Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre [1 ed.] 9783428464609, 9783428064601

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Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre [1 ed.]
 9783428464609, 9783428064601

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ULRICH STEIN

Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtsiehrem der deutschen Universitäten

Band 63

Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre

Von

Ulrich Stein

Duncker & Humblot . Derlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Hans-Joachim Rudolphi

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Stein, U1rich: Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre / von Ulrich Stein. - Berlin : Duncker u. Humblot, 1988 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 63) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-428-06460-7 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06460-7

Vorwort Diese Abhandlung ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Dissertation, die ich im Wintersemester 1985/86 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn vorgelegt habe. Das Manuskript wurde im Januar 1987 abgeschlossen. Besonderen Dank schulde ich meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Hans-Joachim Rudolphi, ohne dessen hilfreiche und geduldige Förderung die Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Ulrich Stein

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Probleme und Entwicklungsstand der Beteiligungsformenlehre

17

Erstes Kapitel

Einführung in die Problematik

17

§ 1

Das Beteiligungsformenproblem und seine gesetzliche Regelung

17

A. Das "Teilnahmesystem" als traditionelle Lösung

17

B. "Nicht-akzessorische" Täterschaft und "akzessorische" Teilnahme

23

I. Täterschaftstatbestand und Teilnahmetatbestand ..................... II. Täterschaftsunwert und Teilnahmeunwert

c. Die Problematik der §§ 28, 29

23

27 33

I. Die Tatbestandsseite der §§ 28, 29

34

II. Die Rechtsfolgenseite der §§ 28, 29

37

1. Die herrschende Auffassung

38

2. Notwendigkeit und Möglichkeit eines differenzierenden Verständnisses a) Trennung der Tatbestandsfrage vom Haupttat- und Strafrahmenproblem .................................................... . b) Trennung des Haupttatproblems von der Strafrahmenfrage ...... .

40 41

47 49

D. Zusammenfassung §2

Methodologische, verfassungsrechtliche und normentheoretische Vorbemerkungen

50

A. Die teleologische Auslegung und ihre Schranken

51

B. Die Grundprinzipien der funktionalen Systematisierung ..................

56

8

Inhaltsverzeichnis I. Zur Notwendigkeit eines "offenen Systems"

c.

56

11. "Leitprinzipien" als Bausteine eines offenen Systems .................

60

1. Die Funktion von Leitprinzipien ................................

60

2. "Täter-/Tatbezogenheit" und "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" als (kritikwürdige) Beispiele .................. . . . . . .

61

Die inhaltliche Prägung des funktionalen Systems durch das Verfassungsrecht

65

I. Die Ebene der Verhaltensnormen

66

1. Die "rechtliche Verhaltensordnung" als Gegenstand der Verhaltensnormebene .......................................................

66

2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ..............................

68

3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG), insbesondere das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung ....................... . . . . . . . . ..

72

4. Die "Dringlichkeit" von Verhaltensnormen und der Zusammenhang zwischen Normdringlichkeit und Verhaltensfreiheit ...................

75

11. Die Ebene der Sanktionsnormen ..................................

77

1. Tatschuldprinzip und Verhältnismäßigkeits- bzw. Gleichbehandlungsgrundsatz als "Doppelschranke" der Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . ..

78

2. Das Tatschuldprinzip ..........................................

79

3. Der Verhältnismäßigkeits- und der Gleichbehandlungsgrundsatz .....

82

III. Konsequenzen ftir die Beteiligungsformenlehre ......................

85

1. Grundstruktur und lösungsbedürftige Probleme der Beteiligungsformendogmatik ..................................................... 85 2. Kritik der Lehre von der "Zurechnung fremden Unrechts" (Bloy u.a.) .. a) Die "Personalisierung" des Unrechtsbegriffs als normentheoretischer Ansatzpunkt ............................................... b) Die Thesen Bloys ........ . .................................

86 88 90

96

D. Zusammenfassung und Ausblick

Zweites Kapitel Die verschiedenen Erklärungsansätze

100

§3

Die Schuld- und Unrechtsteilnahmelehren

100

A. Die Schuldteilnahmelehre und die Unrechtsteilnahmelehre i.S.v. Less und 101 Trechsel

I. Der Schuld- bzw. Unrechtsverstrickungsgedanke ..................... 101

9

Inhaltsverzeichnis

II. Zur Vereinbarkeit des Unrechts- bzw. Schuldverstrickungsgedankens mit der lex lata ........................................................ 103 B. Die Unrechtsteilnahmelehre LS.v. Otto u.a.

109

I. Die normentheoretischen und dogmatischen Grundlagen dieser Lehre .. 109

II. Die Ausprägungen dieses Gedankens im Schrifttum

111

III. Kritik

114

C. Zusammenfassung .................................................. 118 §4

Ganzheitliche Lehren

119

A. Die methodische Bedeutung ganzheitlicher Ansätze und ihre durch die §§25 ff. gezogenen Grenzen . . .. .. . .. . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . .. 119

B. Analyse und Kritik der wichtigsten ganzheitlichen Ansätze

............... 121

I. Die Lehre Schmidhäusers

121

II. Die »subjektiven" Lehren

124

C. Zusammenfassung .................................................. 125 § 5

Ansätze, die auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen A. Ontische, sprachliche und soziale Strukturen als Maßstäbe

125 126

I. Die »formal-objektiven" Abgrenzungstheorien ....................... 126

II. Das »konkrete Ordnungsdenken" und ähnliche methodische Richtungen

127

III. Nicht-normative Elemente in ansonsten normativen Ansätzen ......... 129

1. Lange ....................................................... 129 2. Bockelmann 130 B. Ethische Maßstäbe

132

I. Abgrenzungskriterien und Tatbestandsvoraussetzungen der Beteiligungsformen ........................................................ 132

1. Roxin ................................................ . ...... 132 2. Gallas, Schumann, Tiedemann II. Die »besonderen persönlichen Merkmale"

136 ............ . ............. 138

C. Zusammenfassung ........................... . ...................... 139

Inhaltsverzeichnis

10

§6

Normative Ansätze auf der Sanktionsnormebene A. Art. 103 11 GG

140 140

I. Analogieverbot

140

II. Bestimmtheitsgebot

142

B. Grad der Vorwertbarkeit

143

C. Erfolgszurechnung (Teilnahme als Gefährdungsdelikt oder Verletzungsdelikt?) 144

144

I. Die Anstiftung

11. Die Beihilfe .................................................... 147

1. Beihilfe als abstraktes Gefährdungsdelikt (Herzberg)?

.............. 147

2. Beihilfe als "abstrakt-konkretes" Gefährdungsdelikt (Vogler)?

151

3. Beihilfe als konkretes Gefährdungsdelikt (Salamon, SchatTstein)?

153

4. Die Rechtsprechung

155

5. Ergebnis

155

D. Die "besonderen persönlichen Merkmale"

156

I. Das rein spezialpräventive Verständnis von Absichtsmerkmalen (Samson, Schünemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156 11. Die Unterscheidung von "wertbezogenen" und "wertneutralen" Merkmalen (Herzberg) ..................................................... 157 111. Die Lehre von der "besonderen Kennzeichnung der Rechtsgutsverletzung" (Gössel) .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160 E. Zusammenfassung .................................................. 160 §7

Normative Ansätze auf der Verhaltensnormebene A. Ansätze, die auf einem (normativen) Regreßverbotsgedanken beruhen

161 161

I. Die Lehre Schumanns ........................................... 162 11. Andere Autoren

................................................ 165

B. Die "Kausalitäts-" und "Gefährlichkeitslehren" .......................... 168

I. Ansätze ohne hinreichende Trennung von Verhaltensnorm- und Sanktionsnormebene, insbesondere die "Kausalitätslehren" .................... 168 1. Birkmeyer

................................................... 168

2. Michael Schultz

.............................................. 170

Inhaltsverzeichnis

11

3. Puppe

171

4. Joachim Schulz

174

5. Die herrschende Meinung zur Abgrenzung zwischen Anstiftung und Beihilfe ....................................................... . 177 a) Die Unterscheidung zwischen der Hervorrufung eines "anderen" und der Veränderung eines "identisch" bleibenden Tatentschlusses .... 178 b) Die Unterscheidung zwischen dem "Hervorrufen" und dem "Bestärken oder Aufrechterhalten" des Tatentschlusses ............... . 178 11. Die "Gefährlichkeitslehren" ..................................... . 1. Perten ..................................................... . 2. Schroeder 3. Lüderssen C. Die Tatherrschaftslehren

181 182 185 186 188

I. Die Lehre von der "finalen Tatherrschaft"

189

1. "Finale Tatherrschaft" und finale Handlungslehre 2. Teilnahme nur an vorsätzlicher Haupttat? ........................ 3. Konsequenzen der finalen Handlungslehre flir die Beteiligung am Unterlassungsdelikt? ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die "Teilnahme am Unterlassen" ............................. b) Die "Teilnahme durch Unterlassen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

189 191 192 192 194

11. Die Tatherrschaftslehre Roxins .................................... 196

1. Der Begriff "Tatherrschaft" ..................................... 2. Die Unterbegriffe "Handlungsherrschaft", "Willensherrschaft" und "funktionelle Herrschaft" ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Handlungsherrschaft ........................ . ........... b) Die Willensherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die funktionelle Herrschaft ..................................

197 198 198 199 203

III. Die Tatherrschaftslehre Jakobs' 205 1. Die "formelle Herrschaft" als Kriterium der unmittelbaren Täterschaft 205 2. Die "überlegene Entscheidungsherrschaft" als Kriterium der mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 206 3. Gestaitungsherrschaft, Entscheidungsherrschaft und formelle Herrschaft als Kriterien der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 D. Die "Pflichtverletzungslehren" ........................................ 209 I. Der mögliche Inhalt einer "Pflichtverletzungslehre" II. Die verschiedenen Ansätze im Schrifttum

1. 2. 3. 4.

.................. 209

211

Langer ...................................................... 212 Roxin ...................... . ................................ 213 Schünemann ................................................. 215 Jakobs

216

12

Inhaltsverzeichnis

E. Die Lehre von der "Rechtsgutsbezogenheit" als Akzessorietätskriterium

218

F. Zusammenfassung .................................................. 219 Zweiter Teil

Grundzüge einer funktionalen Dogmatik der Beteiligungsformen

221

Drittes Kapitel Die für alle Straftatbestände geltenden Grundsätze ("AUgemeiner Teil" der Beteiligungsformendogmatik)

221

§8

Normentheoretische Grundlagen und Grundthesen

221

A. Die Ausdifferenzierung des Verhaltensnormensystems als Dreh- und Angel-

punkt der Beteiligungsformendogmatik ................................ 221 I. Die Ergebnisse der bisherigen Überlegungen als Ausgangspunkt

....... 221

11. Zur Notwendigkeit einer das Verhaltensnormensystem als Gesamtheit berücksichtigenden Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223 III. Grundthesen und Ausblick ......................... . ............. 230 B. Verbotsnormen und Gebotsnormen ................................... 231

C. Täterschaftliche und teilnehmerschaftliche Verhaltensnormen bei Tatbeständen 235 ohne besondere Tätermerkmale I. Die Legitimationsgrundlagen der Unterscheidung von Täter-, Anstifter- und Gehilfenverhaltensnormen ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235

11. Die Leitprinzipien zur Unterscheidung der Täter-, Anstifter- und Gehilfenverhaltensnormen ............................................... 238 1. Die Täterverhaltensnormen .................................. .. 2. Die Teilnehmerverhaltensnormen a) Die Anstifterverhaltensnormen b) Die Gehilfenverhaltensnormen

238 241 241 243

D. Intranen- und Extranenverhaltensnormen, täterschaftliche und teilnehmerschaftliche Verhaltensnormen bei Tatbeständen mit (objektiven) besonderen Tätermerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 247 I. Die sanktions- und verhaltensnormbegrenzende Funktion dieser Merkmale .......................................................... 247

11. Intranen- und Extranenverhaltensnormen (die Problematik der "besonderen persönlichen Merkmale") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249

13

Inhaltsverzeichnis III. Täter- und Teilnehmerverhaltensnormen

252

1. Die Täterverhaltensnormen

.......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 253 a) Tatbestände mit besonderen persönlichen Merkmalen ........... 253 b) Tatbestände mit sonstigen besonderen Tätermerkmalen ......... 255

2. Die Teilnehmerverhaltensnormen ............................... 256 E. Beteiligungsformendogmatik und allgemein-rechtliche Verhaltensordnung F. Zusammenfassung und Ausblick

.. 257 259

§9

Die Teilnahmetatbestandsmerkmale "bestimmen" und "Hilfe leisten"

262

A. "Bestimmen" und "Hilfe leisten" als verhaltenspflichtwidrige und strafbedrohte Verhaltensweisen ................................................... 262

I. Die Abgrenzung zwischen teilnehmerpflichtwidrigen und erlaubten Verhaltensweisen im allgemeinen ....................................... 262 11. Die Abgrenzung zwischen anstiftertatbestandsmäßigen und nicht-tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen im besonderen ..................... 267 III. Die Abgrenzung zwischen gehilfentatbestandsmäßigen und nicht-tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen im besonderen ..................... 269 B. Die Abgrenzung zwischen "bestimmen" und "Hilfe leisten"

270

I. Anstiftung und Beihilfe durch Begehen

270

11. Anstiftung und Beihilfe durch Unterlassen .......................... 273 C. Versuchtes und vollendetes "Bestimmen" und "Hilfeleisten"

.............. 276

I. Bestimmte Konstellationen des Auseinanderfallens von ex-ante- und expost-Betrachtung ................................................ 276 11. Die Unterscheidung von Teilnahme an vollendeter Tat, Teilnahme am Versuch und versuchter Teilnahme ................................... 279 D. Zusammenfassung .................................................. 282

Viertes Kapitel

Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei den Tatbeständen ohne besondere TätermerkmaIe

283

§ 10

Die Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme

283

14

Inhaltsverzeichnis

A. Die Konstellationen mit aktiv handelndem Hinter- und Vordermann

283

I. Mittelbare Täterschaft aufgrund Pflichtmangels des Vordermanns 284 1. Mittelbare Täterschaft aufgrund Pflichtmangels wegen Identität von Vordermann und Rechtsgutsobjektsinhaber .......................... 284

2. Mittelbare Täterschaft aufgrund Pflichtmangels bei Schutzverzicht des Vordermanns ................................................ 287 3. Mittelbare Täterschaft aufgrund prognosebedingten Pflichtmangels 288 4. Mittelbare Täterschaft aufgrund Hervorrufung eines Pflichtmangels

.. 292

11. Mittelbare Täterschaft aufgrund mangelnder Pflichtbefolgungsfähigkeit des Vordermanns ................................................... 293 1. Mittelbare Täterschaft aufgrund Vorsatzmangels

294

2. Mittelbare Täterschaft aufgrund mangelnder Unrechtseinsicht ....... 296 3. Mittelbare Täterschaft aufgrund mangelnder Steuerungsfähigkeit

298

B. Unterlassender Vordermann und handelnder Hintermann ................ 300 C. Handelnder oder unterlassender Vordermann und unterlassender Hintermann 303

I. Zum Meinungsstand

303

11. Die Konsequenzen der hier entwickelten Grundthesen

............... 308

D. Zusammenfassung .................................................. 311 § 11

Die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Teilnahme

313

A. Grundbedingungen eines funktionalen Mittäterschaftsbegriffs ............. 313 B. Zum Meinungsstand ................................................ 314 I. Die Lehre von der "Tätigkeitsanrechnung" .......................... 315

11. Der Mittäterschaftsbegriff Roxins .................................. 317 III. Die Lehre Schillings ............................................. 318 C. Entwicklung eines funktionalen Mittäterschaftsbegriffs

I. Der mögliche Anwendungsbereich

................... 319 319

11. Definition des Mittäterschaftsbegriffs .............................. 321 1. Maßgeblicher Wertungsgesichtspunkt und Leitprinzip .............. 321 2. Exkurs: Parallele Wertung bei der Bestimmung des Versuchsbeginns . 322 IH. Konsequenzen

325 1. Grundzüge einer Konkretisierung des Leitprinzips ................. 325 2. Vergleich mit den Tatherrschaftslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 326

Inhaltsverzeichnis 3. Weitere Einzelprobleme

15 327

D. Zusammenfassung

330 Fünftes Kapitel

Die Tatbestände mit objektiven besonderen TätermerkmaIen

332

§ 12

Die Tatbestände mit "besonderen persönlichen Merkmalen"

332

A. Die Abgrenzung der "besonderen persönlichen Merkmale" von den sonstigen

objektiven besonderen Tätermerkmalen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 332

I. Die Problematik einer Konkretisierung des Leitprinzips ............... 333 11. Die (verhaltensnormrelevanten) besonderen persönlichen Merkmale im einzelnen ......................................................... 334 B. Das Beteiligungsformenproblem ...................................... 338

c.

Das Haupttatproblem

............................................... 339

I. Die besonderen persönlichen Merkmale als Haupttatmerkmale

339

11. Das Teilnahmetatbestandsmerkmal "vorsätzliche Haupttat" ............ 340 III. "Vorsätzlich begangene Tat" bei einem Erlaubnistatbestandsirrtum des Haupttäters? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 345 IV. Strafbare Teilnahme an entschuldigter Haupttat?

347

D. Das Tatbestandsproblem

350

E. Zusammenfassung

350 § 13

Die Tatbestände mit anderen objektiven besonderen Tätermerkmalen

351

A. Das Beteiligungsformenproblem ...................................... 351

B. Das Haupttatproblem

............................................... 353

C. Zusammenfassung

354 Sechstes Kapitel

Die Tatbestände mit besonderen subjektiven Merkmalen

355

§ 14

Die auf die Rechtsgutsobjektsverletzung bzw. -gefährdung bezogene Absicht 355 (dolus directus 1. Grades)

16

Inhaltsverzeichnis

A. Zum materialen Gehalt dieses qualifizierten Vorsatzerfordernisses

356

B. Konsequenzen rur die Beteiligungsformendogmatik

360

c. Zusammenfassung .................................................. 361 § 15

Dolus directus 2. Grades

362

A. Zum materialen Gehalt der "wissentlichen" Begehung

363

B. Konsequenzen rur die Beteiligungsformendogmatik

364

C. Zusammenfassung ........................ ,......................... 365 § 16

Absichten, die auf an sich nicht unwerthafte Sachverhalte gerichtet sind A. Zum materialen Gehalt dieser Absichtsmerkmale

365

....................... 365

B. Konsequenzen rur die Beteiligungsformendogmatik

368

C. Zusammenfassung

372 § 17

Absichtsmerkmale bei unvollkommen-zweiaktigen Delikten und ähnliche Merkmale A. Die unvollkommen-zweiaktigen Delikte

B. Die "Gewerbsmäßigkeit" und ähnliche Merkmale

372 372

....................... 376

C. Zusammenfassung .................................................. 378 § 18

Die "Gesinnungsmerkmale"

379

A. Zum materialen Gehalt dieser Merkmale

380

B. Konsequenzen rur die Beteiligungsformendogmatik

383

C. Zusammenfassung

384

Literaturveneichnis

385

Erster Teil

Probleme und Entwicklungsstand der Beteiligungsformenlehre Erstes Kapitel

Einführung in die Problematik §1 Das Beteiligungsformenproblem und seine gesetzliche Regelung A. Das "Teilnahmesystem" als traditionelle Lösung "Die Konstruktion der Teilnahme am Verbrechen", so schrieb Makarewicz 1906 in seiner "Einführung in die Philosophie des Strafrechts"!, "bildet bloß eine Episode, eine Übergangsperiode, sie wird kaum das 19. Jahrhundert lange überdauern können." Makarewicz sah in der Rechtsfigur der Teilnahme das Produkt einer "objektiven", die Kollektivhaftung ermöglichenden Schuldauffassung, dessen (letztlich nur scheinbare) Harmonisierung mit dem Prinzip individueller Verantwortlichkeit durch zahlreiche Schuldpräsumptionen 2 erkauft werde 3 . Bekanntlich hat er mit seiner Prognose nicht recht behalten - das aus der italienischen Doktrin des Spätmittelalters rezipierte 4 "Teilnahmesystem", also die Unterscheidung verschiedener Formen "täterschaftlicher" und "teilnehmerschaftlicher" Mitwirkung an einer Straftat, hat sich bis heute als sehr zählebig erwiesen. I. Seit der Zeit des naturalistischen Positivismus, der um die Jahrhundertwende noch in voller Blüte stand 5, ist die Zahl der Gegner des Teilnahmesystems S.340. Solche erblickt M akarewicz z. B. darin, daß "der Teilnehmer ... für die Irrtümer und Ungeschicklichkeiten des Täters, ebenso für die von ihm zum Zweck der Ausführung gewählten Mittel verantwortlich" sei (Einführung, 341). 3 Einführung, 331, 337ff., 435; allgemein zur "objektiven" Schuldauffassung aaO, 305ff. 4 Näher dazu Bloy, Beteiligungsform, 58 ff. Eine ausführliche Darstellung der Dogmengeschichte findet sich auch schon bei Heimberger, Teilnahme. 5 Einen Überblick über die Epochen strafrechtlicher Systembildung gibt Schünemann, Grundfragen, 18ff., m. Nachw. zu den jeweiligen grundlegenden Arbeiten. 1

2

2 Stein

18

1. Kap.: Einführung in die Problematik

eher geringer geworden. Kritik fand es damals auch nicht so sehr wegen der (angeblich) zwingend mit ihm verbundenen Schuldpräsumptionen, sondern weil eine von solchen Präsumptionen "gereinigte" Rekonstruktion des Teilnahmesystems auf der Basis des Kausaldogmas, das nach naturalistischer Anschauung den Kern der Unrechtslehre bildete, nicht zu gelingen schien 6 . Allgemeine Zustimmung fand diese Ansicht jedoch keineswegs. Birkmeyer 7 z. B. entwickelte eine Teilnahmelehre, die er gerade auf Kausalitätsdifferenzen zwischen den Beteiligungsformen gründete. Und auch von denjenigen, die solche Differenzen leugneten, forderten keineswegs alle das Einheitstätersystem. Zu nennen ist vor allem v. Buri, der die subjektive (animus-)Lehre entwickelteS, die von der Rechtsprechung übernommen wurde und von ihr im Grundsatz bis heute verfochten wird 9 . Auch das Vordringen der normativ-teleologischen Auslegungsmethode, die den Zweckgedanken - und das heißt für den strafrechtlichen Unrechtsbegriff: den Gedanken des Rechtsgüterschutzes - bis in alle Verästelungen des Straftatsystems fruchtbar zu machen suchte, leistete zwar der Ausbreitung des extensiven Täterbegriffs Vorschub, verhalf aber nicht dem Einheitstätersystem zum Durchbruch 10. Ausgehend von der Überlegung, daß ja auch der (extrane) "Urheber" bei Sonder- und eigenhändigen Delikten für die Pflichtverletzung bzw. die Vornahme der verpönten Handlung (mit-)ursächlich wird, hielten nicht wenige Autoren eine mittelbare Täterschaft des Extraneus bei Sonderdelikten 11 und sogar bei eigenhändigen Delikten 12 für möglich. Der (folglich als Strafeinschränkungsgrund verstandenen) Teilnahme vermochte man dennoch einen Sinn abzugewinnen: Eberhard Schmidt 13 sah den sachlichen Grund für die mildere Bestrafung des Gehilfen in der "geringeren Gefährlichkeit" seines Verhaltens, während z. B. Goetzeler 14 auf die subjektive Lehre rekurrierte. 6 Zu nennen sind z. B. Foinitsky, ZStW 12 (1892), 57 ff., 85 f.; Getz, MittIKV 5 (1896), 348 ff., 351, 355; Heimberger, MittIKV 11 (1904), 538; Höget, MittIKV 5 (1896), 517; Lammasch, ZStW 14 (1894), 511f.; v. Liszt, MittIKV 5 (1896),515; ders., Aufs. II, 87f., 112 f. 7 Teilnahme. 8 Causalität u. deren Verantwortung, 101 ff.; Beih. zu GS 37 (1885), 38ff.; Teilnahme, passim; GA 1869, 233ff., 305ff. 9 Grundlegend RGSt 2, 160ff.; 3, 181 ff. Ein umfassender Überblick über die neuere Rspr., insbes. auch über die Tendenzen zur Annäherung an die Tatherrschaftslehre, findet sich bei Roxin, TuT, 557ff. 10 Es wurde in dieser Zeit offenbar nur vertreten von Kitzinger, JW 1922, 979ff., u. Traeger, JW 1922, 976ff. 11 Berotzheimer. 31; Hegter, RG-Festg. V, 311 ff.; v. Hippe!, StrafR II, 382, 482f.; [bach, 86. 12 So Hegter, RG-Festg. V, 314; ders., Frank-Festg. I, 320 FN 3; Eb. Schmidt, FrankFestg. II, 130. 13 Frank-Festg. II, 118. 14 SJZ 1949, 845.

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

19

Nicht einmal in der vom "konkreten Ordnungsdenken" geprägten Zeit des Nationalsozialismus setzte sich das Einheitstätersystem durch. Zwar ging die amtliche Strafrechtskommission, die eine Neufassung des StGB ausarbeiten sollte 15 , einerseits von einer "erhöhten Verantwortlichkeit des Einzelnen für sein Handeln gegenüber der Volksgemeinschaft" aus, die eine einheitliche Bestrafung aller Formen der Mitwirkung an einer Straftat an sich rechtfertige 16 . Die wegen ihrer "Volkstümlichkeit" für notwendig gehaltene Aufzählung der traditionellen Beteiligungsformen im Gesetzeswortlaut und die entsprechende Fassung des Urteilstenors 17 hätte einer solchen Konzeption nicht den sachlichen Charakter eines Einheitstätersystems genommen. Man hielt dann aber doch die für ein Teilnahmesystem typischen Rechtsfolgendifferenzierungen für erforderlich, und zwar mit einer durchaus am Rechtsgüterschutzgedanken orientierten Argumentation: Die (fakultative) Strafmilderung für die Beihilfe trage der Tatsache Rechnung, daß "die Unterstützungshandlung rein äußerlich nicht so schwer wie die unmittelbare Ausführung der Tat selbst" wiege und in ihr "eine geringere Intensität des verbrecherischen Willens zum Ausdruck" komme 1s ; die nur fragmentarische Pönalisierung des erfolglosen Teilnahmeversuchs vermeide eine "Ausdehnung der Strafbarkeit ... , an der die Rechtspflege schlechterdings kein Interesse hat" 19. Der Finalismus brachte dann wieder eine Tendenzwende hin zum restriktiven Täterbegriff. Dieser wie auch das Abgrenzungskriterium von Täterschaft und Teilnahme, die "finale Tatherrschaft", wurden aus einer ontischen Grundstruktur der menschlichen Handlung, ihrem Finalcharakter, abgeleitet 20 • Schilling 21 ist der einzige aus den Reihen der Finalisten, der die Möglichkeit eines in den Ergebnissen zum Einheitstätersystem tendierenden Beteiligungsformenkonzepts angedeutet hat 22 . Mit dem Wiedererstarken des normativ-teleologischen Denkens hat sich an der Dominanz des auf den restriktiven Täterbegriff gegründeten Teilnahmesystems nichts geändert. Für das Einheitstätersystem plädieren nur Detzer 23 und 15 Einen Bericht über den Bereich "Täterschaft und Teilnahme" gibt v. Dohnanyi, in: Gürtner, Strafrecht AT, 73 ff. 16 Vgl. v. Dohnanyi, in: Gürtner, Strafrecht AT, 75. 17 Vgl. v. Dohnanyi, in: Gürtner, Strafrecht AT, 76. 18 Vgl. v. Dohnanyi, in: Gürtner, Strafrecht AT, 77. 19 Vgl. v. Dohnanyi, in: Gürtner, Strafrecht AT, 8I. 20 Grundlegend Welzel, Abhand!., 159ff. 21 Verbrechensversuch, 115 ff. 22 Als Befürworter eines Einheitstätersystems, die wohl nicht der finalistischen Richtung zuzurechnen sind, bleiben zu nennen: Geerds, GA 1965,218; Roeder, ZStW 69 (1957), 223 fT.; ferner als Mitglieder der Großen Strafrechtskommission: Krille, Niederschr. n, 98 f., 125; Schwalm, Niederschr. n, 90; ders., Engisch-Festschr., 552; v. Stackelberg, Niederschr. II, 100 (der dann aber doch für das Teilnahmesystem stimmte, vgl. aaO, 109); für eine Zwischenlösung, die nur Täterschaft und (milder zu bestrafende) Beihilfe kennt, setzte sich Eb. Schmidt (Niedersehr. II, 94f., 122) ein.

2*

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

Kienapfel 24 • Schöneborn 25 schlägt vor, das Teilnahmesystem durch bestimmte typische Elemente des Einheitstätersystems zu modizifieren. Ansonsten stellt auch keine der umfangreicheren Schriften, die dieser methodischen Grundrichtung zuzurechnen sind - zu nennen sind (in chronologischer Folge) die richtungweisende Arbeit Roxins über "Täterschaft und Tatherrschaft", die der modernen Tatherrschaftslehre zum Durchbruch verholfen hat, ferner die Monographien von Lüderssen 26 , M.- K. M eyer 27 , Bloy28 und Schumann 29 - das Teilnahmesystem grundsätzlich in Frage. 11. Wie in einige europäische Strafgesetzbücher 30 wurde das Einheitstätersystem 1968 auch in die Neufassung des OWiG (§ 14) übernommen. Man wollte dadurch vor allem eine Verwaltungsvereinfachung erreichen: Bei der Masse der Verstöße erfolge zumindest der "erste Zugriff' durch juristisch wenig geschulte Verwaltungsbedienstete, denen die feinsinnige und komplizierte Unterscheidung der Beteiligungsformen nicht abverlangt werden könne 31 • Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wurde, mag dahinstehen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß - jedenfalls wenn man die herrschende Auslegung des § 14 I OWiG zugrunde legt -letztlich doch wieder Rechtsfolgendifferenzierungen an die Unterscheidung von Beteiligungsformen geknüpft werden, was durch das Einheitstätersystem gerade vermieden werden sollte. So läßt das OWiG die "versuchte Beteiligung" (d. h. in der Terminologie des Teilnahmesystems: die versuchte Teilnahme) straflos 32 , wodurch eine Abgrenzung zwischen der "Verwirklichung des Tatbestands" und der "Beteiligung an der Zusammenfassend S. 272ff. Einheitstäter, passim; in: Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik, 21 ff.; NJW 1970, 1826ff.; NJW 1971, 123; JuS 1974, 1 ff.; NJW 1983, 2236f. 2S ZStW 87 (1975), 917 ff. Und zwar soll der extrane Beteiligte am Sonderdelikt als Täter, jedoch aus einem herabgesetzten Strafrahmen, bestraft werden. Zu ähnlichen Vorschlägen in älteren Reformentwürfen aaO, 919f. 26 Strafgrund. 27 Autonomie. 28 Beteiligungsform. 29 Handlungsunrecht. 30 Und zwar das norwegische von 1902 (dazu Andenaes, in: MezgerjSchönkej Jescheck, Aus!. Strafrecht IV, 308ff.; Birkmeyer, Vg!. Darst. AT II, 127ff.; Hagerup, ZStW 29 (1909), 614ff.; Kienapfel, in: Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik, 36ff.), das dänische von 1930 (dazu Kienapfel, aaO, 38ff.; Marcus, in: MezgerjSchönkej Jescheck, Aus!. Strafrecht I, 98 f.), das italienische von 1930 (dazu Detzer, 112 ff.; Heinitz, DJT-Festschr., 96ff.; Kienapfel, aaO, 30ff.), sowie das österreichische von 1975 (dazu Triffterer, Beteiligungslehre, m. umfass. Nachw.). 31 Vg!. dazu die Begründung des Entwurfs, BT-Dr. V j1269, 28, 48 = BR-Dr. 420j66, 28, 48; ferner Dreher, NJW 1970, 218; Kienapfel, NJW 1970, 1826ff.; Schumann, Einheitstätersystem, 9; sowie (sehr krit.) Cramer, NJW 1969, 1929ff.; Welp, VOR 1972, 305ff. 32 Dreher, NJW 1970, 219f.; Göhler, § 14 OWiG RN 13; Rebmannj Rothj Hermann, § 14 OWiG RN 27; a.M. wohl Cramer, NJW 1969, 1932f. - Zum entsprechenden Problem in §§ 12, 15 II öStGB: Kienapfel, JuS 1974,6; Leukaufj Steininger, § 12 RN 41 f.; Platzgummer, JBl1971, 244f.; Triffterer, Beteiligungslehre, 76ff. 23 24

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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Verwirklichung des Tatbestands" erforderlich wird. Eine weitere Angleichung an das Teilnahmesystem ergibt sich aus der Straflosigkeit der Beteiligung des Extraneus an einer unvorsätzlich begangenen Sonderordnungswidrigkeit33 .

In die Neufassung des Allgemeinen Teils des StGB ist denn auch durch das

2. StRG von 1969 das Teilnahmesystem übernommen worden, ohne daß die

Verfechter des Einheitstätersystems in den Diskussionen der Großen Strafrechtskommission 34 ernsthafte Aussichten gehabt hätten, ihre Vorstellungen durchzusetzen 35 • Nun beruht diese weitgehende Einigkeit aber keineswegs auf einer bestimmten, das Beteiligungsformenproblem in den allgemeinen Verbrechensbegriff einordnenden dogmatischen Grundüberzeugung. Abgesehen von einigen grundsätzlichen Ausführungen durch Gallas, der die Teilnahmedogmatik als ein der gesetzgeberischen Disposition weitestgehend entzogenes Regelungssystem in seinem finalistischen Grundansatz zu verankern suchte 36 , beschränkte man sich im wesentlichen auf das Bekenntnis, daß - wie Bockelmann es audrückte - "die heutigen Begriffe sich nicht ohne Grund historisch entwickelt haben"37, und suchte dies zu belegen mit der Notwendigkeit bestimmter Rechtsfolgendifferenzierungen (im Strafrahmen, in der Reichweite der Versuchsstrafbarkeit) sowie mit der Notwendigkeit, bestimmte Fälle (Teilnahme am unvorsätzlich begangenen Sonderdelikt) straflos zu lassen 38 . Man ging davon aus, daß sich eine Abgrenzung der verschiedenen Beteiligungsformen werde finden lassen, die gerade auch die an sie anknüpfenden Rechtsfolgendifferenzierungen zu tragen vermag. Allzu genau sollte diese Abgrenzung aber nicht vorgezeichnet werden, wie sich beispielhaft an dem Streit um die Ausführlichkeit der Täterschaftsdefinition 39 zeigt.

Dabei konnte nur eine Regelung herauskommen, die - vor allem was die Täterschaftsdefinition in § 25 und damit (bei Zugrundelegung eines restriktivprimären Täterbegriffs) die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme überhaupt angeht - kaum klare Anhaltspunkte für die Auslegung liefert 4ü und deshalb in der Tat, wie es die Begründung zum E 1962 formuliert, "einer weiteren Entwicklung in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht vorgreift"41. 33 So nunmehr auch der BGH (BGHSt 31, 309ff. m. weit. Nachw.) mit dem Hauptargument, es müßten Wertungswidersprüche zum Strafrecht vermieden werden (aaO, 311f.). - Zum österr. StGB: Burgslaller, ÖRZ 1975, 18 einerseits u. Trifflerer, Beteiligungslehre, 83ff. andererseits. - Ausführ!. zu §§ 12ff. öStGB jetzt auch Bloy, Beteiligungsform, 166ff. 34 Nachw. in FN 22. 3S Nachdem der Versuch der Strafrechtsabteilung des BMJ, eine Einheitstäterlösung zu formulieren, nach einhelliger Ansicht mißglückt war, gaben ihre Anhänger in der 18. Sitzung den Widerstand auf; vg!. Niedersehr. 11, 124f. 36 Mat. I, 121 ff. (Gutachten); Niedersehr. Ir, 67ff. (Referat). - Vg!. ferner die (sehr knappen) Ausführungen in dem Gutachten von Welzel. Mat. I, 50ff. 37 Niedersehr. Ir, 95. 38 Vg!. die in Niedersehr. Ir, 94ff., 115ff. wiedergegebenen Diskussionen. 39 Vg!. dazu die Stellungnahmen in Niedersehr. 11, 71 f., 108, 121 (Gallas), 86 (Schäfer), 92 (Schwalm), 99,109 (Welzel), 118 (Bockelmann. Koffka), 119 (Lange), 120 (Baidus), 122 (Mezger), 123 (Jescheck). 40 Ausführ!. dazu unten B. 1.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

Dies tut naturgemäß auch dem rechtsstaatlichen Bemühen Abbruch, die Berücksichtigung der der Unterscheidung zugrunde liegenden Wertungen nicht allein dem Richter im Rahmen der Strafzumessung anheimzustellen 42 : Die Festlegung des Ob der Unterscheidung und der Art der Rechtsfolgendifferenzierungen bewirkt wenig, solange dem Richter nicht auch die Unterscheidungskriterien vorgegeben werden. III. Es ist das Ziel dieser Arbeit, einen Beitrag zur Fundierung der Beteiligungsformendogmatik ~ genauer: der Dogmatik des dem geltenden Recht zugrunde liegenden Teilnahmesystems ~ in der allgemeinen Zurechnungslehre zu leisten. In dieser Zielsetzung liegt zugleich die Behauptung, daß eine solche Fundierung bisher noch nicht gelungen ist. Ich werde das im folgenden (§§ 2-7) noch eingehend begründen. Für die Abgrenzung der Beteiligungsformen bei Tatbeständen mit besonderen Tätermerkmalen und für die Auslegung der §§ 28, 29 deuten schon die nicht enden wollenden Meinungsstreitigkeiten auf die Richtigkeit meiner Behauptung hin. Sie gilt aber auch für den Anwendungsbereich der Roxinschen Tatherrschaftslehre, deren Grundlinien sich im Schrifttum weitgehend durchgesetzt haben. In diesem Punkt ist Roxin naturgemäß anderer Ansicht. Speziell für den Anwendungsbereich seiner Tatherrschaftslehre meint er seit der 3. Auflage (1975)43 seines grundlegenden Werkes über "Täterschaft und Tatherrschaft", es sei "nicht mehr zutreffend, daß die Teilnahmelehre ,das dunkelste und verworrenste Kapitel der deutschen Strafrechtswissenschaft' ist"44. Daran ist sicher richtig, daß die Tatherrschaftslehre insofern einen großen Fortschritt gebracht hat, als ihr stark ausdifferenziertes Gedankengebäude die Auslegungsergebnisse schon recht genau vorzeichnet. Doch bereits ein Blick auf die Dogmengeschichte läßt vermuten, daß eine hinreichende Fundierung im allgemeinen Verbrechens begriff fehlt. Roxin hat seine Lehre zu Beginn der sechziger Jahre konzipiert, in einer durch den Finalismus geprägten Zeit also, als die Bestrebungen zur Rekonstruktion des Straftatsystems im Sinne eines normativ-teleologischen Denkens noch in den ersten Anfängen steckten und mithin noch gar kein tragfähiges Gerüst vorhanden war, in das die Beteiligungsformendogmatik hätte eingegliedert werden können. Dementsprechend wird auch die noch vorzunehmende Analyse ~ deren Ergebnis hiermit vorweggenommen sei ~ zeigen, daß die Tatherrschaftslehre auch heute noch letztlich von ihrer im Vergleich zu den anderen Lehren relativen Stringenz und der Akzeptanz BT-Dr. IV /650, 148. Zu dieser Zielsetzung Schwalm, Niederschr. II, 90; Jescheck, Niederschr. II, 123; Begründ. vor § 29 E 1962, BT-Dr. IV /650,147; ferner Schöneborn, ZStW 87 (1975), 909f.; andererseits aber auch Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V / 1822 (zur Definition der mittelbaren Täterschaft). 43 S. 585. Ebenso 4. Aufl. (1984), S. 600. 44 Der von Roxin zitierte Ausspruch stammt von Kantorowicz, MSchrKrimPsych 7 (1910/11), 306. 41

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§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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ihrer Ergebnisse lebt. Roxins Kernthese, es sei "kaum bestreitbar ... , daß der Gesetzgeber so wertet", wie es der Tatherrschaftslehre entspricht 45 , erklärt nicht, weshalb der Gesetzgeber im Hinblick auf Legitimation und Zweck der Strafe so werten darf, und das heißt insbesondere, wie sich diese Wertung in die allgemeinen Strukturen strafrechtlicher Zurechnung einfügt 46 • Erst diese normative Fundierung verspricht eine optimale, strafzweckorientierte Begründung der Einzelergebnisse. Auch die jüngst erschienene Monographie Bloys über "Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus" vermag diesem Mangel nicht abzuhelfen. Wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, entspricht schon das straftatsystematische Fundament, auf dem Bloy seine (im wesentlichen mit der Lehre Roxins übereinstimmenden) Thesen zu verankern sucht, nicht den Anforderungen, die im Hinblick auf Strafzweck und Straflegitimation an eine Systembildung zu stellen sind.

B. "Nicht-akzessorische" Täterschaft und "akzessorische" Teilnahme Das "akzessorische Denken" ist, wie KienapfeP es ausdrückt, das "Hauptstrukturprinzip" eines Teilnahmesystems. Versucht man nun, den Inhalt des Begriffs "Akzessorietät" zu erfassen, dann muß man beachten, daß er - zumeist recht undifferenziert - auf zwei verschiedenen Ebenen verwendet wird. Die erste Ebene betrifft die Tatbestände von Täterschaft und Teilnahme; hier geht es um die Auflistung der Tatbestandsmerkmale, insbesondere derjenigen, in denen sich Täterschaft und Teilnahme unterscheiden. Auf der zweiten Ebene gilt es, den materialen Unwertgehalt von Täterschaft und Teilnahme zu erkennen, um dadurch die Täterschafts- und Teilnahmetatbestände wertungsmäßig in der allgemeinen Zurechnungslehre zu verankern. I. Täterschartstatbestand und Teilnahmetatbestand

Wenn man gemeinhin als Charakteristikum des Teilnahmesystems die "Akzessorietät" der einen Hauptbeteiligungsform, der Teilnahme, bezeichnet, dann ist damit zumindest folgendes gemeint: Wer völlig allein einen Straftatbestand verwirklicht, kann nur Täter (oder straflos) sein, während Teilnahme die Mitwirkung einer weiteren Person voraussetzt. Die Problematik besteht nun darin, daß die "Akzessorietät", von diesem Mindesterfordernis abgesehen, sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Während die Alleinverwirklichung des Tatbestands nur Täterschaft sein kann, ist umgekehrt das Zusammenwirken mit einer weiteren Person nicht unbedingt Teilnahme, sondern möglicherweise Täterschaft oder auch straflos (z. B. die Beteiligung des Extraneus am unvorsätz45 4(j

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Roxin, TuT, 26. Zur methodologischen Notwendigkeit'einer solchen Fundierung näher unten § 2 B. NJW 1983, 2237.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

lich begangenen echten Sonderdelikt). Will man die der lex lata zugrunde liegende Ausgestaltung der Akzessorietät feststellen, so muß man sehr bald auf die teleologische Auslegung und damit auf den materialen Gehalt der Akzessorietät zurückgreifen, denn sowohl der Wortlaut der §§ 25 ff. als auch deren Entstehungsgeschichte sind kaum ergiebig: 1. Nach §§ 26,27 I gehört zu den Merkmalen des objektiven Teilnahmetatbestands und damit auch gern. § 16 I 1 zu den notwendigen Bezugspunkten des Teilnehmervorsatzes eine" vorsätzlich begangene rechtswidrige (Haupt-)Tat". Die Legaldefinition für "rechtswidrige Tat" in § 11 I Nr. 5 ("nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht") soll nach der Intention des Gesetzgebers lediglich klarstellen, daß es sich um einen Straftatbestand handeln muß und ein bloßer Ordnungswidrigkeitstatbestand nicht ausreicht 2 • Im übrigen ist sie schon deshalb kaum ergiebig, weil sie auf den nicht weiter erläuterten normativen Begriff "Tatbestand" verweist. Als "Tatbestand" kann man aber schon den Inbegriff aller objektiven unrechtsbegründenden Merkmale, soweit sie in dem Strafandrohungstatbestand des Besonderen Teils enthalten sind, bezeichnen 3 ; ob noch etwas bzw. was hinzukommen muß, ist der teleologischen Auslegung überlassen. Ferner ergibt sich aus der Legaldefinition (außer dem Erfordernis strafrechtlichen Unrechts) nicht, was unter "rechtswidrig" zu verstehen ist. Dem Wortsinn nach kann man von "rechtswidrig" schon sprechen, wenn nicht alle objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vorliegen. Auch das Vorsatzerfordernis ist nicht eindeutig bestimmt. Da sich der Vorsatz nach § 16 I 1 auf den "gesetzlichen Tatbestand" beziehen muß und unter "gesetzlichem Tatbestand" eben auch der bloße Strafandrohungstatbestand des Besonderen Teils ohne Rücksicht auf das etwaige Vorliegen von Rechtfertigungsgründen verstanden werden kann, ist letztlich auch die Frage, ob strafbare Teilnahme an einer im Erlaubnistatbestandsirrtum begangenen Haupttat möglich ist, der teleologischen Auslegung überlassen. In einem Punkt sollte jedoch kein Streit über den Begriff des Haupttätervorsatzes bestehen: Wenn Schmidhäuser jetzt wieder 4 unter" vorsätzlich" begangener Haupttat jede auch nur willentlich vorgenommene Handlung versteht und damit nur noch nichtwillensgesteuerte Handlungen ("automatisiertes" Verhalten, Reflexhandlungen usw.) ausscheidet, so ist diese Ansicht wegen der Legaldefinition in § 16 I 1 nicht haltbar. Sieht der "Haupttäter" die Tatbestandsverwirklichung nicht einmal als möglich voraus, so kann keine Rede davon sein, daß er alle zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände 2 Vgl. Göhler, NJW 1974, 825 FN 6; Lackner, § 11 Anm. 6; Rudolphi in SK, § 11 RN 22; Schönke / Schröder / Eser, § 11 RN 42 ff. 3 Der Gesetzgeber wollte auch auf eine Festlegung des dogmatischen Standorts insbes. der subjektiven Merkmale gerade verzichten; vgl. Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V/237f. (Sturm), 2443 (Corves); BT-Dr. 7/550,211. 4 StuB AT, 10/23; ebenso schon in LB AT (1. Aufl.), 14/88. Zwischenzeitlich anders in LB AT (2. Aufl.), 14/94, 97, 115, 134.

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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"kennt". Der Gegeneinwand Schmidhäusers5, manche Autoren sähen eine im Erlaubnistatbestandsirrtum begangene Haupttat im Hinblick auf die Teilnahme daran als "vorsätzlich begangen", im Hinblick auf die Strafbarkeit des Haupttäters selbst aber als "unvorsätzlich begangen" an und verwendeten damit ebenfalls (zulässigerweise) verschiedene Vorsatzbegriffe, vermag schon deshalb nicht zu verfangen, weil es dort um die Wortbedeutung von "gesetzlicher Tatbestand" geht, hier dagegen um die Wortbedeutung von "kennen".

2. Eine weitere Schwierigkeit, die nun vollends in das Zentrum der Beteiligungsformenproblematik führt, ergibt sich, wenn man bedenkt, daß die Verwirklichung des ("akzessorisch" strukturierten) Teilnahmetatbestands nicht notwendig auch zur Strafbarkeit wegen Teilnahme führen muß. Vielmehr ist es denkbar, daß zugleich auch der Tätertatbestand erfüllt ist, Täterschaft und Teilnahme sich also in bestimmten Bereichen tatbestandlieh überschneiden, so daß - sei es auf Konkurrenzebene, sei es durch entsprechende teleologische Reduktion von Täterschafts- oder Teilnahmetatbestand - zu entscheiden ist, ob die Täterschaft vorgeht ("primärer" Täterbegriff) oder die Teilnahme ("sekundärer" Täterbegriff). a) Allerdings ist eine solche tatbestandliehe Überschneidung bei vielen Deliktstatbeständen schon durch den Gesetzeswortlaut teilweise ausgeschlossen. Setzt der Tatbestand eine bestimmte Eigenschaft (z. B. Amtsträgerstellung), eine bestimmte Absicht (z. B. Bereicherungsabsicht, § 263) oder die eigenhändige Vornahme einer Handlung (z.B. "Führen" eines Fahrzeugs, § 316) des Täters voraus, so kann eben nur derjenige Täter sein, der diese Merkmale in eigener Person erfüllt. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 25 I, 2. Var., wonach auch derjenige als Täter bestraft wird, der "die Straftat ... durch einen anderen begeht"6. Der Gesetzeswortlaut verlangt also (auch) hier, daß der Täter "die Straftat begeht", d. h. das in den einzelnen Tatbeständen mit Strafe Bedrohte tut? Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn es in § 25 z. B. hieße: "Wer die Straftat durch einen anderen begehen läßt." Möglich bleibt nur eine Teilnahmestrafbarkeit. Die tatbestandliehe Überschneidung der Beteiligungsformen ist aber nach dem Gesetzeswortlaut schon wieder denkbar, sobald beide Beteiligte die genannten Merkmale in eigener Person verwirklichen; erst recht - und ohne die StuB AT, 10(25. Vgl. auch die Begründung zu § 29 E 1962: Die Definition des mittelbaren Täters ergebe "erst im Verein mit den jeweiligen Tatbeständen des Besonderen Teils, wer Täter ist und sein kann". Sie verzichte darauf, "ausdrücklich hervorzuheben, daß bisweilen Straftatbestände nur eigenhändig begangen werden können" und andere Tatbestände "in der Person des Täters" besondere persönliche Merkmale voraussetzten. 7 Wegen des Analogieverbots nicht haltbar ist daher z. B. die These Schünemanns (ZSchwR 97 [1978], 150f.), bei einern Teil der gemeinhin als "eigenhändig" angesehenen Delikte, und zwar soweit sie abstrakte Gefährdungsdelikte seien (z. B. § 316), sei mittelbare Täterschaft des "Extraneus" möglich, weil die Forderung eigenhändiger Tatbegehung "innerlich unbegründet" sei. 5

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

genannten Einschränkungen - ist sie bei Tatbeständen möglich, die keine solchen besonderen Merkmale enthalten. Insofern läßt der Wortsinn der Einzeltatbestände (in Verbindung mit § 25) sogar eine "extensive" Interpretation zu: Wer einen anderen, rechtswidrig und voll verantwortlich Handelnden veranlaßt, einen Dritten zu erschießen, von dem kann man durchaus noch sagen, daß (auch) er "tötet" und damit "die Straftat (des Totschlags) durch einen anderen begeht" 8 • Der Wortsinn der §§ 25 ff. zwingt nicht einmal dazu, eine solche extensive Interpretation der Tatbestände mit einem sekundären Täterbegriff zu kombinieren, zumal selbst bei einem primären Täterbegriff immer noch ein gewisser, wenn auch kleiner Raum für eine Teilnahmestrafbarkeit bliebe (nämlich bei den eben genannten Tatbeständen mit besonderen Tätermerkmalen). Entgegen Roxin 9 schließt es der Wortsinn des § 25 auch nicht unbedingt aus, in dem soeben angeführten Beispielsfall den rechtswidrig und schuldhaft handelnden" Vordermann" nur als Teilnehmer zu bestrafen: Geht man nämlich von einem extensiven und zugleich sekundären Täterbegriff aus - beides ist durch den Wortlaut ja nicht zwingend verboten -, so läßt sich sprachlich durchaus sagen, daß der "Hintermann" die Tat "durch einen anderen" begeht und der Vordermann die Tat sowohl "selbst begeht"'° als auch zugleich dem Hintermann bei der Tatbegehung "hilft".

Selbst wenn man von einer restriktiven Interpretation der Tatbestände ausgeht, kann es zu tatbestand lichen Überschneidungen kommen, etwa im Falle des Einsatzes eines vorsätzlich und rechtswidrig, aber schuldlos handelnden Werkzeugs. Der Hintermann "begeht" dann die Tat "durch einen anderen", indem er zugleich diesen anderen "zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt". b) Ein wenig ergiebiger als der Gesetzeswortlaut selbst ist seine Entstehungsgeschichte. Sie zeigt, daß offenbar den meisten der an seiner Formulierung maßgeblich Beteiligten ein restriktiver und primärer Täterbegriff vorschwebte.

In der Strafrechtskommission schlug Gallas vor, in die Definition des Anstifters die Klausel "ohne Täter zu sein" aufzunehmen, um damit den sekundären Charakter der Anstiftung eindeutig festzuschreiben 11. In die gleiche Richtung dürften die (allerdings weniger deutlichen) Ausführungen Schäfers 12 zielen. Ohne ausdrücklich auf den Vorschlag von Gallas einzugehen, meinte man dann aber wohl, den primären Charakter der Täterschaft schon dadurch klarzustellen, daß (überhaupt) die Täterschaft definiert wurde. 8 Ebenso z.B. Frisch, JuS 1983,919; Schäfer, Niedersehr. 11, 86. A. A. Rudolphi, Kleinknecht-Festschr., 380, der freilich nur auf den "natürlichen Sprachgebrauch" und den "Sprachgebrauch des Gesetzes" verweist, nicht jedoch auf den für das Analogieverbot maßgeblichen möglichen Wortsinn des Gesetzes. 9 TuT,548. 10 Es soll also gar nicht geleugnet werden, daß der Vordermann die Tat "selbst" begeht; insofern geht die Argumentation Roxins (TuT, 548) ins Leere. 11 Niedersehr. 11, 72 u. Anh. S. 37. 12 Niedersehr. 11, 86.

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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So hielt Jescheck eine von BMJ vorgeschlagene ausführliche Definition der mittelbaren Täterschaft 13 für empfehlenswert, weil "das unsichere Schwanken zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft" beseitigt werde, "indem man die eine Gruppe, nämlich die mittelbare Täterschaft, als einen Primärbegriff des Strafrechts, also nicht nur für die Zwecke einer Lückenausfüllung definiert" 14. Die kurz zuvor gefallene Bemerkung Mezgers, die Bestimmungen über die Teilnahmeformen gingen als leges speciales den Täterschaftsdefinitionen vor lS - eine Bemerkung, die den Kommissionsmitgliedern die fehlende Eindeutigkeit des Wortlauts hätte vor Augen führen müssen -, blieb unbeachtet. In der Begründung zu § 29 E 1962 heißt es dann, die Tatsache, daß alle Täterschaftsformen definiert würden, enthalte "einen deutlichen Hinweis dafür, daß der Entwurf die Täterschaft gegenüber der Anstiftung und der Beihilfe als den primären Begriff ansieht" 16.

Im Bundestags-Sonderausschuß wies dann Sturm (als Vertreter des BMJ) daraufhin, die "Definition des Täters" (gemeint ist die des unmittelbaren Täters in § 29 I E 1962, der § 25 I der geltenden Fassung entspricht) mache "deutlich, daß, wer die Tat selbst in allen ihren Einzelheiten begeht ... , grundsätzlich Täter und nicht etwa wegen fehlenden Tätervorsatzes nur Teilnehmer ist"17; dieser Schluß läßt sich aber nur ziehen, wenn man einen primären Täterbegriff zugrunde legt. Zwar sollte in "extremen Fällen" eine Teilnahmestrafbarkeit möglich bleiben, doch glaubte man, solche Fälle konstruktiv bewältigen zu können, indem man nicht etwa vom primären Täterbegriff abgeht 18 , sondern das "normativ" verstandene Merkmal "begehen" verneint 19 . Dies wiederum ist nur denkbar, wenn man zugleich von einem restriktiven Täterbegriff ausgeht. 11. Täterschaftsunwert und Teilnahmeunwert

Die Verfechter der Einheitstäteridee meinen, daß es Unterschiede zwischen Täterschafts- und Teilnahmeunwert, welche die Rechtsfolgendifferenzierungen i. S. eines Teilnahmesystems tragen könnten, nicht gibt. Zwar will auch die Einheitstäterlehre nicht auf die Unterscheidung typischer Mitwirkungsformen 13 Abgedr. in Niederschr. H, Anh. S. 42f. Die dortige Teilnahmedefinition enthält nicht die von Gallas vorgeschlagene Subsidiaritätsklausel. 14 Niederschr. H, 123. 1S Niederschr. H, 122. 16 BT-Dr. IV (650, 149. 17 Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V (1648. 18 Die Bemerkung Sturms (Prot. V (1825), nach seiner Ansicht sei "die Definition der Täterschaft in § 29 nicht so ausschließlich zu verstehen, daß in allen Fällen derjenige, der die Tat selbst begehe, auch wirklich ausnahmslos der Täter im Rechtssinne sein" müsse, deutet, wenn man sie ganz wörtlich nimmt, auf einen sekundären Täterbegriff hin. Doch dürfte es sich insoweit um eine Fehlformulierung handeln; "selbst begehen" ist hier von Sturm nicht im Sinne der Fassung des § 29 E 1962 gemeint, sondern im Sinne von "den Taterfolg unmittelbar herbeiführen". 19 So insbes. Dreher als weiterer Vertreter des BMJ sowie der Ausschußvorsitzende Müller-Emmert (Prot. V (1826).

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

verzichten 20 , doch sind diese, wie Kienapfe[21 betont, "weder begrifflich noch inhaltlich noch bezüglich ihrer strukturellen Prinzipien mit den Teilnahmeformen des Teilnahmesystems identisch". Sie können nicht schon auf der Ebene der strafbegründenden Vorschriften, sondern erst im Rahmen einer "ganzheitlichen Strafzumessung" berücksichtigt werden 22 ; das "primäre Merkmal eines Einheitstäterstrafrechts" liegt in der "konsequenten Vereinheitlichung der generellen Straffolgen für alle Mitwirkenden"23. Dieses Konzept beruht offenbar auf zwei Grundannahmen. Zum einen kommt hierin die starke Tendenz zu einer, wie Kienapfel24 formuliert, "Individualisierung von Unrecht, Schuld und Strafe im Sinne des suum cuique tribuere der allgemeinen Gerechtigkeitsidee" , also kurz der Einzelfallgerechtigkeit, zum Ausdruck (was zwangsläufig auf Kosten eines anderen, ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verankerten verfassungsrechtlichen Gebots, nämlich der Bestimmtheit der Strafandrohungen, gehen muß25). Hinzu tritt die These, daß die (durchaus vorhandenen) Unwertunterschiede zwischen einzelnen Mitwirkungsformen nicht so stark ausgeprägt sind, als daß sie nicht durch andere Unwertunterschiede, die aber erst auf der Strafzumessungsebene relevant sind, überlagert und ausgeglichen werden könnten. Die Widerlegung dieser Thesen der Einheitstäterlehre hat nicht nur wissenschaftliche Bedeutung, sondern ist auch von großer Wichtigkeit für die praktische Rechtsanwendung, weil sich, wie soeben gezeigt, dem Wortlaut der §§ 25 ff. nur wenig entnehmen läßt und daher die Beschreibung des materialen Gehalts des Teilnahmesystems als Grundlage für die teleologische Auslegung besonders dringlich wird. Um so bedauerlicher ist es, daß die Erörterungen auf weiten Strecken gar nicht über den Bereich des Terminologischen, Begrifflichen und Rechtstechnischen hinausführen. Dieser verbreitete Mangel sei kurz an einigen Beispielen demonstriert: 1. Bereits Höpfner 26 hat treffend auf die Gefahr hingewiesen, daß die

"Rücksicht auf die sprachliche Anwendbarkeit des Ausdrucks Teilnahme eine nebelhafte Vorstellung erzeugt, die in den Worten akzessorische Natur einen entsprechend nebelhaften Ausdruck erhält". Dieser Vorwurf trifft beispielsweise eine bei zahlreichen Autoren zu findende These, für die stellvertretend Bockelmann 27 zitiert sei: 20 Vgl. insbes. Kienapfel, Einheitstäter, 37ff.; ders., in: Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik, 28 f., 56. 21 In: Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik, 56. 22 Kienapfel, Einheitstäter, 31 ff. 23 Einheitstäter, 25. 24 Einheitstäter, 31. 2S Dies wird auch von den Anhängern des Einheitstätersystems gesehen; vgl. Kienapfel, in: Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik, 21, 27, 29. 26 ZStW 26 (1906), 583. 27 Untersuchungen, 31.

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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"Die Teilnahme ist notwendig akzessorisch, d. h. abhängig vom Dasein einer Haupttat. Diese Akzessorietät ist kein ,Produkt des Gesetzgebers'. Sie liegt in der Natur der Sache. Beihilfe sowohl wie Anstiftung setzen begrifflich ein ,Etwas' voraus, wozu sie geleistet werden."

Hinter der "Natur der Sache", aus der das begriffliche Mindesterfordernis für die Teilnahme folgen soll, verbirgt sich hier ein sprachlicher Zwang: Ist nicht zumindest die objektiv tatbestandsmäßige Handlung eines anderen vorhanden, "paßt" die Terminologie "Teilnahme an einer Tat" nicht mehr, weil sie sich zu weit vom gewöhnlichen Sprachgebrauch entfernt. Bezeichnenderweise spricht denn auch Lüderssen, der in bestimmten Fällen, in denen es weder Haupttat noch Haupttäter gibt, die Teilnahmevorschriften anwenden will, von "unechter Teilnahme"28. Damit wird auch offensichtlich, daß die von Bocke/mann gezogene Schlußfolgerung nicht zutreffen kann. Der Gesetzgeber ist nicht etwa dadurch, daß sich eine bestimmte Terminologie eingebürgert hat, in der Regelung von Sachfragen an den durch diese Terminologie abgesteckten Rahmen gebunden. Vielmehr hat er zunächst das Sachproblem der Beteiligungsformen angemessen zu regeln, und wenn auf die getroffene Regelung der Ausdruck "Teilnahme" nicht mehr paßt, hat er diesen durch einen anderen, passenderen Ausdruck zu ersetzen. 2. Als Beispiel für eine zu sehr dem Begrifflichen verhaftete Argumentation seien die Ausführungen Detzers herausgegriffen. Er meint, eine gesetzliche Vorschrift, die das Einheitstätersystem festlege, könne einerseits als (rein deklaratorische) "authentische Interpretation" der Tatbestände des Besonderen Teils verstanden werden, und zwar in dem Sinne, daß sie unabhängig von ihrem konkreten Wortlaut auch jede Mitwirkung an dem von ihnen beschriebenen unmittelbaren tatbestandsmäßigen Geschehen erfaßten 29 . Andererseits könne man sie aber auch als "Zurechnungsvorschrift" begreifen, die anordne, jeden Mitwirkenden so zu behandeln, als habe er die unmittelbar tatbestandsverwirklichende Handlung selbst vorgenommen 30 . Bei der Teilnahme könne man demgegenüber "allenfalls von der Zurechnung einer tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat sprechen; zugerechnet würde damit aber nicht mehr eine Handlung als solche, sondern ein bereits rechtlich qualifiziertes Etwas"31. Wieso man den Mitwirkenden so behandeln darf, als habe er die "unmittelbar" tatbestandsmäßige Handlung selbst vorgenommen, und was im Unterschied dazu die "Zurechnung eines rechtlich bereits qualifizierten Etwas" bedeutet, bleibt offen. Möglicherweise geht Detzer nicht darauf ein, weil er die Ansicht vertritt, daß "Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe irgendwie mit den Tatbeständen des BT ... zusammenhängen" und diese Tatbestände vom Gesetzgeber aufgestellt werden, so daß letztlich auch die Beteiligungsformen 28 Strafgrund, 109f. 29 30 31

Detzer,70ff. S.74ff. S. 75 FN 2.

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"der Disposition des Gesetzgebers unterliegen"32. Damit wäre aber nur die eigentliche Sachfrage begrifflich auf den Besonderen Teil verschoben: Ob der Gesetzgeber bei der Fassung der Tatbestände des Besonderen Teils, durch die er mittelbar auf die Abgrenzung der Beteiligungsformen Einfluß nehmen kann, völlig frei ist, ist gerade das Problem, denn eben wegen dieses mittelbaren Einflusses könnte seine Gestaltungsfreiheit eingeschränkt sein; ob sie es ist, kann erst beurteilt werden, wenn die Beschaffenheit der Zurechnungsstrukturen bei den einzelnen Beteiligungsformen geklärt ist. 3. Selbst wenn man die Vorstellung der maßgeblich an der Gesetzesformulierung Beteiligten, einen primär-restriktiven Täterbegriff festgeschrieben zu haben - die im Wortlaut allenfalls einen höchst unvollkommenen Niederschlag gefunden hat -, zugrunde legt, so lassen sich daraus kaum Schlußfolgerungen ziehen, denn es handelt sich zunächst einmal nur um eine begrifflich-konstruktive Festlegung, die unterschiedlichen materialen Inhalten dienen kann, so wie bestimmte materiale Inhalte nicht zwingend in bestimmte Täterbegriffe gegossen werden müssen. Dies hat bereits Zimmerf3 3 klar erkannt: "Wie überhaupt bei rechtstechnischen Fragen, kann auch hier die Fragestellung nur dahin gehen, ob der eine oder der andere Begriffbesser geeignet ist, die Verwirklichung der inhaltlich gewollten Lösung zu gewährleisten. Dabei ist sowohl an die Gesetzesauslegung durch den dazu berufenen Juristen wie an die Erfassung des Gesetzesinhalts durch den Rechtsunterworfenen zu denken. Nur insoweit besteht somit eine Abhängigkeit des rechtstechnischen Problems von dem durch Rechtspolitik und Systematik gelieferten Material, als etwa der eine Inhalt vorteilhafter durch den einen Begriff geformt werden kann, der andere durch den anderen."

Keine Zustimmung verdient daher z. B. die These Roxins, sein Grundansatz - das Gesetz wolle stets (und nur) die "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" als Täter bewerten 34 - erzwinge einen primär-restriktiven Täterbegriff3 5 • Warum soll das Gesetz nicht einen sekundär-extensiven Täterbegriff konstruieren, wenn es gelingt, die "Randfiguren des Geschehens", also die Teilnehmer, so präzise und erschöpfend zu beschreiben, daß genau die "Zentralgestalten" übrig bleiben? Ebenso läßt sich etwa bei den Sonderdelikten ein Täterbegriff bilden, der das Handeln des Intraneus selbst wie auch die Mitwirkung des Extraneus an der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung durch einen Intraneus erfaßt, und dann durch eine lex specialis mit dem Inhalt ergänzen, ein mitwirkender Extraneus sei (nur) als Teilnehmer zu bestrafen. Insbesondere ist das immer wieder gegen den extensiven Täterbegriff angeführte Argument nicht stichhaltig, das "dem Täterbegriff Eigentümliche (könne) unmöglich in dem einzigen Merkmal ... (liegen), das alle Beteiligten gleichermaßen auszeichnet: der S.156. ZStW 54(1935), 578. -Ganz ähnlich auch Schröder, ZStW 57 (1937), 459 ff., insbes. 468: "Die Frage des Täterbegriffs ist also eine ausschließlich technische." 34 TuT, 25 u. passim. 35 TuT, 27ff. 32 33

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Ursächlichkeit für den Erfolg"36. Das Charakteristikum der Täterschaft kann bei einem wohlverstandenen extensiven Täterbegriffnatürlich nicht die Kausalität sein, sondern nur die Abwesenheit der die Teilnahme charakterisierenden Besonderheiten, und es ist wieder nur eine rechtstechnische Frage, ob diese Abwesenheit der Besonderheiten der Teilnahme nicht, positiv umformuliert, in einem restriktiven TäterbegriffVerwendung finden kann.

4. Den Unsicherheiten in der Erfassung der Wertungszusammenhänge entsprechen oft unklare Formulierungen, die dann zu weitreichenden Mißverständnissen Anlaß geben können. So hat sich zur Charakterisierung des sachlichen Gehalts des Akzessoritätsprinzips die Formel eingebürgert, die Teilnahme "beziehe" im Unterschied zur Täterschaft "ihr Unrecht aus dem Unrecht der Haupttat"37 . Sie ist bereits von Höpfner 38 mit Recht als "nebelhafter Ausdruck" gescholten worden. Noch mißverständlicher sagt jetzt Bloy39, der Teilnehmer hafte nicht für "selbst verwirklichtes", sondern "für von einer anderen Person verwirklichtes tatbestandliches Unrecht". Solche Formulierungen haben ihren Verwendern bisweilen den Vorwurf eingetragen, man lasse damit den Teilnehmer "für fremdes Unrecht haften"4{l (in dem Sinne, daß der Teilnehmer nicht für eigenes rechtswidriges Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird). So sind die genannten Formulierungen allerdings nicht gemeint; vielmehr besteht durchaus Einigkeit, daß auch der Teilnehmer nur für (eigene Schuld und) eigenes Unrecht zu haften braucht 41 • Genauer müßte man sagen: In einem Tatschuldstrafrecht kann (auch) der Teilnehmer nur für die eigene rechtswidrige und vorwerfbare Verletzung einer strafbewehrten Verhaltensnorm sowie für die zurechenbaren Folgen dieses Verhaltensnormverstoßes haften 42 . Dies herausge36 Statt vieler: Roxin, TuT, 28. 37 Mit dieser oder ähnlicher Formulierung z. B. BGHSt 9, 370 (379); Gallas, Beiträge, 118; ders., Niederschr. 11, 71; ders., ZStW 80 (1968), 32; Geppert, ZStW 82 (1970), 59; Heinitz, DJT-Festschr., 101; Jescheck, AT, 558; Maurach/Gössel, AT/2, 50/31; Otto, Lange-Festschr., 207f.; Salamon, 139; Vogler, Heinitz-Festschr., 301; mit Einschränkungen auch Roxin in LK, RN 4,14 vor § 26. - Vor der Einführung des dem heutigen § 29 entsprechenden § 50 I a. F. sprach man, da nach ganz herrschender Auffassung die Haupttat schuldhaft sein mußte, von einer "Entlehnung der Schuld" oder "der Strafbarkeit"; vgl. etwa RGSt 5, 282 (286); 14, 102 (103); 19,147 (149); Beling, Verbrechen, 426, 436 (s. aber auch S. 424); Birkmeyer, Teilnahme, 146; Borchert, 51; Frank (3./4. Aufl.), § 49 Anm. H 2; P. MerkeI, Frank-Festg. H, 150; Redslob, 4; Wachen/eId, 208; Zimmerl, ZStW 52 (1932),178; de lege lata ferner Berolzheimer, 8; v. Liszt (4. Aufl.), 228; Loewenheim, 10, 18. 38 ZStW 26 (1906), 583. 39 Beteiligungsform, 250. 40 Sax, ZStW 90 (1978), 930f.; ähnl. bereits v. Hippel, LB, 162 FN 2. 41 Binding, Abh. I, 329; Birkmeyer, Teilnahme, 123 f.; Gallas, Beiträge, 118; Höp/ner, ZStW 26 (1906),581 f.; Jährig, 45; Katzenstein, ZStW 21 (1901),411; Kohler, GA 55 (1908), 3; Langer, Sonderverbrechen, 466; Sauer, AT, 225; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, 262. - Zumindest mißverständlich aber z. B. Redslob, 4, wenn er sagt, die Verantwortlichkeit des Teilnehmers bemesse sich nicht "nach eigenem Willen und eigener Tat, sondern nach Willen und Tat des Haupttäters".

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

stellt zu haben, ist ein Hauptanliegen und Verdienst der üblicherweise sogenannten "reinen Verursachungslehre"43. Die Verhaltensnorm, deren Verletzung in den §§ 26, 27 (in Verbindung mit dem jeweiligen Tatbestand des Besonderen Teils) vertatbestandlicht ist, läßt sich in ganz abstrakter Form auch noch recht unproblematisch formulieren: Du sollst nicht einen anderen zur vorsätzlichen und rechtswidrigen Verwirklichung des in § ... normierten Straftatbestands bestimmen bzw. ihm dabei Hilfe leisten 44 • Gewonnen ist damit wenig, denn die entscheidenden Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Dient die so beschriebene Verhaltensnorm dem Schutz des Haupttäters vor Verstrickung in Unrecht (und Schuld)4S, dem Schutz des Rechtsfriedens, der durch den vom Haupttäter verwirklichten Handlungsunwert bedroht würde 46 , oder hat die Verhaltensnorm denselben Schutzzweck wie die jeweils entsprechende, die Täterhandlung verbietende Norm 47 ? Und falls die letztgenannte Möglichkeit zutrifft, worin liegt dann der Grund für die getrennte, mit unterschiedlichen Rechtsfolgen versehene Vertatbestandlichung der jeweiligen Verhaltensnormverletzungen - in einem unterschiedlichen Gewicht der Verhaltensnormverstöße (etwa wegen einer generell geringeren Gefährlichkeit von Teilnahmehandlungen), in einer fehlenden Zurechenbarkeit des (Haupttat-)Erfolgs zur Teilnahme-, insbesondere zur Gehilfenhandlung (wodurch die Beihilfe zum bloßen Gefährdungsdelikt würde), in einer generell geringeren Vorwerfbarkeit von Teilnahmehandlungen, im Zusammenwirken mehrerer dieser Gesichtspunkte oder vielleicht (auch) in noch anderen Unwertdifferenzen, die Rechtsprechung und Lehre im Rahmen der Beteiligungsformendogmatik noch nicht hinreichend beachtet haben?

42 Auch Bloy geht als selbstverständlich davon aus, daß auch dem Teilnehmer eine (eigene) Verhaltensnormverletzung zur Last fällt: In der Zurechnung des Täterunrechts stecke "eine Beurteilung des Teilnehmerverhaltens, der die Verbotsnorm des Tätertatbestands zugrunde liegt" (Beteiligungsform, 256). 43 Zu nennen sind vor allem Herzberg, GA 1971, 1 ff.; Lüderssen, Strafgrund, 25ff., 119ff. u. passim; M.-K. Meyer, Anstiftung, 147f.; dies., GA 1979, 253ff.; Plate, ZStW 84 (1972),300; Sax, ZStW 90 (1978), 931; Schmidhäuser, LB AT, 14(57; Schöneborn, ZStW 87 (1975), 914f. - Aus dem älteren Schrifttum: Binding, Abh. I, 328f., 347; v. Hippel, Strafrecht II, 451; ders., LB, 161; Hoegel, ZStW 37 (1916), 657; Höp!ner, ZStW 26 (1906), 581 ff.; [bach, 62f.; Kohler, Studien I, 106ff.; Perten, 159; wohl auch Nagler, Teilnahme, 138. - Vor allem im älteren Schrifttum ist dies bisweilen verkannt worden; vgl. etwa Hergt, 139, der meint, Teilnahmehandlungen seien "an sich überhaupt nicht rechtswidrig". 44 Vgl. dazu Rudolphi, lescheck-Festschr., 570. 4S SO die Schuldteilnahme- und Unrechtsteilnahmelehren; dazu unten § 3 A. 46 So eine ebenfalls als Unrechtsteilnahmelehre bezeichnete Ansicht; dazu unten § 3 B. 47 So die Verursachungslehren; dazu unten §§ 4-7.

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C. Die Problematik der §§ 28, 29 Eine Beteiligungsformendogmatik kann dem Anspruch, die gesetzliche Regelung zu erklären, nur dann genügen, wenn sie auch die Regelungsmaterie der §§ 28,29 mit einbezieht. Die sachliche Verklammerung mit dem Problem der Unterscheidung von Beteiligungsformen wird schon dadurch augenfällig, daß § 28 I die Existenz von (in den Tatbeständen des Besonderen Teils enthaltenen) Merkmalen voraussetzt, die bei einer täterschaftlichen, nicht aber unbedingt bei einer teilnehmerschaftlichen Begehung in eigener Person erfüllt werden müssen, Damit stellen sich in diesem Bereich zwei Hauptprobleme: Erstens geht es um den "täterschaftlichen" Gehalt dieser Merkmale. Weshalb setzt die täterschaftliche Begehung eine Verwirklichung solcher Merkmale in eigener Person voraus, obwohl es doch auch möglich wäre, die Beteiligungsform allein nach den "allgemeinen" Kriterien zu bestimmen und für den extranen Täter eine dem § 28 I entsprechende Strafmilderungsvorschrift zu schaffen1 ? Sind diese Merkmale bei den betreffenden Tatbeständen die einzigen Tätermerkmale, oder treten sie kumulativ zu den allgemeinen hinzu? Gibt es noch weitere "besondere" Tätermerkmale, die dann aber - anders als die "besonderen persönlichen Merkmale" des § 28 I - für den Teilnehmer "akzessorisch" sind (d.h. ihr Fehlen in der Person des Teilnehmers nicht zu einer Strafmilderung führt)? Zweitens gilt es, die "besonderen persönlichen Merkmale" nach zwei Richtungen abzugrenzen: einerseits zu den soeben erwähnten "akzessorischen" Merkmalen, andererseits zu den Merkmalen, die auch der Teilnehmer in eigener Person verwirklichen muß, um aus dem betreffenden Tatbestand bestraft werden zu können (dazu werden gemeinhin die "besonderen Schuldmerkmale" gezählt). Die "besonderen persönlichen Merkmale" i. S. d. § 28 I müssen ihrem materialen Charakter nach zwischen diesen beiden Gruppen stehen; der Teilnehmer verwirklicht den in ihnen erfaßten Unwertgehalt gleichsam in "abgeschwächter" Form durch die Mitwirkung an der Tat eines "Intraneus"2. Freilich ist auch hier wieder umstritten, ob eine solche materiale Struktur der "besonderen persönlichen Merkmale" überhaupt denkbar ist. Geleugnet wird dies (implizit) von denjenigen, die behaupten, mit der Figur der "Teilnahme des Extraneus am echten Sonderdelikt" würden in Wahrheit verkappte "Gemeindelikte" erfaßt 3 . Träfe diese These zu, dann wäre § 28 I in der Tat eine nicht mehr 1 Eine solche Lösung schlagen vor: Perten, 214ff.; Piotet, ZStW 69 (1957), 23 ff.; Schöneborn, ZStW 87 (1975), 919ff. (m. Nachw. zu ähnl. Lösungen in älteren Reformentwürfen). 2 Treffend insofern Jakobs, AT, 23/3ff., der von "eingeschränkt" bzw. "beschränkt akzessorischen Merkmalen" spricht. 3 So z. B. Langer, Sonderverbrechen, 485; M.-K. Meyer, GA 1979,261; Schmidhäuser, LB AT, 14/95; ders., StuB AT, 10/38. Aus der älteren Lit.: Bambach, 94; Bernhardt, 45; Kohler, GA 51 (1904), 173 FN 10; ders., Leitfaden, 158f.; ders., Studien I, 138; Roeder, ZStW 69 (1957), 241 FN 68.

3 Stein

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sinnvoll auszulegende Fehlkonstruktion. Denn beeinflußt die Erfüllung des Sondennerkmals durch den Haupttäter den Unwertgehalt der Teilnahmehandlung in keiner Weise, so ist nicht erklärbar, weshalb eine Extranenhandlung nur dann strafbar ist, wenn ein Intraneus (als Täter) mitwirkt; es müßten dann entweder entsprechende Gemeindeliktstatbestände geschaffen 4 oder jede Extranenhandlung straflos gelassen werden 5. Schwierig gestaltet sich die dogmatische Strukturierung im Bereich der §§ 28, 29 nicht zuletzt auch deshalb, weil hier im Unterschied zu den§§ 25-27 nicht nur die Tatbestandsseite (1.), sondern - wenn dies auch auf den ersten Blick nicht so scheinen mag - auch die Rechtsfolgenseite (11.) sehr unklar gefaßt und auslegungsbedürftig ist. I. Die Tatbestandsseite der §§ 28, 29

Hier gilt das gleiche wie bei den §§ 25-27: Die Beschreibung des materialen Gehalts dieser Regelungen ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern auch für die praktische Gesetzesanwendung besonders dringlich, weil Gesetzeswortlaut, Regelungszusammenhang und Entstehungsgeschichte bei der Auslegung der zentralen Begriffe der §§ 28, 29 - "besondere persönliche Merkmale" und "Schuld" - kaum weiterhelfen. 1. Ganz unergiebig ist vor allem der Versuch einer grammatischen Auslegung. Die durch das EGOWiG vom 24. 5. 1968 in § 50 a. F. eingeführte, heute in§ 14 I zu findende Legaldefinition für "Merkmal" ("Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände") hat zwar insofern eine Klärung gebracht, als die früher bisweilen vertretene Auffassung, kurzzeitige psychische Einstellungen (insbesondere Absichten) des Täters könnten angesichts des Gesetzeswortlauts nicht unter § 50 11 a. F. fallen, durch die Einfügung des Wortes "Umstände" vom Gesetzgeber verworfen wurde. Damit wurde aber zugleich jeder Erkenntniswert, der in der Wortbedeutung von "Eigenschaft" oder "Verhältnis" liegen könnte, zunichte gemacht. Denn der mögliche Wortsinn von "Umstand" ist so weit, daß man diesen Ausdruck auch als Synonym für "Merkmal" gebrauchen kann. Ganz in diesem Sinne spricht auch der jetzige § 16 statt von "Merkmalen" von "Umständen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören", und bezeichnenderweise faßte bereits § 50 in der bis 1943 geltenden Fassung die "besonderen persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse" unter dem Oberbegriff "besondere Tatumstände" zusammen. Einen ersten Ansatzpunkt scheint allerdings das Adjektiv "persönlich" zu bieten. Als "persönlich" kann man dem Wortsinn nach zunächst einmal alle 4 Dies fordern Langer (Sonderverbrechen, 486) u. Schmidhäuser (LB AT, 14 j 95; StuB AT, 10j 38), jedoch nur für "Fälle wirklichen Stratbedürfnisses"; im übrigen plädieren sie für Straflosigkeit des Extraneus. 5 Gefordert von M.-K. Meyer, Anstiftung, 156; Roeder, ZStW 69 (1957), 241 FN 68; ebenso bereits Kohler, Studien I, 134ff.

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subjektiven Merkmale bezeichnen, darüber hinaus aber auch solche, die Rechtsverhältnisse bestimmter Personen (Amtsträgereigenschaft, Treuepflichten, Garantenstellungen usw.) beschreiben. Doch ist damit die Grenze der möglichen Wortbedeutung noch keineswegs erreicht. "Persönlich" kann man ein Merkmal immer schon dann nennen, wenn es nach seiner Eigenart denkbar ist, sein Vorliegen oder Nichtvorliegen im Hinblick auf verschiedene Beteiligte an derselben Tat unterschiedlich zu beurteilen. Damit würde man aber z. B. auch die Kausalität der Handlung des einzelnen Tatbeteiligten für den Taterfolg und die Verwendung bestimmter Tatmittel (z. B. das Beisichführen einer Waffe, § 244 I Nr. 2) erfassen. Wenn man also Merkmale wie "töten" (§ 212) oder "beschädigen" (§ 303) ganz selbstverständlich als "sachliche" einordnet 6 , so folgt dies jedenfalls nicht zwingend aus einer Wortlautinterpretation. Ausgeschieden wären bei Zugrundelegung des denkbar weitesten Wortsinns nämlich nur solche Merkmale, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen hinsichtlich mehrerer Tatbeteiligter notwendigerweise gleich zu beurteilen ist (Beispiel: das Merkmal "Sache" bei den Eigentumsdelikten). Gewonnen ist damit nichts: Dasselbe folgt schon logisch zwingend daraus, daß das Gesetz die Rechtsfolgen des § 28 an das Vorliegen eines Merkmals in der Person des einen und das gleichzeitige Fehlen in der Person des anderen Beteiligten knüpft. Erst recht führt das Wort "besondere" nicht weiter. In seinem weitesten Sinne - und so wird es heute auch bisweilen ausgelegt? - kann man es als den Hinweis verstehen, daß nicht alle persönlichen Merkmale § 28 unterfallen, sondern zu dem "persönlichen" Charakter noch eine Besonderheit hinzutreten muß. Welcher Art diese Besonderheit ist, läßt sich dem Wortsinn aber nicht mehr entnehmen. Letztlich handelt es sich dann also um nicht mehr als die Aufforderung, (nur) diejenigen Merkmale unter § 28 zu fassen, bei denen die Rechtsfolgen dieser Vorschrift angemessen erscheinen, d. h. aber um eine Verweisung auf die teleologische Auslegungsmethode. Sprachlich mehrdeutig ist schließlich auch der Terminus "Schuld" in § 29: Gemeint sein kann "Vorwerfbarkeit" (i. S. der Systemkategorie "Schuld"), "Tatschuld" (d.h. vorwerfbar verwirklichtes Unrecht) oder auch "Strafzumessungsschuld" . 2. Bei einer gesetzessystematischen Auslegung bringt zunächst einmal die Tatsache, daß der Begriff "besondere persönliche Merkmale" auch in § 14 verwendet wird, aus zwei Gründen keinen Fortschritt. Zum einen bietet auch dort der Gesetzeswortlaut keine Ansatzpunkte für eine Konkretisierung. Und selbst wenn dies anders wäre, so müßte der Wert für die Auslegung des § 28 schon deshalb zweifelhaft erscheinen, weil die §§ 14 und 28 I geradezu 6 Siehe nur Herzberg, ZStW 88 (1976), 80: Die Einordnung dieser Merkmale als "sachliche" sei "unstreitig und von Zweifeln frei". 7 So insbes. Dreher, JR 1970; 147; Geppert, ZStW 82 (1970), 52f.; Heidland, 155; Herzberg, ZStW 88 (1976), 79; Langer, Sonderverbrechen, 472ff.; ders., Lange-Festschr., 246.

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gegenläufige Rechtsfolgen beim Fehlen strafbegründender Merkmale vorsehen: Während § 14 die Bestrafung wegen täterschaftlicher Begehung aus dem ungemilderten Strafrahmen des jeweiligen Tatbestands anordnet, tritt nach § 28 I Strafmilderung ein. Dies legt die Vermutung nahe, daß die beiden Vorschriften unterschiedliche Arten von Merkmalen erfassen 8 • Auch der Regelungszusammenhang innerhalb des Dritten Titels (§§ 25 bis 31) ist unergiebig. Daß alle Schuldmerkmale von § 29 erfaßt werden, so daß für § 28 im wesentlichen nur noch Unrechtsmerkmale übrig bleiben, ist eine denkbare, aber alles andere als zwingende Auslegung; möglich wäre es immerhin etwa auch, den Begriff "Schuld" in § 29 nur im Sinne von "Strafzumessungsschuld" zu begreifen und dem § 29 damit jegliche Relevanz für Tatbestandsmerkmale abzusprechen. Allenfalls kann man aus dem Zusammenhang mit den §§ 26, 27 entnehmen, daß zumindest der "Vorsatz" nicht der Regelung des § 28 unterfällt, da bereits die §§ 26, 27 anordnen, daß die Strafbarkeit wegen Teilnahme den Vorsatz in der Person sowohl des Teilnehmers als auch des Haupttäters voraussetzt. Unproblematisch ist dies allerdings wiederum nur bei denjenigen Deliktstatbeständen, die jede Vorsatzform ausreichen lassen. Setzt ein Tatbestand Wissentlichkeit oder Absicht voraus, so muß die Auslegung sogleich wieder auf teleologische Gesichtspunkte zurückgreifen, denn weder der Gesetzeswortlaut noch der Regelungszusammenhang schließen es aus, für die Person des Teilnehmers stets dolus eventualis genügen zu lassen und das Fehlen des darüber hinausgehenden sicheren Wissens bzw. Bezweckens etwa als Strafmilderungsgrund im Sinne des § 28 I anzusehen oder aber, wie es zumeist geschieht 9 , die über das Fürmöglichhalten und Inkaufnehmen des Taterfolgs hinausgehenden Elemente des dolus directus "akzessorisch" zu behandeln. 3. Die Durchsicht der Materialien zur Entstehungsgeschichte des § 28 zeigt, daß die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission und des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu keiner Zeit erwogen haben, den Begriff der besonderen persönlichen Merkmale etwa durch die nähere Beschreibung von Merkmalsarten oder (beispielhafte) Anführung konkreter Merkmale zu präzisieren. Sie wollten lediglich durch die Einfügung des Wortes "Umstand" in die Legaldefinition von "Merkmal" die Möglichkeit eröffnen, auch kurzzeitige psychische Einstellungen darunter zu subsumieren 10. Anhaltspunkte dafür, welche Vorstellungen sie über die Reichweite des § 28 hatten, lassen sich daher nur den Beispielsfällen entnehmen, anhand derer sie die Auswirkungen der geplanten Neufassung diskutierten. Genannt wurden im Zusammenhang mit den (kurzzeitigen) "Umständen" solche Merkmale, die heute gemeinhin als 8 Einigkeit besteht jedenfalls darin, daß die Anwendungsbereiche der beiden Vorschriften nicht identisch sind; vgl. dazu Bruns, GA 1982, 1 ff., u. Schünemann, Jura 1980, 568ff. - Siehe ferner Jakobs, AT, 23/8: "verfehlte Identität der Bezeichnungen" in §§ 14 u. 28. 9 Vgl. etwa Jährig, 65ff.; Maurach/Gössel, AT/2, 50/42. 10 Vgl. E 1958,40; E 1960, BT-Dr. III/2150, 143; E 1962, BT-Dr. IV /650,152; Gal/as, Niedersehr. 11, 72; Göhler, Berat. d. Sonderausseh. f.d. Strafreehtsref. 5/1094; Schäfer, Niedersehr. 11, 87; Schwalm, NiedersehT. 11, 89.

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"Gesinnungsmerkmale" bezeichnet werden, wie z. B. Habgier, Böswilligkeit, GewissenlosigkeitlI. Ansonsten wurde hauptsächlich die Amtsträger-Eigenschaft angeführt 12 • Als unproblematisch wurden aber selbst diese wenigen Beispielsfalle nicht empfunden. So äußerte Gallas in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission Bedenken, ob es wirklich konsequent ist, den Teilnehmer, der ein strafbegründendes "Gesinnungsmerkmal" selbst nicht aufweist, zu bestrafen (wenn auch milder als den Haupttäter), statt ihnwie es heute teilweise vertreten wird 13 - straffrei zu lassen l4 . Ferner räumte Gallas ein, es gebe auch gewisse Gründe, die dafür sprechen, "besondere PflichtensteIlungen" wie die Amtsträger-Eigenschaft "akzessorisch" zu behandeln 15 - ein Lösung, die zwar heute zum deutschen Recht nicht mehr vertreten wird, jedoch möglicherweise nicht unvertretbar ist, wie die Rechtssprechung des schweizerischen Bundesgerichts zu Art. 26 schwStGB16 zeigt.

§ 29 schließlich entspricht dem früheren § 50 I, der im Jahre 1943 eingefügt wurde, um den Grundsatz der "limitierten Akzessorietät" festzuschreiben 17. Er diente also lediglich der Klarstellung, daß stratbare Teilnahme jedenfalls keine voll schuldhafte Haupttat voraussetzt. 11. Die Rechtsfolgenseite der §§ 28, 29

Als gravierendster Mangel der §§ 28, 29 gilt gemeinhin eine (angebliche) innere Unstimmigkeit zwischen den beiden Absätzen des § 28: Bei den strafbegründenden Merkmalen werde der durch sie erfaßte Unwert dem extranen Teilnehmer, wenn auch verbunden mit einer Strafmilderung, "zugerechnet", nicht aber bei den strafschärJenden Merkmalen, da Abs. 2 insoweit für den extranen Beteiligten eine "Tatbestandsverschiebung" anordne 18 . Diese Einschätzung beruht auf einem bestimmten, traditionellen Verständnis der dort angeordneten Rechtsfolgen, das sich allerdings keineswegs so eindeutig aus dem Gesetz ergibt, wie man offenbar glaubt, und das dringend einer Revision bedarf, um überhaupt eine sinnvolle Auslegung zu ermöglichen. 11 E 1958,40; E 1960, BT-Dr. III/2150, 143; E 1962, BT-Dr. IV /650, 152; Gallas, Niedersehr. H, 72; Göhler, Berat. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. 5/1094. 12 Gallas, Niedersehr. H, 73; Göhler, Berat. d. Sonderaussch. f.d. Strafrechtsref. 5/1094; Schäfer, Niedersehr. H, 76f.; Sturm, Berat. d. Sonderaussch. f.d. Strafrechtsref. 5/1649. 13 So von Jescheck, AT, 537f.; Langer, Sonderverbrechen, 473; Roxin in LK, § 28 RN 12f.; Schmidhäuser, LB AT, 14/89,96; dems., StuB AT, 10/35,38; Wesseis, AT, 157. 14 Niedersehr. H, 73. 15 Niedersehr. H, 73. Ähnl. bereits Kohlrausch, Bumke-Festschr., 50f., und ZAkDR 1939, 246, sowie Sohn, GS 87 (1920), 367ff. 16 BGE 81 (1955) IV, 285 (289f.); 95 (1965) IV, 113 (117f.) (zum Tatbestand der Urkundenfälschung im Amt, Art. 317 schwStGB). 17 Eingehend dazu Roxin in LK, § 28 RN 14. 18 So insbes. Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 36; Jakobs, AT, 23/2; Langer, Sonderverbrechen, 485ff.; M.-K. Meyer, GA 1979, 261; Samson in SK, § 28 RN 6; Stratenwerth, AT, RN 941.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

1. Die herrschende Auffassung Nach herrschender Meinung sind alle strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale i. S. d. § 28 I zugleich notwendige Haupttaterfordernisse. Wenn also der Haupttäter ein unter § 28 I fallendes Merkmal nicht selbst verwirklicht, so soll der Teilnehmer stets straffrei ausgehen, selbst wenn dieser das Merkmal in eigener Person aufweist 19. Im Gegensatz dazu sollen die unter § 28 11 fallenden strafmodifizierenden Merkmale jedoch keine notwendigen Haupttatmerkmale sein, d. h. der Teilnehmer kann auch dann aus dem Qualifikationstatbestand bestraft werden, wenn das Merkmal beim Haupttäter fehlt 20 • Ferner wird § 28 11 nicht wie § 28 I (nur) als Strafrahmenregel verstanden, vielmehr soll diese Vorschrift auch regeln, welcher Tatbestand dem Schuldspruch zugrunde zu legen ist 21 . Der NichtAmtsträger, der zu einer Körperverletzung anstiftet, ist daher immer der "Anstiftung zur Körperverletzung" schuldig zu sprechen, unabhängig davon, ob die Haupttat eine einfache oder eine Körperverletzung im Amt darstellt. Soweit man schließlich § 29 auf strafbegründende spezielle Schuldmerkmale anwendet, soll sich aus dieser Norm ergeben, daß das Fehlen dieser Merkmale in der Person des Haupttäters keinerlei Einfluß auf die Strafbarkeit des Teilnehmers hat 22 • Wenn also z. B. bei § 315 c der Fahrer nicht rücksichtslos handelt und daher straflos bleibt, ist der rücksichtslos Anstiftende dennoch zu bestrafen. Diese Auslegung hat sowohl bei den strafbegründenden als auch bei den strafmodifizierenden Merkmalen Konsequenzen, die auch die Vertreter der herrschenden Meinung selbst als unbefriedigend empfinden. a) Bei den strafbegründenden Merkmalen wird dies anhand der Diskussion deutlich, die um die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der §§ 28 I und 29 19 Z.B. Arzt, JZ 1973, 682f.; Blei, AT, 271; Jescheck, AT, 537; Samson in SK, § 28 RN 13; Schönke / Schröder / Cramer, § 28 RN 5, 26; Stratenwerth, AT, RN 937; Wesseis, AT, 156. - Diese Konstellation ist natürlich nur denkbar, wenn man das Sondermerkmal nicht als alleiniges Tätermerkmal ansieht. 20 Z.B. Baumann/Weber, AT, 529; Herzberg, TuT, 115; Jescheck, AT, 535; Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968),36; Maurach/Gössel, AT /2,53/62; H. Mayer, LB AT, 339; Samson in SK, § 28 RN 3; Schmidhäuser, LB AT, 14/84; ders., StuB AT, 10/32ff.; Schönke/ Schröder/ Cramer, § 28 RN 28; Stratenwerth, AT, RN 939; Welzel, LB, 120f. 21 Diese Auffassung findet sich bisweilen deutlich ausgesprochen, zumeist aber als selbstverständlich vorausgesetzt - z. B. bei RGSt 55, 181 (182); 63, 31 (35); 68, 90 (92); RG, JW 1938, 1583; BGHSt 6, 260ff.; 8, 205 (207); Baumann/ Weber, AT, 529; Blei, AT, 267 ff.; Busch in LK (9. Aufl.), § 50 RN 12; Dreher / Tröndle, § 28 RN 8 ff.; Gallas, Beiträge, 123f.; Herzberg, TuT, 115; Jakobs, NJW 1969, 492; Langer, Sonderverbrechen, 484f.; Maurach/Gössel, AT/2, 53/99ff.; H. Mayer, LB AT, 339; ders., StuB AT, 164; M. E. Mayer, AT, 412; Nagler, Teilnahme, 97,100; Samson in SK, § 28 RN 6, 24; Sauer, AT, 255; Schmidhäuser, LB AT, 14/84; Schönke / Schröder / Cramer, § 28 RN 6, 24 ff.; Stratenwerth, AT, RN 939ff.; Wegner, AT, 256; Welzel, LB, 121 f.; Wesseis, AT, 157. 22 Z. B. Baumann/ Weber, AT, 578; Dreher / Tröndle, § 29 RN 2ff.; Jescheck, AT, 538; Samson in SK, § 28 RN 12; Schmidhäuser, LB AT, 14/78; ders., StuB AT, 10/130; Stratenwerth, AT, RN 926; Wesseis, AT, 157.

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geführt wird. Kommt man z. B. aufgrund der Analyse des Merkmals "rücksichtslos" in § 315 c einerseits und des Strafgrunds der Teilnahme andererseits zu dem Ergebnis, daß man den Unwertgehalt dieses Merkmals nicht - auch nicht in abgeschwächter Form - durch Beteiligung an der Tat einer Person, die dieses Merkmal erfüllt, (also z. B. durch Anstiftung des rücksichtslos handelnden Fahrers) verwirklichen kann, so ist die aus § 29 folgende Straflosigkeit des nicht rücksichtslos handelnden Teilnehmers die einzige schuld angemessene Konsequenz. Dennoch wollen manche Autoren in Anwendung des § 28 I den Teilnehmer bestrafen, weil § 29 angeblich dazu zwingen würde, auch im umgekehrten Fall, also bei rücksichtsloser Teilnahme an nicht rücksichtsloser Haupttat, den Teilnehmer zu strafen; dieses Ergebnis halten sie aber für bedenklich, weil es die Möglichkeit strafbarer Teilnahme an einer Haupttat bedeuten würde, die selbst nicht alle Merkmale des Strafandrohungstatbestands erfüllt 23 • Ob nun diese Bedenken, die zur Anwendung des § 28 I führen sollen, zutreffen oder nicht, so wird doch an ihnen deutlich, daß die herrschende Meinung die Lösungen zweier verschiedener Probleme aneinander koppelt, nämlich zum einen die Frage, ob der Teilnehmer das Merkmal in eigener Person erfüllen muß, zum anderen das Problem der notwendigen Haupttaterfordernisse, das wiederum auf die Frage nach dem Zweck der Anbindung der Teilnahme an eine "vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat" (§§ 26, 27) führt. Ebenso unbefriedigend ist die (gegenläufige) Koppelung von Strafrahmenund Haupttatproblem bei § 28 I. Denn nimmt man z. B. bei dem Merkmal "rücksichtslos" in § 315c an, man könne seinen Unwertgehalt in abgeschwächter Form durch Anstiftung oder Unterstützung eines rücksichtslosen Fahrers verwirklichen, so wäre es zwar sicher abwegig, den Haupttäter straflos zu lassen und den Teilnehmer aus dem gem. §§ 28 I, 49 I gemilderten Strafrahmen des § 315 c zu bestrafen, wenn keiner von beiden rücksichtslos handelt. Dies beruht jedoch allein darauf, daß dann der Teilnehmer diesen Unwertgehalt schon deshalb nicht verwirklicht haben kann, weil das Merkmal bei beiden Beteiligten fehlt. Handelt aber der Anstifter rücksichtslos und der Fahrer nicht, so hat der Anstifter sogar den vollen Unwertgehalt des Merkmals verwirklicht, weil er es in eigener Person aufweist; ob er nun wegen des Fehlens in der Person des Haupttäters straflos bleibt oder trotz des Fehlens aus dem (ungemilderten) Strafrahmen des § 315c zu bestrafen ist, kann sinnvollerweise nur aus der Funktion des Haupttaterfordernisses beantwortet werden. b) Für die straJmodiJizierenden Merkmale findet sich bei § 28 11 zunächst wieder die gleiche Koppelung der beiden genannten Probleme, wobei hier im Gegensatz zu § 28 I und übereinstimmend mit § 29 die erfaßten Merkmale keine notwendigen Haupttaterfordernisse sein sollen. Der Teilnehmer wird also nur 23 Gal/as, Beiträge, 156 u. bei Grebing, ZStW 88 (1976),173; Roxin in LK, § 28 RN 12; Samson in SK, § 28 RN 12f.; Stratenwerth, AT, RN 926 (anders noch in der 1. Aufl., RN 980); Vogler, Lange-Festschr., 267; wohl auch Schönke / Schröder / Cramer, § 28 RN 5.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

dann, aber auch immer dann aus dem schärferen oder milderen Strafrahmen bestraft, wenn er das qualifizierende bzw. privilegierende Merkmal in eigener Person erfüllt; ob es (auch) der Haupttäter verwirklicht, ist unerheblich. Mit all dem verquickt die herrschende Meinung nun noch die Lösung einer dritten Frage, nämlich der nach dem Tatbestand, welcher dem Schuldspruch zugrunde zu legen ist: Auch für ihn sollen ausschließlich die vom Teilnehmer in eigener Person verwirklichten Merkmale maßgeblich sein. Die Ergebnisse dieser Auslegung empfinden auch die Vertreter der herrschenden Meinung selbst insbesondere dann als unbefriedigend, wenn die Analyse eines strafschärfenden Merkmals ergibt, daß dessen Unwert gehalt in abgeschwächtem Maße durch Mitwirkung bei seiner Erfüllung in der Person des Haupttäters verwirklicht werden kann 24 • Was die Strafhöhe betrifft, so kann (und muß) dem nur innerhalb des Strafrahmens des Grunddelikts Rechnung getragen werden 25 , weil das Gesetz ausdrücklich die Anwendung dieses Strafrahmens und nicht etwa, was der Lösung bei den strafbegründenden Merkmalen entsprechen würde, des gern. § 49 I gemilderten Strafrahmens des Qualifikationstatbestands anordnet. Wenn dies aber nun zur Folge haben soll, daß auch aus dem Grundtatbestand schuldig zu sprechen ist, so wird damit von vornherein die Möglichkeit abgeschnitten, wenigstens im Schuldspruch die Steigerung des Unwertgehalts zum Ausdruck zu bringen. Bedeutsam ist aber nicht allein diese klarstellende Funktion, vielmehr sind es vor allem die weiteren Konsequenzen, die das Gesetz an die Inbezugnahme eines bestimmten Tatbestands im Schuldspruch knüpft. So würde z. B. die Anstiftung zu einer durch einen Amtsträger begangenen schweren Körperverletzung nach der herrschenden Meinung nach fünf Jahren verjähren (§§ 78 111 Nr.4, IV; 224 I), während bei einem Schuldspruch wegen "Anstiftung zur schweren Körperverletzung im Amt" (§§ 340 11, 224, 26) die Verjährungsfrist gern. § 78 III Nr. 2, IV zwanzig Jahre betrüge. Ferner ist eine Aberkennung der Amtsfähigkeit gern. § 358 nur möglich, wenn (auch) der extrane Teilnehmer aus dem Amtsdeliktstatbestand schuldig gesprochen wird. Und schließlich greift bei einer "einfachen" Körperverletzung (im Amt) das Strafantragserfordernis des § 232 für den extranen Teilnehmer nur dann ein, wenn er aus dem Grundtatbestand schuldig gesprochen wird.

2. Notwendigkeit und Möglichkeit eines differenzierenden Verständnisses Das Bedenkliche der herrschenden Meinung muß nach alldem darin gesehen werden, daß sie von vornherein davon ausgeht, die §§ 28 und 29 enthielten zugleich die Rechtsfolgenanordnungen für drei heterogene Problembereiche, nämlich das Haupttatproblem, die Tatbestandsfrage und die Strafrahmenfrage. Vgl. insbes. die oben in FN 18 Genannten. RG, JW 1938, 1583 (1584); Bruns, Strafzumessungsrecht, 101; Busch in LK (9. Aufl.), § 50 RN 12; Dreher/ Tröndle, § 28 RN 13; Herzberg, TuT, 120; Jansen, DJ 1944, 182; Lange, Teilnahme, 57 f.; Schönke / Schröder / eramer, § 28 RN 30. 24 25

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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Dadurch sind die aufgezeigten und von den Vertretern der herrschenden Meinung eingeräumten Unstimmigkeiten in den Einzelergebnissen für den Fall vorprogrammiert, daß für einzelne Merkmale ihrem sachlichen Gehalt nach eine bestimmte Kombination dreier Rechtsfolgen angemessen wäre, keine der Vorschriften aber genau diese Rechtsfolgenkombination vorsieht. Doch nicht nur dies: Jedenfalls die aus den beiden Absätzen des § 28 herausgelesene Lösung der Tatbestandsfrage enthält einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG), weil strafbegründende und strafschärfende Merkmale ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden. Denn schon der Schuldspruch als solcher hat eine den Verurteilten belastende" Verrufswirkung" 26, die wesentlich von der Bezeichnung des Deliktstypus abhängt. So ist z. B. die Verrufswirkung des Schuldspruchs bei einer Verurteilung wegen "Anstiftung zur Körperverletzung im Amt" größer als bei einer Verurteilung wegen "Anstiftung zur Körperverletzung". Hinzu kommen noch die erwähnten Konsequenzen für die Verjährungsfrist, die Anwendbarkeit des § 358 und das Strafantragserfordernis. Folgt man der Ansicht, daß die besonderen persönlichen Merkmale als besondere Tätermerkmale lediglich kumulativ zu den allgemeinen (etwa der Tatherrschaft) hinzutreten 27 , trifft der Vorwurf der willkürlichen Ungleichbehandlung auch die aus § 28 entnommene Lösung der Haupttatfrage: Bei Abs. 2 ist dann nämlich jeder intrane Teilnehmer wegen "Teilnahme am Sonderdelikt" zu bestrafen, weil das besondere persönliche Merkmal hier kein notwendiges Haupttatmerkmal ist, bei Abs. 1 hingegen nur, wenn (auch) der Haupttäter das Sondermerkmal erfüllt. Wäre die dargestellte herkömmliche Auslegung zwingend, dann wäre der mit dieser Arbeit unternommene Versuch, eine in sich widerspruchsfreie Beteiligungsformendogmatik de lege lata zu entwickeln, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Doch zwingend ist jene Auslegung eben nicht. Man muß sich nur von dem traditionallen Verständnis lösen und zumindest die beiden Absätze des § 28 als reine Strafrahmenregeln ansehen, die hinsichtlich der Haupttat- und Tatbestandsfrage keine Rechtsfolgen anordnen. Daß eine solche Interpretation möglich ist, will ich im folgenden zeigen 28 . a) Trennung der Tatbestandsfrage vom Haupttatund Strafrahmenproblem Die Frage, aus welchem Tatbestand schuldig zu sprechen ist, kann sich nur bei strafmodifizierenden Merkmalen, also nur im Rahmen der §§ 28 11 und 29 stellen. 26 Eingehend dazu Günther, Verurteilungen, 112ff., 185 fT.; ders., NJW 1982, 356; ferner BGHSt 21, 152 (154). 27 Andernfalls kann diese Problemkonstellation nicht auftreten, weil dann der Intraneus immer Täter ist. 28 Natürlich muß diese Interpretation in wesentlichen Punkten den Vorstellungen des Gesetzgebers des 2. StRG widersprechen. Zur auslegungsmethodischen Zulässigkeit einer solchen "rein" objektiv-teleologischen Interpretation unten § 2 A., insbes. 11. 2. d).

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

(1) Der Wortlaut des § 2811 läßt es ohne weiteres zu, gegen den Teilnehmer, der ein strafmodifizierendes besonderes persönliches Merkmal nicht selbst aufweist, eine Strafe stets aus dem Strafrahmen des Grundtatbestands zu verhängen, ihn aber je nach der Eigenart des betreffenden Merkmals mal aus dem Grundtatbestand, mal aus dem Qualifikations- (oder Privilegierungs-) Tatbestand schuldig zu sprechen. Der Gesetzeswortlaut ("Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen ... ") spricht sogar eher für als gegen diese Auslegung, denn vom "Tatbestand" ist nicht die Rede, und außerdem ordnet § 28 I, wo mangels "Grundtatbestands" logisch zwingend nur der Strafrahmen gemeint sein kann, terminologisch übereinstimmend die Milderung der "Strafe" an. Die Möglichkeit einer solchen Trennung ist erstmals von Wagner erkannt worden 29 , dem sich inzwischen einige andere Autoren angeschlossen haben 30 • Es kann nicht verwundern, daß diese grundsätzliche Abkehr von der herkömmlichen Auslegung andererseits heftige Kritik provoziert hat. Zu überzeugen vermögen die vorgebrachten Gegenargumente allerdings nicht. Samson wendet ein, § 28 II werde damit je nach der Eigenart des betroffenen Merkmals bisweilen als Anordnung einer" Tatbestandsverschiebung" , bisweilen nur als Strafzumessungsregel verstanden 3). Dieser Einwand beruht auf einem grundlegenden Mißverständnis der neuen Lehre. Sie versteht - wenn sie dies auch vielleicht nicht immer deutlich genug zum Ausdruck bringt -§ 2811 stets nur als Strafzumessungsvorschrift, die über den Schuldspruch gar nichts aussagt. Aus welchem Tatbestand schuldig zu sprechen ist, ergibt sich aus anderen, im Gesetz nicht ausdrücklich fixierten Regeln, die sogleich noch zu entwickeln sein werden (unten (3». Ein ähnliches Mißverständnis unterläuft Cramer, der einwendet, es müsse z. B. bei § 216 dem Beteiligten, der das Sterbeverlangen nicht kennt, das Unrecht der §§ 212, 211 zugerechnet werden, und dies werde "nur über eine Durchbrechung der Akzessorietät ermöglicht"32. Dieser Einwand wäre nur dann stichhaltig, wenn die neue Lehre so zu verstehen wäre, daß der nichtqualifizierte bzw. nichtprivilegierte Teilnehmer stets aus dem Qualifikations- bzw. Privilegierungstatbestand schuldig zu sprechen ist. Richtigerweise aber sind, wie bereits betont, unabhängig von § 28 11 Regeln zu entwickeln, die angemessene Differenzierungen im Schuldspruch ermöglichen. Keineswegs zwingend ist schließlich der von Jakobs 33 gezogene Rückschluß von den strafausschließenden auf die strafmodifizierenden Merkmale: Durch die Einbeziehung der 29 Wagner, Amtsverbrechen, 398. Zwar wurde auch in der älteren Lit. bisweilen die Bestrafung des extranen Teilnehmers aus dem Sonderdeliktstatbestand gefordert, und zwar von Binter, DJ 1944,87 f.; Krug, 60 f., 67 f., 70ff.; Kohlrausch, Bumke-Festschr., 50f., u. ZAkDR 1939, 245; Piotet, ZStW 69 (1957), 31, 33, 35ff.; Sohn, GS 87 (1920), 367ff.; doch entnahmen alle diese Autoren auch den Strafrahmen stets dem Sondertatbestand, sie trennten also gerade nicht die Tatbestands- von der Strafrahmenfrage. 30 Und zwar (ausführl.) Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 422f., u. Roxinin LK,§ 28 RN 4; zust. nunmehr auch Jescheck in LK, RN 12 vor § 331; Rudolphi in SK, RN 5 vor § 331. 3) Samson in SK, § 28 RN 6 b. 32 Schönke / Schröder / Cramer, § 28 RN 28.

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strafausschließenden Umstände sei "die in jeder Hinsicht höchstpersönliche Wirkung im Gesetz deutlich angeordnet", weil "bei Strafausschluß weder von einem verbleibenden Schuldspruch noch von Strafzumessung die Rede sein kann". Gerade weil bei strafausschließenden Merkmalen zwangsläufig auch der Schuldspruch entfällt, eine Differenzierungsmöglichkeit hinsichtlich des Schuldspruchs also ausgeschlossen ist, läßt sich aus der Einbeziehung der strafausschließenden Merkmale in den § 28 nicht schließen, daß das Gesetz eine undifferenzierte Regelung des Schuldspruchs auch dort will, wo eine differenzierende Regelung möglich ist (nämlich bei den strafmodifizierenden Merkmalen).

(2) Vom Wortlaut her ebenso unproblematisch ist die "Abkoppelung" der Tatbestandsfrage bei § 29, wonach jeder Beteiligte "nach seiner Schuld bestraft" wird. Es fragt sich allerdings, ob es überhaupt sinnvoll ist, bestimmte strafmodifizierende Merkmale unmittelbar dem § 29 und nicht dem § 28 11 zuzuordnen, zumal dies, wie Roxin zu Recht bemerkt 34 , keine praktischen Auswirkungen hätte. Man sollte sich im Ergebnis dafür entscheiden, alle "nicht-akzessorischen" strafmodifizierenden Merkmale - über Cramer 35 und Roxin 36 hinausgehend auch die "allgemeinen" Schuldminderungsgründe wie verminderte Schuldfähigkeit (§ 21) und vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17) - dem § 28 11 zuzuordnen, und zwar aus mehreren Gründen. Der erste ist ein gesetzeshistorischer: Da das Gesetz ursprünglich nur den § 50, der dem heutigen § 28 11 entspricht, enthielt, konnte bis zur Einfügung des dem heutigen § 29 entsprechenden damaligen § 50 I im Jahre 1943 kein Zweifel bestehen, daß alle hier betroffenen strafmodifizierenden Merkmale von § 50 erfaßt werden sollten; der neue § 50 I sollte in diese Regelung nicht eingreifen, sondern lediglich den Grundsatz der limitierten Akzessorietät festschreiben 3 ? Zweitens liegt es auch nach dem Wortlaut des § 29 wenig nahe, ihn unmittelbar auf konkrete Merkmale zu beziehen, denn er spricht nicht etwa von (Schuld-) "Merkmalen", sondern ganz allgemein davon, daß jeder Beteiligte "nach seiner Schuld bestraft wird" - vom semantischen Gehalt her ist dies nicht mehr als eine Umformulierung des Schuldgrundsatzes. Drittens schließlich sollte man konstruktiven Aufwand ersparen, wo er keinerlei Gewinn bringt. Ein weiteres Argument greift allerdings nicht durch: Wenn einige Autoren 38 meinen, § 29 könne (würde man ihn anwenden) eigentlich nichts daran ändern, daß z. B. auf den Kindesvater, der die Mutter zu einer Tat nach § 217 anstiftet, der Strafrahmen des § 217 anzuwenden wäre und der Strafrahmen des § 212 für den Außenstehenden erst durch § 28 33 AT, 23/24. Zu einem weiteren, ebenfalls nicht überzeugenden Gegenargument Gössels vgl. unten in und bei FN 50. 34 Roxin in LK, § 28 RN 9. 3S Schönke / Schröder / Cramer, § 29 RN 2, 4. 36 LK, § 28 RN 14, § 29 RN 4. 37 Eingehend Roxin in LK, § 28 RN 14. 38 Herzberg, TuT, 115; ders., ZStW 88 (1976), 71; Roxin in LK, § 28 RN 14; Schönke / Schröder / Cramer, § 28 RN 3 (ausführlicher noch in der 20. Aufl., § 28 RN 4a).

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

II eröffnet werde, so ist dem entgegenzuhalten, daß eine solche konstruktive Schwierigkeit in Wahrheit nicht besteht. Die Mutter begeht tatbestandlich sowohl einen Totschlag als auch eine Kindestötung, und die Entscheidung für die alleinige Anwendbarkeit des § 217 fällt erst auf Konkurrenzebene; der anstiftende Vater begeht dementsprechend auf jeden Fall tatbestandlich eine Anstiftung zum Totschlag, die nur dann auf Konkurrenzebene (!) hinter dem privilegierenden § 217 zurücktreten würde, wenn auch er (der Vater) den sachlichen Gehalt des in § 217 enthaltenen privilegierenden Merkmals verwirklichen würde.

(3) Weitaus wichtiger als dieses konstruktive Problem jedoch ist die Klärung der Frage, wovon es denn abhängt, ob der Teilnehmer aus dem Grund- oder dem qualifizierenden bzw. privilegierenden Tatbestand schuldig zu sprechen ist. (a) Auszugehen ist von dem Zweck der Inbezugnahme eines bestimmten Tatbestands im Schuldspruch und dabei insbesondere auch den weiteren Rechtsfolgen, die von dem in Bezug genommenen Tatbestand abhängen. Und zwar hat der Schuldspruch zunächst einmal die Funktion, die zu sanktionierende Tatschuld nach Art und Maß zum Ausdruck zu bringen, soweit dies durch den Verweis auf einen bestimmten Deliktstatbestand möglich ist 39 • Ferner hängt davon etwa, wie bereits erläutert, die Dauer der Verjährungsfrist ab 40 , bei manchen Tatbeständen (z. B. §§ 202 I Nr. 1 i. V.m. 354 11 Nr. 1) auch das Strafantragserfordernis 41 sowie die Anwendbarkeit des § 358 42 . Cortes Rosa führt noch drei weitere Gesichtspunkte an, die speziell bei den unechten (qualifizierenden) Sonderdelikten für eine Bestrafung des extranen Teilnehmers aus dem Sonderdelikt sprechen sollen, in Wahrheit aber nicht zwingend von dem Schuldspruch abhängen, sondern höchstens zu konstruktiven Erleichterungen führen und damit als Entscheidungsgrundlage für das hier zu lösende Problem nur bedingt tauglich sind. Erstens sollen bestimmte Fälle der Teilnahme an einem durch Unterlassen begangenen unechten Sonderdelikt nur bei einem Schuldspruch aus dem Sondertatbestand erfaßbar sein, weil im Unterlassungsbereich wegen weitergehender Garantenpflichten des Intraneus der Sondertatbestand auch Fälle erfasse, die nicht zugleich auch unter den Tatbestand des Gemeindelikts fallen 43 • Aber selbst wenn man einmal die Richtigkeit der Prämisse über die unterschiedliche Reichweite von Gemein- und Sonderdelikt unterstellt, so ist in dem betreffenden Bereich, was auch Cortes Rosa selbst als denkbare konstruktive Lösung erwähnt 44, die Sondereigenschaft des Intraneus eben ein strafbegründendes Merkmal, das an sich § 28 I unterfiele; die Diskrepanz in den Rechtsfolgen zu den "Normalfällen" ließe sich dann ohne weiteres durch eine Analogie zugunsten des extranen 39 Vgl. Lange, JZ 1959, 561, sowie Wagner, Amtsverbrechen, 396; dens., GA 1972, 33ff.,42ff. 40 Vgl. oben S. 40. 41 Darauf weisen hin: Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 434; Roxin in LK, § 28 RN 5; Rudolphi in SK, RN 5 vor § 331. 42 Vgl. den Hinweis von Rudolphi in SK, § 358 RN 3. 43 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 425ff.; ferner Roxin in LK, § 28 RN 5. 44 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 429.

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Teilnehmers beseitigen, indem man diesen (nur) aus dem Gemeindeliktstatbestand schuldig spricht und entsprechend § 28 II die Strafe nicht nur gern. §§ 28 I, 49 I mildert, sondern dem Strafrahmen des Gemeindeliktstatbestands entnimmt. Zweitens soll die (erwünschte) Unmöglichkeit einer unrechtsausschließenden Einwilligung nur bei einem Schuldspruch aus dem Sondertatbestand gewährleistet sein 45 • Dies ist aber nur so, wenn man die Möglichkeit einer Einwilligung starr an den einzelnen Tatbestand anknüpft und keine Differenzierungen nach etwaigen Besonderheiten in der Unrechts struktur des Einzelfalls erlaubt; daß dies so sein muß, ist aber nirgends festgelegt. Drittens schließlich wäre es auch nicht zwingend, dem extranen Teilnehmer die Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 II zugute kommen zu lassen, wenn man ihn mit der herrschenden Meinung der Teilnahme am Grunddelikt schuldig spricht 46 • Auch in diesem Punkt setzt der Gesetzeswortlaut einer nicht allein auf den Schuldspruch, sondern auf die Erfordernisse des Einzelfalls abstellenden Handhabung des § 13 II wohl kaum Schranken. Die Schwierigkeiten, die Cortes Rosa sieht, entstehen allein dadurch, daß er einerseits die These vertritt, § 13 II dürfe nach der Wertung des Gesetzes auf "Sonderpflichtdelikte" (einschließlich der Teilnahme Extraner daran) nicht angewandt werden, und andererseits zur dogmatischen Umsetzung dieser These die starre Regel aufstellt, § 13 II greife genau dann nicht ein, wenn aus einem Sonderpflichtdeliktstatbestand schuldig gesprochen werde. Zur Aufstellung einer solchen starren Regel besteht keine Notwendigkeit.

(b) Aber auch wenn man die zuletzt aufgeführten, als nicht zwingend erkannten Gesichtspunkte beiseite läßt und sich allein auf die zuerst genannten Kriterien - Klarstellungsfunktion sowie zwingend an den Schuldspruch geknüpfte Konsequenzen wie Verjährung, Antragserfordernis usw. - stützt, so kommt man, wenn es um ein strafschärfendes Merkmal geht, zu demselben Ergebnis wie Cortes Rosa, Roxin und Rudolphi. Und zwar hat der Schuldspruch immer dann und nur dann aus dem qualifizierten Tatbestand zu erfolgen, wenn der nichtqualifizierte Teilnehmer trotz des Fehlens des qualifizierenden Merkmals in eigener Person durch die Bestimmung oder Unterstützung des qualifizierten Täters den Unwertgehaltjenes Merkmal in abgeschwächter Form verwirklicht, oder mit anderen Worten: wenn es um ein Merkmal geht, das, wäre es strafbegründend, der Strafzumessungsregel des § 28 I zu unterwerfen wäre. Diese Handhabung rührt zu einer weitgehenden Harmonisierung der Behandlung von strafbegründenden und strafschärfenden Merkmalen. Hat ein Merkmal einen, wie man sagen könnte, "rein" höchstpersönlichen Charakter, kann also der Teilnehmer, der es selbst nicht aufweist, den Unwertgehalt nicht einmal teilweise durch die Beteiligung an der Tat einer Person, die das Merkmal erfüllt, verwirklichen, so ist er bei strafbegründenden Merkmalen, wie bereits ausgeführt 47 , straflos; bei strafschärfenden Merkmalen besteht entsprechend keinerlei Anlaß, den Teilnehmer anders zu behandeln, als wenn auch der Haupttäter nicht qualifiziert wäre, so daß der Schuldspruch wegen Teilnahme am Grunddelikt 45 Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 436; Roxin in LK, § 28 RN 5; Rudolphi in SK, RN 5 vor § 331. 46 So aber Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 441. 47 Vgl. oben S. 39.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

angemessen ist. Für die Merkmale mit "abgeschwächt höchstpersönlichem" Charakter sind § 28 I zwei gesetzliche Wertungen zu entnehmen: Erstens wird auch der Teilnehmer, der das Merkmal nicht selbst aufweist, mit all den Konsequenzen, die an den im Schuldspruch in Bezug genommenen Tatbestand geknüpft sind, aus demselben Tatbestand wie der Haupttäter schuldig gesprochen, während die relative Unwertminderung im Tenor nur durch die gleichzeitige Zitierung des § 28 I (gem. § 260 V StPO) zum Ausdruck kommt; und zweitens führt die relative Unwertminderung zu einer Herabsetzung des Strafrahmens. Dementsprechend führt auch bei gleich strukturierten strafschärfenden Merkmalen die relative Unwertminderung beim Teilnehmer nur zur Herabsetzung des Strafrahmens nach § 28 11 und zur Zitierung dieser Vorschrift gern. § 260 V StPO, während der Schuldspruch aus dem Qualifikationstatbestand erfolgt. Als einzige Disharmonie zwischen den beiden Absätzen des § 28 verbleibt damit die Tatsache, daß bei den strafmodifizierenden Merkmalen der Strafrahmen des Grunddelikts anzuwenden ist, der in der Regel etwas niedriger ist als derjenige, der sich bei einer Milderung nach § 49 I ergeben würde. Eine "mathematisch" exakte Harmonie wäre natürlich erst dann erreicht, wenn die strafschärfenden Merkmale in zwei Gruppen geteilt würden: Bei den "rein höchstpersönlichen" Merkmalen wäre, wie § 28 11 es vorsieht, der Strafrahmen des Grunddelikts angemessen, während für diejenigen Merkmale, deren Unwertgehalt in abgeschwächter Form auch der extrane Teilnehmer verwirklichen kann, wie bei § 28 I eine Strafmilderung nach § 49 I angebracht wäre. Ich meine allerdings, daß diese verbleibende Ungereimtheit nicht erheblich genug ist, um noch von einem Verstoß gegen Art. 3 GG sprechen zu können. Man muß dem Gesetzgeber bei der Strafrahmenfestlegung schon deshalb einen relativ weiten Gestaltungsspielraum zugestehen, weil gerade dort der Grad rationaler Kontrollierbarkeit besonders niedrig ist. Diesen Spielraum kann er insbesondere auch durch typisierende, gesetzestechnisch einfache Regelungen ausfüllen. Dies geschieht z. B., indem bei sachlich so unterschiedlichen Strafmilderungsgründen wie vermeidbarem Verbotsirrtum (§ 17 S. 2), Putativnotstand (§ 3511) und verminderter Schuldfähigkeit (§ 21) einheitlich auf§ 49 I verwiesen wird. Als eine solche typisierende, auf gesetzestechnische Vereinfachung angelegte Regelung läßt sich auch § 28 begreifen, indem man sich die gesetzgeberische Wertung folgendermaßen vorstellt: Bei den strafmodifizierenden Merkmalen erscheinen die Strafrahmen der Grundtatbestände passender als die Anwendung des § 49 I (die Unwertmodifizierung, die darin liegt, daß es sich um die Beteiligung an einer Intranentat handelt, kann - so der Gesetzgeber - innerhalb dieses Grundstrafrahmens angemessen berücksichtigt werden); bei den strafbegründenden Merkmalen gibt es einen solchen "Grundtatbestand" nicht, so daß insoweit als relativ beste Lösung die Verweisung auf § 49 I verbleibt (denkbar, aber konstruktiv zu aufwendig wäre die Schaffung einer dem § 49 I ähnelnden, jedoch etwas stärker mildernden Vorschrift).

Hervorzuheben bleibt noch, daß § 28 11 auch für die strafmildernden Merkmale nur die Strafrahmenfrage regelt. Ob der nichtprivilegierte Teilnehmer aus dem Grundtatbestand oder der Privilegierung schuldig zu sprechen ist, ergibt sich also nicht aus § 2811. Es ist daher zumindest theoretisch denkbar, daß bei einem Teil der unter § 28 11 fallenden strafmildernden Merkmale der nicht selbst privilegierte Teilnehmer an der Tat eines privilegierten Täters aus dem Strafrahmen des Grundtatbestands bestraft wird, der Schuldspruch hingegen

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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aus dem Privilegierungstatbestand erfolgt, weil auch der Teilnehmer den sachlichen Gehalt des privilegierenden Merkmals - wenn auch nur teilweisemitverwirklicht. Ob es jedoch tatsächlich Merkmale gibt, für die eine solche Rechtsfolge angemessen ist, kann sich erst durch eine Analyse der einzelnen in Betracht kommenden Merkmale ergeben. b) Trennung des Haupttatproblems von der Strafrahmenfrage Den zweiten notwendigen Schritt, die Trennung des Haupttatproblems von der Strafrahmenfrage, hat neuerdings - allerdings nur teilweise - Roxin 4S im Anschluß an Herzberg 49 vollzogen, indem er die strafbegründenden speziellen Schuldmerkmale einerseits als notwendige Haupttaterfordernisse ansieht (denn Teilnahme an einer nicht einmal dem "Garantietatbestand" entsprechenden Tätertat dürfe nicht strafbar sein), andererseits aber in Anwendung des § 29 den Teilnehmer straflos lassen will, wenn er diese Merkmale nicht auch in eigener Person aufweist. Ganz unabhängig davon, ob jener Hinweis auf die Bedeutung des "Garantietatbestands" tatsächlich stichhaltig ist und die genannten "speziellen Schuldmerkmale" deshalb wirklich notwendige Haupttatmerkmale sind dies wird sich frühestens bei der Erörterung des Strafgrunds der Teilnahme ergeben -, so ist an der Argumentation Roxins auf jeden Fall bemerkenswert, daß erstmals klar herausgestellt wird, daß die Konsequenzen des Fehlens der betreffenden Merkmale in der Person des Teilnehmers sowie des Fehlens in der Person des Haupttäters zwei verschiedenen Problemebenen angehören und daher auch für ihre Lösung unterschiedliche Überlegungen notwendig sind. Dennoch sind die Ausführungen Roxins in zweierlei Hinsicht ergänzungsbzw. korrekturbedürftig. (1) Zum einen würde es bedeuten, auf halbem Wege stehenzubleiben, wollte man den Gedanken auf diejenigen strafbegründenden Merkmale beschränken, deren U nwertgehait der nichtqualifizierte Teilnehmer nicht, auch nicht teilweise, mitverwirklicht. Wahrscheinlich will auch Roxin eine solche grundsätzliche Beschränkung nicht; daß er nur von der genannten Merkmalsgruppe spricht, wird vielmehr daran liegen, daß er insbesondere unter § 28 I nur Unrechtsmerkmale faßt, deren notwendige Zugehörigkeit zur Haupttat für ihn ohnehin selbstverständlich ist, so daß von vornherein insoweit keine Diskrepanz zur herrschenden Meinung auftreten kann. Doch darf in diesem Stadium der Überlegungen noch keine bestimmte Konzeption über Funktion und Reichweite des Haupttaterfordernisses zugrunde gelegt werden, denn zur Lösung dieses Problems wird es noch eingehender Erörterungen bedürfen. Es ist denkbar, daß sich dabei die Existenz von Merkmalen ergeben wird, auf die die Strafzumessungsregel des § 28 I "paßt", die aber andererseits keine notwendigen HaupttatLK, § 28 RN 11 ff. TuT, 122; ZStW 88 (1976), 72. - Ebenso nunmehr auch Jakobs, AT, 23/4ff.; ferner Müller-Dürholt,165f. 48

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

erfordernisse sind. Es gilt, für diesen Fall die angemessene Lösungsmöglichkeit offenzuhalten, indem man (auch) § 28 I als reine StraJzumessungsregel versteht, die mit der Haupttatproblematik nichts zu tun hat und daher auch Merkmale erfassen kann, die keine notwendigen Haupttatmerkmale sind (falls es solche Merkmale gibt). Mit dem Wortlaut des § 28 I ist dieses Verständnis durchaus vereinbar; wenn dort vorausgesetzt wird, daß die erfaßten Merkmale "die Strafbarkeit des Täters begründen", so heißt das zwingend nur, daß diese Merkmale Bestandteile des Tätertatbestands sein, nicht aber unbedingt auch, daß sie Bestandteile des zum Teilnehmertatbestand gehörenden Haupttaterfordernisses sein müssen 50. Eine entsprechende Auslegung des § 28 11 hinsichtlich der strafschärfenden Merkmale ist ebenso unproblematisch: Wenn das Gesetz sagt, daß die Strafe des Teilnehmers "nur" dann geschärft wird, wenn der Teilnehmer das Merkmal selbst aufweist, so muß das keineswegs heißen, daß die Teilnehmerstrafe dann immer zu schärfen ist - sie ist es stets dann nicht, wenn das Merkmal zu den Haupttaterfordernissen gehört, der Täter es aber nicht erfüllt. Hingegen kommt man bei den strafmildernden und -ausschließenden Merkmalen nicht umhin, entgegen dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut die Strafe auch des Teilnehmers zu mildern bzw. auszuschließen, wenn nur der Haupttäter es aufweist, falls eine Analyse bestimmter Merkmale diese Lösung unter dem Gesichtspunkt des Haupttaterfordernisses als richtig erscheinen lassen sollte; die dann notwendige Überschreitung des Gesetzeswortlauts ist aber unbedenklich, weil sie ausschießlich strafbarkeitseinschränkende Wirkung hat.

(2) Zweitens sollte man auch im Bereich der strafbegründenden und -modifizierenden Merkmale § 29 nicht als eine unmittelbar bestimmte Merkmale erfassende Strafzumessungsregel ansehen, weil in dieser Vorschrift zwei unterschiedliche Rechtsgedanken zum Ausdruck kommen, von denen einer das Haupttatproblem, der andere die Strafrahmenfrage berührt. Und zwar entspricht der erste Rechtsgedanke (lokalisiert in den Worten "ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen") dem Zweck, zu dem diese Vorschrift 1943 als § 50 I in das Gesetz eingefügt wurde, nämlich der KlarsteIlung, daß keine voll schuldhafte Haupttat erforderlich ist (Grundsatz der "limitierten Akzessorietät") 51 ; ergänzt wird § 29 insofern heute durch die §§ 26, 27, die in der Fassung des 2. StRG jetzt ausdrücklich (nur) eine "vorsätzlich begangene rechtswidrige" (Haupt-)Tat verlangen. Der zweite Grundsatz ("jeder Beteiligte wird ... nach seiner Schuld bestraft") besagt - durchaus auch in Einklang mit den Vorstellungen des Gesetzgebers52 - , daß sich die Bestrafung jedes einzelnen Beteiligten nach seiner persönlichen Schuld in einem umfassenden Sinne, d. h. 50 Dies übersieht Gössel (MaurachjGössel, ATj2, 53j1(0), womit auch sein Rückschluß auf die "tatbestandsverschiebende" Wirkung des Abs. 2 die Grundlage verliert. 51 Vgl. dazu BaumannjWeber, AT, 522f.; Schönkej Schröderj Cramer, §29 RN1; ferner E 1958,41; E 1960, BT-Dr. IIIj2150, 144; E 1962, BT-Dr. IV j650, 148, 153. 52 Vgl. E 1958,41; E .1960, BT-Dr. IIIj2150, 144; E 1962, BT-Dr. IV j650, 153.

§ 1: Problematik und gesetzliche Regelung

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nach dem von ihm schuldhaft verwirklichten Unrecht, dem Grad des Verschuldens und dem Maß der Strafzumessungsschuld richtet. Wenn sich also bei einem strafbegründenden Merkmal ergibt, daß der Teilnehmer, der es nicht selbst aufweist, dessen Unwertgehalt nicht, auch nicht teilweise, verwirklicht, so ist seine Straflosigkeit (nur) auf den zweiten der genannten Rechtsgedanken, der (nur) in den Worten "jeder Beteiligte wird nach seiner Schuld bestraft" zum Ausdruck kommt, zu stützen. D. Zusammenfassung Das Ziel dieser Arbeit ist eine in der allgemeinen Zurechnungslehre fundierte Auslegung der Vorschriften über die Beteiligungsformen. 1. Den ersten großen Problemkomplex bildet die Unterscheidung der einzelnen Beteiligungsformen voneinander. Das im geltenden Recht verwirklichte Beteiligungsformensystem hat die Struktur eines Teilnahmesystems. Dessen wesentlicher Unterschied zum "Einheitstätersystem" liegt erstens darin, daß nicht erst auf der Strafzumessungsebene, sondern schon auf der Ebene der Strafandrohungsvorschriften unterschiedliche Rechtsfolgen an die verschiedenen Beteiligungsformen geknüpft werden. Zweitens gibt es spezifische Hauptformen der Beteiligung, nämlich die "nicht-akzessorische" Täterschaft und die "akzessorische", d. h. an eine fremde Haupttat gebundene Teilnahme. Die Fundierung in der Zurechnungslehre ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern auch für die praktische Rechtsanwendung dringlich, weil der Gesetzeswortlaut und seine Entstehungsgeschichte unergiebig sind. Die an der Formulierung des Gesetzes maßgeblich Beteiligten wollten offenbar einen primären und restriktiven Täterbegrifffestlegen, was sich aber im Wortlaut nicht niedergeschlagen und auch kaum mehr als rechtstechnische Bedeutung hat. Im übrigen wollte man die weitere Entwicklung der Beteiligungsformendogmatik in Rechtsprechung und Lehre nicht behindern. Am meisten ergibt sich aus dem Wortlaut noch für den Aufbau des Teilnahmetatbestands: Die Haupttat muß mindestens objektiv (gesamt-)unrechtstatbestandsmäßig und zumindest in bezug auf die objektiven Unrechtsmerkmale des Strafandrohungstatbestands auch vorsätzlich begangen sein. H. Da zumindest ein Teil der "besonderen persönlichen Merkmale" zugleich "besondere Tätermerkmale" sind, ist der Problemkomplex der §§ 28, 29 sachlich eng mit dem der §§ 25-27 verklammert. Auch hier ist die grammatische, gesetzessystematische und historische Auslegung unergiebig. Eine besondere Schwierigkeit liegt in der Rechtsfolgenseite dieser Vorschriften: Nach herrschender Ansicht enthalten die §§ 28, 29 zugleich Rechtsfolgenanordnungen für drei heterogene Problembereiche, nämlich erstens für die Frage, welche Merkmale die Haupttat aufweisen muß, zweitens für die Frage, aus welchem Tatbestand der Teilnehmer schuldig zu sprechen ist, und drittens für die Strafrahmenfrage. Dies muß zu Friktionen führen, wenn für einzelne Merkmale ihrem sachlichen Gehalt nach eine bestimmte Kombination dreier Rechtsfolgen angemessen wäre, keine der Vorschriften aber genau diese Rechtsfolgenkombination vorsieht. Außerdem verstoßen zumindest die aus § 28 herausgelesenen Bestimmungen über den Inhalt des Schuldspruchs gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG). Das Dilemma läßt sich aber beseitigen, indem man sich von dem traditionellen Verständnis löst und die §§ 28, 29 folgendermaßen auslegt: 4 Stein

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

1. § 29 stellt lediglich die Bekräftigung zweier Prinzipien der Teilnahmelehre dar, nämlich erstens des Prinzips der limitierten Akzessorietät, wonach keine voll schuldhafte Haupttat erforderlich ist, und zweitens des Grundsatzes, daß sich die Rechtsfolgen für jeden Beteiligten nach dessen persönlicher Schuld (im weitesten Sinne) zu richten haben. Aus diesem zweiten Grundsatz folgt insbesondere, daß bei strafbegründenden Merkmalen, deren Unwertgehalt man nicht (auch nicht teilweise) durch Verursachung der Erfüllung in der Person eines anderen verwirklichen kann, der Teilnehmer, der das Merkmal nicht selbst aufweist, straflos bleiben muß. 2. Beide Absätze des § 28 sind reine Strafrahmenregeln. Sie erfassen alle diejenigen Merkmale, nach deren Eigenart die Herabsetzung des Strafrahmens beim Fehlen in der Person des Teilnehmers geboten ist, unabhängig davon, ob die betreffenden Merkmale notwendige HaupttatmerkmaJe sind oder nicht. Über den Tatbestand, aus dem schuldig zu sprechen ist, besagt § 28 nichts. 3. Welche Merkmale die Haupttat aufweisen muß, ist allein nach Sinn und Zweck des Haupttaterfordernisses zu beantworten; sedes materiae ist das in den §§ 26, 27, 29 zum Ausdruck kommende Prinzip der "limitierten Akzessorietät". 4. Bei strafschärfenden Merkmalen ist auch der nichtqualifizierte Teilnehmer an qualifizierter Haupttat aus dem Sonderdeliktstatbestand schuldig zu sprechen, wenn das betreffende Qualifikationsmerkmal, wäre es ein strafbegründendes, der Strafzumessungsregel des § 28 I unterfallen würde.

§2

Methodologische, verfassungsrechtliche und normentheoretische Vorbemerkungen Bereits dieser erste Überblick über den Problemkreis dürfte die beiden Hauptmängel verdeutlicht haben, unter denen die Diskussion immer noch leidet. Der erste liegt in dem Haften an herkömmlicher Terminologie und Begriffiichkeit, das den Zugang zu den eigentlichen Sachproblemen und deren wertungsmäßig angemessene Lösung wegen vermeintlicher dogmatischer Zwänge erschwert. Dazu gehört vor allem auch die traditionelle, mehrere unterschiedliche Funktionen verklammernde Auslegung der §§ 28, 29. Es erscheint daher angebracht, bei der Analyse des Meinungsstands ein besonderes Augenmerk auf die methodische Seite zu richten. Der zweite Mangel besteht in der Unsicherheit hinsichtlich der Einordnung der Beteiligungsformendogmatik in die allgemeine Zurechnungslehre. Hier gilt es zunächst einmal den Rahmen abzustecken, der durch das Verfassungsrecht - insbesondere das Tatschuldprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Gleichbehandlungsgrundsatz - gezogen ist und in dem sich die Überlegungen zu einer das Beteiligungsformenproblem sachgerecht integrierenden Systematik zu bewegen haben; bereits hieran werden bestimmte Erklärungsansätze scheitern. Die folgenden Ausführungen können naturgemäß nur bereits vorhandene methodologische und systematische Grundpositionen aufgreifen; sie dienen lediglich dazu, die Grundpositionen offenzulegen, die meiner kritischen Analyse

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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des Meinungsstands sowie meinem eigenen Entwurf einer Beteiligungsformendogmatik zugrunde liegen. A. Die teleologische Auslegung und ihre Schranken I. In den einführenden Bemerkungen (§ 1) bin ich (stillschweigend) davon ausgegangen, daß Auslegung in erster Linie teleologische Auslegung zu sein hat 1. Dies halte ich für verfassungsrechtlich geboten, weil N ormgebung und -anwendung wie jedes staatliche Handeln niemals willkürlich sein dürfen, sondern auf einen bestimmten, im Kompetenzbereich des jeweiligen Hoheitsträgers liegenden Zweck ausgerichtet sein müssen. Ohne die Bezugnahme auf diesen Regelungszweck ist insbesondere auch eine sinnvolle Handhabung des Verhältnismäßigkeits- und des Gleichbehandlungsgrundsatzes, an denen Verhaltensnormen und strafrechtliche Sanktionsnormen sowie deren Anwendung wie jede (belastende 2 ) hoheitliche Maßnahme zu messen sind 3 , unmöglich: Sie müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein, einem (verfassungsrechtlich erlaubten) Zweck zu dienen; und ob bestimmte Fallkonstellationen "wesentlich gleich" oder "wesentlich ungleich" sind - genauer: ob die gleichartigen Strukturen der Regelungssubstrate oder die ungleichartigen Strukturen wesentlich sind - und daher gleich bzw. ungleich behandelt werden müssen, kann ebenfalls nur im Hinblick auf den Regelungszweck beantwortet werden.

11. Der teleologischen Auslegung sind jedoch Schranken gesetzt 4 . 1. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes darf nicht strafbegründend oder -schärfend überschritten werden. Dieses "Analogieverbot" beruht vornehmlich 5 auf dem Gedanken des Schutzes individueller Freiheit vor richterlicher Willkür sowie dem Demokratieprinzip 6. Es erstreckt sich auf den Besonderen Teil (und auf die Tatbestände des Nebenstrafrechts) ebenso wie auf den Allgemeinen Teil7, auf die Tatbestandsseite der Normen ebenso wie auf die Dazu statt vieler: Günther, Strafrechtswidrigkeit, 135 m. umfangr. Nachw. Das Gleichbehandlungsgebot erfaßt darüber hinaus auch nichtbelastende Maßnahmen. 3 Dies dürfte inzwischen allgemein anerkannt sein. Vgl. etwa Günther, JuS 1978, 11 ff.; dens., Strafrechtswidrigkeit, 179ff.; R.Hassemer, Schutzbedürftigkeit, 19ff.; Otto, Schröder-Gedächtnisschr., 57; Sax, in: Betterrnann 1Nipperdey 1Scheuner, Grundrechte III 12, 925ff.; dens., JZ 1976, 10f.; Schünemann, Bockelmann-Festschr., 129; dens., Unternehmenskriminalität, 135. 4 Eine grundlegende Untersuchung der Schrankenproblematik findet sich bei Krey, Gesetzesvorbehalt (m. umfangr. Nachw. pro und contra zu den einzelnen Streitpunkten), auf die ich hier exemplarisch verweise. S Zu weiteren Aspekten Krey, Strafe, RN 130ff. 6 Krey, Gesetzesvorbehalt, 206 ff.; bzgl. der demokratischen Komponente im Anschluß an Grünwald, ZStW 76 (1964), 13f. 7 Statt vieler: Krey, Gesetzesvorbehalt, 228ff. 1

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

Rechtsfolgenseite 8 und erfaßt damit insbesondere auch die §§ 25 - 31 in vollem Umfang. Die praktische Bedeutung dieser Auslegungsschranke für die Beteiligungsformenlehre wird sich freilich als nicht sehr weitreichend erweisen. Zu nennen sind im wesentlichen nur die bereits angesprochene 9 Begrenzung möglicher Täterschaft bei Tatbeständen, die ihrem Wortlaut nach die Verwirklichung bestimmter Merkmale in der Person des Täters verlangen (insbes. die "Sonderdelikte"), ferner das rechtspolitisch sehr umstrittene Erfordernis einer vorsätzlichen Haupttat 10. Für beide Punkte werden sich allerdings hinreichende teleologische Begründungsmöglichkeiten ergeben 11. Eine teleologisch nicht angezeigte Restriktion der Strafbarkeit wird nur in wenigen speziellen Konstellationen 12 notwendig. 2. Ob die Auslegung darüber hinaus auch die dem Gesetz zugrunde liegende rechtspolitische Wertentscheidung des historischen Gesetzgebers nicht überschreiten darf, erscheint mir äußerst problematisch. Diese in besonders dezidierter Form von Krey 13 verfochtene Ansicht stützt sich vor allem auf die These, eine Gesetzesanwendung, die die Wertentscheidung des historischen Gesetzgebers übergehe, entbehre der materialen Legitimation durch das Gesetz und sei daher eine - durch Art. 103 11 GG verbotene - Rechtsfortbildung praeter oder contra legern 14. Die Frage ist jedoch, ob der Gesetzgeber - nicht zuletzt wegen der prinzipiellen Schwierigkeit, die nicht im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommende Wertentscheidung eines Kollektivorgans festzustellen - nicht darauf verwiesen ist, bestimmte Zweck- und Wertvorstellungen, die er bei der Auslegung unbedingt berücksichtigt wissen will, im Gesetzestext ausdrücklich klarzustellen 15. Eine weitere Schwierigkeit, deren Überwindbarkeit mir nicht unbedingt gesichert erscheint, bildet die Abgrenzung der (bindenden) "Wertentscheidung" von etwaigen (nicht bindenden) "konkreten Inhaltsvorstellungen" des Gesetzgebers 16 • Krey, Gesetzesvorbehalt, 215ff. Oben S. 25. 10 Vgl. S. 24f. 11 Unten § 8 D., § 12 B., C. II., § 13 A. 12 Vgl. unten S. 277f., 291, 311, 370f. 13 Gesetzesvorbehalt, 184ff. (m. w. N. aaO, 53). 14 Krey, Gesetzesvorbehalt, 114, 184ff., 206ff. 1S In diese Richtung zielt auch die "Andeutungstheorie" , die verlangt, daß der Wille des Gesetzgebers einen, wenn auch unvollkommenen, Ausdruck im Gesetzestext gefunden haben muß; dazu Krey, Gesetzesvorbehalt, 186f. m. w. N. 16 Z.B. soll nach Krey (Gesetzesvorbehalt, 187f.) bei § 142 a.F. der Wille des Gesetzgebers bindend sein, nur UnHille im Straßenverkehr zu erfassen, obwohl es sich dabei doch - zumindest auch - schon um eine konkrete Inhaltsvorstellung handelt. Überhaupt sind die vom Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidungen wohl nur äußerst selten von jeder Inhaltsvorstellung abstrahierbar; meist liegen sie wie in dem angeführten Beispiel gerade in der Konkretisierung (verfassungsrechtlich) vorgegebener Grundwertungen für bestimmte (Grund-)Konstellationen. 8

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§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik ist hier naturgemäß nicht möglich, und darüber hinaus ist für die Erörterung der Beteiligungsformenlehre auch eine Entscheidung für oder gegen die These von der Bindung an die rechtspolitische Wertentscheidung des historischen Gesetzgebers nicht notwendig. Denn soviel sei vom Ergebnis der folgenden Überlegungen schon vorweggenommen: Die (wenigen und zumeist recht vagen) Wertentscheidungen decken sich - selbst wenn man ihre Bindungswirkungen recht weit faßt!7 - mit den Ergebnissen, zu denen die "objektiv-teleologische", lediglich durch die Wortlautgrenze beschränkte Auslegung führen wird. Und zwar ergeben sich aus den Gesetzesberatungen und den Materialien (vor allem der Begründung zum E 1962)18 folgende Wertentscheidungen: a) Der Teilnehmer soll (nur) für den Angriff auf dasjenige Rechtsgut bestraft werden, das auch der jeweilige Täter angreift, nicht aber (allein oder zusätzlich) dafür, daß er den Haupttäter "in Unrecht und Schuld verstrickt". Diesen Gedanken einer "Unrechts- und Schuldverstrickung" oder auch "Korrumpierung", der sich im Schrifttum nie durchgesetzt hat und auch von der Rechtsprechung nicht aufgegriffen wurde l9 , hat zwar Gallas in die Diskussion der Großen Strafrechtskommission eingebracht, weil nach seiner Ansicht nur damit die tätergleiche Bestrafung des Anstifters gerechtfertigt werden könne 20 . Zustimmende Äußerungen der anderen Kommissionsmitglieder finden sich aber nicht, und die Begründung zum E 1962, die auf den Schutzzweck der Teilnahmenormen nicht eingeht, legt offenbar stillschweigend die herrschende Meinung zugrunde. Im Bundestags-Sonderausschuß erläuterte dann Sturm (als Vertreter des BMJ), die täterschaftsgleiche Bestrafung ohne Milderungsmöglichkeit sei vorzugswürdig, und zwar nicht etwa wegen des Korrumpierungsgedankens, der "nach dem Übergang zur limitierten Akzessorietät nicht mehr durchgreife", sondern "das Minus, daß der Anstifter an der Ausführung der Tat nicht beteiligt sei, werde durch das Plus aufgewogen, daß er den Anstoß zur Tat gebe"21 . Eben diese Begründung wurde dann auch in den Zweiten Schriftlichen Bericht des Sonderausschusses übernommen 22 .

b) Eine weitere, freilich sehr vage und konkretisierungsbedürftige Wertentscheidung betrifft die Unterscheidung der Beteiligungsformen: Durch die unterschiedlichen Strafrahmen zwischen Täterschaft und Anstiftung einerseits und Beihilfe andererseits wollte man Differenzen im Maß der Tatschuld (also nicht nur präventiven Gesichtspunkten) Rechnung tragen. Dazu heißt es nämlich in der Begründung zu § 31 E 1962: Der obligatorischen Strafmilderung für die Beihilfe "liegt der Gedanke zugrunde, daß die entferntere 17 Indem man in erheblichem Umfang auch "Inhaltsvorstellungen" mit einbezieht; siehe dazu auch oben FN 16. 18 Zu den relevanten Quellen vgl. Krey, Gesetzesvorbehalt, 190ff. 19 Eingehend dazu unten § 3 A. 20 Beiträge, 121; Niedersehr. 11, 71 (ebenso übrigens auch die Begründ. zu § 28 AE, S.69). 21 Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V /1828. 22 BT-Dr. V /4095, 13.

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t. Kap.: Einfuhrung in die Problematik

Mitwirkung des Gehilfen in der Regel auf eine geringere Schuld schließen läßt und ein Schuldstrafrecht dem bei den gesetzlichen Strafandrohungen Rechnung tragen sollte"23. Beim Anstifter, der ebenfalls nur "entfernt" mitwirkt 24 , muß deshalb die Tatsache, daß er den "Anstoß zur Tat" gibt 25 , ebenfalls tatschuldrelevant sein, weil ja sonst der Gesetzgeber durch die Anordnung des täterschaftsgleichen Strafrahmens auf eine die Tatschuld übersteigende Bestrafung abzielen würde. Für die Beantwortung der Frage, wann im einzelnen die Mitwirkung eine "entfernte" ist bzw. wann die "entfernte" Mitwirkung keine bloße "Rathilfe", sondern einen "Anstoß zur Tat" darstellt - für die Abgrenzung von Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe also ergibt sich daraus freilich wenig, solange ungeklärt ist, in welcher Weise diese Kriterien tatschuldrelevant sind. Und die Tatsache, daß dem Gesetzgeber ein primär-restriktiver Täterbegriffvorschwebte, bedeutet schon deshalb keine "Wertentscheidung", weil es sich dabei zunächst einmal nur um ein rechtstechnisches Problem handelt26. Allenfalls die aus dieser rechts technischen Lösung folgenden und vom Gesetzgeber erkannten wesentlichen Konsequenzen könnte man (sofern man sie nicht bereits als unbeachtliche "konkrete Inhaltsvorstellungen" einordnen will) als "Wertentscheidungen" ansehen: Der "die Tat unmittelbar Ausführende" soll- wenigstens in aller Regel- Täter sein 2" und (gerade auch) bei den Tatbeständen ohne besondere Tätermerkmale muß ein gewisser Raum bleiben für Teilnahmefälle (was jedenfalls einen primär-extensiven Täterbegriff ausschließt).

c) Für das Erfordernis einer vorsätzlichen Haupttat wurden zwei Argumente angeführt: Erstens setze "die Teilnahme nach der Lehre von der Tatherrschaft wesensgemäß eine vorsätzliche Haupttat voraus. Denn eine Unterordnung unter die Tatherrschaft des Täters, die für den Teilnehmer kennzeichnend sein soll, ist nicht denkbar, wenn der Täter nicht vorsätzlich handelt."28 Eine "Wertentscheidung" des Gesetzgebers läßt sich hieraus keinesfalls entnehmen, denn der Tatherrschaftslehre sollte lediglich "Raum gegeben" werden, ohne sie "gesetzlich festzulegen"29.

Bedeutsam ist demgegenüber der zweite Gesichtspunkt. Da "bei vielen Tatbeständen der eigentliche Sinngehalt und Unwert der Ausführungshandlung erst durch den Vorsatz hervortritt" 30 , wollte man durch dieses Erfordernis einer "Auflösung der Tatbestände" und einer daraus folgenden "Ausuferung der Strafbarkeit" entgegenwirken 31 • 23 BT-Dr. IV /650, 15t. 24 So ausdrücklich Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtref. V /1828: Der Anstifter stehe "dem Tatgeschehen ferner". 25 Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V / 1828, 1829. 26 Dazu oben S. 30f. 27 Dazu oben S. 26 f. 28 Begründ. vor § 29 E 1962, BT-Dr. IV /650,148; Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V /1827. 29 Begründ. vor § 29 E 1962, BT-Dr. IV /650, 147f. 30 Begründ. vor § 29 E 1962, BT-Dr. IV /650, 148. 31 Begründ. vor § 29 E 1962, BT-Dr. IV /650,148; Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V /1827.

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d) Mit § 29 sollten der Grundsatz der limitierten Akzessorietät sowie das Tatschuldprinzip bekräftigt werden 32 ; bei § 28 war dem Gesetzgeber daran gelegen, durch Einführung des Wortes "Umstände" in die Legaldefinition von "Merkmale" auch kurzzeitige psychische Einstellungen zu erfassen 33 sowie durch den jetzigen § 28 I (= § 33 I E 1962 = § 50 11 i. d. von 1968 bis 1974 geltenden Fassung) den "Ungereimtheiten" in der Behandlung von strafbegründenden und strafmodifizierenden bzw. -ausschließenden Merkmalen abzuhelfen 34 (bis 1968 war keine Strafmilderung für den ex tranen Teilnehmer am echten Sonderdelikt vorgesehen!). Darüber hinausgehende rechtspolitische Wertentscheidungen des Gesetzgebers sind in diesem Problembereich nicht feststell bar, insbesondere keine solchen, die dem hier 3S entwickelten, von der traditionellen Auslegung abweichenden Verständnis der Rechtsfolgenanordnungen entgegenstehen könnten: Von einer rechtspolitischen Wertentscheidung läßt sich jedenfalls dann nicht mehr sprechen, wenn den am Gesetzgebungsvorgang Beteiligten gar nicht bewußt ist, daß auch eine inhaltlich abweichende Regelung des betreffenden Punktes denkbar wäre. Dann nämlich kann diese Regelung nicht Ausdruck einer eigenständigen Wertentscheidung, sondern allenfalls der - zutreftenden oder unzutreffenden - Meinung sein, diese Regelung sei die zwingende Konsequenz einer bereits an anderer Stelle getroffenen Wertung. Ein solches Fehlen des Bewußtseins, daß auch abweichende Lösungen denkbar sind, ist insbesondere bei der" Tatbestandsfrage" zu konstatieren. Nach damals einhelliger Auffassung ordnet der jetzige § 28 II eine "Tatbestandsverschiebung" für den extranen Teilnehmer am unechten Sonderdelikt an und regelt damit auch die Tatbestandsfrage; irgendein Hinweis darauf, daß die Tatbestandsfrage überhaupt als ein vom Strafrahmenproblem trennbares eigenständiges, lösungsbedürftiges Problem erkannt wurde, findet sich nicht. Die strafmodifizierenden Merkmale, so wurde formuliert, "gelten" (?) nur für den Beteiligten, bei dem sie vorliegen, weshalb die Beteiligten "hinsichtlich der anwendbaren Strafdrohungen" (?) "voneinander unabhängig sind"36. Ähnliches gilt für das "Haupttatproblem". In der Begründung zu§ 33 I E 1962 (= § 28 I n. F.) heißt es, diese Vorschrift gehe "davon aus, daß die strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale nur beim Teilnehmer fehlen dürfen, niemals aber beim Täter"37. Wie sich aus den anschließenden Erläuterungen eindeutig ergibt, ist damit gemeint, daß diese Merkmale sowohl Merkmale des Tätertatbestands sind als auch notwendige Haupttatmerkmale im Rahmen des Teilnehmertatbestands. Es findet sich nicht nur keine materiale Begründung dafür, daß die Merkmale notwendige Täter- und Haupttatmerkmale sind, sondern nicht einmal ein Indiz für das Bewußtsein, daß es sich um zwei voneinander trennbare Probleme handelt. 32 Siehe dazu oben S. 37, 43, 48 f. 33 Dazu oben S. 36f. 34 Begründ. zu § 33 E 1962, BT-Dr. IV /650, 152; Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V /1649. 3S Oben § 1 C. II. 2. 36 Begründ. zu § 33 E 1962, BT-Dr. IV /650, 152; ähnl. auch Sturm, Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. V /1649. 37 BT-Dr. IV /650, 152.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

e) Betont sei nochmals, daß diese durch eine subjektiv-historische Auslegung festgestellten rechtspolitischen Wertentscheidungen des Gesetzgebers mit den Ergebnissen übereinstimmen, zu denen die objektiv-teleologische Interpretation führen wird. Auf die auslegungsmethodische Frage, ob jene rechtspolitischen Wertentscheidungen Vorrang haben, wird es daher nicht ankommen. B. Die Grundprinzipien der funktionalen Systematisierung

Diese Arbeit soll der dogmatischen Durchdringung der Beteiligungsformenproblematik im Sinne der modernen methodischen Richtung dienen, die man mit Schünemann 1 als Funktionalismus oder auch Zweckrationalismus bezeichnen kann. Das soeben beschriebene Primat der teleologischen Auslegung gehört zu ihren essentialia, macht aber nicht den eigentlichen Unterschied zu den anderen Grundrichtungen aus. Auch der naturalistische Positivismus und der Finalismus beruhen auf kriminalpolitisch fundierten Strafzwecklehren 2 , und auf diese sind ihre Straftatsysteme ausgerichtet. Ihr teleologischer Charakter wird nur deshalb nicht so augenfällig, weil die wesentlichen normativen Weichen bereits auf sehr hoher Abstraktionsstufe gestellt werden, indem man ganz konkrete Strukturen des Regelungssubstrats für normativ relevant erklärt - im naturalistischen Unrechts begriff die Kausalität, im finalistischen den Finalcharakter der menschlichen Handlung -, wodurch sich die weitere Ausdifferenzierung weitgehend auf die Auffindung der für relevant erklärten ontischen 3 Strukturen beschränkt und das System eine starke deduktivistische Prägung erhält 4 • Das andere Extrem bildet die topische RichtungS, die längere Ableitungszusammenhänge zu vermeiden trachtet, um eine den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werdende (und damit um nichts weniger zweckhafte) Lösung zu erreichen. Der Funktionalismus steht gleichsam zwischen diesen Extremen, sein Kennzeichen ist das offene System 6 • I. Zur Notwendigkeit eines "offenen Systems"

1. Die Ablehnung der systemfeindlichen Topik ist die eine Seite des Bekenntnisses zum offenen System. Hat man im Sinne topischer Argumentation die (im Idealfall alle) Gesichtspunkte aufgezeigt, die bei der Lösung eines konkreten Grundfragen, 45 ff. Siehe zum ersteren etwa v. Liszt, Aufs. I, 126ff., zum letzteren Welzel, LB, 1 ff., 30ff. 3 Die bei den genannten Richtungen knüpfen an ontische Strukturen an; als Anknüpfungspunkte in Betracht kommen darüber hinaus natürlich auch alle sozialen Strukturen (im weitesten Sinne). 4 Dazu Schünemann, Grundfragen, 19ff., 34ff. 5 Die vor allem von Vieh weg, Topik, wiederbelebt wurde. Eine m. E. treffende Analyse u. Kritik ist zu finden bei Canaris, Systemdenken, 135ff. 6 Vgl. dazu (statt vieler) Bottke, Methodik, 104ff.; Canaris, Systemdenken, 61 ff.; Schünemann, Grundfragen, 8ff. 1

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Problems weiterhelfen könnten, dann stellt sich, will man zu einer eindeutigen Lösung gelangen, die Frage, welcher Gesichtspunkt relevant bzw. welcher von mehreren relevanten vorrangig ist, und dies soll sich nach der "Annahme durch den Gesprächspartner" oder die "Meinung aller oder der meisten oder der Weisesten" richten 7 • Damit wird nun aber ein fundamentales Postulat jeder Rechtssetzung und Rechtsfindung vernachlässigt: die "Einheit der Rechtsordnung". Positiv-verfassungsrechtlich folgt es aus Art. 3 GG (Gleichbehandlungsgrundsatz) und Art. 20 I GG (Rechtssicherheit als Teilaspekt des Rechtsstaatsprinzips): a) Bezeichnet man i. S. d. Gleichbehandlungsgrundsatzes mehrere Fallkonstellationen als "wesentlich gleich" oder "wesentlich ungleich", erklärt man also m. a. W. die übereinstimmenden bzw. die differierenden Strukturen in den Regelungssubstraten für rechtlich relevant, so muß diese Entscheidung eine bestimmte, auf den Regelungszweck bezogene, rationale Wertung ausdrücken, die nicht im Widerspruch zu Wertungen an anderen Stellen der Rechtsordnung stehen darf und die ihrerseits widersprechende Wertungen verbietet 8 . Eine wesentliche Funktion der Systematisierung ist es also, die - wie Canaris 9 treffend formuliert - vom Gleichbehandlungsgrundsatz geforderte "wertungsmäßige Folgerichtigkeit und innere Einheit der Rechtsordnung darzustellen und zu verwirklichen". b) Zugleich fördert das System - verstanden als Inbegriff der die Rechtsordnung tragenden und sie zugleich ausdifferenzierenden, in sich widerspruchsfreien Wertbeziehungen - die Rechtssicherheit, indem es zwar nicht unbedingt eine "mathematisch" exakte Deduktion (dazu unten 2.), wohl aber die tendenziell weitgehend rationalisierte Erkenntnis der rechtlichen Verhaltensmaßregeln und Wertmaßstäbe, auch soweit sie nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut folgen, ermöglicht 10. 2. Die andere Seite des Bekenntnisses zum offenen System ist die Skepsis gegenüber allen Versuchen einer streng axiomatisch-deduktiven Systematisierung l l . Eine solche gewährleistet zwar in optimaler Weise die von Rechtssicherheits- und Gleichbehandlungsgebot geforderte wertungsmäßige Folgerichtigkeit der Rechtsordnung und damit auch die rationale "Berechenbarkeit" der Einzelergebnisse. Das bereits (oben vor 1.) erwähnte Kennzeichen dieser Vorgehensweise ist die Tendenz zur Verlagerung der wesentlichen normativen Entscheidungen auf hohe und höchste Abstraktionsstufen, auf denen bereits bestimmte ontische (oder soziale) Strukturen des Regelungssubstrats für (i. S.d. Gleichbehandlungsgrundsatzes) relevant erklärt werden. Damit ist die weitere Dazu Vieh weg, Topik, 24ff. Vgl. Canaris, Systemdenken, 16f., u. Günther, Strafrechtswidrigkeit, 91 ff., jew. m. umfangr. Nachw. 9 Systemdenken, 18. '0 Näher dazu (m. w. N.) Günther, Strafrechtswidrigkeit, 94ff. 11 Dazu Canaris, Systemdenken, 20ff., 40ff.; Schünemann, Grundfragen, 6ff. 7

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

AusdifTerenzierung des Systems an die jeweils für relevant erklärte ontische (soziale) Struktur gebunden (und hängt damit im wesentlichen nur noch von der natur- bzw. sozialwissenschaftlichen Analyse der Wirklichkeit ab); normative Entscheidungen sind allenfalls noch insofern möglich (und erforderlich), als es um die normative Relevanz etwaiger verschiedenartiger Ausprägungen dieser (und keiner anderen) Struktur im Regelungssubstrat geht. Vernachlässigt wird durch diese Art von Systembildung aber die ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Forderung nach Einzeljal/gerechtigkeit. Sie verlangt, während des Prozesses der "Entnormativierung"12 von den obersten Rechtswerten hin zu den Lösungen der Einzelfälle möglichst weitgehend die Vielfalt der sich oft überlagernden Strukturen des Regelungssubstrats im Auge zu behalten und zu erwägen, ob nicht für verschiedene Fallkonstellationen eine mehr oder weniger große Vielzahl von Strukturen wertmäßig relevant sein kann und soll. In der Art der Systembildung bedeutet dies eine Schwerpunktverlagerung auf die normative Seite: Die Ausdifferenzierung des Systems auf die Einzelfallösung hin stützt sich möglichst lange auf normative, wertabwägende Entscheidungen; die für relevant erklärten Strukturen des Regelungssubstrats bleiben möglichst lange (relativ) abstrakt, um die Möglichkeit weiterer normativer Entscheidungen über die Relevanz etwaiger unterschiedlicher Ausprägungen dieser Strukturen ofTenzuhalten. 3. Verfolgt somit ein "offenes System" eine mittlere Linie zwischen Topik und Deduktivismus, dann bedeutet dies, daß sowohl im Hinblick auf die Einzelfallgerechtigkeit als auch auf die Rechtssicherheit Abstriche gemacht werden müssen. Die Einzelfallgerechtigkeit wird schon dadurch eingeschränkt, daß es sich überhaupt um ein "System" handelt. Und mit dem Prinzip der Rechtssicherheit gerät ein offenes System nicht nur deshalb in Konflikt, weil das System differenzierter und damit unübersichtlicher wird. Wichtiger ist, daß mit der Schwerpunktverlagerung auf die normative Seite die rationale Stringenz der Argumentation zwangsläufig abnimmt 13 . Jede Wertentscheidung enthält einen mehr oder weniger großen Rest rational nicht auflösbarer, dezisionistischer Elemente l 4, in deren Bereich dann die topische Denkweise zu ihrem Recht kommt 15. Noch größere EinbruchsteIlen für die Topik finden sich dort, wo keine hinreichend klaren Strukturen im Regelungssubstrat mehr aufweis bar sind, an die man zur Verwirklichung der normativen Entscheidungen anknüpfen könnte; hier wird der Anwender des Gesetzes - gesetzestechnisch durch "Generalklauseln", auslegungstech-

Zu diesem Begriff Schünemann, Grundfragen, 58 ff. Wodurch nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch der Gleichbehandlungsgrundsatz berührt ist, der ja, wie ausgeführt, die rationale Folgerichtigkeit der Gleich- und Ungleichbehandlung verlangt. 14 Eingehend dazu Krey, Gesetzesvorbehalt, 101 ff. IS Näher dazu Canaris, Systemdenken, 149ff., der von einer "wechselseitigen Ergänzung und Durchdringung systematischen und topischen Denkens" spricht (aaO, 151); ferner Roxin, TuT, 115, 125. 12

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nisch durch "Regulative" - angewiesen, unter Beachtung aller in der Rechtsordnung getroffenen Wertungen die für den Einzelfall gerecht erscheinende Lösung zu finden.

Letztlich ist es also der Widerstreit zweiter Verfassungsprinzipien, der den Grad der "Offenheit" des Systems bestimmt: Zwischen den Geboten der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung einerseits und der Einzelfallgerechtigkeit andererseits ist eine "praktische Konkordanz" 16 herzustellen; keinem dieser Prinzipien kommt ein grundsätzlicher Vorrang zu. Eng begrenzte Teile des Rechtssystems können (tendenziell) einen axiomatisch-deduktiven Charakter annehmen, soweit wegen des spezifischen Regelungszwecks ein besonderes Bedürfnis nach Vorausberechenbarkeit der Einzelergebnisse besteht und geeignete klare Strukturen des Regelungssubstrats, an die angeknüpft werden kann, vorhanden sind; in anderen (kleinen) Bereichen kann demgegenüber durch Generalklauseln bzw. Regulative der topischen Denkweise Raum gegeben werden. Das Rechtssystem als solches und seine größeren "Subsysteme" aber müssen stets den Charakter von "Systemen" im beschriebenen Sinne haben, und diese Systeme müssen wenigstens ein Minimum an "Offenheit"l7 aufweisen. 4. Was nun speziell die Beteiligungsformenlehre angeht, so lassen sich aus diesen Vorüberlegungen zwar noch keine weitreichenden Schlußfolgerungen ziehen, wohl aber einige Orientierungspunkte für die weiteren Überlegungen gewinnen. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß für den Bereich der Beteiligungsformendogmatik weder aus Gründen der Rechtssicherheit ein durch vorwiegend deskriptive Merkmale geprägtes, tendenziell deduktivistisches (Teil-)System wünschenswert erscheint, noch ein herausragendes Bedürfnis nach Einzelfallgerechtigkeit danach verlangt, die (Tatbestandsseiten der) §§ 25 ff. weitestgehend als Generalklauseln zu verstehen und zu ihrer Auslegung allenfalls Regulative anzugeben; vielmehr ist auch für diesen Bereich eine "mittlere Linie" anzustreben, die dem Teilsystem "Beteiligungsformendogmatik" die typischen Züge eines offenen Systems verleiht. Denn der in besonders gravierendem Maße in die Integrität des einzelnen eingreifende Charakter des Strafrechts gebietet gleichermaßen ein Optimum an Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit. Und 16 Dieser Begriff, den Hesse (Verfassungsrecht, RN 317 ff.) in bezug auf die gegenseitige Begrenzung der Rechte verschiedener Grundrechtsträger geprägt hat, vermag auch den hier erörterten Zusammenhang zu veranschaulichen. 17 Schünemann (Grundfragen, 7ff.) rückt vor allem eine weitere, sozusagen "zeitliche" Dimension der "Offenheit" in den Vordergrund: Das Rechtssystem müsse "elastisch" genug sein, sich der "kontinuierlichen Veränderung des sozialen Lebens und der zu seiner Ordnung dienlichen Wertungsgesichtspunkte" anpassen zu können (dazu auch Canaris, Systemdenken, 63 ff.); eine (über seine grundsätzliche Richtigkeit hinausgehende) spezielle Relevanz für die Beteiligungsformendogmatik scheint mir dieser Aspekt nicht zu haben. Die darüber hinaus von Canaris (aaO, 62f., 72f.) hervorgehobene Offenheit LS. der "Unabgeschlossenheit der wissenschaftlichen Erkenntnis" - m. a. W. die ständige Bereitschaft, das System aufgrund besserer Einsicht zu modifizieren - ist letztlich Voraussetzung jeder Wissenschaftlichkeit (so wohl auch Canaris, aaO, 62).

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

innerhalb des Strafrechtssystems mag zwar dort, wo es um die Grenze zwischen Strafbarem und nicht Strafbarem geht, der Rechtssicherheit, im Bereich der Strafzumessung hingegen der Einzelfallgerechtigkeit eine gewisse Priorität zukommen; die Beteiligungsformendogmatik betrifft indes gerade einen Schnittpunkt dieser Bereiche, denn es geht sowohl um die Grenzen des Strafbaren (z. B. im Versuchsbereich und bei der Bestimmung der notwendigen Haupttatmerkmale) als auch um Strafzumessungsregeln (insbes. bei der Strafmilderung für den Gehilfen und bei § 28). Daß für die Beteiligungsformendogmatik die charakteristische Struktur eines "offenen Systems" anzustreben ist, heißt freilich noch nicht unbedingt, daß die Auslegung tatsächlich zu einem solchen Ergebnis führen wird. Entscheidend sind letztlich die im Regelungssubstrat aufzufindenden Strukturen. Sind sie so klar konturiert und entsprechen sie so weitgehend den systemtragenden Wertungszusammenhängen, daß die Auslegung, ohne der Einzelfallgerechtigkeit Abbruch zu tun, den Schwerpunkt auf die Deskription legen kann, dann wird das System eher deduktivistische Züge erhalten; soweit andererseits (im ungünstigsten Falle) keine geeigneten Strukturen erkennbar sind, bleibt nur noch Raum für Regulative. 11. "Leitprinzipien" als Bausteine eines offenen Systems

1. Die Funktion von Leitprinzipien

Die Gesamtheit der Leitprinzipien ist nichts anderes als das Begriffssystem, mit dessen Hilfe das zunächst nur als Wertungsgefüge zu verstehende offene System dargestellt und damit gedanklich operabel und kommunikativ vermittelbar gemacht wird. Oder anders gewendet: Ein Leitprinzip enthält die Definition, die beschreibt, in welcher Weise eine auf nächsthöherer Systemebene getroffene (und dort ebenfalls durch ein Leitprinzip beschriebene) Wertung konkretisiert wird und in welcher Weise sich diese Konkretisierung von den anderen auf dieser Systemstufe vorgenommenen Konkretisierungen derselben übergeordneten Wertung unterscheidet. So muß beispielsweise das Leitprinzip zur Bestimmung des Täterbegriffs den Systemteil "täterschaftliche Beteiligungsformen" als Teil von "Beteiligungsformen" definieren und zugleich von dem Komplementärteil "teilnehmerschaftliche Beteiligungsformen" abgrenzen. Zu diesem Zweck enthalten die Leitprinzipien je nach dem Grad der Offenheit des Systems bzw. System teils und nach der Höhe der jeweiligen Systemstufe normative und / oder deskriptive Elemente 18 : Die deskriptiven Elemente stellen den Bezug zwischen den Wertentscheidungen und (mehr oder weniger konkreten) Strukturen der Wirklichkeit her und fördern damit die Rechtssicherheit. Unabdingbar sind sie indes nicht l9 ; je weniger die vorhandenen 18 Mit "Offenheit" ist ja gerade gemeint, daß die Ausdifferenzierung des Systems tendenziell bis zu relativ niedrigen Systemstufen durch normative, d. h. wertabwägende Entscheidungen geschieht; näher dazu bereits oben 1. 19 Vgl. aber auch Roxin. TuT, 24: "Rechtsbegriffe, die in ihrem Kern nicht auf anschaulich-seinshaften Strukturelementen beruhen, ermöglichen keine klaren Abgren-

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Strukturen den Wertungszusammenhängen entsprechen, um so mehr würde ihre Inbezugnahme zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit gehen, und um so eher ist die Einführung deskriptiver Elemente auf niedrigere Systemstufen zu verschieben oder im Extremfall ganz durch Regulative zu ersetzen 20 •

Von besonderer Bedeutung, vor allem auf höheren Systemstufen, ist ein hinreichender normativer Gehalt des Leitprinzips, d. h. eine genaue Beschreibung der getroffenen Wertung, durch welche die Wertentscheidung der nächsthöheren Systemstufe konkretisiert wird. Entbehrlich kann ein solcher normativer Gehalt nur dort sein, wo das Leitprinzip eine so genaue Deskription der relevanten Strukturen des Regelungssubstrats enthält, daß diese allein schon eine Konkretisierung für jeden Einzelfall ermöglicht. Ob dies in wirklich "reiner" Form praktisch überhaupt möglich ist, mag dahinstehen; jedenfalls wird es in einem offenen System kaum vorkommen. 2. "Täter-/ Tatbezogenheit" und "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" als (kritikwürdige) Beispiele

Ein deutliches Indiz für die mangelnde dogmatische Durchdringung eines Rechtsgebiets ist eine den beschriebenen methodischen Anforderungen nicht genügende Formulierung und Handhabung von Leitprinzipien. Dies sei für den Bereich der Beteiligungsformendogmatik an zwei Beispielen demonstriert: a) Bei den "besonderen persönlichen Merkmalen" (§ 28) handelt es sich, wie bereits eingangs 21 erörtert, um Merkmale, deren Unwertgehalt der extrane Teilnehmer gleichsam in "abgeschwächter" Form durch die Mitwirkung an der Tat eines Intraneus verwirklichen kann. Im Grunde ist damit schon ein - wenn auch noch sehr allgemeines und konkretisierungsbedürftiges - Leitprinzip formuliert. Nur eine andere (zwar einfachere, aber m. E. auch ungenauere) Formulierung hierfür ohne darüber hinausgehenden materialen Gehalt ist die in Rechtsprechung 22 und Schrifttum 23 oft zu findende Erläuterung, es handele sich um "täterbezogene" Merkmale (im Gegensatz zu den "tatbezogenen" und daher akzessorischen Merkmalen). Man mag nun darüber streiten, ob sich jenes Leitprinzip generell durch ein materiales Kriterium wie z. B. die "Rechtsgutsbezogenheit"24 konkretisieren läßt oder ob auf eine Analyse der zungen und verschwimmen im Undeutlichen. Das macht sie aber für die hier gestellte Aufgabe von vornherein unverwendbar ... " Damit ist zwar der Gesichtspunkt notwendiger Rechtssicherheit zutreffend betont, aber m. E. zu sehr verabsolutiert. 20 Näher zu diesen Zusammenhängen bereits oben I. 21 Oben § 1 C. I. 22 Vgl. etwa BGHSt 6, 260 (262) ("mit dem Wesen des Täters verbundene Eigenschaft"); 8, 70 (72); 8, 205 (209); 17, 215 (217); 23, 39 (40); 23, 103 (105); 24,106, (108). 23 SO Z. B. Baumann/ Weber, AT, 580; Blei, AT, 267f.; Bockelmann, AT, 198; Jescheck, AT, 536; Maurach, AT, 712; Maurach/Gössel, AT /2,53/113; Preisendanz, § 28 Anm. 2; Samson in SK, § 28 RN 16, 19; sowie die in FN 24 Genannten. 24 So etwa Blauth, 100ff.; Gallas bei Grebing, ZStW 88 (1976), 175; Geppert, ZStW 82 (1970), 64ff.; Jährig, 27ff., 40f.; Lackner, § 28 Anm. 2a. Dazu näher unten § 7 E.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

einzelnen Merkmale verwiesen werden muß, ohne daß ein einheitliches Kriterium, das allen in Betracht kommenden Merkmalen gerecht wird, angegeben werden könnte 25 ; von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, ob das Leitprinzip in seiner normativen Aussage entsprechend ergänzt werden kann (und daher auch muß) oder ob die für die Auslegung notwendigen weiteren Wertungen gesondert für die einzelnen zu beurteilenden Merkmale zu formulieren sind. Keinesfalls ist es aber möglich, unmittelbar von dem Leitprinzip "Täterbezogenheit" auf die nicht-akzessorische Behandlung eines Merkmals zu schließen26 . Bedenklich ist es daher, wenn etwa Koffka 27 und im Anschluß an ihre Ausführungen auch der BGH28 die Anwendbarkeit des § 28 auf das Mordmerkmal "niedrige Beweggründe" mit dem Argument begründen: "Ein Motiv des Täters liegt in seiner Person und nirgend anders." Hier ist offenbar nicht allein der materiale Gehalt des genannten Leitprinzips, sondern auch ein darüber hinausgehender semantischer Gehalt des Ausdrucks "Täterbezogenheit" in den Ableitungszusammenhang eingeflossen 29 • b) Das zweite Beispiel betrifft die Beteiligungsformenlehre Roxins. In ihrem methodischen Ausgangspunkt entspricht sie durchaus den hier skizzierten Grundsätzen. Roxin will sowohl die Nachteile "fixierter", d. h. zu frühzeitig an konkrete ontische Strukturen gebundener Begriffe vermeiden als auch die Gefahren "unbestimmter", dem Irrationalismus Raum gebender Begriffe bannen; er favorisiert - ganz im hier skizzierten Sinne, wenn auch ohne Bezugnahme auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund - ein System "offener", d.h. normativ fundierter und mit Regulativen durchsetzter Begriffe 30 . Im Anschluß an seine allgemein-methodologischen Bemerkungen und als Ausgangspunkt seiner speziell auf die Beteiligungsformenlehre bezogenen Überlegungen formuliert er sein "Leitprinzip für die Bestimmung des Täterbegriffs". Dieses Leitprinzip enthält nach seiner Ansicht sowohl normative als auch deskriptive Elemente, denn es bezeichnet "einerseits den für die Abgrenzung maßgebenden gesetzlichen Wertungsgesichtspunkt, andererseits aber auch einen deutlich erfaßbaren vorrechtlichen Differenzierungsmaßstab" (also eine für relevant erklärte Struktur im Regelungssubstrat)31. Die entscheidenden Sätze dazu lauten: "Der Täter ist die Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens ... Es scheint mir kaum bestreitbar zu sein, daß der Gesetzgeber so wertet: Er umschreibt den Täter durch So Blei, AT, 267f. Siehe auch Schünemann, GA 1986, 338: Es handele sich um eine "semantisch inhaltlose (weil pleonastische) ... Definition". Ähnl. auch Roxin in LK, § 28 RN 24. 27 JR 1969, 42. 28 BGHSt 22, 375 (378). 29 Bezeichnend ist insofern auch die ergänzende Bemerkung in BGHSt 22, 375 (378): "Es entspricht nun dem Sprachgebrauch und dem natürlichen Verständnis, niedrige Beweggründe des Mörders zu den besonderen persönlichen Umständen zu rechnen." 30 TuT, 107fT. u. passim. 31 TuT,25. 25

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den Begriff des ,Ausführens' (§ 47 StGB), den Anstifter durch das ,Bestimmen zur Tat' (§ 48 StGB) und die Beihilfe durch das ,Hilfeleisten' (§ 49 StGB). Alle drei Verhaltensweisen beziehen sich nach dem Gesetzeswortlaut auf eine konkrete Tat. Wenn man sich ein solches Handlungsgeschehen vor Augen ruft, so kann man die §§ 47 -49 StGB nur in dem Sinne verstehen, daß der Gesetzgeber sich den Ausführenden als Mittelpunkt und Schlüsselfigur des Deliktsvorganges, den Bestimmenden und den Hilfeleistenden aber außerhalb des Zentrums um ihn herumgruppiert denkt."32

Roxin ist nun ohne weiteres darin zuzustimmen, daß sein so formuliertes Leitprinzip durchaus ein deskriptives Element enthält, nämlich jenen von ihm sog. "vorrechtlichen" (genauer könnte man sagen: sozialpsychischen) Differenzierungsmaßstab, der in der "auch im Gemeinschaftsbewußtsein lebenden plastischen Vorstellung"33 von den verschiedenen Beteiligungsformen liegt und den Roxin durch die Gegenüberstellung von "Mittelpunkt und Schlüsselfigur des Deliktsvorgangs" einerseits und "außerhalb des Zentrums um ihn herumgruppierte Beteiligte" andererseits näher erläutert. Natürlich ist diese Deskription nicht konkret genug, um aus ihr allein irgendwelche Einzelergebnisse ableiten zu können; das entspräche auch gar nicht der Intention Roxins, der gerade die Notwendigkeit des Hinzutretens von Wertungen betont. Und an dieser Stelle liegt der entscheidende Mangel: Die inhaltliche Beschreibung einer Wertung, durch die der Täterbegriff in das Wertungsgefüge des Straftatsystems eingeordnet und damit eine rational geleitete Konkretisierung bis zum Einzelfall hin ermöglicht wird, ist den soeben zitierten Ausführungen Roxins nicht zu entnehmen. Sie ergeben allenfalls noch (doch auch dies ohne wertungsmäßige Begründung), daß die Beteiligungsform im Hinblick "auf eine konkrete Tat", also tatbestandsbezogen, zu bestimmen ist. Vielleicht kann man sie darüber hinaus noch so verstehen, daß die Position des Täters im Verhältnis zu der des Teilnehmers eine gewisse "Gewichtigkeit" haben muß - doch wäre auch dies immer noch mehr als vage, da weder klar wird, was mit "Position" gemeint ist (nur das konkrete Verhalten oder auch die soziale Stellung usw.), noch verdeutlicht wird, an welchen allgemeineren Wertungsmaßstab (Verhaltensgefährlichkeit, Vorwerfbarkeitsgrad usw.) mit dem Begriff "Gewichtigkeit" angeknüpft werden soll. Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen: Es soll keinesfalls ein (von Roxin mit Recht bekämpfter 34 ) "fixierter" Begriffverlangt werden, aus dem die Einzelergebnisse logisch zwingend deduzierbar sind; vielmehr geht es hier nur um die bereits näher beschriebenen, aus Sinn und Zweck einer funktionalen Systematisierung folgenden Mindestanforderungen, die an den normativen Gehalt eines "offenen Begriffs" zu stellen sind.

Nun wäre dieser Mangel allerdings unschädlich, wenn Roxin die "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" gar nicht als Leitprinzip im hier 32 TuT,25f. 33 So Roxin, TuT, 26. 34 TuT,119ff.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

gemeinten Sinne verstanden wissen wollte. Die eigentlichen Leitprinzipien könntenja auch in den jeweils für eine bestimmte Tatbestandsgruppe geltenden Kriterien der Tatherrschaft, Pflichtverletzung und Eigenhändigkeit 35 liegen, deren einzige normative Klammer darin bestände, daß für alle gleichermaßen die gesetzlichen Rechtsfolgendifferenzierungen angemessen erscheinen; die "Zentralgestalt" wäre dann nichts weiteres als ein synonymer Ausdruck für "Täter" ohne eigenständigen materialen Gehalt. Folglich dürften dann aber auch keinesfalls aus dem Ausdruck "Zentralgestalt", sondern nur aus den eigentlichen Leitprinzipien (Tatherrschaft usw.) irgendwe1che Konsequenzen für die Konkretisierung des Täterbegriffs abgeleitet werden. So verhält es sich indessen nicht. Vielmehr zieht Roxin aus der Definition "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" weitreichende Schlußfolgerungen: Zunächst verwirft er alle Täterbegriffe, die keinen restriktiv-primären Charakter haben 36 • Sodann sucht er die Richtigkeit der von ihm für die drei Tatbestandsgruppen (Herrschaftsdelikte, Pflichtdelikte, eigenhändige Delikte) gefundenen Täterschaftskriterien damit zu belegen, daß sie bestimmten in den Tatbestandsgruppen vorhandenen markanten Strukturen entsprechen und zugleich - das ist hier entscheidend - als spezielle Ausprägungen der "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" verstanden werden können 37 • Hat aber ein als Leitprinzip verwandter Begriff keinen hinreichend präzise faßbaren normativen Gehalt, dann sind auch keine hinreichend rational stringenten Ableitungen daraus möglich; es besteht die Gefahr, daß an die Stelle des normativen Gehalts des Begriffs mehr oder weniger unbewußt irgendein durch den Lebenssprachgebrauch geformter sematischer Gehalt des Ausdrucks tritt und die weitere Konkretisierung prägt. Als Beispiel sei nur die straftatsystematische Einordnung der" Tatherrschaft" erwähnt: Roxin will sie nicht etwa getrennt nach ihren objektiven und subjektiven Voraussetzungen in den objektiven und subjektiven (Gesamtunrechts-)Tatbestand eingliedern 38 , sondern Vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse in TuT, 527f. TuT, 26ff. 37 Vgl. zur Tatherrschaft TuT, 336: " ... schildern die Tatbestände durchweg rechtsgutsverletzende Handlungsabläufe. Wenn man nun nach der Zentralgestalt eines solchen Vorganges fragt, so hat die Antwort, daß im Mittelpunkt des Geschehens derjenige steht, der die Tat beherrsche, eine unmittelbare Evidenz." Zur Pflichtverletzung TuT, 354: "Dabei geht es allemal um Pflichten, die der Strafrechtsnorm logisch vorgelagert sind... Für sie F\lle ist charakteristisch, daß die Träger dieser Pflichten sich ... durch eine besondere Beziehung zum Unrechtsgehalt der Tat auszeichnen und daß der Gesetzgeber sie deshalb allein um dieser Verpflichtung willen als Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens und damit als Täter ansieht." Zur Eigenhändigkeit TuT, 414: " ... dann stehen hier offenbar bestimmte, vom Gesetzgeber als besonders verwerflich erachtete Formen der Unmoral unter Strafe, so daß Zentral figur des handlungsmäßigen Geschehens hier nur sein kann, wer ein derart wertwidriges Verhalten verwirklicht." 38 So Küpper, GA 1986,443; Maurach/Gössel, AT /2,47/52. Auch die jetzt in LK, § 25 RN 27 zu findende Formulierung Roxins deutet in diese Richtung, bleibt aber letztlich unklar. 35

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"en bloc" als zweiten Teil der Kategorie "tatbestandliches Unrecht" an den ersten Teil, bestehend aus objektiver und subjektiver Indiztatbestandsmäßigkeit und Fehlen von Rechtfertigungsgründen, anhängen 39 . Die Begründung hierfür - kurz zusammengefaßt: die objektiven und subjektiven Elemente bildeten eine "dialektische Einheit", die man keiner "getrennten systematischen Würdigung" unterziehen könne, weil sonst "der gesamte Begriff ... sich in ein Nichts auflösen" würde 40 - vermag nur auf der Grundlage der umgangssprachlichen Bedeutung des Ausdrucks "Herrschaft" einzuleuchten; "Herrschaft" übt nur der aus, der von einer objektiv gegebenen Einflußmöglichkeit Gebrauch macht und sich dessen auch bewußt ist. Für die straftatsystematische Einordnung des Rechtsbegriffs Tatherrschaft folgt daraus bei einer konsequent funktionalen Systematisierung naturgemäß gar nichts. Solange die objektiven und subjektiven Elemente überhaupt unterscheidbar sind, ist ihre Einordnung an unterschiedlichen systematischen Stellen denkbar; ob sie sinnvoll ist, hängt allein davon ab, wie sich der normative (!) Gehalt dieser Elemente in den Wertungszusammenhang des Systems einfügt. Bemerkenswerterweise rückt Roxin von seiner Schlußfolgerung, die subjektiven Elemente bedeuteten "keine ,subjektive' Tatherrschaft, sondern gestaltungsunfähige und für die Tatherrschaft durchaus unerhebliche Reflexionen und Gefühlsimpulse"41, bei der Erörterung der Versuchsstrafbarkeit unversehens wieder ab: Täter soll (bei den "Herrschaftsdelikten") derjenige sein, der, wenn sein Tatplan - also der Inbegriff seiner subjektiven Vorstellungen über den Tatablauf - verwirklicht würde, die Tatherrschaft hätte 42 ; m. a. W.: die subjektiven Elemente sind, für sich allein genommen, also doch keine "unerheblichen Reflexionen", sondern sie begründen die Täterschaft beim Versuchsdelikt!

Dies muß wohlgemerkt noch nicht unbedingt heißen, daß die Lehre Roxins vollständig zu verwerfen ist. Festgestellt ist vorerst nur, daß Roxin die Formulierung eines allgemeingültigen, im allgemeinen Verbrechensbegriffwurzelnden Leitprinzips zur Bestimmung des Täterbegriffs nicht gelungen ist. Es wird später 43 noch zu untersuchen sein, ob nicht unabhängig von ihrer mangelnden Ableitbarkeit aus dem allgemeinen Leitprinzip die Begriffe der nächstniedrigeren Systemstufe (Tatherrschaft, Pflichtverletzung, Eigenhändigkeit) einen so konkreten normativen Gehalt aufweisen, daß sie selbst als jeweils für ihren Teilbereich geltende - Leitprinzipien akzeptiert werden können. C. Die inhaltliche Prägung des funktionalen Systems durch das Verfassungsrecht Die grundsätzliche Erkenntnis, daß die Dogmatik des Strafrechts an den Maßstäben des Verfassungsrechts auszurichten ist, hat z. B. Sax 1 schon in den fünfziger Jahren ausgesprochen; die Tendenz zu einer konsequenten verfas39 Vgl. das Schaubild in TuT, 329. 40 TuT, 330ff. 41 TuT, 331 f. 42 TuT, 453 f. 43 Unten § 5 B. I. 1., § 7 C. 11., § 7 D. 11. 2. I In: BettermannjNipperdey jScheuner, Grundrechte IIlj2, 911 ff. 5 Stein

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

sungskonform-funktionalen Durchdringung der Strafrechtsdogrnatik hat indes erst im Laufe der sechziger Jahre eingesetzt. Mittlerweile ist sie so weit fortgeschritten, daß heute ungleich günstigere Vorbedingungen für die Entwicklung einer funktionalen Beteiligungsformendogmatik anzutreffen sind, als dies etwa für die Zeit galt, zu der Roxin seine Beteiligungsformenlehre konzipierte. Es sind im wesentlichen drei Verfassungsprinzipien, die bei der strafrechtlichen Systembildung Beachtung verlangen, nämlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Tatschuldprinzip. Diese Prinzipien zwingen zur Unterscheidung von zwei Ebenen innerhalb des Wertungsgefüges, nämlich den Verhaltensnormen (Bestimmungsnormen) und den (strafrechtlichen) Sanktionsnormen, weil damit die Grenze zwischen zwei Bereichen markiert wird, in denen sie ganz verschiedenartige Wirkungen entfalten. Dementsprechend gibt es neuerdings auch Bestrebungen, das traditionelle Begriffssystem, das auf die noch aus der Zeit des naturalistischen Positivismus stammende Grundunterscheidung von Unrecht und Schuld aufbaut, ganz zu sprengen und durch ein neues zu ersetzen, das an den Dualismus von Verhaltensnorm und Sanktionsnorm anknüpft 2 . Ob die "Straftat" künftig nicht mehr als "schuldhaftes Unrecht", sondern, wie man formulieren könnte, als "sanktionsnormrelevanter (= strafbedürftiger) Verhaltensnormverstoß" definiert werden sollte, ist aber eben nur eine begriffstechnische und daher zweitrangige Frage. Entscheidend ist, daß die materialen Gesichtspunkte, auf denen die Unterscheidung von Verhaltensnormen und Sanktionsnormen beruht, innerhalb des Wertungsgefoges Berücksichtigung finden. I. Die Ebene der VerhaItensnormen

1. Die "rechtliche Verhaltensordnung" als Gegenstand der Verhaltensnormebene

Auf der Verhaltensnormebene geht es um die Entwicklung eines Systems von Verhaltensnormen (d.h. von Handlungsverboten und -geboten), einer "rechtlichen Verhaltensordnung". Sie legt fest, welche Verhaltensweisen (Handlungen und Unterlassungen) wegen einer rechtlich nicht mehr tolerierbaren Riskantheit für bestimmte Rechtsgutsobjekte verboten sind und welche mangels Riskantheit oder wegen überwiegender Nützlichkeit erlaubt sind 3 • Zum Verständnis der folgenden Überlegungen bedarf es hier zunächst einiger Bemerkungen über die verwendete Begriffiichkeit und die zugrunde gelegten (verhaltens-) normentheoretischen Grundpositionen. Dafür: Frisch, Vorsatz, 502 ff.; ausdrück!. dagegen: Schünemann, Grundfragen, 55 ff. Die Frage, ob es auch Verhaltensweisen gibt, die von der Rechtsordnung weder verboten noch erlaubt sind ("rechtsfreier Raum"; so z. B. Arthur Kaufmann, JuS 1978, 366), mag hier offenbleiben; für die Beteiligungsformendogmatik ist sie unerheblich. 2

3

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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a) Die Verhaltensnormen sind Bewertungs- und Bestimmungsnormen 4 • Als Bewertungsnormen bezeichnen sie die materialen Wertungen, aufgrund derer bestimmte Verhaltensweisen als rechtmäßig oder rechtswidrig deklariert werden. Zugleich sind sie Bestimmungsnormen, denn sie enthalten darüber hinaus die (rechtlich bindende) Aufforderung, bestimmte Verhaltensweisen - und zwar die als rechtswidrig bewerteten - zu meiden; sie haben also insofern eine verhaItenssteuernde ("bestimmende") Funktion. Wenn ich also im folgenden von "Verhaltensnormen" spreche und nicht den dogmengeschichtlich älteren und wohl noch geläufigeren Begriff "Bestimmungsnormen" verwende, so geschieht dies, um den beschriebenen Doppe1charakter besser zum Ausdruck zu bringen. Ein Unterschied zwischen den "Bestimmungsnormen" im herkömmlichen Sinne und den im Hinblick auf ihre verhaltenssteuemde Funktion betrachteten "Verhaltensnormen" besteht nicht.

b) Verhaltenspflicht ist das in einer konkreten Situation an eine bestimmte Person gerichtete Ver- oder Gebot, eine konkrete Handlung vorzunehmen. Verhaltensnorm ist die abstrakte Regel, anhand derer zu ermitteln ist, in welchen Situationen für welche Personen welche Verhaltenspflichten entstehens. Es ist nun eine reine Zweckmäßigkeitsfrage, ob man die Gesamtheit dieser abstrakten Regeln begriffiich in relativ viele oder in relativ wenige Verhaltensnormen aufteilt. Denkbar wäre es z. B. einerseits, zwei Verhaltensweisen schon dann als durch zwei verschiedene Verhaltensnormen verboten anzusehen, wenn sie sich lediglich in der Schwere der Beeinträchtigung von gleichartigen Rechtsgutsobjekten unterscheiden. Andererseits könnte man beispielsweise alle Verhaltenspflichten, die dem Schutz desselben Rechtsguts dienen (z. B. des Rechtsguts Vermögen), zu einer Verhaltensnorm zusammenfassen (dies würde dann bedeuten, daß etwa die Vermögensdeliktstatbestände jeweils nur "Teile" einer als umfassend definierten Verhaltensnorm strafbewehren). Im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung halte ich es für sinnvoll, die Straftatbestände als Orientierungspunkte zu nehmen und stets dann von "mehreren" Verhaltensnormen zu sprechen, wenn Verhaltenspflichten, die unterschiedliche Verhaltensweisen verbieten, durch verschiedene Tatbestände strafbewehrt sind (wobei auch Begehungs- und Unterlassungstatbestände sowie die Tatbestände der einzelnen Beteiligungsformen als jeweils verschiedene Tatbestände gelten sollen).

Für die Beteiligungsformenlehre bedeutet dies folgendes: Falls man nicht einer der "subjektiven" Lehren folgt, nach denen der Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme u. U. in bloßen motivatorischen oder gesinnungsmäßigen Aspekten liegen kann - diese Lehren vermögen, das sei hier vorweggenommen, nicht zu überzeugen 6 - , dann stellen die Beteiligungsformen unterschiedliche Verhaltensweisen dar. Es handelt sich nämlich um Handlungen (bzw. Unterlassungen), die auf verschiedenartigen Wegen zu einer RechtsgutsbeeinVgl. dazu statt vieler: Günther, Strafrechtswidrigkeit, 95, 99f. m. w. N. Dies dürfte im wesentlichen mit der Begriffsbildung Armin Kaufmanns (Normentheorie, 129ff.) übereinstimmen. 6 Eingehend dazu unten § 4, insbes. B. H. 4

5

5"

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

trächtigung zu führen drohen 7 , und zwar - in Anlehnung an die §§ 25 - 27 fonnuliert - ohne Zwischenschaltung der Handlung eines anderen, "durch" die Handlung eines anderen, "gemeinschaftlich" mit der Handlung eines anderen bzw. durch "Bestimmung" zu oder "Hilfeleistung" bei der "Tat" eines anderen. Und da ferner nach meiner Definition die einzelnen Beteiligungsfonnen durch verschiedene Tatbestände erfaßt sind, werden folglich unmittelbare und mittelbare Täterschaft, Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe durch unterschiedliche Verhaltensnormen verboten. Betont sei nochmals, daß es sich dabei zunächst einmal um eine bloße Sprachregelung handelt, aus der allein keine weiteren Schlußfolgerungen gezogen werden dürfen. Ob sich also z. B. die Verhaltensnormen, die die verschiedenen Beteiligungsformen verbieten, in ihrem wertungsmäßigen Gehalt unterscheiden und deshalb etwa eine unterschiedliche Reichweite und Dringlichkeit haben und ob - falls diese Frage zu bejahen sein sollte die unterschiedliche Behandlung der Beteiligungsformen auf der Sanktionsnormebene (insbesondere die Unterschiede im Strafrahmen und in der Versuchsstrafbarkeit) gerade auf jenen schon auf der Verhaltensnormebene vorzufindenden Differenzen beruhen, ist damit noch keineswegs präjudiziert.

c) Aus der verhaltenssteuernden Funktion der Verhaltensnormen folgt, daß bereits im Verhaltenszeitpunkt eindeutig feststehen muß, ob das Verhalten verboten oder erlaubt ist. Deshalb können die Verhaltensnonnen nur an solche Umstände anknüpfen, die im Verhaltenszeitpunkt erkennbar sind (strikte exante-Perspektive) 8. d) Die Grundsatzfrage, ob bei der Aufstellung der Verhaltensnonnen ein "objektiver" oder ein "subjektiver" Maßstab anzulegen ist, kann hier nicht weiter diskutiert werden; dies ist andererseits auch entbehrlich, weil dieses Problem keine spezifische Bedeutung für die Beteiligungsfonnenproblematik hat. Ich werde der Untersuchung die wohl herrschende Konzeption zugrunde legen, wonach auf einen in die Situation des Handelnden bzw. Unterlassenden versetzten (fiktiven) "objektiven", d.h. in jeder Hinsicht sorgfältigen und mit dem nomologischen Höchstwissen seiner Zeit ausgestatteten Beobachter (ergänzt durch ein etwaiges darüber hinausgehendes "Sonderwissen" des individuellen Handelnden) abzustellen ist 9 • 2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Bei der inhaltlichen Bestimmung des Verhaltensnonnensystems fungiert (neben dem anschließend zu erörternden Gleichbehandlungsgrundsatz) der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (mit seinen Teilaspekten Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) als wichtiges Regulativ 10 . Abwägungsmaterial 7 Zur Notwendigkeit einer ex-ante-Sicht sogleich unten c). Dazu, daß es sich um unterschiedliche Verhaltensweisen handelt, bereits sehr treffend Küper, GA 1974, 326f. 8 Eingehend dazu z. B. Frisch, Vorsatz, 76ff., 124ff.; Wolter, Zurechnung, 83 ff. 9 Vgl. statt vieler: Frisch, Vorsatz, 84ff.

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sind die von der jeweiligen Verhaltensweise ausgehenden (und mithin durch das Verbot dieser Verhaltensweise abwendbaren) Gefahren einerseits und die negativen Auswirkungen eines Verbots andererseits l l . a) Der erstgenannte Teil dieses Abwägungsmaterials wird üblicherweise so umschrieben: Das Strafrecht müsse einem verfassungsrechtlich erlaubten Zweck dienen, und als solcher komme nur der Schutz von konkreten Rechtsgütern (und nicht etwa von bloßen moralischen, religiösen o. ä. Wertvorstellungen) in Betracht 12. An dieser üblichen Fonnulierung und an der Praxis, diese Frage unter der Rubrik "Strafzwecklehre" zu behandeln 13, ist zu bemängeln, daß es sich richtigerweise um ein Problem des Zwecks der Verhaltensnonnen und deshalb nicht um ein spezifisch strafrechtliches Problem handelt (dazu sogleich unten 3.). Daß (auch) die strafrechtlichen Sanktionsnormen nur dem Rechtsgüterschutz dienen, ist genau genommen lediglich eine mittelbare Konsequenz, die daraufberuht, daß nach dem Tatschuldprinzip die strafrechtlichen Sanktionsnonnen nur der Durchsetzung von Verhaltensnormen dienen dürfen (dazu unten 11.).

Auf diesen Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes als einzigen legitimen Zwecks der Verhaltensnormen wird noch mehrfach zurückzukommen sein. Zum einen wird es bei der Besprechung der "Unrechtsteilnahmelehre" Duos darum gehen, ob bereits der Angriff auf ein Rechtsgut i. S. eines abstrakten Rechtswerts verboten sein kann oder ob ein Angriff auf ein konkretes Rechtsgutsobjekt vonnöten ist l4 • Zum anderen könnte die Problematik der Disposition des Rechtsgutsinhabers Bedeutung erlangen. Zu bedenken ist nämlich, daß die (lndividual-)Rechtsgüter ihrem Träger die Möglichkeit einer freien Entfaltung seiner Persönlichkeit eröffnen sollen 15, und zur optimalen Nutzung eines Rechtsguts in diesem Sinne ist oft die Gefährdung oder gar sichere Preisgabe eines anderen Rechtsguts desselben Trägers - durch eine eigene oder die Gestattung einer fremden Gefährdungshandlung - erforderlich 16. Soweit die Dispositionsbefugnis reicht und, wie Frisch es ausdrückt 17, die Gefährdung "der relevanten Entscheidung des Gefährdeten selbst entspricht", fehlt es deshalb "schon an einem Verstoß gegen die zum Schutz des Rechtsguts aufgerichtete Verhaltensnorm ... , weil der zu Schützende selbst durch seine eigenverantwortliche Vor-Entscheidung ... die dem Gut in concreto geschuldete Achtung mitdefiniert und der ,Täter' mit seinem riskanten Verhalten hinter \0 Zum Charakter des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als eines "offenen, materialen und regulativen Rechtsprinzips" eingehend Günther, Strafrechtswidrigkeit, 226ff. 11 Einen guten Überblick über diese Problematik gibt Frisch, Vorsatz, 138 ff. 12 So z. B. Roxin, JuS 1966, 381 f.; Rudolphi in SK, RN 1 ff. vor § 1. 13 Vgl. etwa die in FN 12 Genannten. 14 Unten § 3 B. IS Dazu statt vieler: Rudolphi in SK, RN 9 vor § 1. 16 Dazu (wenn auch in anderem Problemzusammenhang) Stein, ZStW 97 (1985), 315. 17 Vorsatz, 146f.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

der solchermaßen geschuldeten Achtung nicht zurückbleibt". Die Frage nach der "Relevanz" der autonomen Entscheidung des Rechtsgutsträgers ist insoweit identisch mit der Frage, ob überhaupt eine durch ein Verbot zu verhindernde Gefahr vorhanden ist (oder in der Terminologie der Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit: mit der Frage nach der Erlaubtheit des Risikos), und sie könnte im Bereich der Beteiligungsformenlehre etwa relevant werden bei der Schutzgutproblematik, also bei der Frage, ob die Teilnahmehandlung (auch) deshalb verboten ist, weil der Haupttäter durch seine Tat (also unmittelbar durch eigenes Verhalten!) in Unrecht und Schuld verstrickt wird l8 . Ähnliche Gesichtspunkte sind zu beachten in einer bestimmten Konstellation der mittelbaren Täterschaft (Veranlassung oder Unterstützung einer Selbstverletzung)19. b) Auf der anderen (gegen die Aufstellung des Handlungsverbots bzw. -gebots sprechenden) Seite sind als Abwägungsmaterial zunächst einmal etwaige positive Auswirkungen des Verhaltens auf bestimmte Rechtsgüter zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird aber noch ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt relevant. Er rückt ins Blickfeld, wenn man bedenkt, daß ein umfassender Rechtsgüterschutz nur zu erzielen wäre durch ein möglichst dichtes Netz von Verhaltensnormen. Insbesondere müßte jedes auch nur geringfügig gefährliche Verhalten immer schon dann verboten werden, wenn es nicht andererseits wertmäßig überwiegende positive Auswirkungen auf bestimmte andere Rechtsgüter verspricht. Eine optimale "praktische Konkordanz" der Rechte aller wäre damit nun allerdings nicht erreicht. Die Rechtsgüter haben Wert nicht als statische Gegebenheiten, sondern als "Funktionseinheiten", die durch die ihnen innewohnenden Verwendungsmöglichkeiten zu vielfältigen Zwecken dem Rechtsgutsinhaber reale Möglichkeiten zur Entfaltung seiner Persönlichkeit bieten 20 • Die tatsächliche Nutzung dieser Chancen wird aber durch eine zu weitgehende Reglementierung des täglichen Lebens, die einen Handlungsverzicht auch bei noch so geringen Gefahren für andere verlangt und einen Großteil von Energien für Gefahrabwendungen zugunsten anderer einzusetzen zwingt, gerade vereitelt. Und nicht nur Handlungsverzicht und Handlungsvornahmezwang als solche engen die Entfaltungsmöglichkeiten ein, sondern die Belastung beginnt gleichsam schon im "Vorfeld": Je mehr Gefahren der einzelne zu vermeiden bzw. abzuwenden verpflichtet ist, um so öfter muß er kognitive und intellektuelle Leistungen erbringen, um sich zu vergewissern, ob Gefahren drohen und wie diese zu vermeiden bzw. abzuwenden sind 21. Ein wirklich optimaler Rechtsgüterschutz erfordert daher einen Mittelweg: Die auf Rechtsgutswahrung abzielenden Verhaltensnormen müssen einerseits so weit reichen, Eingehend dazu unten § 3 A. Dazu unten § 10 A. 1. 1. 20 Eingehend dazu Rudolphi in SK, RN 8ff. vor § 1; ders., Honig-Festschr., 151ff. 21 Vgl. dazu auch Frisch, Vorsatz, 133 FN 54; Kratzsch, Verhaltenssteuerung, 362 ff.; dens., Oehler-Festschr., 27ff. 18 19

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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daß ein zur Entfaltung der Persönlichkeit genügendes Rechtsgutssubstrat gesichert wird, und sie müssen andererseits dem einzelnen Normadressaten eine hinreichend weitgehende Verhaltensfreiheit belassen, damit er das ihm selbst zustehende Rechtsgutssubstrat auch tatsächlich nutzen kann. Oder anders ausgedrückt: Zum Abwägungsmaterial gehört auch das "Freiheitsinteresse überhaupt", d.h. das Interesse, möglichst wenig durch Verhaltensvorschriften gebunden zu sein 22 • Im Rahmen der Beteiligungsformenlehre ist bislang kaum versucht worden, diese Zusammenhänge für eine Weiterentwicklung der Dogmatik fruchtbar zu machen. Allenfalls werden einzelne Teilaspekte diskutiert, ohne sie aber in einen größeren Wertungszusammenhang zu stellen. So wird bisweilen auf den sog. Vertrauensgrundsatz hingewiesen, wonach der einzelne bei seinen Verhaltensentscheidungen grundsätzlich darauf vertrauen darf, daß andere Personen sich rechtmäßig verhalten werden 23 • Abgesehen von der Frage, ob dieser Vertrauensgrundsatz in seinem traditionellen Verständnis überhaupt weiterführen kann - darauf wird noch zurückzukommen sein 24 - , ist es ohnehin unabdingbar, die Problematik in umfassendere Wertungszusammenhänge einzuordnen. Und die über eine solche ausschnitthafte Betrachtung hinausgehende eigentliche Reichweite der Problematik wird schon deutlicher, wenn man bedenkt, daßungeachtet seiner dogmengeschichtlichen Herkunft und seines Namens ("vertrauen" auf einen guten Ausgang tut ein Vorsatztäter gerade nicht) - kein Anlaß besteht, den Anwendungsbereich des Vertrauensgrundsatzes (bzw. des ihn tragenden Rechtsgedankens) auf die Fahrlässigkeitsdelikte zu beschränken 25 • Denn es handelt sich hierbei (wie auch bei anderen, ebenfalls nur ausschnitthaft diskutierten Problemen 26 ) um einen speziellen Ausschnitt der allgemeinen Problematik der Grenzziehung zwischen erlaubtriskantem Verhalten (und damit der Verhaltensfreiheit) und verbotenem Verhalten 27 •

Man kann diese allgemeinen Zusammenhänge auch in folgende Worte fassen: Auf der Verhaltensnormebene geht es um die Ausdifferenzierung eines (i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ) ausgewogenen Systems von Verhaltenspflichten und Verhaltensfreiheit. Ansätze zu einer wirklich grundsätzlichen dogmatischen Durchstrukturierung dieses Komplexes gibt es bislang kaum 28 . Dies kann aber nichts daran ändern, daß noch eingehend zu untersuchen sein wird, ob So Frisch, Vorsatz, 140 FN 71; Münzberg, Verhalten, 273f[ Statt vieler: SchönkejSchröderjCramer, § 15 RN 146f[ m. umfangr. Nachw. 24 Unten § 7 A. 25 Zutr. etwa Jakobs, ZStW 89 (1977), 6 f., 26 f.; Rudolphi in SK, RN 38, 71 ff. vor § 1; wohl auch Stratenwerth, AT, RN 1165. 26 Z. B. der "Verteilung des Irrtumsrisikos" zwischen Täuschendem und Vermögensinhaber im Rahmen des Betrugstatbestands; dazu Frisch, Bockelmann-Festschr., 647ff., 661 ff.; ders., Vorsatz, 145; Kratzsch, Oehler-Festschr., 75f.; Lackner in LK, § 263 RN 28ff. 27 Insofern zutr. Samson in SK, RN 21 nach § 16, der von "Erhaltung von Handlungsspielräumen" spricht. - Ausführ!. dazu unten S. 227ff. 28 Siehe aber auch Kratzsch (Verhaltenssteuerung, 358ff.; Oehler-Festschr., 65ff.), dessen Ausführungen freilich über Andeutungen kaum hinausgehen und zudem ver haltensnormrelevante und sanktionsnormrelevante (d. h. insbes.: strafbedürftigkeitsrelevante) Aspekte vermengen. 22

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

nicht auch speziell die Beteiligungsformenlehre zumindest teilweise diesem Problembereich zuzuordnen ist 29 • c) Mit der Forderung nach der Ausdifferenzierung eines ausgewogenen Systems von Verhaltenspflichten und Verhaltensfreiheit ist im Grunde schon ein Punkt angesprochen, dem üblicherweise wenig Beachtung geschenkt wird und der im Bereich der Beteiligungsformenlehre gar keine Erwähnung findet: Wie schwerwiegend in einem konkreten Einzelfall den Rechtsgutsinhaber die Zulassung einer Gefährdung seines Rechtsgutsobjekts trifft und wie schwerwiegend andererseits die Wirkung eines Handlungsverbots zu bewerten wäre, kann in sinnvoller Weise nur beantwortet werden, wenn man - mit den Worten von Kratzsch 30 - "nicht nur den Einzelfall, sondern die Gesamtheit der sich sonst ergebenden ,Pflichtfälle' betrachtet", also die Einzelfallentscheidung als Teil eines ausgewogenen Gesamtsystems begreift. Denn die Einschränkung der Verhaltensfreiheit durch eine Verhaltenspflicht ist beispielsweise um so eher zumutbar, je seltener solche Situationen auftreten können, je weniger Verhaltenspflichten ihn im übrigen schon treffen und je mehr Gefahrdungen seines Rechtsgutsobjekts dessen Inhaber ohnehin schon dulden muß. Diese Betrachtungsweise erfordert die grundsätzliche Abkehr von einer offenbar gerade im Strafrecht verbreiteten Sicht. Man neigt dazu, von einem konkreten Ereignis (insbes. einer Rechtsgutsverletzung) ausgehend nach der "strafrechtlichen Verantwortlichkeit" einer bestimmten Person für jenes Ereignis zu fragen. Auf diesem Wege kann man zwar auch bis zur Frage nach einer (möglichen) Verhaltenspflichtverletzung der Person vordringen (die Lehre von der objektiven Zurechenbarkeit etwa tut dies, indem sie nach der "Schaffung eines unerlaubten Risikos" fragt);jedoch verführt die von dem konkreten Ereignis, insbes. einem Verletzungseintritt, ausgehende Sichtweise dazu, den Blick auf die konkrete Einzelsituation zu beschränken. Den Wertungszusammenhängen entspricht es viel besser, wenn man den Gedankengang umkehrt: Ausgangspunkt ist die einzelne Verhaltenssituation, jedoch nicht als isoliert betrachteter Einzelfall, sondern als eine in Raum und Zeit eingebundene Situation; es ist danach zu fragen, ob in dieser Situation eine bestimmte, aus einem umfassenden Verhaltensnormensystem folgende Verhaltenspflicht besteht und ggf. welche Dringlichkeit (dazu unten 4.) diese hat Erst auf dieser Grundlage läßt sich beurteilen, ob die Person eine Verhaltenspflicht verletzt hat, welche - nach Qualität und Quantität zu bestimmende - Tatschuld in der Verhaltenspflichtverletzung liegt (dazu unten 11.1.) und ob der Gesetzgeber sie (etwa wegen einer tatsächlich eingetretenen Verletzung) als strafbedürftig bewertet (dazu unten 1I.2.).

3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG), insbesondere das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung

a) Der Gleichbehandlungsgrundsatz als das neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zweite wichtige verfassungsrechtliche Regulativ auf der Verhaltensnormebene verlangt zunächst einmal, daß die Qualifizierung verschiedener riskanter Verhaltensweisen als erlaubt oder unerlaubt bestimmten verfassungs29 30

Ausführ!. dazu unten § 8 C. Oehler-Festschr., 77.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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konformen und in sich widerspruchsfreien Kriterien folgt; so muß z. B. - ceteris pari bus - ein Verhalten um so eher verboten sein, je höher sein Risikograd ist, soweit nicht die etwaige Überlagerung dieses Kriteriums durch ein kumulativ angewandtes anderes, ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenkliches Kriterium - und hier werden die erwähnten anderen Gesichtspunkte der Interessenabwägung bedeutsam - zu einem anderen Ergebnis führt. Die Berücksichtigung der Selbstdefinition seiner Interessen durch das Opfer, der allgemeinen Verhaltensfreiheit des "Täters" usw. legitimieren also eine Ungleichbehandlung von gleichermaßen riskantem Verhalten nicht nur im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern zugleich unter dem Aspekt des Art. 3 GG. b) Besondere Bedeutung hat darüber hinaus eine spezielle Ausprägung dieses Prinzips, nämlich der (neuerdings grundlegend von Günther 31 untersuchte) Grundsatz der "Einheit der Rechtsordnung". (1) Soweit die Sanktionsnormen der verschiedenen Rechtsgebiete an Verhaltenspflichtverletzungen anknüpfen - die strafrechtlichen müssen dies stets 32 , die zivilrechtlichen und die öffentlich-rechtlichen brauchen es nicht 33 - , können sie sich in ihren Zwecken und / oder Mitteln wesentlich unterscheiden. So kann ein und dieselbe Verhaltenspflichtverletzung zur Bestrafung mit dem Zweck der Verhinderung künftiger Verhaltensnormverletzungen führen, ferner öffentlich-rechtlich zu einem demselben Zweck dienenden Widerruf einer Erlaubnis und schließlich zu einer zivilrechtlichen Pflicht zur Geldzahlung an das Opfer mit dem Zweck, die Folgen des Verstoßes zu kompensieren. Doch betreffen diese Unterschiede eben nur die Sanktionsnormebene; sie ändern nichts daran, daß Anknüpfungspunkt aller drei Sanktionen eine identische Verhaltenspflichtverletzung (mittelbar also auch eine identische Verhaltensnorm) ist. In welchem Rechtsgebiet man auch immer auf Verhaltensnormen Bezug nehmen mag: Sie dienen stets mit denselben Mitteln demselben Zweck, nämlich der Bewertung von Verhaltensweisen als erlaubt oder unerlaubt und der inhaltlich entsprechenden Verhaltens steuerung durch die rechtlich bindende Aufforderung, das Verhalten nach diesen Bewertungen auszurichten (dazu oben 1. a)). Daher ist eine rechtliche Verhaltensordnung ohne Verletzung des Gleichbehandlungs- und des Bestimmtheitsgrundsatzes, in denen das Prinzip der Einheit der 31 Strafrechtswidrigkeit, insbes. 89ff., 149ff. Ich werde im folgenden exemplarisch auf seine Ausführungen verweisen, bei denen sich stets umfangr. Nachw., auch zu abweichenden Ansichten, finden. - Seine grundsätzlichen Überlegungen dienen der Klärung des Begriffs der "Strafrechtswidrigkeit" als Straftatmerkmal und dessen Unterscheidung von dem "allgemeinen" (d. h. dem für die Verhaltensnormebene relevanten) Rechtswidrigkeitsbegriff. Die Schlußfolgerungen für die einzelnen "Rechtfertigungsgründe" sowie die von ihm zugrunde gelegte "Dreistufigkeit" des Straftatsystems (zur m. E. überzeugenderen Gegenposition jetzt Frisch, Vorsatz, 150ff., 415ff.) brauchen hier nicht weiter zu interessieren. 32 Dies folgt aus dem Tatschuldprinzip; dazu unten 11. 1. 33 Siehe z. B. die zivilrechtliche Gefahrdungshaftung und die Haftung des Zustandsstörers im Ordnungsrecht.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

Rechtsordnung wurzelt 34 , nur denkbar, wenn die Grenze zwischen erlaubten und verbotenen Verhaltensweisen für alle Rechtsgebiete einheitlich verläuft 35 . Mit anderen Worten: Es kann nur ein für alle Rechtsgebiete einheitliches Verhaltensnormensystem geben. Unzweckmäßig ist es deshalb auch, auf der Verhaltensnormebene überhaupt von "strafrechtlichen Normen" zu sprechen. Die spezifisch strafrechtliche Aufgabe beginnt erst dort, wo es darum geht, nach den noch zu erörternden Kriterien (dazu unten H.) diejenigen Normen auszuwählen, die (ganz oder auch nur fragmentarisch) strafbewehrt werden sollen, also auf der Sanktionsnormebene. Natürlich gilt auch hier das Wertungswidersprüche zu anderen Rechtsgebieten verbietende Prinzip der Einheit der Rechtsordnung; praktische Bedeutung hat es aber hier kaum, weil die vielfältigen Unterschiede in Art und Zweck der an ein und denselben Verhaltensnormverstoß geknüpften Sanktionen eine verschiedenartige Ausgestaltung nicht nur erlauben, sondern oft (durch Art. 3 GG) sogar erzwingen.

(2) Da die Verhaltensnormen nur selten ausdrücklich gesetzlich fixiert sind, müssen sie zumeist aus Sanktionsnormen erschlossen werden. Hierbei sind, um das Prinzip der "Einheit der Rechtsordnung" zu wahren, vor allem zwei Dinge zu beachten: Erstens muß die Verhaltensnorm keineswegs die gleiche Reichweite haben wie die (strafrechtliche) Sanktionsnorm (genauer: wie der Kreis der durch die Sanktionsnorm mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen). Zwar muß einerseits die Verhaltensnorm mindestens so weit reichen wie die strafrechtliche Sanktionsnorm; das folgt aus dem Tatschuldprinzip (dazu unten 11. 1.). Legt man andererseits eine Verhaltensnorm so weit aus, daß sie über den Anwendbarkeitsbereich der Sanktionsnorm hinausgeht, so könnte der gegen diese weite Auslegung etwa erhobene Vorwurf, die Verhaltensnorm würde dann "weitaus mehr verbieten ... , als nach der Sanktionsnorm des StGB überhaupt bestraft werden könnte"36, in dieser allgemeinen Form grundsätzlich nicht verfangen. Vielmehr müssen stets alle Elemente eines Straftatbestands (im weitesten Sinne, also einschließlich der "vor die Klammer gezogenen" Regeln des Allgemeinen Teils) sorgfältig daraufhin untersucht werden, ob und in welcher Weise sie verhaltensnorm- oder nur sanktionsnormrelevant sind. Eine Regel, die Verhaltensnorm "möglichst eng" zu verstehen - d. h. so eng, wie es mit der Strafsanktionsnorm gerade noch vereinbar ist -, birgt die Gefahr, sich geradezu dysfunktion al auszuwirken, denn die Gesichtspunkte, die den Gesetzgeber zu einer bestimmten Eingrenzung der Sanktionsnorm veranlassen, sind oft nur für die Sanktionsnormebene relevant und vermögen dann eine entsprechende Eingrenzung auch der Verhaltensnorm nicht zu legitimieren. Eine solche Regel folgt auch nicht etwa aus dem nulla-poena-Grundsatz (Art. 103 II GG): Dieser hat die Funktion, nicht die Verhaltensnormen, sondern die Möglichkeit einer Bestrafung besonders strengen Anforderungen zu unterwerfen. Gestraft werden darf nur, Vgl. dazu bereits oben B. 1. Eingehend dazu Günther, Strafrechtswidrigkeit, 100, 154ff. 36 So der Vorwurf Schünemanns (Grundfragen, 63) gegen den von Frisch entwickelten Vorsatzbegriff. 34 3S

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Nonnentheorie

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soweit die strafbewehrte Verhaltensnonn und die Strafbewehrung als solche erkennbar sind. Läßt also der Gesetzeswortlaut nicht mit einer für § 103 11 GG hinreichenden Deutlichkeit erkennen, daß eine bestimmte Verhaltensweise strafbar sein soll, dann folgt daraus, daß diese straflos ist, nicht aber unbedingt auch, daß sie erlaubt ist; dies ist vielmehr ein Problem des "allgemeinen" Vorbehalts des Gesetzes, der wiederum nur für den Bereich des Öffentlichen Rechts gilt, während im Zivilrecht eine Analogie grundsätzlich erlaubt ist.

Zweitens genügt es zur Auffindung der Verhaltensnorm nicht, den Blick auf die strafrechtliche Sanktionsnorm zu beschränken; es bedarf stets des Nachweises, daß sich die (behauptete) Verhaltensnorm widerspruchsfrei in die allgemeinrechtliche Verhaltensordnung einfügt, an die nicht nur strafrechtliche, sondern auch öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Sanktionsnormen anknüpfen. Falls die Beteiligungsformenproblematik ihren systematischen Standort nicht (nur) auf der Sanktionsnorm-, sondern (auch) schon auf der Verhaltensnormebene haben sollte, müßten daher die Überlegungen, um den soeben skizzierten Anforderungen gerecht gerecht werden zu können, Neuland betreten: Es gilt dann, im Wege der Auslegung die "Verhaltensordnung" zu finden, die nicht nur die in den §§ 25 ff. vorgesehenen Rechtsfolgendifferenzierungen zu tragen vermag, sondern sich auch in die Regelungssysteme des Zivil- und Öffentlichen Rechts bruchlos einfügt. Nun wird diese Aufgabe für den Bereich der Beteiligungsfonnenlehre freilich durch die Tatsache erleichtert, daß es außerhalb des Strafrechts offenbar keine Sanktionsnonnen gibt, die so ausgelegt werden müssen, daß sie an die verschiedenen Beteiligungsformen unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen. Deshalb kommen als Interpretationsgrundlage zunächst einmal nur die strafrechtlichen Sanktionsnonnen in Betracht, ohne daß wertungsmäßige Friktionen mit anderen Rechtsgebieten zu befürchten wären. Damit ist andererseits natürlich nicht ausgeschlossen, daß sich aus einem bestimmten, aus den strafrechtlichen Sanktionsnonnen erschlossenen verhaltensnonnentheoretischen Konzept zugleich neue Interpretationsmöglichkeiten auch für zivil- und öffentlich-rechtliche Vorschriften ergeben; ich werde darauf an gegebener Stelle (unten § 8 E.) zurückkommen.

4. Die "Dringlichkeit" von Verhaltensnormen und der Zusammenhang zwischen Normdringlichkeit und Ver~altensfreiheit

Klärungsbedürftig ist schließlich noch der Begriff der "Dringlichkeit" einer Verhaltenspflicht bzw. -norm; dieser auch im neueren Schrifttum noch wenig geläufige Begriff spielt, wie sich später noch zeigen wird, für die Ausdifferenzierung des Verhaltensnormensystems eine wesentliche Rolle. Verwendet wird er insbesondere auch von Langer 37 , der jedoch zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen nicht streng genug trennt und dadurch unversehens auch Aspekte einbezieht, die allein für die Sanktionsnormebene relevant sein können 38 . Für Sonderverbrechen, 245 ff. Siehe· z. B. seine These (Sonderverbrechen, 425), die früher durch § 247 11 a. F. vorgesehene Straffreiheit des Verwandten- u. Ehegattendiebstahls beruhe auf einer 37 38

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

eine funktionale, zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen wegen ihrer wertungsmäßigen Unterschiedlichkeit trennende Systembildung ist jedoch nur ein Begriff brauchbar, der ausschließlich auf verhaltensnormrelevanten Gesichtspunkten beruht, also lediglich eine Eigenschaft der Verhaltenspflichten bzw. -normen als solchen beschreibt; vor allem darf er nicht verwechselt werden mit dem erst für die Sanktionsnormebene relevanten Aspekt der Wichtigkeit der Durchsetzung von Verhaltensnormen. a) Um den gedanklichen Ansatzpunkt zu erkennen, ist zunächst eine Rückbesinnung auf die Kriterien notwendig, nach denen sich die Aufstellung von Verhaltenspflichten zu richten hat (näher dazu bereits oben 2.): Die einzelnen für und gegen die Aufstellung der Verhaltenspflicht sprechenden Gesichtspunkte sind gegeneinander wertend abzuwägen; oder anders ausgedrückt: Sie sind in einzelne Wertquanten umzusetzen, welche dann saldiert werden müssen. Überwiegen 39 die erstgenannten Gesichtspunkte, so besteht die Verhaltenspflicht. Hat man nun aber die verschiedenen Aspekte in miteinander saldierbare Wertquanten umgesetzt und festgestellt, daß die für die Verhaltenspflicht sprechenden überwiegen, dann ist damit notwendigerweise zugleich schon ein bestimmtes, ebenfalls in einem Wertquantum ausgedrücktes Maß des Überwiegens festgestellt; dieses wiederum ist der Maßstab für die "Dringlichkeit" der Verhaltenspflicht. Zusammengefaßt läßt sich also sagen: Die Existenz der Verhaltenspflicht hängt davon ab, ob die}Ur sie sprechenden Gesichtspunkte wertmäßig überwiegen; die Dringlichkeit der Verhaltenspflicht hängt vom Maß des Überwiegens ab. Bisher war nur von der Dringlichkeit einer Verhaltenspflicht die Rede. Eine Übertragung des Begriffs auf die Verhaltensnormen ist nicht ganz unproblematisch. Eine Verhaltensnorm ist ja ex definitione (siehe oben 1. b)) die Abstraktion aus einer unendlichen Vielzahl denkbarer Verhaltenspflichten, die wiederum eine ganz unterschiedliche Dringlichkeit haben können. Die Skala reicht von den Pflichten, deren Dringlichkeit "fast null" beträgt (dies kann etwa an der Geringfügigkeit der Gefährdung des Rechtsgutsobjekts liegen oder auch an besonders gewichtigen Gegeninteressen des Normadressaten), bis zu den "denkbar dringlichsten" Pflichten (die gekennzeichnet sind durch die mit Sicherheit eintretende völlige Zerstörung des denkbar wertvollsten zu dem jeweiligen Rechtsgut gehörenden Rechtsgutsobjekts bei praktisch völligem Fehlen von Gegeninteressen). Dennoch kann man in durchaus sinnvoller Weise auch von der "Dringlichkeit" einer Verhaltensnorm sprechen, und zwar dann, wenn man sie als Relationsbegriff zu anderen Verhaltensnormen versteht: Betrachtet man zum Vergleich zweier Verhaltensnormen (bei ansonsten jeweils venninderten Dringlichkeit des Diebstahlsverbots. Richtigerweise handelt es sich um eine reine Frage der Strafbedürftigkeit; vgl. etwa Schönke / Schröder / Eser, § 247 RN 1. 39 Ausgeklammert bleiben muß hier die Problematik der Fälle, in denen Gleichwertigkeit oder ein "nicht wesentliches" Überwiegen (vgl. § 34) vorliegt; sie hat für die Beteiligungsfonnenlehre keine spezifische Bedeutung.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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völlig gleichwertigen Umständen, insbesondere gleichwertigen Gegeninteressen) zunächst jeweils den Fall der denkbar schwersten Beeinträchtigung des denkbar wertvollsten zum jeweiligen Rechtsgut gehörenden Rechtsgutsobjekts, sodann den wertmäßig in der Mitte zwischen der denkbar schwersten Beeinträchtigung und der Nichtbeeinträchtigung liegenden Fall usw. usw., und ergibt sich dabei aus einer der beiden Verhaltensnormenjeweils eine dringlichere Verhaltenspjlicht, so ist diese Verhaltensnorm "dringlicher" als die andere. Beispiel: Will man die Verhaltensnormen, die den Tötungstatbeständen bzw. den Körperverletzungstatbeständen zugrunde liegen, miteinander vergleichen und betrachtet man zu diesem Zweck die denkbar schwersten Fälle - mit Sicherheit eintretender Tod eines Menschen einerseits, mit Sicherheit eintretende schwerste Gesundheitsschädigung andererseits - , dann ist das Tötungsverbot dringlicher als das Körperverletzungsverbot. Entsprechendes ergibt sich, wenn man mit den Vergleichen in der soeben beschriebenen Weise fortfährt; verallgemeinert ausgedrückt ist also die Tötungsverbotsnorm dringlicher als die Körperverletzungsverbotsnorm. Der materiale Grund dafür liegt in diesem Beispiel darin, daß die Verhaltensnormen ungleichwertige Rechtsgüter schützen. Dies dürfte der am häufigsten vorkommende und sicher auch am ehesten einleuchtende Grund für eine unterschiedliche Dringlichkeit von Verhaltensnormen sein. Ob es auch andersartige Gründe gibt und ob vielleicht in dieser Richtung die Lösung bestimmter Problemaspekte der Beteiligungsformenlehre zu finden sein könnte, wird noch zu untersuchen sein 4O •

b) Betrachtet man isoliert eine einzelne Verhaltenspjlicht, dann schränkt diese Pflicht die Verhaltensfreiheit insofern ein, als sie genau eine konkrete Verhaltensweise verbietet. Der Dringlichkeitsgrad der Pflicht hat auf das Ausmaß der Freiheitseinschränkung keinen Einfluß, denn es ist stets nur die eine konkrete Verhaltensweise, die aus dem Bereich des Erlaubten ausscheidet. Anders liegen die Dinge, sobald man den Blick auf die ganze Verhaltensnorm richtet; dort besteht ein spezifischer Zusammenhang zwischen Normdringlichkeit und Einschränkung der Verhaltensfreiheit. Je weniger dringlich eine Verhaltensnorm nämlich (im Vergleich zu anderen Verhaltens normen) ist undje weniger dringlich damit (vergleichweise) die aus ihr folgenden einzelnen Verhaltenspflichten sind, um so eher wird bei weiterer Reduzierung der Rechtsgutsbeeinträchtigung und / oder wertmäßigem Ansteigen der Gegeninteressen der Punkt erreicht, an dem die Gegeninteressen überwiegen und mithin keine (freiheitseinschränkende) Verhaltenspflicht mehr besteht. Je weniger dringlich also eine Verhaltensnorm ist, um so weniger einzelne Verhaltenspjlichten folgen aus ihr, um so weniger schränkt sie folglich die Verhaltensfreiheit ein. 11. Die Ebene der Sanktionsnormen

Die (strafrechtliche) Sanktions norm legt fest, ob bzw. inwieweit die Verstöße gegen eine Verhaltensnorm vertatbestandlicht und mit welcher Strafe sie bedroht werden. 40

Eingehend dazu unten § 7 D. u. insbes. § 8 A.,

c., D.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

1. Tatschuldprinzip und Verhältnismäßigkeits- bzw. Gleichbehandlungsgrundsatz als "Doppelschranke" der Sanktionsnormen

a) Der Zweck der strafrechtlichen Sanktionsnormen liegt allein in der Prävention, d. h. in der Durchsetzung des Verhaltensnormensystems durch Verhinderung künftiger Verhaltenspflichtverletzungen41 . Da das Verhaltensnormensystem wiederum dem Rechtsgüterschutz dient (dazu oben I. 2. a», wird dieser Zusammenhang zumeist (verkürzend) mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht, das Strafrecht diene dem Rechtsgüterschutz. Abzulehnen sind demgegenüber die (heute jedenfalls in reiner Form nicht mehr vertretenen) "absoluten" (Vergeltungs-)Lehren 42 , aber auch die "Vereinigungslehren", soweit sie Vergeltung ("Schuldausgleich") und Prävention als nebeneinanderstehende Strafzwecke ansehen. Eine solche Vereinigungslehre kommt beispielsweise in der Begründung des E 1962 zum Ausdruck 43 , und sie liegt ferner der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zugrunde 44 •

Auf einer ganz anderen Grundlage beruht das Tatschuldprinzip. Es folgt aus der Menschenwürdegarantie (Art. 1 GG)45 und besagt, daß die verwirklichte Tatschuld (d. h. in Anlehnung an die Formulierung Strees46 : das persönliche Fehlverhalten und die persönliche Verantwortlichkeit hierfür) die Zulässigkeit einer Bestrafung dem Grunde und der Höhe nach begrenzt (näher dazu unten 2.). Im Gegensatz dazu stehen insbesondere die Lehre von Jakobs 47 , der den Inhalt des Schuldbegriffs vom Strafzweck (der Generalprävention) her bestimmen will, so daß er jeglichen über die Strafzwecklehre hinausreichenden materialen Gehalt verliert, ferner etwa die These Arthur Kaufmanns 4S , Tatschuld und Präventionsbedürftigkeit seien nicht strikt voneinander trennbar, entscheidend sei vielmehr die "Relation" zwischen beiden.

41 Diese ("relative") Strafzwecklehre ist heute die ganz herrschende; vgl. dazu statt vieler: Rudolphi in SK, RN 1 ff. vor § 1 m. umfangr. Nachw. 42 Zu diesen vgl. etwa Jescheck, AT, 54f.; Stratenwerth, AT, RN 8ff. 43 BT-Dr. IV 1650,96. 44 Z. B. BVerfGE 20,323 (331); 32, 98 (109); 45, 187 (253f.); BGHSt 6, 125 (127); 19, 201 (206); 24, 132 (134). 45 Vgl. etwa Burkhardt, in: Lüderssen/Sack, Nutzen I, 122; Otto, GA 1981, 486ff.; Roxin, MschrKrim 1973, 319; Sax, in: Bettermann 1Nipperdey IScheuner, Grundrechte III/2, 935ff.; Schünemann, Unternehmenskriminalität, 199f. (m. w. N. in FN 9). Das BVerfG (z. B. BVerfGE 50, 125 (133) m. w. N.) stützt es zumeist gleichzeitig auf die Gerechtigkeit als Teilaspekt des Rechtsstaatsprinzips. 46 Schönke 1Schröder 1Stree, RN 3 vor § 38. 47 Schuld, 8ff.; AT, 17/18ff. 4S Zuletzt vertreten in Jura 1986, 225ff. (225,230) m. Nachw. zu früheren Veröffentlichungen. ~ Die Trennbarkeit wird ferner z. B. von Kunz (ZStW 98 (1986), 829ff.) geleugnet, der den Begriff der präventiven Nützlichkeit an den "anerkannten Regeln gerechter Haftung" orientieren will.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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b) Strafe bedarf somit nach Grund und Höhe einer doppelten Legitimation49 : Sie muß im Hinblick auf den mit ihr verfolgten Zweck (die Prävention) gerechtfertigt sein, und es muß legitim sein, den Präventionszweck gerade durch die Bestrafung dieser konkreten Person zu erreichen, was wiederum von dem von ihm persönlich zu verantwortenden Fehlverhalten, kurz: seiner Tatschuld, abhängt. Deshalb haben der Gesetzgeber bei der Aufstellung von Strafdrohungen wie auch der Richter bei der Fällung von Strafurteilen stets zwei strikt voneinander zu trennende Gedankenoperationen vorzunehmen: Zu prüfen ist einerseits anhand des Verhältnismäßigkeits- und des Gleichbehandlungsgrundsatzes, ob ein angemessenes Verhältnis zwischen Präventionswirkung und belastender Wirkung der Strafe besteht (dazu unten 3.), und andererseits, ob die belastende Wirkung der Strafe das Maß, das der verwirklichten Tatschuld entspricht, nicht übersteigt (dazu unten 2.). (Diese letztere Prüfung hat mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon deshalb nichts zu tun, weil es gerade nicht um eine Mittel-Zweck-Beziehung geht; im übrigen besteht eine gewisse äußerliche - Parallele auch nur zu dem Teilprinzip "Angemessenheit" , während die Teilkriterien "Geeignetheit" und "Erforderlichkeit" gar keine Entsprechung finden.) Demgegenüber ist es eine Konsequenz der "Vereinigungslehren", die durch die Tatschuld begründete Vergeltungsbedürftigkeit zusammen mit der Präventionsbedürftigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen 50. Und auch vom Standpunkt Arthur Kaufmanns aus ist eine solche Zweiteilung des Gedankengangs nicht möglich; er plädiert dementsprechend für ein "Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Schuld und Prävention"51.

2. Das Tatschuldprinzip

a) Zur Herleitung und Inhaltsbestimmung des Tatschuldprinzips aus Art. 1 GG sei in der hier gebotenen Kürze nur folgendes angemerkt: Mit Burkhardt 52 läßt sich sagen, daß auf der für den - wie auch immer zu definierenden - Normalfall "wechselseitig unterstellten Zurechnungsfähigkeit bzw. Verantwortlichkeit die Humanität des Umgangs unter Menschen beruht". Der Grund dafür, daß diese Art des Umgangs als ein so elementarer Aspekt der Humanität empfunden wird, liegt, wie Schünemann 53 betont, darin, daß die Vorstellung von einer Eigenverantwortlichkeit 49 Die folgenden Thesen finden sich in deutlicher Formulierung vor allem bei Roxin, ZStW 96 (1984), 654f., ferner bei Frisch, Vorsatz, 46 ff., u. Schünemann, Unternehmenskriminalität, 199 f., sowie Grundfragen, 170 ff., 187 ff. Insoweit übereinstimmend wohl auch Bloy, Beteiligungsform, 42 ("doppelter Maßstab" von Strafwürdigkeit u. -bedürftigkeit); W. Hassemer, Theorie, 97; Maurach/Zipf, AT/1, 7/15ff. 50 Dementsprechend wird in der Rspr. des BVerfG (z. B. BVerfGE 34,261 [266f.]; 50, 323 [311]) der Gesichtspunkt der "Schuldangemessenheit" der Strafe oft mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Verbindung gebracht. 51 Jura 1986, 230. 52 In: Lüderssen/Sack, Nutzen I, 122. 53 Grundfragen, 163 ff.; GA 1986, 295. Siehe dazu ferner z. B. W. Hassemer, Einführung, 203 ff.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

("Willensfreiheit") des Menschen (kurz: die "Schuldidee") ein Teil der "gesellschaftlichen Rekonstruktion der Wirklichkeit" ist und als solcher sogar eine besonders elementare Schicht unserer Kultur prägt. Dieses sozialpsychische Phänomen also bildet die ontische Grundlage des Tatschuldprinzips 54, nicht etwa eine "reale" Willensfreiheit i. S. d. philosophischen Indeterminismus 55 • Und die Respektierung dieses Phänomens gehört zur Wahrung der Menschenwürde, weil seine Mißachtung das (durch unsere Kultur geprägte) Selbstwertgefühl des Menschen verletzen würde. In der gesellschaftlichen Realität wird dieses Phänomen dadurch respektiert, daß die Durchsetzung des gesellschaftlichen Normensystems weitgehend durch "Vorwurf' oder "Tadel", d. h. durch das mißbilligende Vorhalten eines zu verantwortenden Fehlverhaltens, geschieht 56. Und dementsprechend darf der Gesetzgeber kein reines Maßregelsystem einführen'", sondern er muß im "Normalfall" (und falls keine weniger einschneidenden Maßnahmen ausreichen) die Verhaltensnormverstöße durch "Bestrafung" i. S. eines "Vorwurfs verwirklichter Tatschuld" sanktionieren; der Gesetzesinterpret schließlich muß die Strafgesetze als auf dem Tatschuldprinzip beruhend auslegen.

b) Eine Bestrafung setzt demnach voraus, daß der zu Bestrafende eine Verhaltenspflicht verletzt hat, und zwar "verantwortlich" ("schuldhaft") i. S. d. soeben skizzierten "Schuldidee". Da auch das Maß zulässiger Bestrafung von der Tatschuld abhängt, bedarf es ferner einer Bestimmung der Quantität der Tatschuld. (1) Abhängig ist sie zunächst einmal von dem Grad der "Willensfreiheit" in dem soeben beschriebenen Sinne, d. h. der "Einsichts- und Steuerungsfahigkeit" i. S. d. §§ 20, 21. (2) Ferner ist sie abhängig von dem Maß des Fehlverhaltens (= der Verhaltenspflichtverletzung), anders ausgedrückt: von der Quantität des in der Verhaltenspflichtverletzung liegenden Verhaltensunwerts (Handlungs- oder Unterlassungsunwerts). (a) Der Verhaltensunwert ist gleichsam der wertmäßige Saldo aus den unwerthaften Aspekten des Verhaltens, d. h. den (potentiell) von dem Verhalten ausgehenden rechtsgutsbeeinträchtigenden Wirkungen des Verhaltens, einerseits und den werthaften Aspekten, d. h. den (potentiell) von dem Verhalten ausgehenden rechtsgutsschützenden Wirkungen des Verhaltens und / oder der in ihm liegenden Verwirklichung von Verhaltensfreiheit, andererseits. Es sind also stets genau dieselben Gesichtspunkte, die für die Entscheidung über die Aufstellung der Verhaltenspflicht maßgebend sind (eingehend dazu oben I. 2.): Die für die Aufstellung der Pflicht sprechenden Aspekte tauchen bei der 54 In diese Richtung weisen außerdem etwa die Ausführungen von Haffke, MschrKrim 1975, 52ff.; Roxin, UStW 96 (1984), 650f.; Rudolphin in SK, § 20 RN 4, 4a, 24; Stratenwerth, AT, RN 11. 55 So aber z. B. BGHSt 2, 194 (200); neuestens wieder Griffel, ZStW 98 (1986), 28 ff. 56 Dazu W. Hassemer, Einführung, 203 ff. 57 Dies nämlich wäre, wie Roxin (ZStW 96 [1984], 651) mit Recht bemerkt, die Alternative zu einem Schuldstrafrecht.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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Bestimmung des Verhaltensunwerts als unwert hafte Aspekte wieder auf, die gegen die Pflicht sprechenden als werthafte. Und da die "Dringlichkeit" der Verhaltenspflicht als das Maß des Überwiegens der für die Pflicht sprechenden Aspekte definiert ist (dazu oben I. 4.), muß die Quantität des Verhaltensunwerts stets genau der Dringlichkeit der jeweils verletzten Verhaltenspjlicht entsprechen. Je dringlicher also eine Verhaltenspjlicht ist, um so höher ist der in ihrer Verletzung liegende Verhaltensunwert, und um so größer ist folglich auch die verwirklichte Tatschuld. (b) Andererseits wird die Tatschuld (neben dem Grad der Einsichts- und Steuerungsfahigkeit) aber auch nur durch den so definierten Verhaltensunwert konstituiert. Mit dem Abschluß des pflichtwidrigen Verhaltens ist die maximale Tatschuld des konkreten Delikts verwirklicht; ob das Verhalten tatsächlich rechtsgutsbeeinträchtigende Folgen hat, berührt das verwirklichte Tatschuldquantum und damit die durch das Tatschuldquantum gezogene Obergrenze möglicher Bestrafung nicht, sondern kann allenfalls die Präventionsbedürftigkeit beeinflussen (dazu sogleich unten 3. b». Ich halte dies für eine zwingende Folgerung aus dem Grundgedanken des Tatschuldprinzips: Es knüpft an die dem Menschen zugesprochene Fähigkeit zu "freier", verantwortlicher Willensbildung und -betätigung an und bestimmt das Maß des Fehlgebrauchs dieser Fähigkeit zur Obergrenze zulässiger Bestrafung. Von dieser Fähigkeit Gebrauch machen kann man aber nur durch (die Entscheidung über) die Vornahme oder Nichtvornahme einer Handlung, kurz: durch (die Entscheidung über) ein Verhalten, und das "Fehlsame" des Fehlgebrauchs dieser Fähigkeit beruht auf der dem Verhalten (ex ante betrachtet) innewohnenden Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung. Ebensowenig wie das Ausbleiben einer solchen unwerthaften Folge den im Verhalten liegenden Unwert nachträglich wieder mindern kann - die Nichtbestrafung oder Minderbestrafung des Täters wegen bloßen "Versuchs" kommt diesem nicht aufgrund eines eigenen Verdienstes, sondern wegen einer auf glücklichem Zufall beruhenden Minderung der Präventionsbedürftigkeit zugute 58 - , kann das tatsächliche Eintreten der unwerthaften Folge den in dem Verhalten liegenden Unwert erhöhen. Der Sache nach stimmt dies beispielsweise überein mit der Lehre Zielinskis 59 , der den Erfolgsunwert aus dem Unrechtsbegriff ausgliedern will, weil er nicht von der Schuld (i.S.d. Schuldidee) umfaßt sein könne, ferner etwa mit den Thesen Wolters 60 , der von einem von der "Schuld" um faßten (Erfolgs-)Unrecht spricht, in diesem Zusammenhang jedoch "Schuld" in einem "rein generalpräventiven und prospektiven Sinne" versteht. Doch sind dies Fragen der BegrifJsbildung und Terminologie und als solche durchaus zweitrangig. Ich werde im Rahmen dieser Arbeit der herkömmlichen Begriffsbildung folgen und den Erfolgsunwert als Teil der Systemkategorie "Unrecht" einordnen. Allerdings sollte man zur Vermeidung von sachlichen Mißverständnissen nicht von einem

58 59

60

Siehe dazu insbes. Wolter, Zurechnung, 69 FN 14, 127f. m. w. N. Handlungsunwert, 142ff. Zurechnung, 123 ff.

6 Stein

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

"Schuldbezug" des Erfolgsunrechts sprechen, da es weder um Schuld i. S. d. Schuldidee noch i. S. v. Tatschuld geht; die verbreitete These von der vollkommenen Kongruenz von Unrecht und Schuld 61 ist eben unzutreffend.

3. Der Verhältnismäßigkeits- und der Gleichbehandlungsgrundsatz

Als zweiter, selbständig neben dem Tatschuldprinzip stehender Schranke (siehe oben 1.) müssen die strafrechtlichen Sanktionsnormen dem Verhältnismäßigkeits- und dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügen. Es geht also um das richtige Verhältnis zwischen der zu erwartenden Präventionswirkung der Strafe, d. h. der Verhinderung künftiger Verstöße gegen das Verhaltensnormensystem, einerseits und der belastenden Wirkung der Strafe für den Täter (Bemakelung und Stigmatisierung durch Schuldspruch und Strafverhängung, Eingriff in persönliche Freiheit und/ oder Vermögenswerte durch die Vollstreckung usw.) andererseits. Und im Hinblick auf die Prävention als (Sanktions-)Normzweck ist nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Bestrafung zu beurteilen, sondern auch die Frage zu beantworten, ob ein "sachlicher Grund" i. S. d. Art. 3 GG für die nur partielle Strafbewehrung einer Verhaltensnorm oder für unterschiedlich hohe Strafdrohungen vorliegt 62 • Betont sei nochmals, daß es im Unterschied dazu beim Tatschuldprinzip - ganz abgesehen davon, daß es sich dort gar nicht um eine Zweck-Mittel-Relation im eigentlichen Sinne handelt - um das Verhältnis zwischen der belastenden Wirkung der Strafe und der begangenen Verhaltenspflichtverletzung geht (dazu oben 1., 2.). Und die auf der Verhaltensnormebene anzustellende Verhältnismäßigkeitsprüfung (dazu oben I. 2.) betrifft das Verhältnis zwischen den (potentiellen) schädlichen Auswirkungen des konkreten Verhaltens und der belastenden Wirkung (nicht der Bestrafung, sondern) des Verbots dieses Verhaltens.

Das Gebot möglichst großer Bestimmtheit (auch) der Sanktionsnormen (Art. 10311 GG) besagt nun, daß die Berücksichtigung der präventionsrelevanten Aspekte möglichst schon in die Fassung der Straftatbestände (einschließlich der "vor die Klammer gezogenen" Regelungen des Allgemeinen Teils) eingehen muß und nicht vollständig in das Ermessen des Richters gestellt werden darf (etwa durch weite Strafrahmen und eine weitgehende Zulassung des Absehens von Strafverfolgung bzw. Bestrafung). Möglich ist dies natürlich nur, soweit überhaupt eine generalisierende, zumindest für den Anwendungsbereich eines bestimmten Straftatbestands gültige Regelung getroffen werden kann; dies ist weniger bei spezial-, sondern vor allem bei generalpräventiven Gesichtspunkten der Fall. Soweit also präventive Aspekte schon in die Fassung der Straftatbestände einfließen, handelt es sich in erster Linie um solche generalpräventiver Art. Die zentralen Gesichtspunkte, die dabei eine Rolle spielen, lassen sich kurz folgendermaßen skizzieren: 61

62

So z.B. BGHSt 10, 35 (38); Arthur Kaufmann, Jura 1986, 228. Zutr. Maiwald, Maurach-Festschr., 22f.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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a) Einerseits besteht eine weitgehende Parallelität zwischen der Quantität der verwirklichten Tatschuld und dem Grad der Präventionsbedürftigkeit. Insoweit erlangen die Gesichtspunkte, die für die Quantität der Tatschuld maßgebend sind, zugleich auch hier Bedeutung. So steigen insbesondere mit zunehmender Werthöhe des angegriffenen Rechtsguts die Wichtigkeit einer "Rundumverteidigung", d. h. einer vollständigen Strafbewehrung der das Rechtsgut schützenden Verhaltensnorm 63 , sowie die Notwendigkeit einer hohen Strafandrohung. Entsprechendes gilt für den Gefährlichkeitsgrad des Verhaltens (d. h. sowohl die Schwere des drohenden Verletzungserfolges als auch die Erfolgswahrscheinlichkeit) und für den Grad der Schuldhaftigkeit 64 • Diese Parallelität hat zwei Gründe: Erstens ist die Verhinderung unerlaubter Verhaltensweisen um so wichtiger, je schwerwiegender die von ihnen ausgehenden Gefahren sind. Zweitens ist die Präventivwirkung um so größer, je "gerechter" die Strafdrohung bzw. die Bestrafung empfunden wird, wobei sich die Allgemeinheit auch heute noch - mehr oder weniger bewußt - als Maßstab für die "Gerechtigkeit" am Vergeltungsgedanken orientiert 65 • b) Andererseits gibt es einige typische Gesichtspunkte, die zu einer nur teilweisen Strafbewehrung und / oder einem niedrigeren als nach dem Tatschuldprinzip zulässigen Strafmaß führen können und dadurch dem Strafrecht einen "fragmentarischen Charakter" verleihen: (1) Es kann bereits an der Erforderlichkeit einer Strafbewehrung fehlen, soweit zivilrechtliche Sanktionen ausreichen oder hinreichende Möglichkeiten für rechtzeitiges ordnungsrechtliches Einschreiten zu erwarten sind (Strafe als ultima ratio)66. Ferner können die Erforderlichkeit oder auch die Angemessenheit der Strafbewehrung durch eine Minderung der SchutzbedürJtigkeit des Opfers entfallen 67 : Bisweilen ist dieses selbst (oder ggf. die Person, deren Obhut und Schutz das Opfer anvertraut ist) in der Lage, Schutzmaßnahmen gegen die Realisierung verbotener Risiken zu treffen, wodurch die Verhinderung der Setzung solcher Risiken weniger wichtig wird. Von Bedeutung ist schließlich der statistische Aspekt: Oft läßt sich die Strafbewehrung auf einen mehr oder weniger großen Kreis typischer (vornehmlich an traditionellen, plastischen "Tatbildern" orientierter) Fallkonstellationen beschränken, denn die untypischen "Rest-" Fälle vermögen gerade wegen ihrer geringen statistischen Häufigkeit nur eine in geringem Maße zur Nachahmung anregende Vorbildwirkung zu erzeugen. Vgl. etwa Maiwald, Maurach-Festschr., 22. Vgl. z.B. Frisch, Vorsatz, 369. 65 Vgl. statt vieler: Arthur Kaufmann, Jura 1986, 230; Schönke / Schröder / Stree, RN 3 vor § 38. 66 Näher dazu Günther, Strafrechtswidrigkeit, 189ff. m. umfass. Nachw. 67 Umfassend dazu R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit, passim; ferner etwa Schünemann, Bockelmann-Festschr., 130; ders., Jura 1980, 574; ders., ZStW 90 (1978), 32, 54. 63

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6'

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

(2) Besonders wichtig ist ferner, ob die rechtsgutsbeeinträchtigenden Folgen, zu deren Venneidung die Verhaltenspflicht dient, tatsächlich eintreten oder ob die Verhaltenspflichtverletzung folgenlos bleibt. Betont sei nochmals (näher dazu bereits oben 2. b», daß mit dem Abschluß der Verhaltenspflichtverletzung das maximale Tatschuldquantum der konkreten Tat verwirklicht ist; es wird durch die etwaige Realisierung des gesetzten verhaltensnonnrelevanten Risikos nicht mehr erhöht. Daher wäre es unter Tatschuldgesichtspunkten unbedenklich, den (beendeten) Versuch mit der gleichen Strafe wie das vollendete Delikt zu bedrohen. Daß dies tatsächlich nicht geschieht, sondern § 23 Strafmilderungsmöglichkeiten vorsieht und der Versuch bei manchen Vergehen gänzlich straflos ist, beruht auf rein präventionsorientierten, der Sanktionsnonnebene angehörenden Aspekten: Bleibt die Verletzung (und ggf. sogar die Gefährdung) des Rechtsguts aus, dann sagt das Rechtsgefühl, die Tat könne "doch nicht so schlimm gewesen sein" (d. h. die Verhaltenspflichtverletzung wird nicht in ihrer ganzen Schwere erfaßt)68; die Folge ist ein verminderter vertrauenserschütternder Eindruck, der auch nur eine geringere präventive Einwirkung erforderlich macht. Diese wertungsmäßigen Zusammenhänge haben naturgemäß Auswirkungen auf die notwendigen Voraussetzungen einer "Erfolgszurechnung" und damit auf die Abgrenzung von versuchtem und vollendetem Delikt 69 • Und zwar enthält ein Schuldspruch wegen "vollendeter" Tat konkludent die Aussage, es sei tatsächlich eine rechtsgutsbeeinträchtigende Folge eingetreten, und der Verurteilte habe sie durch sein Verhalten "verschuldet". Präziser und in die hier verwendete Tenninologie übertragen läßt sich diese Aussage folgendennaßen fonnulieren: Das Verhalten sei wegen der Möglichkeit bestimmter rechtsgutsbeeinträchtigender Geschehensabläufe verboten gewesen, und als Folge des Verhaltens sei ein solcher Geschehensablauf auch tatsächlich eingetreten. Eine Erfolgszurechnung (und damit eine Verurteilung wegen "vollendeter" Tat) ist nur dann zulässig, wenn die so formulierte konkludente Aussage des Schuldspruchs wahr ist, und zwar aus zwei Gründen: Erstens würde sonst unter Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie der Täter als bloßes Mittel im Rahmen strafrechtlicher Präventionsbemühungen benutzt, indem im Schuldspruch der Erfolg (konkludent) als "Beleg" für die (und als Folge der) unerlaubte(n) Gefährlichkeit seines Verhaltens dargestellt würde, während in Wahrheit jener spezifische Zusammenhang zwischen Verhalten und Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht besteht1°. 68 Dazu Krey, ZStW 90 (1978), 204f.; Lüderssen, Bockelmann-Festschr., 189, 194ff.; Mylonopoulos, Verhältnis, 91; Stratenwerth, Schaffstein-Festschr., 185ff.; ders., SchwZStr 79 (1963), 250; Wolter, Zurechnung, 40; Zielinski, Handlungsunwert, 206ff.

69 Im folgenden gehe ich nur auf die praktisch wichtigste Konsequenz ein. Die sich außerdem ergebende Problematik der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe (dazu Rudolphi in SK, RN 59ff. vor § 1) hat keine spezifische Bedeutung für die Beteiligungsformenlehre. 70 Dieser Aspekt berührt sich also insofern ~ aber auch nur insofern ~ mit dem Tatschuldprinzip, als beide in der Menschenwürdegarantie wurzeln.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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Zweitens haben jene konkludente Aussage und das darauf (mit-)gestützte Strafmaß nur dann den gewünschten präventiven Effekt i. S. einer Internalisierung der verletzten Verhaltensnorm, wenn der Erfolg wirklich als Realisierung jener Gefährlichkeit begriffen werden kann 71 • III. Konsequenzen für die Beteiligungsformenlehre

1. Grundstruktur und lösungsbedürftige Probleme der Beteiligungsformendogmatik

a) Die skizzierten wertungsmäßigen Zusammenhänge (oben 1., 11.) beruhen auf Überlegungen, die völlig unabhängig von der Beteiligungsformenproblematik angestellt worden sind, und daher gelten sie auch nicht etwa nur für das täterschaftliche Delikt (oder gar nur für den "Prototyp" desselben, die unmittelbare Alleintäterschaft), sondern gleichermaßen für das Teilnahmedelikt. Auch das Teilnahmedelikt ist also seinem materialen Gehalt nach eine strafbedrohte (d. h. i. S. d. Schuldidee schuldhafte sowie strafbedürftige) Verhaltenspflichtverletzung. Dies hat für die Teilnahmedogmatik wichtige Konsequenzen: Erstens gilt es, die Verhaltensnormen, durch deren Übertretung die Tatschuld des Teilnahmedelikts verwirklicht wird, zu bestimmen. Verboten sind die Teilnahmehandlungen bzw. -unterlassungen, d. h. in Anlehnung an die Terminologie der §§ 26,27: die Anstiftungshandlungen und die Hilfeleistungshandlungen (bzw. die entsprechenden, i. S. d. § 13 "begehungsgleichen" Unterlassungen). Diese Verhaltensweisen unterscheiden sich von den täterschaftlichen Verhaltensweisen durch die ihnen innewohnende Gefahr, auf eine bestimmte Weise, nämlich "über die Haupttat eines anderen", ein Rechtsgutsobjekt zu verletzen (und möglicherweise, was von der Auffassung über den Schutzzweck der Teilnahmenormen abhängt, durch die Qualität des Rechtsgutsobjekts). Falls sich die Tatschuldgehalte von Täterschaft und Teilnahme unterscheiden, muß der Unterschied in dieser Verschiedenheit der jeweils verbotenen Verhaltensweisen begründet sein. Zweitens können die tatsächlichen Auswirkungen der Verletzung einer Teilnehmerverhaltenspflicht keinerlei Einfluß mehr auf die Tatschuld des Teilnehmers haben, sondern nur noch die durch sein Verhalten ausgelöste Präventionsbedürftigkeit beeinflussen. So begründet z. B. die tatsächliche Vornahme der Haupttathandlung einerseits die Tatschuld der Haupttat, während sie andererseits im Hinblick auf die Anstiftung hierzu ebenso wie der tatsächliche Eintritt einer Gefährdung oder Verletzung des Rechtsgutsobjekts ein reines Problem des "Erfolgsunrechts" darstellt und als solches nur die Strafbedürftigkeit berührt. 71

Eingehend dazu Wolter, Zurechnung, 48, 72, 126 m. umfangr. Nachw.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

b) Damit ergibt sich zugleich schon ein erster grober Überblick über die materialen Probleme, deren Lösung für die Entwicklung einer funktionalen Beteiligungsformendogmatik notwendig ist. Erster Dreh- und Angelpunkt muß die Klärung von Schutzrichtung, Reichweite und Dringlichkeit der Verhaltensnormen bei den verschiedenen Beteiligungsformen sein. Von hier aus können die Überlegungen zwei verschiedene Richtungen nehmen: Entweder wird die Möglichkeit sichtbar, ein Verhaltensnormensystem aufzustellen, in welchem die jeweils entsprechenden Verhaltensnormen der verschiedenen Beteiligungsformen eine unterschiedliche Schutzrichtung und / oder aus welchen Gründen auch immer - eine unterschiedliche Dringlichkeit 72 haben. Dann ist festzustellen, ob sich der "einfache" Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit tatsächlich für diese Möglichkeit entschieden hat, d. h. ob dieses Verhaltensnormensystem dem geltenden Recht zugrunde liegt. Dafür wiederum ist erforderlich, daß damit die im Gesetz aufzufindenden Einzelregelungen zumindest teilweise erklärbar sind und ggf. die restlichen Einzelregelungen auf andere, nur der Sanktionsnormebene zugehörige Gesichtspunkte rückführbar sind. Oder es zeigt sich, daß sich die jeweils entsprechenden Verhaltensnormen in Schutzrichtung und Dringlichkeit nicht unterscheiden. Dann kann der Sinn der Unterscheidung von Beteiligungsformen und der daran angeknüpften Rechtsfolgendifferenzierungen nur in Wertungsgesichtspunkten liegen, die allein auf der Sanktionsnormebene relevant sind und insbesondere in einer unterschiedlichen Präventionsbedürftigkeit der jeweils verschiedenen Verhaltensweisen liegen können. 2. Kritik der Lehre von der "Zurechnung fremden Unrechts" (Bloy u. a.)

Mustert man die kaum noch überschaubare Literatur und Rechtsprechung daraufhin durch, inwieweit die soeben skizzierten Grundsätze erkannt und beachtet werden, so ist der Befund recht enttäuschend. Soweit bei der Abgrenzung der Beteiligungsformen voneinander überhaupt auf eines der hier genannten, für die Aufstellung von Verhaltens- und Sanktionsnormen maßgeblichen Kriterien Bezug genommen wird, geht es durchweg nur um Überlegungen zu einzelnen Ausschnitten der Gesamtproblematik, die dazu noch meist wenig ausdifferenziert sind. Die umfassenderen Systementwürfe wie vor allem die Lehre Roxins 73 greifen auf andere Begriffe (z. B. "Zentralgestalt" , "Herrschaft" usw.) zurück und lassen deren Rückführung auf allgemeinere Wertungsgesichtspunkte vermissen. Alle diese Ansätze werden im folgenden Kapitel (§§ 3 -7) noch eingehend zu analysieren sein.

Nur wenig besser steht es um die Beachtung der materialen Grundstruktur des Teilnahmedelikts. Es sind vor allem die Vertreter der sog. "reinen Verursachungslehre"74, die stets eine mit den hier entwickelten Thesen im 72 73

Zum Begriff der Dringlichkeit einer Verhaltensnorm oben I. 4. Dazu bereits oben S. 62ff. sowie unten § 7 C. II.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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wesentlichen übereinstimmende Grundposition vertreten haben. Im älteren Schrifttum wurde sie besonders deutlich von Höpfner formuliert: "Das Strafbare ist die verbrecherische Tätigkeit und nicht der Erfolg. "75 Die tatsächliche Begehung der Haupttat sei nur eine "Bedingung der Strafbarkeit" in demselben Sinne, wie bei der täterschaftlichen Begehung der Erfolgseintritt eine Bedingung der Strafbarkeit sei76 . Unmißverständlich in diesem Sinne äußert sich im neueren Schrifttum vor allem Schmidhäuser: Die herrschende Meinung sehe "den Unwert des Teilnehmerdelikts zu sehr vom Unwert der Haupttat her statt im Handeln des Teilnehmers selbst"77. "Auch beim Teilnehmerdelikt ist grundlegend der Handlungsunwert ... und nicht der Erfolgsunwert ... "78. "Zusammenfassend ist demnach zu sagen, daß die Haupttat im Unrechtstatbestand des Teilnehmerdelikts nichts anderes ist als ein Teil des Erfolgsunwerts, der zum Handlungsunwert des Teilnehmerhandelns (des Anstiftens bzw. Unterstützens) hinzukommen muß ... "79

Um eine normentheoretische Fundierung der Beteiligungsformendogmatik bemüht sich ferner - unabhängig von der "reinen Verursachungslehre" Rudolphi. Er betont die Notwendigkeit, aus den in den §§ 26, 27 enthaltenen Sanktionsnormen die zugrunde liegenden Verhaltensnormen zu erschließen 80 • Speziell die Beihilfehandlungen seien verboten, weil sie die Gefährlichkeit des Haupttäterverhaltens mitbegründen 81 ; der Handlungs- und der Erfolgsunwert der Haupttat machten den Erfolgsunwert der Beihilfe aus 82 • (Freilich geht Rudolphi nicht der Frage nach, warum der Gesetzgeber die verbotenen Verhaltensweisen solchermaßen aufteilt und durch unterschiedliche Sanktionsnormen strafbewehrt; vielmehr legt er insoweit die Roxinsche Tatherrrschaftsund Ptlichtdeliktslehre zugrunde 83 .) Ansonsten aber wird die Diskussion von den verschiedenen Spielarten der "akzessorietätsorientierten Verursachungslehre" beherrscht, die oft die Formulierung verwenden, die Teilnahme "beziehe ihr Unrecht aus dem Unrecht der Haupttat"84, und in deren Mittelpunkt zumeist der Begriff der "Akzessorietät" des Teilnahmeunrechts steht 85 • Viele ihrer Thesen lassen sich nur verstehen, wenn man sie als Konsequenzen eines normentheoretischen Konzepts begreift, Nachweise oben in FN 43 zu § 1 B. ZStW 26 (1906), 601 FN 18. 76 ZStW 26 (1906), 600f. 77 LB AT, 14/58. 78 LB AT, 14/57. 79 LB AT, 14/62. Sehr deutlich auch Plate, ZStW 84 (1972), 300. 80 lescheck-Festschr. I, 569ff. 81 lescheck-Festschr. I, 572f. 82 lescheck-Festschr. I, 575; ferner vor allem Küper, GA 1974, 327. 83 lescheck-Festschr. I, 573. 84 Nachweise oben in FN 37 zu § 1 B. 85 Zu den verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten dieses Begriffs oben § 1 B. 74 75

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

das von dem hier entwickelten wesentlich abweicht. Um die im folgenden zu erörternden vielfältigen Ansätze normen theoretisch einordnen und würdigen zu können, ist es sinnvoll, vorweg auch jene Gegenkonzeption in ihren wesentlichen Grundgedanken zu skizzieren. Ich werde daher jetzt zum Abschluß der verfassungsrechtlichen und normentheoretischen Vorbemerkungen auf die kürzlich erschienene Abhandlung Bloys eingehen, der solche Thesen in besonders pointierter Form vertritt. a) Die "Personalisierung" des Unrechts begriffs als normentheoretischer Ansatzpunkt (1) Die hier vertretene normentheoretische Grundkonzeption führt zu einer vollständigen Personalisierung des Unrechtsbegriffs. Damit ist gemeint, daß der Unrechtsbegriff seine Funktion, einen bestimmten Ausschnitt der Voraussetzungen für die Strafbarkeit einer konkreten Person zu erfassen, nur dann erfüllen kann, wenn er in allen seinen Elementen als von einer bestimmten Person (und zwar von derjenigen, um deren Strafbarkeit es gerade geht) verwirklichtes Unrecht definiert wird. Für das Verhaltensunrecht (Handlungs- oder Unterlassungsunrecht), das den in der Verhaltenspflichtverletzung liegenden Unwert erfassen soll, ist dies schon deshalb unmittelbar einleuchtend, weil eine Verhaltenspflicht nur durch das verbotene eigene (1) Verhalten des jeweiligen Pflichtadressaten verletzt werden kann. Gleiches gilt aber auch für das Erfolgsunrecht: Die tatsächliche Beeinträchtigung eines Rechtsgutsobjekts darf, wie bereits näher begründet (oben 11. 3. b) (2)), nur dann irgendwelchen Einfluß auf die Strafbarkeit haben, wenn sie gerade auf einem Geschehensablaufberuht, zu dessen Vermeidung das Verhalten verboten war. Nur unter dieser Voraussetzung ist es daher überhaupt sinnvoll, von "Erfolgsunrecht" zu sprechen, denn ist jener spezifische Zusammenhang zwischen Verhalten und Erfolg nicht gegeben, so ist die Strafbarkeit nicht anders zu beurteilen, als wenn der Erfolg gar nicht eingetreten wäre. Hat das Verhalten mehrerer Personen den Erfolg bewirkt, so kann es sein, daß jener spezifische Zusammenhang nur bei einem Teil der Handlungen bzw. Unterlassungen besteht B6 ; folglich haben dann nur diese Personen "Erfolgsunrecht verwirklicht". Und dementsprechend sollte man auch den Begriff ,,(Straf-)Tat" definieren als den Inbegriff der Strafbarkeitsvoraussetzungen einer bestimmten Person wegen eines bestimmten Verhaltens. Haben also mehrere in strafbarer Weise an der Herbeiführung einer Rechtsgutsobjektsverletzung mitgewirkt, dann hat jeder von ihnen eine ,,(Täter- oder Teilnehmer-)Tat" (bzw. ein ,,-Delikt") begangen ~ eine Begriffsbildung, die den Vertretern der "reinen Verursachungslehre" seit langem geläufig ist 87 • Der Begriff einer alle Handlungen bzw. Unterlassungen sowie den ErfolgseintriU umfassenden ,,(Gesamt-) Eingehend zu solchen Konstellationen unten § 9 A. I. 1. So etwa Herzberg, GA 1971, 1ff.; Lüderssen, Strafgrund, 119 u. passim; M.-K. Meyer, GA 1979, 253ff.; Schmidhäuser, LBAT, 14(2, 55 u. öfter; aber auchz. B. Samsonin SK, RN 19 vor § 26. 86

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§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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Tat" würde lediglich der (sprachlich knappen) KlarsteIlung dienen, daß es um ein und dieselbe Rechtsgutsobjektsverletzung geht; zur Erfassung irgendwelcher wertungsmäßiger Zusammenhänge ist er nicht erforderlich, denn die Qualität des Rechtsgutsobjekts, die Einbindung von Handlungen anderer Personen in den erfolgsverursachenden Geschehensablauf usw. müssen ja zwangsläufig schon bei der Beurteilung des von jedem einzelnen Beteiligten verwirklichten Verhaltens- und Erfolgsunwerts mitberücksichtigt werden.

(2) Dieser vollständig personalisierte Unrechtsbegriff ist die adäquate begriffliche Abbildung der hier zugrunde gelegten Wertungszusammenhänge. Der "klassische", aus der Zeit des naturalistischen Positivismus stammende U nrechts begriff hingegen bildet nicht diese auf rationaler Analyse beruhenden und verfassungsrechtlich fundierten Wertungszusammenhänge ab, sondern das weitgehend unreflektierte - Alltagsverständnis von einem strafbaren Geschehen. Im Mittelpunkt dieses Alltagsverständnisses steht der Eintritt der Verletzung oder Gefährdung des Rechtsgutsobjekts als dasjenige Geschehenselement, dessen Unwerthaftigkeit am eindrucksvollsten, weil am besten sinnlich faßbar ist. Von ihm ausgehend wird dann sozusagen "rückblickend" nach der "Verantwortlichkeit" dafür (bzw. bei mehreren verantwortlichen Beteiligten nach deren "Verantwortungsanteilen") gefragt. Dementsprechend bildet der Erfolgseintritt - der in einem personalisierten Unrechtsbegriff gerade wegen des vertrauenserschütternden Eindrucks auf die Allgemeinheit ja nicht unberücksichtigt bleibt, aber eben nicht in dessen Mittelpunkt steht (dazu oben 11.3. b) (2)) - den Kern des "klassischen" Unrechtsbegriffs, dessen Bedeutung für die Beteiligungsformendogmatik man damals durchaus erkannt hat 88 . Er spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Formulierung des Gesetzes wider: Die §§ 25 ff. sprechen von der ,,(Straf-)Tat" als dem (durch den Erfolgseintritt zu einer Einheit verklammerten) Gesamtgeschehen, an dem mehrere Personen in unterschiedlicher Weise "beteiligt" sind. Ob es eine Strafzwecklehre gibt, auf deren Grundlage sich ein solcher Unrechtsbegriff rational rekonstruieren ließe, ist schwierig zu beurteilen. Da in seinem Mittelpunkt der auf dem Erfolgseintritt beruhende vertrauenserschütternde Eindruck auf die Allgemeinheit steht und dieses Phänomen, nur unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention bedeutsam sein kann (dazu oben 11. 3. b) (2)), müßte es sich um eine in erster Linie generalpräventiv ausgerichtete Strafzwecklehre handeln. Nicht von ungefähr zeigen sich daher - das sei hier vorweggenommen - gerade in der Beteiligungsformendogmatik von Jakobs, der ja sogar das Tatschuldprinzip auf den Gedanken der Generalprävention zurückführen will (vgl. bereits oben 11. 2.), deutliche Anklänge an den klassischen Unrechtsbegriff (eingehend dazu unten § 7 C. III.).

Natürlich sind im Zuge der dogmengeschichtlichen Entwicklung immer wieder Bemühungen um eine Personalisierung des klassischen Unrechts begriffs unternommen worden; in "reiner" Form wird er heute nicht mehr vertreten. Eine vollständige Personalisierung setzt jedoch die vollständige Erfassung der 88 Siehe etwa einerseits Birkmeyer, Teilnahme, 171 (näher dazu unten § 7 B. 1. 1. mit FN 2), andererseits Höp!ner, ZStW 26 (1906), 617ff.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

zugrunde liegenden Wertungszusammenhänge voraus; fehlt diese, dann führt dies unversehens zu "Anleihen" bei dem klassischen Unrechts begriff. Und deshalb ist andererseits das Auftauchen von Elementen des nichtpersonalisierten klassischen Unrechtsbegriffs stets ein Indiz für die unvollständige Erfassung jener Zusammenhänge. Dies läßt sich anhand der Lehre Bloys recht deutlich demonstrieren. b) Die Thesen Bloys (1) Bloy definiert den Unrechtsbegriffnicht als Mittel der Erfassung der von einer (und nur einer) Person erfüllten Strafbarkeitsvoraussetzungen (mit der Folge, daß Täter und Teilnehmer jeweils für sich - und unterschiedliches "Unrecht verwirklichen"), sondern er unterscheidet ganz im Sinne des klassischen Unrechtsbegriffs zwischen dem (tatbestandlichen = Täter-) "Unrecht" und der "Zurechenbarkeit" dieses Unrechts zum Täter und zum Teilnehmer. Das tatbestandliche Unrecht wird (nur) existent, wenn der Täter es verwirklicht, und es ist diesem zurechenbar, weil er es (selbst) verwirklicht 89 .

Blickt man nun auf die wertungsmäßigen Grundlagen dieses Unrechtsbegriffs, so ist zunächst eine Parallelität zu den hier entwickelten Thesen festzustellen: Auch nach Ansicht Bloys bedarf die Strafe einer doppelten Legitimation; diese liegt einerseits in der "Strafwürdigkeit", die er als "zusammenfassenden Ausdruck für den materiellen Verbrechensgehalt seinem Unwerte nach" versteht 90 (dies dürfte dem Begriff der Tatschuld entsprechen), andererseits in der "Strafbedürftigkeit", die er als die auf die Strafzwecke bezogene "kriminalpolitische Erforderlichkeit der Verhängung von Strafe" definiert 91 . Was dann jedoch fehlt, ist die weitere Ausdifferenzierung dieser Wertungszusammenhänge, d. h. die Erläuterung, wie sich diese Grundwertungen auf die rechtliche Bewertung und Relevanz von Verhalten, Erfolgseintritt, Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und Erfolgseintritt usw. sowie - als weitere Konsequenz - auf die systematische Erfassung dieser Einzelaspekte durch die Begriffe Verhaltens- (Handlungs-, Unterlassungs-)Unrecht, Erfolgsunrecht usw. auswirken. Es mangelt also m. a. W. an der strikten Anbindung des Unrechtsbegriffs an die das Straftatsystem tragenden Grundwertungen. Daher darf es nicht verwundern, wenn zur Ausfüllung dieses wertungsmäßigen Vakuums unversehens wieder Gedankengänge des Alltagsverständnisses und in deren Folge Elemente des klassischen Unrechtsbegriffs in die Begriffsbildung einfließen. (a) Eine Vermengung von Elementen des Alltagsverständnisses und solchen einer rational fundierten personalisierenden Betrachtungsweise findet sich bereits in der Beschreibung des materialen Gehalts des Unrechts (und sie setzt 89 90

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Beteiligungsform, 250. Beteiligungsform, 32, 39ff. (Hervorhebung von B1oy). Beteiligungsform, 37, 39ff.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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sich dann später in der Definition des Unrechtsbegriffs und in der Erklärung der Beteiligungsformen fort). Unrecht ist, so Bloy, seinem materialen Gehalt nach sowohl "Rechtsgutsangriff' als auch "Pflichtverletzung"92. Diesem Doppe1charakter entsprechen zwei verschiedene Zurechnungsebenen, nämlich die "impersonale" und die "personale"93 . Auf der erstgenannten Ebene wird das als Unrecht zu qualifizierende Ereignis unter "kausalem", auf der zweiten unter "personalem" Blickwinkel begutachtet (an anderer Stelle 94 verwendet Bloy, wohl gleichbedeutend, das Begriffspaar "faktisch" - "normativ"); diese beiden Betrachtungsweisen gehören "ganz verschiedenen Realitätsebenen an"95. Die Zurechnungsvoraussetzungen konkretisiert Bloy nun folgendermaßen: Auf impersonaler Ebene ist - unabhängig von der Beteiligungsform - ein Verhalten erforderlich, das ein Risiko für ein Rechtsgutsobjekt begründet, und dieses Risiko muß sich in der Verletzung (bzw. Gefährdung) des Rechtsgutsobjekts realisieren 96. Schwieriger zu erfassen sind seine Ausführungen zu der personalen Ebene. Als Grundlage sollen offenbar einige recht allgemein gehaltene Erläuterungen zum Personbegriff dienen: In der "Person, verstanden als die individuelle Substanz des Menschen, ... verschmilzt Objektives und Subjektives zu einer unteilbaren lebendigen Einheit, die einmalig und deshalb unwiederholbar ist ... " Trotz ihrer "geschlossenen Ganzheit" sei sie aber "nicht gegenüber ihrer Umwelt verschlossen, sondern gleichzeitig als ein Aktivitätszentrum zu begreifen ... Die in der Person angelegte Möglichkeit zur Objektivation in der transpersonalen Außenwelt schlägt sich in Handlungen nieder ... " Als Aktivitätszentrum sei sie "zugleich Kommunikationspartner, der in dialogische Beziehungen zu anderen Personen tritt", und zwar speziell zum Tatopfer sowie zu etwaigen anderen Tatbeteiligten 97 •

Hieraus nun leitet Bloy zwei personale Zurechnungs kriterien ab. Das erste ist - wiederum unabhängig von der Beteiligungsform - die in der Verbotsnormübertretung liegende "Pflichtwidrigkeit"; sie "kennzeichnet die Handlung nicht in ihrer Gefährlichkeit, sondern in ihrer sozialethischen Wertwidrigkeit, die darin besteht, daß sie gegen ein Ge- oder Verbot verstößt, das den Handelnden innerlich oder zumindest äußerlich (durch die angedrohte Rechtsfolge) bindet"98. Zweitens muß ein "personaler Kontakt" des Beteiligten zum Tatgeschehen vorhanden sein 99 (dieser kann - und darin soll der Unterschied zwischen den Beteiligungsformen liegen - unterschiedlich ausgestaltet sein, nämlich als "direkter" oder als "indirekter", d. h. durch den Haupttäter vermittelter; dazu sogleich unten (3». 92 93 94 9S 96 97

98 99

Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform,

252ff., 257ff. 250ff. 25t. 177. 264ff., 286ff. 204. 258. 205, 248 fT. u. passim.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

Bei kritischer Würdigung geben sich diese Thesen sehr schnell zu erkennen als ein im Ansatz dem klassischen Unrechtsbegriff entlehnter, jedoch durch einige "personalisierende" Aspekte modifizierter Gedankengang. Zunächst einmal ist der Kerngehalt des klassischen Unrechtsbegriffs, die Verursachung des Erfolgseintritts, ganz im Sinne der modernen personalen Unrechtslehren "verfeinert" durch die Erfordernisse des risiko begründenden Verhaltens und der Risikorealisierung im Erfolgseintritt. Sodann kommen einige weitere (nach Ansicht Bloys die "eigentlichen" personalen) Elemente - nämlich die "Pflichtverletzung" (= Verhaltensnormwidrigkeit) und der "personale Kontakt" des Beteiligten zum Unrecht - hinzu, die er aber nicht in das durch risiko begründ endes Verhalten und Risikorealisierung errichtete Grundgerüst zu integrieren sucht, sondern einer abgesonderten "personalen Zurechnungsebene" zuordnet. Im einzelnen ist dazu von den hier entwickelten Grundlagen ausgehend folgendes kritisch anzumerken: Erstens läßt sich nicht sinnvoll zwischen zwei "Zurechnungsebenen" unterscheiden; insbesondere ist das Begriffspaar "faktisch - normativ" in diesem Zusammenhang zumindest irreführend. Unter "Zurechnung" kann - wie auch unter jedem anderen Rechtsbegriff - nur die in bestimmter Weise wertende (normative) Betrachtung eines bestimmten Ausschnitts des Regelungssubstrats (eines Faktums) zu verstehen sein. Jedes Unrechtselement hat daher zwangsläufig sowohl eine "faktische" Seite, die besagt, was als "Unrecht" bewertet wird, als auch eine "normative", die besagt, daß jenes Faktum als "Unrecht" bewertet wird. So ist mit "risikobegründendem Verhalten" zunächst einmal ein reines Faktum beschrieben, das als "verboten" bzw. "pflichtwidrig" bewertet und dadurch zum Unrechtselement gemacht wird. Und ebenso ist bei dem, was Bloy als "personalen Kontakt" bezeichnet, zu unterscheiden zwischen dem Faktum, daß ein Beteiligter in bestimmter Art und Weise mit anderen Personen zusammenwirkt, und der Wertung, daß diese Art des Zusammenwirkens unrechtsrelevant ist und ggf. eine bestimmte Beteiligungsform mit bestimmten spezifischen Rechtsfolgen begründet. Zweitens läßt sich das, was Bloy "personalen Kontakt" nennt, nur dann wertungsmäßig sinnvoll einordnen, wenn man beachtet, daß es sich dabei letztlich um spezielle Aspekte der Kriterien risikobegründendes Verhalten und Risikorealisierung handelt. Je nach der Art des "personalen Kontakts" sind es unterschiedliche Arten von Risiken, die durch das jeweilige Verhalten begründet werden: Es kann (immer ex ante betrachtet!) die Möglichkeit heraufbeschwören, "gemeinschaftlich mit einem anderen" i. S. d. § 25 11, durch " Bestimmung eines anderen" i. S. d. § 26usw. zum Erfolg zu führen (vgl. bereits oben1. a». Entsprechend diesen Unterschieden in der Art des Risikos sieht dann natürlich auch die Risikorealisierung unterschiedlich aus. Daß die Art und Weise des etwaigen Zusammenwirkens mit anderen Personen schon in der Handlungsvornahme (bzw. Unterlassung) selbst angelegt ist, verkennt Bloy völlig; anders läßt sich seine Bemerkung nicht erklären, erst die tatsächliche Haupttatbegehung lasse die Teilnahmehandlung "objektiv als einen bestimmt gearteten Angriff auf das geschützte Rechtsgut erscheinen" 100. So kann er dann gar nicht mehr zur Problematisierung der Frage kommen, ob den Beteiligungsformen vielleicht unterschiedliche Verhaltensnormen zugrunde liegen; vielmehr geht er ganz selbstverständlich davon aus, daß es sich stets um eine identische Verhaltensnorm handelt 101. 100

Beteiligungsform, 185.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

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(b) Die Vennengung von "klassischen" und personalisierenden Gedankengängen setzt sich bei der Definition des Unrechtsbegriffs fort: Die Zurechnung setze ein "Zurechnungsobjekt" (eben das Unrecht) und ein "Zurechnungssubjekt" (den Tatbeteiligten) voraus. "Zurechnungsobjekt ist das tatbestandliche Unrecht, verstanden als das Täterunrecht, wie es im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs ... vertypt ist"; es bilde den "gemeinsamen Bezugspunkt" aller Beteiligungsfonnen 102. Bedeutung erlangen könne es als "eigenes" Unrecht des Täters (d. h. seine Existenz hänge von der Person des Täters ab und sei von dieser untrennbar) oder als "fremdes" Unrecht, das dem Teilnehmer "zugerechnet" werde, weil er durch sein verhaltensnonnwidriges Verhalten die Grundlage für diese Zurechnung geschaffen habe 103 • Deutlich erkennbar ist an dieser Begriffsbildung wiederum die Definition des Unrechts als eines "Zurechnungsobjekts", also eines im Ansatz von den Beteiligten unabhängig gedachten Etwas, das aber andererseits doch von einem bestimmten Beteiligten, nämlich dem Täter, in seiner Existenz vollständig abhängig sein soll. Diese Gleichsetzung von Unrecht und (nicht etwa Teilnehmer-, sondern) Täterunrecht läß sich - ebenso wie ja auch der in seinem Kern nicht-personale Grundansatz (dazu oben (a» - rational nur erklären als Fortwirkung des Alltagsverständnisses, das den Täter als "Mittelpunkt" des Tatgeschehens, den Teilnehmer hingegen als bloße "Randfigur" beschreiben würde 104. Demgegenüber bleibt von der hier vertretenen Grundposition aus nochmals zu betonen: Aus jenem Alltagsverständnis ist auch zu erklären, daß das Gesetz in den §§ 25 ff. unter" Tat" das Gesamtgeschehen versteht (dazu oben a) (2)) und daß die Beschreibung der Deliktstypen im Besonderen Teil zunächst einmal nur auf die Erfassung der Tätertatbestände abzielt, während sich die Teilnehmertatbestände erst aus der Verbindung mit den §§ 26, 27 ergeben. Aber all dies hat bei wertender Betrachtung lediglich rechts- und gesetzestechnische Bedeutung (siehe auch schon oben § 1 B. 11. 3.). Von dem Täterunrecht als dem "gemeinsamen Bezugspunkt" aller Beteiligungsformen zu sprechen, ist schon deshalb irreführend, weil insbesondere das tatbestandsmäßige Täterverhalten die Tatschuld des Täters, jedoch lediglich die Strafbedürftigkeit des Teilnehmers begründet, für diesen also eine ganz andere Bedeutung hat (siehe oben 1. a)). Richtigerweise ist das Gemeinsame aller Beteiligungsformen eines bestimmten Deliktstyps in den übereinstimmenden Aspekten des Risikos der jeweils verbotenen Verhaltensweisen zu sehen (also stets in dem gefährdeten Rechtsgut, ggfs. auch in bestimmten tatbestandlich vorausgesetzten Modalitäten der drohenden Verletzung, z. B. dem Resultieren der Verletzung aus der Verwendung einer Waffe usw.).

(2) Da Bloy "tatbestandliches Unrecht" mit "Täterunrecht" gleichsetzt (dazu oben (1) (b» und außerdem verkennt, daß sowohl die Deliktstypizität als auch 101 102 103 104

Beteiligungsform, 252, 256, 263. Beteiligungsform, 249. Beteiligungsform, 250 f. Zu diesem Alltagsverständnis Bloy, Beteiligungsform, 295f. m.w.N.

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

die Teilnahmetypizität bereits in dem verbotenen Teilnehmerverhalten als solchem angelegt sind - nämlich in der Möglichkeit, daß das Verhalten "über eine Haupttat" und ggf. auch in der verlangten besonderen deliktstypischen Weise zur Verletzung eines durch den Deliktstypus geschützten Rechtsgutsobjekts führen könnte - , kommt er zwangsläufig zu einer unzutreffenden Beschreibung des materialen Gehalts von versuchter Teilnahme, Teilnahme am Versuch und Teilnahme an vollendeter Tat: "Beim Ausbleiben der Haupttat fehlt der Teilnahme nicht nur der Erfolg, sondern schon derjenige Teil des Handlungsunwerts, der über den bloßen Intentionsunwert hinaus die Handlung objektiv als einen bestimmt gearteten Angriff auf das geschützte Rechtsgut erscheinen läßt. Da in diesem Falle noch nicht einmal der volle Handlungsunwert realisiert ist, erscheint es auch verfehlt, hier von einer versuchten Teilnahme im strengen Sinne des Wortes zu reden ... Solange es nicht den Handlungsunwert der Teilnahme besitzt, teilt es nicht deren Unrechtsstruktur. Soll es unter Strafe gestellt werden, so läßt sich das jedenfalls nicht damit begründen, daß dadurch Teilnahmeunrecht verwirklicht worden sei ... "105

In Wahrheit ist mit dem Abschluß des Teilnehmerverhaltens bereits die vollständige Tatschuld des Teilnahmedelikts verwirklicht (dazu oben a)). Diese unrichtige Beschreibung des materialen Gehalts muß naturgemäß auch die (von Bloy freilich nicht behandelte) richtige Abgrenzung von versuchter Teilnahme, Teilnahme am Versuch und Teilnahme an vollendeter Tat verhindern (eingehend zu dieser Problematik unten § 9 C. 11.). (3) Die Vagheit des von Bloy eingeführten Begriffs "personaler Kontakt" und dessen fehlende Einordnung in das Grundgerüst des Unrechtsbegriffs, das durch die Kriterien Risikobegründung und Risikorealisierung gebildet wird (dazu oben (1) (a», setzt sich in den Ausführungen Bloys zu den unterschiedlichen Strafrahmen von Täterschaft und Anstiftung einerseits und Beihilfe andererseits fort. Bloy greift (erst) in diesem Zusammenhang wieder auf die Begriffe Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit, mit denen er die "Doppelschranke" möglicher Bestrafung beschreibt (dazu oben (1», zurück und sucht die unterschiedlichen Strafrahmen mit Gesichtspunkten, die beide Strafbarkeitsschranken betreffen, zu erklären: (a) Den ersten Unterschied lokalisiert er im Bereich der Strafwürdigkeit. Das Fehlen des "eigenen" (direkten, unmittelbaren) Kontakts zum Tatgeschehen weise "daraufhin, daß der Handlungsunwert der Teilnahme generell geringer zu veranschlagen ist als der der Täterschaft". Die fehlende Tatherrschaft bzw. Sonderpflichtverletzung werde quantitativ "durch die Akzessorietät nicht aufgewogen, weil dadurch die Distanz des Teilnehmers zum tatbestandlichen Handlungsgeschehen nicht überwunden wird, sondern nur unter Aufrechterhaltung dieser Distanz eine Teilnahme an ihm alsfremder Tat begründet wird. Dies gilt auch für die Anstiftung."I06 Einen weiterführenden materialen GesichtslOS

106

Beteiligungsform, 184 f. Beteiligungsform, 316.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

95

punkt vermag ich diesen Sätzen nicht zu entnehmen. Auch die konkreteren, speziell auf die Tatherrschaftslehre bezogenen Bemerkungen führen nicht darüber hinaus, denn es wird lediglich ohne genauere wertungsmäßige Einordnung auf Begriffe wie "Gewicht", "Einfluß" usw. verwiesen: Es handelt sich, so Bloy, um eine "eigene Tat" der jeweiligen Person, "wenn diese durch ihre Handlungen das ganze Tatgeschehen prägt. Das ist dann der Fall, wenn die Handlung von ,wesentlicher Bedeutung' für die Tatausführung ist. .. Näher läßt sich das für ihre Eigenschaft als ,Tat' erforderliche Gewicht einer Handlung nicht bestimmen ... "107 "Wer das Opfer mit dem Messer ersticht, tut etwas anderes als derjenige, der ihm das Tatwerkzeug dazu reicht oder ihn zur Tat überredet. Dieser Unterschied leuchtet spontan ein. Der abweichende Unwert der verschiedenen Verhaltensweisen besteht. .. in dem unterschiedlichen Maß des Einflusses auf die Tatbestandsverwirklichung ... "108 Für Bloy stellt sich dann noch die weitere Aufgabe, zu begründen, weshalb die Anstiftung trotzdem wie die Täterschaft bestraft wird; insoweit schließt er sich der von Joachim Schulz entwickelten "Planherrschaftslehre" anlO9 , die jedoch ebensowenig eine wertungsmäßige Einordnung liefert (eingehend dazu unten § 7 B. I. 4.).

(b) Ferner betrachtet Bloy die Strafmilderung für den Gehilfen als Konsequenz einer mehrfach abgestuften Strafbedürftigkeit: Die Unterscheidung der Beteiligungsformen diene zunächst einmal dazu, dem Strafrecht insofern einen fragmentarischen Charakter zu verleihen, als nur dasjenige Verhalten mit Strafe bedroht werde, das den Beteiligungsformen Täterschaft und Teilnahme entspreche, alle anderen Arten von Rechtsgutsverletzungen aber mangels Präventionsbedürftigkeit straflos blieben 110. Die Beihilfe sei zwar strafbedürftig, aber in relativ geringem Maße, denn der Gehilfe habe "an der Tat in keiner Form als dominant Mitwirkender Anteil", so daß "seine Bestrafung general- und spezialpräventiv schneller zum Ziel führt als die des Anstifters". Hingegen manifestiere sich "in der Anstiftung wie in der Täterschaft eine kriminelle Initiativkraft, der entgegengewirkt werden muß, um den Anstifter selbst bzw. potentielle zukünftige Anstifter yon einer neuen Anstiftung abzuhalten"111. Diese Begründung überzeugt nicht. Was zunächst die Ausgrenzung bestimmter Arten von Rechtsgutsverletzungen aus dem Bereich des Strafbaren betrifft, so handelt es sich dabei letztlich um eine Funktion der Tatbestandlichkeit, also der Festlegung des Strafbaren durch einzelne Deliktstatbestände. Die Definitionen der Beteiligungsformen in den §§ 25 ff. bringen lediglich für die Deliktstatbestände des Besonderen Teils eine teilweise gesetzestechnische Entlastung von dieser Funktion. Gäbe es keine Unterscheidung von Beteiligungsformen und sollte die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten trotzdem gleichbleiben, dann wäre lediglich eine entsprechende Umformulierung der 107 108

109 110 111

Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform, Beteiligungsform,

204 mit FN 50. 123 f. 337ff. 318 ff. 344.

96

1. Kap.: Einführung in die Problematik

Tatbestände des Besonderen Teils notwendig (z. B. müßte in § 142 I ergänzt werden, daß auch derjenige, der einen Unfall beteiligten zum Sichentfernen vom Unfallort bestimmt oder ihm dabei Hilfe leistet, strafbar ist). Mit den materialen Unterschieden zwischen den einzelnen Beteiligungsformen und den daran anknüpfenden Rechtsfolgendifferenzierungen hat dies alles nichts zu tun. Auch die These Bloys von der minderen "kriminellen Initiativkraft" des Gehilfen im Vergleich zu den anderen Beteiligten leuchtet nicht ein. Träfe sie zu, dann hieße dies z. B., daß generell eine schärfere Strafsanktion erforderlich ist, um jemanden davon abzuhalten, künftig den Dieb zum Diebstahl zu überreden, als sie notwendig wäre, jemanden davon abzuhalten, dem Dieb das notwendige Werkzeug zu beschaffen. Empirische Untersuchungen, die eine solche These stützen, gibt es nicht, und nach der Lebenserfahrung ist es auch eher unwahrscheinlich, daß sie zu diesem Ergebnis führen würden. Vielmehr dürfte die notwendige Intensität der Einwirkung entscheidend von der Gestaltung der konkreten Tatsituation und der Persönlichkeitsstruktur der jeweiligen Beteiligten abhängen. D. Zusammenfassung und Ausblick

I. Es gilt, eine Beteiligungsformendogmatik zu entwickeln, die sich in ein funktionales Straftatsystem einfügt. Das bedeutet im einzelnen: 1. Auslegung hat (nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen, weil sonst der Verhältnismäßigkeits- und der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht sinnvoll gehandhabt werden können) primär teleologische Auslegung zu sein. Eine Schranke findet sich in dem möglichen Wortsinn des Gesetzes, der nicht strafbegründend oder -schärfend überschritten werden darf. Ob die dem Gesetz zugrunde liegenden rechtspolitischen Wertentscheidungen des Gesetzgebers eine weitere Schranke darstellen, mag offen bleiben. Für die Beteiligungsformenlehre lassen sich, wie oben (A. 11. 2.) im einzelnen ausgeführt, den Gesetzesmaterialien einige solcher Wertentscheidungen entnehmen; sie stimmen mit den Ergebnissen überein, zu denen die teleologische Auslegung führen wird. 2. Eine konsequent funktionale Systematisierung führt zu einem "offenen System", das primär ein System von Wertungen darstellt und in dem die Entscheidungen, welche Strukturen im Regelungssubstrat diesen Wertungen entsprechen, tendenziell weitgehend bis zu den unteren Stufen der Systempyramide offengehalten werden. Dabei ist eine angemessene Balance zwischen den Anforderungen der Rechtssicherheit und des Gleichbehandlungsgrundsatzes einerseits sowie der Einzelfallgerechtigkeit andererseits herzustellen: Die ersteren stehen einer systemfeindlichen "Topik" entgegen und drängen dazu, schon auf höheren Systemstufen konkrete Strukturen des Regelungssubstrats für relevant zu erklären, wenn solche Strukturen, die den getroffenen Wertungen entsprechen, vorhanden sind; die Einzelfallgerechtigkeit gebietet, sich auf das Aufzeigen der Wertungszusammenhänge zu beschränken, solange keine den Wertungen hinreichend gerecht werdenden Strukturen erkennbar sind, und notfalls für bestimmte Bereiche bloße "Regulative" anzugeben. Ein prinzipieller Vorrang der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung oder aber der Einzelfallgerechtigkeit, wie er für einzelne Rechtsgebiete anzuerkennen sein mag, besteht jedenfalls für die Beteiligungsformenlehre nicht.

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Normentheorie

97

3. Die Leitprinzipien bilden das Begriffssystem, mit dessen Hilfe das zunächst nur als Wertungsgefüge zu verstehende offene System dargestellt wird. Sie enthalten je nach dem Grad der Offenheit des Systems und der Höhe der Systemstufe normative und deskriptive Elemente. Vor allem muß der normative Gehalt, d. h. die Beschreibung der getroffenen Wertung, so präzise faßbar sein, daß eine rational fundierte Konkretisierung im Einzelfall ermöglicht wird. Dieser Anforderung werden das Begriffspaar "tatbezogen - täterbezogen" sowie das Roxinsche Leitprinzip für den Täterbegriff - "Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens" -, die ich exemplarisch untersucht habe, nicht gerecht. 4. Es ist unerläßlich, zwei Ebenen des rechtlichen Wertungsgefüges strikt zu unterscheiden: die Verhaltensnormen und die (strafrechtlichen) Sanktionsnormen. a) Die Verhaltensnormen (verstanden als abstrakte Regeln, aus denen jeweils eine Vielzahl einzelner, in konkreten Situationen an konkrete Personen gerichteter Verhaltenspflichten folgt) sind aus der strikten ex-an te-Perspektive des in die Situation des Adressaten versetzten "objektiven Beobachters" zu bestimmen. Ihre Aufstellung durch den Gesetzgeber sowie ihre (zumeist auf Rückschlüssen aus Sanktionsnormen beruhende) Interpretation gründen sich auf eine umfassende Interessenabwägung, wobei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Gleichbehandlungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Regulative fungieren. Abwägungsmaterial sind einerseits die (durch das Verbot dieses Verhaltens zu verhindernden) potentiellen rechtsgutsbeeinträchtigenden Auswirkungen des Verhaltens. Auf der andere Seite stehen etwaige potentielle rechtsgutsschützende Auswirkungen, aber auch das Interesse an einer möglichst weitgehenden Verhaltensfreiheit. Die Abwägung darf sich nicht auf die Aspekte des Einzelfalls beschränken, sondern muß die Gesamtheit der Pflichten, die sich aus der Norm ergeben (würden), berücksichtigen. Eine Verhaltenspflicht besteht bzw. wird auferlegt, wenn die dafür sprechenden Gesichtspunkte wertmäßig überwiegen; das Maß des Überwiegens ist der Maßstab für die "Dringlichkeit" der Pflicht. Je dringlicher die Verhaltenspflichten sind, um so dringlicher ist die Verhaltensnorm, aus denen sie folgen; je dringlicher eine Verhaltensnorm ist, um so mehr Verhaltenspflichten ergeben sich aus ihr, und um so stärker schränkt sie folglich die Verhaltensfreiheit ein. Insgesamt kann man daher sagen: Auf der Verhaltensnormebene geht es um die Ausdifferenzierung eines ausgewogenen Systems von Verhaltenspflichten und Verhaltensfreiheit. Es kann nur ein für alle Rechtsgebiete einheitliches Verhaltensnormensystem geben ("Einheit der Rechtsordnung"). b) Die strafrechtlichen Sanktionsnormen dienen der Prävention, d. h. der Durchsetzung des Verhaltensnormensystems durch Verhinderung künftiger Verhaltenspflichtverletzungen (und damit mittelbar dem Rechtsgüterschutz, da hierin der Zweck der Verhaltensnormen liegt). Die Strafe bedarf nach Grund und Höhe einer doppelten Legitimation: Sie muß (nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeits- und des Gleichbehandlungsgrundsatzes) im Hinblick auf den Präventionszweck gerechtfertigt sein, und es muß legitim sein, den Präventionszweck gerade durch die Bestrafung dieser konkreten Person zu verfolgen, was von dem von ihr zu verantwortenden Fehlverhalten abhängt (Tatschuldprinzip als Teilaspekt des Art. 1 GG). Die Tatschuld ist abhängig von dem Grad der Vorwerfbarkeit (i. S. d. Schuldidee) sowie von dem in der Verhaltenspflichtverletzung liegenden Verhaltensunwert. Dieser Verhaltensunwert ist gleichsam der wertmäßige Saldo aus den unwerthaften und werthaften Aspekten des konkreten Verhaltens; er entspricht also genau dem Grad der Dringlichkeit 7 Stein

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

der verletzten Verhaltenspflicht. Keinen Einfluß auf die Tatschuld haben hingegen die tatsächlichen Verhaltensfolgen ("Erfolgsunwert"); sie können nur für die Präventionsbedürftigkeit Bedeutung erlangen. Der Grad der Präventionsbedürftigkeit verläuft weitgehend parallel zum Tatschuldquantum. Praktisch wichtige Ausnahmen hiervon sind die Beschränkung der Präventionsbedürftigkeit und damit auch der Strafbewehrung auf bestimmte Ausschnitte einer Verhaltensnorm, die zumeist historisch gewachsenen, plastischen "Tatbildern" nachgezeichnet sind, sowie die Unterscheidung zwischen (oft straflosem) versuchtem und vollendetem Delikt, die auf dem unterschiedlichen vertrauenserschütternden Eindruck des Geschehens beruht. c) Hieraus lassen sich bereits wichtige Schlußfolgerungen für die Beteiligungsformendogmatik herleiten: Die Beteiligungsformen bezeichnen unterschiedliche Verhaltensweisen, wobei der Unterschied (wenn nicht auch in dem jeweils bedrohten Rechtsgut, so doch zumindest) in der Art des möglicherweise eintretenden rechtsgutsbeeinträchtigenden Kausalverlaufs (ohne Zwischenschaltung der Handlung eines anderen, "durch" die Handlung eines anderen, "gemeinschaftlich" mit der Handlung eines anderen, über eine "Haupttat") liegt; dementsprechend werden die Beteiligungsformen - was aber zunächst nur eine reine Sprachregelung ist - durch unterschiedliche Verhaltensnormen verboten. Es ist zu klären, ob diese (zunächst einmal nur äußerlichen) Unterschiedlichkeiten der Verhaltensweisen zu materialen Unterschieden der Verhaltensnormen, insbes. ihrer Dringlichkeit, führen. Jedenfalls aber ist (auch) die Tatschuld der Teilnahme mit dem Abschluß des verbotenen Teilnehmerverhaltens vollständig verwirklicht; die tatsächliche Vornahme der Haupttathandlung, die die Tatschuld des Haupttäters begründet, kann lediglich die Präventionsbedürftigkeit des Teilnahmedelikts betreffen. Die adäquate begriffliche Abbildung dieser wertungsmäßigen Zusammenhänge ist ein "vollständig personalisierter" Unrechtsbegriff, der "Unrecht" stets als von einer konkreten Person (sei sie Täter oder Teiljlehmer) verwirklichtes (Verhaltens- und Erfolgs-) Unrecht definiert. Demgegenüber wird oft noch ein aus der Zeit des naturalistischen Positivismus stammender, im Grunde lediglich das Alltagsverständnis von "Unrecht" abbildender Unrechts begriff verwendet, der die zutreffenden Wertungszusammenhänge verdeckt und sich daher dysfunktional auszuwirken droht. In der Beteiligungsformenlehre kommt er zum Ausdruck in der Redeweise vom (einheitlichen) "tatbestandlichen Unrecht", das dem Täter "als eigenes" und dem Teilnehmer "als fremdes" zugerechnet wird. Als Beispiel hierfür habe ich die Abhandlung Bloys untersucht.

11. Nunmehr stellt sich die Aufgabe, die zahlreichen in Rechtsprechung und Schrifttum zu findenden Ansätze auf ihre Eignung zu einer funktionalen Systematisierung der Beteiligungsformenlehre zu untersuchen. Angesichts der kaum noch überschaubaren Fülle des vorhandenen Materials sind dabei in mehrfacher Hinsicht Beschränkungen geboten: Angestrebt wird weder eine Darstellung der Dogmengeschichte (ein kurzer Abriß findet sich bereits am Beginn dieser Abhandlung) noch eine Vollständigkeit in der Erörterung aller jemals vertretenen Varianten bestimmter Grundrichtungen und aller Stellungnahmen zu Einzelfragen noch eine Vollständigkeit der Belege. Vielmehr soll lediglich der "Kerngehalt" der - unter straftatsystematischen Gesichtspunkten geordneten - wesentlichen Grundpositionen erörtert werden. Dabei werde ich fünf Gruppen von Ansätzen unterscheiden: zunächst die Schuld- und U nrechts-

§ 2: Methodik, Verfassungsrecht u. Norrnentheorie

99

teilnahmelehren, die den wesentlichen Unterschied zwischen Täterschafts- und Teilnahmetatbeständen im jeweiligen Schutzzweck der Normen erblicken (§ 3); zweitens die "ganzheitlichen" Ansätze, die eine Vielzahl normativer Aspekte für relevant erklären, ohne sich auf ein bestimmtes Verhältnis dieser Gesichtspunkte zueinander festzulegen (§ 4); so dann diejenigen Ansätze, die auf bestimmte ontische oder soziale Strukturen oder eine (außerrechtliche) Sozialethik rekurrieren, ohne daß der (rechts-)normative Bezug deutlich würde (§ 5); schließlich diejenigen mit (wenigstens einigermaßen) konkretem normativem Gehalt, die sich in eine funktionale Straftatsystematik einordnen lassen könnten, wobei ich - soweit eine solche Einordnung möglich ist - zwischen den die Sanktionsnormebene (§ 6) und den die Verhaltensnormebene betreffenden Ansätzen (§ 7) differenzieren werde.

Zweites Kapitel

Die verschiedenen Erklärungsansätze §3

Die Schuld- und Unrechtsteilnahmelehren Bei den Lehren vom "Strafgrund der Teilnahme" - das sind die Lehren, welche die materialen Besonderheiten der Teilnehmerverhaltensnormen und -sanktionsnormen im Vergleich zu den jeweils entsprechenden Täternormen erklären sollen - lassen sich zwei Hauptrichtungen unterscheiden. Nach den sog. "Verursachungslehren" dient das Verbot einer teilnehmerschaftlichen Handlung dem Schutz desselben Rechtsgutsobjekts wie das Verbot der jeweils zugehörigen Täterhandlung. Die "Schuld"- bzw. "Unrechtsteilnahmelehren" demgegenüber sehen den (einzigen oder zusätzlichen) Zweck des Verbots einer Teilnahmehandlung in etwas anderem, wobei wiederum zwischen zwei Grundauffassungen zu differenzieren ist: Die Schuldteilnahmelehre sowie die Unrechtsteilnahmelehre i. S. v. Less und Trechsel erblicken jenen Zweck in dem Schutz (auch) eines gänzlich anderen Rechtsguts, nämlich in der Bewahrung des jeweiligen Haupttäters vor "Verstrickung in Unrecht (und Schuld)" (dazu unten A.); nach der Unrechtsteilnahmelehre i. S. v. Otto u. a. hingegen beeinträchtigt die Teilnahmehandlung zwar stets (und nur) dasselbe Rechtsgut (i. S. v. abstraktem Rechtswert) wie die Täterhandlung, jedoch nicht (nur) durch einen Angriff auf dasselbe Rechtsgutsobjekt, das auch der Haupttäter angreift, sondern (zusätzlich) in anderer Weise (dazu unten B.). Beide Hauptrichtungen müssen zwangsläufig (zumindest implizit) zu einer Kernfrage der Beteiligungsformenproblematik Stellung nehmen und diese wenn sie überhaupt zu einer in sich schlüssigen Auslegung der lex lata kommen wollen - im gegenteiligen Sinne beantworten: Nach den Verursachungslehren muß schon der Angriff des Teilnehmers auf das auch vom Haupttäter angegriffene Rechtsgutsobjekt für sich allein den täterschaftsgleichen Strafrahmen der Anstiftung und den reduzierten Strafrahmen der Beihilfe rechtfertigen. Nach Auffassung der Unrechts- und Schuldteilnahmelehren hingegen hat die Teilnahme nur dann einen diese Strafrahmenregelung rechtfertigenden U nwertgehalt, wenn der Unrechts- bzw. Schuldteilnahmegedanke hinzutritt! oder gar ausschließlich Berücksichtigung findet 2 . 1 So (ausdrücklich) vor allem Less, ZStW 69 (1957), 43f.; H. Mayer, LB AT, 304, 319; ders., Rittler-Festschr., 261; Trechsel, Strafgrund, 48.

§ 3: Die Schuld- u. Unrechtsteilnahmelehren

101

Um die Frage, ob es den Verursachungslehren gelingt, die gesetzliche Regelung ohne Zuhilfenahme eines Unrechts- bzw. Schuldteilnahmegedankens zu erklären, wird es in den folgenden Paragraphen gehen. Hier soll zunächst nur untersucht werden, ob - die These von der notwendigen Berücksichtigung eines Schuld- bzw. Unrechtsteilnahmegedankens als richtig unterstellt - eine diesen Gedanken einbeziehende Auslegung der lex lata in verfassungskonformer Weise möglich ist. Sollte sie sich als nicht möglich erweisen, dann steht fest, daß die Lösung - sofern es eine solche überhaupt gibt - auf dem Boden der Verursachungslehren zu suchen ist, denn ein tauglicher "dritter Weg" ist nicht ersichtlich. A. Die Schuldteilnahmelehre und die Unrechtsteilnahmelehre i. S. v. Less und Irechsel I. Der Schuld- bzw. Unrechtsverstrickungsgedanke 1. Die klassische Formulierung der Schuldteilnahmelehre findet sich bei Farinacius: "Mandans plus delinquit quam mandatarius, nam primo delinquit in se, secundo in mandatarium, tertio in occisum; mandatarius autem non delinquit nisi in se et in interfectum."3 Die Schuld des Haupttäters also liegt in der Verletzung des Opfers sowie einem "delinquere in se", einem Vergehen gegen sich selbst. Das erstere entspricht der Rechtsgutsverletzung im heutigen Sinne, während das zweite Element Ausfluß der im kanonischen Recht wurzelnden Auffassung des Verbrechens als "Sünde" ist 4 • Wer eine Sünde begeht, setzt sich in Widerspruch zu den Geboten Gottes und vermindert dadurch, in moderner Terminologie gesprochen, den Geltungswert seiner Person; kurz: er fügt sich selbst einen Schaden zu. Von daher ist es ganz naheliegend, bei der Anstiftung zusätzlich zu berücksichtigen, daß der Anstifter nicht nur sich selbst, sondern - als drittes Unwertelement - auch den Haupttäter in Sünde verstrickt, sich also auch gegen dessen Person vergeht.

In einem "säkularisierten", allein am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrecht muß das Element des "Vergehens gegen sich selbst" entfallen; die Verstrickung des Haupttäters in Sünde hingegen kann man durchaus in eine Rechtsgutsverletzung umdeuten. Das Freisein von Schuld (im Sinne von NichtBegangen-Haben einer Straftat) ist für den Betreffenden schon allein deshalb ein werthafter Zustand, weil sein Gegenteil die Gefahr der Strafverfolgung und damit des Erleidens des Strafübels heraufbeschwört und darüber hinaus das soziale Ansehen zu mindern droht. Dies alles aber birgt die Gefahr einer Minderung der Möglichkeiten zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, deren Sicherung letztlich Sinn des strafrechtlichen Schutzes eines jeden Individualrechtsguts ist. 2 So früher offenbar Beting; dazu unten A. 1. 1. 3 Vgl. dazu Lange, Teilnahme, 36ff. 4 Dazu Lange, Teilnahme, 37; vgl. ferner etwa Schaffstein, Verbrechen, 9.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

In einem solchen "säkularisierten" Sinne findet sich der Gedanke des Vergehens gegen die Person des Haupttäters in "reiner" Form bei Beling: "Strafbar ist der Gehilfe und der Anstifter deswegen, weil er den Haupttäter in Schuld und Strafe geführt hat ... Wie dieser die Norm ,du sollt nicht Gewalt ... anwenden' übertreten hat, so hat jener die Norm ,du sollst andere nicht in Schuld und Strafe führen' übertreten"s. Allerdings hat Beling diese Ansicht später offenbar aufgegeben. Wenn er sagt, der Teilnehmer werde bestraft, weil er "zu fremdem rechtswidrigem Tun ein Scherflein beigetragen", "fremder Rechtswidrigkeit Vorschub geleistet" habe 6 bzw. für die Rechtsgutsverletzung im Sinne einer "Zweitverantwortlichkeit" mitverantwortlich sei?, so lassen sich diese Äußerungen nur im Sinne der Verursachungslehre deuten, zumal vom Schutz der Person des Haupttäters nicht mehr die Rede ist. Für andere Autoren B beschreibt der Schuldverstrickungsgedanke nur einen zusätzlichen Schutzzweck. Die Akzente werden dabei allerdings unterschiedlich gesetzt. Während Dahm und Mayer die Verführung des Haupttäters als generelles Merkmal jedenfalls der Anstiftung ansehen, ist dieser spezifische Unwert der Teilnahme nach Höpfner und Kohlrausch oft, aber (auch bei der Anstiftung) nicht immer eigen.

2. Den Anstoß zur Entwicklung der Unrechtsteilnahmelehre gab die gesetzliche Festschreibung der "limitierten Akzessorietät" durch Einfügung des § 50 I a.F. (= § 29 n.F.)9. Ihre VertreterIO weisen darauf hin, daß man den Schuldverstrickungsgedanken konsequenterweise in einem umfassenderen Gedanken der" Unrechtsverstrickung" aufgehen lassen muß, wobei - so darf man ergänzen - die Verstrickung in Schuld letztlich eine spezielle, besonders schwerwiegende Form der Verstrickung in Unrecht darstellt. Zwar ist der von Less ll vorgebrachte Aspekt der "Störung des Gewissensfriedens" des Haupttäters in der Regel wohl eher nur eine Spekulation. Doch jedenfalls ist auch der schuldlose Haupttäter der Gefahr der sozialen Desintegration bzw. der Erschwerung sozialer Reintegration ausgesetzt l2 • Dem schuldunfähigen Täter droht immerhin das Sicherungsverfahren 13, und auch bei Taten, die im entschuldigenden Notstand oder unvermeidbaren Verbotsirrtum begangen werden, hat der Täter in aller Regel das Ermittlungsverfahren über sich ergehen Beling, ZStW 18 (1898), 272. Beling, Verbrechen, 426, ähn!. auch 436. 7 Methodik, 97, 102. S Dahm, Tätertyp, 57; Höpfner, ZStW 26 (1906), 624f.; Kohlrausch, Bumke-Festschr., 48. Besonders eingehend H. Mayer, LB AT, 301, 319, u. Rittler-Festschr., 255f.; im gleichen Sinne, wenn auch weniger deutlich in der Trennung der beiden Gesichtspunkte und mit stärkerer Betonung des Verstrickungsgedankens bereits in Strafr. d. dt. Volkes, 334,338, u. DStR 1938, 89. Mayer hat den Verstrickungsgedanken auch nicht etwa später aufgegeben; unrichtig daher Lüderssen, Strafgrund, 48f., der offenbar die eindeutigen Äußerungen Mayers in Rittler-Festschr., 255, u. StuB AT, 155 (bei l.b.) übersieht. 9 Eine ausführ!. Darstellung der Rechtsentwicklung gibt Roxin in LK, § 28 RN 1. 10 Less, ZStW 69 (1957), 43ff.; Trechsel, Strafgrund, passim. 11 ZStW 69 (1957), 52. 12 Less, ZStW 69 (1957), 52; Trechsel, Strafgrund, 12. 13 Vg!. auch Lampe, ZStW 77 (1965), 282. 5

6

§ 3: Die Schuld- u. Unrechtsteilnahmelehren

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zu lassen und bleibt mit dem Makel behaftet, gegen das Strafgesetz verstoßen zu haben. 11. Zur Vereinbarkeit des Unrechts- und Schuldverstrickungsgedankens mit der lex lata

1. Einer Reihe von Argumenten, die gegen den Unrechts- und Schuldverstrickungsgedanken vorgebracht werden, kann allenfalls ein Indizwert zukommen. Dazu zählen die Hinweise, daß eine Norm, die einen Angriff auf die Integrität eines anderen unter Strafe stelle, eigentlich als selbständiger Tatbestand in den Besonderen Teil gehöre l 4, und daß das Strafrecht ansonsten "keine Einzelvorschrift (kennt), in der eine Verantwortung für das Straffälligwerden anderer ... klar zutage träte"15. Gleiches gilt für die Bemerkung Lüderssens, es sei unwahrscheinlich, daß das Gesetz sich weit vom Ideal der Tatbestandsbestimmtheit entferne, indem es ein Rechtsgut schütze, das "generell nur mehr oder weniger auf Umwegen erschlossen werden kann"16. Ein Rechtsgut der "sozialen Integrität" im Sinne einer Freiheit von der Gefahr, wegen der Begehung rechtswidriger Taten staatlichen Maßnahmen unterworfen zu werden und sich der sozialen Desintegration auszusetzen, ist nicht unbestimmter als z. B. das durch § 185 geschützte Rechtsgut der Ehre; auch der Angriffsweg - Bestimmung oder Hilfeleistung zu einer rechtswidrigen Tat - ist hinreichend genau beschrieben. Ferner ist es nichts Besonderes, daß das Unrecht mittelbar nach dem Unrecht einer anderen Tat bestimmt werden muß; bei § 164 z. B. hängt das Maß des Unrechts (u. a.) von der Schwere der Tat ab, deren das Opfer fälschlich verdächtigt wird, und ähnliches gilt für die Tatbestände der Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei, die eine "Vortat" voraussetzen.

2. Ferner wird immer wieder eingewandt, der Gesetzgeber habe diese Lehre mit der Einführung des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät verworfen 17. Zutreffend ist dieses Argument insofern, als sich aus ihm zwingend die Unrichtigkeit der "reinen" Schuldteilnahmelehre ergibt: Der Teilnehmer an schuldloser Haupttat würde bestraft, obwohl er den Haupttäter nicht in Schuld verstrickt und daher - vom Boden dieser Lehre aus gesehen - kein durch die Teilnahmenormen geschütztes Rechtsgut angegriffen hat. Andererseits kann es aber die Unrechtsteilnahmelehre gar nicht treffen, da die §§ 26, 27 eine 14 Bauer, 13 f., 51 f.; Jakobs, AT, 22/2; Lange, Teilnahme, 41; Letzgus, Vorstufen, 217. - Kritisch zu diesem Argument auch Höpfner, ZStW 26 (1906), 601 f.; Less, ZStW 69 (1957), 55; Lüderssen, Strafgrund, 55. IS Esser, GA 1958, 322; ähnl. Lüderssen, Strafgrund, 57. 16 Lüderssen, Strafgrund, 56; ähnl. bereits Esser, GA 1958, 323. 17 Aus der Fülle der FundsteIlen seien beispielhaft genannt: Baumann/ Weber, AT, 554; Bocke/mann, Untersuchungen, 112; Dahm, NJW 1949, 810; Esser, GA 1958, 325; Heinitz, DJT-Festschr., 101; Herzberg, TuT, 130; Jakobs, AT, 22/2; Jescheck, AT, 557; Jährig, 29; Lange, ZStW 63 (1951), 503; Less, ZStW 69 (1957), 94; Roxin in LK, RN 8 vor § 26; Samsan in SK, RN 5 vor § 26; Schönke / Schröder / eramer, RN 20 vor § 25; Stratenwerth, AT, RN 852f.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

rechtswidrige Haupttat und damit stets die Verwirklichung tatbestandlichen Unrechts durch den Haupttäter voraussetzen. Gegen die (Haupt-)Variante der Schuldteilnahmelehre, die die Schuldverstrickung nur als zusätzliches Unwertelement ansieht, könnten Bedenken al1enfal1s hinsichtlich der Tatschuldangemessenheit der täterschaftsgleichen Strafrahmenuntergrenze bei der Anstiftung bestehen 18 : Wenn der denkbar schwerste Fal1 der Anstiftung zu schuldhafter Tat dem denkbar schwersten Täterschaftsfal1 entspricht, dann müßte konsequenterweise der denkbar leichteste Fal1 der Anstiftung zu schuldloser Tat milder bestraft werden als der denkbar leichteste Täterschaftsfall. Gallas 19 will diesem Bedenken mit dem Hinweis begegnen, daß beim Fehlen der Schuld des Haupttäters kein freier verantwortlicher Wille zwischen die Teilnehmerhandlung und den Haupttaterfolg tritt, die darin liegende Minderung des Unrechtsgehalts der Teilnahmehandlung also entfällt. Eine solche Überlegung liegt vermutlich auch (unausgesprochen) den Ausführungen Mayers zugrunde, denn einerseits betont er für die Fälle der "eigentlichen" Teilnahme (d. h. der Teilnahme an schuldhafter Tat) die unrechtsmindernde Wirkung des Dazwischentretens eines freien, verantwortlichen Willens 20 (mit den Worten der Tatherrschaftslehre: die unrechtsmindernde Wirkung des Fehlens der Tatherrschaft), während er andererseits bei der Erörterung der von ihm sog. "Urheberschaftsfalle"21 darauf nicht eingeht, sondern stillschweigend eine für die Teilnahmestrafbarkeit hinreichende Unrechtsquantität voraussetzt. Doch geht diese Argumentation bereits von einer bestimmten, sehr umstrittenen Position hinsichtlich der Abgrenzung der einzelnen Beteiligungsformen aus: Sie setzt voraus, daß bei den Sonderdelikten - zu dieser Deliktsgruppe gehören die Hauptfälle der Anstiftung zu schuldloser Tat - der Tatherrschaftsgedanke überhaupt irgendeine Bedeutung hat.

Unabhängig von solchen weitreichenden Vorentscheidungen über die Abgrenzung der Beteiligungsformen voneinander läßt sich in den (Ausnahme-) Fäl1en der Anstiftung zu schuldloser Tat die Gefahr einer tatschuldübersteigenden Strafe aber auch schon dadurch ausräumen, daß man bei Bagatel1fli.l1en, deren Tatschuldgehalt das für die Verhängung der Mindeststrafe notwendige Maß nicht erreicht, zwar nicht die Existenz eines Handlungsverbots verneint, wohl aber die Strafbewehrung 22 • Zu denken wäre insbesondere an eine restriktive Auslegung des Merkmals "bestimmen", indem man einen hinreichend hohen Tauglichkeitsgrad der Anstiftungshandlung verlangt. Festzuhalten bleibt jedenfal1s, daß sich aus dem Prinzip der limitierten Akzessorietät ein zwingendes Argument nicht ergibt. 18 Entsprechendes gilt für die Beihilfe, wenn man den Schuldteilnahmegedanken auch auf sie erstreckt. 19 Beiträge, 121. 20 LB AT, 304 ("die Einschaltung fremden, voll verantwortlichen, vorsätzlichen Willens - also nicht bloß fremder Hände - ändert ... die Wertbeziehungen von Grund aus"). 21 D. h. der Teilnahme an schuldloser Tat; zu dieser Begriffsbildung vgl. seine Ausführungen in LB AT, 327ff.; StuB AT, 157f.; Rittler-Festschr., 272ff. 22 Grundsätzlich zu diesen Begriffen oben § 2 C.

§ 3: Die Schuld- u. Unrechtsteilnahmelehren

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3. Verschiedentlich wird gesagt, der Schutz der Person des Täters könne kein Normzweck sein, weil es letztlich der Täter selbst sei, der sich durch seine Tat der sozialen Desintegration aussetze, denn er selbst vollziehe (im Nonnalfall) voll verantwortlich den letzten Schritt zur Gefährdung seiner Integrität 23 . a) Zuzustimmen ist diesem Einwand insofern, als er darauf hinweist, daß in vielen Fällen die Verhinderung einer (Selbst-)Gefährdung des Haupttäters nicht Schutzzweck der an den Teilnehmer gerichteten Verhaltensnorm sein kann: Und zwar stellt erstens zumindest die völlig "defektfreie" Entscheidung zur Gefährdung eines eigenen disponiblen Rechtsgutsobjekts sogar einen grundrechtlich (zumindest durch Art. 2 I GG) geschützten und jeder staatlichen "Vernünftigkeitskontrolle" entzogenen Akt der freien Entfaltung der Persönlichkeit dar 24 , so daß die Mitwirkung hieran schon deshalb nicht verboten sein kann. (Die Tatsache, daß in der selbstgefährdenden Handlung zugleich ein Angriff auf das Rechtsgut eines Dritten liegt, muß dabei völlig ausgeblendet werden, da es hier ja nur um den Selbstgefährdungsaspekt geht.) Nicht überzeugen kann auch der Gegeneinwand Trechsels 25 , die in dem Verhalten des Haupttäters liegende "Einwilligung" in die Gefährdung seiner sozialen Integrität verstoße gegen die guten Sitten und sei daher unbeachtlich. Setzt man einmal voraus, daß hier die Regeln der Einwilligung überhaupt anwendbar sind 26, dann darf die Einwilligungsschranke der "guten Sitten" in einem dem Rechtsgüterschutz verpflichteten Rechtssystem keinesfalls zum Verbot und zur Pönalisierung bloßer Moralwidrigkeiten dienen 27 , sondern als legitimer Zweck dieser Schranke kommt allenfalls die im" wohlverstandenen Interesse" des Rechtsgutsinhabers liegende Bewahrung vor einem außergewöhnlich schwerwiegenden und weit in die Zukunft fortwirkenden Verlust an Rechtsgutssubstrat 2B in 23 In diesem Sinne Jakobs, AT, 22/2; Letzgus, Vorstufen, 217f.; M.-K. Meyer, Anstiftung, 64f.; Schroeder, Täter, 212f. 24 Ausführ!. dazu Stein, ZStW 97 (1985), 314ff. Meine dortigen Überlegungen sind zwar durch eine prozessuale Fragestellung veranlaßt, gelten aber auch hier uneingeschränkt. 25 Strafgrund, 13. 26 Für eine übereinstimmende Grenzziehung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger "Einwilligung" sowie zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme an (tatbestandsloser) Selbstschädigung: Herzberg, TuT, 36ff.; M.-K. Meyer, Autonomie, 135ff.; speziell für Tötungsdelikte auch Geilen, JZ 1974, 151 f.; Horn in SK, § 212 RN 13. - Darauf wird unten § 10 A. 1. 1. zurückzukommen sein. 27 In diese Richtung tendiert aber die herkömmliche Rspr.; vg!. etwa RG, DR 1943,234; JW 1938, 30f.; RGSt 74, 91 (94). Auch die bekannte Entscheidung BGHSt 4, 24 (32) ("Bestimmungsmensur-Fall") gibt diesen Ausgangspunkt nicht auf, denn sie stellt nach wie vor auf das "Anstandsgefühl" (!) "aller billig und gerecht Denkenden" ab. Mit den Grundsätzen verfassungs konformer Gesetzesauslegung ist es indes unvereinbar, die Strafbarkeit auf reine Moralwidrigkeiten zu stützen, mag auch der Gesetzgeber gegenteiliger Auffassung gewesen sein (a.A. offenbar Roxin, JuS 1964, 379: an der Strafbarkeit de lege lata sei nicht zu rütteln). 28 Zutr. Stratenwerth, AT, RN 374ff. Vg!. auch Schmidhäuser, StuB AT, 5/120, der die ratio in dem "Schutz der Menschenwürde" erblickt. - Ähnlich läßt sich auch argumentie-

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Betracht. Die Schranke der "guten Sitten" kann daher, wenn überhaupt, frühestens dort eingreifen, wo die Gefahr der Verhängung einer langen Freiheitsstrafe besteht. Zweitens stellt sich, wenn keine wirksame Disposition des Haupttäters über seine persönliche Integrität vorliegt, immer noch die weitere Frage, ob sich das an den Teilnehmer gerichtete Verbot unter Berücksichtigung von dessen Handlungsfreiheitsinteressen einerseits und des Integritätsinteresses des Haupttäters andererseits in eine verfassungskonforme allgemeine Verhaltensordnung einfügen würde 29 . Dies ist zumindest dann sehr zweifelhaft, wenn die drohenden Gefahren, etwa bei Bagatelldelikten, relativ geringfügig sind und der Haupttäter sie ohne weiteres, womöglich sogar besser als aus Teilnehmersicht, selbst erkennen könnte.

b) Wo genau diese Grenze liegt, mag indes offen bleiben. Denn jedenfalls bleiben Fälle denkbar, in denen ein an den Teilnehmer gerichtetes Handlungsverbot akzeptabel erscheinen könnte: Eine völlig "defektfreie" Disposition des Haupttäters über seine Integrität liegt schon dann nicht mehr vor, wenn er die diesbezügliche Gefährlichkeit nicht in vollem Umfang kennt, sondern nur kennen könnte 30 ; und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfte durch ein Handlungsverbot wohl kaum verletzt sein, wenn der Teilnehmer die dem offenkundig ahnungslosen, ihm intellektuell unterlegenen Haupttäter drohenden, in concreto schwerwiegenden Folgen ohne weiteres überblickt. Sind damit aber Fälle denkbar, in denen eine (teilnehmer-) verhaltensnormrelevante und damit dem Teilnehmer zurechenbare Gefährdung der Integrität des Haupttäters gegeben ist, so ist auch ein Strafrahmen, der an der Kumulation zweier verletzter Rechtsgüter ausgerichtet ist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Fehlt eine dem Teilnehmer zurechenbare Gefährdung jenes zweiten Rechtsguts, so muß lediglich im Wege verfassungskonformer Auslegung darauf geachtet werden, daß die Strafe stets entsprechend unter der Strafrahmenobergrenze bleibt und daß Bagatellfälle, deren Tatschuldgehalt nicht das der Strafrahmenuntergrenze entsprechende Minimum erreicht, nicht sanktionsnormrelevant sein können und daher straflos bleiben; insofern kann auf die Ausführungen zu 2. verwiesen werden. Es handelt sich mithin wiederum nicht um ein zwingendes Argument, sondern allenfalls um ein Indiz gegen den Unrechts- und Schuldverstrickungsgedanken. 4. Durchgreifende Bedenken gegen den U nrechts- bzw. Schuldverstrickungsgedanken ergeben sich indes aus einer anderen Überlegung: ren, wenn man die Einwilligungsproblematik auf eine Konfliktslage zwischen individueller Dispositionsbefugnis und öffentlichem Interesse an der Erhaltung des Rechtsgutsobjekts zurückführt (so neuerdings wieder Weigend, ZStW 98 [1986], 54ff. mit Darstellung des Diskussionsstands). 29 Allgemein dazu und zu den relevanten Kriterien oben § 2 C. I. 30 Zutr. M.-K. Meyer, Autonomie, 198ff.

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a) Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Erkenntnis, daß - einmal unterstellt, die (Teilnahme-)Verhaltensnormen dienten auch dem Schutz des Haupttäters vor Unrechts- und Schuldverstrickung - die Teilnahmetatbestände angesichts ihrer am Täterdelikt orientierten Strafrahmen keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Sanktionsnormen wären. Denn selbst wenn man dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Strafrahmenbildung einräumt 31 , ist dieser Spielraum jedenfalls dann überschritten, wenn man folgende zwei Punkte zusammennimmt: (1) Wenn das Gesetz für die Anstiftung den gleichen Strafrahmen vorsieht wie für die Täterschaft, dann muß es (vom Boden der Schuld- oder Unrechtsteilnahmelehre aus gesehen) davon ausgehen, daß der in dem Angriff auf jene Rechtsgüter liegende, dem Anstifter zurechenbare Unwert wegen des Fehlens der Täterschaftsvoraussetzungen in bestimmtem Maße gemindert ist und dieses Minus durch die U nrechts- und Schuldverstrickung wieder ausgeglichen wird. Dieses auszugleichende Minus verhält sich proportional zu der Schwere der Deliktsart, da es bei allen Delikten durch den gleichen Umstand, nämlich das Fehlen der Täterschaftsvoraussetzungen, bewirkt wird. Folglich muß sich auch die Schwere der dem Anstifter zurechenbaren Unrechts- und Schuldverstrickung wenigstens in etwa proportional zu der Schwere der Deliktsart verhalten, zu der angestiftet wird, weil sonst der Strafrahmen willkürlich wäre. Erstreckt man den Unrechts- und Schuldverstrickungsgedanken auch auf die Beihilfe, gelten entsprechende Überlegungen auch für sie, weil dort der Strafrahmen lediglich durch feste, abstrakte Regeln (§ 49 I) gesenkt ist. Die notwendige Proportionalität besteht jedoch nicht 32 . Am ehesten könnte man sie noch bejahen, soweit es nur um die Schwere der zu erwartenden Strafe geht. Doch wird auch schon das Gewicht dieses Aspekts erheblich dadurch relativiert, daß die prozessuale Beweisbarkeit der Tat und damit der Wahrscheinlichkeitsgrad t;iner Bestrafung sehr unterschiedlich sein kann. Auch die Minderung des sozialen Ansehens und die Behinderung des beruflichen Fortkommens hängen oft nicht von der Schwere der Deliktsart ab; man denke etwa an das Phänomen, daß die Allgemeinheit manche Straftaten abweichend von der gesetzlichen Wertung als "Kavaliersdelikte" ansieht. Vollends deutlich wird die mangelnde Proportionalität, wenn man bedenkt, daß Grad und Gerahrlichkeit der sozial desintegrierenden Wirkung maßgeblich auch von der Persönlichkeit des Haupttäters abhängen. Hier reicht die Skala von der Anstiftung eines psychisch labilen, dazu noch in materiellen Schwierigkeiten befindlichen Täters, für den der einfache Diebstahl geringwertiger Sachen (für 31 Vgl. etwa BVerfGE 45,187 (276f.); besonders deutlich BVerfGE 50,125 (140) mit der ergänzenden Bemerkung, die Festlegung des Strafrahmens beruhe "auf einem nur in Grenzen rational begründ baren Akt gesetzgeberischer Wertung", und das Grundgesetz gestehe "dem Gesetzgeber bei der Normierung von Strafdrohungen einen weiten Gestaltungsspielraum zu". 32 Im Ergebnis ebenso Jährig, 29; Lange, Teilnahme, 42; Otto, Lange-Festschr., 203; wohl auch Gallas, Beiträge, 104; a.A. Lüderssen, Strafgrund, 56 FN 54.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

den Anstifter durchaus voraussehbar) zum Einstieg in eine "kriminelle Karriere" wird, bis hin zum charakterlich gefestigten Konfliktstäter, der in einer sich kaum wiederholenden psychischen Ausnahmesituation keinen legalen Ausweg mehr sieht. (2) Der zweite Punkt ergibt sich daraus, daß die Teilnahmenormen, soweit sie vor Verstrickung in Unrecht und Schuld schützen sollen, der Sache nach abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen würden. Dafür ist unerheblich, ob man von einem eigenständigen Schutzgut der "Freiheit von Unrechts- und Schuldverstrickung" spricht, das durch eine erfolgreiche Anstiftung nicht nur gefährdet, sondern verletzt wird. Es würde sich dabei nämlich nur um ein "Zwischenrechtsgut"33 handeln, das seine Schutzwürdigkeit allein aus der Schutzwürdigkeit der dahinterstehenden "Endrechtsgüter" (Freiheit von Bestrafung, Behinderung im beruflichen Fortkommen usw.) bezieht. Zwar steht es dem Gesetzgeber frei, bestimmte Rechtsgüter mit dem erhöhten Schutz durch abstrakte Gefährdungstatbestände auszustatten, doch müssen ihm dabei stets sachliche Gründe zur Seite stehen, die die jeweilige Sanktionsnorm vor den Verfassungsprinzipien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Gleichbehandlungsgebots rechtfertigen 34 • Diesen Anforderungen halten aber die Teilnahmetatbestände in zweifacher Hinsicht nicht stand, wenn man sie im Sinne der Unrechts- und Schuldteilnahmelehre auslegt: Zum einen ist keine so herausragende Präventionsbedürftigkeit ersichtlich, daß ein Schutz durch bloße Verletzungsdelikte nicht ausreichend erschiene. Der besondere Rang des Schutzguts (wie z. B. bei dem Rechtsgut Leben im abstrakten Gefährdungstatbestand des § 306) kann es nicht sein, da hier sogar Fälle der Bagatellkriminalität einbezogen sind, in denen dem Haupttäter höchstens eine geringfügige Geldstrafe und nicht einmal eine Eintragung im Bundeszentralregister droht. Auch eine besondere Schutzlosigkeit des Opfers (wie sie z. B. in den Fällen des § 142 gegeben ist) kommt hier nicht in Betracht, weil die Gefährdung für den Haupttäter in aller Regel erkennbar ist und er sie durch Unterlassen der Straftat selbst abwenden kann. Zum anderen wäre zwar die Pönalisierung der Veranlassung fremder Selbstgefährdung keine Besonderheit der Teilnahmenormen. So macht sich z. B. derjenige nach § 212 oder § 222 strafbar, der einen anderen zu einer dessen eigenes Leben gefährdenden Handlung mit tödlichem Ausgang veranlaßt, falls nicht im Einzelfall eine wirksame Disposition des Opfers über sein Rechtsgut Leben vorliegt. Dabei handelt es sich aber um ein Verletzungsdelikt; insbesondere die folgenlose fahrlässige Veranlassung bleibt straflos. Ein sachlicher Grund dafür, bei der Verstrickung in Unrecht und Schuld, die stets minder wertvolle Rechtsgüter als das Leben und oft nur Vermögenswerte (geringfügige, nicht ins Register einzutragende Geldstrafe!) tangiert, schon jede folgenlose Fahrlässigkeit zu sanktionieren, ist nicht ersichtlich. 33 34

Vgl. dazu etwa Wolter, Zurechnung, 328f. m. w. N. Allgemein dazu oben S. 82ff.

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(b) Als Zwischenergebnis bleibt damit festzuhalten, daß die Teilnahmetatbestände des StGB keine geeigneten Sanktionsnormen zur Strajbewehrung von Verhaltensnormen darstellen, die auch dem Schutz vor Unrechts- und Schuldverstrickung dienen. Hieraus - und erst hieraus -läßt sich nun ein Rückschluß auf die Verhaltensnormebene ziehen: Gibt es keine Sanktionsnorm, die zur Strafbewehrung einer den Verstrickungsgedanken einbeziehenden Verhaltensnorm dienen kann, so gibt es auch keinen Anhaltspunkt mehr für die Existenz einer solchen Verhaltensnorm. Und an dieser Stelle der Überlegungen erweist sich dann auch die (relative) Berechtigung der zuvor (unter 1. - 3.) erörterten Einwände: Sie zeigen ebenfalls Indizien gegen die Existenz solcher Verhaltensnormen auf. Nimmt man all dies zusammen, ist die Schlußfolgerung berechtigt, daß die Verhaltensnormen, die die Teilnahme verbieten, nicht (auch) dem Schutz des Haupttäters dienen. B. Die Unrechtsteilnahmelehre i.S.v. Otto u.a. Ob ein bestimmter Autor dieser Lehre anhängt, ist oft schwierig festzustellen, weil weitgehend eine ähnliche Terminologie verwendet wird, wie sie die Vertreter der Lehre von der "Zurechnung fremden Unrechts" (z. B. Bloy; dazu oben § 2 C. III. 2) gebrauchen. Zudem finden sich Ausführungen über die Einordnung in das Verhaltens- und Sanktionsnormensystem eher bei ihren Kritikern! als bei den Befürwortern. Ich werde daher vorweg (I.) auf diese Grundlagenproblematik, sodann auf die Ausprägungen dieser Lehre im Schrifttum (11.) und ihre kritische Würdigung (III.) eingehen. I. Die normentheoretischen und dogmatischen Grundlagen dieser Lehre

Betrachtet man zunächst das Täterdelikt, so bewirken sowohl der Verhaltensunwert (einschließlich des in der Vorsätzlichkeit liegenden Intentionsunwerts) als auch der Erfolgsunwert jenen vertrauenserschütternden Eindruck in der Allgemeinheit, der die Sanktionsbedürftigkeit i. S. d. Generalprävention begründet. Wichtig ist, daß die .(Täter-)Verhaltensnormen nur Verhaltensweisen verbieten, die für bestimmte Rechtsgutsobjekte gefahrlich sind; folglich kann auch nur die Vorstellung, ein Rechtsgutsobjekt zu beeinträchtigen, vorsatzbegründend wirken, und nur die Gefahrdung oder Verletzung eines Rechtsgutsobjekts kann einen Erfolgsunwert ausmachen. Verhaltensweisen, die auf andere Art das Vertrauen der Allgemeinheit in den Geltungswert des jeweils geschützten Rechtsguts (i. S. v. abstraktem Rechtswert) erschüttern können - etwa indem sie lediglich den äußeren Anschein erwecken, sie seien für ein Rechtsgutsobjekt objektiv gefährlich und vorsätzlich begangen -, sind von den jeweiligen Verhaltensnormen (auch damit auch von den Sanktionsnormen) nicht erfaßt. 1 Siehe vor allem Küper, GA 1974, 323 ff.; Lüderssen, Strafgrund, 50ff.; Plate, ZStW 84 (1972),297ff.

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Für den "Normalfall" der Teilnahme (an vollendeter Tat) ergibt sich eine weitgehend parallele Bewertung: Durch sein Verhalten begründet der Teilnehmer vorsätzlich die Gefahr für ein Rechtsgutsobjekt (und zwar für dasselbe, das auch durch das Täterverhalten bedroht wird), und diese Gefahr realisiert sich in der Gefährdung oder Verletzung eben jenes Rechtsgutsobjekts. Der damit beschriebene Verhaltens- und Erfolgsunwert erschüttert das Vertrauen der Allgemeinheit in den Geltungswert des (abstrakten) Rechtsguts und begründet so die Sanktionsbedürftigkeit. Gleichzeitig aber - und das ist die Besonderheit der Teilnahme - bewirkt das Teilnehmerverhalten (mittelbar) eine zusätzliche Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit dadurch, daß es außerdem das vorsätzlich-pflichtwidrige Haupttäterverhalten (das unmittelbar vertrauenserschütternd wirkt) mit herbeiführt; insoweit hat das Teilnehmerverhalten also eine vertrauenserschütternde Komponente, welche nicht im Herbeiführen einer Rechtsgutsobjektsbeeinträchtigung besteht. Trotzdem - so die Unrechtsteilnahmelehre - bezwecken die Teilnahmeverhaltensnormen (auch) die Verhinderung dieser zweiten Komponente, und der in ihr liegende Unwert wird durch die Teilnahmebestrafung (mit-) sanktioniert. Üblicherweise spricht man zur Beschreibung dieser zweiten Komponente von einer "Störung des Rechtsfriedens" 2 , des "sozialen Friedens" 3 , der "öffentlichen Rechtsordnung"4 oder der "empirischen Geltung der Rechtsordnung" 5 • Diese Formulierungen sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich in der Sache nur um die gleiche Art von vertrauenserschütterndem Eindruck handeln kann, auf dem auch die generalpräventive Sanktionsbedürftigkeit der erstgenannten Komponente sowie die des täterschaftlichen Unwerts beruht 6 •

Dieser Unrechtsteilnahmegedanke - also die Anerkennung jener zweiten Komponente als eines verbots- und strafbarkeitsbegründenden teilnehmerschaftlichen Unwerts - hat durchaus "praktische" Konsequenzen in dem Sinne, daß in bestimmten Konstellationen strafbewehrte teilnehmerschaftliche Verhaltenspflichten existieren können, in denen man sie sonst verneinen müßte: Und zwar handelt es sich erstens um die Konstellation des "agent provocateur", in der der Teilnehmer zu einem, wie er weiß, ungefahrlichen Haupttäterverhalten beiträgt. Hier tritt jene zweite Komponente gleichsam in "isolierter" Form auf, denn ein Rechtsgutsobjekt wird weder objektiv noch nach der Vorstellung des Teilnehmers gefährdet. (Natürlich muß dies nicht heißen, daß die Bejahung eines strafbewehrten Verbots in dieser Konstellation zwingend wäre; vielmehr hängt dies von der weiteren Frage ab, ob die UnrechtsteilnahmeKomponente schon für sich allein oder nur in Verbindung mit der ersten verbots- und strafbarkeitsbegründend sein kann.) Küper, GA 1974, 330; Dtto, Lange-Festschr., 208. Bloy, Beteiligungsform, 209; Lüderssen, Strafgrund, 51. 4 Glaser, Schriften I, 122. 5 Plale, ZStW 84 (1972), 302. 6 Zutr. etwa Dtto, Lange-Festschr., 208; Plale, ZStW 84 (1972),302; wohl auch Bloy, Beteiligungsform, 209. 2

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Zweitens geht es um die Fälle, in denen der Teilnehmer glaubt, das gefährdete Rechtsgutsobjekt sei (auch) ihm selbst gegenüber geschützt (z. B. die zu zerstörende Sache gehöre einem Dritten), während dies objektiv nicht so ist (sie gehört ihm selbst). Da die Teilnehmerhandlung nicht zum Schutz einer eigenen Sache des Teilnehmers verboten ist, kann der Verletzungseintritt keine Realisierung der auf ein Rechtsgutsobjekt bezogenen verhaltensnormrelevanten Gefährlichkeit des Teilnehmerverhaltens darstellen, so daß an sich nur eine versuchte Teilnahme vorläge. Eine Vollendungsstrafbarkeit kann man allenfalls mit dem Argument begründen, der Verletzungseintritt sei immerhin dem Täter als Erfolgsunwert zurechenbar, und der Teilnehmer habe daher durch die Mitverursachung fremden Handlungs- und Erfolgsunrechts einen besonders schwerwiegenden vertrauenserschütternden Eindruck bewirkt. Drittens schließlich sind die Fälle betroffen, in denen der Teilnehmer bewußt an der Verletzung seines eigenen Rechtsgutsobjekts mitwirkt, ohne daß hierin aber eine wirksame Disposition über das Rechtsgutsobjekt liegt (Beispiel: er stiftet den Täter an, ihn - den Teilnehmer - in einer gern. § 226a nicht einwilligungsfähigen Weise zu verletzen). Da die Verhaltensnormen nur die Verletzungfremder Rechtsgutsobjekte verbieten (auch die Täternormen verbietenja keine nicht-einwilligungsfähigen Selbstverletzungen des Täters), wäre das Verhalten des Teilnehmers erlaubt; Verbot und Strafbarkeit ließen sich wiederum nur mit dem Hinweis auf die Mitverursachung eines fremden Handlungsund Erfolgsunwerts begründen. 11. Die Ausprägungen dieses Gedankens im Schrifttum

1. Der geschilderte Unrechtsteilnahmegedanke findet sich auch schon in der älteren Literatur. Bereits in der Zeit vor dem RStGB wurde er von Glaser 7 dargestellt, jedoch im Ergebnis verworfen. Recht deutlich kommt er ferner in der Bemerkung Zimmerls 8 zum Ausdruck, durch die (schuldhafte) Haupttat werde "nicht nur das besondere Rechtsgut beeinträchtigt, gegen welches sie sich richtet, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung auf das Zwingende der staatlichen Vorschriften erschüttert, und zwar in dem Maße der Schuldhaftigkeit der Handlung". Zimmerl mißt diesem Aspekt allerdings nur eine geringe Bedeutung bei und will ihn allenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigt WIssen. 2. In der neueren Literatur läßt sich nur die Lehre OUos eindeutig dieser Richtung zuordnen. Er greift die Kritik Lüderssens an seinen Thesen auf und betont, letztlich sei auch die Täterschaft - ebenso wie die Teilnahme - "Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut" und damit zugleich "Störung des Rechtsfriedens" (d. h. "jener Vertrauensgrundlage innerhalb einer Rechtsgesellschaft, die 7 8

Schriften I, 122. ZStW 49 (1929), 51f.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

soziales Miteinander überhaupt erst ermöglicht")9. Die Gefährdung der Vertrauensgrundlage durch den Täter sei eine "unmittelbare", weil dieser die letzte Entscheidung über das Ob und Wie der Tat habe, die Gefährdung durch den Teilnehmer nur eine mittelbare, unselbständige lO • Mit dieser "mittelbaren Gefährdung" kann nicht gemeint sein, daß auch der Teilnehmer eine ihm in gleicher Weise wie dem Täter zurechenbare Rechtsgutsobjektsverletzung anstrebt und gegebenenfalls bewirkt, denn Otto verlangt zwar den auf den Eintritt einer Rechtsgutsobjektsverletzung gerichteten Vorsatz des Teilnehmers (was zur Straflosigkeit des agent provocateur führt)l1; doch braucht nur das abstrakte Rechtsgut als solches, nicht aber das konkrete angegriffene Rechtsgutsobjekt auch dem Teilnehmer gegenüber geschützt zu sein. Dies kommt deutlich zum Ausdruck in seinen Ausführungen über die (Teilnahme-) Strafbarkeit des Tatopfers. Keine Bedenken hat Otto gegen eine Bestrafung des Teilnehmers an einer gegen ihn selbst gerichteten, gemäß § 226a nicht einwilligungsfähigen Körperverletzung l2 . Im übrigen scheitert die Strafbarkeit des Tatopfers nach seiner Auffassung nicht schon daran, daß es kein konkretes, ihm selbst gegenüber geschütztes Rechtsgutsobjekt angreift; vielmehr sollen für einzelne Gruppen von Tatbeständen unterschiedliche Erwägungen maßgebend sein: Ist wie z. B. bei den Sexualdelikten und beim Wucher eine Einwilligung des Opfers wegen seiner mangelnden persönlichen Reife oder wegen der tatbestandlich vorausgesetzten besonderen Zwangslage irrelevant, so muß nach Ansicht Dttos die Teilnahme des Opfers straflos bleiben, weil es "grob inkonsequent" wäre, "dem Willen dieses Schutzbedürftigen in bezug auf eine Teilnahmehandlung volle rechtliche Relevanz beizumessen"13. Die Teilnahme des zu Tötenden an der Tötung auf Verlangen hält er für straflos, da eine Strafdrohung in soIchen Fällen ohnehin keine Motivationskraft entfalten könnte l4 .

Diese Thesen sind, wie bereits oben (I.) ausgeführt, nur mit dem Unrechtsteilnahmegedanken erklärbar. 3. Eine im Grundansatz (nicht aber in den Einzelergebnissen) ganz ähnliche Lehre wird neuerdings von Schumann 15 verfochten. Ausgehend von einem strikt angewandten normativen Regreßverbotsgedanken 16 kann nach seiner Ansicht der Unwertgehalt, der in dem mittelbar über den Haupttäter geführten Angriff auf ein konkretes Rechtsgutsobjekt liegt, für eine Qualifizierung des Teilnehmerverhaltens als strafrechtliches Unrecht nicht ausreichen, eben weil der einzelne 9 Lange-Festschr., 208; ganz ähnlich auch in AT, 264; ausführlicher in ZStW 87 (1975), 554ff., 562. 10 AT, 264f.; JuS 1982, 558; Lange-Festschr, 209f. 11 Lange-Festschr.,215f. 12 Lange-Festschr., 213. 13 Lange-Festschr., 211. 14 Lange-Festschr., 212f. 15 Handlungsunrecht, 49ff. - Zu den früher von ihm vertretenen Thesen siehe unten § 5 B. 1. 2. 16 Näher dazu und zu den Konsequenzen für den Täterbegriff unten § 7 A. 1.

§ 3: Die Schuld- u. Unrechtsteilnahmelehren

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prinzipiell nur die unmittelbar aus seinem eigenen Verhalten resultierenden Gefahren, nicht aber auch die mittelbar, d. h. aus einem verantwortlichen Handeln Dritter entspringenden Gefahren in Rechnung zu stellen habe. Es müsse daher ein weiteres Unwertelement hinzukommen. Dieses erblickt er in dem "besonderen Aktunwert" der Teilnahmehandlung, "der sie als ein für die Rechtsgemeinschaft ,unerträgliches Beispiel' erscheinen läßt". Sie bilde nämlich "als ,betätigter Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung' eine sozialpsychologische Gefahr für die Geltungskraft des Rechts ... und (sei) geeignet ... , das Gefühl gesicherten Rechtsfriedens zu erschüttern, (stelle) also ein für die Gemeinschaft ,unerträgliches Beispiel' dar. .. "17. Schumann verneint zwar eine Strafbarkeit wegen (vollendeter) Teilnahme beispielsweise dann, wenn der Haupttäter ein eigenes Rechtsgutsobjekt des Teilnehmers verletzt, doch liegt dies, wie er selbst hervorhebt, lediglich daran, daß nach seiner Ansicht erst beide Unwertelernen te - der (mittelbare) Angriff auf ein Rechtsgutsobjekt und der" besondere Aktunwert" - gemeinsam das Teilnahmeunrecht begründen können 18. Im übrigen konkretisiert er seinen Ansatzl9 in der Weise, daß er den "besonderen Aktunwert" als "Solidarisierung" des Teilnehmers mit dem Haupttatunrecht beschreibt, die bei der Anstiftung in einer Aufforderung zur Tat liegen soll, bei der Beihilfe darin, daß diese vom "gewöhnlichen Gang des Lebens abweicht" und daher nicht mehr auf ein anderes vernünftiges Motiv als das der Tatunterstützung zurückgeführt werden kann; dementsprechend legt er die Teilnahmetatbestandsmerkmale "bestimmen" und "Hilfe leisten" sehr restriktiv aus, was hier aber nicht weiter verfolgt werden soll.

4. Vermutlich vertrat auch Stratenwerth früher den Unrechtsteilnahmegedanken. Er begründete die Strafbarkeit des agent provocateur mit dem Hinweis, auch dieser wolle, "daß ein anderer Unrecht tue; und vom gewöhnlichen Anstifter unterscheidet er sich nur dadurch, daß ein ,unselbständiges Teilmoment' vollen Unrechts, die Rechtsgüterverletzung, fehlen soll"20. Da gerade in dieser Konstellation der Strafgrund ganz offensichtlich nur in der Mitverursachung des vertrauenserschütternden Eindrucks der Haupttäterhandlung liegen kann - andere negative Auswirkungen kann ja die veranlaßte oder geförderte Haupttäterhandlung nicht haben - , dürfte die Schlußfolgerung berechtigt sein, daß Stratenwerth unausgesprochen den Unrechtsteilnahmegedanken zugrunde legen wollte. Inzwischen scheint er allerdings von dieser Position abgerückt zu sein. Zwar bezeichnet er jetzt seine soeben zitierten Ausführungen lediglich als "mißverständlich"21. Andererseits aber wendet er sich gegen die Schlußfolgerung, seine Lehre bewirke, daß "ganz allgemein die ,Störung des sozialen Friedens' geahndet werde, nicht der Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut"22. "Gerade weil der Teilnehmer dasselbe Rechtsgut angreift wie 17 18 19 20 21 22

Handlungsunrecht, 49f. Handlungsunrecht, 44. Siehe zum folgenden: Handlungsunrecht, 51 ff. MDR 1953, 720. AT, RN 859. AT, RN 859.

8 Stein

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

der Täter, kommt es darauf an, ob dieses Rechtsgut auch ihm gegenüber und nicht nur gegenüber dem Täter geschützt ist."23 Deshalb hält er nunmehr auch den agent provocateur für straflos 24 . 5. Andere Autoren verwenden zwar eine ähnliche Terminologie wie die Vertreter des Unrechtsteilnahmegedankens, dürften aber wohl eher der Lehre von der "Zurechnung fremden Unrechts", wie sie etwa von Bloy vertreten wird (dazu oben § 2 C. III.), zuzuordnen sein. Genannt seien in diesem Zusammenhang: Welp, nach dessen Ansicht der Strafgrund der Teilnahme "nur im Verhältnis zum Täter" gefunden werden kann, und zwar in der Weise, daß der Teilnehmer "vermöge seiner Förderung an dem Handlungsunwert der Haupttat partizipiert"2S; Jescheck, der ausführt, das Teilnahmeunrecht müsse "nach Grund und Maß vom Unrecht der Haupttat abhängig sein"26, jedoch offenbar gar nicht zwischen dem Unrechtsteilnahmegedanken und der Lehre von der Zurechnung fremden Unrechts unterscheidet 27 und heute 28 auch den agent provocateur für straflos hält; schließlich Cramer, der zwar einerseits meint, der Anstifter oder Gehilfe sei wegen Teilnahme an vollendeter (nicht nur versuchter) Tat strafbar, wenn versehentlich dessen eigenes Rechtsgutsobjekt verletzt werde 29 - dies ist, wie oben (I.) näher ausgeführt, nur mit dem Unrechtsteilnahmegedanken erklärbar -, andererseits aber, was, von dem Unrechtsteilnahmegedanken aus gesehen, ganz inkonsequent wäre, das Erfordernis des Haupttätervorsatzes als "rechtspolitischen Mißgriff" bezeichnet 30 .

III. Kritik 1. Ebenso wie gegen die zuvor besprochenen Unrechts- und Schuldteilnahmelehren wird auch gegen den Unrechtsteilnahmegedanken Ottos die gesetzlich festgeschriebene "limitierte Akzessorietät" ins Feld geführt: Nur eine schuldhafte Tat vermöge die empirische Geltung der Rechtsordnung zu beeinträchtigen; die Unrechtsteilnahmelehre müsse daher notwendig zur strengen Akzessorietät führen 31 . Richtig ist daran sicherlich, daß die Allgemeinheit etwa die Tat eines Geisteskranken nicht als Betätigung einer rechtsfeindlichen Gesinnung empfindet, sondern - soweit sie sie nicht etwa der mangelnden Sorgfalt etwaiger Garanten anlastet - als "Schicksalsschlag" wie ein unabwendbares Naturereignis 32 . Doch spricht dies zwingend nur gegen eine ausschließli23 AT, RN 860. 24 AT, RN 889. 2S Vorangeg. Tun, 276ff., 279. 26 AT, 558. 27 Siehe insbes. seine Bemerkung (AT, 558 FN 5) über die Lehren Ottos und Stratenwerths). 28 AT, 560; gegenteilig früher in AT (1. Aufl.), 457. 29 Schönke / Schröder / Cramer, § 26 RN 18 (im Anschluß an Schröder, JR 1958, 428 und Welzel, LB, 116). 30 Schönke / Schröder / Cramer, RN 32 vor § 25. 31 In diesem Sinne bereits Zimmerl, ZStW 49 (1929), 51 f.; ferner Plate, ZStW 84 (1972), 302. 32 Vgl. auch Haffke, Sozialwiss. 111, 175; Roxin, Henkel-Festschr., 186; Streng, ZStW 92 (1980), 654.

§ 3: Die Schuld- u. Unrechtsteilnahmelehren

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che Berücksichtigung der Unrechtsteilnahmekomponente. Sobald diese nur ein zusätzliches Unrechtselement darstellt, ist es unerheblich, daß es in einzelnen Konstellationen nicht vorliegt; insoweit kann ich auf die Ausführungen zum Unrechts- und Schuldverstrickungsgedanken (oben A. II. 2.) verweisen.

2. Vielmehr muß die Kritik tiefer ansetzen, und zwar an dem Unrechtsbegriff, den Ouo und Schumann zugrunde legen. Ganz deutlich wird der Zusammenhang zwischen Unrechtsbegriff und Teilnahmelehre bei Schumann: Das bei der Teilnahme entscheidende unrechtskonstituierende Element ist der Umstand, daß das Teilnehmerverhalten ein "das Gefühl gesicherten Rechtsfriedens erschütterndes ... , für die Gemeinschaft unerträgliches Beispiel" darstellt 33 ; dies ist bei einer funktionalen, Verhaltensnormen und Sanktionsnormen voneinander abschichtenden Betrachtungsweise genau jenes Element, das die Strajbedürftigkeit begründet und damit die Sanktionsnormen legitimiert 34 • Nun soll aber - und das ist hier das Entscheidende - eben jenes Element nicht nur die Sanktionsnormen, sondern zugleich auch schon die (Teilnahme-) Verhaltensnormen legitimieren. Der Gedankengang OUos erscheint, zumindest auf den ersten Blick, komplizierter. Der eigentliche Kern des strafrechtlichen Unrechts liegt nach seiner Ansicht nicht in dem Intendieren und eventuellen Herbeiführen der Rechtsgutsobjektsverietzung, sondern in der durch diesen Rechtsgutsangriff bewirkten Gefährdung der Vertrauensgrundlage der Rechtsgesellschaft (des "Systemvertrauens")35. Strafrechtliche Haftung ist daher für Otto in erster Linie Haftung für den "Vertrauenssschaden", und diese Haftung wird nicht nur durch den Bruch eines in die eigene Person gesetzten Vertrauens ausgelöst, sondern auch schon durch die Mitwirkung anfremdem Vertrauensbruch. Zwar behauptet Otto den spezifischen Zusammenhang seiner Teilnahmelehre mit seiner Unrechtskonzeption nicht ausdrücklich; dieser wird aber recht klar, wenn man die bereits zitierten Ausführungen (oben II. 2) zusammen mit seinen Bemerkungen zu § 28 betrachtet: Die herrschende Meinung, die nur "täterbezogene" Merkmale unter § 28 subsumiere, führe "zu einer Begrenzung der Akzessorietät auf das Unrecht, das in der Rechtsgüterverletzung seinen Ausdruck findet, während die Haftung für den darüber hinausgehenden Vertrauensschaden beschränkt" werde; das erscheine "wenig sachgerecht, wenn - wie es hier geschehen ist - der Vertrauensschaden als der primäre, sozialgefährliche Schaden erkannt wird". Deshalb sieht Otto als "besondere persönliche Merkmale" i. S.d. § 28 nur solche an, die "besondere Pflichtenpositionen" beschreiben 36 •

Aus der Grundthese Otlos, es gehe dem Strafrecht um die Sicherung des "Systemvertrauens", lassen sich nun aber unmittelbar weder weitere Schlußfolgerungen für die Teilnahmelehre ziehen, noch kann man sie an den im Rahmen Handlungsunrecht, 49 f. Allgemein dazu oben § 2 C. 11. 35 ZStW 87 (1975), 539ff., insbes. 557, 562. Kritisch dazu Mylonopoulos, Verhältnis, l11ff. m.w.N. 36 AT, 239; ZStW 87 (1975), 596. 33

34

8'

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

der verfassungsrechtlichen und normentheoretischen Vorüberlegungen (oben § 2 C.) entwickelten Grundsätzen über Zweck und Legitimation der Strafe messen. Dies alles ist vielmehr erst möglich, wenn man den Begriff "Systemvertrauen" in seine beiden Elemente zerlegt: Erstens geht es um das System, auf dessen Funktion vertraut werden soll, also - mit den Worten Ottos - die Gesamtheit der "Regeln des Zusammenlebens"37, kurz: das Verhaltensnormensystem. Und wenn ich Otto recht verstehe, will er gar nicht leugnen, daß Inhalt dieser Regeln Gefahrdungsverbote, d.h. Verbote übermäßiger Gefährdungen von Rechtsgutsobjekten anderer Personen, sind. Das zweite Element des Begriffs ,,systemvertrauen" ist das Vertrauen in das Funktionieren jenes (Verhaltensnormen-) Systems. Dieses Vertrauen wird durch die Verletzung einer Verhaltenspflicht erschüttert, und es soll durch die - mittels des Sanktionsnormensystems geregelte - Bestrafung re stabilisiert werden. a) Zunächst also - und darin unterscheidet sich weder die Lehre Schumanns noch die OtlOS von der hier vertretenen Grundposition - muß es darum gehen, ob das bei der Teilnahme auftretende besondere Unwertelement (worin es auch immer im einzelnen liegen mag) überhaupt verhaltenspjlichtbegründend wirken kann, und dies wiederum setzt voraus, daß es auf den Gesichtspunkten der Gefahrlichkeit für Rechtsgutsobjekte zurückgeführt werden kann. Diese Anforderung erfüllt nun aber weder die "Unrechts teilnahme-Komponente" i. S. der Lehre Ottos (dazu bereits eingehend oben 1.). noch der Aspekt der Solidarisierung, auf den Schumann abhebt, denn diese Solidarisierung besteht ja eben nur in einer (konkludenten oder ausdrücklichen) Stellungnahme zu einer Rechtsgu tso bjektsgefahrd ung. Freilich wäre gegen diese Kritik noch ein Gegeneinwand denkbar. Sowohl die Unrechtsteilnahme-Komponente des Teilnehmerverhaltens, wie sie in gleichsam "isolierter" Form insbesondere im Verhalten des agent provocateur auftritt (dazu oben 1.), als auch der Solidarisierungsaspekt i. S. d. Lehre Schumanns erfassen, so könnte man argumentieren, in einem sehr weiten Sinne durchaus Gefahren für Rechtsgutsobjekte, insofern nämlich, als durch die (Mit-) Verursachung des fremden normwidrigen Verhaltens bzw. die Solidarisierung damit das Vertrauen in die Normgeltung erschüttert und dadurch wiederum andere Personen veranlaßt werden könnten, künftig konkrete Rechtsgutsobjekte anzugreifen. Die entscheidende Frage ist also, ob diese in dem Teilnehmerverhalten liegende Gefahrlichkeit für Rechtsgutsobjekte geeignet ist, ein Verhaltensverbot zu legitimieren. Die Frage zu stellen heißt, sie zu verneinen. Die Möglichkeit, daß auf dem beschriebenen Weg Rechtsgutsobjekte beeinträchtigt werden, ist eine rein "statistische", d. h. die Rechtsgutsobjektsverletzungen sind (ex ante) nicht näher konkretisierbar, und ihre Zahl ist ungewiß. Eine dergestalt vage Möglichkeit zur Legitimation einer Verhaltenspflicht heranzuziehen, würde eine unverhältnismäßig weit gehende Einschränkung der Verhaltensfreiheit bedeuten. 37

ZStW 87 (1975), 554f.

§ 3: Die Schuld- u. Unrechtsteilnahmelehren

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Übrigens ist es (u. a.) gerade dieses letztere Argument, mit dem Schumann das Prinzip der Selbstverantwortung - also die These, man brauche ein mögliches pflichtwidriges Verhalten anderer nicht in Rechnung zu stellen - zu begründen sucht 38 • Er leugnet also einerseits die (alleinige) verbots begründende Wirkung der in der Teilnahmehandlung liegenden (mittelbaren) Gefährlichkeit für das konkrete Rechtsgutsobjekt, weil sich künftiges menschliches Verhalten "letztlich exakter Berechenbarkeit entziehe", um dann andererseits den Solidarisierungsaspekt als verbotsbegründend heranzuziehen, dessen Unwertgehalt in einer noch viel weniger exakt berechenbaren Gefährlichkeit liegt.

Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten: Auch die Teilnehmerverhaltensnormen verbieten also (ganz parallel zu den Täterverhaltensnormen) nur Angriffe auf konkrete Rechtsgutsobjekte; weder die Unrechtsteilnahme-Komponente i. S. der Lehre Ottos noch der Solidarisierungsunwert i. S. d. Lehre Schumanns vermögen Verhaltenspflichten (mit) zu legitimieren. b) Für die Teilnahmesanktionsnormen hat dies in zweierlei Hinsicht Bedeutung: (1) Zunächst einmal folgt aus dem Tatschuldprinzip 39, daß ein Teilnahmeverhalten nur dann strafbedroht sein kann, wenn es einen Angriff auf ein konkretes Rechtsgutsobjekt darstellt; insbesondere ist der agent provocateur straflos. Ferner können weder die Unrechtsteilnahme-Komponente noch der Solidarisierungsunwert den Tatschuldgehalt des Teilnahmeverhaltens erhöhen, da sie die Verhaltenspflicht und damit auch den Verhaltensunwert nicht rnitbegründen. (2) Hinsichtlich der Lehre Ottos kommt noch ein zweiter Gesichtspunkt hinzu. Der Zweck der Teilnahmesanktionsnormen kann allein darin liegen, künftige Angriffe auf konkrete Rechtsgutsobjekte zu verhindern, nicht aber in der Verhinderung künftigen agent-provocateur-Verhaltens. Zur Erreichung dieser Präventionswirkung wäre aber eine auf die Verwirklichung der Unrechtsteilnahmekomponente gegründete Strafe, insbesondere eine Bestrafung des agent provocateur, gar nicht geeignet: Das Bedürfnis spezialpräventiver Einwirkung begründet die Herbeiführung eines fremden Verhaltensunwerts ohnehin schon deshalb nicht, weil in dem hierauf gerichteten Willen kein Wille zur Verletzung eines Rechtsgutsobjekts liegt und der Betreffende damit seinen Willen nicht im Widerspruch zu Verhaltensnormen gebildet hat; sein Verhalten ist somit kein Indiz dafür, daß er künftig tatsächlich Rechtsgutsobjekte angreifen wird. Aber auch eine generalpräventive Wirkung der Pönalisierung scheidet aus, und zwar in beiden in Betracht kommenden Richtungen: Erstens kann die Pönalisierung nicht den Zweck erfüllen, künftigen Teilnahmehandlungen anderer Personen an erkanntermaßen tauglichen Haupttatversuchen vorzubeugen. Denn die begangene Haupttat ist ja untauglich, und der "Teilnehmer" weiß dies, so daß seine Handlung insofern gar kein "böses Beispiel" gibt, das ein 38 39

Handlungsunrecht, 5. Grundsätzlich zu diesen Zusammenhängen oben § 2 C. Il. 2.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Präventionsbedürfnis begründen könnte. Und zweitens hat zwar der Haupttäter durch die Betätigung seiner normwidrigen Intention das Vertrauen der Allgemeinheit in die Normgeltung erschüttert und dadurch die Gefahr weiterer derartiger Angriffe heraufbeschworen, und der "Teilnehmer" hat zur Schaffung dieser Gefahr beigetragen. Doch liegt diese Gefahr gerade darin, daß andere die normwidrige Willensbildung des Haupttäters zum Vorbild nehmen könnten; nur er nimmt ja eine Handlung mit dem Willen vor, ein Rechtsgutsobjekt zu verletzen. Folglich kann jener Gefahr auch nur dadurch begegnet werden, daß der Haupttäter bestraft und dadurch seine Willensbetätigung als normwidrig deklariert wird. C. Zusammenfassung Die Lösung der Beteiligungsfonnenproblematik ist auf dem Boden der Verursachungslehren zu suchen, denn die Schuld- und Unrechtsteilnahmelehren vennögen nicht zu überzeugen. I. Selbst wenn die Teilnahmeverhaltensnonnen (auch) dem Schutz des Haupttäters vor "Verstrickung in Unrecht (und Schuld)" dienten, wären die Teilnahmetatbestände des StGB nicht geeignet, den hierin liegenden Unwert eines Teilnahmeverhaltens zu vertatbestandlichen, denn erstens werden die an den Täterdelikten orientierten Strafrahmen diesem Unwertgehalt nicht gerecht, und zweitens ist eine besondere Präventionsbedürftigkeit, die die Bestrafung der bloß abstrakten und oft geringfügigen Gefährdung des Haupttäters tragen könnte, nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde und weil zahlreiche weitere Indizien (dazu oben A. 11. 1. - 3.) dagegen sprechen, ist davon auszugehen, daß auch schon die Verhaltensnonnen nicht den Schutz des Haupttäters bezwecken.

11. Eine andere, heute jedenfalls von Otto vertretene Unrechtsteilnahmelehre besagt, daß das Teilnahmeunrecht (zumindest auch) darin liegt, daß der Teilnehmer das Haupttatunrecht (insbesondere das Verhaltensunrecht) mitverursacht und dadurch das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung des Normensystems mit der Folge weiterer Nonnverstöße untergräbt; in "isolierter" Fonn kommt diese Unrechtsteilnahme-Komponente in der Konstellation des agent provocateur vor. In ähnlicher Weise stellt Schumann auf die ausdrücklich oder konkludent in dem Teilnehmerverhalten liegende, ebenfalls vertrauenserschüttemde "Solidarisierung" mit dem Haupttatunrecht ab. Jedoch vennag eine solche rein "statistische" Möglichkeit künftiger Rechtsgutsobjektsverletzungen durch andere Personen grundsätzlich keine Verhaltenspflichten zu legitimieren. Auch die Teilnehmerverhaltensnonnen verbieten also (ganz parallel zu den Täterverhaltensnormen) nur Angriffe auf konkrete Rechtsgutsobjekte. Im übrigen hätte eine auf die Unrechtsteilnahme-Komponente gestützte Sanktionierung keine Präventionswirkung.

§ 4: Ganzheitliche Lehren

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§4

Ganzheitliche Lehren A. Die methodische Bedeutung ganzheitlicher Ansätze und ihre durch die §§ 25 ff. gezogenen Grenzen I. Bei den methodischen Vorüberlegungen 1 hat es sich als Charakteristikum eines offenen Systems erwiesen, daß die Entscheidung für die Relevanz bestimmter Strukturen des Regelungssubstrats um der Einzelfallgerechtigkeit willen tendenziell weitgehend auf untere Stufen der Systempyramide verschoben wird. In Ausnahmefällen kann für eng begrenzte Bereiche die Substratseite ganz offengelassen werden, indem man lediglich ein den normativen Leitgesichtspunkt zur Konkretisierung bezeichnendes "Regulativ" angibt. Ein "ganzheitlicher" Ansatz geht noch einen Schritt weiter: Nicht nur die Substrat-, sondern auch schon die Wertungsseite bleibt (zumindest relativ) offen, indem nicht ein konkreter normativer Leitgesichtspunkt (oder auch eine Mehrzahl solcher Leitgesichtspunkte, die jedoch jeweils für eine bestimmte Fallgruppe gelten) bezeichnet wird, sondern eine Vielzahl von (im Extremfall alle im Straftatsystem vorkommenden) normativen Gesichtspunkten, die dann im zu entscheidenden Einzelfall allesamt berücksichtigt und zugleich zu den in Betracht kommenden Substratstrukturen in Beziehung gesetzt werden müssen.

a) Eine solche Vorgehensweise ist methodisch prinzipiell möglich, und sie wird auch (vor allem im Bereich der Strafzumessung) sehr weitgehend praktiziert. Soweit sie methodisch zulässig ist, kann die Richtigkeit der "ganzheitlichen" Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift letztlich nur durch den Nachweis widerlegt werden, daß es eine andere, zu größerer Rechtssicherheit führende Auslegungsmöglichkeit gibt, die (zumindest) ebensoviel Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet. b) Freilich sind der methodischen Zulässigkeit einer ganzheitlichen Auslegung wichtige Schranken gesetzt: Erstens darf auch sie nicht darauf verzichten, das Gewicht der einzelnen bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Kriterien im Verhältnis zueinander klarzustellen; sonst ist keine rationale Konkretisierung im Einzelfall möglich. Dazu ist wiederum eine Rückbesinnung auf den normativen Gehalt dieser Kriterien, d. h. auf ihren Stellenwert im Wertungsgefüge des Straftatsystems, unerläßlich. Zweitens wird der Spielraum für eine ganzheitliche Auslegung wesentlich eingeengt oder gar ganz aufgehoben, sobald das Gesetz, sei es auch nur für eine einzelne Fallkonstellation, eine bestimmte Struktur im Regelungssubstrat für relevant erklärt. Es bedarf dann nämlich einer Erklärung, auf welchem Wertungsgesichtspunkt (bzw. welchen etwa zusammenwirkenden WertungsgelOben § 2 B.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

sichtspunkten) die Relevanz jener Substratstruktur beruht. Nur solche normativen Aspekte, aus denen die Relevanz der im Gesetz bezeichneten Substratstruktur ableitbar ist, können bei der Auslegung noch Berücksichtigung finden; alle anderen Aspekte, deren (alleinige oder ergänzende) Heranziehung zu einem abweichenden Ergebnis führen müßte, scheiden von vornherein aus. Selbst wenn das Gesetz nur für eine einzelne Fallkonstellation die relevante Substratstruktur angibt, hat dies wegen des Gebots der Widerspruchsfreiheit Auswirkungen auf den gesamten Regelungsbereich der Vorschrift: Es bedarf stets der näheren normativen Begründung, ob ein (i. S. d. Art. 3 GG) sachlicher Grund vorliegt, der es gebietet, erlaubt oder auch verbietet, eine andere Konstellation "gleich" zu behandeln (d. h. dort die gleichen Substratstrukturen für relevant bzw. irrelevant zu erklären). 11. Hinsichtlich der Unterscheidung der Beteiligungsformen trifft das StGB, so vage und auslegungsbedürftig seine Regelungen in diesem Bereich auch sein mögen 2 , für bestimmte Einzelkonstellationen doch eindeutige Entscheidungen 3 . Erstens kann derjenige, der die in zahlreichen Tatbeständen enthaltenen "besonderen Tätermerkmale" (persönliche Eigenschaften, Pflichtenstellungen, Absichten o. ä.) nicht selbst verwirklicht, niemals Täter, sondern allenfalls Teilnehmer sein.

Die zweite Entscheidung betrifft sämtliche Tatbestände und regelt den Fall der "Alleinbeteiligung": Derjenige, der allein (oder genauer: ohne daß ein anderer vorhanden ist, dessen Verhalten zumindest eine "vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat" i. S. d. §§ 26, 27 darstellt) eine Tat begeht, kann nur Täter, niemals aber Teilnehmer sein. Die §§ 26, 27 erklären also eine bestimmte Substratstruktur - das Nichtvorhandensein eines weiteren Beteiligten, der die Mindestanforderungen an eine "Haupttat" erfüllt - zum zureichenden Grund für den Ausschluß von Teilnahme 4 . Der "ganzheitliche" Charakter einer Lehre, die den Anspruch erhebt, eine methodisch korrekte Auslegung des geltenden Rechts darzustellen, muß also spätestens dort enden, wo es um die normative Begründung der vom Gesetz eindeutig getroffenen punktuellen Regelungen und etwaige daraus folgende Konsequenzen für andere Konstellationen geht.

Näher dazu oben § 1 B. I. Vgl. oben S. 23 ff. 4 Oder anders gewendet: Die Teilnahme ist "akzessorisch". Dies macht gerade den Unterschied zwischen Teilnahme- und Einheitstätersystem aus; dazu oben S. 27ff. 2

3

§ 4: Ganzheitliche Lehren

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B. Analyse und Kritik der wichtigsten 5 ganzheitlichen Ansätze I. Die Lehre Schmidhäusers

Am ehesten ist die Beachtung dieser Grundsätze von der Lehre Schmidhäusers zu erwarten, denn immerhin bildet sie einen Teil seines "teleologischen", der funktionalistischen Grundrichtung (dazu oben § 2 B.) zuzurechnenden Straftatsystems 6 ; außerdem ordnet er das Teilnahmeunrecht im Ansatz durchaus normentheoretisch richtig ein 7 •

1. Täterschaft und Teilnahme sind nach Ansicht Schmidhäusers "vom Unwert der unerlaubten Rechtsgutsverletzung her gesehen ... gleich ... In der Strafwürdigkeit ist freilich ein Unterschied durchaus möglich; er ergibt sich aus der unterschiedlichen Intensität des verbrecherischen Verhaltens, die aber nicht in jedem Falle durch die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme markiert zu sein braucht. "8 Vielmehr unterscheiden sich die beiden Grundformen der Beteiligung "nur in dem durch die Gesetzesschilderung erfaßten Sachverhalt"9: Durch die Teilnahmevorschriften wird die Strafbarkeit auf diejenigen strafwürdigen Fälle ausgedehnt, "in denen die relativ anschauliche Schilderung" (der Tatbestände des Besonderen Teils i. V. m. § 25) "den Handelnden nicht mehr erfaßt" 10. Wichtig ist nun die Schlußfolgerung, die Schrnidhäuser daraus für die Auslegung der Begriffe Täterschaft und Teilnahme zieht: "Es handelt sich demnach hier um empirische Begriffe, die sich nur phänomenologisch erhellen, nicht aber durch eigentliche Definition so bestimmen lassen, daß ein einzelnes unterscheidendes Moment maßgebend sein könnte."ll "Die fraglichen Begriffe des Täters und des Teilnehmers können daher - wo nicht schon die Fassung des Tatbestandes die Täterschaft eines Beteiligten eindeutig ausschließt - nur in der anschaulichen Ganzheit objektiver und subjektiver Momente des dem Unrechtstatbestand entsprechenden Tatgeschehens unterschieden werden. Dabei stehen alle Momente dieses Geschehens in einem wechselseitigen Zusammenhang untereinander und zum Gesamtgeschehen. Für die Frage, ob im Einzelfall Täterschaft und welche ihrer Gestalten, ob Anstiftung oder Beihilfe vorliegen, ist immer diese Ganzheit maßgebend." 12 Schmidhäuser nennt dann beispielhaft eine Vielzahl objektiver und subjektiver Momente (Gewicht des Beitrages für die 5 Zu einzelnen älteren Spielarten der zumeist ganzheitlichen "subjektiven" Lehren vgl. Roxin, TuT, 51 ff. 6 Siehe Schmidhäuser, StuB AT, 4/tff. 7 Dazu oben S. 87. 8 LB AT, 14/5. 9 LB AT, 14/6; ähnl. 1417, 156: "nur in der tatbestandlichen Geschehensschilderung". 10 LB AT, 14/4. 11 LB AT, 1417. 12 LB AT, 14/156.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Erfolgsherbeiführung, Interesse an der Tat usw.), die im Einzelfall Bedeutung erlangen können 13. Je eindeutiger nun die Gesamtheit aller objektiven und subjektiven Momente "dem Bild der jeweiligen Täter- oder Teilnehmergestalt entspricht, desto weniger bedarf deren Annahme einer Begründung"14. Es gibt nach Ansicht Schmidhäusers sogar "eine Fülle anschaulich eindeutiger Fälle", deren Zuordnung schon allein aufgrund des Wortlauts der §§ 25ff. möglich ist l5 ; dort soll man "ohne jedes Theoriengeklapper die betreffenden Beteiligungsgestalten auch als ,eindeutig' bezeichnen"16. Man könne natürlich auch in diesen klaren Fällen noch nach einer Begründung der Lösung fragen; die Antworten, die etwa auf die Tatherrschaft oder den Täterwillen hinweisen, aber "nutzen nicht viel, denn hier gibt es nichts zu antworten, was über den Begriff hinausgeht, mit dessen Hilfe man die Frage stellt. Alle Antworten können daher nur den falschen Eindruck erwecken, als bedürfe in derartigen Fällen die Verwendung dieser Begriffe noch einer anschaulichen Begründung, obwohl die Begriffe selbst schon in ihrer Anschaulichkeit die fraglichen Fälle voll und unmittelbar umfassen."17 Für diejenigen Fälle, die nicht "derart unmittelbar in die anschaulichen Grundvorstellungen, die wir mit diesen strafrechtlichen Begriffen verbinden, passen" 18, "lassen sich, von den eindeutigen Fällen ausgehend, Konturen ... gewinnen"19; hierbei sei "eine objektiv-teleologische Orientierung ... nur insoweit vorgezeichnet, als Anstiftung gegenüber der Täterschaft die mildere Begehungsweise sein kann, Beihilfe nach dem Strafrahmen die mildere Begehungsweise sein muß"20. 2. Bereits diese Zusammenstellung der wichtigsten grundsätzlichen Aussagen Schmidhäusers zur Unterscheidung der Beteiligungsformen läßt erkennen, daß seine Lehre schon im Ansatz den Prinzipien einer funktionalen Systematisierung widerspricht. a) Seine These, für die Einordnung bestimmter "klarer" Fälle bedürfe es keiner weiteren Begründung, mag insoweit zutreffen, als es lediglich - etwa im Rahmen einer Rechtsauskunft oder eines Strafurteils - darum geht, daß diese Einordnung der durch das StG B getroffenen Regelung entspricht; auch über die vom Gesetz eindeutig getroffenen Regelungen (Ausschluß von Täterschaft beim Fehlen eines besonderen Tätermerkmals, Ausschluß von Teilnahme bei "Alleinbeteiligung") hinaus wird man Fälle bilden können, in denen sämtliche Lehren 13 14 IS 16 17 18

19 20

LB AT, 14/157. LB AT, 14/156. LB AT, 14/153 (mit Beispielen). LB AT, 14/169. LB AT, 14/154. LB AT, 14/155. LB AT, 14/158. StuB AT, 10/165.

§ 4: Ganzheitliche Lehren

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zum selben Ergebnis kommen. Aber schon wenn es um die Verfassungsmäßigkeit dieser Lösungen geht, muß dargetan werden, daß sie sich bruchlos in die Wertungszusammenhänge des Straftatsystems einfügen 21 , was ohne KlarsteIlung ihres normativen Gehalts unmöglich ist. b) Daraus folgt zugleich, daß die ganze Beteiligungsformenregelung des StGB verfassungswidrig wäre, wenn eine solche normative Fundierung nicht möglich wäre. Diese Unmöglichkeit aber behauptet Schmidhäuser; anders kann seine Bemerkung, es gebe "nichts zu antworten, was über den Begriff hinausgeht, mit dessen Hilfe man die Frage stellt"22, wohl kaum verstanden werden. c) Auf dieser Grundlage ist dann auch das Ziel Schmidhäusers, "von den eindeutigen Fällen ausgehend" für die problematischen Fälle "Konturen zu gewinnen"23, in einer den Ansprüchen funktionaler Systematisierung gerecht werdenden Weise nicht erreichbar. Wenn nach seiner Ansicht die Begriffe Täterschaft und Teilnahme die Lösungen der "eindeutigen" Fälle bereits enthalten, andererseits aber diese Lösungen nicht weiter normativ hinterfragt werden können, dann ist auch keine hinreichende rationale Kontrolle der für die problematischen Fälle gezogenen Schlußfolgerungen möglich. Auf irgendeinen Leitgesichtspunkt (oder auch mehrere) muß man zwangsläufig zurückgreifen, um überhaupt einen Anhaltspunkt dafür zu bekommen, unter welchen Aspekten die problematischen Fälle den eindeutigen ähnlich sein müssen, wenn man sie den gleichen Rechtsfolgen unterwerfen will. Die Auswahl dieser Leitgesichtspunkte erfolgt dann meist mehr oder weniger versteckt, und ob die zutreffenden gefunden werden, ist der Intuition des Auslegenden überlassen, also letztlich Zufall. Als Beispiel sei nur die These Schmidhäusers herausgegriffen, für Mittäterschaft sei notwendig, daß "die Handlung auch zeitlich mit zur Ausführung des gemeinschaftlichen Entschlusses gehört"; "ohne spürbare Mitgestaltung des maßgeblichen Tatgeschehens ist (bei ganzheitlicher Betrachtung) Mittäterschaft schwerlich zu bejahen"24. Hier wird die Bedeutung eines der zahlreichen bei der Abgrenzung wichtigen Aspekte, nämlich die "zeitliche Nähe des Einsatzes für die Herbeiführung des Erfolgs"25, insofern verabsolutiert, als seine Erfüllung für die Mittäterschaft unabdingbar sein solL Als Begründung findet sich lediglich der zu diesem Zweck untaugliche Hinweis auf die "ganzheitliche Betrachtung". Dahinter dürfte die - um einen von Schmidhäuser vielbenutzten Ausdruck zu gebrauchen - besondere "Anschaulichkeit" stehen, die das Kriterium der Mitwirkung im unmittelbaren Ausführungsstadium dem Begriff der Mittäterschaft verleiht. 21 22 23

24 25

Eingehend zu diesen Zusammenhängen oben § 2 B. LB AT, 14/154. LB AT, 14/158. LB AT, 14/22 mit FN 16. Vgl. LB AT, 14/157.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

d) Und schließlich fehlt auch eine für die rationale Konkretisierung im Einzelfall unerläßliche KlarsteIlung des normativen Gehalts der einzelnen Kriterien und ihres Verhältnisses zueinander 26 . Bei manchen der von Schmidhäuser beispielhaft angeführten Momente 27 - etwa der "Gegenwart am Tatort", dem "Maß der Individualität des Tatbeitrags", dem "mittelbaren oder unmittelbaren Interesse an der Tat (also dem in der Ferne liegenden Handlungsziel )" , der" Verabredung über die Art der Teilung der Verbrechens beute" - muß man schon die Frage aufwerfen, ob ihnen überhaupt ein Platz im Unrechts begriff zukommen kann. Angaben zum Verhältnis der Momente zueinander fehlen ganz. 11. Die "subjektiven" Lehren

Gegen die übrigen, gemeinhin als "subjektive Lehren" bezeichneten ganzheitlichen Ansätze sind im Grundsatz die gleichen Einwände vorzubringen, so daß ich mich auf eine kurze Erwähnung der wichtigsten, heute noch bedeutsamen Lehren beschränken kann. Vor allem finden sich bei ihnen keine normativen Begründungen für die vom Gesetz ausdrücklich getroffenen Entscheidungen (Auschluß von Täterschaft beim Fehlen besonderer Tätermerkmale, Ausschluß von Teilnahme bei Alleinbeteiligung) und deren Auswirkungen auf die im übrigen ganzheitliche Methode der Grenzziehung. Ferner fehlen Angaben zum normativen Gehalt der für die Abgrenzung verwendeten Hauptgesichtspunkte und ihrem Verhältnis zueinander. 1. Dies gilt in erster Linie für die Rechtsprechung, die Täterschaft und Teilnahme danach unterscheidet, ob der Beteiligte die Tat "als eigene" oder "als fremde" will 28 , was nach dem "Gesamtbild aller Tatumstände"29, nach den "gesamten Umständen in wertender Betrachtung"30 zu beurteilen ist. Bei den in den Entscheidungen aufgeführten wesentlichen Indizien für das Vorliegen von Täter- oder Teilnehmerwillen ist eine gewisse Tendenz zur verstärkten Berücksichtigung auch objektiver Aspekte zu erkennen; insoweit verweise ich auf die ausführliche Analyse und Kritik der Rechtsprechung durch Bloy31 und Roxin 32 • Charakteristisch für den gegenwärtigen Stand dürfte etwa die Formulierung sein, wesentliche Anhaltspunkte für einen Täterwillen könnten gefunden werden "im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Angeklagten abhängen"33. 26 Vgl. insoweit auch die treffende Kritik Roxins, ZStW 83 (1971), 395. 27 Vgl. LB AT, 14/157. 28 Z. B. RGSt 74,84 (85) m. w. N. zur Rspr. des RG; BGHSt 18, 87 (89f.) u. 28, 346 (348), jew. m. w. N. zur Rspr. des BGH. 29 So BGHSt 18, 87 (96). 30 So BGH, StV 1981, 275 (276). 31 Beteiligungsform, 101 ff. 32

TuT, 90ff" 558ff.

33 So BGH, StV 1981, 275f. (speziell zur Abgrenzung von Mittäterschaft u. Beihilfe). Ähnl. auch BGH, StV 1982, 17; StV 1983,461,501; NStZ 1985,165.

§ 5: Außerrechtliche Maßstäbe

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2. Aus dem Schrifttum sind als Hauptvertreter ganzheitlicher Ansätze zu nennen:

Baumann und Weber 34 , die im wesentlichen die gleichen Begriffe wie die Rechtsprechung verwenden und lediglich die Bedeutung des Interesses am Taterfolg niedriger ansetzen wollen 35 , ferner Schröder 36 , der sich der Rechtsprechung und der Lehre Baumanns in allen grundsätzlichen Punkten anschließt 37 , sowie Arzt. der der Rechtsprechung zustimmt 38 und den Tatherrschaftslehren vorwirft, zu sehr die äußerlichen und zu wenig die "geistigen" Aspekte der Tatbeiträge zu würdigen 39 .

C. Zusammenfassung "Ganzheitliche" Ansätze zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme werden heute oder wurden in der jüngeren Vergangenheit von der Rechtsprechung sowie im Schrifttum von Arzt, Baumann. Schmidhäuser. Schröder und Weber verfochten. Die Eigenart der ganzheitlichen Auslegung einer Vorschrift liegt darin, daß nicht nur wie bei den "Regulativen" bis zur Entscheidung des konkreten Einzelfalls offengelassen wird, welcher Aspekt des Regelungssubstrats den Ausschlag geben soll; vielmehr wird nicht einmal ein konkretes normatives Leitprinzip angegeben, sondern eine Vielzahl von normativen Gesichtspunkten, die dann im zu entscheidenden Einzelfall allesamt berücksichtigt und zugleich zu den in Betracht kommenden Substratstrukturen in Beziehung gesetzt werden müssen. In einem funktionalen System ist dies methodisch nur zulässig, wenn die einzelnen Gesichtspunkte in ihrem normativen Gehalt und ihrem wertungsmäßigen Verhältnis zueinander hinreichend genau beschrieben sind. Außerdem müssen ggf. vom Gesetz eindeutig geregelte Einzelkonstellationen - hier: Ausschluß von Täterschaft beim Fehlen "besonderer" Tätermerkmale, Ausschluß von Teilnahme bei fehlender "Haupttat" - in ihrer normativen Bedeutung und den etwa daraus folgenden Auswirkungen auf die nicht eindeutig geregelten Konstellationen erfaßt werden. Diesen Anforderungen werden die genannten Ansätze zur Unterscheidung der Beteiligungsformen nicht gerecht.

§5 Ansätze, die auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen Eine weitere Gruppe von Lehren zeichnet sich dadurch aus, daß sie - sei es schon im Grundansatz, sei es nur in begrenzten Teilbereichen - auf bestimmte außerrechtliche (ontische, sprachliche, soziale, ethische) Strukturen als Differenzierungsmaßstab verweisen, wobei sie von vornherein nicht für sich in 34 Baumannl Weber, AT, 535 ff.; Baumann, NJW 1962, 374ff.; ders., JuS 1963, 59; ders .• NJW 1963, 561 ff. 35 Vgl. Baumannl Weber, AT, 531 f. 36 Schönke 1Schröder , RN 74 ff. vor § 47. 37 Der wichtigste Unterschied dürfte darin liegen, daß er bei vollständig eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung stets Täterschaft bejaht, und zwar weil dann "der Ausführende die Tat nicht als fremde wollen kann" (Schönke 1Schröder, RN 5 vor § 47). 38 BT 13,72; Strafrechtsklausur, 5 FN 4; JZ 1981,414; JZ 1984,429. 39 JZ 1981,414.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Anspruch nehmen, eine normative, d. h. aus dem Wertungsgefüge des Straftatsystems ableitbare Begründung für die Relevanz gerade dieser Strukturen zu geben. Bisweilen haben diese Ansätze zusätzlich noch einen "ganzheitlichen" Charakter; die Übergänge zu der Gruppe der zuvor (§ 4) behandelten Lehren werden dann fließend. Nach allem bisher Gesagten ist klar, daß sie damit den Anforderungen einer konsequent funktionalen Systematisierung nicht genügen können. Natürlich ist es oft so (wenn nicht gar der Normalfall), daß eine bestimmte vorgegebene Grundwertung auf der nächstniedrigeren Systemstufe auf mehrere unterschiedliche Arten konkretisiert werden kann. Der Gesetzgeber wird dann gut daran tun, diejenige der möglichen Differenzierungsweisen zu wählen, die einer schon vorhandenen und damit der Allgemeinheit geläufigen (im günstigsten Falle sogar "volkstümlichen") sprachlichen oder sonstigen Struktur entspricht, denn dies erhöht die Internalisierbarkeit der Norm. Doch kann es sich dabei immer nur um eine Begründung dafür handeln, weshalb eine bestimmte von mehreren möglichen Differenzierungsweisen gewählt wurde; der Nachweis, daß es sich um eine (mögliche) Konkretisierung jener vorgegebenen Grundwertung handelt, läßt sich dadurch nicht ersetzen. A. Ontische, sprachliche und soziale Strukturen als Maßstäbe I. Die "formal-objektiven" Abgrenzungstbeorien 1

Ihr Kennzeichen ist die - ohne normative Fundierung bleibende Verweisung auf den Lebenssprachgebrauch der Handlungsbeschreibungen des Besonderen Teils. In "reiner" Form finden sich solche Lehren etwa bei Beling 2 , Grünhut 3 , Rosenfeld4 und Wegner 5 • So meint beispielsweise Beling: "Die Tätigkeit muß ... nach dem natürlichen Sprachgebrauch als eine Tätigkeit der Art bezeichnet werden können, wie sie durch das dem betr. Tatbestande als sein Kern charakteristische Zeitwort umrissen wird ... "6. Denn die gesetzlichen Tatbestände nähmen "auf den Lebenssprachgebrauch Bezug" 7 , und dieser 1 Vgl. dazu m. umfangr. weit. Nachw. - Roxin, TuT, 34ff. Seiner Einschätzung (TuT, 35), diese Lehren hielten "glücklich die Mitte zwischen einer ausschließlich wertenden und nur sinnerfassenden Betrachtungsweise", ist allerdings nicht zu folgen; daß der Gesetzgeber evidentermaßen in erster Linie denjenigen als Täter erfassen will, der "die dort geschilderten Handlungen selbst ausführt", besagt noch gar nichts darüber, warum der Gesetzgeber so werten darf Richtig hingegen Gallas, Beiträge, 135: Der Hinweis auf den Wortlaut bedeute "nicht mehr als ein Appell an das Sprachgefühl". 2 Grundzüge, 27 ff. 3 JW 1932, 366. 4 Frank-Festg. II, 169f. 5 In: Aschrott/Kohlrausch, Reform, 102ff., insbes. 107, 114; AT, 234ff. 6 Grundriß, 30. 7 Grundriß, 27.

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nenne "nur bestimmtartige Handlungen ... , gewisse zentrale Betätigungen ,Tötung', ,Beschädigung' usw. "8. Und wer sich eines Unzurechnungsflihigen oder Irrenden als bloßen Werkzeugs bediene, bei dem bestehe "nach dem Sprachgebrauch kein Hindernis, von ihm zu sagen, er habe ... den X getötet"9.

Freilich läßt sich keineswegs von allen üblicherweise zu der formal-objektiven Richtung gezählten Lehren sagen, daß sie von vornherein keinen Anspruch auf eine normative Fundierung ihrer Thesen erheben; manche tun dies durchaus. Doch bleiben ihre Erklärungsversuche dann, gemessen an den Anforderungen einer funktionalen Systematisierung, viel zu vage. So betont z. B. Mezger lO die Notwendigkeit einer "juristisch-normativen" Bewertung der verschiedenen Beteiligungsformen, führt dann aber lediglich weiter aus, die "maßgebliche positiv-rechtliche Wertung" sei im Gesetzeswortlaut "verkörpert". Auch Hegler ll verlangt eine normative Begründung, die er darin erblickt, daß der (vom Gesetzgeber als Täter qualifizierte) "die Ausführungshandlung Vornehmende" das Rechtsgut "unmittelbar und stärker" - was immer das genau heißen mag - verletze; bei der mittelbaren Täterschaft komme es darauf an, daß sonstige Umstände ein "Übergewicht" (?) des Hintermanns begründeten 12. 11. Das "konkrete Ordnungsdenken" und ähnliche methodische Richtungen

1. Die Lehre vom "konkreten Ordnungsdenken"13 will den Verbrechens begriff aufgrund einer "Wesensschau ganzheitlich und konkret erfassen"14; die Begriffe der Strafrechtsdogmatik sind damit weitgehend nur Beschreibungen einer "schon vorgegebenen, im Volke lebenden Ordnung"ls, "Nachbildungen einer sinnerfüllten Wirklichkeit"16. Bezeichnend für den weitgehenden Verzicht auf rationale Begründung ist die Bemerkung Dahms zu den eigenhändigen Delikten: In ihnen sei "der Gehalt des Anschaulichen und Volkstümlichen, damit freilich auch des rational nicht weiter Auflösbaren besonders stark" 17. Die Ergebnisse solcher Wesensschau sind recht unterschiedlich. Carl Schmitt gelangt offenbar zum Einheitstätergedanken: "Die Absonderung ,allgemeiner Begriffe', wie ... Beihilfe, von dem konkreten Verbrechen ... erscheint uns heute nicht mehr als begriffliche Klärung ... , sondern eher als eine künstliche und sinnwidrige, die natürlichen und 8 Grundriß, 28. 9 Grundriß, 28. 10 LB (2. Aufl.), 444. 11 RG-Festg. V, 305ff.; R. Schmidt-Festg. 11, 51 ff. 12 R. Schmidt-Festg. II, 73 f. FN 85. 13 Vgl. dazu auch die treffende Kritik Roxins, TuT, 13ff. 14 Schaffstein, Verbrechen, 17. 15 C. Schmitt, Drei Arten, 13. 16 Dahm, ZStW 57 (1937), 251 f. 17 Tätertyp, 56.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

wirklich gegebenen Lebenszusammenhänge auseinanderreißende Abstraktion." 18 Demgegenüber meint - im Grundsatz übereinstimmend mit den Thesen der amtlichen Strafrechtskommission l9 - etwa Dahm 20 , Täter, Anstifter und Gehilfe stellten "volkstümliche Typen" dar, und aus den entsprechenden volkstümlichen Bildern seien auch die Grundzüge der Abgrenzung zu gewinnen.

2. An die Tradition dieser Lehren knüpft Hardwig bewußt an: Man dürfe die Lehre von der "Wesensschau" nicht deshalb tabuisieren, weil sie "zufällig" (?) "im Dritten Reich Anhänger fand". Die von Roxin geprägte Wendung "Zentralgestalt des Geschehens"21 beschreibe diejenige Person als Täter, "bei der der Schwerpunkt des Geschehens liegt. Diese Feststellung wird auf Grund eines unbegrifflichen Verstehensaktes getroffen"; es handle sich "eben nicht um einen Begriff, vielmehr um ein Bild, ein Wort, das eine Vorstellungwolke hinter sich herzieht"22 - womit Hardwig den irrationalen Charakter seiner Rechtsfindungsmethode selbst treffend kennzeichnet. Den Ausgangspunkt jenes "Verstehensaktes" bildet, so Hardwig. der Wortlaut der §§ 47 ff. (a. F.)23, dem "doch Prinzipien zugrundeliegen müssen, die es zu erfassen gilt"24; insbesondere beim Begriff der Hilfeleistung können "wir mit gutem Grunde" (welcher das ist, bleibt unerwähnt) "sagen, daß der Gesetzgeber darunter nichts anderes ... verstanden wissen wollte als das, was man gemeinhin sinnvollerweise unter ,helfen' versteht" 25 . Immer sei nach dem "sozialen Bedeutungs- und Zurechnungsgehalt" im konkreten Fall zu fragen, womit aber nur eine bestimmte (ganzheitliche 26 ) "Denkmethode" angegeben sej27.

Freilich unternimmt es Hardwig in seiner späteren Auseinandersetzung mit den Thesen Roxins. seine Lehre in gewissem Maße zu normativieren 28 . Letztlich greift er dabei aber immer wieder nur auf irgendeinen sprachlichen Gehalt des jeweils verwendeten Ausdrucks zurück, etwa in der Bemerkung, Teilnahme könne "immer nur Beteiligung an etwas sein. Hierin liegt das notwendige Erfordernis der Akzessorietät ... Hier zeigt sich, daß Akzessorietät kein leerer Wahn, sondern eine sachlich notwendige Voraussetzung der Teilnahme ist."29 Den Eindruck einer vordergründigen Begrifflichkeit erweckt auch seine Begründung der Strafbarkeit einer Teilnahme des Extraneus am Sonderdelikt: "Nun kann an einer 18 Drei Arten, 60. 19 Dazu bereits oben § 1 A. I. 20 Tätertyp, 54ff. 21 Zur Kritik dieses Begriffs siehe bereits oben S. 62ff. 22 Sämtliche bisherigen Zitate aus JZ 1967, 89. 23 GA 1954, 353. - Eine treffende Kritik der dort vertretenen Thesen findet sich auch bei Roxin. TuT, 17ff. 24 GA 1954, 354 FN 5. 25 GA 1954, 358. 26 GA 1954, 358. 27 GA 1954, 356. 28 JZ 1965, 667ff.; JZ 1967, 86ff. Vgl. etwa die Bemerkung, in den "Verstehensakt" "mischten" sich "auch Wertungen" (JZ 1967, 89). 29 JZ 1965, 671.

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Pflichtverletzung ein anderer, der nicht unter der Pflicht steht, in der Tat nicht teilnehmen. Aber der Tatbestand der Sonderpflichtdelikte erschöpft sich gerade nicht in der Bedeutung der Sonderpflichtverletzung. Vielmehr objektiviert sich auch die Sonderpflichtverletzung zu einer ,Tat', zu einem rechtlich-sozialen Unwertereignis (selbst wenn sie gar keine Rechtsgüterverletzung enthalten würde). An einer so objektivierten Tat können andere, auch wenn sie nicht unter der Sonderpflicht stehen, als Anstifter oder Gehilfen teilnehmen. "30 Und schließlich beruht seine Begründung für die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Abgrenzung auf einem Zirkelschluß: Sie sei geboten, "weil es sich bei der Zurechnung eines Geschehens zu einer Person als deren Werk um die Feststellung einer Objektivation der Person handelt, mithin um einen ganzheitlichen" (?) "personalen Bezug". 31 Hier wird die zu begründende Schlußfolgerung aus sich selbst hergeleitet. III. Nicht-normative Elemente in ansonsten normativen Ansätzen

1. Lange Richard Lange geht zwar grundsätzlich von der Notwendigkeit eines normativ fundierten Ansatzes aus 32 . In zumindest zwei Punkten aber wird er diesem Anspruch nicht gerecht: Erstens 33 unterliegt auch er 34 der Versuchung, die "Akzessorietät" der Teilnahme nicht aus der Funktion dieser Rechtsfigur, sondern letztlich wohl aus dem sprachlichen Gehalt des Ausdrucks abzuleiten: "Teilnahmevorschriften ... sind ihrem Wesen nach in irgendeiner Weise akzessorisch, angelehnt. Sie setzen einen bereits bestehenden, unabhängig von ihnen gebildeten Begriff der Täterschaft voraus ... Eine unselbständige, angelehnte Täterschaft ist, wenn man nicht ein Spiel mit Worten treiben will, ebenso ein Widerspruch in sich selbst, wie eine völlig von jeder anderen Handlung losgelöste Teilnahme. Diese Sätze gelten ganz allgemein und insbesondere auch für das geltende deutsche Recht. "35

Eine ganz offene Abkehr von der notwendigen Rationalität jeder Systematisierung findet sich in dem zweiten Punkt; er betrifft die "Sonderpflichtmerkmale", die besondere Tätermerkmale und nach seiner Ansicht zugleich "besondere persönliche Merkmale" i.S.d. § 50 (a.F.) sind. Den Grund für die Bestrafung auch des Extraneus sieht Lange darin, daß Täterschaft und Teilnahme zusammen alle Angriffe auf das jeweils geschützte Rechtsgut erfassen müssen, um dem "rationalen Interesse an allseitigem Rechtsgüterschutz" zu genügen 36 • Hierin erschöpft sich dann auch die Funktion der Teilnahmetatbestände. Bei der Täterschaft aber wird durch das zusätzliche "Erfordernis der Pflichtverletzung, 30 31 32 33 34

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JZ 1965, 671. JZ 1967, 88. Täterbegriff, 16, 21. Vgl. insoweit auch die Kritik Roxins, TuT, 15. Vgl. bereits oben H. 2. (zu Hardwig), ferner unten 2. (zu Bockelmann). Täterbegriff, 4. Teilnahme, 56 f.

9 Stein

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

des Treubruchs, des Verrats ... die soziale U nerträglichkeit der Handlung tiefer ausgeschöpft und schärfer gekennzeichnet als wenn sich der Gesetzgeber, was an sich möglich wäre, hier wie sonst für die Deliktstypisierung mit der Beschreibung der Erfolgsherbeiführung begnügte; nur so wird neben dem rationalen Moment der Schädlichkeit das irrationale" (l) "einer besonderen Felonie zum Ausdruck gebracht."37 Und weil dieser Pflichtverletzungsgedanke "auf den Veranlasser fremder Pflichtverletzung unübertragbar"38 ist (warum?), greift für den Extraneus § 50 (a.F.) ein 39 . 2. Bockelmann

Auch Bockelmann hat das Anliegen, die Beteiligungsformendogmatik wertungsmäßig zu fundieren: Zu den wichtigsten Ergebnissen der modernen Dogmatik gehöre "die Einsicht, daß ein Verbrechen etwas anderes und mehr ist als ein bloßer Verursachungsprozeß"4O; es gelte "die strafrechtlichen Sanktionen nach den Eigenarten des Täters auszurichten, und nicht nach den, stets gleichförmig bleibenden, Merkmalen der Tat. Zu diesen Bestrebungen aber würde sich die Preisgabe der Differenz von Täterschaft und Teilnahme in Widerspruch setzen. Jede Individualisierung beginnt mit der Rücksichtnahme auf die personalen Verschiedenheiten, die zwischen den Arten der Mitwirkung am Verbrechen bestehen."41 Bei der Suche nach einem Kriterium, daß diesen (nicht näher beschriebenen) "personalen Verschiedenheiten" Rechnung zu tragen vermag, geht Bocke/mann nun von zwei Prämissen aus: Teilnahme sei "notwendig akzessorisch", denn sie setze "begrifflich ein ,Etwas' voraus, wozu sie geleistet" werde 42 ; dies ist, wie bereits erörtert 43 , nicht mehr als eine Folgerung aus dem sprachlichen Gehalt des Ausdrucks "Teilnahme" ohne jeden materialen, auf die Wertungszusammenhänge des Straftatsystems bezogenen Gehalt. Unangreifbar ist sicherlich die zweite Prämisse: Da das Gesetz ein Teilnahmesystem und kein Einheitstätersystem statuiere, müsse es auch "die Unterscheidbarkeit der einzelnen Mitwirkungsformen wollen"44. Eine plausible Differenzierung zwischen der Täterschaft (insbes. der mittelbaren Täterschaft) und den beiden akzessorischen Teilnahmeformen sei aber nur in der Weise möglich, daß man die Anstiftung als Hervorrufung des Tätervorsatzes und die Beihilfe als Unterstützung der Betätigung des Tätervorsatzes verstehe 4s . "Was immer man sonst an Abschichtungen versuchte, hat sich als undurchführbar erwiesen. Es scheitert an der Gleichwertigkeit der Bedingungen. "46 Teilnahme, 56. Teilnahme, 57. 39 Teilnahme, 54 ff. 40 Untersuchungen, 110. 41 Untersuchungen, 109. 42 Untersuchungen, 31, ähnl. auch 122; AT, 191. 43 Oben § 1 B. 11. 1. 44 Gallas-Festschr., 262 FN 1. 4S Untersuchungen, 46ff., 89ff., 115ff.; Gallas-Festschr., 262 FN 1. Zust. Börker, JR 1953, 167. 46 Untersuchungen, 47. 37 38

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Selbst wenn man all dies zugesteht 47 , sind damit nur bestimmte Strukturen des Regelungssubstrats beschrieben. Eine wertungsmäßige Einordnung ist allenfalls in "negativer" Form vorgenommen, insofern nämlich, als das Abstellen auf diese Substratstrukturen nicht dem von Bocke/mann behaupteten Grundsatz der "Gleichwertigkeit der Bedingungen" oder dem "akzessorischen Charakter" der Teilnahme widersprechen würde. Es fehlt noch der entscheidende Punkt, nämlich die positive Begründung dafür, daß diese Substratstrukturen bestimmten Wertungen entsprechen, die sich bruchlos in den Wertungszusammenhang des Straftatsystems einfügen. Dessen ist sich Bockelmann offenbar auch bewußt, denn er räumt ein, gegen seine These könnte eingewandt werden, "daß sie bisher noch nicht ausreichend begründet sei. Denn sie ist zunächst nicht aus der sachlichen Eigenart von Anstiftung und Beihilfe abgeleitet worden, sondern aus der technischen Funktion, die sie erfüllen müssen, wenn das System des Gesetzes aufgehen soll. Doch wird sie durch eine Besinnung auf das eigene rechtliche Wesen der Teilnahmehandlungen vollauf bestätigt. "48 Was dann aber als Erläuterung folgt, ist - hinsichtlich der Anstiftung nichts weiter als ein Hinweis auf die Rechtstradition: "Daß Anstiftung nichts anderes sein kann, als die Bestimmung eines anderen zu einer vorsätzlichen Tat, liegt auf der Hand ... " Zwar folge dies nicht zwingend aus dem Gesetzeswortlaut, doch: ",Anstiftung' ist ein rechtlicher Begriff, dessen Inhalt seit langer Zeit unverrückbar feststeht. Er bedeutet: Erzeugung des Tatentschlusses in einem anderen. Anstiften heißt also: zu einer vorsätzlichen Tat anstiften. "49 Für die Beihilfe sei dies zwar "nicht ebenso einleuchtend"5o. Es bleibe aber dabei, daß das maßgebliche Kriterium in einem "ganz konkreten, psychischen Sachverhalt" liege, "nämlich in der Unterordnung des Vorsatzes, den vorgebrachten Argument widerlegen, man beschwöre unerträgliche Strafbarkeitslücken herauf, weil eine strafbare Beihilfe mangels Risikoerhöhung verneint werden müsse, sobald die Gehilfenhandlung auch durch den Haupttäter selbst oder einen "Ersatzgehilfen" hätte vorgenommen werden können. Dabei geht es, worauf ich bereits bei der Besprechung der Thesen Herzbergs hingewiesen haben 47 , lediglich um die allgemein-dogmatische Vorfrage, ob bei der Feststellung einer Risikoerhöhung solche Reserveursachen, die in dem rechtswidrigen Verhalten einer anderen Person bestehen, überhaupt zu berücksichtigen sind. Sind sie es nicht, ist jenes Argument ohnehin gegenstandslos; sind sie zu berücksichtigen, dann ist damit entschieden, daß mangels einer rechtlich relevanten Gefährlichkeit kein Grund für ein Verbot solcher Unterstützungshandlungen besteht, so daß von einer "Strafbarkeitslücke" ebenfalls nicht die Rede sein kann. Heinitz-Festschr., 314. Dazu oben S. 84f. 45 Schaffstein, Honig-Festschr., 174, 184; mit ähnl. Fonnulierungen ("Wahrscheinlichermachen des Haupttaterfolges") auch schon Salarnon, 140ff. 46 Z.B. von Herzberg, GA 1971,7; Samson, Peters-Festschr., 126; Vogler, HeinitzFestschr., 310f. 47 Oben 1. b). 43

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b) Durch eine relativ geringfügige Korrektur ließe sich ein Mangel beheben, der in einer unzureichenden Trennung der Riskantheit der Handlung von der Realisierung dieses Risikos liegt: Maßgeblicher Prognosezeitpunkt für das Vorliegen einer (die Verhaltensnormwidrigkeit begründenden und daher strikt ex ante zu beurteilenden 48 ) Risikoerhöhung ist immer49 die Vornahme der Gehilfenhandlung. In dem Fall der "Nicht-Annahme" des Gehilfenbeitrags durch den Haupttäter ist daher nicht schon eine Risikoerhöhung zu verneinen 50 ; vielmehr müßte man folgendermaßen argumentieren: Die Gehilfenhandlung hat das Risiko des Haupttaterfolgseintritts in tatbestandsrelevanter Weise erhöht, indem sie die Möglichkeit begründet hat, daß der Haupttäter unter Ausnutzung des Tatmittels die Tat begeht; weist aber der Haupttäter dieses Tatmittel von vornherein zurück, so wird jene Kausalkette, um deren möglichen Ablaufs willen die Gehilfenhandlung verboten ist, bereits vor dem "Erreichen" der Haupttäterhandlung abgebrochen; mit anderen Worten: es fehlt an der tatbestandsrelevanten Kausalität zwischen Gehilfen- und Haupttäterhandlung.

c) Der entscheidende Mangel dieser Lehre liegt wiederum in einem zu engen Kausalitätsbegriff. Seit den grundlegenden Ausführungen Engischs 51 sollte nicht mehr als zweifelhaft gelten, daß die condicio-sine-qua-non-Formel einen Wert allenfalls als heuristisches Prinzip zur Feststellung der Kausalität in einfach gelagerten Fällen hat, jedoch gerade in den problematischen Fällen (insbesondere beim Vorhanden sein von "Ersatzursachen") versagt. Gerade mit Hilfe der condicio-Formel versucht aber vor allem Schaffstein 52 , das Kausalitätserfordernis ad absurdum zu führen. In Wahrheit liegt Kausalität schon immer dann vor, wenn ein irgendwie gearteter naturgesetzlicher Wirkungszusammenhang besteht; eine etwa wegen vorhandener Ersatzursachen zu verneinende Zurechnung beruht auf rein normativen Erwägungen 53. Dieser zu enge Kausalitätsbegriff, der tatsächlich breite Strafbarkeitslücken aufreißen würde, nötigt nun zur Aufgabe des Kausalitätserfordernisses und, da sich ein Risiko nur mittels Kausalität realisieren kann 54 , damit zwangsläufig auch des Erfordernisses der Risikorealisierung. Folglich dürfte man auch nicht mehr zwischen Beihilfe zum versuchten und zum vollendeten Delikt unterscheiden, wodurch aber wieder der Bereich strafbarer Beihilfe zu weit ausgedehnt würde 55. Dennoch differenzieren Salamon und Schaffstein unter Hinweis auf die nicht näher erläuterte "akzessorische" Natur der Beihilfe zwischen Beihilfe zum versuchten und vollendeten Delikt 56 . Das Erfordernis des Eintritts eines Vg!. oben S. 68. Hingegen erklären Salamon (148f.) und Schaffstein (Honig-Festschr., 180) in den Fällen, in denen die Hilfe "im Zusammenwirken mit dem Täter geleistet wird", den Zeitpunkt der "Annahme" des Beitrags durch den Haupttäter für relevant. 50 So aber ausdrück!. Salamon, 148f., u. Schaffstein, Honig-Festschr., 181. 51 Kausalität, 9ff. u. passim. 52 Honig-Festschr., 175ff. 53 Vg!. bereits oben 1. b). 54 Vg!. oben I. 1. 55 Vg!. bereits oben 1. e), 2. c). 48

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tatbestandsrelevanten Kausalverlaufs, also einer Risikorealisierung, kann sich dahinter nicht verbergen, denn Schaffstein will z. B. auch dann wegen Beihilfe zum vollendeten Delikt strafen, wenn die tatbestandsrelevante Risikoerhöhung allein in der möglichen Ausnutzung des verschafften Tatmittels besteht, das Tatmittel aber versagt und der Haupttäter mit einem anderen, gleichartigen zum Ziel kommt 57 . 4. Die Rechtsprechung Die Rechtsprechung, die vornehmlich die Fonnel verwendet, der Gehilfe müsse "die Handlung des Haupttäters fördern" oder "erleichtern"S8, ist uneinheitlich und teilweise auch unklar; im einzelnen verweise ich auf die ausführlichen Analysen durch Samson 59 und Dreher oo . Der Sache nach bewegen sich die an gewandten Zurechnungskriterien in dem Rahmen, der durch die Lehren von Herzberg, Vogler, Salamon und Schaffstein abgesteckt wird, so daß eine nähere Erörterung entbehrlich ist.

5. Ergebnis

Im Ergebnis bleibt damit positiv festzuhalten, daß auf der Ebene der Erfolgszurechnung kein Unterschied zwischen der Beihilfe und den anderen Beteiligungsformen besteht; die Beihilfe ist ganz parallel zum jeweils entsprechenden Täter- (und Anstiftungs-)Tatbestand ein Verletzungsdelikt, konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt 61 • Und negativ folgt daraus, daß die mildere Bestrafung der Beihilfe - entgegen Schaffstein 62 - nicht mit dem Fehlen eines zurechenbaren (Verletzungs-)Erfolgsunwerts erklärt werden kann.

56 So ausdrück!. Schaffstein, Honig-Festschr., 181; dem Sinne nach auch Salamon, 139, der zunächst das Begangensein zumindest eines Haupttatversuchs als Strafwürdigkeitsvoraussetzung erklärt und dann ohne weiteres davon ausgeht, daß auch die Haupttatvollendung Auswirkungen auf die Beihilfestrafbarkeit haben muß. 57 Honig-Festschr., 181. 58 Z. B. BGH, VRS 8 (1955),199 (201); MDR 1972,16 (bei Dallinger); OGHSt 1, 321 (330); 2, 23 (44); RGSt 67,191 (193); 71, 176 (178); 73, 52 (54); 75,112 (113); BayObLGSt 1959, 132 (138); OLG Freiburg, JZ 1951, 85; OLG Hamburg, JR 1953, 27. 59 Kausalverläufe, 55ff. 00 MDR 1972, 553 ff. 61 Dies entspricht der herrschenden Lehre; vg!. etwa Blei, AT, 287ff.; Class, StockFestschr., 115ff. (der in seinem Begriff der "bloßen Zufluß- oder Verstärkerkausalität" die unerlaubte Gefährlichkeit der Handlung, die Risikorealisierung und die Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne vennengt); Dreher, MDR 1972, 556f.; Jakobs, AT, 22/ 33ff.; Jescheck, AT, 562ff.; Lackner. § 27 Anm. 2a; Maurach/GÖssel. AT /2, 52/20ff.; Ranft. ZStW 97 (1985), 287ff.; Roxin in LK, § 27 RN 2ff.; Rudolphi, StV 1982, 519; Samson. Kausalverläufe, 160ff.; dens .• Peters-Festschr., 132ff.; dens. in SK, RN 19ff. vor § 26, § 27 RN 4ff. 62 Honig-Festschr., 179.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

D. Die "besonderen persönlichen Merkmale" Es liegt nahe, daß in diesem Problem bereich zumindest auch Aspekte eine Rolle spielen, die der Sanktionsnormebene angehören (namentlich solche, die die Vorwerfbarkeit undj oder präventive Bedürfnisse betreffen). Unproblematisch ist hierbei aber nur, daß immer dann, wenn ein bestimmtes Merkmal ausschließlich einen erhöhten oder geminderten Vorwerfbarkeitsgrad oder jund ein erhöhtes oder gemindertes spezialpräventives Sanktionsbedürfnis erfassen soll, auf den dieses Merkmal nicht selbst verwirklichenden Beteiligten die Strafrahmenregel des § 28 11 anwendbar ist (bzw. bei einem strafbegründenden Merkmal Straflosigkeit eintritt). Abgesehen von wenigen eindeutigen Fällen (wie z. B. dem Schuldmerkmal "Mutter" in § 217) ist zumeist schon problematisch, ob ein Merkmal einen solchen Schuld- oder spezialpräventiven Gehalt hat. Bei generalpräventiv begründeten Merkmalen muß dann noch weiter erforscht werden, ob das erhöhte bzw. verminderte Sanktionsbedürfnis an die Verwirklichung des Merkmals in eigener Person gebunden ist oder nicht. Und bei allen Merkmalen stellt sich sodann die weitere Frage, ob sie notwendige Haupttatelemente sind oder nicht 1. Im wesentlichen geht es bei alldem um eine Auslegung der einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils; hier soll zunächst nur die grundsätzliche Problematik anhand dreier Erklärungsansätze, die m. E. Fehlinterpretationen sind, verdeutlicht werden. I. Das rein spezialpräventive Verständnis von Absichtsmerkmalen (Samson, Schünemann)

Das erste Beispiel betrifft das rein spezialpräventive Verständnis der "nichtrechtsgutsbezogenen" besonderen Absichtsmerkmale. So meint etwa Samson 2 , die Bereicherungsabsicht in den §§ 253, 259 und 263 kennzeichne "einen bestimmten Tätertyp, der krimologisch allein relevant ist". Schünemann 3 spricht im Hinblick auf die Aneignungsabsicht in § 242 von der "typischen Gefährlichkeit des Kriminalitätsmotors Zueignungsabsicht" , sie kennzeichne "eine typischerweise kriminogene Motivation, die ein strafrechtliches Einschreiten unerläßlich erscheinen läßt". Dem ist sicher insoweit zuzustimmen, als mit Hilfe dieser Merkmale bestimmte typische Fälle der Vermögensschädigung oder -gefährdung herausge1 Zur Unterscheidung der verschiedenen Problemschichten u. zur Auslegung der Rechtsfolgenseite der §§ 28, 29 oben § 1 C. H. 2., zusammenfassend § 1 D. 2 In SK, § 28 RN 20. 3 ZSchwR 97 (1978), 156. Zu beachten ist bei seinen Ausführungen freilich, daß sie trotz einheitlicher Terminologie ("Strafbedürftigkeit" bzw. "kriminalpolitische Bedürfnisse") keineswegs nur die Sanktionsnormebene betreffen. Wenn er z. B. fragt, "welche kriminalpolitischen Bedürfnisse den Gesetzgeber zur Statuierung einer Sonderpflicht bestimmt haben" (aaO, 152), dann geht es um die Legitimation einer erhöhten Dringlichkeit der Verhaltensnorm.

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griffen werden 4 . Nicht richtig erscheint hingegen die These, die Typik liege in der Art der Motivation (Schünemann) und beschreibe damit einen bestimmten Tätertyp (Samson). Die Absichtsmerkmale verlangen lediglich einen bestimmten konkreten Handlungszweck, und die Verfolgung dieses Zwecks kann auf ganz unterschiedlichen Motivationsstrukturen beruhen. Deutlich wird dies vor allem bei den Tatbeständen, bei denen eine "altruistische" Bereicherungsabsicht genügt. Die Motivation wird man dann in aller Regel nicht mehr, wie zumeist bei der Selbstbereicherungsabsicht, als "Gewinnstreben" bezeichnen können; wenn der Täter - aus welchen Gründen auch immer - "nur" die Bereicherung des Dritten anstrebt, ohne selbst mittelbar an dem Vermögensvorteil beteiligt werden zu wollen, dann ist sein Motiv irgendeine Art von "Affektionsinteresse" , so daß von einer typischerweise kriminogenen Motivation nicht mehr die Rede sein kann. 11. Die Unterscheidung von "wertbezogenen" und "wertneutralen" Merkmalen (Herzberg)

HerzbergS unterscheidet zwischen "wertbezogenen", dem § 28 unterfallenden Merkmalen, die eine "erhöhte Verantwortlichkeit" oder "besondere Strafwürdigkeit" des Intraneus erfassen (z. B. die Amtsträgereigenschaft), und "wertneutralen" akzessorischen Merkmalen, durch die der Gesetzgeber lediglich ein "typisches Tatbild" nachzeichnen will (z. B. "Mann", § 183; "Unfallbeteiligter", § 142; Aneignungsabsicht, § 242; Bereicherungsabsicht, § 263)6. Bemerkenswert ist an seiner Argumentation, daß er den "wertneutralen" Merkmalen die Existenzberechtigung abspricht und hierauf dann auch die Notwendigkeit einer "akzessorischen" Behandlung dieser Merkmale stützt: Wenn schon das "Typisierungsbestreben" des Gesetzgebers dazu führe, daß nur derjenige Täter sein kann, der das "wertneutrale" Merkmal selbst verwirklicht, so wäre es "andererseits ... jedoch falsch, die Ungleichbehandlung zum Prinzip zu erheben" und auch noch bei der Teilnahme denjenigen besserzustellen, der das Merkmal nicht selbst erfüllt 7 • "Eine negativwertige Strafbarkeitslücke darf sich nicht auch noch auf Taten auswirken, die unrechts- und schuldangemessen zu bestrafen das Gesetz ennöglicht. "8

Hiergegen ist mit Recht von zahlreichen Autoren eingewandt worden, "wertneutrale" Merkmale im Sinne Herzbergs könne es nicht geben, vielmehr sei auch die Entscheidung des Gesetzgebers für ein "typisierendes" Merkmal stets Ausdruck einer bestimmten Wertung 9 • Worin genau der Fehler seiner Argumen4

Eingehend dazu unten § 16 A.

s ZStW 88 (1976), 81 ff.; TuT, 124ff.; JuS 1983, 738ff. 6 Zu der dritten Gruppe der "extrem antiakzessorischen" Merkmale vgl. unten § 7 E., § 14 A., § 15 A. 7 ZStW 88 (1976), 83; sinngleich auch in JuS 1983, 742. 8 ZStW 88 (1976), 87. 9 Gallas bei Grebing, ZStW 88 (1976), 174; Maurachl Gössel, AT 12, 53/116; Jakobs, AT, 23/11 (mit dem treffenden Hinweis, der "Wertbezug" könne insbes. generalpräventi-

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

tation liegt, wird deutlich, wenn man streng zwischen Verhaltensnorm- und Sanktionsnormebene unterscheidet. Dies sei an dem von Herzberg erörterten Beispiel des § 183 erläutert, der einen Mann (nicht aber eine Frau) mit Strafe bedroht, welcher eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt. 1. Herzberg meint, auch Frauen begingen "exhibitionistische Handlungen, die den in § 183 vorausgesetzen Belästigungsgrad erreichen", und "der Zufall, als Knabe auf die Welt zu kommen", könne "keine erhöhte Verantwortung begründen für das Rechtsgut, dessen Schutz § 183 bezweckt"10. Der Reformgesetzgeber hat nun aber wegen der statistischen Seltenheit exhibitionistischer Handlungen durch Frauen insoweit die Strafbedürftigkeit verneint 11 ; hiergegen wendet Herzberg polemisch ein: "Mit dem statistischen Argument könnte man ebensogut bei Einarmigen oder 87jährigen oder Staatssekretären das Strafbedürfnis verneinen. Der tiefere Grund scheint mir darin zu liegen, daß der mit Einzeltatbeständen operierende Gesetzgeber mehr oder minder bewußt dazu neigt, vorjuristische Tatbilder, so wie sie im gesellschaftlichen Bewußtsein lebendig sind, nachzuzeichnen ... Indem das Gesetz nur diesen Akt tatbestandlich umschreibt, gewinnt es an Schärfe und Anschaulichkeit."12 Weshalb nun diese Gesichtspunkte nach Ansicht Herzbergs nicht etwa die "Strafbarkeitslücke" legitimieren, sondern im Gegenteil ihre "Negativwertigkeit" begründen sollen, wird deutlicher, wenn man auf seinen - allerdings nur sehr knapp angedeuteten gedanklichen Ausgangspunkt zurückgeht, nämlich das Prinzip der "Strafgerechtigkeit" als einen der "hauptsächlichen Wertaspekte des Strafrechts"13. Herzberg scheint darunter die gleichmäßige Ahndung von Taten mit gleichem Tatschuldgehalt zu verstehen 14. Jedenfalls folgert er aus diesem Prinzip, die durch typisierende Merkmale entstehenden Lücken seien (nur) deshalb "kein unerträglicher Mißstand, ... weil sie nur selten spürbar werden"1\ es fehle "allein das ausreichend starke Bedürfnis, um des kaum vorkommenden Falles willen eine Gesetzesänderung zu veranstalten"16.

2. Richtigerweise muß man zunächst einmal die Reichweite der Verhaltensnorm klären. Den Ansatzpunkt hierfür bildet die in § 183 enthaltene Strafsanktionsnorm. Sie bedroht belästigende exhibitionistische Handlungen von Män-

ver Art sein; vgl. den folgenden Text); Roxin in LK, § 28 RN 28; Samson in SK, § 28 RN 18bff.; Vogler, Lange-Festschr., 277f. 10 ZStW 88 (1976), 82. 11 Näher dazu Prot. d. Sonderaussch. f. d. Strafrechtsref. VI j 900 (Geerds); BTDr. VIj3531, 53. 12 ZStW 88 (1976), 82f. 13 JuS 1983, 739. 14 Jedenfalls ist damit nicht der präventive Rechtsgüterschutz gemeint, den er ausdrücklich als zweiten "hauptsächlichen Wertaspekt des Strafrechts" neben die "Strafgerechtigkeit" stellt (JuS 1983, 739). Ferner bezeichnet er die "Straflosigkeit von Rechtsgutsverletzungen, die nach objektivem Gewicht und subjektiver Vorwerfbarkeit hinter den tatbestandserfüllenden nicht zurückstehen", als "Preis" des fragmentarischen Charakters des Strafrechts (JuS 1983, 740). 15 JuS 1983, 740. 16 JuS 1983, 741.

§ 6: Nonnative Ansätze auf Sanktionsnormebene

159

nem mit Strafe; zumindest diese Handlungen müssen also verboten sein. Da entsprechende Handlungen von Frauen nicht mit Strafe bedroht sind, stellt sich die Frage, ob sie lediglich nicht strafbar oder sogar erlaubt sind, oder anders gewendet: ob das Tatbestandsmerkmal "Mann" ein reines Sanktionsnormmerkmal ist oder ob es bereits die Reichweite der Verhaltensnorm begrenzt. Unter diesem Aspekt verdient die These Herzbergs, Männer und Frauen hätten eine gleich hohe "Verantwortung" für das Schutzgut des § 183, durchaus Zustimmung: Mögen exhibitionistische Handlungen von Frauen auch statistisch seltener vorkommen als solche von Männem und mag auch die Allgemeinheit zu exhibitionistischen Handlungen von Frauen eine andere Einstellung haben mit der Folge, daß sie relativ seltener als belästigend empfunden werden als solche von Männem, so ist doch in der Tat kein Grund dafür ersichtlich, exhibitionistische Handlungen von Frauen, soweit sie vorkommen und gleichermaßen belästigend wirken, nicht ebenfalls zu verbieten, und zwar mit gleicher Dringlichkei t 17 • Das Tatbestandsmerkmal "Mann" muß also ein reines Sanktionsnormmerkmal sein, und als solches ist es auch sinnvoll auslegbar. Das von Herzberg sogenannte "Prinzip der Strafgerechtigkeit" i. S. eines Postulats gleichmäßiger Ahndung von Taten mit gleichem Tatschuldgehalt existiert nämlich nicht. Vielmehr ist die Entscheidung, inwieweit die verwirklichte Tatschuld geahndet werden soll, auf die Prävention als einzigen legitimen Strafzweck auszurichten und an den verfassungsrechtlichen Regulativen des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen 18. Legt man diesen Maßstab an, dann beweisen die Ausführungen Herzbergs zu § 183 gerade das Gegenteil von dem, was sie beweisen sollen, denn sie lassen die dort vorhandene "Strafbarkeitslücke" durchaus "positivwertig" erscheinen: Der Gesetzgeber hat sich an dem traditionellen Tatbild der Exhibition orientiert, und er durfte dies, weil die dann straflos bleibenden Fällen statistisch so selten sind, daß insoweit eine generalpräventive Einflußnahme mit dem Instrumentarium des Strafrechts entbehrlich erscheint. Genauer läßt sich das Zusammenspiel zwischen "statistischem" und "Tatbildaspekt" folgendermaßen beschreiben: Entscheidend ist letztlich die statistisch geringe Häufigkeit der fraglichen Fälle, denn sie ist es, die das Präventionsbedürfnis mindert. Für sich allein kann sie allerdings nur eine ungefähre Eingrenzung der Sanktionsnorm vorgeben. Bei der genauen Eingrenzung ist vor allem auf die für die Präventionswirkung wichtige Akzeptanz der Strafdrohung Rücksicht zu nehmen. Sie wird vennindert, wenn Fälle ungleich behandelt werden, deren Ungleich behandlung einem - bewußt oder unbewußt - am Vergeltungsgedanken ausgerichteten Gerechtigkeitsempfinden der Allgemeinheit widerstrebt. Wo jedoch eine Ungleichbehandlung ohne diese Gefahr möglich ist, weil das Bewußtsein der Allgemeinheit mit einer bestimmten Deliktsart von vornherein nur ein relativ fest umgrenztes (und sich im wesentlichen mit dem Kreis der statistisch häufigen Fälle deckendes) "Tatbild" verbindet, da muß der Gesetzgeber die Strafbarkeitsgrenze 17 18

Zum Begriff der Dringlichkeit einer Verhaltensnonn oben S. 75ff. Eingehend zu diesen Zusammenhängen oben § 2 C. 11.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

ziehen, wenn - und weil - die Strafbewehrung in diesen Randfällen nur geringen präventiven Effekt hätte und damit unverhältnismäßig wäre.

Ob die von Herzberg gefundenen Ergebnisse zutreffen, mag zunächst noch offen bleiben. Methodisch handelt es sich um den Versuch, vermeintlich verfehlte Wertungen zu unterlaufen, indem ihre Auswirkungen so weit wie nach dem Gesetzeswortlaut möglich begrenzt werden; und für verfehlt hält Herzberg die Wertungen deshalb, weil er von einem in dieser Form nicht akzeptablen "Prinzip der Strafgerechtigkeit" ausgeht. III. Die Lehre von der "besonderen Kennzeichnung der Rechtsgutsverletzung" (Gössel)

Gösse! will § 28 u. a. 19 auf diejenigen Merkmale anwenden, welche "die jeweilige Rechtsgutsbeeinträchtigung in besonderer Weise kennzeichnen"20. Darunter fallen als lediglich "allgemeine" nicht diejenigen Merkmale, für die es "gerade wegen ihrer Allgemeinheit" Spezialvorschriften gibt, sowie diejenigen Merkmale, die eine normwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigung überhaupt erst konstituieren. Als Beispiel für die verbleibenden Merkmale nennt Gössel das Merkmal "rücksichtslos" (§ 315 c I Nr.2), das er offenbar als Unrechtsmerkmal ansieht: Verboten sei eine Beeinträchtigung der durch § 315 c geschützten Rechtsgüter unabhängig von der "Rücksichtslosigkeit" des jeweiligen Verhaltens; dieses Merkmal kennzeichne nur "die hier gemeinten Rechtsgutsbeeinträchtigungen in spezieller Weise mit der Rechtsfolge Strafbarkeit" und sei daher ein "besonderes persönliches Merkmal".

Die Ausführungen Gössels zu dem Merkmal "rücksichtslos" verdienen uneingeschränkte Zustimmung, soweit sie sich auf die Unterscheidung von Normwidrigkeit und Strafbewehrung beziehen. Allerdings ergibt sich mit der Feststellung, daß der Gesetzgeber hier nur solche Verhaltenspflichtverletzungen mit Strafe bedroht, die einen erhöhten Handlungsunwert aufweisen, erst das eigentliche Problem: Wenn der Gesetzgeber bei dem nicht rücksichtslos handelnden Täter ein Bedürfnis der Prävention durch Strafe verneint, dann muß für den Teilnehmer das gleiche gelten, es sei denn, aus etwaigen Besonderheiten der Teilnahmedogmatik folgt etwas anderes. Dieses Problem spricht Gössel aber gar nicht an. E. Zusammenfassung 1. Als wesentliche positive Erkenntnis bleibt festzuhalten, daß sowohl der Anstiftungsals auch der Beihilfetatbestand ganz parallel zum jeweils entsprechenden Tätertatbestand ein Verietzungs-, konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt darstellen. Die vor allem 19 Außerdem will er § 28 insbes. anwenden auf "persönliche Merkmale, welche den Täter in besonderer Weise kennzeichnen" (dies sind im wesentlichen die "Pflichtmerkmale" i. S. Roxins), vgl. AT /2, 53/127; zum weiteren Anwendungsbereich AT /2, 53/128. 20 Hierzu u. zum folgenden AT / 2, 53/ 117ff.

§ 7: Nonnative Ansätze auf Verhaltensnormebene

161

zur Beihilfe vertretenen abweichenden Auffassungen sind entweder mit dem Gesetz oder mit den zwingenden Voraussetzungen jeder Erfolgszurechnung unvereinbar. II. Ansonsten haben sich die verschiedenen Erklärungsansätze als unergiebig erwiesen: 1. Art. 103 11 GG stellt lediglich bestimmte Anforderungen an die Gesetzesfonnulierung durch den Gesetzgeber und grenzt den Auslegungsspielraum ein. Nicht aber weist er den Interpreten zur Aufstellung klarer Auslegungskriterien, etwa i. S. eines restriktiven Täterbegriffs, an. Erst recht ergibt sich nichts für die Einordnung der gesetzlichen Regelungen in den Wertungszusammenhang des Straftatsystems.

2. Markante Unterschiede im Grad der Vorwerfbarkeit sind bei den Beteiligungsformen nicht ersichtlich. 3. Auch die Definitionen des Begriffs "besondere persönliche Merkmale" anhand sanktionsnonnrelevanter Kriterien überzeugen nicht. Dies gilt für die rein spezialpräventive Auslegung bestimmter Absichtsmerkmale durch Samson und Schünemann. für das Herzbergsche Kriterium der "Wertneutralität" sowie für Gössels Definition der "Besonderheit" persönlicher Merkmale.

§7 Normative Ansätze auf Verhaltensnormebene A. Ansätze, die auf einem (normativen) Regreßverbotsgedanken beruhen

Die These, ein Kausalzusammenhang werde durch eine vorsätzlich-schuldhaft gesetzte Bedingung stets unterbrochen, gilt heute mit Recht als überholtl. Sie entstammt dem Denken des naturalistischen Positivismus, das den Schlüssel zur Lösung der meisten Probleme des Unrechtsbegriffs in dem Kriterium der Kausalität gefunden zu haben glaubte 2 • In Wahrheit liegt die Problematik nicht in der Existenz eines Kausalzusammenhangs zwischen Teilnehmerhandlung und Haupttaterfolg (dazu bereits oben § 6 C.), sondern in der - durch eben jenes Dazwischentreten des vorsätzlich-schuldhaften Verhaltens eines anderen gekennzeichneten - Art des Kausalverlaufs. Die Lehren, die sich mit der Bewertung dieser Unterschiedlichkeit der Kausalverläufe befassen, lassen sich in drei große Gruppen einteilen: die heute ganz herrschenden Tatherrschaftslehren (dazu unten C.), die Gefährlichkeitslehren (einschließlich der auf "Kausalitätsquantifizierungen" beruhenden Lehren, die man dogmengeschichtlich als ihre Vorläufer betrachten mag; zu diesen Lehren unten B.), und schließlich die inhaltlich recht unterschiedlichen, üblicherweise sogenannten Regreßverbotslehren, die hier zunächst erörtert werden sollen. In der Bezeichnung "Regreßverbot" spiegelt sich wiederum die typische Denkweise des klassischen Unrechtsbegriffs: Sie blickt vom Erfolgseintritt ausgehend zurück auf die Dazu statt vieler: Rudolphi in SK, RN 49, 72 vor § 1. Zu den methodischen und wertungsmäßigen Implikationen des "klassischen" Unrechts begriffs oben § 2 C. III. 2.; zu den auf "Kausalitätsquantifizierungen" gegründeten Beteiligungsfonnenlehren unten B. I. 1

2

11 Stein

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

verursachenden Faktoren und besagt, daß nicht auf Handlungen jenseits einer vorsätzlichschuldhaften Handlung "zurückgegriffen" und ihnen der Erfolgseintritt als (täterschaftliches = tatbestandliches 3 ) Unrecht zugerechnet werden darf. Geht man von dem hier zugrunde gelegten Verständnis der Straftat als einer strafbedrohten Verhaltenspflichtverletzung aus (eingehend dazu oben § 2 C.), dann muß man den Inhalt eines "Regreßverbots" naturgemäß anders formulieren: Die einer Handlung innewohnende Möglichkeit, über die vorsätzlich-schuld hafte Handlung eines anderen zu einer Rechtsgutsobjektsverletzung zu führen, wirkt nicht verhaltenspflichtbegründend (bzw. wenn man lediglich den Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme kennzeichnen will: nicht täterverhaltenspflichtbegründend).

Es ist vor allem Schumann, der es in seiner jüngst erschienenen Abhandlung unternimmt, eine normativ begründete Regreßverbotslehre zu formulieren und für weite Bereiche des Verhaltensnormensystems, insbesondere auch die Beteiligungsformendogmatik, fruchtbar zu machen. Auf seine Lehre werde ich im folgenden (I.) ausführlicher eingehen. Anschließend (11.) werden einige weniger konkret ausgearbeitete und höchstens andeutungsweise begründete Ansätze vorgestellt. I. Die Lehre Schumanns

1. Schumann formuliert das von ihm sog. "Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen" (kurz: Selbstverantwortungsprinzip) folgendermaßen: Der "dem einzelnen zugewiesene Verantwortungsbereich und die ihn darin treffenden Verhaltenspflichten (sind) in der Weise zu begrenzen ... , daß man sich grundsätzlich nicht darauf einstellen muß, daß andere sich Dritten oder sich selbst gegenüber sorgfaltswidrig verhalten"4.

Angesichts der Tragweite dieses Prinzips und der weitreichenden Folgerungen, die Schumann aus ihm ableitet, erstaunt es, daß er nur wenige, in der Einleitung zu findende Sätze auf seine Begründung verwendet. Genannt werden zwei Argumente: a) Das Schuldprinzip - also die normative Setzung des geltenden Rechts, daß der Mensch grundsätzlich als zur sinnhaften autonomen Selbstbestimmung fähig anzusehen ist S - ermögliche es nicht nur, dem einzelnen eine Verhaltenspflichtverletzung vorzuwerfen und ihn deswegen zu bestrafen, sondern müsse gleichzeitig die mit dem Selbstverantwortungsprinzip umschriebene Begrenzung der Verhaltenspflichten nach sich ziehen 6 ; in einem auf das Schuldprinzip gegründeten Strafrecht nicht das Selbstverantwortungsprinzip anzuerkennen, wäre "widersprüchlich" 7 • 3 Siehe zu dieser Gleichsetzung bereits die Kritik der Lehre Bloys (oben S. 93). 4 Handlungsunrecht, 5 (u. öfter). 5 Insoweit stimmt Schumann mit dem hier vertretenen Verständnis des Schuldprinzips (vgl. oben S. 79ff.) überein. 6 Handlungsunrecht, H., 4f. Dieses Argument ist nicht neu; siehe z.B. Schönke/Schröder/Cramer, § 15 RN 146; Stratenwerth, AT, RN 1155.

§ 7: Normative Ansätze auf Verhaltensnormebene

163

Worin genau nun diese (angebliche) Widersprüchlichkeit liegen soll, bleibt unklar, denn das Schuldprinzip und das Selbstverantwortungsprinzip beziehen sich auf Aspekte des rechtlichen Regelungssubstrats, die sowohl tatsächlich als auch wertungsmäßig vollkommen verschiedenartig sind. Das Schuldprinzip betrifft die Form der Willensbildung und besagt, daß sie - welchen Inhalt sie auch immer haben mag - grundsätzlich "frei", d.h. im Wege sinnhaftautonomer Selbstbestimmung vonstatten geht. Das Selbstverantwortungsprinzip hingegen betrifft den Inhalt der Willensbildung, d. h. die Art des Verhaltens, zu dem der Mensch sich "frei" entschließt. Es schließt sich keineswegs aus, einerseits die Form der Willensbildung des "Vordermanns" wie des "Hintermanns" als sinnhaft-autonom zu begreifen und andererseits sowohl dem Vordermann ein das Rechtsgutsobjekt unmittelbar gefährdendes Verhalten zu verbieten als auch dem Hintermann zu verbieten, dazu beizutragen, daß die Willensbildung des Vordermanns einen (wegen der Gefährdung des Rechtsgutsobjekts) verhaltensnormwidrigen Inhalt erhält. Die behauptete "Widersprüchlichkeit" jedenfalls existiert evidentermaßen nicht. Vielmehr wäre zu erwägen, ob nicht angesichts der auch von Schumann 8 hervorgehobenen Tatsache, daß Verhaltenspflichtverletzungen häufig vorkommen, ein solcher sozusagen "doppelter" Schutz des Rechtsgutsobjekts sogar geboten wäre. b) Zweitens, so meint Schumann, würde die Nichtanerkennung des Selbstverantwortungsprinzips "auch die Handlungsfreiheit nahezu aufheben. Denn mit pflichtwidrigem Handeln anderer und mit ,Verschulden gegen sich selbst' ist nicht nur tatsächlich in großem Umfang zu rechnen, sondern es müßte, wenn man von der Willensfreiheit des Menschen ausgeht, auch als jederzeit möglich und vorhersehbar gelten, da freies menschliches Handeln sich anders als Naturkausalität letztlich exakter Berechenbarkeit entzieht. "9 Dieser von Schumann stark komprimiert dargestellte Gedankengang läßt sich in ausführlicherer Form folgendermaßen skizzieren: Das Schuldprinzip gebietet es, stets so zu tun 10, als sei die Willensbildung eines Menschen - insbesondere also auch die des "Vordermanns" in den hier in Rede stehenden Konstellationen - "letztlich nicht exakt berechenbar". Dies, zusammengenommen mit der Erfahrungstatsache, daß Verhaltenspflichtverletzungen häufig vorkommen, führt dazu, daß mit pflichtwidrigem Verhalten eines Vordermanns praktisch immer gerechnet werden muß. Da nun - so die unausgesprochen bleibende Prämisse Schumanns - wegen dieser Möglichkeit pflichtwidrigen Verhaltens des Vordermanns immer auch die Handlung des Hintermanns verboten werden müßte, bliebe im Ergebnis von der Handlungsfreiheit so gut wie nichts mehr übrig. Handlungsunrecht, 5. Handlungsunrecht, 5. 9 Handlungsunrecht, 5. 10 Es kann sich nur um eine normative Setzung, nicht aber um eine empirische Feststellung handeln, da ja auch das Schuldprinzip eine normative Setzung ist. 7

8

11"

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Es sind vor allem zwei Glieder dieser Argumentationskette, die Kritik herausfordern. (1) Zunächst ist nicht ersichtlich, wieso aus dem Schuldprinzip folgen soll, daß menschliches Verhalten als im Vergleich zur Naturkausalität generell weniger exakt voraussehbar und beherrschbar behandelt werden muß. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß menschliches Verhalten je nach den Umständen des Einzelfalls mal mehr, mal weniger exakt kalkulierbar ist; insofern besteht kein wesentlicher Unterschied zu den Naturkausalverläufen, deren Ablauf praktisch auch nur selten mit letzter Sicherheit voraussagbar ist. Und von dieser im Einzelfall durchaus unterschiedlichen, insgesamt relativ verläßlichen Prognostizierungsmöglichkeit wird auch im Alltagsleben permanent Gebrauch gemacht, denn eine sinnvolle Lebensgestaltung dürfte wohl kaum möglich sein, würde man nicht bei seinen Planungen stets eine Vielzahl konkreter Erwartungen über das Verhalten von Mitmenschen zugrunde legen. Daher läßt sich auch nicht sagen, es verstoße gegen die Menschenwürdegarantie - gerade auf dieser beruht ja das Schuldprinzipll -, wenn das Gesetz in Übereinstimmung mit dieser Alltagserfahrung und -praxis die Voraussehbarkeit menschlichen Verhaltens genau so behandelt, wie es den empirischen Erkenntnissen entspricht. (2) Der zweite Kritikpunkt betrifft die unausgesprochene Prämisse, die Handlung des Hintermanns müßte (wenn es das Selbstverantwortungsprinzip nicht gäbe) stets verboten werden, da ein pflichtwidriges Verhalten des Vordermanns praktisch nie auszuschließen sei. Richtig wäre diese These nur dann, wenn jede von einem Verhalten ausgehende Gefährlichkeit zwangsläufig zum Verbot dieses Verhaltens führen müßte. Dem ist aber gerade nicht so. Vielmehr muß, wie bereits ihm Rahmen der verfassungsrechtlichen und normentheoretischen Vorüberlegungen ausgeführt 12 , aufgrund einer wertenden Abwägung der Gefährlichkeit einerseits und der gegen ein Verbot sprechenden Aspekte andererseits entschieden werden, ob das Verhalten verboten werden soll. Und wird diese Abwägung korrekt durchgeführt, dann kann ein Verbot des betreffenden Verhaltens die Handlungsfreiheit ex definitione gar nicht übermäßig einschränken. 2. Von den zahlreichen Schlußfolgerungen, die Schumann aus seinem Grundansatz zieht, sei hier nur ein Teil derjenigen herausgegriffen, die den Täterbegriff1 3 , und zwar speziell die mittelbare Täterschaft, betreffen. Das Selbstverantwortungsprinzip greift schon seiner Definition nach nicht ein, wenn der Vordermann nicht "willensfrei" i. S. d. Schuldprinzips oder nicht verhaltenspflichtwidrig handelt. Eine den Hintermann treffende mittelbartäterschaftliche Verhaltenspflicht läßt sich demnach in solchen Konstellationen ohne Schwierigkeit bejahen 14 • Problematisch sind hingegen die Fälle, in denen 11 12

13

Dazu oben S. 79f. Oben S. 68 ff. Zu seiner Auslegung der Teilnahmevorschriften bereits oben § 3 B.

§ 7: Nonnative Ansätze auf Verhaltensnonnebene

165

das Selbstverantwortungsprinzip seiner Definition (und auch seiner Herleitung) nach eigentlich eingreifen müßte, etwa im Falle der Hervorrufung eines vermeidbaren Tatbestandsirrtums des Vordermanns. Das Gesetz geht offensichtlich davon aus, daß dies ein Fall der mittelbaren Täterschaft ist, da mangels vorsätzlicher Haupttat keine Teilnahme vorliegen kann und mithin eine wohl kaum erklärbare "Strafbarkeitslücke" entstünde. Methodisch korrekt ließe sich das Vorliegen mittelbarer Täterschaft nur dadurch begründen, daß man Wertungsgesichtspunkte aufzeigt, die gewichtiger sind als diejenigen, die das Selbstverantwortungsprinzip tragen; daß es solche Gesichtspunkte gibt, muß indessen schon von vornherein als sehr fraglich erscheinen, wenn man bedenkt, daß jenes Prinzip ja u. a. auf dem Schuldprinzip beruhen soll, welches wiederum in der Menschenwürdegarantie (!) wurzelt. Hierauf geht Schumann freilich nicht ein; vielmehr legt er seinen weiteren Überlegungen die These zugrunde, eine Ausnahme sei gerechtfetigt, wennn "der Hintermann die Willens bildung des Vordermanns, z. B. durch Täuschung, in der Weise bewußt lenkt, daß die daraus resultierende Handlung ... als in einer Weise von ihm beherrscht erscheint, die der Steuerung eigenen Handeins gleichwertig ist" 15. Sodann bejaht er in der genannten Konstellation ohne weiteres eine mittelbare Täterschaft des Hintermanns 16 • Demgegenüber bleibt prinzipiell zu bezweifeln, daß man bei einem i. S. d. Schuldprinzips "frei" und fahrlässig handelnden Vordermann überhaupt davon sprechen kann, man steuere sein Verhalten "wie eigenes Verhalten" womit sich zugleich die Lehre Schumanns nicht als geeignet erweist, das geltende Recht zu erklären. 11. Andere Autoren

1. Auch schon in der älteren Literatur finden sich Bemerkungen, in denen die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme auf ein - zumindest andeutungsweise - mit dem Schuldprinzip in Verbindung gebrachtes normatives Regreßverbot zurückgeführt wird. Genannt seien Hellmuth Mayer l7 , nach dessen Ansicht es "nicht möglich (ist), eine Tat zugleich als Willenswerk des Täters und eines Hintermannes anzusehen"; dabei handle es sich aber wohlgemerkt nicht um eine Unterbrechung des Kausal-, sondern des "Haftungs- oder Zurechnungszusammenhangs"; 14 Eingehend dazu Schumann, Handlungsunrecht, 103 ff. Freilich will Schumann in der letzteren Konstellation (Beispiel: ein ahnungsloser Dritter schaltet durch Betätigen des Lichtschalters die vorn Hintermann installierte Höllenmaschine ein) unmittelbare Täterschaft bejahen, da der Hintermann eine "physische Gefahr" geschaffen habe (Handlungsunrecht, 92); doch soll dies hier nicht weiter verfolgt werden. IS Handlungsunrecht, 72. 16 Handlungsunrecht, 103 ff. 17 LB AT, 138.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

die Bemerkung Gallas'18, ein Verhalten könne "nicht zugleich frei und als von einem anderen beherrscht, d. h. aber als unfrei, erscheinen"; zwar sei die "motivierende Wirkung" bei der Veranlassung eines schuldlos-vorsätzlich und eines schuldhaft-vorsätzlich Handelnden gleich, doch bestehe ein "Wertunterschied"; und nicht zuletzt Wegner l9 , der meint, daß "die Freiheit des Menschentums und seiner Würde diese Begrenzung der Verantwortlichkeit fordern".

2. Dem Ansatz Schumanns recht nahe kommen die Thesen atlos und eramers. a) Voraussetzung der strafrechtlichen Haftung einer Person ist nach Ansicht Ouos die "Steuerbarkeit des Geschehens" durch diese Person. Diese Steuerbarkeit hat einerseits "faktische", andererseits aber auch "normative" Grenzen, und zwar insbesondere den "Grundsatz des Gesetzes, an die persönliche Verantwortung des Täters anzuknüpfen und ihm jene Erfolge zuzurechnen, für die er aufgrund seiner sozialen Position verantwortlich ist. Wer über ,Wie' und ,Ob' einer Rechtsgutsverletzung i. S. d. Gesetzes frei entscheidet, ist unmittelbar für diese verantwortlich. Er schließt andere, die sorgfaltspflichtwidrig Voraussetzungen für diese Rechtsgutsverletzung geschaffen haben, von der Verantwortung aus, es sei denn, deren Haftung ist gesetzlich besonders normiert, oder aber spezielle Pflichten setzen den Grundsatz außer Kraft."20 Die §§ 26, 27 sollen nun offenbar eine solche "besondere gesetzliche Normierung" darstellen 21 , während bei Fahrlässigkeitsdelikten nur der der Täterschaft entsprechende Bereich strafbar sein so1l22. Ausführungen über den Sinn jenes behaupteten "Grundsatzes des Gesetzes" und die Rechtfertigung der in den §§ 26, 27 erblickten Ausnahmen fehlen indessen. b) Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Cramer. Er führt (sinngemäß) aus, grundsätzlich brauche man sein Verhalten lediglich so einzurichten, daß man selbst keine Rechtsgüter gefährde; nicht aber müsse man auch ein mögliches rechtsgutsbeeinträchtigendes Verhalten anderer Personen in Rechnung stellen, denn auch bei diesen anderen Personen werde prinzipiell die Fähigkeit zu verantwortlicher Selbstbestimmung vorausgesetzt. Die §§ 26,27 bildeten "nur für den Vorsatzbereich geltende Ausnahmefälle"23. Auch hier fehlt wieder eine nähere wertungsmäßige Begründung des Grundgedankens (der Hinweis auf die Fähigkeit zu verantwortlicher Selbstbestimmung kann nicht genügen, denn diese Fähigkeit impliziert ja gerade auch die Möglichkeit zu pflichtwidrigem Verhalten und macht daher eine Pflicht, fremdes pflichtwidriges Verhalten einzukalkulieren, keineswegs überflüssig). Im übrigen wird auch nicht recht klar, inwiefern die §§ 26,27 überhaupt "Ausnahmefälle" vom Vertrauensgrundsatz bilden sollen, da ja nach der herrschenden, auch von Cramer 24 vertretenen Ansicht sein Anwendungsbereich dort 18 Beiträge, 99. - Ergänzend weist er auf eine nicht weiter erläuterte "Sozialethik" hin; dazu bereits oben S. 136ff. 19 AT, 242. 20 JuS 1974, 706; ähnl. auch in Maurach-Festschr., 98, u. NJW 1980,422. 21 Jedenfalls zieht Otto (Maurach-Festschr., 98) aus der Existenz des § 48 a. F. einen Rückschluß auf die grundsätzlich eintretende "Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs". 22 JuS 1974, 705. 23 Schönke / Schröder / Cramer, § 15 RN 146. 24 Schönke / Schröder / Cramer, § 15 RN 147fT. mit Darstellung des über die Einzelheiten bestehenden Streits.

§ 7: Nonnative Ansätze auf Verhaltensnonnebene

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endet, wo die konkrete Situation Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten anderer gibt.

3. Erwähnt seien schließlich noch zwei weitere, ebenfalls nicht überzeugend begründete Ansätze von Welp und M.-K. Meyer: a) Durch den vorsätzlich und schuldhaft handelnden Vordennann wird, wie Welp es fonnuliert, dem Hintermann gewissennaßen "der Zugang zu einer Verantwortlichkeit für den Erfolg verstellt"25. Dies liegt nach seiner Meinung daran, daß "durch die Eigenverantwortlichkeit des anderen sich alle Motive" (und derTatbeitrag des Teilnehmers, so muß man ergänzen, ist in diesem Sinne für den Haupttäter ein "Motiv") "zu bloßer Versuchung nivellieren und mithin keine größere Gefahr bilden, als sie das Opfer von dem unmittelbar Handelnden ohnehin zu gewärtigen hätte". Damit fehle eine "besondere Abhängigkeit" des Opfers vom Unterbleiben der Teilnahmehandlung, weil eine Teilnahmehandlung (bei einer generellen, von der konkreten Fallgestaltung absehenden Betrachtungsweise) ihrer Natur nach kein "wirksameres und gefährlicheres Motiv" zur Begehung der Haupttat sei als "die Unzahl der sonstigen Umstände, die als Motiv zu kriminellem Tun gewählt werden können"26. Diese Argumentation halte ich nicht für schlüssig. Die Teilnahmehandlung bildet doch - um die Tenninologie Welps beizubehalten - immerhin ein zusätzliches "Motiv" für den Haupttäter; sie erhöht damit die Begehungswahrscheinlichkeit der Haupttat und dadurch mittelbar die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einer Rechtsgutsobjektsverletzung kommt (die Verhaltensnonn kann ja überhaupt nur hieraus ihre Legitimation beziehen). Insofern besteht nun aber kein Unterschied zur Täterschaft: Auch die Täterhandlung ist bei genereller Betrachtungsweise nicht gefährlicher als die Vielzahl der denkbaren Naturereignisse, die denselben Erfolg herbeiführen könnten, und auch von ihrem Unterbleiben ist das potentielle Opfer "nur" insofern abhängig, als dadurch seine Gefährdetheit auf das durch mögliche Naturkausalität begründete Maß reduziert würde. b) Maria-Katharina Meyer 27 sieht den "materialen Gehalt" von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft in einer "besonderen Art der Gefahrsetzung und (oder) Zielverfolgung" , nämlich der "Realisierung personal unabhängiger Handlungsfreiheit". "Personal unabhängig" ist diese Realisierung der Handlungsfreiheit insofern, als zwischen Täterhandlung und Taterfolg entweder gar keine Handlung eines anderen steht (unmittelbare Täterschaft) oder die Handlung eines infolge Irrtums, Nötigung, Schuldunfähigkeit usw. zumindest relativ handlungsunfreien Tatmittlers (mittelbare Täterschaft). - Eine Begründung dafür, wieso der Gesetzgeber überhaupt und gerade in dieser Weise zwischen Täterschaft und Teilnahme unterscheidet, findet sich nicht. Ohne sie dürfte aber auch beispielsweise kaum plausibel zu machen sein, weshalb die Mittäterschaft, die Meyer durch eine "wechselseitig eingeschränkte Handlungsfreiheit" gekennzeichnet sieht 28 , der "unabhängigen Handlungsfreiheit" (unmittelbaren und mittelbaren Täterschaft) gleichgestellt werden darf und nicht etwa nur der "einseitig abhängigen Handlungsfreiheit" (Teilnahme).

25 26 27 28

Vorangeg. Tun, 276. Vorangeg. Tun, 276ff. Autonomie, 93 f. Autonomie, 94.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

B. Die "Kausalitäts-" und "Gefahrlichkeitslehren"

Sollte die These zutreffen, daß die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Handlung prinzipiell dadurch verringert wird, daß der von ihr (möglicherweise) ausgehende Kausalverlauf als Zwischenglied das freie und vorsätzliche Handeln eines anderen enthält, so könnte dies nur Bedeutung für die Verhaltensnormebene haben: Die Riskantheit einer solchen Handlung wäre dann vermindert und dementsprechend auch die Dringlichkeit der sie verbietenden Verhaltensnorm. Zu erwägen wäre sodann, ob sich daraus Rückschlüsse auf die Unterscheidung der Beteiligungsformen sowie auf die Notwendigkeit unterschiedlicher Strafrahmen ziehen ließen. Keinerlei Bedeutung aber hat jenes Problem für die Erfolgszurechnung. Hier gibt es nur ein Entweder-Oder: Ist der eingetretene Erfolg das Produkt eines der Kausalverläufe, um deren Vermeidung willen die Handlung verboten war, dann ist er als Erfolgsunwert zurechenbar, ansonsten nicht. I. Ansätze ohne hinreichende Trennung von Verhaltensnorm- und Sanktionsnormebene, insbesondere die "Kausalitätslehren"

Auch im neueren Schrifttum wird diese notwendige Differenzierung oft nicht hinreichend beachtet, was dann leicht zu Fehlschlüssen führt. Zur Verdeutlichung des dogmengeschichtlichen Hintergrunds, vor dem solche Fehlschlüsse verständlich erscheinen, werde ich zunächst (1.) exemplarisch die Teilnahmelehre Birkmeyers darstellen. Sie ist eine typische Ausprägung des aus der Zeit des naturalistischen Positivismus stammenden "klassischen" Unrechtsbegriffs, auf dessen Fortwirken in der neueren Beteiligungsformendogmatik ich bereits bei der Kritik der Lehre Bloysl hingewiesen habe. Die Besonderheit der Lehre Birkmeyers ist ihr konsequenter "kausalitätsquantifizierender" Ansatz, und ganz ähnliche Gedankengänge sind in mehr oder weniger versteckter Form auch in einige neuere Lehren eingeflossen, auf die ich anschließend (2. - 5.) eingehen werde. 1. Birkmeyer

Eine entscheidende dogmatische Prämisse seiner Lehre ist die These, das "Wesen" des Verbrechens liege in dem tatbestandsmäßigen Erjolg2. Die Verantwortlichkeit für den Erfolg bestimmt sich (abgesehen von dem Grad der Vorwerfbarkeit) nach dem Anteil an der Herbeiführung des Erfolgs, und zwar - ganz in der Tradition des naturalistischen Positivismus - im Sinne einer "Quantifizierung" der Kausalität. Dies wird deutlich an hand seiner Ausführungen zur Mittäterschaft: Oben § 2 C. III. 2. Dies bringt er freilich eher beiläufig zum Ausdruck bei der Behandlung einer Spezialfrage, indem er bemerkt, "de lege ferenda" (!) erblicke er "in der verbrecherischen Thätigkeit das Wesen des Verbrechens" (Teilnahme, 171). 1

2

§ 7: Nonnative Ansätze auf Verhaltensnormebene

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"Der verpönte Erfolg sei gleich 12, seine Bedingungen gleich 7 + 3 + 2. Dann ist die 7 die überwiegende, die wirksamste Bedingung, also die Ursache des Erfolges im Sinne des Strafrechts. Besteht sie in einer menschlichen Handlung, dann ist diese die Ausführungsund Thatbestandshandlung. Und haben sich nun an dieser Mehrere beteiligt, etwa so: (3 + 4) + 3 + 2 = 12, so haben die durch (3 + 4) Bezeichneten die Verursachung des Erfolgs 12 zusammen gesetzt, das Verbrechen 12 gemeinschaftlich ausgeführt, sind also Mitthäter. "3

Diese Kausalitätsquantifizierung ist zwar die konsequente Fortführung der vom Erfolgsunwert ausgehenden Grundkonzeption, führt diese aber zugleich ad absurdum, denn eine solche Quantifizierung läßt sich letztlich nicht durchführen. Sie ist allenfalls noch denkbar, wenn die Kausalfaktoren gleichartig sind. Wenn z. B. A dem Opfer 3 Milligramm Gift beibringt und B 1 Milligramm, so mag es angehen zu sagen, der von A gesetzte Kausalfaktor sei dreimal so wirksam wie der des B. Mangels eines denkbaren Vergleichsmaßstabs ist eine derartige Quantifizierung aber unmöglich, sobald die Kausalfaktoren ungleichartig sind 4 . Möglich ist nur eine Quantifizierung, die an der Gefährlichkeit des Kausalfaktors (= der Beteiligungshandlung) für das Rechtsgutsobjekt ausgerichtet ist. Sinnvoll wäre ein solcher Maßstab aber nur für eine Quantifizierung des Handlungsunwerts; um eine "Kausalitätsquantifizierung" handelt es sich dabei nicht mehr. Noch eine weitere, nicht sinnvoll überwindbare Schwierigkeit ergibt sich für die Birkmeyersche Lehre: Da trotz der "geringeren Wirksamkeit" der Teilnahmehandlungen der Gesetzgeber den Anstifter wie einen Täter bestraft und zudem die Strafmilderung für den Gehilfen damals eine nur fakultative war, muß der geringere kausale Anteil des Teilnehmers an der Rechtsgutsverletzung durch ein hinzukommendes, beim Täter aber fehlendes Unwertelement ausgeglichen werden. Birkmeyer erblickt es in einem zusätzlichen Verschuldenselement: "Der Teilnehmer muß endlich gewußt und gewollt haben, daß ein Anderer zur Herbeiführungjenes Erfolges mit ihm zusammenwirke, daß dieser Andere ... neben ihm ... verursachen werde. Man drückt dies gewöhnlich dahin aus: der Teilnehmer müsse sich, was der Andere gethan, durch seinen Willen angeeignet haben. Diese Aneignung der Verursachung des Anderen durch die Verschuldung des Teilnehmers ist es vor Allem, welche die teilweise Kausalität des Teilnehmers zur Strafbarkeit der vollen Kausalität ergänzt."s

Dies ist offensichtlich nur eine Scheinlösung: Da die Teilnehmerhandlung auch objektiv nur im Zusammenwirken mit der Haupttäterhandlung den Erfolg herbeiführen kann, ist der Vorsatz hinsichtlich der kausalen Wirksamkeit der Haupttäterhandlung schon notwendiger Bestandteil des Vorsatzes, selbst den Erfolg mitzubedingen 6 ; wie darin zusätzlich (!) noch eine wie auch immer Teilnahme, 102 f. Sehr treffend bereits Perten, 18. sTeilnahme, 129.

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geartete "Aneignung" jener fremden Verursachung liegen kann, ist nicht nachvollziehbar. Ein solches "zusätzliches Verschuldenselement" wird auch überflüssig, sobald man das "Wesen" der Straftat in einer strafbedrohten pflichtwidrigen Handlung sieht. Verbotsbegründend ist dann die Gefährlichkeit der Handlung, d. h. die ihr innewohnende Möglichkeit, einen Kausalverlauf anzustoßen, der (bei der Teilnahme) über eine Haupttäterhandlung, die möglicherweise vorgenommen werden wird, zum Unrechtserfolg führt; ob der die täterschaftsgleiche Bestrafung legitimierende Tatschuldgehalt verwirklicht ist, bestimmt sich (u.a.) danach, ob der Gefährlichkeitsgrad eine (normativ festzulegende) Untergrenze erreicht, nicht aber nach irgendeinem "Kausalitätsquantum". 2. Michael Schultz

In seiner Monographie über das "Amtswalterunterlassen" entwickelt Michael Schultz Thesen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, in denen die verhängnisvolle Vermengung von Verhaltens- und Sanktionsnormebene besonders deutlich, und zwar auch schon terminologisch, zum Ausdruck kommt. a) Zum Verständnis seiner Ausführungen ist zunächst ein Hinweis zu den von Schultz entwickelten Begriffen "Innengefahr" und "Außengefahr" erforderlich. Er gibt zwar keine exakten Definitionen an, seinen Erläuterungen 7 läßt sich aber entnehmen, daß er unter "Außengefahr" einen potentiell rechtsgutsverletzenden Kausalverlauf versteht, sei er durch ein Naturereignis ("sachliche Außengefahr") oder eine menschliche Handlung ("personale Außengefahr") angestoßen, während mit "Innengefahr" die Anfälligkeit des Opfers gegen Außengefahren gemeint ist. Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist nun danach zu fragen, inwieweit sich die den einzelnen Beteiligten zurechenbaren Gefahren realisiert haben. Gibt es nur einen aktiv handelnden Beteiligten, "so realisiert sich die gesamte Außengefahr, die der Täter als Person darstellt, im Erfolg", und zwar auch dann, wenn noch eine Naturgefahr mitwirkt. Kommt ein Teilnehmer hinzu, dann realisiert sich dessen Außengefahr "erst auf dem Wege über den Täter". "Speziell bei der Beihilfe, aber auch bei der Anstiftung ist es nun überwiegend die Außengefahr des Täters und nur sekundär die des Teilnehmers, die sich im Erfolg realisiert. "8 Ähnlich argumentiert Schultz auch bei der Beteiligung durch Unterlassen. Der Überwachergarant, der entgegen seiner Garantenpflicht aus "Herrschaft über eine Außengefahr" untätig bleibt, ist nur Gehilfe, weil es wiederum die personale Außengefahr des Vordermanns ist, "die sich überwiegend im Erfolg verwirklicht"; ob der Vordermann schuldlos handelt, ist unerheblich, da "beim 6 7 8

Vgl. auch Binding, Abhandl. I, 312f.; Less, ZStW 69 (1957), 45. Amtswalterunterlassen, insbes. 14Off.; JuS 1985,272. Amtswalterunterlassen, 206.

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Unterlassen nicht die Möglichkeit besteht, die eigene Außengefahr an die Stelle des Vordennanns zu setzen".9 Hingegen ist der Beschützergarant, der entgegen seiner Garantenpflicht aus "Schaffung oder Aufrechterhaltung einer Innengefahr" untätig bleibt, Täter, weil er "hier zuvor vorsätzlich die Gefahr geschaffen oder aufrechterhalten hat, daß sich eine Außengefahr tatsächlich realisiert. Deshalb ist dem Unterlassenden hier die Gefahrrealisierung in vollem Umfang, nämlich als Täter zuzurechnen."l0 b) Wie die wiedergegebenen Passagen mit aller Deutlichkeit zeigen, stützt sich Schultz auf eine Quantifizierung der Gefahrrealisierung. Da es hierfür rational begründ bare Maßstäbe nicht gibt, kann es nicht verwundern, daß Schultz keine weiteren vertiefenden Begründungen, sondern nur beispielhafte Erläuterungen gibt. Daß er überhaupt zu bestimmten Lösungen für die einzelnen Konstellationen kommt, liegt an der Verwendung zweier "Quantifizierungsregeln", die jedoch unausgesprochen bleiben und daher auch nicht weiter hinterfragt werden. Erstens greift er auf eine Art Regreßverbot zurück, welches besagt, daß bei "Hintereinanderschaltung" zweier Handlungen der Erfolg überwiegend die Realisierung des vom Vordermann gesetzten Risikos darstellt. Zweitens ist bei Beteiligung eines Handelnden und eines Unterlassenden der Erfolg überwiegend die Realisierung des durch die Handlung begründeten Risikos; mit dieser Regel wird dann erklärbar, wieso bei schuldlosem Vordermann der handelnde Hintennann Täter, der unterlassende Hintennann aber Teilnehmer ist. Daß der unterlassende Beschützergarant hingegen immer Täter ist, bedeutet nicht unbedingt einen Widerspruch zu der zweiten Quantifizierungsregel. Vielmehr wirkt sich hier ein von dieser Regel unabhängiger offenkundiger Fehlschluß aus: Der Hinweis darauf, daß der Garant die "Innengefahr", also die besondere Schutzlosigkeit des Opfers, durch aktives Tun geschaffen oder aufrechterhalten hat, könnte allenfalls überzeugen, wenn es um die Strafbarkeit wegen dieses aktiven Tuns ginge; tatsächlich geht es aber ganz genau wie beim Überwachergaranten um die Bedeutung des Unterlassens der Gefahrabwendung, und mit dem Hinweis auf das Vorverhalten ist nur begründet, weshalb überhaupt eine Handlungspflicht besteht.

3. Puppe Puppell leugnet die Tauglichkeit des Kausalitätskriteriums zur Erfassung der Beziehung zwischen Anstiftungshandlung und Haupttat und entwickelt ein eigenes "Modell des psychischen Bewirkens fremder Entschlüsse", wobei es sich aber, wie bereits näher erörtert 12, in der Sache ebenfalls um ein Kausalitätskriterium handelt. 9 Amtswalterunterlassen, 207. Ist der Hintennann jedoch aktiv Handelnder und der Vordennann schuldlos, liegt mittelbare Täterschaft vor, weil "der Vordennann nicht als selbständige Außengefahr in Erscheinung tritt" (?); vgl. aaO, 206. 10 Amtswalterunterlassen, 208. 11 GA 1984, 101 ff. 12 Oben S. 146f.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Im einzelnen stellt sie folgende Anforderungen: Der Haupttäter muß die durch die Anstiftungshandlung gesetzen (potentiellen) Motive als die tatsächlichen Gründe für die Fassung seines Tatentschlusses "erleben und anerkennen" 13 . Ferner muß der Anstifter "eine Art Pakt mit dem Täter schließen, ihm ein Versprechen oder eine Verpflichtung zur Tat abnehmen, die diesen zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch binden und ihm das Aufgeben des Tatplans erschweren soll" 14. Und schließlich muß "der Täter sich bei Planung und auch bei Ausführung der Tat in gewissem Grade dem Anstifter unterordnen"lS; mit einer "heuristischen Formel" könne man dieses Verhältnis folgendermaßen umschreiben: "Anstiftung (und nicht nur psychische Beihilfe) liegt dann vor, wenn der Täter die Tat ebenfalls aufgegeben hätte, sofern der Anstifter von der gemeinsamen Unrechtsabrede zurückgetreten wäre." 16

a) Dies sind nach Ansicht Puppes "die Gründe dafür, daß wir dem Anstifter die Tat strenger zurechnen als dem Gehilfen"17. Für die Verhaltensnormebene heißt dies, daß die genannten Gründe die Legitimation geben, diejenige Handlung, auf die sie zutreffen - die Anstifterhandlung also - mit einem dringlicheren Verbot zu belegen als die Gehilfenhandlung. Worauf diese Legitimation beruhen soll, ist jedoch nicht ersichtlich. Nicht einleuchtend ist zunächst die alleinige Relevanz der Tatsache, daß der Täter die Anstifterhandlung "als kausal erlebt". Zum einen werden damit all die Fälle aus dem Verbotsbereich ausgeklammert, in denen zu erwarten steht, daß der Täter sich völlig unreflektiert zu der Tat hinreißen lassen wird oder daß die "Anstifterhandlung" lediglich über das Unterbewußtsein den Tatentschluß mitbewirken wird; solche Formen der Einflußnahme muß Puppe konsequenterweise sogar generell für erlaubt halten 18. Zum anderen wären auch diejenigen Fälle von der Verhaltensnorm erfaßt, in denen bereits ex ante praktisch sicher ist, daß der Täter die Tathandlung vornehmen wird und die vom "Anstifter" gelieferten Motive nur noch zu einer vordergründigen "Verbrämung" des im Unterbewußtsein bereits feststehenden Entschlusses führen können. Da Puppe die Möglichkeit einer hinreichend genauen Wahrscheinlichkeitsberechnung leugnet, kann sie von ihrem Standpunkt aus die notwendige Begrenzung der Verhaltensnorm auf Fälle eines bestimmten Mindestrisikogrades gar nicht vornehmen. Eine weitere Konsequenz wäre, daß sich die Verhaltenspflichtwidrigkeit einer Anstiftungshandlung letztlich nur aus einem Rückschluß aus der (vom Täter bewußt erlebten) tatsächlich eingetretenen Kausalität ergeben könnte - von der hier vertretenen normentheoretischen GA 1984, 109. GA 1984, 112. 15 GA 1984, 113. 16 GA 1984, 114. 17 So die Formulierung Puppes, GA 1984, 109. 18 Insbes. kann auch keine psychische Beihilfe vorliegen. Dies sagt Puppe zwar nicht ausdrücklich; daß sie aber diese Konsequenz ziehen will, ergibt sich daraus, daß ihr "Modell des psychischen Bewirkens" gerade auch für die psychische Beihilfe und darüber hinaus auch für bestimmte Fälle der mittelbaren Täterschaft gelten soll (GA 1984, 108, 118 f.). 13

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§ 7: Normative Ansätze auf Verhaltensnormebene

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Grundposition aus gesehen ein unhaltbares Ergebnis. Richtigerweise muß man gerade umgekehrt argumentieren: Will man Anstiftungshandlungen überhaupt verbieten, dann muß man die vorhandenen - zugegebenermaßen sehr ungenauen - Möglichkeiten einer Wahrscheinlichkeitsberechnung als hinreichend genau bewerten, denn nur die so berechneten Wahrscheinlichkeitsurteile können das Verbot der Anstiftungshandlungen legitimieren.

Das zweite von Puppe genannte Erfordernis bedeutet für die Verhaltensnormebene, daß die Anstiftungshandlung das Risiko begründen muß, daß der Täter dem Anstifter die Tatbegehung verspricht. Eine solche "faktische Verpflichtung" ist zwar durchaus geeignet, die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung zu erhöhen; der gleiche Gesichtspunkt liegt etwa auch § 30 11 zugrunde 19 • Wenig plausibel erscheint mir aber, daß nur diese bestimmte Modalität einer erhöhten Riskantheit von den Anstiftungsnormen erfaßt werden soll, während andere, ebenso gefährliche Veranlassungshandlungen nur dem weniger dringlichen Verbot des § 27 unterliegen. Zu denken ist etwa an das Versprechen der Tatbegehung gegenüber einem Dritten oder an die Veranlassung von tatvorbereitenden Vermögensdispositionen des Täters, welche diesen dann wegen sonst drohender Verluste zur Tat drängen. Daß nach verbreiteter Ansicht auch die Mittäterschaft u. a. auf dem von Puppe herangezogenen Gedanken beruht 20 , ist schon deshalb kein zwingendes Gegenargument, weil gegen diese Mittäterschaftsdefinition die gleichen Einwände erhoben werden könnten. Schließlich ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, eine Handlung deshalb mit einem dringlicheren Verbot zu belegen, weil sie einen Tatentschluß zu veranlassen droht, den der Veranlaßte wieder aufgeben würde, sobald der Veranlasser die Tatbegehung nicht mehr will. Da in solchen Fällen eine erhöhte Chance besteht, den Täter wieder von seinem Entschluß abzubringen, erschiene sogar eher ein weniger dringliches Verbot angebracht. Auch der Hinweis auf die "spezifische Form der Herrschaft über Tat und Täter" überzeugt nicht, denn diese "Herrschaft" des Anstifters besteht hier allein in der Möglichkeit, durch späteres erneutes Eingreifen in den Geschehensablauf den Unrechtserfolg doch noch abzuwenden; eine solche Möglichkeit kann aber sogar ein beliebiger am Tatgeschehen völlig Unbeteiligter haben 21 . b) Sinnvoll erscheinen die von Puppe aufgestellten Kriterien nur, wenn sie dem Zweck dienen sollen, den Anwendungsbereich des § 26 auf Beteiligungsweisen mit möglichst großem "Kausalitätsanteil" bei der Erfolgsherbeiführung zu beschränken (wobei aber eine solche "Kausalitätsquantifizierung", wie soeben am Beispiel der Lehre Birkmeyers gezeigt, letztlich nicht durchführbar ist und auch nicht dem Verständnis der Straftat als strafbedrohter Verhaltensnormverletzung entspricht). Daß Puppe sich VOn solchen Vorstellungen hat leiten lassen, klingt auch in ihren Erläuterungen an. So führt sie aus, ihr "Modell vom 19 20 21

Ausführ!. dazu Letzgus, Vorstufen, 126ff. Dazu Puppe, GA 1984, 112 m. Nachw. Dazu bereits Roxin, TuT, 311 f.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungsansätze

Bewirken des Tatentschlusses" liefere "bereits einen Grund dafür, daß wir dem Anstifter die Tat strenger zurechnen als dem Gehilfen", denn: "Hat der Gehilfe diesen Beitrag einmal geleistet, so wirkt er nur noch ,blind' kausal fort, der Anstifter hat, indem er das Motiv des Täters liefert, ... Teil an der finalen Überdetermination des Kausalprozesses durch den Haupttäter. Er hat das Ziel vorgegeben, das der Täter nun planmäßig ansteuert."22

Dem liegt offenbar die - unausgesprochene und auch nicht rational begründbare - Vorstellung zugrunde, daß den "geistigen" Komponenten des erfolgsverursachenden Geschehens ein prinzipiell größerer "Wirksamkeitsanteil" als den "blind kausalen" zukommt 23 und daß das Fortwirken dieses Anteils in dem Willen des Täters dem Anstifter zugerechnet wird, obwohl er diesen Anteil "nur gewissermaßen von Täters Gnaden hat"24. Der gleiche Gedanke kommt ferner in dem dritten Kriterium, der Abhängigkeit des Fortbestehens des Tatentschlusses vom Willen des Anstifters, zum Ausdruck. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang schließlich die Deutung der Mittäterschaft: Neben dem eigenen Tatbeitrag müssen dem Mittäter auch die Tatbeiträge der übrigen Mittäter zurechenbar sein. Diese Zurechnung soll auf der Fassung des gemeinsamen Tatentschlusses beruhen, wodurch zu den jeweils anderen Tatbeiträgen das gleiche Verhältnis wie bei der Anstiftung begründet wird 25 . Hierbei stellt sich schon die Frage, wieso eine solche "Zurechnung" der anderen Tatbeiträge überhaupt erforderlich ist. Vom Verständnis der Straftat als strafbedrohter Verhaltenspflichtverletzung aus gesehen liegt es viel näher, den Unwert der Mittäterschaft allein in der Vornahme der eigenen Tathandlung zu suchen, die ihre spezifische Gefährlichkeit gerade daraus bezieht, daß die anderen Mittäter ihre Beiträge schon geleistet haben oder alsbald leisten werden (ob ein solches Verständnis möglich ist und welche Anforderungen im einzelnen zu stellen sind, bedürfte natürlich noch weiterer Überlegungen; dazu unten § 11).

4. Joachim Schulz

Zur Abgrenzung von Anstiftung und Beihilfe hat Joachim Schulz den Begriff der "Planherrschaft" entwickelt, den er als Parallelfigur zum Tatherrschaftsbegriffversteht 26 . Ihrem materialen Gehalt nach gehört diese Lehre aber, wie sich sogleich zeigen wird, eher in den hier erörterten Zusammenhang. a) Die Grundzüge seiner Argumentation lassen sich folgendermaßen skizzieren: Die Gleichbestrafung von Täter und Anstifter setzt zwar nicht Gleichartig22 GA 1984,110. 23 Interessant ist in diesem Zusammenhang die (freilich auf die subjektiven Täterlehren abzielende) Bemerkung Gössels (Jescheck-Festschr. I, 549), in der Höherbewertung des Geistigen zeige sich ein für das ,,19. Jahrhundert typisches Denken: der Wille des Menschen und seine Vorstellung werden zur schöpferischen Kraft, welche die Welt erschafft - kraft seines Willens wird der Mensch auch zum Schöpfer, Verursacher und Täter strafbaren Geschehens". 24 Dies räumt Puppe, GA 1984, 110, ein. 25 GA 1984, 112 mit FN 43 (a.E.), 119 FN 58. 26 Ratgeber, 142ff., 150; JuS 1986, 938.

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keit, wohl aber Gleichwertigkeit der Tatbeiträge voraus 27 . Diese Gleichwertigkeit ist allein mit dem auf Täterschaft und Anstiftung, nicht aber auf die Beihilfe zutreffenden "Dominanzgedanken" zu erklären 2B . Die täterschaftsbegründende Tatherrschaft bezieht sich auf das Ausführungsstadium, die Planherrschaft dagegen (nur) auf das Planungsstadium; der Anstifter ist dadurch gekennzeichnet, daß er "dem Tatplan seine Gestalt gibt, die Entscheidung über dessen Ausführung aber in den Händen des Täters beläßt" 29 . Bedenken hinsichtlich der Gleichwertigkeit beider Beteiligungsformen, so gesteht Schulz selbst zu, "lassen sich freilich nicht völlig ausräumen" 30; sie verringern sich aber nach seiner Meinung "angesichts der Tatsache, daß mit der Herrschaft über den Tatplan die eigentliche Initialzündung für die anschließend verwirklichte Tat gegeben wird"3!. Der "Haupttyp" der Planherrschaft ist die "Schaffung oder Veränderung des deliktischen Sinnzusammenhangs"32 . Dies setzt voraus, daß der gegebene Anstoß nicht nur "als ein Weiterdenken von schon Vorhandenem aufgefaßt werden kann"; er darf sich nicht nur "als ein Mittel zur Erreichung des vom Täter bestimmten Zieles darstellen"33. Dafür ist zweierlei notwendig: Erstens muß der Sinnzusammenhang geschaffen oder verändert werden; dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Täter dazu gebracht wird, das Diebesgut nicht zum Verbrauch, sondern zur Veräußerung zu stehlen 34 • Zweitens muß der deliktische Sinnzusammenhang geschaffen oder verändert werden, d. h. die Anstifterhandlung muß sich auf das subsumtionsrelevante Geschehen auswirken (Beispiel: der Täter wird veranlaßt, Wodka statt Whisky zu stehlen 3S ). Der Planherrschaftsbegriff36 "verweist in letzter Konsequenz auf die Entscheidung gemäß der natürlichen Auffassung", so daß man in Zweifelsfällen "auf das alltägliche Verständnis zurückgreifen" kann; durch die vorgenommene "Typenbildung" wird dieser Rückgriff allerdings "im jeweiligen Kernbereich entbehrlich"37. Auf eine "normative" 27 Ratgeber, 140ff., 145; JuS 1986,933. 28 Ratgeber, 140ff. 29 Ratgeber, 143. 30 Ratgeber, 144f. 31 Ratgeber, 145. 32 Ratgeber, 145ff.; zu weiteren "Typen", die aber nur andeutungsweise behandelt werden, vgl. aaO, 162ff. 33 Ratgeber, 149. 34 Ratgeber, 148. 35 Ratgeber, 146 (Fall 2). 36 Schulz bezeichnet ihn als "phänomenales Kriterium" (Ratgeber, 145), wobei er "phänomenal" alle solchen Kriterien nennt, "die keine Tatbestandsmerkmale oder dogmatischen Kategorien enthalten, die sich bildlich gesprochen unterhalb der Tatbestandsebene befinden" (aaO, 57). Ob diese Begriffsbildung sinnvoll ist, mag dahinstehen; hier soll es nur um den materialen Gehalt des Planherrschaftskriteriums gehen, und für diesen ist insbes. der wiedergegebene Verweis auf die "natürliche Auffassung" wesentlich. 37 Ratgeber, 145.

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2. Kap.: Die verschiedenen Erklärungs ansätze

Grenze, die dem Umstand Rechnung trägt, daß "das Verbrechen nicht nur in einem faktischen, sondern auch in einem normativen Sinnzusammenhang steht"38, stößt der Planherrschaftsgedanke in den Fällen des "Tatbestandswechsels": Anstiftung (und nicht nur Beihilfe) liegt dann vor, wenn "der neue Tatbestand ein neues und nicht einmal ähnliches Rechtsgut seinem Schwerpunkt nach schützt" 39 .

b) Die Ausführungen von Schulz weisen in einigen Punkten Ähnlichkeiten mit den bereits besprochenen Thesen Puppes auf, die ebenfalls von einer "Unterordnung" des Täters unter den Anstifter bei der Tatplanung spricht4