Die Gleichnisse des Herrn: Für Lehrer und christliche Familien 9783111497266, 9783111131085

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Die Gleichnisse des Herrn: Für Lehrer und christliche Familien
 9783111497266, 9783111131085

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Vom Salze
II. Dom Licht
III. Vom Auge
IV. Vom Vater und Sohn
V. Dom guten und Faulen Baume
VI. Vom Klugen und Thörichten Manne
VII. VIII. IX. Von Hochzeitleuten, vom Neuen Flicken auf dem alten Kleide und vom Most in alten Schläuchen
X. Von vielerlei Acker
Xi. Vom Unkraut unter dem Weizen
XII. Vom Senfkorn
XIII. Vom Sauerteig
XIV und XV. Vom verborgenen Schatze Und: von der Einen Köstlichen Perle
XVI. Vom Netz voll Fische
XVII. Vom verirrten Schafe
Xviii. Vom böseu Schuldner
XIX. Von den Arbeitern im Weinberge
XX. Don zweien Söhnen
XXI. Von den bösen Weingärtnern
XXII. Von der königlichen Hochzeit
XXIII. XXIV. XXV. Das Gleichniß am Feigenbaum, vom Wachenden Hausherrn und von einem Menschen, der über Land Zieht
XXVI. Vom Treuen und Bösen Knecht (Haushalter)
XXVII. Von den zehn Jungfrauen
XXVIII. XXIX. Vom vergrabenen Centner und von den anvertrauten Pfunden
XXX. Vom Weltgericht
XXXI. Dom Samen
XXXII. und XXXIII. Bon zwei Blinden und vom Splitter und Balken
XXXIV. Vom Barmherzigen Samariter
XXXV. Vom Reichen Mann, den der Tod überrascht
XXXVI. Von den wachenden Knechten
XXXXVII. Vom Feigenbaum
XXXVIII. Von den Gästen, wie sie erwählen, oben an zu Fitzen
XXXIX. Dom Großen Abendmahl
XL. und XLL. Vom Thurmbau und vom Könige, der mit sich zu Rathe geht
XLII. Vom Verlorenen Schafe
XLIII. Vom verlorenen Groschen
XLIV. Vom Verlorenen Sohne
XLV. Vom Ungerechten Haushalter
XLVL. Vom reichen Manne und dem armen Lazarus
XLVIL. Dom Knechte, der vom Felde Kommt
XLVIII. Vom ungerechten Richter
XLIX. Don drei Freunden
L. Dom Pharisäer und Zöllner
LI. Von der Thür zum Schafstall
LII. Vom Guten Hirten
LIII. Vom Weizenkorn
LIV. Christus der Weinstock

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Die

Gleichnisse -es Herrn.

Für Lehrer und christliche Familien dem Inhalte nach dargelegt von

R Rector

tn

S stimmn,

Königlichen Garnisonschult zu PolStam.

Berlin, 1851. Verlag von G. Reimer.

Vorwort. Out Bearbeitung der

Gleichnißreden

Christi

ist

der Verfasser

vornehmlich durch die vielfach gemachte Bemerkung bestimmt wor­ den, daß denselben beim Religionsunterrichte in den Schulen nicht immer die gebührende Würdigung zu Theil wird, indem sie bald als bloße Erzählungen und Aussprüche ohne tiefere Bedeutung angesehen, bald in so oberflächlicher Weise ausgelegt werden, daß die Seele des

Kindes kaum zur Ahnungihres Sinnes und In­

halts zu gelangen vermag. erhaben,

Und doch

ist dieser so schön

und

daß

seine Darlegung, wenn sie nur im rechten Geiste

geschieht, und

mit steter Bezugnahme ans daS dem kindlichen An-

schauungö- und Erfahrungökreise angemessene bildliche Gewand, in daS er gekleidet, ganz besonders geeignet ist, die Ueberzeugung von der Göttlichkeit der Lehre Jesu und mit derselben hohe Ehr­ furcht und Liebe zu Ihm selbst tief in die jugendlichen Gemüther einzupflanzen.

Soll dies

eifrigstes Bemühen sein?

nun aber nicht eines

jeden

Lehrers

Soll er nicht unablässig dafür Sorge

tragen, daß daö Kind allmälig zu der Erkenntniß gelange, Christum lieb haben besser

ist,

daß

denn alles Wissen Eph. 3, 19;

ja daß ohne Ihn Alles eitel Stückwerk ist und der rechten Weihe ermangelt?

Gehöret aber nicht zur Erzielung eines so gesegneten

Erfolges ganz wesentlich, daß er, von der Liebe zum Herrn selbst erfüllt und durchdrungen, des göttlichen Wortes Inhalt den Kin­ dern, je nach ihrer geistigen Befähigung und Kraft, mit frommem, gläubigem

Sinne erschließe und

ihren Herzen

lieb

und theuer

IV

mache? Fürwahr, alle menschlichen Verhältnisse und Zustände würden sich mit der Zeit glücklicher und erfreulicher gestalten, wenn eö in allen Schulen also gehalten und sonach jede eine Pflanz­ stätte wahrhaft christlicher Gesinnung und Gott wohlgefälligen Lebens werden möchte! In den Kindern liegt die Gestaltung der Zukunft! DaS vorliegende Merkchen will nun zunächst allen Lehrern, denen christliche Erkenntniß und aufrichtige Liebe zu Gott und zu dem Wcltheiland für die alleinige und unumstößliche Grundlage alle- Unterrichts und aller Erziehung gilt, ein Hülfsmittel fein zur sorgfältigeren Besprechung der Gleichnisse, deren sich der Herr bei seiner Belehrung über die wichtigsten und heiligsten Wahr­ heiten so oft und gern bediente, daß wir schon daraus mit Be­ stimmtheit entnehmen können, wie auch wir ihren Sinn zu erforschen und der Jugend als göttliche, das zeitliche und ewige Wohl deMenschen begründende Weisheit darzureichen bemüht sein sollen. Sodann möchte eS aber auch für christliche Familien, welchen die Beschäftigung mit GotteS Wort Freude und Erquickung ge­ währt, ein Buch der Belehrung und zugleich der Erbauung sein, welcher Zweck die Art und Weise der Darstellung zur Genüge rechtfertigen wird. Auch Lehrern, welche nach vorangegangener Er­ klärung und Erörterung zur Erzielung eincö GcsammteindruckS deS Inhalts die hier gegebene Auslegung den Kindern vorlesen wollen, kann dieselbe nur erwünscht und willkommen sein. So will ich eS denn mit der Bitte zu Gott, daß er «S mit seinem Segen begleite, seiner Bestimmung und dem öffentlichen Urtheile übergeben! Potsdam, am 6. Juli 1851.

D. B.

Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit, und zur Gerechtigkeit, und zur Heiligung, und zur Erlösung 1 Cor. 1, 30. Er war ein Prophet, mächtig von Thaten und Worten vor Gott und allem Volk Luc. 24, 19. Zunächst hat er seine Jünger be­ lehret, damit sie, besonders nach seinem Scheiden von der Erde, die frohe Botschaft von der in ihm erschienenen Gnade GotteS gegen die Sünder weiter ausbreiten und für sein Reich die Her­ zen der Menschen gewinnen sollten; dann aber auch das Volk, um eS von der Verblendung, welche Folge der Sünde ist, von geistiger Finsterniß und von Irrthum zu befreien; und sodann durch sein Evangelium auch und Alle, und zwar im Namen und Auftrage GotteS, wie er selber spricht: Ich habe nicht von mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, waS ich thun und reden soll. Und ich weiß, daß sein Gebot ist daö ewige Leben. Darum, daS ich rede, daö rede ich also, wie mir der Vater gesagt hat Joh. 12, 49. 50. Um aber seine Lehre, die eine erlösende und beseligende Kraft ausüben sollte, besonders die Lehre vom Reiche GotteS oder dem Himmelreiche, das mit ihm herbeigekommen ist, also die hauptsächlichste und wichtigste, durch deren Verkündigung sich der Herr von den Propheten des alten Bundes wesentlich unter­ scheidet, dem noch in geistiger Kindheit befindlichen Volke zu-

VI gänzlicher und verständlicher zu machen,

ihm Interesse für die

Wahrheit abzugewinnen und den stumpferen sinnlichen Verstand desselben

zur

Aufmerksamkeit

und

zum

Nachdenken

anzuregen,

mußte der göttliche Lehrer oftmals die himmlische Wahrheit, deren Erkenntniß er hinführen wollte,

in daS Gewand des Bil­

des kleiden, daS er auS der Natur oder dem ben entnahm,

menschlichen

Le­

um seine Zuhörer so vom Sinnlichen zum Ueber*

sinnlichen, vom Irdischen zum Himmlischen, zum Unvergänglichen emporzuheben. der Herr so

zu

wahr und treffend,

vom Vergänglichen

Und diese Beziehungen weiß dabei so leicht und natürlich,

überhaupt so unnachahmbar schön,

aufzufinden und darzustellen,

daß sich unser Geist vor der Erhabenheit und Tiefe seines Geistes, vor welchem die Ähnlichkeit des Reiches der

Natur

Reiche der Gnade im klarsten Lichte ausgebreitet dalag,

mit dem in De­

muth und Ehrfurcht willig niederbeugt. Eine nen

vergleichende Zusammenstellung ähnlicher Dinge nen­

wir nun

im

Allgemeinen

ein

Gleichniß.

Unter einem

Gleichnisse oder einer Gleichnißrede — Parabel — Christi werden wir demnach „ein Lehrstück oder eine verstehen haben, worin von dem Herrn der Natur

oder

nommenen Bilde

auS

dem

Erzählung zu

unter einem aus

menschlichen

Leben herge­

eine religiöse Wahrheit,

eine Seite

deS Reiches Gottes dargestellt wird." ES sind unS aber in den vier Evangelien folgende Gleich­ nisse aufbewahrt: Seite.

' 1. 2. 3. 4. 5.

Da» Gleichniß vom Salze. Matth. 5, 13 und Luc. 14,34—35 1 Vom Lichte. Matth. 5, 14—16; Lue. II. 33............ 3 Vom Auge. Matth. 6, 22—23 und Luc. I I. 34—36 ......................... 4 Vom Vater und Sohn. Matth. 7, 7—11 und Luc. 11, 9—13 . 6 Vom guten und faulen Baume. Matth. 7, 15—20 und Luc. 6, 43—45 .................. ...................... ........................................ 7 6. Vom klugen und thörichten Manne. Matth. 7, 24—27; Luc. 6, 46—49 .................. ............................................................... 9 7. 6. 9. Von Hochzeitleuten — vom neuen Flicken auf dem alten

VII Seite.

10. 11. 12. 13. 14. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Kleide — vom Most in alten Schläuchen. Matth. 9, 15—17; Marc. 2, 19-22; Luc. 5, 34-39 .................................................... Von vielerlei Acker. Matth. 13,3—9 und 18,23; Marc. 4,3—9 und 14—20; Luc. 8, 4—8 und 12—15 . '........................... . .. Vom Unkraut unter dem Weizen. Matth. 13,24—30; 37—43 Vom Senfkorn. Matth. 13, 31—32; Marc. 4,31—32; Luc. 13, 18—19........................................................ Vom Sauerteig. Matth. 13, 33; Luc. 13, 21............................. 15. Vom verborgenen Schatz Matth. 13, 44 und von der Einen köstlichen Perle. Matth. 13, 45—40 ............................................. Vom Netz voll Fische. Matth. 13, 47—50 .................................... Vom verirrten Schafe. Matth. 18, 12—14.................................... Vom bösen Schuldner. Matth. 18, 23—35 .................................... Von den Arbeitern imWeinberge. Matth. 20, 1—10 . . . . Von zween Söhnen. Matth. 21, 28—32 ......................................... Von den bösen Weingärtnern. Matth.' 21, 33—44; Marc. 12, 1—11; Luc. 20, 9—10.................. ~........................................ 40

22. Von der königlichen Hochzeit. Matth. 22,1—14............... 45 23. 24. 25. Vom Feigenbaum. Matth. 24, 32—33; Marc. 13, 28—29; Luc. 21,29—31; — vom wachenden Hausherrn Matth. 24.43—44; Luc. 12, 39—10; — von einem Menschen, der über Land zog. Marc. 13, 34—37 ...................................................................................... 26. .Vom treuen und bösen Knecht. Matth. 24,45—51. Luc. 12, 42—48 27. Von zehn Jungfrauen. Matth. 25,1—13; (s. auch Luc. 13,25—28) 28. 29. Vom vergrabenen (Zentner. Matth. 25, 14—30 und von den anvertrauten Pfunden. Luc. 19, 12—27......................................... 30. Vom Weltgericht. Matth. 25, 31—40 .............................................. 31. Vom Samen. Marc. 4,26—29 ......................................................... 32. 33. Von zwei Blinden und vonr Splitter und Balken. Luc. 6, 39—42 (s. auch Matth. 7, 3—5).......................................................... 34. Vom barmherzigen Samariter. Luc. 10, 30—37............................ 35. Vom reichen Manne, den der Tod überrascht. Luc. 12, 16—21. 36. Von den wachenden Knechten. Luc. 12,35—38 37. Vom Feigenbaum. Luc. 13, 6—9..................................... 76 38. Von den Gästen, wie sie erwählen, oben an zu sitzen. Luc. 14, 7—11............................................................................................................. 39. Vom großen Abendmahl. Luc. 14, 16—24................................... 40. 41. Vom Thurmbau. Luc. 14, 28—30 und vom Könige, der mit sich zu Rathe geht. Luc. 14, 31—32.................................................... 42. Vom verlornen Schafe. Luc. 15, 3—7........................................ 43. Vom verlornen Groschen. Luc. 15, 8—10................................... 44. Vom verlornen Sohne. Luc. 15, 11—32............................. * . 45. Vom ungerechten Haushalter. Luc. 16, 1—9...................... 90 46. Vom reichen Manne und dem armen Lazarus. Luc. 16, 19—31.

11 15 19 21 23 24 25 20 28 32 38

48 51 53 50 61 04 65 67 72 75

79 81 85 88 90 91 101

VIII Seite.

47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.

Vom Knecht, der vom Felde kommt. Luc. 17, 7—10 . . . . Vom ungerechten Richter. Luc. 18, 1—8...................................... Von drei Freunden. Luc. 11, 5—8................................................. Vom Pharisäer und Zöllner. Luc. 18, 9—14............................ Von der Thür zum Schafstall. Ioh. 10, 1—11............................ Vom guten Hirten. Ioh. 10, 12—16............................................ Vom Weizenkorn. Ioh. 12, 24—26 ................................................. Vom Weinstock. Ioh. 15, 1-6......................................................

104 106 108 108 111 113 116 117



Vom Salze.

Matth. 5, 13.

Luc. 14, 34-35.

13. Ihr seid dcrö Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man salzen? Es ist zu nichts hinfort nütze, denn daß man es hinaus schütte, und lasse eS die Leute zertreten.

34. DaS Salz ist ein gutes Ding; wo aber das Salz dumm wird, womit wird man würzen? 35. Es ist weder aufdaS Land, noch in den Mist nütze; sondern man wird eS wegwerfen. Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Von Israel sollte das Heil ausgehen und der lebendige Glaube an Gott sich allmälig über den ganzen Erdkreis verbreiten. halfen alle Wohlthaten und Segnungen,

Aber was

damit es von Anfang an

überschüttet wurde; was alle Offenbarungen deö göttlichen Willens und alle Veranstaltungen, um daö auserwählte Volk auch zum bleibenden Eigenthumsvolk zu machen? Israel widerstrebte allezeit

dem heiligen

Geiste Gottes und wollte nicht seine hohe Bestimmung, daö Salz für alle Völker der Erde zu werden, erkennen. Darum, weil es dem Glaubens­ gehorsam seiner Väter und den Lehren der zu ihm gesandten Propheten in arger Verblendung untreu geworden, hat cs auch Gott verworfen und der Verachtung der Heiden dahin gegeben, wie Salz ausgeschüttet und dann von den Leuten zertreten wird, sobald eS dumpf geworden. Wie aber keinerlei Speise, so darf auch dem Reiche Gottes auf Erden die Würze des Salzes nicht fehlen.

Daher erwählet der Herr an

Israels Stelle seine Jünger, um sie auszurüsten und zu befähigen, gleichsam das Salz der Erde zu werden.

O, eine wichtigere und größere

Bestimmung hätte ihnen fürwahr nicht angewiesen werden können! Denn wie des Salzes Kraft und Nutzen darin besteht, die Speise zu erhalten, daß sie. nicht verderbe, und dieselbe schmackhaft zu machen; so sollten also auch sie, und gleich ihnen noch heute Alle, welche Gott zur Ver-

1

2 kündigung seines Willens und zur Begründung und Verbreitung christ­ lichen Glaubens und Lebens berufen hat, sowohl durch Lehre und Er­ mahnung den Unglauben und das Laster strafen, und zur Besserung und Heiligung der Menschen beitragen, um sie vor dem zeitlichen und ewigen Verderben zu sichern, als auch und insonderheit durch ein von der himmlischen Kraft des göttlichen Wortes durchdrungenes und von der Liebe zu Jesu geheiligtes vorbildliches Leben dahin zu wirken suchen, daß Christus als das wahre Brod des Lebens erkannt, und der Seele köstlichste und unentbehrlichste Nahrung werde. Bei dieser ihrer Thätigkeit für das Reich Gottes müssen aber Jünger des

Herrn

wohl

wissen,

von den

ihnen durch

den heiligen Geist

verliehenen Gaben und Kräften (dem geistigen Salze) mit christlicher Klugheit Gebrauch zu machen (damit zu würzen), wenn ihre Bestre­ bungen, Andre zur Erkenntniß der Wahrheit und zur Liebe zum Guten hinzuführen, Glauben an Gott und den Weltheiland tief in die Seelen einzusenken, daß sie mit ihnen gleichsam einen unverwesentlichen Bund 4 Mos. 18,

19

— einen Salzbund 2 Chron. 13,

gesegnet und fruchtbringend sein

sollen,

wie

5 —• schließen,

ja auch der leiblichen

Speisen Wohlgeschmack und dauernde Erhaltung von dem rechten Maße des dazu verwendeten Salzes abhängig und bedingt ist.

„Eure Rede

sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzet," (schmackhaft und anregend) spricht deshalb der Apostel Paulus Coloss. 4, C, „daß ihr wisset, wie ihr einem Jeglichen antworten sollt." zu 1 Tim. 4, 16:

Und seinem Timotheus ruft er

„Habe Acht auf dich selbst und auf die Lehre; denn,

wo du solches thust, wirst du

dich

selbst

selig machen und die dich

hören." So machet euch allezeit eures hohen Berufes würdig, ihr Alle, die der Herr begabt und berufen hat, ein Salz der Erde zu fein! Helft, bessert, werdet nicht müde, Glaube, Liebe und alle Gott wohlgefälligen Tugenden deS Herzens zu beleben und zu kräftigen, und Seelen der Menschen Gott zuzuführen! Ja erkennet die Bestimmung, die euch ge­ worden, und lasset den heiligen Geistestrieb, den der Heiland in euch gepflanzet hat, nicht in Trägheit, Gleichgültigkeit und Weltliebe ersterben! Denn ihr würdet sonst für sein Reich unwiederbringlich verloren sein, und als unnütze Knechte von ihm verworfen werden. Möchte aber auch ein Jeder von uns nach dem Maaße der ihm verliehenen Gnadenkraft ein Salz der Erde werden! Wir sind es, wenn wir Christum im Glauben ergreifen, wenn wir unser ganzes Leben zur Erbauung unserer Mitmenschen anwenden und uns eines .fleckenlosen, heiligen Wandels vor der Welt befleißigen.

Wohlan, wir wollen eS

werden! Der Herr wird unS dazu seinen Beistand nicht versagen.

Ile

Dom Licht

Matth. 5, 14 — 16.

14. Ihr seyd daS Licht der Welt. ES mag die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen seyn. 15. Man zündet auch nicht ein Licht an, und setzt eS unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet eS denen Allen, die im Hause sind. IG. Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen, und euren Vater im Himmel preisen. Wie hoch stellt der Herr seine Jünger! Nicht nur das Salz, auch das Licht der Erde sollen sie sein.

Aber was konnten sie nicht auch in

seiner Nähe, in seinem steten Umgänge werden! Ist er doch selbst der Ursprung und die Quelle alles geistigen, Lebens.

alles göttlichen Lichts

und

Wie war es nun anders möglich, als daß auch ihr Geist von

den hellen Strahlen seines Geistes erleuchtet, ihr Herz für die himmlische Wahrheit erwärmt und entzündet, ihr Wandel zu einem heiligen, Gott wohlgefälligen verklärt wurde? Doch Alles, waS er in ihnen durch Wort, That und vorbildliches Leben wirkte, ihre Erkenntniß, ihren Glauben, ihre guten Werke sollten sie nun auch

in Demuth und Herzenöeinsalt

leuchten lassen, gleichwie ein Licht leuchtet, daS auf dem Leuchter stehet, oder wie eine Stadt, die aus hohem Berge liegt, um auf die Herzen der Menschen bessernd und veredelnd einzuwirken, ihr Leben zu einem gottseligen umzugestalten, und zu ihrem zeitlichen und ewigen Glücke den rechten Grund durch Erweckung der Liebe zu dem Erlöser der Welt zu legen.

Und wie viel habt ihr doch, treu dem euch gewordenen Berufe

gewirkt, ihr Jünger! Wie habt ihr daS Licht, daS Christus in euch an­ gezündet, trotz Schimpf und Schmach, trotz Verfolgungen und Gefahr, getrieben vom Geiste Gottes und von unendlicher Liebe zu eurem Herrn und Meister, weithin erglänzen lassen, daß die Finsterniß des Elends und des Todes durch seine Strahlen verscheucht, göttliches Leben in den von Irrthum und Unglauben umfangenen Seelen hervorgerufen wurde! Wahrlich, unter den Scheffel habt ihr es nicht gestellt. Nun, was ihnen galt, das

gilt noch heute uns.

Ihr seid das

Licht der Welt! ruft der Herr seinen Jüngern aller Zeiten zu.

Auch

wir sollen uns nicht zurückziehen, sondern hervortreten, wie Jene, mit den Gaben und Kräften deö Geistes, die uns verliehen, mit den Vor­ zügen des Herzens, deren wir uns erfreuen; hervortreten mit unserem Glauben, unserer Liebe und unserem Vertrauen in Wort und That, 1*

4 um bessernd und segnend in der Menschen Leben einzugreifen) sollen umhergehen mit der Leuchte des Wortes GottcS, um auch die verbor­ gensten Fehler und Sünden ihrer Herzen aufzudecken, mjt seinem kräftigen Glanze die Brust für daö Höhere und Ewige zu erwärmen, und zur heiligen Liebe gegen Gott und den Erlöser zu entzünden. O wäre dies aller Bekenner Christi redliches und eifriges Bemühen, fürwahr, dann würden wohl Viele, die es noch mit der Welt halten, und die Finsterniß mehr lieben, denn das Licht, zur Buße geleitet, und der himmlische Vater durch uns an ihnen verherrlichet werden! So lasset euer Licht leuchten, auf daß sie eure guten Werke sehen, und die Werke des Lichtes vollbringen lernen! Lasset eS leuchten in eurem Hause, in eurem Dorfe, in eurer Stadt, im kleineren oder größeren Lebens­ kreise, dem ihr angehört! Selig seid ihr, wenn auch nur eine Seele durch euch gerettet wird!

III. Vom Auge. Luc. 11, 34—36. 34. DaS Auge ist deS LeibeS Licht. Wenn nun dein Auge einfältig seyn wird, so ist dein ganzer Leib lichte. So aber dein Auge ein Schalk seyn wird, so ist auch dein Leib finster. 35. So schaue darauf, daß nicht daS Licht in dir Finster­ niß sey. 36. Wenn nun dein Leib ganz lichte ist, daß er kein Stück Fin­ sterniß hat; so wird er ganz lichte seyn, und wird dich er­ leuchten, wie ein heller Blih. Das Auge, wenn cs klar, rein und ohne Fehler ist, macht den ganzen Körper lichte und hell, daß er nicht anstößt und daß alle seine Glieder ungehindert ihre Thätigkeit entfalten und das ihnen von dem Schöpfer zugewiesene Amt verrichten können. Ist es dagegen schadhaft und zum Sehen untauglich; so bleibet auch der ganze Leib ohne Licht und mit Dunkel rings umgeben.

Matth. 6, 22-23. 22. DaS Auge ist des Leibcö Licht. Wenn dein Auge einfäl­ tig ist, so wird dein ganzer Leib lichte seyn. 23. Wenn aber dein Auge ein Schalk ist, so wird dein ganzer Leib finster seyn. Wenn aber daö Licht, das in dir ist, Fin­ sterniß ist; wie groß wird dann die Finsterniß selber seyn?

5 Was aber vom Auge, als dem leiblichen Lichte, gilt, das findet auch und noch viel mehr auf das inwendige Licht, auf das Herz deS Menschen, seine Anwendung. Hast du ein aufrichtiges, unverfälschtes, Vom heiligen Gottesgeiste gereinigtes Herz; so wirst du die Verhält­ nisse, in die du gestellt, deine Würde, deine Bestimmung, dein gan­ zes irdisches Leben im rechten Lichte erkennen, und waS du thust und treibst, wird licht, gut und heilig fein. Doch wenn es nicht ganz lau­ ter und einfältig auf Gott gerichtet ist, und ihn nicht ungetheilt liebt, sondern mehr dem Irdischen als ihm, zugethan ist; wie können dann deine Gedanken und Worte anders, als Gott mißfällig, wie soll dann vor ihm dein ganzes Thun etwas anders, als ein Werk der Finsterniß sein? Doch ist es des Herrn ausdrücklicher Wille an uns, im Lichte zu wandeln Cph. 5, 9. Daher muß es uns vor Allem darum zu thun sein, daß unser Herz mir dem Lichte des göttlichen Wortes erfüllt werde, wenn wir die Werke des Lichts vollbringen und zum Erbtheil der Heiligen im Lichte gelangen wollen Coloss. 1, 12. Der Glaube aber ist es, der das rechte Licht uns giebt, der Glaube an Jesum Christum, in dem die Fülle des Lichts verborgen ist. Zu ihm wollen wir unS deshalb wenden, daß er unseren Verstand erleuchte, unseren Willen heilige und alle Kräfte der Seele belebe, erneue und zum Guten, Gottwohlgefälligen geschickt mache. O er wird sich finden lassen, wenn wir ihn nur ernstlich suchen, und uns das Licht des Lebens werden, damit wir nicht ferner in Finsterniß wandeln, sondern mit ihm wirken die Werke dessen, der ihn gesandt und uns in ihm zur ewigen Seligkeit berufen hat. Aber schaue auch immer daraus, daß nicht daö Licht in dir Fin­ sterniß sei. Prüfe dich mit Fleiß und Sorgfalt, ob du auch wohl vom rechten Glaubenölicht erleuchtet seist, oder ob nicht das Licht, das du in dir hast, ein falsches und betrügliches, ein Irrlicht ist. Prüfe dich und habe wohl Acht, denn es handelt sich um dein wahres zeit­ liches und ewiges Heil, ob dein Verstand auch wirklich von Christus und seinem heiligen Evangelium geläutert, dein Wille geheiligt, Seele und Geist belebt und gekräftigt ist, oder ob du noch zu der Menge der Unwiedergeborenen gehörst, die nicht thun, was vor Gott recht ist. Ja prüfe, und täusche dich nicht! Doch wohl dir, wenn du in allem deinem Thun nur auf das Gute siehst und all' dein Vornehmen nach Gottes Willen einrichtest; wenn dein Herz frei ist von Stolz, Finsterniß und Sünde! Denn du wirst dann wie ein hellleuchtender Blitz sein und einen so herrlichen Glanz um dich verbreiten, daß auch Anderer Herzen von ihm getrof­ fen und zum Guten entzündet werden.

6 Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, gieb unS erleuchtete Augen deS Verständnisses, zu wissen und zu thun, was vor Dir wohlgefästig ist!

IV. Vom Vater und Sohn. Matth. 7. 7—11.

Luc. 11, 9—13.

7. Bittet, so wird euch gege­ ben: suchet, so werdet ihr fin­ den: klopfet an, so wird euch aufgethan. 8. Dem» wer da bittet, der empfanget; und wer da suchet, der findet; und wer da anklop­ fet, dem wird aufgethan. 9. Welcher ist unter euch Men­ schen, so ihn sein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete? 10. Oder so er ihn bittet um einen Fisch, der ihm eine Schlange biete? 11. So denn ihr, die ihr doch arg seyd, könnet dennoch euren Kindern gute Gaben geben: wie vielmehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten?

9. Und ich sage euch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan. 10. Denn wer da bittet, der nimmt; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopfet, dem wird aufgethan. 11. Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater umS Brod, der ihm einen Stein dafür biete? Und so er um einen Fisch bit­ tet, der ihm eine Schlange für den Fisch biete? 12. Oder so er um ein Ey bittet, der ihm einen Skorpion dafür biete? 13. So denn Ihr, die ihr arg seyd, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie vielmehr wird der Vater im Himmel den hei­ ligen Geist geben denen, die ihn bitten?

Siehe, eine wiederholte dreifache Versicherung aus dem Munde Dessen, der die Wahrheit selber ist. Laß solche deinen Unglauben be­ schämen und Deinen Glauben stärken. O wie schön ist eS doch schon und welch ein herrlicher Vorzug, daß der Mensch, der Staub und Asche ist, zugelassen wird, mit Gott zu reden; wie viel schöner aber noch, daß er sich gewisser Erhörung getrösten kann! Ja, Gott erhört unser Gebet! Was zagst du nun noch, du Unglücklicher, wenn dich deS Lebens harte Schläge nieder­ beugen? Warum stehst du so ferne, armer Sünder, mit deinem

7 Schmerz im Herzen? Warum seufzet und weinet ihr, die ihr mühse­ lig und beladen seid? So klopfet und pochet doch mit eurem Flehen an die Himmelspforten! Ihr könnet sicher sein, daß sie sich öffnen, wenn ihr nur im Glauben bittet, und nicht zweifelt. Aber zweifeln müsset ihr nicht; denn wisset, daß der, welcher zweifelt, gleich ist der Mecreswoge, die vom Winde getrieben und gewebet wird, und daß ein Solcher nichts von Gott empfangen kann Jacob. 1, 6—7., daß aber ein gläubiges und anhaltendes Gebet ein gar gewaltiges und allmäch­ tiges Ding ist, dadurch wir Alles von Gott erlangen können, was uns nützlich und selig ist. Nun sage selbst, Christ, warum wolltest du auch zweifeln? Ist nicht Gott unser lieber Vater, dem daS Wohlsein aller seiner Kinder so sehr am Herzen liegt? Wie bitten denn aber liebe Kinder ihren leiblichen Vater? Nicht wahr? Getrost und mit aller Zu­ versicht. Und wie macht's der Vater, wenn ihn die Kindlein also bit­ ten? Nun, er suchet ihre Wünsche, wenn anders sie seinen Absichten und ihrem Wohle nicht zuwider sind, mit Freuden zu erfüllen. Sieh, wenn eö nun schon also bei den Menschen ist, die doch von Natur so voller Eigenliebe und Selbstsucht sind; um wie viel mehr wird Gott, dessen Wesen lauter Liebe und Güte ist, dir gewähren, was du in kindlichem Vertrauen und in Herzensdemuth von ihm erbittest, so­ bald es dir dienlich und zuträglich ist, ja auch geben auf dein Fle­ hen den heiligen Geist, damit du in dem Einen Alles habest? O darum halte nicht allein an am Gebet, sondern bete auch recht. So wirst du dcö Gebetes wunderbare Kraft und Wirkung erfahren. Herr Jesu, lehre uns beten!

V. Dom guten und faulen Baume. Matts,. 7, 15—20.

Luc. G, 43—45.

15. Sehet euch vor, vor den fal­ schen Propheten, die in Schaafökleidern zu euch kommen; inwen­ dig aber sind sie reißende Wölfe. 16. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dor­ nen, oder Feigen von den Di­ steln?

43. Denn eö ist kein guter Baum, der faule Frucht trage; und kein fauler Baum, der gute Frucht trage. 44. Ein jeglicher Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt. Denn man liefet nicht Feigen von den Dornen, auch so liefet man nicht Trauben von den Hecken.

8 17. Also ein jeglicher guter Baum bringet gute Früchte; aber ein fauler Baum bringet arge Früchte. 18. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. 19. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen, und inö Feuer ge­ worfen. 20. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

45. Ein guter Mensch bringet GuteS hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein boShastiger Mensch bringet BöseS hervor auö dem bösen Schatz seines Herzens. Denn weß das Herz voll ist, deß gehet der Mund über.

Die Pharisäer sind eS, vor welchen der Herr hier warnt.

Mit

scheinheiligen Mienen und Geberden, Frömmigkeit und Gottesfurcht Ln gleißnerischen Worten und äußerlich gesetzlichen Werken zur Schau tra­ gend,

nach Art der alten Propheten in Kleider von Schafsfellen ge­

hüllt, zum Zeichen der Sanftmuth, Reinheit und Unschuld ihres Her­ zens, treten sie auf, um das leichtgläubige Volk durch ihre Kunstgriffe zu blenden und ihren verderblichen Grundsätzen Eingang zu verschaf­ fen. Ach, wie reißende Wölfe die Schafe der Heerde zerstreuen und tobten; so haben auch diese Propheten durch ihre Falschheit, Tücke und Bosheit so manches Herz von Gott abwendig gemacht und der Schafe auö dem Haufe Israel viele inö zeitliche und ewige Verderben gestürzt. Nun? Wie steht eö jetzt? Ist mit den alten Pharisäern auch ihr Geist gestorben?

Giebt eS unter den Christen keine Pharisäer mehr?

Wollte Gott, eö wäre so!

Aber, siehe da, Heuchelei, scheinheiliges

Wesen und frommer Betrug gehen noch heute im Schwange zum gro­ ßen Leidwesen aller wahren Glieder des Herrn und zum großen Scha­ den des Reiches GotteS auf Erden.

O darum wollen wir uns gar

wohl vorsehen und daS Wort deS Johannes beherzigen: „Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind; denn eS sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt" 1 Joh. 4, 1. Doch welches ist der Prüfstein, den wir zur un­ trüglichen Erkennung der wahren und falschen Christen zu gebrauchen haben? Nun wie es im Reiche der Natur ist, so ist eS auch im Reiche der Gnade.

Wie wir den Baum an seinen Früchten erkennen; so erken­

nen wir den Christen an seinen Werken.

Ein wahrer Freund des

Herrn, dessen Gesinnung rein, ohne Falsch und deshalb Gott wohlge­ fällig ist, kann auch nur aus dem reichen Schatze seines vom Geiste

9 Christi erfüllten und gereihten Herzens Gutes hervorbringen, Früchte des Geistes, auf den er allein gesäet, als da sind: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit Gal. 5, 22., wie ja auch ein guter Baum nur gute Früchte tra­ gen kann. Unwiedergeborne aber, die der Welt und ihren Lüsten ergeben sind, und in Sünden des Fleisches verharren, vermögen nichts wahr­ haft Gutes zu thun und keine Werke zu vollbringen, die in den Augen des höchsten Richters als gültig und gerecht angesehen werden können, wenn sie auch oftmals den Blicken des schwachen Menschen schön und rühmlich erscheinen. Trägt aber nicht auch manche Frucht des schlechten BaumeS den Stempel der Reife und Vollkommenheit an sich, während ihr Inneres vom verderblichen Wurme zerfressen wird? Nein, wie die Wurzel, so der Baum, und wie der Baum, so die Frucht. Und gleichwie die Beschaffenheit des Wassers von der Quelle abhängt, daraus es fließet; so präget sich auch in Worten und Werken des Menschen des Herzenö Zustand ab. Je nachdem wir mit dem Geiste der Wahrheit oder Lüge erfüllt sind, ist auch Alles, was aus uns hervorgeht, wahr oder falsch. O sei ein Baum, gepflanzet an den Wafferbächen des Wortes Gottes, so wirst du auch zu seiner Zeit Früchte eines heiligen Lebens bringen! Gieb dein Herz in Glauben und Liebe Gott und Christo hin, so bist du schöner als eine Ceder auf Libanon und deine Früchte süßer, als die des herrlichsten Feigenbaums! Wehe euch aber, die ihr, den Disteln und Dornen gleich, keinen Saft aus dem lebendigen Weinstocke Christi ziehet und deshalb nur Arges zu thun vermöget! Cö kommt die Zeit, da der Herr euch als unnütze und schädliche Bäume im großen Garten Gottes wird abhauen und in das ewige Feuer der Verdammniß werfen lassen.

VI. Vom klugen und thörichten Manne. Matth. 7, 24—27.

Luc. 6, 48—49.

24. Darum, wer diese meine Rede höret, und thut sie, den vergleiche ich einem klugen Manne, der sein Haus auf einen Fel­ sen bauete.

48. Er ist gleich einem Men­ schen, der ein Hauö bauete, und grub tief, und legte den Grund auf den FelS. Da aber Ge­ wässer kam, da riß der Strom

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25. Da nun ein Platzregen fiel, und ein Gewässer kam, und weheten die Winde, und stießen an das HauS; fiel eS doch nicht, denn es war auf einen Felsen gegründet. 26. Und wer diese meine Rede höret, und thut sie nicht, der ist einem thörichten Manne gleich, der sein HauS auf den Sand bauete. 27. Da nun ein Platzregen fiel, und kam ein Gewässer, und weheten die Winde, und stießen an das HauS; da fiel eö, und that einen großen Fall.

zum Hause zu, und mochte eS nicht bewegen; denn eS war auf den Fels gegründet. 49. Wer aber höret, und nicht thut, der ist gleich einem Men­ schen, der ein HauS bauete auf die Erde ohne Grund; und der Strom riß zu ihm zu, und eS fiel bald, und das HauS ge­ wann einen großen Riß.

Nachdem der Herr feine so überaus herrliche Bergpredigt gehalten und in derselben die kurz vorher erwählten Jünger — Luc. 6, 13—15—, sowie das zahlreich um ihn versammelte Volk über die wahre Selig­ keit der Christen, wie sie durch Erkenntniß, Reue und Buße— Matth. 5, 3—5 —- und durch Ergreifung des gerechtmachenden Glaubens V. 6, aus dem die Liebe entspringt V. 7. 8. 9., erworben werde, in gleichen über das Schicksal, die Würde und den hohen Beruf der Jünger des neuen Gottesreiches V. 10—16, über das Verhältniß des neuen Bundes zum alten, besonders über die wahre Erfüllung des göttlichen Gesetzes V. 17—48, und über daS Kennzeichen und den rechten Be­ weggrund wahrhaft guter Werke E. 6, 1—18 belehret, auch die War­ nung ausgesprochen hatte, nicht mit einem zwischen dem Irdischen und Himmlischen getheilten Herzen Gott zu dienen V. 19—34, und noch überdies Ermahnungen zur Selbstprüfung, zum rechten Verhalten ge­ gen den Nächsten C. 7, 1—5, zum Gebet V. 7—11 und zum Ernst in der Erstrebung des Heils V. 13—14 hinzugefügt und schließlich vor Scheinheiligkeit und Heuchelei in klaren und eindringlichen Worten ge­ warnt hatte V. 15—23: fühlt sich der Erlöser gedrungen, im Hinblick auf seine Umgebung, die weniger der Drang des Herzens, Worte des Lebens aus seinem Munde zu hören, als vielmehr Neugier und die Er­ wartung, Zeichen und Wunder zu sehen, herbeigeführt hatte, noch dar­ auf hinzuweisen, daß nur derjenige für sein wahres und dauerndes Heil in der rechten Weise bedacht sei, welcher seine Lehren nicht blos höre, sondern auch zu Herzen nehme und darnach thue und lebe, wäh­ rend der bloße Hörer, der nicht zugleich Thäter ist, in eitler Selbst­ täuschung und Verblendung sich hienieden nur ein leicht zerstörbares,

11 vergängliches Glück bereite, ein Glück, daS bei den Widerwärtigkeiten und den Wechsclfällen des Lebens nicht zu bestehen, im günstigsten Falle nicht über die Grenzen des irdischen Daseins hinaus fortzudauern ver­ möge. Christen, die Hand aufs Herz! Sind wir dem klugen oder thö­ richten Manne gleich? Halten wir mit gläubiger Seele am Worte un­ seres Heilands fest? Ist es die alleinige Richtschnur, nach der wir handeln und leben? Ist cs der Fels, auf dem wir stehen; der Anker, an den wir uns anklammern? O wohl uns, wenn wir uns solch Zeugniß in Wahrheit geben können! Denn der Grund, den wir zum Gebäude unserer Seligkeit gelegt, ist tief und unerschütterlich und wankt und weichet nicht, wenn uns auch die Wasserwegen der Noth und des Elends noch so stark umtoben und die Stürme des Lebens, Kreuz, Trüb­ sal und Verfolgungen, noch so heftig über uns hereinbrechen. Er bleibt, daß wir uns aufbauen können als lebendige Steine zum geistlichen Hause, dessen Eckstein Jesus Christus ist, und zum heiligen Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind. 1 Petri. 2, 5. Wehe aber der Täuschung, zu glauben, daß bloö äußerliches Be­ kenntniß zur Lehre des Herrn, ohne Buße und lebendigen, in Liebe thä­ tigen Glauben, hinreiche, um vor Gott gerecht und deö ewigen Lebens theilhaftig zu werden! Wahrlich sie Alle, die Gottes Wort wohl hören, aber nicht im Herzen tiefe Wurzeln schlagen lassen, daß es ihr ganzes Leben heilige und an guten Werken fruchtbar mache, werden in ihrer Hoffnung zu Schanden werden, hier schon unter den Versuchungen und Anfechtungen deö Lebens, denen das schwache Herz nicht zu widerstehen vermag, dort am Nichrerstuhle dcS Höchsten, wenn sie vom Genusse der Seligkeit ausgeschlossen werden, die Gott nur denen bereitet hat, welche ihn lieb haben.

VH. VIII. H. Von Hochzeitleuten, vom neuen Flicken auf dem alten Kleide und vom Most in alten Schläuchen. Matth. 9, 15—17.

M-rc. 2, 19—22.

15. JksuS sprach zu ihnen: Wie 19. lind Jesuö sprach zu ihnen: können die Hochzeitleute Leid tra­ Wie können die Hochzeitlcute fa­ gen, so lange der Bräutigam bei) sten, dieweil der-Bräutigam bey ihnen ist? ES wird aber die Zeit ihnen ist? Alsolang der Brauti-

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kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten. 16. Niemand flicket ein alt Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappe reißet doch wieder vom Kleide, und der Riß wird ärger. 17. Man fasset auch nicht Most in alte Schläuche; anders die Schläuche zerreißen, und der Most wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man fasset Most in neue Schläuche, so werden sie beide mit einander behalten.

gam bey ihnen ist, können sie nicht fasten. 20. ES wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten. 21. Niemand flicket einen Lap­ pen von neuem Tuch an ein alteS Kleid; denn der neue Lappe reißet doch vom alten, und der Riß wird ärger. 22. Und niemand fasset Most in alte Schläuche; anders zer­ reißet der Most die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man soll Most in neue Schläuche fassen.

Stic. 5, 36—39.

36. Und er sagte zu ihnen ein Gleichniß: Niemand flicket einen Lappen vom neuen Kleide auf ein alteö Kleid; wo anders, so reißet daS neue; und der Lappe vom neuen reimet sich nicht auf daS alte. 37. Und niemand fasset Most in alte Schläuche; wo anders, so zerreißet der Most die Schläuche, und wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. 38. Sondern den Most soll man in neue Schläuche fassen, so werden sie beide behalten. 39. Und niemand ist, der vom alten trinket, und wolle bald deS neuen; denn er spricht: Der alte ist milder. Von tiefer Geistesverblendung umfangen, suchten Pharisäer und Schriftgelehrte das Wesen wahrer Frömmigkeit und -Heiligkeit in Ver­ richtung äußerlicher Werke und in leiblichen Uebungen. Darum beobach­ teten sie auch mit großer Strenge und Gewissenhaftigkeit die vom Ge­ setze vorgeschriebenen religiösen Formen und Gebräuche, indem sie zugleich wähnten, sich dadurch ein besonderes Verdienst in den Augen Gottes zu erwerben, wovon die Worte deS im Tempel betenden Pharisäers: „Ich faste zwei Mal in der Woche, und gebe den Zehnten von Allem, das ich habe" ein deutliches Zeugniß geben. Ach, dieser geistliche Hoch­ muth und Stolz, der sich auf den Werth ihrer vermeintlich guten und gerechten Werke gründete, war auch dir Ursache, weshalb sie die vom

13 lebendigen Gottesgeiste durchdrungene Lehre Christi und Ihn selbst ver­ achteten. Auch Johannes, der Vorläufer des Herrn, hielt sich, zwar vom christlichen Geiste angeweht, doch noch nicht frei von den Vorurtheilen seines Volkes, streng an die der mosaischen Verfassung ungehörigen gottesdienstlichen Gebräuche und Satzungen. Doch Christus, als die Wahrheit und das Leben, als der Sohn, der des Vaterö Willen in voll­ kommener Klarheit erkannte, war Herr über sie. „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit an­ beten," ruft er uns zu Joh. 4, 24, und in seinem Sinne hören wir aus des Apostels Munde das Wort: „Die leibliche Uebung ist wenig nütze; aber die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze, und hat die Ver­ heißung dieses und des zukünftigen Lebens" 1 Tim. 4, 8. Ja, Sache des Herzens, nicht des äußeren Menschen; Wahrheit und Leben, nicht leere Sitte und Gewohnheit soll die Anbetung Gottes und die äußere Form nur ein Gefäß des lebendigen Geistes, und von dem Geiste selbst geschaffen, lediglich sein treuer Abdruck sein. So will cs der Herr haben. Das leibliche Fasten, welches die Juden als ein wichtiges und wesentliches Stück ihrer Gotteöverehrung betrachteten, hatte daher auch in seinen Augen keinen Werth, und wenn er auch nicht gerade mit ausdrücklichen Worten dagegen sprach, da er eine so alte und mit dem religiösen Leben des Volkes eng verflochtene Sitte schonen wollte, so hielt er doch seine Jünger so wenig dazu an, daß er hier (nach Matth.) von den Jüngern des gesetzcsstrengen Johannes, wohl auf Veranlassung der Pharisäer, mit der Frage zur Rede gestellt wird: Warum fasten wir und die Pharisäer so viel, und deine Jünger fasten nicht? Die Belehrung erfolgt im Gleichnisse. Wie können die Hochzeit­ leute, spricht der Herr, Leid tragen, so lange der Bräutigam bei ihnen ist? Am guten Tage sei guter Dinge. Hochzeit ist ein Fest des Froh­ sinns nnb der Heiterkeit, der Freude und der Lust. Da ist für Fasten und Kasteien, für Sack und Asche weder Zeit noch Ort. Wie hätten sollen die Jünger des Herrn traurig sein, da ihr Seelenbräutigam Christus, ihre Freude und Erquickung, bei ihnen war? Mußte nicht vielmehr ihr Antlitz von inniger, seliger Freude strahlen, wie daS einer Braut an ihrem Ehrentage? Und so lange sie in sichtbarer Gemeinschaft mit ihm lebten, so lange währte auch ihr Hochzeitstag auf Erden. Seele, ist der Herr auch dein Bräutigam? Nun, so sprich es offen aus, kannst du traurig sein und Leid tragen? O nein, du bist vor Sehnsucht zwar still, aber doch nicht betrübt. Deine Ruhe und Stille ist die höchste Seligkeit; deine Sehnsucht die vollste Befriedigung.

14 Aber, fährt der Herr fort, es wird die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten. Tie Zeit des Trauernd kam, als ihr Herr und Meister litt und am Stamm des Kreuzes starb. Siehe die zween Jünger, wie sie, von tiefer Betrübniß erfüllt, nach Emmaus wandeln. Ach, sie wußten ja Alle nicht, daß geschehen mußte, was von ihm geschrieben ist im Gesetze Mosiö, in den Propheten und in den Psalmen Luc. 24, 44. Eine Zeit des Trauernd war cs, als er vierzig Tage nach seiner Auferstehung vor ihren Augen gen Himmel aufgehoben wurde. Da saßen sie nun einmüthiglich bei einander mit stetem Beten und Flehen, und ihre Seele erfüllte allein der Gedanke an den gekreuzigten, auferstandenen und nun zur Rechten Gottes erhöheten Herrn. Eine Zeit des Trauernd war es, als sie, um ihrer Lehre und um ihres Glaubens willen bedrängt und verfolgt, Hunger und Blöße, Schimpf und Spott, Kreuz und Ungemach aller Art zu erdulden hatten. O in solcher Drangsal haben sie viel beten müssen, um Freudigkeit und Stärke durch die Kraft des Gebets von oben zu empfangen, und anhalten int ernsten Flehen um Ehristi Bei­ stand, sein Werk trotz aller Hindernisse tmd Gefahren glücklich hinaus­ führen zu können. Und weiter belehret der Herr die Fragenden, wenn er spricht: Nie­ mand flicket ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappe reißt doch wieder vom Kleide, und der Riß wird ärger, u. s. w. Wie hätte es auch mit der Haushaltung des Neuen Testaments, in der die Jünger bereits lebten, und mit dem freien Geiste des Evangelii Jesu in Einklang gestanden, wenn der Herr ihnen zur Pflicht ge­ macht hätte, die alten Satzungen vom Fasten und selbsterwählten Werken noch ferner zu beobachten? Zum Neuen paßt nur das Neue. Wer eine neue Creatur in Christo geworden, muß auch tut neuen Wesen seines Geistes wandeln, wie der Apostel Paulus spricht. Gal. 5, 25: „So wir im Geiste leben, so lasset und auch im Geiste wandeln." Zur neuen Lehre des Evangelii, das, wie ein schöner kräftiger Wein den ganzen Menschen erquickt, gehören nur solche Herzen, die durch die Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes gleichsam neue Schläuche geworden. Wolltest du den ewig frischen und jungen Geist des Christenthums in alte Formen und Gefäße bringen, er würde sie bald genug zersprengen, um ungehindert seine Kraft zu entwickeln. Darum stehet er auch denen, die des pharisäischen Wesens gewohnt sind, nicht an. Sie sprechen: „Der alte ist milder."

X.

Von vielerlei Acker

Matth. 13, 3—9 und 18—23.

Marc. 4, 3—9 und 14—20.

3. Und er redete zu ihnen man­ cherley durch Gleichnisse, und sprach: Siehe eö ging ein Säe­ mann aus zu säen. 4. Und indem er säete, fiel et­ liches an den Weg; da kamen die Vögel, und fraßen cs auf. 5. Etliches fiel in das Stei­ nigte, da eö nicht viele Erde hatte; und ging bald auf, darum, daß eS nicht tiefe Erde hatte. 6. Als aber die Sonne auf­ ging, verwelkte eS, und dieweil eS nicht Wurzel hatte, ward eS dürre. 7. Etliches fiel unter die Dor­ nen; und die Dornen wuchsen auf, und erstickten cs. 8. Etliches fiel auf ein gut Land, und trug Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfältig. 9. Wer Ohren hat zu hö­ ren, der höre.

3. Höret zu! Siehe, eS ging ein Säemann aus zu säen. 4. Und cs begab sich, indem er säete, fiel etliches an den Weg; da kamen die Vögel un­ ter dem Himmel, und fraßen es auf. 5. Etliches fiel in das Stei­ nigte, da eS nicht viel Erde hatte, und ging bald auf, darum, daß eö nicht tiefe Erde hatte. 6. Da nun die Sonne auf­ ging, verwelkete eö, und dieweil eö nicht Wurzel hatte, verdorrete eS. 7. Und etliches fiel unter die Dornen, und die Dornen wuch­ sen empor, und erstickten eö, und eö brachte keine Frucht. 8. Und etliches fiel auf ein gut Land, und brachte Frucht, die da zunahm und wuchs; und etliches trug dreißigfältig, und etliches fechzigfältig, und etliches hundertfältig. 9. Und er sprach zu ihnen: Wer Ohren hat zu hören, der höre. 14. Der Säemann säet daö Wort. 15. Diese sind eS aber, die an dem Wege sind: wo daö Wort gefäet wird, und sie eö gehöret haben, so kommt alsobald der Satan, und nimmt weg das Wort, das in ihr Herz gefäet war. 16. Also auch die sind cs die, aufS Steinigte gefäet sind: wenn

18. So höret nun Ihr dieses Gleichniß von dem Säcmann. 19. Wenn jemand das Wort von dem Reich höret und nicht verstehet; so kommt der Arge, und reißet eS hin, was da gefäet ist in fein Herz; und der istS, der an dem Wege gefäet ist. 20. Der aber auf das Stei­ nigte gefäet ist, der ist eS, wenn jemand das Wort höret, und

16 daffelbige bald aufnimmt mit Freuden. 21. Aber er hat nicht Wurzel in sich, sondern er ist wetter­ wendisch ; wenn sich Trübsal und Verfolgung erhebet um deS Worts willen, so ärgert er sich bald. 22. Der aber unter die Dor­ nen gesäet ist, der ist eS, wenn jemand daS Wort höret, und die Sorge dieser Welt und Be­ trug deS Reichthums erstickt daS Wort, und bringet nicht Frucht. 23. Der aber in daS gute Land gesäet ist, der ist eS, wenn je­ mand daS Wort höret, und ver­ stehet eS, und dann auch Frucht bringet; und etlicher trägt hun­ dertfältig, etlicher aber sechzigfältig, etlicher dreißigfältig.

sie daS Wort gehöret haben, nehmen sie eS bald mit Freuden auf; 17. Und haben keine Wurzel in sich, sondern sind wetterwen­ disch; wenn sich Trübsal oder Verfolgung um des Worts wil­ len erhebt, so ärgern sic sich alsobald. 18. Und diese sind eS, die un­ ter die Dornen gesäet sind: die daS Wort hören; 19. Und die Sorge dieser Welt, und der betrügliche Reichthum, und viele andere Lüste gehen hinein, und ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht. 20. Und diese sind eö, die auf ein gut Land gesäet sind: die daö Wort hören, und neh­ men es an, und bringen Frucht; etliche dreißigfältig, und etliche sechzigfältig, und etliche hundert­ fältig.

Luc. 6, 4—8 und 12—15.

4. Da nun viel Volks bei einander war, und aus den Städten zu ihm eileten, sprach er durch ein Gleichniß: 5. Eö ging ein Säemann aus zu säen seinen Saamen; und indem er säete, fiel etliches an den Weg, und ward vertre­ ten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen eS auf. 6. Und etliches fiel auf den Fels; und da eS aufging, verdorrete eS, darum, daß eS nicht Saft hatte. 7. Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dor­ nen gingen mit auf, und erstickten eS. 8. Und etliches fiel auf ein gutes Land; und eö ging auf, und trug hundertfältige Frucht. Da er daS sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! 12. Die aber an dem Wege sind, das sind, die eö hören; dar­ nach kommt der Teufel, und nimmt daö Wort von ihrem Herzen, aufdaß sie nicht glauben und selig werden. 13. Dir aber auf dem Fels, sind die, wenn sie es hören, neh­ men sie daö Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.

17

14. Daö aber unter die Dornen fies, sind die, so eS hö­ ren, und gehen hin unter den Sorgen, Reichthum und Wollust dieses Lebens, und ersticken, und bringen keine Frucht. 15. DaS aber auf dem guten Lande, sind die das Wort hören, und behalten in einem feinen guten Herzen, und bringen Frucht in Geduld. Der Säemann, der da ging, um Samen auszustreuen, ist 'Christus, der Herr.

Er kam, um den von Finsterniß und Irrthum umfangenen

Menschen zur Begründung reiner und lauterer Gotteserkenntniß und zu ihrer geistigen Erlösung die ewige Wahrheit, daS Wort Gottes, zu verkünden.

So ist das Wort Gottes, das er lehrete, der Same des

SäemannS im Gleichnisse.

Jn's Herz aber muß es fallen, da sorgsam

gepflegt und behütet werden, wenn es sich gedeihlich entwickeln und Früchte bringen soll.

Das Herz ist der Acker, in welches der göttliche

Lehrer sein Wort aufgenommen haben will.

Aber Ihm ist es ergangen

und ergeht'S noch heute, wie dem Landmann, der beim Säen feines Sa­ mens bemerken muß, sondern an

daß ein Theil davon nicht auf das Ackerland,

den Weg fällt,

wo es der Härtigkeit wegen nicht in die

Erde einzudringen und Wurzel zu fassen vermag, sondern theils von dem Fuße des Wanderers zertreten, theils von den Vögeln aufgefressen oder vom Winde fortgeweht wird.

Auch das Wort deS Herrn kommt

bei so Vielen in ein Herz, das durch lange Gewohnheit der Sünde hart, gefühllos und verschlossen geworden, inein Herz, das, gleich wieeine Frei­ bahn, der ganzen Welt offen steht, vom Staub der Eitelkeit bedeckt und vom Koth der sinnlichen Lüste und Begierden beschmutzt ist.

Wie soll

in solchem Herzen, dem alle Empfänglichkeit für bas Bessere und Höhere abgeht, die himmlische Wahrheit ihre segnende Kraft ausüben und den Glauben wirken, ohne den wir unserer Seelen wahres und ewiges Heil nicht erlangen können?

Ach, wie ein todter Schatz liegt eS unbenutzt

da, um bald wieder zu verschwinden,

da cs,

ohne Wurzel,

Nahrung

und Pflege, nicht kräftig genug ist, den bösen Gedanken des Herzens, der Fleischeslust, Augenlust und dem hoffartigen Wesen, die von der Welt sind—1 2oh. 2, l6 — und den Anläufen deS Argen, der durch allerlei trügerische Vorspiegelungen und Lehren so mächtig auf den natürlichen Menschen einzuwirken weiß, siegreich zu widerstehen. Wiederum gelanget auch das göttliche Wort in ein Herz, daö dem felsigen Boden gleicht, und deshalb ein seichtes und leichtsinniges Herz ist.

Es ist wahr, wie der Same auf steinichtem Boden aufgehet, und

schnell aufgehet, da er nur wenig Erde zu durchbrechen hat: so brin­ get auch das Wort Gottes in einem solchen Gemüthe heilsame Rührun-

2

18 gen, fromme Entschließungen und Thränen der Reue und Buße bald hervor. Aber siehe da! weil cs diesen so gerührten Seelen, die rasch voll warmen Gefühls und heiliger Vorsätze sind, an gründlicher Ueber­ zeugung fehlt: so wirket das Wort in ihnen auch nur eine Zeitlang, und die Sonnenhitze des Lebens, Noth, Trübsal, Versuchung und Wi­ derwärtigkeiten aller Art lassen es, da es nicht tief im Herzen ruht, gar bald vergessen und alle jene schönen Eindrücke vernichten, so daß cs nur ein kümmerliches Dasein stiftet und einem zarten Pflänzchen gleich ist, das, weil es seine Wurzeln nur auf der Oberfläche hin ausdeh­ nen und nicht tiefer in die Erde hineinschlagen kann, woher es Saft und Kraft zum Gedeihen nehmen könnte, der Sonnenhitze nicht Wi-. verstand entgegenzusetzen vermag, und vor der Zeit verdorren und vertrocknen muß. Nein, soll Gottes heiliges und theureö Wort in Noth und DrangsalShitze und besonders dann, wenn wir um seinetwillen geschmäht und verfolgt werden, uns Trost und Stütze sein: so muß es in unS gleich­ sam zu einem starken, kräftigen und hohen Baume heranwachsen, un­ ter dem wir Schalten und Kühlung suchen und finden können. Nicht besser ergeht eS endlich dem Samen, der unter die Wurzeln der Dornen fällt. Die Dornen wachsen auf und ersticken ihn. Wie sollte das Wort Gottes in einem Herzen, das der Sorge dieser Welt Eingang gestattet hat, gedeihen können? Wer immer fragt: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? behält nicht Zeit und verliert die Lust zur Sorge für die höhe­ ren Bedürfnisse seines inwendigen Menschen. Wer den sinnlichen Ge­ lüsten und Begierden, die das Fleisch fort und fort zur Sünde an­ stacheln, williges Gehör schenkt, kann deS Geistes Verlangen nach Be­ friedigung nicht erfüllen. Denn wie das Unkraut rascher wächst und sich schneller vermehrt, als der gute Same, so gewinnen auch die bö­ sen Neigungen und Triebe in uns gar leicht die Oberhand. DaS Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch. Gal. 5, 17. Wer nun nicht über sich wachet, der wird dem Fleische den Sieg verschaffen über den Geist, und Christi Wort wird, wie der gute Same unter den Dornen, in uns ertödtet und ohne alle Frucht bleiben. Also nur auf gutem Boden bringet der gute Same Frucht, und entspricht so den Hoffnungen deö LandmannS. Soll das Wort Got­ tes je nach dem Maße der Gabe, die wir empfangen haben, Frucht in uns bringen und deö göttlichen Säemanns Erwartungen an ihm in Erfüllung gehen: so muß es in einem feinen, guten, reinen und.für das Heilige empfänglichen Herzen aufbewahret und mit Fleiß und aller Geduld geübt und gebraucht werden. Die Frucht deö Wortes Gottes

19 aber ist herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Sanstmuth, Demuth, Ge­ duld Col. 3, 12, ist Leben und Seligkeit Joh. 0, 68. Ja, Herr, wo­ hin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens Joh. 6, 68. Zu Dir kommen wir deshalb auch mit dem heißen Gebet, daß Du durch Deine Gnade unser Herz reinigen und neu machen mögest, da­ mit es ein Acker werde, auf welchem Dein theurcö Wort hundertfältige Frucht trage!

XI. Vom Unkraut unter dem Weizen. Matth. 13, 24—30 und 37—43.

24. Er legte ihnen ein anderes Gleichniß vor, und sprach: DaS Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säete. 25. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind, und säete Unkraut zwischen den Weizen, und ging davon. 26. Da nun daS Kraut wuchs, und Frucht brachte, da fand sich auch daS Unkraut. 27. Da traten die Knechte zu dem Hausvater, und spra­ chen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesäet? Woher hat er denn daS Unkraut? 28. Er sprach zu ihnen: DaS hat der Feind, gethan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingehen, und eS auSgäten? 29. Er sprach: Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, so ihr daS Unkraut auSgätet. 30. Lasset beides mit einander wachsen, bis zu der Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Samm­ let zuvor daS Unkraut, und bindet eS in Bündlein, daß man cS verbrenne; aber den Weizen sammlet mir in meine Scheuren. 37. Er antwortete und sprach zu ihnen: DeS Menschen Sohn ist eS, der da guten Samen säet. 38. Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. DaS Unkraut sind die Kinder der Bosheit. 39. Der Feind, der sie säet, ist der Teufel. Die Ernte ist daS Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. 40. Gleichwie man nun das Unkraut auögätet, und mit Feuer verbrennet: so wird eS auch am Ende dieser Welt gehen. 41. DeS Menschen Sohn wird seine Engel senden; und sie werden sammlen aus seinem Reich alle Aergernisse, und die da Unrecht thun,

20 42. Und werden sie in den Feuerofen werfen: da wird sein Heulen und Zähnklappen. 43. Dann werden die Gerechten leuchten, wie die Sonne, in ihres Vaters Reich. Wer Ohren hat zu hören, der höre! Des Herrn Acker ist zwar die ganze Welt) denn auf ihr soll noch sein herrlicher Name an allen Enden verkündet, sein Wort noch über­ all ausgebreitet werden; denn auch sie ist das treue Abbild eines Feldes, auf dem sich neben dem Weizen das Unkraut findet. Vor Allem aber ist cs das Himmelreich in seiner Erscheinung

auf Erden,

die christliche

Kirche, die, wie ein Acker vor anderem Erdreich auserschen wird, durch Christus von der Welt zum besonderen Anbau auserlesen ist, damit von ihr aus das Helle und befruchtende Licht des Evangelii über den ganzen Weltkreis sich segnend verbreiten solle.

Wiewohl aber erbauet

auf dem Grunde des Wortes Gottes und genähret mit der lautern und rei­ nen Lehre des Herrn, sind doch nicht Alle, die sich zu ihr bekennen, der göttlichen Wahrheit von Herzen zugethan und von aufrichtiger Fröm­ migkeit,

Gottesfurcht und

durchdrungen,

von lebendigem Glauben an den Erlöser

sondern cS finden sich unter den Christen leider noch

viele, die in tiefem Irrthum und Unglauben, in Sünde und Laster ver­ sunken, Gotteö Ordnung und Gesetz mit teuflischem Sinn freventlich verachten und mit Füßen treten. christen,

dergleichen Unkraut eS

Das sind die Heuchler und Schein­ immerdar auf dem Acker des Herrn

gegeben hat und hienieden auch ferner geben wird.

„Das muß man

gewöhnen und leiden, und wissen, daß man solch Unkraut nicht könne ausrotten,

noch die Kirchen aller Ding rein davon machen" (Luther).

Wer wollte sich doch auch der Scheidung und Sichtung unterziehen kön­ nen, wenn es der Herr nicht selber thut?

Oder kannst du den Acker

vom Unkraut reinigen, ohne dem Weizen Schaden zuzufügen?

O wie

viel Unheil ist nicht schon durch unzeitigen Eifer und blinde Uebereilung im Reiche Gotteö angerichtet, wie viel guter Weizen der Lehre zugleich mit dem Afterkorn falscher und trügerischer Weisheit durch ungegrün­ deten Argwohn, ach leider!

auch mit Feuer und Schwert und andere

Gewaltthätigkeiten ausgerottet und herausgerissen worden! Ist daö aber nicht den ausdrücklichen Worten Jesu Christi:

Lasset es mit einander

wachsen biS zur Erndte! schnurstracks entgegengehandelt? Nein, lasset unS lieber Geduld haben, und in treuer Beharrlichkeit im Glauben an das Haupt,

dessen Glieder wir sind, und int eifrigen Bestreben, sein

Reich nach dem Maße der uns von ihm verliehenen Gnadengaben in christlicher Klugheit immer mehr auszubreiten, allein vertrauen.

Es kommt die Zeit,

im Uebrigen auf Ihn

da er die Frommen von den

Gottlosen, die Gläubigen von den Ungläubigen, die Verächter seineö

21 NamenS von seinen wahren Vekennern scheiden und sondern wird. Ja, das wird er thun an jenem großen Tage, wo wir Alle vor ihm er­ scheinen müssen, um über unser ganzes Thun und Lassen auf Erden genaue Rechenschaft abzulegen. Dann werden seine Engel, die ihm die­ nen, jene zur Rechten, also an den Ehrenplatz, diese aber, die durch Lehre, Wandel und Leben ihren Mitmenschen so viele Ursache zur Be­ trübniß gegeben und großen Schaden auf Erden angerichtet haben, zur Linken stellen, und der erhabene Richter wird die zur Rechten in die Wohnungen unaussprechlicher Seligkeit, wo sie im himmlischen Ver­ klärungsglanze vor Freude und Wonne hell leuchten werden, wie die Sonne, diese aber zur Verdammniß eingehen lassen, wo Traurigkeit, Angst, Furcht und Schrecken sie erfüllen wird. O wer wollte nicht zum guten Weizen auf dem Acker deS Herrn gehören! Gehörest du dazu? Nun so hüte dich ja vor dem Feinde, der Unkraut unter den guten Samen säet! Ach, er weiß die günstige Gelegenheit, das arglose Herz zu bcthören und seinen bösen, verderb­ lichen Grundsätzen Geltung zu verschaffen, klüglich zu benutzen. Er kommt, wenn wir nicht auf unserer Hut sind, wenn wir unS in Sicher­ heit gewiegt haben, wenn wir schlafen. Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet) denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach Matth. 26, 41. Der Teufel, die Welt und unseres Flei­ sches Wille —• das sind aber die Feinde, gegen die wir ohne Aufhören offene Augen haben müssen. Unser Widersacher, der Teufel, gehet um­ her, wie ein brüllender Löwe, und suchet, welchen er verschlinge 1 Petr. 5, 8. Und AlleS, waS in der Welt ist, nämlich des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtigeS Leben, ist nicht vom Vater, son­ dern von der Welt 1 Joh. 2, 16. Der Geist ist cd, der da lebendig macht, daS Fleisch ist kein nütze Joh. 6, 63. Darum wer auf sein Fleisch säet, der wird von dem Fleische daS Verderben, wer aber auf den Geist säet, der wird vom Geiste daS ewige Leben erndten. Gal. 6, 8.

XII. Vom Senfkorn. Matth. 13, 31—32.

Marc. 4, 31—32.

31. Ein anderes Gleichniß legte 31. Gleichwie ein er ihnen vor, und sprach: DaS wenn daö gesäet wird Himmelreich ist gleich einem Senf­ so ist eS daS kleinste korn, daS ein Mensch nahm, und Samen auf Erden. 32. Und wenn eS säete eS auf seinen Acker.

Senfkorn, aufs Land, unter allen gesäet ist,

22 32. Welches daö kleinste ist unter allen Samen; wenn eS aber erwächst, so ist eS das größeste unter dem Kohl, und wird ein Baum, daß die Vögel unter dem Himmel kommen, und woh­ nen unter seinen Zweigen.

so nimmt eS zu, und wird größer, denn alle Kohlkräuter, und ge­ winnet große Zweige, also, daß die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.

Mit Christo ist daö Himmelreich auf Erden erschienen. Stifter und Oberhaupt desselben.

Er ist

Wiewohl klein und unscheinbar bei

seinem Anfange, da die beseligende Lehre des Herrn und der lebendige Glaube an ihn, der allein zum Eintritt in dasselbe berechtigt, nur in Weniger Herzen Eingang fand:

hat es sich doch allmälig, besonders

nach dem Tage der Pfingsten —■ Apostelgesch. 2, 41 — und trotz der vielfachen Hindernisse, welche das Wort vom Kreuze zu überwinden hatte, und ungeachtet der grausamen Verfolgungen, denen die Bekenner des Herrn Jahrhunderte hindurch ausgesetzt waren, immer weiter und weiter ausgedehnt, und ist

mit der Zeit

zu einem Baume herange­

wachsen, unter dessen Schatten Viele schon erquickende Kühlung, Ruhe und beseligenden Frieden mitten in den Drangsalen, Leiden und Be­ schwerden deS irdischen Lebens gefunden haben und noch finden werden. Ja es wird noch geschehen, daß auch die Heiden dem Herrn werden zum Erbe und der Welt Ende zum Eigenthum gegeben werden Ps. 2, 8, und daß sich alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße legen Ps. 110, 1. Alsdann, wenn Alle auf der grünen Aue deö göttlichen Wortes ge­ weidet, und zum frischen, lebendigen Wasser, das in Christo fließet, hingeführet sind; wenn aus Allen Eine Heerde unter Einem Hirten geworden: dann wird der Gläubigen Triumphgesang in Verkündigung deö Lobes Gottes und in der Verherrlichung des Sohneö mit vollen­ deter Harmonie im Himmel und auf Erden erklingen. O möchte doch die selige Zeit dieser Vereinigung Aller unter Einem Haupte bald erscheinen! An dem Herrn liegt es nicht, wenn sie nicht schon näher ist.

Er hat und gesagt, und ruft es uns durch die Stimme

seines Wortes unaufhörlich zu, waS.wir zu thun haben, um glückliche Kinder seines Reiches zu werden.

Aber wir wollen seinem freundlichen

Rufe nicht hören, wollen unsere Herzen nicht dem Glauben erschließen, der unS doch allein mit ihm vereinigen kann.

Ach über die Thorheit

der Menschen, die wohl nach dem vergänglichen und trügerischen Glücke der Erde jagen, aber daS wahre und ewige Heil der Seele, das nur in der Gemeinschaft mit Christus zu finden ist, so ganz vernachlässigen! Lasset doch ab von eurer Verblendung, erkennet daS Eine, waS Noth thut und

öffnet euer Herz dem seligmachenden Glauben!

Wahrlich,

23 wenn er nur erst so groß ist als ein Senfkorn, so wird er sich schnell in euch ausbreiten, und herrliche Kraft gewinnen, daß ihr bald dastehet als ein schöner Baum, voller Früchte der Gerechtigkeit, und als ein vollkommener Mann, der da ist Ln der Maße des vollkommenen Alterö Christi.

Cph. 4, 13.

XIII« Vom Sauerteig. Matth. 13, 33.

Ein anderes Gleichniß redete er zu ihnen: Das Himmelreich ist einem Sauerteige gleich, den ein Weib nahm, und vermengte ihn unter drei Scheffel Mehl, bis daß eS gar durchsäuert ward. Ja des Herrn Reich wird sich, wenn auch die Zahl seiner Wider­ sacher noch so groß wäre und ihre List und Gewalt noch so entsetzlich, in seiner Entwicklung weder aufhalten noch zurückdrängen lassen, sondern wachsen und zunehmen, bis es die ganze Menschheit durchdrungen und belebt hat.

Denn das Wort Gottes, auf dessen felsenfestem und ewigem

Grunde es erbauet ist und beruhet, hat in sich eine mächtige Kraft, zu strafen und zu erschüttern, zu trösten und zu erquicken. Ist es nicht lebendig und kräftig,

und schärfer denn kein zweischneidig Schwert?

Hebr. 4, 12. Wer will ihm daher widerstehen?

Ist es nicht daö wahre

Brod, das die hungernde Seele allein befriedigen kann; das Brod, von dem schon ein Krümlein das kranke Herz gesund, daS zweifelnde und unruhige Gewissen mit heiligen! Frieden zu erfüllen vermag? Wie? Sollte nun nicht fein hoher Segen immer mehr erkannt und der Menschen sehnsüchtiges Verlangen darnach immer reger werden? Ist eö nicht die Wahrheit, die aus Gott selbst entsprungen?

Sollte deshalb

nicht alle Macht der Lüge ihm endlich unterliegen müssen? Herr, Dein Wort: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht," Lue. 21, 33 bürgt und dafür, daß es so geschehen wird, und giebt unö zugleich Trost, Freudigkeit und Muth, wenn wir jetzt noch sehen, wie die Gottlosen und Spötter frohlocken, und daS Laster gleich einer Seuche im Finstern schleichet und verderbet. Ach daß wir doch, um würdige Glieder des himmlischen Reiches zu werden, Gottes heiliges Wort durch den Glauben mehr und mehr in unser Herz aufnehmen wollten, damit es uns ganz durchdringe und unS reinige und läutere von allem gottlosen Wesen, und in unö schaffe

24 eine geistige Wiedergeburt, auf daß wir alö neue, vom göttlichen Geiste erfüllte und getriebene Kreaturen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Gott ewiglich leben! Soll es aber zu dieser gänzlichen Umgestaltung und Erneuerung unseres inwendigen Menschen durch die Kraft des göttlichen Wortes kommen, so müssen wir und vor Allem hüten vor dem Sauerteige der Heuchelei, der Bosheit und Schalkheit, und in uns wirken lassen den Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit. 1 Cor. 5, 8. Denn nur in einem Herzen, das einfältig und ohne Falsch ist, kann das ewige Wort seine Segenskraft recht entfalten.

XIF# und XV. Vom verborgenen Schatze und: von der Einen köstlichen Perle. Matth. 13, 44, 45, 46.

44. Abermal ist gleich das Himmelreich einem verborgenen Schatz im Acker, welchen ein Mensch fand, und verbarg ihn, und ging hin vor Freude über denselbigen, und verkaufte Alles, was er hatte, und kaufte den Acker. 45. Abermal ist gleich daS Himmelreich einem Kaufmanne, der gute Perlen suchte. 46. Und da er Eine köstliche Perle fand; ging er hin, und verkaufte Alles, was er hatte, und kaufte dieselbige. Waö die Welt unS bietet, mag es auch unserem schwachen Auge noch so schön und köstlich sein, stehe, es vergehet, wie ein Rauch, und die Freude an ihren Gütern und Schätzen währet nur einen Augenblick. Gehören wir aber Christo an; waö fehlt unS dann für Zeit und Ewigkeit? Die Liebe, die uns mit ihm und ihn mit uns vereinet, ist der Seele höchster und seligster Genuß, und der Engel, welcher Friede und Freude int heiligen Geist über unser ganzes irdisches Leben aus­ breitet, daß cd unS nicht anders ist, als hätten wir hienieden schon den Himmel. Wie? Sollten wir nicht, um Christum zu gewinnen, der daS Leben ist, und allen den Seinen Leben und volle Genüge giebt, für Schaden erachten, waö uns ohne ihn Gewinn war? Phil. 3, 7. Soll­ ten wir nicht Ehre und Gut, Leib und Leben um seinetwillen gern da­ hingeben; nicht Häuser, oder Brüder, oder Schwestern, oder Vater, oder Mutter, oder Weib, oder Kinder, oder Aecker für ihn willig und mit Freuden verlassen? Matth. 19, 22. O wenn wir anstehen wollten,

25 auch daS Theuerste auf Erden ihm zum Opfer zu bringen, so würden wir ihn ja nicht wahrhaft finden! Denn: Verlaugne dich! ruft er Jedem zu, der mit ihm in Gemeinschaft treten, seliger Genosse seineö Reiches werden will. Aber ach! wie Vielen unter den Christen ist und bleibt der Herr ein verborgener Schatz; wie Viele lernen nicht in ihm die Eine köstliche Perle erkennen, deren Besitz uns doch so überschwenglich reich und glücklich macht, da sie ihr Herz nicht von der Welt und ihren Gütern und Freuden loszureißen vermögen! Haben wir Christum gefunden? Ist er unser Ein und Alles? O so wollen wir auch diesen herr­ lichen Gnaden- und Freudenschatz in unserem Herzen als daö kostbarste Kleinod bewahren, daß wir ihn nimmer wieder verlieren! Denn Christum verloren, Alles verloren; Christum behalten, Nichts verloren. Haben wir ihn aber noch nicht; nun so lasset uns ihn mit allem Fleiß und mit der heiligsten Begier unseres Herzens suchen. Im eifrigen und aufrichtigen Streben nach himmlischer Erkenntniß, in göttlichem Sinn und Wandel, in rastlosem Trachten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit werden wir ihn sicher finden.

XVI.

Vom Netz voll Fische. Matth. 13, 47—50.

47. Abermal ist gleich daS Himmelreich einem Netz, das ins Meer geworfen ist, damit man allerlei Gattungen fanget. 48. Wenn eS aber voll ist, so ziehen sie eS heraus an das Ufer, sitzen und lesen die guten in ein Gefäß zusammen, aber die faulen werfen sie weg. 49. Also wird eS auch am Ende der Welt gehen. Die Engel werden ausgehen, und die Bösen von den Gerechten scheiden. 50. Und werden sie in den Feuerofen werfen: da wird Heulen und Zähnklappen sein. Seitdem der Herr im Fleische erschienen, ist auch daS Netz seines Evangelii ausgeworfen, um die Menschen aus dem Abgrunde deS Irr­ thums und der Sünde zu ziehen und sie zu sammeln zu einer Ge­ meinde, die durch den Glauben mit ihm vereinigt und in dieser Ver­ einigung des ewigen Lebens theilhaftig sein sollte. Aber wie es unter den Fischen, die durch das Zugnetz im Meere gefangen werden, neben

26 guten auch faule giebt: so haben sich auch von jeher unter denen, die sich zum Herrn und seiner Lehre bekannten, Fromme und Gottlose, Gläubige und Ungläubige bei einander gefunden. Mußte doch der Gottmensch selbst von einem aus der Zahl seiner Jünger, dem falschen Judas, verrathen werden! Haben doch Ananiaö und Sapphira, kaum zur Menge der Gläubigen hinzugethan, dem heiligen Geist gelogen, indem sie etwas vom Gelde des verkauften Ackers entwendeten! Apstgsch. 5, 1—10. Und wie es in der sichtbaren Gemeinschaft der Bekenner Jesu von Anbeginn war, so ist's noch heute und so wird eö auch in Zu­ kunft sein. In ihren schwachen, kranken und todten Gliedern wird das schöne Gepräge der Kirche des Herrn, das der Einigkeit und Hei­ ligkeit, leider verdunkelt und verunziert bleiben. Wer vermag die Tieft der Weisheit ihres Stifters und Oberhaupts hierin zu durchschauen? Lasset eS und als eine Prüfung erkennen, und darauf sehen, daß wir ihm treu verbleiben, wenn auch die Zahl der Ungerechten und Gottlo­ sen noch mehr überhand nehmen sollte, und uns dies zum Trost ge­ reichen, daß einst, wenn sein heiliges Evangelium überall gepredigt, sein Name an allen Enden der Welt verkündet und auö Allen Eine große Gemeinde geworden ist, der Tag erscheinen wird, wo die Trennung der wahren Bekenner von den falschen, der Frommen von den Gottlosen erfolgt und jene zum Lohn ihrer Standhaftigkeit und Treue im Glau­ ben an den Heiland zur seligen Gemeinschaft der Heiligen im Lichte, diese aber zur Straft für ihre Beharrlichkeit in der Verblendung in den freudenlosen Zustand der Verdammniß gelangen werden.

XVII. Vom verirrten Schafe.*) Matth. 18, 12—14.

12. Waö dünket euch? Wenn irgend ein Mensch hundert Schafe hätte, und Eins unter denselbigen sich verirrete: läßt er nicht die neun und neunzig auf den Bergen, gehet hin, und suchet das verirrete? 13. Und so sichs bezieht, daß er eS findet; wahrlich, ich sage euch, er freuet sich darüber mehr, denn über die neun und neunzig, die nicht verirret sind. 14. Also auch ist eS vor eurem Vater im Himmel nicht der Wille, daß jemand von diesen Kleinen verloren werde. *) Siehe das Gleichniß vom verlornen Schafe.

27 Wer ist doch der Größeste im Himmelreiche? Jünger fragen (V. 1).

So hören wir die

Sie haben sich noch nicht von der irrigen An­

sicht ihrer Volksgenossen loöreißen können, daß Christus gekommen sei, ein weltliches Reich aufzurichten; vielmehr hegen sie die thörichte Hoff­ nung,

daß wohl sie,

als seine Anhänger und Freunde, in demselben

die höchsten Ehrenstellen einzunehmen bestimmt seien.

Daher werden

sie von dem Herrn beschämt und zurechtgewiesen, indem er ein Kind mitten unter sie stellt und die Worte ausspricht: euch,

„Wahrlich, ich sage

eS sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder,

so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen."

So sollten sie ihren

Ehrgeiz mit des Kindes Anspruchslosigkeit, ihre Eitelkeit mit seiner Herzenseinfalt, ihren Hochmuth mit seiner Demuth messen. Und diese Beschämung, vereint mit den nachfolgenden Ereignissen und Erfahrungen, hat sie

auch

von ihren eitlen Wünschen geheilt.

Sie erkannten den

Herrn gar bald in seiner göttlichen Majestät und sein Reich als ein himmlisches, in dem derjenige am höchsten steht, welcher seinem Haupte in demüthiger Liebe und in gläubigem Gehorsam hienieden am meisten zugethan ist; sie haben fortan der Welt um Jesu willen mit Freuden in Armuth und Mangel gedient, und sein und deö Vaters Wohlgefallen alö den schönsten Lohn ihrer Arbeit angesehen. Kinder sollen auch uns ein Spiegel der Demuth, der Geduld, der Freudigkeit, Zufriedenheit, des Vertrauens, der Hoffnung, der Einfalt und Aufrichtigkeit sein.

Wo könnten wir wohl alle diese herrlichen

und köstlichen Tugenden und Vorzüge zum schöneren Bunde vereinigt finden, als bei ihnen? O wir wollen sie daher recht oft zu und heran­ treten lassen, um von ihnen zu lernen, was der Herr von und verlangt, wenn wir ihm

angehören

und in seinem Reiche eine Stelle finden

wollen. Ach,

wie unverantwortlich handeln doch Alle,

die ihre Kleinen

dieser Zierden, welche werthvoller find als Sammet und Seide, Gold und Edelgestein, schon frühzeitig durch verderbliches Beispiel und ver­ kehrte Erziehung berauben, und dafür eitlen, hochmüthigen, unlauteren, nur auf das Aeußerliche hingewandten Sinn in ihre Seelen pflanzen! Ist das nicht Sünde gegen den Herrn, der die Kindlein so innig liebte, in dessen Augen ihr anspruchsloses, unverdorbenes Herz so hoch und theuer geachtet ward?

Wahrlich, ihre Engel im Himmel, die allezeit

das Angesicht Gottes schauen, werden euch darum hart verklagen; ja eure Kinder selbst werden einst eure Kläger sein, daß ihr ihre Herzen mit tödtlichem Gifte getränkt habt.

Und der Vater im Himmel,

der

sie eurer Sorge wie ein theures Kleinod anvertraut hat, wird euch ge­ wiß zur strengen Rechenschaft und Strafe ziehen,

wenn sie durch eure

28 Nachlässigkeit der Unschuld ihrer Herzen und der zeitlichen und ewigen Glückseligkeit verlustig gegangen sind. Lehrer und Erzieher, nehmet das Wort des Erlösers zu Herzen: „Wer Ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf!"-Euer Amt ist auch ein von Gott verordneteS; in Christi Namen stehet auch ihr in eurem Berufe da. Wie? Sollte es da nicht auch eure heiligste Pflicht sein, die Kindlein ihm zuzuführen, damit, daß ihr aufrichtige Liebe zu ihm, dem Erlöser, in ihre jugendlichen Herzen ein­ senkt, und alles Wissen und Können, zu dem ihr sie hinführet, auf dieser ungeheuchelten Liebe beruhen und von ihr getragen sein, und sie selbst erkennen lasset, daß Christum lieb haben, besser ist, denn alles Wissen? Eph. 3, 19. O unaussprechlicher Segen wird bei solchem Bemühen auf eurer Arbeit ruhen, und herrlicher Gnadenlohn eurer warten. Ja dann, aber auch nur dann wird in Erfüllung gehen, was die Schrift uns verheißt: Die Lehrer werden leuchten wie deö Himmels Glanz, und die, so Viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich. Dan. 12, 3. Göttlicher Lehrer, Herr und Heiland, der Du gekommen bist, zu suchen, was verloren ist, wie ein treuer Hirte daS verirrte Schäflein suchet, um eö zur frischen Weide zurückzuführen, Dein Vorbild soll uns immerdar zu unverdrossener Nacheiferung und zu einer Deinem und GotteS heiligem Willen gemäßen Pflichterfüllung vorleuchten und antreiben. Wie Du Dich der Menschenkinder in Liebe und Geduld annimmst, so wollen wir, Eltern und Lehrer, uns unserer Kindlein annehmen, damit keines von ihnen mit unserer Schuld verloren gehe, sondern alle zur Erkenntniß der Wahrheit, zur Liebe zu Dir und unserem himmlischen Vater und dadurch zur ewigen Seligkeit gelangen.

XVIII. Vom böseu Schuldner. Matth. 18, 23—35.

23. Darum ist daS Himmelreich gleich einem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte. 24. Und alS er anfing zu rechnen, kam ihm Einer vor, der war ihm zehn tausend Pfund schuldig. 25. Da er eS nun nicht hatte zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn, und sein Weib, und seine Kinder, und Alles, was er hatte, und bezahlen.

29 20. Da fiel der Knecht nieder, und betete ihn an, und sprach: Herr, habe Geduld mit mir, ich will dir AlleS bezahlen. 27. Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts, und ließ ihn loS, und die Schuld erließ er ihm auch.

28. Da ging derselbige Knecht hinaus, und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig; und er griff ihn an, und würgete ihn, und sprach: Bezahle mir, waS du mir schuldig bist! 29. Da fiel sein Mitknecht nieder, und bat ihn, und sprach; Habe Geduld mit mir, ich will dir AlleS bezahlen. 30. Er wollte aber nicht; sondern ging hin, und warf ihn inS Gefängniß, bis daß er bezahlete, was er schuldig war. 31. Da aber seine Mitknechte solche- sahen, wurden sie sehr betrübt, und kamen, und brachten vor ihren Herrn AlleS, waS sich begeben hatte. 32. Da forderte ihn sein Herr vor sich, und sprach zu ihm: Du Schalksknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; 33. Solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie Ich mich über dich erbarmet habe? 34. Und sein Herr ward zornig, und überantwortete ihn den Peinigern, bis daß er bezahlete Alles, was er ihm schuldig war. 35. Also wird euch mein himmlischer Vater auch thun, so ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler. Petrus fraget den Herrn V. 21. 22, wie er sich verhalten solle, wenn sich sein Bruder an ihm versündige; ob cS hinreichend sei, wenn er ihm sieben Mal vergebe? Da antwortet der Herr, der FeindeSliebe den Seinigen als heilige Psiicht auferlegt und selbst noch am Stamm des Kreuzes für seine Widersacher bittet: siebenzig Mal sieben Mal vergieb."

„Nicht sieben Mal, sondern

So soll denn der Christ jederzeit

ohne Maß und Ziel zu vergeben bereit sein und sich nicht selber rächen wollen, sondern die Vergeltung allein der Weisheit, Gerechtigkeit und der erbarmenden Liebe Gottes, des höchsten Richters, überlaffen, um so mehr, da wir ja Alle mehr oder minder aus Nachsicht, Geduld, Ver­ gebung und Gnade Anspruch machen müssen.

„Rächet euch selber nicht,

meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn (gehet ihm aus dem Wege); denn cs stehet geschrieben: gelten, spricht der Herr."

„Die Rache ist mein, ich will ver­

5 Mos. 32, 35.

Ja, wollte der Herr des Himmels und der Erde, der König aller Könige, mit uns rechnen; o wir würden erstaunen, wie oft wir gefehlet, wie oft wir Gottes Willen unbeachtet gelassen und seine heiligen Gesetze

30 übertreten haben, und mit Entsetzen vor der Schwere der Schuld zu­ rückschaudern, die wir uns durch unserer Sünden Menge zugezogen haben und wegen ihrer Große nicht abzutragen vermögen. Und da ist Keiner, der Guteö thut, auch nicht Einer. Denn es ist kein Unter­ schied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade Röm. 3, 23 — 24. Was wollen wir nun thun, wenn der Herr zu uns spricht, wie der König zu seinem Knechte: „Verkaufe dich und dein Weib und deine Kinder und Alles, was du hast, und bezahle mich," da wir doch nicht bezahlen können, wenn wir auch Alles auf­ bieten wollten, und somit den Tod, der ja der Sünden Sold ist Röm. 6, 23, vor unsern Augen sehen? Nun, wie es der Knecht machte, der da niederfällt, den Herrn anbetet und um Geduld bittet. Zum unerschöpflichen und unversiegbaren Vorn der göttlichen Gnade müssen wir int Gefühle unserer Schuld, unseres Unvermögens und mit dem festen Vorsatze der Besserung unsere Zuflucht nehmen; denn hier allein kann uns Vergebung zu Theil werden. „Barmherzig und gnädig ist ja der Herr, geduldig und von großer Güte. Er wird nicht immer hadern, noch ewiglich Zorn halten. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missethat. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten. So fern der Abend von dem Morgen ist, läßt er un­ sere Ucbertretung von uns sein. Wie sich ein Vater über Kinder er­ barmet, so erbarmet sich der Herr über die, so ihn fürchten" Pf. 103, 8—13.

Ob bei uns ist der Sünden viel, Bei Gott ist viel mehr Gnade,

Sein' Hand zu helfen hat kein Ziel, Wie groß auch sei der Schade. Er ist allein der gute Hirt, Der Israel erlösen wird Aus seinen Sünden allen. „Da jammerte den Herrn desselbigen Knechts und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch." Dem Herzen des himmlischen Vaters ist auch der Sünder noch lieb und theuer. Er erbarmet sich seiner, wenn er sich im demüthigen, reuigen Gebet und in wahrer, rechtschaffener Buße zu ihm nahet. „Wo Gott ein Herz findet, daö der Gnade begehret, und ein Mißfallen ob der Sünde hat und davon abläßt, da will er gern alle Schuld fallen lassen und dir Gnade erweisen." (Luther.) Wenn uns nun aber unser himmlischer Vater unsere Fehler vcr-

31 giebct; sollten tvir da nicht auch unserem Nächsten seine Fehler gern vergeben wollen?

Bitten wir doch:

„Und vergieb uns unsere Schuld,

wie wir vergeben unseren Schuldigern."

Ach, das ist leider nicht der

Fall! Ceh, wie es der Knecht, dem so eben große Schuld*) erlassen worden war,

mit seinem Mitknechte machte,

der ihm nur Geringes schuldete.

„Er grif ihn an und würgete ihn und sprach:

Bezahle mir, was du

mir schuldig bist!" O über ter

uns,

die

die Unbilligkeit wohl

täglich

und Unbarmherzigkeit so Vieler un­ Beweise

der

göttlichen

Gnade,

Liebe

und Geduld empfangen haben, aber dennoch ihr Herz gegen den Näch­ sten verschließen und das wohlthuende, süße Gefühl, vergeben, nicht in sich aufkommen lassen! Undank gegen Gott?

dem Bruder zu

Ist das nicht zugleich großer

Und sollen unS dergleichen traurige Erscheinun­

gen, wie sie sich im Leben nur gar zu oft darbieten, nicht mit gerech­ ter Betrübniß erfüllen?

So erging cs auch den übrigen Knechten, als

sie das harte und lieblose Verfahren ihres Mitknechts bemerkten. „Da aber seine Mitknechte solches

sahen,

wurden sie sehr betrübt,

und kamen, und brachten vor ihrem Herrn Alles, was sich begebenhatte." So steigen auch die Klagen und Seufzer deiner Mitmenschen zu Gott empor, wenn du dich gegen den Unglücklichen und Elenden, der sich schon selbst tief genug niedergebeugt fühlt, noch gefühl- und theilnahmlos zeigst, während du doch von deinem himmlischen Vater hoch begnadigt bist.

Und sie werden nicht verhallen, diese Anklagen; Gott

wird da^'u nicht stille sein, sondern dich zur Rede stellen,

wie es denn

auch ohnedies seine Gerechtigkeit gethan haben würde. „Da forderte der Herr den Knecht vor sich und sprach zu ihm: Du Schalköknecht, alle diese Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest.

Solltest du denn dich nicht auch erbarmen .über deinen Mit­

knecht, wie ich mich über dich erbarmet habe?" Das sind die Vorwürfe der Stimme GotteS in uns; das sind die strafenden Worte, welche wir am Tage deö Gerichts aus dem Munde des himmlischen Richters deshalb zu vernehmen haben.

Wie wird eS

uns dann sein, wenn wir solch ein Urtheil hören, von Gott, dessen Liebe und Güte täglich über uns neu war, dessen Auge so väterlich über uns wachte, dessen Gnadensonne unS ohne Aufhören beleuchtete?

*) Pnmd = Talent, die größeste Art Münze aus Gold oder Silber. Ein Talent betrug 1200 Rthlr.; 10,000 Pfund oder Talente also 12 Milt. Rthlr. oder 120 Tonnen Goldes. Unter den Groschen haben wir Denare zu verstehen ii3(S)r.; 100 Denare also --- 12£ Rthlr.

32 Wie wird es und sein, wenn wir dann von Gottes Angesichte, daS der Fromme ewig schauen darf und deshalb selige Freude empfindet, ent­ fernt werden und die und gebührende Strafe empfangen? Denn es wird uns ergehen, wie es dem unbarmherzigen Knechte erging, von dem eö heißt: „Und sein Herr ward zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis daß er bezahlete Alles, waS er ihm schuldig war." 2(6er der Knecht hatte ja nicht, wovon er bezahlen sollte, also wird er wohl für seine Unbarmherzigkeit ohne Aufhören haben büßen müssen. Gewiß, der unselige Zustand der Verdammniß dauert in Ewig­ keit fort; denn tritt auch Besserung ein, so ist es doch keine freie, son­ dern nur eine durch die göttlichen Strafgerichte abgenöthigte, die nicht mit freudigem Vertrauen und mit hingebender Liebe zu Gott verbun­ den und von dem ungetrübten Gefühle himmlischer Seligkeit begleitet sein kann. „Darum vergebet, so wird euch vergeben. Wo ihr aber den Men­ schen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben." Matth. 6, 14. 15.

XIX. Von den Arbeitern im Weinberge. Matth. 20, 1—16.

1. DaS Himmelreich ist gleich einem Hauövater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu miethen in seinen Weinberg. 2. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. 3. Und ging auS um die dritte Stunde, und sahe andere an dem Markt müßig stehen. 4. Und sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, waö recht ist. 5. Und sie gingen hin. Abermal ging er aus um die sechste und neunte Stunde, und that gleich also. 6. Um die elfte Stunde aber ging er aus, und fand an­ dere müßig stehen, und sprach zu ihnen: WaS stehet ihr hier den ganzen Tag müßig? 7. Sie sprachen zu ihm: ES hat unS Niemand gedinget. Er sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg: und waS recht sein wird, soll euch werden. 8. Da eS nun Abend ward, sprach der Herr deö Wein-

33 bergS zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter, und gieb ihnen dm Lohn; und hebe an an den Letzten, bis zu den Ersten. 9. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingrt waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen. 10. Da aber die Ersten kamen, meineten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. 11. Und da sie den empfingen, murreten sie wider den Hausvater. 12. Und sprachen: Diese Letzten haben nur Eine Stunde gearbeitet, und du hast sie und gleich gemacht, die wir deS Ta­ ges Last und Hitze getragen haben. 13. Er antwortete aber, und sagte zu Einem unter ihnen: Mein Freund, ich thue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden um einen Groschen? 14. Nimm, waS dein ist, und gehe hin. Ich will aber diesem Letzten geben, gleich wie dir. 15. Oder habe ich nicht Macht, zu thun, waS ich will, mit dem Meinen? Siehest Du darum scheel, daß Ich so gütig bin? 16. Also werden die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein. Denn Viele sind berufen, aber Wenige sind anderwahlet. Gott erscheint uns hier unter dem schönen Bilde eines treue» und sorgenden Hausvaters, der zu

verschiedenen

Malen

ausgehet, »in für

sein Reich auf Erden — seinen Weinberg — unter den Menschen Ar­ beiter zu suchen.

Denn cS ist ihm daran

gelegen, daß Keiner müßig

sei, sondern Jeder zu der immer weiteren Ausbreitung und festeren Be­ gründung des Himmelreichs nach seinen Kräften beitrage, damit endlich die ganze Welt ein Tempel seines NamcnS und seiner Ehre werde. Er gehet aber aus das erste Mal am frühen Morgen. get der Ruf GotteS:

Es gelan­

Gehet hin in meinen Weinberg! schon in der

Kindheit und Jugend, am Morgen des Lebens, an unS. terkeit, die Stärke und der Reiz unserer Natur;

Die Mun­

die Anlagen und Fä­

higkeiten, die in unsere Seele gelegct sind; der Unterricht und die Bil­ dung,

die unS von gewissenhaften und frommen Eltern und Lehrern

zu Theil wird; das sorgenlose frohe Leben, dem wir uns überlassen können:

dieS alles sind laute Stimmen, welche uns in der Flühe der

Jugend auffordern, uns zum Dienste Gottes vorzubereiten und tüchtig zu machen. Und der Hausvater gehet auch aus um die dritte, sechste und neunte Stunde.

34 Unaufhörlich ist Gott bemüht, seine Menschen wie auS jedem Stande, so in jedem Lebensalter zurThätigkei tfür seine heiligen Zwecke zu gewinnen. Reue überden unbenutzt gelassenen Lebensmorgen, bittere Täuschungen, schmerzliche Erfahrungen, freundliche und eindringliche Vorstellungen und Ermahnungen wohlwollender Mitmenschen, die Kraft des WorteGottes, welche zum Herzen bringt; das sind seine Boten, welche und in reiferen Lebensjahren zurufen: Gehet hin in meinen Weinberg! Ja auch noch am späten Lebensabend, um die elfte Stunde, wenn die Nacht beginnen will, da Niemand wirken kann, wird die Betrach­ tung über die Vergänglichkeit unserer Tage, über die Eitelkeit des Dich­ tens und Trachtens unseres Herzens und der traurige Blick in das Jen­ seits nach einem Leben, das seine Bestimmung auf Erden nur unvoll­ kommen erreicht oder gänzlich verfehlt hat, eine ernstmahnende Stimme GottcS, die noch übrige, wenn auch kurze Lebenszeit, seinem Dienste zu weihen und so der Seele wahres Heil zu bereiten. Ist bad aber nicht ein Beweis treuer Vaterliebe und zugleich das sicherste Kennzeichen unserer hohen Bestimmung, daß Gott an uns von frühester Jugend an bis zum spätesten Lebensalter den Ruf ergehen läßt: Geher hin in meinen Weinberg? Darum zeugt cs auch von schänd­ lichem Undank und gänzlicher Verkennung unserer Menschen- und Christenpflicht, wenn wir die rufende Stimme Gottes nicht beachten, sondern in Müßiggang, ohne Benutzung unserer Kräfte und Fähig­ keiten für das Reich Jesu Christi, die und zugemessene Lebenszeit hin­ bringen, wie es leider bei so Vielen unter uns in jedem Alter und Stande der Fall ist. Ihnen gilt der Vorwurf, den der Hausvater im Gleichnisse den in der elften Stunde ant Markte müßig Stehenden macht, indem er spricht: Was stehet ihr hier den ganzen Tag müßig? Haben solche ein Recht, zu antworten: Es hat und Niemand gedinget? Ist es ja doch nur ihrer Trägheit und Unlust Schuld, wenn sie noch nichts für Gottes heilige Sache gethan haben. Und wir sollen doch nichts umsonst thun. Gott will und für un­ sere Arbeit nach Gebühr belohnen. Es heißt: „Da es nun Abend ward, sprach der Herr deS Weinbergs zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gieb ihnen den Lohn, und hebe an an den Letzten bis zu den Ersten." Ein frohes Bewußtsein und daraus entspringende Ruhe deS Her­ zens ist der Lohn, von dem jedes Gott wohlgefällige Werk begleitet wird. Dann aber, wenn unser Tagewerk auf Erden vollbracht und die Zeit herbeigekommen ist, da JesuS Christus, der Schaffner des großen himmlischen Hausvaters, einem Jeden geben wird, je nachdem er ge­ handelt hat bei Leibes Leben, wird unS noch höherer und schönerer

35





Lohn erwarten, ein Lohn, dessen Herrlichkeit wir hienieden kaum zu ahnen vermögen. Zunächst wird er aber im Gleichnisse denen gegeben, welche am spatesten, mit die elfte Stunde des Tagcö, dem Dienste des Hausvaters sich gewidmet hatten.

Das geschieht zur Demüthigung für die, so nicht

aus Lust und Liebe zur Arbeit,

sondern um des Lohnes willen und

in selbstsüchtiger, eigennütziger Absicht dem Rufe in den Weinberg ge­ folgt waren. So werden auch uns am Tage der Rechenschaft Viele zu unserer tiefen .Beschämung vorgezogen werden,

die zwar nicht so lange,

aber

mit lauterem, einfältigerem und demüthigerem Sinn, als wir, für das Reich Gottes auf Erden thätig waren. Denn Christus, von dem wir unseren Lohn zu empfangen haben, fraget nicht darnach, wie lange und wieviel, sondern ob wir mit reinem Herzen, aus wahrer Gottes- und Menschenliebe Gutes gethan haben. „Da kamen, die um die elfte Stunde gedinget waren,

und empfing

ein Jeglicher seinen Groschen." Um einen Groschen zum Tagelohn war der Hausvater mit den ersten Arbeitern, die sich einen Lohn ausbedungen, eins geworden. Ihn erhalten auch alle übrigen. Auch wir werden ihn empfangen, wenn wir in Treue, Sorgfalt, mit der rechten Freudigkeit und im Hinblick auf Gott die unö auferleg­ ten Pflichten nachleben.

erfüllen und

seinen Geboten gewissenhaft und tadellos

Er ist aber nichts Geringeres

dieser Groschen,

als das

ewige Leben oder die ewige Seligkeit, welche Gott allen denen, die ihn lieb haben und seine Gebote halten, verheißen hat.

O kann es wohl

einen schöneren' Lohn für uns geben? Mit ihm wird uns Alles zu Theil, was unsere Seele nur wünschen und verlangen kann. Wer ihn besitzt, hat in Ewigkeit volle Genüge, und Mangel? Nie keinen. Auf solchen Lohn dürfen aber die nicht rechnen, all' ihrem Thun von Eigennutz, Welt leiten und

welche sich bei

von der Liebe zu sich selbst und zur

bestimmen ließen,

Gott aber ganz aus den Augen

setzten. „Da aber die Ersten kamen, meincten sie —■ getragen haben." Sie haben ihren

Lohn dahin, heißt es

empfangen, was recht ist. geben vermag:

von

ihnen, und haben

Die Welt hat ihnen verliehen, was sie zu

irdisches Gut,

Genuß,

Ansehen,

Ehre.

Das ist der

Groschen, den sie erhalten und der ihnen gebührt; mit der Krone des ewigen Lebens kann sie Gott durch Christum nimmer schmücken, weil

sie

sich ihrer nicht würdig gemacht haben. Die Folge davon, daß die ersten Arbeiter wider Erwarten gleichen

3*

36 Lohn mit den letzten empfingen, war Unzufriedenheit mit dem Verfah­ ren deS HauSvaterS, die sich durch Murren kund giebt. Sie können nicht begreifen, auS welchem Grunde so gehandelt wird, vermeinen viel­ mehr, daß sie, die deS Tages Last und Hitze getragen haben, höheren Lohn als jene erhalten müßten. Wer auf eigenes Verdienst und eigene Würdigkeit pocht; wer nicht Gott, sondern sich selbst die Ehre giebt: dem sind alle Wohlthaten, die er vom himmlischen Vater empfängt, zu gering und seinem Werthe nicht entsprechend. Das führt zur Unzufriedenheit mit Gott, zur Miß­ gunst und zur Scheelsucht, wenn er Andere besser zu belohnen und mehr zu beglücken scheint. Auf beiderlei Weise versündigen wir unS aber an Gott; denn er ist uns ja überhaupt gar keinen Lohn schuldig (Freund ich thue dir nicht Unrecht). Was wir für ihn thun, das thun wir allein für uns. Oder könnte der Vollkom­ mene ohne die Hülfe des armen, schwachen Sterblichen nicht bestehen? „Man kann ihn weder größer noch geringer machen, und er bedarf keines Raths." Sirach 42, 22. Auch giebt er uns,waS er ver­ sprochen hat. (Bist du nicht mit mir cinö geworden um einen Groschen? Nimm, was dein ist und gehe hin!) Sind wir fleißig in guten Werken, so giebt er uns inneren Frieden, der das ganze Leben uns verklärt; ja jede noch so geringe gute That trägt schon solchen Lohn in sich. Wenn wir also nicht empfangen, was er an Lohn dem Guten verheißen, so liegt die Schuld allein an uns und nicht an Gott. Wie unsere Handlungen, so der Lohn. Wer Böses thut, kann auch nur schlechten Lohn empfangen. Oder hat er nicht Macht, zu thun, was er will, mit dem ©einigen? Gott ist der Herr über Alles, und die Welt, so groß und weit sie ist, mit Allem, was sie in sich schließt, sein Eigenthum. Er, der un­ umschränkte Gebieter Himmels und der Erde kann und darf also von Niemand zur Rede gestellt werden. „Er macht es, wie er will, beides, mit den Kräften im Himmel, und mit denen, so auf Erden wohnen: und Niemand kann seiner Hand wehren, noch zu ihm sagen: „WaS machest du?" Dan. 4, 32. End­ lich gehet ja Gott bei Allem, was er thut, mit Güte zu Werke. (Siehest du darum scheel, daß ich so gütig bin?) Wer hat ihm etwa- zuvor gegeben, da- ihm werde wieder vergol­ ten? (Röm. 11, 35.) WaS wir sind und was wir haben, ist eitel Güte Gottes. Durch seine Gnade werden wir auch selig werden. „Ist eS aber auS Gnaden, so ist eS nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein" Röm. 11, 6. Thöricht ist eS daher, von Gott etwa- fordern zu wollen; vielmehr müssen wir uns zu um

37 so größerem Danke gegen ihn verpflichtet fühlen, je mehr und je früher und seine freie Liebe Gelegenheit bietet, ihm zu dienen, und und freuen über die Güte, mit welcher er auch die Unwürdigen zur Buße leitet. „Also werden die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein." „Gott widerstehet den Hoffärthigen, aber den Demüthigen giebt er Gnade" 1 Petr. 5, 5- Zac. 4, 6.

So schon hier auf Erden.

Dort

aber, am Himmelsthrone, wird diese Gnade gegen die Demüthigen durch Verleihung der ewigen Seligkeit in ihrer ganzen Herrlichkeit erscheinen, während die Stolzen und Hochmüthigen, die auf die Verdienstlichkeit ihrer Werke pochend mit hohen Erwartungen und Ansprüchen vor dem Rich­ ter erscheinen, von ihr ausgeschlossen werden.

Dann werden sie erken­

nen, daß, wer vor seinen eigenen Augen und vor denen der Welt hoch stehet, vor Gott gering geachtet ist. „Denn Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählet." Zur Seligkeit Auserwählte werden wir also dann nur sein,

wenn

wir in Lauterkeit, Einfalt und Demuth des Herzens die und verliehene Kraft zur Beförderung der heiligen Absichten Gottes auf Erden treu und gewissenhaft verwenden und Gutes wirken, Tag ist.

Wen

so lange es für und

aber Eigennutz und Selbstsucht zur Uebung der Tu­

gend und zur Thätigkeit für Gottes Reich antreibt, findet keine Aner­ kennung, da er nicht Gott, sondern sich gedienet hat, ist zwar ein Be­ rufener,

aber nicht

ein

AuSerwählter,

und

stehet in Gottes Augen

nicht eben höher, alS alle Uebrigen, welche auch berufen sind, aber Ohr und Herz dem Rufe stets verschlossen haben. O lasset und doch zu den AuSerwählten Gottes

gehören,

Zahl noch so klein ist! AuS Gnaden soll ich selig werden; Herz, glaubst du's, oder glaubst du's nicht? WaS willst du dich so blöd geberden? Jst'S Wahrheit, waS die Schrift verspricht, So muß auch dieses Wahrheit fein: AuS Gnaden ist der Himmel dein.

deren

38

1SJL. Don zweien Söhnen. Matth. 21, 28—32.

28. Was dünkt euch aber? ES hatte ein Mann zween Söhne, und ging zu dem ersten, und sprach: Mein Sohn, gehe hin, und arbeite heute in meinem Weinberge. 29. Er antwortete aber, und sprach: Ich will eS nicht thun. Darnach reuete eS ihn, und ging hin. 30. Und er ging zum andern, und sprach gleich also. Er antwortete aber, und sprach: Herr, ja; und ging nicht hin. 31. Welcher unter den zween hat deS Vaters Willen ge­ than? Sie sprachen zu ihm: Der erste. JEsuS sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren mögen wohl eher in'S Himmelreich kommen, denn ihr. 32. Johannes kam zu euch, und lehrete euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und ob ihr eS wohl sahet, thatet ihr dennoch nicht Buße, daß ihr ihm darnach auch geglaubt hättet. Der Hohenpriester und Pharisäer Scheinheiligkeit, Falschheit und Selbstgercchtigkeit gelten die strafenden Worte des Herrn tm Gleichnisse. Daö Bild zweier Söhne stellet er vor ihren Augen auf, von denen der eine des Vaters Auftrag, im Weinberge zu arbeiten, zuerst zwar offenherzig und bestimmt zurückweist, hernach aber doch, von Reue über seinen Trotz und Ungehorsam getrieben, erfüllt, während ihm der andere nicht nachkommt, obwohl er sich als ein gehorsames Kind anstellt, das auf deö Vaters Wink und Wort gleich willig und bereit wäre. 3m Bilde deS letzteren Sohnes sollten sie sich selber finden, in dem deö ersteren die von ihnen verachteten Zöllner und Sünder erkennen, und daraus die Wahrheit entnehmen, daß der Mensch nicht durch einge­ bildete und erheuchelte Frömmigkeit, sondern allein durch wahre und rechtschaffene Buße vor Gott gerecht werden könne. Wir Alle sind Kinder Eines himmlischen Vaters, und allzumal berufen, für sein Reich — den Weinberg — thätig zu sein. An Kraft dazu fehlt eS und nicht, und ist sie auch noch so gering, so wird doch ihre treue Benutzung uns in Gottes Augen nicht als ganz unnütze Knechte erscheinen lassen; an Gelegenheit auch nicht, denn jeden Tag, jede Stunde tritt Gott Ln Freud und Leid, in geistigem und leiblichem Segen an unö heran und spricht: Mein Sohn, meine Tochter, gehe hin und arbeite heute in meinem Weinberg. Und dieses Heute währet von der Wiege bis zum Grabe. Welchem Sohne sind wir aber gleich?

39 Ach leider! so oft dem zweiten, der wohl Ja sagt, aber deS Vaters Willen doch nicht thut. Wir Horen den Ruf Gottes und wollen ihm folgen) wir sehen die Tugend unterliegen und wollen ihr zu Hülfe eilen; die ewige Wahrheit wird mit Füßen getreten, wir wollen für fle streiten; Gott und Christus werden geschmähet und verhöhnt, wir wollen eS mit ihren Feinden aufnehmen: aber siehe da, wenn eö gilt, den Ent­ schluß auszuführen, sind wir nimmer zu finden. Unser Leichtsinn hat Alles vergessen, oder unsere Eigenliebe hat uns Alleö verleidet, oder der Muth ist uns beim Anblick der Schwierigkeiten entfallen. Wir haben unS zwar viel vorgenommen, haben viel versprochen, aber ver­ mögen nichts zu halten. Wie steht's nun mit unserer Frömmigkeit? Wahrlich, sic ist nicht besser, als die der Pharisäer und Schriftgelehrten war; denn Verblendung und Selbsttäuschung hält uns, wie sie, um­ fangen. Was Helsen doch alte noch so guten Vorsätze und Entschließungen, was nützen fromme Geberden und Worte, wenn unser ganzes Leben nicht ihr treuer Abdruck ist? Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote Gottes Matth. 19, 17; denn sein Gebot ist das ewige Leben Joh. 12, 50. Und wer seine Gebote hat und hält sie, der ist es, der Gott liebet Joh. 14, 21; E. 15, 10. Der Sohn liebte seinen Vater nicht, da er dessen Willen nicht erfüllte, wie wir unseren himm­ lischen Vater nicht lieben, wenn wir diesem Sohne gleichen. Besser, als er, war der andere Sohn. Zwar verlangte die Kindespflicht, dem Willen des Vaters mit freundlichem Sinne ohne Zögern zu folgen; aber er gehet doch bald in sich, siehet sein Unrecht ein und eilet, eS wieder gut zu machen. Die Empfänglichkeit für das Gute war noch nicht auS seinem Herzen gewichen. Wie oft setzen auch wir die heilige Kindespflicht gegen den lieben himmlischen Vater so ganz aus den Augen, obgleich er uns selbst in seinem Sohne das herrlichste Vorbild treuer Erfüllung derselben gegeben hat! Denn Christus war gehorsam biS zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze Phil. 2, 8. Da sind Trägheit und Unlust, Selbstsucht und Hoffahrt, Sinnenreiz und daS Trachten nach den Dingen dieser Welt, welche uns unseres Christen- und Kindesberufes nicht eingedenk sein lassen. Ist es daher nicht dringend nöthig, mit der Leuchte deS Wortes Gottes fleißig und mit Ernst den inwendigen Menschen zu prüfen und zu durchforschen, damit wir zur Erkenntniß seiner Mängel und Sünden gelangen? Denn ohne die lebendige Ueberzeugung unseres sündhaften Zustandes und ohne schmerzliche Reue werden wir nicht zur Besserung des Herzens und Lebens gelangen und zu einem neuen Menschen er­ stehen, der. im Glauben an den Erlöser und unter dem Gnadenbeistande des heiligen Geistes, in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott

40 ewiglich lebe.

O wohl und, wenn wir es nie an der rechten Einkehr

in unS selber fehlen lassen, und unS int Bewußtsein unserer Sünden­ schuld und Strafbarkeit mit bußfertigem Herzen aufmachen, durch eifrige und fteudige Erfüllung der göttlichen Gebote Gnade und Vergebung zu erlangen! „Denn daS ist der Wille deö himmlischen Vaterö, daß wir sollen Buße thun, und und bekehren, auf daß unsere Sünden getilget werden" Ap. Gesch. 3, 19. Doch weiß nur stiller, demüthiger Sinn den rechten Buß- und Glaubendweg zu gehen; der hochmüthige findet ihn nicht.

Johannes

kam mit der Predigt zur Buße, und selbst grobe, in Laster tief ver­ sunkene Sünder wurden bekehret.

Pharisäer und Schristgelehrte aber,

hoffärtige Heilige, die sich des Gesetzes rühmten, als gehorsame Kinder Gottes gelten wollten, und nach eigener Wahl einhergingen in Demuth und Geistlichkeit der Engel (d. t.

in

falscher, gleißnerischer Demuth)

Col. 2. 18, ließen sich weder durch ihn, noch durch das Beispiel jener reuigen, zu Gott zurückgekehrten Sünder zur Buße leiten.

Darum

spricht auch der Herr zu ihnen: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren mögen wohl eher tn’d Himmelreich kommen, denn ihr." Kehre wieder, du abtrünnige Israel, spricht der Herr; so will ich mein Antlitz nicht gegen euch verstellen.

Denn Ich bin barmherzig,

spricht der Herr, und will nicht ewiglich zürnen.

Allein

erkenne

deine Missethat, daß du wider den Herrn, deinen Gott, gesündiget hast.

XXI.

Irrem. 3, 12 — 13.

Von den bösen Weingärtnern.

Matth. 21, 33—44.

Marc. 12, 1-11.

33 Höret ein anderes Gleichniß: ES war ein Hausvater, der pflanzte einen Weinberg, und führete einen Zaun darum, und grub eine Kelter darinnen, und bauet« einen Thurm, und that ihn den Weingärtnern aus, und zog über Land. 34. Da nun herbei kam die Zeit der Früchte; sandte er seine

1. Und er fing an zu ihnen durch Gleichnisse zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg, und führete einen Zaun darum, und grub eine Kelter, und bauete einen Thurm, und that ihn aus den Weingärtnern, und zog über Land. 2. Und sandte einen Knecht, da die Zeit kam, zu den Wein-

41 Knechte zu den Weingartnern, daß sie seine Früchte empfingen. 35. Da nahmen die Weingärt­ ner seine Knechte; einen stäup­ ten sie, den andern tödteten sie, den dritten steinigten sie. 36. Abermal sandte er andere Knechte, mehr denn der ersten waren; und sie thaten ihnen gleich also. 37. Darnach sandte er seinen Sohn zu ihnen, und sprach: Sie werden sich vor meinem Sohne scheuen. 38. Da aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie un­ ter einander: Das ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn todten, und sein Erbgut an unS bringen. 39. Und sie nahmen ihn, und stießen ihn zum Weinberge hin­ aus, und tödteten ihn. 40. Wenn nun der Herr dcö Weinbergs kommen wird, waS wird er diesen Weingärtnern thun? 41. Sie sprachen zu ihm: Er wird die Bösewichter übel um­ bringen, und seinen Weinberg andern Weingärtnern auöthun, die ihm die Früchte zu rechter Zeit geben. 42. Jesuö sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen in der Schrift: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden; von dem Herrn ist daS geschehe», und iS ist wunderbarlich vor unsern Augen?" 43. Darum sage ich euch: DaS Reich GotteS wird von euch ge­ nommen und den Heiden gege­ ben werden, die seine Früchte bringen.

gärtnern, daß er von den Wein­ gärtnern nähme von der Frucht deS Weinberges. 3. Sie nahmen ihn aber und stäupten ihn, und ließen ihn leer von sich. 4. Abermal sandte er zu ihnen einen andern Knecht; demselben zerwarfen sie den Kopf mit Stei­ nen, und ließen ihn geschmähet von sich. 5. Abermal sandte er einen an­ dern ; denselben tödteten sie: und viele andere, etliche stäupeten sie, etliche tödteten sie. 6. Da hatte er noch einen ei­ nigen Sohn, der war ihm lieb; den sandte er zum lehten auch zu ihnen, und sprach: Sie wer­ den sich vor meinem Sohne scheuen. 7. Aber dieselbigen Weingärt­ ner sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn tobten, so wird daS Erbe unser seyn. 8. Und sie nahmen ihn, und tödteten ihn, und warfen ihn heraus vor den Weinberg. 9. WaS wird nun der Herr deS Weinberges thun? Er wird kommen, und die Weingärtner umbringen, und den Weinberg andern geben. 10. Habt ihr auch nicht gele­ sen diese Schrift: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein ge­ worden. 11. Von dem Herrn ist daS geschehen, und eS ist wunder­ barlich vor unsern Augen?"

42 44. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf welchen er aber fällt, den wird er zermalmen. tur. 20, 9—16. 9. Er fing aber an zu sagen dem Volk dieseö Gleichniß: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg, und that ihn den Wein­ gärtnern aus, und zog über Land eine gute Zeit. 10. Und zu seiner Zeit sandte er einen Knecht zu den Weingärtnern, daß sie ihm gäben von der Frucht deS Weinber­ ges. Aber die Wcingärtner stäupten ihn, und ließen ihn leer von sich. 11. Und über daö sandte er noch einen andern Knecht; sie aber stäupten denselbigen auch, und höhneten ihn, und ließen ihn leer von sich. 12. Und über daö sandte er den dritten; sie aber verwun­ deten den auch, und stießen ihn hinaus. 13. Da sprach der Herr deS Weinberges: WaS soll ich thun? Ich will meinen lieben Sohn senden; vielleicht, wenn sie den sehen, werden sie sich scheuen. 14. Da aber die Weingärtner den Sohn sahen, dachten sie bei sich selbst, und sprachen: Daö ist der Erbe, kommt laßt und ihn todten, daß das Erbe unser sei. 15. Und sie stießen ihn hinaus vor den Weinberg, und tödteten ihn. Waö wird nun der Herr des Weinberges densel­ bigen thun? 16. Er wird kommen, und diese Weingärtner umbringen, und seinen Weinberg andern auSthun. Da sie daö höreten, spra­ chen sie: Daö sey ferne!

DeS Herrn Zebaoth Weinberg ist daS Haus Israel Jes. 5, 7. Gott hatte sich Abrahams Samen auS der Menge der übrigen Völker auserwählt, um an ihm ein Volk zu habe», daS ihn als den alleinigen Herrn Himmels und der Erde erkennen und verehren, die Offenbarungen seines heiligen Willens als ein theureS Vermächtnis von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen und treu bewahren sollte, und das er deshalb von Anfang an wie ein sorglicher und liebevoller Vater führte, schirmte und behütete, damit cS feine große Bestimmung, das Volk deS Heils zu werden, erreichen möchte.

Ja, Israel war deS Herrn Lieblingsvolk,

für welches er in freier Liebe und Erbarmung Alles that, damit eS auf Erden als ein leuchtendes und nachahmungswürdiges Vorbild reiner Frömmigkeit und gottgefälligen Lebens, als

ein

beredter Zeuge der

43 göttlichen Größe und Herrlichkeit dastehen und vor Allem würdig vor­ bereitet sein sollte, den verheißenen Messias in Christo Jesu zu erkennen und daS von ihm dargebotene Heil im Glauben zu ergreifen. Wie man einen Weinberg umzäunt, nicht blos um ihn zu schützen und zu verwahren, sondern um ihn auch von andern Weingärten abzusondern und zu scheiden: so hatte Gott auch Israel wiemit einemZaune umschlossen, da er es als ein werthes Besitzthum mit seinem steten Schutz und Bei­ stand begleitete und es sich aus allen Völkern, die auf Erden wohnen, zum Gegenstand seiner besondern Liebes- und Gnadenerweisnngen er­ sehen hatte. Doch sollte Gottes gnädige Absicht an diesem Volke in Erfüllung gehen, und das ihm so reichlich erwiesene Wohlwollen zu herzlichem Wohlgefallen sich gestalten: so mußte cS vor allen Dingen zur willi­ gen und pünktlichen Befolgung des göttlichen Willens angehalten wer­ den. Darum empfing es das Gesetz. Durch dieses sollte, gleichwie durch die Kelter der süße Saft aus den Trauben gepreßt wird, freudi­ ger, von Gottesfurcht getragener Gehorsam gegen deö Herrn Befehle erzielt und ihm zugleich auch im treuen und gewissenhaften Halten an seinen Vorschriften und Geboten die Gewißheit der einstigen Seligkeit gegeben werden. Und damit Israel, nachdem sich ihm Gott genugsam offenbaret und seinen Willen kund gethan hatte, fort und fort in der Erkenntniß zu­ nehmen, im Glauben erstarken, und zu einem Jehova's immer würdi­ geren Wandel und Leben hingelcitet werden sollte, wurde Priestern, Schriftgelehrten und den Aeltesten daS Amt übertragen, deö geistlichen Weinbergs als die Weingärtncr mit aller Sorgfalt zu pflegen und zu warten, und der Hohepriester (Thurm) verordnet, der Wächter desselben zu sein, damit er vor allem Schaden behütet, der Gottesdienst im Tem­ pel nach der göttlichen Ordnung und Vorschrift besorgt und überhaupt dem Gesetze in Allem Genüge gethan werde. „WaS sollte man doch mehr thun an meinem Weinberge, das ich nicht gethan habe an ihm? Warum hat er denn Heerlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte?" spricht der Herr Jes. 5, 4. Kann es nun Wunder nehmen, wenn Gott, nachdem er so viel für das jüdische Volk gethan, Früchte sehen wollte, Glauben, Vertrauen, Liebe und frommen, seinem Willen gemäßen Wandel? Bebauet man doch nicht einen Weinberg ohne Hoffnung auf einen der darauf ver­ wandten Mühe und Arbeit entsprechenden Ertrag. Aber siehe da, die Knechte Gottes, die Propheten, welche in der Erwartung kamen, offene Ohren und Herzen für die göttliche Wahrheit, die sie verkündeten, und freudigen, in guten Werken thätigen Glaubensgehorsam zu finden, wur-

44 den geschlagen,*) getödtet**) und gesteinigt.-s) So groß war die Gott­ losigkeit und VoSheit! Und nachdem vor Zeiten Gott manchmal und auf mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen geredet durch den Sohn, welchen er gesetzet hat zum Erben über Alles, durch welchen er auch die Welt ge­ macht hat Hehr. 1, 1—2. Der Sohn kam in sein Eigenthum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf Joh. 1, 11. Sie erkannten nicht die unendliche Liebe Gottes, die sich in seiner Sendung offenbarte, Joh. 3, 16., und scheuten sich nicht vor seiner Herrlichkeit, einer Herr­ lichkeit alö des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit Ich. 1, 14. Ach, sie wurden auch dieses Gerechten Verräther und Mörder! Sein Blut komme über unö und unsere Kinder! schrie das tief verblendete Volk. O wäre doch sein Blut zum Heil über sie gekommen, daß sie gereinigt werden wären zum Volk deö Eigenthums und zum heiligen Volk, das da fleißig ist zu guten Werken! Tit. 2,14; 1 Petr. 2, 9—10. Darum, weil sie jederzeit dem heiligen Geiste wi­ derstrebet haben, ist auch daS Reich Gottes von ihnen genommen und den Heiden gegeben worden, die seine Früchte bringen Matth. 21, 43. Ja, der Zaun ist abgebrochen, Kelter und Thurm sind verschwun­ den. Israel ist nicht mehr das bevorzugte Volk der Erde; in Christi Reich, daS alle Menschen umfasset, soll freie Liebe und freier Gehor­ sam regieren, Jeder zum hohenpriesterlichen Geschlechte gehören. Zer­ streut, heimathlos und mit Finsterniß umhüllet, daß sie daö helle Licht deS Evangelii nicht sehen, irren nunmehr die einst von Gott so hoch gesegneten Nachkommen Abraham'S umher, bis die Zeit kommen wird, wo auch sie den Sohn küssen werden, daß er nicht zürne Ps. 2. Zur Kirche Christi aber, deren Eckstein der Herr selber ist, zum Reiche Got­ tes, welches der von den Juden verachtete und verworfene Sohn Gottes in Ewigkeit regiert, wird auch die Fülle der Heiden hinzugethan werden, denen mehr und mehr das Wert deö Lebens durch Boten und Apostel deS Herrn verkündiget wird. „Und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geist­ lichen Hause und zum heiligen Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum. Darum stehet in der Schrift: „Siehe da, ich lege einen auSerwählten köstlichen Eckstein in Zion; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden." *) Wie Micha 1 Kön. 22, 24. und Jeremias Jerem. 20, 1. 2; 37, 15. ") 1 Kön. 18, 13. t) Zacharias, der Sohn Jojadä 2 Chr. 24,21. S. auch Matth. 14,3—10.

45 (iiid) nun, die ihr glaubet, ist er köstlich; den Ungläubigen aber ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, und zum Eckstein geworden ist, ein Stein deß Anstoßens und ei» Fels der Aergerniß; die sich stoßen an dem Wort, und glauben nicht daran, darauf sie gesetzet sind 1 Petri 2, 5—8.

XXII. Von der königlichen Hochzeit.") Matth. 22. 1 -14.

1. Und Jesus antwortete, und redete abermal durch Gleich­ nisse zu ihnen, und sprach: 2. DaS Himmelreich ist gleich einem Könige, der seinem Sohne Hochzeit machte. 3. Und sandte seine Knechte auö, daß sie die Gaste zur Hochzeit riefen; und sie wollten nicht kommen. 4. Abermal sandte er andere Knechte auö, und sprach: Saget den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet, und Alles bereit; kommt zur Hochzeit! 5. Aber sie verachteten das, und gingen hin, einer auf seinen Acker, der andere zu seiner Handthierung. 6. Etliche aber griffen seine Knechte, höhnetrn und tödteten sie. 7. Da daS der König höretc, ward er zornig, und schickte seine Heere auS, und brachte diese Mörder um, und zündete ihre Stadt an. 8. Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereitet, aber die Gäste waren eS nicht werth. 9. Darum gehet hin auf die Straßen, und ladet zur Hoch­ zeit, wen ihr findet. 10. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen, und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden alle voll. 11. Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen; und sahe allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an. 12. Und sprach zu ihm: Freund, wie bist du herein ge­ kommen, und haft doch kein hochzeitliches Kleid an? Er aber ver­ stümmele. ') Siehe das Gleichniß vom großen Abendmahl.

46 13. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Fuße, und werfet ihn in die äußerste Finsterniß hin­ aus, da wird sein Heulen und Zähnklappen. 14. Denn Viele sind berufen, aber Wenige sind auSerwählet.

Der König, welcher die Hochzeit ausrichtet, ist (Sott; Christus, der Bräutigam. sein.

Wo aber ein Bräutigam ist,

da muß auch eine Braut

Mit wem will sich nun der Herr vermählen, mit wem in die

innigste

Liebeögemeinschaft

eintreten?

Zunächst

mit

seiner

Kirche

Eph. 5, 32; diese soll sich mit ihm durch das unauflösliche Band des Glaubens so innig vereinen, daß er in ihr und sie in ihm sich wieder­ findet, und unter ihnen vollkommene Einheit des Geistes und Lebens waltet; dann aber auch mit jeder einzelnen Menschcnseele, um ihr die Quelle reinster Freude und höchster Seligkeit zu werden, und weil mit jeder einzelnen Menschenseele, so also auch mit der Menschenge­ sammtheit, weshalb die Menschen,

die von allen Enden als Gäste

der Hochzeit herbeigerufen werden, mit ihm zugleich in das Verhält­ niß der Braut zum Bräutigam treten sotten. Ja,

an dem Genusse der Seligkeit in Christo Jesu möchte

der

Vater im Himmel so gern alle Menschen nach seiner unendlichen Liebe Theil nehmen lassen.

Darum höret er nicht auf, unS von frühester

Jugend an bis in das späteste Lebensalter aus mancherlei Weise, durch fromme Eltern, treue Lehrer, durch Glück und Unglück, Leid und Freud und

durch

die Stimme

seines Mortes,

zuzurufen:

Kommt,

meine

Mahlzeit ist bereitet; es fehlt an nichts, um den Hunger und den Durst des verlangenden Hcrzenö zu stillen, und jeglichen Mangel auszufüllen! -Ach, daß wir doch diese freundliche Einladung nicht verschmähen und uns nicht so gern mit allerlei leeren und nichtigen Gründen entschul­ digen wollten, wenn es gilt, der Seele Seligkeit zu schaffen! Steht ja doch der Sorge für unser ewiges Heil die Sorge für das zeitliche Wohl weit nach; können ja doch die höheren Freuden deS Geistes Gotteö in uns mit den sinnlichen Freuden des Lebens nicht verglichen werden. Aber wie die Gäste im Evangelio sich nicht bereit finden ließen, dem Rufe zur Hochzeit zu folgen,

so gehet leider

auch an Vielen

unter

unS die Aufforderung zur Theilnahme am Himmelreich und an den Freuden, die uns in der Vereinigung mit Christo erwarten, fruchtlos vorüber.

O höret es nur und beherziget es, ihr Verächter der göttlichen

Gnade, wie eS Israel erging, das auch der Stimme der zu ihnen ge­ sandten Knechte Gottes und dem Rufe des Herrn selber nicht gehorchen wollte, ja sogar dieselben verhöhnte und tödtete! Gott ließ, als das Maaß ihrer Sünden voll war, die römischen Kriegöheere kommen, Je-

47 rusalem zerstören und eine Menge unter ihnen umbringen.

Höret und

beherziget es, auf bnji nicht auch über euch die göttlichen Strafgerichte zu seiner Zeit hereinbrechen! Wiewohl aber für Alte das himmlische Hochzektmahl bereitet ist, für Böse und Gute, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde, für Jung und Alt: so findet die Theilnahme an demselben doch nur unter der Bedingung Statt, daß wir ein hochzeitliches Kleid anhaben.

Wie

sollte es auch anders sein? Zum Hochzeitsfeste muß man sich schmücken, so schön und gut man immer kann.

Willst du, daß sich dein Herz

mit dem Herrn vermählen sott, so mußt du cö auch mit lebendigem Glauben an ihn zieren.

Denn nur mit einem solchen Herzen, das sich

ihm in Gehorsam und Treue

angelobet,

gehet er den Bund seliger

Lebensgemeinschaft ein, der da gegründet ist aus Liebe, die da frohlockend spricht:

„Er ist mein und ich bin sein, Liebe hat uns fest verbunden,

wider alle Scclenpcin find' ich Trost in seinen Wunden; auf ihn bau' ich felsenfest, voller Hoffnung, die nicht läßt." das hochzeitliche Kleid, das wir tragen müssen.

Ja, der Glaube ist Weil jedoch der Glaube

völlige Hingabe des inwendigen Menschen an Christus ist, der unS so innig mit ihm vereinet, daß er in uns und wir in ihm sind: so ist auch der Herr selbst unser Schmuck- und Ehren-, unser Hochzeitkleid.

Haben

wir aber ihn im Glauben angezogen Röm. 13, 14; nun, so sind wir mit ihm in Ewigkeit vermählet, und genießen in dieser Vereinigung hier und dort die Freuden himmlischer Seligkeit. Wer aber unterläßt, sein Herz also zu schmücken und zu zieren; der wird dann wohl zu den Berufenen und Geladenen, nicht aber zu den Auscrwählten gehören; wohl in den Kreis der Hochzeitgäste, nicht aber bis zum Genuß der Hochzcitfreuden gelangen, und dereinst auf die Frage des himmlischen Vaters: „Wie bist du hereingekommen?" verstummen müssen, da er im Bewußtsein, daß ihm das hochzeitliche Kleid in der Zeit der Gnade oft genug angeboren, aber von ihm immer verschmäht worden ist, vermag.

nichts zu

seiner Entschuldigung vorzubringen

Und der zwar liebreiche, aber auch gerechte Gott, wird dann

über ihn daS Urtheil fällen: „Bindet ihm Hände und Füße und. werfet ihn in die äußerste Finsterniß hinaus, wo sein wird Heulen und Zähn­ klappen."

O schrecklicher Zustand der Verdammten,

denen gleichsam

Alles genommen und entzogen ist; die Füße, um zur Barmherzigkeit deS Richters ihre Zustucht zu nehmen, die Hände, seine Gnade anzu­ flehen, und daS Licht, ihn und seine Gerechtigkeit zu erkennen! O wie groß mag der Schmerz, die Traurigkeit, die Angst und Verzweiflung sein, in der sie sich befinden! Willst du wissen, ob du zu den Berufenen oder zu den Auser-

48 wählten gehörst, so versuche dich selbst, ob du im Glauben bist, und prüfe dich 2 Cor. 13, 5. Wer da glaubet, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden Marc. IC, 16.

xxm. XXIV.

XXV Das Gleichniß am Feigenbaum, vom wachenden Hausherrn und von einen» Menschen, der über Land zieht. Mattb. 24, 32—33.

Marc. 13, 28—29.

32. An dem Feigenbaum lernet ein Gleichniß. Wenn sein Zweig jetzt saftig wird, und Blätter ge­ winnet; so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. 33. Also auch, wenn ihr dieS alles sehet; so wisset, daß eS nahe vor der Thür ist.

24. An dem Feigenbaum lernet ein Gleichniß. Wenn jetzt seine Zweige saftig werden, und Blät­ ter gewinnen; so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. 29. Also auch, wenn ihr sehet, daß solches geschiehet; so wisset, daß eS nahe vor der Thür ist.

Luc. 21, 29-31.

29. Und er sagte ihnen ein Gleichniß: Sehet an den Feigen­ baum, und alle Bäume. 30. Wenn sie jetzt auSschlagen, so sehet ihr eS an ihnen, und merket, daß jetzt der Sommer nahe ist. 31. Also auch ihr, wenn ihr dies alles sehet angehen; so wisset, daß daS Reich GotteS n >e ist. Matth. 24, 43-44.

Luc. 12, 39—40.

43. Daö sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hauövater wüßte, welche Stunde der Dieb kommen wollte; so würde er ja wachen, und nicht in sein HauS brechen lassen. 44. Darum seid ihr auch be­ reit; denn deS Menschen Sohn wird kommen zu einer Stunde, da ihr eS nicht meinet.

39. Das sollt ihr aber wissen, wenn ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb käme; so wachte er, und ließe nicht in sein HauS brechen. 40. Darum seid ihr auch be­ reit; denn deS Menschen Sohn wird kommen zu der Stunde, da ihre- nicht meinet.

49 Marc. 13, 34—37.

34. Gleich als ein Mensch, der über Land zog, und ließ sein Haus, und gab seinen Knechten Macht, einem jeglichen sein Werk, und gebot dem Thürhüter, er sollte wachen. 35. So wachet nun (Venn ihr wisset nicht, wann der Herr deS Hauses kommt, ob er kommt am Abend, oder zu Mitternacht, oder um den Hahnenschrei, oder des Morgens). 36. Auf daß er nicht schnell komme, und finde euch schlafend. 37. WaS ich aber euch sage, daS sage ich allen: Wachet! „Siehe, ich tritt Unglück über Jerusalem und Juda bringen, daß, wer eS hören wird, dem sollen seine beiden Ohren gellen; darum, daß sie gethan haben, das mir übel gefällt, und haben mich erzürnet von dem Tage an, da diesen Tag."

ihre Väter aus Aegypten gezogen

find,

bis

auf

2 Kön. 21, 12 u. 15. — „Bessere dich, Jerusalem, ehe

fich mein Herz von dir wendet und ich dich zum wüsten Lande mache." Jerem. 4, 14.

Warum beachtete Israel solche ernst mahnende Stimmen

seines Gottes nicht? War ihm denn aus seiner, an warnenden Bei­ spielen reichen Lebensgeschichte noch nicht klar und deutlich geworden, daß ein Volk nur dann wahrhaft gesegnet ist, wenn es in den Wegen Gottes wandelt? O über die Verblendung und Herzens Härtigkeit, mit der es auch der Stimme des göttlichen Gesandten Jesu Christi sein Ohr verschloß und bad dargebotene Heil verwarf! Ach, darum ist auch das unheilvolle Wort des Herrn an ihm in Erfüllung gegangen, das Wort: „Jerusalem, Jerusalem, die du tödtest die Propheten, und steinigest, die zu dir gesandt sind,

wie oft habe ich deine Kinder versammeln

wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer HauS soll euch wüste gelassen werden."

Matth. 23, 37—38. Cf. Luc. 19, 41—44.

Wie

daS Netz über die Vögel geworfen wird, wie ein Fallstrick und gleich wie ein Dieb in der Nacht, überfiel daS sorglose Volk der Tag der Verwüstung. Die wunderbaren und schrecklichen Zeichen aber, die der Zerstörung Jerusalems und dem Untergange der jüdischen Religionsverfassung vor­ angingen, sollten die Jünger alS Vorboten schönerer Zeiten für das Reich GotteS ansehen. „Sehet an den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie jetzt ausschlagen; so sehet ihr es an ihnen, und merket, daß jetzt der Sommer nahe ist.

Also auch ihr, wenn ihr dies alles sehet

angehen; so wisset, daß das Reich Gottes nahe ist."

Und traten sie

eö etwa nicht, diese Zeichen? Hat nicht das Reich des Herrn mit dieser Zeit seinen eigentlichen Anfang genommen? Der Unterschied zwischen Juden und Heiden ward aufgehoben; ungehindert konnte nun das Wort 4

50 vom Kreuz überallhin verbreitet und alle Völker der Erde zum seligmachenden Glauben an den Heiland und zur Anbetung GotteS im Geist und in der Wahrheit geführet werden.

Wie wenn nach langen, kalten

und trüben Tagen die Sonne wieder freundlich-mild'lächelt, und auS dem Schooße der Erde die schlummernden Keime schnell hervorsprießen läßt: so fing nun das helle Licht deS Evangelii

an, seine gesegnete

Wirksamkeit auf Erden zu entfalten und mit göttlicher Kraft die Herzen der Menschen zu gewinnen. UnS aber soll Jerusalems Fall nach dem Willen deö Herrn zur ernsten Lehre dienen.

Denn wie er, so wird auch einst der Welt Ende

herbeikommen. Luc. 21, 34. 35. und unerwartet erschien,

obgleich

Und gleichwie er für Israel plötzlich er

ihnen Jahrhunderte vorher alS

Strafe für die fortdauernde Gottlosigkeit angedrohet war: so wird nicht minder für gar Viele, die sich der Sicherheit und sorglosen Nuhe er­ geben, der letzte Tag, der Tag des Gerichts, schnell hereinbrechen, viel­ leicht in den Augenblicken, da alle Umstände noch eine lange Fortdauer der Dinge dieser Welt verkünden, und um so schneller, je mehr Jahr­ hunderte zwischen

seiner Ankündigung

und Erscheinung verstreichen.

Darum ruft uns der Herr so oft zu: „Wachet!"

So wollen wir denn

auch wachen und immer darauf achten, daß.unsere Neigungen und Ge­ sinnungen niemals dem göttlichen Willen zuwider sind, dass nichts das Wachsthum unseres inwendigen Menschen in der Liebe zu Gott und zu Christus hemme und störe; wachen wollen wir, wenn auch der große Gerichtstag noch fern sein möge, um und würdig vorzubereiten auf die Zeit, da wir durch den Tod vor Gottes Richterstuhl gestellt werden, um über unser ganzes Thun und Lassen Rechenschaft abzulegen; ja wachen laßt uns, wie ein kluger Hausherr, über unö und unser ganzes HauS und wie ein treuer Knecht an der Thür des Herzens, um eS vor allem Schaden und Nachtheil zu bewahren, und nie sorglos sein, damit wir Christo, mag er unö am Morgen, am Mittag oder am Abend unseres Lebens zu sich rufen, im Bewußtsein treuer Erfüllung der uns von lhm auferlegten Pflichten freudig folgen können. Doch nicht nur wachen, auch beten wollen wir.

Denn durch's

Gebet, wenn eS ein andächtiges und gläubiges ist, werden wir in himm­ lischer Gesinnung gestärkt und zur Führung eines Gott wohlgefälligen Lebens tüchtig gemacht werden. O daß die Zahl der wachenden und betenden Christen recht groß fein wollte! O daß wir doch Alle einst als würdig von dem erhabenen Richter zu Gnaden angenommen werden möchten! Aber was spricht der Herr? „Dann werden zween auf dem Felde sein; einer wird angenommen, und der andere wird verlassen werden.

Zwo werden mahlen auf der

51 Mühle; eine wird angenommen, und die andere wird verlassen werden" Matth. 24, 40—41.

XXVI.

Vom treuen und bösen Knecht (Haushalter).

Matth. 24, 45-51.

Luc. 12, 42—48.

45. Welcher ist aber nun ein treuer und kluger Knecht, den sein Herr gesetzt hat über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit Speise gebe?

42. Der Herr aber sprach: Wie ein großes Ding ist eS um einen treuen und klugen Haus­ haltet,welchen der Herr setzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit ihre Gebühr gebe? 43. Selig ist der Knecht, welchen sein Herr findet also thun, wenn er kommt. 44. Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über alle seine Gü­ ter setzen. 45. So aber dcrselbige Knecht in seinem Herzen sagen wird: Mein Herr verziehet zu kom­ men; und sänget an zu schlagen Knechte und Mägde, auch zu essen und zu trinken, und sich voll zu saufen: 46. So wird desselbigen Knechts Herr kommen, an dem Tage, da er sichs nicht versiehet, und zu der Stunde, die er nicht weiß; und wird ihn zerscheitern, und wird ihm seinen Lohn ge­ ben mit den Ungläubigen. 47. Der Knecht aber, der sei­ nes Herrn Willen weiß, und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen gethan, der wird viele Streiche leiden müssen. 48. Der eS aber nicht weiß, hat jedoch gethan, das der Streiche werth ist, wird wenige Streiche

46. Selig ist der Knecht, wenn sein Herr kommt, und findet ihn also thun. 47. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Gü­ ter setzen. 48. So aber jener, der böse Knecht, wird in seinem Herzen sagen; Mein Herr kommt noch lange nicht; 49. Und fangt an zu schlagen seine Mitknechte, isset und trin­ ket mit den Trunkenen; 50. So wird der Herr desselbigen Knechts kommen an dem Tage, deß er sich nicht versiehet, und zu der Stunde, die er nicht meinet. 51. Und wird ihn zerscheitern, und wird ihm seinen Lohn ge­ rn mit den Heuchlern. Da wird sein Heulen und Zähnklap n.

52 leiden. Denn welchem viel ge­ geben ist, bei dem wird man viel suchen; und welchem viel befohlen ist, von dem wird man viel fordern. Von dem Tage und der Stunde, wann der Herr wiederkommen wird, Gericht zu halten,

weiß Niemand; selbst die Engel im Himmel

nicht, sondern allein der Vater Matth. 24, 36.

Wie ein Dieb in der

Nacht, also wider Erwarten und Vermuthen,

wird der große Tag er­

scheinen

und

1 Thess.

Luc. 21, 35.

5,2. 4; 2 Petr. 3,

10.,

wie

ein

Fallstrick

Darum sollen wir unS nicht der Sicherheit und Sorg­

losigkeit überlassen; sondern wachen, damit wir würdig sind,

zu stehen

vor des Menschen Sohn. Luc. 21, 36. Wer kann aber der Ankunft Christi zum Gericht mit Freuden ent­ gegensehen? Wer darf sich eines freundlichen, beseligenden Urtheilsspruchs auS seinem Munde getrosten? Nur der, welcher Gottes Gebote stets vor Augen und im Herzen hat, und sich ohne Unterlaß bestrebt, den Wil­ len des Höchsten treu und im Geiste unseres Heilands zu erfüllen, vor Allem aber das Gebot der Nächstenliebe, das dem der Gottesliebe gleich steht, da es heißt: Herzen,

von ganzer

vornehmste Gebot.

„Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Seele und von ganzem Gemüthe. DaS andere aber ist dem gleich:

DieS ist das

du sollst deinen

Nächsten lieben, als dich selbst" Matth. 22, 37—40; und welches auch des Gesetzes Erfüllung genannt wird, wenn der Apostel PauluS spricht Gal. 5, 14:

„Alle Gesetze werden in Einem Wort erfüllet, in dem:

Liebe deinen Nächsten, als dich selbst."

Ja,

Liebe zum Nächsten ist

Liebe zu Gott und zu Christus, der uns AlleS, was wir an dem Ge­ ringsten seiner Brüder gethan haben, eben so hoch anrechnen will, als hätten wir es ihm selber gethan, und dann, wenn wir an seinem Tage vor ihm erscheinen müssen, in gnädiger Anerkennung der ihm gehalte­ nen Treue zu uns sprechen wird: Kommet her, ihr Gesegneten meines VaterS, ererbet das Reich, daS euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt! Matth. 25, 31—46. Doch wollten wir in der irrigen Meinung, daß der Tag der Rechen­ schaft wohl noch weit entfernt sei, gegen unsere Nebenmenschen, beson­ ders aber gegen die, für deren zeitliches und ewiges Wohlsein wir nach GotteS Willen treulich sorgen sollen, uns, statt die uns auferlegten

lieb- und herzlos handeln,

und

Pflichten zu erfüllen, dem Müßiggang,

dem Wohlleben und der Schwelgerei ergeben:

o so würden wir dann

auch als ungetreue und gottlose Knechte — Haushalter — von dem Herrn,

der uns vielleicht ganz plötzlich und unerwartet vor sich ruft,

53 zugleich

mit den Heuchlern

und Ungläubigen das verdammende Urtheil

hören müssen: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in daS ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Ach daß wir cs uns doch möchten recht angelegen sein lassen, dem Willen Gottes, den er uns in's Herz geschrieben und in seinem heili­ gen Worte offenbaret hat,

also, daß wir keine Entschuldigung haben,

stets in willigem Gehorsam nachzuleben und die uns verliehenen Gna­ dengaben und Kräfte in seinem Dienste gewissenhaft und weise zu ge­ brauchen, damit wir von dem Herrn zu seiner Freude und zu unserer Seelen Seligkeit als treu erfunden werden! mit uns rechnen, und dann bei Allen,

Gewiß, der Herr wird einst

denen er viel gegeben, auch viel

suchen; von einem Jeglichen aber fordern, was er ihm befohlen hat.

XXVII.

Von den zehn Jungfrauen. Matth. 25, 1 —13.

1. Dann wird bad Himmelreich gleich sein zehen Jung­ frauen, die ihre Lampen nahmen, und gingen auS, dem Bräuti­ gam entgegen. 2. Aber fünf unter ihnen waren thöricht, und fünf waren klug. 3.

Die thörichten nahmen ihre Lampen,

aber sie nahmen

nicht Oel mit sich. 4. Die klugen aber nahmen Oel in ihren Gefäßen, ihren Lampen. 5. Da nun der Bräutigam verzog,

sammt

wurden sie alle schläf­

rig und entschliefen. 6. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrey:

Siehe, der

Bräutigam kommt; gehet auS, ihm entgegen! 7. Da standen diese Jungfrauen alle auf, und schmückten ihre Lampen. 8. Die thörichten aber sprachen zu den klugen: von eurem Oel, denn unsere Lampen verlöschen. 9. Da antworteten die klugen, und sprachen: Nicht also; auf daß nicht und und euch gebreche. Gehet aber hin zu den Krämern, und kaufet für euch selbst. 10. Und da sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und welche bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit; und die Thür ward verschlossen.

54 11. Zuletzt kamen auA) die andern Jungfrauen, und sprachen; Herr, Herr, thue unö auf! 12. Er antwortete aber, und sprach: Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht. 13. Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher deS Menschen Sohn kommen wird. Dieses Gleichniß ist ein rechter Spiegel,

in dem wir unö Alle

fleißig beschauen und dann mit redlichem Ernste fragen sollten, welchen Jungfrauen wir ähnlich sind, ob den fünf thörichten oder den fünf klugen?

Denn um uns zur Selbstprüfung aufzufordern, hat es unser

Meister und Herr, als er auf Erden wandelte, gesprochen. Alle zehn Jungfrauen sind nun darin einander gleich, daß sie sich insgesammt aufmachen, dem Bräutigam entgegenzugehen; aber unter sich verschieden,

da sie sich nicht in gleicher Weise auf die der Zeit

nach ungewisse Ankunft desselben vorbereiten.

Fünf, die thörichten, neh­

men nur die Lampen mit, vergessen aber das Oel.

Womit wollen sie

nun den Docht tränken, damit er brenne, wenn vielleicht der Bräutigam in später, dunkler Nacht erscheint?

Vortreffliches Bild Vieler, die dem

Himmelreiche auf Erden, der Kirche Jesu Christi, angehören!

Daß der

Herr, wie er selbst verheißen hat, wiederkehren wird, und daß sie sich auf seine gewisse Zukunft vorbereiten müssen, ist ihnen wohl bewußt; doch ist die Art der Vorbereitung nicht die rechte. Wahne,

Sie leben in dem

auf den Namen und die Würde ächter Jünger Christi schon

dann gerechten Anspruch machen zu können und von dem Herrn als solche einst angenommen und der Freuden des ewigen Lebenö theilhaftig zu wer­ den, wenn sie in blos äußerlicher Frömmigkeit und Heiligkeit den An­ forderungen, die er an die Seinigen stellt, nachkommen. Oder giebt eö un­ ter den Christen nicht etwa solche, die nur auS Gewohnheit daS Got­ teshaus besuchen und zum Tische des Herrn hinzutreten; die wohl oft: Herr, Herr! sprechen, ohne den Willen des Vaters im Himmel zu thun; deren Knie sich wohl beugen und deren Hände sich zum Gebet falten, ohne daß das Herz etwaS davon weiß?

O diese Alle, die sich

zwar zum Christenthum bekennen, ohne doch in Wahrheit Christen zu sein, sind wie die thörichten Jungfrauen, die wohl Lampen haben, aber kein Oel. Anders, als diese, machen es die fünf übrigen Jungfrauen.

Sie

nehmen klüglicherweise Lampen und Oel mit sich. Wollen wir, als die Glieder, mit dem Haupte Christus nicht in blos äußerlicher, sondern in der rechten Lebensgemeinschaft stehen: so müssen ttir uns bei Allem,

was wir thun,

allein von seinem Geiste

seiten und den Glauben an ihn in unserem Herzen so tiefe Wurzeln

55 schlagen lassen, daß alle unsere Werke lediglich sein treuer Ausdruck sind. Ja der Glaube an den Herrn ist das Oel, das wir in unserem Inneren, als dem rechten Gefäße für dasselbe, tragen müssen, wenn wir ihn bei seiner dereinstigen Wiederkunft würdig vorbereitet empfangen wollen. Weil aber der Glaube Eigenthum dcS inwendigen Menschen ist und seinen bleibenden Sitz im Herzen hat, das er ganz und gar durchdringen und erfüllen muß: so kann er auch nicht, wie ein äußer­ liches Gut, von Anderen gegeben und mitgetheilt werden, sondern wir haben ihn uns durch immer größeres Wachsthum in der Erkenntniß Gottes und Christi anzueignen und als eine Gabe des heiligen Geistes im brünstigen Gebete zu erflehen. Das muß aber zur rechten Zeit ge­ schehen. Sicherheit, Sorglosigkeit und geistlicher Schlaf haben leider schon Viele um ihr ewiges Heil gebracht. So wurden ja auch die thörichten Jungfrauen, welche die gelegene Zelt, Del zu kaufen, hatten unbenutzt vorübergehen lassen, und nun das Versäumte nachholen wollten, von dem unerwartet kommenden Bräutigam von den Freud.m der Hoch­ zeit ausgeschlossen. Wird es uns besser ergehen, wenn uns der Herr über kurz oder lang, vielleicht zu einer Zeit, wo wir uns am sichersten fühlen, zu sich ruft, Gericht mit uns zu halten, sobald wir uns nicht mit dem Del des Glaubens versehen haben, das doch allein unser Herz zubereiten kann, an dem Genusse der Seligkeit Theil zu nehmen? Ach, wie schrecklich wurde uns dann daö Wort des LebenSfürsten sein Joh. 10, 11, das wir auf unsern Ruf: Herr, Herr, thue uns die Pforten deines Freudensaalö aus! vernehmen müßten, das Wort: „Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht!" D gewiß um so schrecklicher und schmerzlicher im Gefühle alleiniger Schuld und bei der Ahnung von der Größe des Verlustes! Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, wann des Menschen Sohn kommen wird. „Gott hat die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebietet er allen Menschen an allen Enden, Buße zu thun, darum, daß er einen Tag gesetzt hat. auf welchem er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit, durch einen Mann, in welchem er's beschlossen hat, und Jedermann vorhält den Glauben, nachdem er ihn hat von den Todten auferwecket" Ap. Gesch. 17, 30—31.

56

XXVIII. XXIX. Vom vergrabenen Centner und von den anvertrauten Pfunden. Matth. 25, 14 — 30.

Luc. 19, 12-27.

14. Gleichwie ein Mensch, der über Land zog, rief seine Knechte, und that ihnen seine Güter ein; 15. Und einem gab er fünf Centner, dem andern zween, dem dritten einen, einem jeden nach seinem Vermögen; und zog bald hinweg. 16. Da ging der hin, der fünf Centner empfangen hatte, und handelte mit denselbigen, und gewann andere fünf Centner. 17. Desgleichen auch, der zween Centner empfangen hatte, gewann auch zween andere. 18. Der aber Einen empfangen hatte, ging hin, und machte eine Grube in die Erde, und verbarg feines Herrn Geld. 19. Ueber eine lange Zeit kam der Herr dieser Knechte, und hielt Rechenschaft mit ihnen. 20. Da trat herzu, der fünf Centner empfangen hatte, und legte andere fünf Centner dar, und sprach: Herr, du hast mir fünf Centner gethan; stehe da, ich habe damit andere fünf Cent­ ner gewonnen. 21. Da sprach sein Herr zu ihm: Ei, du frommer und ge­ treuer Knecht, du bist über We­ nigem getreu gewesen; ich will dich über Viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude! 22. Da trat auch herzu, der zween Centner empfangen hatte, und-sprach; Herr, du hast mir

12. Und sprach: Ein Edler zog fern in ein Land, daß er ein Reich einnähme, und dann wiederkäme. 13. Dieser forderte zehn seiner Knechte, und gab ihnen zehn Pfund, und sprach zu ihnen: Handelt, bis daß ich wieder­ komme. 14. Seine Bürger aber waren ihm feind, und schickten Botschaft nach ihm, und ließen ihm sagen; Wir wollen nicht, daß dieser über unS herrsche. 15. Und eS begab sich, da er wiederkam, nachdem er daS Reich eingenommen hatte: hieß er diefelbigen Knechte fordern, welchen er daS Geld gegeben hatte, daß er wüßte, was ein jeglicher ge­ handelt hätte. 16. Da trat herzu der erste, und sprach: Herr, dein Pfund hat zehn Pfund erworben. 17. Und er sprach zu ihm: Ei du frommer Knecht, dieweil du bist im Geringsten treu gewesen, sollst du Macht haben über zehn Städte. 18. Der andere kam auch, und sprach: Herr, dein Pfund hat fünf Pfund getragen. 19. Zu dem sprach er auch: Und du sollst sein über fünf Städte. 20. Und derdrittekam auch, und sprach: Herr, siehe da, hier ist dein Pfund, welches ich habe im Schweißtuch behalten;

57 zween Centner gethan; siehe da, ich habe mit denselben zween andere gewonnen. 23. Sein Herr sprach zu ihm: Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen; ich will dich über Viel setzen, gehe ein zu dei­ nes Herrn Freude! 24. Da trat auch herzu, der Einen Centner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist; du schneidest, wo du nicht gesäet hast, und sammlest, da du nicht gestreuet hast; 25. Und fürchtete mich, ging hin, und verbarg deinen Cent­ ner in die Erde. Siche, da hast du das Deine. 26. Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du Schalk und fauler Knecht, wußtest du, daß ich schneide, da ich nicht gesäet habe, und sammle, da ich nicht gestreuet habe; 27. So solltest du mein Geld zu den Wechslern gethan haben, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir ge­ nommen mit Wucher. 28. Darum nehmet von ihm den Centner, und gebet eS dem, der zehn Centner hat. 29. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, daS er hat, genommen werden. 30. Und den unnützen Knecht werfet in die äußerste Finsterniß hinaus, da wird sein Heulen und Zähnklappen.

21. Ich fürchtete mich vor dir, denn du bist rin harter Mann; du nimmst, daS du nicht gelegt hast; und erntest, daS du nicht gesäet hast. 22. Er sprach zu ihm: AuS deinem Munde richte ich dich, du Schalk. Wußtest du, daß ich ein harter Mann bin, nehme, daö ich nicht geleget habe, und ernte, das ich nicht gesäet habe; 23. Warum hast du denn mein Geld nicht in die Wechselbank gegeben? Und wenn ich gekom­ men wäre, hätte ich eS mit Wucher erfordert. 24. Und er sprach zu denen, die dabei standen: Nehmt daS Pfund von ihm, und gebt eS dem, der zehn Pfund hat. 25. Und sie sprachen zu ihm: Herr, hat er doch zehn Pfund. 26. Ich sage euch aber: Wer da hat, dem wird gegeben wer­ den; von dem aber, der nicht hat, wird auch daS genommen werden, daS er hat. 27. Doch jene, meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringet her, und erwürget sie vor mir.

58 Der Herr ist nach Vollendung seines Erlösungswerkes hingegangen, um den ©einigen im Hause des VaterS, darinnen viele Wohnungen sind, die Stätte zu bereiten Joh. 14, 2. 3, und sich zu setzen zur Rechten Gottes in der Höhe, um mit ihm in Ewigkeit Himmel und Erde zu regieren. Er ist der Mensch, der über Land, der Edle, der in die Ferne zog, damit er ein Reich einnähme. Wie aber ein weiser Hausherr, ehe er auf lange Zeit von dannen geht, jedem seiner Knechte einen bestimmten Wirkungs- und Berufökreis anweis't, den er treu und nach bestem Vermögen ausfüllen soll, damit das Hauswesen nicht leide, vielmehr auch während seiner Abwesenheit immer fröhlicher gedeihe zur Freude des zurückkehrenden Herrn und zu eigenem Nutz und Frommen der Knechte: so hat auch unser Herr Jesus den Seinen allen als heilige Pflicht auferlegt, für seine Sache thätig zu sein, sein Werk zu betreiben, sein Reich auf Erden immer mehr auszubreiten, und zwar nach dem Maaße der Gaben und Kräfte, welche uns von Gott verliehen worden sind. Ist nun dein Vermögen groß, —• und der Herr weiß das wohl, — so übergiebt er dir fünf Centner, d. h. er stellet an dich die An­ forderung, daß du nun auch für ihn ganz besonders wirken und für sein Reich die Herzen Vieler gewinnen sollst. Wohl dir, wenn dieses dein Bemühen und Streben reich an gesegnetem Erfolge ist. Das Be­ wußtsein, nach Kräften und aus reinem Herzen für den Herrn gearbeitet zu haben, gewährt schon hier auf Erden inneren Frieden und dort die Fülle der Seligkeit. Denn der Herr wird zu dir sprechen, wie der Mensch im Gleichnisse zu seinem Knechte, dessen fünf Centner andere fünf gewonnen hatten: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen; ich will dich über Viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!" Weniger Centner, zween oder einen, giebt Christus denen, welche von Gott mit geringerem Vermögen .versehen sind. Doch haben sich auch diese nicht minder seines Beifalls und Lobes zu erfreuen, als jene, wenn sie, von Liebe zu Gott getrieben, mit aller Treue und Sorgfalt zur Verbreitung seines NamenS und seines Reiches, so weit sie es ver­ mochten, beigetragen und überhaupt keine Gelegenheit unbenutzt gelassen haben, Tugend, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu befördern, dagegen alles gottlose und unheilige Wesen zu unterdrücken. DaS Wort deS Herrn: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über Wenigem getreu gewesen; ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude!" gilt auch ihnen. Aber sollte wohl einem Menschen gar kein Centner oder gar kein Pfund anvertraut worden sein? Mitnichten! Wie im Gleichnisse jeder Knecht wenigstens mit einem Centner oder einem Pfunde bedacht

59 wird, so ist auch Jedem im Reiche GotteS seine Stellung angewiesen, darinnen er für daö Ganze wirken und schaffen soll.

Der Reiche und

Arme, Hohe und Niedere, sie Alle, welchem Alter, welchem Stande, mögen, welchen Verhältnissen des Lebens sie immer angehören sollen als Glieder des 'Einen Leibes, dessen Haupt Jesus Christus ist, dazu beitragen, daß der ganze Leib immerdar gesund sei, und von Tag zu Tag

kräftiger werde.

Doch wie cs

unter den Gliedern unseres

Leibes neben den gesunden auch schwache und kranke giebt, welche die ihnen zugewiesene Thätigkeit nicht ausüben

und dadurch daS Inein­

andergreifen und Zusammenwirken der einzelnen Kräfte zu Einem Ziele hin hemmen und stören, also, daß der ganze Leib darunter leidet: so giebt eö auch unter den Gliedern am Leibe Christi gesunde und kranke, starke und schwache, lebendige und todte. Das sind aber an ihm

die kranken und faulen Glieder, die eS

machen, wie der Knecht im Gleichnisse, der den ihm anvertrauten Centner (Pfund) in die Erde verbarg, und ihn da unbenutzt bis zur Rückkehr seines Herrn liegen ließ, also die, welcbe wohl dem Namen nach, aber nicht in der That und Wahrheit Christen sind, da sie sich in gänzlicher Verkennung und Nichtachtung ihres Christenberufes und ihrer Christen­ würde ohne allen Eifer, ohne alle Theilnahme für die heilige Sache deö Herrn zeigen und zur festeren Begründung und weiteren Verbrei­ tung deS Himmelreichs auf Erden in keinerlei Weise bchülflich sind. Doch wie Treue und Fleiß

im Dienste des Reiches GotteS nicht

unbelohnt, so bleibt auch Trägheit und Pflichtvergesscnhcit nicht ohne die verdiente Strafe, wenn es uns auch immerhin so scheinen mag. Wir müssen Alle vor dem Richterstuhle Christi offenbar werden, damit ein Jeglicher empfange, je nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse 2 Cor. 5, 10. Und wenn nun dieser Tag der Rechenschaft erscheint, womit wollen wir dann unsere Unlust und Nach­ lässigkeit entschuldigen? Wollen wir cs etwa machen wie der faule Knecht, der die Schuld von sich ablehnt, und allein auf seinen Herrn schiebt? Das wäre in der That sehr ungerecht.

Wie könnten wir mit gutem

Gewissen zu unserm Heiland sagen: „Du bist ein harter Mann, willst schneiden, wo Du nicht gcsäet, und sammeln, wo Du nicht gestreuet hast?" Hat er doch aus unendlicher Liebe Alles gethan, was zu unserer Seelen Seligkeit nur immer erforderlich ist! Vergehet doch kein Tag, und keine Stunde unseres Lebens, da wir nicht an Liebe, an Glauben, an Frömmigkeit,

überhaupt an allen Gott wohlgefälligen Tugenden

reicher werden könnten! Bietet er und doch so oft in unseren Verhält­ nissen die günstigsten Gelegenheiten dar, für die göttliche Wahrheit in die Schranken zu treten, für ihn vor der Welt Zeugniß abzulegen,

60 dem Unglauben und Zweifel offen entgegenzutreten und für sein Reich Seelen zu gewinnen! Hat er nun nicht gestreuet und gesäet? O wohl hat er daö! Aber leider lassen wir uns nicht von seiner Güte zur Buße leiten, lassen alle jene Gelegenheiten und Ermunterungen, die er uns bietet, unbenutzt und unbeachtet an uns vorübergehen, und legen müßig die Hände in den Schoß, wo es gilt, für ihn zu wirken. Da kann er freilich, trotz der reichen Aussaat, keine Frucht an uns erblicken, die seinen Erwartungen irgendwie entspräche; nicht nehmen, da er geleget, nicht erndten, da er gesäet hat. Wir kennen ja die Stellung nicht, die er uns in seinem Reiche angewiesen; wir haben ja das Pfund, daö er uns anvertraut, in das Schweißtuch eingewickelt, unseren Centner in die Erde vergraben, und nicht bedacht, daß der Herr auch mit den ge­ ringsten Zinsen zufrieden gewesen wäre, wenn uns trotz des eifrigsten Bemühens die uns verliehenen Kräfte nicht gestattet hätten, einen größeren Erfolg unserer Thätigkeit für sein Reich herbeizuführen. Ja, die Schuld liegt lediglich an uns. Darum werden dann auch alle Entschuldigungen und Ausreden, damit wir uns etwa zu rechtfertigen gedenken, als leer und nichtig zurückgewiesen werden, oder wohl gar alö unsere eigenen Ankläger erscheinen. Und was wird nun die unausbleibliche Folge unserer Saumselig­ keit sein? ES wird uns auch der Eine Centner (Pfund) genommen, und dem gegeben werden, der mit seinen fünf Centnen fünf andere (mit dem einen Pfunde zehn andere) gewonnen hat, auf daß er die Fülle habe. DaS ist schon der Fall hier auf Erden. Denn wie der, welcher wenig liebt, endlich ganz von Liebe leer, und wer viel liebt, an Liebe immer reicher wird: so macht unS auch Unlust und Trägheit im Dienste des Herrn endlich ganz unwürdig und ungeschickt, Arbeiter in seinem Reiche zu sein, während uns eifrige Erfüllung unserer Christen­ pflichten mit immer größeren Gaben und Kräften ausrüstet und eine immer höhere Stellung in demselben einnehmen läßt. Dort aber, zur Zeit der Rechenschaft, werden wir, wenn wir hienieden nicht Christi Ehre und unserer Nächsten Heil gesucht haben, mit allen denen, die ihn nicht als ihren Herrn anerkennen und seinem Willen nicht nach­ leben wollten Luc. 19, 27, von seiner Gnade und Barmherzigkeit gänz­ lich ausgeschlossen werden, und sehen, wie die, so ihm treu gedienet, in die Wohnungen- der ewigen Seligkeit eingeführt werden, damit sie die Fülle haben. O unaussprechlich süßer Lohn, der den Gerechten erwartet! Mensch, betrachte in Ehrfurcht und Demuth die Gnade deS Herrn Luc. B. 25, uud strebe darnach, ihrer würdig und theilhaftig zu werden!

XXX. Vom Weltgericht. Matth. 25, 31—46.

31. Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in sei« ner Herrlichkeit, und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit. 32. Und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. 33. Und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, und die Böcke zur Linken. 34. Da wird denn der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet daS Reich, daS euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget. 36. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. 37. Dann werden ihm die Gerechten antworten, und sa­ gen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen, und haben dich gespeiset? Oder durstig, und haben dich getränket? 38. Wann haben wir dich einen Gast gesehen, und beher­ berget? Oder nackend, und haben dich bekleidet? 39. Wann haben wir dich krank oder gefangen gesehen, und sind zu dir gekommen? 40. Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: WaS ihr gethan habt Einem unter die­ sen meinen geringsten Brüdern, daS habt ihr mir gethan. 41. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in daS ewige Feuer, daS bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht ge­ speiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht ge­ tränket. 43. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet. 44. Da werden sie ihm auch antworten, und sagen: Herr, wann haben wir dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen

G2 Gast, oder nackend, oder krank, oder gefangen, und haben dir nicht gedienet? 45. Dann wird er ihnen antworten, und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht gethan habt Einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan. 46. Und sie werden in die ewige Pein gehen; aber die Gerechten in das ewige Leben. Bevor der Herr den Leidensweg betritt, um zur Erlösung für Viele am Stamme des Kreuzes zu sterben, redet er noch einmal ausführlich von seiner einstigen Wiederkunft an die gewisse und Lebens

zum Weltgericht, damit der Glaube

Zukunft desselben uns zur Heiligung

antreiben solle,

daß,

unseres HcrzenS

wenn wir vor unserem Richter er­

scheinen müssen, wir alsdann unbcsteckt und unsträflich vor ihm erfun­ den werden 2 Petr. 3,

14.

Ganz anders aber wird diese seine letzte

Erscheinung sein, als es die erste

im Fleische war.

Er wird wieder­

kommen: aber nicht in der Niedrigkeit eines Menschen, sondern in der Herrlichkeit,

die er bei dem Vater hatte,

der Gestalt eines schwachen Sterblichen,

ehe die Welt war; sondern in

nicht in

der Majestät des

himmlischen Königs; nicht umgeben von armem und verachteten Jün­ gern, sondern

begleitet von heiligen

Engeln,

als den Zeugen seiner

Gerechtigkeit und Gnade und den Vollziehern seiner Strafurtheite.

Ja

er wird wiederkommen: dann ab.r wird es nicht von der Willkühr der Menschen abhangen, ob sie ihn als ihren Herrn und Richter anerken­ nen wollen; vielmehr werden alle Völker vor ihm versammelt werden und auf seinen Ruf werden sogar die Erde und das Meer ihre Todten wiedergeben,

damit Lebendige

und Todte von ihm das Urtheil ihrer

Begnadigung oder ewigen Verwerfung empfangen.

Welch ein Anblick

wird es dann sein, wenn die Fürsten und die Bettler, die Obrigkeiten und die Unterthanen, die Verfolger mit den Verfolgten, die Feinde mit ihren Beleidigern, die Mörder mit den Ermordeten ihrem Richter ge­ genüber

stehen

und

dann

Jedem nach

seinem Verhalten auf Erden,

nicht nach dem Namen, nicht nach den Vorzügen und den Ehrenstellen, die er hier bekleidet, der ihm gebührende Platz angewiesen wird! Denn gleichwie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet, so wird

auch

Christus die Guten,

Frommen und Gläubigen von allen

denen absondern, welche seine Gnade, die er allen Sündern ohne Aus­ nahme angeboten hat, muthwillig

verachtet und verworfen haben und

bis an ihr Ende ohne Reue und Buße in ihres Herzens Verkehrtheit verblieben sind, und jene zu Wie lieblich und süß

seiner

Rechten, diese

wird es dann denen zur

zur Linken stellen.

Rechten klingen,

aus

dem Munde ihres Erlösers, dem ihre Herzen in Liebe schon auf Erden

63 schlugen, den ihr Mund so oft mit freudiger und gläubiger Zuversicht bekannt, gelobet und gepriesen hat, die freundlichen Worte zu verneh­ men: Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet daö Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Müssen sie nicht von um so innigerer Freude erfüllt werden, wenn sie die Werke des Glau­ bens und der Liebe, die hier verkannt blieben, vor Engeln und Men­ schen aus dem Munde dessen, der da allein recht richtet, gerühmt sehen; wenn sie hören, daß Alles, was sie in seinem Namen an dem Ge­ ringsten seiner Brüder oder Schwestern hienieden gethan haben, von ihm eben so hoch angerechnet wird, als hätten sie cs ihm selbst gethan; wenn sie erfahren, daß er aller ihrer Schwachheiten und Fehltritte um der Liebe willen, die sie ihren Mitmenschen und dadurch auch ihm erwie­ sen, nach seiner unendlichen Gnade nicht gedenket? Ja, müssen sie sich nicht unaussprechlich freuen, wenn sie unmittelbar von dem Rich­ terstuhle in seinen Freudensaal, in das ewige Leben, eingehen können? Furcht und Entsetzen wird sich dagegen der Gottlosen bemächtigen, wenn sie in ihrem Richter Jesum erkennen, den sie verachtet und ver­ spottet, dessen Lehre und Verdienst sie durch Unglauben und Ungehor­ sam herabgewürdiget haben; Schrecken wird sie erfüllen, wenn ihre Un­ barmherzigkeit gegen den armen und hilfsbedürftigen Bruder, ihre Lieb­ losigkeit gegen den Unglücklichen, ihre Härte gegen den Schwachen, überhaupt alle ihre geheimen und offenbaren Uebertretungen der gött­ lichen Gebote, deren größtes und vornehmstes ist: „Liebe Gott und dei­ nen Nächsten, als dich selbst", bekannt gemacht und sie dann als Strafe für ein Leben, das der thätigen Liebe entbehrte, an der doch der Herr die Seinigen erkennen will, mit den unheilsvollen Worten: „Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in daö ewige Feuer, das be-' reitet ist dem Teufel und seinen Engeln! zu ewiger Pein verdammet werden. Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen Vieler Sünde. Zum andernmale wird er, ohne Sünde, erscheinen denen, die auf ihn war­ ten, zur Seligkeit Ebr. 9, 28. Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und züchtigt und (hält uns an), daß wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung deö großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi Tit. 2, 11—13. Und er hat uns geboten zu predigen dem Volk, und zu zeugen, daß er ist verordnet von Gott ein Richter der Lebendigen und der Todten Apgsch. 10, 42. -

64 Einst wird er wiederkommen, Den Bösen zum Gericht; Den Schaaren seiner Frommen Mit Gnad' und süßem Licht. Komm, Jesu! unsre Sonne, Und leit' uns allzumal, Zu ew'ger Freud' und Wonne, In Deinen Himmelssaal.

XXXIe Dom Samen. Marc. 4, 26—29.

26. Und sprach: DaS Reich GotteS hat sich also, als wenn ein Mensch Samen aufö Land wirst, 27. Und schläft, unh stehet auf Tag und Nacht, und der Same gehet auf, und wächset, daß er eS nicht weiß; 28. Denn die Erde bringet von sich selbst zum ersten daS GraS, darnach die Aehren, darnach den vollen Weizen in den Aehren. 29. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schicket er bald die Sichel hin, denn die Erndte ist da. Ist der Same dem Schooße der Erde anvertraut, dann hat der Landmann das Seinige gethan. Was aus demselben werden möchte, stehet nicht bei ihm. Ruhig und sorglos schläft er daher deS NachtS und wachet bei Tage, um seinen übrigen Geschäften nachzugehen, ge­ duldig harrend, daß der ausgestreute Same durch Gottes Segen wachse und gedeihe. Und die Saat sproßt hervor und wird von Tag zu Tag größer, ohne daß er weiß, wann und wie sie aufgegangen und wie sie wächset. Denn verborgen ist die still schaffende Kraft der Natur, mit der sie das Samenkörnlein in weiser Stufenfolge und nach unveränder­ lichen Gesetzen sich bis zur reifen und vollkommenen Frucht fortent­ wickeln läßt, damit sie der Mensch dann sammeln und sich ihrer er­ freuen kann. Ebenso haben wir das Unsrige gethan, wenn wir das Wort Got­ teS in die Herzen der Menschen ausgestreuet haben. Wie der göttliche Same des Wortes in denselben wirke, wie er Gesinnungen und Be­ strebungen umschaffen und überhaupt das ganze innere und äußere Le­ ben veredeln und heiligen möchte, stehet nicht bei und. Daher müssen

65 wir in Geduld erwarten, was Gott, der allein das Gedeihen giebt, da­ mit nach seiner Weisheit beschlossen hat, und dürfen nicht verzagen, wenn unsere Belehrungen nicht sogleich befolgt, unsere Ermahnungen nicht sogleich beherzigt, unsere Mühe und Arbeit an den Seelen Ande­ rer nicht sogleich

mit einem gesegneten Erfolge gekrönt werden sollte.

Unterlassen wir nur nicht, das köstliche Samenkorn zu nähren und zu pflegen,

so wird schon die dem Worte Gotteö beiwohnende Kraft,

belehren, zu bessern und zu erbauen,

zu

an dem Herzen sichtbar werden.

Wie spricht der Geist Gottes in der Schrift Jes. 55, 10—11? „Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fallt und nicht wieder dahin kommt; sondern feuchtet die Erde und machet sie fruchtbar und wachsend, daß sie giebt Samen, zu säen, und Brod, zu essen: also soll das Wort, so aus meinem Munde gehet, auch sein.

ES soll nicht wie­

der zu mir leer kommen, sondern thun, das mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich es sende." O seliges Gefühl, wenn wir dann sehen, daß das Wort, das wir in der Hoffnung auf Gottes Segen gepflanzet, eine gute Stätte gefun­ den hat und sich fröhlich entwickelt!

O Freudentag der Erndte, wenn

uns seine Früchte in reicher Fülle und in prangender Schönheit entge­ genstrahlen, — lebendiger Glaube an Gott und den Heiland, im engsten Bunde mit treuer Liebe und zuversichtlichem Vertrauen!

O unaus­

sprechliche Wonne, wenn wir sie, an deren Seelen wir unter Gotteö Beistände gearbeitet haben, dort am Throne Gotteö mit der unverwelktichen Krone der Ehren geschmückt wiederfinden!

XXXH. und XXXHI. Bon zwei Blinden und vom Splitter und Balken. Luc. 6, 39—42. (f. auch Matth. 7, 3—5.)

39. Und er sagte ihnen ein Gleichniß: Mag auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? 40. Der Jünger ist nicht über seinen Meister; wenn der Jünger ist wie sein Meister, so ist er vollkommen. 41. WaS siehest du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? 42. Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehest selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du 5

66 Heuchler, ziehe zuvor den Dalken aus deinem Auge; und besiehe dann, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest. Wie so selten wird doch wahre Selbsterkenntniß unter den Christen gefunden!

Wie ist doch daö eigene Innere Vielen so ganz unbekannt!

Woher diese Erscheinung?

ES ist die traurige Folge der verkehrten

Eigenliebe, welche den Blick in daS Innere scheut, und deS herrschen­ den WeltsinneS, der es nicht zur Prüfung kommen laßt.

Und dennoch

ist es so überaus wichtig und nothwendig, daß wir vor Allem unsere eigenen

fehlerhaften Neigungen

und sinnlichen Triebe kennen lernen

und zur Ueberzeugung von unserer Unwürdigkeit gelangen, wenn wir unS nicht allein zu einem immer regeren Streben nach Vervollkomm­ nung angetrieben fühlen, sondern auch

in der Beurtheilung unserer

Nebenmenschen gerecht und billig sein und zu ihrer Besserung und Heiligung, wie eS

uns

die Pflicht gebietet, beittagen wollen.

Wie

thöricht würde es doch sein, wenn wir, gegen die eigenen Fehler blind, dem strauchelnden Bruder die helfende Hand reichen und ihm Leiter und Führer sein wollten!

Würden wir ihn nicht zugleich mit unS in'S

Verderben ziehen und unsere Schuld und Sttafe dadurch nur vergrö­ ßern?

Wie vermessen,

sich Anderen zum Lehrer und Meister auszu­

werfen, sobald wir selbst so arm, so unvollkommen sind! eS denn dienen?

Wozu sollte

Können wir sie ja doch nicht weiter führen und för­

dern, als wir selbst nur gekommen sind.

Wie heuchlerisch, unter dem

Scheine eines frommen Eifers für das Gute (halt stille, Bruder —) und einer aufrichtigen Liebe zum Nächsten immerdar daS Auge gegen Anderer noch so kleine Fehler offen zu halten und es dagegen für ben' eigenen sündhaften Herzenszustand zu verschließen! dich selbst!

O darum: Erkenne

Prüfe dein Inneres mit Fleiß und Sorgfalt!

Beschaue

dich im Spiegel des göttlichen Wortes und frage dich oft: Wer bin ich? bis dir die Antwort wird: Ach, ein armer, sündiger Mensch, wie alle übrigen Menschen,

der Liebe des himmlischen Vaters unwürdig und

seiner Gnade so ganz bedürftig.

Das wird dich dann gegen deine Ne­

benmenschen geduldig und sanftmüthig machen, dich vor allen lieblosen Urtheilen über sie bewahren und dich antreiben, nen Mittler und Heiland,

Jesum Christum, dei­

zu deinem Beistände in der Vervollkomm­

nung zu wählen, dich ihm als dem rechten Führer und Wegweiser anzuverttauen und deine Brüder seiner gnädigen Hülfe zum Werke ihrer Besserung und Heiligung anzuempfehlen.

67

XXXIV. Vom barmherzigen Samariter. Luc. 10, 25-37.

25. Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter aüf, versuchte ihn, und sprach: Meister, waS muß ich thun, daß ich das ewige Leben ererbe? 26. Er aber sprach zu ihm: Wie stehet im Gesetz geschrie­ ben? Wie liesest du? 27. Er antwortete, und sprach: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften, und von ganzem Gemüthe; und deinen Nächsten alö dich selbst. 28. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; thue daS, so wirst du leben. 29. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen, und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Nächster? 30. Da antwortete Jesus, und sprach: ES war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho, und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus, und schlugen ihn, und gingen da­ von, und ließen ihn halb todt liegen. 31. ES begab sich aber ohngesähr, daß ein Priester dieselbige Straße hinab zog; und da er ihn sahe, ging er vorüber. 32. Desselbigen gleichen auch ein Levit, da er kam bei die Stätte, und sahe ihn, ging er vorüber. 33. Ein Samariter aber reifete, und kam dahin; und da er ihn sahe, jammerte ihn sein. 34. Ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, und goß drein Oel und Wein; und hob ihn auf sein Thier und führete ihn in die Herberge, und pflegete sein. 35. DeS andern TageS reifete er, und zog heraus zween Groschen, und gab sie dem Wirth, und sprach zu ihm: Pflege sein; und so du waS mehr wirst darthun, will ich dir'S bezah­ len, wenn ich wieder komme. 36. Welcher dünket dich, der unter diesen dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? 37. Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm that. Da sprach JesuS zu ihm: So gehe hin, und thue desgleichen. „Meister, was muß ich thun, daß ich das ewige Leben ererbe?" So lautet die Frage, welche ein Schriftgelehrter dem Herrn vorlegt, nicht etwa in dem austichtigen Verlangen, den Weg zur Seligkeit fortan zu wandeln, sondern in der unlauteren Absicht, ihn auf die Probe zu stellen und in seiner Rede ZU fangen. Denn er erwartete, der Herr 5*

68 werde entweder einen ganz neuen, bisher unbekannten Weg, zum ewi­ gen Leben zu gelangen, in Vorschlag bringen, in welchem Falle er ihn für einen Verächter und Feind des Gesetzes

gehalten haben würde,

oder sich bei Entscheidung der Frage lediglich an die Vorschriften der mosaischen Religion halten, was ihm dann willkommene Gelegenheit gegeben hätte, das Ueberflüssige der Lehre, welche er verkündete, darzuthun.

Der Herzenskündiger durchschaut sein Inneres, will ihm des­

halb auch keine Antwort geben, Gesetz geschrieben?

sondern fraget nur:

Wie liesest du?"

„Wie stehet int

Der Schriftgelehrte ist mit der

Antwort bald fertig und spricht: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen,

von ganzer Seele,

von allen Kräften und von

ganzem Gemüth, und deinen Nächsten als dich selbst." Solches, glaubt er, sei der rechte Kern und die Hauptlehre des ganzen mosaischen Ge­ setzes z

und mit Recht.

Aber was erwiedert ihm der Herr darauf?

Thue das, so wirst du leben;

laß es nun nicht beim bloßen Wissen

bewenden, dadurch Niemand selig wird, der That, im Leben auö.

sondern übe dein Wissen in

Der stolze Heilige fühlt sich zwar durch diese

Worte getroffen, will'ö aber doch nicht bekennen, und vornehmste Gebot im Gesetze

daß er dieses größte

bisher nicht gehalten habe,

und

suchet deshalb in eingebildeter Frömmigkeit sich selbst zu rechtfertigen, indem er fragt: „Wer ist denn mein Nächster?"

nicht bedenkend,

daß

er gerade durch diese Frage offen bekenne, wie er das Gebot nicht ge­ halten habe, da er noch nicht einmal dahin gelangt ist, seinen Nächsten zu kennen, geschweige denn zu lieben. Waö helfen ihm nun Moses und die Propheten?

Ist ja doch die Liebe allein des Gesetzes Erfül­

lung Nöm. 13, 10.

Als Antwort auf seine letzte Frage legt ihm nun

der Heiland daö Gleichniß vom

barmherzigen Samariter vor.

DaS

oll ihm zeigen, wen man als seinen Nächsten zu betrachten und wie man das göttliche Gebot der Nächstenliebe zu üben habe, um des himm­ lischen Erbguts, der ewigen Seligkeit, theilhaftig zu werden. „Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho*) und fiel unter die Mörder — halbtodt liegen." Ein Unglücklicher, von Straßenräubern ausgeplündert und gemiß­ handelt, liegt am Wege.

Von unsäglichen Schmerzen gequält,

wartet

er sehnsüchtig auf Hülfe. Nach langem Harren scheint endlich die Er-

*) Der Weg von Jerusalem nach der fast 5 Meilen entfernten Stadt Je­ richo führte durch die Wüste Qnarentana, so genannt, weil der Herr 40 Tage und 40 Nachte in ihr gefastet hat.

Räuber, denen die letzteren Ort umgeben­

den Berge zum Aufenthalt dienten, machten die sonst gangbare Straße sehr un­ sicher.

69 lösung aus seinem elenden Zustande herbeizukommen. Denn: „Es begab sich aber — vorüber." Ach, sein Wunsch ging leider nicht in Erfüllung. Durch die Täuschung ward nur noch der Wunden Schmerz vermehrt. Da leuch­ tet abermals der Hoffnung Stern. „Desselbigen gleichen — vorüber." Aber nur um so schrecklichere Täuschung! Auch der Levit ging, wie zuvor der Priester, theilnahmloS an ihm vorbei. Kann man cs doch kaum für möglich halten, daß in der Brust derer, die dem Volke den göttlichen Willen zu verkünden, für treue und gewissenhafte Befolgung deffelben zu sorgen, die gottesdienstlichen Handlungen im Tempel zu verrichten und durch einen unanstößigen, frommen Lebenswandel Allen zum Vorbilde der Nacheiferung zu dienen verpflichtet waren, solche Lieblosigkeit und Grausamkeit gegen einen Unglücklichen wohnen konnte! Aber haben wir nicht noch heute Gelegenheit, dergleichen traurige Er­ fahrungen zu machen? Auf der Neise unseres Lebens führt uns unser Weg auch durch Wüsten, in denen wir in Gefahr gerathen, an Leib und Seele Schaden zu nehmen. Es tritt der Teufel, der von Anfang an ein Mörder war, zu uns heran, um uns der theuersten Güter des Herzens zu berauben; — und unsere Einsicht ist so gering, unser Wille so schwach, daß sich uns zur Rechten und Linken der tiefe Abgrund deö Verderbens öffnet, um uns zu verschlingen. Da- schauen wir uns wohl, voll Schmerz und Verzweiflung, bei denen nach Hülfe und Ret­ tung um, die bei jeder Veranlassung ihre freundliche Theilnahme und Liebe gegen und ausgesprochen, und uns durch ihr Verhalten zu der Erwartung berechtigt haben, daß sie uns nun auch in den Tagen der Noth und Trübsal als wahre und aufrichtige Freunde mit Rath und That Beistand leisten werden. Da gedenken wir Kraft, Stärke und Freudigkeit, um unö wieder aufzurichten, vor Allem von denen zu er­ halten, welche die Herrlichkeit wahrer Menschenliebe so oft an heiliger Stätte verkünden. Aber siche da! Stolz, Eigenliebe und Bequemlich­ keit lassen die ausgestreckte Hand so manches Mal hartherzig zurück­ weisen und die nach Hülfe flehende Stimme überhören. Alle ihre Freundlichkeit und Liebe, all' ihr Reden und Thun, war eitel Verstel­ lung und Heuchelei; sie gleichen dem Priester und Leviten im Evangelio und den scheinheiligen Pharisäern, die der Herr deshalb über­ tünchte Gräber, Wölfe in Schafskleidern und Otterngezüchte nennt. Und was von den Gefahren und der Noth gilt, in die das arme. Herz unter den Anfechtungen und Versuchungen des Erdenlebens ge­ führt wird, das findet nicht minder auf leibliches Elend und Unglück seine volle Anwendung. Ach, wie Viele, denen Gott die Mittel und

70 damit auch den Beruf gegeben hat, Thränen zu trocknen,

Seufzer zu

stillen, die Blöße zu decken, gehen an den Kranken, Hungrigen, Nackten mitleidlos und unbarmherzig vorüber! Doch Gott sei Dank! daß ächte, Menschenliebe auf dem Erdboden

durch die That sich bekundende

noch nicht auSgestorben ist.

Sie

wohnet oftmals still und unbemerkt selbst in den Herzen derer, die wir hassen, um der Gelegenheit zu warten, ihrer Segnungen uns theilhaf­ tig zu machen und feurige Kohlen auf unser Haupt zu sammeln. „Ein Samariter*) aber reifete — jammerte ihn sein." Von diesem deö Wegeö kommenden Samariter hätte der unglück­ liche Jude wohl am allerwenigsten theilnehmendes Mitgefühl erwartet. Aber in dem Augenblicke, siehet,

gedenkt

da Jener den nothleidenden

er nicht des

Unterschiedes

Mitmenschen

ihres Glaubens, nicht des

Hasses, der Verachtung und der bittern Feindschaft zwischen seinem und dem jüdischen Volke.

Der Anblick deS

Elends ist hinreichend,

ihn

nicht etwa nur zur Versicherung seiner Theilnahme, sondern zur schleu­ nigsten und thätigsten Hülfe zu bewegen. linderndes Oel und stärkenden Wein,

Thier und bringt ihn in eine Herberge, können.

Er gießt in seine Wunden

verbindet sie, hebt ihn auf sein um sein besser Pflegen zu

Und mit eben dem Eifer, mit welchem er seinen Stolz und

seine Bequemlichkeit verleugnet,

sowie die Rücksicht auf sein eigenes

Leben, daö in dieser von Räubern und Mördern durchstreiften Gegend bei längerem Verweilen großer Gefahr ausgesetzt war, hatte, überwand

er auch die Triebe deö Eigennutzes,

ängstlich den Aufwand berechnete,

hintenangesetzt indem

er nicht

welchen etwa die Pflege und Hei­

lung des Verwundeten erfordern könnte.

Denn als ihm des anderen

Tages seine Geschäfte eine weitere Unterbrechung der Reise nicht ge­ statteten, bezahlte er dem Wirth zum voraus die Kosten und versprach sogar, bei seiner Zurückkunft Alles zu vergüten, was sonst noch für seine Verpflegung ausgegeben werden möchte. So that der edeldenkende Samariter für den Unglücklichen Alles, was in seinen Kräften stand,

und gewährte ihm vollommene Hülfe.

Ja, er kannte seinen Nächsten und verstand das große Gebot der 9läch-

*)

Die Samariter waren den Juden theils deshalb, weil sie einen aus

dem Heiden- und Judenthum vermischten und verunstalteten Gottesdienst ange­ nommen hatten 2 Kön. 17, 24. 29. 33, theils weil sie den Tempelbau in Je­ rusalem nach dem Eril hinderten und einen anderen Tempel auf dem Berge Garizim crbaueten, im höchsten Grade zuwider.

Sie wurden als Feinde be­

trachtet, mit denen man keine Gemeinschaft haben Ioh. 4, 9., die man vielmehr auch des geringsten Liebesdienstes für unwürdig halten müsse.

71 stenliebe wahrhaft zu üben.

Darum ist uns auch sein Beispiel von

unserm Herrn und Heiland gelassen worden,

damit wir es oft und

aufmerksam mit unsern Geistesaugen betrachten und an ihm lernen mö­ gen, daß wir alle Menschen, ohne Unterschied der Religion, des Vol­ kes und Standes, als unsere Nächsten betrachten und mit thätiger, der Aufopferung und Selbstverleugnung fähigen Liebe in allen Fällen, wo sie derselben bedürfen,

und in eben dem Maße umfassen sollen, wie

unter ähnlichen Umständen die Erweisung ihrer Liebe für uns selber wünschenswerth sein würde. Wer aber solche Liebe gegen alle Menschen, die wir ihnen als Kin­ dern Eines

himmlischen

Vaters,

als

Miterlösten

und zugleich

mit

uns zur ewigen Seligkeit Berufenen, schuldig sind, hienieden übet; der bestrebet sich, vollkommen zu werden, wie Gott vollkommen ist;

der

wandelt in den Fußtapfen deS Herrn, der als der einige barmherzige Samariter unsere Schmerzen auf sich geladen und unsere Krankheit ge­ tragen hat, auf daß wir durch seine Wunden heil würden und für un­ ser armeö, geängstetes Herz seligen Frieden empfingen Zes. 53, 6. daß doch die Zahl der

barmherzigen

Samariter auf Erden,

O

wo der

Noth und des Elends so viel ist, immer größer werden möchte!

Doch

es spricht der Herr: Will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst! Matth. 16, 24. Die hohe sittliche Würde des Samariters erkennt auch der stelze Schriftgelchrte an, wie er durch Beantwortung der an ihn gerichteten Frage bekundet.

Dem Heiland bleibt daher nichts übrig, als ihm noch

einmal an das Herz zu legen, nun auch so, wie Jener, zu handeln; denn nicht die bloße Kenntniß des göttlichen Gebots der Nächstenliebe, sondern die rechte Erfüllung desselben mache deö ewigen Lebens theilhastig. Wie aber lernen wir wahrhaft lieben? mit Maria zu den Füßen Jesu setzen,

O dann,

wenn wir uns

um von ihm das Eine zu hö­

ren, das Noth ist. Das ist aber das Eine, daß wir Ihn erkennen und lieben;

denn

wer

Christum liebt,

der wird

lieben. Wer da glaubt, daß Jesus .sei der

Christ,

auch

seinen Nächsten

der ist von Gott ge­

boren, und wer da liebt den, der ihn geboren hat, der liebet auch den, der von ihm geboren ist 1 Joh. 5, 1.

So seid Niemand nichts schul­

dig, denn daß ihr euch unter einander liebet; denn wer den Andern liebet, der hat das Gesetz erfüllet Röm. erkannt die Liebe, sollen auch

das

13, 8. *

Daran haben wir

daß Er sein Leben für und gelassen hat; Leben

für

die Brüder lassen.

und wir

Wenn aber Jemand

dieser Welt Güter hat, und stehet seinen Bruder darben, und schließt

72 sein Herz vor ihm zu, ivic bleibet die Liebe GottcS bei ihm? aieine Kindlein, lasset 11118 nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge; sondern mit der That und mit der Wahrheit 1 Joh. 3, 16—18.

XXXV. Vom reichen Mann, den der Tod überrascht. Luc. 12, 16—21.

16. Und er sagte ihnen ein Gleichniß, und sprach: ES war ein reicher Mensch, deß Feld hatte wohl getragen. 17. Und er gedachte bei sich selbst, und sprach: Was soll ich thun? Ich habe nicht, da ich meine Früchte hinsammle. 18. Und sprach: DaS will ich thun; ich will meine Scheu­ nen abbrechen, und größere bauen, und will darein sammlen Alles, waS mir gewachsen ist, und meine Güter. 19. Und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink, und habe guten Muth. 20. Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und weß wird eS sein, daS du bereitet hast? 21. Also gehet eS, wer sich Schatze sammlet, und ist nicht reich in Gott. „Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn Niemand lebet da­ von, daß er viele Güter hat." Also belehret und vrrmahnet Christus die um ihn versammelte» Jünger. Zur Begründung und Bekräftigung deö Gesagten fügt er aber noch das Gleichniß vom reichen Manne hinzu, dessen Feld so reichlich Früchte getragen hat, daß er nicht Raum genug findet, dieselben unterzubringen, und deshalb den Entschluß saßt, die zu kleinen Scheunen abzubrechen und größere dafür aufzubauen, um darin zu sammeln Alles, was gewachsen ist, sowie seine übrigen Güter. Sobald dies geschehen, wolle er flch im Bewußtsein des Reich­ thums und der Fülle seiner Borräthe aller Sorge überheben und. in Ruhe, Freude und Genuß seine Tage verleben. „Liebe Seele," will er sprechen, „du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Muth." O hätte er nicht vielmehr beim Anblick der gefüllten Vorraths­ kammern und der großen Menge seines irdischen BesitzthumS bei sich

73 sprechen sollen:

Gott hat mich reichlich mit zeitlichen Gütern gesegnet

und meine Seele deshalb mit inniger Freude erfüllt.

Dafür will ich

ihm auch nach Kräften dankbar sein und mich bemühen, von dem mir geschenkten Reichthum einen seinem heiligen Willen gemäßen Gebrauch zu machen.

Das wird meinem Herzen süße Ruhe und meinem Leben

den höchsten und reichsten Genuß gewähren. Aber solche Denk- und Handlungsweise ist leider nur selten bei denen zu finden, welchen dieser Welt Güter im reichen Maße zu Theil geworden find.

Denn dem Reichthum wohnet eine große, verderbliche

Kraft bei, die ihn mit leichter Mühe und ganz unbemerkt unumschränkte Herrschaft über den Menschen gewinnen läßt.

Und ist daö schwache

Herz von ihm umstrickt, so schlägt alsobald der Götze Mammon seinen Thron daselbst auf, um mit eisernem Scepter zu regieren, und in sei­ nem Gefolge erscheinen Geiz, Habsucht, Eitelkeit, Sinnenlust, Ungerech­ tigkeit und hoffärtigcs Wesen, die den höheren und edleren Gefühlen und Empfindungen, die der Pflege des göttlichen Geistes in uns,

der

Sorge für Erwerblmg unvergänglicher Güter, dem Streben nach unse­ rem ewigen Heile keinen Raum übrig lassen.

Denn wo euer Schatz

ist, da ist auch euer Herz, spricht der Herr. Matth. C, 21. Und können wir die Güter der Welt etwa mit uns nehmen, wenn eö dem Herrn über Leben und Tod gefällt, unserer irdischen Lausbahmcin Ende zu machen? Oder kann uns ihr Besitz auch nur von den Schmer­ zen und Qualen deö nahen Todes befreien und den Blick in das jen­ seitige Leben freundlicher gestalten?

Nein, solcher Werth, solche Kraft

wohnt keinem Erdengute bei, mag es auch noch so schön und herr­ lich sein. „Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und weß wird es sein, das du bereitet hast?" Solche Worte muß der reiche Mann wegen seines thörichten Be­ ginnens aus Gottes Munde vernehmen.

Möchten sie doch Ohr und

Herz Atter derer treffen, die den Mammon zu ihrem Gott gemacht haben! Der Tag und die Stunde, da der Herr einen Jeglichen Erde

abrufen wird,

ist ungewiß.

„Wer heut ist frisch,

roth, ist morgen krank, vielleicht gar todt."

von der

gesund und

Der Stundenzeiger unse­

rer Lebensuhr kann jeden Augenblick stille stehen; der Todesengcl fragt nicht nach Alter, Stand, nach Reichthum oder Armuth. nun sein,

das du so mühsam,

so emsig,

Weß wird eö

so unermüdet bereitet hast?

Dein nicht; ja wenn du durch Wohlthun Segen auf Erden gespendet, wenn du dir Freunde durch den Mammon erworben hättest, dann wäre und bliebe es dein.

Ist dieö aber nicht der Fall, so konunt dir gar

74 nichts davon zu Gute; selbst der Gedanke, gesorgt hast,

daß du für die Deinigen

kann keinen rechten Trost gewähren: denn wie leicht ist

es möglich, daß gerade dein zurückgelassenes Gut auch ihrer Seele Scha­ den bringt? Nun, daö steht außer Frage, Reichthum, wenn von ihm nicht ein Gott wohlgefälliger Gebrauch gemacht wird, wahre, dauernde, ewige Glück zu gewähren.

vermag nimmermehr das Darum ist es thöricht,

sein ganzes Dichten und Trachten auf Erden darauf hinzurichten. Wer für sein

ewiges

Heil

besorgt

sein

will, muß

vielmehr

in

Gott

reich werden. „Also gehet es, wer ihm Schätze sammelt, und ist nicht reich in Gott." Wer die ihm zugemessene Lebenszeit

treu benutzt,

um in allen

Tugenden, die den Christen zieren, fort und fort zu wachsen, alSinSanftmuth, Demuth, Glauben, Liebe, Hoffnung und Vertrauen; der sammelt sich Schätze, die nicht von Rost und Motten zerfressen werden und nach denen die Diebe nicht graben,

sondern

die uns als unvergängliches

Eigenthum bleiben und mit hinüber genommen werden in das höhere Leben, wo sie in nur noch schönerem Glanze strahlen und ist — reich in Gott. Wer cs sich auf der Pilgerschaft durch's Erdenleben zur wichtigsten Aufgabe macht, Gott zu suchen, in seiner Erkenntniß zuzunehmen und seinem heiligen Willen gemäß zu wandeln; der ist — reich in Gott. Wer Christum anerkennt als den lebendigen Sohn

GotteS,

der

uns gemacht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung (1 Cor. 1, 30); wer sich ihm mit gläubigem Herzen also an­ schließt; daß sich eine völlige Einheit des Geistes und Lebens, ein Le­ ben in Christo und durch Christus mit Gol't, gestaltet; der ist —reich in Gott. Dieser Reichthum in Gott gewähret nicht sinnliche, sondern geistige Freuden;

schaffet nicht ein vergängliches,

Weß wird es sein,

sondern ein cwigeö Glück.

daS du also bereitet hast?

Es ist dein in alle

Ewigkeit! Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Ge­ rechtigkeit Matth. 6, 33.

Wahrlich ich sage euch,

schwerlich in'S Himmelreich kommen.

ein Reicher wird

Und weiter sage ich euch: Es ist

leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in das Reich Gottes komme. Matth. 19, 23—24.

XXXVI. Von -en wachenden Knechten. Luc. 12, 35-38.

35. Lasset eure Lenden umgürtet sein, und eure Lichter brennen. 36. Und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wenn er aufbrechen wird von der Hochzeit, auf daß, wenn er kommt und anklopft, sie ihm bald aufthun. 37. Selig sind die Knechte, die der Herr, so er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich aufschür­ zen, und wird sie zu Tische setzen, und vor ihnen gehen, und ihnen dienen. 38. Und so er kommt in der 'andern Wache, und in der dritten Wache, und wird eS also finden; selig sind diese Knechte. Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Ge­ rechtigkeit. Das ist des Herrn Gebot an Alle, die sich zu ihm beken­ nen, und der Christen aufrichtigste und angelegentlichste Sorge muß cS fein, sich frei zu machen und zu halten von dem, waö dem beharr­ lichen Streben nach Erfüllung desselben hinderlich fein könnte (V. 22—30). Darum ergeht an uns die Mahnung, daß wir sollen anle­ gen als gute Streiter den Gurt der Wahrheit und den Krebs (Panzer) der Gerechtigkeit, der da ist die feste Zuversicht deS HcrzenS, daß wir durch Christum vor Gott gerecht worden sind, und daß wir sollen an den Beinen gestiefelt sein, als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens, auch versehen mit dem schützenden Schilde deS Glaubens, damit wir alle feurigen Pfeile des Bösewichtö auszulöschen vermögen, und mit dem Helme des Heils und der seligen Hoffnung, die den Muth in den Gefahren kräftig zu bewahren weiß, sowie mit dem Schwerdte deS Geistes, mit den Feind angreifen, Sunde und Unglauben be­ kämpfen zu können Eph. 6, 11—17. Darum sollen wir auch, ausge­ rüstet als die klugen Wandersleute mit dem Stecken und Stabe deS Wortes GotteS und mit der Leuchte der christlichen Tugenden geschmückt, allezeit in voller Bereitschaft dastehen, unsere Seele vor allen offenba­ ren und heimlichen Anläufen des Bösen zu bewahren und ihr zeitliches und ewiges Heil sicher zu stellen. O selig sind wir, wenn unS der Herr immerdar munter, wacker und emsig findet! Denn er kommt, um nachzusehen, ob wir eö sind. Oder meinest du, daß er nicht kommt? Täusche dich nicht. Hast du denn in Stunden der Anfechtung und Versuchung noch nicht an die Thür deines Herzens klopfen hören? Nun das war der Herr. Wohl dir, wenn

76 du sogleich bereit wärest, ihm zu öffnen und willig ihn aufzunehmen; denn deine Seele ward durch ihn stark, die Anfechtung zu besiegen und dein Ohr taub gegen die lockende Stimme des Versuchers. So über­ laß dich nun auch in Zukunft niemals der Sicherheit und fleischlichen Ruhe, sondern wache und bete, damit du ihm auch mit Freuden folgen kannst, wenn er dich über kurz oder lang durch den Tod vor seinen Richterstuhl ruft, und damit du würdig befunden werdest, die Krone des ewigen Lebens zu empfangen und Theil zu nehmen an dem Genuffe der ewigen Seligkeit, die der Lohn ist aller derer, die ihm auf Erden treu geblieben und int Trachten nach seinem Reiche nicht er­ müdet sind.

XXXVII. Vom Feigenbaum. Luc. 13, 6 — 9. 6. Er sagte ihnen aber dies Glkichniß: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzet in seinem Weinberge; und kam, und suchte Frucht darauf, und fand sie nicht. 7. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang alle Jahre gekommen, und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum, und finde sie nicht; haue ihn ab; waö hindert er das Land? 8. Er aber antwortete, und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis daß ich um ihn grabe, und bedünge ihn, 9. Ob er wollte Frucht bringen; wo nicht, so haue ihn darnach ab. Es stehet weder mit dem Geiste der christlichen Lehre noch mit der täglichen Erfahrung in Einklang, die Leiden und Unglücksfälle, welche den Wanderer auf der Reise durch das Erdenthal treffen, immer nur als Folge eigener oder fremder Schuld, überhaupt als verschuldete, ansehen zu wollen. Daß Tugend- und Lasterhafte, Fromme und Gott­ lose ohne Unterschied von ihnen getroffen werden, ja Jene oft mehr als Diese, führet uns vielmehr zum Glauben an das Walten eines höheren Willens hin und lehret sie nnS als Mittel erkennen, durch welche Gott seine Menschen segnen will, gerade wie es ein Vater mit seinen Kindern gut meint, wenn er sie züchtigt. So wurde Joseph gesegnet, da ihn Gott nach mancherlei Trübsal an den Hof des ägyptischen Königs ge­ langen ließ; so wurde Israel durch schwere Prüfungen hindurch glücklich in daS Land der Verheißung gebracht.

77 Und dennoch war unter dem israelitischen Volke, dem daS liebende Walten Gottes auS der eigenen Lebensgeschichte nicht unbekannt sein konnte, die irrige Ansicht, tn allen Leiden verschuldete Strafe zu finden, säst allgemein verbreitet.

Der Herr führet deshalb denen, die ihm von

den während des Opferns durch PilatuS umgebrachten Galiläern er­ zählen, zu Gemüthe, daß die am Leben gebliebenen Galiläer darum, weil sie nicht auch von einem solchen Unglück getroffen worden wären, nicht besser seien, als Jene, und daß, wenn Jene ihr trauriges Loos wirklich verdient hätten, ihnen nicht minder ein gleiches bereitet werden dürfte, sobald sie sich nicht besserten. Schonung,

welche Gott

Um sie aber auf die Geduld und

auch manchen Unwürdigen angedeihen lasse,

sowie auf die Strafe hinzuweisen, die sich Jeder zuziehe, der die Güte und Nachsicht nicht zu seiner Besserung benutze, bedient sich Christus des herrlichen Gleichnisses vom Feigenbaum, der, gepflanzt in einem Weinberge, drei Jahre hindurch ohne Früchte blieb und deshalb nach des Herrn Willen vom Weingartner abgehauen werden, soll, da er nur das Land hindere, jedoch auf die bittenden Vorstellungen des Letzteren noch ein Jahr stehen bleibt, ob er vielleicht in dieser Zeit nach noch­ mals angewandter treuer Pflege Frucht bringen möchte. Dieser Feigenbaum ist ein treues Bild des Volkes Israel — Hosea 9, 10. — Alle Wohlthaten und Gnadcnerwcisungen,

deren eS

von

Anfang an vor allen übrigen Völkern der Erde gewürdiget worden war; alle'Offenbarungen des göttlichen Willens und die mit freudiger Be­ folgung desselben verbundenen Verheißungen ewigen SegcnS; ja alle die unzähligen Beweise fürsorgender Vaterliebe hatten

es

nicht zum

willigen Gehorsam gegen Gott, nicht zum wahren, festen Glauben an Ihn und zu einem aus solchem Glauben hervorgehenden heiligen und an guten, Gott wohlgefälligen Werken reichen Lebenswandel hinführen können.

Da hat sich an ihm der Ausspruch des Sirach 27, 7.

„An

den Früchten merket man, wie des Baumeö gewartet ist" nicht bestätigt. Aber wiewohl Gott so lange Zeit vergeblich nach Früchten suchte, ließ er doch

seine Geduld und Nachsicht mit den Kindern Israel nicht

schwinden.

Ja er sandte sogar seinen Sohn, um sie vielleicht durch

diesen höchsten Beweis seiner erbarmenden Liebe zur Buße zu leiten. Und Christus kam, lebte, wirkte, litt und starb unter ihnen.

Doch sie

erkannten nicht die Zeit, darinnen sie heimgesucht wurden; die Gnaden­ frist lief ab und schnell gingen sie dem Untergange entgegen, den ihnen der Herr vorher verkündigt hatte — Matth. 23, 37 — 38. — Wir sind auch Feigenbäume, gepsianzet im geistlichen Weinberge, dem Reiche Gottes, dessen Leitung und Regierung Jesu Christo über­ geben ist.

Was dazu dienet, unseren Willen zu heiligen, unser Herz

78 zu befruchten, überhaupt unseren ganzen inwendigen Menschen zu kräf­ tigen und mit immer neuer Lebenskraft zu erfüllen, daS wird unS von dem Herrn, als dem rechten Weingartner, ln voller Genüge zu Theil. Wie sollten nun nicht auch gute Früchte von unS verlangt werden? „Die Frucht aber deS Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freund­ lichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanstmuth, Keuschheit." — Galat. 5, 22. — Aber leider ist bei Vielen auch nicht eine dieser Früchte zu finden, um so mehr aber Früchte des Fleisches, zu denen gehören: Unreinigkeit, Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid, Zwietracht. — Gal. 5, 19 — 21 — Ach, das thut dem Herzen des Erlösers, der für das Heil unserer Seele so unaussprechlich viel gethan, sogar sein Leben dahin gegeben hat, unendlich weh, wenn er bei uns immer nicht findet, waS er sucht. Wie oft hat er wohl schon vergeblich bei dir nachgesehen, der du noch in der Blüthe der Jahre stehst! Wie oft bei dir, der du dich im rei­ feren Lebensalter befindest! Wie gar oft ist er zu dir gekommen, Greis, ohne Früchte zu finden, wie fie ihm Wohlgefallen! Und Gottes Geduld und Langmuth ist noch nicht zu Ende. Vielmehr höret er nicht auf, durch immer neue Güte dich zur Buße zu leiten, durch immer neue Wunder seiner Gnade dein Herz zu gewinnen. Doch hüte dich vor Sicherheit, Denk' nicht: Noch hab' ich lange Zeit; Ich will mich erst des Lebens freu'n, Und werd' ich dessen müde sein, Alsdann will ich bekehren mich, Gott wird wohl mein erbarmen sich. Wahr ist eS, aus Barmherzigkeit Ist zur Vergebung Gott bereit; Doch wer auf Gnade sündigt hin Und bleibt bei seinem bösen Sinn, Wer seiner Seele selbst nicht schont, Dem wird einst nach Verdienst gelohnt. Der himmlische Vater hat allerdings viel Geduld mit den Fehlern seiner Menschen; aber seine Langmuth hat auch ihre Grenzen. Darum dürfen wir mit unserer Besserung nicht zögern, denn wir wissen ja nicht, wie lange Frist uns noch vergönnt ist. Vielleicht nur noch ein Jahr! So wollen wir es auch treu benutzen. O eS kann da viel ge­ schehen! Dieß eine Jahr kann uns neu beleben, kann unS von allen unseren Sünden und Gebrechen frei und zu einem Kinde Gottes machen. Der Heiland, unser göttlicher Fürsprecher und Mittler, wird und seine helfende Hand mit Freuden entgegenstrecken, uns zum Herzen des lie­ benden Vaters hinführen und uns einpflanzen als Bäume der Gerech-

79 tigkeit in den himmlischen Garten, wenn er bei und daS aufrichtige und sehnsüchtige Verlangen nach Heiligung unseres Lebens und nach der Seele ewigem Heile bemerkt. Noch ein Jahr! So schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern (in kindlicher Demuth und kindlicher Scheu.) — Phil. 2, 12 —

mvm. Von den Gästen, wie ste erwählen, oben an zu fitzen. Luc. 14, 7-11.

7. Er sagte aber ein Gleichniß zu den Gästen, da er merkte, wie sie erwählten oben an zu sitzen, und sprach zu ihnen: 8. Wenn du von Jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht oben an, daß nicht etwa ein Ehrlicherer, denn du, von ihm geladen sei; 9. Und so dann kommt, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: Weiche diesem; und du müssest dann mit Schaam unten an sitzen. 10. Sondern wenn du geladen wirst, so gehe hin, und setze dich unten an, auf daß, wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: Freund, rücke hinauf. Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen. 11. Denn wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget wer­ den; und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden. O wie ist der natürliche, von Weltliebe erfüllte Mensch so hochmüthig! Wie ist ihm doch daran gelegen, in der Gesellschaft Anderer Viel zu gelten, seinen Rang zu behaupten oder wohl gar über densel­ ben gestellt zu werden! Wie drängt er sich unbescheiden und voller Anmaßung hervor, um sich bemcrklich und seine Vorzüge geltend zu machen! Wie läßt er seinen Stolz und Dünkel auS Worten und Grberden blicken! Wie sucht er als ein Götze mit Ehrerbietung und Ver­ wunderung angestaunt und angebetet zu werden! Und wenn er nun nicht die ihm nach seiner Meinung gebührende Aufmerksamkeit, Ehre und Achtung findet; wie fühlt er sich dann beleidigt und gekränkt! Ihr Thoren, die ihr nach zeitlicher Ehre und nach weltlichem Range jaget, wie wenn des Menschen höchster und alleiniger Werth davon abhange, bedenket doch, daß euer eitles Sinnen und Streben schon von Men­ schen, wenn auch nicht laut, doch aber im Stillen verlacht und verab-

80 scheut wird, vor Gott aber vollends nicht zu bestehen vermag. seinen Augen stehet am höchsten, wer hienieden

am nreisten

In

Demuth

übet; nicht nach dem Ruhme trachtet, der vor der Welt, sondern vor ihm gilt, und von seiner eigenen Würdigkeit und Verdienstlichkeit ab­ sehend, das Verdienst Christi im Glauben ergreifet. Ja der Weg der Demuth ist allein der Weg zur wahren, höchsten Ehre!

Darum höret auch die Schrift nicht auf, ihre Herrlichkeit zu

preisen; darum macht es auch der Herr jedem seiner Jünger zur un­ erläßlichen Pflicht, sich immerdar in dieser Tugend zu üben.

Denn

„sie ist die Grundfeste aller christlichen Tugenden; ohne sie kann der Bau unserer Gottseligkeit und unseres Christenthums nicht zu einem heiligen Tempel, zum Hause und zur Wohnung Gottes erwachsen.

Sie wirft

sich ehrerbietig zu den Füßen dcö himmlischen Vaters hin, ist freund­ lich und dienstfertig gegen den Nächsten, gegen sich selbst schlicht und mäßig, und dieses alles ohne Scheinheiligkeit und übertünchte Gleißnerei." Darum, licbeS Kind, bleibe gern in

niedrigem Stande; das ist besser,

denn Alles, da die Welt nach trachtet. demüthige,

Je höher du bist, je mehr dich

so wird dir der Herr hold sein Sirach 3, 19—20.

Und

durch Demuth achtet euch unter einander einer den andern höher, denn sich selbst Phil. 2, 3.; denn je demüthiger hier, je höher dort. Armer Mensch, hebst du dich doch?

der du nichts alö Erde und Asche bist, was er­ „Haben wir denn nicht alle Einen Vater?

unS nicht Ein Gott geschaffen?

Hat

Warum verachten wir einer den an­

dern?" Maleachi2, 10. Ist Christus nicht für uns Alle erschienen und für unö Alle am Kreuz gestorben, auf daß wir von der Sünde erlöset und Erben würden der ewigen Seligkeit?

Was erhebet ihr euch also, einer

über den andern, da wir in Christo alle gleich und alle gleicher Gnade theilhaftig geworden sind?

O darum rühme doch ein Jeder von sich

nichts mit Paulus, alö seine Schwachheit (2 Cor. 11, 19—33) und die erbarmende Liebe Gotteö, die sich an und so herrlich offenbaret hat und täglich und stündlich erneut! Du sanftmüthiger und von Herzen demüthiger Herr und Heiland, richte unsere Augen auf Dein heiliges Vorbild hin, auf daß wir De­ muth lernen!

81

XXXIX. Dom großen Abendmahl. Luc. 14, 16—24.

16. Er aber sprach zu ihm: ES war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl, und lud Biele dazu. 17. Und sandte seinen Knecht auS zur Stunde des Abend­ mahls, zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist alles bereit. 18. Und sie fingen an alle nach einander sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft, und muß hinaus gehen, und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, ent­ schuldige mich. 20. Und der dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen. 21. Und der Knecht kam, und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig, und sprach zu seinem Knechte: Gehe auS bald auf die Straßen und Gassen der Stadt, und führe die Armen, und Krüppel, und Lahmen, und Blinden herein. 22. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, waS du befohlen hast; eS ist aber noch Raum da. 23. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe auö auf die Landstraßen, und an die Zäune, und nöthige sie, herein zu kommen, auf daß mein HauS voll werde. 24. Ich sage euch aber, daß der Männer keiner, die gela­ den sind, mein Abendmahl schmecken wird. Der hatte eine Ahnung von der Größe der Seligkeit, welche der Herr den ©einigen bereitet, welcher mit ihm in dem Hause eines Obersten der Pharisäer zu Tische sitzt und, nachdem er Jesum gehöret, in die Worte ausbricht: Selig ist, der das Brod issct im Reiche Got­ tes ! Darum spricht auch Christus zu ihm, um seinen Geistesaugen ein deutlicheres Bild der Beschaffenheit des Reiches Gottes vor­ zuführen: „Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl, und lud Viele dazu." Demnach vergleichet unser Herr daS Himmelreich, wie früher mit einem HochzeitSmahle, so jetzt mit einem Abendmahle, zu welchem Gott, der eS veranstaltet, viele Gäste lud. Es ist aber ein großes Mabl, weil eS der Herr Himmels und der Erden, der ewig reiche Gott, zubereitet 6



82

uub weil der Geladenen Zahl unendlich ist. Seit dem Beginne der gött­ lichen Offenbarungen an die Menschheit haben auch die Vorbereitun­ gen zu diesem Mahle angefangen. hindurch ertönenden

Denn die durch daS ganze A. T.

Verkündigungen

des

kommenden

Erlösers und

WeltheilandS, die zur Buße mahnenden Stimmen der Propheten und anderer heiligen Männer, die wunderbaren Führungen und Schickun­ gen des Höchsten; was sollten sie anders bezwecken, als die Menschen zur Theilnahme am Himmelreiche würdig und geschickt zu machen? „Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sa­ gen den Geladenen: Kommt, denn eS ist Alles bereit." Mit der Erscheinung des verheißenen Messias war die Zeit her­ beigekommen, da die Pforten deS Himmels, die seit der ersten Menschen Fall verschlossen waren, wieder geöffnet wurden; mit Christus schwand die große Kluft, welche Himmel und Erde von einander trennte;

En­

gel stiegen vom Himmel auf die Erde herab und von der Erde wieder zum Himmel hinauf; daS Himmelreich war herbeigekommen. Des Herrn Vorläufer,

Johannes der Täufer,

trat auf,

um die

Kinder Israel, welche zuerst unter allen Völkern der Erde Bürger und Genossen deS Reiches GotteS

werden

sollten,

durch die Predigt zur

Buße zu rufen und durch die Taufe des Heil- in Christo theilhaftig zu machen.

Und Jesu Menschwerdung, seine Lehre, seine Thaten, sein

ganzes vorbildliches Leben,

fein Leiden und Sterben hatte den Einen

großen Zweck, zunächst daS auserwählte, von Anfang an begnadigte, und auf den großen Tag der Erscheinung des Erlösers vorbereitete Volk Gottes, die Juden,

von denen das Heil über die ganze Welt kommen

sollte, in den Genuß der Freuden seines unvergänglichen Reiches ein­ zuführen. Aber der freundliche Ruf: Kommt, es ist Alle- bereit, waS euch von der drückenden Last der Sünde befreien und eurem schuldbewußten Herzen Ruhe und Frieden

gewähren kann;

Seele mit dem Brode des Lebens,

kommt, die

hungernde

die dürstende mit dem lebendigen

Wasser in Ewigkeit zu befriedigen — ward überhört und verachtet. „Und sie fingen an alle nach einander sich zu entschuldigen.

Der

erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft—nicht kommen." Die Einen werden von Berufögeschäften, die Anderen von sinn­ lichen Vergnügungen abgehalten, zu folgen.

der Einladung zur großen Mahlzeit

Ist eö nicht heute noch eben so?

lichen Angelegenheiten,

daS

Die Sorge um die zeit­

Streben nach den Gütern der Erde,

die

Lust an immer wechselnden Freuden der Sinne ist ja die Ursache, wes­ halb so viele Menschen den Ruf Gottes zur Seligkeit geringschätzen und vielmehr der lockenden Stimme der Welt Gehör schenken, welche

83 auch ruft: Kommt, cs ist Alles bereitet, was euch zufrieden und glück­ lich machen kann. O über die Thoren, welche glauben, daß die Welt zu geben vermöge, was nur allein in Christo Jesu zu finden ist, näm­ lich der Seele wahres und ewiges Heil! Nein, das Erdenglück ist nur ein Scheinglück und nimmer werth, all' unser Denken und Sinnen daraus hinzurichten und um seinetwillen die Bedürfnisse des inwendi­ gen Menschen ganz aus den Augen zu setzen. Ach, die Reue und der Schmerz über ein Leben, in dem wir die unS von frühester Jugend auf dargebotenen Gelegenheiten, würdige Genossen des Reiches Gottes zu werden, aus-allerlei nichtigen Gründen und Ausflüchten haben un­ benutzt vorübergehen lassen, kann und wird nicht ausbleiben, und sollten wir die strafende Stimme auch erst am Richterstuhle des Sohneö GotteS vernehmen müssen. „Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knechte: Gehe auS bald auf die Straßen und Gassen der Stadt — herein." Wer beharrlich der Gnade Gottes widerstrebet, macht sich derselben endlich ganz unwürdig und wird aus eigener Schuld ihrer verlustig. So erging es den Kindern Israel, welche nicht zur Gnadentafel deö Herrn Jesu kommen, daS in Christo dargebotene Heil nicht im Glauben ergreifen wollten. Ach, darum weinet auch der Herr über Jerusalem, weil es nicht die Zeit erkannt hat, darinnen es heimgesucht wurde (Luc. 19, 41 — 44). Nun werden sie, die schon durch die Propheten des A. B. Berufenen und Geladenen, vom Genusse des Abendmahls ausgeschlossen und die Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden von den Straßen und Gassen der Stadt gerufen. DaS sind die innerhalb und unweit des jüdischen Landes wohnenden Heiden, welche von den Juden, die sich ihrer Erkenntniß, ihres Glaubens und Wandels wegen allein für Gott wohlgefällig hielten, mit dergleichen verächtlichen Namen be­ legt wurden. Und diese folgen der Stimme der zu ihnen gesandten Boten, und kommen, um das helle Licht deö Evangelii, das auch ihnen leuchten soll, zu sehen und um im Glauben an den Erlöser Erben deö ewigen Lebenö zu werden. Sind nun nicht die Juden gleichsam Arme, Krüppel, Lahme und Blinde geworden? Und wie steht's bei uns? Ist nicht dieses Verhältniß zwischen Juden und Heiden in anderer Beziehung auf uns selber anwendbar? Wie die Heiden sich mit heilsbegierigerem Herzen dem Reiche der Wahrheit und Gnade anschlossen, als die so hoher Vorzüge theilhaftigen Israeliten, so sind es unter und gar oft die in leiblicher Armuth lebenden, mit körperlichen Gebrechen versehenen und darum nicht selten verachteten Mitmenschen, welche dem Rufe Christi zur Seligkeit ein willigeres Ohr schenken, als wir, welche die Gnade deö himmlischen Vaters vor ihnen in jeder Hinsicht reich bedacht hat. 6*

84 Ja, sie folgen oft freudiger, als wir; denn ihr Sinn und Herz ist nicht an die Erde ßefesselt, leibliches Elend und Ungemach hat ihrer Seele eine höhere Richtung gegeben; weil die Außenwelt keine Freuden für sie hat, hat sich ihnen um so mehr die innere Welt deS Geistes auf­ geschlossen; weil eS dem Körper an Gesundheit gebricht, ist ihnen tun so mehr an der Gesundheit des inwendigen Menschen gelegen. O selig dann der Arme, der dem Rufe: Kommet her zu mir, Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, Matth. 11, 28. Folge leistet und sich Christo anvertraut; denn er wird reich an himm­ lischen Gütern: selig der Krüppel; denn er erhält in den Augen GotteS Gestalt und Schöne: selig der Lahme; denn er wird, fest im Glauben stehend, seligen Lohn empfangen: selig der Blinde; denn er wird mit seinen GeisteSaugen die Herrlichkeit deS Heilands schauen. „Und der Knecht sprach: Herr, eS ist geschehen, waS Du befohlen hast; eS tst aber noch Raum da. Und der Herr sprach — voll werde." Bis auf den letzten Platz möchte Gott seine Gnadentafel besetzt se­ hen. Sind erst alle Menschen in das Himmelreich eingegangen, dann ist der Raum gefüllt. Bevor dies geschehen, höret er nicht auf zu ru­ fen: Kommt, denn eS ist Alles bereit; ergreifet im Glauben an den Erlöser das ewige Leben. Darum lässet er auch seine Boten in die ent­ ferntesten Gegenden der Erde ausgehen, damit sie den in Finster­ niß und Unglauben lebenden Heiden die frohe Botschaft von der durch Christus geschehenen Erlösung und der in ihm zu erlangenden Selig­ keit bringen und sie durch Lehre, Ermahnung, Bitte, Gebet und Erwei­ sung herzlicher Liebe (nöthige sie) in sein Reich einführen sollen. Und „alle Heiden, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten, Herr, und deinen Namen ehren, daß du so groß bist, und Wunder thust, und allein Gott bist." (Ps. 86, 9—10). „Ich sage euch aber, daß der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird." Ihr Kinder Israel, die ihr den fteundlichen und gnädigen Ruf eures Gottes so oft vernommen, warum waren so Wenige unter euch bereit, ihm zu folgen und mit fester Zuversicht deS Herzens sich dem Heiland der Welt anzuschließen, da eS euch doch vor den übrigen Völ­ kern der Erde vergönnt war, feine Herrlichkeit zu schauen, auS seinem Munde die Worte deS Lebens zu hören, und die trostvolle Zusicherung, daß ihr vor Allen zur Theilnahme an seinem Reiche erwählt und aus­ ersehen wäret? Ach! nun seid ihr alle, die ihr im Unglauben behar­ retet, von den Freuden der Seligkeit in Christo ausgeschlossen und wer­ det sein himmlisches Freudenmahl nicht in seiner Herrlichkeit schmecken, wenn ihr nicht Buße thut und das in ihm dargebotene Heil mit le-

85 bendigem Glauben ergreifet. O daß dies Wort des Herrn nicht auch uns treffen möchte! Was sollen wir deshalb thun? Siehe, ich stehe vor der Thür, und klopfe an. So Jemand meine Stimme hören wird und die Thür aufthun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmähl mit ihm halten, und er mit mir Offenb. Joh. 3, 20.

XL. und XM. Vom Thurmbau und vom Könige, der mit sich zu Rathe geht. Luc. 14, 28—30.

28. Wer ist aber unter euch, der einen Thurm bauen will, und fitzt nicht zuvor, und über­ schlägt die Kosten, ob er eS habe hinauszuführen. 29. Auf daß nicht, wo er den Grund gelegt hat, und kann eS nicht hinausführen, Alle, die eS sehen, anfangen seiner zu spotten, 30. Und sagen: Dieser Mensch hob an zu bauen, und kann eS nicht hinausführen.

Luc. 14, 31-33. 31. Oder, welcher König will sich begeben in einen Streit wi­ der einen andern König, und sitzt nicht zuvor und rathschlagt, ob er könne mit zehn tausend be­ gegnen dem, der über ihn kommt mit zwanzig tausend? 32. Wo nicht, so schickt er Botschaft, wenn jener noch ferne ist, und bittet um Frieden. 33. Also auch ein jeglicher un­ ter euch, der nicht absagt Allem, daS er hat, kann nicht mein Jünger sein.

Eine Menge Volks begleitet den Herrn auf seinem Wege gen Je­ rusalem C. 13, 22., ohne zu wissen oder auch nur zu ahnen, wem sie folgen und was es heiße, Jesu wahrhaft und würdig nachzufolgen; wie sich ja auch heute noch Viele zur Christenschaar zählen, ohne den Heiland zu kennen und ohne sich der Anforderungen bewußt zu sein, die er an Jeden stellt, der sei» wahrer Jünger sein will. Daher fühlt sich der Herr gedrungen, das Volk, welches wohl auch in der Erwar­ tung mit ihm ging, daß er nun in Jerusalem sein Reich aufrichten und sie als seine Nachfolger in dasselbe aufnehmen würde C. 19, 11., über das Wesen und die Beschaffenheit seiner Nachfolge zu belehren, indem er sich dazu theils klarer und bestimmter Worte V. 26 und 27, theils un­ serer beiden Gleichnisse bedient.

86 „Wer ist aber unter euch," spricht er, „der einen Thurm bauen will und sitzet nicht zuvor und überschlaget die Kosten, ob er's habe hinauszuführen" — was zur vollkommenen Ausführung möchte erforderlichsem. Wer sich Christo anschließen, sein treuer Freund und Jünger wer­ den will, unternimmt auch Großes, ja Herrliches und über alle mensch­ liche Vorstellungen Erhabenes. digen Sohne Gottes,

Denn er will sich hingeben dem leben­

welcher ist die Quelle unvergänglicher Freuden

und der Vorn des ewigen Lebens.

Aber je schöner das Ziel, das er

sich gesteckt, um so reiflicher und sorgfältiger muß auch die Prüfung sein, die er vorher mit sich anzustellen hat, ob er sich stark genug fühle, alle Beschwerden und Mühseligkeiten zu tragen, Feindschaft und Ver­ folgung über sich zu nehmen,

freudig und gern auf Alles Verzicht zu

leisten, was sich mit dem Christenberufe und mit dem Glauben und der Liebe zu Jesu nicht verträgt, überhaupt immer und in alten Fällen sich selbst um Christi willen zu verleugnen.

Denn ohne Kreuz und ohne

Selbstverleugnung keine wahrhaftige Nachfolge Jesu, wie dies der Herr selbst

sagt Matth. 16, 24. (Luc. 9, 23

Marc. 8, 34.):

Witt mir

Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. „Auf daß nicht, wo er den Grund geleget hat u. s. w. —" Wollten wir ohne solche Rücksprache und Prüfung mit uns selbst, wollten wir ganz unvorbereitet und ohne daß die innigste Sehnsucht nach unzertrennlicher Gemeinschaft mit dem Erlöser tief im Herzen ruht, uns zur Nachfolge

des Herrn bekennen und Genossen seines Reiches

werden: so würden wir gar bald erfahren müssen, daß es mit unserem bloßen Wollen nicht gethan ist, sobald unö das Vermögen fehlt, angefangene Werk glücklich fortzuführen und zu vollenden. Menschen Wille unwandelbar

ist von Natur schwach,

auf das

daS

Denn des

und untüchtig, sich fest und

Höhere und Göttliche

hinzurichten.

Fleißige

und andächtige Betrachtungen der ewigen Wahrheit, inbrünstiges Fle­ hen und Gebet zu Gott müssen ihn erst heiligen, kräftigen und im Gu­ ten beharrlich machen.

Dieser Wille aber, der sich ausschließlich dem

Willen Jesu unterordnet, vermag, von des heiligen Geistes Kraft getra­ gen, allen Hindernissen, Anfechtungen und Gefahren siegreich zu wider­ stehen und eS dahin zu bringen, daß wir als die lebendigen Steine zu einem geistlichen Haufe erbauet werden 1 Petr. 2, 5 und daß sich un­ ser Herz zu einem Tempel GotteS umgestalte. So lasset und nicht müde werden im Gebet um des heiligen Geistes Gnadenkraft zur Vollendung des Werkes unserer Heiligung! Von Gott wohlgefälliger Gesinnung durchdrungen und von laute-

87 rer Gottesfurcht und Frömmigkeit erfüllt, die sich vornehmlich Ln einem an Werken der Liebe und

des

Glaubens reichen

Wandel

ausprägt,

werden wir auch der Welt, die das Heilige so gern mit Füßen tritt, Achtung und Scheu einflößen.

Ein Thurm, der in vollendeter Schön­

heit seines Baues majestätisch zum Himmel emporstrebt, übt ja auch auf ein rohes,

für das Schöne sonst unempfängliches Gemüth einen

wohlthuenden Eindruck aus.

Und du in der Reinheit und Schönheit

deiner Seele und deines Lebens bist gleichsam ein geistlicher Thurm mitten in der Niedrigkeit der Welt. Wer aber mit seiner Besserung den Anfang macht, doch von der­ selben bald wieder ablässet, weil es ihm zu mühsam und unbequem ist, und sich lieber in die Arme der Sünde zurück begiebr, wo ihm Ver­ gnügungen und Annehmlichkeiten aller Art winken; der wird zwar von der Welt wegen seiner Umkehr mit Freuden begrüßt, aber auch seines eitlen und thörichten Beginnens halber verspottet.

Siehe da, heißt eö

dann, du wolltest uns ja treulos verlassen, wolltest bauen und wachsen? Warum bist du denn still gestanden?

Du hättest, wie wir, lieber gar

nicht anfangen sollen; denn das Anfangen erheischet das Vollenden. Oder — fährt der Herr in der Belehrung über seine Nachfolge fort —- welcher König will sich begeben in einen Streit u. s. w. Die Tugend der Selbstverleugnung, welche der Heiland von Allen, die ihm angehören wollen, als unerläßlich fordert, können wir unS nur durch harten und langen Kampf aneignen. Denn es gilt, den eigenen Willen, der dem heiligen Willen GotteS von Natur widerstrebet, zu brechen und dem Willen Jesu so zu unterwerfen, daß auS beiden nur Ein Wille wird; eö gilt die verkehrte Eigenliebe abzulegen und die Liebe zu dem Herrn in unS herrschen zu lassen; nicht unsere Ehre, und

unsern

Vortheil

zu

suchen,

sondern

Seine

Ehre,

Seinen

Vortheil; nicht unsere Weisheit geltend zu machen, sondern die himmlische Weisheit zu bekennen; ja bereit müssen wir sein, Alles, waS unö lieb 26 und 27), erkennen, lernen

und

theuer ist, um

Christi willen hintanzusetzen (93.

müssen uns selbst arm und elend fühlen,

unser Nichts

unserem eigenen Leben absagen und eS nicht theuer halten

Matth. 16, 25.,

und mit freudiger

Herr, wenn ich nur dich habe,

Seele ausrufen können:

so frage ich nichts nach Himmel und

Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,

so bist du doch,

Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil Ps. 73, 25. Wie? Sollte diese gänzliche Umgestaltung unsere- Wesens ohne schweren Kampf geschehen können? Gewiß nicht.

Um so nothwendiger

ist eö daher, daß wir uns vorher prüfen, ob wir ihn mit der uns zu Gebote stehenden Kraft werden bestehen können. Aber diese ist ja so

88 schwach, daß wir unmöglich den Vorsatz unserer Besserung damit aus­ führen können. Ja, wenn cS hinreichend wäre, GotteS Gebote mit äußerlich zu erfüllen, so wäre wohl der Streit nicht eben schwer und das Werk unserer Heiligung leicht auszuführen; aber sie sollen unS in'ö Herz geschrieben sein und dem inwendigen Menschen zur Richt­ schnur dienen. Also stehen zehntausend gegen zwanzigtausend! WaS sollen wir nun thun, da wir so ganz an unserem Vermögen verzagen müssen? Nun, zu Gott durch Jesum Christum um Gnade flehen! Er ist in den Schwachen mächtig und wird und Kraft verleihen, damit wir recht kämpfen und die Krone des ewigen Lebens erlangen, welche Gott verheißen hat allen denen, die ihn lieb haben Jacob. 1. 12.

Xliö. Vom verlorenen Schafe. Luc. 15, 1—7.

1. Es naheten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, daß sie ihn höreten. 2. Und die Pharisäer und Schristgelehrten murreten, und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an, und iffet mit ihnen. 3. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichniß, und sprach: 4. Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schaft hat, und so er deren Eins verlieret; der nicht lasse die neun und neun­ zig in der Wüste, und hingehe nach dem verlorenen, bis daß er es finde? " 5. Und wenn er eS gefunden hat, so legt er eS auf seine Achseln mit Freuden. 6. Und wenn er heim kommt, rufet er seine Freunde und Nachbarn, und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, daö verloren war. 7. Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein, über Einen Sünder, der Buße thut, vor neun und neunzig Ge­ rechten, die der Buße nicht bedürfen. Allerlei Zöllner und Sünder nahen zu Jesu, Hülfe und Rath bei ihm zu suchen, wie sie bei Gott Vergebung erlangen und daö Heil ihrer Seele bereiten möchten. O hätten sie sich wohl an einen besseren Seelenarzt wenden können? Er, der da kam, zu suchen, waS verloren ist und um die Sünder selig zu machen, vermag allein da- verwun­ dete Gewissen zu heilen und deS Herzens Kummer dauernd zu stillen. Und siehe, freundlich und liebreich nimmt er sie an, ja er verschmähet eö sogar nicht, zur Rettung ihrer Seelen in näheren, vertrauten Um-

89 gang mit ihnen zu treten. Solch' hohe Liebe und tiefe Herablassung vermochten freilich Pharisäer und Schriftgelehrten in ihrem Stolze und bei ihrer eingebildeten, falschen Frömmigkeit nicht zu begreifen. Sein Umgang mit Zöllnern und Sündern war vielmehr in ihren Augen ein steter Gegenstand des Aergernisses und ein deutlicher Beweis seiner eigenen Unwürdigkeit. Zur Belehrung sollte cs ihnen daher dienen und zugleich zur Nachahmung, wenn der Herr in diesem wie in dem folgenden Gleich­ nisse von seiner Sünderliebe spricht. Wir gehen Alle in der Irre, wie verlorene Schafe, ein Jeglicher siehet auf seinen Weg. Obwohl uns Christus, der gute Hirte, auf einer grünen Aue weidet und zum frischen Wasser führet—> Ps. 23—, daß wir in Allem volle Genüge haben, so entziehen wir unS doch so gern seiner Aufsicht, Sorge und Leitung und suchen, dem verkehrten eigenen Willen folgend, ohne ihn des Lebens Glück zu finden. Aber mögen wir uns auch noch so glücklich fühlen, wir sind ohne ihn doch arm und elend; mögen wir uns noch so frei dünken, wir sind ohne ihn doch nur Sclaven; mögen mir immerhin wähnen, auf frischem, blühendem Pfade zu gehen; ohne ihn durchwandeln wir doch nur dürre und wüste Stätten. Das ist aber die unselige Verblendung, in welche die Sünde stürzt, daß wir unseren elenden, hülflosen Zustand nicht er­ kennen und den Abgrund des Verderbens, der sich vor und neben und öffnet, mit unseren Augen nicht wahrnehmen. Mit jedem Schritte ent­ fernen wir unS daher mehr und mehr von dem gebahnten Wege, bis wir endlich, der Gefahr, Noth und dem Elend preisgegeben, verlassen und verloren in der weiten Einöde deö Lebens dastehen. Wer wird unS nun erretten? Jesus, der Hirt und Bischof unserer Seelen — 1 Petr. 2, 25 —- ist uns nachgegangen; denn er nimmt nicht blos Sünder an, sondern suchet sie auch auf, suchet sie auf mit einer Sorge, Mühe und Liebe, wie sie eine zärtliche und bekümmerte Mutter zeigt, die sich deö kranken Kindes also annimmt, daß es scheinen möchte, als habe sie die übrigen gesunden Kinder ganz und gar vergessen. Denn er will, daß Keiner von den Seinigen verloren gehe, sondern daß Alle zum ewigen Leben gelangen. Joh. 3, 16. O laß dich nun auch von ihm finden! Siehet er nur die geringste Bereitwilligkeit, zu den treugebliebenen Schafen seiner Heerde umzukehren, so wird er dir auch helfen von deinem Falle auferstehen und deine Rückkehr dir leicht machen. Er ist ja so ftoh, der große Sünderfreund, daß er dich wieder zu den Seinigen zurückbringen kann. Wohl ist nach so vielem Straucheln deine Kraft, im Glauben an ihn wieder fest zu stehen, geschwunden und die Seele nach so langem Darben matt ge-

90 worden. Aber vertraue dich noch so matt und kraftlos nur freudig und getrost ihm an; bei ihm wirst du Erquickung finden und neue, frische Kraft gewinnen, daß du wieder jung wirst wie ein-Adler —■ Ps. 103, 5. Vertraue dich ihm an, er wird's dich nicht entgelten lassen, daß du ihm so viel Mühe und Sorge gemacht hast; steht er ja doch seine Mühe belohnt. Lässet denn auch eine Mutter ihren Unwillen gegen daö nach langer, schwerer Krankheit wieder genesene Kind auS, weil es ihr Schmerz und Mühe gemacht hat? Und wie es den Herrn mit inniger Freude erfüllt, wenn er die verlorene Menschenseele vom Verderben hat erretten können, so will auch der große Erzhirte, daß wir uns allezeit über die Umkehr eines Sünders freuen und unsere Freude tut Danke und Lobe gegen den himmlischen Vater äußern sollen. Nun so lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, waö er dir Gutes gethan hat, der dir alle deine Sünden vergiebet und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöset, der dich krönet mit Gnade und Barm­ herzigkeit. Ps. 103, 1—4. Ja freuen wollen wir unS, da auch Gort selbst und alle seine heiligen Engel im Himmel ein Wohlgefallen daran haben, wenn ein armer Sünder zur Zahl der Gerechten, welche fich der Gnade GotteS in Ewigkeit erfreuen, hinzugethan wird.

XMII. Vom verlorenen Groschen. Luc. 15, 8—10.

8. Oder, welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie deren Einen verlieret; die nicht ein Licht anzünde, und kehre daS HauS, und suche mit Fleiß, bis daß sie ihn finde? 9. Und wenn sie ihn gefunden hat, rufet sie ihre Freun­ dinnen und Nachbarinnen, und spricht: Freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. 10. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln GotteS über Einen Sünder, der Buße thut. Wir Menschen sind Christi erkauftes und theuer erworbenes Gut und Eigenthum 1 Cor. 6, 20; denn er hat für uns sein hei. liges Leben als Lösegeld dahin gegeben Matth. 20, 28., Marc. 10, 45. und unsere Sünden selbst geopfert an seinem Leibe auf dem Holze, auf daß wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben 1 Petr. 2. 24.

91 Sollte eö ihn daher nicht tief bekümmern, wenn ihm einer derselben untreu wird und in der Verblendung seines Herzens den Weg der Sünde geht? Sollte ihm nicht unendlich viel daran gelegen sein, den in Finsterniß Irrenden zum Lichte und zur Wahrheit zurückzuführen und die in ihm herrschende Liebe zur Welt in freudige Liebe zu Ihm und zu Gott umzuwandeln, in welcher daö wahrhaftige Leben verbor­ gen liegt? So hat denn auch Christus, wie das Weib ein Licht an­ zündet, um den verlorenen Groschen wieder zu finden, zur Nettung der verlornen Menschen das Licht des Evangelii angezündet, daß es die Herzen erleuchte und mit seinen erwärmenden und belebenden Strahlen durchdringe. Das sotten nun aber auch wir, die wir des Lichtes Kinder find, hell leuchten lassen und nicht unter den Scheffel stellen, son­ dern auf einen Leuchter Matth. 5, 15., damit cs seinen Schein überallhin verbreite und die Schalten der Finsterniß und die Dunkelheit des Un­ glaubens vertreibe. Und wie das Weib das Haus kehret, auf daß der Groschen nicht im Staube liegen bleibe, unkenntlich und endlich vom Rost verzehrt werde, so will er auch, daß durch Gottes Wort, Gesetz und Eoangelium, alle Unsauberkeit, aller Sündenschmutz aus dem In­ nern entfernt werde, damit daö edle Gepräge des Menschen, daö gött­ liche Ebenbild, nach dem wir geschaffen sind, nicht allmälig verschwinde, sondern von jedem Flecken, welchen die Sünde anklebt, gereinigt und in voller Schönheit wieder sichtbar werde. Denn je reiner das Herz, desto klarer und deutlicher das Bild Gottes an uns. O wie groß daher die Verantwortlichkeit für Alle, die, obgleich von Christus, dem Herrn, ganz besonders dazu berufen, diesen geist­ lichen Zuchtbesen des Wortes Gottes nicht nach seinem Willen, mit der Sorgfalt und Ausdauer des Weibes im Gleichnisse, gebrauchen! Wie? Lieben wir nicht im Sünder Jesum selbst? Wohl aber denen, die bei sich fleißig kehren und suchen lassen, denn ihre Seele, so verloren gewesen, wird wieder gefunden werden zur Freude der Heiligen auf Erden und aller Engel Gottes im Himmel.

XXIV.

Vom verlorenen Sohne. Luc. 15, 11—32.

11. 12.

Und er sprach: Ein Mensch hatte zween Söhne; Und der jüngste unter ihnen sprach zum Vater: Gieb

92 mir, Vater, das Theil der Güter, das mir gehöret. Und er theilete ihnen das Gut. 13. Und nicht lange darnach sammlete der jüngste Sohn Alles zusammen, und zog ferne über Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen. 14. Da er nun alles das Seine verzehret hatte, ward eine große Theurung durch dasselbige ganze Land, und er fing an zu darben. 15. Und ging hin, und hängte sich an einen Bürger desselbigen Landes, der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. 16. Und er begehret? seinen Bauch zu füllen mit Träbern, die die Säue aßen; und Niemand gab sie ihm. 17. Da schlug er in sich, und sprach: Wie viele Tage« löhner hat mein Vater, die Brpd die Fülle haben, und ich ver­ derbe im Hunger. 18. Ich will mich aufmachen, und zu meinem Vater ge­ hen, und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündiget in dem Him­ mel, und vor dir; 19. Und bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße; mache mich als einen deiner Tagelöhner. 20. Und er machte sich auf, und kam zu seinem Vater. Da er aber noch ferne von dannen war, sahe ihn sein Vater, und jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals, und küssete ihn. 21. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe ge­ sündiget in dem Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße. 22. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor, und thut ihn an, und gebet ihm einen Fingerreif an feine Hand, und Schuhe an seine Füße; 23. Und bringet ein gemästet Kalb her, und schlachtet eS; laßt uns essen und fröhlich sein: 24. Denn dieser mein Sohn war todt, und ist wieder le­ bendig geworden; er war verloren, und ist gefunden worden. Und fingen an fröhlich zu sein. 25. Aber der älteste Sohn war auf dem Felde, und als er nahe zum Hause kam, hörete er die Gesänge und den Reigen; 26. Und rief zu sich der Knechte einen, und fragte, was das wäre? 27. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein gemästet Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund wieder hat. 28. Da ward er zornig, und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus, und bat ihn.

93 29. Er antwortete aber, und sprach zum Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und habe dein Gebot noch nie über­ treten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30. Nun aber dieser dein Sohn gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästet Kalb geschlachtet. 31. Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und Alles, was mein ist, daS ist dein. 32. Du solltest aber fröhlich und guteö Muths sein; denn dieser dein Bruder war todt, und ist wieder lebendig geworden, er war verloren, und ist wieder gefunden. Wie viele Menschen sind dem jüngsten dieser beiden Söhne gleich! Sie verlassen auch,

ihres Kindesverhältnisses zu Gott uneingedenk und

im täuschenden Gefühle ihrer Mündigkeit und Selbständigkeit, trotzig, stolz und sicher (Gieb mir —) den himmlischen Vater, der ihnen von Kindesbeinen an so unzählig viel GuteS gethan hat, und täglich gern von seinen reichen Gütern AlleS giebt, waS sie an Leib und Seele be­ dürfen. Aber sie wollen ihre eigenen Herren fein, nicht glückliche Kin­ der im Hause des Vaters bleiben, der doch der rechte Vater ist über AlleS, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden Ephef. 3, 15. Ihrem eitlen, unverständigen Willen ist es ein beschwerliches Joch, sich immerdar nach Gottes Geboten bequemen zu müssen;

ihren verderbten

Begierden ein unerträglicher Zwang, allein den engen und oftmals stei­ len und dornigen Pfad der Tugend und Gottseligkeit zu wandeln. Darum wählen sie sich ihren eigenen Weg, der ihnen nach der trüge­ rischen Vorstellung ihrer sinnlichen Lüste angenehm und gemächlich er­ scheint,

den breiten Weg, auf dem der große Haufe wandelt.

wehe ihnen!

Aber

Einmal vom Vaterherzen getrennt und von Gott nach

ihrer eigenen Wahl in verkehrten Sinn dahingegeben (er theilete ihnen —), zu thun, das nicht taugt Rom. 1, 28., werden sie auch von den wild tobenden Wogen ihrer Begierden und Leidenschaften unaufhaltsam fort­ gerissen, schwächen und vergeuden sie im Dienste des Lasters die herr­ lichen Gaben Leibes und der Seele, welche Gott dem Menschen zur würdigen Erfüllung seiner wahren Bestimmung

auf Erden verliehen

hat, um, wenn der Becher der Lust geleert und die Kraft erschöpft ist, als ein Bild des Elends, der Schande und Verachtung vor der Welt dazustehen (V. 15 und 16).

Siehe, Jüngling, die tiefe Erniedrigung

des ungerathenen, in Schwelgerei und Ueppigkeit versunkenen SohneS; siehe, wie er, der es im Hause des VaterS so gut hatte, jetzt vergeblich darnach verlangt, den quälenden Hunger auch mit der schlechtesten Speise

94 zu stillen; ja stelle ihn dir vor in der ganzen Größe seines Jammers und Elends und — lerne daS Laster hassen und fliehen! Aber wie die Morgendämmerung

nicht eher anbricht,

bevor die

Nacht am dunkelsten geworden, so erwacht auch der Sünder gar oft erst dann aus seiner Selbstbetäubung, wenn eS

mit ihm auf's Aeußerste

gekommen, wenn er im tiefsten leiblichen und geistlichen Elende schmach­ tet und seinen völligen Untergang nahe vor Augen flehet.

Was hast

du gethan? ruft dann die innere Stimme; wie hast du den himmlischen Vater, die Quelle aller Liebe und alles Segens, treulos verlassen und durch deinen Leichtsinn so schwer beleidigen können? Morgendämmerung in des Sünders Brust. den.

O das ist die

Bald wird eS Tag wer­

Ist erst der trübe Schleier vom Auge gefallen,

der das innere

Verderben verbarg und wahrhaftige Erkenntniß der Sünde eingetreten, so wird alsobald die Diene folgen, jene Traurigkeit, jener Schmerz der Seele, jene tiefe Selbstverachtung, mit dem ihn das lebendige Gefühl gänzlicher Unwürdigkeit vor Gott (— im Himmel) erfüllt, jene Thrä­ nen, die das gebeugte und zerknirschte Herz dem Auge entpreßt.

Vom

festen Entschlüsse der Besserung auf'S Innigste durchdrungen, zieht es ihn nun zum Vater hin, die schwerbeladene, geängstigte Brust im offenen Geständniß zu erleichtern und zu seinen Füßen Vergebung der Sünde zu erflehen.

So mache dich auf, im heißen, brünstigen Gebete zu ihm

zu nahen; er,

der Barmherzige und Gnädige,

dem "deines Herzens

Sehnsucht nicht verborgen ist, wird dir Kraft von oben verleihen, daö Werk deiner Besserung auszuführen; er wird dich in deiner Betrübniß trösten, seiner Versöhnung,

seiner väterlichen Liebe und seines Wohl­

gefallens wider dein Erwarten versichern und, von freudigem Vertrauen erfüllt,

wird dann dein Mund aussprechen,

wovon das arme Herz so

voll ist, und Friede und Ruhe werden bei dir einkehren.

Und Gott,

der sich über die Umkehr eines Sünderö freut, wird dich schmücken mit den Kleidern des Heils und dir anziehen den Rock der Gerechtigkeit Jes. Gl, 10.; er wird dir zum Zeichen deö neuen Bundes deiner Seele mit ihm den Fingerreif seiner Liebe reichen; er wird dich mit deö hei­ ligen Geistes Kraft ausrüsten, zu laufen den Weg seiner Gebote und dich sättigen mit himmlischer Speise zum ewigen Leben. O selige Gewißheit, die uns der Herr gegeben, daß wir vom Tode wieder zum Leben in Gott gelangen können! Die Freude des Vaters über die nach langer Trennung erfolgte Wiederkehr des verlorenen und todt geglaubten Sohnes theilen auch die Knechte.

Nur der ältere Bruder schließt sich von ihr auS.

Die allge­

meine Lust und das Frohlocken im Hause erfüllet ihn vielmehr mit tie­ fem Unwillen.

Er hat dem Vater so viele Jahre treu gedient und

95 seine Gebote niemals wissentlich übertreten; aber dafür noch keine be­ sondere Anerkennung erhalten, während doch jetzteines Verschwenders und Wollüstlings wegen, der sich in seinen Augen sogar des Brudernamens unwürdig gemacht (dieser dein Sohn —), der Freude kein Ende sein will. Das gütige Zureden des VaterS und seine freundlichen Vorstel­ lungen, daß ihm durch die Aufnahme des Bruders ja nichts entgehen, daß ihm auch ferner gehören solle, was deS Vaters sei, und wie er wohl Ursache habe, sich mit ihm über das so glückliche Ereigniß zu freuen, vermögen ihn nicht anderen SinneS zu machen. Er bleibt un­ willig und gehet nicht hinein. In seinem Bilde spiegelt sich Israel ab, das im Vertrauen auf des Gesetzes Werke und des Gott erwiesenen äußerlichen Gehorsams daS ausschließliche Wohlgefallen Jehovas und vor allen andern Völ­ kern besondere Vorrechte zu besitzen glaubte. Daher sah es mit nei­ dischen und mißgünstigen Augen auf die ihrer Meinung nach in Laster und Sünde tief versunkenen und deshalb verachteten Heiden hin, die ohne deS Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, zu Gnaden angenommen und zur Theilnahme am Reiche Gottes zugelassen wur­ den. An seinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob, denen der Glaube an die großen Verheißungen GotteS zur Gerechtigkeit gerechnet wurde 1 Mos. 15, 6.; C. 26, 24. 25.; 28, 13. 14. — hatte es nicht ge­ lernt, wie der Mensch gerecht werde, um allen Stolz auf eigenes Ver­ dienst abzulegen und in Demuth das oft dargebotene Heil zu ergrei­ fen; an dem Sohne Gottes, der die Sünder suchte und annahm, um ihre Herzen zu bekehren, erkannte es nicht die Liebe Gottes gegen alle Menschen und sein Verlangen nach ihrer Seligkeit, um sich über die Rettung eines Verlorenen zu freuen und den Gefallenen freundlich die Hand zu reichen. Israel wäre wohl des Herrn Volk geblieben, wozu es von Anfang an auserlesen war, und zur Seligkeit in Gott gekom­ men, wenn es Christum in redlichem Glaubenögehorsam angenommen hätte; aber eö verachtete seine Güte und Langmuth, wollte nicht auch ein seliges Kind im Hause des liebenden Vaters werden und —• stehet noch heute draußen. Christen sind durch den Tod des Mittlers zur heiligen Kindschaft GotteS erhoben und eng unter einander verbrüdert. Die Freude deS himmlischen Vaters soll darum auch ihre gemeinsame und höchste Freude sein und sich vornehmlich kund geben, wenn der Sünder vom Tode zu einem neuen Leben in Gott aufersteht. S. Apostgesch. 16, 34. Wer von solcher Gesinnung nicht durchdrungen ist, hat sich noch nicht in die Tiefe der erbarmenden Vaterliebe Gottes versenkt, mit welcher er alle seine Menschenkinder umfaßt, ohne etwas von ihnen zu fordern,

96 als ein ihm in kindlichem Vertrauen treu ergebenes Herz Spr. 23,26., und muß sich fester an

den Heiland anschließen,

in dem sie in ihrer

ganzen Schönheit und Stärke sichtbar ist, tun sich zu ihrer Höhe auf­ schwingen zu,lernen.

Je reiner und erhabener aber diese Freude ist,

desto größer wird dann auch unser Bemühen sein, ihre seligen Empfin­ dungen uns durch liebreiches Verhalten gegen den gefallenen Bruder und durch thätigen Beistand zu seinem Auferstehen zu bereiten. Laßt unS ein brüderliches Herz gegen unsere Brüder haben,

weil

Gott ein Vaterherz gegen seine Kinder hat, und uns freuen, wenn sich die Verlorenen wiederfinden, da sich Gott freuet, der doch in sich selbst vollkommen selig ist. Sünder

Diese Freude an

der Gnade Gottes gegen die

öffnet uns die Thür zum himmlischen Freudensaal,

FrohlockenS der

in

Seligkeit vereinigten

der

Liebe

Seelen

zum Vater

kein

Ende

und

sein

im

wird.

wo deS

Gefühl gleicher O bleibet nicht

draußen!

XliV.

Vom ungerechten.Haushalter. Luc. 10, 1—9.

1. Er sprach aber auch zu seinen Jüngern: ES war ein reicher Mann, der hatte einen Hauöhalter; der ward vor ihm berüchtiget, als hätte er ihm seine Güter umgebracht. 2. Und er forderte ihn, und sprach zu ihm: Wie höre ist daS von dir? Thue Rechnung von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr Hauöhalter sein. 3. Der HauShalter sprach bei sich selbst: WaS soll ich thun? Mein Herr nimmt daS Amt von mir; graben mag ich nicht, so schäme ich mich zu betteln. 4. Ich weiß wohl, waS ich thun will, wenn ich nun von dem Amt gesetzt werde, daß sie mich in ihre Häuser nehmen. 5. Und er rief zu sich alle Schuldner seines Herrn, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6. Er sprach: Hundert Tonnen Oel. Und er sprach zu ihm; Nimm deinen Brief, setze dich, und schreibe flugS fünfzig. 7. Darnach sprach er zu dem andern: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Malter Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief, und schreib achtzig. 8. Und der Herr lobte den ungerechten HauShalter, daß

97 er klüglich gethan hätte. Denn die Kinder dieser Welt sind klü­ ger, denn die Kinder deS Lichts in ihrem Geschlecht. 9. Und ich sage euch auch: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Unter dem Bilde des Haushalters,

dem ein reicher Mann seine

Güter zur Verwaltung anvertraut hatte, stellt der Erlöser das Verhält­ niß vor unsere Augen, in welchem die Menschen in Hinsicht auf den Besitz irdischer Güter zu Gott stehen. Er, der reiche Gott Himmels und der Erde, ist der Eigenthumsherr aller Guter und Gaben; schen sind nur Verwalter derselben.

die Men­

Deshalb ist uns auch die heilige

Pflicht auferlegt, gewissenhaft damit umzugehen, und die Kräfte Leibes und der Seele, unsere Gesundheit, nach

dem Willen

deS Höchsten

unsere Zelt und unser Leben ganz anzuwenden.

Wie unverantwortlich

handeln also die, welche diese Gaben leichtsinnig verschwenden, und an­ statt sie zur Ehre Gottes und zur Beförderung ihrer eigenen und der Wohlfahrt ihrer Nebenmenschen zu gebrauchen, nur Schaden und Un­ segen im Reiche Gottes damit anrichten. Uns Allen — denn ein Jeglicher hat sein anvertrautes Pfund — ist daher von Christus im ungerechten Haushalter ein warnendes und belehrendes Beispiel hingestellt worden.

Besonders aber soll eS euch,

die ihr vom Vater im Himmel reichlicher mit irdischem Hab und Gut gesegnet seid, zum Warnungszeichen dienen,

das euch vom unnützen

Gebrauch deS Eurigen abhalten und vor den traurigen Folgen der Ver­ schwendung bcwahrcnbsoll.

So lasset es uns Alle oft und fleißig und

mit prüfendem Blicke betrachten! „ES hatte — umgebracht." Auch du wirst den Anklagen nicht entgehen, wenn du mit dem Reichthum an zeitlichen Gütern, damit dich dein Schöpfer begnadigt hat, Mißbrauch treibst und ihn allein nach deiner Willkühr, zur Befriedi­ gung deiner sinnlichen Neigungen und Gelüste, zur Erreichung deiner selbstsüchtigen Zwecke anwendest. die Nackten, die du nicht gekleidet;

Die Armen, die du nicht gespeiset; die Kranken, die du nicht besucht;

die Wittwen und Waisen, die du nicht in ihrer Trübsal getröstet hast: in ihren vereinigten Seufzern und Thränen steigt der Klageruf zu Gott hinauf:

Ach, ein Haushalter, der seines Herrn Güter umgebracht!

„Und er forderte ihn — sein." Und Gott wird dich vor sich rufen.

Das thut er hienieden durch

die richtende und strafende Stimme des Gewissens,

die sich schon wird

vernehmen lassen, wenn du dich auch noch so sehr bemühest,

sie durch

steten Sinnenrausch und Freudentaumel auf immer zum Schweigen zu

7

98 bringen.

Za, sie läßt sich hören,

sei es auch erst dann, wenn Kreuz,

Trübsal, Angst und Noth über dich Sterblichen hereinbrechen, um dann mit um so größerem Nachdruck dir zuzurufen: Haushalter, wie wirst du mit deiner Rechnung bestehen! DaS thut er durch sein heiliges Wort, das lebendig ist und kräf­ tig, und schärfer denn kein zweischneidig Schwert, und durchdringet, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ein Rich­ ter ist der Gedanken und Sinne des Herzens, vor dem keine Creatur unsichtbar ist, 4, 12. 13.

sondern vor seinen Augen alles bloß und entdeckt Ebr.

DaS wird schon in günstigen Augenblicken deines gottlosen

Lebens den Weg zu deinem Herzen finden, Stimme zuzurufen:

um dir mit erschütternder

Haushalter, wie wird es mit deiner Rechnung

stehen! Das thut er durch den Tod, Richterstuhle erscheinen muß.

wenn dann dein Geist vor seinem

O wie wird es dir sein, wenn er nun

zu dir spricht: Wie höre ich daö von dir?

Siehe, die Seufzer deiner

nothleidenden, aber von dir zurückgestoßenen uud verlassenen Brüder sind -von der Erde

zu

mir herausgedrungen,

um dich zu verklagen.

Habe ich dir darum meine Güter anvertraut, daß du sie verschwenden und nur für dich genießen solltest? ganz vergessen,

Warum hast du auch mich so

da ich dir doch oft genug Gelegenheit gegeben habe,

mein zu gedenken? Oder geschieht dir etwa Unrecht?

Nun so thue

Rechnung von deinem Haushalten. Wie schrecklich wird dann euer Zustand sein, ihr ungerechten Haus­ halter!

Der euch zur Rechenschaft fordert, ist ja der Allwissende, dem

euer ganzes gewissenloses Handeln bekannt ist; der Allgegenwärtige, dessen Urtheil sich Niemand entziehen kann; der Gerechte, der ohne An­ sehen der Person Jedem nach seinen Werken vergilt. ist die Rechnung, die von euch gefordert wird! alle Gaben und Güter eingetragen,

Und wie groß

In Gottes Buch sind

die euch anvertraut worden;

alle

Gelegenheiten und Ermunterungen, die ihr hattet, Gutes zu thun, sorg­ fältig niedergeschrieben: worten?

und

wer kann auf Tausend nur Eine- ant­

Was kann daher anders die Folge dieser Rechenschaft sein,

als ein schreckliches Urtheil der Verwerfung? mehr Haushalter sein, wird es heißen. den über Wenigem getreu gewesen,

Du kannst hinfort nicht

Nur. der Knecht, der auf Er­

wird hier über Viel gesetzet.

Du

aber hast dich nicht bewährt, und deshalb alles Vertrauens verlustig gemacht. „Der Haushalter -- betteln." Ja, hätte sich nur der Thor von Anfang an fleißig und gewissen­ haft gefragt: Was soll ich thun, um jederzeit als ein treuer und ehr-

99 licher Diener meines Herrn erfunden zu werden? so würde er sich nicht jetzt, da er nicht mehr weiß, wo auS noch ein, voller Angst und Ver­ zweiflung zu fragen haben: Was soll ich thun,

um mich aus meiner

großen Verlegenheit zu retten? Christ, mache es nicht so. deinem Gewissen recht oft,

Jetzt, da du noch Haushalter bist, lege

bei jeder freudigen oder traurigen Veran­

lassung, bei jeder Vergrößerung oder Verminderung deines Guts, die Frage vor:

Was soll ich thun?

Es kommt die Zeit, wo ich AlleS,

waS ich jetzt besitze, verlieren werde.

Wie unglücklich würde ich fein,

wenn ich statt der irdischen Güter, die mir genommen werden, schönere, himmlische erhalten könnte!

Was soll ich thun?

auch an mich der ernste Ruf ergehen:

nicht

Bald kann

Thue Rechnung von deinem

Haushalten; und ich bin nicht bereit genug, diese Rechnung abzulegen. Was soll ich thun? WaS wird denn aber der Haushälter thun wollen,

da ihn sein

verschwenderisches Leben nicht allein in leibliche Armuth gestürzt, son­ dern ihm auch alle Kraft und alle Lust zur Arbeit geraubt, und sein Herz mit Hoffahrt erfüllt hat, die sich zu betteln schämt? Wird er zum Herrn hingehen,

der ihm immer so viel Nachsicht erwiesen und Ver­

trauen geschenkt hat, um reuig und bußfertig seine Gnade anzuflehen? O das würde ja große Selbstdemüthigung und nichts anders als bet­ teln sein. „Ich weiß wohl — achtzig." Er verläßt sich lieber auf seine List und Schlauheit, und suchet sich durch Betrügereien fortzuhelfen. sen Weltmenschen.

So machen'ö auch heute noch die bö­

Da ist keine Bosheit so groß, welche sie nicht be­

gehen, kein Bubenstück so schändlich, dessen sie sich schämen, keine Mühe so anstrengend, daß sie sich ihr nicht unterziehen sollten, wenn eö die Erreichung ihrer gottlosen Absichten gilt. Gute Freunde will sich der Haushalter an den Schuldnern seines Herrn erwerben, die ihn nach seiner, für ihn unzweifelhaft erfolgenden Verstoßung in ihre Häuser aufnehmen sollen.

Hätte er sich doch lie­

ber bestrebt, seines Herrn Freund zu bleiben, dann wäre er gut auf­ gehoben gewesen, hier und dort. mit denen helfen,

Was soll ihm aber die Freundschaft

die er erst in sein Sündennetz hineingezogen hat?

Sie wird nur eine Zeitlang währen, schaft

zu verwandeln.

Noth,

um sich dann in bittere Feind­

Elend und Schande sind

doch zu­

letzt sein LooS. Nein, das rechte „Ich weiß wohl, was ich thun will" nicht gefunden.

So wollen wir eö finden.

Jetzt,

hat er

soll eS bei uns

heißen, da ich noch im Besitz der mir anvertrauten Güter bin, soll mir

7*

100 die Rechenschaft immer vor Augen schweben, und sie soll mich warnen, keine der Gaben Gottes übel anzuwenden. Jetzt, da ich noch Haus­ halter bin, will ich mich beim Gebrauch der zeitlichen Güter in der Rechtschaffenheit und Menschenliebe üben, und mir dadurch einen Schatz für den Himmel erwerben. Das will ich thun. Und wenn ich dann bei meinem besten Bestreben dennoch gewahr werde, wie unvollkom­ men meine Treue ist, so will ich zu der Gnade GotteS in Christo Jesu meine Zuflucht nehmen, und täglich beten: Herr, gehe nicht in's Ge­ richt mit deinem Knecht; denn vor dir ist kein Sterblicher gerecht Ps. 143, 2. „Und der Herr lobte — Geschlecht." Ja, das muß man mit dem Herrn anerkennen, so verwerflich auch sonst die ganze Sinnes- und Handlungsweise des Haushalterö ist, daß er den nach reiflicher Ueberlegung gewonnenen Entschluß zur Begrün­ dung seines ferneren Fortkommens mit ganz besonderer Klugheit aus­ zuführen weiß. Welche Vorsicht, daß er keinen der Schuldner übergeht, um sie sich alte zu Freunden zu machen; welche Schlauheit, daß er eS jeden selber aussprechen läßt, wie viel die Schuld betrage, damit sie um so mehr die Größe der ihnen gewordenen Wohlthat zu würdigen ver­ möchten; welche Vedachtsamkeit. mit der er im Hinblick auf die vielleicht bald bevorstehende Rechenschaft eiligst die Handschriften zu verfälschen heißt! Warum hätte ihm aber auch solche Klugheit nicht beiwohnen sollen, da sein ganzes Lichten und Trachten von jeher darauf hinge­ richtet war, den Herrn zu täuschen und zu hintergehen? Gewiß, nur durch lange Uebung der Ungerechtigkeit hat er zu ihr gelangen können. Wie? Ist darum daö Lob, daS der Herr seiner Klugheit ertheilt und daS sie auch als solche wohl verdient, nicht zugleich ein harter Tadel, der ihn selber trifft? Aber wir Kinder des LichtS können sie unmöglich ohne tiefe Schaam und Reue betrachten. Oder verfahren wir etwa in der Erstrebung unseres Ziels mit derselben Beständigkeit, Vorsicht und Klug­ heit, mit der die Kinder der Welt in ihren Angelegenheiten zu Werke gehen? Und dennoch ist unser Ziel so herrlich und so schön, und der Lohn unablässigen und eifrigen Strebend darnach hienieden schon be­ glückend und dort so unaussprechlich groß, daß wir wohl mit Paulus vergessen sollten, was dahinten ist, und uns strecken zu dem, was da vorne ist, und nachjagen dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung GotteS in Christo Jesu Philipp. 3. 13 — 14. Ach, lasset unS doch die Kinder der Welt unsere Lehrmeister sein, und unS so emsig werden aus daS Gute, als sie auf'S Böse sind; so sorgfältig für unser geistliches Wohlsein, als sie für ihre leibliche Erhaltung;

101 so verschlagen,

die Hindernisse unserer ewigen Seligkeit, als sie die ihrer

irdischen Glückseligkeit, abzuwenden, damit wir uns des schönen Na­ mens der Kinder des Lichts würdig machen und den Trost haben, einst in die lichten Wohnungen der himmlischen Seligkeit vom Vater des LichtS aufgenommen zu werden. „Und ich sage euch —- Hütten." Noch einmal: Waö soll ich thun?

Oeffne das Herz dem schönen

Gefühle der Menschenliebe;

sei allezeit bereit,

Schöpfer

dem

anvertraut

trockne Thränen,

hat,

von dem, waö dir der

ncthleidenden

Bruder

mitzutheilen;

stille Seufzer, sei ein segnender Engel.

derheit aber erweise Gutes allen denen,

Inson­

die würdige Glieder an dem

Leibe Jesu Christi sind, damit sie, durch deine Hülfe und durch deinen Beistand getröstet und gestärkt, mit um so festerem Vertrauen zu ihrem Heilande aufblicken. um für dich zu beten,

O dann werden sich ihrer Aller Hände falten, und mit dem Gedanken an ihren Gott und Er­

löser wird sich der Gedanke an dich, eng vereinen.

ihren

Freund und Wohlthäter,

Und wenn dich der Tod dermaleinst von deiner Haus­

haltung abruft, so wird dich der Herr, dem du selbst in deinen Brü­ dern gedient hast, für die Güter der Erde, die du verlassen, den Lohn der himmlischen Güter, die du dir schon hier mit jenen gesammelt, in seiner ganzen Süßigkeit schmecken lassen.

Alle aber, die dir schon in

die ewigen Hütten vorangegangen, wo Friede und Freude ohne Aufhö­ ren wohnen, werden dir mit leuchtendem Antlitz entgegenkommen und dich segnend zum Throne Gottes führen, wo du die herrlichen Worte vernehmen sollst:

Ei,

du frommer und getreuer Knecht,

Wenigem getreu gewesen;

ich will dich über Viel setzen,

du bist über gehe ein zu

deines Herrn Freude! Matth. 25, 21. Welch' ein unaussprechlicher Segen kaun lichen und ungewissen Reichthum entsprießen!

doch auö dem betrügO machet euch Freunde

mit dem ungerechten Mammon!

XI/VI.

Vom reichen Manne und dem armen Lazarus. tue. 16, 19-31.

19. ES war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand, und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.

102 20. ES war aber ein Armer, mit Namen LazaruS, der lag vor seiner Thür, voller Schwären, 21. Und begehrcte sich zu sättigen von den Brosamen, die von deS Reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde, und leck­ ten ihm seine Schwären. 22. ES begab sich aber, daß der Arme starb, und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schooß. Der Reiche aber starb auch, und ward begraben. 23. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf, und sahe Abraham von ferne, und Lazarum in seinem Schooß, 24. Rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mei­ ner, und sende Lazarum, daß er daS Aeußerste seines Fingers inS Wasser tauche, und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. 25. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und LazaruS dagegen hat BöseS empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeiniget. 26. Und über daS alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestiget, daß die da wollten von hinnen hinabfah­ ren zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu nnS herüberfahren. 27. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28. Denn ich habe noch fünf Brüder, daß er ihnen be­ zeuge, auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mosen und die Propheten; laß sie dieselbigen hören. 30. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Todten zu ihnen ginge, so würden sie Buße thun. 31. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Pro­ pheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Todten auferstünde. Wie nichtsbedcutcnd muß in den Augen jenes reichen Mannes daS menschliche Leben gewesen sein, da er cS in einem beständigen Tau­ mel von Lustbarkeiten zubrachte! ihn seine Reichthümer,

Welchen geringen Werth müssen für

seine Kräfte,

seine Zeit und seine Gesundheit

gehabt haben, da er alle diese Gaben Gottes, die zu höheren Zwecken bestimmt sind, allein den sinnlichen Vergnügungen aufopferte!

Welche

niedrige Vorstellungen mußte er sich von seiner irdischen Bestimmung machen, da er immer nur auf sich selbst, auf Befriedigung seiner Eitel­ keit und Wohllust Bedacht nahm!

Und doch gab ihm Gott in dem

103 armen Lazarus täglich und stündlich Gelegenheit, sich des Werthes und Zweckes seines Lebens und der ihm geschenkten zeitlichen Güter bewußt zu werden, und seine Bestimmung zu erkennen. Er lag vor seiner Thür: fühlte er sich nicht aufgefordert, ihm ein Obdach zu gewähren? Sein Lager war die harte Erde: fand er nicht für ihn wenigstens ein Bett von Stroh? Schwären und Eiter bedeckten seinen Leib: konnte er nicht durch lindernde und heilende Mittel seinen schmerzensreichen Zustand zu beseitigen suchen? Außer den Citaten seines kranken Lei­ bes hatteer noch Hunger zu ertragen: warum fanden sich für ihn nur Brocken, die von seiner reich besetzten, üppigen Tafel herabgefallen waren? Konnte er nicht deö Armen Vater, des Verlassenen Freund, deö Kranken Arzt, deö Schwachen Beistand, deö Darbenden Ernährer sein? Aber er verstand seines Gottes Wink und Fingerzeig nicht; sein Herz war und blieb kalt und theilnahmlos. Ist es doch in der That, als hätten die Hunde, die des Armen Schwären leckten, mehr Gefühl und Erbarmen gehabt, als er. Ach mein Gott! wie Vielen verschließt doch dieser Welt Reichthum, den du giebst und gönnst, daö Herz so ganz für die edleren und höheren menschlichen Gefühle und Empfindungen! Wie Vielen wird er die Duette eines üppigen, verschwenderischen und von dir entfremdeten Lebens! Wohl dir, du armer Lazaruö, daß du Armuth, Roth und Elend mit Geduld und Er­ gebung getragen und deinem Schöpfer und Gott unwandelbar treu ge­ blieben bist! An dir hat es sich bewährt, daß der Vater im Himmel dem, welchem er dort die Krone der Herrlichkeit aussetzen will, hienieden oftmals ein hartes, schweres Kreuz zu tragen giebt, damit er die Mühseligkeiten des irdischen Lebenö recht erkennen und um so größere Sehnsucht nach jenem schöneren Leben in sich tragen solle. „Und was ist daS Leiden dieser Zeit? Wi ebald ist's überwunden!" Lazaruö stirbt, und Engel Gottes, die ihn schon immer umschwebten, tragen ihn in Abrahams Schooß. Da wird sich für ihn, wie für Alle, die dem Glauben nach wahrhaftige Kinder Abrahams sind, alles Erdenleid beim seligen Anschauen Gottes in ewige Freude verwandeln. Doch auch der Gottlosen Herrlichkeit und Glückseligkeit währet nur eine Zeitlang. Reichthum vermag nicht vor dem Tode zu schützen. Wie der Arme stirbt auch der Reiche, und —- wird begraben. Freunde folgen deinem Sarge nicht, denn du hattest keine, nur Schmeichler; Thränen des Schmerzes werden nicht um dich geweint, nur Thränen der Freude von lachenden Erben; segnende Hände breiten sich nicht über deine Gruft aus, denn du selbst hast keinen Segen gespendet. Ach, da liegt er nun im kalten Schooße der Erde, der vorher in Purpur und Byssus gehüllte Leib, um eine willkommene Beute der Würmer zu

104 werden, wahrend der Geist vor dem Richterstuhle Gottes erscheinen muß, um das Urtheil der Verdammniß zu empfangen. die frühere Lust in Leid,

Da verwandelt sich

der vorige Ueberstuß in Mangel,

der Erde

Herrlichkeit in höllische Qual. O schrecklicher Zustand,

sich

dann

von Gott und allen seligen

Geistern getrennt zu sehen; die Größe ihrer Seligkeit zu schauen, ohne ihrer selbst theilhaftig zu sein; sich vergeblich nach Linderung der bren­ nenden Schmerzen zu sehnen, die daS Bewußtsein schlecht angewandter Lebenszeit verursacht; die trostlose Aussicht zu haben, ewig in diesem freudenlosen Zustande verharren zu müssen und die nagenden Vorwürfe deS Gewissens zu empfinden, auch Andere gleich unglücklich und elend gemacht zu haben! Betrachtet euch ja in diesem Spiegel, ihr gottlosen Reichen, daß ihr nicht auch an den Ort der Qual kommet.

Reißet die Liebe zum

Mammon aus den Herzen heraus und sendet die Liebe zu Gott in sie hinein.

Gottesliebe wird eure Herzen zur Nächstenliebe entflammen,

daß ihr es fortan eure größte Freude sein lasset, wohlzuthun und mit­ zutheilen.

Gott und den Nächsten lieben, ist der Weg zur Seligkeit,

den Moses und die Propheten, Christus und seine Apostel uns vorge­ zeichnet haben.

3. Buch Mos. 19, 18; Matth. 22, 37 — 40.

bedürfen wir nun weiter Zeugniß? werden wir

ihn

sicher finden.

WaS

Folgen wir nur ihrer Leitung, so Vermag dich aber die

Leuchte

deS

Wortes Gottes nicht auf den Pfad des LebenS hinzuführen; ja hat der auferstandene Christus dich nicht mit dem seligmachenden Glauben erfüllen können: wahrlich, so würde es dir auch nichts helfen, ob je­ mand sonst von den Todten auferstände.

XIiVII. Dom Knechte, der vom Felde kommt. Luc. 17, 7-10.

7. Welcher ist unter euch, der einen Knecht hat, der ihm pflüget, oder daö Vieh weidet, wenn er heim kommt vom Felde, daß er zu ihm sage: Gehe bald hin und setze dich zu Tische? 8. Ist eS nicht-also, daß er zu ihm saget: Richte zu, daß ich zu Abend effe, schürze dich, und diene mir, bis ich esse und trinke; darnach sollst du auch essen und trinken. 9. Danket er auch selbigem Knechte, daß er gethan hat, waS ihm befohlen war? Ich meine eS nicht.

10. Also auch ihr: wenn ihr Alkes gethan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan, daS wir zu thun schuldig waren. Ist es schon eines jeglichen Knechtes Beruf und Pflicht, seinem leiblichen Herrn, nicht allein dem gütigen und gelinden, sondern auch dem wunderlichen

1 Petr. 2, 18.,

in aller Furcht Unterthan zu sein

und ihm in gewisienhaster Treue, Verleugnung, zu dienen;

selbst mit eigener Aufopferung und

um wie vielmehr müssen dann Christen be­

strebt sein, sich nach dem Maße

ihrer Gaben

und Kräfte dem Dienste

Gottes hinzugeben und allein seinen heiligen Willen ihres ganzen Lebens zu machen.

zur Richtschnur

Er ist ja der Schöpfer unseres Le­

bens: wie natürlich, daß cs ihm nun auch geheiliget werden muß.

Er

ist Regierer und Herr der Welt: wie nothwendig, daß wir nun auch seinen Befehlen gehorsam ffnb. nicht

unsere

Herzen

der unerschöpfliche

in

Er ist Aller Vater:

kindlicher

Born der

Liebe

Gnade und

sollen ihm nun

entgegenschlagen? des

Segens,

Er

ist

daraus unS

Allen früh und spat in reicher Fülle zufließt, was wir bedürfen: wollen wir uns deshalb nicht aufgefordert und gedrungen fühlen, durch unab­ lässige Erfüllung des Gebots der Nächstenliebe seinen Absichten nach­ zukommen und an unseren Brüdern Gutes zu thun, wo und wann wir nur können?

Er hat seinen eingeborenen Sohn für uns am Kreuzeö-

stamme sterben lassen: wie? müssen wir nicht bereit sein, Alles aufzu­ bieten, um dieser unaussprechlichen Gnade und Erbarmung durch einen reinen, ihm wohlgefälligen Wandel würdig zu werden?

Ach, daß wir

cs doch recht tief empfinden möchten, wie unendlich viel der Vater im Himmel an unS gethan hat und immerfort thut, um darnach die Größe der Schuld, die wir ihm abzutragen haben, zu ermessen und recht leb­ haft zu erkennen, daß Alles, was wir für ihn, so vollkommen es auch in unseren Augen sein mag, doch eitel Stückwerck ist und von so ge­ ringem Werthe, daß es die größte Vermessenheit sein würde, etwa noch besondere Wohlthaten

und Segnungen gleichsam als Lohn und Dank

dafür zu erwarten, da es uns doch vielmehr zukommt,

ihm für die

Gnade, nach der er un swürdiget, ihm zu dienen, so oft wir eS vermö­ gen, Dank zu sagen und alle die Gaben, die uns aus seiner Hand zu Theil werden, in Demuth als freies Geschenk seiner Liebe anzunehmen. O deshalb weg

geistlicher Hochmuth!

Wo ist die Vollkommenheit?

Sind nicht alle noch so guten Bestrebungen und Werke deö Menschen Wirkungen Gottes, verderblicher Wahn!

davon ihm, nicht unS die Wo ist das Verdienst?

Ehre gebührt?

Weg

Nützen wir etwa Gott,

wenn wir die uns von ihm auferlegten Pflichten nach Gebühr zu er­ füllen suchen, ihm, der Alles hat und unser nicht bedarf?

Lasset und

106 lieber in wahrer Erkenntniß unserer Unwürdigleit mit lauterem Herzen bekennen: Herr, wenn wir auch AllcS gethan haben, waS unS nach Deinem heiligen Willen zu thun obliegt, so sind wir doch nur unnütze Knechte; auf daß wir, von solcher Demuth erfüllt, nicht aufhören, Gott um seinen Beistand zu unserer Besserung und Vervollkommnung zu bitten.

XI/VTII. Vom ungerechten Richter. Luc. 18, 1—8.

1. Er sagte ihnen aber ein Gieichniß davon, daß man alle­ zeit beten, und nicht laß werden sollte; 2. Und sprach: ES war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott, und scheuete sich vor keinem Menschen. 3. ES war aber eine Wittwe in derselbigen Stadt, die kam zu ihm, und sprach: Rette mich von meinem Widersacher. 4. Und er wollte lange nicht. Darnach aber dachte er bei sich selbst: Ob ich mich schon vor Gott nicht fürchte, noch vor keinem Menschen scheue; 5. Dieweil aber mir diese Wittwe so viel Mühe macht, will ich sie retten, auf daß sie nicht zuletzt komme, und übertäube mich. 6. Da sprach der Herr: Höret hier, waS der unge­ rechte Richter sagt. 7. Sollte aber Gott nicht auch retten seine AuSerwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte Geduld darüber haben? 8. Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze. Doch wenn deS Menschen Sohn kommen wird, meinest du, daß er auch werde Glauben finden auf Erden? WaS wäre der Christ, wenn er seine Seele nicht zu^Gott erheben und sein Herz in Leid und Freud, im Glück und Unglück, nicht vor dem himmlischen Vater ausschütten könnte! Ist doch für ihn daS Gebet nichts ander-, als was der Odem für den natürlichen, nicht durch Christum wiedergeborenen Menschen ist. Nein, er vermag ohne dasselbe nicht zu leben. Er verwelkt und versiegt in Sehnsucht, wie eine Blume auf dem Felde ohne Thau und Sonnenschein. Darum, weil es ihm innerstes Bedürfniß und Lebensbedingung ist, betet er auch bei Tag und bei Nacht, im Geräusch der Welt , und in stiller Einsamkeit, im

107 Hause Gottes und im Tempel der Natur. Seine Hände sind gleich­ sam immer gefaltet, fein Auge blickt unverwandt gen Himmel, aus dem Mare seines Herzens lodert unauslöschlich die heilige Opferflamme des Dankes und der Liebe. Deshalb strahlt auch sein Angesicht von steter Freude als ein treuer Abglanz des inneren Friedens; deshalb haben auch Sanftmuth und stiller, Gott ergebener Sinn sein ganzes Wesen verkläret. Kannst du zu deinem Gott mit rechter Inbrunst beten? Hast du'S noch nicht versucht? O an Gelegenheit und Ermunterungen hat es dir doch nicht gefehlt; du hast sie nur leichtsinnig von dir gewiesen. Nun so thue es noch! Wahrlich, hast du erst des Gebetes Süßigkeit geschmeckt und seine gewaltige Kraft erfahren, dann werden dir gewiß die Stunden des Gebets die schönsten und seligsten Stunden deines Lebens sein. Wie viel aber das Gebet des Gerechten vermag, wenn eö ernstlich ist Jae. 5, 16., das lehrt uns schon Jakobs siegreicher Kampf mit Gott 1 Mos. 32, 24—28.; das will uns auch der Heiland an dem Beispiel der Wittwe zeigen, deren unablässiges Bitten sogar den gottlosen, un­ gerechten Richter zu bestimmen vermag, sich ihrer hülflosen Lage anzu­ nehmen und ihr gegen ihre Widersacher und Unterdrücker Schutz zu gewähren, wenn er sich dazu auch nur durch den eigennützigen und un­ edlen Grund bewegen läßt, nicht länger beschwert und überlaufen und zuletzt wohl gar durch ihre stürmischen Klagen und Bitten zur Nach­ giebigkeit gezwungen zu werden. So betet ohne Unterlaß! Werdet nicht müde, alle eure Anliegen vor' Gott zu bringen! Haltet damit an, eure Seufzer zum Himmel hinaufzusenden! Ihr Armen und Verlassenen, ihr Kranken und Be­ kümmerten, ihr Verfolgten und Unterdrückten, ihr Wittwen und Wai­ sen, ihr Alle, die ihr Gott als Vater erkennt und in Christo Jesu lie­ bet, o betet, betet, daß es durch die Wolken zu seinem Herzen dringet und fürchtet nicht, ihm durch euer anhaltendes Flehen und Geschrei lästig zu werden. Nein, so hat er es vielmehr gern, denn daS ist ihm der deutlichste Beweis eures kindlichen Vertrauens und eurer festen Zu­ versicht zu ihm. Und er, der höchste und gerechteste Richter, euer gnä­ diger und barmherziger Gott, wird euch, die er ja um des Glaubens willen, mit dem ihr seinem Sohne angehöret, unendlich liebt und ewig selig machen will, aus aller eurer Sorge, Noth und Trübsal erretten, sollte er auch eine Weile mit seinem Troste und seiner Hülse verziehen; er­ retten zur rechten Zeit wider euer Erwarten und Vermuthen, und in einer Weise, wie es euch am zuträglichsten sein wird, daß ihr dann von seiner Liebe gerührt mit freudiger Seele ausrufen werdet: O wie

108 gnädig ist der Herr! Seine Hülfe ist größer, mächtiger, tröstlicher als unser Glaube. Herr, stärke unS den Glauben! Ja, Herr, stärke unS den Glauben, daß Du so willig bist, Düne AuSerwähltcn zu erhören und zu retten, wenn sie im Gebete nicht müde werden, damit ihn Dein Sohn, Jesus Christus, in dem Du unS er­ wählet, immerdar bei uns finden möge, und laß ihn auf Erden, wo der Noth, des Elends und Jammers so viel und Deine Hülfe so nöthig ist, in den Herzen- Deiner Menschen immer tiefere und festere Wurzeln fassen, auf daß er einst, wenn unser Erlöser kommt, Gericht zu halten, in dem zuversichtlichen Gebete um Gnade und Erbarmung bei Allen, die um seinen Thron versammelt find, in voller Klarheit hervortrete!

XMX.« Don drei Freunden. Luc. 11,5-8.

5. Und er sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, der einen Freund hat, und ginge zu ihm zu Mitternacht, und spräche zu ihm: Lieber Freund, leihe mir drei Brode; K. Denn eS ist mein Freund zu mir gekommen von der Straße, und ich habe nicht, das ich ihm vorlege; 7. Und er darinnen würde antworten, und sprechen: Mache mir keine Unruhe; die Thür ist schon zugeschlossen, und meine Kindlein sind bei mir in der Kammer; ich kann nicht aufstehen, und dir geben. 8. Ich sage euch, und ob er nicht aufsteht, und giebt ihm, darum, daß er sein Freund ist; so wird er doch um seines un­ verschämten GeilenS willen aufstehen, und ihm geben, wie viel er bedarf. Siehe das vorige Gleichniß.

Ii. Dom Pharisäer und Zöllner. Luc. 18, 9—14.

9. Er sagte aber zu Etlichen, die sich selbst vermaßen, daß sie fromm wären, und verachteten die andern, ein solches Gleichniß:

109 10. ES gingen zween Menschen hinauf in den Tempel zu beten; einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11. Der Pharisäer stand, und betete bei sich selbst also: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, Räu­ ber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner; 12. Ich faste zweimal in der Woche, und gebe den Zehn­ ten von Allem, was ich habe. 13. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel; sondern schlug an seine Brust, und sprach: Gott sei mir Sünder gnädig! 14. Ich sage euch: Dieser ging hinab gerechtfertiget in sein HauS vor jenem. Denn wer sich selbst erhöhet, der wird ernie­ driget werden; und wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet werden. Groß und schön ist die Kraft deö Gebets.

Doch vermag nur der

seine beseligenden Wirkungen in Wahrheit zu empfinden, der da weiß, recht zu beten.

Dank sei Dir, Vater im Himmel, daß Du uns durch

Deinen Sohn gelehret hast, wie wir beten sollen, um Deine- Wohl­ gefallens und der Erhörung gewiß zu sein! heiliges Wort recht oft mit Andacht betrachten, würdige Beter Seele!

zu werden!

Laß uns deshalb Dein um Deiner und Jesu

Es trete auch jetzt vor die verlangende

Zween Menschen, ein Pharisäer und ein Zöllner, wandeln hin­ auf zu MorijaS geweihter Höhe, um im Heiligthume ihres Volkes zu beten.

O schön ist der Weg zum Hause Gottes,

Schritte leitet!

wenn das Herz die

Noch schöner und lieblicher aber ist es, in seinen hei­

ligen Raumen in andachtsvoller, von des Erhabenen Nahe geweihter Stim­ mung der Seele zu weilen!

Aber für solche Gefühle und Eindrücke

ist de- Pharisäers Brust verschlossen. Geist- und empfindungslos nahet er sich zu Gott, mit einem Leichtsinn und Stolz, der nur zu deutlich zeigt, welch' irrige Vorstellungen er sich von ihm und von sich selber macht. Ihm ist Gott nicht der Heilige und Gerechte, der nicht die Person und daS äußerliche Thun deS Menschen, sondern allein daö Herz ansteht 1

Sam.

16, 7.; er kennet

nicht daö

demüthigende Gefühl eigener

Sündhaftigkeit und Strafbarkeit und darum auch nicht daS Verlangen nach Begnadigung und Heiligung.

Deshalb ist das Gebet deS Selbst­

gerechten und Scheinheiligen auch nichts Gottes und

anders,

als eine Lästerung

ein Ausdruck seines Dünkels und Menschenhasses.

Ach,

welch' stolze Selbstgefälligkeit, welch' heuchlerische Andacht verrathen doch seine Worte!

Heißt daö beten? Wo ist Verleugnung, Demuth, Glaube,

Nächstenliebe, die man im Herzen tragen muß,

sobald man vor dem

110 Angesichte deS himmlischen Vaters erscheinen will? Wie darf auch der Mensch, wenn er vor Gott steht, daran gedenken, was er vor An­ deren sei? Hätte der stolze Heilige, anstatt sich mit offenbaren Sün­ dern und Bösewichten zu vergleichen, lieber mit unbefangenem Sinn zu dem Vollkommenen aufgeschaut; o so würde er wohl die Verderbt­ heit seines Herzens erkannt und sich nicht unterfangen haben, mit ruhm­ redigen Worten Gott für seine eingebildeten Vorzüge zu danken und seine Tugenden und Verdienste ihm vorzuzählen, statt um Gnade undErbarmung zu flehen. Nein, er verstand nicht zu beten. Fern von dem Orte, da sich der Pharisäer befindet, steht der Zöll­ ner. Als ein armer Sünder glaubt er sich nicht diesem Heiligen und den andern frommen Betern nahen zu dürfen. Aber seine Seele ist mit den lebhaftesten Empfindungen der Ehrfurcht erfüllt; seine Niedrigkeit und Gottes Größe, seine Unwürdigkeit und Gottes Erbarmung, seine Straf­ barkeit und Gottes Gerechtigkeit ist ihm so gegenwärtig, daß er es auch nicht einmal wagt, seine Augen gen Himmel aufzuheben. Und aus sei­ ner Brust, an die er zum Zeugniß des in ihr nagenden tiefen Schmerzes reuig schlagt, bricht der Seufzer hervor: Gott sei mir Sünder gnädig! Ja, das war ein wahrhaftiges Gebet, wie eö der Vater haben will, ein Gebet im Geist und in der Wahrheit Joh. 4, 24. Darum sollte er auch seine segnende Kraft erfahren. Denn mit dem süßen Trost im Herzen, paß Gott seine Sünden nicht ansehe und ihm nicht nach seiner Missethat vergelten wolle, gehet er in sein Haus zurück. Wie fühlt er sich nun so leicht, da das drückende Bewußtsein der Sün­ denschuld von ihm gewichen ist! Wie so freudig gestimmt, daß er den himmlischen Vater, den er so schwer beleidigt hatte, wieder mit sich versöhnt weiß! Welch' heilige Entschließungen mögen ihn beleben; welche Gefühle innigsten DankeS gegen den gnädigen Gott in seinem Herzen wohnen! O sein ganzes Leben, zu dem er gleichsam von Neuem geboren ist, wird von jetzt ab ein herrliches Zeugniß der Größe der göttlichen Gnade an dem Sünder sein. O lasset uns an dem Beispiele deö Zöllners beten lernen! Christ, hast du gesündiget, leugne eö nicht, entschuldige dich nicht, sondern erkenne und bekenne es in herzlicher Buße und nimm vertrauensvoll deine Zuflucht zu Jesu Christo, dem Erlöser, welcher uns ist vorgestellet zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut Röm. 3, 24., so wirst du Vergebung bei dem barmherzigen Gott erlangen. Denn nur dem Demüthigen giebt er Gnade, dem Hoffärthigen aber, der sich in eigener Gerechtigkeit spie­ gelt und der Buße nicht zu bedürfen glaubt, widerstehet er. Des stol­ zen Pharisäers Bild stehe dagegen warnend vor deiner Seele, wenn du

111 zum Hause Gottes gehst oder sonst in Stunden deö Lebens dich mit deinem Schöpfer beschäftigst, und rufe dir stetö mit lauter und ein­ dringlicher Stimme zu: „Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden."

Ms. Von der Thür zum Schafstall. 3»h. 10, 1—11.

1. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Thür hinein gehet in den Schafstall, sondern steiget anderswo hinein, der ist ein Dieb und ei» Mörder. 2. Der aber zur Thür hineingehet, der ist ein Hirte der Schafe. 3. Demsclbigen thut der Thürhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme, und er ruft seine Schafe mit Namen, und führet sie auS. 4. Und wenn er feine Schafe hat ausgelassen, gehet er vor ihnen hin, und die Schafe folgen ihm nach, denn sie kennen feine Stimme. 5. Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern flie­ hen von ihm; denn sie kennen des Fremden Stimme nicht. 6. Diesen Spruch sagte Jesus zu ihnen; sie vernahmen aber nicht, was es war, das er zu ihnen sagte. 7. Da sprach Jesuö wieder zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Thür zu den Schafen. 8. Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder gewesen; aber die Schafe haben ihnen nicht gehorchet. 9. Ich bin die Thür: so Jemand durch mich eingehet, der wird selig werden, und wird ein- und ausgehen, und Weide finden. 10. Ein Dieb kommt nicht, denn daß er stehle, würge und umbringe. 11. Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Ge­ nüge haben sollen. Christus, die Thür zum Schafstall. So müssen denn Alle, die seinen Namen predigen, sein Evangelium verkündigen, sein Reich auf Erden ausbreiten, ihm als seine Apostel dienen wollen, durch ihn er­ leuchtet, von ihm berufen, mit ihui im Glauben vereinigt, durch ihn

112 gekräftigt sein. 3st'S nicht so, fehlt's an Licht, an innerem Beruf, an Liebe, an Glauben, an Hingabe des Herzens für die Sache des Herrn; trie sollen dann die Seelen der Menschen für den geistlichen Schafstall, die Kirche Jesu, durch sie gewonnen werden? Gehören sie doch selbst nicht hinein, da sienur Miethlinge, Diebe und Mörder, nicht wahre Hirten sind? Denn wie Einer, der mit Gewalt in den Schafstall ein­ bricht, nichts Gutes im Sinn hat und weder deö Herrn noch der Schafe Bestes sucht,sondern daß er stehle und die Schafe umbringe: so wird auch ein gewissenloser Hirte der Seelen, der weder Herz, Be­ ruf noch Geist auS Christo hat, sondern sich durch Heuchelei und List oder auf andere Weise in selbstsüchtiger Absicht in das Amt cingeschlichen hat, die Herzen von Gott ablenken, anstatt sie zu ihm zu be­ kehren und ach! die in's Verderben führen, für deren ewiges Heil er sorgen sollte. Das Wehe, welches der Herr über die Pharisäer und Schriftgelehrten ausrief, die das Volk Israel seiner leiblichen und geistlichen Güter beraubten Matth. 23, 14—15., über dasselbe herrschten und ihm das Joch der Menschensahnngen auflegten Matth. 15, 6—9., daß cs war, wie Schafe, die keinen Hirten haben Matth. 9, 36.; die den verheißenen Messias verachteten und durch eigenes Ver­ dienst der Werke in's Himmelreich zu gelangen glaubten: dieses Wehe gilt auch ihnen. Ja „Wehe euch Hirten, die ihr die Heerde meiner Weide umbringet und zerstreuet! spricht der Herr." Jerem. 23, 1. Wohl aber euch, die des Herzens innerster, von Christus selbst ge­ weckter Drang zu Hirten berufen hat! Euch wird der heilige Geist, der euch schon die Thür zum göttlichen Amte geöffnet hat, auch die Thür eurer Lippen Sirach 2, 33. aufthun, daö Wort des Lebens bald mit der Zartheit und Innigkeit deö Johannes, bald mit dem Feuereifer des Petrus, je nach dem Bedürfniß der eurer Pflege und geistlichen Obhut anvertrauten Seelen, zu verkünden, daß sich die Herzen für hie himmlische Wahrheit, für Glauben, Liebe und die selige Hoffnung er­ schließen, und die Sehnsucht in ihnen erwache, immerdar von euch, die sie an der Kraft und Wirkung des Zeugnisses und an dem der reinen Lehre des Wortes entsprechenden heiligen Leben, womit ihr vor ihnen hergehet, als wahrhaftige, treue Hirten erkennen, auf der grünen Aue deö Evangelii geweidet und erquickt zu werden. Und wenn ihr sie ru­ fet, vom Brode des LebenS zu essen und vom lebendigen Wasser zu trinken, so werden sie hungernd und dürstend eurer Stimme folgen, denn sie wissen, daß sie des Heilands Stimme ist, und sich sättigen lassen mit himmlischer Speise zum ewigen Leben. O ja, die Schafe folgen der Stimme ihres treuen Hirten wohl und lassen sich von ihr leiten, denn sie wissen, daß er es gut mit ihnen

113 net -und sie auf rechtem Pfade führet. Folgen dir daher die Schafe deinrer geistlichen Heerde nicht, sondern fliehen sie deinen Umgang, deine Beleehrung, deinen Zuspruch, so merke daran, daß du ihnen ein Frem­ der bist, der nicht die Kraft des göttlichen Wortes zu ihren Herzen brirugen, nicht Hunger nach dem Himmelöbrode zu erwecken und zu stilleen, nicht als ein unsträfliches Vorbild gottseligen Lebens vor ihnen dazurstehen weiß. Da thut eö denn noth, daß du dich erst tut Flehen und Gebet bei Tagl und bei Nacht an den Crzhirlen Christus wendest, daß er dich mit feinem Geiste erleuchte, ttnd dich zur würdigen und gesegneten Führrung deines Amtes und Berufes mit himmlischer Kraft ausrüste, dararn es dir gebricht, bis du seines Geistes Walten in dir verspürst, Herzz und Sinn durch ihn wiedergeboren und du zu einer neuen Creatur geworden bist, die nur in ihm zu leben vermag. Doch wie Keiner ein wahrer Hirt, so kann auch Niemand ein wahrrer Christ sein, der nicht durch Christum, die Thür, eingehet. Ich bin die Thür zu den Schafen, spricht der Herr. Nur durch ihn ha­ ben wir Freudigkeit und Zugvng x$ttnt Vater in aller Zuversicht Cph. 3, 112; nur durch ihn sind unsere Werke und Opfer vor Gott angenehnnr 1 Petr. 2, 5; nur durch Christus können wir zur herrlichen Freilhekt der Kinder Gottes Nöm. 8, 21. und zum Genusse der ewigen Seligkeit gelangen. Denn es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderrer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden Apsttgesch. 4, 12. Ja Jesus das Horn des Heils! Altes von ihm, in ihm und durch ihn! So lasset uns ihn im Glauben ergreifen, auf daß wir Schafe sei­ ner ^'Heerde werden!

MI. Vom guten.Hirten. Ich. 10, 12—16.

12. Ich bin ein guter Hirte. Ein guter Hirte läßt sein Lebcen für die Schafe. Ein Miethling aber, der nicht Hirte ist, deß die Schafe nicht eigen sind, siehet den Wolf kommen, und verliäßt die Schafe, und fliehet; und der Wolf erhaschet und zerstremet die Schafe. 13. Der Miethling aber fliehet; denn er ist ein Miethling, und- achtet der Schafe nicht.

114 14. Ich bin ein guter Hirte, und erkenne die Meinen, und bin bekannt den Meinen. 15. Wie mich mein Vater kennet, und Ich kenne den Va­ ter. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselbigen muß ich herführen, und sie wer­ den meine Stimme hören, und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden. O der Liebe und Freundlichkeit Jesu, der da ist der König aller Könige und der Herr aller Herren, daß er eö nicht verschmähet und sich so tief herablasset, unser Hirt zu sein! Wenn sich vor seiner er­ habenen Majestät und Größe der arme Mensch in tiefer Ehrfurcht nie­ derbeugt, so schmiegt sich das Herz an ihn, den Hirten, in Liebe und Vertrauen willig an. Wie hätte er und doch seiner Sorgfalt, seiner Treue, seines Beistands und seiner herzlichen Liebe mehr versichern können, als da er sich den guten Hirten nennt? Ich bin ein guter Hirt. Ja, Du bist es. Das haben wir schon oft erfahren, wenn Du unS durch Dein theures Wort getröstet, durch Dein heiliges Mahl er­ quickt, durch Deine beseligende Nähe die Stunden des Glücks und der Freude verschönert, die Tage des Unglücks und der Traurigkeit versüßt und verkürzet hast. Du bist es, der liebe, treue Hirt, der nur der Schafe wahres Wohl im Herzen trägt. Das hast Du vor Al­ lem kund gethan, da Du freiwillig, aus Liebe zu den verirrten und verlornen Menschen, die noch alle Schafe Deiner Weide werden sollen, Dein Leben in den Tod dahingegeben hast, damit sie, von der Sünde erlöst, Kinder Gottes und Erben des ewigen Lebens würden. WaS könnten wir Dir nun wohl für solche unaussprechliche Liebe als Dankeöopfer Besseres geben, als ein von kindlichem Gehorsam durchdrun­ genes und geweihtes Herz? O nimm eS in Gnaden von uns an! Erkenne mich, mein Hüter, Mein Hirte, nimm mich an; Von Dir, Quell aller Güter, Ist mir viel Gut's gethan. Dein Mund hat mich gelabet Mit Milch und süßer Kost, Dein Geist hat mich begäbet Mit reichem Himmelstrost. Ach, daß es doch Alle, die in seinem Namen ein Hirtenamt ver­ walten sollen, ihm, dem einigen großen Hirten Christus, an Treue, Liebe und Hingebung nachthun wollten! Wie ganz anders würde eS dann um seine Heerde stehen! Wie viel fester würde daS Band der

115 Gemeinschaft sein, soll!

das die Seelen der Menschen mit ihm umschlingen

Wie würde viel mehr Friede, Freude und gottseliges Leben hie-

nieden

anzutreffen

Miethlinge,

sein!

Aber siehe da unter den Hirten so manche

denen es nur um den irdischen Lohn zu thun ist;

denen

die Schafe, welche doch in den Augen ihres Oberhirten Jesu so hoch und theuer geachtet sind, daß er für sie sogar sein Leben lassen konnte, nicht am Herzen liegen; die cs sich nicht angelegen sein lassen, der Gott­ losigkeit, wenn sie um sich greift, zu wehren,

gefährliche Irrthümer zu

unterdrücken, Schande und Laster auszuroden,

Unheil und Verfolgung

von den Ihrigen abzuwenden;

sondern vielmehr ihre Bequemlichkeit,

ihren Nutzen, ihr Hab und Gut, ihren Leib und ihr Leben der Wohl­ fahrt der Heerde vorziehen

und stumm sind, wo sie reden,

sie handeln, furchtsam, wo sie angreifen, muthloö, sollten.

müßig, wo

wo sie vertheidigen

Wie manches Christenherz gehet durch eure Nachlässigkeit und

Untreue verloren, wie manche Heerde des Herrn wird durch eure Schuld zerstreuet, ihr falschen Hirten! Ich bin ein guter Hirte. in unsere Seelen ein,

O präge eö uns nur recht tief, recht fest

daß Du eö bist,

denn Du weißt ja am besten,

daß in dieser Ueberzeugung unaussprechlich Rufe eö uns zu Schafen,

süßer Trost enthalten ist.

nicht nur in guten Tagen,

wohlergeht,

sondern

auch

wenn eS unS,

zur bösen Zeit,

Deinen

wenn der Wolf

kommt, wenn Leib und Seele in Anfechtung, Elend, Trübsal und desnoth gerathen.

Ach,

hin zu ihm,

dem guten Hirten, mit der In­

brunst der Liebe, mit der Kraft des Glaubens und mit der Freudig­ keit des Vertrauens!

Wenn auch alle Hirten ihre Schafe verlassen, er

verläßt uns nicht, er erkennet die Seinen.

Er weiß, was und fehlt und

was uns heilsam ist und wird unS nach seiner großen Güte in reichem Maße zukommen lassen,

waS wir zu unserem Wohl bedürfen.

hätte dies nicht schon an sich empfunden?

Wer

Welch' gläubigem Gemüthe

hätte sich nicht der Herr, der gute Hirt, in seiner Liebe vielfach offen­ bart?

Ja, er erkennet die Seinen.

nen cingebornen Sohn und

Gleichwie der Vater ihn als sei­

den verordneten Mittler kennet und mit

inniger Liebe umfasset, daß sie beide durch das unauflösliche Band der innigsten Gemeinschaft mit einander vereinigt sind, so kennet der Sohn auch die durch sein Leiden und Sterben theuer erkauften und gewon­ nenen Seelen seiner Gläubigen und liebet, tröstet, erquicket, pfleget und beschirmet sie im Leben und im Tode. O wie herrlich, ein Schäflein Christi zu sein! auserlesenes

Volk Gotteö,

Israel, Israel, du

warum hast t\i den Herrn nicht erkannt?

Warum wolltest du nicht auch zu den glücklichen Schafen seiner Heerde gehören?

O laß ab von deinem fleischlichen 'Hochmuthe, erkenne deine

8*

116 große Bestimmung und kehre um, einzugehen in den Schafstall durch den Glauben an Christum, der auch für dich am Kreuz gestorben ist! Ihr Beten des Heilö, die heilige Liebe zum Herrn in ferne Länder führet, auf! Prediget den Heiden, die noch in der Irre gehen, den Namen Jesu, verkündiget sein theureS Evangelium, lasset das Helle Licht des göttlichen Wortcö unter ihnen leuchten, daß sie in Christo auch ihren Heiland erkennen, ihn im Glauben ergreifen und alö Schafe seiner Weide ewig selig werden. Auf! denn die Scheidewand ist ge­ fallen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; sie sollen allzumal Einer wer­ den in Christo Jesu Galat. 3, 28. Alle, die auf der weiten Erde und im Himmel wohnen, sollen endlich Eine Heerde sein unter dem einigen Hirten Christus, hochgelobt in alle Ewigkeit!

MII.

Vom Weizenkorn. Joh. 12, 24.

24. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ES sei denn, daß daS Weizenkorn in die Erde falle, und ersterbe, so bleibt eS allein; wo eS aber erstirbt, so bringet eS viele Früchte. Noch vermögen die Jünger nicht, den Herrn in seiner Größe und Erhabenheit zu erkennen; denn er wandelt unter ihnen in Knechtsge­ stalt, durch die nur hin und wieder die Strahlen seiner göttlichen Ma­ jestät hervorbrechen. Aber die Zeit ist nahe herbeigekommen, daß des Menschen Sohn verherrlicht und mit der Klarheit umgeben, die er bei dem Vater hatte, che die Welt war Joh. 17, 5, vor ihren und vor den Augen der Menschen dastehen wird. Denn gleichwie das Weizen­ korn, wenn cs Frucht bringen soll, in den befeuchtenden und erwär­ menden Schooß der Erde fallen muß, damit der in ihm verborgene Lebenskeim schwelle und hervorwachse, das Körnlein selbst aber ver­ modere und zu nichte werde: also, will der Herr sagen, müsse auch er nach dem ewigen Rathschlusse des Vaters leiden und sterben und sich siegreich und verherrlicht aus der Erdengruft erheben, um den Menschen Frucht zu bringen zum ewigen Leben. O wer vermag des Segens Fülle zu fassen, die uns aus seinem Tode entsprossen? Ist nun nicht Allem, was die Schrift von Christus

117 vorherverkündiget, und was er selbst gelehrt, gethan und gelebt hat, das heilige Siegel der Wahrheit aufgedrückt? Ist nicht durch das unbe­ fleckte Opferlamm unsere Sünde getilgt, der Schuldbrief zerrissen und unsere Versöhnung mit Gott herbeigeführt worden? Haben wir nicht als Kinder freien Zutritt zum Vater? Werden wir nicht von der ge­ wissen, über allen Zweifel erhabenen Hoffnung belebt, daß auch wir vom Tode zu einem neuen Leben auferstehen werden? Sind wir nicht Erben geworden des ewigen, seligen Lebens? Ach, Herr, unendlich groß ist die Bedeutung und der Segen Deines Todes; unaussprechlich die Herrlichkeit, in der Du jetzt vor unseren Augen dastehst! Nun sehen wir deine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als deS eingeborenen SohneS vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Joh. 1, 14. Der Herr ist für uns gestorben und für uns auferstanden. Christ, bedenk' eS wohl! Nun sollst du auch mit ihm sterben, sterben der Sünde und allen bösen Lüsten, um mit ihm aufzuerstehen zu einem neuen, Gott wohlgefälligen Leben. Nun sollst du in Buße und Verläugnung alle Sclbstgerechtigkeit ertödten, um fruchtbar zu werden an Werken deö Glaubens und der Liebe. Nun sollst du wie ein ausge­ säetes Weizenkorn die alte Gestalt, den alten Menschen, ablegen, um eine neue, vom Geiste des Herrn beseelte Creatur zu werden. Ja ster­ ben sollst du mit Christo, um mit ihm zu leben, mit ihm zur Herr­ lichkeit erhoben zu werden! Röm. 8, 17.

MV,

Christus der Weinstock. Joh. 15, 1—6.

1. Ich bin ein rechter Weinstock, und mein Vater ein Wein­ gärtner. 2. Einen jeglichen Reben an mir, der nicht Frucht brin­ get, wird er wegnehmen; und einen jeglichen, der da Frucht bringet, wird er reinigen, daß er mehr Frucht bringe. 3. Ihr seid jetzt rein um des Worts willen, das ich zu euch geredet habe. 4. Bleibet in mir, und Ich in euch. Gleichwie der Rebe kann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock; also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. 5. Ich bin der Weinstock, Ihr seid die Reben. Wer in

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mir bleibet, und Ich in ihm, der bringet viele Frucht; denn ohne mich könnet ihr nichts thun. 6. Wer nicht in mir bleibet, der wird weggeworfen, wie ein Rebe, und verdorret, und man sammlet sie, und wirft sie inS Feuer, und muß brennen. Liebliches Bild der innigen Gemeinschaft Jesu mit den Gläubigen! Christus, der rechte Weinstock, die Ruthe aus dem Stamme Jsai und der fruchtbringende Zweig aus seiner Wurzel 1 Mos. 49, 11; daS ge­ rechte Gewächs, das dem David sollte erwecket 'werden Jerem. 23, 5. Cr der rechte und lebendige Weinstock, welcher in ewiger Schönheit prangt, nie versiegenden Lebenssaft in sich birgt und Früchte trägt, die daö Herz erfreuen, starken und sättigen; der Weinstock, welcher, von Gott, dem Weingartner, in den geistlichen Weinberg gepflanzet, mit seinem Geiste erfüllt und mit seiner Kraft ausgerüstet, ein steter Ge­ genstand seiner väterlichen Liebe und Freude ist. Er der Weinstock und an ihm jede gläubige Seele ein Rebe. Wie trefflich wahr! Denn gleichwie der Rebe nicht wachsen, gedeihen und Früchte bringen kann, sondern schnell dahinwelkt und verdorret, wenn er, vom Weinstock ge­ trennt, nicht den nährenden und lebenden Saft aus ihm zu entnehmen vermag: so finden auch die Gläubigen nur in der engsten Vereinigung mit ihrem Herrn und Heiland, waö ihr geistliches Wachsthum, Gedeihen und Leben bedingt. Er ist cs, der ihren Geist erleuchtet, ihren Willen heiligt, ihre Kraft verjüngt; der sie trägt und hält und erftischt und durch seinen immer neu in sie ausströmenden Lebens­ saft in allen guten Werken fruchtbar macht. O daß doch der Wein­ stock Christus sich-aus Erden immer herrlicher entfalten und die Zahl seiner Reben von Tag zu Tag immer größer werden möchte! Gehörest du zu den Reben dieses Weinstocks? Ist dir Christus, der göttliche Mittler, der Urheber und die Quelle alles Lebens? Vermagst du nur in dem Bewußtsein der festesten Seelengemeinschast mit ihm froh und glücklich zu sein? Ach, wohl dir, wenn es so ist! Siehe der himm­ lische Vater wird dich, wie der Weingärtner den Reben reinigt, auch von aller Schwachheit, die du noch an dir trägst, frei machen und dir durch seinen Geist Kraft verleihen, dich immerdar der Sünde zu ent­ halten, um dazustehen in vollkommener Gerechtigkeit und Reinigkeit, die ihm wohlgefällig ist. Doch hast du dich nicht mit ganzer Seele Christo hingegeben, daß du in ihm bist und er in dir; bist du von thörichter Weltliebe erfüllt und ein Sclave deiner sinnlichen Triebe und Begier­ den; bist du wohl reich an Früchten des Fleisches, aber arm und leer an denen des Geistes Gal. 5, 19—22: so wird dich Gott von den Segnungen der Gemeinschaft der Heiligen mit dem Erlöser auSschlie-

119 ßen, daß du keinen Theil habest an seiner Gerechtigkeit, Liebe, Gnade und an den seligen Freuden, welche die Gläubigen schon hier empfin­ den, dort aber in seiner Nahe int vollsten Maße genießen werden. Und wie die Reben, die nur Hecrlinge trugen, wenn sie vom Weinstocke als unnütz und schädlich abgeschnitten und dann verdorret sind, ins Feuer geworfen werden, um zu verbrennen, so wird auch in dir der Wurm, der nimmer stirbt, nagen und das Feuer, das nicht verloscht, dich brennen Marc. 9, 44. O daß wir doch recht lebhaft erkennen möchten, welche gesegnete Mittel uns geboten sind, um würdige Glieder des HaupteS Jesu Christi, gesunde und fruchtbare Reben am geistlichen Weinstocke zu werden! Ihr seid rein um deS Wortes willen, das ich zu euch geredet habe, spricht der Herr zu seinen Jüngern. Nun wie sie, können auch wir durch sein heiliges Wort, das und als ein theures Vermächtniß geblie­ ben ist, von Allem, waS sündhaft ist, gereinigt und Bäume werden der Gerechtigkeit, die in Geduld Frucht bringen. Darum lasset uns das Wort annehmen mit Sanftmuth, das in unö gepflanzet ist, welches kann unsere Seelen selig machen. Denn wenn wir sein Wort halten, so bleiben wir ja in ihm, und Er in uns 1 Joh. 3, 24., also, daß das innigste Band der Gemeinschaft uns mit ihm und durch ihn mit Gott vereinet, welches, weil es reine und ungeheuchelte, vom heiligen Geiste erzeugte Liebe zusammenhält, in alle Ewigkeit fortdauern wird. Wie spricht dann der Christ, der sich mit seinem Gott und mit dem Heiland so eng, so fest verbunden weiß? Ich bin gewiß. (Röm. 8, 38—39) daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürsten­ thum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch TiefeS, noch keine andere Creatur mich scheiden mag von der Liebe Gottes, die in Jesu Christo ist, meinem Herrn, welchem sei Preis und Ehre von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

Druck von W. Pormetter In Berlin, Jtommanfcantenfk. 7.