

Röm. Abt. Bd. III, 1888, S. 14 (La basilica di Pompeii) eine überzeugende Rekonstruktion gibt. Die Basilika liegt mit der Schmalseite am forum , die beiden Längsseiten und die Rück seite liegen frei, sodaß die Wände der porticus reichliche Lichtöffnungen erhalten können.

Da die porticus zudem eingeschossig sind und die Mittelschiff breite nur 12,28 m beträgt, war die Beleuchtung auch ohne Oberfenster im Mittelschiff zweifellos sehr auskömmlich . Sackur , Literatur der Antike.

10

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

146

eine in der Mehrzahl der praktischen Fälle notwendige Folgerung aus dem ganzen Baugedanken.

Daniele Barbaro ?) illustrirt die Beschreibung des allgemeinen Typs in dem durch Abb. 62 wiedergegebenen Kupfer mit vollem Rechte ohne das ,basilikale" Oberlicht und sieht dafür reichlich Fenster in den Wänden der

porticus vor. Und bei seiner Rekonstruktion der Fanestrischen basilica, Abb. 60, für die dieses Oberlicht von Vitruv ausdrücklich angegeben wird, hat er dafür die porticus fensterlos dargestellt; eine absichtliche Betonung der

für diesen Punkt in erster Linie in Frage kommenden praktischen Rücksichten nach einem klaren, dem Text durchaus entsprechenden, Gedankengang. Eine zweite Stelle in den X Büchern des Vitruv vermag unsere Vorstellung von der unter basilica verstandenen Bauform noch wesentlich zu erweitern.

Ich

meine ihre beiläufige Erwähnung im 3. Kap. des VI. Buches ; diese Stelle beweist auch, daß das Wort tatsächlich eine allgemein übliche Bezeichnung eines bestimmten Gebäudetyps war, der wie jeder Typ in mannigfachen Varianten auftrat, ohne eigentlich seine Wesensform einzubüßen.

Vitruv beschreibt an dieser Stelle ) die sogenannten „ Ägyptischen Säle" ; das sind Speisesäle oder Festsäle vornehmer Häuser, bei denen der Raum beiderseits eine Säuleneinstellung erhielt, über der sich ein äußerer, als Balkon benutzter, Umgang – circumitus subdiu – befand. Über dem Gebälk standen wiederum Säulen, zwischen denen Fenster angeordnet waren. Vitruv sagt von diesen Sälen, daß sie „ mehr mit Basiliken als mit andern Speise sälen Ähnlichkeit hätten " . Die Beschreibung wird durch den Kupfer Claude Perrault's , Abb. 6 :3 , gut illustrirt3) .

Perrault stellt ganz richtig in seinem Schnitt keine eigentliche basilica dar ; denn die Säulengänge an beiden Seiten sind viel zu schmal, um als porticus gelten zu können. Worin liegt nun die von Vitruv gemeinte Ähnlich keit?

Nach dem Wortlaut des Textes hätte man sie in den Oberfenstern zu

suchen, also in der besonderen Art der Beleuchtung, und wir setzen bei dieser

Annahme auch Vitruv mit sich selbst durchaus nicht in Widerspruch ; denn wenn er den „ basilikalen “ Beleuchtungsmodus auch nicht zur Grundbedingung gemacht hat, so dürfte er ihn doch als ein typisches Merkmal ansehn , weil er sich in der überwiegenden Zahl der praktischen Fälle als notwendig ergab. Aber selbst wenn wir mit Reber ) annehmen, daß er die Ähnlichkeit in

erster Linie in der doppelten Säulenstellung gefunden hat, so wäre damit ja auch noch nicht gesagt, daß der Begriff basilica für Vitruv nun starr an die 1) Daniele Barbaro , i dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio, in Venetia 1584. Vgl. Abschn. I, S. 7, Anm . 1 .

2) Vitr. 143, 18 : In aegyptiis (oecis) autem supra columnas epystilia et ab epistyliis ad parietes, qui sunt circa, inponenda est contignatio, supra coaxationem pavimentum , subdiu ut sit circumitus. deinde supra epistylium ad perpendiculum inferiorum colum

narum inponendae sunt minores quarta parte columnae. Supra earum epistylia et orna menta lacunariis ornantur, et inter columnas superiores fenestrae conlocantur ; ita basili carum ea similitudo, non corinthiorum tricliniorum videtur esse.

3) Claude Perrault, les dix livres d'architecture de Vitruve. Paris 1675. Vgl. Abschn . I , S. 8, Anm ,

4) Franz Reber. Die Urform der röm . basilica, S. 45.

1. Der Bautyp nach den Angaben Vitruv's und die aegyptischen Säle.

147

ONTATO Abb .62

es QUGAL 10*

118

VIII. Abschnitt: Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Zweigeschossigkeit der porticus gebunden gewesen wäre . Vitruv weist bei dem forum auf die Zweigeschossigkeit als auf eine national-italische Sonder gewohnheit ausdrücklich hin ; der zweigeschossigen porticus des forum mußte

die zweigeschossige der basilica sinngemäß entsprechen. Das läßt den Schluß Planche LIV.

Abb. 63.

zu, daß der dem forum und der basilica zu Grunde liegende Begriff auch bei ihm nicht mit der italischen Sonderform erschöpft ist. Wenn wir die Säulengänge des Schnittes, Abb. 63, bis zur Breite wirk

licher porticus anwachsen lassen, so entsteht ein basilikales System , das in einem berühmten Bau von viel bewunderten Größenverhältnissen vertreten war und in seiner besonderen Form sicher nicht vereinzelt dastand ; das ist die

1. Der Bautyp nach den Angaben Vitruv's und die basilica des Herodes in Jerusalem. 149

von Flavius Josephus im 15. Buch seiner Altertümer ') beschriebene basilica , die Herodes d. Gr. in den Jahren 19-11 v. Chr. auf dem Tompelplatz in Jerusalem erbaut hatte. Diese hatte ein Mittelschiff von der doppelten Höhe der porticus. Die Obermauer war ebenso mit Halbsäulen besetzt und die Säulen waren korinthischer Ordnung. Die porticus waren in der gleichen Weise flach abgedeckt, so daß ein äußerer Umgang entstand 2).

Der Bau fällt nicht mehr unmittelbar in die Zeit Vitruvs, der seine Bücher 10 Jahre vorher schon abgeschlossen hatte. Aber die angezogene Bemerkung über die aegyptischen Säle weist doch zu auffällig auf diesen Typ

hin. Man kann unmöglich annehmen , daß er Vitruv fremd gewesen ist und außerhalb der von ihm für die basilica gezogenen Grenzen gelegen habe. Wir haben gar kein Recht, ihn selbst in so enge Grenzen festzulegen ; er verwahrt sich wenigstens ausdrücklich bei allen Beschreibungen seiner Gebäudetypen dagegen, und auch bei den Basiliken fügt er seinen Angaben über Längen- und Breitenverhältnisse gleich die einschränkende Bemerkung an : „ nisi si loci natura inpedierit et aliter coegerit symmetriam commutari.“ Unter diesen Gesichtspunkt fallen für mich auch andere Einzelheiten : Wenn wir uns den Schnitt Daniele Barbaro's, Abb. 62, noch einmal ansehn, so bemerken wir an der Rückseite, daß die seitlichen porticus nicht herum geführt sind, sondern gegen die Rückwand anlaufen und so den Blick auf das

nischenartige tribunal freilassen . Seine Rekonstruktion erinnert dadurch stark an die christliche basilica des späteren Altertums und entspricht in dieser Form nicht dem Text Vitruvs .

Dieser erwähnt nämlich in seinem

allgemeinen Teil über die basilica das tribunal überhaupt nicht. Es gehört für ihn nicht zu den notwendigen Bestandteilen. Es wird in vielen Fällen gefehlt haben, ohne daß das Gebäude damit den Charakter einer basilica verloren hätte ).

Aber fällt deswegen etwa die von dem italienischen Interpreten gegebene

Darstellung ganz aus dem Gedankengang Vitruv's heraus? Durchaus nicht. 1) Flavii Josephi opera omnia, Imman. Becker, vol. III. Lipsiae 1856. 'Agyanoloyias βίβλος πεντεκαιδεκάτη.

3) Die Maße waren sehr bedeutend : Die Breite der porticus betrug 30 Fuß, die des Mittelschiffs das anderthalbfache. Die porticus waren 50 Fuß hoch , das Mittelschiff

doppelt so hoch. Konrad Lange, Haus und Halle, Leipzig 1885, S. 201 f. f., Rekonstr. und Beschreibung bei Wurz, D. D. Bern, Straßburg 1906, und in dem Aufsatz von Max Hasak : Welches Vorbild ahmen die Basiliken Konstantins nach ? in der Zeitschr. f. christl. Kunst, XXVI. Jahrg. 1913, S. 129–144 und 166 - 177. 3) Konrad Lange hat in seinem Buch „ Haus und Halle “ als erster die Fülle von

Fragen, die an die basilica anknüpfen, in erschöpfender Weise behandelt und den Beweis geführt, daß die basilica der römischen Kaiserzeit das unmittelbare Vorbild für die

Constantinischen Basiliken war. Für Lange ist der Grundtyp der basilica mit Über höhung des Mittelschiffs und tribunal durch Vitravs Beschreibung der Fanestrischen basilica gegeben ; er sieht in dessen genereller Beschreibung deshalb nicht die weiter

gezogene Grenze für die Bedingungen des ganzen Typs ; sondern behauptet, daß die nicht genannten beiden Attribute dort nur als eben selbstverständlich nicht erwähnt wären. Aber wie die richtige Rekonstruktion der Pompeianischen basilica durch Mau

(vgl. S. 145, Anm . 1 ) beweist, hat der Wortlaut Vitruv's in der Überhöhungsfrage

Lange gegenüber doch recht behalten ; und so hat Vitruv wohl auch in der Frage des tribunal diesen gewohnten Teil nicht ohne Absicht fortgelassen , weil es eben doch

150

VIII . Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Denn auch Vitruv unterbricht bei seiner Fanestrischen basilica seine porticus vor dem tribunal, (Abb. 64) ; freilich liegt diese Unterbrechung in der Querachse des Baues, aber man darf nicht übersehn, daß das ein zufälliger nur aus der besonderen Lage des Bauwerks sich ergebender Umstand ist : Hätte seine basilica mit ihrer Schmalseite am forum gelegen – etwa wie die Pompe ianische so würde die Anlage, was das Bild der Rückseite anbetrifft, im wesentlichen durchaus dem Schnitt des Daniele Barbaro entsprochen haben .

Allerdings, nur in der Anordnung , nicht in der architektonischen Aus bildung ; in diesem Punkt ist Vitruv auch von diesem trefflichen Interpreten

nicht ganz erkannt worden : In dem architektonischen Repertoire des Verfassers der X Bücher spielen Bogen und Gewölbe als archi tektonische Gestaltungsmittel noch eine sehr bescheidene Rolle. Vitruv schließt die durch Unterbrechung der porticus vor dem tribunal ent standene Lücke nicht durch einen Bogen, sondern durch einen Architrav ab ; oder unter Hervorhebung der konstruktiven Gesichtspunkte: Statt eines

gemauerten Bogens macht er ein Hängewerk (Abb. 65 ); er unter scheidet sich also von Daniele Barbaro nicht im architektonischen Gedanken , sondern nur in den technischen Mitteln . Wir müssen auf die Beschreibung näher eingehn, wobei wir die besonderen

architektonischen Absichten, die Vitruv selbst als solche bezeichnet, hervorheben wollen : Als architektonische Besonderheit sind in erster Linie die trotz der

Zweigeschossigkeit der porticus durchgehenden Säulen zu betrachten, denen zur Aufnahme der Unterzüge für die Decke der unteren und das Dach der oberen Pfeiler angegliedert sind "). Die Säulen sind höher als die

beiden porticus, sodaß über deren Dächern Lichtöffnungen für das Mittelschiff entstehn. Es ergibt sich das in Abb. 60 oder 63 dargestellte Bild, das die wahrscheinlich auch Basiliken obne tribunal gegeben hat (vgl. dazu auch Nissen, Pompeian . Studien, Leipzig 1877, S. 210). Das Verhältnis der Fanestrischen basilica zum allgemeinen Teil ist gerade des wegen interessant, weil es die von Vitruv immer betonte individuelle Freiheit

des architektonischen Entwurfes gegenüber der als Regel geltenden typischen Form klar erkennen läßt, und es ist nur bezeichnend, daß Vitruv die von der Regel abweichenden Besonderheiten am Schluß sehr eingehend begründet (pag. 107, 20—26). Man kann deswegen nicht sagen , daß Vitruv in der Schilderung der

Fanestrischen basilica die typische Gestalt der basilica beschreibt ; wohl

aber zeigt sie uns den architektonischen Gedankengang eines antiken Architekten innerhalb der durch den Typ gegebenen Ideenwelt. Ihre Beweiskraft für den von Lange richtig erkannten Typ erleidet dadurch keine Einbuße.

2) Vitr. 106 , 17 : columnae altitudinibus perpetuis cum capitulis pedes L, crassi tudinibus quinum , habentes post se parastaticas altas pedes XX, latas pedes IIS, crassas IS, quae sustinent trabes, in quibus invehuntur porticuum contignationes. supra que eas aliae parastaticae pedum XVIII, latae binum, crassae pedem, quae excipiunt item trabes sustinentes cantherium et porticûm , quae sunt summissa infra testudinem,

tecta. ( Wir haben hier eine genaue Beschreibung des üblichen porticus-Daches, das mit seiner Schräge den Raumabschluß bildete ohne Zwischendecke und zugleich ein gutes Beispiel eines cantherius- Daches in Form eines Pultdaches, vgl. S. 123, 124). Reliqua

spatia inter parastaticarum et columnarum trabes per intercolumnia luminibus sunt relicta . Die Maße des Bauen waren nicht unbedeutend : Die Säulenhöhe 50 Fuß

die Breite des Mittelschiffs 60 Fuß = 17,76 m.

- 14,80 m ;

1. Der Bautyp nach den Angaben Vitruv's und die basilica der colonia Julia Fanestris. 151 besonders für die spätere christliche basilica wichtige Bauform des überhöhten Mittelschiffes zeigt.

Ebenso wie für den Aufriß sind auch für den Grundriß genaue Maße angegeben ; die Beschreibung ist auch hier so klar, daß die Rekonstruktion keine Schwierigkeiten macht (vgl . Abb . 64) . Eine Besonderheit des architektonischen Entwurfs in der Grundrißdisposition ist nicht die Anlage eines tribunal, sondern

die Unterbrechung der porticus vor dem tribunal ; diese Unterbrechung geschah auch nicht etwa diesem zu Liebe, sondern ergab sich mehr aus einem Gefühlsmoment: Das tribunal lag in einer „ aedes ", in einem geweihten P

proncos

B

Oasilica

PR

O2

48,58

O

o

5

120

+5420

8

20

Oh

B

O2

0

20

30

40

50 I

60 E

70

80

Abb. 64 .

Raum , und der Blick auf diesen Raum sollte freigehalten werden. Gerade diese vom Architekten übrigens selbst gegebene Motivirung bringt den architektonischen Gedankengang in eine ganz unverkennbare Parallele mit der besonderen Bauweise der späteren christlichen basilica. Wir wollen hier Vitruv selbst sprechen lassen :

„ Auf dieser Seite (der dem Forum gegenüberliegenden Längsseite) fehlen die beiden mittleren Säulen, um nicht die Ansicht der „ geweihten Tempelhalle“ zu verdecken, die mitten in der Seitenwand der basilica liegt und auf die

Mittelachse des forum und den Jupitertempel gerichtet ist. Das in diesem geweihten Raum befindliche tribunal hat eine nach dem kleineren (dem inneren)

152

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Halbkreis gekrümmte Form : Vorn ist der Durchmesser dieses Halbkreises 46 Fuß ; die gekrümmte Fläche dazwischen (zwischen dem kleineren und größeren Zirkelschlag) beträgt 15 Fuß, sodaß die bei den Beamten befindlichen Leute nicht dem Publikum im Wege stehn, das in der basilica zu tun hat“)." Vitruv nennt die aedicula, die in der Querachse der basilica angebaut war, zuerst einen „ pronaos aedis augustus“, dann sagt er, das tribunal befinde sich in dieser „ aedes' , darauf spricht er von den „ antae, quae a pronao pro

currunt“, und von den „ parietes pronai“ und schließlich noch einmal von dem ,,alterum culmen a medio supra pronaum aedis", dem anderen Dach von der Mittelachse aus über dem „ pronaos aedis“ . Welche Vorstellung erhält man danach von diesem geweihten Raumteil, der das tribunal aufnimmt ? 1) Vitr., pag. 107,3 : ... mediae duae (columnae) in ea parte non sunt positae,

ne impediant aspectus pronai aedis augusti, quae est in medio latere parietis basilicae conlocata spectans medium forum et aedem Jovis. item tribunal, quod est in ea aede, hemicyclii schematis minoris curvatura formatum . eius autem hemicyclii in fronte est intervallum pedum XLVI, introrsus curvatura pedes XV, uti, qui apud magistratus starent, negotiantes in basilica ne impedirent.

Die Beschreibung des tribunal und seiner Lage ist durchaus klar, wenn man die Terminologie Vitruvs richtig feststellt uod dann den Text genau so nimmt, wie er ist, und ihn nicht, wie es hier bei allen mir bekannten Rekonstruktionen geschehen ist, willkürlich verändert. Zunächst steht die Lage des hemicyclium absolut fest, an der Angabe des Textes ist nicht zu deuteln ; denn es heißt nachher von den Anten : „ antae, quae a pronao

procurrunt, dextraque ac sinistra hemicyclium tangunt“ . Hemicyclium ist aber immer ein Halbkreis und kein Kreissegment, und nur ein Halbkreis kann berühren ; es heißt aber

tangunt und nicht secant. Über die Lage der Anten besteht kein Zweifel und damit ist auch der Halbkreis bestimmt ; die angegebenen Maße passen dabei vortrefflich, vgl. Abb. 64. Denn die Entfernung zwischen den Säulen ist 48,58 Fuß und der Durchmesser

des hemicyclium ist 46 Fuß, sodaß sich für den Vorsprung der Anten auf jeder Seite das Maß von 1,29 Fuß ergibt.

Daß aber intervallum in fronte den Durchmesser bedeutet, kann gar nicht bezweifelt werden ; intervallum heißt bei Vitruv Abstand oder Spannweite ; das Wort wird häufig

angewendet; gemeint ist intervallum „inter cornua hemicyclii“. Ich verweise dazu nur auf die Stellen im Vitruv, in denen er die Grundfiguren für den Theaterbau beschreibt,

die uns überhaupt die richtige Terminologie zu unserer Stelle liefern können ; es heißt da z. B. pag. 120,9 : „ in cornibus hemicyclii centra signantur et circino conlocato in

dextro ab intervallo sinistro circumagitur circinatio.

Kann man die Gleichheit der

Ausdrucksweise verkennen ?

Ebenso erfahren wir an diesen Stellen, was Vitruv unter curvatura versteht : curvatura ist die von der circinatio oder linea circinationis gebildete Fläche : es heißt von einer durch die Kreisfläche schneidenden Linie zwar „secat circinationis lineas dextra ac sinistra“ (pag. 120,8), aber immer : „curvaturam circinationis praecidit, wo ein

Segment durch eine Linie abgeschnitten wird (pag. 117,5 u. 120, 4) ; ferner von den Winkeln der dem Kreis eingeschriebenen Quadrate heißt es pag. 120, 2 : anguli trium quadratorum circinationis lineam tangunt, aber von den Dreiecken, deren Winkel ebenso

den Kreis berühren, aber selbst innerhalb der Kreisfläche liegen , pag. 117 : trigoni, qui currunt circum curvaturam circinationis. Und von der Tangente an den Kreis wird

nicht etwa gesagt : „ ad curvaturam circinationis designatur“, das wäre für Vitruv ein Unsinn, denn curvatura ist keine Linie , sondern es heißt pag. 120,6 : ad extremam

circinationem curvaturae parallelos linea designatur. In beiden Stellen, die das geometrische Schema des römischen und griechischen

Theaters beschreiben, ist curvatura die Kreisfläche der orchestra. In unserer Be

1. Die basilica der colonia Julia Fanestris : Ihr tribunal.

153

Wenn sich diesem pronaos wirklich eine „ cella “ anschließen würde, sodaß eine „ aedes“ im vollen Sinne des Wortes, d. h. ein Tempel, entstünde, so

könnte Vitruv nicht im nächsten Satz schon sagen : „tribunal, quod est in ea aede“ ; denn mit aedes bezeichnet man doch schließlich den Hauptraum , also die cella . Das tribunal kann aber nach der unzweideutigen Be scbreibung nirgends anders als im pronaos liegen. Daß eine cella in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist, dafür ergibt sich ein weiterer ebenso zwingender Beweis aus dem Satze über die Wände des pronaos : Er zählt hier genau alle Stellen auf, wo die Binder des Dachstuhls liegen : auf die Säulen folgen die Anten und dann nicht etwa die Wände

dabei wären ja pronaos und cella eingeschlossen –, sondern die Wände des pronaos. Von den Wänden einer cella ist gar keine Rede ; aber der aedes

-

die durften bei dieser Aufzählung unmöglich fehlen – wenn eben eine vor handen gewesen wäre – , denn die cella konnte doch nicht ohne Dach bleiben.

Aus der Beschreibung des tribunal und dem Wortlaut der angeführten Stellen ergibt sich für mich die zuerst von Sondheimer ) richtig erkannte und begründete Auffassung mit absoluter Sicherheit, daß die von Vitruv gemeinte

„ aedes“ nur die Form eines „ pronaos “ hat. Diese „ aedes “ besteht, wie Abb. 64 zeigt, aus einer vorn mit Säulen abgeschlossenen Nische. Man würde sie als exedra bezeichnen können, denn sie hat dem Grundriß nach die Form eines Ausbaues, wie er für ähnliche Zwecke bei den porticus von alters her beliebt war. Aber durch die Säulen und durch einen darüber befindlichen Giebel

wird aus der exedra eine aedicula. Der Form entsprechend nennt Vitruv diesen Ausbau einen „pronaos aedis“, und weil er geweiht war – ohne wirklich zu einer gottesdienstlichen Handlung dienen zu können - , nennt er ihn „ augustus“. So erklärt es sich auch, daß Vitruv sein tribunal in diesen nicht ganz profanen Raum legen kann , dessen Weihe er wiederum in seinem Entwurf dadurch gerecht wird, daß er die porticus vor ihm unterbricht.

Die Übersetzung „ geweihte Tempelhalle “ kann den Begriff natürlich nicht richtig wiedergeben, unser deutsches „ Halle “ setzt eben einen größeren Raum voraus ; wir haben keine Raumbezeichnung für die besondere Form eines pronaos. schreibung ist die curvatura die ringförmige Fläche, die durch den kleineren Halbkreis, das hemicyclium schematis minoris gebildet wird und durch einen größeren Kreis, der durch das Breitenmaß des Ringes von 15 Fuß bestimmt wird. Dieses Maß liegt inner .

halb des Ringes, deshalb sagt Vitruv richtig : „ introrsus curvatura pedes XV “ . Auch pag . 94 , wo Vitruv die Konstruktion für die Kaneluren der Säulen beschreibt , liefert ein klares Bild , bei dem curvatura auch wiederum das Segment bedeutet : Nachdem

der Umfang der Säule in 20 Teile geteilt und dadurch das „ intervallum “ der einzelnen Kanelur festgestellt ist. wird mit diesem intervallum als Seite ein Quadrat gezeichnet und aus seinem Mittelpunkt ein Kreis umschrieben, dann heißt es : et quantum erit curvaturae inter rotundationem et quadratam descriptionem tantum ad formam excaventur. Aus dem Text ist nach meiner Meinung keine andere, als die in Abb. 64 dar gestellte Form herauszulesen und diese paßt durchaus zu der von Vitruv gegebenen Begründung. Die richtige Rekonstruktion des tribunal ermöglicht es auch erst, den „ pronaos aedis augustus “ richtig zu verstehn . Das falsche Bild des tribunal auf allen bisherigen Rekonstruktionen hat auch zu einer vollkommen falschen Vorstellung von diesem Bauteil geführt. 1) Sondheimer, Vitruvius u. seine Zeit. Vgl. Anm . 3, S. 3, Abschnitt I.

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

154

Sondheimer hat durch seine Auslegung dem Wortlaut des Textes und

dem technischen Zusammenhang in gleicher Weise Rechnung getragen; er hat aber damit auch die textkritische Schwierigkeit beseitigt, die in dem groß

geschriebenen Augusti lag, das bisher alle Vitruvausgaben in dem Satze „ne impediant aspectus pronai aedis augusti“ aufwiesen. war damit zu einem Augustustempel gemacht.

Die Exedra der basilica

Zunächst kann man sich nicht gut einen Tempel vorstellen, dessen Zugang durch ein in seine Vorhalle eingebautes tribunal gesperrt wird. Aber abgesehn von dieser sachlichen Schwierigkeit, kommt der Titel „ Augustus “ für Caesar Octavianus an keiner Stelle der X Bücher sonst vor, obwohl Vitruv den Kaiser

doch im Eingang aller X Bücher persönlich anredet, weil Vitruv sein Werk nachweislich bis zum Jahre 28 v. Chr. abgeschlossen hatte, während der Kaiser den Ehrentitel Augustus erst im Jahre 27 v. Chr. angenommen hat.

Die zeit

lichen Voraussetzungen des ganzen Werkes widersprechen deshalb der Lesart „ Augusti “ auf das bestimmteste. Die Lösung der Frage kann nur auf dem von Sondheimer vorgeschlagenen

Wege gefunden werden , denn es geht auf keinen Fall an, etwa die ganze Text stelle über die Fanestrische basilica für einen späteren Einschub zu erklären :

Die Art der Beschreibung und die Ausdrucksweise entspricht der Schreibweise der X Bücher in so markanter Form , daß die Urheberschaft Vitruvs gar nicht in Abrede gestellt werden kann " ). Man muß diesen Gedanken aber auch aus 1) Der Herausgeber der Vitruvausgabe von 1912, Kroho, hat es doch fertiggebracht, die Beschreibung der basilica Fanestris als eingeschoben zu erklären. Sachliche Gründe kann Krohn dafür nicht anführen ; denn der einzige sachliche Grund, daß nämlich Vitruv niemals in Fanum gewesen wäre, weil er sonst im II. Buch nicht so abenteuerliche Dinge vom Lärchenholz erzählt hätte, denn dieses Holz wäre gerade über Fanum gehandelt worden - kann doch wohl nicht als irgendwie beweiskräftig in Frage kommen. Was aber die angeführten textkritischen Beweise anbetrifft, so genügt es, einige Proben davon zu geben : 1. Vitruv nenne das Mittelschiff „testudo“, aber testudo würde von ihm nur eine

Belagerungsmaschine genannt. – Es ist das nicht einmal richtig; denn Vitruv spricht auch an anderer Stelle von „ testudinata tecta“ ; 2. „ columnae altitudinibus perpetuis cum capitulis “ käme sonst im Vitruv nicht vor ; er sage sonst einfach „ columnae cum capitulis“ aber hier handelt es sich doch

um „durchgehende“ Säulen und dafür ist das Wort perpetuus doch gerade bezeichnend und durch und durch vitruvisch ! 3. cantherius käme im Vitruv sonst nur im Plural vor, hier stünde es im Singular

aber hier sind es doch nicht Sparrenpaare wie sonst, denn es handelt sich um Pultdächer !

Ich will die Geduld meiner Leser nicht zu sehr in Anspruch nehmen ; in diesem Tone geht die Textkritik weiter durch ähnliche Mißverständnisse hindurch oder Be

deutungslosigkeiten . Nur eines will ich noch anführen : Vitruv sagt am Eingang seiner Beschreibung:

basilicarum comparationes, quo genere Coloniae Juliae Fanestri conlocavi

curavique faciendam .

Wenn man als Architekt einen Bau ausführt, so kann man von der Ausführung

nicht „vitruvischer“ sprechen, als das hier geschieht, insbesondere wenn man das Wort comparationes richtig versteht, das mit „ Entwurf“ übersetzt werden muß ( vgl. die Aus >

führungen zu comparatio Anm. 2, S. 105) . Es ist hier nicht die Stelle, um auf den Beruf

des Architekten nach der Auffassung Vitruvs näher einzugehn, ich verweise dazu auf die Andeutungen in der Anm. 1 , S. 6. Aber das „curare“ ist bei Vitruv das durchaus

1. Die basilica der colonia Julia Fanestris : Die Echtheit der Textstelle .

155

sachlichen Gründen vollkommen fallen lassen , die in der Beschreibung vor

geführte Konstruktion kann mit ihren mächtigen Holzarchitraven, ihren un vermauerten Oberlichtöffnungen zwischen den Säulenkapitellen und bei dem Fehlen aller Elemente, die auf den zu Augustus' Zeit in Rom sich ent wickelnden Backsteinbau hinweisen, auf keinen Fall in nachvitruvischer Zeit gedacht werden .

Dieser Bau ist eigentlich kaum noch zu Augustus’ Zeiten anders denkbar, denn als Arbeit Vitruv's; Vitruv war bei Beginn der Augusteischen Blütezeit

der Stadt Rom ein alter Mann, er gehörte einer älteren Generation an ; map muß, um das zu erkennen, z. B. sein an sich sebr sachverständig geschriebenes Kapitel über den Lehmsteinbau lesen, in dem sein Mißtrauen gegen die neue Technik des Backsteinbaues unverhohlen zum Ausdruck kommt.

Dem in seinen

technischen Mitteln damals längst überholten Architekten Vitruv entspricht dieser Bau in Fanum zu sehr, als daß man ihm die Urheberschaft streitig machen könnte .

Die über den Säulen liegenden Architrave des Mittelschiffes und der

Dachstuhl werden folgendermaßen beschrieben (Abb . 65 u. 66) : „ Auf den Säulen liegen aus drei Balken von 2 Fuß Stärke zusammengesetzte Architrave und diese ( c) kröpfen an den innen stehenden dritten Säulen auf die Anten zurück (b), die vom pronaos vorspringen und rechts und links den Halb kreis berühren.

Auf diesen Architraven liegen immer über den Kapitälen als

Stützpunkte angeordnete Pfeiler von 3 Fuß Höhe und jederseits + Fuß Breite ( d). Über diesen liegen ringsum Unterzüge 1) aus zwei Hölzern von je 2 Fuß (e). Hierüber liegen die Dachbinder in den Achsen der Säulen, über den Anten und bezeichnende Wort für die ausführende Tätigkeit des Architekten, bei der er als Bevoll. mächtigter und Treuhänder des Bauherrn eben die „ cura " übernimmt. Ich fübre dafür nur zwei Stellen an : pag. 242, 8 : architectus, cum publicum opus

curandum recipit ... und pag. 133, 11 die interessante Stelle, in der er sich darüber beklagt, keine Aufträge bekommen zu haben, weil er es nicht verstünde, sich vorzudrängen :

ceteri architecti rogant et ambiunt ut architectentur, mihi autem a praeceptoribus est traditum rogatum non rogantem oportere suscipere curam. Die cura des Architekten besteht darin , daß er

-

faciendum curat.

Krohn hält den Ausdruck für unvitruvisch; nur der Bauherr – nicht der Architekt könne so von einer Bauausführung sprechen . Er hat alles, was Vitruv Über die Tätigkeit des Architekten sagt, nicht verstanden und hat von dem eigentlich fachlichen Inhalt der basilica-Beschreibung und ihren technischen Beziehungen ebensowenig verstanden. Diese ganze Textkritik baut sich auf sichtbaren Mißverständnissen auf. Ich habe auf diese Mißverständnisse bereits im Repertor. f. Kunstwiss. Bd. XXXVI, 1913 aufmerksam gemacht und dort versucht, noch eine andre Lösung der textlichen

Schwierigkeit zu finden, als sie Sondheimer vorgeschlagen hat, kann aber meine damals aufgestellte Hypothese nicht aufrecht erhalten.

1) Vitr. 107,9 : supra columnas ex tribus tignis bipedalibus compactis trabes sunt circa conlocatae, eaeque ab tertiis columnis, quae sunt in interiore parte, revertuntur ad antas, quae a pronao procurrunt, dextraque ac sinistra hemicyclium tangunt. supra trabes contra capitula ex fulmentis dispositae pilae sunt conlocatae, altae pedes III, latae quoquoversus quaternis. supra eas ex duobus tignis bipedalibus trabes everganeae

circa sunt conlocatae. quibus insuper transtra cum capreolis columnarum contra corpora et antas et parietes pronai conlocata sustinent unum culmen perpetuae basilicae, alterum a medio supra pronaum aedis .

.

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

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Abb .65

156

Wind

1. Die basilica der colonia Julia Fanestris : Der Aufbau der Dachbinder.

157

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Abb. 66.

über den Wänden des „ pronaos“, um ein Dach in der ganzen Länge der

1

Basilika, das andere von der Mittelachse aus über dem „pronaos aedis “ zu tragen .“

1

Auf Abb . 65 ist der Aufbau der Konstruktion im Zusammenhang dar gestellt, und zwar auf der rechten Seite in der Form des Dachbaues , wie ihn Vitruv beschreibt, während die linke Seite ihre Verkleidung durch Aufmauerung darstellt. Über die Konstruktionsform der transtra

158

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike .

cum capreolis im einzelnen ist nichts gesagt. Die beiden uns bekannten Formen ven S. Paolo sind hier nur Beispiels halber gewählt, weil der Zusammenhang auf zwei Formen, ein Sprengewerk und ein Hängewerk, hinweist und beide Formen dort aus den im vorigen Abschnitt erwähnten Gründen nebeneinander vorkommen.

Ein Hängewerk mit starker Aufhängung muß Vitruv aber auf den inneren dritten Säulen der unterbrochenen Längsreihe konstruirt haben ; daran ist nicht

zu zweifeln . Hier kröpfen die Architrave nach den Anten hin ab ( c, Abb. 66) die Unterzüge (e) auf den Pfeilern ( d) gebn aber durch und mußten aufgehängt werden, weil auf ihnen die Fußpunkte der beiden Sprengewerksbinder des Mittelschiffes ( 9) liegen mußten. Die in Abb. 66 gezeichnete Konstruktion ergibt sich aus der Beschreibung und findet sich auch in dieser Weise bei allen Rekonstruktionen , die Anspruch auf sachliche Geltung haben können ; ich verweise auf die Rekonstruktion von Daniele Barbaro, Abb. 60 ).

Vitruv nennt das Mittelschiff ,,mediana testudo“, einen andern Namen hat er dafür überhaupt nicht, ebenso wie die Seitenschiffe bei ihm nur porticus heißen,

eine Bezeichnung, welche die kirchliche lateinische Literatur beibehalten hat. Die testudo ist für uns nach der Durcharbeitung der poliorketischen Abschnitte ein geläufiger Begriff: Die testudines der Poliorketik sind offne

Dächer von besonderer Konstruktion, sie sind binderlos ; es fehlt ihnen für die Dächer antiker Gebäude charakteristische System

die

bildung Die grundlegende Verschiedenheit der beiden Dachkonstruktionen wird uns nach Durcharbeitung des VII. Abschnittes noch stärker zum Bewußt

sein gekommen sein ?). Der Ausdruck wurde von der Militärtechnik auf die bürgerliche Baukunst übertragen wir haben bereits darauf hingewiesen, daß er nicht nur von Vitruv 1) Von den zahlreichen Rekonstruktionen kommen unter diesem sachlichen

Gesichtspunkt eigentlich nur die von Viollet - le -Duc in seinen Entretiens sur l'architecture mehr kann man es nicht nennen (Paris 1863, t. I, S. 156, pl. 10) und die Andeutungen von Choisy in Frage (Auguste Choisy, Vitruve, a. a. O., Tome IV, figures, pl. 47). -

Daniel Barbaro ist in der Richtigkeit und vor allem in der architektonischen Auffassung nirgends erreicht. Falsch ist bei ihm nur das Walmdach über dem Mittelbau und der

zu niedrige pronaos aedis. Beides widerspricht dem Text des Vitruv. Ein Walmdach ist auch konstruktiv ganz undenkbar und übrigens an keiner Basilika nachweisbar oder auch nur möglich , weil der offne Dachstuhl ein Walmdach ausschloß. Auf diese Dach form hat sich Daniele Barbaro nur verirrt, weil der Begriff der testudo zu seiner Zeit

ganz mißverstanden wurde ; sein Walm stellt offenbar ein Kompromiß mit den An schauungen der Zeit über die testudo dar (vgl. Anm. 1 , S. 159). 2) Vgl. Abschn. IV, S. 72 und Abb. 35, 38, 39. Ostendorf unterscheidet in seiner Geschichte des Dachwerks a. a. 0. die binderlose Konstruktionsform als das „germa nische “ Kehlbalkendach von dem „antiken “ Pfettendach . Diese Unterscheidung ist

an sich sehr berechtigt, da sich die Dachkonstruktionen der nordischen Länder auf der Grundlage dieser binderlosen Konstruktion der capreoli-Gespärre entwickelt haben. Nur

darf

man

aus

dieser Unterscheidung keine zuweitgehenden ent

wicklungsgeschichtlichen Schlüsso ziehn. ( Vgl. Ostendorf, S. 2.) Die aus den Gesetzessammlungen nach ihm für manche Stämme allenfalls rekonstruir

bare germanische „ Urhütte“ weist nichts auf, was mit diesen binderlosen Kehlbalken

verbänden Beziehung hat. Diese capreoli-Konstruktion, deren Vorkommen in den Urhütten ja auch höchst unwahrscheinlich ist

-

auch die norwegischen Beispiele sind

1. Die basilica dor colonia Julia Fanestris : Die mediana testudo.

159

gebraucht wird – das Ähnlichkeitsmerkmal lag aber in unserm Falle nicht in der Konstruktion, sondern in dem unverdeckten, innen sichtbaren Dachwerk. Das geht aus der Beschreibung Vitruvs mit aller Deutlichkeit hervor: Er hebt den besonders günstigen Raumeindruck seiner basilica, unmittelbar an die Be schreibung des Dachaufbaues anknüpfend, hervor :

„ So gewährt die doppelte verschränkte Anordnung der Dachflächen , außen Dach und innen hohe ,, testudo " , ein schönes Bild ')." >

werden die Germanen auch da gelernt haben, wo sie andere technische Dinge lernton, nämlich bei den Römern. Diese Missionsarbeit leistete

in Wirklichkeit mittelalterlich

für die Provinzen die Armee und wenn wir von Varro hören , daß die testudo-Konstruktion

die eigentliche Armee-Zimmertechnik war „ testudo, ut est in praetorio et castris “ (vgl. Anm. 1 , S. 73), so erhalten wir damit einen Fingerzeig: Wir werden der Wahrheit

näher kommen, wenn wir auch für das Handwerk der deutschen Zimmer leute die römische Tradition an den Anfang der mittelalterlichen Ent wicklung setzen. 1) Vitr. 107, 20 : „ ita fastigiorum duplex pectinata dispositio extrinsecus tecti et

interioris altae testudinis praestat speciem venustam." pectinata ist allerdings nur Con jektur ; die Handschriften haben das sinnlose „tectinata“ . Von einer pectinata dispositio kann aber bei diesem einen Anbau doch auch nicht recht geredet werden. Ich glaube, daß

es statt „ tectinata “: testudipata heißen muß. Bei der duplex testudinata dispositio liegt der besondere Ton auf dem duplex ; denn die beiden im Winkel zu einander stehenden oftnen Dächer sind es, die das schöne Bild ausmachen sollen ; und die testudinata dispositio wird durch den Zusatz „ extrinsecus tecti et interioris altae testudinis“ erklärt. Der Ausdruck testudo hat in der Latinität der Humanisten eine vollständig andere

Bedeutung erhalten. Leone Batt. Alberti versteht darunter ein Gewölbe von der Form eines Klostergewölbes, einer Kuppel oder eines Muldengewölbes. Diese ganz unvitruvische Auffassung ist Schuld daran, daß die meisten älteren Interpreten die Fanestrische Basilika mit einem großen Tonnengewölbe darstellen, wovon Vitruv kein Wort sagt; eine Vor stellung, die auch technisch zu verkehrt ist, um sie ernst zu nehmen .

Es wäre denkbar, daß das Wort später zu einem reinen Formbegriff geworden seine ursprüngliche Bedeutung dabei ganz verwischt wäre ; aber die Sache liegt daß und nicht so ; der Ausdruck wird meines Wissens im Sprachgebrauch der späteren Antike nicht mehr verwendet und die Italiener haben ihn vielleicht aus dem Kommentar des Servius zum Vergil entnommen . Servius, comm. in Verg . Aen. 1,505 : testudine : camera

incurva, id est fornicata, quae secundum eos, qui scripserunt de ratione templorum, ideo sic fit, ut simulacro coeli imaginem reddat, quod constat esse convexum . quidem tradunt apud veteres omnia templa in modum testudinis facta , at vero sequenti aetate divinis simulacris positis, nihilo minus in templis factas esse

testudines , quod Varro ait, ut separatum esset, ubi metus esset, ubi religio administraretur. bene ergo , cum de templo loqueretur, addiditei testudinem etc. Der Grammatiker Servius lebte in der zweiten Hälfte des 4. Jahrh . n . Chr. und

seine Erklärung beweist, daß der Ausdruck damals nicht mehr gebräuchlich war. Die Erklärung selbst zeigt seine ganze Hilflosigkeit, von einem technischen Begriff eine klare Vorstellung zu geben ; aber der Zusammenhang seiner Notizen die bereits in Anm . 1 , S. 73 angeführte Stelle aus dem Varro de lingua latina ist auch dabei –

beweist doch , daß es sich bei ihm um offne Dachstühle und bei den Tempeln um Sprengewerke wie bei unserer basilica handelt, aber nicht etwa um Gewölbe.

An

scheinend waren diesen Sprengewerken oft auch „ camerae “ angehängt ( vgl . den nächsten Teil des Abschnittes ).

Daß die Italiener mit Ausnahme des Daniele Barbaro durch den Vitruv selbst nicht auf die richtige Bedeutung des Wortes gekommen sind, liegt größtenteils daran ,

daß sie sich von den poliorketischen Konstruktionen kein auch nur annähernd zutreffendes Bild herzustellen vermochten .

160

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Die Form des Raumabschlusses der basilica von Fanum steht damit fest: Sie hatte einen offnen Dachstuhl und das war keine Besonderheit ,

sondern die für solche Gebäude gewohnte Art der Überdeckung ; wir können diesen Schluß machen, weil der offne Dachstuhl bei der späteren Basilika nachweislich die als selbstverständlich angesehene und deswegen un zweifelhaft traditionelle Bauweise war.

Den Nachweis werden wir im zweiten

Teil dieses Abschnittes erbringen.

2. Dach und Decke der antiken Basilika. Wenn wir in dieser Frage auch weiterhin die konstruktiven Gesichts punkte in den Vordergrund rücken, so wäre damit bereits die Antwort für diejenigen Basiliken wenigstens gegeben , bei denen wir die auf Abb . 54 dar gestellten Sprengewerks - Binder als ursprüngliche Konstruktion nachweisen könnten. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß diese Sprengewerke über haupt nur in Verbindung mit einem offnen Dachstuhl denkbar sind , weil auch die durch Verdopplung erreichte Aufhängung zu schwach gewesen wäre, um eine innere Balkendecke anzuhängen.

Diesen Konstruktionen kann niemals die

Absicht zu Grunde gelegen haben, einen horizontalen Raumabschluß in Gestalt eines Plafonds herzustellen.

Der überlieferte Dachstuhl von S. Peter mit einem

Plafond und der dafür benötigten besonderen Balkenlage ist eine technische Unmöglichkeit.

Trotzdem sagt diese Überlegung noch nicht genug ; von diesen Sprenge

werksstühlen sind zu wenige erhalten und die zahlreichen offnen Dachstühle des mittelalterlichen Italiens zeigen ebenso oft Hängewerke, deren Traditionen wohl ebenso gut antik sind, die sich für beide Deckenformen aber in gleicher Weise eignen würden . Die italienische Renaissance ist in der Frage des Raumabschlusses der Basilika ihre eignen Wege gegangen.

Das traditionel offne Dach des

Mittelalters entsprach nicht ihren Wünschen. Leone Battista Alberti ), der älteste Führer auf dem Wege zur neuen Kunst, stellt keine Hypothese über

das Urbild der alten Basilika auf; im Gegenteil, es scheint fast, als ob er die uralte mittelalterliche Tradition herausgefühlt habe ; sondern er sagt rund heraus, wie die seinen Intentionen entsprechende Ausführung der Basilika Decke aussehen soll :

„ Das Zimmerwerk wird am schönsten werden, wenn unter ihm eine innere

Decke nach einer wagerechten Ebne ausgespannt wird, und durch eine sorgfältig 1) Leonis Baptistae Alberti de re aedificatoria libri decem a. a. O. , lib . VII, cap. XV,

S. 110, Contignatio basilicarum : „Contignatio multum erit decora, si fiet intimum in ea >

caelum subtensum ad planitiem coaequabilem , atque tabulis ad unguem compactis. Deformabunturque aptis dimensionibus grandes cycli angularibus figuris commixti, distinguenturque membratim areolae lineamentis sumptis a particulis coronarum, maxime

gulula oviclis baccisque, ac frondibus insertis, fientque areolarum limbi circumredimiti fasciis gemmatis digna ac promota rerum prominentia, interque flores et acanthi in signes splendescant, spatiaque ipsa pictorum ingenio ad omnem venustatis elegantiam expoliantur.“

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Der „ Plafond " des Alberti.

161

abgebundene Verschalung. Es werden auch nach passenden Abmessuugen große Kreise in Verbindung mit rechteckigen Figuren auszuführen und die Felder durch Profile zu gliedern sein, die von den einzelnen Teilen der Gesimse über nommen werden, insbesondere durch die Keble, den Eierstab, den Perlstab und eingeflochtene Laubgewinde. Die Felderbalken sollen mit ornamentirten

Bändern in richtigem Verhältnis und stark genug hervortretend umrahmt werden, und dazwischen sollen Blumen und schöne Akanthen glänzen und die Felder selbst sollen durch die Kunst der Maler zur schönsten Wirkung gebracht werden. “

Alberti gibt damit das architektonische Programm der Renaissance für den Bau von Basiliken : Die Italiener haben es ausnahmslos befolgt und haben

auch die alten Basiliken, deren Restaurirung sie sich angelegen sein ließen, mit Plafonds in der von Alberti angegebenen Weise versehn ; denn Restauriren hieß bei ihnen nach dem Zeitgeschmack einrichten . Praktisch bedeutete die Alberti’sche Forderung folgendes :

Zu einer horizontalen Decke bedarf es zunächst einer vollständigen Balkenlage, einer contignatio, die auf oder unter den Spannbalken der Dach

binder liegen, jedenfalls von ihnen getragen werden muß . Die dadurch be lasteten Spannbalken machen wiederum eine stärkere Aufhängung nötig, sodaß für den Dachbinder die Form des Hängewerks unerläßlich wird . Die Innendecke selbst kann auf zweierlei Art ausgeführt werden : Die erste üblichste und am wenigsten aufwendige Art ist auf Abb . 67 dargestellt. Das Beispiel ist den schlichten Räumen der Karthause entnommen, die Pius IV. ( 1559–1566) in den Diocletiansthermen errichtete ; es stellt aber in Wirklichkeit

eine zu jeder Zeit in Italien ausgeführte typische Form vor. Es ist die aus der eigentlichen Struktur der antik - italienischen Balkendecke , der con tignatio , hervorgegangene Lacunarien - Decke und als solche gewisser maßen das Gegenstück der steinernen Lacunarien-Decke der Tempelvorballen . An diese einfache und konstruktive Form der Innendecke denkt Alberti

hier für die Basilika nicht, sondern an die zweite Form , die weniger an die

Konstruktion gebunden ist und größere formale Freiheit gewährt. Hierbei wird das Gebälk von unten ganz verschalt und dieser Schalung wird die reiche Felderteilung gegeben, von der Alberti spricht. Die von ihm gemeinten

umrahmenden, geraden oder runden Teile haben bei den großen Basilika decken Balkenstärke, aber sie sind in Wirklichkeit keine Balken , sondern tabulae zusammengesetzt. Das ganze hat mit der eigent

aus Schalstücken

lichen Struktur der Balkendecke selbst keine Beziehung, sondern ist dieser das Konstruktionsgerüst bildenden Decke nur angehängt. Das ist die Decke , die wir unter dem Namen ,, Plafond“ kennen .

Es ist die Basilika decke der italienischen Renaissance ; die Antike hat sie für ihre Basilika nicht verwendet. Als sich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts das baugeschichtliche Interesse ganz besonders der christlichen Antike zuwandte, stellte Hübsch ) in der

architektonisch grundlegenden Frage des Raumabschlusses die baugeschicht 1 ) Hübsch, Die altchristlichen Kirchen a. a. 0. Sackur , Literatur der Antike.

11

162

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

liche Hypothese für die antiken Basiliken auf: Alle Basiliken sollten „ Plafonds “ gehabt haben, die im Mittelalter bei den zahlreich berichteten Reparatur arbeiten aus Mangel an Mitteln nicht wiederhergestellt werden konnten und dann einfach abgebrochen und entfernt wären . Der uns überkommene , deckenlose “ Zustand der ehrwürdigen Bauwerke wäre also ein Ergebnis mittelalterlicher,

durch Verkümmerung der Mittel herbeigeführter schlechter Bauunterhaltung. Wir haben die dagegen sprechenden konstruktiven praktischen und histo rischen Momente bereits berührt und können deswegen darauf verzichten, die Haltlosigkeit dieser Annahmen im einzelnen noch ausführlich nachzuweisen .

ZIDIDULILIT

URTE

2

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Abb. 67.

Jedenfalls ist von den Verfechtern dieser Plafondhypothese der konstruktive

Zusammenhang wohl herausgefühlt worden.

Denn daß bei Dachreparatur

arbeiten, wie sie sich aus den Nachrichten bei richtiger Auffassung ergeben,

keinerlei praktischer Grund vorhanden war, die inneren Decken zu entfernen, liegt für jeden technisch denkenden Beurteiler auf der Hand ; von allen Bauteilen hätte gerade die innere Decke allen zerstörenden Einflüssen gegen

über immer die günstigste Lage gehabt, sodaß ihre Erhaltung ernstlich kaum gefährdet gewesen wäre .

Das hat nun gerade zu einer falschen Auslegung dieser Nachrichten und zu einer übertriebenen Vorstellung von der Bedeutung der Reparaturen für

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Die Plafondhypothese.

163

den Baubestand der Basiliken geführt. Denn um der Plafondhypothese auch

nur die geringste Sicherung zu geben, mußte man schon vollständige Umbauten der Dächer unter ganz absichtlicher und principieller Veränderung ihrer Binder konstruktionen und eine bewußte und rücksichtslose Umwandlung der Raum gestaltung voraussetzen . Ich brauche - soweit es sich um die technische Seite der Frage handelt

-

auf das Verkehrte einer solchen Annahme nicht mehr hinzuweisen. Aber auch historisch verkennt diese Hypothese, wenn wir wenigstens die alte Peters

basilika als Beispiel nehmen, durchaus die wahren Gefühle, die diesem ehr würdigsten Bauwerk der Christenheit und allen Einzelheiten seiner ganzen Substanz zu allen Zeiten entgegengebracht wurden. Selbst der mächtige neue Formenwille der Renaissance hat nur unter dem Zwange der Notwendigkeit (im Hinblick auf den schlechten Bauzustand) diese Gefühle der Pietät über

winden können ; um den Entschluß des Abbruchs zu verwirklichen, bedurfte es eines Julius II. , und in der ganzen so umfangreichen Literatur über S. Peter des 16. und 17. Jahrhunderts klingen die Töne tiefster Pietät gegen jeden Stein der alten basilica des großen Constantin nach. Es ist ausgeschlossen , daß man zu irgend einer Zeit einen den ganzen Raumeindruck so absolut bestimmenden Bauteil einfach klanglos entfernt haben sollte. Aber die von Hübsch einmal aufgestellte Hypothese hat sich als eiserner Bestand der Baugeschichte behauptet und wenn sie auch von einzelnen Forschern

in ihrer absoluten Allgemeingültigkeit wenigstens hin und wieder bezweifelt

wird, so wird in ebensoviel Fällen immer wieder auf sie zurückgegriffen, sodaß über die Decke und somit über das Bild der antiken basilica überhaupt nur ganz unklare Vorstellungen herrschen. Wir werden zunächst die technischen Vorfragen , d . h. die in der antiken Bau

kunst üblichen Raumabschlüsse , ibre Technik und Bezeichnung in der Literatur klarstellen müssen ; unsere erste Quelle wird dabei wieder Vitruv sein : Wie kann die „ mediana testudo“ der basilica in Fanum wohl dem

inneren Ausbau nach gewesen sein ? Vitruv spricht, wie wir gesehen haben, nur vom tectum und vom culmen dieses Mittelschiffes, aber er macht weder

bei diesem noch bei den porticus-Dächern auch nur die geringste Angabe über die Ausführung der eigentlichen Deckung. Wir dürfen danach annehmen, daß diese Ausführung der einfachsten und gebräuchlichsten Technik

für derartige offne Dächer entsprach. Hierüber ist in allen X Büchern Vitruvs aber keinerlei Hinweis zu finden. Wir müssen also an andrer Stelle Aufklärung suchen, und wenden unsere Blicke auch hier wiederum zuerst auf den Baubestand der ältesten Basiliken , die uns in Rom aus der Zeit der Spät

antike geblieben sind , oder besser zu Hübsch's Zeiten geblieben waren . Wie sah die Dachdecke dieser Bauten aus, als Knapp und Hübsch ihre Aufnahmen machten ? Hübsch beschreibt sie sehr genau und muß trotz seiner

Plafondhypothese dabei auch anerkennen, daß sie durch ihre solide und technisch saubere Ausführung bei aller Einfachheit einen durchaus der Würde der Räume angemessenen Eindruck machte :

Die Sparren befinden sich nicht weiter als etwa 30 bis 60 cm von einander,

dieses Maß richtet sich nach der Breite der darauf liegenden Ziegelplatten 11 *

164

VIII . Abschnitt: Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Schalung oder Lattung ist nicht vorhanden -

.

Und auf dieser

Plattenlage werden die Unterziegel , die tegulae, in Mörtel verlegt, darüber liegen die imbrices, die runden Deckziegel. Diese heute noch in Rom übliche vorzügliche Deckung können wir als antike Deckung aus der Literatur nach weisen und zwar auch als Deckung der Basiliken . Optatus Milevitanus) gibt in seinen in den Jahren 364-367 verfaßten Büchern gegen die Donatisten von einem Uberfall dieser Schismatiker auf die

Kirche des castellum Lemellefense folgende drastische Schilderung:

„als sie (die Donatisten) die Kirche zur Abwehr ihrer Unverschämt heit geschlossen fanden , befahlen sie der anwesenden Gefolgschaft, auf die Dächer zu steigen , diese abzudecken und mit den Ziegeln zu werfen. Ihre Befehle wurden unverzüglich ausgeführt und während die katholischen Diakone den Altar zu schützen suchten , wurden die meisten durch die Ziegelplatten verwundet, zwei fanden den Tod." Es kann nicht bezweifelt werden, daß es sich hier um die gleiche Art

der Deckung handelt ; ja man kann mit Sicherheit annehmen, daß es auch zwei

mit Mörtel verbundene Ziegellagen gewesen sein müssen, die mit den tegulae gemeint sind ; denn es müssen schon tüchtige Brocken gewesen sein, mit denen die Donatisten warfen , sonst hätten sie wohl nicht zwei Diakone zu Tode getroffen. Vor allem konnte Optatus aber den Vorgang in dieser Weise nur

schildern, wenn es sich bei dieser basilica Lemellefensis um eine übliche oder wenigstens nicht ungewöhnliche Art der Dachdecke bandelte. Nun kann man freilich dieses hier im Mittelpunkt der Schilderung

stehende kirchliche Gebäude für zu unbedeutend erklären, um weitere Schlüsse zu ziehn ; man darf sogar mit gewissem Recht bezweifeln, ob es sich über haupt um eine eigentliche basilica handelt. Optatus nennt alle Kirchen dem

zu seiner Zeit sich einbürgernden Sprachgebrauch folgend „,basilicae “, obwohl zur Zeit der Donatistenkämpfe die Existenz so vieler Basiliken, wie sie aus seinen Büchern herausgelesen werden kann, wohl angezweifelt werden darf ). Die angezogene Stelle würde dann wohl die antike Herkunft der vorher be

schriebenen Dachdeckung erweisen, aber vielleicht noch keine gesicherte Folgerung für die Dachdeckung der basilica zulassen. Aber wir finden eine ähnliche Schilderung auch an anderer Stelle, bei der es sich nicht um eine unbekannte Kirche zweifelhafter Form, sondern um

eine der Mutterkirchen Roms, die basilica Liberiana , die spätere S. Maria

Maggiore, handelt. Die Quelle ist der „ libellus precum “ der Presbyter Faustinus und Marcellinus, der die blutigen Kämpfe bei der Bischofswahl des

Damasus zwischen seinen Anhängern und denen des Ursinus schildert). An 1) Optatus Milevitanus, corpus script. eccles. Latin . Vol . XXVI. rec. Ziwsa ; Vindobonae 1893. lib. II, 18. Seite 51 : „ ubi cum contra importunitatem suam viderent basilicam clausam , praesentes iusserunt comites suos ut ascenderent culmina, nudarent tecta, iactarent tegulas. imperia eorum sine mora completa sunt ; et cum altare defenderent diaconi catholici , tegulis plurimi cruentati sunt, duo occisi sunt . “ Vgl . auch Holtzinger a. a. O., S. 54 . 2) Lange, „ Haus und Halle “ a. a. O. , S. 321 .

3) Migne, patr, ser. I. , Bd. 13, p . 82. Ich entnehme die Stelle dem Lange , „ Haus und Halle “ a. a. O. , S. 315 , Anm . 1 . Zeit als die des Optatus.

Die Schilderung stammt aus nicht viel späterer

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Die Ziegeldecke.

lacunaria bei Vitruv. 165

scheinend war der Angriff vom Dach her durch den offnen Dachstuhl und die

besondere Art der Deckung dieser Basiliken so nahegelegt, daß das Beispiel vom castellum Lemellefense nicht vereinzelt blieb .

Hier heißt es bei dem

Angriff der Damasianer auf die in der basilica Liberiana versammelten Ursianer :

„nonnulli quoque de familiaribus eius (Damasi) tectum basilicae destruentes, tegulis fidelium populum perimebant.“ Auch hier ist die selbstverständliche Voraussetzung für den Vorgang der offne Dachstuhl mit Plattenabdeckung , und auch bei dieser stadtrömischen

basilica wurde das nicht als ungewöhnlich angesehn ; denn sonst konnte sich auch hier die Schilderung nicht mit der einfachen Darstellung des Vorganges begnügen.

Wir sind danach berechtigt, diese Art des Dachausbaues als eine traditionelle Bauweise anzusehn und sie bei der Rekonstruktion der Vitruvischen basilica

zu verwenden, wie das auch bei der Darstellung auf Abb. 65 geschehen ist ;

wir können diese einfache Dachdecke als eine der typischen Formen des Raum abschlusses der basilica betrachten , freilich nur als eine der Formen, denn es

ergibt sich ebenfalls aus der Literatur, daß sich der innere Ausbau des offnen Daches nicht etwa auf diese einfachste Form beschränkte.

Auch darf diese

Art der Dachdecke wohl als römische Besonderheit angesprochen werden, die griechische Baugewohnheit war eine andere. Um nun weiter zu terminologisch gesicherten Begriffen zu gelangen , müssen

wir erst einmal folgende kleine Baukonstruktionslehre aus dem Vitruv schöpfen :

Ein Raum kann je nach seiner Lage und Bestimmung durch zwei ver schiedene Konstruktionen abgedeckt werden, durch eine Stockwerksdecke oder durch ein Dach, durch eine contignatio oder durch ein tectum . Vitruv hebt die Gleichheit der eigentlichen Struktur bei beiden Konstruktionen – wie wir

bereits wissen - hervor, aber er trennt in der Bezeichnung beide scharf und unzweideutig : Er ist darin konsequenter noch, als wir es wohl nach unserm Sprachgebrauch sind , eine wagerecht liegende Decke ist bei Vitruv niemals ein tectum : Auch dort, wo eine solche Decke , sub diu " liegt wie bei den

erwähnten ägyptischen Sälen "), wo wir also von einem „flachen Dach “ sprechen würden, ist diese Balkenkonstruktion für Vitruv als betretbare Decke eine contignatio , aber kein tectum ).

Damit sind uns die beiden für die Konstruktion maßgebenden Bauweisen gegeben. Was Vitruv sonst über Decken sagt, bezieht sich nicht auf die Konstruktion , sondern nur auf die formale Ausgestaltung des inneren Ausbaues . Wir müssen , um ihn nicht mißzuverstehn , diese Trennung machen . - Hier kennt Vitruv zwei Formen des inneren Raumabschlusses:

lacunaria und camera . 1) Vitr. 143, 18 : in aegyptiis autem supra columnas epistylia et ab epistyliis ad parietes qui sunt circa inponenda est contignatio, supra coaxationem pavimentum , sub diu ut sit circuitus.

2) auch pag. 166, 8 und 166, 17 ist für die klare und fachmännische Art der Aus drucksweise Vitruvs bezeichnend ; vgl . Seite 168, Apm . 2.

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

166

lacunaria bedeutet eine mit vertieften Feldern versehne Fläche

und camera eine gewölbte Fläche ; es sind nicht Konstruktionen , sondern nur Formen für die unteren Flächen der beiden vorgenannten Konstruktionen ;

sie sind daher auch an kein bestimmtes Baumaterial gebunden, und können je nach ihrer Verwendung ebensowohl die Formirung einer contignatio wie die eines tectum bedeuten.

Wenn Vitruv mit lacunaria die steinerne Kassettendecke am pronaos und pteroma der Tempel bezeichnet, so ist hier auch der konstruktive Zusammen

hang ohne weiteres klar, weil wir die Konstruktion dieser Decken eben kennen. Auch bei den Decken über dem atrium ") und tablinum ?) des Hauses und über der curia ), bei denen lacunaria erwähnt werden, kann man aus der Art der Angabe mit Sicherheit schließen , daß es sich um horizontale Decken handelt, daß die lacunaria also die untere Fläche einer contignatio bilden.

Aber der

Begriff paßt ebenso auf eine gewöhnliche Balkendecke mit getäfelten Zwischen feldern (Abb. 67) wie auf den von Alberti beschriebenen , an die Balkendecke

angehängten Plafond . Ja es ist nicht einmal gesagt, ob dabei an getäfelte Plafonds gedacht werden muß ; denn die lacunaria können , wie es bei der

porticus im Peristyl des griechischen Hauses gesagt wird, sowohl aus Marmor stuck , wie aus Putz mit Bemalung oder aus Holz bestehn “).

Wenn Vitruv andrerseits – um die besondere Wertschätzung des Cedern holzes zu beweisen – sagt : „ ea materia Ephesi in aede simulacrum Dianae, etiam lacunaria et ibi et in ceteris nobilibus fanis propter aeternitatem sunt

facta“ 5), so wissen wir damit in Wirklichkeit über die Lage der lacunaria gar nichts .

Denn ob die cellae dieser Tempel contignationes, also Balkendecken

hatten oder „ testudines“ , darüber ist nichts gesagt ; nach dem bereits angezogenen Servius-Kommentar kann das Vorkommen dieser Bauform gerade bei den Tempeln nicht bezweifelt werden ). Jedenfalls sagen die lacunaria über die Konstruktion an sich gar nichts aus ; sie können ebenso wohl bei einer contignatio (Abb. 67), wie bei einem tectum (Abb . 68) verwendet sein . Diese einfache aus dem

Vitruv zu entnehmende Überlegung erklärt uns den später häufig vorkommenden Begriff des „ tectum lacunatum “ oder „ culmen lacunatum " ,

Die lacunaria-Form ist überhaupt nicht einmal an eine ebene Fläche gebunden, sondern kann auch zur Ausstattung einer gewölbten Fläche dienen : 1) pag. 141 , 8 : „ altitudo eorum (atriorum ), quanta latitudo fuerit quarta dempta, sub trabes extollatur, reliquo lacunariorum et arcae supra trabes ratio habeatur. “ Daß die lacunaria hier eine Lacunarien- Balkendecke bedeuten, geht aus der Art der Angabe

hervor; denn sonst brauchten sie nicht in der Höhenbemessung berücksichtigt zu werden. 2) pag. 142, 9 : „ lacunaria eius ( tablini) tertia latitudinis ad altitudinem adiecta pars pro toto - für eine contignatio Auch hier müssen die lacunaria auf einen rechteckigen Querschnitt, hier auch weist Höhenangabe Die stehn. lacunata

extollantur . “

also auf eine gerade Decke hin .

3) pag . 108, 6 : „eius ( summae longitudinis et latitudinis compositae) dimidia pars sub lacunariis altitudini detur.“ Auch hier gilt das vorher gesagte. 4) pag. 129, 24 : porticusque peristyliorum albariis et tectoriis et ex intestino opere lacunariis ornatas.

5) pag . 59 , 1 . 6 ) Wir dürfen deswegen annehmen, daß auch die Vitr. 161, 10 erwähnte cella immani

magnitudine pertecta der Eleusinischen Ceres und Proserpina eine testudo hatte.

-

tectum lacunatum .

167

sm

2. Dach und Decke der antiken Basilika .

68 .Abb

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VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

So haben die Korinthischen Säle eine gewölbte lacunaria - Decke, die wiederum aus Holz oder aus Stuck sein kann : „ supraque habeant epistylia et coronam aut ex intestino opere aut albario praeterea supra coronas curva lacunaria ad circinum delumbata " 1). Eine derartig gewölbte Decke heißt bei Vitruv camera oder concameratio,

und wurde im innern Ausbau der Gebäude zur Erzielung eines gefälligen Raumabschlusses entweder unten an der Balkendecke oder am Dachwerk auf

gehängt ; Vitruv erwähnt beide Möglichkeiten ganz ausdrücklich ?). Ich brauche in diesem Zusammenhang kaum zu erwähnen, daß camerae

oder concamerationes auch bei Vitruv nicht nur diese Kunstform bezeichnen, sondern auch – wie wir sagen – massive Gewölbe, also eine wichtige Kon struktionsweise vorstellen, aber in dieser Bedeutung beschäftigt uns der Begriff hier nicht.

Im inneren Ausbau der Gebäude nehmen die künstlichen

Gewölbe bei Vitruv einen ungleich größeren Platz einº) ; sie müssen demnach in der zeitgenössischen Technik des inneren Ausbaues eine erhebliche Rolle gespielt haben. Die camerae wurden mit hölzernen Latten an den Balkendecken oder Dächern aufgehängt ; die Wölbung wurde mit Rohrstengeln gebildet und mit Putz beworfen .

Für die Bäder empfiehlt Vitruv Aufhängung an eisernen

Bändern und ein Gerüst von eisernen Stäben nach der Bogenform , auf das Ziegelplatten verlegt werden, um als Putzträger zu dienen ; wenn möglich doppelte

Gewölbe, um den feuchten Niederschlag vom Holzwerk abzuhalten. Abb. 69 bringt die Illustration Rusconi's “) zur Beschreibung Vitruvs . Diese Be schreibung ist ungemein sachverständig und von einer unmittelbar für die Praxis berechneten Genauigkeit in allen Einzelheiten .

Rusconi zeigt die von Vitruv geschilderte Aufhängung an einer Balken decke ; für die von Vitruv ebenfalls angegebene Aufhängung am Dach kenne ich keine besseren Illustrationen als die mittelalterlichen Wölbschalungen über

italienischen Kirchen. Abb . 70 ist der Ostendorf'schen Geschichte des Dach werks ") entnommen : Fig. 243 stellt den Dachstuhl über S. Fermo in Verona, Fig. 242 den des Domes von Aquileja dar, der aus dem Werk von Lancko ronski 6) stammt. Hier sind zwar die Aufhängungen der camera am Dachstuhl fälschlich fortgelassen, obwohl sie das eigentlich wesentliche und bestimmende 2) Vitr. 143, 18 : Daß sich die Angabe über das Material intestinum aut albarium opus nicht nur auf die Wände, sondern zur jeweiligen Auswahl auf Wand und Decke bezieht, darf als selbstverständlich betrachtet werden .

9) Vitr. 166, 8 : catenis dispositis ad contignationes, sive tecta erunt, und ebenso 166, 17 : ex contignationibus aut tectis.

3) Bei rein technischen Teilen , wie den Öfen zum Destilliren von Harz pag . 180, 12, oder unterirdischen Kanälen pag. 207, 19, oder bei Fundirungsanlagen werden Gewölbe erwähnt und auch bei den Badeanstalten pag. 125, 23, sagt Vitruv : concamerationes vero

si ex structura factae fuerint erunt utiliores; aber eine genauere Beschreibung gibt er nur von den aufgehängten künstlichen Gewölben. 4) Rusconi a. a. O., S. 103. 5) Geschichte des Dachwerks a. a. O., S. 156. 6) Der Dom von Aquileja, Karl Graf Lanckoronski. Wien 1906. Diese Decke wurde im Jahre 1526 ausgeführt.

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

camera bei Vitruv.

für diese besondere Form des inneren Ausbaues sind ").

169

Denn bei allen diesen

Deckenbildungen ?2) hängen die camerae -- wie im Vitruv beschrieben – an den Dachstühlen, und stehen nicht etwa auf den Spannbalken auf. Die Dach stühle sind dabei immer Sprengewerke nach der Grundfigur. Mag also auch die Kleeblattform des Querschnitts mittelalterliche Zutat sein ; der ganzen Konstruktion nach sind diese Bildungen echte concamerationes im -

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Sibbur

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Abb . 69.

1) Bei Fig. 241 ist die Aufhängung am Dachstuhl selbst principiell die gleiche, nur sind statt senkrechter Leisten oder eiserner Bänder Querhölzer (lateraria, devowuara ; vgl. S. 70/71) zu dem gleichen Zweck aufgenagelt.

3) Decken dieser Art sind besonders in Oberitalien zahlreich. Beispiele sind : Venedig: S. Stefano, S. Giacomo dall' Orio ( 1325) (Fig. 240 ); Treviso : Dominikanerkirche; Padua: Eremitani (1309 ). Auch die in Palermo um das Jahr 535 von Belisar erbaute

Basilika S. Maria la Pinta, die im Jahre 1648 abgerissen wurde, scheint ein solches Dach besessen zu haben, wie sich aus der Schilderung Inveges' ergibt, der den Bau noch gesehen hat: „ tetto di legname fatto in forma di carina di nave“ (Hittorf, Archi tecture moderne de la Sicile, Paris 1835).

170

VIII. Abschnitt: Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Vitruvischen Sinne ).

Das traditionelle Festhalten an dieser Baugewohnheit

zeigt auch die Aufhängung in Abb. 71, die den Zweck verfolgt, den harten Winkel am First abzurunden, also auch dieses Dach formal der concameratio anzunähern ).

Wir wollen nach diesem Exkurs in die X Bücher des Vitruv jetzt zunächst die lateinische Literatur der ersten christlichen Jahrhunderte über die von

uns gesuchte Einzelheit ihrer Basiliken befragen. Wir beginnen mit S. Peter und zwar vorerst mit einem späteren Zeugnis über den Zustand seines

Raumabschlusses, das von dem bereits genannten Tiberio Alfarano stammt. Alfarano schreibt ) : „ Sed et totius basilicae tectum ligneum erat e magnis tignis quadratis. abiegnisque tabulis dolatis laqueatum atque imbricatum . Medianae vero navis et transversae crucis tectum magnis aereis tegulis sesquipedalibus. preciosissimis ex aere corinthio deaurato opertum erat." Der offne Dachstuhl bestand also aus großen quadratischen Hölzern und

war mit tannenen beschlagenen Dielen getäfelt und abgedeckt. Alfarano stellt nicht nur den zu seiner Zeit noch erkennbaren Bauzustand fest, sondern greift in seiner Schilderung offenbar auf ältere Quellen zurück ; das beweist der zweite Satz über die Deckung mit vergoldeten Bronzeplatten. Denn diese einst dem Hadrian'schen Tempel der Roma und Venus entnommene Deckung, mit der Papst Honorius I. (625—638) das Dach geschmückt hatte, war schon im Mittelalter verschwunden.

Alfarano kann sie nicht mehr gesehn haben “).

1) Interessant ist die Charakterisirung dieser Konstruktionen vonseiten Ostendorfs , der sehr richtig S. Fermo (Fig. 243) als bestes Beispiel betrachtet, „ das zugleich den ganz äußerlichen Charakter jener Architektur dartue. Das ohne jede Rücksicht auf eine natürliche Anordnung des Dachwerks gezeichnete Holz gewölbe zwinge zu einer ganz abnormen Konstruktion , bei der der Gebinde balken durch einen eisernen Zuganker ersetzt und an der das Holzgewölbe

durch eine Reihe eiserner Stangen angehängt worden sei“ . Das Wesen der Vitruvi’schen concameratio mit ihrer reinlichen Schei

dung von Konstruktion und Form ist dabei klar erkannt der Ersatz des Spannbalkens durch Eisenanker ist freilich ebensowenig „ abnorm“, wie die Auf hängung des Holzgewölbes

Über den tektonischen Wert oder Unwert dieser

Trennung in besondere Organe der „ firmitas“ und der „ venustas “ will ich nicht streiten . Das ist Sache der architektonischen Anschauung. Diese Trennung ist

jedenfalls antik und Vitruvisch ; nach dem Servius-Kommentar (vgl. S. 159, Anm . 1 u. nachträgl. Anm. ) handelt es sich bei den camerae sogar um recht alte Traditionen .

Es ist ein fundamentaler Irrtum Ostendorfs, diese echt antiken und in der

Tradition des italienischen Handwerks verankerten Bildungen für Nachbildungen des tonnenverschalten deutschen Dachstuhls zu erklären.

2) Diese Firstverdeckung und damit die formale Annäherung an eine camera findet sich auch bei den andern sizilian. Kirchen gleicher Bauweise wie S. Maria puova in Monreale.

3) Cerrati a. a. O., S. 13. Die Arbeit Alfaranos ist 1582 niedergeschrieben.

4) Beschreibung der Stadt Rom von Platner, Bunsen u. a. Stuttgart 1832. 2. Band, 1. Buch, S. 76. Diese vergoldeten Bronzeziegel haben wahrscheinlich die zweimalige Plünderung des Baues durch die Sarazenen nicht überdauert.

2. Das Dach der alten Peterskirche nach Paulinus Nolanus .

Die Schilderung entspricht

171

was die innere Dachdecke anbetrifft

dem Bilde von S. Miniato, Abb. 58, Fig. 3 oder besser noch dem in Abb . 68 gegebenen Bilde des Daches von S. Donato in Murano -). Wir können das letztere als die typische Form des tectum lacunatum ansehn ; ein Vergleich mit der „ contignatio lacunata “ auf Abb . 67 zeigt, daß es sich bei beiden um

parallele Formbildungen an verschiedenen Konstruktionen handelt. Ein solches tectum lacunatum oder laqueatum ) – beide Worte besagen dasselbe be -

schreibt Alfarano, und die Beschreibung Ciampini's , die für uns daneben

allerdings keine Quelle, sondern nur ein Kommentar bedeutet, bestätigt das 3). Wir besitzen für die Basilika von S. Peter in Rom aber auch ein Zeugnis aus antiker Zeit , etwa aus dem ersten Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts, durch einen Brief des Paulinus , der im Jahre 409 Bischof von Nola wurde und die Constantinische Basilika noch in dem Zustande der ersten Jahrzehnte nach

ihrer Erbauung gesehen haben muß4). Der Brief, der aus der Zeit seines Nolanischen Hirtenamtes stammt, ist an den Pammachius in Rom gerichtet und gedenkt mit rühmenden Worten

einer von diesem in der Basilika von S. Peter veranstalteten Armenspeisung . Paulinus ist in seiner Ausdrucksweise nicht frei von Schwulst und Weit

schweifigkeiten, aber er bietet uns eine unvergleichliche Quelle der Belehrung ; denn er besitzt nicht nur in hohem Maße die Gabe anschaulicher Darstellung, sondern die Bilder kirchlicher Bauten nehmen in seiner Vorstellung auch einen

so bevorzugten Platz ein, daß sie in Briefen und Gedichten ständig wiederkehren . Er gibt dabei überraschend scharfe Schilderungen, die auch über die Einzelheiten des kirchlichen Bauwesens der Zeit Aufschluß gewähren.

Die besondere Richtung seiner Interessen hat ihren Grund in seiner eignen Bautätigkeit, die er als Bischof in Nola ausübte ; denn er hatte sich

außer einer Erneuerung der Basilika des heiligen Felix, des Schutzpatrones von Nola, Neubauten verschiedener Art zur Aufgabe gemacht, und wir werden ihm später auch zu seinen eignen Bauten folgen müssen.

Von der Peterskirche gibt er in seinem Briefe zwei Augenblicksbilder : Er spricht zunächst von der Freude, die der Apostel empfunden haben muß, als Pammachius mit den Scharen seiner Armen seine Basilika füllte : „ vel qua sub alto sui culminis ampla laquearibus longum patet et apostolico eminus solio coruscans ingredientium lumina stringit et corda laetificat, vel qua sub callem mole tectorum geminis utrimque porticibus latera diffundit.“ 1) Nach H. Rahtgens, S. Donato von Murano, D. D. , Berlin , Wasmuth . Nach Rathgens Angabe gehört der Dachstuhl nicht dem 12. Jahrh . wie der Bau selbst an , sondern dem 14. oder 15. Jahrh .

?) Während die lacunaria die vertieften Felder als das charakteristische der

Teilung hervorheben, ist bei dem Ausdruck laquearia an die höher liegenden ein fassenden Ränder gedacht. Beide Worte bezeichnen im übrigen durchaus das gleiche und werden nebeneinander gebraucht, wenigstens bei den späteren ; Vitruv spricht nur von lacunaria.

3) Ciampini a. a. O., S. 35 : „ Totum templi tectum ligneum magnis quadratis .

trabibus contignatum abieynisque tabulis levigatis irretitum atque imbricatum erat. “ 4) Pontii Meropii Paulini Nolani opera, pars I , epistulae (corpus script. eccl, Lat. vol . XXIX, Vindobonae 1894 ). epist. XIII, 13, S. 94 .

172

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Der Blick fällt in die Hauptachse des Mittelschiffes : „ dort wo sie unter

dem First ihres Daches und prächtig durch getäfelte Felder sich langhin öffnet , und wo sie fernher vom Glanz des apostolischen Trones 2410

241

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15.40

Abb . 70.

strahlend die Augen der Eintretenden blendet und ihre Herzen erfreut“ ; der zweite Blick in die Seitenschiffe : „ dort wo sie unter der gleichen Last der Dächer beiderseits in doppelten Hallen ihre Flanken ausbreitet."

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Die Felixbasiliken in Nola .

173

Der bildliche Ausdruck ist kühn, aber er vermag durch seine Anschau lichkeit auf die Vorstellung zu wirken.

Und das von Paulinus gesehene

sind die Dächer , die tecta laqueata der basilica, im Hauptschiff und in den Seitenschiffen ). Es ist in kunstmäßiger Schilderung das gleiche, was die nüchterne Bestandsaufnahme des Alfarano sagt, daß die basilica von S. Peter offne Dachstühle hatte , die mit einer getäfelten Schalung abgedeckt waren.

Wir lassen den Paulinus jetzt von seinen eignen Bauten in Nola erzählen ; zunächst eine Angabe aus einem Briefe ): Totum vero extra concham basilicae spatium alto et lacunato culmine geminis utrimque porticibus dilatatur.“

Das typische Bild der großen antiken basilica, doppelte Seitenschiffe und offner Dachstubl ; der einzige gewölbte Teil ist die concha, der Chor. Das Dach hat bei seiner Basilika genau wie bei S. Peter getäfelte Schalung. Die noch fehlenden Einzelheiten zeichnen die Gedichte :

carm . XXVII , S. 287 :

„ ecce vides quantus splendor velut aede renata, rideat insculptum camera crispante lacunar. in ligno mentitur ebur, tectoque superne pendentes lychni spiris retinentur aënis ..." ,, Schau, welch ein Glanz ! - wie wenn das Haus neugeboren das im spiegelnden Chorgewölbe eingeschnittne Rahmenwerk strahlt. Bei dem Holzwerk täuscht der Schein Ebenholz vor, und oben am Dach hängen die Leuchter schwebend an bronzenen Haken .“

Zur Erklärung muß ich hinzufügen, daß es sich hier um die Erneuerung einer vorbandenen Basilika handelt ; dieses Wiedererstehn des alten wird in

den Gedichten mit ziemlicher Breite und in nicht sehr geistvollem Vergleich mit der Wiedergeburt des Menschen in Christo ausgeführt; die Phantasie des Dichters ist eben ganz von seinem Bauwesen eingenommen . Er durchwandert dano im XXVIII. Gedicht beide Basiliken , den Umbau und den Neubau ;

wir können ihm freilich nur zu einzelnen Stellen folgen : carm. XXVIII, 10 : , illic adiunctis sociantur moenibus aulae

diffusoque situ et coeunte patentes aemula consertis iungunt fastigia tignis et paribus varie speciosae cultibus extant marmore pictura laquearibus atque columnis."

1 ) Durch die falsche Übersetzung derartiger Stellen ist die Plafondhypothese entstanden. Man nahm , ohne sich um das Vorstellungsbild der Beschreibung zu kümmern , einfach an , daß Paulinus einen Querschnitt wie den Kupferstich, Abb. 56, beschreibe und zwar von oben angefangen ; erst kommen die Dächer, dann die Decke, also der

Plafond, für den laquearia das Stichwort sein sollte. Paulinus gibt aber wirkliche Bilder, die er sieht, und nicht Querschnittzeichnungen aus einer Kunstgeschichte. Wenn er von Dächern spricht, so sieht er sie eben auch. Diese unbedingte Anschau

lichkeit gilt für all seine Schilderungen . 2) epist . XXXII , 12 , S. 287 .

174

VIII . Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

,,dort gesellt sich (zum atrium) das Gotteshaus mit anschließenden

Wänden, und mit teils ausgebreitetem, teils zusammengefaßtem Aufbau sich öffnend, verknüpft es mit Balkenreihen sich gegeneinander spreizenden Dachflächen, und steht da farbenprächtig zu schauen durch gleichwertige Arbeiten, in Marmor, Malerei, Täflung und Säulen.“ Auch hier zeigen sich dem Blick die Dachflächen mit ihren Binderbalken,

die beide Schrägflächen, fastigia, mit einander verankern. Das Gedicht schwelgt in der Genugtuung, daß es gelungen ist, das neue mit dem alten ) zu verbinden, und daß der Farbenanstrich vor allem bei den

Dachstühlen vermocht hat, das alte zu verjüngen. Der Standpunkt liegt im Innern, der Blick fällt auf die Dachdecke. Wir beschränken uns auf die Wiedergabe von Vers 197 ab : „ ecce refectis

cernite culminibus gemina Felicis in aula quae fuerant vetera et nova nunc extare videntur ?).“ Ich übergehe die nächsten Verse über die Einzelheiten des Umbaues und den damit erzielten Erfolg und gehe gleich auf das Loblied der Neugeburt der Basilika durch den Um- und Erweiterungsbau über :

S. 204 : „ namque his et duplex spectandi gratia fulget, qua renovata novis aequali lumine certant culmina culminibus, tectorum dissidet aetas, concordat species ; . et senibus tectis iuvenem pictura nitorem

reddidit infuso variorum flore colorum )."

In breiter Schilderung das Bild des offnen Dachstuhls mit farbiger Bemalung , wie sie heute noch die offnen Dachstühle aus dem italienischen Mittelalter zeigen.

Bemalung

bei den Prachtbasiliken Constantins unter

reichster Anwendung von Vergoldung - hatten diese Dachstühle alle. Hübsch hat die Spuren davon auch bei den alten Bindern von S. Paolo fuori le mura noch gesehn .

Paulinus denkt jedenfalls bei seinen zahlreichen Schilderungen mit keinem Gedanken an etwas anderes als einen offpen Dach stuhl “). Wenn er das tectum lacunatum immer wieder hervorhebt, so geschieht 1) Beide Basiliken sind unmittelbar mit einander verbunden . Die Inschrift über

dem inneren Durchgang lautet : „ Sic nova destructo veteris discrimine tecti ep. XXXII, 15.

Culmina conspicimus portarum foedere iungi . “ 2) „ Nun wo die Dächer wiedergemacht sind in der zwiefachen Kirche des Felix, sagt einmal, welche alt gewesen sind und welche jetzt neu erscheinen !" 3) „ Denn von ihnen (den Dächern) strahlt zweifaches Wohlgefallen aus, weil man

sieht, wie die wiederhergestellten Dächer mit den neuen im gleichen Glanze wetteifern ; im Alter sind sie verschieden , im Aussehn gleich ...“ Und den greisenhaften Dächern gab der Anstrich jugendliche Frische , nachdem die Blütenpracht bunter Farben über sie ausgegossen war.“ 4) Ich möchte auch zwei ziemlich gleichlautende Stellen aus den beiden Gedichten

nicht unerwähnt lassen, die zu unserer Frage in Beziehung stebn. Paulinus beschreibt an beiden Stellen das atrium vor seiner basilica. Der an die Stirnwand der Kirche

2. Dach und Decke der antiken Basilika nach den Gedichten des Prudentius. 175

das offenbar nur, weil es ihm der gewöhnlichen schalungslosen Plattenabdeckung gegenüber mit Recht als eine besonders würdige und monumentale Ausstattung erscheint. Aber ein Plafond ist seiner Vorstellung gänzlich fremd. Es wäre deshalb auch ganz unberechtigt, etwa in den laquearia, die Paulinus in epist. XXXI, 6, bei einer kurzen Andeutung über die Constantinische Grabeskirche

in Jerusalem erwähnt, ihm eine solche Vorstellung unterzuschieben : ,,basilica, quae auratis corusca laquearibus et aureis dives altaribus arcano repositam sacrario crucem servat. ' Wir werden uns nachher mit der Beschreibung, die Eusebius von dem

gleichen Bauwerk macht, näher zu beschäftigen haben und dort die Bestätigung erhalten, daß es sich für den Paulinus auch hier um nichts anderes als ein tectum laqueatum gehandelt haben kann.

Bei dem andern Zeugen dieser Zeit, dem römischen Dichter Prudentius ), können wir die gleiche Beobachtung machen. Prudentius gehört noch ganz dem vierten Jahrh. an er ist etwa um 405 gestorben wir können ihn

fast noch als Zeitgenossen der Constantinischen Bauten betrachten . In seiner Gedichtsammlung „ Peristephanon“ verherrlicht er die christlichen Märtyrer Roms.

Prudentius ist der bessere Dichter ; wenn er uns für die baulichen

anschließende Flügel der porticus ist das vestibulum ; dieses war zweigeschossig, im

oberen Geschoß lagen Unterkunftsräume für Pilger (habitacula metanda bonis, quos duxerit orandi studium). Er bezeichnet die Räume auch als cenacula , d. h. „ Obergeschoß räume“. Diese „ cellae“ über der porticus beschreibt der Dichter folgendermaßen : carm . XXVII, 395 : „ sed rursum redeamus in atria conspice sursum

impositas longis duplicato tegmine cellas porticibus“, ... etc.

Man könnte zuerst glauben, als ob die „ duplicatio tegminum “ das Einziehn des Stockwerksgebälks bedeuten sollte, durch die ein zweites Stockwerk geschaffen wird. Aber dem ist nicht so ; die zweite Stelle, an der er den gleichen Gegenstand beschreibt, spricht dagegen : carm. XXVIII, 55 : „ ante sacras aedes longe spectabile pandit >

vestibulum, duplicique extructis tegmine cellis per contextarum coëuntia tigna domorum castelli speciem meditatur imagine muri “ . .

Die letzten beiden Strophen entsprechen Vers 400 der vorigen Stelle „ nam quasi con tignata sacris cenacula tectis“ .) Die contignatio, die Stockwerksdecke, ist in den coëuntia tigna also besonders erwähnt, d. h. in den Balken, die zwischen den mit einander verbundenen Gebäuden , dem vestibulum und der basilica „ durchgehn “. Die cellae erhalten das Attribut

duplici tegmine , weil sie bei allen Beschreibungen die einzigen Räume sind , die keine Dachdecke haben , sondern wie alle Wohnräume eine gerade Decke unter dem Dach . Bei Paulinus gibt es in Bausachen keine Nebensächlichkeiten ; er schildert alles mit der gleichen Gewissenhaftigkeit. Wir erhalten das gleiche Gesamtbild antiker Bauweise, wie es Vitruv gibt : basilica und porticus haben Dachdecke, aber Wohnräume bekommen

eine besondere Decke, entweder die gewöhnliche contignatio oder eine camera. Vgl. Vitr. 166, 1 : „ camerarum dispositiones in conclavibus expediantur, nisi lacunariis ea fuerint >

ornata ..

1) Aurelii Prudentii Clementis carmina, rec. Obbarius. Tubingiae 1845.

176

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Fragen nicht die gleiche Fülle von Belehrung wie Paulinus zukommen läßt, so liegt das daran, daß sein Gedankenflug höher geht, als der des Nolaner Bischofs, dessen dichterische Phantasie sich nicht von der manchmal etwas banalen Realität seiner baulichen Interessen losringt.

Aber an einer Stelle gibt uns auch Prudentius ein durchaus reales und

anschauliches Bild einer Basilika, einer jetzt schon längst verschollenen, die jedoch seiner Zeit zu den bedeutenden Basiliken der Stadt gehört haben muß ; sie war dem heiligen Märtyrer Hippolytus geweiht : Peristeph. XI, 219 : „ Ordo columnarum geminus laquearia tecti Sustinet auratis suppositus trabibus.

Adduntur graciles tecto breviore recessus Qui laterum seriem iugiter exsinuent. At medios aperit tractus via latior alti

Culminis exurgens editiore apice.“ ,, Doppelte Säulenreihe trägt das Getäfel des Daches , Untergestellt als Stütze dem goldnen Gebälk . Schmale Seitengänge gliedern sich an mit niedriger'm Dache , In fortlaufender Reih' an den Flanken sich weitend .

Aber den mittleren Trakt öffnet ein breiterer Weg Mit dem ragenden Scheitel des hohen Dach's sich erhebend.“ Ich frage : Kann man eine dreischiffige Basilika mit offnem Dachstuhl anschaulicher schildern ? Kann überhaupt das im Bewußtsein des antiken Menschen vorhandene Raumideal der Basilika durch ihre wesentlichen Teile, Säulen und Dach, zutreffender ausgedrückt werden ? An einer anderen Stelle, in dem Gedicht über den Märtyrertod des Petrus

und Paulus, Peristeph. XII, 491), erwähnt Prudentius die basilica des Paulus, das zu seiner Zeit gebaute S. Paolo fuori le mura. Leider ist die Beschreibung im Ausdruck sehr allgemein gehalten, sodaß aus ihr kaum eine sichere An

schauung entnommen werden könnte, wenn nicht die Anordnung und die Worte mit der vorgenannten Beschreibung eine so unverkennbare Gleichheit aufwiesen . So aber ist die Vorstellung beide Mal durch dieselbe Formel ausgedrückt, so 1 ) Peristeph. XII, 49 :

„ Bracteolas trabibus sublevit, ut omnis aurulenta Lux esset intus , ceu iubar sub ortu.

Subdidit et Parias fulvis Jaquearibus columnas,

Distinguit illic quas quaternus ordo.“ „ Mit Blattgold überzog er das Gebälk , daß alles Licht

Gold innen war gleich wie der Morgenstern. Goldnem Getäfel gab zur Stütz’ er Marmorsäulen Von Paros , in vier Reihn sie ordnend.“

Die letzten beiden Strophen, die das eigentliche Raumbild enthalten, sind im Ausdruck vollkommen identisch mit den beiden ersten Strophen in XI, 219 ; es kann deswegen kein Zweifel sein , daß sich die gleichen Worte auch auf den gleichen Gegen

stand beziehn, daß also trabes die Dachbalken und laquearia auch hier die getäfelte Dachschalung bedeuten . Die Stelle über die Hippolytus-Basilika interpretirt diese Verse über S. Paul durch die Parallelität der beiden Texte .

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Griech. Quellen : opoqos und oréyn. 177

daß auch die Einzelheiten sich entsprechen müssen ; die laquearia sind auch hier nichts anderes als das tectum laqueatum .

Bevor wir nunmehr auf die griechischen Quellen eingebn, bedarf es

wiederum eines kurzen Exkurses, diesmal in die griechische Terminologie der Dachkonstruktion .

Die Hauptquelle ist für uns die Kirchengeschichte

des Eusebius, und das richtige Verständnis dieser Quelle hängt davon ab, daß

wir die von ihm gebrauchten Worte ögogos und oréyn nach ihrer technischen Bedeutung genau festlegen.

Die Form opogoş kommt in der älteren Sprache als Fachausdruck nicht

vor, sondern die Form doopń ; auch Flavius Josephus gebraucht die Form ópooń. Wir besitzen durch Ebert ) eine Zusammenstellung und Erklärung von Fach ausdrücken der griechischen Bautechnik, die den griechischen Bauinschriften entnommen sind. Ebert stellt fest, daß in den Inschriften sowohl ögog ý als otéyn das Dach bezeichnen ; in der Mehrzahl der Fälle bedeute ó og ń aller dings eine „ Innendecke" , während diese Bedeutung für oréyn an keiner Stelle nachzuweisen sei .

Ich glaube, daß diese Feststellung nicht bezweifelt werden kann und auch nicht bezweifelt zu werden braucht.

Aber ich darf hier die Tatsache

vorwegnehmen, daß alle Interpreten der für uns so wichtigen Baubeschreibungen

des Eusebius das Verhältnis der beiden Begriffe verschieben, indem sie zwar

öpoyos richtig mit Dach, aber otéyn falsch mit Innendecke übersetzen. Aus diesem Grunde bekommt auch hier wieder das von Eusebius klar entworfene

Bild der antiken Basilika die falsche Retouche des Plafond, eine Vorstellung, die dem Eusebius in Wahrheit ebenso fremd gewesen ist, wie seinen römischen Zeitgenossen .

Die Doppelsinnigkeit des Ausdrucks oog ý stammt aus der von uns schon hervorgehobenen Strukturgleichheit von Dach und Decke. Wenn wir dabei feststellen mußten , daß Vitruv und mit ihm die lateinische Fachsprache beides aufs bestimmteste auseinanderhalten, so hat der Grieche diese begriffliche Unter

scheidung eben nicht mit derselben Strenge durchgeführt. οροφή oder όροφος kann bei ihm contignatio oder tectum bedeuten . In der ganzen Poliorketik kommt das Wort oog ń oder ögoyos überhaupt nicht vor, weder im Apollodorus, noch im Athenaeus oder im Anonymus, ebensowenig wie das Wort contignatio in der Poliorketik Vitruvs ; ich möchte beinahe sagen, auch das Wort tectum kommt in Vitruvs Poliorketik nicht vor, aber das wäre nicht ganz richtig, denn Vitruv gebraucht es tatsächlich einmal; aber gewissermaßen nur vergleichsweise, nur um eine Form , nicht eine Kon struktion zu bezeichnen ; und zwar bei der Beschreibung des Dachreiters der testudo arietaria des Diades. In Wirklichkeit handelt es sich hier ja auch nur um die Beschreibung eines Schemas und nicht um die einer Konstruktion . Konstruktiv sind diese binderlosen Dächer der Schildkröten aus den schon angegebenen Gründen auch für ihn niemals ,,tecta “, er bezeichnet sie niemals so, sondern eben ,,testudines“ .

Der Grund für das gänzliche Fehlen dieser in der bürgerlichen Baukunst so häufigen Fachausdrücke ist durchaus einleuchtend und technisch sehr viel 1 ) Ebert, Fachausdrücke des griech . Bauhandwerks. D. D. Würzburg 1910 . Sackur , Literatur der Antike.

12

VIII . Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

178

sagend ; mit diesen Ausdrücken ist der Begriff des Gebälksystems, wie wir es am Eingang des VII. Abschnittes dargestellt haben , unmittelbar verbunden. Ob es sich um Dach oder Decke handelt, ist dabei gleichgültig, weil das System

der Konstruktionsteile bei beiden das gleiche ist. Derartige Trägersysteme sind aber der ganzen Poliorketik vollkommen fremd; sie bietet deswegen in ihren Texten keine Gelegenheit, die Ausdrücke zu benutzen. Während diese Ausdrücke also das Wesen ihres Begriffs durch ihre Ab wesenheit in der Poliorketik verraten, erhalten wir eine fachmännisch sichere Anschauung von der diéyn gerade durch den außerordentlich häufigen Gebrauch des Ausdrucks bei sämtlichen Poliorketikern.

Und zwar wird das Wort hier

in einer Weise verwendet , die seiner von Ebert festgestellten An wendung in den Inschriften scheinbar direkt widerspricht. Denn

Oréyn ist bei den Poliorketikern nicht nur das Dach – oder genauer die Dachschalung -, sondern auch der Zwischenboden , also die Stockwerks boden ).

Aber der Widerspruch ist nur scheinbar ; die von Ebert behauptete Tatsache wird in Wirklichkeit nicht angefochten , und wir können auch hier mit Sicherheit behaupten, daß das Wort oréyn, wie jeder technische Ausdruck, den eigentlichen Kern seines Begriffes nicht geändert hat. Oréyn ist im Paralleltext des Athenaeus immer und überall die Über setzung von tabulatum oder contabulatio. sich nach ihrer technischen Bedeutung genau.

Beide Ausdrücke entsprechen Auch Apollodorus und Anonymus

verwenden das Wort nur in diesem Sinne. Orbyn — tabulatum — ist eine Schalung, ein Belag, und zwar in der Poliorketik ein Bohlenbelag und an keiner Stelle etwas anderes. Die oilyn besteht aus davides und oavides sind Bohlen . Apollodorus, der die genauesten Angaben macht, gibt ihre Stärke mit 7,5 cm und in ähn lichen Maßen an.

Ebenso besteht das tabulatum aus tabulae , und tabulae sind

bei Vitruv immer Bohlen. Die oréyai sind bei den Poliorketikern deswegen auch Zwischendecken , weil all ihre Maschinen nur Bohlen

beläge oder Böden haben , aber niemals etwa Stockwerksbalken decken ( contignationes - οροφαί). ). Das Wort Gréyn entspricht etymologisch wohl dem lateinischen tectum, aber nicht technisch . Bei dem Begriff des tectum ist immer die ganze

Konstruktion des Dachstuhles eingeschlossen, bei atéyn niemals. Dem tectum entspricht im Griechischen das Wort ögogos ; Otéyn läßt sich wohl mit dem deutschen Wort Dach übersetzen, aber es bezieht sich auch da immer nur auf die Dachschalung, auf den Belag und hat im Griechischen die Be deutung Dach erhalten, weil dieses Dach zum Unterschied vom römischen eine

Schalung besitzt. Aber aus der wirklichen Bedeutung des Wortes folgt auch, daß es niemals eine innere Decke vorstellen kann, sondern nur einen Bohlen boden .

Es ist deswegen falsch, Gtéyn einfach mit Innendecke zu übersetzen, ebenso wie es durchaus verkehrt wäre, hoch und gréyn etwa für synonyme Begriffe zu 1) Ich brauche die zahlreichen Stellen hier nicht noch besonders aufzuführen , sondern nur insbesondere auf den Abschnitt V, zu verweisen .

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

- Eusebius. Die Grabeskirche in Jerusalem . 179

halten , die willkürlich abwechselnd entweder für Dach oder Decke verwendet

werden könnten ; es sind technisch grundverschiedene Begriffe und ebensowenig synonym , wie contignatio und contabulatio ; denn tigna sind keine tabulae, und ógový oder ögoyos ist ein Gebälk , ob vom Dach oder von

der Decke ist im Griechischen nicht immer auseinandergehalten ; im übrigen kenne ich in der Literatur der Kirchenväter keine Stelle, an der ögogos etwas anderes als das tectum oder culmen der entsprechenden lateinischen Literatur bedeutet .). GLÉYY OléY ° ist immer eine Schalung. Diese kleine terminologische Abschweifung wird uns zu unserer Frage

das volle Verständnis der ältesten Zeugnisse erschließen, die zugleich die wert vollsten Zeugnisse über die Kirchenbauten Constantins des Großen sind ; sie

werden von Eusebius ) in dem der Lebensbeschreibung Constantins gewidmeten Teil seiner Kirchengeschichte gebracht.

Eusebius von Caesarea, geb. zwischen

260 - 264, war der Zeitgenosse und Biograph des Kaisers ; er beschreibt Bauten, deren Entstehung er erlebt hat. Ein Hinweis auf die von uns behandelte Frage findet sich in zwei seiner

Beschreibungen, von denen die ausführlichste und bekannteste die der Grabes kirche in Jerusalem ist. Ich führe hierunter nur die für uns wichtigsten Stellen an und beginne mit dem Briefe Constantin's an den Bischof Makarios von Jerusalem .

Der Kaiser bezeichnet es als seinen Herzenswunsch, die heilige Stätte mit schönen Bauten zu schmücken, und überträgt dem Bischof die Sorge dafür,

daß nicht nur die Basilika schöner als jede andere werde, sondern auch die ganze Anlage alles andere hinter sich lasse, was andere Städte schönes bieten. Mit der Errichtung und guten Ausführung der Mauern ) und der Beschaffung von Arbeitskräften ist der oberste Beamte der Provinz betraut, der auch

beauftragt ist, alles, was der Bischof sonst für notwendig befindet, zu besorgen. Makarios ist demnach für die architektonische Gestaltung die oberste Instanz,

während die Beamten die eigentliche Bauausführung haben. Dementsprechend fordert der Kaiser ihn gleich zu einer Äußerung auf über zwei ihm wichtig scheinende Punkte ; der erste bezieht sich bezeichnender Weise auf die Wahl der Säulen und der Marmorbekleidung ; er soll die schönsten

Marmore aussuchen, und ihm seine Wahl sofort mitteilen, damit sie von überallher beschafft werden könnten .

Die zweite Frage muß ich hierunter

wörtlich anführen :

1) Unzweifelhaft ergibt sich diese Bedeutung aus dem Zusammenhang in den

folgenden Eusebiusstellen . Prokop versteht darunter bei seinen Beschreibungen der Justinian'schen Bauten sowohl das hölzerne Dach einer Basilika wie das gewölbte der

großen Kuppelbauten ; er gebraucht beide Wörter: dogÝ und õpogos. Procopii Caesa riensis opera omnia rec . Jac. Haury. Lipsiae MCMXIII. vol. III, 2. VI libri 780i xulo udrwv. I, S. 24 u. S. 39. V, S. 163, 22 u. 26. 2) Die griech . christl . Schriftsteller der ersten drei Jahrh . Eusebius, erster Band,

herausg. von Dr. Ivar Heikel, Leipzig 1902. Eis vòv Biov toù uaxupiov Kwrotavtívov Baordiws ( im Jahre 335 verfaßt). 3) και περί μεν της των τοίχων εργέσεώς τε και καλλιεργίας. 12 *

180

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike .

Την δε της βασιλικής καμάραν , πότερον λακωναρίαν , ή δι' ετέρας τινός εργασίας γενέσθαί σοι δοκεί, παρά σου γνώναι βούλομαι • ει γαρ λακωναρία είναι μέλλοι, δυνήσεται χρυσώ καλλωπισθήναι. " Was scheint Dir recht ; soll die camera der Basilika kassettirt sein oder soll sie in einer andern Bauweise ausgefübrt werden ? Ich möchte Deine Meinung darüber hören ; denn wenn sie lieber kassettirt sein soll, so wird sie auch mit Gold dekorirt werden können . “

Sein bestimmter Auftrag am Schluß lautet dahin, den genannten Beamten sobald als möglich über die Anzahl der Handwerker und Künstler und die

Höhe der Kosten Mitteilung zu machen und ihm , dem Kaiser, sofort Nachricht zu geben „ nicht nur über die Marmore und die Säulen, sondern auch über die Kassettirung, ob er dies für das schönere hielte 1 ) " . Bei dieser Anfrage Constantin's wegen der „ camera “ der Basilika beginnen

wiederum die baugeschichtlichen Mißverständnisse: Heikel gibt im Wort- und Sachregister seiner Ausgabe für xaudoa ohne Berechtigung die Übersetzung „ Decke “, und Heisenberg ?) übersetzt danach : „ Ob die Decke eine Lakunarien decke werden soll “ etc.; damit wird wiederum die falsche Vorstellung der Plafond -Basilika dem Text untergelegt ; sie würde hier sogar durch ein solches Aktenstück von dokumentarischer Sicherheit ihre historische Beglau bigung erfahren. Wir haben aber aus dem Vitruv gelernt , daß camera weder als

Konstruktion noch als Formbegriff etwas anderes als eine gewölbte Form sein kann .

Diese Bedeutung hat das Wort überall bei den Kirchen vätern

bewahrt und noch am Ende des ersten Jahrtausend bezeichnen camerae im

lib. pontifical. die gewölbten Bögen einer Turmkonstruktion ). In der kirch lichen Literatur dieser Zeit ist die camera, wenn damit nicht ein besonderer

Bogen bezeichnet wird , das einzige Gewölbe der Basilika , nämlich das Apsidengewölbe “). Die Bedeutung Gewölbe“ hat das Wort im Mittelalter offenbar beibehalten “). Denn auch bei Alberti , also im 15. Jahrh ., bedeutet es niemals etwas anderes.

1) S. 93, 5 : ου μόνον περί των μαρμάρων τε και κιόνων αλλά και περί των λακωναριών , είγε τούτο κάλλιον επικρίνειεν.

2) Grabeskirche und Apostelkirche, zwei Basiliken Konstantins, von August Heisenberg , Leipzig 1908. 3) Platner, Bunsen etc. a. a. O. Zweiter Band, Erstes Buch , S. 64 , in dem Leben Leo III . (795–816) .

4) Vgl . die Stellen aus dem lib . pontifical., bei Holtzinger (Die altchristl. Architektur, Stuttgart 1889). S. 72 : Constantinus schenkt dem Lateran cameram basilicae ex auro trimita in S. Peter : fecit et cameram basilicae ex trimma auri fulgentem . Ferner Sidon. Apollinaris epist. II .: distinctum vario nitore marmor percurrit cameram , u. a. auch

Holtzinger S. 138: liber pont., vita Silvestri, IX., in der Beschreibung des von Constantin gestifteten ciborium für S. Peter: „ camaram ex auro purissimo“. 5) Auch Hesychius, der freilich keine technische Erklärung gibt, versteht doch

unter καμάρα nur eine kreisförmige Figur: Αψίδες : τα κύκλα των τροχών , αι περιφέρειαι ή zeudoar,“ ist seine Definition des Ausdrucks vis. Paulinus Nolanus nennt die Chornische selbst concha oder absis. Letzteres ist, wie ep . XXXII, 17, 1 , beweist, für ihn Fremdwort. Das Gewölbe der Chornische ist bei ihm immer camera . Vgl . ep. XXXII, 10, carm . XXVII, 388.

Offenbar ist der Sinn des Wortes camera erst durch die moderne Lexikographie

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Die camera in der kirchl . Literatur. 181

Wenn wir nur wenige Seiten unseres Abschnittes zurückblättern ), so finden wir die camera lacunata von Paulinus Nolanus in den Worten „ rideat

insculptum camera crispante lacunar“ beschrieben. Diese camera lacunata gehört natürlich der alten Felixbasilika an, deren Schiff er erneuert hat. Bei dem mit ihr verbundenen Neubau ist das alte römische Vorbild der kassettirten

Kuppel bereits verdrängt; hier wird die absis durch ein mosaïcirtes Gewölbe gekrönt: „ absidem camera musivo inlusa clarificat".

ep. XXXII, 10, 6.

Es liegt nicht der geringste Anlaß vor, in der camera des Constantin'schen Briefes etwas anderes zu sehn, als das Gewölbe der Apside. Diese war, was den dekorativen Schmuck anbetrifft, als ein Hauptstück der Kirche vor

gesehn, und wir finden sie dementsprechend später in der Beschreibung des Eusebius als „ to zapchatov toŨ navtos“ bezeichnet ). Ob sie kassettirt und mit vergoldeten Gliederungen, oder gar mit vergoldeten Bronzeplatten verkleidet,

oder glatt mit Mosaikbildern geschmückt werden sollte, war eine Frage, die für den Bauherrn von größerem Interesse war, als das Dach ; denn daß dieses sich von der typischen Dachform der Basilika anders als durch kostbarere Ausführung der Dekoration unterscheiden sollte, dieser Gedanke wird dem Kaiser fern

gelegen haben. Bei dem Dache bandelte es sich auch nicht um die Auswahl entstellt. Daher stammt wohl der Irrtum Heikels ; sicher ist der Irrtum Ostendorfs (Geschichte des Dachwerks a. a. O., S. 14, Anm. 1 ) aus dieser Quelle geflossen . Osten

dorf kommt denn auch zu höchst verwunderlichen Resultaten bei der Erklärung eines Synodalschreibens vom Jahre 1009, das im Kloster Neresheim aufbewahrt wird und folgende Verfügung erläßt : „ecclesiae sint coopertae bene et cameratae, nullus in locis non cameratis missam cantet“. Er hat im Carpentier, Glossarium novum von 1766, came. ratae = contabulatae gefunden, was technisch ganz unrichtig ist ; Ostendorf versteht nun auf Grund dieser Angabe unter camera ebenfalls eine „ flache Decke “ und glaubt

in dieser Synodalverordnung ein „Verbot der sichtbaren Dachwerke , wie sie

sich in England und Norwegen erhalten haben , zu Gunsten der im Süden heimischen getäfelten flachen Decke“ erkennen zu sollen.

Ich nenne dieses Resultat verwunderlich. In dieser Zeit, in der die Mutterkirche

in Rom im ganzen Bestande ihrer altehrwürdigen Basiliken kaum andere Räume als solche mit offnen Dachstühlen hatte, verbietet diese Synode das Messelesen in solchen Räumen ! Die Synode hat aber sicherlich keine Konflikte heraufbeschwören wollen

und bei den ordnungsmäßig gedeckten Kirchen “ wird sie im Jahre 1009 kaum an etwas anderes als offne Dachstühle gedacht haben . Die „ im Süden heimische flache Decke “ ist ein baugeschichtliches Märchen . Als Mindestforderung für einen kirchlichen Raum verlangt die Synode aber eine camera , d. h. eine gewölbte Chornische. Das ist unter den ecclesiae cameratae zu verstehn, und diese Forderung ist auch entwick lungsgeschichtlich nach dem Stande des damaligen kirchlichen Bauwesens in den Ländern nördlich der Alpen durchaus erklärlich . Von einer flachen Decke ist im Synodalschreiben keine Rede.

1 ) Seite 173.

2) S. 94 , cap. ΧΧΧVΙΙΙ : τούτων δ ' αντικρυς το κεφάλαιον του παντος ημισφαίριον ήν επ' άκρου του βασιλείου τεταγμένον etc. Die technischen Ausdrücke, die das Schreiben verwendet, finden sich in der

Beschreibung des Eusebius nicht wieder, weder xaudou noch daxwvepia. Das ist nicht auffällig, denn es ist bei diesem kaiserlichen Schreiben ganz ersichtlich, was Heikel von allen von Eusebius gebrachten Urkunden Constantins annimmt (Heikel, Einleitung, S. LXVII), daß es im Original lateinisch abgefaßt war.

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike .

182

eines besonderen Künstler- und Handwerkerpersonals, wie es sich aus der Alternative für das Chorgewölbe ergab . Das war aber im Briefe der Haupt gesichtspunkt. Aber so zweifellos es für mich auch feststeht, daß in dieser ins Griechische

übersetzten Urkunde der Ausdruck camera keine andere Bedeutung haben konnte, als er in der damaligen kirchlichen Literatur ganz allgemein hatte, so lege ich auf diesen Punkt keinen entscheidenden Wert. Mag man immerhin annehmen, daß der Kaiser hier an das Mittelschiff der Basilika gedacht hat und nicht an den Chor, so könnte der Ausdruck auch dann niemals auf etwas

anderes hinweisen, als entweder auf eine wirkliche concameratio, ein an den Dachstreben aufgehängtes Holzgewölbe, oder vielleicht in etwas laienhaft ver allgemeinernder Weise an einen offnen ja immer wölbmäßig wirkenden Dachraum mit getäfelten Dachflächen, wie er auch wirklich der von Eusebius geschilderten Ausführung entsprach , aber niemals konnte unter camera eine gerade Plafonddecke verstanden sein.

Und nun die Angaben des Eusebius über den Bauteil in seiner jetzt folgenden Baubeschreibung der nach des Kaisers Wünschen erbauten Grabes kirche :

άνω δε προς αυτούς (τους τοίχους ) ορόφους τα μεν εκτός δώματα μολύβου περιέφραττεν ύλη , όμβρων ασφαλές έρυμα χειμερίων , τα δε είσω στέγης γλυφαίς φατνω μάτων απηρτισμένα και ώσπέρ τι μέγα πέλαγος καθ' όλου του βασιλείου οίκου συνεχίσει

ταϊς προς αλλήλας συμπλοκαίς ανευρυνόμενα , χρυσώ τε διαυγει δί όλου κεκαλυμμένα, φωτός οία μαρμαρυγεις τον πάντα νεών εξαστράπτειν επoίει. " 1)

Um das von Eusebius gezeichnete Bild zu erkennen, für dessen Ver

ständnis die Lage der Oréyn zum Ögopos ausschlaggebend ist, bedarf es kaum terminologischer Studien ; wir brauchen nur einige Zeilen weiterzulesen bis zur Stelle ), wo der Autor die Seitenschiffe – παραστάδες

-

beschreibt, die er

„ Xgvoộ xai avrai tous ópógovç TETTOızıĀuévai“ nennt ”). Wir sehen hier, daß die Hauptträger der Farbenpracht und Vergoldung die poco sind, d. h . die Dach hölzer des Dachstuhls, und daß dieser Dachstuhl deswegen niemals durch die

στέγη bilden otéyn, wie durch einen Plafond, verdeckt sein konnte. όροφος Öpogoç und Oréyn 1 ) S. 94,5 : „ Oben auf den Mauern deckte Blei ringsum den Dachstuhl , an der

Dachaußenseite , ein sichrer Schutz gegen den Winterregen. Die Innenseite der Dachschalung mit eingeschnittnen Kassetten ausgestattet und wie eine mächtige Welle über die ganze Basilika durch ihr fortlaufendes Muster ausgegossen, und ganz und gar mit glänzendem Gold bedeckt, ließ das ganze Schiff wie von Licht schimmer funkelp . "

2) Seite 94 , 13.

3) Die 11 apnorddes sind nämlich, was alle Übersetzer bisher richtig angenommen, die Seitenschiffe. Nur Heisenberg sucht mit einem großen Aufwand von Vergleichs

material zu beweisen, daß napaorodes nur eine Öffnung flavkirende Pfeiler oder Wandteile sein könnten und sieht daher in den napartides die obere Fensterwand der Basilika,

d. h. jedesmal die einzelnen die Oberfenster flankirenden Wandstücke und damit in Summa die Oberwand .

Es ist hier nicht der Ort , um die Verkehrtheit der Heisen

bergschen Übersetzung im einzelnen nachzuweisen . Ich glaube auch nicht, daß jemand bei ernstlicher Vertiefung in die Beschreibung des Eusebius und angesichts der packenden Anschaulichkeit seiner Schilderung der Heisenberg'schen Übersetzung mit ihren Ver

gewaltigungen des Textes folgen wird , zumal sein Endergebnis zu einer ganz unmög

7

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Eusebius. Die Grabeskirche. 183

vielmehr gemeinschaftlich den offnen Dachstuhl und zwar einen auf besondere Art verschalten. Diese Art der Schalung zeigt Abb . 71 , die den Dachstuhl der

Kathedrale von Messina wiedergibt. Die Einzelheiten sind der Aufnahme von M. Morey 1 ) entnommen ; die Dachdecke ist aber unter Fortlassung der Binder

balken der besseren Übersicht wegen in die Ebene ausgebreitet. Es ist das nicht ein Einzelbeispiel, sondern es gehört einem Kreise sizilianischer Bauwerke des frühen Mittelalters an, die diese Bauweise traditionell bewahrt haben. lichen Auffassung der Situation führt. (Vgl. dazu die Besprechung von 0. Wulff in der

Byzant, Zeitschr., 18. Band, Jahrg. 1909, S. 538, Leipzig 1909.) Ich will mich hier auf das Wort selbst und den unmittelbaren Zusammenhang beschränken ; man kann eine fünfschiffige Basilika mit zweischiffigen Emporen wohl

nicht sorgfältiger und klarer beschreiben, als es Eusebius mit den Worten tut :

-Αμφί δ'εκάτερα τα πλευρά διττών στοών , αναγείων τε και καταγείων , δίδυμοι παραστάδες το μήκει του νεώ συνεξετείνοντο , χρυσό και αύται τους ορόφους πεποι κιλμέναι. "

„Zu beiden Seiten zogen sich in Gestalt von doppelten zweigeschossigen Hallen , doppelte Seitenschiffe in der ganzen Länge der Kirche hin, auch sie mit Gold die Dächer dekorirt. “

Es kommt mir aber noch weiter darauf an, eine von Heisenberg als Beweis für

seine Annahme benutzte Vitruvstelle vor der Verdunklung zu bewahren : Vitruv beschreibt lib. VI, pag. 149 das griechische Haus und zwar nur seine Räume, ihre Lage zu einander und ihre Verhältnisse, d. h. ihre Länge zur Breite ; pag. 149, 5 sagt er : „deinde est introitus in peristylion , id peristylion in tribus partibus habet porticus inque ea parte

quae spectat ad meridiem duas antas inter se spatio amplo distantes in quibus trabes invehuntur, et quantum inter antas distat, ex eo tertia adempta spatium datur introrsu8,

hic locus apud nonnullos prostas, apud alios parastas nominatur. “ Die Eingangshalle des Peristyls bat also keine Säulen, sondern ist eine Art Veranda ; die Öffnung wird durch einen Balken gebildet, der die volle Breite zwischen

zwei Wandpfeilern frei überspannt. Die Tiefe der Veranda beträgt 9%; dieser Spannweite. Diese Veranda heißt prostas oder parastas. Es kommen dann weiter die Räume des Hauses, die sich um diese Veranda gruppiren und dabei fährt Vitruv fort : „in prostadis autem dextra ac sinistra“ etc , er gebraucht also den ersten Ausdruck ; jedenfalls ergibt

sich, daß er beide Ausdrücke für gleichbedeutend hält. Und wenn napaoras auch einen SO diese eine Bedeutung kann es in der Tat haben kann für 7pooras davon doch keine Rede sein . Ich halte mich hier zunächst nur an die Worte ; aber auch der ganze Zusammenhang zeigt mit aller Deutlichkeit, daß Vitruv Wandpfeiler vorstellen kann

unter parastas nur einen Raum verstanden hat.

Heisenberg erhält die von ihm nun einmal gewollte Übersetzung von napaoras auch nur durch tatsächliche Verdunklung der Stelle, er setzt stillschweigend für introrsus

introitus! Daß damit der Vitruv’schen Beschreibung eine wichtige Angabe genommen wird, und eine ganz überflüssige und unwahrscheinliche willkürlich hinzugefügt, kümmert

ihn dabei nicht! In der ganzen Beschreibung gibt Vitruv nichts als Raumbezeichnungen und hier soll er auf einmal ein für den ganzen Zusammenhang durchaus bedeutungsloses Stück Wand bezeichnen !

Daß napaoridas gleichbedeutend mit „ antae“ baulich Türpfeiler bezeichnen können , wird niemand in Abrede stellen ; aber keine der von Heisenberg zusammengetragenen

Stellen beweist etwas gegen die zweite räumliche Bedeutung, die das Wort besitzt.

Es wird in dieser doppelten Bedeutung gebraucht worden sein , weil man eben napioidvai von einer Fläche ebensowohl wie von einem Raume sagen konnte.

Man kann hier

also noch nicht einmal von einer Doppelsinpigkeit sprechen, sondern nur von der Ver wendung desselben Wortes nach zwei Dimensionen des anschaulichen Denkens. 1 ) Seite 129, Anm. 1 .

1

VIII. Abschnitt: Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.



184

9

o

O R O H

7.Abb 1

6 6

2. Dach usw. der antiken Basilika.

Eusebius. Grabeskirche.

Apostelkirche. 185

Das Gebälk des opopos besteht aus dem schon erwähnten grandios- einfachen Sprengewerk der Grundfigur (Fig. 1 , Abb. 54 ) und die Oréyn wird von einer sogenannten „ gestülpten “ Schalung starker Bretter gebildet. Die gestülpte Schalung dürfen wir als griechische Dachschalung ansprechen ; denn wir finden sie »

schon in der inschriftlich erhaltenen Bauverdingung für die Skeuothek des Philon

im Piraeus: Die untere Brettlage sind die iudvtes“, die obere die „ xalúupata “. Die yavgai patvmuerwy des Eusebius ergeben sich geradezu als eine Besonderheit dieser Stülpschalung; die von ihm angegebenen Kassetten ausschnitte können gar nicht besser illustrirt werden und das in Abb . 71

ausgebreitete Bild der Dachdecke mit dem ineinander greifenden Gefüge “ vermag uns die Vorstellung wieder zu beleben, aus der heraus Eusebius sein

anschauliches Bild entworfen hat. In gleichem Grade kann es durch die noch heute wirksame Farbenpracht dieser Decken lebendig werden. Daß bei den Prachtbauten Constantins der Eindruck durch eine viel freigiebigere Vergoldung

noch wesentlich gesteigert war, ergibt sich aus den Beschreibungen selbst. Es wäre falsch, für unsere Beispiele etwa einen unmittelbaren Einfluß palästinensischer Bauten anzunehmen.

Es sind vielmehr uralte handwerkliche

und architektonische Traditionen , die den Erzeugnissen so verschiedener Epochen den bestimmenden Einschlag geben.

Diese Technik in der Bildung der Dach

decke ist griechisch -hellenistisch und, wenn wir den Voguéschen Aufnahmen glauben dürfen, so müssen zahlreiche syrische Basiliken ähnliche Dachdecken aufgewiesen haben.

Die Bedachung des Mittelschiff's hat in diesem hellenistischen Kulturkreis

zu Vitruv's Zeiten nicht anders ausgesehn, wenn wir die schon erwähnte Herodianische Basilika in Jerusalem mit etwas weiterer Fassung des Ausdrucks

als „ zeitgenössisch “ bezeichnen dürfen . Wir werden jetzt mit besserem Ver ständnis der Schilderung gegenüberstehn, die Josephus 4) von der Bedachung des Mittelschiffes gibt :

και δε όροφ και βαθιξίλοις εξήσκηνται γλυφαίς , πολυτρόπους σχημάτων ιδέαις " . Auch in dieser kurzen Andeutung ist es mir nicht möglich etwas anderes als die vorbeschriebene Decke zu erkennen, aber nicht etwa den von den ver

schiedenen Rekonstrukteuren dieser Beschreibung gezeichneten Plafond ?). Daß an der andern Stelle der vita Constantini, an der Eusebius eine

Basilikadecke mit den gleichen Ausdrücken beschreibt, lib . IV, cap. LVIII, S. 141 , dieselbe Raumvorstellung zu Grunde liegt, bedarf keines besonderen Beweises. Es handelt sich hier um die gleichfalls von Constantin erbaute Apostelkirche in Constantinopel: νεις αυτόν όροφον εξ εδάφους πλακώσας, διαλαβών δε λεπτοίς φατνώμασι την .

στέγην , χρυσώ την πάσαν εκάλυπτεν • άνω δε υπέρ ταύτην προς αυτώ δώματι χαλκός μεν

αντί κεράμου, φυλακήν τω έργω προς υετών ασφάλειαν παρείχε " 3). 1) 4oyatologia a. a. O., 15. Buch , S. 349: „ Die Dächer waren mit Vertiefungen in starkem Holz versehn nach mannigfaltiger Formbildung “. 2) Vgl . Anm . 2 zu Seite 149.

3) (Constantin brachte die Kirche durch den Schmuck farbiger Steine zur glänzenden

Wirkung ), indem er sie vom Boden bis zum Dachgebälk inkrustirte ; die Dach schalung teilte er mit kleinen Kassettchen auf und hullte sie ganz in Gold ein. Oben über ihr auf der Dachoberfläche sicherten Bronzeplatten statt der Ziegel das Bauwerk

186

VIII . Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

Von den Prachtbasiliken Constantin's ist uns nur eine noch erhalten ge

blieben, das ist die Geburtskirche in Bethlehem. Das allen Schmuckes beraubte Innere zeigt heute im Mittelschiff einen offnen Dachstuhl mit Hängewerks bindern, der nicht aus älterer Zeit stammt. Das 1596 erschienene Werk des

Franziskanerpaters Bernardino Amico da Gallipoli stellt die Basilika mit einem Dachstuhl nach dem einfachen Schema der Grundfigur (Fig. 1 , Abb. 54) dar, sodaß man in seinen technisch allerdings nicht sehr klar gezeichneten Aufnahmen wohl den alten Dachstuhl erkennen möchte ). Eusebius erwähnt die Geburts

kirche, deren Gründung nach seiner Angabe der heil. Helena, der Mutter Con stantins, zu verdanken ist, aber er gibt keinerlei Beschreibung von ihr. Wir dürfen mit Sicherheit annehmen, daß der Raumabschluß der Form nach der gleiche war, wie bei der Grabeskirche in Jerusalem.

Edmund Weigand ?) will uns in seiner sehr wertvollen Untersuchung über diese Basilika allerdings eines besseren belehren : Nach ihm ist es (S. 53) durch die dankenswerte Nachricht bei Sophronios entschieden , daß der offne Dachstuhl in der Geburtskirche nicht ursprünglich ist, sondern daß eine

prachtvoll geschmückte Lakunariendecke einen harmonischen Zusammen klang bildete mit dem dekorativ so reich ausgestatteten Innenraum. “ Also hätte die Geburtskirche in Bethlehem wirklich eine Ausnahme der von uns als

Regel erkannten Form gebildet ? Ach nein : Die von Weigand angezogene Nachricht aus dem Sophronios ist eine Stelle aus einem Gedicht ; der vor den Persern nach Griechenland

geflohene Dichter läßt darin in den zartesten Tönen griechischer Lyrik seine Sehnsucht nach Bethlehem erklingen. Die beiden Stichworte für das Raumbild der vom Dichter visionär geschauten Basilika sind auch hier wieder Säulen und Dach .

Auf das letztere beziehen sich folgende Verse ): Ιδέην άνω δε βλέψω

Καλάθωσιν αστροφεγγή . 'Από καλλιεργίας γαρ Χάρις ουρανοίο λάμπει . " „ Ein Bild werd' in der Höh' ich schauen Sternenhimmel aus Kassetten ; Denn vom Wunderwerke strahlt

Schönheit der Himmelswölbung herab.“

gegen den Regen . “ Diese Schilderung wäre ohne die vorher angegebene richtige Terminologie von õpogos und oréyn überhaupt in keinen rechten Zusammenhang zu

bringen. Schon die ersten auf die Inkrustirung bezüglichen Worte „ tis avròr őpogowe beweisen in Anbetracht der Anschaulichkeit der Eusebius'schen Schilderung, daß der oporpos nach dem Innenraum offen war. Die bronzenen Dachplatten liegen, wie sebr

richtig angegeben, „ únèg Thu grèynodi, d. h. auf der Dachschalung. » ) Trattato delle piante ed imagini dei sacri edifizi di terra santa disegnate in Jerusalemme, R. P. F. Bernardino Amico da Gallipoli, Roma. Firenze 1619 (Zweite Auflage ). Über das Dach vgl. auch Tobler, Bethlehem in Palästina, St. Gallen 1849. S. 84.

2, Studien über christl. Denkm . Joh. Ficker. 11. Heft: Die Geburtskirche von Bethlehem von Edmund Weigand, Leipzig 1911 .

3) Sophronios, Anakreontikon XIX . Migne, graec. 87, 3. Weigand, S. 24. Lied ist in den Jahren 614–619 entstanden .

Das

2. Dach und Decke der antiken Basilika.

Die Geburtskirche in Betlehem. 187

So sieht die entscheidende Nachricht “ des Sophronios über die Lakunarien

decke von Bethlehem aus. Sophronios nennt die von Eusebius „qaiyouara) 2

genannten Kassetten : ,xálafo" d. h. „ Körbe“ und wenn aus der Schilderung überhaupt etwas über die Form der Decke entnommen werden kann , so weist ich erinnere an das Kommentar

jedenfalls der Vergleich mit dem Himmel

des Servius zu den testudines der Tempel

sehr bestimmt auf den offnen

Dachstuhl, aber nicht auf einen Plafond hin, und wir können diese Decke der Sophronios'schen Sehnsucht noch deutlicher als die Jerusalemer in Abb. 71 wiederfinden ; die sternförmigen xáha fou des Daches würden dem Vorstellungs bild des Dichters sicherlich genau entsprochen haben "). Wo die Renaissance, ibrem architektonischen Programm getreu, die Mittel schiffe der alten Basiliken mit reichen Plafonds ausstattete, hat sie meist eine

glückliche Hand gehabt. Der schwere, oft gewaltige Maßstab der Rahmenteile und ihre ebenso oft bewegte Linienführung wird den Räumen an sich immer

gerecht. Die Basiliken S. Maria Maggiore und S. Giovanni in Laterano darf man mit ihren Plafonds als harmonisch abgeschlossene Räume von gefälliger Wirkung bezeichnen. Es sind das Leistungen, die nicht aus einer baugeschicht

lichen Hypothese, sondern aus eigner künstlerischer Intention hervorgegangen und danach zu bewerten sind.

Aber diese Anerkennung kann uns nicht darüber täuschen , daß der Raum ausdruck, den die Antike ihren Schöpfungen geben wollte, ein ganz anderer war . Die von uns zusammengestellten Stimmen der Zeit “ sprechen da eine zu einheit liche und unzweideutige Sprache. Wenn uns der zwar nur aus dürftigen Resten und Uberlieferungen erkennbare technische Befund schon einen Fingerzeig gab, um die

tatsächliche Raumform der antiken Basilika zu rekonstruiren ; die literarische Über lieferung gibt uns mehr, denn sie zeigt uns das persönliche Verhältnis des antiken Menschen zu diesem Raum, sein Raumgefühl und das in ihm lebendige Raumideal. Lassen wir uns durch diese Stimmen leiten , so führen sie

uns nicht in die plafonirten Basiliken der Renaissancearchitekten , sondern auf die Wege der handwerklichen Überlieferungen , die die antike Technik im italienischen Mittelalter gegangen ist. Der fran zösische Architekt Morey 3), dessen Aufnahme des Domes von Messina wir 1) φάτνωμα, φάτνη Trog, Kasten. xchatos ist ein Korb von kelchartiger Form . 2) Von den sizilianischen Kirchen hat der 1170—1176 gebaute Duomo di S. Maria nuova in Monreale bei sonst gleicher Dachkonstruktion wie der von Messina auf gemalle Sterne auf der inneren Dachfläche ; aber das in der Renaissancezeit renovirte Dach hat keine gestülpte Dachschalung mehr, sondern eine glatte Schalung ; es fehlen daher auch die „xcha 901" (Ansicht der Decke: Taf. 43, in L'architettura Arabo - Normanda in Sicilia, Giulio V. Arata Milano ).

3) a. a. O., S. 129 , Anm. 1. Morey schreibt : „ Malheureusement, aucune des admirables charpentes (bas. Ulpia etc.), qui devaient couvrir ces édifices grandioses n'a échappé à l'incendie, à la cupidité des hommes ou à l'action du temps. Comment donc savoir quelle était la disposition des charpentes antiques ? si, par exemple, elles étaient cachées

aux yeux par un plafond, ou si elles se trouvaient à nu et décorées de peintures ? La réponse à toutes ses questions se trouve dans les admirables charpentes peintes, qui

font le plus bel ornement intérieur de plusieurs basiliques de la Sicile ... Er stellt zum Schluß die Thesen auf: La charpente apparente est une transmission

de l'art antique. Les peintures de la charpente sont également une tradition des anciens.

188

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

benutzt haben, hatte im Jahre 1841 schon diesen richtigen Weg erkannt; er hat sich mit diesen sizilianischen Bauwerken des Mittelalters beschäftigt, weil er hier die Antwort auf diese Fragen der antiken Raumgestaltung suchte. Ohne Kenntnis literarischer Quellen hat er doch mit sicherem Instinkt heraus gefühlt, wo die Traditionen der Antike zu finden sind, über die uns keine

Ausgrabung Auskunft zu geben vermag. Aber seine Ansichten haben in der baugeschichtlichen Literatur kaum einen Nachhall gefunden . Sonst hätte man schon längst erkannt, daß es diese mittelalterlichen Nachkommen antiker Bau

kunst sind, die den antiken Raumgedanken in dem für den Raumeindruck be stimmenden Bauteil verkörpern, nicht aber das jetzige S. Paolo fuori le mura. So, wie es aus dem Brand wiederauferstanden ist, bedeutet es mit seinem

Riesenplafond nur die Verewigung eines baugeschichtlichen Irrtums, und wäre

man bei dem Wiederaufbau von der Konstruktionsfrage, d . h. von dem alten Sprengewerksbinder ausgegangen, so hätte man die Haltlosigkeit der Plafond Hypothese schon aus der technischen Unmöglichkeit ihrer Verwirklichung er kennen können .

3. Das Ende antiker Baukunst und Technik.

Ich glaube, daß unser letzter Abschnitt nicht nur auf eine Sonderfrage Antwort gegeben, sondern daß er auch die absolute Verbundenheit der christ lichen Baukunst der ersten Jahrhunderte mit ihrer heidnischen Schwester

kunst vor Augen geführt hat. Ja , damit ist in Wirklichkeit noch zu architektonisch gedacht keine heidnische und wenig gesagt: Es gibt keine christliche, sondern nur eine antike Architektur, d. h . eine auf den Besonderheiten hellenistisch - römischer Raum vorstellungen und Raumideale beruhende Raumkunst .

Den baugeschichtlichen ) Vorgang, der sich durch das Emporblühen der christlichen Kirche innerhalb der römischen Welt vollzog, und den alle

literarischen Quellen einheitlich erkennen lassen, möchte ich mit einem knapp umrißnen Bilde etwa so schildern : In Constantin dem Großen bemächtigt sich die führende Schicht einer künstlerisch hoch entwickelten Kultur

des Christentums und nötigt es mit sanftem Druck in ihre eignen , d. h .

die der zeitgenössischen Raumanschauung entsprechenden , Räume. 1 ) Ich betone das „ baugeschichtliche “ ; denn alle andern an das einzelne Bauwerk gebundenen Künste, wie Plastik, Malerei und alles, was wir unter dem Begriff des Kunstgewerbes zusammenzufassen pflegen , liegt natürlich ganz außerhalb unseres Themas ; unsere Betrachtung beschränkt sich auf das eigentliche Gebiet der Bautechnik . So sehr diese Kunste auch im Einzelfall von der Baukunst beeinflußt werden und obwohl auch

eine wechselseitige Befruchtung zugegeben werden muß, so vollzieht sich die Bewegung bei ihnen doch nach andern Momenten ; sie sind überhaupt beweglicher und haben zum Teil zu jeder Zeit die Beweglichkeit einer Handelsware gehabt. Raumvorstellungen habeu ein viel zäheres Leben als die Motive der Bildkunst und Kleinkunst und das im wahrsten Sinne bodenständige Baubandwerk, das keine bewegliche Ware schafft, hält viel fester an seinen Traditionen. So unentbehrlich

deswegen die Einbeziehung der anderen Künste und Handwerke für die Kulturgeschichte der Zeit auch sein mag , so sind wir doch berechtigt, sie in unserm Zusammenhang außer Betracht zu lassen .

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3. Das Ende antiker Baukunst und Technik .

189

Gegenüber dieser aus der Literatur der Kirchenväter und der baugeschicht

lichen Betrachtung ersichtlichen Tatsache spielen alle Einzelfragen über die Art der vorkonstantinischen Gotteshäuser gar keine Rolle.

Der Grund, wes

halb diese so viel ventilirte Frage zu keinem Resultat geführt hat und auch nicht führen kann , ist der, daß sie meist falsch gestellt wird : Der früh christliche Gottesdienst war rituell so einfach und daher formal so anspruchslos, daß er aus sich heraus überhaupt zu keinem bestimmten Raumtyp führen konnte .

Wessen kirchliches Selbstbewußtsein sich durch diese These verletzt

fühlt, der bedenkt nicht, daß jede geistige Bewegung, je innerlicher und geistiger sie ins Leben tritt, um so geringere Ansprüche in formaler Beziehung

Die kausalen Zusammenhänge lagen vielleicht umgekehrt, als man sie zu sehen sich gewöhnt hat : Das Geschenk der heidnischen Basiliken stellt .

mag nicht wenig dazu beigetragen haben, rituelle Ansprüche und schließlich Gewohnheiten zur Entfaltung zu bringen, die dem Christentum ursprünglich

fern lagen. Die Bedeutung der Prachtbasiliken Constantins für die besondere Entwicklung des kirchlichen Lebens kann man unter diesem Gesichtspunkt nicht hoch genug einschätzen. Die schwersten Irrtümer in der Frage hat aber der eine gewisse Zeit herrschende grobe Rationalismus gezeitigt, der in voller Verkennung der

Grundfragen architektonischer Ideenbildung eine baugeschichtliche Entwick lung auf praktisch - rationalistischer Grundlage zu konstruiren versuchte 1). Dieser Versuch mußte von vornherein ergebnislos verlaufen, denn wenn es der Kirche zur bewußten Durchführung programmatisch - praktischer Eigen forderungen wirklich darauf ankam , ihren gottesdienstlichen Bedürfnissen ent

sprechende Räume zu schaffen, so wäre ohne jeden Zweifel die Basilika der ungeeignetste Raum gewesen ?); man hat den Entwicklungsgang dementsprechend auf die Formel bringen wollen, daß zunächst mit dem praktischsten Raum,

dem einschiffigen Saalbau, begonnen wäre, und daß man bei steigendem Raum 1) Dieser Standpunkt wird ganz und gar durch Holtzinger vertreten (a. a. 0., Abschnitt II, § 5 und 6) .

2) Diese Erkenntnis wird klar von Max Hasak ausgesprochen in seinem auf S. 149, Anm. 2 bereits erwähnten lesenswerten Aufsatz : „ Welches Vorbild ahmen die Basiliken

Constantin's nach ? " Freilich beantwortet Hasak die Frage falsch und zwar deswegen , weil auch er in diesen Erzeugnissen antiker Architektur ein christliches Sonderprogramm

voraussetzen will, und deswegen den Gedanken unmittelbarer Übernahme „ heidnischer “ Kunst ablehnen zu müssen glaubt. Er will als Vorbild die von uns S. 149 besprochene Basilika Herodes des Gr. auf dem Tempelberg in Jerusalem ansehn, weil sie der Schau

platz von Christi Wirken war und so auch in der Tradition fortlebte . Diese Tatsache mag richtig sein ; aber die Behauptung, daß Constantin sie zum Vorbild für seine Basiliken nahm , ist ersichtlich unrichtig. Weder ist darüber im Eusebius irgend eine

Andeutung zu finden, noch entspricht das den aus den Beschreibungen festzustellenden Bildern dieser Basiliken .

Zumal das hervorragendste Bauwerk Constantins, die Grabeskirche, das die aus .

gesprochne Absicht des Kaisers verwirklichen sollte, alle Basiliken der Welt an Pracht zu überbieten, entsprach mit ihren fünf Schiffen und der zweigeschossigen porticus Anlage durchaus dem Basilikentyp der noch in den christlichen Jahrhunderten am meisten bewunderten basilica Ulpia des Traian. Innerhalb der ganzen Bauklasse kann man sich keine größere Verschiedenheit zweier Typen vorstellen , als die Tempelbasilika des Herodes und die Grabesbasilika Constantins.

190

VIII. Abschnitt : Die Basiliken des Vitruv und die christliche Antike.

bedürfnis zur Aufteilung durch Säulen und damit aus praktischen Gründen

zur Basilika übergegangen wäre, um größere Spannweiten zu vermeiden. So technisch sich diese Erklärung auch gebärdet, so ist sie doch gerade

technisch unannehmbar ; denn sie zeigt eine Verkennung antiker Technik über haupt und vor allem die gänzliche Verkennung des eigentlich tech nischen Problems der Basilika.

Die Überwindung großer Spannweiten war für die antike Technik mit der rationellen Konstruktionsform ihrer Sprenge- und Hängewerke an sich gar kein Problem. Und was die Basilika anbetrifft, so liegt die Sache gerade um gekehrt : Man hielt an diesem der zeitgenössischen Anschauung liebgewordenen Raum gefühlsmäßig fest, obwohl man sich dadurch das eigentlich tech nische Problem erst schuf. Denn dieses lag nicht etwa in der Spann weite des Dachstuhls, sondern in der Stelzung des Oberbaues durch die Säulenreihen , also in der basilikalen Bauform selbst.

Bei der größten christlichen Kirche des Altertums, der unerreichten basilica S. Paolo fuori le mura, war nicht die Spannweite des Mittelschiffs an sich die große technische Leistung, sondern, wie Rondelet richtig erkannte, die übermäßige Belastung der Mittelschiff- Säulen . Wo der Gefahrenpunkt, also

das technisch -problematische, bei diesen Basiliken lag, zeigte sich am augen fälligsten bei der Katastrophe vom Jahre 1823 ; denn als der Dachstuhl der mächtigen Basilika in Flammen aufging, da stürzte der ganze Bau in sich zusammen, sodaß von dem gesamten Baubestand nur die nicht betroffenen

Teile übrigblieben “). Auch hier ergibt sich die richtige Erkenntnis des architektonischen Problems

erst aus der Aufklärung des technischen und erst auf dieser Grundlage vermögen wir die erste von den beiden zum Schluß aufbewahrten Fragen zu beantworten , an welcher Stelle der Baugeschichte man vom Ausgang der antiken Baukunst sprechen kann.

Trotz der Continuität handwerklicher Technik

und trotz des von uns oft betonten Weiterlebens manch antiker Raumüber

lieferungen im Lande antiker Traditionen ist der Abschluß einer Epoche

doch zu erkennen . Er zeigt sich da, wo dieses durch Säulen und Dach charakterisirte Raumgebilde , das Vitruv als basilica bezeichnete , als architektonisches Ideal aus dem Bewußtsein verschwindet und zum reinen Grundrißschema wird . An diesem Grundrißschema begann die neue Baukunst ihre Versuche der Einwölbung. Auch die Antike hat kirchliche Räume eingewölbt ; aber es ist bezeichnend, daß sie dabei von freien Raum bildungen ausging. Basiliken und gewölbte Kirchen sind trotz der gemeinschaft lichen Benennung durchaus verschiedene Bautypen . Die für die antike Technik selbst zu stellende parallele Schlußfrage knüpft unmittelbar an das über die technische Literatur der Antike und die Bedeutung Vitruv's im I. Abschnitt gesagte an : 1) Nur Querschiff und Apside blieben erhalten , weil der Triumphbogen die Weiter verbreitung des auf dem Dach des Langschiffes ausgebrochenen Feuers verhinderte. Die Bausubstanz des letzteren wurde gänzlich vernichtet; es mußte vollständig neu aufgebaut werden.

3. Das Ende antiker Baukunst und Technik.

- Das technische Problem der Basilika. 191

Die Technik ist ihrem innersten Wesen nach Organisation von Kräften.

Das gilt für unsre hochentwickelte Technik im gleichen Maße wie für die antike. Wir werden, um ein Beispiel anzuwenden, wenn es sich um Bewegung von Lasten handelt, wie etwa bei dem Obelisken des Caligula, von der unmittelbaren Auswirkung der Menschenkraft sehr viel geringeren Gebrauch, aber um so reichlicheren von Maschinen machen. Aber in diesen Maschinen steckt eben

auch wieder organisirte Kraft, sie ist darin investirt. Der Unterschied ist, daß sich bei uns eine Umgruppirung der organisirten Kräfte vollzogen hat. Die Vorbedingung für diese Organisation der Kräfte ist zu jeder Zeit und war es auch in der Antike eine einheitliche und nach sachlichen Momenten

organisirte Verwaltung. Dadurch unterscheidet sich die Antike und zumal die römische von der darauf folgenden Zeit des mittelalterlichen Feudalismus. An

diese Vorbedingung ist die Technik gebunden, daher bedeutete die römische Kaiserzeit für sie eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit; denn sie brachte eine straffere und rationellere Zusammenfassung der Verwaltung in einer Hand und es ist bezeichnend, daß gerade die technischen Ämter, gleich bei Beginn der neuen Herrschaftsform , den gewählten Magistraten und dem Senat entzogen und dem Principat übertragen wurden. Vor allem bildete die Armee, dieses ständige Muster organisirter Kraft, das Herz des die damalige Welt umspannenden Verwaltungskörpers .

Es ist kein Zufall, daß unser Studium antiker Bautechnik uns vorzugsweise auf das Gebiet der Poliorketik verwiesen hat und daß die beiden Haupt

vertreter der Technik, Vitruv und Apollodorus, der Armee angehört haben. Wir dürfen die römische Armee , den eigentlichen Kern der großen Gesamtorganisation , als den Hauptträger der Technik bezeichnen. Die römische Technik war, als ein unmittelbares Ergebnis der organisirten

Verwaltung, zugleich ein Ausfluß des römischen Staatsgedankens. Diese Ver bundenheit klingt aus Vitruv's Worten in seiner ersten Ansprache an den imperator Caesar Octavianus heraus :

„ cum attenderem, te curam habere, ut maiestas imperii publicorum aedificiorum egregias haberet auctoritates, non putavi praetermittendum , quin primo quoque tempore de his rebus ea tibi ederem“. Wenn wir die römische Kaiserzeit als eine Blütezeit antiker Technik

ansehn dürfen, so steht Vitruv an ihrem Eingang und die Antwort auf unsere Frage ergibt sich aus unsrer Begriffserklärung von selbst : Die römische Technik versank, als die römische Armee und die mit ihr organisch verbundene Staats

gewalt den Angriffen der Barbaren erlag. Wenn die Grenzen der sich hier scheidenden Epochen nicht immer mit aller Deutlichkeit zu Tage treten , so liegt das daran , daß die Überlieferungen des römischen Staatswesens im ost römischen Reich noch eine Zeit lang weiterzuleben vermochten.

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