Die strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe im deutsch-ungarischen Vergleich [1 ed.] 9783428545377, 9783428145379

Spätestens seit dem wegweisenden BGH-Urteil im »Fuldaer Fall« steht die Sterbehilfe wieder im rechtswissenschaftlichen F

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Die strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe im deutsch-ungarischen Vergleich [1 ed.]
 9783428545377, 9783428145379

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Schriften zum Strafrecht Band 284

Die strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe im deutschungarischen Vergleich

Von

Richard Ehmann

Duncker & Humblot · Berlin

RICHARD EHMANN

Die strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe im deutsch-ungarischen Vergleich

Schriften zum Strafrecht Band 284

Die strafrechtliche Bewertung der Sterbehilfe im deutschungarischen Vergleich

Von

Richard Ehmann

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-14537-9 (Print) ISBN 978-3-428-54537-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84537-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

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Vorwort Das vorliegende Werk wurde im Wintersemester 2013/2014 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Der Tag des Rigorosums war der 22. Juli 2014. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Ende Dezember 2013 berücksichtigt werden. Den größten Dank schulde ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Jörg Eisele, der mir bei der Anfertigung dieser Arbeit die größtmögliche wissenschaftliche Freiheit zugestanden, gleichzeitig aber auch wertvolle Hinweise für ihre Verbesserung gegeben hat. Herrn Prof. Dr. Rudolf Rengier danke ich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Ein besonderes Dankeschön gebührt schließlich Dr. Mihály Filó, Ph.D., LL.M., der nicht nur die Aufgabe übernommen hat, für das Promotionsverfahren ein „Drittgutachten“ zum ungarischen Recht zu verfassen, sondern auch stets zu anregenden Diskussionen über die ungarische Rechtslage bereit war. Sein 2005 in der ZStW veröffentlichter Aufsatz zur „Strafbarkeit der Suizidteilnahme nach ungarischem Strafrecht“ war der Anstoß zu dieser Dissertation. Speziell bedanken möchte ich mich auch bei Frau Nicole Humbel, MLaw, LL.M., Frau Zsuzsanna Szarvas, MLaw, und Herrn RA András Moór, die mir mit der sorgfältigen Durchsicht des Manuskripts wertvolle Hilfe leisteten. Besonderer Dank gebührt schließlich meinen Eltern und Erika, ohne deren Liebe und fortwährende Unterstützung diese Arbeit nicht hätte geschrieben werden können. Engen, im Juni 2015

Richard Ehmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung in die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 25 26

Erster Teil Die Rechtslage in Deutschland

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A. Terminologie und Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die indirekte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründung der Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lösungsansätze auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ärztliche lex artis/sozialer Handlungssinn/erlaubtes Risiko/ Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lösungsansätze auf Rechtswidrigkeitsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtfertigende Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtfertigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einwände gegen die Notstandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite der Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betreuungsgerichtliche Genehmigung bei einwilligungsunfähigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderliche Vorsatzform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die indirekte Sterbehilfe de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die direkte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigung gezielter Lebensverkürzungen gem. § 34 StGB . . . . b) Andere Wege zur Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die direkte Sterbehilfe de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 33 33 33 34 34 35 35 39 39 40 45 46 49 53 53 55 56 60 62 62 69 70

6

Inhaltsverzeichnis II. Die passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Die Patientenautonomie als materielle Richtschnur ärztlichen Verhaltens

74 3. Die drei Manifestationsformen der Patientenautonomie . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Der ausdrückliche Wille beim entscheidungsfähigen Patienten . . . . . 79 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 bb) Strafrechtsdogmatische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Der Sonderfall des technischen Behandlungsabbruchs . . . . . . . . . 83 (1) Bisherige Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung 84 (a) Phänotypische Einordnung als aktives Tun . . . . . . . . . . . . 84 (b) Normative Bewertung als Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Keine Neubewertung nach der BGH-Entscheidung im „Fuldaer Fall“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Patientenverfügung und mutmaßlicher Wille beim entscheidungsunfähigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Ausgangspunkt: Das Urteil des BGH im „Kemptener Fall“ . . . . 95 (1) Kernaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (2) Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Die Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (1) Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (a) Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit des Verfügenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (b) Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (c) Bestimmtheit und Situationsbezogenheit . . . . . . . . . . . . . 109 (2) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (a) Konsultations- und Anhörungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 113 (b) Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (c) Die Kontroverse um die Erforderlichkeit der Vertreterbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Der mutmaßliche Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (1) Die Kriterien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens und seine Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Die Kontroverse um die Zulässigkeit der Einstellung künstlicher Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 dd) Zum Verhältnis von Straf- und Betreuungsrecht . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Die passive Sterbehilfe de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Die reine Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Inhaltsverzeichnis

7

1. Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Teilnahme daran . . . . . . . . . a) Tatbestandslosigkeit und Rechtmäßigkeit des Suizids . . . . . . . . . . . . . b) Straflosigkeit der Suizidteilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Abgrenzung von strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Fremdtötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die innere Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Exkulpationslösung vs. Einwilligungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die äußere Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Problembehaftete Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auffassungen in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Suizidteilnahme und Garantenunterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auffassungen in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Suizidteilnahme und unterlassene Hilfeleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auffassungen in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung de lege ferenda . . . . . .

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C. Sterbehilfe und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur im Überblick . . . II. Neuere Konzeptionen: Verfassungsrechtliche Gebotenheit der Straffreistellung direkter Sterbehilfe in Extremfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die tangierten Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs . . . . aa) § 216 StGB als im Grundsatz verhältnismäßige Strafnorm . . . . bb) Unangemessenheit der Sanktionierung in Ausnahmefällen . . . . III. Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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141 141 142 145 148 148 150 150 155 155 158 162 163 164 167

175 175 177 177 178 180

Zweiter Teil Die Rechtslage in Ungarn

184

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 B. Terminologie und Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die indirekte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründung der Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigende Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192 192 194 195 196

8

Inhaltsverzeichnis b) Rechtfertigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Notstandslösung nach Filó . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mögliche Einwände gegen die Notstandslösung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vereinbarkeit mit dem Wortlaut der Notstandsvorschrift . . . (2) Einbeziehung des Höchstwerts „Leben“ in die Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vereinbarkeit mit der normativen Logik der Notstandsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Umgehung der Einwilligungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Vorhandensein von Eingriffs- und Erhaltungsinteresse . . . . . (6) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erfüllung von Amts- und Berufspflichten/gesetzliche Ermächtigung aa) Exkurs: Das GesG aus dem Jahr 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtshistorischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Das Gesetz über das öffentliche Gesundheitswesen von 1876 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Gesetz über die Ordnung der Ärzteschaft von 1936 (c) Das Gesetz über die Ordnung der Ärzteschaft von 1959 (d) Das Gesetz über das Gesundheitswesen von 1972 . . . . . . (e) Das Gesetz über das Gesundheitswesen von 1997 . . . . . . (2) Systematik und Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Rechte und Pflichten der Patienten . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Rechte und Pflichten des medizinischen Personals . . bb) Die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe nach dem GesG . . . . (1) Das Recht des Patienten auf Schmerzlinderung und das Recht des Arztes auf Festlegung der Therapiemethode . . . . . (2) Die Einwilligung des Patienten als Dreh- und Angelpunkt medizinischer Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellvertretende Einwilligung bei fehlender/beschränkter Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beschränkte Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit . . . . . . . . . . (c) Gesetzliche Vertretung bei beschränkter Geschäftsfähigkeit/Geschäftsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Die Vertretung geschäftsunfähiger Patienten nach dem GesG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Die Vertretung beschränkt geschäftsfähiger Patienten nach dem GesG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Ausnahmen vom Einwilligungserfordernis . . . . . . . . . . . . (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198 198 199 199 201 203 205 206 207 208 208 209 209 209 210 210 211 212 213 214 215 215 216 218 219 220 221 221 227 231 235

Inhaltsverzeichnis cc) Verhältnis zur Notstandslösung/Auswirkung von Form- und Verfahrensverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straflosigkeit auch bei schweren Leidenszuständen . . . . . . . . . . . . . . b) Straflosigkeit auch vor Einsetzen des Sterbevorgangs . . . . . . . . . . . . . c) Straflosigkeit nur bei möglicher Lebensverkürzung . . . . . . . . . . . . . . III. Die aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Behandlungsverzicht am Lebensende beim geschäftsfähigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatsächliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Formale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prozedurale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Behandlungsverzicht am Lebensende beim beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatsächliche und formale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozedurale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Behandlungsverzicht aufgrund einer Patientenverfügung . . . . . . . . . . aa) Die Regelung im GesG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Behandlungsverzicht durch einen besonderen gewillkürten Patientenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Regelung im GesG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertiefung einzelner Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Sonderfall des technischen Behandlungsabbruchs . . . . . . . . . . . . aa) Normative Bewertung als Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Naturalistisch-kausale Einordnung als aktives Tun . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit der Einstellung künstlicher Ernährung . . . . . . . . . . . . . . V. Die Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Subsumtion unter den Körperverletzungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rezeption des Rönnau’schen Basismodells durch Filó . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafbarkeit wegen unterlassener Schmerzbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Straflosigkeit der (versuchten) Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Strafbarkeit der Teilnahme am Suizid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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236 238 238 239 239 240 243 244 244 246 246 249 252 252 253 256 256 258 260 260 260 262 262 262 263 263 266 266 267 269 270 271 273 274 279 279

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Inhaltsverzeichnis b) Das Bestimmen zur Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Hilfeleisten zur Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Abgrenzung der Mitwirkung am Suizid von der Fremdtötung . . . . . a) Die innere Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Rechtslage bis Mitte 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtslage ab Mitte 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die äußere Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teilnahme an der Selbsttötung und unterlassene Hilfeleistung . . . . . . . . .

282 283 285 286 286 291 294 296

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Menschenwürde in Einheit mit dem Recht auf Leben in der Rechtsprechung des VerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Todesstrafenurteil aus dem Jahr 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das erste Abtreibungsurteil aus dem Jahr 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das zweite Abtreibungsurteil aus dem Jahr 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Sterbehilfeurteil des VerfG aus dem Jahr 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Argumentation der Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die amicus curiae-Stellungnahme von Kis/Sajó . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Argumentation des VerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entscheidung pro morte als Ausdruck individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Geltung der „Unteilbarkeitsdoktrin“ bei Sterbehilfe . . . . . . . . . c) Verfassungsrechtliche Gebotenheit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnismäßigkeit der geltenden Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Sonder- und Parallelvoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297 298 298 299 300 301 302 302 303 304 305 307 308 310 315 316

Dritter Teil Rechtsvergleichende Betrachtung

322

A. Zur Rechtsvergleichung als Teilgebiet der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziele und Funktionen der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Attraktivität des ungarischen (Sterbehilfe-)Rechts als Vergleichsobjekt

322 323 324 327

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts . . . . . . . . . . . I. Einfachgesetzlich-strafrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die indirekte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

328 328 328 328 330

Inhaltsverzeichnis 2. Die aktive direkte Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die passive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behandlungsverzicht beim aktuell einwilligungsfähigen/voll geschäftsfähigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Behandlungsverzicht beim aktuell einwilligungsunfähigen/nicht voll geschäftsfähigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die reine Sterbehilfe/Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Metaebene: Prozeduralisierung als gemeinsamer Anknüpfungspunkt . . . . . 1. Grundsätzliches zum Prozeduralisierungsgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozeduralisierung im deutschen und im ungarischen Sterbehilferecht: Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die „bessere Lösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsvorschläge für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regelungsvorschläge für das ungarische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 331 333 333 335 339 340 344 346 347 353 355 359 360 362 365

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Ergebnisse/Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. AB abl. Abs. AE-StB AE-Sterbehilfe a. F. AG ÁJT Alt. Anm. ÁR Arch Intern Med ARSP Art. ArztR aStGB AT Aufl. aVerfGG BayÄBl. BGB BGBl. I BGH BGHSt BGHZ BH BJD

anderer Ansicht am angegebenen Ort Alkotmánybíróság [Verfassungsgericht] ablehnend(er) Absatz Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe alte(r) Fassung Amtsgericht Állam és Jogtudomány [Staats- und Rechtswissenschaft, Zeitschrift] (zitiert nach Jahr und Seite) Alternative Anmerkung Általános Rész [Allgemeiner Teil des ungarischen Strafrechts] Archives of Internal Medicine (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Artikel Arztrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetz 1978:IV über das Strafgesetzbuch (altes ungarisches Strafgesetzbuch) Allgemeiner Teil (des Strafrechts) Auflage Gesetz 1989:XXXII über das Verfassungsgericht (altes Verfassungsgerichtsgesetz) Bayerisches Ärzteblatt (zitiert nach Jahr und Seite) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (zitiert nach Band und Seite) Bírósági Határozatok [Entscheidungssammlung des Obersten Gerichts] (zitiert nach Jahr und Urteilsnummer) Bünteto˝jogi döntvénytár [Sammlung strafrechtlicher Entscheidungen]

Abkürzungsverzeichnis BK BR-Drs. BSK BSz BT BtÄndG BT-Drs. BtPrax BVerfG BVerfGE bzw. CDU CSU DÄBl. ders., dies. d. h. diff. Diss. DJT DNotZ DRiZ dt. DVBl. ebd. EGMR EK EKMR EMRK Ethik Med. EU EuGRZ f., ff. FamFG FamFR

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Bünteto˝jogi Kodifikáció [Strafrechtskodifikation, Zeitschrift] (zitiert nach Ausgabe, Jahr und Seite) Drucksachen des Deutschen Bundesrates (zitiert nach Nummer, Jahr und Seite) Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch Belügyi Szemle [Rundschau für innere Angelegenheiten, Zeitschrift] (zitiert nach Ausgabe, Jahr und Seite) Besonderer Teil (des Strafrechts) Betreuungsrechtsänderungsgesetz Drucksachen des Deutschen Bundestages (zitiert nach Wahlperiode, Nummer und Seite) Betreuungsrechtliche Praxis (zitiert nach Jahr und Seite) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite) beziehungsweise Christlich Demokratische Union (Deutschlands) Christlich-Soziale Union (in Bayern) Deutsches Ärzteblatt (zitiert nach Band, Jahr und Seite) derselbe, dieselbe das heißt differenzierend Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) deutsch Deutsches Verwaltungsblatt (zitiert nach Jahr und Seite) ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Egészségügyi Közlöny [Gesetzblatt für das Gesundheitswesen] (zitiert nach Jahr und Seite) Europäische Kommission für Menschenrechte Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) Ethik in der Medizin (zitiert nach Jahr und Seite) Europäische Union Europäische Grundrechtezeitschrift (zitiert nach Jahr und Seite) folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Familienverfahrensgesetz) Familien- und Familienverfahrensrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

14 FamRZ FDP FGG Fn. FS G GA GArt GedS gem. GesG GG ggf. ggü. grds. GS GVO h. L. h. M. HRRS Hrsg., hrsg. i. d. R. i. d. S. i. E. insb. i. S. i. S. d. i. S. v. i.V. m. JA JAMA JbRE JGG JR Jura JuS JW JZ

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Freie Demokratische Partei Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Freiwillige Gerichtsbarkeitsgesetz) Fußnote Festschrift Gesetz (Ungarn) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetzesartikel (Bezeichnung für ungarische Gesetze bis 1949) Gedächtnisschrift gemäß Gesetz 1997:CLIV über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls gegenüber grundsätzlich Der Gerichtssaal (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Verordnung mit Gesetzeskraft herrschende(r) Lehre herrschende(r) Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Herausgeber(in), herausgegeben in der Regel in dem/diesem Sinne im Ergebnis insbesondere im Sinne im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (zitiert nach Jahr und Seite) Journal of the American Medical Association (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Jahrbuch für Recht und Ethik (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Ausbildung (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite) Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite)

Abkürzungsverzeichnis KastrG KJ KR krit. KritV KTSz LAM LG lit. LK Lkw MBO-Ä MDR MedR Med. Welt MJ MK MKöz MT m.w. N. NEJM Neuaufl. n. F. NJW NJW-RR NK Nr. NStZ OER OG OLG OT PolM RabelsZ

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Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden (Kastrationsgesetz) Kritische Justiz (zitiert nach Jahr und Seite) Különös Rész [Besonderer Teil des ungarischen Strafrechts] kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (zitiert nach Jahr und Seite) Kharón Thanatológiai Szemle [Charon thanatologische Rundschau, Zeitschrift] (zitiert nach Ausgabe, Jahr und Seite) Lege Artis Medicinae [Zeitschrift] (zitiert nach Jahr und Seite) Landgericht littera Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Lastkraftwagen (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte Monatsschrift des Deutschen Rechts (zitiert nach Jahr und Seite) Medizinrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Medizinische Welt (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Magyar Jog [Ungarisches Recht, Zeitschrift] Münchener Kommentar (zum Bürgerlichen Gesetzbuch, zum Strafgesetzbuch) Magyar Közlöny [Ungarisches Gesetzblatt] (zitiert nach Jahr und Seite) Magyar Tudomány [Ungarische Wissenschaft, Zeitschrift] (zitiert nach Jahr und Seite) mit weiteren Nachweisen New England Journal of Medicine (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Neuauflage neue(r) Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report (Zivilrecht) Nomos Kommentar (zum Kastrationsgesetz, zum Strafgesetzbuch) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Osteuropa-Recht (zitiert nach Jahr und Seite) Oberstes Gericht Oberlandesgericht Országos Törvénytár (ungarisches Gesetzblatt bis 1945) Die Politische Meinung (zitiert nach Ausgabe, Jahr und Seite) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (zitiert nach Band, Jahr und Seite)

16 RegVO RegVO-GesG

resp. RG RGSt Rn. Rspr. S. SK sog. StA StaatsR StGB StPO TPG u. u. a. uGG UN UNCITRAL ung. US, USA uStGB uZPO v. v. a. Verf VerfG VerfGE VerfGG vgl. Vol. vs. WHO WK

Abkürzungsverzeichnis Regierungsverordnung RegVO 117/1998. (VI. 16.) Korm. über die ausführlichen Regeln der Ablehnung einzelner medizinischer Maßnahmen (Regierungsverordnung Gesundheitsgesetz) respektive Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer(n) Rechtsprechung Seite Systematischer Kommentar (zum Strafgesetzbuch) sogenannte(r, s) Staatsanwaltschaft Staatsrecht Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz) und unter anderem, und andere Grundgesetz Ungarns (ungarisches Grundgesetz) United Nations United Nations Commission on International Trade Law ungarisch United States, United States of America Gesetz 2012:C über das Strafgesetzbuch (ungarisches Strafgesetzbuch) Gesetz 1952:III über die Zivilprozessordnung (ungarische Zivilprozessordnung) von, vom vor allem Gesetz 1949:XX über die Verfassung der Republik Ungarn (Verfassung) Verfassungsgericht Entscheidungen des Verfassungsgerichts (Verfassungsgerichtsentscheidungen) Gesetz 2011:CLI über das Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtsgesetz) vergleiche Volume versus World Health Organization Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis WOS z. B. ZfL ZGB Ziff. ZIS ZJS ZPO ZRP ZStaatW ZStW zust.

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Wirtschaftsrecht der osteuropäischen Staaten zum Beispiel Zeitschrift für Lebensrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetz 1959:IV über das bürgerliche Gesetzbuch (Zivilgesetzbuch) Ziffer Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das juristische Studium Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (zitiert nach Band, Jahr und Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band, Jahr und Seite) zustimmend(er)

Einleitung I. Einführung in die Problemstellung Die Problematik der Sterbehilfe ist in Deutschland nun schon seit geraumer Zeit Gegenstand kontroverser Diskussionen, die nicht nur in den einschlägigen Fachkreisen, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit geführt werden. Im Wesentlichen geht es dabei um den rechtlichen Schutz menschlichen Lebens in seiner letzten Phase und um die intrikate Frage, welche persönlichen, zeitlichen und finanziellen Kapazitäten man für die Versorgung Todkranker aufbieten kann – und will.1 In diesen Kontroversen prallen regelmäßig die unterschiedlichsten Lebenskonzepte und Ideologien aufeinander: Während die einen mit Nachdruck zumindest de lege ferenda die Möglichkeit fordern, in welcher Form auch immer Erlösung von krankheitsbedingten Qualen zu erlangen, sprechen andere diesbezüglich von einer „Lizenz zum Töten“ 2 und warnen, nicht selten unter Hinweis auf die leidvollen Erfahrungen während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, vor der Gefahr von Missbräuchen und der Hybris, über „Wert“ und „Sinn“ eines menschlichen Lebens urteilen zu wollen.3 Die Debatte spiegelt dabei die grundlegende Veränderung wider, die das Verständnis für die Thematik des Todes in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. War für eine Auseinandersetzung mit dem Verlöschen der eigenen Existenz in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit kein Raum, sind mittlerweile Erwägungen über den Moment und die Umstände des eigenen Todes keine Seltenheit mehr, hat das nahezu alle Lebensbereiche durchdringende Verlangen nach Selbstbestimmung nunmehr auch den Sterbevorgang als finalen Daseinsabschnitt erreicht.4 Der Mensch nimmt heutzutage wie selbstverständlich für sich in An1 Bioethik-Kommission Bayern, Sterben in Würde (2007), 7. Dass diese Fragen in sozialer Hinsicht auch hochgradig relevant sind, mag man daran ermessen, dass Schätzungen zufolge unter den jährlich rund 850.000 Todesfällen in der Bundesrepublik bei circa 300.000–400.000 Patienten über eine Weiterbehandlung am Lebensende entschieden werden muss; siehe zu diesen Zahlen Strätling u. a., MedR 2005, 579 (581) m.w. N. 2 So in Bezug auf die niederländische Regelung aktiver direkter Sterbehilfe Wiedemann, in: DER SPIEGEL v. 21.5.2001, 166. 3 Vgl. das im Rahmen des sog. 1000-Fragen-Projekts auf Initiative der „Aktion Mensch“ erstellte Dossier mit dem plakativen Titel „Sterbehilfe – Tod auf Rezept?“, 1. 4 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 94; ausführlich Eser, in: ders. (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem (1976), 392 f.; Spittler, Ärztliches Ethos und Suizid-Beihilfe (2011), 9 ff.; Wassermann, in: Winau/Rosemeier (Hrsg.), Tod und Sterben (1984), 381 ff. Bezeichnend für diese Entwicklung sind

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Einleitung

spruch, „die Kontrolle selbst auszuüben, sich den Tod verfügbar zu machen, auch und gerade im Tode Herr seines Geschicks zu sein“.5 Indem das, was bisher lediglich als tatsächliche Gestaltungsmöglichkeit wahrgenommen wurde, nunmehr auch normativ, d. h. als Gestaltungsrecht, eingefordert wird, erhält es zugleich aber eine ganz neue Dimension.6 Dank der rasanten medizinisch-technischen und pharmakologischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte ist es den Ärzten heute in vielen Fällen tatsächlich möglich, mit aufwendigen, freilich auch sehr kostenintensiven Behandlungsmethoden7 ein sich dem Ende neigendes Leben – und damit nicht selten auch die Leiden des Patienten8 – beträchtlich zu verlängern. Diese Behandlungsmethoden sind daher Segen und Fluch zugleich.9 Belegt wird dies durch aufsehenerregende und oft auch tragische Fälle aus dem In- und Ausland,10 die vor Gerichten ausgefochten werden und die Thematik in wiederkehrenden Abständen in den Blickpunkt der Allgemeinheit rücken.11 In der medialen Aufbereitung kontrovers und emotional diskutiert, suchen bei den hitzigen Debatten bisweilen auch Personen das Rampenlicht, die sich als Wohltäter gerieren und mit fast schon missionarischem Eifer extreme Lösungen vortragen.12 Das wiederum führt

auch die Themen der zivilrechtlichen Abteilung des 63. DJT 2000 in Leipzig („Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?“) und der strafrechtlichen Abteilung des 66. DJT 2006 in Stuttgart („Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung“). 5 Prägnant Wassermann, in: Winau/Rosemeier (Hrsg.), Tod und Sterben (1984), 381 (382 f.). 6 Wassermann, in: Winau/Rosemeier (Hrsg.), Tod und Sterben (1984), 381 (383) im Anschluss an Eser, in: ders. (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem (1976), 392 (393). 7 Einer US-amerikanischen Studie zufolge sollen die Kosten der letzten 180 Lebenstage 77% der über die gesamte Lebensdauer anfallenden Gesundheitskosten ausmachen, und 30% dieser Kosten gar erst in den letzten 30 Lebenstagen entstehen; vgl. Webster/Berdes, Arch Intern Med 150 (1990), 1795. 8 Zwecks besserer Lesbarkeit wird im Folgenden auf die gleichzeitige Nennung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen beziehen sich auf beide Geschlechter. 9 Ausführlich dazu Fritsche, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 3, der insoweit von einer „Ambivalenz der Lebensverlängerung“ spricht. 10 Vgl. Faßbender, Jura 2004, 115; Mahler, ZfL 2003, 17 zu EGMR EuGRZ 2002, 234 (Diane Pretty); Heun, JZ 2006, 425; Vogel/Hocke, Jura 2005, 709 (Terri Schiavo); Kröll/Schaupp (Hrsg.), Eluana Englaro – Wachkoma und Behandlungsabbruch (2010). 11 Bioethik-Kommission Bayern, Sterben in Würde (2007), 7; ebenso Merk, PolM 10/ 2008, 5. 12 Merk, PolM 10/2008, 5; vgl. auch Lüderssen, JZ 2006, 689. Einer der prominentesten und zugleich umstrittensten Verfechter eines „Rechts zu sterben“ ist sicherlich der ehemalige Hamburger Justizsenator Kusch, dessen im Jahr 2009 gegründeter Verein „SterbeHilfeDeutschland“ seine Mitglieder laut Vereinshomepage () „bei der Durchsetzung ihres Selbstbestimmungsrechts im Leben

Einleitung

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zu noch mehr Unsicherheit in der Bevölkerung und lässt in ihr den Wunsch nach klaren Antworten immer drängender werden, was nicht zuletzt auch durch die mittlerweile zahlreichen demoskopischen Untersuchungen belegt wird, nach denen sich ein nicht unerheblicher Teil der Deutschen für die Zulässigkeit aktiver direkter Sterbehilfe ausspricht.13 Dass es bei einer solch vielschichtigen Problematik, in deren Bereich neben Juristen auch Ärzte,14 Philosophen15 und Religionsvertreter16 auf Mitsprache pochen – was völlig legitim ist –, keine einfachen Lösungen geben kann, liegt jedoch auf der Hand.17 Dem Juristen fällt hierbei naturgemäß auch die Aufgabe der Generalisierung anheim. Anders als etwa der Mediziner muss er seinen Blick über den konkreten Einzelfall hinaus richten und verallgemeinerungsfähige Kriterien für die (straf-) rechtliche Beurteilung von Maßnahmen der Sterbehilfe entwickeln.18 Dabei ist in erster Linie das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz aufzulösen. Spielen in diesem Zusammenhang neben verfassungsrechtlichen v. a. zivilrechtliche Fragestellungen eine immer gewichtigere Rolle, wird die Diskussion – jedenfalls in Deutschland19 – nach wie vor überwiegend im und im Sterben“ unterstützt und in Verfolgung dieses Zwecks einen „begleiteten Suizid“ nicht nur „bei hoffnungsloser Prognose“ und „unerträglichen Beschwerden“, sondern auch bei „unzumutbarer Behinderung“ ermöglicht. 13 Merk, PolM 10/2008, 5. Ausführlich dazu Janes/Schick, NStZ 2006, 484 f., die allerdings auch darauf hinweisen, dass die meisten Erhebungen aufgrund suggestiver Fragestellung kein repräsentatives Stimmungsbild der Bevölkerung zeichnen würden. Zur Terminologie siehe unten Erster Teil A. 14 Vgl. etwa die in den Jahren 1998, 2004 und zuletzt 2011 aktualisierten Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung (DÄBl. 95 [1998], A-2366; 101 [2004], A-1298; 108 [2011], A-346). Im Folgenden wird grds. auf die aktuelle Fassung Bezug genommen. 15 Vgl. etwa Birnbacher, in: Hepp (Hrsg.), Hilfe zum Sterben? Hilfe beim Sterben! (1992), 50; ders., in: Thiele (Hrsg.), Aktive und passive Sterbehilfe (2005), 31; Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat (1998). 16 Vgl. nur die am 30.11.1989 vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz gemeinsam herausgegebene Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ (2000) sowie die 2013 veröffentlichte Handreichung des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) zu „Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung und Palliative Care aus islamischer Sicht“. 17 So Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (84), der die Sterbehilfe nicht zuletzt deshalb für eines der „schwierigsten Probleme des Strafrechts“ hält; siehe auch Merk, PolM 10/2008, 5. 18 Vgl. Eser, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 f.; grds. skeptisch ggü. der Durchführbarkeit dieses Unterfangens Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (83 f.), dem zufolge die existenziellen Probleme, um die es bei der Entscheidung über Leben und Tod geht, rechtlich überhaupt kaum durch abstrakte Normen zu regeln sind. 19 Anders etwa in den USA, wo die Sterbehilfe schon lange als primär zivilrechtliches Problem begriffen wird; näher zur dortigen Rechtslage Bernat, in: ders. (Hrsg.), Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod (1993), 141 sowie Schmaltz, Sterbehilfe, Rechtsvergleich Deutschland – USA (2001), 69 ff.; siehe für einen Ver-

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Bereich des Strafrechts geführt.20 Angesichts der Komplexität und Unübersichtlichkeit der Problematik mutet erstaunlich an, dass dabei zumindest im Ergebnis über weite Bereiche so etwas wie ein „Grundkonsens“ 21 herrscht, sich in vielen, wenn nicht gar den meisten Fragen eine „,herrschende Meinung‘“ 22 herausgebildet hat. Im Einzelnen harren freilich noch viele Fragen (strafrechts-) wissenschaftlicher Klärung. Konsequenz ist eine große Rechtsunsicherheit, die hier freilich besonders schwer wiegt, weil sie Entscheidungen am Lebensende betrifft. Und dass die rechtspolitischen Lücken im Bereich der Sterbehilfe mit den de lege lata dargebotenen Lösungen nur unzureichend geschlossen werden können, wird durch die zahlreichen Gesetzentwürfe, Kommissionsberichte, Memoranden und Stellungnahmen aus jüngerer Zeit deutlich zum Ausdruck gebracht.23 Ein Teil dieser Vorhaben wurde mittlerweile in Gesetzesform gegossen oder steht kurz vor der Umsetzung: Nach Inkrafttreten des 3. BtÄndG24 am 1. September 2009 ist das Rechtsinstitut der Patientenverfügung nunmehr in § 1901a BGB verankert. Gestützt auf diese Neuregelung hat der BGH die strafrechtliche Zulässigkeit des Abbruchs einer intensivmedizinischen Behandlung in zwei aufsehenerregenden Grundsatzurteilen – dem „Fuldaer Fall“ 25 und dem daran anknüpfenden „Kölner Fall“ 26 – auf eine neue dogmatische Grundlage gestellt. Für die Sterbehilfeproblematik mittelbar von Bedeutung ist auch das am 26. Februar 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Pa-

gleich der Debatte in den USA mit derjenigen in Deutschland Zülicke, Sterbehilfe in der Diskussion (2005). 20 Kritisch zur Dominanz des Strafrechts innerhalb der Sterbehilfediskussion Saliger, KritV 2001, 382 (439), dem zufolge ein liberales, dem Autonomieprinzip verpflichtetes Sterbehilferecht nach einer „material wie prozedural reflektierten intradisziplinären Anlage“ verlangt, „in der Strafrecht sich von den dominierenden Rollen der sola oder prima ratio auf bescheidenere flankierende Schutzfunktionen zurückziehen muß“. Zu dieser Idee einer „prozeduralen Legalisierung“ von Sterbehilfe siehe unten Dritter Teil B. III. 1. 21 Fischer, Vor § 211–216 Rn. 36. 22 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (84). 23 Vgl. auch Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 25. Einen Überblick über die rechtspolitischen Desiderate bieten Popp, ZStW 118 (2006), 639 mit Fn. 2 und Schreiber, NStZ 2006, 473 f. 24 BGBl. I, 2286; näher dazu Beckmann, MedR 2009, 582; Brosey, BtPrax 2009, 175; Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326; Höfling, NJW 2009, 2849; Olzen, JR 2009, 354; Reus, JZ 2010, 80. 25 BGHSt 55, 191 mit Anm. Bosch, JA 2010, 908; Dölling, ZIS 2011, 345; Duttge, MedR 2011, 36; Eidam, GA 2011, 232; Engländer, JZ 2011, 513; Gaede, NJW 2010, 2925; Hecker, JuS 2010, 1027; Hirsch, JR 2011, 37; Kubiciel, ZJS 2010, 656; Lanzrath/ große Deters, HRRS 2011, 161; Mandla, NStZ 2010, 698; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544; Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547; Tolmein, BtPrax 2010, 230; Verrel, NStZ 2010, 671; Walter, ZIS 2011, 76. 26 BGH NStZ 2011, 274 mit Anm. Verrel, a. a. O., 276.

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tientinnen und Patienten („Patientenrechtegesetz“),27 das eine Kodifizierung des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts im BGB zum Inhalt hat und u. a. die aufgeklärte Einwilligung des Patienten als Grundvoraussetzung für medizinische Eingriffe festschreibt sowie die Aufklärungspflichten des Arztes präzisiert (vgl. §§ 630d, 630e BGB). Besondere Erwähnung verdient schließlich der vom Bundesjustizministerium ausgearbeitete und von der Bundesregierung am 22. Oktober 2012 vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“,28 der die Schaffung eines entsprechenden Tatbestands im StGB (§ 217) vorsah. Obwohl sich der Bundestag am 29. November 2012 bereits in erster Lesung mit dem Entwurf befasst hatte, wurde ihm, nachdem vonseiten der Bundesärztekammer, Kirchen und Patientenschützer Befürchtungen laut geworden waren, die nicht gewerbsmäßige Suizidbeihilfe würde dadurch salonfähig gemacht, aus den Reihen der Union ein weitaus restriktiverer Alternativvorschlag entgegengesetzt, dem zufolge neben jeglicher Form organisierter Hilfe zur Selbsttötung auch die Gründung entsprechender Organisationen und die Werbung für deren Tätigkeit bestraft werden sollte. Damit waren die Pläne für eine entsprechende gesetzliche Regelung vorerst gescheitert; die Union kündigte daraufhin an, sich zunächst innerparteilich besprechen zu wollen und dann den Kontakt zur FDP herzustellen. Indes war zweifelhaft, ob sich die Koalition auf dieser Basis überhaupt zu einem Verbot würde durchringen können; Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger signalisierte jedenfalls, zu Kompromissen nicht bereit zu sein und gegebenenfalls auch das Scheitern ihrer Pläne zu riskieren. Bundeskanzlerin Merkel erklärte in der Folge, das Vorhaben einer gesetzlichen Regelung der Suizidbeihilfe zumindest in der 17. Legislaturperiode nicht mehr weiterverfolgen zu wollen.29 Allerdings enthält auch der nach den Bundestagswahlen im Herbst 2013 zwischen CDU, CSU und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag keine solchen Forderungen mehr; Bezüge zur Sterbehilfeproblematik finden sich allenfalls in dem Bekenntnis, dass „zu einer humanen Gesellschaft“ auch „das Sterben in Würde“ gehöre und man deshalb die Hospize weiter unterstützen und die Versorgung mit Palliativmedizin ausbauen wolle.30 Die sich um die Sterbehilfe rankenden Probleme machen selbstverständlich auch vor Landesgrenzen nicht halt. Vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstmals im Jahre 2001 vertiefend behandelt, wurde im Fall der Eng-

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BGBl. I, 277. BT-Drs. 17/11126; dazu Duttge, ZfL 2012, 51 u. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 148a, die sich beide sehr krit. äußern; tendenziell zust. hingegen Geth, ZfL 2012, 70 (74 f.) u. die Lebensschutzinitiative in der CDU/CSU Christdemokraten für das Leben (CDL), ZfL 2012, 47. 29 Vgl. Alexander, in: DIE WELT Online v. 16.1.2013; ders., in: DIE WELT Online v. 3.5.2013. 30 „Deutschlands Zukunft gestalten“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 84. 28

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länderin Diane Pretty entschieden, dass sich aus der EMRK kein Recht auf den Tod und auch kein Recht auf die Straffreistellung der Suizidbeteiligung ableiten lässt.31 Die Thematik wurde durch dieses Urteil internationalisiert, was umso bedeutsamer ist, als der europäische Staatenverbund in den letzten Jahren mit der Aufnahme von dreizehn überwiegend mittel- und osteuropäischen Staaten neben Größe auch an gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt gewonnen hat.32 Mit diesen Entwicklungen wird die Frage nach einer etwaigen Neuausrichtung in zentralen Fragen der Medizinethik bedeutsam.33 Ungarn, das seit dem Jahr 2004 EU-Mitglied ist, weist nicht nur in historischkultureller, sondern auch in politischer Hinsicht zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Deutschland auf, die eine nähere Kenntnis der dortigen Positionen besonders interessant erscheinen lassen.34 Dies gilt auch und gerade für den Bereich der Entscheidungen am Lebensende. Anders als hierzulande ist die strafrechtliche Zulässigkeit rechtsgutsbeeinträchtigender ärztlicher Verhaltensweisen in Ungarn nicht dem Richterrecht überlassen, sondern en détail (spezial-)gesetzlich geregelt. Die gesetzliche Regelung umfasst dabei seit 1997 auch besondere Vorschriften zur Sterbehilfe, die zwar einerseits in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und Reichweite zum Teil deutlich von den in Deutschland durch Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Grundsätzen abweichen, andererseits aber in ein Strafrechtssystem eingebettet sind, das dem deutschen ähnlich ist. Ein Vergleich beider Länder erscheint deshalb aufschlussreich. Hinzu kommt, dass das ungarische Strafrecht die Mitwirkung bei der Selbsttötung unter Strafe stellt. Mögen derartige Verbote auch in zahlreichen Staaten Europas bestehen,35 so kommt ihm in Ungarn angesichts des Umstands, dass das Land seit jeher eine der weltweit höchsten Suizidraten zu beklagen hat,36 doch eine besondere Bedeutung zu. Die Beantwortung der Frage, ob und, wenn ja, wie es der ungarischen Strafrechtswissenschaft ge31 EGMR EuGRZ 2002, 234 mit Anm. Kneihs, a. a. O., 242. Zum Sachverhalt: Die 43-jährige Patientin litt an einer progredienten, unheilbaren neurodegenerativen Krankheit der motorischen Zellen im zentralen Nervensystem (MND) und war vom Hals abwärts vollständig gelähmt. Ihre Lebenserwartung betrug nur noch einige Wochen oder Monate. Nachdem sie vor mehreren britischen Gerichten erfolglos darum gekämpft hatte, mit Hilfe ihres Ehemannes sterben zu können – Beihilfe zur Selbsttötung ist in England u. Wales strafbar (vgl. Art. 2 Abs. 1 Suicide Act 1961) –, wandte sie sich unter Berufung auf die EMRK nach Straßburg. 32 Am 1.5.2004 traten im Rahmen der fünften und bislang größten Erweiterungsrunde Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern der EU bei; im Zuge der sechsten Erweiterung folgten Bulgarien und Rumänien am 1.1.2007. Als 28. und bislang letztes Mitgliedsland wurde Kroatien am 1.7.2013 in die EU aufgenommen. 33 Vgl. Kovács/Frewer, Ethik Med. 2004, 75. 34 Vgl. Kovács/Frewer, Ethik Med. 2004, 75. 35 So z. B. – freilich mit Unterschieden im Einzelnen – in Dänemark, Griechenland, Italien, Österreich, Polen u. Rumänien; siehe die (nicht abschließende) Aufzählung bei Filó, in: ders. (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 103 (109). 36 Siehe dazu unten Zweiter Teil VI. in der Einleitung.

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lingt, dieses Verbot friktionslos in die Grundsätze der Strafrechtsdogmatik einzufügen, ist aus deutscher Sicht nicht zuletzt vor dem Hintergrund der soeben dargestellten Bestrebungen die Förderung einer Selbsttötung in bestimmten Fällen zu pönalisieren, von hervorgehobenem Interesse. Schließlich bietet sich auch ein Blick auf die Rechtsprechung an. Nicht nur für die deutsche Sterbehilfedebatte ist ein im Jahr 2003 ergangenes Urteil des ungarischen VerfG zur aktiven direkten Sterbehilfe bedeutsam; diese Entscheidung und zwei weitere aufsehenerregende Fälle haben Ungarn auch im Ausland eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit beschert.37 Soweit erkennbar war die Aufarbeitung der dortigen Rechtslage bislang noch nicht Thema einer umfangreichen deutschsprachigen Veröffentlichung; insofern bietet sich hier die Chance, neue Denkanstöße für den künftigen Umgang mit der Sterbehilfeproblematik in beiden Staaten zu geben.

II. Ziel und Gegenstand der Untersuchung Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, die deutsche (Straf-)Rechtslage zur Sterbehilfe durch einen Blick über die Landesgrenzen nach Ungarn einer kritischen Prüfung zu unterziehen und Vorschläge für etwaige Reformen zu entwickeln. Dies macht zunächst eine ausführliche isolierte Darstellung beider Rechtsordnungen notwendig, in deren Rahmen auf bestehende Probleme bei der strafrechtlichen Beurteilung der verschiedenen Sterbehilfeformen hingewiesen wird und diese nach Möglichkeit dogmatisch tragfähigen Lösungen zugeführt werden. Anschließend gilt es die gewonnenen Erkenntnisse in einem vergleichenden Teil einander unmittelbar gegenüberzustellen und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede herauszuarbeiten. Auf dieser Grundlage soll abschließend die „bessere Lösung“ identifiziert und für beide Länder ein punktueller rechtspolitischer Regelungsvorschlag unterbreitet werden. Bei dieser Zielsetzung ist eine genaue Be- und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes essenziell. Die Problematik der Sterbehilfe ist viel zu komplex, um ihr in einer einzigen Monografie gerecht werden zu können. Erschwerend kommt die mittlerweile kaum noch zu überblickende, stetig wachsende Fülle an intra- und interdisziplinärer sowie internationaler Literatur hinzu. Vorliegende Untersuchung beschränkt sich deshalb zum einen auf eine Analyse de lege lata und streift die gegenwärtige rechtspolitische Diskussion zur Sterbehilfe nur am Rande; zum anderen werden auch spezielle Fragen der Sterbehilfe gegenüber Minderjährigen38 und gegenüber Neugeborenen mit schwersten und 37 Siehe Kovács/Frewer, Ethik Med. 2004, 75, die in ihrem Beitrag einen guten Überblick über diese Rechtsentwicklung in Ungarn geben. Zum Sterbehilfeurteil des ungarischen VerfG siehe ausführlich unten Zweiter Teil D. II. 38 Siehe dazu die Beiträge von Czerner, MedR 2001, 354; Rixen, MedR 1997, 351 und Wölk, MedR 2001, 80. Eine monografische Abhandlung liefern Dierks/Graf-Baumann/Lenard (Hrsg.), Therapieverweigerung bei Kindern und Jugendlichen (1995).

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unheilbaren Fehlbildungen (sog. Früheuthanasie)39 nicht in die Untersuchung einbezogen.

III. Gang der Untersuchung Der Aufbau dieser Arbeit ist an ihrer Zielsetzung – kritische Prüfung des deutschen Rechts anhand Gegenüberstellung mit den alternativen Lösungsmodellen der ungarischen Rechtsordnung sowie Ausarbeitung von gesetzgeberischen Vorschlägen für die weitere Behandlung des Problemkreises „Sterbehilfe“ – ausgerichtet und folgt einem für rechtsvergleichende Abhandlungen typischen dreistufigen Schema, das sich in einen deutschen und einen ungarischen Länderbericht sowie einen vergleichenden Teil untergliedern lässt: Im ersten Teil richtet sich der Blick zunächst auf die Rechtslage in Deutschland. Nach einer terminologischen Klärung40 erfolgt die Darstellung der verschiedenen Sterbehilfeformen und ihre strafrechtliche Beurteilung.41 Vorgreifend sei erwähnt, dass mangels (spezial-)gesetzlicher Vorschriften die Frage einer Strafbarkeit unter Anwendung der allgemeinen Regeln zu beantworten ist. Im Anschluss daran wird geprüft, ob die auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts erzielten Ergebnisse auch im Lichte grundgesetzlicher Bestimmungen Bestand haben.42 Der zweite Teil ist dem ungarischen Recht gewidmet. Nach einer kurzen Einleitung,43 an die sich die Vorstellung der in Ungarn verwendeten Terminologie anschließt,44 wird die dortige Rechtslage bezüglich der verschiedenen Fallgruppen der Sterbehilfe untersucht.45 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu Deutschland das Arztrecht – und mit ihr partiell auch die Sterbehilfe – in Ungarn eine umfassende Kodifikation erfahren hat; ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen und -grenzen bestimmen sich deshalb nach den allgemeinen strafrechtlichen Regeln i.V. m. den einschlägigen spezialgesetzlichen Vorschrif39 Siehe dazu die Aufsätze von Hanack, MedR 1985, 33; Kaufmann, JZ 1982, 481 und Laber, MedR 1990, 182. Monografische Auseinandersetzungen mit dem Thema bieten Everschor, Probleme der Neugeboreneneuthanasie und der Behandlungsgrenzen bei schwerstgeschädigten Kindern und ultrakleinen Frühgeborenen aus rechtlicher und ethischer Sicht (2001); Glöckner, Ärztliche Handlungen bei extrem unreifen Frühgeborenen (2007); Merkel, Früheuthanasie (2001) und Saati, Früheuthanasie (2002). Die ähnlich gelagerte (und regelmäßig ohnehin nicht gesondert erörterte) Problematik der Sterbehilfe ggü. von Geburt an geistig Schwerstbehinderten wird ebenfalls nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. Diese beschränkt sich damit auf Personen, die jedenfalls irgendwann einmal willensfähig waren. 40 Siehe unten Erster Teil A. 41 Siehe unten Erster Teil B. 42 Siehe unten Erster Teil C. 43 Siehe unten Zweiter Teil A. 44 Siehe unten Zweiter Teil B. 45 Siehe unten Zweiter Teil C.

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ten. Anschließend wird wiederum analysiert, ob die auf einfachgesetzlicher Ebene erzielten Lösungen verfassungsrechtlich abgesichert sind.46 Am Ende steht schließlich der dritte, vergleichende Teil. Zunächst wird die Rechtsvergleichung als ein Teilgebiet der Rechtswissenschaft kurz vorgestellt.47 Sodann werden auf Basis der in den beiden Länderberichten gewonnenen Erkenntnisse die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Rechtsordnungen bei der Lösung des Konflikts zwischen dem Schutz menschlichen Lebens auf der einen und der Selbstbestimmung des Patienten auf der anderen Seite herausgearbeitet.48 Im Anschluss daran wird auf die Konzeption der Prozeduralisierung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes eingegangen,49 die sich beide Länder in unterschiedlicher Ausprägung zu eigen gemacht haben.50 Danach werden die Ergebnisse losgelöst von dem rechtlichen Kontext, in den sie eingebettet sind, verglichen, um durch eine wertende Betrachtung nach Möglichkeit die erwähnte „bessere Lösung“ zu finden.51 Hiervon ausgehend wird abschließend sowohl für Deutschland als auch für Ungarn ein punktueller rechtspolitischer Regelungsvorschlag unterbreitet.52

46 47 48 49 50 51 52

Siehe unten Zweiter Teil D. Siehe unten Dritter Teil A. Siehe unten Dritter Teil B. I. u. II. Siehe unten Dritter Teil B. III. 1. Siehe unten Dritter Teil B. III. 2. Siehe unten Dritter Teil B. IV. Siehe unten Dritter Teil C.

Erster Teil

Die Rechtslage in Deutschland A. Terminologie und Begriffsbestimmung Roxin versteht unter „Sterbehilfe“ diejenige Hilfe, die „einem schwer erkrankten Menschen auf seinen Wunsch oder doch mindestens in Hinblick auf seinen mutmaßlichen Willen geleistet wird, um ihm einen seinen eigenen Vorstellungen entsprechenden menschenwürdigen Tod zu ermöglichen“.1 Diese Definition wird auch den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt, wobei das Adjektiv „schwer“ in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch durch das Adjektiv „unheilbar“ ersetzt werden soll.2 In zeitlicher Hinsicht lässt sich zwischen einer sog. Sterbehilfe im engeren Sinn und einer sog. Sterbehilfe im weiteren Sinn unterscheiden. Von der ersten Form wird üblicherweise gesprochen, wenn die Hilfe zu einem Zeitpunkt erbracht wird, in dem der Sterbevorgang bereits begonnen hat, der Tod folglich, sei es mit Hilfe oder ohne, in Kürze eintreten wird. Die zweite Form erfasst demgegenüber die zeitlich vorgelagerten Fälle der Mitwirkung am Tode von Patienten mit infauster Prognose, die ihr krankheitsbedingt als unerträglich empfundenes Leben (mutmaßlich) beenden wollen. Diese Unterscheidung ist prinzipiell bei allen Fallgruppen möglich; sie wird aber überwiegend nur bei der sog. passiven Sterbehilfe durchgeführt (dazu weiter unten in diesem Abschnitt).3 1 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (83); zust. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 90. 2 Zur – äußerst umstrittenen – Begriffsbildung siehe ausführlich Saliger, KritV 2001, 382 (392 ff.). Kritisch zum Begriff der Sterbehilfe Beckmann, DRiZ 2006, 252. Unabhängig vom jeweiligen Verständnis kann Sterbehilfe denknotwendig nur einem (noch) lebenden Patienten geleistet werden, darf mit anderen Worten der Hirntod noch nicht eingetreten sein; siehe Detering, JuS 1983, 418; Landau, ZRP 2005, 50; Stürmer, Sterbehilfe (1989), 5; ausführlich zum Hirntodkriterium Merkel, Früheuthanasie (2001), 111 ff.; Neumann, in: NK, Vor § 211 ff. Rn. 17 ff.; Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 444 (448 ff.); vgl. aber auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 193 ff. 3 Siehe z. B. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 275 f.; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 17; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 102. Mitunter wird die Sterbehilfe vor Beginn des Sterbevorgangs auch als „Hilfe zum Sterben“ von der während des Sterbevorgangs gewährten „Hilfe beim Sterben“ (bzw. „Hilfe im Sterben“ für nicht lebensverkürzende Maßnahmen) abgegrenzt; siehe Knopp, MedR 2003, 379 (380); Saliger, KritV 2001, 382 (404); ebenso – aber den Begriff der (passi-

A. Terminologie und Begriffsbestimmung

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Jenseits des so umgrenzten Bereichs der Sterbehilfe liegen einerseits Fälle, in denen ein unheilbar Kranker ohne Übereinstimmung mit seinem aktuell geäußerten oder – im Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit – mutmaßlichen Willen getötet wird oder infolge der Nichtaufnahme bzw. des Abbruchs medizinischer Behandlung verstirbt. Ausscheiden müssen andererseits Sachverhalte, bei denen die Maßnahme zwar dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten entspricht, dieser aber nicht unheilbar erkrankt ist.4 Sie sollen hier dennoch in der gebotenen Kürze behandelt werden, teils, weil sie mit der Sterbehilfe sachlich verbunden und die Grenzen zu ihr fließend sind, teils, weil sie in der Manifestationsform der sog. Vernichtung lebensunwerten Lebens die Debatte – jedenfalls in Deutschland – bis zum heutigen Tage überschatten und emotionalisieren.5 Wenngleich es bei der Sterbehilfe nach dem oben Gesagten um die Gewährleistung eines humanen Todes im Einklang mit dem Willen oder zumindest dem Interesse des Patienten geht und damit keinerlei Berührungspunkte mit der euphemistisch als „Euthanasieprogramm“ bezeichneten planmäßigen Ermordung geistig und körperlich Behinderter im Dritten Reich („Aktion T4“) bestehen,6 so wird doch auch zunehmend von einer Verwendung des sonst regelmäßig als Synonym gebrauchten und im Ausland nach wie vor weit verbreiteten Begriffs der Euthanasie abgesehen, um einer missverständlichen Gleichsetzung in terminologischer Hinsicht vorzubeugen.7 Da der Sterbehilfebegriff in Rechtsprechung und Literatur mittlerweile ven) Sterbehilfe nur auf den zweiten Fall beziehend – BGHSt 40, 257 (259 f.); vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1998, 2747 (2748); krit. zu dieser terminologischen Eingrenzung Diederichsen, Schreiber-FS (2003), 635 (643); Otto, Jura 1999, 434 (435); Saliger, JuS 1999, 16 (17 f.). Demgegenüber wird die Unterscheidung „Hilfe zum/beim Sterben“ teilweise nicht auf den Handlungszeitpunkt, sondern auf die Differenz zwischen lebensverkürzenden und nicht lebensverkürzenden Maßnahmen bezogen; siehe z. B. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat (1998), 7; vgl. auch Otto, Jura 1999, 434 (435); ders., NJW 2006, 2217 (2218); ferner Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 21, der die – nicht lebensverkürzende – „Hilfe im Sterben“ der – lebensverkürzenden – „Hilfe zum Sterben“ gegenüberstellt. 4 Näher dazu Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 91 f. m.w. N.: Die Kopplung des Sterbehilfebegriffs an den (mutmaßlichen) Willen des Patienten betone die zentrale Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts bei der Entscheidung über Leben und Tod, während die Voraussetzung einer unheilbaren (bzw. nach Neumann: schweren) Erkrankung die Fälle einer Beihilfe zu einem nicht krankheitsbedingten Suizid aus dem Bereich der Sterbehilfe ausschließe. 5 Vgl. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (83), der sich allerdings nur auf erstgenannte Konstellationen bezieht. 6 Siehe dazu Chong, Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 5 u. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (120); vgl. aber auch Laufs, NJW 1998, 3399, der vor dem Hintergrund von BGHSt 40, 257 u. OLG Frankfurt NJW 1998, 2747 einen Bogen zu ihren ideologischen Vorläufern spannt; mit Blick auf erstgenannte Entscheidung ebenso Dörner, ZRP 1996, 93. Zur „Euthanasie“ im Dritten Reich siehe Kutzer, ZRP 2003, 209 (210 f.), dort auch mit einem kurzen, aber einprägsamen geistesgeschichtlichen Aufriss über Euthanasie bzw. Sterbehilfe in Europa. 7 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 94; ausführlich Saliger, KritV 2001, 382 (392 ff.), der die Bezeichnung zudem aus begrifflich-strukturellen Gründen ablehnt;

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

sogar schon vorherrschend sein dürfte,8 soll er auch im Rahmen dieser Arbeit exklusive Verwendung finden.9 Mit der Etikettierung eines Verhaltens als „Sterbehilfe“ ist über seine strafrechtliche Beurteilung der Stab freilich noch nicht gebrochen. Diese richtet sich vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen, die in diesem Fall aber um Sonderregeln ergänzt werden: Als maßgebliche Kriterien dienen neben dem Zeitpunkt des betreffenden Verhaltens (nach/vor Beginn der Sterbephase) und der darauf aufbauenden Unterscheidung zwischen Sterbehilfe im engeren und im weiteren Sinn in erster Linie die Erscheinungsform des Täterverhaltens (Tun/Unterlassen) und die Absichten bzw. Motive des Täters (Beschleunigung bzw. Herbeiführung des Todes/Schmerzlinderung), auf die sich die Unterscheidungen zwischen „aktiver/ passiver“ und „direkter/indirekter“ Sterbehilfe beziehen.10 Beide Begriffspaare – „aktiv/passiv“ und „direkt/indirekt“ – werden auch der nachfolgenden Untersuchung zugrunde gelegt, wenngleich nicht verschwiegen werden soll, dass sie sich in letzter Zeit zunehmender Kritik ausgesetzt sehen. Diese Kritik ist zwar insofern berechtigt, als sich die Begriffsbildung in der Tat „vorwiegend an der Praxis politischer Sprachregelungen“ orientiert und „tatsächlich und dogmatisch ungeklärte Fragen hinter tabuisierenden Formeln“ versteckt.11 vgl. aber auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 25; Lorenz, JZ 2009, 57 (59); Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 30. Nach der ursprünglichen Bedeutung im (Alt-)Griechischen bedeutet „Euthanasie“ so viel wie der „gute, schöne Tod“; siehe Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 4; ausführlich Wernstedt, Sterbehilfe in Europa (2004), 66 f. 8 Vgl. etwa BGHSt 37, 376; 40, 257 (260); 42, 301 (305); 55, 191; OLG Frankfurt NJW 1998, 2747 (2748); Eisele, BT 1, Rn. 155 ff.; Höfling, JuS 2000, 111 ff.; Momsen, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 211 ff. Rn. 24 ff. 9 Der den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346 und dem AE-StB, GA 2005, 553 zugrunde liegende Begriff „Sterbebegleitung“ ist insofern unpräzise, als er nicht deutlich macht, dass es dabei durchaus auch um ein todesursächliches ärztliches Verhalten gehen kann; siehe Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 94; ders./Saliger, HRRS 2006, 280 f.; Roxin, in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (83 mit Fn. 1); Schreiber, NStZ 2006, 473 mit Fn. 1; krit. dazu – und zum weiteren Alternativbegriff „Leidhilfe“ – auch Saliger, KritV 2001, 382 (395 f.); vgl. aber auch Otto, NJW 2006, 2217 u. Schroth, GA 2006, 549. Widersprüchlich Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 9 mit Fn. 1, der als Mitverfasser des AE-StB den Begriff aus den genannten Gründen ebenfalls für „beschönigend“ hält, ihn aber in der Überschrift seines Gutachtens dennoch verwendet. 10 Siehe Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 97, der als einen weiteren Parameter auch die Willenskundgabe bzw. Willensrichtung des Betroffenen (Handeln mit Einwilligung, ohne Einwilligung oder gegen den Willen) nennt. Relevant werde dieser bei der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen es auf eine mutmaßliche Einwilligung des äußerungsunfähigen Patienten ankommen könne. 11 Prägnant Fischer, Vor § 211–216 Rn. 34, Hervorhebung(en) im Original: Symptomatisch dafür sei etwa die Einordnung „eindeutig aktiver Handlungen“ als „,Unterlas-

A. Terminologie und Begriffsbestimmung

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Doch sollte dabei nicht übersehen werden, dass die bewährte und nach wie vor mehrheitlich verwendete Terminologie die normativen Resultate – und nur um diese geht es hier – nicht vorwegnimmt; ihre im Schrifttum schon seit Längerem geforderte12 und in seinem richtungsweisenden Grundsatzurteil im „Fuldaer Fall“ 13 vor Kurzem auch vom BGH postulierte Neuausrichtung kann daher einstweilen hintangestellt werden.14 Unter oben genannte Konstellationen fällt ein Verhalten schließlich auch nur dann, wenn es sich weder als bloße, d. h. nicht lebensverkürzende Erleichterung des Sterbeprozesses (sog. reine Sterbehilfe) noch als Beihilfe zur Selbsttötung darstellt, die in Anlehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch („assisted suicide“) neuerdings vermehrt auch als „(ärztlich) assistierte Selbsttötung“ 15 bezeichnet wird. Beide Fallgruppen sollen im Folgenden ebenfalls behandelt werden, wenngleich ihnen unter dem Aspekt eines Tötungsdelikts keine Bedeutung zukommt. Zwar stellen sich die besonderen Probleme der strafrechtlichen Beurteilung von Sterbehilfemaßnahmen in der Tat erst dort, wo nach allgemeinen Grundsätzen von einer täterschaftlichen Fremdtötung auszugehen wäre, doch rechtfertigt dies für sich genommen noch nicht, sie deshalb aus der Betrachtung

sen‘“, um sie als (unter Umständen straflose) „,passive Sterbehilfe‘ “ behandeln zu können (krit. mit etwas anderer Stoßrichtung auch Schreiber, NStZ 2006, 473 [474 f.] u. Taupitz, Gutachten 63. DJT [2000], A 18, die beide den Gesichtspunkt der Behandlungsänderung – palliativmedizinische Versorgung statt Lebensverlängerung – betonen); ebenso symptomatisch sei die Bezeichnung einer „offensichtlich direkten Tötungshandlung“ (hochdosierte, zum Tod führende Medikamentengabe zur Schmerzunterdrückung) als „,indirekte Sterbehilfe‘“ bei gleichzeitigem Beharren auf der Formel, „,aktive Sterbehilfe‘“ sei und bleibe verboten (ähnlich krit. zuvor schon Merkel, Früheuthanasie [2001], 174 ff.). 12 Siehe etwa Beckmann, DRiZ 2005, 252 (253 f.), der oben genannte Bezeichnungen durch die Begriffe „einverständlicher Behandlungsverzicht bzw. -abbruch“, „Schmerzbehandlung“ und „Patiententötung auf Verlangen“ ablösen möchte. Ein neuer Vorschlag zur Revision der Nomenklatur kommt von Fischer, Vor § 211–216 Rn. 35, der den Sterbehilfebegriff „schon zur normativen Klarstellung“ ausschließlich für straflose (gerechtfertigte) Tötungshandlungen verwenden und diesen Bereich weiter in eine „,direkte‘“ und „,indirekte‘“ Sterbehilfe differenzieren will: Indirekte Sterbehilfe sei danach der schon bisher so bezeichnete Bereich einer „,sekundären‘“ Todesfolge, direkte Sterbehilfe der Bereich des (aktiven wie passiven) Behandlungsabbruchs (Hervorhebungen im Original). 13 BGHSt 55, 191. Zur terminologischen Neuausrichtung des BGH samt Kritik siehe auch unten Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 14 Ebenso Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 98; siehe ferner Knopp, MedR 2003, 379 (380); gegen eine Abkehr von der herrschenden Nomenklatur auch Duttge, GA 2006, 573 (576) in Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Neuvorschlägen des AE-StB; in die gleiche Richtung jüngst auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 98, dem zufolge der vom BGH in die Diskussion eingeführte Begriff des Behandlungsabbruchs keinen erkennbaren Mehrwert generiert. 15 Siehe z. B. Kubiciel, JZ 2009, 600; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (108) u. Schreiber, Jakobs-FS (2007), 615; krit. zu diesem Begriff Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 35.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

auszuschließen.16 Dies schon deshalb, weil die Teilnahme am Suizid nach deutschem Recht straflos ist, was eine Abgrenzung zur täterschaftlichen Fremdtötung notwendig macht. Dass diese Abgrenzung nicht unerhebliche strafrechtsdogmatische Schwierigkeiten bereiten kann, wird sich in dieser Untersuchung noch zeigen.17

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht Die Sterbehilfe hat im deutschen Recht bis heute keine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren. Zwar ist in § 216 StGB ein kleiner Ausschnitt erfasst, doch ist diese Norm – wie die §§ 212, 211 StGB auch – offenkundig nicht auf die Problematik zugeschnitten.18 Ebenso haben die durch das 3. BtÄndG in das BGB eingefügten Vorschriften nicht explizit die Sterbehilfe zum Gegenstand, sondern betreffen schon ihrem Wortlaut nach eine Vielzahl weit darüber hinausreichender Fallgestaltungen. Die (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBÖ-Ä 1997 –,19 die in ihrer neuesten Fassung aus dem Jahr 2011 in § 16 („Beistand für Sterbende“) neben der Tötung auf Verlangen neuerdings auch die Hilfe zur Selbsttötung ausdrücklich untersagt, besitzt dagegen als ärztliches Standesrecht keine unmittelbare Relevanz für die strafrechtliche Beurteilung derartiger Verhaltensweisen. Für die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung20 gilt dasselbe.21 Die Frage der Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit der verschiedenen Sterbehilfeformen wird daher nach wie vor unter Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften, insbesondere die Delikte gegen das Leben (§§ 211 ff. StGB), die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) und den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c StGB) zu beantworten sein.22

16 17 18

So aber Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 95 f. Siehe unten Erster Teil B. IV. 2. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75

(83). 19

Abgedruckt in: DÄBl. 108 (2011), A-1980. DÄBl. 108 (2011), A-346. 21 Siehe – freilich noch zu den vorhergehenden „Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung“ aus dem Jahr 1993 (abgedruckt in: DÄBl. 90 [1993], A-2404) – Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 56 u. Schreiber, Deutsch-FS (1999), 773 (774 f.), dort jeweils mit dem Hinweis, dass die Richtlinien aber der Rspr. als Orientierungshilfe dienen könnten. Beiden Autoren zufolge handelt es sich bei den Richtlinien im Übrigen noch nicht einmal um ärztliches Standesrecht; vgl. jedoch auch Duttge, GA 2005, 612 (613), der den Grundsätzen von 1998 unter Hinweis auf die Homepage der Bundesärztekammer „höchste Verbindlichkeit“ attestiert. 22 Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 56. 20

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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I. Die aktive Sterbehilfe Unter aktiver Sterbehilfe lässt sich „die bewußte Verkürzung des verlöschenden Lebens durch aktive – über den Behandlungsabbruch hinausgehende – Einflußnahme auf den Krankheitsprozeß“ verstehen.23 Sie kann ihrerseits weiter in eine indirekte und eine direkte Sterbehilfe unterteilt werden. 1. Die indirekte Sterbehilfe a) Grundsätzliches Unter indirekter Sterbehilfe versteht man die medizinisch indizierte Verabreichung von Medikamenten zur Schmerzlinderung mit der unbeabsichtigten Nebenfolge der Todesbeschleunigung.24 Trotz aller Fortschritte in der Arzneimittelforschung kann das Risiko einer Lebensverkürzung bei der Gabe besonders starker Analgetika wie Morphin oder von Tranquilizern wie Midazolam scheinbar auch heute noch nicht definitiv ausgeschlossen werden, was zu einer rechtlichen Bewertung derartiger Fallkonstellationen zwingt.25 Die indirekte Sterbehilfe ist nach ganz h. M. straflos, sofern eine ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung des ordnungsgemäß aufgeklärten Patienten in die schmerzlindernde Medikation vorliegt.26 Auch die Bundesärztekammer27 geht 23 Otto, Jura 1999, 434 (440); ders., BT, § 6 Rn. 40; ähnlich Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 7 u. Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 4: „Die aktive Sterbehilfe ist tätige Lebensverkürzung.“ 24 BGHSt 42, 301 (305); 46, 279 (284 f.); 55, 191 (204); Eisele, BT 1, Rn. 158; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 16; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 3. Um zu verdeutlichen, dass es sich bei der Todesbeschleunigung um einen (Unter-)Fall der aktiven Sterbehilfe handelt, wird teilweise auch von „aktiver indirekter Sterbehilfe“ gesprochen; siehe z. B. Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 9. 25 Siehe dazu die unlängst veröffentlichte Ärztebefragung „Sedierung am Lebensende“ von Beckmann, ZfL 2011, 110 (115); vgl. des Weiteren Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 26; Kutzer, Salger-FS (1995), 663 (671 f.) u. Schöch, NStZ 1997, 409 (411); zweifelnd Bosch, JA 2010, 908 (909). 26 BGHSt 42, 301; bestätigt durch BGHSt 46, 279 (284 f.) u. BGHSt 55, 191 (204); ferner Achenbach, Jura 2002, 542 (547); Coeppicus, NJW 1998, 3381 (3382); Eisele, BT 1, Rn. 158; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 15 u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 104; für Strafbarkeit zuletzt noch Gössel, BT 1, § 2 Rn. 30; in der Neuaufl. Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 41 wird die indirekte Sterbehilfe mittlerweile für zulässig erklärt. Eine lebensverkürzende Schmerzmedikation gegen den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten ist als Tötungsdelikt zu bestrafen; siehe Roxin, in: Blaha u. a. (Hrsg.), Schutz des Lebens – Recht auf Tod (1978), 85 (87). Umgekehrt besteht auch ein Anspruch auf indirekte Sterbehilfe insoweit, als die Nichtverabreichung schmerzlindernder Medikamente entgegen dem Wunsch des Patienten eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassen resp. unterlassener Hilfeleistung nach sich ziehen kann; siehe Andreas, ArztR 1999, 232 (233) u. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 100, 103.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

schon seit Längerem von ihrer Zulässigkeit aus; ebenso die beiden großen christlichen Konfessionen28 und der Zentralrat der Muslime in Deutschland.29 Umstritten geblieben ist bis heute allerdings zweierlei: zum einen die dogmatische Begründung für ihre Zulässigkeit, zum anderen ihre Reichweite. Beides wird im Folgenden zu untersuchen sein. b) Begründung der Straflosigkeit Die verschiedenen Lösungsmodelle zur Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe siedeln auf den verschiedenen Systemebenen der Straftat. Wurden v. a. im älteren Schrifttum vereinzelt noch Auffassungen vertreten, wonach der Arzt unvorsätzlich handle30 oder entschuldigt sei,31 stehen sich mittlerweile in erster Linie Ansätze des objektiven Tatbestandsausschlusses und Lösungen auf der Ebene der Rechtswidrigkeit gegenüber.32 aa) Lösungsansätze auf Tatbestandsebene Die Versuche, lebensverkürzende Schmerzlinderungen bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestands straflos zu stellen, sind Gegenstand zahlreicher Darstellungen in Rechtsprechung und Literatur, weshalb man die gängigen Argumentationslinien als bekannt voraussetzen darf. Im Wesentlichen kann zwischen vier Ansätzen unterschieden werden:

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In ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346 (A-347). 28 Vgl. die gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz „Gott ist ein Freund des Lebens“ (2000), 108. 29 Vgl. dessen Handreichung zu „Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung und Palliative Care aus islamischer Sicht“, 10. 30 So z. B. noch Bockelmann, Strafrecht des Arztes (1968), 25: „Wo keine Rettung möglich ist, Leidminderung aber dringend geboten ist, handelt der Arzt, der schmerzstillende Mittel zu geben wagt, im Rechtssinne nicht mit Tötungsvorsatz.“ 31 So z. B. Schwalm, BayÄBl. 1975, 565 (566), für den unter Umständen der übergesetzliche strafbefreiende Entschuldigungsgrund der Pflichtenkollision in Anlehnung an § 35 StGB zum Tragen kommen kann, sowie zuletzt noch Laufs, Arztrecht, Rn. 302, der dem gewissenhaften Arzt durch Verneinung des Schuldvorwurfs eine Entschuldigung zubilligt (anders aber nunmehr in der Neuaufl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Rn. 100: ärztliche lex artis). 32 Ausführlich zu den verschiedenen Lösungsvorschlägen Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 262 ff.; Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (299 ff.) und Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 93 ff.

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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(1) Ärztliche lex artis/sozialer Handlungssinn/ erlaubtes Risiko/Sozialadäquanz Während Teile des Schrifttums in Anlehnung an die in der Lehre immer noch überwiegende Auffassung zur Bewertung des ärztlichen Heileingriffs auch Maßnahmen der indirekten Sterbehilfe für zulässig halten, weil eine der ärztlichen Kunst entsprechende bzw. medizinisch indizierte Schmerzlinderung außerhalb des normativen Schutzbereichs der §§ 211, 216 StGB liege,33 verneinen andere Autoren unter Hinweis auf den sozialen Gesamtsinn der ärztlichen Handlung bereits eine tatbestandsmäßige Tötung:34 Die schmerzlindernde Medikation richte sich nämlich nicht gegen das Leben, sondern bilde tatsächlich die einzige und letzte Möglichkeit für den Arzt, dem ohnehin verlöschenden Leben zu dienen und es für den leidenden Patienten erträglich zu gestalten.35 Schließlich wird auch vorgeschlagen, die indirekte Sterbehilfe in den Bereich des erlaubten Risikos fallen zu lassen,36 wohingegen sie Herzberg, diesem Ansatz nicht unähnlich, als sozialadäquates Verhalten qualifizieren will.37 (2) Stellungnahme Keine dieser Begründungen hält einer inhaltlichen Prüfung stand. Lässt man einmal außer Betracht, dass der ärztliche Heileingriff nach vorzugswürdiger Ansicht der Rechtsprechung38 und mittlerweile auch eines signifikanten Teils der 33 Beckmann, DRiZ 2005, 252 (254); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Rn. 100; Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (30, 47); schlicht auf den „Schutzbereich der Norm“ berufen sich Krey/Heinrich, BT 1, § 1 Rn. 14 (für rechtfertigende Einwilligung aber nunmehr Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, § 1 Rn. 12 ff. im Anschluss an BGHSt 55, 191). 34 Merkel, Früheuthanasie (2001), 204 mit Fn. 219 weist zutreffend darauf hin, dass das die „,Schutzbereichs‘-Lösung“ i. E. natürlich auch tut, sie aber eine Tötungshandlung deshalb verneint, weil der Arzt der lex artis folge, und damit diese zur eigentlichen Legitimationsinstanz macht. 35 Wessels, BT 1, Rn. 26 (davon abrückend aber Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 32); zust. Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis (2000), 297 f.; Tröndle/Fischer, Vor § 211 Rn. 20; nahestehend Ingelfinger, ZfL 2005, 38 (40); ders., JZ 2006, 821 (824); ausführlich ders., Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 271 ff. 36 Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 110; Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (116); von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 141 ff.; Eser, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 (89); ders., in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 26; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 205 ff.; Stürmer, Sterbehilfe (1989), 9. 37 Herzberg, NJW 1996, 3043 (3048 f.). 38 Grundlegend RGSt 25, 375 (377 ff.); in der Folge etwa BGHSt 11, 111 (112); BGH NStZ 1996, 34 (35); OLG Karlsruhe NJW 1983, 352; ebenso die höchstrichterliche Rspr. in Zivilsachen, u. a. BGH NJW 1971, 1887.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

Lehre39 stets tatbestandsmäßig ist (und allenfalls qua ausdrücklicher oder mutmaßlicher Einwilligung des ordnungsgemäß aufgeklärten Patienten gerechtfertigt sein kann), führt der Rekurs auf die ärztliche lex artis jedenfalls bei der indirekten Sterbehilfe nicht weiter, weil es nicht angängig ist, ihr ein so bedeutsames Rechtsgut wie das Leben anzuvertrauen.40 Der im Schrifttum bisweilen geäußerten Befürchtung, diese Lösung laufe auf die prinzipiell unbeschränkte Selbstlegitimation einer ganzen Berufsgruppe hinaus, und zwar gerade insofern, als sie sich im äußersten Geschehensbereich der schwersten Delikte bewege, die die Rechtsordnung kenne,41 kann die Plausibilität nur schwerlich abgesprochen werden.42 Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, ärztliches Handeln, das Strafgesetze verletze, sei selbstverständlich auch von der lex artis nicht gedeckt,43 heißt das in Wahrheit doch nichts anderes, als dass die indirekte Sterbehilfe strafrechtskonform ist, weil sie mit der ärztlichen lex artis konform geht, und dies tut sie, wenn sie strafrechtskonform ist – der in dieser Argumentation zutage tretende Zirkelschluss liegt auf der Hand.44 Gleichermaßen problematisch ist es, eine tatbestandsmäßige Tötung nach Maßgabe des Handlungssinnes verneinen zu wollen. Abgesehen davon, dass die Tauglichkeit des Begriffs „Sozialrelevanz“ für die Unterscheidung zwischen Handlung und Nichthandlung schon ganz grundsätzlich zweifelhaft ist,45 bleibt 39 Etwa Jescheck/Weigend, AT, 379; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 219 ff.; Rengier, BT 2, § 13 Rn. 17; ferner Roxin, AT 1, § 13 Rn. 26, der allerdings, seiner Grundkonzeption zu diesem Rechtsinstitut entsprechend, der (tatsächlichen) Einwilligung des Patienten tatbestandsausschließende Wirkung zuerkennt. 40 Prägnant Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 263. 41 Merkel, JZ 1996, 1145 (1148); ähnlich Neumann, ARSP-Beiheft 44 (1991), 248 (250). 42 Vgl. aber auch Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 16: Von einer Selbstlegitimation des betroffenen Berufsstands könne „ebensowenig wie bei dem Architekten die Rede sein, der die Regeln der Baukunst beachtet“. Dem ist mit Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 60 mit Fn. 126 entgegenzuhalten, dass die Regeln der Baukunst nur solange bindend sind, als nicht feststeht, dass ihre Einhaltung Rechtsgüter Dritter verletzt. Das ist hier aber gerade der Fall. 43 So aber Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (47). 44 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (301); Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 114. Genauso wenig kann natürlich der schlichte Verweis auf den Schutzbereich der Norm überzeugen: Hierbei handelt es sich (ebenfalls) um eine petitio principii; denn dass die Lebensverkürzung aus dem Schutzbereich fällt, ist gerade das, was bewiesen werden muss; siehe Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 264. 45 Das kann nur bei einer Integration strafrechrechtsspezifischer Merkmale bereits in den Handlungsbegriff und der Determination der Sozialerheblichkeit eines Verhaltens in Bezug auf die konkreten Straftatbestände sowie das Unrecht der Fall sein, wobei der auf diese Weise deduzierte soziale Handlungsbegriff dann aber nicht mehr die Funktion erfüllen kann, als dem Tatbestand vorgelagerter Systemoberbegriff strafrechtlich bedeutungslose Verhaltensweisen aus dem Betrachtungskreis herauszufiltern; siehe Chong,

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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auch in der hier interessierenden Fallkonstellation offen, wieso die mit der Schmerzlinderung verbundene Lebensverkürzung rechtlich irrelevant sein soll: Mag sie aus ethischer Sicht auch unzweifelhaft geboten sein, ist es weder selbstverständlich, dass die „Hilfe“ in Form der Leidensminderung den Tatbestandserfolg der Todesbeschleunigung per se in den Hintergrund treten lässt, noch ist von vornherein klar, dass die Befreiung von Schmerzen den sozialen Sinngehalt einer sich äußerlich als indirekte Sterbehilfe darstellenden Todesherbeiführung wertungsmäßig adäquat abbildet. Tatsächlich lässt sich erst nach einer umfassenden Sachverhaltsanalyse inklusive der Lebensverkürzung sagen, welche Gesichtspunkte hier jeweils determinierend sind, sodass dieser Gesichtspunkt zwar das Resultat einer vielschichtigen Bewertung, aber keine hinreichende Begründung liefert.46 Erhebliche Bedenken bestehen auch gegen die Lösung über das erlaubte Risiko. Vorausgesetzt, man erkennt die grundsätzliche Berechtigung dieses Rechtsinstituts überhaupt an und geht von seiner dogmatischen Einordnung auf Tatbestandsebene aus,47 müssen sich auch ihre Verfechter den Vorwurf gefallen lassen, keine überzeugende Begründungsarbeit zu leisten.48 Der Hinweis, dass ansonsten die Verabreichung schmerzlindernder Medikamente wegen ihrer niemals mit völliger Sicherheit zu prognostizierenden Wirkung nicht in Betracht käme,49 mag zwar für sich genommen richtig sein; er entbindet aber nicht von der Begrün-

Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 91 f.; sachlich verwandte Kritik bei Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß (2001), 23 f. 46 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 107; eingehend Merkel, Früheuthanasie (2001), 204 ff. Ähnliche Kritik am Ansatz von Wessels übt Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 263 f., der aber zugleich betont, dass sich diese Kritik nicht in prinzipieller Hinsicht gegen einen Tatbestandsausschluss richte, sondern dieser nur besser begründet werden müsse. Allerdings übersieht Ingelfinger, dass dieselben Einwände auch ggü. seiner Lösung bestehen; näher dazu Neumann, ZStW 118 (2006), 743 (756). 47 Dafür spricht freilich einiges; näher dazu Roxin, AT 1, § 11 Rn. 65 ff. Auch im Fall der indirekten Sterbehilfe wäre daher richtigerweise schon von einem Tatbestandsausschluss und nicht erst einer Rechtfertigung auszugehen; zutreffend daher von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 141 ff.; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 205 ff.; Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 15 ff. (die deshalb alle auch von „unverbotenem Risiko“ sprechen, um ihre Meinung terminologisch zu markieren und dem Eindruck vorzubeugen, es gehe um eine „Erlaubnis“, d. h. die Ebene der Rechtswidrigkeit; siehe Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe [2003], 104); vgl. aber auch Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 110 (der allerdings missverständlich von einer „Rechtfertigung nach den Grundsätzen unverbotenen Risikos“ spricht); Eser, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 (89); ders., in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 26; Stürmer, Sterbehilfe (1989), 9. 48 Dölling, JR 1998, 160 (161); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 266; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 107. 49 Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 16.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

dungspflicht.50 Für den von einigen wenigen Autoren bemühten Rückgriff auf die Menschenwürde51 gilt dasselbe.52 Überdies ist ein augenfälliger Nachteil dieser Konstruktion, dass sie jene Sachverhalte nicht zu erfassen vermag, in denen die Lebensverkürzung als sichere Nebenfolge der Schmerzlinderung eintritt.53 Dies wird freilich auch von ihren Befürwortern nicht in Abrede gestellt, von denen die meisten in solchen Fällen eine Rechtfertigung nach § 34 StGB annehmen.54 Überzeugen kann dies aber schon deshalb nicht, weil man sich damit im Ergebnis von einer einheitlichen Beurteilung der indirekten Sterbehilfe verabschiedet.55 Schließlich können auch Herzbergs Erwägungen zur sozialen Adäquanz nicht durchdringen. Dieser Lehre kommt nach vorzugswürdiger Auffassung heute keine besondere dogmatische Bedeutung mehr zu. Ihr Ziel – nicht mit dem jeweiligen Unrechtstyp korrespondierende Verhaltensweisen aus dem Tatbestand auszuscheiden – ist zwar durchaus sachgerecht, doch stellt die „Sozialadäquanz“ kein tatbestandsausschließendes besonderes „,Merkmal‘“ dar und lässt sie sich auch als Auslegungsgrundsatz durch genauere Kriterien – neben dem erlaubten Risiko ist hier in erster Linie an das sog. Geringfügigkeitsprinzip zu denken – ablösen.56 Folgt man dem nicht und geht trotz dieser Einwände von einem Tatbestandsausschluss aus, dann lassen sich gegen diesen Ansatz jedenfalls dieselben Argumente in Stellung bringen wie gegen die Lösung über das erlaubte Risiko.57 Insofern hilft es auch nicht weiter, dass Herzberg die (übrigen) Tatbestandslösun50

Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 266. Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 206; Stürmer, Sterbehilfe (1989), 9. 52 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 266. 53 Arzt, in: Arzt/Weber, § 3 Rn. 7 mit Fn. 11; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 102; Rosenau, Roxin-FS (2011), 577 (582). 54 Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 111 ff.; Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (116 f.); von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 185 ff.; Eser, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 (89 f.); Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 20 ff.; vgl. aber auch Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 210 f., der bei sicherer Lebensverkürzung bestrafen will. 55 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 266; vgl. auch Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 110. 56 Roxin, AT 1, § 10 Rn. 42 (ausführlich ders., a. a. O., Rn. 33 ff.); ähnlich Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß (2001), 25 ff. 57 Vgl. Merkel, JZ 1996, 1145 (1148 ff.); ders., Früheuthanasie (2001), 208 ff., der erlaubtes Risiko und soziale Adäquanz als Subkategorien der abstrakten systematischen Kategorie „Ausschluss der objektiven Zurechnung“ begreift und deshalb obige Einwände auf beide Rechtsfiguren gleichermaßen bezieht (vgl. aber auch die nächste Fn.). Kritisch ggü. der sozialen Adäquanz im Kontext der indirekten Sterbehilfe – bei gleichzeitiger Ablehnung des erlaubten Risikos – auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 102; ders., Herzberg-FS (2008), 575 (577); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 107. 51

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gen an anderer Stelle mit überzeugenden Erwägungen verwirft: „Jeder, der auch nur im Ergebnis feststellt, dass die indirekte Euthanasie kein Unrecht sei, macht eine Wertaussage über ein Stück Leben, welches dem Kranken um der Schmerzlinderung willen genommen wird oder besser gesagt erspart bleibt. Denn wäre die Bewahrung auch dieser Lebensspanne ein höherer Wert als die Befreiung von Schmerzen, dann dürfte der Arzt nicht um der Schmerzfreiheit willen die Verkürzung des Lebens bewirken.“ 58 Das kann man treffender kaum formulieren. Indes weist Schneider mit Recht darauf hin, „dass derartige einzelfallorientierte Abwägungsvorgänge mit der tatbestandsspezifischen Typisierung des Unrechtscharakters von Verhaltensweisen nichts zu tun“ haben, sondern zur Rechtswidrigkeit gehören.59 bb) Lösungsansätze auf Rechtswidrigkeitsebene Nach Ansicht der Rechtsprechung und der h. L. soll die indirekte Sterbehilfe denn auch deswegen straflos bleiben, weil sie aufgrund des Eingreifens von Erlaubnissätzen gerechtfertigt sei. Wird die Figur „erlaubtes Risiko“ – wie hier – nicht erst auf Rechtswidrigkeits-, sondern schon auf Tatbestandsebene lokalisiert, dann lassen sich die verbleibenden Lösungsvorschläge im Wesentlichen unter die drei Titel „rechtfertigende Pflichtenkollision“, „rechtfertigende Einwilligung“ und „rechtfertigender Notstand“ einordnen. (1) Rechtfertigende Pflichtenkollision Im älteren Schrifttum wurde die indirekte Sterbehilfe vereinzelt unter dem Aspekt einer „rechtfertigenden Pflichtenkollision“ für straflos gehalten. Rechtswidrigkeit liege dann nicht vor, wenn jemand von mehreren entgegengesetzten Pflichten die vorrangige erfülle und dabei die nachrangige verletze. Sterbehilfe dürfe deshalb vorgenommen werden, wenn die Pflicht zur Leidenserleichterung – am Ausmaß des Leidens gemessen – derart in den Vordergrund trete, dass die Pflicht zur Lebenserhaltung – an Dauer und Qualität der verbleibenden Lebensspanne gemessen – dahinter zurücktreten müsse. Somit sei die Entscheidung des Arztes rechtmäßig, der bei einem tödlich erkrankten, unerträgliche Schmerzen leidenden Menschen der Schmerzlinderung das größere Gewicht als der Lebens58 Herzberg, NJW 1996, 3043 (3045). In Abkehr von seiner früheren Auffassung, wonach sämtliche Lösungen auf Tatbestandsebene einschließlich der Lösung „soziale Adäquanz“ kategorisch abzulehnen seien (vgl. die vorherige Fn.), hält Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (305) den Lösungsweg Herzbergs mittlerweile wenn auch nicht für vorzugswürdig, so doch für gangbar – bei gleichzeitiger Ablehnung aller anderen Tatbestandslösungen –, da dieser mit der Abwägung zwischen Leidverminderung und Lebensverlängerung die notwendigen Sachgründe für die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe ausweise und einfordere. 59 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 107.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

erhaltung einräume, weil eben jene für die kurze noch verbleibende Lebenszeit die Erhaltung einer gewissen Lebensqualität gewähre.60 Zu diesem Ansatz sei nur so viel gesagt, dass er schon deshalb nicht überzeugen kann, weil die Figur der rechtfertigenden Pflichtenkollision strukturell nicht auf Sachverhalte der indirekten Sterbehilfe zugeschnitten ist: Die Handlungspflicht in Form des an den Arzt gerichteten Gebotes, die Schmerzen des Patienten zu lindern, kollidiert hier nicht mit der Pflicht zur Lebenserhaltung;61 vielmehr steht ihr mit dem Verbot, Lebensverkürzungen zu bewirken, eine Unterlassungspflicht gegenüber. Es handelt sich demnach um die „klassische“ Konfliktlage, die den Anwendungsbereich der Notstandsvorschrift (§ 34 StGB) beschlägt.62 (2) Rechtfertigende Einwilligung Andere Autoren greifen für eine Rechtfertigung indirekter Sterbehilfe auf die Rechtsinstitute der tatsächlichen und der mutmaßlichen Einwilligung zurück. § 216 StGB, so heißt es, stünde dem nicht entgegen, da sich die indirekte Sterbehilfe von der Tötung auf Verlangen durch den „primär therapeutischen Zweck der Medikation“ unterscheide. Dieser manifestiere sich dadurch, dass der Patient vom Arzt „nicht die Erlösung von seinen Schmerzen durch den Tod, sondern durch eine Schmerzbehandlung mit der möglichen Folge einer Lebensverkürzung“ begehre.63 60 Leonardy, DRiZ 1986, 281 (287); ders., in: Jung/Meiser/Müller (Hrsg.), Aktuelle Probleme und Perspektiven des Arztrechts (1989), 14 (22); ähnlich zuvor schon Wimmer, FamRZ 1975, 438 f. 61 von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 188 weist zutreffend darauf hin, dass deren Reichweite bei Sterbenden ohnehin eingeschränkt und maßgeblich vom Patientenwillen abhängig ist. 62 von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 188; Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 22; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 103; vgl. auch allgemein Lackner/Kühl, § 34 Rn. 15; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 71/72; Roxin, AT 1, § 16 Rn. 117. 63 Verrel, JZ, 1996, 224 (226 f.); ebenso Duttge, GA 2006, 573 (578 f.); für die (mutmaßliche) Einwilligung als Rechtfertigungsgrund zuvor schon Renzikowski, Notstand und Notwehr (1994), 65 mit Fn. 145. Ähnlich auf der Grundlage eines – wie Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (306 mit Fn. 30) treffend formuliert – „dogmatischen Kantianismus“ Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß (2001), 227 ff.: Der Mensch gehöre als ein „homo noumenon“ zum Vernunft-/Freiheitswesen der Menschheit und sei deshalb sich selbst ggü. rechtlich verpflichtet, von jeder tödlichen Verfügung (auch durch Dritte) über sich als „homo phaenomenon“ Abstand zu nehmen. Die damit ebenfalls verbotene indirekte Sterbehilfe sei nur erlaubt, wenn der Schmerz nach seiner Intensität die „Vernunftnatur“ physisch „überwältige“, also das „Vernunftwesen“ (als Verbotsgrund) ohnehin nicht mehr vorhanden sei. Im Fall eines tatbestandsmäßigen Totschlags richte sich die Tat dann nach den Grundsätzen der (rechtfertigenden) Einwilligung. Stehe hingegen eine Bestrafung wegen Tötung auf Verlangen infrage, dann sei insoweit bereits der objektive Tatbestand des § 216 StGB

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In Abkehr von seiner früheren Auffassung, wonach in dem Vorgehen des Arztes eine gerechtfertigte Notstandstat zu erblicken sei,64 hat sich unlängst auch der BGH im „Fuldaer Fall“ 65 in einem obiter dictum für die (mutmaßliche) Einwilligung als Legitimationsgrund der Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe ausgesprochen.66 Seine Lösung entwickelt der 2. Senat aus den durch das 3. BtÄndG neu ins BGB eingefügten Vorschriften zur Patientenverfügung und dem mutmaßlichen Willen bzw. deren verfahrensmäßiger Umsetzung (§§ 1901a ff.). Das (vermeintliche) Kriterium der h. M. zur Abgrenzung zwischen erlaubtem (ärztlichem) Verhalten und einem Kapitalverbrechen, die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen, gibt er explizit auf. Rechtfertigung komme auch bei einem aktiven Tun in Betracht, und zwar dann, wenn es im Rahmen eines „Behandlungsabbruchs“ – dieser normativ-wertende Oberbegriff soll nach dem Wunsch des BGH an die Stelle der bisherigen Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe treten67 – geschehe. Dies setze neben dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen eine lebensbedrohliche Erkrankung des Patienten und die Eignung der fraglichen Maßnahme zur Lebensverlängerung voraus. Darüber hinaus müsse die Handlung sowohl objektiv als auch subjektiv unmittelbar auf die Beendigung der medizinischen Behandlung bezogen sein. Erfasst würden nur Fälle, in denen der Krankheit ihr Lauf gelassen und der Patient letztlich seinem Sterben überlassen werde, nicht aber eine gezielte Tötung neben dem Krankheitsprozess. Diese Grundsätze sollen nach Auffassung des 2. Senats nicht nur für Ärzte, Betreuer und Bevollmächtigte, sondern gleichermaßen für deren Hilfspersonen Geltung beanspruchen.68 Diese im Schrifttum überwiegend positiv aufgenommene69 Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Lässt man einmal außer Betracht, dass die ausgeschlossen; denn hier sei das in concreto nicht einschlägige Selbstverfügungsverbot gerade schon in den Unrechtstypus des Tatbestands eingegangen. 64 Siehe dazu unten Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) in der Einleitung. 65 BGHSt 55, 191. Zum Sachverhalt: Verurteilt worden war ein Rechtsanwalt, weil er der zugleich als Betreuerin eingesetzten Tochter einer 76-jährigen Komapatientin geraten hatte, den Schlauch einer PEG-Sonde durchzuschneiden, um so die Wiederaufnahme der kurz zuvor beendeten künstlichen Ernährung zu verhindern. Beendet worden war die Ernährung, weil das, so die Feststellung des in erster Instanz mit dem Fall befassten LG Fulda, einer zum Tatzeitpunkt fünf Jahre alten mündlichen Äußerung der Patientin entsprochen hatte. Außerdem hatte der behandelnde Arzt den Abbruch der Sondenernährung befürwortet, weil seiner Auffassung nach eine medizinische Indikation für deren Fortsetzung nicht mehr bestand. 66 BGHSt 55, 191 (204). 67 Dazu, dass der Begriff des Behandlungsabbruchs in der Diskussion schon vorher geläufig war, siehe Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (546) m.w. N. 68 BGHSt 55, 191 (198 ff.); siehe zu dieser kurzen Zusammenfassung Alberts, FamFR 2010, 430. 69 Vgl. etwa Alberts, FamFR 2010, 430; Dölling, ZIS 2011, 345 ff.; Gaede, NJW 2010, 2925 ff.; Hecker, JuS 2010, 1027 ff.; Hirsch JR 2011, 37 ff.; Lipp, FamRZ 2010, 1555 f.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 130; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 7b; Verrel, NStZ

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Abgrenzung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten anhand des Parameters „Erscheinungsform des Täterverhaltens“ resp. des damit korrespondierenden Begriffspaares „aktiv/passiv“ auch bisher schon keineswegs so rigide war, wie dies der BGH glauben machen möchte,70 sich zudem der neu eingeführte Begriff des Behandlungsabbruchs der traditionellen Terminologie gegenüber nicht zwingend als präziser erweist71 und schließlich dem 2. Senat wie bereits dem 1. Senat im „Kemptener Fall“ 72 ein Denkfehler unterläuft, wenn er auch ein nach den allgemeinen Regeln als Unterlassen (medizinischer [Weiter-]Behandlung) zu qualifizierendes Verhalten für einwilligungsbedürftig erachtet,73 kann speziell auch die Heranziehung der §§ 1901a ff. BGB zur Bestimmung der Einwilligungsgrenzen nicht überzeugen.74 Dies gilt auch und v. a., soweit darauf die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe gestützt wird.75 Zwar konstatiert der BGH im Ausgangspunkt seiner Überlegungen zunächst völlig richtig, dass die §§ 212, 216 StGB von den Vorschriften des Betreuungsrechts, welche schon nach ihrem Wortlaut eine Vielzahl weit darüber hinausrei-

2010, 671 ff.; krit. mit Blick auf die dogmatische Begründung Duttge, MedR 2011, 36 ff.; Engländer, JZ 2011, 513 ff. u. Walter, ZIS 2011, 76 ff. 70 In diesem Sinne Duttge, MedR 2011, 36 (37); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 171 u. Walter, ZIS 2011, 76 (77). Tatsächlich ist die von ihm diskutierte Zulässigkeit des Abschaltens lebenserhaltender Maschinen sowohl für Ärzte als auch für Dritte schon seit Langem anerkannt. Dies wird später noch eingehend zu erörtern sein (siehe unten Erster Teil B. II. 3. a] cc]); an dieser Stelle sei zunächst einmal nur auf die ausführliche Darstellung dieser unter dem Oberbegriff „technischer Behandlungsabbruch“ diskutierten Sonderproblematik bei Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 118 ff. verwiesen. Neben der einhellig anerkannten Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe, bei der es sich ebenfalls unstreitig um ein aktives Tun handelt, war es nicht zuletzt dieser Umstand, der Scheffler, in: Joerden/J. Neumann (Hrsg.), Medizinethik 2 (2001), 45 bereits vor knapp zehn Jahren dazu bewogen hat, einen Aufsatz plakativ mit „Aktive Sterbehilfe ist erlaubt!“ zu betiteln. 71 Dazu – wenn auch mit unterschiedlicher Stoßrichtung – Duttge, MedR 2011, 36 (38); Lipp, FamRZ 2010, 1555 (1556); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 169; Tolmein, BtPrax 2010, 230 (231). 72 BGHSt 40, 257. Zu dieser Entscheidung und ihren Auswirkungen auf die Debatte um die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe siehe unten Erster Teil B. II. 3. b) aa). 73 Auf dem Boden der verfassungsrechtlich gewährleisteten Patientenautonomie ist es richtigerweise die (Weiter-)Behandlung, die der (mutmaßlichen) Einwilligung des Patienten bedarf; siehe Engländer, JZ 2011, 513 (517 f.); Kubiciel, ZJS 2010, 656 (660); Lipp, FamRZ 2010, 1555 (1556). Ausführlich dazu bei der passiven Sterbehilfe unten Erster Teil B. II. 3. a) bb) sowie Erster Teil B. II. 3. b) aa) (2). 74 In dieser Aufzählung sind einige fallbezogene Unstimmigkeiten noch gar nicht enthalten. So ist etwa zu beanstanden, dass der 2. Senat, wie zuvor schon das LG Fulda, von einem ausdrücklich erklärten Behandlungsverzicht ausgegangen ist, tatsächlich aber ein entsprechender mutmaßlicher Wille hätte unterstellt werden müssen; näher dazu Duttge, MedR 2011, 36 f.; Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (353); Verrel, NStZ 2010, 671 (673). 75 Kritisch auch Engländer, JZ 2011, 513 (519 f.); Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (551) u. Verrel, NStZ 2010, 671 (673).

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chender Fallgestaltungen betreffen und auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht etwa strafrechtsspezifische Regeln für die Abgrenzung erlaubter Sterbehilfe von verbotener Tötung enthalten, unberührt bleiben.76 Richtig ist auch, dass sich schon aus dem grundsätzlich schrankenlosen und die unterschiedlichsten betreuungsrechtlichen Fallgestaltungen erfassenden Wortlaut des § 1901a BGB selbst ergibt, dass die Frage einer strafrechtlichen Rechtfertigung von Tötungshandlungen nicht nur als zivilrechtsakzessorisches Problem behandelt werden kann.77 Es ist daher auch nur konsequent, wenn der 2. Senat die Frage, wo die Grenze einer rechtfertigenden Einwilligung verläuft und der Bereich strafbarer Tötung auf Verlangen beginnt, ebenso wie die Frage nach der Reichweite einer eine Körperverletzung rechtfertigenden Einwilligung (§ 228 StGB) als eine „strafrechtsspezifische“ begreift, über die „im Grundsatz autonom nach materiell strafrechtlichen Kriterien zu entscheiden ist“.78 Jedoch verstrickt er sich in einen unheilbaren Widerspruch, wenn er diese Entscheidung zugleich „im Lichte der Verfassungsordnung und mit Blick auf Regelungen anderer Rechtsbereiche“ 79 treffen will und damit die §§ 1901a ff. BGB meint. Sollte diese Grenze, worauf auch der BGH noch einmal mit Nachdruck hinweist, nach dem Willen des Gesetzgebers durch die §§ 1901a ff. BGB nicht verschoben werden,80 dann können diese Vorschriften konsequenterweise auch keinerlei „materielle Ausstrahlungswirkung“ auf die strafrechtlichen Rechtsinstitute der tatsächlichen bzw. mutmaßlichen Einwilligung mit der Folge entfalten, dass unter bestimmten Voraussetzungen in eine aktive Lebensverkürzung (mutmaßlich) eingewilligt werden kann.81 Oder anders gewendet: Es ist kaum möglich, eine rechtfertigende (tatsächliche oder mutmaßliche) Einwilligung in eine lebensverkürzende Schmerzmedikation unter Rückgriff auf die §§ 1901a ff. BGB für zulässig zu halten, wenn man selbst davon ausgeht, dass diese Vorschriften die Einwilligungsgrenzen gerade unangetastet lassen sollen. Dieser offenkundige Widerspruch lässt sich auch nicht mit dem Hinweis auflösen, die §§ 1901a ff. BGB enthielten zudem eine verfahrensrechtliche Absicherung für die Verwirklichung des Selbstbe76

BGHSt 55, 191 (199) unter Hinweis auf BT-Drs. 16/8442, 7 f., 9. BGHSt 55, 191 (199 f.). 78 BGHSt 55, 191 (200); vgl. auch Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (346 ff.), der allerdings zu verkennen scheint, dass diese Feststellung nur für bewusste Lebensverkürzungen durch aktive – über den Behandlungsabbruch hinausgehende – Einflußnahme auf den Krankheitsprozess gelten kann. Näher dazu bei der passiven Sterbehilfe unten Erster Teil II. 2. 79 BGHSt 55, 191 (200). 80 BGHSt 55, 191 (200) unter Hinweis auf BT-Drs. 16/8442, 9. 81 Ähnliche Überlegungen bei Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (558 ff.), der für solche Fälle nach wie vor auf § 34 StGB rekurrieren möchte. Auch Verrel, NStZ 2010, 671 (674), der dieser Entscheidung tendenziell positiv gegenübersteht, kommt nicht umhin, zuzugestehen, dass man sich auf das „Hin und Her“ dieser Ausführungen zum Einfluss des Betreuungsrechts auf die strafrechtliche Würdigung von Behandlungsbegrenzungen „nur schwer einen Reim machen“ kann. 77

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stimmungsrechts äußerungsunfähiger Patienten; diese Paragrafen sollten gewährleisten, dass der Wille dieser Patienten über den Zeitpunkt des Eintritts von Einwilligungsunfähigkeit hinaus gelte und beachtet werde.82 Für sich genommen mag das ja durchaus richtig sein. Allerdings ist damit in erster Linie die „Zeitdimension“ 83 des Selbstbestimmungsrechts über die körperliche Integrität angesprochen. Wie daraus der Schluss gezogen werden kann, die Neuregelung müsse unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Handlungen berücksichtigt werden,84 ist nicht nachvollziehbar. Bindungswirkung für das Strafrecht als sekundäre Normenordnung kommt der Neuregelung nur insoweit zu, als sie auf Verhaltensnormebene auch relevante Bewertungen enthält.85 Das ist hinsichtlich kausal lebensbeendender Handlungen nach dem oben Gesagten aber grundsätzlich nicht der Fall.86 Bei der hier gebotenen und auch vom BGH postulierten strafrechtsautonomen Betrachtung gilt damit für die indirekte Sterbehilfe weiterhin, was auch schon vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG galt: Die „Einwilligungslösung“ bricht sich an der Einwilligungssperre des § 216 StGB, dem zufolge freilich neben der Einwilligung auch das ausdrückliche Verlangen des „Opfers“ eine (Fremd-)Tötung nicht legitimieren kann.87 Eine so klare Entscheidung des Gesetzgebers, der damit nach herrschender Auffassung dem gesellschaftlichen Interesse an der allgemeinen Achtung menschlichen Lebens Rechnung tragen will88 – die Kriminalisierung verlangter Tötungen soll die „Ehrfurcht vor dem Leben“ 89 schützen oder, nach neuerer Lesart, helfen, das Tötungstabu aufrechtzuerhalten 90 –,91 lässt 82

BGHSt 55, 191 (200). Dieser plastische Ausdruck findet sich bei Höfling, JuS 2000, 111 (115). 84 BGHSt 55, 191 (200) unter Hinweis auf Reus, JZ 2010, 80 (83 f.). 85 Vgl. Reus, JZ 2010, 80 (83 f.); Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (555); ähnlich Eidam, GA 2011, 232 (237 f.). Zu dieser „relativen Akzessorietät des Strafrechts“ siehe auch Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 9 (36 f.). 86 Das einschränkende „grundsätzlich“ bezieht sich auf die Fälle, in denen die kausal lebensbeendende Handlung der Umsetzung eines (mutmaßlichen) Behandlungsvetos des Patienten dient. Näher dazu bei der passiven Sterbehilfe unten Erster Teil II. 3. a) cc) (2). 87 Dölling, JR 1998, 160 (161); Dreier, JZ 2007, 317 (322); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 268; Lüderssen, JZ 2006, 689 (690); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 103; ausführlich ders., Herzberg-FS (2008), 575 (578 ff.), dort auch zum Einwilligungsmodell von Duttge, dem er konzeptionelle Eigenständigkeit bescheinigt. 88 Neumann, in: NK, § 216 Rn. 1. 89 Engisch, Mayer-FS (1966), 399 (412 f.). 90 Dölling, Laufs-FS (2006), 767 (771 f.); Hirsch, Welzel-FS (1974), 775 (779 f., 789 f.); Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (306 mit Fn. 29); ausführlich ders., Früheuthanasie (2001), 395 ff., jeweils m.w. N. Soweit diese Autoren mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zusätzlich paternalistische Erwägungen ins Feld führen, wonach die Norm auch dem Schutz vor übereilter Lebensbeendigung diene, ist dem entgegen83

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kaum einen Interpretationsspielraum zu. Dieser evidente Widerspruch zu § 216 StGB kann auch nicht unter Verweis auf den bei der indirekten Sterbehilfe „primär therapeutischen Zweck der Medikation“ beseitigt werden, wird mit dieser Formulierung doch lediglich eine ihrer notwendigen Voraussetzungen bezeichnet.92 (3) Rechtfertigender Notstand Die wohl nach wie vor h. L. favorisiert die Anwendung der Vorschrift des § 34 StGB und erblickt, sofern der Patient in die lebensverkürzende Schmerztherapie (mutmaßlich) einwilligt, in dem Vorgehen des Arztes eine gerechtfertigte Notstandstat.93 Wie schon erwähnt, wurde dieser Lösungsweg bis vor kurzem auch vom BGH beschritten: Hatte sich der 3. Senat in seiner ersten und bisher einzigen Grundsatzentscheidung zur Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe im „Dolantin-Fall“ 94 noch nicht abschließend festgelegt und lediglich ausgeführt, dass die indirekte Sterbehilfe „jedenfalls“ nach der Notstandsregelung des § 34 StGB gerechtfertigt sein könne, da „die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen [. . .] ein höherzuhalten, dass § 216 StGB ja gerade ein ernstliches Verlangen des „Opfers“ voraussetzt und deshalb bei leichtfertigen Entscheidungen von vornherein nicht greift; siehe dazu Neumann, in: NK, § 216 Rn. 1; ausführlich Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 176 ff.; krit. aber Kubiciel, JZ 2009, 600 (602 ff.). 91 Siehe dazu samt Nachweisen Kubiciel, JZ 2009, 600 (601). 92 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 268; ähnlich Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 109. Wenig überzeugend ist auch der philosophisch unterfütterte Begründungsversuch von Maatsch, dem Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (312 mit Fn. 53) mit Recht „blanke Unmoral“ vorwirft, da die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe nicht mit den unerträglichen Leiden des Patienten, sondern der ihm abhanden gekommenen Eigenschaft als „Vernunftwesen“ begründet wird. Diese Behauptung ist, so Merkel, nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch insofern verfehlt, als die „Vernunftnatur“ von anderen Faktoren als Schmerz (z. B. einer schweren senilen Demenz) weitaus nachhaltiger „überwältigt“ werden kann, sodass man sich die Frage stellen muss, ob das Tötungsverbot dann nicht mehr gelten soll, weil solche Patienten ihren Status als „Vernunftwesen“ einbüßen und etwa zuvor – als „Noch-Vernunftwesen“ – ein entsprechendes Tötungsverlangen schriftlich formuliert haben. 93 Achenbach, Jura 2002, 542 (547); Bosch, JA 2010, 908 (909); Eisele, BT 1, Rn. 158; Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 43; Otto, NJW 2006, 2217 (2221); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (87 f.); Sinn, in: SK, § 212 Rn. 58; siehe für eine ausführliche Begründung Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (308 ff.); Neumann, Herzberg-FS (2008), 575; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 133 ff. Eine modifizierte Notstandslösung vertritt Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 328 f., der zum einen gem. dem Grundsatz „in dubio pro vita“ ein Verlangen des Patienten i. S. d. § 216 StGB fordert und zum anderen bei der Notstandsabwägung als Erhaltungsinteresse nicht das Schmerzlinderungs-, sondern das „Selbstbestimmungsinteresse“ des Patienten in die Waagschale wirft. 94 BGHSt 42, 301 mit Anm. Dölling, JR 1998, 160 u. Schöch, NStZ 1997, 409.

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wertiges Rechtsgut“ sei „als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen“,95 stellte der 5. Senat später im „Freitodhelfer-Fall“ 96 in einem obiter dictum klar, dass er bei der indirekten Sterbehilfe die Notstandslösung für angebracht erachtet.97 Prima vista liegt dieser Ansatz in der Tat nahe: Mit der oben beschriebenen Abwägung zweier Übel und dem Ergebnis der Wahl des geringeren fordern die Notstandsregeln genau das ein, was aufgrund der bisherigen Überlegungen die Legitimationsgrundlage indirekter Sterbehilfe sein muss.98 Aus strafrechtsdogmatischer Sicht ist der Rückgriff auf § 34 StGB allerdings nicht ganz unproblematisch, weil jedenfalls nach gängiger Interpretation dieser Vorschrift Zweifel an ihrer Begründungstauglichkeit anzumelden sein könnten. (a) Einwände gegen die Notstandslösung Gegen die Notstandslösung werden im Wesentlichen fünf Einwände formuliert. 1. Die Notstandsabwägung verstoße gegen den Grundsatz der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens und leiste dadurch einer Aushöhlung des rechtlichen Lebensschutzes Vorschub.99 In diesem Argument spiegelt sich das herrschende Rechtsgutsverständnis wider, das im Zuge der Abkopplung individueller Rechtsgüter von den Interessen ihres Trägers im Einzelfall auch das Rechtsgut „Leben“ von den Lebensinteressen des in concreto Betroffenen isoliert: Das Leben des Einzelnen, so heißt es, sei ungeachtet seines Lebensinteresses schützenswert.100 95

BGHSt 42, 301 (305). BGHSt 46, 279. 97 BGHSt 46, 279 (285). 98 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (308, 310); ebenso Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (577, 580 f.), der zusätzlich darauf hinweist, dass die Anwendung von § 34 StGB auch verbrechenssystematisch naheliege, weil jedenfalls prima facie kein Grund ersichtlich sei, diesen allgemeinen Rechtfertigungsgrund gerade auf den Tatbestand des § 216 StGB nicht anzuwenden; a. A. aber Engländer, GA 2010, 15 (21 f.). 99 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 267; Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (30); Verrel, JZ 1996, 224 (226). Derartige Bedenken werden auch von Autoren geäußert, die die Anwendung des § 34 StGB – ggf. in Kombination mit den Rechtsinstituten der tatsächlichen bzw. mutmaßlichen Einwilligung – i. E. befürworten; siehe z. B. Dölling, JR 1998, 160 (161); Dreier, JZ 2007, 317 (322); Schreiber, NStZ 1986, 337 (341); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 29, 111. 100 Vgl. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 3, der als Verfechter dieser Konzeption Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 5; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 Rn. 27 u. Wessels/Hettinger, BT 1, 33. Aufl., Rn. 2 (Distanz beziehend aber Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 2) nennt; für eine solche Entkopplung von (konkretem) Lebensinteresse und Lebensschutz auch Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 115, alle unter Berufung auf verfassungsrechtliche Wertungen; a. A. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 129 ff., 139. 96

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2. Der Notstandsparagraf passe strukturell nicht auf die Fälle der indirekten Sterbehilfe, weil er „widerstreitende“ – d. h. beiderseits vorhandene – „Interessen“ und damit eine Konstellation voraussetze, die in den fraglichen Fällen nicht gegeben sei: Der Patient, der für ihre Zulässigkeit in die lebensverkürzende Schmerzlinderung zumindest mutmaßlich einwilligen müsse, habe kein persönliches (Weiter-)Lebensinteresse mehr; darüber hinaus wahre und erfülle ein solches Verhalten aber auch das in § 216 StGB vertypte Taburespektierungsinteresse anderer Menschen oder beeinträchtige es zumindest nicht.101 Dieses Monitum wird bisweilen als „Argument des fehlenden Eingriffsinteresses“ bezeichnet.102 3. Der Notstandsparagraf sei von seiner Struktur her aber auch deshalb nicht auf die Fälle der indirekten Sterbehilfe anwendbar, weil der Mensch mit seinem Leben zugleich der Fähigkeit verlustig gehe, Inhaber eines Rechtsguts – hier: der körperlichen Integrität bzw. des Interesses daran – zu sein.103 Dieser Einwand, spiegelbildlich zum vorgenannten mitunter als „Argument des fehlenden Erhaltungsinteresses“ tituliert,104 wird üblicherweise nur für die direkte Sterbehilfe formuliert. Er müsste aber, wäre er stichhaltig, auch für die indirekte Sterbehilfe gelten, bei der man allerdings meint, durch stillschweigende Annahme der subjektiven Erlebbarkeit der Schmerzlinderung eine Ausnahme machen zu können.105 Dass diese Hoffnung allerdings unberechtigt ist, wurde unlängst von Merkel dargelegt, der darauf aufmerksam macht, dass eine an sich erlaubte – und mit Blick auf die bei unterlassener Schmerzbehandlung in Betracht kommende Körperverletzungsstrafbarkeit auch gebotene – Sterbehilfe nicht alleine deshalb zu einer unzulässigen werden kann, weil ihre Nebenfolge „Tod“ zeitlich mit bzw. vor der intendierten Hauptfolge „Leidminderung“ eintritt.106 4. Gegen eine Anwendung von § 34 StGB spreche, dass damit „die Einwilligungsschranke bei Tötungen [. . .] übergangen würde“.107 Auch dieser Einwand

101 Herzberg, NJW 1996, 3043 (3045 ff., 3048); vgl. auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 254 f., der diesen Einwand gegen die Notstandslösung bei der direkten Sterbehilfe in Stellung bringt. 102 So Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (586). 103 Möllering, Med. Welt 25 (1974), 1254 (1257 f.); ders., Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 40; zust. Eser, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten? (1975), 45 (63); ders., in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 (91); diesem zust. Chong, Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 115 f. u. Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 195, die alle insoweit auch von einem „(norm-)logischen Widerspruch“ sprechen; ähnlich Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 249 f., bei dem vom „Problem des fehlenden Erhaltungsguts“ die Rede ist. 104 So Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (584). 105 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (311). 106 Siehe Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (311), dort auch m.w. N. aus dem medizinischen Schrifttum, die belegen, dass solche Situationen v. a. bei schwer nierengeschädigten Patienten klinisch durchaus im Bereich des Möglichen liegen.

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wird zwar regelmäßig nur auf die direkte Sterbehilfe bezogen, bei der die Möglichkeit einer Anwendung des § 34 StGB üblicherweise nur in Zusammenhang mit dem Tatbestand der Tötung auf Verlangen diskutiert wird. Wäre er berechtigt, müsste er aber konsequenterweise auch bei einer i. S. d. § 216 StGB verlangten indirekten Sterbehilfe Berücksichtigung finden, und erst recht dann, wenn der Patient in diese nur (mutmaßlich) einwilligt. 5. Wer die Notstandslösung bei der indirekten Sterbehilfe befürworte, der „müßte eine Rechtfertigung prinzipiell auch dann für möglich halten, wenn die Schmerzlinderung gegen den Willen des Patienten erfolgt“.108 Dieser Einwand basiert auf der Erwägung, wonach die Notstandsvorschrift auf Sachverhalte, bei denen der Destinatär der Notstandshilfe nicht nur Träger des Erhaltungs-, sondern auch des Eingriffsguts ist (sog. interne Güter- oder intrapersonale Interessenkollision), aus Gründen des Autonomieschutzes generell nicht anwendbar sei und nur die Rechtsinstitute der tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung zum Tragen kämen. Mit Blick auf die Ratio der Vorschrift – die rechtliche Verpflichtung zur Solidarität109 – sei der Anwendungsbereich von § 34 StGB auf Kollisionen von Rechtsgütern verschiedener Rechtsgutsträger (sog. externe Güter- oder interpersonale Interessenkollision) beschränkt. Niemand, so heißt es, schulde sich selbst eine „Mindestsolidarität“ (bzw. erst recht keine aus bestimmten Gründen erweiterte Solidarität), auf die sich der Zwang stützen ließe, die eine Beeinträchtigung zwecks Vermeidung der anderen hinzunehmen. Hier könne eine Eingriffsbefugnis vielmehr ausschließlich mit dem Recht des Einzelnen zur autonomen Disposition über seine Rechtsgüter begründet werden.110 107 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 246; i. d. S. auch schon Muschke, Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe? (Diss. 1988), 33. 108 Renzikowski, Notstand und Notwehr (1994), 65 mit Fn. 145, Hervorhebung im Original; ähnlich Lüderssen, JZ 2006, 689 (690). Soweit aber – zu Recht – das Einverständnis des Patienten als notwendig angesehen werde, könne eine Lösung, so Renzikowski, auch nicht über eine „Kombination“ von rechtfertigendem Notstand und Einwilligung gefunden werden – so z. B. Dölling, MedR 1987, 6 (7); Kühl, Jura 2009, 881 (884); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 103; Schöch, NStZ 1997, 409 (410) –, da beide Rechtfertigungsgründe zu unterschiedlichen Kategorien gehörten. Ähnlich Verrel, JZ 1996, 224 (226). 109 Siehe dazu ausführlich Engländer, GA 2010, 15 (17 ff.); Günther, in: SK, § 34 Rn. 9 ff.; Kühl, AT, § 8 Rn. 6 ff., jeweils m.w. N. auch zu den beiden Gegenauffassungen, die § 34 StGB als Ausdruck des rein formalen Abwägungsprinzips bzw. des utilitaristischen Prinzips des größtmöglichen Gesamtnutzens begreifen. 110 Erb, in: MK, § 34 Rn. 30; ebenso Engländer, GA 2010, 15 (21, 23); ähnlich Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 54; Renzikowski, Notstand und Notwehr (1994), 64 f. Gegen die Anwendung von § 34 StGB in solchen Fällen auch Schroth, JuS 1992, 476 (478), der sich für die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677 ff. BGB als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht ausspricht. Abweichend die h. L., die § 34 StGB – freilich mit teilweise erheblichen Unterschieden im Einzelnen – auch bei internen Güterkollisionen für anwendbar hält; siehe z. B. Neumann, in: NK, § 34 Rn. 32 ff.: grds. (mutmaßliche) Einwilligung, Rückgriff auf § 34 StGB nur bei Nichtdisponibilität des Rechtsguts; Roxin, AT 1, Rn. 101 f.: grds. (mutmaßliche) Einwilligung, Rückgriff auf

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(b) Stellungnahme Einige der vorstehend dargelegten Einwände gegen die Notstandslösung haben Gewicht und zwingen zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem Ansatz. Dass sie letzten Endes aber allesamt nicht durchdringen können, wurde in jüngerer Vergangenheit von Merkel111 und Neumann112 überzeugend dargetan: Der Vorwurf, die Einbeziehung des Rechtsguts „Leben“ als „verfassungsrechtlichem Höchstwert“ in die Notstandsabwägung bedeute eine Relativierung des strafrechtlichen Lebensschutzes, zeugt von einem fehlerhaften Verständnis der Struktur und Funktion subjektiver Rechte. Wenn überhaupt, dann kann abwägungsfest, d. h. andere absolut verpflichtend und jeder Verrechnung mit den Belangen anderer entzogen, nur das Recht auf Leben sein.113 Diese Verpflichtung muss dann aber schon aus normlogischen Erwägungen ausschließlich Dritte, nicht aber den Rechtsgutsträger treffen, andernfalls das Recht auf Leben in eine Pflicht zu leben umgedeutet würde. Eine konsentierte indirekte Sterbehilfe berührt das Leben des Patienten, lässt sein Recht auf Leben aber unangetastet.114 Kann das Leben als solches – d. h. abgesehen von dem Taburespektierungsinteresse der Allgemeinheit115 – bei der Notstandsabwägung aber nicht zulasten der Entscheidung des Rechtsgutsinhabers in die Waagschale geworfen werden,116 so bedarf es auch nicht des Rückgriffs auf den verfassungsrechtlichen Höchstwert der Menschenwürde. Diese wird von einigen Autoren und im „Dolantin-Fall“ auch vom BGH in die Waagschale des Erhaltungsguts „körperliches Wohlbefinden“ gelegt, offenkundig in der Annahme, nur so könne dessen Überwiegen strafrechtsdogmatisch einigermaßen plausibel begründet werden.117 Im Übrigen mag § 34 StGB nur bei Einwilligungsunfähigkeit des Rechtsgutsträgers und/oder Nichtdisponibilität des Rechtsguts; Wessels/Beulke, AT, 39. Aufl., Rn. 322: keine Einschränkungen (wie Roxin aber Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 322). 111 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (308 ff.). 112 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (581 ff.). 113 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (310). Nach Merkel soll auch die allgemein anerkannte Zulässigkeit tödlicher Notwehr kein Einwand gegen die Unabwägbarkeit des Rechts auf Leben sein, weil die zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs erforderlichen Handlungen nach Rechtsprinzipien grds. dem Angreifer selbst zugerechnet würden (a. a. O., 310 mit Fn. 48); vgl. zu diesem Gedanken auch Kühl, Jura 2009, 881 (882), der ihn gar auf § 34 StGB überträgt und insoweit in Anlehnung an § 228 BGB („Sachwehr“) von „Menschenwehr“ spricht. 114 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (310 f.); zu diesen normtheoretischen Zusammenhängen siehe ausführlich ders., JZ 1996, 1145 (1150 f.); ders., Früheuthanasie (2001), 393 ff.; zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 110. 115 Gemeint ist damit das mit der Ratio des § 216 StGB korrelierende gesamtgesellschaftliche Anliegen, Fremdtötungen nicht durch Zulassung der Tötung auf Verlangen als sozial akzeptiert oder gar billigenswert erscheinen zu lassen. 116 Vgl. auch Neumann, in: NK, § 34 Rn. 17. 117 BGHSt 42, 301 (305); ferner Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und recht-

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die überragende Stellung des Art. 1 Abs. 1 GG die Entscheidung zugunsten der lebensverkürzenden Schmerzmittelgabe einfacher machen,118 doch darf dabei nicht übersehen werden, dass dieser Vorteil dann mit dem Nachteil der Unbestimmtheit des Menschenwürdebegriffs teuer erkauft wird.119 Das „Argument des fehlenden Eingriffsinteresses“ verfängt deshalb nicht, weil die darin liegende Gleichsetzung des nach § 34 StGB relevanten Interesses mit den subjektiven Präferenzen des Betroffenen der Systematik der Notstandsregelung widerspricht, die als Abwägungskriterien explizit objektive Faktoren (betroffene Rechtsgüter, Grad der diesen drohenden Gefahren) benennt. Beeinträchtigt die entsprechende Handlung ein Rechtsgut – und daran ist nach dem oben Gesagten bei einer konsentierten indirekten Sterbehilfe nicht zu zweifeln –, dann kann es also auch verletztes Interesse i. S. v. § 34 StGB sein.120 Das gilt a fortiori im Fall des Rechtsguts „Leben“, das in § 216 StGB ausdrücklich auch gegen Dispositionen des Rechtsgutsinhabers geschützt ist; hier ließe sich bei Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit allenfalls argumentieren, das geschützte Rechtsgut sei licher Sicht (1995), 35 (117); Eisele, BT 1, Rn. 158; Hufen, NJW 2001, 849 (851). Prägnant Otto, NJW 2006, 2217 (2221), dem zufolge die indirekte Sterbehilfe dem Betroffenen ermögliche, „als Person zu sterben, nicht aber als ein nur noch vom Schmerz beherrschtes Wesen, das sich seiner selbst nicht mehr bewusst werden kann“. Manche Autoren halten es bei solchen Formulierungen allerdings für nicht ganz eindeutig, ob damit auch die Menschenwürdegarantie im verfassungsrechtlichen Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG gemeint ist; siehe dazu Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 78 mit Fn. 434 u. weiteren Nachweisen. 118 A. A. aber Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 112, für den der Rückgriff auf den verfassungsrechtlichen Höchstwert der Menschenwürde „bestenfalls ein Patt“ begründen kann. 119 Insoweit zutreffend Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 267. Zur Ungenauigkeit der Kriterien in Zusammenhang mit der indirekten Sterbehilfe siehe ausführlich Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 78 ff.; allgemein zur schwierigen Bestimmung des Menschenwürdesatzes Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 82 ff. Angesichts dieser Schwierigkeiten plädiert Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 112 gar dafür, dieses Kriterium aus einer „rationalen Sterbehilfediskussion“ ganz zu streichen. 120 Siehe Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (587), der diesen Gedankengang anhand folgenden Beispiels veranschaulicht: Suche ein verirrter Wanderer für die Nacht in einer Bärenhöhle Unterschlupf, so könne argumentiert werden, § 34 StGB komme mangels „Eingriffsinteresse“ nicht in Betracht (jedoch stelle sich die Frage der Anwendung dieser Vorschrift a priori nicht, weil die Handlung kein Rechtsgut verletze und damit tatbestandslos sei). Breche der Wanderer aber aus dem gleichen Grund in eine unbewohnte Berghütte ein, so könne die in Frage kommende Sachbeschädigung – scheide eine mutmaßliche Einwilligung nach den konkreten Umständen aus – allenfalls nach § 34 StGB gerechtfertigt sein, wobei niemand bestreiten würde, die Vorschrift sei auch dann anwendbar, wenn der Eigentümer infolge Demenz und eingeschränkter Mobilität kein Interesse an seiner Immobilie mehr gehabt hätte. Allenfalls würde man – mit umgekehrter Tendenz – argumentieren, das fehlende Interesse des Eigentümers sei innerhalb der Abwägung Gesichtspunkt für eine Notstandsrechtfertigung. Ausführlich zu den Präferenzen der Beteiligten als Abwägungskriterium bei § 34 StGB Neumann, in: NK, § 34 Rn. 82 ff.

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nach Lage der Dinge nur formell betroffen und reduziere sich auf null, doch ist auch ein Abwägungsfaktor mit diesem Wert immer noch ein Abwägungsfaktor.121 Das spiegelbildliche „Argument des fehlenden Erhaltungsinteresses“ ist dagegen bereits im Ansatz verfehlt, weil seine Verfechter von einem unzutreffenden Subjekt des Rettungsinteresses ausgehen: Selbstverständlich geht es nicht um das Interesse des toten Menschen an Schmerzfreiheit – das kann es auch gar nicht –, sondern um das des lebenden; und dass dieses Interesse in Fällen schwerer und unheilbarer Krankheit durchaus auch ein reales, will heißen: (objektiv) nachvollziehbares sein kann, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen.122 Wenig plausibel ist auch der Einwand, der Rekurs auf den Notstandsparagrafen missachte die Einwilligungssperre des § 216 StGB. Wie die Bezeichnung „Einwilligungssperre“ nahelegt, ist damit lediglich eine Rechtfertigung der Fremdtötung mithilfe der Rechtsinstitute der tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung untersagt. Wieso sie auch einer Rechtfertigung der Fremdtötung über § 34 StGB entgegenstehen soll, bleibt nicht zuletzt deshalb unklar, weil diese Norm auf anderen Wertungen beruht.123 Das die Tötung auf Verlangen tragende allgemeine Normstabilisierungsinteresse124 beansprucht keine ausnahmslose Geltung und kann daher, wie jedes andere strafrechtlich geschützte Interesse, nicht nur in die Notstandsabwägung eingestellt, sondern je nach Sachlage auch überwogen werden.125 Die Dinge anders zu sehen und zu behaupten, das Normstabilisierungsinteresse könne nicht hinter andere Interessen zurücktreten, hieße im Ergebnis genauso zu argumentieren, wie diejenigen, die den „Höchstwert Leben“ von vornherein für unabwägbar halten. Dass dies aber kein berechtiger Einwand gegen die Notstandslösung ist, weil man sich dann die Kritik der unzulässigen Umdeutung des Rechts auf Leben in eine Pflicht zu leben gefallen lassen muss, wurde bereits dargelegt. Entkräftet werden kann schließlich auch der Vorwurf, die Notstandslösung sei mit der Ratio des § 34 StGB nicht vereinbar und untergrabe tendenziell die Autonomie des Patienten, der unter Umständen befürchten müsse, auch gegen seinen (mutmaßlichen) Willen (zwangs-)therapiert zu werden. 121 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (588); ganz ähnlich Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (312 f.); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (88); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 110. 122 Siehe Neumann, ZStW 118 (2006), 743 (753 f.); ders., Herzberg-FS (2008), 575 (584 f.), jeweils im Anschluss an Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (311 f.), der zur Veranschaulichung das bekannte Urteil des LG Ravensburg im „Ravensburger Fall“ (JZ 1988, 207) anführt. 123 Neumann, ZStW 118 (2006), 743 (753); ders., Herzberg-FS (2008), 575 (584); ebenso Herzberg, NJW 1986, 1635 (1639); Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (309 f.); vgl. auch allgemein Schneider, in: MK, Vor § 216 Rn. 57 m.w. N. 124 Siehe dazu oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 125 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (584).

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Erblickt man den Normzweck der Tötung auf Verlangen mit der h. L. im Schutz des Tötungstabus,126 welches zunächst auch im Fall der indirekten Sterbehilfe tangiert ist, dann lässt sich die Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit dem Solidaritätsprinzip begründen.127 Mit Blick auf die allgemein anerkannte Einbeziehung auch von Universalrechtsgütern in den Kreis der Eingriffsinteressen nach § 34 StGB kann argumentiert werden, dass die Rechtsordnung ausnahmsweise von der Bekräftigung des Tötungstabus durch Bestrafung der Tötung absieht, wenn das Patienteninteresse an Schmerzfreiheit das gesellschaftliche Normstabilisierungsinteresse wesentlich überwiegt.128 Die Bedenken, wonach in der Notstandslösung eine Missachtung des Autonomieprinzips zu sehen sei, sind schon deshalb unbegründet, weil es allgemein anerkannt ist, dass die Not(stands)hilfe dem in Not Geratenen nicht aufgezwungen werden darf.129 Insofern kann es eine Notstandsrechtfertigung ohne seine (mutmaßliche) Einwilligung nicht geben.130 Der Rekurs auf § 34 StGB entspringt in diesen Fällen einem praktischen Bedürfnis, denn durch § 216 StGB bzw. das aus dieser Vorschrift abgeleitete Verbot der Rechtfertigung von Fremdtötungen mithilfe der Institute der tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung wird die Autonomie des Einzelnen gerade suspendiert. Da sich die Alternative einer Rechtfertigung durch (mutmaßliche) Einwilligung oder nach Notstandsprinzipien somit gar nicht stellt, kann die autonome Entscheidung des Patienten nur dadurch

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Für Nachweise siehe oben Fn. 90. Dies scheint Engländer, GA 2010, 15 (21 f.) zu verkennen, dem allerdings zuzustimmen ist, dass das „Normzweckargument“ nicht verfängt, wenn man § 216 StGB (auch) eine paternalistische Schutzfunktion i. S. eines Voreiligkeitsschutzes zuschreibt: Die Deutung von Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (583), wonach die Rücknahme dieses Schutzes in Fällen, in denen er dem Betroffenen mehr Schaden als Nutzen bringen würde, als Akt der Solidarität begriffen werden könne, überzeugt nicht, weil es schlicht der Anerkennung der Autonomie des Rechtsgutsträgers geschuldet ist, seine auf den Umgang mit den eigenen Gütern bezogenen Interessen zu respektieren. 128 So Neumann, in: NK, § 34 Rn. 37; ausführlicher ders., Herzberg-FS (2008), 575 (582 f.) m.w. N. und dem weiterführenden Hinweis, dass die Voraussetzung einer „interpersonalen Beziehung“ demnach nicht so zu verstehen ist, dass es sich um kollidierende Interessen zweier natürlicher Personen handeln muss (a. a. O., 583 mit Fn. 28). Ob vor diesem Hintergrund überhaupt eine analoge Anwendung der Notstandsvorschrift erforderlich ist – so Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (310) –, erscheint ebenso fraglich wie seine weitere Behauptung, das „Wesentlichkeits“-Erfordernis des § 34 StGB sei hier schon bei einem „einfachen“ Überwiegen des gewahrten Interesses erfüllt, weil es sich um eine personeninterne Interessenmaximierung handle (a. a. O., 310 mit Fn. 45). Dies ist inkonsequent, geht doch auch Merkel davon aus, dass das Normstabilisierungsinteresse der Allgemeinheit bei der indirekten Sterbehilfe tangiert und in die Notstandsabwägung einzustellen ist (a. a. O., 320 f.). 129 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (309); zust. Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (589); vgl. auch allgemein Otto, AT, § 8 Rn. 54 f. u. Rosenau, in: Satzger/Schmitt/ Widmaier, § 32 Rn. 10 m.w. N. 130 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (589). 127

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umgesetzt werden, dass sie durch eine nach den Regeln des § 34 StGB strukturierte Interessenabwägung validiert wird.131 c) Reichweite der Straflosigkeit Kann die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe demnach auf rechtfertigenden Notstand gestützt werden, gilt es abschließend noch die Frage nach ihrer Reichweite zu klären. Dabei geht es insbesondere um die Vorsatzform, ihre zeitliche Dimension sowie das Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen (vormals: vormundschaftsgerichtlichen) 132 Genehmigung in Fällen, in denen aktuell keine (wirksame) Erklärung mehr abgegeben werden kann, die indirekte Sterbehilfe aber dem in einer Patientenverfügung niedergelegten oder hilfsweise dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.133 aa) Betreuungsgerichtliche Genehmigung bei einwilligungsunfähigen Patienten In den bisherigen Ausführungen schon mehrfach angeklungen ist der Umstand, dass der BGH und die meisten Autoren für die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe ohne Weiteres auch die mutmaßliche Einwilligung des Patienten genügen lassen, sofern dieser aktuell äußerungsunfähig ist. Führt man sich die außerordentlich kontroverse Debatte um Stellenwert und Feststellung des mutmaßlichen Willens bei der passiven Sterbehilfe vor Augen,134 so ist die fehlende Problematisierung dieses Aspekts bei der indirekten Sterbehilfe erstaunlich, handelt es sich bei ihr nach dem oben Gesagten doch unzweifelhaft um die aktiv-vorsätzliche Tötung eines Menschen.135 Neben der Frage, ob eine lebensverkürzende Schmerzlinderung auch nach Maßgabe objektiver allgemeiner Vernunfterwägungen zulässig sein kann, wenn es an konkret nachweisbaren subjektiven Präferenzen des 131 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (583); vgl. auch ders., in: NK, Vor § 211 Rn. 103. 132 Zum 1.9.2009 wurde die Bezeichnung „Vormundschaftsgericht“ auf „Betreuungsgericht“ umgestellt; vgl. Art. 50 des „Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG)“ v. 17.12. 2008, BGBl. I, 2586. 133 Die in BGHSt 42, 301 fallbedingt offengelassene, im Schrifttum aber teilweise erörterte Frage, ob eine zulässige indirekte Sterbehilfe notwendig schwere Schmerzen beim Patienten voraussetzt oder auch bei sonstigen schweren Leidenszuständen (z. B. Erstickungsangst auslösender Atemnot) in Betracht kommen kann, bedarf hingegen keiner näheren Erörterung – sie wird einhellig bejaht; siehe beispielsweise Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 257; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 15; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (89 f.). 134 Näher dazu unten Erster Teil II. 3. b) aa) (2) sowie Erster Teil II. 3. b) cc). 135 So mit Recht Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 58; zust. Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 66.

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Betroffenen fehlt,136 könnte es auch hier rechtlich angezeigt sein, die Einwilligung eines – gegebenenfalls erst noch zu bestellenden – Betreuers mit dem Aufgabenkreis ärztlicher Behandlung einzuholen und durch das Betreuungsgericht genehmigen zu lassen.137 Gemäß § 1901a Abs. 2 Satz 1 BGB obliegt es dem Betreuer, die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Nach § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.138 Unabhängig davon, ob man schmerzlindernde Maßnahmen noch als Heilbehandlung ansieht139 oder aber dem subsidiären Begriff des ärztlichen Eingriffs zuschlägt,140 ist damit jedenfalls auch die indirekte Sterbehilfe von dieser Vorschrift umfasst. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass die Einschaltung des Gerichts (in analoger Anwendung von § 1904 BGB) hier – anders als bei der passiven Sterbehilfe – nicht geboten sei, da der Sterbeprozess bereits eingesetzt habe.141 Genauso wenig steht ihrer Genehmigungsbedürftigkeit entgegen, dass 136 Siehe dazu Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 58, dem zufolge der Umstand, dass dem Patienten in solchen „Zweifelsfällen“ – regelmäßig ohne nähere Begründung – unterstellt wird, er wolle eher die Lebensverkürzung als die Schmerzen in Kauf nehmen, wohl darin begründet ist, dass die Lebensverkürzung oft nur eine von wenigen Stunden im Terminalstadium sein wird. Generell krit. aber noch Duttge, GA 2005, 612 (613), der die mutmaßliche Einwilligung im Anschluss an Höfling, JuS 2000, 11 (116) als „zweifelhafte Rechtsfigur“ entlarvt wissen will; anders aber nunmehr ders., GA 2006, 573 (579 mit Fn. 50) für die Fälle nur möglicher Lebensverkürzung. 137 Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 66. Diese Frage stellt sich selbstverständlich auch, wenn die indirekte Sterbehilfe Gegenstand einer validen Patientenverfügung ist und insofern ein Abstellen auf den mutmaßlichen Willen gar nicht in Betracht kommt (vgl. § 1901a Abs. 1, 2 Satz 1 BGB). Solche „positiven“ Verfügungen, durch welche der Betroffene konkrete medizinische Maßnahmen einfordert und gleichzeitig in ihre Durchführung einwilligt, werden in der Praxis freilich seltener vorkommen; siehe Olzen, JR 2009, 354 (357). 138 Einer Genehmigung bedarf es hingegen nicht, wenn zwischen Arzt und Betreuer Einvernehmen besteht, dass die Maßnahme dem Willen des Patienten entspricht (vgl. § 1904 Abs. 4 BGB). 139 So Chong, Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 205 f. u. Saliger, KritV 1998, 118 (122 mit Fn. 21). 140 So Götz, in: Palandt, BGB, § 1904 Rn. 13; Müller, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1904 Rn. 21; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 37 f. 141 So aber Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 7. Wie noch darzulegen sein wird, ist indirekte Sterbehilfe richtigerweise auch schon vor Einsetzen des Sterbevorgangs zulässig. Zudem bleibt unklar, wieso § 1904 BGB nur analog anwendbar sein soll. Eingehend zur

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die indirekte Sterbehilfe nach der im Schrifttum überwiegenden und bis vor Kurzem auch vom BGH vertretenen Auffassung aufgrund Notstands (und nicht tatsächlicher bzw. mutmaßlicher Einwilligung) gerechtfertigt ist.142 Eine Genehmigung wird aber oftmals entbehrlich sein, weil ein Zuwarten unter unerträglichen, aber vermeidbaren Schmerzen als „Gefahr“ i. S. d. § 1904 Abs. 1 Satz 2 BGB aufgefasst werden kann.143 In den übrigen Fällen einer medizinisch indizierten präventiven Schmerzmittelgabe 144 ist ihre Einholung dagegen zwingend. Wie noch zu zeigen sein wird, ist damit allerdings nur die zivilrechtliche Ebene angesprochen, wohingegen ein Verstoß gegen betreuungsrechtliche Vorschriften für sich genommen noch keinen strafrechtlichen Vorwurf begründen kann.145 bb) Zeitlicher Anwendungsbereich Fraglich ist daneben, innerhalb welcher zeitlicher Grenzen indirekte Sterbehilfe zulässig ist. Während ein Teil des Schrifttums von Straflosigkeit lediglich in Zusammenhang mit sterbenden Patienten spricht,146 plädiert die Mehrzahl der Autoren ausdrücklich für die Einbeziehung auch Todkranker im Vorfeld der Sterbephase.147 Der BGH, der diese Frage im „Dolantin-Fall“ noch unbeantwortet direkten Anwendbarkeit von § 1904 BGB (a. F.) in solchen Fällen Heyers, Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht (2001), 252 ff. 142 Dieser Umstand kann aber, worauf Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 66 zutreffend hinweist, eventuell die fehlende Diskussion ihrer betreuungsrechtlichen Dimension plausibel machen. 143 Chong, Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 206; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 38. Fraglich ist allerdings, ob dann nur auf die richterliche Genehmigung oder auch auf die Bestellung und Zuziehung des Betreuers verzichtet werden kann. Stellt man auf den Wortlaut von § 1901a BGB ab, dann muss Letzteres verneint werden; denn danach ist die Ermittlung und Durchsetzung des in einer Patientenverfügung niedergelegten (vgl. § 1901a Abs. 1 BGB) bzw. subsidiär des mutmaßlichen Willens (vgl. § 1901a Abs. 2 BGB) beim Betreuer monopolisiert. Ist mit dem Aufschub der Maßnahme Gefahr verbunden, dann ist jedoch nicht zu sehen, wieso es einen Unterschied machen sollte, ob dieser Aufschub mit der Einholung der richterlichen Genehmigung oder mit der Bestellung bzw. Zuziehung des Betreuers zusammenhängt. Das in § 1904 Abs. 1 Satz 2 BGB niedergelegte Prinzip sollte daher sinngemäß für die Bestellung und Zuziehung des Betreuers gelten. 144 Diese kann erforderlich werden, um einer Chronifizierung des Schmerzes mit eigenem Krankheitswert vorzubeugen, wie sie regelmäßig bei Tumorschmerzen droht; vgl. dazu die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebene Broschüre „Chronischer Schmerz“. 145 Näher dazu bei der passiven Sterbehilfe unten Erster Teil II. 3. b) dd). 146 Dölling, JR 1998, 160 (162); Kaufmann, MedR 1983, 121 (122); Schreiber, NStZ 1986, 337 (341); ebenso die Bundesärztekammer in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346 (A-347). 147 Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (117); Ingelfinger, JZ 2006, 821 (824); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 99; Otto, NJW 2006, 2217 (2221); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (89); Sinn, in: SK, § 212 Rn. 58.

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gelassen hatte,148 ging im „Freitodhelfer-Fall“ verallgemeinernd vom „tödlich Kranken“ aus;149 ebenso wird im „Fuldaer Fall“ für den auch lebensverkürzende Schmerzlinderungen umfassenden Begriff der Sterbehilfe durch Behandlungsunterlassung, -begrenzung oder -abbruch in zeitlicher Hinsicht lediglich vorausgesetzt, „dass die betroffene Person lebensbedrohlich erkrankt ist“.150 Eine Beschränkung auf den Sterbevorgang ist richtigerweise abzulehnen. So können beispielsweise bei Tumorpatienten unerträgliche Schmerzzustände durchaus auch schon Wochen oder gar Monate vor dem Tode vorkommen.151 Nicht nur wäre es hier ethisch unvertretbar, Analgetika so lange vorzuenthalten, bis (endlich) der ein ärztliches Einschreiten gestattende Sterbevorgang einsetzt; auch aus rechtlicher Sicht bleibt unklar, weshalb die Gabe lebensverkürzender Schmerzmittel erst mit dem Eintritt in die Sterbephase statthaft werden sollte.152 Die in den Fällen der indirekten Sterbehilfe durchzuführende (Notstands-)Abwägung zwischen Lebensverlängerungs- und Schmerzlinderungsinteresse kommt vielmehr auch hier zum Tragen.153 cc) Erforderliche Vorsatzform Unklar ist schließlich die Frage nach der Vorsatzform bei der indirekten Sterbehilfe. Während sie teilweise auf Fälle möglicher Todesbeschleunigung, d. h. auf solche des dolus eventualis beschränkt wird,154 halten sie andere auch dann noch für zulässig, wenn eine Lebensverkürzung feststeht, der Arzt demnach mit dolus directus 2. Grades handelt.155 Der BGH lässt eine klare Aussage zu dieser Frage missen:156 Auf der einen Seite spricht er im „Dolantin-Fall“ von „unvermeid148 Zwar ist in BGHSt 42, 301 ebenfalls vom „sterbenden Patienten“ die Rede, doch wird dabei ersichtlich auf den konkreten Fall Bezug genommen; die Ausführungen können daher entgegen Dölling, JR 1998, 160 (162) nicht so verstanden werden, dass indirekte Sterbehilfe nur nach Einsetzen des Sterbevorgangs zulässig sein soll. 149 BGHSt 46. 279 (284 f.). 150 BGHSt 55, 191 (204). 151 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (89). 152 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 104. 153 Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 64. 154 So etwa Dölling, JR 1998, 160 (162); Duttge, GA 2006, 573 (578 f.); Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 26; Kutzer, NStZ 1994, 110 (115); Schöch, NStZ 1997, 409 (411). 155 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 265; Kühl, Jura 2009, 881 (885); Kutzer, MedR 2001, 77 (78); Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 7; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 99; Otto, NJW 2006, 2217 (2221); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (90 f.); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 104; Sinn, in: SK, § 212 Rn. 58. 156 Ambivalent auch die Bundesärztekammer, in deren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346 (A-347 unter I.) von einer „möglicherweise unvermeidbaren Lebensverkürzung“ die Rede ist.

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bare(r) Nebenfolge“, was auf die Einbeziehung direkten Vorsatzes hindeutet, auf der anderen Seite aber auch von einer Nebenfolge, die „den Todeseintritt beschleunigen kann“,157 was eher für eine Beschränkung auf Eventualvorsatz spricht.158 Im „Freitodhelfer-Fall“ scheint der BGH für die Begrenzung der Straflosigkeit auf die „bedingt vorsätzliche Verursachung eines früheren Todes“ 159 einzutreten,160 und auch im „Fuldaer Fall“ ist im Zusammenhang mit der Konstellation des Behandlungsabbruchs, in die der 2. Senat auch die indirekte Sterbehilfe einbezieht, nur von der „Inkaufnahme eines möglichen vorzeitigen Todeseintritts“ 161 die Rede. Sofern die geforderte Beschränkung auf Fälle des dolus eventualis überhaupt einmal begründet wird, wird in erster Linie das Argument ins Feld geführt, andernfalls würden Abgrenzungsschwierigkeiten zur direkten Sterbehilfe, verstanden als tätige und gezielte Lebensverkürzung,162 drohen, die nach ganz h. M. selbst im Fall eines ausdrücklichen und ernsthaften Verlangens gem. § 216 StGB strafbar ist163 und neben der Bundesärztekammer164 auch von den beiden großen

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BGHSt 42, 301 (305), Hervorhebungen nur hier. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 259, dort in Fn. 88 auch mit dem Hinweis, dass der BGH im Schrifttum deshalb teils mit der weiten Sicht in Verbindung gebracht wird, so etwa Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 99 mit Fn. 313 („wohl auch“) u. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (90), für den dies auch nach dem Sachverhalt des Falls näher liegt, teils mit der engen, so z. B. Dölling, JR 1998, 160 (162); Kindhäuser, Vor §§ 211– 222 Rn. 16 („wohl auch“); Schöch, NStZ 1997, 410 (411): „wenn auch nicht mit letzter Klarheit“. 159 BGHSt 46, 279 (285), Hervorhebungen nur hier. 160 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 259; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 16; vgl. aber auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 99 mit Fn. 313, der diese Entscheidung unerklärlicherweise als Beleg für die Gegenauffassung anführt. 161 BGHSt 55, 191 (204), Hervorhebungen nur hier. 162 Um sie als (Unter-)Fall der aktiven Sterbehilfe zu kennzeichnen, wird mitunter von „aktiver direkter Sterbehilfe“ gesprochen; siehe etwa Kühl, Jura 2009, 881 (884); häufig wird diese Fallgruppe aber auch nur als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet; siehe statt vieler Momsen, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 211 ff. Rn. 16. 163 BGHSt 37, 376; 55, 191; Eisele, BT 1, Rn. 159; Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 39; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 14; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 15; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 191 ff.; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 1. 164 Vgl. die Präambel der neuesten Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346, wonach die „Tötung des Patienten“ selbst bei einem entsprechenden Verlangen nach wie vor unzulässig ist, wenngleich die in der vorherigen Fassung enthaltenen Formulierungen, „aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht“ und „eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist als aktive Sterbehilfe unzulässig und mit Strafe bedroht“ im Zuge einer terminologischen Neuausrichtung gestrichen wurden. 158

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christlichen Konfessionen165 und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland für ausnahmslos unzulässig erachtet wird.166 Diese Auffassung zugrunde legend, führt etwa Schöch in einer Anmerkung zur BGH-Entscheidung im „Dolantin-Fall“ aus, dass zwar die gängigen Definitionen indirekter Sterbehilfe auch eine dolus directus 2. Grades einbeziehende Auslegung erlaubten, was sogar konsequent sei, da es bei keiner der Rechtfertigungslösungen auf die Vorsatzform des Handelnden ankomme. Für diese Auslegung habe bisher auch das Bedürfnis nach effektiver Schmerztherapie gesprochen, da bei höheren Morphindosen eine sicher vorausgesehene Lebensverkürzung nahegelegen habe. Doch gelte dieser Grund nach Erkenntnissen der neueren Schmerzforschung nicht mehr, da es so gut wie keine Grenze für die sichere Feststellung der Todesursächlichkeit des Opiats gebe. Folglich könne jede therapeutisch noch vertretbare Schmerzmitteldosierung gewählt werden, ohne den Bereich des dolus eventualis zu überschreiten. Die seltenen Fälle, in denen noch sicheres Wissen um die tödliche Nebenwirkung in Betracht komme, ließen sich aber forensisch nicht mehr von der verbotenen beabsichtigten Tötung unterscheiden, weshalb beide Formen des direkten Vorsatzes gleich behandelt werden müssten.167 Die von Schöch besorgten Abgrenzungsschwierigkeiten kann es freilich von vornherein nur dann geben, wenn auch seine Prämisse, dass nämlich der Arzt den Tod unter keinen Umständen „beabsichtigen“ dürfe, weil dieser sonst zu (Haupt-)Folge seiner Tat werde, welche in der Folge zumindest rechtswidrig und als Tötungsdelikts zu bestrafen sei, richtig bzw. strafrechtsdogmatisch begründbar ist. Sollte dies aber nicht der Fall sein, dann ist seinem Missbrauchsargument ebenfalls der Boden entzogen. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Sie ist es nicht. Tatsächlich entpuppt sich das „Absichtsverbot“ 168 bereits auf den ersten Blick als „dogmatischer Fremd-

165 Vgl. die gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz „Gott ist ein Freund des Lebens“ (2000), 108 f. 166 Vgl. dessen Handreichung „Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung und Palliative Care aus islamischer Sicht“, 10. 167 Schöch, NStZ 1997, 409 (410 f.); zust. Dölling, JR 1998, 160 (162); vgl. dagegen noch Schneider, in: MK, 1. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 95 mit Fn. 309, wonach der Dosierung im Einzelfall gleichwohl eine „wichtige Indizwirkung“ zukomme. Für die Einbeziehung sicheren Wissens nunmehr auch der AE-StB, GA 2005, 553 (575 f.), bei dem Schöch einer der Hauptverfasser ist. 168 So die treffende Bezeichnung von Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (315). Die komplizierte Frage der Differenzierung von „Absicht“ und „Motiv“ wird im Folgenden im Anschluss an Merkel ebenfalls außer Betracht gelassen, dem darin zuzustimmen ist, dass mit Blick auf Haupt- und Nebenfolge einer Schmerzmedikation Absichten und Motive nicht plausibel unterscheidbar sind (a. a. O., 315 mit Fn. 64); eingehend dazu ders., Früheuthanasie (2001), 176 ff., 186 f.

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körper“,169 weil die Tötungstatbestände ausweislich ihres Wortlauts einerseits keine besonderen Anforderungen an die subjektive Tatseite stellen, mithin schon dolus eventualis für ihre Verwirklichung genügt, sie andererseits aber auch keinen Anknüpfungspunkt enthalten, dass bei absichtlichem Handeln ein Ausschluss der objektiven Zurechnung resp. eine Rechtfertigung der Tat nicht in Betracht käme.170 Dementsprechend lässt auch die hier als vorzugswürdig erkannte Notstandslösung keine Unterscheidung nach dem Vorsatzgrad zu:171 Rekurrieren ließe sich allenfalls auf das nach h. M. zu jedem Rechtfertigungsgrund gehörende subjektive Rechtfertigungselement,172 das bei § 34 StGB mitunter als Rettungswille aufgefasst wird.173 Doch selbst damit könnte die Differenzierung zwischen strafloser Schmerzlinderung und strafbarer Tötung auf subjektiver Basis nicht plausibel gemacht werden, da der Rettungszweck auch danach nicht ausschließliches Handlungsziel sein muss,174 mithin unklar bleibt, warum der Arzt bei einer intendierten Schmerzlinderung nur mit dolus directus 2. Grades, nicht aber dolus directus 1. Grades handeln darf.175 Den grundsätzlichen Fehler der h. M. hat unlängst Merkel klar benannt: Er ist in der Annahme zu sehen, der Charakter einer Handlung könne sich allein nach der inneren Einstellung des Handelnden richten, während in Wirklichkeit die (Nicht-)Zuordnung zu einem bestimmten Handlungstypus entscheidend ist. Mag es auch unzählige ambivalente und deshalb in dieser Hinsicht zweifelhafte Handlungen geben, ist Letzteres speziell bei der indirekten Sterbehilfe nicht der Fall; ihr zweifacher Sinn – Schmerzlinderung auf der einen, Lebensverkürzung auf der 169

Prägnant Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004),

258. 170 So Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (314), dort auch mit dem weiterführenden Hinweis, dass die Tatbestandslösungen außerdem den sonderbaren Weg über eine vorherige Feststellung der subjektiven Tatseite gehen müssen, um zu diesem Ergebnis zu gelangen; vgl. zur Nichtintegrierbarkeit der subjektiven Grenzlinie in die verschiedenen Tatbestandsmodelle auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 269. 171 Siehe zum Folgenden samt Nachweisen Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 269; vgl. auch Bosch, JA 2010, 908 (909). 172 Der von Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 161 f. vorgeschlagene Weg der Berücksichtigung der Vorsatzform bereits bei der Interessenabwägung – direkter Vorsatz soll das Tötungsverbot eher tangieren als Eventualvorsatz – ist dagegen von vornherein versperrt, weil er zu einer problematischen Vermengung der Deliktsebenen „(subjektiver) Tatbestand“ u. „Rechtswidrigkeit“ führt und gleichzeitig die Bedeutung des subjektiven Rechtfertigungselements relativiert. 173 Z. B. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 84; Jescheck/Weigend, AT, 365; Otto, AT, § 8 Rn. 180; a. A. Erb, in: MK, § 34 Rn. 201; Gropp, AT, § 6 Rn. 147; Lenckner/ Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 48; Roxin, AT 1, § 16 Rn. 105 f. 174 Siehe dazu z. B. Kühl, AT, § 8 Rn. 184; Otto, AT, § 8 Rn. 180; Zieschang, in: LK, § 34 Rn. 47. 175 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 269 im Anschluss an Merkel, Früheuthanasie (2001), 170; vgl. aber auch Scheffler, in: Joerden (Hrsg.), Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin (1999), 249 (264).

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anderen Seite – ist nach außen genauso vollständig objektiviert wie die normativ maßgebliche Relation von Vor- und Nachrang zwischen beiden Sinnbezügen.176 In diesem objektiven Sinnzusammenhang liegt nach Merkel auch der Grund, warum der Arzt den Patienten selbst bei feststehender Lebensverkürzung nicht erschießen oder ihm eine Überdosis Morphin verabreichen dürfte: Solche Verhaltensweisen wären allein als „Tötung“ aufzufassen, aber nicht i. S. d. § 34 StGB erforderlich und damit rechtswidrig, wenn der gebotene positive Zweck durch eine objektiv eindeutige Leidminderungshandlung erreichbar ist.177 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Motiv des Arztes die maßgebliche Grenze zwischen straflosen schmerzbekämpfenden Maßnahmen und strafbarer Tötung nicht markieren kann, andernfalls einem Gesinnungsstrafrecht das Wort geredet würde.178 Mit dieser Feststellung sollten zugleich auch die von Schöch besorgten Abgrenzungsschwierigkeiten desavouiert sein und ist die Verabreichung hocheffektiver Analgetika selbst dann zulässig, wenn dies mit Sicherheit zu einer Verkürzung des Lebens des Patienten führt. d) Die indirekte Sterbehilfe de lege ferenda Im Gegensatz zu den anderen Fallgruppen der Sterbehilfe spielen rechtspolitische Überlegungen bei der indirekten Sterbehilfe eine nur untergeordnete Rolle. Mit Blick auf den Umstand, dass über ihre Straflosigkeit zumindest im Ergebnis Einigkeit besteht, sind die Gesetzgebungsvorschläge in diesem Bereich denn auch nur klarstellender Natur. So sieht etwa der die Diskussion seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2005 dominierende AE-StB179 die Schaffung eines neuen § 214a StGB („Leidensmindernde Maßnahmen“) mit folgendem Wortlaut vor: „Wer als Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung bei einem tödlich Kranken mit dessen ausdrücklicher Einwilligung oder aufgrund des in einer wirksamen Patientenverfügung geäußerten Willens oder gemäß mutmaßlicher Einwilligung nach den Regeln 176 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (315), dort auch zur historischen Wurzel der h. M., die in der gemeinhin Thomas von Aquin zugeschriebenen „Doktrin der Doppelwirkung“ zu sehen ist; vgl. dazu auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 79 ff. 177 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (316 f.). 178 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 269; ausführlich und mit instruktiven Beispielen Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (317 ff.) in Auseinandersetzung mit dem AE-StB, GA 2005, 553, auf den im nächsten Abschnitt eingegangen wird. 179 GA 2005, 553; siehe dazu ausführlich Duttge, GA 2006, 573; Merkel, SchroederFS (2006), 297; Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280; Schroth, GA 2006, 549; an den AE-StB anknüpfend auch Verrel, Gutachten 66. DJT (2006). Der AE-StB ist mittlerweile im „Alternativ-Entwurf Leben“ (GA 2008, 193) aufgegangen, der über die Sterbehilfeproblematik hinausgehende Vorschläge für eine grundlegende Reform der Straftaten gegen das Leben enthält. Im Folgenden wird gleichwohl nur auf den AE-StB Bezug genommen.

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der medizinischen Wissenschaft Maßnahmen zur Linderung schwerer, anders nicht zu behebender Leidenszustände trifft, handelt nicht rechtswidrig, wenn dadurch als nicht vermeidbare und nicht beabsichtigte Nebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird.“ 180

Ein restriktiverer Vorschlag kommt von dem Mediziner Oduncu, der § 216 StGB um folgenden Abs. 3 ergänzen will: „Nicht strafbar nach Absatz 1 sind: a) [. . .] b) eine in Kauf genommene Lebensverkürzung als Nebenwirkung einer medizinisch indizierten und seitens des Patienten gewünschten Medikation.“ 181

Zumindest dieser Vorschlag ist abzulehnen, weil er die Grenzen zulässiger indirekter Sterbehilfe zu eng zieht. Die Verortung als Gesetzesänderung unter § 216 StGB stößt auf Bedenken, weil sie tendenziell die Autonomie des Patienten untergräbt. Eine lebensverkürzende Schmerztherapie muss auch bei aktuell einwilligungsunfähigen Patienten jedenfalls dann zulässig sein, wenn sich ein entsprechender Wille aus einer wirksamen Patientenverfügung ergibt oder anhand subjektiver Präferenzen des Kranken gemutmaßt werden kann. Darüber besteht, wie gezeigt, bereits de lege lata Einigkeit. Aber auch die Formulierung von einer „in Kauf genommenen Lebensverkürzung“ ist, sofern sie eine Beschränkung auf dolus eventualis nahelegt, abzulehnen. Im Schrifttum wird mit Recht betont, dass sich Situationen einer feststehenden Lebensverkürzung v. a. bei schweren Schmerzzuständen und dem damit verbundenen Erfordernis nach besonders hohen Medikamentendosen ergeben dürften und gerade hier eine „drängender werdende ethische Verpflichtung“ zu ärztlichem Tätigwerden besteht.182 Der Vorschlag im AE-StB sieht sich derartigen Einwänden zwar nicht ausgesetzt; er ist im Ergebnis aber immer noch problematisch, weil er, wie der Entwurf von Oduncu, das Absichtsverbot im Gesetz verankern will. Dass eine rein innerliche Gesinnung aber nicht das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung zwischen erlaubter ärztlicher Hilfe und verbotener Tötung sein darf (und kann!), wurde im vorherigen Abschnitt dargelegt.183 180

AE-StB, GA 2005, 553 (585); ähnlich zuvor schon der AE-Sterbehilfe (1986), 11,

22. 181 Oduncu, MedR 2005, 437 (442) im Anschluss an den gleichlautenden Gesetzgebungsvorschlag von Geißendörfer/Tietze/Simon, BtPrax 2004, 43 ff. 182 Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (92); zust. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 265. 183 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (319 mit Fn. 81) weist zutreffend darauf hin, dass die vom AE-StB, GA 2005, 553 (586) im „Entwurf eines Sterbebegleitungsgesetzes“ geforderte Statuierung von besonderen Dokumentationspflichten bei der indirekten Sterbehilfe (vgl. § 1 Sterbebegleitungsgesetz) zwar grds. zu begrüßen ist, es aber dennoch dabei bleibt, dass der Täter (Arzt) durch Lüge bezüglich seiner Motive einer Tötungsstrafbarkeit entgehen kann. Aus anderen Gründen krit. Duttge, GA 2006, 573

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2. Die direkte Sterbehilfe Das oben zur Vorsatzform bei der indirekten Sterbehilfe Gesagte hat weitreichende Implikationen für die rechtliche Beurteilung der direkten Sterbehilfe, die – wie bereits erwähnt – nach h. M. ausnahmslos strafbar und insoweit auch einer Notstandsrechtfertigung nicht zugänglich ist.184 Aus § 216 StGB folge, so die gängige Begründung, dass auch die einverständliche Sterbehilfe durch gezieltes täterschaftliches Töten „selbst bei aussichtsloser Prognose und schweren Leiden“ strafrechtlich sanktioniert sei.185 a) Rechtfertigung gezielter Lebensverkürzungen gem. § 34 StGB Diese durchgängige Verneinung der Zulässigkeit gezielter Tötungen ist strafrechtsdogmatisch nicht begründbar. Entgegen der h. M. ist eine aktiv-gezielte Lebensverkürzung bei unheilbar Kranken jedenfalls dann immer gem. § 34 StGB gerechtfertigt, wenn sie sich phänotypisch als medizinisch indizierte Schmerzlinderung darstellt, d. h. insoweit keine Unterschiede zur indirekten Sterbehilfe bestehen, und der Patient in die Medikamentengabe (mutmaßlich) einwilligt.186 Die Richtigkeit dieser ambivalenten Tätigkeit unter Notstandsgesichtspunkten folgt allein aus ihrer äußeren Ausführung und dem klinischen Kontext, in den sie ein-

(578 f.), der am Absichtsverbot festhält und eine Kombination von Notstand u. Einwilligung, auf die die Entwurfsverfasser in der Begründung ihres Vorschlags Bezug nehmen (GA 2005, 553 [573 f.]) ebenso als strafrechtsdogmatisch verfehlt kritisiert wie die damit einhergehende Ausweitung der Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe auf die Fälle einer feststehenden Lebensverkürzung. Zustimmung signalisiert hingegen Schroth, GA 2006, 549 (565 f.); tendenziell auch Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (285), die allerdings die im Entwurf vorgesehene Sanktionierung der Nichtbeachtung prozeduraler Vorgaben als „zu scharf“ kritisieren und betonen, dass der Entwurf vor dem Hintergrund der Annahme einer gänzlichen Überflüssigkeit direkter Sterbehilfe und der Forderung nach ihrer ausnahmslosen Strafbarkeit gesehen werden müsse, er mit diesen Positionen stehe und falle und deshalb „entwurfsrelativ“ sei. Zur direkten Sterbehilfe de lege ferenda siehe unten Erster Teil B. I. 2. c). 184 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) cc). 185 Statt aller Rengier, BT 2, § 7 Rn. 1. 186 So Bosch, JA 2010, 908 (909); Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (320); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 140; a. A. Herzberg, NJW 1996, 3043 (3048 f.) u. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 271 ff., die in solchen Fällen für einen Tatbestandsausschluss plädieren. Ob man diese Sachverhalte mit den beiden erstgenannten Autoren der Fallgruppe „indirekte Sterbehilfe“ zuschlägt oder in diesem Zusammenhang nach wie vor von „direkter Sterbehilfe“ spricht, wie dies Neumann macht, ist demgegenüber unerheblich. Gleichwohl soll von einer entsprechenden Anpassung der Terminologie abgesehen werden, weil dadurch die ohnehin schon große begriffliche Verwirrung im Bereich der Sterbehilfe vermutlich noch vergrößert würde. Im Folgenden wird eine gezielte Lebensverkürzung auch dann unter den Begriff der direkten Sterbehilfe gefasst, wenn es sich dabei nach außen hin um eine medizinisch indizierte Schmerztherapie handelt.

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gebettet ist, wohingegen die subjektive Tatseite für die strafrechtliche Bewertung gänzlich irrelevant ist.187 Fraglich bleibt allerdings, ob eine Rechtfertigung auch jenseits dieser Fälle, d. h. bei Handlungen, die sich äußerlich nur noch als „Tötung“ und nicht mehr als „medizinisch indizierte Leidminderung“ begreifen lassen, in Betracht kommt. Diese müssten dazu zunächst einmal erforderlich i. S. d. § 34 StGB sein. Zwar wird im Schrifttum mit Blick auf dieses Merkmal bisweilen bestritten, dass es überhaupt Konstellationen gibt, in denen die Schmerzen des Patienten nur durch seine Tötung beseitigt werden können,188 doch gehen diese – zumeist nicht fundierten – Aussagen an der Lebenswirklichkeit vorbei. Tatsächlich gibt es Fälle, in denen die Schmerzen des Patienten trotz aufwendigster analgetischer Maßnahmen nicht auf ein für ihn erträgliches Niveau reduziert werden können.189 Neueren Schätzungen zufolge trifft dies auf immerhin rund 10% der Krebskranken in Deutschland zu, was rund 15.000 Fälle im Jahr ausmacht.190 Im Übrigen greift die apodiktische Verneinung der Erforderlichkeit gezielter Tötungshandlungen auch deshalb zu kurz, weil sie einseitig auf den klinischen Bereich fokussiert und Sachverhalte unberücksichtigt lässt, die außerhalb dieser Sphäre siedeln. Zu denken ist etwa an das in diesem Zusammenhang häufig angeführte Beispiel des in seinem verunfallten Fahrzeug eingeklemmten und bei lebendigem Leibe verbrennenden Autofahrers,191 für den die palliativen Möglichkeiten der Medizin offenkundig von vornherein keine Option darstellen.192

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Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (315 f.). Etwa Chong, Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 116; Eser, in: Eid (Hrsg.), Euthanasie oder soll man auf Verlangen töten? (1975), 45 (63); ders., in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 (91); Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 195; Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 40 f. 189 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 68; von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 295; Kusch, NJW 2006, 261 (262), jeweils m.w. N.; vgl. auch Kutzer, MedR 2001, 77 (78). 190 Kusch, NJW 2006, 261 (262) m.w. N. 191 Auf diesen Fall rekurrieren etwa Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 321; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 246; Kühl, Jura 2009, 881 (884) u. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (118), wobei ihn Letzterer als fiktiv bezeichnet. Auf einen tatsächlichen Fall, der sich 1991 in Südafrika ereignet haben soll, machen dagegen Otto, ZfL 2002, 42 (48) u. Merkel, JZ 1996, 1145 (1150) aufmerksam, wobei Ersterer bereits in seinem Gutachten zum 56. DJT (1986), D 60 von einem ähnlichen Unglück aus Skandinavien berichtete. Wenig überzeugend, weil zu spekulativ, Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 216 Rn. 17, dem zufolge die jederzeit mögliche Ankunft von Verkehrsteilnehmern mit Löschmitteln und per Mobiltelefon erreichbare Rettungskräfte den unwiderruflichen Akt als verfrüht erscheinen lassen könnten. 192 Vgl. Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (320 f.). 188

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

In Situationen wie diesen kann die Erforderlichkeit grundsätzlich nur unter dem Aspekt der (physischen) Fähigkeit zur Selbsttötung verneint werden; denn wenn der Patient seinem Leiden selbst ein Ende setzen kann, dann bedarf es dazu weder einer täterschaftlichen Intervention des Arztes noch Dritter. Daran vermag auch das standesrechtliche Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid nichts zu ändern, wenngleich vereinzelt ein Konnex mit der Erforderlichkeit der Notstandshandlung hergestellt wird.193 Dieses Verbot ist freilich insofern kritikwürdig, als es einerseits der Ärzteschaft mitmenschliche Kälte auferlegt und andererseits den unheilbar kranken Patienten, der sich verschreibungspflichtige Medikamente für die Zubereitung eines Giftcocktails nicht illegal beschaffen kann (oder will), entweder zu „unorthodoxen“, häufig unsicheren und damit letztlich auch menschenunwürdigen Selbsttötungsmethoden (etwa Erhängen, Erschießen, Sprung aus dem Fenster) zwingt194 oder aber den in der Diskussion viel gescholtenen „Sterbehilfe-Tourismus“ in Länder mit liberaleren Regelungen, allen voran die Schweiz,195 befördert. Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass sich die Bundesärztekammer Forderungen nach einer Liberalisierung des standesrechtlichen Verbots schon seit Jahren beharrlich widersetzt. Zwar wurde die in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung aus dem Jahr 2004 noch anzutreffende Formulierung, „die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos“,196 2011 dahingehend abgemildert, dass es sich dabei nunmehr um „keine ärztliche Aufgabe“ handelt.197 Doch wurde nur wenig 193 Vgl. insb. Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (320), dem zufolge sich die Zahl der Fälle, in denen direkte Sterbehilfe erforderlich werden könnte, „gewiss noch einmal“ verringern ließe, wenn sich die Bundesärztekammer zu einer „standesrechtlichen Tolerierung“ des ärztlich assistierten Suizids durchringen könnte. 194 Vgl. auch den AE-StB, GA 2005, 553 (581), der nicht zuletzt deshalb die „standesrechtliche Tolerierung“ des ärztlich assistierten Suizids in einem neuen „Sterbebegleitungsgesetz“ fordert. Näher dazu bei der Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung unten Erster Teil B. IV. 4. 195 Wobei anzumerken ist, dass die materielle (Straf-)Rechtslage in der Schweiz eigentlich strenger ist als in Deutschland. Zwar stellt Art. 115 des schweizerischen StGB die Verleitung oder Hilfeleistung zur Selbsttötung nur für den Fall unter Strafe, dass der Täter aus selbstsüchtigen Beweggründen handelt, womit (e contrario) klargestellt ist, dass die Verleitung oder Hilfeleistung nicht bestraft wird, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen erfolgt; siehe dazu Schwarzenegger, in: BSK, Art. 115 Rn. 14. Wie noch gezeigt wird, ist die Suizidteilnahme in Deutschland jedoch grds., also unabhängig von etwaigen überschießenden Innentendenzen des Dritten straflos (vgl. unten Erster Teil B. IV. 1. b]). Der Grund, weshalb die schweizerische Lösung gemeinhin für liberaler gehalten wird, liegt im ärztlichen Standesrecht: Anders als in Deutschland wird der ärztlich assistierte Suizid in der Schweiz vom dortigen Ärzteverband, der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), standesrechtlich toleriert; vgl. dazu deren Positionspapier „Suizidbeihilfe ist nicht gleich Sterbehilfe“. 196 DÄBl. 101 (2004), A-1298 (Präambel); ebenso die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung aus dem Jahr 1998, DÄBl. 95 (1998), A-2366 (Präambel). 197 DÄBl. 108 (2011), A-346 (Präambel); vgl. dazu auch das Vorwort des (ehemaligen) Bundesärztekammer-Präsidenten Hoppe: „Damit werden die verschiedenen und

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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später die MBO-Ä 1997 verschärft und § 16 („Beistand für Sterbende“) um einen Passus ergänzt, der es Ärzten verbietet, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten.198 Wenngleich der Musterberufsordnung – wie den Grundsätzen auch – für sich genommen keine Rechtsverbindlichkeit zukommt, so dient sie doch den Berufsordnungen der einzelnen Länder, welche von den jeweiligen Landesärztekammern199 aufgrund einer Ermächtigung in den entsprechenden Kammer- oder Heilberufsgesetzen in Form einer Satzung beschlossen werden, als Grundlage.200 Inzwischen haben zahlreiche Ärztekammern ihre Berufsordnungen geändert und an § 16 MBO-Ä angepasst.201 Anders hingegen die Ärztekammern von Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, die ihre Berufsordnungen zwar ebenfalls novelliert, darin aber kein explizites Verbot der Suizidbeihilfe aufgenommen haben. In diesen Bundesländern wird davon auszugehen sein, dass Ärzte in gewissen Fällen Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, ohne standesrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Gleiches gilt für Berlin, wo die Berufsordnung seit Inkrafttreten der revidierten MBO-Ä noch nicht überarbeitet wurde.202 Sind nach dem oben Gesagten Konstellationen denkbar, in denen die gezielte Tötung des Patienten in dem hier verstandenen Sinne erforderlich wird, stellt sich weitergehend die Frage, ob in einem solchen Fall auch die Notstandsabwägung zugunsten des handelnden Arztes oder gegebenenfalls des Dritten ausfallen kann. Dazu sind noch einmal die widerstreitenden Interessen genauer in Augenschein zu nehmen. Diese decken sich mit denjenigen bei der indirekten Sterbehilfe,

differenzierten individuellen Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft anerkannt, ohne die Grundausrichtung und die grundlegenden Aussagen zur ärztlichen Sterbebegleitung infrage zu stellen.“ 198 DÄBl. 108 (2011), A-1980 (A-1984). 199 Den mit der Wahrung der beruflichen Belange der Ärzteschaft betrauten Landesärztekammern kommt der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu. Anders dagegen die Bundesärztekammer, die als Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern in Form eines rechtsfähigen Vereins organisiert ist. Jeder Arzt ist Pflichtmitglied der jeweiligen Ärztekammer des Bundeslandes, in dem er seinen Beruf ausübt bzw. – falls er keiner ärztlichen Tätigkeit nachgeht – in dem er seinen Wohnsitz hat (Quelle: Homepage der Bundesärztekammer – http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.1 –, Stand 5.12.2013). 200 Vgl. dazu die Übersicht auf der Homepage der Ärztekammer Berlin – http:// www.aerztekammerberlin.de /10arzt/30_Berufsrecht/08_Berufsrechtliches/02_Berufs ordnung_und_Durchsetzung/05_BODurchs.html –, Stand 5.12.2013. 201 Es sind dies die Ärztekammern Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein, Saarland, Sachsen, Thüringen u. Westfalen-Lippe (letztere hat das Verbot allerdings nur als Soll-Vorschrift implementiert). Vgl. aus verfassungsrechtlicher Perspektive aber auch Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 385 ff., der solche Verbote für unzulässig hält, weil die Generalklauseln der Kammer- und Heilberufsgesetze keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage hierfür darstellten. 202 Vgl. dazu VG Berlin ZfL 2012, 80 mit kritischer Anm. Büchner, a. a. O., 90.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

d. h., dem Interesse des Patienten an Schmerzlinderung auf der Erhaltungsseite steht auf der Eingriffsseite neben seinem (Weiter-)Lebensinteresse das Taburespektierungsinteresse der Allgemeinheit gegenüber. Die soziale Geltung des Tötungsverbots wird durch Handlungen, die sich äußerlich nur noch als „Tötung“ begreifen lassen, zweifellos stärker tangiert als bei einem Vorgehen, das auch eine Interpretation als „medizinisch indizierte Leidminderung“ zulässt.203 So wird denn im Schrifttum auch überwiegend die Auffassung vertreten, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte in diesen Fällen nicht wesentlich überwiegt. Hinzuzufügen ist, dass diese Autoren ihre Wertung generalisierend auf jegliche Form aktiv-gezielter Lebensverkürzung (jenseits des Abschaltens lebenserhaltender Apparaturen) beziehen, demnach auch auf eine solche, die sich phänotypisch als Schmerztherapie darstellt.204 Neben Missbrauchsrisiken wird dabei v. a. die Gefahr eines „Dammbruchs“ (auch als „Rutschbahn“, „schiefe Ebene“ oder „slippery slope“ bezeichnet) beschworen, der in den Niederlanden angeblich schon stattgefunden und zu einer schleichenden Relativierung des strafrechtlichen Lebensschutzes geführt habe.205 Überzeugend ist das alles nicht. Dass Akte medizinisch gebotener Schmerzlinderung mit beabsichtigter Todesfolge strafrechtlich nicht anders beurteilt werden können als solche mit unbeabsichtigter, wurde bereits dargelegt. Aber auch jenseits dieser Verhaltensweisen ist eine Rechtfertigung nach Notstandsregeln möglich.206 Neueste Untersuchungen aus den Niederlanden belegen, dass weniger als 203 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 140; zuvor schon ders., ARSP-Beiheft 44 (1991), 248 (250); zust. Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (320); vgl. auch Herzberg, NJW 1996, 3043 (3048), der allerdings bereits bestreitet, dass die soziale Geltung des Tötungsverbots bei medizinisch indizierten Schmerzlinderungsmaßnahmen überhaupt tangiert ist. 204 Vgl. etwa Eisele, BT 1, Rn. 159; Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 40; Lackner/ Kühl, Vor § 211 Rn. 7; ausführlich Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 193 ff., jeweils m.w. N.; vgl. auch Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (188 f.), der aber schon die Durchführbarkeit der Abwägung verneint, weil ansonsten die Strafbarkeitsgrenzen einer unerträglichen Rechtsunsicherheit ausgesetzt wären und der Lebensschutz ausgehöhlt würde. 205 So z. B. Duttge, ZfL 2004, 30 (35 f.); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 14, jeweils m.w. N.; ausführlich dazu Guckes, Das Argument der schiefen Ebene (1997), 4 ff.; generell gegen die Validität dieses Arguments Herzberg, NJW 1996, 3043 (3044 f.), der es im Anschluss an Hegselmann, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1991), 197 (208) als „rein spekulativ und hochgradig unplausibel“ verwirft. 206 So auch – wenngleich zum Teil mit erheblichen Unterschieden – Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 320 ff.; Dreier, JZ 2007, 317 (321); Herzberg, NJW 1996, 3043 (3047 f.); Neumann, in: NK, § 34 Rn. 85, Vor § 211 Rn. 139 ff.; Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 59 f.; ders., Jura 1999, 434 (441); ders., NJW 2006, 2217 (2222); Sinn, in: SK, § 212 Rn. 56; siehe auch Hirsch, Welzel-FS (1974), 775 (795 f.) u. Simson, Schwinge-FS (1973), 89 (109 f.), bei denen allerdings noch von „übergesetzlichem Notstand“ die Rede ist.

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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3% aller dort im Jahr 2010 verstorbenen Personen durch direkte Sterbehilfe oder unter Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bei der Selbsttötung ums Leben kamen, was dem Verhältnis vor der Legalisierung derartiger Handlungen im Jahr 2002 entspricht.207 Sind diese Zahlen – wie bei fast jeder empirischen Studie – tendenziell mit Vorsicht zu genießen, dürfen sie ohnehin nicht den Blick auf das normativ Wesentliche verstellen: dass nämlich dieser Argumentationsgang auf utilitaristischen Grundsätzen fußt, wonach die „Kosten“ des Gesellschaftsschutzes dem einzelnen Moribunden in Rechnung gestellt werden, der diese in Form unerträglicher Qualen begleichen muss, obwohl er vom Normschutz nicht mehr profitiert.208 Wird dabei die Schwelle zur Inhumanität überschritten – und daran kann bei den hier interessierenden Sachverhalten kaum ein Zweifel bestehen –, so verlieren freilich alle utilitaristischen Argumente ihre Berechtigung.209 So gesehen ist Neumann darin beizupflichten, dass hier das Normstabilisierungsinteresse der Allgemeinheit „nicht nur nicht abwägungsfest, sondern im Vergleich zu dem Interesse des Patienten an der Befreiung von qualvollen Schmerzen deutlich geringer zu veranschlagen“ ist.210 In extremen Ausnahmesituationen wie den oben geschilderten kommt damit jedenfalls bei einem ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen des Leidenden eine Rechtfertigung gezielter Tötungen gem. § 34 StGB in Betracht.211 207 Vgl. die Studie von Onwuteaka-Philipsen u. a., The Lancet Vol. 380, Issue 9845, 908. Für empirisch wenig überzeugend hält die Risiken eines Dammbruchs auch Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (321 mit Fn. 87) unter Hinweis auf verschiedene Beiträge in Thomasma u. a. (Hrsg.), Asking to Die (1998). Vgl. zum Ganzen auch Sowada, in: Kumbier u. a. (Hrsg.), Ethik und Erinnerung (2009), 129 (134 ff.). 208 Prägnant Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (321). Siehe zum Utilitarismus Benthams, der diese Lehre neben Mill maßgeblich geprägt hat, Schofield, in: Gähde/Schrader (Hrsg.), Der klassische Utilitarismus (1992), 34 (36 f.), wonach eine Handlung je nachdem als gut oder schlecht, richtig oder falsch einzustufen sei, ob sie das Glück der von ihr Betroffenen vermehre oder vermindere, wobei Glück in dem Überschuss an Lust ggü. Schmerz bestehe. Da jedes menschliche Handeln naturgemäß auf eine Steigerung des eigenen Glücks ziele, sei es Aufgabe des mit dem Wohlergehen der Gemeinschaft betrauten Gesetzgebers, für eine Harmonisierung der gegenläufigen Interessen zu sorgen, was sich durch Verkündung von Gesetzen erreichen lasse, die mittels Sanktionierung – in Form von Bestrafung oder Belohnung – die Ausführung bestimmter Handlungen entweder förderten oder verhinderten. Übertragen auf die Tötung auf Verlangen bedeutet dies, dass deren ausnahmsloses bzw. auch in den Fällen der direkten Sterbehilfe greifende Verbot die richtige Handlungsregel (Norm) ist, weil dadurch die Achtung vor dem Leben anderer im weitestmöglichen Umfang sichergestellt und so der Rechtsgemeinschaft als solcher gedient wird. Die unerträglichen Schmerzen des Moribunden sind hiernach lediglich „Kollateralschäden“, die es bei der Verfolgung dieses hehren Ziels hinzunehmen gilt. 209 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (321). 210 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 140; zust. Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (321). 211 Vgl. auch Dreier, JZ 2007, 317 (321 mit Fn. 160); Kühl, Jura 2009, 881 (884); Otto, Jura 1999, 343 (441) u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 100, denen zufolge es allerdings nur um Lebenssachverhalte außerhalb der Sphäre ärztlicher Heilbehand-

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

Ob eine Notstandsrechtfertigung auch bei aktueller Einwilligungsunfähigkeit des Leidenden möglich ist, wird indes nur von wenigen Autoren erörtert.212 Während allen voran Neumann direkte Sterbehilfe ohne Weiteres auch mit mutmaßlicher Einwilligung des Patienten für zulässig hält,213 sprechen sich andere Stimmen im Schrifttum für ihre Beschränkung auf diejenigen Fälle aus, in denen der Patient seinen Wunsch nach Lebensbeendigung zumindest in einer Patientenverfügung artikuliert hat.214 Gegen die Neumann’sche Auffassung spricht in erster Linie, dass sich in Ermangelung eines entsprechenden sozialen Konsenses jedenfalls die Annahme eines objektiv-mutmaßlichen Willens zur Lebensbeendigung verbieten dürfte.215 Etwas anderes gilt, wenn subjektive Präferenzen des Patienten ermittelbar sein sollten; hier ließe sich unter Umständen ein (individuell-)mutmaßlicher Wille annehmen, mit der Folge, dass eine Rechtfertigung nach § 34 StGB zumindest erwogen werden könnte. Ob diese im Ergebnis aber auch zu bejahen ist, hängt letzten Endes davon ab, welches Gewicht man dem Taburespektierungsinteresse der Allgemeinheit in diesen Fällen beimisst. Dass die soziale Geltung des Tötungsverbots durch die Tötung eines Einwilligungsunfähigen, der keine entsprechende Patientenverfügung verfasst hat, deutlich stärker tangiert wird als durch die Tötung eines Patienten, der ein solches Schriftstück aufgesetzt hat oder gar aktuell ein ausdrückliches und ernstliches (Tötungs-)Verlangen formuliert, ist unbestreitbar. Vor diesem Hintergrund könnte eine Notstandsrechtfertigung bei derartigen Sachverhalten verneint werden, doch ist eine abschließende Festlegung in dieser intrikaten Frage kaum möglich.

lung (wie etwa demjenigen des verbrennenden Autofahrers) gehen kann; dagegen Schroeder, ZStW 106 (1996), 565 (580). 212 Den Patienten auf die Möglichkeit eines Suizids zu verweisen, ist in diesen Fällen keine Option, sodass die Erforderlichkeit der Notstandshandlung unproblematisch sein dürfte. 213 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 141. 214 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 342 ff., 347, 365. Der in der Gesetzesbegründung zu § 1901a Abs. 1 BGB enthaltene Hinweis, direkte Sterbehilfe sei verboten (BT-Drs. 16/8442, 9), steht dem nicht entgegen, weil dieses Verbot – wie dargelegt – strafrechtsdogmatisch nicht durchgängig aufrechtzuerhalten ist u. die gesetzliche Neuregelung die Grenze zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und zulässiger Sterbehilfe gerade nicht verschieben will (vgl. BT-Drs. 16/8442, 9). Folglich beginge eine petitio principii, wer die Zulässigkeit direkter Sterbehilfe aufgrund einer Patientenverfügung mit der Begründung verneinte, diese könne nicht Gegenstand einer Patientenverfügung sein. Dezidiert gegen die Zulässigkeit direkter Sterbehilfe bei Fehlen eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens aber Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 83 f. 215 Zwar scheinen einige Umfragen der vergangenen Jahre prima vista eine abweichende gesellschaftliche Befindlichkeit nahezulegen. Indes sind diese Erhebungen häufig durch eine tendenziöse und suggestive Fragestellung gekennzeichnet, weshalb sie kein repräsentatives Stimmungsbild der Bevölkerung vermitteln; siehe dazu ausführlich Janes/Schick, NStZ 2006, 484 f.

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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b) Andere Wege zur Straflosigkeit Vereinzelt wird für die direkte Sterbehilfe bei einem Verlangen des Moribunden auch eine Entschuldigung des Sterbehelfers aufgrund übergesetzlichen Notstands analog § 35 StGB diskutiert.216 Diese zwar nicht von der Rechtsprechung, wohl aber der h. L. anerkannte Figur wurde für Situationen konzipiert, in denen der Täter die „Nachsicht des Rechts“ verdient, weil eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB aufgrund der qualitativen oder quantitativen Gleichwertigkeit der involvierten Rechtsgüter ausscheidet217 und auch das von § 35 StGB geforderte Näheverhältnis fehlt.218 Der Grund für die Straflosigkeit ist hier in der wesentlichen Reduktion des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat zu sehen.219 Im Fall der direkten Sterbehilfe sei das Tatunrecht durch den gleichzeitigen Schutz eines anderen rechtlichen Interesses des Patienten (an körperlichem Wohlbefinden) verringert. Auch werde nur ein bereits durch die Notstandslage unmittelbar betroffenes Rechtsgut geschädigt und letztlich der Wille des Betroffenen respektiert, selbst wenn dieser wegen § 216 StGB nicht rechtfertigend wirke. Angesichts der Korrelation von Schuldmaß und Unrecht, führe schon das zu einer erheblichen Schuldreduktion. Die Schuld werde aber auch durch die psychische Zwangslage des Arztes herabgesetzt: Dieser sehe sich bei einem Versagen herkömmlicher Therapiemethoden mit den beiden Alternativen konfrontiert, entweder die Qualen des Moribunden hinzunehmen – und damit Rechtskonformität zu wahren – oder dessen Todesverlangen nachzukommen – und damit in Widerspruch zur Rechtsordnung zu geraten. Entscheide er sich in einem solchen Gewissenskonflikt für die letztere, so dienten ihm Handlungsmaximen als Orien-

216 Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 276 ff.; von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 337 ff., 353; Hirsch, Lackner-FS (1987), 597 (610, 615); Langer, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität (1986), 101 (122 f.); für Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entsprechend § 35 StGB Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 46 ff. 217 Dies ist v. a. immer dann der Fall, wenn eine unterschiedliche Anzahl von Leben bedroht ist; siehe Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 115; ausführlich dazu auch Ladiges, JuS 2011, 879 (881 f.); Perron, in: Schönke/ Schröder, § 34 Rn. 23 f. 218 Fischer, Vor § 32 Rn. 15; Lackner/Kühl, Vor § 32 Rn. 31; Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 115; Rosenau, in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, Vor §§ 32 ff. Rn. 67; abl. Schlehofer, in: MK, Vor §§ 32 ff. Rn. 269 ff. Zu § 35 StGB und seiner Unanwendbarkeit auf die Fälle der direkten Sterbehilfe siehe ausführlich Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 270 ff., die zutreffend darauf aufmerksam macht, dass Arzt und Patient üblicherweise nicht einander nahestehende Personen i. S. d. Vorschrift sind. 219 Jescheck/Weigend, AT, 503; Kühl, AT, § 12 Rn. 98; Rönnau, in: LK, Vor § 32 Rn. 346.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

tierung, die vom Standpunkt der auch in der Rechtsordnung verkörperten ethischen Werte Achtung verdienten. In seinem Verhalten trete keine rechtsfeindliche oder rechtsgleichgültige Gesinnung zutage.220 Dieser Weg, mag er strafrechtsdogmatisch im Grundsatz auch gangbar sein, überzeugt letzten Endes nicht. In erster Linie muss sich die Lösung über den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand Inkonsequenz vorwerfen lassen; denn wenn die Handlungsmaximen, an denen sich der Arzt orientiert, vom Standpunkt der auch in der Rechtsordnung verkörperten ethischen Werte Achtung verdienen, dann ist unklar, warum das Verhalten des Arztes überhaupt rechtswidrig sein soll.221 Insofern erscheint die Notstandslösung konsequenter. Missbrauchsund Dammbruchgefahren sind bei ihr ebenso wenig zu besorgen wie bei einer auf Extremfälle beschränkten übergesetzlichen Entschuldigung.222 c) Die direkte Sterbehilfe de lege ferenda Im Gegensatz zur indirekten ist die direkte Sterbehilfe schon seit geraumer Zeit Gegenstand intensiver rechtspolitischer Diskussionen. Die Bandbreite der dargebotenen Vorschläge reicht dabei von einer – v. a. im älteren Schrifttum befürworteten – vollständigen Streichung des § 216 StGB223 über die Einfügung eines besonderen Rechtfertigungsgrundes224 bis hin zur Schaffung gesetzlicher Regelungen nach dem Vorbild der Niederlande und Belgiens,225 die allesamt bei § 216 StGB ansetzen und unter mehr oder minder starker Betonung prozeduraler

220 von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 342 ff. 221 So Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 76; ähnlich Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 100, der diese Lösung für unbefriedigend hält, weil sie dem Täter nur i. E. mit Nachsicht begegne und ihm bescheinige, rechtlich falsch gehandelt zu haben. 222 Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 76; vgl. aber auch Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 40, die eine Lösung über den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand umgekehrt mit dem Argument ablehnen, diese sei genauso missbrauchsanfällig wie der Weg über § 34 StGB; gänzlich abl. zudem Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 25; generell skeptisch auch Fischer, Vor-216 § 211 Rn. 71. 223 Kaufmann, zit. nach Meyer, ZStW 83 (1971), 243 (251 f.); Kaufmann, MedR 1983, 121 (124 f.); Schmitt, Maurach-FS (1972), 113 (117 f.). Dieser Vorschlag geht freilich über die Fälle der (direkten) Sterbehilfe hinaus. 224 Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat (1998), 169 f.; restriktiver aber noch ders., NJW 1986, 1786 (1792). 225 Siehe zur dortigen Rechtslage Schreiber, Rudolphi-FS (2004), 543 (546 ff.); speziell zur Übertragbarkeit des niederländischen Modells in das deutsche Recht E. Fischer, Recht auf Sterben?! (2004); Reuter, Die gesetzliche Regelung der aktiven ärztlichen Sterbehilfe des Königreichs der Niederlande – ein Modell für die Bundesrepublik Deutschland? (2002).

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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Elemente entweder als Tatbestands-,226 Rechtswidrigkeits-227 oder Strafausschließungsgrund228 konzipiert sind.229 Auch der AE-Sterbehilfe aus dem Jahr 1986 sah für Extremfälle immerhin noch die Möglichkeit eines Absehens von Strafe in einem neu zu fassenden § 216 Abs. 2 StGB vor: „Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von Strafe absehen, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten, vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann.“ 230

Der 2005 als Nachfolgeentwurf veröffentlichte AE-StB hat diesen Vorschlag bewusst nicht wieder aufgenommen.231 Neumann weist mit Recht darauf hin, dass dies rechtsethisch nur schwerlich legitimiert werden kann und v. a. deshalb zu „unerträglichen Bestrafungszwängen“ führt, weil nach h. M. eine Rechtfertigung direkter Sterbehilfe gem. § 34 StGB nicht einmal in extremen Ausnahmefällen möglich sein soll.232 Ohne hier die Frage nach der konkreten Ausgestaltung einer Ausnahmeregelung zu erörtern, ist eine begrenzte Straffreistellung der direkten Sterbehilfe de lege ferenda deshalb prinzipiell zu begrüßen, obgleich die Umsetzung derartiger Vorhaben durch den Gesetzgeber, führt man sich nicht zuletzt die gegenwärtige Debatte um die Kriminalisierung der Tätigkeit von sog. Sterbehilfeorganisationen vor Augen,233 in absehbarer Zukunft nahezu aussichtslos erscheint.234 So 226

Kusch, NJW 2006, 261 (262 f.). Obwohl er zu Beginn seines Beitrags darauf hinweist, dass dieser im Anschluss an den AE-Sterbehilfe (1986) ein „Absehen von Strafe“ empfehle, wird man so jedenfalls den Gesetzesvorschlag von Lüderssen, JZ 2006, 689 (695) interpretieren müssen, dem zufolge eine Tötung auf Verlangen in Gestalt der direkten Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen „kein Unrecht“ sein soll. 228 Czerner, Das Euthanasie-Tabu (2004), 11; Wolfslast, Schreiber-FS (2003), 913 (924 ff.). 229 Lediglich für eine Strafrahmenreduktion bei § 216 StGB (Ersetzung der Mindestfreiheitsstrafe durch Geldstrafe) Birkner, ZRP 2006, 52 (54). 230 AE-Sterbehilfe (1986), 12, 34. Dieser Vorschlag stieß zunächst durchaus auf positive Resonanz: So votierte auf dem 56. DJT im Jahr 1986 eine Mehrheit für eine entsprechende Regelung, vgl. NJW 1986, 3069 (3073 f.), und auch aus Teilen des Schrifttums wurde Zustimmung signalisiert, siehe z. B. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht (2001), 93 (117); anders aber mittlerweile ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (118). 231 Siehe für eine ausführliche Begründung GA 2005, 553 (582 ff.). 232 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 147; ausführlich ders./Saliger, HRRS 2006, 280 (285 f.). Dezidiert gegen eine Straffreistellung direkter Sterbehilfe (de lege ferenda) äußern sich Dölling, Laufs-FS (2006); 767 (772 ff.); Hirsch, Lackner-FS (1987), 597 (617 ff.); Kutzer, MedR 2001, 77 (79); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (116 ff.). 233 Näher dazu bei der Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung unten Erster Teil B. IV. 4. 227

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

sprach sich beispielsweise auf dem 66. DJT nicht nur eine deutliche Mehrheit der Mitglieder gegen eine gegebenenfalls nur partielle Legalisierung direkter Sterbehilfe (z. B. nach dem Vorbild der Niederlande) aus, sondern wurde auch der Vorschlag abgelehnt – allerdings nur mit knapper Mehrheit –, die Untergrenze des Strafrahmens von § 216 StGB (mindestens 6 Monate Freiheitsstrafe) abzusenken und die Möglichkeit einer Geldstrafe vorzusehen.235

II. Die passive Sterbehilfe 1. Grundsätzliches Wird die aktive Sterbehilfe mit ihren beiden Unterfällen „direkt“ und „indirekt“ von nicht wenigen Autoren als eher theoretisches Problem abgetan, kommt der vom BGH seit seiner Entscheidung im „Fuldaer Fall“ als „Behandlungsabbruch“ bezeichneten236 Kategorie der passiven Sterbehilfe unzweifelhaft herausragende Bedeutung zu. Sie umfasst die Todesherbeiführung bei einem sterbenden oder unheilbar kranken Patienten durch Verzicht auf eine lebensverlängernde oder -erhaltende (intensiv-)medizinische Behandlung, wobei das für diese Fallgruppe charakteristische Unterlassungselement häufig auch mit dem Begriff des Sterbenlassens akzentuiert wird.237 „Verzicht“ i. d. S. bedeutet sowohl das Absehen von der Aufnahme lebensrettender Eingriffe als auch die Nichtfortführung lebenserhaltender Aktivitäten.238

234 Ebenso Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 147, der diesen Zustand auch mit Blick auf Bevölkerungsumfragen für bedenklich hält, wonach sich regelmäßig „zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten“ für die Zulässigkeit direkter Sterbehilfe aussprächen; vgl. dazu aber Janes/Schick, NStZ 2006, 484 f., die darauf hinweisen, dass die meisten dieser empirischen Erhebungen aufgrund suggestiver Fragestellung die Stimmung in der Bevölkerung nicht repräsentativ abbilden. 235 Siehe den Tagungsbericht von Kaspar, JZ 2007, 235 (237). 236 Siehe dazu bereits bei der indirekten Sterbehilfe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). Kritisch zum Begriff „passive Sterbehilfe“ auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 104, 130, der ihn durch den des Verzichts auf lebensverlängernde Maßnahmen ersetzen möchte, weil es hier nicht um eine Hilfeleistung zum Sterben, sondern lediglich um den Verzicht auf eine künstliche, bei entgegenstehendem Willen des Patienten rechtswidrige und strafbare Lebensverlängerung durch invasive Maßnahmen gehe, sowie – mit etwas anderer Stoßrichtung – Schreiber, NStZ 2006, 473 (474 f.) u. Taupitz, Gutachten 63. DJT (2000), A 18, die beide den Gesichtspunkt der Behandlungsänderung (palliativmedizinische Versorgung statt Lebensverlängerung) in den Vordergrund rücken. 237 Detering, JuS 1983, 418; Engländer, JZ 2011, 513; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 17; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 5; Sinn, in: SK, § 212 Rn. 50. 238 Vgl. beispielsweise Otto, Jura 1999, 434 (437); ders., BT, § 6 Rn. 22; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 6; Sinn, in: SK, § 212 Rn. 50; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 34. Für eine Übersicht zu den möglichen lebensverlängernden/lebenserhaltenden Maßnahmen siehe Eser, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe (1977), 75 (95 f.).

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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Strafrechtliche Bedeutung unter dem Aspekt eines Tötungsdelikts erlangt ein solches Unterlassen von vornherein nur, wenn zum einen durch die Aufnahme der Behandlung bzw. ihre Fortführung der Eintritt des Todes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte hinausgeschoben werden können (Stichwort „Quasi-Kausalität“) und zum anderen der Unterlassende als Garant i. S. v. § 13 StGB erfolgsabwendungspflichtig war.239 Dies ist in erster Linie beim behandelnden Arzt der Fall, der kraft tatsächlicher Übernahme einer Schutzfunktion in eine Garantenstellung für das Leben des Patienten einrückt.240 Fehlt die Garantenstellung, so wird eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) zu prüfen sein.241 Die Straflosigkeit passiver Sterbehilfe wird von der Rechtsprechung im Grundsatz schon seit Langem anerkannt.242 So hat der BGH in seiner berühmten Entscheidung im „Fall Wittig“ 243 aus dem Jahr 1987 unmissverständlich klargestellt, „daß es keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis“ gebe und „Maßnahmen der Lebensverlängerung nicht schon deswegen unerläßlich“ seien, „weil sie technisch möglich sind“.244 Ebenso gehen auch das ganz überwiegende Schrifttum245 und die Bundesärztekammer246 in Überein239 Detering, JuS 1983, 418; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 27; Kühl, Jura 2009, 881 (885); Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 84; Schmaltz, Sterbehilfe, Rechtsvergleich Deutschland – USA (2001), 23. 240 Kühl, Jura 2009, 881 (885); Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 84 f. Eingehend zur Garantenstellung des Arztes und anderer beteiligter Personen sowie Kausalitäts- und Zurechnungsfragen im Fall unterlassener Behandlung Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 60 ff. 241 Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 85. 242 Vgl. etwa BGHSt 32, 367 (379 f.); 37, 376; 40, 257; 55, 191; BGH NStZ 2011, 274; aus der zivilrechtlichen Rspr. BGHZ 154, 205; 163, 195. 243 BGHSt 32, 367 mit Anm. Eser, MedR 1985, 6; Gropp, NStZ 1985, 97; Schmitt, JZ 1984, 866; Schultz, JuS 1985, 270; Sowada, Jura 1985, 75. 244 BGHSt 32, 367 (379 f.); vgl. auch BGHSt 37, 376 (378). In dieser Entscheidung ging es freilich nicht um einen „klassischen“ Fall passiver Sterbehilfe, weil das 76-jährige „Opfer“ an keiner unmittelbar lebensbedrohlichen Krankheit litt, vielmehr „nur“ mit typischen Altersbeschwerden (Verkalkung der Herzkranzgefäße, Arthrose in Knien und Hüfte) zu kämpfen hatte. Infolge dieser Beschwerden und nach dem Verlust ihres geliebten Ehemannes verlor sie zunehmend jeden Lebenswillen und beging Suizid. Angeklagt war der Hausarzt, der seine Patientin in bewusstlosem Zustand aufgefunden hatte und in Kenntnis ihres Todeswunsches und zweier am Tatort aufgefundener Abschiedsbriefe von Wiederbelebungsversuchen Abstand nahm. Das LG Krefeld sprach ihn vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen durch Nichtgewährung ärztlicher Hilfe frei; die Revision der StA blieb i. E. ohne Erfolg. 245 Siehe beispielsweise Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 27 ff.; Momsen, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 211 ff. Rn. 28 ff.; Otto, Jura 1999, 434 (437 ff.); ders., NJW 2006, 2217 (2218 ff.); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (92 ff.). Monografische Abhandlungen liefern Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

stimmung mit den beiden großen christlichen Konfessionen247 und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland248 davon aus, dass die Nichteinleitung oder Nichtfortführung lebenserhaltender Maßnahmen nach Einsetzen des Sterbevorgangs bzw. bei Patienten mit infauster Prognose rechtmäßig sein kann. Wenngleich der Gesetzgeber im Jahr 2009 mit der Verankerung der Rechtsinstitute „Patientenverfügung“ und „mutmaßlicher Wille“ im BGB durch das 3. BtÄndG in wichtigen Teilbereichen dieser Fallgruppe für (mehr) Rechtssicherheit gesorgt hat, sind die Grenzen wie auch die dogmatische Begründung passiver Sterbehilfe nach wie vor heftig umstritten. Hiervon zeugen nicht zuletzt auch die unterschiedlichen Einschätzungen der jüngsten Entscheidung des 2. Senats im „Fuldaer Fall“, dem manche eine „rechtssichere Neuvermessung der Grenzen strafloser Sterbehilfe“ attestieren,249 während ihm andere vorwerfen, „eine große Chance zur Klärung der Rechtslage und Befriedung der alltäglichen Konflikte in der medizinischen Praxis vertan“ zu haben.250 Im Folgenden soll der Blick zunächst auf das normative Fundament dieser Fallgruppe gerichtet werden, um sich anschließend ihren verschiedenen Teilaspekten und damit verbundenen Problemen zu widmen. 2. Die Patientenautonomie als materielle Richtschnur ärztlichen Verhaltens Mehr noch als bei den anderen Konstellationen dieses Problemfeldes stehen bei der Sterbehilfe in ihrer passiven Form grundrechtliche Wertungen im Vordergrund. Dass sie vom GG garantiert wird, steht dabei ungeachtet aller Unterschiede im Einzelnen grundsätzlich außer Streit.251 Begründet wird dies mit dem zentralen medizinethischen Prinzip der Patientenautonomie, bei dem freilich diskutiert wird, ob es als Ausprägung des allgemei(2009); Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998); Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004); Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000); Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004). 246 Vgl. deren Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A346 ff. 247 Vgl. die gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz „Gott ist ein Freund des Lebens“ (2000), 106. 248 Vgl. dessen Handreichung „Sterbehilfe bzw. Sterbebegleitung und Palliative Care aus islamischer Sicht“, 10. 249 Gaede, NJW 2010, 2925. 250 Duttge, MedR 2011, 36. 251 Vgl. beispielsweise Holzhauer, ZRP 2004, 41; Hufen, NJW 2001, 849 (854, 856); Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100; Lorenz, JZ 2009, 57 (61); Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 212a.

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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nen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, gegebenenfalls i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu begreifen ist252 oder sich aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) ableiten lässt.253 Unabhängig davon, welcher Sichtweise man hier folgt – die sog. Körperverletzungsdoktrin mag aus Spezialitätsgründen vorzugswürdig sein254 –, ist jedenfalls gemeinhin anerkannt, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten über seinen eigenen Körper verletzt, wer ihn gegen seinen Willen Maßnahmen zur künstlichen Lebensverlängerung unterwirft. Das Recht zur Selbstbestimmung, so heißt es, gehöre in den Kernbereich der durch Art. 1 und 2 GG geschützten menschlichen Würde und Freiheit. Es enthalte auch ein Recht auf Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit ein subjektives Recht auf Ablehnung lebensverlängernder und gesundheitserhaltender Maßnahmen, auch wenn diese aus der Sicht des behandelnden Arztes medizinisch indiziert sein mögen.255 Geschützt werde auch die Freiheit zur Selbstbestimmung durch „zukunftswirksame Festlegung(en)“ 256 bzw. sei bei aktueller Einwilligungsunfähigkeit des Patienten und dem Fehlen einer solchen Erklärung die Berücksichtigung seines mutmaßlichen Willens geboten.257 Dieser Grundrechtsschutz werde zusätzlich durch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstärkt. Art. 2 Abs. 2 GG schütze zwar unstreitig 252 So BVerfGE 52, 131 (168) – Mehrheitsvotum; Muschke, Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe? (Diss. 1988), 55 f.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 107; Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (144); Schroth, GA 2006, 549 (554); Stürmer, Sterbehilfe (1989), 36 ff.; Uhlenbruck, ZRP 1986, 209 (214). Für Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 28 mit Fn. 121 wird bei diesen Autoren nicht hinreichend deutlich, ob auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit Bezug genommen wird. 253 So BVerfGE 52, 131 (171, 173 ff.) – Minderheitsvotum; BVerfGE 89, 120 (130); BGHSt 11, 111 (113 f.); BGHZ 106, 391 (397); Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 148; Eser, in: Lawin (Hrsg.), Grenzen der ärztlichen Aufklärungs- und Behandlungspflicht (1982), 77 (80); Höfling, JuS 2000, 111 (114); Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 62, 72 (Stichwort „Selbstbestimmungsrecht des Patienten“); Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 35. Beide Rechte heranziehend Popp, ZStW 118 (2006), 639 (641); C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 228 ff.; Taupitz, Gutachten 63. DJT (2000), A 12. 254 Eingehend dazu Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 214 ff. 255 Prägnant Hufen, NJW 2001, 849 (851); ders., ZRP 2003, 248 (250), jeweils m.w. N. Von einem „Recht des Patienten auf seinen natürlichen Tod“ sprechen insoweit Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 35; zuvor auch schon Geilen, FamRZ 1968, 121 (126), der darin gar eines der „elementarsten Menschenrechte“ erblickt. 256 Bernsmann, ZRP 1996, 87 (92); Höfling, JuS 2000, 111 (115); ders., NJW 2009, 2849 (2852), jeweils im Anschluss an Sachs, in: Stern, StaatsR III/1, 642; ebenso Lorenz, JZ 2009, 57 (62); ausführlich dazu Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 316 ff. 257 Hufen, NJW 2001, 849 (852, 856); Landau, ZRP 2005, 50 (53); a. A. Höfling, JuS 2000, 111 (116 f.) u. Lorenz, JZ 2009, 57 (61 f.), die bei einem Rekurs auf die Rechtsfigur des mutmaßlichen Willens das Durchschlagen heteronomer Wertungen befürchten und vor der Gefahr fremdbestimmter Tötungen warnen.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

das Leben als solches, dürfe jedoch nicht auf einen rein biologischen Schutz reduziert werden. Vielmehr könne der Patient über Art und Schwerpunkte des Lebensschutzes selbst befinden und diesen zugunsten des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zurückstellen, wobei der sich hieraus ergebende Unterlassungsanspruch unabhängig von seiner „,Todesnähe‘“ gelte. Das Grundrecht auf Wahrung der körperlichen Unversehrtheit verdiene – wie das Selbstbestimmungsrecht auch – während der gesamten medizinischen und pflegerischen Behandlung und nicht etwa erst während des unmittelbaren Sterbevorgangs Beachtung.258 Die durch das 3. BtÄndG ins BGB eingefügten Vorschriften zur Patientenverfügung und dem mutmaßlichen Willen bzw. deren verfahrensmäßiger Umsetzung (§§ 1901a ff.) tragen diesen Vorgaben Rechnung.259 So ist in § 1901a Abs. 1, 2 BGB festgelegt, dass der Kranke in einer Patientenverfügung auf jegliche Form ärztlicher Behandlung („Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe“) verzichten kann resp. es subsidiär auf etwaige Behandlungswünsche seinerseits oder seinen mutmaßlichen Willen ankommt. § 1901a Abs. 3 BGB stellt zudem klar, dass Art und Stadium der Erkrankung für die Beachtung und Durchsetzung des Patientenwillens unerheblich sind. Diese Regelung betrifft v. a. Patienten im sog. apallischen Syndrom oder Wachkoma, die (noch) keine Sterbenden sind.260 Eine derartige Klarstellung mag prima vista überflüssig erscheinen; indes sah sich der Gesetzgeber zu ihr mit Blick auf die 2003 ergangene Entscheidung des BGH in Zivilsachen im „Lübecker Fall“ 261 gezwungen,262 in der die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe u. a. auch an die Voraussetzung eines irreversibel tödlichen Verlaufs des Grundleidens des Patienten gekoppelt wurde. Sie ist in der Lehre nicht zuletzt auch deshalb auf nahezu einhellige Kritik gestoßen, weil der XII. Senat vorgibt, auf den programmatischen Grundaussagen des 1. Senats im „Kemptener Fall“ 263 aufzubauen, dort eine derartige Einschränkung aber nicht gefordert wurde.264 Genauso wenig 258

Hufen, ZRP 2003, 248 (250); siehe auch ders., NJW 2001, 849 (852). Vgl. BT-Drs. 16/8442, 8 f. 260 Eine kurze, aber prägnante Beschreibung dieses Krankheitsbilds findet sich bei Höfling/Rixen, JZ 2003, 884 f.; für eine ausführliche Darstellung siehe Nacimiento, DÄBl. 94 (1997), A-661; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 14 ff.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 171 ff.; Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch bei Patienten im apallischen Syndrom (2002), 13 ff. 261 BGHZ 154, 205 mit Anm. Deutsch, NJW 2003, 1567; Spickhoff, JZ 2003, 739; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710; Verrel, NStZ 2003, 449; siehe dazu auch Hufen, ZRP 2003, 248; Kutzer im ZRP-Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 2003, 213; Saliger, MedR 2004, 237; Stackmann, NJW 2003, 1568. 262 Vgl. BT-Drs. 16/8442, 16. 263 BGHSt 40, 257. 264 Etwa Holzhauer, ZRP 2004, 41 (42 f.); Hufen, ZRP 2003, 248 (249, 252); Kutzer im ZRP-Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 2003, 213 f.; Lipp, FamRZ 2004, 317 (319); Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 43, 45 f.; ebenfalls krit. zu dieser Einschrän259

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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ist es mit der Patientenautonomie vereinbar, ein Recht auf Zwangsbehandlung aus einem Heimvertrag und der Gewissensfreiheit der Pflegekräfte abzuleiten, wie es das OLG München (Zivilsenat) in einem Urteil aus dem Jahr 2003 getan hat.265 Abzulehnen ist schließlich auch die im Schrifttum heftig kritisierte, zwischen „Normal-“ und (bewusstlosen) „Suizidpatienten“ differenzierende Rechtsprechung des BGH in Strafsachen, der zufolge ein Arzt ihm anvertraute Suizidenten grundsätzlich am Leben erhalten muss und nur aufgrund besonderer, d. h. nicht verallgemeinerungsfähiger Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise Straffreiheit erlangen kann.266 Rengier weist mit Recht darauf hin, dass § 1901a BGB keinen Anhalt für die Unbeachtlichkeit des Patientenwillens in Fällen bietet, in denen die Notwendigkeit ärztlichen Tätigwerdens auf einem missglückten Suizidversuch beruht, und es auch wenig überzeugend erschiene, die Unbeachtlichkeit auf unmittelbar bevorstehende Selbsttötungsakte zu beschränken.267 Diese Erkenntnis scheint freilich noch nicht zu jedem durchgedrungen zu sein. Namentlich Kutzer behauptet, trotz § 1901a Abs. 3 BGB lasse sich § 216 StGB kung Höfling/Rixen, JZ 2003, 884 (885 ff.) u. Spickhoff, JZ 2003, 739 (740 f.), bei denen allerdings unerwähnt bleibt, dass die „Hilfe zum Sterben“ in BGHSt 40, 257 ausdrücklich für zulässig erklärt wurde; vgl. auch Ingelfinger, JZ 2006, 821 (828); Saliger, MedR 2004, 237 (240 f.), die dem XII. Senat lediglich eine missverständliche Formulierung attestieren, in der Sache aber keine Beschränkung auf den Sterbevorgang erkennen wollen. 265 OLG München NJW 2003, 1743 in Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils des LG Traunstein NJW-RR 2003, 221; abl. etwa Hufen, ZRP 2003, 248 (252); Lipp, FamRZ 2004, 317 (324); Sternberg-Lieben, Eser-FS (2005), 1185 (1203); Uhlenbruck, NJW 2003, 1710 (1711 f.); Wagenitz, FamRZ 2005, 669 (670); ambivalent Sahm, ZfL 2005, 45 (47, 52), der zwar einen Ethikvorbehalt für berechtigt hält, im Behandlungskonflikt jedoch von der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung ausgeht. Der BGH hat dieses Urteil im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO später wieder korrigiert (BGHZ 163, 195). 266 BGHSt 32, 367 (380 f.); krit. etwa Charalambakis, GA 1986, 485 (504); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24; Storr, MedR 2002, 436 (438) sowie Verrel, JZ 1996, 224 (229 f.), der sich dort auch gegen die rechtsprechungsfreundliche Auffassung von Kutzer, NStZ 1994, 110 (114) wendet, der zufolge die Hilfspflicht bei einem Suizid rechtlich, ethisch und psychologisch von der Pflicht zur Respektierung des Patientenwillens bei passiver Sterbehilfe zu unterscheiden sei. 267 Siehe Rengier, BT 2, § 8 Rn. 14a, dort auch unter Hinweis auf eine Verfügung der StA München I NStZ 2011, 345, das Ermittlungsverfahren gegen die drei Kinder einer Alzheimerpatientin einzustellen, die der Einnahme einer tödlichen Tablettendosis durch ihre Mutter beiwohnten und anschließend, nachdem man sich von ihr verabschiedet hatte und sie eingeschlafen war, keine Rettungsversuche unternahmen. Überzeugend weist die StA in Auseinandersetzung mit der Rspr. des BGH darauf hin, dass es gegen einen freiverantwortlichen Suizidentschluss – und an diesem war bei der Patientin, die eine entsprechende Patientenverfügung verfasst und in der Folgezeit mehrfach aktualisiert hatte, nicht zu zweifeln – keine Rettungspflicht geben könne. Nach der hier vertretenen Auffassung werden die betreffenden Personen freilich schon aus ihrer Garantenstellung für das Leben des Suizidenten entlassen und ist entgegen der StA nicht von einem Wegfall erst der Garantenpflicht auszugehen; siehe unten Erster Teil B. II. 3. a) bb).

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

eine Reichweitenbeschränkung der Untersagung lebenserhaltender Maßnahmen für Fälle entnehmen, in denen der Patient eine angesichts seiner Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Genesung führende ärztliche Behandlung (z. B. eine Operation oder eine künstliche Ernährung) ausgeschlossen habe. Wisse der Patient bei Abfassung der Verfügung um die tödlichen Konsequenzen seiner Entscheidung oder nehme er diese billigend in Kauf, so handle es sich nicht um einen Fall rechtlich anzuerkennender Sterbehilfe, sondern um ein „suizidales Behandlungsverbot“, dessen Respektierung eine Bestrafung wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen (§§ 216, 13 StGB) nach sich ziehe.268 Soweit sich Kutzer zur Begründung auf einen Passus in der Gesetzesbegründung beruft, dem zufolge die Grenzziehung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und zulässiger Sterbehilfe auch künftig der Rechtsprechung überlassen bleibe,269 übersieht er dabei allerdings, dass dies nur kausal lebensbeendende Handlungen jenseits der Fälle eines Behandlungsabbruchs betrifft. So heißt es in der Gesetzesbegründung nämlich auch, dass die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme bzw. die Untersagung ihrer Fortführung in einer Patientenverfügung strikt von der Tötung auf Verlangen zu unterscheiden sei. Die Achtung dieses Willens in Form des Unterlassens einer Behandlung, einschließlich ihres Abbruchs, sei in diesen Fällen weder verboten noch ethisch zu missbilligen, weil die einen Eingriff legitimierende Einwilligung des Betroffenen gerade fehle.270 Den Materialien lassen sich folglich keine Anhaltspunkte für eine Einschränkbarkeit der Patientenautonomie in Fällen entnehmen, in denen die (abgelehnte) Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit eine Rekonvaleszenz des Kranken bewirken würde. 3. Die drei Manifestationsformen der Patientenautonomie Im vorangegangenen Abschnitt wurden bereits die drei möglichen Erscheinungsformen des Patientenwillens angesprochen, an denen der Arzt resp. andere mit der Wahrung der Interessen des Kranken betraute Personen ihr Verhalten auszurichten haben: Neben dem ausdrücklichen Willen beim aktuell einwilligungsfähigen Patienten ist dies beim aktuell einwilligungsunfähigen Patienten der in einer wirksamen Patientenverfügung konservierte, hilfsweise sein mutmaßlicher 268

Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (347). Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (346); die besagte Stelle in BT-Drs. 16/ 8442, 9 lautet: „Die strafrechtliche Rspr. zieht die Grenze zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und den zulässigen Formen der Sterbehilfe unter Wahrung des Lebensschutzes wie des Selbstbestimmungsrechts des Patienten [. . .]. Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung verschiebt diese Grenze nicht, sondern klärt die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts bei solchen Verfügungen.“ Auf diesen Passus hat sich auch schon der BGH in seiner Entscheidung im „Fuldaer Fall“ (BGHSt 55, 191) berufen; siehe dazu bei der indirekten Sterbehilfe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 270 BT-Drs. 16/8442, 9. 269

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Wille. Die Patientenverfügung ist folgerichtig zwischen dem ausdrücklichen und dem mutmaßlichen Willen zu verorten: Es handelt sich zwar um die ausdrückliche Willensäußerung eines Einwilligungsfähigen, doch antizipiert diese einen bestimmten Sachverhalt für den Zustand späterer Einwilligungsunfähigkeit, sodass sie in der kritischen Situation nicht mehr (ganz) aktuell ist.271 a) Der ausdrückliche Wille beim entscheidungsfähigen Patienten aa) Grundsatz Der ausdrückliche Wille ist die valideste Manifestationsform der Patientenautonomie. Ist der Patient zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einleitung oder Weiterführung lebensverlängernder Maßnahmen zur Äußerung seines (freiverantwortlichen) Willens imstande, so ist dieser auf jeden Fall verbindlich. Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung aus der Sicht eines objektiven Dritten unvernünftig erscheinen mag.272 Eine „ärztliche Vernunfthoheit“, die zu einem Eingreifen in die körperliche Integrität des Patienten legitimieren könnte, ist selbst im Fall einer Mutter von vier Kindern nicht anzuerkennen, die sich aus religiösen Gründen gegen eine lebensrettende Bluttransfusion ausspricht.273 Die Entscheidungskompetenz des Patienten ist vielmehr umfassend: Steht ihm – wie bereits dargelegt274 – ein subjektives Recht auf Ablehnung lebensverlängernder und ge271 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 279; ebenso Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 14; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (100); a. A. Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 8; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 13; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 143, die die Patientenverfügung als primäres Instrument zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens begreifen. Dagegen spricht aber nicht nur der Aufbau von § 1901a BGB, der, indem er die Patientenverfügung in Abs. 1 und den mutmaßlichen Willen in Abs. 2 behandelt, klar zwischen beiden Rechtsinstituten trennt, sondern auch der Wortlaut dieser Vorschrift: Aus der Formulierung in § 1901a Abs. 2 BGB, der zufolge der mutmaßliche Wille des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden ist, wenn keine Patientenverfügung vorliegt oder deren Festlegungen die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation nicht erfassen, wird deutlich, dass das, was in einer validen Patientenverfügung zum Ausdruck kommt, nicht der mutmaßliche Wille des Kranken ist. 272 Beckmann, MedR 2009, 582 (583 f.); Engländer, JZ 2011, 513 (518); Ingelfinger, JZ 2006, 821 (825); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 Rn. 105; ebenso die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346 (A347); vgl. auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 111, der mit Recht betont, dass die Annahme von Freiverantwortlichkeit auch nicht durch den von gegenwärtigen oder befürchteten Schmerzen ausgelösten Leidensdruck ausgeschlossen wird, der nur das Motiv für die freiverantwortliche Entscheidung des Patienten, nicht aber ein Kriterium mangelnder Freiverantwortlichkeit bildet. 273 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (93) unter Hinweis auf BVerfGE 32, 98; a. A. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 36 u. Ulsenheimer, Eser-FS (2005), 1225 (1241), denen zufolge es in diesen Fällen regelmäßig an einem Sterbewillen fehlt. 274 Siehe oben Erster Teil B. II. 2.

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sundheitserhaltender Maßnahmen zu, dann kann er grundsätzlich sowohl einen „Totalverzicht“ erklären als auch nur bestimmte Maßnahmen aus dem ärztlichen Leistungskatalog ausschließen.275 Dabei muss es sich nicht um ein „ausdrückliches und ernstliches Verlangen“ i. S. d. § 216 StGB handeln.276 bb) Strafrechtsdogmatische Umsetzung Fraglich ist allerdings, welche strafrechtsdogmatischen Wirkungen ein solches Behandlungsveto zeitigt. Der BGH spricht in seiner Entscheidung im „Fuldaer Fall“ davon, dass das Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung „gerechtfertigt“ ist, „wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht“,277 und rekurriert damit, nunmehr eindeutig,278 auf die Rechtsinstitute der tatsächlichen und mutmaßlichen Einwilligung.279 Diese Lösung ist insofern wenig überzeugend, als ausgehend von der Patientenautonomie nicht der Abbruch, sondern die Einleitung und Fortführung einer medizinischen Behandlung rechtfertigungs- und einwilligungsbedürftig ist.280 Im Schrifttum wird mit Recht darauf hingewiesen, dass im Rahmen eines liberalen Staatsentwurfs, in dem es in erster Linie um die „Garantie gegenseitiger Nichtbeeinflus275 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf Fälle, in denen durch das Behandlungsveto auch Dritte an Leib und Leben gefährdet würden; zu denken ist primär an hochinfektiöse Erkrankungen. 276 Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (118); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 115; vgl. aber Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 330 unter Hinweis auf den „in dubio pro vita“-Grundsatz; diff. von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 359 ff., die nicht das Entfallen der ärztlichen Behandlungspflicht, wohl aber des Behandlungsrechts an ein „dezidiertes Verlangen“ knüpft u. damit wohl auf Anforderungen i. S. d. § 216 StGB rekurriert; gegen eine solche Unterscheidung Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 94. 277 BGHSt 55, 191. 278 Das war wohl auch schon im „Kemptener Fall“ (BGHSt 40, 257) so, wenngleich der 1. Senat dort an keiner Stelle ausdrücklich auf die Ebene der Rechtswidrigkeit Bezug nimmt. Verwirrend ist zudem, dass in der Entscheidung mal von „mutmaßlichem Einverständnis“ (257, 263), mal von „mutmaßlicher Einwilligung“ (261, 262, 265) die Rede ist. 279 Vgl. aber auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 172 mit Fn. 613, der es für denkbar hält, dass der 2. Senat damit der Sache nach einen neuen Rechtfertigungsgrund sui generis gemeint hat, zugleich aber darauf hinweist, dass dieser dann rechtsdogmatisch hätte eingehend ausgearbeitet werden müssen. 280 Zutreffend Engländer, JZ 2011, 513 (517 f.); Kubiciel, ZJS 2010, 656 (660); Lipp, FamRZ 2010, 1555 (1556); siehe dazu auch unten Erster Teil B. II. 3. b) aa) (2). Im konkreten Fall ging es um die künstliche Ernährung einer (wach-)komatösen Patientin mithilfe einer Magensonde.

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sung“ geht, der Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers einem Legitimationszwang unterliegt und nicht seine Unterlassung.281 Dass die Position des BGH aber auch zu Widersprüchen führt, lässt sich am Beispiel eines Patienten illustrieren, der gegen eine Behandlung in der – trotz Aufklärung – irrigen Annahme optiert, er benötige sie für sein Weiterleben nicht:282 Würde der Arzt sich über das Behandlungsveto hinwegsetzen, wäre er wegen Körperverletzung strafbar, weil Fehlvorstellungen des Rechtsgutsträgers für die Wirksamkeit einer Einwilligungsverweigerung irrelevant sind und Unvernünftigkeit nach dem vorher Gesagten keine Zwangsbehandlung begründen kann. Würde der Arzt das Behandlungsveto respektieren, dann hätte er, die Position des 2. Senats zugrunde gelegt, eine tatbestandsmäßige Tötung begangen, in die der Patient auch eingewilligt hätte. Jedoch wäre die Einwilligung aufgrund des Willensmangels unwirksam und käme eine Rechtfertigung folglich nicht in Betracht, woraus dann aber wiederum ein (Weiter-)Behandlungsgebot folgt.283 Dass der Arzt jedoch nicht beide Gebote – Abbruch und Fortführung der Behandlung – gleichzeitig befolgen kann, ist evident; verhindern lässt sich dieser Widerspruch nur, indem man die Zulässigkeit des Behandlungsabbruchs mit dem Wegfall der Einwilligung des Patienten in die (Weiter-)Behandlung begründet.284 Die Sichtweise, dass es der Wegfall der Einwilligung in die (Weiter-)Behandlung ist, der das ärztliche Untätigbleiben legitimiert, entspricht jedenfalls dann, wenn es um einwilligungsfähige Patienten geht, auch der überwiegenden Auffassung im Schrifttum. An welcher Stelle im Deliktsaufbau sich diese Überlegungen strafrechtsdogmatisch verorten lassen, wird hingegen unterschiedlich beurteilt. Der wohl überwiegende Teil der Lehre geht davon aus, dass das Behandlungsveto den Fortfall der Garantenpflicht des aus seiner Beschützerposition insgesamt nicht entlassenen Arztes bewirkt.285 Anders als die Garantenstellung und die sie

281 Prägnant Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 291 im Anschluss an Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot (1983), 170; vgl. auch Kreß, ZRP 2009, 69 (70). 282 Siehe zum Folgenden Engländer, JZ 2011, 513 (518) m.w. N. 283 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Arzt in dieser Konstellation i. E. aufgrund eines Erlaubnistatbestandsirrtums straflos ausginge. Die herrschende (rechtsfolgenverweisende) eingeschränkte Schuldtheorie zugrunde gelegt – siehe dazu Heinrich, AT, Rn. 1132 ff. –, entfiele hier lediglich die Vorsatzschuld, d. h., die Tat wäre immer noch als Unrecht anzusehen. 284 Engländer, JZ 2011, 513 (518). 285 Z. B. Detering, JuS 1983, 418 (419); Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 28; Hirsch, Lackner-FS (1987), 597 (600); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 13; Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 63 ff.; Schmitt, JZ 1979, 462 (466); C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 43 ff.; neuerdings auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 Rn. 115 (anders die Vorauflage: Wegfall der Garantenstellung).

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begründenden Merkmale, die zum Tatbestand gezählt werden, ist die Garantenpflicht nach wohl überwiegender, allerdings nicht unumstrittener Auffassung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zu verorten.286 Dagegen nehmen nicht wenige Autoren einen Fortfall bereits der Garantenstellung an.287 Dies erscheint vorzugswürdig, weil die Garantenstellung beim Unterlassungsdelikt dazu dient, dem in Passivität Verharrenden einen Erfolg als „sein Werk“ zuzurechnen, die Hilfeverweigerung durch den Schützling aber gerade dazu führt, dass nur er für das Geschehen verantwortlich ist.288 Dagegen lässt sich nicht einwenden, der grundsätzlich auch den Lebensschutz beinhaltende Behandlungsvertrag bestehe als Grundlage einer entsprechenden Garantenstellung fort.289 Denn wenn die Garantenstellung des Arztes aus der tatsächlichen Übernahme einer Schutzfunktion erwächst und es insoweit auf den Rechtsgrund der Übernahme gar nicht ankommt,290 dann muss der Patient ihn durch entsprechende Erklärung auch „tatsächlich“ aus dieser Stellung entlassen bzw. diese modifizieren können, ohne

286 Siehe Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 308, der als weitere Verfechter dieser Ansicht Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 15 Rn. 45 u. Jescheck/Weigend, AT, 630 f. nennt; ähnlich Gropp, AT, § 11 Rn. 54 ff., 89, der in der Garantenpflicht allerdings kein eigenständiges Rechtswidrigkeitselement erblickt, sowie Kühl, AT, § 18 Rn. 129, dem zufolge es sich bei der Garantenpflicht nicht um einen Tatumstand, sondern um ein „allgemeines Verbrechensmerkmal wie die Rechtswidrigkeit“ handelt; a. A. etwa Heinrich, AT, Rn. 922 u. Rengier, AT, § 49 Rn. 5, 28, die die Garantenpflicht auf der Ebene des objektiven Tatbestands verorten. Auch der BGH ordnete die Garantenpflicht zunächst als Tatbestandsmerkmal des unechten Unterlassungsdelikts ein; siehe BGHSt 3, 82 (89). In einem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1961 hat der Große Senat dann allerdings die Auffassung vertreten, dass zum Tatbestand eines unechten Unterlassungsdelikts nur die zu einem tatbestandsmäßigen Erfolg führende Unterlassung und die Garantenstellung des Unterlassenden gehören, nicht aber die zur Rechtswidrigkeit zählende Garantenpflicht; siehe BGHSt 16, 155 (158). 287 Etwa Achenbach, Jura 2002, 542 (545 f.); Dreier, JZ 2007, 317 (323); Kühl, Jura 2009, 881 (885); Lilie, Steffen-FS (1995), 273 (275); Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 40; Ingelfinger, ZfL 2005, 38 (40); ders., JZ 2006, 821 (825); diff. Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 88 ff., 100: Wegfall der Garantenstellung bei anfänglichem Behandlungsverzicht, Wegfall der Garantenpflicht bei nachträglichem Behandlungsabbruch. 288 So Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 308, der überdies zutreffend darauf hinweist, dass nicht nur der Arzt, sondern auch der aufgrund eines persönlichen Näheverhältnisses garantenpflichtige Angehörige aus seiner Position entlassen werden kann (a. a. O., 307 f.); vgl. aber Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 65 f. und Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 75, die ebenfalls die Notwendigkeit eines Ausschlusses der objektiven Zurechnung betonen, deren entscheidenden Träger aber in der Garantenpflicht erblicken. 289 So aber neuerdings Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 115 mit Fn. 422 in Abkehr von seiner in der Vorauflage vertretenen Auffassung. 290 Siehe dazu Jakobs, AT, 29/48 u. Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 28 f.

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dass der Fortbestand des Rechtsgrunds hieran etwas ändern könnte.291 Im Übrigen ließe sich argumentieren, dass durch das Behandlungsveto zugleich auch der Behandlungsvertrag konkludent abgeändert wird; dieser umfasst nun eben nicht mehr den Lebensschutz, sondern allenfalls noch die Gewährung einer Basisbetreuung, auf die der Patient aber – vorbehaltlich der Gefährdung Dritter – ebenfalls verzichten kann. cc) Der Sonderfall des technischen Behandlungsabbruchs Weitaus umstrittener als eine Behandlungsbegrenzung durch ein phänotypisches Unterlassen ist die Beurteilung einer Therapieeinstellung in Fällen, in denen sie durch äußerlich aktives Verhalten erfolgt. Diese unter den Oberbegriffen „tätiger Behandlungsabbruch“ 292 oder „technischer Behandlungsabbruch“ 293 diskutierte Sonderproblematik betrifft in erster Linie das Abschalten lebenserhaltender Apparaturen (etwa von Beamtungsgeräten, sog. Respiratoren), bei dessen rechtlicher Bewertung sich die Diskussion auf die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen fokussiert.294 Bereits bei der indirekten Sterbehilfe wurde angesprochen, dass der BGH die im Schrifttum diskutierten Lösungsvorschläge im „Fuldaer Fall“ 295 allesamt zugunsten eines aus den §§ 1901a ff. BGB entwickelten Einwilligungsmodells verworfen hat.296 Ob dies mit Recht geschah und sich die Konstruktion des BGH zumindest in den hier interessierenden Konstellationen als tragfähig erweist, bildet den Gegenstand nachstehender Ausführungen. 291 Ähnlich Popp, ZStW 118 (2006), 639 (644 f.). Vgl. aber auch Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 61 ff., der zwar ebenfalls betont, dass die Stellung als Lebensschutzgarant nicht vom Bestehen eines Arztvertrags abhängt, aber gleichwohl für einen Wegfall der Garantenpflicht plädiert, weil nur so etwaige Sinnesänderungen des Patienten angemessen berücksichtigt werden könnten. 292 Statt vieler Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 308. 293 Statt vieler Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 54. Dieser Begriff wird auch den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt. 294 Ausführlich dazu Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 112 ff.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 308 ff.; Roxin, in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (92 ff.); C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 118 ff., die, wohl in Anlehnung an den „Ravensburger Fall“ (JZ 1988, 207), diese Problematik allesamt im Kontext der passiven Sterbehilfe bei einwilligungsfähigen Patienten erörtern. Dem wird hier gefolgt, wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass der technische Behandlungsabbruch selbstverständlich keineswegs auf diese Patientengruppe beschränkt ist, wie jüngst auch im „Fuldaer Fall“ (BGHSt 55, 191) wieder deutlich geworden ist. 295 BGHSt 55, 191. 296 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2).

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(1) Bisherige Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung Im strafrechtlichen Schrifttum standen oder stehen sich – ob bzw. inwieweit die neue Rechtsprechung auch in der Lehre auf Akzeptanz stoßen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unklar – zwei Lager gegenüber. (a) Phänotypische Einordnung als aktives Tun Nicht wenige Autoren bewerten den technischen Behandlungsabbruch von phänotypischer Warte aus stets, d. h. unabhängig davon, ob er von dem behandelnden Arzt oder einem Dritten ins Werk gesetzt wird, als aktives Verhalten297 und suchen nach unterschiedlichen Wegen, um die Straflosigkeit des so Vorgehenden zu begründen. Dabei kann zwischen Lösungsansätzen auf Tatbestandsund auf Rechtfertigungsebene unterschieden werden:298 Auf Tatbestandsebene wird etwa eine Einschränkung des Verbots aktiver Tötung „aufgrund der Besonderheiten in diesem Bereich“ angedacht. Mit Blick auf die Fortschritte in der Medizin, die nunmehr trotz irreversibler Schädigung und Ausfall wesentlicher Körperorgane eine Hinauszögerung des Hirntodes ermöglichten, könne das Recht auf einen „natürlichen Tod“ auch für das Begehungsdelikt nicht ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden. Tötung müsse dort zulässig sein, wo das Postulat nach formalisiertem und unbegrenztem Lebensschutz in Inhumanität umschlage.299 Andere plädieren für eine Haftungsbegrenzung durch den Schutzzweck der Norm. Wer den Respirator abstelle, beende nur das krankheitsbedingt sonst längst durch den Tod abgeschlossene, also künstlich hinausgezögerte Sterben. Bewirkt werde nichts anderes wie bei einem Unterlassen des Anschlusses an das Gerät. Letzteres verletze aber das Rechtsgut „Leben“ nicht, da ein rechtlich geschütztes Interesse an der Lebenserhaltung durch Sterbensverlängerung fehle. Folgerichtig werde auch in diesen Fällen das Rechtsgut „Leben“ nicht verletzt.300 297 Siehe z. B. Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 58; Hirsch, Lackner-FS (1987), 597 (605); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 18; Jescheck/Weigend, AT, 604; Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 43 ff.; ders., BT, § 6 Rn. 27 f.; Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (556); Samson, Welzel-FS (1979), 579 (601); Sax, JZ 1975, 137 ff.; Sieber, JZ 1983, 431 (436); Stoffers, MDR 1992, 621 (626). 298 Siehe zum Folgenden auch Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 96 ff.; ausführlich Stoffers, MDR 1992, 621 (623), der neun verschiedene Konzeptionen vorstellt. 299 Samson, Welzel-FS (1979), 579 (601 ff.); krit. etwa von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 450 ff.; Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 96; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 45; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 160. 300 Sax, JZ 1975, 137 (149 f.); zust. Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 178 f.; ähnlich Tröndle, Göppinger-FS (1990), 595 (603 ff.), der aber schon von fehlender Zurechenbarkeit der Todesfolge ausgeht; abl. etwa von Dellings-

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Auf Rechtfertigungsebene nehmen manche einen Erlaubnissatz sui generis an: Entscheide sich der Patient dafür, den Krankheitsverlauf und das Sterben nicht weiter zu verlängern, so sei der Arzt ihm gegenüber neben der Unterlassung weiterer medizinischer Maßnahmen auch zur Wiedereinräumung der durch den Anschluss an technische Gerätschaften beschränkten Handlungsfreiheit verpflichtet. Dies gebiete die Achtung der Würde des Patienten, die gegenüber dem möglichen Gebot, Schmerz und Agonie zu verlängern, vorrangig sei. Da es bei der (Wieder-)Einräumung der Behandlungsfreiheit um die Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG gehe, seien die zur Herstellung des verfassungsmäßigen Zustands nötigen Schritte gerechtfertigt.301 Vereinzelt wird schließlich eine analoge Anwendung von § 34 StGB favorisiert, weil es wie bei der indirekten Sterbehilfe letztlich auch in den Fällen des technischen Behandlungsabbruchs um ein Sterben in Würde gehe und das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG das „Höchstwertprädikat“ – auch vor dem Lebensrecht – für sich beanspruchen könne.302 (b) Normative Bewertung als Unterlassen Demgegenüber bewerte(te)n die meisten Autoren zumindest den durch einen Arzt bewirkten technischen Behandlungsabbruch in normativer Betrachtung als Unterlassen (der Fortsetzung eines ob des Behandlungsvetos nicht mehr zulässigen ärztlichen Eingriffs) und gelang(t)en auf dieser Grundlage in Anlehnung an die „klassischen“ Konstellationen der passiven Sterbehilfe zur Straflosigkeit.303 Die Begründungsansätze differieren: Während namentlich Roxin die von ihm zu diesen Zwecken reaktivierte Rechtsfigur des „Unterlassens durch Tun“ behausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 456 ff.; Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 96 f.; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 43 f.; Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 160 (jeweils zu Sax); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 311; C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997) 222 f.; Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 37 f. (jeweils zu Tröndle). 301 Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 45; einen aus der Patientenautonomie abgeleiteten Rechtfertigungsgrund sui generis hält neuerdings auch Engländer, JZ 2011, 513 (518) für denkbar. 302 Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 61; Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (559 ff.); für rechtfertigenden Notstand i. E. auch Bosch, JA 2010, 908 (911). 303 Siehe z. B. Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (122); Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 332 f.; Engisch, Gallas-FS (1973), 163 (178); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 310; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 37; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 46 f.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 126; Roxin, Engisch-FS (1969), 380 (398 ff.); ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (95).

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müht,304 stellen andere Autoren auf Formeln wie den „sozialen Sinn des Verhaltens“ oder den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ ab,305 die jedoch genaue Konturen missen lassen.306 Erwähnung verdient auch die Konzeption von C. Schneider, der die Abgrenzung anhand einer „Zwei-Stufen-Prüfung“ durchführen will: Ergebe sich auf der ersten Stufe im Rahmen einer am Körperbewegungskriterium orientierten Prüfung ein aktives Tun, sei auf der zweiten Stufe zu untersuchen, ob dieses Resultat bei Berücksichtigung des wertenden Gesichtspunktes „Erwartung der Rechtsordnung“ korrigiert werden müsse. Der entscheidende Aspekt für die Annahme eines Unterlassens bestehe darin, dass der Ist-Zustand des betroffenen Rechtsguts „Leben“ im Zeitpunkt der „,schadensnächsten‘“ Tathandlung „,ungesichert‘“ bzw. „,gefährdet‘ “ sei. Da der Lebensschutz gerade mit der Weiterführung der Behandlung gewährleistet werde, erwarte die Rechtsordnung, dass dem betroffenen Rechtsgut auch weiterhin die lebenssichernde Leistung zukomme.307 Die unterschiedliche Terminologie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter diesen Ansätzen letztendlich doch ein und dieselbe Erwägung verbirgt: Nicht die isolierte Betrachtung der eigentlichen Abbruchhandlung (der Betätigung des An-/Abschaltknopfs) soll maßgeblich sein, sondern eine wertende Erfassung der gesamten Behandlungssituation.308 Ingelfinger fasst den hier tragenden Gedanken prägnant dahingehend zusammen, dass durch die ärztliche Behandlung eine Leistung für ein fremdes Gut erbracht werde. Halte der Arzt diese 304 Roxin, Engisch-FS (1969), 380 (398 ff.); diese Rechtsfigur kann auf von Overbeck, GS 88 (1922), 319 zurückgeführt werden, der dort aber noch von „Unterlassung durch Begehung“ spricht. Kritisch z. B. von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 445 ff.; Merkel, Herzberg-FS (2008), 193 (198 f.); Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (555 f.); Samson, Welzel-FS (1979), 579 ff. 305 Ausführlich dazu Stoffers, MDR 1992, 621 (623), der sieben verschiedene Konzeptionen unterscheidet. 306 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 309; siehe auch Merkel, Herzberg-FS (2008), 193 (196) m.w. N. Der 2. Senat hat im „Kemptener Fall“, der zwar nicht das Abschalten einer lebenserhaltenden Maschine, sondern eine Anweisung an das Pflegepersonal zur Einstellung der künstlichen Ernährung zum Gegenstand hatte, in erster Linie auf die Pflicht des Arztes zur Versorgung des Patienten abgestellt und in dem Verstoß gegen diese Pflicht den eigentlichen Unwert des Verhaltens erblickt; siehe BGHSt 40, 257 (266). Welcher der vorgestellten Konstruktionen zur Begründung des Unterlassens das Gericht damit meint, wird allerdings unterschiedlich beurteilt: Während etwa Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 13 u. Vogel, MDR 1995, 337 (339) in der Formulierung einen Rückgriff auf das Schwerpunktkriterium erkennen, gehen z. B. Schöch, NStZ 1995, 153 (154) u. Verrel, JZ 1996, 224 (227) davon aus, dass der BGH damit die Rechtsfigur des Unterlassens durch Tun anerkannt hat. 307 C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 174 ff.; siehe dazu auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 309. 308 Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 12 f. m.w. N.; vgl. auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 119.

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zurück, verletze er keine geschützte Freiheitssphäre; er verstoße allenfalls gegen eine Pflicht, für fremde Güter tätig zu werden. Dann liege aber normativ die Situation eines Unterlassens vor, auch wenn äußerlich eine aktive Tätigkeit damit verbunden sei.309 Der normativ-wertende Ansatz erscheint gut vertretbar, weil er die strafrechtliche Bewertung von etwaigen Zufälligkeiten bei der Ausgestaltung einer medizinischen Behandlung emanzipiert.310 Zieht man beispielsweise eine Parallele zwischen technischem Behandlungsabbruch und dem Abbruch manueller Rettungsbemühungen, dann ist nicht so recht zu sehen, wieso Ersteres anders zu beurteilen sein sollte als Letzteres; das auf Geheiß des Arztes in Betrieb genommene und fortlaufend überprüfte Gerät kann, um einen bildhaften Vergleich zu bemühen, als sein „,verlängerter Arm‘“ betrachtet werden.311 Indes besteht unter den Verfechtern der Unterlassungslösung weitestgehend Einigkeit, dass diese Erwägungen dann nicht (mehr) greifen können, wenn der technische Behandlungsabbruch nicht durch den behandelnden Arzt, sondern durch einen Dritten erfolgt.312 Zwar wird vereinzelt für ihre Übertragung auch auf derartige Sachverhalte plädiert, wenn der entscheidungsfähige Patient den Behandlungsabbruch ausdrücklich verlangt, weil ein solches Verhalten dessen Selbstbestimmungsrecht achte.313 Doch wird dem mit Recht entgegengehalten, 309 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 310; ähnlich Merkel, Herzberg-FS (2008), 193 (222 f.) im Anschluss an Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen (1996), 37 f. und dessen Lehre vom „Organisationskreis“. Nach Jakobs kann die Schadlosigkeit fremder Güter „davon abhängig sein, daß vom Organisationskreis des Handelnden bestimmte rettende Kausalverläufe ausgehen, deren Bestand aber rechtlich nicht garantiert ist“. So, wie der Garant aus Ingerenz nicht nur für den bedrohlichen „Output“ seines eigenen Körpers, sondern für den seines gesamten rechtlichen Organisationskreises hafte, so könne umgekehrt die Beschränkung des eigenen Handelns („Outputs“) auf den Innenraum dieses Kreises „auch Haftung ausschließen“ oder eben auf Unterlassungsverantwortlichkeit beschränken; siehe Jakobs, AT, 7/61. 310 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 119; vgl. auch allgemein Merkel, HerzbergFS (2008), 193 (220 f.) sowie Volk, Tröndle-FS (1989), 219 (225) im Anschluss an Philipps, Der Handlungsspielraum (1974), 140 ff. 311 Instruktiv Geilen, JZ 1968, 145 (151); ders., Euthanasie und Selbstbestimmung (1975), 22; zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 119; vgl. aber Gropp, Schlüchter-GedS (2002), 173 (182), der diese Gleichsetzung unter Verweis auf die durch technische Apparaturen bewirkte Stabilität der Konstitution des Patienten (im Vergleich mit manuellen Rettungsbemühungen) kritisiert; krit. auch Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 174. 312 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 333; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 310; Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 57. 313 So Roxin, NStZ 1987, 345 (350); ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (96); siehe auch noch Rengier, BT 2, 11. Aufl., § 7 Rn. 8, jeweils unter Hinweis auf den „Ravensburger Fall“ (JZ 1988, 207).

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dass dieser Aspekt keine Rolle spielen kann, weil der Wille des Patienten bzw. dessen Achtung kein spezifisches Element von Tun und Unterlassen darstellt und damit für die Charakterisierung einer Handlungsform irrelevant ist.314 Der tragende Grund für die rechtliche Beurteilung als aktives Tun ist vielmehr darin zu sehen, dass der Dritte im Gegensatz zum behandelnden Arzt einen aus seiner Sicht von fremder Hand in Gang gesetzten Kausalverlauf neutralisiert.315 Oder vereinfacht ausgedrückt: Dem Dritten obliegt keine Behandlung, die er unterlässt. Als „Dritter“ i. d. S. gilt folglich jeder, dem die rettende Ursachenreihe – in casu die medizinische Behandlung – nicht als eigene zurechenbar ist.316 Im klinischen Alltag können sich hier v. a. bei Schichtwechseln von Stationsärzten Zurechnungsfragen stellen. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass mit einem solchen Wechsel die Verantwortlichkeit auf den jeweils diensthabenden Arzt übergeht, sodass die Zurechenbarkeit regelmäßig zu bejahen sein wird.317 Aufgrund ihres „planvollen Näheverhältnisses zum Kranken“ lassen sich weitergehend sämtliche Mitglieder des „Behandlungsteams“ als handlungskompetent ansehen, und dies auch dann, wenn sie für die Einleitung der apparativen Dauerbehandlung nicht verantwortlich zeichnen.318 Im Ergebnis steht gleichwohl außer Streit, dass auch der von einem Dritten bewirkte technische Behandlungsabbruch bei einem (mutmaßlichen) Behandlungsveto des Patienten straflos sein muss.319 Uneins ist man sich aber wiederum 314 C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 191 f.; zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 120. 315 Engländer, JZ 2011, 513 (515); Dölling, ZIS 2011, 345 (347); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 127; Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (556); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 120, jeweils m.w. N.; ausführlich C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 182 ff.; vgl. allgemein Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 159. 316 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 126; C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 179 mit Fn. 545. 317 Siehe von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 469 f.; Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 98; C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 179 mit Fn. 545; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 121. 318 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 121; vgl. auch Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 18, der aus phänotypischer Perspektive zu identischen Ergebnissen gelangt, die Unterlassungslösung aber gerade wegen der unterschiedlichen Beurteilung des durch Ärzte und Dritte bewirkten technischen Behandlungsabbruchs für wenig überzeugend hält. 319 Vgl. etwa Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (122 f.); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 311 f.; Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 57 ff.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 122 f. Ambivalent Jähnke, in: LK,

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über die dogmatische Begründung. Während diejenigen, die auch im Verhalten des Arztes ein aktives Tun erblicken, ihre Straflosigkeitskonstruktionen gleichermaßen auf Dritte beziehen (können), müssen sich die Verfechter der Unterlassungslösung nach dem oben Gesagten abweichender Ansätze bedienen, wobei überwiegend auf § 34 StGB rekurriert wird.320 Dass dieser Weg durchaus gangbar ist und die Einwände gegen die Notstandslösung allesamt nicht durchdringen, wurde bereits im Kontext der indirekten Sterbehilfe ausführlich dargelegt.321 Hinsichtlich des technischen Behandlungsabbruchs kann nichts anderes gelten.322 Abweichungen ergeben sich aber in zweierlei Hinsicht: Zum einen geht es bei der Notstandsabwägung auf der Erhaltungsseite weniger um das Interesse des Patienten an Schmerz- oder Leidenslinderung als vielmehr um sein Interesse an einem „,natürlichen, behandlungsfreien Sterben‘“.323 Zum anderen ist mit Blick auf das Merkmal der Erforderlichkeit nur dann von einer gerechtfertigten Notstandstat auszugehen, wenn der Patient zur Abschaltung der lebenserhaltenden Apparatur physisch nicht in der Lage ist.324 (2) Keine Neubewertung nach der BGH-Entscheidung im „Fuldaer Fall“ Im Kontext der indirekten Sterbehilfe wurde bereits auf das aufsehenerregende Grundsatzurteil des BGH im „Fuldaer Fall“ 325 hingewiesen, das die Frage der Strafbarkeit des technischen Behandlungsabbruchs zum Gegenstand hat. Der 2. Senat lehnt darin die Umdeutung eines phänotypisch aktiven Verhaltens in ein „normativ verstandenes Unterlassen“ als „dogmatisch unzulässigen Kunstgriff“ 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 20, der einerseits nur den Arzt zur Sterbehilfe für befugt erklärt, andererseits bei Dritten das Eingreifen von Notrechten für denkbar hält. 320 Für § 34 StGB etwa Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 333; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 311 f.; C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 242 ff.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 122 f. 321 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (a) u. (b). 322 Vgl. aber auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 123, der die Notstandslösung beim technischen Behandlungsabbruch für problematischer hält als bei der indirekten Sterbehilfe, weil diese an die Grenze zur verbotenen direkten Sterbehilfe heranrücke. Indes gelte es zu berücksichtigen, dass hier keine eigenständige neue Todesursache gesetzt werde und der Behandlungsabbruch als Abwehrmaßnahme zu begreifen sei. 323 Vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 311 f. im Anschluss an C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 228 ff.; ähnlich Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 122, der in Zusammenhang mit dem Erhaltungsgut von „personaler Selbstbestimmung“ spricht. 324 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 333; zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 122. 325 BGHSt 55, 191.

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ab, der mit Blick auf die Vielgestaltigkeit des sowohl aktive als auch passive Verhaltensweisen umfassenden „Behandlungsabbruchs“ den auftretenden Problemen nicht gerecht werde. Erforderlich sei vielmehr deren Behandlung als einheitliche Fallgruppe, um so den unvermeidlich auftretenden Zufälligkeiten bei der Einordnung als Tun oder Unterlassen keinen Raum zu geben.326 Auf der Suche nach einer dogmatisch tragfähigen Lösung zur Umsetzung dieses Postulats gelangt der BGH dann zu besagter Einwilligungslösung, die er zuvor aus den §§ 1901a ff. BGB entwickelt hat und in deren Anwendungsbereich er neben den behandelnden Ärzten und dem Betreuer/Bevollmächtigten des Patienten auch die zur Behandlung bzw. Betreuung hinzugezogenen Hilfspersonen einbezieht.327 Eine Nothilfe (§ 32 Abs. 2 StGB) wird vom 2. Senat mit Recht verneint.328 Zwar ist in einer vom Patienten nicht (mehr) gewollten künstlichen Ernährung ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit und sein Selbstbestimmungsrecht zu sehen, doch kann nach ganz h. M. durch Notwehr nur ein Eingriff in Rechtsgüter des Angreifers (in casu: Sachbeschädigung am Schlauch der PEG-Sonde), nicht aber der Eingriff in die Rechtsgüter der angegriffenen Person (hier: Eingriff in das Rechtsgut „Leben“) gerechtfertigt werden.329 Der hiergegen im Schrifttum mitunter vorgebrachte Einwand, es fehle schon an einem Rechtsgutseingriff bzw. einer Verletzung des Rechtsguts „Leben“, weil in den Fällen des technischen Behandlungsabbruchs mit der Verteidigungsaktion des Dritten letztlich nur der Zustand hergestellt werde, der vor dem rechtswidrigen Angriff – der (Wieder-)Aufnahme der Behandlung – bestanden habe,330 überzeugt nicht. Läge nämlich in der Verteidigungsaktion bereits kein Eingriff in die Rechtsgüter des Patienten, dann käme schon die Verwirklichung des Tatbestands eines Tötungsdelikts nicht in Betracht, sodass sich die Rechtfertigungsfrage erübrigen würde.331 Wenig überzeugend sind die Ausführungen des BGH hingegen, soweit sie die Möglichkeit einer Notstandsrechtfertigung des technischen Behandlungsabbruchs 326

BGHSt 55, 191 (202 f.). Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 328 BGHSt 55, 191 (197). 329 Siehe etwa BGHSt 39, 374 (380); Heinrich, AT, Rn. 339; Kindhäuser, in: NK, § 32 Rn. 80; Lackner/Kühl, § 32 Rn. 18; Otto, AT, § 8 Rn. 42; Rosenau, in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, § 32 Rn. 20; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 124. 330 So v. a. Beckmann, ZfL 2009, 108 f.; Mandla, NStZ 2010, 698 (699) u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 173; ähnlich Duttge, MedR 2011, 36 (38); zuvor auch schon Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (123). 331 Lanzrath/große Deters, HRRS 2011, 161 (162); vgl. allerdings auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 618, dem zufolge diese Autoren einem „allzu pauschalen“ Eingriffsbegriff anhängen. Dem BGH folgen insoweit auch Bosch, JA 2010, 908 (910); Eidam, GA 2011, 232 (241 f.); Gaede, NJW 2010, 2925 (2927) u. Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (352). 327

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betreffen. Das Argument, der Eingriff des Angeklagten – das Durchschneiden des Schlauchs der PEG-Sonde – habe sich gegen das höchstrangige Rechtsgut („Leben“) derjenigen Person gerichtet, der die gegenwärtige Gefahr (für die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Selbstbestimmungsrechts) i. S. v. § 34 StGB gedroht habe,332 verfängt nicht. In Bezug auf den Paralleleinwand bei der indirekten Sterbehilfe wurde dargelegt, dass zum einen nicht das Rechtsgut „Leben“, sondern das Recht auf Leben abwägungsresistent ist, und zum anderen die Anwendung der Notstandsvorschrift auf interne Güter- bzw. intrapersonale Interessenkollisionen sowohl mit ihrer Ratio als auch mit dem Autonomieprinzip vereinbart werden kann.333 Im Übrigen widerspricht der 2. Senat damit auch der Rechtsprechung des 3.334 und des 5. Senats,335 in der gegen die Notstandslösung bei der indirekten Sterbehilfe keine konstruktiven Einwände erhoben wurden.336 Der Hinweis auf die Tragfähigkeit der Notstandslösung reicht nach der hier vertretenen Auffassung aus, um das vom BGH propagierte Einwilligungsmodell tendenziell zu desavouieren. Zwar lässt sich dem 2. Senat immerhin zugutehalten, dass die §§ 1901a ff. BGB für die hier interessierenden Fälle der Ablehnung einer medizinischen Behandlung tatsächlich Wertungen enthalten, die unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung auch für das Strafrecht als sekundäre Normenordnung Verbindlichkeit entfalten.337 So wurde bereits auf den in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers hingewiesen, der die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme oder die Untersagung ihrer Fortführung in einer Patientenverfügung – oder aufgrund konkreter Willensäußerung oder des mutmaßlichen Willens338 – strikt von einer Tötung auf Verlangen unterschieden wissen will und die Achtung eines solchen Willens in Form des Unterlassens einer Behandlung, einschließlich ihres Abbruchs, weder für verboten noch für ethisch missbilligenswert hält.339 Ist aber auch der Abbruch einer medizinischen Behandlung zulässig, dann kann die anschließende Aussage, die 332

BGHSt 55, 191 (197 f.). Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). Vgl. im Übrigen auch Bosch, JA 2010, 908 (910); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 174. 334 BGHSt 42, 301 (305) – „Dolantin-Fall“. 335 BGHSt 46, 279 (285) – „Freitodhelfer-Fall“. 336 Darauf macht auch Engländer, JZ 2011, 513 (517) aufmerksam, der dem BGH aber i. E. beipflichtet, weil § 34 StGB auf intrapersonale Interessenkollisionen weder von seiner Struktur (Erfordernis des wesentlichen Überwiegens des Erhaltungsguts, Angemessenheitsvorbehalt) noch von seinem Telos (Ausprägung des Solidaritätsgedankens) her passe; vgl. dazu auch ders., GA 2010, 15. Dem BGH folgen Gaede, NJW 2010, 2925 (2927); Verrel, NStZ 2010, 671; Walter, ZIS 2011, 76 (81). 337 Vgl. auch Eidam, GA 2011, 232 (237 f.); Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (549); Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (558 f.); Walter, ZIS 2011, 76 (80 f.). 338 Diese Ergänzung nimmt mit Recht Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (549) vor. 339 BT-Drs. 16/8442, 9. 333

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Grenzziehung zwischen einer strafbaren Tötung auf Verlangen und den zulässigen Formen der Sterbehilfe sei nach wie vor der strafrechtlichen Rechtsprechung überlassen,340 nur so verstanden werden, dass damit lediglich kausal lebensbeendende Handlungen jenseits der Fälle des Abschaltens lebenserhaltender Apparaturen gemeint sind.341 Hiervon ist augenscheinlich auch der 2. Senat ausgegangen, der dabei freilich übersieht, dass er sich in Widerspruch zu diesen Wertungen setzt, wenn er der (mutmaßlichen) Einwilligung des Patienten auch bei der indirekten Sterbehilfe rechtfertigende Wirkung beimisst.342 Fraglich ist aber, wieso die betreuungsrechtlichen Vorschriften gerade im Gewand der Einwilligung Berücksichtigung finden sollen. Mag dafür prima vista auch der Umstand sprechen, dass das Rechtsinstitut der rechtfertigenden Einwilligung das vorrangige strafrechtsdogmatische Vehikel zur Umsetzung des Autonomieprinzips darstellt, sollte dabei nicht übersehen werden, dass sich diese Lösung wiederum an der Einwilligungssperre des § 216 StGB reibt.343 Kann ein zivilrechtlich erlaubtes Verhalten aber auch schon unter Heranziehung genuin strafrechtlicher Kriterien – hier denjenigen des Notstands – straffrei gestellt werden, dann sollte einem „de facto-Dispens“ von der Einwilligungssperre kein Raum gegeben werden.344 340

BT-Drs. 16/8442, 9. In der Sache ebenso Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (549), der zufolge der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass das Selbstbestimmungsrecht (nur) als Abwehrrecht der betroffenen Person gegen nicht gewollte Eingriffe zu respektieren ist, nicht jedoch – zumindest nicht bei Tötungsdelikten – als Legitimationsgrundlage für Dritte. 342 Bei ihr ist nämlich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gerade nicht in seiner Funktion als Abwehrrecht betroffen, weil Bezugspunkt der Einwilligung die Durchführung eines medizinischen Eingriffs und nicht seine Unterlassung ist; vgl. auch schon oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 343 Siehe dazu insb. Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (558 f.); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 172; vgl. auch Eidam, GA 2011, 232 (241), der zwar auf den Widerspruch mit § 216 StGB aufmerksam macht, den Weg über einen „,de factoDispens‘“ von der Einwilligungssperre im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht aber gleichwohl für „durchaus gangbar“ erachtet, sowie Walter, ZIS 2011, 76 (78, 81 f.), der die Einwilligungslösung im Hinblick auf § 216 StGB ebenfalls für verfehlt hält und für eine teleologische Reduktion dieser Vorschrift plädiert (vgl. dazu auch die nächste Fn.). 344 Ähnlich Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (559 ff.); vgl. auch Bosch, JA 2010, 908 (910 f.). Ausscheiden muss damit aber auch eine teleologische Reduktion des § 216 StGB, die im Schrifttum neuerdings als Alternative zur Einwilligungslösung des BGH propagiert wird; siehe insb. Duttge, MedR 2011, 36 (37 f.) sowie Walter, ZIS 2011, 76 (81 f.). Engländer, JZ 2011, 513 (518) macht mit Recht darauf aufmerksam, dass diese Konstruktion zum einen diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen es an einem Verlangen des Patienten i. S. v. § 216 StGB fehlt, sie zum anderen aber selbst bei Vorliegen eines solchen Verlangens nicht zur Tatbestandslosigkeit des technischen Behandlungsabbruchs führen würde, da durch eine teleologische Reduktion nur der Privilegierungstatbestand des § 216 StGB, nicht aber der Grundtatbestand des § 212 StGB entfiele. Auf diesen wirkt sich, so Engländer, die teleologische Reduktion dahingehend aus, dass die mit § 216 StGB begründete Einwilligungssperre aufzuheben wäre, was i. E. aber auf die Konzeption des 2. Senats hinausliefe. Kritisch auch Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (547, 549). 341

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Aus dem gleichen Grunde abzulehnen sind auch (vermeintlich) neuere Konzeptionen, denen zufolge es in den Fällen des technischen Behandlungsabbruchs bereits an einer objektiv tatbestandsmäßigen Tötung fehlt. Von der richtigen Feststellung ausgehend, dass invasive medizinische Eingriffe nur mit der (mutmaßlichen) Einwilligung des Patienten zulässig sind, weist etwa Engländer darauf hin, dass der Behandlungsabbruch keines weitergehenden Zustimmungsakts in Gestalt einer (mutmaßlichen) Einwilligung des Kranken bedürfe, sich seine Zulässigkeit vielmehr schlicht aus dem Wegfall bzw. dem Widerruf der Einwilligung in die Durchführung der Behandlung ergebe. Strafrechtsdogmatisch könne diese Erkenntnis durch einen Ausschluss der objektiven Zurechnung unter dem Gesichtspunkt fehlender rechtlicher Verantwortlichkeit für den Erfolg umgesetzt werden.345 Diese Lösung hat auf den ersten Blick in der Tat etwas Verführerisches. So ließe sich für sie der für den Teilbereich der Selbstgefährdungen auch von der Rechtsprechung anerkannte Gedanke der Eigenverantwortlichkeit anführen; „denn mit einem Behandlungsveto schottet der Patient seinen Körper gleichsam ab und verlegt ihn wegen des Zwangsbehandlungsverbots in eine rechtliche Tabusphäre“.346 Gegen einen Ausschluss der objektiven Zurechnung spricht aber zum einen bereits der Wortlaut von § 216 StGB, der einen sinnvollen Anwendungsbereich nur behält, wenn ein „ausdrückliches und ernstliches“ Verlangen nicht zugleich zu einem Zurechnungsausschluss auf Tatbestandsebene führt; zum anderen kann, soll die Unterscheidung zwischen „eigenverantwortlicher Selbstschädigung“ und „Fremdverletzung“ auch künftig plausibel sein, für eine alleinige Verantwortungszuschreibung der freiverantwortliche Wille allein zur Tatbestandserfüllung nicht ausreichen, ist vielmehr ein eigenverantwortlicher Verwirklichungsakt durch das „Opfer“ selbst zu fordern.347 345 Engländer, JZ 2011, 513 (517 f.); ganz ähnlich Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (549 f.); einen Zurechnungsausschluss erwägend auch Gaede, NJW 2010, 2925 (2927); wohl auch Beckmann, ZfL 2009, 107 (109), der sich freilich in Widerspruch zu seinen eigenen Aussagen setzt, wonach die Tat wegen Nothilfe gerechtfertigt sei. Sympathie für diesen Ansatz lassen auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 132 u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 175 erkennen, wobei Letzterer darauf hinweist, dass dieser keine umfassende Lösung bieten könne, weil die Patientenautonomie im Verhältnis zwischen dem Kranken und einem Dritten keine unmittelbare Aussagekraft entfalte. In solchen Fällen führe auch künftig kein Weg an § 34 StGB vorbei; siehe dazu auch Rissingvan Saan, ZIS 2011, 544 (550). Darauf, dass dies wenig überzeugend ist und ein Zurechnungsausschluss nicht von der Person des Abbrechenden abhängen kann, macht hingegen Tröndle, Göppinger-FS (1990), 595 (603 ff.) aufmerksam, der diese Lösung im Zusammenhang mit dem „Ravensburger Fall“ (JZ 1988, 207) bereits vor über zwanzig Jahren vertreten hat. Sie scheitert nach der hier vertretenen Auffassung freilich aus anderen Gründen. 346 Prägnant Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 311. 347 Siehe C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 216; zust. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 311.

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(3) Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass jedenfalls für den technischen Behandlungsabbruch durch Dritte der rechtfertigende Notstand nach wie vor das Mittel der Wahl darstellt. Ob man diese Lösung auch für den behandelnden Arzt und das sonstige behandlungskompetente Klinikpersonal fruchtbar machen sollte, hängt demgegenüber davon ab, wie man der vom 2. Senat propagierten Abkehr von einer normativ-wertenden Betrachtung gegenübersteht.348 Mag gegen eine phänologische Herangehensweise im Prinzip nichts einzuwenden sein, sollte man bedenken, dass die Rechtsprechung bei der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen sonst die Schwerpunkttheorie bemüht, weshalb diese Grenzziehung künftig auch in anderen Zusammenhängen anhand ontologischer Kriterien (etwa dem des Energieeinsatzes) durchzuführen sein wird, will sich der BGH nicht dem Vorwurf der Inkonsequenz ausgesetzt sehen.349 Solange hierfür aber noch keine Anzeichen erkennbar sind, empfiehlt es sich, die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen auch weiterhin anhand normativer Kriterien vorzunehmen und unter der Voraussetzung eines (mutmaßlichen) Behandlungsvetos im ersteren Fall einen Wegfall bereits der Garantenstellung, im letzteren Fall ein Rechtfertigung des technischen Behandlungsabbruchs nach § 34 StGB anzunehmen. b) Patientenverfügung und mutmaßlicher Wille beim entscheidungsunfähigen Patienten Ist der Patient aktuell entscheidungsunfähig, etwa weil er an einer Altersdemenz im fortgeschrittenen Stadium leidet oder im Wachkoma liegt,350 ist für die Frage nach der Zulässigkeit eines Behandlungsverzichts gem. § 1901a Abs. 1, 2 BGB auf den in einer Patientenverfügung niedergelegten, hilfsweise auf seinen mutmaßlichen Willen abzustellen. Mit dieser schlichten Feststellung hat es freilich nicht sein Bewenden, denn beide Rechtsinstitute sind trotz ihrer gesetzlichen Verankerung in § 1901a BGB auch weiterhin mit zahlreichen Problemen behaftet.351 348 Zust. etwa Bosch, JA 2010, 908 (910); Engländer, JZ 2011, 513 (517); Gaede, NJW 2010, 2925 (2926); Hirsch, JR 2011, 37; Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (557); Verrel, NStZ 2010, 671 (672). 349 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 170, der den BGH im Folgenden aber gegen den von Walter, ZIS 2011, 76 (77 f.) erhobenen Vorwurf einer Aufgabe der Unterscheidung von Tun und Unterlassen in Schutz nimmt. Ein solches, mit Blick auf die §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB nicht unproblematisches Ansinnen lasse sich der Urteilsbegründung nicht entnehmen; der 2. Senat habe vielmehr lediglich klarstellen wollen, dass die Strafbarkeitsfrage nicht von der Einordnung des Täterverhaltens als Tun oder Unterlassen abhängen dürfe (a. a. O., Rn. 171); ebenso Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (547) sowie Verrel, NStZ 2011, 671 (674). 350 Eingehend zu den verschiedenen Fallgruppen der Entscheidungsunfähigkeit Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 69 ff.

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aa) Ausgangspunkt: Das Urteil des BGH im „Kemptener Fall“ Bevor es an die Darstellung der beiden Rechtsinstitute geht, ist zunächst jedoch auf das schon mehrfach erwähnte Judikat des BGH im „Kemptener Fall“ 352 aus dem Jahr 1994 einzugehen. Die in dieser Entscheidung entwickelten Leitsätze und Kriterien zur Feststellung des für den Behandlungsabbruch maßgeblichen (mutmaßlichen) Patientenwillens und seiner verfahrensmäßigen Umsetzung haben nicht nur die weitere zivil- und strafrechtliche Rechtsprechung bzw. die Diskussion um Zulässigkeit und Grenzen passiver Sterbehilfe nachhaltig beeinflusst und befruchtet,353 sondern auch in den neuen betreuungsrechtlichen Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB partiellen Niederschlag gefunden. Deren Verständnis setzt daher die Kenntnis der Entscheidungsgründe voraus.354 (1) Kernaussagen Basis der Überlegungen des BGH bildet die Unterscheidung zwischen einer Sterbehilfe im engeren und im weiteren Sinn. Erstere setze voraus, dass das Grundleiden nach ärztlicher Überzeugung irreversibel sei, einen tödlichen Ver351 Diese stellen sich freilich i. d. R. dann nicht, wenn es sich um eine notfallmedizinische Situation handelt, weil hier die Behandlungswünsche des einwilligungsunfähigen Patienten in der gebotenen Eile oftmals nicht eruiert werden können. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 137 macht mit Recht darauf aufmerksam, dass in solchen Fällen die Lebensrettung das oberste Gebot ärztlichen Handelns ist und jedenfalls insoweit der Grundsatz „in dubio pro vita“ zum Tragen kommt. Anders könne sich die Rechtslage allenfalls dann darstellen, wenn das – z. B. in Form einer Patientenverfügung fixierte – Behandlungsveto des Patienten dem Notarzt bekannt ist; siehe dazu auch Kreß, ZRP 2009, 69 (70 f.) mit Blick auf das österreichische Patientenverfügungsgesetz, sowie unten Erster Teil B. II. 3. b) cc) (2). 352 BGHSt 40, 257. Zum Sachverhalt: Betroffen war eine 72-jährige Frau, die nach einem Herz- und Atemstillstand mit anschließender Reanimation in ein irreversibles Wachkoma gefallen war und künstlich ernährt werden musste, deren Tod aber nicht unmittelbar bevorstand. Der gerichtlich als Pfleger bestellte Sohn und der behandelnde Arzt der Patientin beschlossen auf Vorschlag des Letzteren, das Personal des betreuenden Pflegeheims durch schriftliche Anweisung zur Einstellung der künstlichen Ernährung zu veranlassen. Laut Angaben des Sohnes hatte seine Mutter mehrere Jahre zuvor anlässlich einer Fernsehsendung über schwere Pflegefälle den Wunsch geäußert, so niemals enden zu wollen. Eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts lag nicht vor. Zur Tat kam es nicht, da sich das Pflegepersonal der Anweisung widersetzte und das AG Kempten verständigte. Das LG Kempten verurteilte Sohn und Arzt wegen versuchten Totschlags zu Geldstrafen. Der 1. Senat hob diese Entscheidung auf und wies sie zurück. 353 Dies gilt insb. mit Blick auf die „Entdeckung“ der zivilrechtlichen Perspektive der Sterbehilfe; vgl. dazu Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 125 u. Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 28 f., 34 ff. 354 Für eine ausführliche Darstellung der Urteilsgründe siehe Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts (2009), 200 ff.; Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 20 ff.; Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 8 ff.

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lauf angenommen habe und der Tod in kurzer Zeit eintreten werde. Sei dies der Fall, habe der Sterbevorgang bereits eingesetzt und dürfe der Arzt auf lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung verzichten.355 Habe der Sterbevorgang hingegen noch nicht eingesetzt, gehe es um Sterbehilfe im weiteren Sinn. Ein Behandlungsabbruch sei hier zulässig, wenn er dem Willen des Patienten als Ausdruck seiner allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) entspreche. Maßgeblich sei der mutmaßliche Wille des Patienten, an dessen Annahme jedoch erhöhte Anforderungen gestellt werden müssten, um der Gefahr von vornherein entgegenzuwirken, dass Arzt, Angehörige oder Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen das von ihnen als sinnlos, lebensunwert oder unnütz angesehene Dasein des Patienten beenden.356 An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Willens will der 1. Senat strenge Anforderungen stellen. Entscheidend sei der mutmaßliche Wille im Tatzeitpunkt, wie er sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände darstelle. Hierbei gelte es frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken ebenso zu berücksichtigen wie seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen. Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin „,vernünftig‘“ oder „,normal‘“ sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, hätten keine eigenständige Bedeutung; sie könnten lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein.357

355 BGHSt 40, 257 (259 f.). Der 1. Senat knüpft bei dieser Definition also nicht an die Entscheidungsfähigkeit des Patienten, sondern lediglich den Beginn des Sterbevorgangs an. Ein Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen käme nach Einsetzen des Sterbeprozesses folglich auch gegen den ausdrücklichen Willen des entscheidungsfähigen Patienten in Betracht. Tatsächlich finden sich schon seit geraumer Zeit Stimmen, die ein solches Verhalten des Arztes für zulässig erachten, wobei häufig auf das bereits erwähnte Diktum des BGH im „Fall Wittig“ (BGHSt 32, 367) verwiesen wird, wonach es keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gebe; siehe exemplarisch Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (96 f.), dem zufolge eine Verlängerung der Agonie für den Patienten auch keinen Sinn mehr haben kann. Vorliegend erscheint es gleichwohl sachgerecht, diese Frage erst im Kontext der passiven Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten zu erörtern; denn wie noch gezeigt wird, liegt der Schlüssel zur Bewältigung dieser Problematik in § 1901b BGB, der das Kriterium der medizinischen Indikation im Gesetz verankert und dem Patientenwillen vorschaltet; näher dazu unten Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (a). 356 BGHSt 40, 257 (260 ff.). 357 BGHSt 40, 257 (263).

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Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung keine konkreten Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken finden, kann und muss nach Auffassung des BGH auf Kriterien zurückgegriffen werden, die „allgemeinen Wertvorstellungen“ entsprechen. Dabei sei jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel habe der Schutz des menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, der Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person. Im Einzelfall werde die Entscheidung naturgemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: Je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten sei und je kürzer der Tod bevorstehe, umso eher werde ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen.358 Um oben genannte Grundsätze verfahrensmäßig abzustützen, weist der 1. Senat die Ermittlung des mutmaßlichen Willens einem (je nach Sachlage eventuell noch zu bestellenden) Betreuer mit dem Aufgabenkreis der ärztlichen Behandlung zu. Dessen Zustimmung zum Behandlungsabbruch sei jedoch analog § 1904 BGB (a. F.) nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts wirksam.359 Gleichwohl kann für den BGH eine Rechtfertigung der Tat nach Maßgabe des mutmaßlichen Willens auch dann in Betracht kommen, wenn das betreuungsrechtliche Verfahren nicht eingehalten wurde.360 (2) Rezeption Die „Kemptener Entscheidung“ des BGH hat in der Folge zwar auch verhaltene Zustimmung erfahren. So wurde der Umstand, dass der 1. Senat den (mutmaßlichen) Willen des Kranken als Dreh- und Angelpunkt der strafrechtlichen Bewertung heranzieht, als entscheidende Stärkung der verfassungsrechtlich garantierten Patientenautonomie begrüßt.361 Beifall erhielt auch die Vorgabe, wonach in Zweifelsfällen der Grundsatz „in dubio pro vita“ zum Tragen komme 358

BGHSt 40, 257 (263). BGHSt 40, 257 (261 f.). Nach § 1904 BGB a. F. bedurfte der Betreuer zur Wirksamkeit seiner Einwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Indes war die Vorschrift auf den tödlich verlaufenden Behandlungsabbruch nicht direkt anwendbar, da sie sich ihrem Wortlaut nach nur auf aktive ärztliche Maßnahmen wie Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe bezog. 360 Der BGH prüft nacheinander und ohne ein Konkurrenzverhältnis zu thematisieren zunächst eine mutmaßliche und anschließend eine stellvertretende Einwilligung durch den Betreuer; siehe BGHSt 40, 257 (261 f.); dazu auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 324. 361 Etwa Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 327; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 20a; Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich, 113; Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (548); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 130; Schöch, NStZ 1995, 153 (155); Verrel, JZ 1996, 224 (227, 230 f.). 359

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und eine Weiterbehandlung geboten sei.362 Abgesehen davon ist das Judikat des 1. Senats aber in mehrfacher Hinsicht kritisiert worden: Vereinzelte Stimmen machen auf die (vermeintliche) Begrenztheit des selbstbestimmungszentrierten Ansatzes aufmerksam: Habe der Patient bei (noch) klarem Bewusstsein den Wunsch nach Lebenserhaltung für den Eintritt irreversibler Bewusstlosigkeit formuliert, so sei für einen Behandlungsabbruch kein Raum und könne dieser auch nicht mit der Sinn- und Nutzlosigkeit einer rein biologischen Existenz für den Betroffenen bzw. dem situativen Fehlen einer medizinischen Indikation zur Weiterbehandlung begründet werden.363 Ein derartiges Vorgehen würde vielmehr einen sich vom Selbstbestimmungsrecht entfernenden Paradigmenwechsel voraussetzen, der aber mit dem verfügbaren Strafrechtsinstrumentarium nicht zu bewerkstelligen sei.364 Ohne auf dieses Monitum inhaltlich näher einzugehen, sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, dass der Gesetzgeber nach der hier vertretenen Auffassung diese auch unter dem Begriff des „,übermäßigen‘ Lebensverlängerungsanspruchs“ 365 erörterte Problematik mit der Verabschiedung des 3. BtÄndG entschärft haben dürfte.366 Andere Autoren wenden sich speziell gegen die Straffreistellung des Behandlungsabbruchs mithilfe der Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung: Mitunter werden bereits die Voraussetzungen dieser Rechtsfigur verneint. Als Begründung wird angeführt, beim apallischen Patienten, der Schmerzempfinden und Kommunikationsfähigkeit verloren habe, fehle der hierfür erforderliche „in362 Bernat, Deutsch-FS (1999), 443 (459); Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 235 mit Fn. 1266; Schöch, NStZ 1995, 153 (155); vgl. auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 122: Dies verdiene Zustimmung jedenfalls als Appell, nicht vorschnell aus der „,Sinnlosigkeit‘“ weiterer lebenserhaltender Maßnahmen auf den mutmaßlichen Patientenwillen zu deren Beendigung zu schließen. 363 So aber Ankermann, MedR 1999, 387 (389); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 16, 20a; Kühl, Jura 2009, 881 (885); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 91, 124; ausführlich Möller, Die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen (2010), 103 ff.; vgl. auch – allerdings nur für den Sterbevorgang – Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 333 f. 364 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 130; vgl. auch Otto, Jura 1999, 434 (439); Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 25. Nach Schneider, ebd. stößt auch die Lösung über § 34 StGB an ihre Grenzen, weil man im Rahmen der Notstandsabwägung den ermittelbaren Einstellungen des Kranken letztlich ausschlaggebendes Gewicht beimessen müsse. Dies muss auch Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (574 f.) als ein prominenter Verfechter der Notstandslösung zugestehen; wie Schneider mahnt auch er ein Tätigwerden des Gesetzgebers an, um künftig der (finanziellen) Ressourcenknappheit des Gesundheitssystems Rechnung tragen zu können. Das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung betont auch Möller, Die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen (2010), 134 f., die ihren indikationsbasierten Ansatz denn auch nur als Provisorium begreift. 365 So Eser, in: ders. (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem (1976), 392. 366 Näher dazu unten Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (a).

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terne Interessenkonflikt“; auch lasse sich in den Sterbehilfefällen – im Gegensatz etwa zu einer Operationserweiterung – der tatsächliche Patientenwille später niemals als Korrektiv ermitteln.367 Dem wird entgegengehalten, dass Letzteres ja auch keine Voraussetzung der mutmaßlichen Einwilligung sei und bezüglich des „internen Interessenkonflikts“ von einem zu engen, an § 34 StGB orientierten Interessenbegriff ausgegangen werde. Denn auch bei Apallikern bestehe ein Konflikt zwischen Lebenserhaltung und dem mit der technischen Lebensverlängerung verbundenen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sowie der potenziellen Entscheidungsfreiheit, die etwa durch eine Patientenverfügung konkretisiert sein könne. Dieser Konflikt sei nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten zu entscheiden.368 Vereinzelt wird dem BGH auch vorgeworfen, mit dem Abstellen auf die mutmaßliche Einwilligung die maßgeblichen Wertungen zu verschleiern. Tatsächlich gehe es regelmäßig um eine Abwägung. Denn eine adäquate Lösung müsse den im Fall eines vollständig und irreversibel willensunfähigen Patienten typischerweise auftretenden Konflikt zwischen vergangenen subjektiven Präferenzen und gegenwärtigen bzw. zukünftigen (von diesen Präferenzen unabhängigen) Interessen abbilden; sie dürfe ihn nicht zugunsten des (vollständig und definitiv) Vergangenen umgehen. Wenngleich es einen für diese Abwägung speziell zuständigen gesetzlichen oder dogmatischen Rahmen (noch) nicht gebe, so entspreche doch ihren normativen Erfordernissen weitgehend der des rechtfertigenden Notstands.369 Wiederum Andere machen auf die Vermengung zweier methodisch völlig unterschiedlicher Abbruchkonstellationen unter dem Oberbegriff „mutmaßliche 367

Lilie, Steffen-FS (1995), 273 (279 ff., 284); vgl. zu erstgenanntem Argument auch Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (565), der für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung nach deren Ratio entweder die vermutliche Zustimmung des derzeit einwilligungsfähigen, aber verhinderten Zuständigen oder, falls dieser einwilligungsunfähig sein sollte, die zumindest prinzipielle Möglichkeit seiner künftigen Wahrnehmung und Billigung der getroffenen Entscheidung fordert. 368 Schöch, Hirsch-FS (1999), 693 (702) m.w. N.; ähnlich krit. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 119 und – ihm folgend – Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich, 111, wobei Ersterer zusätzlich darauf aufmerksam macht, dass andere Lösungsansätze, wie etwa das Abstellen auf die normative Unzumutbarkeit (so Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 29), die fehlende Rechtspflicht zu weiterer Lebenserhaltung (so Hirsch, Lackner-FS [1987], 597 [602 f.]) oder die Parallele zur rechtfertigenden Pflichtenkollision (so Stratenwerth, Schreiber-FS [2003], 893 [900]) ohne einen Rückgriff auf den Gesichtspunkt des Patienteninteresses ebenfalls nicht auskämen; vgl. auch Lilie, Steffen-FS (1995), 273 (279 ff., 283). 369 Siehe Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (568 ff.), dort auch mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 34 StGB bei intrapersonalen Interessenkollisionen und die Defizite der diese Abwägung ausblendenden verschiedenen Tatbestandslösungen; zust. Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 112 ff.; krit. Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts (2009), 208 ff.

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Einwilligung“ aufmerksam: So gehe es einerseits um die Ermittlung des individuellen Willens anhand konkret nachweisbarer subjektiver Präferenzen des Patienten; andererseits stehe, sofern solche nicht ersichtlich seien, die Feststellung eines „normativ hypothetischen Patientenwillens nach Maßgabe objektiv allgemeiner Vernunfterwägungen“ in Rede.370 Während nun einige Autoren letztgenannte Konstellation mit Blick auf die strukturellen Parallelen zur notstandstypischen Interessenabwägung dem Regelungsregime des § 34 StGB unterstellen wollen,371 plädieren andere dafür, auch in solchen Fällen auf die mutmaßliche Einwilligung zu rekurrieren, da ein solches Vorgehen „den Bezug zu dem hier zentralen Gesichtspunkt der Autonomie“ wahre.372 Freilich kommt es auf die Einordnung unter den einen oder anderen Rechtfertigungsgrund im Ergebnis nicht an.373 Vielmehr ist entscheidend, ob man nach Maßgabe allgemeiner Wertvorstellungen einen Behandlungsabbruch prinzipiell für statthaft hält. Dass überhaupt auf allgemeine Wertvorstellungen rekurriert wird, kann dabei jedenfalls nur schwerlich beanstandet werden. Gleichwohl sah sich gerade dieses Kriterium heftiger Kritik ausgesetzt,374 wonach ein Abstellen

370 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 132; vgl. auch Otto, Jura 1999, 434 (435 f., 438 f.); ders., BT, § 6 Rn. 29 ff., der aber nur in der letztgenannten Konstellation, die er inhaltlich mithilfe der Kriterien des § 34 StGB beurteilen will, von mutmaßlicher Einwilligung spricht. Die Fälle, in denen Anhaltspunkte für einen Willen des Betroffenen vorliegen, schlägt er dem Institut der (rechtfertigenden) Einwilligung zu und spricht hier von „gemutmaßter Einwilligung“; vgl. auch Verrel, JZ 1996, 224 (228); weiterführend Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 99 ff. 371 Ingelfinger, JZ 2006, 821 (826); ders., Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 300 ff., 314 f.; Otto, Jura 1999, 434 (435 f.); Rönnau, JA 1996, 108 (111). Auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 132 mit Fn. 489 u. Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 25 räumen ein, dass die Lösung solcher Konstellationen über § 34 StGB i. E. „methodenehrlicher“ sei, weil sie den Vorgang der Ergebnisfindung transparent mache und die Unterschiede zwischen den beiden vorgenannten Fallgruppen verdeutliche. 372 So in erster Linie Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 120; ders., in: NK, § 34 Rn. 33 i.V. m. Rn. 15; ebenso Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 84 ff., 93; vgl. auch Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 91 ff.; krit. Vogel, MDR 1995, 337 (338), dem zufolge die Substitution eines „verständigen“ oder „vernünftigen“ Patienten als Maßfigur den dogmatischen Rahmen der Einwilligung „sprengt“. 373 So mit Recht Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 132; Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 25. 374 Mitunter allerdings auch die anderen vom BGH genannten Parameter; siehe etwa Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 99 f., der zum einen das Abstellen auf mündliche Äußerungen für problematisch hält, da diese regelmäßig unverbindlich getätigt würden, daher auch bei einem Meinungsumschwung nur schlecht „offiziell“ korrigieren ließen und von dem sich erinnernden Zeugen zudem inkorrekt wiedergegeben werden könnten; zum anderen dürften wegen der Möglichkeit eines Missbrauchs oder einer Fehlinterpretation auch religiöse oder sonstige Überzeugungen des Patienten nicht herangezogen werden.

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auf überindividuelle Wertvorstellungen mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des Lebensschutzes unvereinbar sei und die Wertvorstellungen des BGH auch von keiner Mehrheit in der Gesellschaft geteilt würden.375 Dem wird jedoch mit Recht entgegengehalten, dass es nur schwerlich einzusehen ist, wieso das im Betreuungsrecht ohnehin verankerte Wohlprinzip (vgl. § 1901 Abs. 2 BGB) im Bereich der Sterbehilfe nichts soll beitragen können, wenn das vorrangige Willensprinzip an seine Grenzen stößt.376 Der Sache nach handelt es sich dabei nämlich um nichts anderes, als um den Rekurs auf allgemeine Wertvorstellungen.377 Hinzu kommt, dass sich die Kritiker dieses Entscheidungsparameters auch Inkonsequenz vorwerfen lassen müssen, wenn sie im Fall einer unergiebigen Ermittlung des individuellen Patientenwillens eine Pflicht und ein Recht zur (Weiter-) Behandlung annehmen, weil insoweit das „Gesetz des Lebens, dass jedes Leben weiterleben will“ bzw. der Grundsatz „in dubio pro vita“ greife.378 Im Schrifttum wird zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich letztlich auch bei diesem Postulat um eine auf überindividuellen Kriterien beruhende, zumal nur schwerlich zu begründende Behauptung handelt, weil nicht nur die stetig wachsende Zahl entsprechender Patientenverfügungen, sondern auch die von behördlicher Seite angebotenen Anleitungen für deren Errichtung auf andere Einstellungen in der Gesellschaft schließen lassen.379 Mit anderen Worten: Von einem sozialen Konsens, 375 Dörner, ZRP 1996, 93 (95 f.); Ingelfinger, JZ 2006, 821 (826); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 20b f.; Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 203; Nickel, MedR 1998, 520 (522); Opderbecke/ Weißauer, MedR 1998, 395 (397); Schreiber, Hanack-FS (1999), 735 (742); Seitz, ZRP 1998, 417 (421); Weißauer/Opderbecke, MedR 456 (460); vgl. auch Hahne, FamRZ 2003, 1619 (1621), die zwar einerseits auf das Fehlen allgemeingültiger abstrakter Wertvorstellungen in diesem Grenzbereich aufmerksam macht, dem Patienten aber andererseits ein „Recht auf einen würdigen Tod“ zugestehen möchte, das sie aus der Menschenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht ableitet. 376 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 133; vgl. zum Wohlprinzip auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 293 ff., 314 f., 316 f. 377 Anders sieht dies freilich der BGH, wenn er im „Lübecker Fall“ (BGHZ 154, 205 [218 f.]) einerseits auf das Fehlen allgemeiner Wertmaßstäbe aufmerksam macht, andererseits als Richtschnur jedoch auf das verobjektivierte Wohl des Patienten abstellen möchte. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 300 macht mit Recht darauf aufmerksam, dass das, was gemeinhin für normal und vernünftig gehalten wird, gerade die dem objektiven Wohl entsprechende Entscheidung ist. 378 Duttge, GA 2006, 573 (583); Höfling, JuS 2000, 111 (117); diff. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 316 f., der diesen Grundsatz „in der strengen Form“ nur dann gelten lassen will, wenn die Weiterbehandlung kein zusätzliches Leid schafft, was v. a. bei irreversibel bewusstlosen Patienten der Fall sei. Auch der BGH plädiert im „Lübecker Fall“ (BGHZ 154, 205 [219]) für ein Verständnis des Wohls, das einerseits eine ärztlich für sinnvoll erachtete lebenserhaltende Behandlung gebiete, andererseits aber nicht jede medizinisch-technisch mögliche Maßnahme verlange. 379 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 133 im Anschluss an Verrel, Jakobs-FS (2007), 715 (724), der dem Grundsatz „in dubio pro vita“ allerdings einen schmalen

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dass man auch im Fall eines unwiederbringlichen Bewusstseinsverlusts um jeden Preis am Leben erhalten werden möchte, kann keine Rede sein.380 Dieser Befund wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass es nach dem oben Gesagten die (Weiter-)Behandlung des Patienten und nicht ihr Unterlassen ist, die gesonderter Legitimation bedarf. Damit ist zugleich ein weiterer, letztlich auch durchschlagender Einwand angesprochen. Soweit der BGH den mutmaßlichen Willen des entscheidungsunfähigen Patienten zum Behandlungsabbruch erforschen möchte und dabei „strenge Anforderungen“ an die Feststellung eines Wunsches zum Therapieverzicht stellt,381 wählt er einen falschen Ansatzpunkt: Strafrechtsdogmatisch wäre zu erörtern gewesen, ob eine mutmaßliche Einwilligung in die (Weiter-)Behandlung vorlag; denn auf dem Boden der Patientenautonomie ist es diese, die einer gesonderten Legitimation bedarf.382 Zwar gibt es im Schrifttum vereinzelt auch Stimmen, denen zufolge die Frage nach einem Recht auf Abbruch derjenigen nach einem Recht auf (Weiter-)Behandlung vorgeht, weil das Leben ein gewichtigeres Rechtsgut als die körperliche Unversehrtheit sei.383 Doch ist dem mit Ingelfinger entgegenzuhalten, dass dabei verkannt wird, dass es hier nicht um einen Gütervorrang geht, sondern darum, welches Verhalten in erster Linie einer Legitimation bedarf. Das aber ist stets der Eingriff in die Freiheitssphäre eines Anderen und nicht seine Unterlassung.384 Dies kann auch beim Apalliker nicht anders sein. Mit dem Verlust der Einwilligungsfähigkeit hat der Patient sein „Recht auf Nichtbeeinflussung“, das für jedes freiheitliche Staatswesen kennzeichnend ist,385 nicht verwirkt. Wie Merkel überzeugend dargelegt hat, ist die Beantwortung der Frage nach einer mutmaßlichen Einwilligung in die (Weiter-)Behandlung auch nicht etwa Anwendungsbereich für die Fälle eines „non liquet“ belassen will; ebenso Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 123; ähnlich Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 129 mit Fn. 656, 151 f., der den Grundsatz aber als (Willensermittlungs-)Regel innerhalb der mutmaßlichen Einwilligung begreift. 380 Siehe dazu ausführlich Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 190 ff. 381 BGHSt 40, 257. 382 Grundlegend Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (559 ff.); ebenso Deichmann, MDR 1995, 983; Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat (1998), 87 f.; Höfling, JuS 2000, 111 (116); Popp, ZStW 118 (2006), 639 (642); Scheffler, in: Joerden (Hrsg.), Der Mensch und seine Behandlung in der Medizin (1999), 249 (269); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 134; Schöch, Hirsch-FS (1999), 693 (703); Verrel, Jakobs-FS (2007), 715 (721). 383 So etwa Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 80 f. u. – ihm folgend – Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 102 f. 384 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 291 mit Fn. 267. 385 Siehe dazu bereits oben Erster Teil B. II. 3. a) bb).

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deshalb obsolet, weil sie bloß als denknotwendige Kehrseite der analogen Frage zum Behandlungsabbruch aufzufassen ist. Denn in den „non liquet“-Fällen verhalten sich, so Merkel, die Wahrscheinlichkeiten für den jeweiligen Patientenwillen antiproportional: Fehlen belastbare Anhaltspunkte für einen mutmaßlichen Abbruchwillen, dann ist bei Strafe des § 212 StGB Weiterbehandlung geboten; fehlen sie für einen mutmaßlichen Willen zur Weiterbehandlung, dann ist bei Strafe des § 223 StGB deren Abbruch geboten. Je mehr also an Sicherheit für die mutmaßliche Einwilligung in eine der beiden Alternativen postuliert wird, desto sicherer ist eine Strafbarkeit nach der anderen.386 Merkel ist auch darin beizupflichten, dass dieses Problem nicht mit der Präferenzregel „in dubio pro vita“ gelöst werden kann, weil der Arzt unter Zugrundelegung des selbstbestimmungszentrierten BGH-Ansatzes vorrangig das vom Patienten (mutmaßlich) Gewollte umzusetzen hat und beim Fehlen konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass die statistische Wahrscheinlichkeit eines Patientenwillens gegen die Weiterbehandlung überwiegt.387 Der Hinweis des 1. Senats, es müsse der Gefahr „von vornherein entgegengewirkt werden“, dass „Arzt, Angehörige oder Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen“ entscheiden,388 gilt daher, so Merkel treffend, erst recht für die Frage einer invasiven Weiterbehandlung: „Ist die Patientenautonomie entscheidendes Kriterium, dann darf die Frage der mutmaßlichen Einwilligung nicht nur mit Blick auf eine der beiden Alternativen gestellt und zugleich die Antwort an ,strenge Anforderungen‘, also eine hohe Wahrscheinlichkeit des entsprechenden Patientenwillens gebunden werden; vielmehr muss dann genügen, dass die eine Alternative schlicht – und wäre es nur geringfügig – wahrscheinlicher ist als die andere.“ 389 386

Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (559 f.). Siehe Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (560), der diese Behauptung an anderer Stelle (559 mit Fn. 39) auch mit aussagekräftigen Nachweisen aus der medizinischen Fachliteratur belegt. In concreto werden die US-amerikanischen Studien von Angell, NEJM 330 (1994), 1524; Blendon u. a., JAMA 267 (1992), 2658; Danis u. a., NEJM 324 (1991), 882, insb. 884; Emanuel u. a., NEJM 324 (1991), 889 u. Miles, NEJM 325 (1991), 512 (513) angeführt. 388 BGHSt 40, 257 (260 f.). 389 Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (560), Hervorhebung dort. Bei korrekter Weichenstellung kann es dann aber auch keinen Konflikt mit § 216 StGB geben. Soweit dem BGH vereinzelt vorgeworfen wird, er habe die für seine Konstruktion zentrale Vorfrage nicht erörtert, ob eine (mutmaßliche) Einwilligung angesichts der Existenz des dispositionsbeschränkenden § 216 StGB überhaupt möglich war (so Rönnau, JA 1996, 108 [111] im Anschluss an Vogel, MDR 1995, 337 [338 mit Fn. 15]; ebenso Tolmein, KJ 1996, 510 [516]), hätte dies, wenn überhaupt, nur Gewicht, wenn es in den Fällen des Behandlungsabbruchs tatsächlich um eine mutmaßliche Einwilligung in eine Tötung (durch Unterlassen) ginge. Nach richtiger Auffassung ist der auf einen Behandlungsabbruch gerichtete Wille des Patienten aus strafrechtsdogmatischer Perspektive aber als (mutmaßliche) Nichterteilung bzw. (mutmaßlicher) Widerruf einer Einwilligung in die (Weiter-)Behandlung aufzufassen; siehe Bernsmann, ZRP 1996, 87 (89 mit Fn. 35); 387

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

Kontrovers diskutiert wurde schließlich auch die vom BGH in Analogie zu § 1904 BGB (a. F.) postulierte Genehmigungsbedürftigkeit der Einwilligung des Betreuers in den Behandlungsabbruch, die in nachfolgenden zivilgerichtlichen Entscheidungen und im Schrifttum teils bejaht,390 teils verneint wurde.391 Der XII. Zivilsenat des BGH hat 2003 in seiner schon mehrfach erwähnten Grundsatzentscheidung im „Lübecker Fall“ 392 zu diesem Streit Stellung genommen und festgestellt, dass bei einem einwilligungsunfähigen Patienten, dessen Grundleiden einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat, lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen zu unterbleiben haben, wenn dies seinem zuvor erklärten oder subsidiär mutmaßlichen Willen entspricht. Der für den Patienten bestellte Betreuer habe dem Patientenwillen gegenüber dem Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine von ärztlicher Seite angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahme könne der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern, dessen Entscheidungszuständigkeit allerdings nicht aus einer analogen Anwendung von § 1904 BGB, sondern aus einem „unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts“ folge.393 Dieses Urteil hat in der Literatur aus mehreren Gründen viel Kritik erfahren;394 indes kann auf eine genaue Darstellung der Argumente für und wider Genehmigungsbedürftig-

Deichmann, MDR 1995, 983; ausführlich Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 294 ff. Korrekterweise müsste demnach von beendeter Garantenstellung aufgrund tatsächlichen oder mutmaßlichen Fehlens der Einwilligung in eine weitere – dann als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung zu wertende – ärztliche Behandlung gesprochen werden; siehe Deichmann, MDR 1995, 983. 390 OLG Frankfurt NJW 1998, 2747, bestätigt durch Entscheidung v. 20.11.2001, NJW 2002, 689; OLG Karlsruhe NJW 2002, 685; LG Duisburg NJW 1999, 2744; ferner Frister, JR 1999, 73 (74); Gründel, NJW 1999, 3391 (3392); Helgerth, JR 1995, 338 (340); Knieper, NJW 1998, 2720 f.; Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 121 ff.; Saliger, KritV 1998, 118 (122 ff.); ders., JuS 1999, 16 (18 f.); Schöch, NStZ 1995, 153 (156); Verrel, JZ 1996, 224 (229); ders., KritV 2001, 440 (444 ff.); Zöller, ZRP 1999, 317 (318); vgl. auch Anderheiden, ARSPBeiheft 75 (2000), 149 (172), der die Analogie aber nur als Übergangsregelung für akzeptabel hält. 391 AG Hanau BtPrax 1997, 82; LG München NJW 1999, 1788; LG Augsburg NJW 2000, 2363; ferner Alberts, NJW 1999, 835 f.; Deichmann, MDR 1995, 983 (984 f.); Diederichsen, Schreiber-FS (2003), 635 (640 mit Fn. 33); Dodegge, NJW 1999, 2709 (2714); ders., NJW 2000, 2704 (2710); Kutzer, MedR 2001, 77 (78 f.) in Abkehr von seiner gegenteiligen Auffassung in NStZ 1994, 110 (114); Laufs, NJW 1998, 3399 (3400); Nickel, MedR 1998, 520 f.; Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 112 ff. 392 BGHZ 154, 205. 393 BGHZ 154, 205 f. 394 Siehe z. B. Hufen, ZRP 2003, 248; Kutzer, ZRP 2003, 209 (212); ders. im Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 2003, 213; Spickhoff, JZ 2003, 739 ff.; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710; Verrel, NStZ 2003, 449. Vorsichtige Zustimmung signalisieren aber Deutsch, NJW 2003, 1567 u. Saliger, MedR 2004, 237.

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keit verzichtet werden, da der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des 3. BtÄndG § 1904 BGB in dieser Hinsicht eindeutig (neu-)gefasst hat. bb) Die Patientenverfügung Die Patientenverfügung gibt dem entscheidungsfähigen Patienten die Möglichkeit – nicht anders als das Testament in Vermögenshinsicht –, sein Selbstbestimmungsrecht für den medizinischen Bereich nicht nur aktuell, sondern vorausschauend und planend durch eine zukunftswirksame Verfügung auszuüben.395 Der Begriff „Patientenverfügung“ bezeichnet dabei einerseits die Urkunde an sich, andererseits aber auch die in ihr fixierten Festlegungen.396 Wenngleich es in der weit überwiegenden Zahl der Fälle um negative Behandlungswünsche, d. h. die Unterlassung oder Begrenzung bestimmter medizinischer Maßnahmen gehen wird,397 kann Gegenstand einer Patientenverfügung – wie sich jetzt auch aus dem Wortlaut von § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt – ebenso die Durchführung bestimmter Behandlungen sein.398 Der Weg zur rechtlichen Etablierung dieses Rechtsinstituts war lang und steinig.399 Auf eine ausführlichere Darstellung wird an dieser Stelle verzichtet; es sei lediglich darauf hingewiesen, dass lange Zeit umstritten war, ob und unter welchen Voraussetzungen solche Willensbekundungen verbindlich sind. Der BGH in 395 Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 2; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 138; siehe auch BT-Drs. 16/8442, 12. Auf die Parallelität zum Testament dürfte auch die früher geläufige Rede vom „Patiententestament“ zurückzuführen sein; siehe z. B. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 279; Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 79; Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2301); krit. zu diesem Begriff Heyers, Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht (2001), 106 mit Fn. 52 (dort auch mit einer Aufzählung der mitunter verwendeten Alternativbegriffe); Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 130; Verrel, MedR 1999, 547. 396 Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 3. 397 Siehe Heyers, Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht (2001), 106 f. (der allerdings zu weit geht, wenn er die Patientenverfügung deshalb als „Sonderfall der Behandlungsanweisung zu passiver Sterbehilfe“ bezeichnet); Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 79; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 138; Sternberg-Lieben, Lenckner-FS (1998), 349 (350). 398 Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (14); vgl. auch Olzen, JR 2009, 354 (357), der insoweit treffend von „,positiven‘ Verfügungen“ spricht. 399 Siehe zum Folgenden Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 113. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Patientenverfügungsgesetzes A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 10 ff.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 140 ff.; Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (15 ff.).

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Strafsachen und die zunächst herrschende Ansicht in der Strafrechtslehre erblickten in einer Patientenverfügung lediglich ein mehr oder minder starkes Indiz für den mutmaßlichen Willen,400 wohingegen die in der medizin- und zivilrechtlichen Literatur zuvor schon und in der Strafrechtswissenschaft zuletzt dominierende Auffassung401 im Einklang mit der Bundesärztekammer402 von ihrer grundsätzlichen Rechtsverbindlichkeit ausging. Nachdem diese im „Lübecker Fall“ 403 auch vom BGH in Zivilsachen anerkannt worden war und sich nachfolgende Gesetzentwürfe, Kommissionsberichte, Memoranden und Stellungnahmen ebenfalls – freilich mit zum Teil erheblichen Unterschieden im Einzelnen – dafür aussprachen,404 wurde sie nach einem vielschichtigen Gesetzgebungsverfahren mit der Verabschiedung des 3. BtÄndG schließlich geltendes Recht.405 Im Folgenden sollen zunächst die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Patientenverfügung dargestellt werden; anschließend wird auf das Verfahren zu ihrer Umsetzung einzugehen sein. Klarstellend sei angemerkt, dass in dem hier erörterten Kontext passiver Sterbehilfe nur die in einer Patientenverfügung festgelegte Untersagung lebensrettender bzw. lebenserhaltender medizinischer Eingriffe interessiert. (1) Wirksamkeitsvoraussetzungen Gemäß der Legaldefinition in § 1901a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB handelt es sich bei einer Patientenverfügung um die schriftlich für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit getroffene Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevor400 BGHSt 40, 257 (263); Dölling, MedR 1987, 6 (9); Hirsch, Lackner-FS (1987), 597 (604); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 13; Kutzer, MDR 1985, 710 (715); Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 93 f.; Schöch, Hirsch-FS (1999), 693 (706 f.). 401 Siehe z. B. Berger, JZ 2000, 797 (800 f.); Hartmann, NStZ 2000, 113 ff.; Hiersche, MedR 1987, 83 (84); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 316; ders., JZ 2006, 821 (827); Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 135 ff., 167; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 64 ff.; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734; ders., Lenckner-FS (1998), 349 (355 ff.); Taupitz/Weber-Hassemer, Laufs-FS (2006), 1107; aus verfassungsrechtlicher Sicht Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 316 ff. Auch der 66. DJT sprach sich grds. für eine Anerkennung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen aus; siehe den Tagungsbericht von Kaspar, JZ 2007, 235 (236). 402 Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 101 (2004), A-1298 (A-1299). 403 BGHZ 154, 205. 404 Vgl. die Aufzählung bei Neumann, in: NK, 3. Aufl., Vor § 211 Rn. 109. 405 Zum Gesetzgebungsverfahren und den einzelnen Entwürfen Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 208 ff.; Olzen, JR 2009, 354 (355 ff.); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (102 ff.).

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stehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Liegt eine solche Festlegung vor, dann ist zu prüfen, ob sie auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Verfügenden zutrifft (§ 1901a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB). (a) Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit des Verfügenden Das Merkmal der Einwilligungsfähigkeit war dem BGB bis zum Inkrafttreten des 3. BtÄndG fremd.406 Eine Legaldefinition dieses Begriffs fehlt nach wie vor. Laut Gesetzesbegründung ist einwilligungsfähig, wer über die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verfügt, Art, Bedeutung, Tragweite und die Risiken der Maßnahme zu erfassen und seinen Willen hiernach zu richten.407 Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal wird für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung zusätzlich das Fehlen von Willensmängeln (Täuschung, Drohung, Gewalt) beim Verfasser zu verlangen sein.408 Dieser Schutz vor Beeinflussung wird durch § 1901a Abs. 4 BGB weiter ausgebaut, der es untersagt, jemanden zur Errichtung einer Patientenverfügung zu verpflichten bzw. die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung zur Bedingung eines Vertragsschlusses zu machen.409 Legt diese Vorschrift nur die Folgen für die Verpflichtung zur Errichtung einer Patientenverfügung, d. h. des entsprechenden Verpflichtungsgeschäfts bzw. einer entsprechenden Vertragsbedingung, fest, bleiben die Konsequenzen für die Patientenverfügung selbst unklar.410 Während teilweise die Auffassung vertreten wird, eine unter solchen Umständen errichtete Patientenverfügung sei „im Zweifel“ unbeachtlich,411 wollen andere darauf abstellen, ob dem „Rechts406

Vgl. auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 155. BT-Drs. 16/8442, 12 f.; vgl. auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1950), dem zufolge es sich bei einer Patientenverfügung deshalb auch nicht um eine Willenserklärung im rechtstechnischen Sinne, sondern um eine Sonderform der Einwilligung handelt; a. A. – allerdings noch vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Heyers, Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht (2001), 107: rechtsgeschäftliche Willenserklärung. 408 Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (29) m.w. N. 409 Dieses sog. Koppelungsverbot wird primär beim Abschluss von Heim- und Versicherungsverträgen relevant; siehe dazu – jeweils unter Hinweis auf BT-Drs. 16/13314, 20 – A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 147 ff.; Olzen, JR 2009, 354 (358) u. Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1954). 410 Siehe Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1955). Nur von untergeordneter Bedeutung ist, welche Auswirkungen die gesetzlich angeordnete Nichtigkeit einer derartigen Verpflichtung bzw. Bedingung auf den Vertrag selbst hat: Während etwa A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 147, 149 u. Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1954) in solchen Fällen gleichwohl von seiner Wirksamkeit ausgehen, moniert Olzen, JR 2009, 354 (358), dass die Rechtsfolgen im Hinblick auf den unpräzisen Wortlaut von § 1901a Abs. 4 BGB unklar blieben. 411 Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1955). 407

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

schein einer wirksamen Verfügung“ zu trauen ist.412 Letzteres erscheint vorzugswürdig; denn die Tatsache, dass jemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet oder diese zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht wird, geht nicht zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung seiner Autonomie bei der inhaltlichen Festlegung einher. Hinsichtlich der Feststellung von Einwilligungsfähigkeit und Willensmängelfreiheit gilt, dass von der Wirksamkeit der Patientenverfügung auszugehen ist, sofern keine Indizien für Mängel bei der Willensbildung und -äußerung vorliegen.413 Das Merkmal der Volljährigkeit knüpft dagegen an die Legaldefinition im BGB an: Volljährig ist gem. § 2 jeder, der das 18. Lebensjahr vollendet hat.414 (b) Schriftform Neben der Volljährigkeit ist auch die Schriftform im BGB legaldefiniert: Sie setzt nach § 126 Abs. 1 voraus, dass der Aussteller die Urkunde durch Namensunterschrift eigenhändig unterzeichnet; 415 alternativ kann auch eine Beurkundung durch den Notar gewählt werden (§ 126 Abs. 4 BGB). Obschon § 1901a BGB zu dieser Frage keine Angaben macht, ergibt sich aus dem Gesamtkontext, dass eine Vertretung bei der Errichtung einer Patientenverfügung nicht möglich

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A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 148. Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (30); vgl. auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 155, denen zufolge es im Zweifelsfall allerdings ratsam sein kann, die Einwilligungsfähigkeit durch einen Dritten bzw. den Notar feststellen zu lassen. 414 Kritisch zum Erfordernis der Volljährigkeit A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 153, die es für nicht erkennbar halten, wieso etwa ein geistig umnachteter Volljähriger, der nicht geschäfts-, wohl aber einsichtsfähig ist, eine Patientenverfügung verfassen können soll, nicht aber ein 16-jähriger Leukämiekranker, der um die fehlenden Heilungsaussichten weiß und keine Chemotherapie mehr zulassen will; ähnlich Müller, DNotZ 169 (182); dies., in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901a Rn. 7, die das Volljährigkeitserfordernis mit Blick auf die Patientenautonomie und den Gleichheitssatz für verfassungsrechtlich problematisch hält. Dagegen ist nach Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (29), der das Volljährigkeitserfordernis auf die Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht zurückführt, die Antizipationsfähigkeit von Minderjährigen generell zweifelhaft; überdies bestünde bei ihnen auch kein praktisches Bedürfnis für bindende Vorausverfügungen, da zumeist noch aktuelle (Nicht-)Behandlungswünsche festgestellt werden könnten. 415 Eine eigenhändige Abfassung des Schriftstücks ist – anders als beim Testament – folglich nicht erforderlich; siehe Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 11. Ebenfalls nicht notwendig ist die Angabe von Ort und Zeit; sie kann aber mit Blick auf die Frage, ob die Patientenverfügung noch auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, maßgeblich sein u. ist deshalb anzuraten; siehe A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 162 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/13314, 20; Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 11; Müller, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901a Rn. 7. 413

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ist, andernfalls der mit dem Schriftformerfordernis beabsichtigte Schutz vor Übereilung und die Erleichterung der Identifikation des Erklärenden ebenso ausgehebelt würden wie das mit der gesetzlichen Anerkennung der Patientenverfügung verfolgte Ziel der Umsetzung und Stärkung seiner Autonomie.416 (c) Bestimmtheit und Situationsbezogenheit Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung steht und fällt mit ihrer Bestimmtheit und Situationsbezogenheit.417 Die schriftlichen Festlegungen des einwilligungsfähigen Volljährigen müssen sich gem. § 1901a Abs. 1 BGB zum einen auf die Einwilligung in oder Untersagung von „bestimmten, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehenden Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen“ beziehen; zum anderen müssen sie „auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen“.418 Die hier vorzunehmende Prüfung vollzieht sich demnach in zwei Schritten: Im ersten ist zu untersuchen, ob die Willensäußerung den gesetzlich geforderten Grad an Bestimmtheit aufweist bzw. hinreichend präzise auf eine hypothetische Situation vorausschauend Bezug nimmt; nur wenn das der Fall ist, ist in einem zweiten Schritt der Frage nachzugehen, ob die antizipierte Situation mit der bestehenden Lebens- oder Behandlungssituation kongruent ist.419 Dies wiederum ist anzunehmen, wenn neben dem Eintritt des in der Patientenverfügung vorweggenommenen Krankheitsbilds bzw. -stadiums eine Entscheidung über die konkret erwähnten ärztlichen Maßnahmen zu treffen ist (Behandlungssituation) und die Festlegungen in der Patientenverfügung noch Geltung beanspruchen (Lebenssituation).420 Zwischen beiden Anforderungen – Bestimmtheit und Situationsbezogenheit – kann es zu Überschneidungen kommen.421 416 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 159; ebenso Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1950). 417 Vgl. auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 146, der aber nur die Situationsbezogenheit als „Kernvoraussetzung“ für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung bezeichnet und diese in der Folge mit dem Bestimmtheitserfordernis vermengt. 418 Hervorhebungen nur hier. 419 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 163. 420 Vgl. Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (26), der allerdings mit Blick auf die Lebenssituation missverständlicherweise danach fragen will, ob die Patientenverfügung noch dem „derzeitigen“ Willen des Patienten entspricht. Bei einem einwilligungsunfähigen Patienten kann von einem solchen aber nicht die Rede sein. Auch die im Behandlungszeitpunkt herangezogene Patientenverfügung bildet nicht den aktuellen Willen des Verfassers ab; „aktuell“ ist, so der treffende Hinweis von Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 534, vielmehr die Behandlungssituation. 421 Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (28).

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

Unklar ist, wann dem Bestimmtheitskriterium Genüge getan wird.422 Vereinzelt wird ein Bestimmtheitsgrad gefordert, „der dem entspricht, wenn ein Einwilligungsunfähiger in einer konkreten Situation die ihm vom Arzt vorgeschlagene Maßnahme akzeptiert oder ablehnt“.423 Dies dürfte allerdings zu weit gehen. Mit Blick auf den Umstand, dass der Gesetzgeber nicht nur auf eine Pflicht zur regelmäßigen Aktualisierung der Patientenverfügung, sondern auch auf eine Pflicht zur ärztlichen Aufklärung bewusst verzichtet hat,424 muss ausreichen, dass sich aus der Erklärung erst durch Auslegung nach dem erkennbaren Willen des Patienten (analog dem erbrechtlichen Grundsatz „in favor testamenti“) ergibt, in welcher Behandlungssituation welche medizinische Maßnahme unterbleiben muss.425 Anders entscheiden hieße, die Möglichkeit der Errichtung einer (verbindlichen) Patientenverfügung auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen bereits eine Krankheitsdiagnose gestellt wurde und somit eine sog. situations- oder gesundheitsangepasste Verfügung abgefasst werden kann.426 Damit würde aber das Ziel des Gesetzgebers konterkariert, die Autonomie des entscheidungsfähigen Patienten nicht nur bei aktueller Ausübung, sondern auch dann zu schützen, wenn sie in Form einer zukunftswirksamen Verfügung wahrgenommen wird.427 422 Einigkeit besteht lediglich dahingehend, dass Äußerungen allgemeiner Natur sowie richtlinienartige Vorgaben keine Bindungswirkung entfalten; siehe Müller, DNotZ 2010, 169 (179); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 146; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1951); Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (25); ausführlich mit Beispielen A. Albrecht/ E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 164 ff. 423 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 163; in diese Richtung auch Schwab, in: MK, BGB, § 1901a Rn. 17, 20. 424 Zu den Gründen siehe BT-Drs. 16/8442, 14; vgl. auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 80 ff., 91 ff.; Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 13 f.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 143 f.; krit. zur fehlenden Aufklärungspflicht Höfling, NJW 2009, 2849 (2852); Müller, DNotZ 2010, 169 (181 mit Fn. 52); Olzen, JR 2009, 354 (357). 425 Müller, DNotZ 2010, 169 (181); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 146; siehe auch Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326 (327); Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 18; Kutzer, MedR 2010, 531 (532); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 115; Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (542 mit Fn. 32). Eingehend zur Auslegung Lange, Inhalt und Auslegung von Patientenverfügungen (2009), 62 ff., 161 ff.; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen (2009), § 17 Rn. 104 ff. 426 Müller, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901a Rn. 7; Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (542 mit Fn. 32). Mit Blick auf dringende lebenserhaltende oder lebensrettende Eingriffe, deren Notwendigkeit ein Unfall hervorgerufen hat, könnte dann so gut wie überhaupt keine Vorsorge mehr getroffen werden; denn selbst wenn der Patient im Anschluss an den Unfall noch bei Bewusstsein sein sollte, dürfte er in schwerverletztem Zustand wohl kaum in der Lage sein, eine nach diesen Maßstäben tragfähige Patientenverfügung zu diktieren, geschweige denn selbst abzufassen. 427 Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (542 mit Fn. 32) unter Hinweis auf BTDrs. 16/8442, 12; prägnant Müller, DNotZ 2010, 169 (180 f.), die auf die Gefahr einer „,50-seitigen Patientenverfügung‘“ aufmerksam macht; diese „würden Patienten (erst recht) nicht verstehen, möchten Notare (zu Recht) nicht beurkunden und würden Ärzte in der Praxis vermutlich auch nicht zur Kenntnis nehmen“.

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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Der Rückgriff auf „situativ konkretisierte, gängige Typusbegriffe“ steht der Wirksamkeit einer Patientenverfügung daher nicht entgegen, sofern aus ihnen der Wille des Patienten deutlich wird.428 Überschätzen darf man diese Problematik freilich nicht; denn auch wenn die schriftliche Festlegung nicht hinreichend konkret ist, um die Validität der Verfügung zu begründen, kommt ihr bei der Feststellung von Behandlungswünschen bzw. des mutmaßlichen Willens des Patienten nach § 1901a Abs. 2 BGB immer noch erhebliche, gegebenenfalls ausschlaggebende Bedeutung zu.429 Auf Art und Stadium der Erkrankung kommt es gem. § 1901a Abs. 3 BGB in beiden Fällen nicht an.430 Diskutiert wird ferner, ob der Grundsatz der Verbindlichkeit einer hinreichend konkreten Festlegung bei bestimmten Maßnahmen oder Krankheitsbildern von vornherein nicht greift bzw. eingeschränkt werden kann. Besteht noch weitgehende Einigkeit, dass entgegen der Gesetzesbegründung431 grundsätzlich auch ein Verzicht auf die sog. Basisbetreuung (z. B. Körperpflege, Schmerz- und Leidenslinderung, Stillen von Hunger und Durst auf natürlichem Wege) möglich sein muss,432 stellt sich insbesondere bei Demenzerkrankungen die Frage, ob aus „,kreatürlichen Anzeichen von Lebenswillen‘“ auf einen Widerruf der Patientenverfügung, der gem. § 1901a Abs. 1 Satz 3 BGB jederzeit formlos möglich ist,433 geschlossen werden kann.434 Entsprechendes legt die Gesetzesbegründung nahe, 428 Siehe Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 146; ebenso Müller, DNotZ 2010, 169 (181); dies., in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901a Rn. 7. 429 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 146; Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (28); vgl. auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 170 unter Bezugnahme auf vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG errichtete Patientenverfügungen. 430 Siehe auch oben Erster Teil B. II. 2. 431 BT-Drs. 16/8442, 13. 432 Dies freilich nur dann, sofern dadurch keine Gesundheitsgefährdungen Dritter – etwa in Form von Infektionen infolge unzureichender Körperhygiene – zu besorgen sind; siehe dazu Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (26); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 147 mit Fn. 553; Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (540 mit Fn. 18); a. A. Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 9; Müller, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901a Rn. 6; Olzen, JR 2009, 354 (357); Schwab, in: MK, BGB, § 1901a Rn. 22; siehe auch – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Ingelfinger, JZ 2006, 821 (826 f.). 433 Siehe dazu Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 25; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen (2009), § 17 Rn. 166 ff.; Olzen, JR 2009, 354 (357 f.); Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1955); Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (27, 31). 434 Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (541 mit Fn. 25); ausführlich dazu Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 25; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 147 f.; Simon, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 59 (86 f.); Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (33 f.) sowie – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Bernat, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 97 (109 ff.); Neuner, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 113 (123 f.).

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

wonach sich Anhaltspunkte für eine Abkehr vom zuvor schriftlich geäußerten Willen auch aus „situativ-spontanem Verhalten“ des Patienten gegenüber vorzunehmenden oder zu unterlassenden medizinischen Maßnahmen, nicht aber aus „unwillkürlichen, rein körperlichen Reflexen“ ergeben können. Diese Prüfung könne v. a. bei Demenzerkrankungen bedeutsam werden.435 Zu überzeugen vermag das nicht. Im Schrifttum wird mit Recht darauf hingewiesen, dass durch die Interpretation einer Patientenverfügung anhand von „letzten Resten einer Willensäußerung“ ansonsten einwilligungsunfähiger Menschen das Merkmal der Einwilligungsfähigkeit entwertet wird und zu fragen ist, wie gerade ein dementer, der Fähigkeit zu rationalem Denken verlustig gegangener Mensch an einer Entscheidungsfindung soll partizipieren können.436 Man wird für den Widerruf deshalb ein Mindestmaß an Einwilligungsfähigkeit fordern müssen.437 Diese Sichtweise lässt sich auch durch einen systematischen Vergleich mit § 1905 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB abstützen, der eine Sterilisation des einwilligungsunfähigen Betreuten davon abhängig macht, dass diese nicht seinem (natürlichen) „Willen“ widerspricht. Der Verzicht auf eine analoge Formulierung in § 1901a BGB legt den Schluss nahe, dass der natürliche Wille für den Widerruf einer Patientenverfügung gerade nicht genügen soll.438 Wenig überzeugend ist es deshalb auch, für einen „voll wirksamen“ Widerruf einerseits Einwilligungsfähigkeit vorauszusetzen, andererseits aber beim „Widerruf“ eines ein435 BT-Drs. 16/8442, 14 f.; zust. Höfling, NJW 2009, 2849 (2850 f.). Noch weiter gehend – allerdings vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Merkel, JZ 1999, 502 (507 f.); ders., Ethik Med. 2004, 298 (303 ff.), der die „Zurechenbarkeit“ der Patientenverfügung wegen eines „Bruchs der personalen Identität“ von vornherein verneint; ebenso Bernat, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 97 (110 f.); krit. Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 344; Geißendörfer, Die Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen an den Grenzen des Rechts (2009), 208 ff.; May, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 53 (64); Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (553); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 148. 436 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 258, die dies mit dem Beispiel des Patienten illustrieren, der sich die Nasensonde herausreißt und bei dem in der Praxis nicht festgestellt werden kann, ob er damit keine Ernährung mehr wünscht oder es sich um eine unbeabsichtigte Reaktion auf durch die Sonde ausgelöste Irritationen im Nasen-/Rachenraum handelt; siehe des Weiteren Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 25 unter Hinweis auf die Menschenwürdegarantie. Weiterführend Simon, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 59 (87) mit dem Hinweis, dass der „,natürliche‘ “ Wille oft nur aus instinkthaften Äußerungen erschließbar ist und damit von der – möglicherweise von Eigeninteressen geleiteten – Interpretation Dritter abhängt. 437 Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 25; Olzen/F. Schneider, MedR 2010, 745; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 148, jeweils m.w. N.; vgl. auch Olzen, JR 2009, 354 (358), der für einen Widerruf aber nur „mangels anderweitiger Regelungen“ Einwilligungsfähigkeit voraussetzt. 438 Olzen/F. Schneider, MedR 2010, 745; vgl. aber auch noch Olzen, JR 2009, 354 (358), dem zufolge das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit zu „Schwierigkeiten“ bei der Widerrufsprüfung führen kann, weshalb eine mit § 1905 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB vergleichbare Regelung wünschenswert gewesen wäre.

B. Die Sterbehilfe im geltenden deutschen Strafrecht

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willigungsunfähigen Patienten die Entscheidung dem Betreuer/Bevollmächtigten anzuvertrauen, der sich an den Wünschen (und nicht nur dem „,objektiven‘“ Wohl) des Patienten auszurichten habe und deshalb bei vorhandener Äußerungsund Willensfähigkeit den Wunsch nach medizinisch indizierter (Weiter-)Behandlung trotz entgegenstehender Patientenverfügung umsetzen müsse.439 Zwar mag es gefühlsmäßig auf den ersten Blick in der Tat nicht hinnehmbar erscheinen, einer an Lungenentzündung erkrankten, ansonsten aber „fröhlich und friedlich“ in einem Pflegeheim lebenden Demenzpatientin, „nur“ deshalb keine Antibiotika zu verabreichen, weil sie sich dies in einer früheren Patientenverfügung verbeten hatte.440 Doch gilt es zu berücksichtigen, dass die Entscheidung aufgrund des „,natürlichen Willens‘“ letztlich nichts anderes als ein fremdes und damit bevormundendes Diktat über das Leben des Einwilligungsunfähigen ist – genau diese Situationen will der Verfasser einer Patientenverfügung aber gerade vermeiden.441 Im Übrigen erscheint das Bild des glücklichen Demenzkranken mit Blick auf den Umstand, dass es sich bei den in Patientenverfügungen beschriebenen Situationen meistens um Schwerstpflegefälle handeln dürfte, eher realitätsfern; der erwähnte glückliche und aktive Demenzkranke aber wird nicht selten noch das für einen rechtswirksamen Widerruf seiner Patientenverfügung erforderliche Maß an Einwilligungsfähigkeit besitzen.442 (2) Umsetzung (a) Konsultations- und Anhörungsverfahren Gemäß § 1901a Abs. 1 BGB ist es grundsätzlich der Betreuer, der prüft, ob die in der Patientenverfügung getroffenen Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zutreffen. Ist dies der Fall, dann ist es auch der Betreuer, der dem Willen des Patienten Ausdruck und Geltung verschafft. Hat der Patient hingegen einen Bevollmächtigten bestellt,443 kommt diesem die

439 So aber Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1955); zust. Schwab, in: MK, BGB, § 1901a Rn. 35. 440 So das Beispiel von Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1951), der diese Fälle in Anlehnung an § 313 BGB unter dem Stichwort „Fehlen oder Wegfall der Erklärungsgrundlage“ diskutiert. 441 Reus, JZ 2010, 80 (83); ebenso Olzen/F. Schneider, MedR 2010, 745 f.; vgl. aber auch Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (34), der die rechtliche Beurteilung der Fälle einer „echten Konkurrenz“ von Patientenverfügung und eindeutigem Lebenswunsch Demenzkranker mit Blick auf das Fehlen entsprechender Stellungnahmen im 3. BtÄndG und der Gesetzesbegründung für offen hält. 442 Reus, JZ 2010, 80 (83); zust. Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (539 mit Fn. 15). 443 Zum Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht siehe ausführlich Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326; May, in: Salomon (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin (2009),

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

Aufgabe zu (vgl. § 1901a Abs. 5 BGB). Auch wenn sich dies aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht unmittelbar ergibt, so folgt doch aus ihrer Systematik, dass die Prüfung der Situationsbezogenheit einer Patientenverfügung auch ihre vorgängige Auslegung bzw. die Klärung der hinreichenden Konkretheit der darin getroffenen Festlegungen denknotwendig voraussetzt.444 Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Erforschung und Umsetzung des Patientenwillens weist das Gesetz dem behandelnden Arzt zu: Dieser muss gem. § 1901b Abs. 1 BGB zunächst prüfen, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Sodann erörtern er und der Betreuer – über § 1901b Abs. 3 BGB ist wiederum der Bevollmächtigte einbezogen – diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a BGB zu treffende Entscheidung (sog. Konsultationsverfahren).445 Auf den Patientenwillen kann es demnach nur dann ankommen, wenn die medizinische Indikation für eine bestimmte Behandlungsmaßnahme gestellt wurde. Pointiert: Was der Arzt nicht anbietet, kann vom Patienten auch nicht abgelehnt werden.446 Mit Einfügung dieser Vorschrift dürfte auch die bereits angesprochene Problematik des „übermäßigen Lebensverlängerungsanspruchs“ entschärft worden sein. Zwar finden sich im Schrifttum nach wie vor Stimmen, die das Abstellen auf die medizinische Indikation als „Verschleierung der rechtlichen Dimension von Sterbehilfe“ kritisieren, weil in ihre Beurteilung neben medizinischen Kriterien auch die Lebensqualität des Patienten und wirtschaftliche Aspekte einflössen, deren

89 (90 f.); Müller, DNotZ 2010, 169 (183 ff.); Winkler, Vorsorgeverfügungen (2010), 40 ff.; vgl. auch – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Heyers, Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht (2001), 151 ff.; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 69 ff. 444 Vgl. auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 163; Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326 (327); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 150. 445 Die Aktualitätskontrolle des Vertreters und die Durchführung des Konsultationsverfahrens sind zwingend; auf sie kann in der Patientenverfügung nicht wirksam im Voraus verzichtet werden; siehe Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326 (327). Nach der hier vertretenen Auffassung kann sich die Entbehrlichkeit des betreuungsrechtlichen Verfahrens freilich aus der Patientenverfügung selbst ergeben, wenn diese hinreichend präzise formuliert und damit nicht auslegungsbedürftig ist; siehe unten Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (c). Der Arzt muss sich vor Konsilbeginn der Vertretungsmacht des Vertreters vergewissern, indem er sich dessen schriftliche (Vorsorge-)Vollmacht oder Betreuerbestellung vorlegen lässt. Während Erstere gem. § 1904 Abs. 5 BGB die ärztlichen Maßnahmen i. S. v. § 1904 Abs. 1 u. 2 BGB ausdrücklich erwähnen muss, ist bei Letzterer die Umschreibung des Aufgabenkreises mit „Gesundheitsfürsorge“ ausreichend; siehe A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 244. 446 Ebenso Beckmann, MedR 2009, 582; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 150; Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (37 f.); ausführlich zum Vorrang der ärztlichen Indikation vor der Patientenverfügung Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (348 ff.).

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wertende Abwägung handfeste rechtliche Fragen aufwerfe.447 Ein sterbenskranker Patient könne auch am Ende seines Lebens ein legitimes Interesse am Erleben eines bestimmten Ereignisses haben, sodass die Verweigerung einer lebensverlängernden Behandlung unter Hinweis auf deren fehlende medizinische Indikation angesichts des Stellenwerts menschlichen Lebens nur schwerlich begründbar sei.448 Die von diesen Autoren vorgeschlagene „autonomiefreundliche“ Interpretation des § 1901b Abs. 1 BGB, der zufolge der behandelnde Arzt schon auf der ersten Stufe das Gespräch mit dem Vertreter und den Angehörigen des Patienten sowie dem Behandlungsteam suchen muss,449 widerspricht jedoch dem klaren Wortlaut und der Systematik dieser Vorschrift. Von einer missverständlichen Formulierung450 kann hier keine Rede sein. Nach dem Gesetzeswortlaut wird die Indikation mit Blick auf Konstitution und Prognose des Patienten, aber gerade nicht unter Berücksichtigung seines (mutmaßlichen) Willens gestellt. Die Argumentation oben genannter Autoren ist folglich eine zirkuläre; denn wenn die Aussagen des Vertreters hinsichtlich des Patientenwillens bereits in die vom Arzt gestellte Indikation nach § 1901b Abs. 1 Satz 1 BGB einfließen, dann gibt es nichts, was mit ihm nach § 1901b Abs. 1 Satz 2 BGB noch zu erörtern wäre.451 Diese Sichtweise wird auch durch die Gesetzesmaterialien gestützt:452 Zwar schweigt sich der Gesetzentwurf zur Frage des Verständnisses der ärztlichen Indikation aus, da § 1901b BGB erst auf eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses453 in die finale Gesetzesfassung eingefügt wurde; indes führt dieser als Grund für seinen Änderungsantrag lediglich an, dass „an erster Stelle“ die ärztliche Indikation stehen müsse, wobei die Erörterung der indizierten Maßnahme

447 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211ff. Rn. 97; siehe zu den Beurteilungskriterien der medizinischen Indikation auch Holzhauer, ZRP 2004, 41 (44); ausführlich Möller, Die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen (2010), 35 ff. 448 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 97; ähnlich Kutzer, MedR 2010, 531 (532); ders., Rissing-van Saan-FS (2010), 337 (349). Nachdrücklich für eine Behandlungspflicht – allerdings vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 36 u. Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (282 f.), die das Problem von übermäßigen Behandlungswünschen – vielleicht etwas weltfremd – im Übrigen durch „Aufklärung, Zuspruch und Zuwendung“ bewältigen wollen. Dies wird aber jedenfalls beim aktuell einwilligungsunfähigen Patienten nicht mehr gehen, der den Wunsch nach Lebenserhaltung in einer (validen) Patientenverfügung niedergelegt hat. 449 Kutzer, MedR 2010, 531; ders., Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (349 f.); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 150. 450 So Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (349). 451 So A Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 220, denen zufolge der Gesetzgeber den Arzt hier nicht aus seiner Verantwortung für eine „objektive Darstellung des medizinisch Sinnvollen“ entlassen will; für eine strikte Ausblendung des Patientenwillens bei der Stellung der medizinischen Indikation auch Beckmann, MedR 2009, 582; Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (37 f.). 452 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 222. 453 BT-Drs. 16/13314, 11.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

erst „an zweiter Stelle“ steht.454 Eine Verletzung des Grundrechts auf Leben ist hierin nicht zu sehen. Zwar verbietet es sich, den Achtungsanspruch des Einzelnen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG von qualitativen oder quantitativen Überlegungen abhängig zu machen und wird in solchen Fällen ein Verstoß gegen die Menschenwürde angenommen; doch gilt dies nicht, wenn das Grundrecht – wie beim Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen – in seiner Dimension als Schutzund Leistungsrecht betroffen ist.455 Der Behandlungsverzicht und die damit einhergehende Ungleichbehandlung des Patienten kann dabei, wenn auch nicht auf Aspekte der Lebensqualität, so doch auf ökonomische Erwägungen gestützt werden.456 Um der Gefahr einer nur dem Kriterium der Nützlichkeit verhafteten Heilkunde zu begegnen, ist es freilich unabdingbar, dass sich ein grenzüberschreitender medizinisch-wissenschaftlicher Konsens hinsichtlich der Indikationen am Lebensende bildet.457 Im Übrigen greifen die Aufgabenbereiche von Arzt und Vertreter jedenfalls insoweit ineinander, als Ersterem im Konsil eine beratende Funktion zukommt: Der Arzt legt dem Vertreter die Behandlungsalternativen und die damit verbundenen Risiken dar, denen dieser den auf Grundlage der von ihm als solche anerkannten und anhand dieser Informationen für situationsbezogen befundenen Patientenverfügung ermittelten Willen des Patienten gegenüberstellt.458 Der Vertreter ist es dann auch, der letzten Endes in eigener Verantwortung über die Wirksamkeit der Patientenverfügung entscheidet; der Arzt hat in dieser Hinsicht keine eigene Entscheidungskompetenz.459 Bei dieser Entscheidung ist freilich § 1901b Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, wonach bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Abs. 1 BGB nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden soll, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung

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BT-Drs. 16/13314, 20. Eingehend Möller, Die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen (2010), 76 ff., 84; vgl. auch Holzhauer, ZRP 2004, 41 (44): „Verlangt der Patient mehr (,Überversorgung‘), so übt er damit nicht seine persönlichkeitsrechtliche Privatautonomie, sondern seine Patientenautonomie in Form einer rechtsgeschäftlichen Offerte aus, die ihrerseits der Annahme durch die ärztliche Seite bedarf.“ 456 Ausführlich Möller, Die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen (2010), 94 ff., 109. 457 So A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 221, denen zufolge trotz der fehlenden Überprüfbarkeit der Indikationsentscheidung des Arztes allerdings die Option der Beantragung betreuungsgerichtlicher Kontrolle bestünde, sollte das Niveau des Indikationskatalogs unter das von Art. 2 GG vorgegebene Mindestmaß absinken. 458 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 245 f.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 150. 459 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 52; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 150. 455

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möglich ist (sog. Anhörungsverfahren).460 Dieser Vorschrift wird weniger bei der Interpretation einer Patientenverfügung Bedeutung zukommen als vielmehr für die Frage nach dem Fortbestand des Patientenwillens, d. h. ob der Kranke an den Festlegungen bis zuletzt festgehalten oder diese widerrufen hat.461 Die Wendung „soll“ verdeutlicht dabei, dass das Anhörungsverfahren grundsätzlich durchzuführen ist und neben der Gefahr erheblicher Verzögerungen nur aus besonderen Gründen, z. B. dem Fehlen jeglicher Vertrauenspersonen, unterbleiben darf.462 Doch wird die Einbeziehung solcher Personen ohnehin im Interesse des Vertreters liegen, um dadurch einer juristischen Kontrolle der Behandlungsentscheidung durch Angehörige oder Vertraute, die sich übergangen fühlen, vorzubeugen.463 (b) Genehmigungsverfahren Gelangt der Vertreter auf dieser Grundlage zur Auffassung, dass eine bindende Patientenverfügung vorliegt, hat er nach § 1901a Abs. 1 Satz 2 BGB dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. In dem hier interessierenden Kontext der Untersagung lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen ist § 1904 Abs. 2 BGB zu beachten, wonach die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens

460 Auch die Durchführung des Anhörungsverfahrens ist zwingend; auf sie kann in der Patientenverfügung ebenfalls nicht wirksam (im Voraus) verzichtet werden; siehe A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 250; vgl. auch Müller, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901b Rn. 7, die zwar einerseits darauf hinweist, dass in der Patientenverfügung festgelegt werden kann, bestimmte Personen (etwa den getrennt lebenden Ehegatten) nicht bei der Auslegung der Patientenverfügung zu beteiligen, es aber andererseits für zweifelhaft hält, ob der Patient die Anhörung aller Angehörigen und Vertrauenspersonen ausschließen kann; a. A. Schwab, in: MK, BGB, § 1901b Rn. 15; scheinbar auch Götz, in: Palandt, BGB, § 1901b Rn. 1, der zufolge das Anhörungsverfahren nicht durchzuführen ist, wenn dies dem erkennbaren Willen des „Betroffenen“ – gemeint ist wohl der Patient, nicht der Angehörige – widerspricht. 461 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 151. Weiterführend A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 247 ff.; Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (35 ff.); vgl. aber auch Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1951), der ohne nähere Begründung – und deshalb wenig überzeugend – die Auffassung vertritt, dass die Prüfungspflicht des Vertreters nicht die Frage erfasst, ob die Patientenverfügung ausdrücklich oder konkludent widerrufen worden ist. 462 A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 249; Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (36). 463 Verrel, in: Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (36 f.).

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oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt.464 Die Genehmigung ist gem. § 1904 Abs. 4 BGB nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen über die Kongruenz der Nichterteilung oder des Widerrufs der Einwilligung mit dem nach § 1901a BGB ermittelten Willen des Betreuten besteht.465 Der Prüfungsmaßstab für den Richter ist in § 1904 Abs. 3 BGB vorgegeben, wonach die Genehmigung zu erteilen ist, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht.466 Der Richter hat folglich keine eigene Entscheidungskompetenz; seine Aufgabe beschränkt sich auf den Nachvollzug der Willensermittlung durch den Betreuer.467 Der Antrag des Betreuers wird von ihm nur genehmigt, ein Vollzugszwang ist damit nicht verbunden.468 Mangels Vollstreckungstitel sind zur Durchsetzung der Patientenrechte gegebenenfalls die allgemeinen Zivilgerichte anzurufen.469 Das Genehmigungsverfahren richtet sich nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 464 Das Genehmigungserfordernis gilt gem. § 1904 Abs. 5 BGB auch für den Bevollmächtigten, wobei dessen schriftliche Vollmacht die betreffenden Maßnahmen ausdrücklich umfassen muss. Da bei der Bestellung des Betreuers demgegenüber die Umschreibung des Aufgabenkreises mit „Gesundheitsfürsorge“ ausreicht, wird dies als Benachteiligung des Bevollmächtigten ggü. dem Betreuer kritisiert, zumal die Missbrauchsgefahr bei Letzterem kaum geringer sein soll; siehe v. a. Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1956); ausführlich zu diesem sog. Ausdrücklichkeitsgebot, das 1999 mit dem 1. BtÄndG in § 1904 Abs. 2 Satz 2 BGB verankert wurde, allerdings nur ärztliche Eingriffe betraf, Diehn, FamRZ 2009, 1958, der freilich bestreitet, dass das 3. BtÄndG eine Ausweitung des inhaltlichen Konkretisierungserfordernisses auf die Fälle des Behandlungsverzichts bzw. -abbruchs bewirkt hätte; dagegen aber mit überzeugenden Argumenten Müller, DNotZ 2010, 169 (184 f.). 465 Mit dieser Vorschrift wird der Sache nach das vom BGH im „Lübecker Fall“ in BGHZ 154, 205 (227 f.) vorgezeichnete „Konfliktmodell“ umgesetzt; siehe dazu A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 64 ff.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 135; krit. aber Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1956 f.), sowie – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (284); Saliger, MedR 2004, 237 (243 f.); ders., in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 157 (169 f.). 466 Damit ist klargestellt, dass unvernünftig erscheinende Behandlungswünsche des Betreuten unter Hinweis auf sein in § 1901 Abs. 2 u. 3 BGB ebenfalls zur Richtschnur des Betreuerhandelns gemachtes Wohl nicht übergangen werden dürfen; siehe Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 153; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (43); vgl. auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 62 f., die es allerdings für fraglich halten, ob eine derart weitreichende Änderung des Prüfungsmaßstabs überhaupt gewollt war. 467 Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 8; Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (563); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 153 mit Fn. 574; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (43), dort auch jeweils mit dem Hinweis, dass damit der früher anzutreffenden Rede vom „Richter über Leben und Tod“ nunmehr endgültig die Grundlage entzogen sein dürfte. 468 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 135; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 153. 469 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen (2009), § 17 Rn. 207; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 153.

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(FamFG).470 Maßgeblich ist zunächst § 298 FamFG: Nach Abs. 1 darf das Gericht die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung eines Betreuers oder eines Bevollmächtigten nur genehmigen, wenn es den Betroffenen zuvor persönlich angehört hat; ferner soll es die sonstigen Beteiligten471 anhören und hat es auf Verlangen des Betroffenen eine ihm nahestehende Person anzuhören, wenn dies ohne erhebliche Verzögerungen möglich ist.472 Wenngleich dies dem Wortlaut der Vorschrift widerspricht, wird man die Erteilung der Genehmigung auch ohne Anhörung des Betroffenen für zulässig erachten müssen, andernfalls bei einem Dissens zwischen Vertreter und Arzt die § 1901a ff. BGB mit Blick auf den Umstand, dass die Patienten, bei denen sich die Frage eines Behandlungsabbruchs stellt, regelmäßig nicht nur einwilligungs-, sondern auch äußerungs- bzw. kommunikationsunfähig sind – man denke nur an den Apalliker –, weitgehend leerliefen. Gemäß § 298 Abs. 2 FamFG ist in den Fällen einer Behandlungsbegrenzung zudem die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich. Diesem obliegt die Interessenvertretung des Betroffenen, die in erster Linie durch die Stellung von Anträgen, die Einlegung von Rechtsmitteln und die Teilnahme an Anhörungen wahrgenommen wird.473 § 298 Abs. 3 FamFG bestimmt weiterhin, dass vor der Genehmigung ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, das nach Möglichkeit nicht vom behandelnden Arzt erstellt werden soll.474 470 Ausführlich dazu A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 285 ff.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 154; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (43 f.). Das zuvor maßgebliche Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) wurde am 1.9.2009 vom FamFG abgelöst. 471 Dies sind nach A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 289 dieselben Personen, die in § 1901b Abs. 2 BGB als nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen bezeichnet werden. 472 In der bis zum 1.1.2013 gültigen Fassung von Abs. 1 war die vorrangige Anhörung des Betroffenen nur für die Genehmigung von ärztlichen Eingriffen nach § 1904 Abs. 1 BGB vorgesehen; für Genehmigungen nach § 1904 Abs. 2 BGB legte § 298 Abs. 2 FamFG a. F. nur die in einer Sollvorschrift geregelte Anhörung der sonstigen Beteiligten fest; siehe dazu noch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 288 f.; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (44), jeweils mit dem Hinweis, dass es bei Behandlungsbegrenzungen nach § 1904 Abs. 2 BGB i. d. R. um Personen gehe, die ihren Willen ohnehin nicht mehr äußern können; krit. aber Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1956). 473 Siehe dazu etwa die ausführliche Übersicht auf der Homepage des AG Singen/ Hohentwiel, im Internet abrufbar unter: , Stand 5.12.2013; vgl. auch A. Albrecht/ E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 290; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 154, jeweils mit dem Hinweis, dass aufgrund der anwaltsähnlichen Stellung in der Praxis zumeist Rechtsanwälte als Verfahrenspfleger auftreten. 474 Diese Vorschrift dient der Vorbeugung von Interessenkollisionen bzw. der Gewährleistung von Neutralität; siehe A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 291; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 154; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (44).

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Schließlich gilt es auf § 287 FamFG hinzuweisen, nach dessen Abs. 3 ein Beschluss, der die Genehmigung eines Behandlungsabbruchs zum Gegenstand hat, erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den Vertreter oder den Verfahrenspfleger wirksam wird.475 (c) Die Kontroverse um die Erforderlichkeit der Vertreterbeteiligung Einer Klärung bedarf darüber hinaus die Frage, wie zu verfahren ist, wenn der Patient (noch) nicht über einen Vertreter verfügt. § 1901a Abs. 1 BGB weist die Prüfung der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung und ihre Umsetzung grundsätzlich dem Betreuer (bzw. über Abs. 4 dem Bevollmächtigten) des einwilligungsunfähigen Patienten als Aufgabe zu. Dies legt nach einem Teil des Schrifttums den Schluss nahe, dass eine Patientenverfügung ohne einen Vertreter schlechterdings keine Wirksamkeit entfalten kann, weil die notwendige Einwilligung in den Behandlungsverzicht nicht schon in der nach § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB wirksamen Vorausverfügung, sondern erst in der Betreuerentscheidung gesehen werden könne.476 Dieses Konzept korrespondiere auch mit den übrigen Vorschriften in diesem Kontext: § 1904 BGB sehe für bestimmte Fälle die Genehmigungsbedürftigkeit der (Nicht-)Einwilligung des Vertreters vor. Dabei wer-

475 Der Grund für das Zugeständnis dieser Interimszeit ist darin zu sehen, dass ein Behandlungsabbruch regelmäßig irreversible Folgen nach sich zieht; auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass gegen die Genehmigung effektiver Rechtsschutz erlangt werden kann; siehe A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 292; Höfling, NJW 2009, 2849 (2851); Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (44); vgl. auch BT-Drs. 16/8442, 19. Siehe zur rechtfertigenden Wirkung der betreuungsrechtlichen Vorschriften Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (556 mit Fn. 103); für eine aus § 34 StGB abzuleitende „Notkompetenz“ hingegen – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 322. 476 Siehe z. B. A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 38 f.; Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326 (327 f., 329); Olzen/F. Schneider, MedR 2010, 745 (746 f.); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 155; vgl. auch – jedoch vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 9 (31 f.). Ambivalent Müller, DNotZ 2010, 169 (175 ff.); dies., in: Bamberger/Roth, BGB, § 1901a Rn. 17 ff., die die Hinzuziehung des Vertreters zwar ebenfalls für zwingend hält, ihr mit Blick auf die Höchstpersönlichkeit der Entscheidung über die Einwilligung in die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit jedoch keine materielle, sondern nur verfahrensrechtliche Bedeutung zugesteht. Seine Funktion sei mit derjenigen des Betreuungsgerichts vergleichbar, das im Rahmen der Entscheidung über die gerichtliche Genehmigung eines Behandlungsabbruchs nicht selbst über „,Leben und Tod‘“ des Patienten, sondern nur darüber befinde, ob der Behandlungsabbruch dem Willen des Patienten entspricht (vgl. § 1904 Abs. 3 BGB). Auch Olzen, JR 2009, 354 (358) hält die Beteiligung des Vertreters für unabdingbar, doch mache die Patientenverfügung als antizipierte Erklärung des Betroffenen eine (zusätzliche) Einwilligung durch den Betreuer/Bevollmächtigten entbehrlich; anders aber ders./F. Schneider, MedR 2010, 745 (747): Der Patientenverfügung selbst komme noch keine unmittelbar rechtfertigende Wirkung zu, sondern erst der im Verfahren nach §§ 1901a ff. BGB gewonnenen Entscheidung.

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de stets an seine jeweils konstitutive Erklärung nach § 1901a BGB angeknüpft. Davon gehe auch § 1901b Abs. 1 Satz 2 BGB aus: Die nach § 1901a BGB zu treffende Entscheidung beziehe sich expressis verbis nicht nur auf Abs. 2, sondern auch auf Abs. 1 der Vorschrift.477 Anders sieht dies der Gesetzgeber, der mit der Verabschiedung des Patientenrechtegesetzes Anfang 2013 nunmehr für Klarheit in dieser Frage gesorgt haben dürfte: So heißt es in § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB („Einwilligung“), dass im Fall der Einwilligungsunfähigkeit des Patienten die Einwilligung eines Berechtigten einzuholen ist, „soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt“. Wie sich auch aus der Gesetzesbegründung ergibt,478 wird damit die bereits bisher überwiegende Literaturansicht bestätigt, die in Übereinstimmung mit der Bundesärztekammer479 davon ausgeht, dass der Betreuer keine exklusive Umsetzungszuständigkeit beanspruchen und eine Patientenverfügung auch unmittelbare Wirkung entfalten kann.480 Diese Auffassung erschien auch schon vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes vorzugswürdig. Gegen die konstitutive Wirkung der Vertretererklärung spricht bereits der Gesetzeswortlaut. Zwar wird in § 1901a Abs. 1, 2 BGB der Betreuer mit der Aufgabe betraut, die Maßgeblichkeit der Patientenverfügung für oder wider (Weiter-)Behandlung des Patienten zu prüfen. Doch heißt es in § 1901a Abs. 1 Satz 2 BGB, dass der Betreuer bei Kongruenz zwischen Patientenverfügung und Lebens-/Behandlungssituation „dem Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen“ hat,481 d. h., es wird im Unterschied zu § 1901a Abs. 2 BGB gerade nicht von einer (eigenen) Betreuerentscheidung ge-

477 Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326 (328); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 155, der zudem darauf aufmerksam macht, dass § 1904 Abs. 2 BGB als Spezialbestimmung zum Behandlungsabbruch im Gegensatz zu § 1904 Abs. 1 BGB selbst für Eilfälle keine Ausnahme von der Pflicht zur Einholung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung enthält. Ein ähnliches systematisches Argument findet sich auch bei Olzen/ F. Schneider, MedR 2010, 745 (746 f.), die auf das Fehlen einer § 1901b Abs. 2 BGB vergleichbaren Ausnahmeregelung für Eilfälle in § 1901b Abs. 1 Satz 2 BGB hinweisen. 478 Vgl. BT-Drs. 17/10488, 23. 479 Vgl. deren Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346 (A-347). 480 Siehe z. B. Fischer, Vor § 211–216 Rn. 53a; Kutzer, MedR 2010, 531 (532); May, in: Salomon (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin (2009), 89 (93); Schwab, in: MK, BGB, § 1901a Rn. 33; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (39 f.); vgl. auch – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 316; Riedel, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 151 (152); Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 157 (166). Noch darüber hinausgehend Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 15: Der Sinn einer Patientenverfügung sei es gerade, im Rahmen ihres Geltungsbereichs eine Betreuung überflüssig zu machen. 481 Hervorhebungen nur hier.

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sprochen.482 Die in § 1901b Abs. 1 Satz 2 BGB anzutreffende Formulierung von der Entscheidung des Vertreters lässt sich bezogen auf § 1901a Abs. 1 BGB so verstehen, dass damit nicht die – vom Patienten bereits selbst getroffene – Entscheidung über die Einwilligung oder deren Verweigerung gemeint ist, sondern diejenige über die Situationsbezogenheit der Verfügung.483 Dass die Umsetzung einer Patientenverfügung vor diesem Hintergrund auch ohne Einschaltung eines Betreuers zulässig ist, ergibt sich zum einen aus der Begründung zum 3. BtÄndG, der zufolge nicht ausdrücklich zu regeln gewesen ist, ob Arzt oder Pflegepersonal eine eigene Entscheidungskompetenz im Hinblick auf die Feststellung des Patientenwillens haben sollen oder ob es stets der Hinzuziehung eines Betreuers bedarf.484 Unter Berufung auf die Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis vom 30. März 2007 wird zudem darauf hingewiesen, dass als Adressat der Patientenverfügung jede an der Behandlung und Pflege beteiligte Person in Betracht kommt, die entsprechend ihrer Verantwortung in die vorzunehmende Prüfung eingebunden ist.485 Zum anderen lässt sich in systematischer Hinsicht anführen, dass die neuen Vorschriften nach § 1901 BGB siedeln, d. h. von einer bereits angeordneten Betreuung ausgehen.486 Schließlich kann argumentiert werden, dass der Patient mit der Abfassung einer eindeutigen und wirksamen Patientenverfügung schon selbst i. S. v. § 1896 Abs. 1 BGB seine „Angelegenheit besorgt“ hat, weshalb die Anordnung einer Betreuung nicht „erforderlich“ i. S. d. § 1896 Abs. 2 BGB ist.487

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Müller, DNotZ 2010, 169 (177). So Müller, DNotZ 2010, 169 (177) u. Olzen, JR 2009, 354 (358), die die Hinzuziehung eines Vertreters nach dem oben Gesagten aber gleichwohl für zwingend halten. 484 May, in: Salomon (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin (2009), 89 (93); Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (39). 485 BT-Drs. 16/8442, 15; vgl. dagegen aber Olzen/F. Schneider, MedR 2010, 745 (746), denen zufolge dies auch als bloßer Hinweis auf eine Einbeziehung der betreffenden Ärzte und Pfleger in den Willensbildungsprozess nach § 1901b BGB verstanden werden könne; denn andererseits heiße es an verschiedenen Stellen, dass der Betreuer den Willen des Patienten festzustellen habe. 486 Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (39). 487 Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 6; Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (545); Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (39 f.); vgl. auch – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Heyers, Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten und das Betreuungsrecht (2001), 350 ff.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 316; Mameghani, Der mutmaßliche Wille als Kriterium für den ärztlichen Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten und sein Verhältnis zum Betreuungsrecht (2009), 167; Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (284); Riedel, in: Albers 483

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Indes durfte und darf die Bedeutung dieses Streits aus drei Gründen nicht überschätzt werden: Zum einen halten die Vertreter der letztgenannten Auffassung die Bestellung bzw. Hinzuziehung eines Betreuers überwiegend nur bei hinreichend präziser Patientenverfügung für entbehrlich;488 solche dürften allerdings eher die Ausnahme denn die Regel sein.489 Zum anderen betrifft der Streit in erster Linie Notfallsituationen, in denen Patienten, z. B. in einem Notfallpass, auf einen vorausverfügten Verzicht bereits auf die Einleitung lebenserhaltender Maßnahmen hinweisen.490 Mit Ausnahme der Fälle, in denen der Arzt den Patienten und sein Behandlungsveto kennt, ist in derartigen Akutsituationen eine adäquate Prüfung auch nicht subsumtions- und auslegungsbedürftiger Patientenverfügungen regelmäßig nicht möglich.491 Schließlich darf auch nicht übersehen werden, dass diese Kontroverse zunächst einmal nur die zivilrechtliche Ebene betrifft. Selbst wenn man sich der Auffassung vom zwingenden Erfordernis der Betreuerbestellung anschließen würde, wäre damit noch keineswegs gesagt, dass sich die zivilrechtliche Verpflichtung des Arztes zur Befolgung des Verfahrens auch strafrechtlich auswirkt.492

(Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 151 (152); Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen (2008), 157 (166); vgl. andererseits aber die Entscheidung des BGH im „Lübecker Fall“, in der sogar eine Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht postuliert wurde; siehe BGHZ 154, 205 (218). Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, wie zu verfahren ist, wenn eine eindeutige und wirksame Patientenverfügung vorliegt, ein Betreuer aber gleichwohl schon bestellt wurde. Während eine trotzdem angeordnete Betreuung nach Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 6 gem. § 1908d Abs. 1 BGB „sofort“ wieder aufzuheben bzw. einzuschränken wäre, gehen Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (545 f.) u. Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (40 f.) davon aus, dass die Verwirklichung des Patientenwillens in solchen Fällen Aufgabe des Betreuers ist, der einer uneingeschränkten Bindung an die Erklärung unterliegt. Nach May, in: Salomon (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin (2009), 89 (94 f.) soll es darauf ankommen, ob der Betreuer/Bevollmächtigte anwesend ist oder nicht. 488 Vgl. etwa Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 6; Kutzer, MedR 2010, 531 (532); Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (40); siehe jetzt auch BT-Drs. 17/10488, 23, wonach der Behandelnde (unmittelbar) auf Grundlage der Patientenverfügung entscheiden wird, wenn er „keine Zweifel daran hat, dass eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, die auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft“. 489 Darauf machen u. a. Müller, DNotZ 169 (174) u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 155 aufmerksam, denen allerdings nicht gefolgt werden kann, soweit sie darin ein Argument pro zwingende Betreuerbestellung sehen. Hier geht es doch gerade um die (seltenen) Fälle, in denen kein Subsumtions- bzw. Auslegungsbedarf besteht. 490 Vgl. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 155; Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (40); ferner Olzen/F. Schneider, MedR 2010, 745 (746 f.). 491 Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (40). 492 Näher dazu unten Erster Teil B. II. b) dd).

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cc) Der mutmaßliche Wille (1) Die Kriterien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens und seine Umsetzung Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen in einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, muss der Betreuer gem. § 1901a Abs. 2 Satz 1 BGB die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten feststellen und auf dieser Grundlage entscheiden, ob er eine ärztliche Maßnahme nach Abs. 1 untersagt.493 Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind v. a. frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten (§ 1901a Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Vorschrift lässt offen, wie zu verfahren ist, wenn der (mutmaßliche) Patientenwille anhand der in § 1901a Abs. 2 BGB genannten Kriterien nicht eruiert werden kann. Es wurde bereits dargestellt, dass der BGH im „Kemptener Fall“ 494 bei einem Fehlen subjektiver Präferenzen einen Behandlungsabbruch auch nach Maßgabe allgemeiner Wertvorstellungen für zulässig hält, dabei aber ein äußerst vorsichtiges Vorgehen fordert.495 Ebenfalls wurde dargelegt, dass dies im Schrifttum überwiegend auf Ablehnung stößt, wenn auch nach der hier vertretenen Auffassung zu Unrecht.496 Richtet man den Blick auf § 1901a Abs. 2 Satz 2 BGB, so fällt auf, dass die Vorschrift den in dieser Entscheidung genannten Ermittlungskatalog aufgreift,497 493 Zum Begriff des Behandlungswunsches und seinem Verhältnis zum mutmaßlichen Willen siehe Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (47 f.), dem zufolge zwei unterschiedliche Sachverhalte umfasst sind: Zum einen gehe es um die in der Hierarchie von Willensbekundungen an erster Stelle stehenden, unmittelbar vor dem Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit erklärten und konkret situationsbezogenen Behandlungseinwilligungen bzw. -verweigerungen, die den Arzt als Erklärungsempfänger unmittelbar bänden und ansonsten vom Betreuer/Bevollmächtigten umzusetzen seien. Erfasst würden zum anderen Wünsche, die nicht bezogen auf eine unmittelbar bevorstehende Behandlung i. S. einer Einwilligungserklärung geäußert wurden, aus denen aber dennoch deutlich hervortrete, wie der Patient in der jetzigen Situation behandelt werden möchte. Es handle sich dann quasi um eine qualifizierte Form des mutmaßlichen Willens, dessen Ermittlung und Umsetzung in erster Linie dem Betreuer obliege, und dessen hervorgehobene Erwähnung in § 1901a Abs. 2 BGB durch die besondere Bedeutung gerechtfertigt sei, die den konkreten Behandlungswünschen für die Ermittlung des Patientenwillens zukomme. Vgl. aber auch Kutzer, Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (353), dem zufolge mündlich geäußerte Wünsche nicht ohne Weiteres genauso binden, andernfalls das Schriftformerfordernis in § 1901a Abs. 1 BGB sinnlos würde. 494 BGHSt 40, 257. 495 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) aa) (1). 496 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) aa) (2). 497 Vgl. BT-Drs. 16/8442, 15.

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soweit es um das Abstellen auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen geht, gleichzeitig aber auf die altersbedingte Lebenserwartung und das Erleiden von Schmerzen als Kriterien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens ebenso verzichtet498 wie auf die allgemeinen Wertvorstellungen. Prima vista könnte dies zu der Annahme verleiten, ein Behandlungsabbruch sei künftig nur noch auf Grundlage subjektiver Präferenzen möglich, sodass „in dubio pro vita“ (weiter-)behandelt werden muss, wenn diese fehlen bzw. ein widersprüchliches Bild ergeben.499 Zwingend ist diese auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Sichtweise500 freilich nicht, wobei zuzugeben ist, dass die Gesetzesmaterialien bei einem erst wenige Jahre alten Gesetz (noch) hohes Gewicht beanspruchen.501 Zum einen ist § 1901a Abs. 2 Satz 3 BGB weit gefasst, weil frühere Äußerungen nebst anderem nur „insbesondere“ zu berücksichtigen sind.502 Zum anderen gebietet auch das betreuungsrechtliche Wohlprinzip (vgl. § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB) das Anlegen eines objektiven Maßstabs, wenn subjektive Präferenzen nicht eruiert werden können.503 Stellt man zudem den bereits erwähnten Um498 Im Gesetzentwurf war zumindest das Kriterium des Schmerzempfindens noch enthalten; unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 16/13314, 10, 20), in der es als zu subjektiv kritisiert wurde, hat man dieses Kriterium jedoch fallen gelassen; siehe Olzen, JR 2009, 354 (358 mit Fn. 70), der sich zustimmend äußert; i. E. auch Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (48 f.), dem zufolge diese Begründung jedoch nicht verfängt; vielmehr sei entscheidend, dass es sich dabei um nicht aussagekräftige Aspekte handle, weil es in erster Linie auf die Einstellung des Patienten zu Schmerzen, Leiden und seiner altersbedingten Lebenserwartung ankomme. 499 So ausdrücklich Höfling, NJW 2009, 2849 (2851); May, in: Salomon (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin (2009), 89 (94); Olzen, JR 2009, 354 (358); wohl auch A. Albrecht/E. Albrecht, Die Patientenverfügung (2009), Rn. 273 f. Einen Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen hält auch Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 7 f. für unzulässig, der zufolge sich allerdings auch die formelhafte Anwendung des „in dubio pro vita“-Grundsatzes verbietet und bei einem Fehlen subjektiver Präferenzen der Betreuer im Rahmen des Aufgabenkreises „Gesundheitsfürsorge“ entscheiden soll; ähnlich Schwab, in: MK, BGB, § 1901a Rn. 45. Da sich der Betreuer allerdings am „Wohl“ des Patienten orientieren muss (vgl. § 1901 Abs. 2, 3 BGB), dürfte dies in der Praxis zu gleichen Entscheidungen wie bei einem Abstellen auf allgemeine Wertvorstellungen führen. 500 Vgl. BT-Drs. 16/8442, 16. 501 Vgl. Hefendehl, Roxin-FS (2001), 145 (163); eingehend zu dieser sog. subjektiven Auslegung von Gesetzen K. Röhl/H. C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 627 f. 502 Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (552); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 157, die zudem beide darauf hinweisen, dass das Abstellen auf allgemeine Kriterien der dogmatischen Struktur der mutmaßlichen Einwilligung auch sonst nicht unbekannt ist. Allgemein dazu BGHSt 35, 246 (249 f.); Lenckner-Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 57; Roxin, AT 1, § 18 Rn. 5. 503 Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (50); ausführlich Beckmann, MedR 2009, 582 (585 f.), dort freilich auch mit dem Hinweis, dass der XII. Senat im „Lübecker Fall“ die Orientierung am „Wohl“ des Betroffenen oder einem „objektiv mutmaßenden Willen“ mit einer Kri-

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stand in Rechnung, dass auch die Maxime „in dubio pro vita“ auf überindividuellen Kriterien basiert,504 geht es weniger um die Zulässigkeit allgemeiner Präferenzschemata als um deren korrekte Auswahl.505 Da nach richtiger Auffassung die (Weiter-)Behandlung des Patienten legitimationsbedürftig ist,506 läuft, „lässt sich hierfür nichts Fassbares in die Waagschale legen“, dann „alles auf einen Behandlungsabbruch hinaus“.507 Hinsichtlich des Verfahrens zur Umsetzung des mutmaßlichen Willens kann auf das oben zur Patientenverfügung Gesagte verwiesen werden.508 (2) Die Kontroverse um die Zulässigkeit der Einstellung künstlicher Ernährung Im Anwendungsbereich des mutmaßlichen Willens gilt es schließlich noch zu klären, ob die für einen Behandlungsverzicht ermittelten Grundsätze auch dann Geltung beanspruchen, wenn ein Abbruch der künstlichen Ernährung bei irreversibel bewusstlosen, insbesondere wachkomatösen Patienten in Rede steht.509 Dieses Problem ist eng mit der Frage verzahnt, ob eine künstliche Nahrungszufuhr als Basisbetreuung oder eine (sonstige) Pflegemaßnahme zu betrachten ist.510 tik am Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen verbunden hat (vgl. BGHZ 154, 205 [219]). Wie schon mehrfach erwähnt, dürfte zwischen beiden Entscheidungsparametern in der Sache jedoch kein relevanter Unterschied bestehen. 504 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) aa) (2). 505 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 157; vgl. auch Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (50). Dies bedeutet freilich auch, dass die altersbedingte Lebenserwartung und das Erleiden von Schmerzen nach wie vor Kriterien für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sein können. 506 Siehe dazu oben Erster Teil B. II. 3. a) bb) sowie Erster Teil B. II. 3. b) aa) (2). 507 Prägnant Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 157. Anzumerken bleibt, dass wenn das Abstellen auf ein Wohlprinzip nicht als bereits von § 1901a Abs. 2 BGB, d. h. dem mutmaßlichen Willen, erfasst angesehen wird, die in § 1901a ff. BGB geregelten Verfahrensschritte (Einvernehmen zwischen Patientenvertreter und Arzt; ggf. Genehmigung der Maßnahme durch das Betreuungsgericht) auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften durchzuführen sein werden; vgl. Beckmann, MedR 2009, 582 (586). 508 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (a). 509 Ausführlich dazu Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 329 ff.; Nagel, Passive Euthanasie (2002), 47 ff.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 197 ff.; Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 82 ff. Dass der einwilligungsfähige Patient hingegen ohne Weiteres die Einstellung einer künstlichen Ernährung verlangen kann, ist allgemein anerkannt; siehe etwa Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 20a; Otto, Jura 1999, 434 (437); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 115 mit Fn. 419. 510 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 329; siehe auch Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 197.

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Der BGH wurde mit der Problematik erstmalig im „Kemptener Fall“ konfrontiert, thematisierte sie aber nicht, sondern hielt eine solche Behandlungseinstellung ohne Weiteres für statthaft.511 Ebenso ging auch der 2. Senat im „Fuldaer Fall“ ohne nähere Begründung von der Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs durch Nahrungsentzug aus.512 Soweit sie sich damit überhaupt befasst, beurteilt auch die überwiegende Auffassung im straf-,513 zivil-514 und verfassungsrechtlichen Schrifttum515 im Einklang mit der Bundesärztekammer516 den Entzug von Nahrung beim Apalliker nicht anders als den Abbruch sonstiger lebenserhaltender Maßnahmen. Da sämtliche Formen intensivmedizinischer Lebenserhaltung ein „natürliches“ Sterben verhinderten, mithin „künstlich“ seien, lasse sich, so die Begründung, eine unterschiedliche Bewertung von Nahrungseinstellung und sonstigen Maßnahmen nicht plausibel begründen. Gegen eine solche Differenzierung spreche zudem auch die gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, dass Apalliker von ihrem „Verhungern“ subjektiv nichts erlebten und insofern auch nichts erleiden könnten.517

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Vgl. BGHSt 40, 257. Vgl. BGHSt 55, 191; ebenso die zivilrechtliche Rspr., siehe BGHZ 154, 205; OLG Frankfurt NJW 1998, 2747; NJW 2002, 689; OLG Karlsruhe NJW 2002, 685. In einer Entscheidung des LG Duisburg NJW 1999, 2744 (2745) ist im Zusammenhang mit einem Ernährungs- und Behandlungsabbruch immerhin von „ethischen Bedenken“ eines gerichtlichen Sachverständigen „bei Vorliegen eines Restbewußtseins“ die Rede; indes handle es sich dabei um die Wiedergabe einer persönlichen Auffassung, welche die Kammer nicht binde. 513 Z. B. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 85 f.; Ingelfinger, JZ 2006, 821 (826); Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 116 f.; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht (2001), 93 (109); ausführlich Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (561 ff.); diff. Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 201 ff.: Die Ernährungseinstellung sei bei Vorliegen einer Patientenverfügung oder subjektiver Präferenzregeln zulässig; sie lasse sich hingegen nicht auf einen objektiviert-mutmaßlichen Willen des Patienten stützen, da ein entsprechender Konsens in der Gesellschaft nicht bestehe. Im Übrigen verweist Thias auf den Therapieverzicht bei Interkurrenterkrankungen, der seiner Auffassung nach auch unter Zugrundelegung eines objektiviert-mutmaßlichen Willen möglich ist (205 f.). 514 Etwa Götz, in: Palandt, BGB, § 1901a Rn. 6 ff.; Taupitz, Gutachten 63. DJT (2000), A 48; Uhlenbruck, NJW 2003, 1710 (1711). 515 Z. B. Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 45 f. u. Hufen, NJW 2001, 849 (853 f.). 516 Vgl. deren Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 108 (2011), A-346. 517 Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (562) m.w. N. aus dem medizinischen Schrifttum; Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 85 f.; vgl. aber auch Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Medizinstrafrecht (2001), 93 (109), der bei „noch vorhandenem Schmerzempfinden“ die Notwendigkeit einer möglichst schonenden Form der Therapieeinstellung und weiterer Flüssigkeitszufuhr zur Vermeidung schmerzhafter Dehydrierung betont. Dezidiert gegen eine Differenzierung zwischen dem Entzug von Nahrung und dem Entzug von Flüssigkeit aber 512

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Dagegen halten andere Autoren die Einstellung künstlicher Ernährung in solchen Fällen für unzulässig, weil sie darin ein die Menschenwürde des Apallikers verletzendes „Verhungernlassen“ erblicken.518 Indem sie eines seiner ureigensten Bedürfnisse befriedige, komme der Ernährung eines hilflosen Mitmenschen ganz besondere Symbolkraft zu.519 Auch gelte es zu berücksichtigen, dass der Tod in solchen Fällen nicht direkt infolge der Krankheit, sondern indirekt aufgrund Nahrungseinstellung eintrete; letztlich werde also die Wehrlosigkeit des Patienten im apallischen Syndrom ausgenutzt.520 Zudem sei die fehlende Wahrnehmungsfähigkeit des Apallikers medizinisch keineswegs gesichert.521 Schließlich stimme es auch nicht, dass für eine Differenzierung zwischen dem Nahrungsentzug und dem Entzug sonstiger lebenserhaltender Mittel keine Gründe bestünden: Während der Tod beim Abstellen eines Respirators sofort eintrete, ziehe er sich bei Beendigung der künstlichen Ernährung langsam hin, sodass insoweit von einem langwierigen Sterben gesprochen werden könne.522

Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 85. 518 So Bernsmann, ZRP 1996, 87 (91 mit Fn. 67); Laufs, NJW 1998, 3399 (3400); Nagel, Passive Euthanasie (2002), 50 ff. (jedenfalls dann, wenn nicht in einer Patientenverfügung angeordnet) sowie aus verfassungsrechtlicher Sicht Storr, MedR 2002, 436 (440 f.), der anführt, dass angesichts der auf die Gewährung eines Existenzminimums gerichteten staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG jeder einen Anspruch auf Minimalversorgung habe, zu der im Falle des apallischen Syndroms eben auch eine künstliche Ernährung gehöre. Vgl. dagegen aber Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 178 mit dem Hinweis, dass mit dem Leistungsanspruch auf Basisbetreuung keine Pflicht zu ihrer Inanspruchnahme einhergehe. Eibach, MedR 2002, 123 ff., 131 hält die künstliche Ernährung bei nicht Sterbenden für unverzichtbar und bestreitet insoweit auch die Verbindlichkeit vorsorglicher Willensbekundungen, weil diesen ein „Lebenswerturteil“ zugrunde liege. Allerdings werfe eine künstliche Ernährung gegen den schriftlich oder mündlich geäußerten Willen „ethische und v. a. juristische Probleme“ auf, sodass sie „nicht zu empfehlen“ sei. 519 So Eibach, MedR 2002, 123 (125 ff.), der künstliche Ernährung folglich als eine Leistung der unverzichtbaren Basisbetreuung betrachtet; ebenso Laufs, NJW 1998, 3399 (3400); Nagel, Passive Euthanasie (2002), 54 f. u. Storr, MedR 2002, 436 (441). 520 Nagel, Passive Euthanasie (2002), 50. Auf das Ingangsetzen einer neuen Kausalkette machen auch Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 116; Merkel, ZStW 107 (1995), 545 (562 f.) u. Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 203 f. aufmerksam. 521 Nagel, Passive Euthanasie (2002), 51, dort auch mit dem – wenig überzeugenden – Hinweis auf die Gefahr von Fehldiagnosen. Vgl. dagegen Trück, Mutmaßliche Einwilligung und passive Sterbehilfe durch den Arzt (Diss. 2000), 160 f., der die Empfindungsfähigkeit von Apallikern ebenfalls für gegeben hält, einen mutmaßlichen Willen zum Behandlungsabbruch aber gerade auf die mit einer künstlichen Ernährung eventuell verbundenen und vom Patienten auch als solche empfundenen Belastungen stützt. Solche hätten insb. auch im „Kemptener Fall“ (BGHSt 40, 257) vorgelegen, doch habe sie der BGH nicht in die rechtliche Würdigung einbeziehen können, da sie nicht Gegenstand des festgestellten Urteilssachverhalts gewesen wären (a. a. O., 161 mit Fn. 735). 522 Nagel, Passive Euthanasie (2002), 52.

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Diese Argumente können nicht überzeugen. Sieht man einmal davon ab, dass die besondere Symbolfunktion einer medizinischen Maßnahme für sich genommen nur schwerlich geeignet sein kann, einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten zu legitimieren, ist auch schon fraglich, ob der künstlichen Ernährung tatsächlich solch eine besondere, sie von anderen Behandlungsformen abhebende Stellung zukommt. Tatsächlich ist nicht einzusehen, wieso etwa die künstliche Beatmung in dieser Hinsicht anders beurteilt werden sollte. Die Atmung gehört genauso zu den Grundbedürfnissen des Lebens wie die Ernährung, sodass auch das Abschalten eines Respirators für unzulässig erklärt werden könnte, weil auch der gegen die Menschenwürde verstößt, der einem die Luft zum Atmen vorenthält.523 Fehl geht aber auch das Argument von der Setzung einer neuen Todesursache. Hier drängt sich wiederum die Parallele zur künstlichen Beatmung auf, zu der auch in dieser Hinsicht keine Unterschiede bestehen: Die Unfähigkeit zur natürlichen Nahrungsaufnahme und der Verlust der Fähigkeit zur selbstständigen Atmung sind beide gleichermaßen krankheitsinhärent. Verhungert der Patient infolge des Nahrungsentzugs, stirbt er genauso an seiner Erkrankung, wie wenn er nach Abschaltung des Respirators erstickt.524 Ebenso fragwürdig ist der Hinweis auf die nicht auszuschließende Wahrnehmungsfähigkeit des Apallikers. Selbst wenn man sich den anderslautenden medizinischen Erkenntnissen verschließt, kann der Befürchtung von einem noch vorhandenen (Rest-)Schmerzempfinden immer noch durch die prophylaktische Anordnung analgetischer Maßnahmen Rechnung getragen werden.525 Von einem langwierigen, will heißen: qualvollen Sterben kann dann aber nicht mehr die Rede sein. Mit der Verabschiedung des 3. BtÄndG hat der Gesetzgeber diesen Standpunkt übernommen. Indem § 1901a BGB verallgemeinernd von „ärztlichen Eingriffen“ spricht, wird auch die künstliche Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung der Autonomie des Patienten unterstellt.526 Diese Interpretation wird durch die Gesetzesbegründung gestützt, die im Anschluss an die Bundesärztekammer nur das Stillen von Hunger und Durst auf natürlichem Wege als Maßnahmen (unverzichtba523 Ähnlich Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 86 u. Kubiciel, ZJS 2010, 656 (658), der in diesem Zusammenhang treffend von der „Verweigerung einer Basisversorgung mit Luft“ spricht. 524 Ebenso Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 46. 525 Siehe auch Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 117 unter Hinweis auf den Fall des OLG München NJW 2003, 1743, in dem eine ärztliche Anordnung zur Reduktion künstlicher Ernährung und der Zufuhr von Flüssigkeit getroffen worden war und vorsorglich Opiate als Zugaben über die PEG-Sonde zugeführt sowie ein Schmerzpflaster aufgeklebt werden sollten. Nach Weimer, Der tödliche Behandlungsabbruch beim Patienten im apallischen Syndrom (2004), 85 soll in der Medizin überdies anerkannt sein, dass Dehydrierung und Malnutrition aufgrund der körpereigenen Produktion von Analgetika schmerzfrei verlaufen. 526 Siehe auch Verrel, in: Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (Hrsg.), Patientenverfügungen (2010), 13 (25 f.).

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rer) Basisbetreuung nennt und die Notwendigkeit der Einwilligung des Patienten für den Fall betont, dass zur Ermöglichung oder Aufrechterhaltung von Grundfunktionen seines Organismus wie Atmung, Ernährung und Ausscheidung ärztliche Eingriffe erforderlich sind.527 dd) Zum Verhältnis von Straf- und Betreuungsrecht Einer Klärung bedarf abschließend die Frage nach dem Verhältnis von zivilrechtlichem Betreuungsrecht und Strafrecht. In concreto geht es darum, ob ein Behandlungsabbruch die Erwirkung einer Entscheidung des Betreuers/Bevollmächtigten und gegebenenfalls deren betreuungsgerichtliche Genehmigung zwingend voraussetzt oder aber schon dann straflos ist, wenn sich der entsprechende Wille des Patienten aus einer auslegungsbedürftigen Patientenverfügung528 ergibt oder zumindest gemutmaßt werden kann. Den §§ 1901a ff. BGB lässt sich unmittelbar keine Antwort hierauf entnehmen. Dieses Problem wurde allerdings auch schon vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG diskutiert. Der BGH ging in seiner Entscheidung im „Kemptener Fall“ – wie dargelegt529 – von einem Gleichlauf beider Möglichkeiten aus und hielt eine Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs gem. dem mutmaßlichen Patientenwillen auch ohne Einhaltung des betreuungsrechtlichen Prozederes für vorstellbar. Wenngleich von einigen Autoren die Vorrangigkeit der Betreuerentscheidung gegenüber dem Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung betont wurde, weil diese unter den ihr immanenten Subsidiaritätsaspekten nur dann zum Tragen kommen könne, wenn andere Entscheidungswege versperrt sind,530 stand die 527 BT-Drs. 16/8442, 13 unter Berufung auf die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, DÄBl. 101 (2004), A-1298. Darüber hinaus wird auf einen Konsens in der medizinischen Wissenschaft und Praxis verwiesen, medizinische Ernährungsmaßnahmen als Therapie zu betrachten und sie damit hinsichtlich der Indikationsstellung für ihre Einleitung und Beendigung anderen Therapieformen gleichzustellen. 528 Zur Erinnerung: Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Einschaltung eines Vertreters in den seltenen Fällen einer eindeutigen und wirksamen Patientenverfügung bereits zivilrechtlich entbehrlich. 529 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) aa) (2). 530 Siehe Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 127; Vogel, MDR 1995, 337 (338): Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456 (459); vgl. auch allgemein zur Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung Lenckner/SternbergLieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 54; Roxin, AT 1, § 18 Rn. 10 ff. Nach Nagel, Passive Euthanasie (2002), 88 ff. soll beim entscheidungsunfähigen Patienten für eine mutmaßliche Einwilligung kein Raum mehr sein, weil der Arzt sein Entscheidungsmonopol an den zu bestellenden Betreuer verloren habe. Nagel übersieht hierbei, dass es bei der strafrechtlichen Beurteilung passiver Sterbehilfe nicht nur um die Strafbarkeit des Arztes, sondern auch um diejenige des Betreuers geht. Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 128 macht zutreffend darauf aufmerksam, dass für den Betreuer die Rechtfertigung durch die mutmaßliche

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überwiegende Auffassung im Schrifttum der Sichtweise des 1. Senats zustimmend gegenüber. Der Verstoß gegen formale Regelungen des richterlichen Genehmigungsvorbehalts erscheine, so die gängige Begründung, nicht als Tötungsdelikt strafwürdig, weil der Täter zugunsten des Rechtsgutsträgers in dessen Sinne handle.531 Aus einem sich auf formelles Zivilunrecht beschränkenden Handlungsunwert einen materiellen Strafvorwurf herleiten zu wollen, verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.532 Der mitunter geäußerten Befürchtung, bei einem solchen Vorgehen drohe eine Entwertung des betreuungsrechtlichen Verfahrens,533 könne allenfalls de lege ferenda durch Pönalisierung schlichter Verfahrensverstöße in einer eigenen Strafvorschrift Rechnung getragen werden.534 Kann den Ausführungen des 2. Senats im „Fuldaer Fall“ 535 noch keine eindeutige Stellungnahme zum Verhältnis von zivilrechtlichem Betreuungsrecht und Strafrecht entnommen werden,536 scheint er in einem nur kurze Zeit später ergangenen Folgebeschluss, dem „Kölner Fall“,537 von der Straf- und Betreuungsrecht

Einwilligung in jedem Fall notwendig bleibt, weil sich die rechtfertigende Wirkung der von ihm erteilten Einwilligung denknotwendig nicht auf ihn selbst beziehen kann. 531 Siehe Schneider, in: MK, 1. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 129 m.w. N., der den direkten Rückgriff auf die zum Behandlungsabbruch führende Entscheidung allerdings für strafrechtsdogmatisch „anrüchig“ hält; er führe indes zu sachgerechten Ergebnissen. 532 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 325; Saliger, KritV 1998, 118 (142); Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 281 f. 533 Siehe Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 127; Weißauer/Opderbecke, MedR 1995, 456 (460); vgl. auch Kuhlmann, Einwilligung in die Heilbehandlung alter Menschen (1996), 193 für Sachverhalte im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 1904 BGB (a. F.). 534 Siehe Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 325; Saliger, KritV 1998, 118 (143) u. Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 282 f., wobei die beiden erstgenannten Autoren ein generalpräventives Bedürfnis für eine solche Regelung verneinen, weil neben zivil- und standesrechtlichen Folgen die Möglichkeit einer strafrechtlichen ex post-Überprüfung abschreckend genug wirke. 535 BGHSt 55, 191. 536 So insb. Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (548), unter deren Vorsitz das Urteil erging; ferner Engländer, JZ 2011, 513 (518 f.); Verrel, NStZ 2011, 276 (277); Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 381a mit Fn. 63; a. A. Dölling, ZIS 2011, 345 (348) u. Walter, ZIS 2011, 76 (79 f.), die das Urteil so verstehen, dass für die Rechtfertigung von Behandlungsbeendigungen die Einhaltung der betreuungsrechtlichen Vorschriften notwendig ist; wiederum anders Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (555), der die Entscheidung umgekehrt so interpretiert, dass der BGH damit einer Zivilrechtsakzessorietät der Tötungstatbestände eine Absage erteilt hat. 537 BGH NStZ 2011, 274 mit Anm. Verrel, a. a. O., 276. Zum Sachverhalt: Der Angeklagte erschien am Tattag in einem Kölner Krankenhaus, in das seine Schwiegermutter kurz zuvor eingeliefert worden war. Infolge einer Sepsis hatte man die Patientin mittlerweile in ein künstliches Koma versetzt. Da die Ärzte der Aufforderung des Angeklagten, die Behandlung seiner Schwiegermutter umgehend abzubrechen, keine Folge leiste-

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entkoppelnden Sichtweise des 1. Senats im „Kemptener Fall“ grundsätzlich abrücken zu wollen. In einem obiter dictum wird darin die These aufgestellt, dass für einen rechtfertigenden Behandlungsabbruch auf der Grundlage des Patientenwillens nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung im „Fuldaer Fall“ die Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB künftig zu beachten sein werden. Diese Bestimmungen, so die Hervorhebung des BGH, dienten nicht alleine der Verwirklichung das verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts des Patienten, sondern trügen gleichermaßen auch dem von Verfassungs wegen gebotenen Schutz menschlichen Lebens Rechnung, indem sie die notwendigen strengen Beweisanforderungen an die Feststellung eines behandlungsbezogenen Patientenwillens verfahrensrechtlich absicherten. Hiervon ausgehend stellt der 2. Senat fest, dass die betreuungsrechtlichen Vorschriften bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Maßnahmen für das Strafrecht Wirkung entfalten.538 Diese Formulierungen legen die Schlussfolgerung nahe, dass der BGH einen Behandlungsabbruch unter Missachtung der §§ 1901a, 1901b BGB künftig selbst bei objektiver und subjektiver Kongruenz mit dem (mutmaßlichen) Patientenwillen als Tötungsdelikt bestraft wissen möchte.539 Dieser Auffassung ist entgegenzutreten. Die strafrechtliche Bewertung der betreuungsrechtswidrigen Nichteinleitung bzw. -fortführung einer Behandlung kann sich nur danach richten, ob der Täter objektiv und subjektiv in Übereinstimmung mit dem (mutmaßlichen) Patientenwillen gehandelt hat.540 Ist dies der Fall, dann ten, ließ sich dieser per Telefax deren Patientenverfügung übermitteln, wobei die dort festgelegten Voraussetzungen für einen Behandlungsabbruch offenkundig nicht gegeben waren. Nachdem er erneut eine Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen gefordert hatte, ohne vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis zu nehmen, schaltete der Angeklagte eigenmächtig medizinische Geräte zur Versorgung der Patientin ab und brachte diese dadurch in Lebensgefahr. Wenngleich die Patientin durch das Pflegepersonal zunächst gerettet werden konnte, verstarb sie kurze Zeit später an einem septischen Schock, für den das Abschalten der Geräte jedoch nicht ursächlich war. Maßgebend für das Vorgehen des Angeklagten war zum einen die Besorgnis, seine nach dem Krankenhausaufenthalt eventuell pflegebedürftige Schwiegermutter könnte ihm und seiner Familie zur Last fallen; zum anderen wollte er nicht unnötig weiter „rumsitzen“ und warten. 538 BGH NStZ 2011, 274 (276). 539 So zumindest Dölling, ZIS 2011, 345 (348); Engländer, JZ 2011, 513 (519); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 178; Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (555 mit Fn. 100); Verrel, NStZ 2011, 276 (277); Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 381a mit Fn. 63; a. A. Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (548), der zufolge sich dieser Entscheidungspassage – wie auch schon derjenigen in der „Fuldaer Entscheidung“ (BGHSt 55, 191) – lediglich die Aussage entnehmen lässt, dass die Beachtung der Verfahrensbestimmungen der §§ 1901a ff. BGB den Beteiligten die Sicherheit gibt, bei den Bemühungen um die Feststellung des Patientenwillens das Richtige getan bzw. sich gesetzeskonform verhalten zu haben. 540 Siehe Engländer, JZ 2011, 513 (519); Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (548); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179; Verrel, NStZ 2011, 276 (277).

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kann ihm jedenfalls kein strafrechtliches Erfolgsunrecht angelastet werden, weil im Ergebnis ein rechtmäßiger Zustand – das Freisein von nicht (mehr) gewollten medizinischen Eingriffen – (wieder-)hergestellt wurde.541 Die Verfahrensregeln der §§ 1901a ff. BGB lassen keine Interpretation als Normen prozeduraler Rechtfertigung zu.542 Ihre Bedeutung liegt lediglich darin, die Ermittlung des Patientenwillens als materielle Legitimationsvoraussetzung der strafrechtlichen Zulässigkeit von Sterbehilfemaßnahmen durch Statuierung eines förmlichen Verfahrens zu ergänzen und zu unterstützen.543 Die Dinge anders zu sehen, hätte eine „Rechtsgutsvertauschung“ zur Folge, weil die Tötungstatbestände dann nicht mehr dem Lebensschutz, sondern dem Schutz vor schlichten Verfahrensverstößen dienen würden.544 Hält man diese mit Blick auf die Gefahr fehlerhafter Ermittlung des Patientenwillens für pönalisierungsbedürftig, so läge es am Gesetzgeber, einen entsprechenden Straftatbestand zu schaffen, wie dies z. B. im Kontext des Schwangerschaftsabbruchs geschehen ist (vgl. § 218b Abs. 1 StGB).545 Ob dafür aber ein generalpräventives Bedürfnis besteht, muss bezweifelt werden: Die Beteiligten, die um ihre Verpflichtung zur Beschreitung des betreuungsrechtlichen Verfahrenswegs wissen, werden in der Praxis wohl kaum das Risiko einer strafrechtlichen ex post-Überprüfung eingehen.546

541 Siehe Engländer, JZ 2011, 513 (519) u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179, dem zufolge es bei rechtsgutsbezogener Betrachtung allerdings auch an einem strafrechtlich relevanten Handlungsunrecht fehlt, weil der Täter bei Umsetzung des auf Abbruch gerichteten Patientenwillens die Herbeiführung eben dieses rechtmäßigen Zustands anstrebe. Zur Frage, welche Folgen eine Fehleinschätzung des Patientenwillens bei gleichzeitigem Verstoß gegen die Verfahrensregeln der §§ 1901a ff. BGB nach sich ziehen kann, siehe Gaede, NJW 2010, 2925 (2927 f.); Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544 (548) und Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (563). 542 Siehe Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179 m.w. N. Zur Idee einer „Prozeduralisierung“ von Sterbehilfe siehe ausführlich unten Dritter Teil B. III. 1. 543 So Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (552 f.) u. Verrel, NStZ 2011, 276 (277), die diesen Befund mit dem überzeugenden Argument abstützen, dass im umgekehrten Fall die Einhaltung des verfahrensrechtlichen Prozederes keine Rechtfertigungswirkung entfalten kann, wenn der Patientenwille von Betreuer und Arzt bewusst übergangen wird; siehe auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179. 544 Prägnant Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179 im Anschluss an SternbergLieben, Roxin-FS (2011), 537 (553 mit Fn. 87); ebenso Eisele, BT 1, Rn. 168; Rengier, BT 2, § 7 Rn. 8b. 545 Engländer, JZ 2011, 513 (519); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 133; Verrel, NStZ 2010, 671 (675); vgl. auch Hirsch, JR 2011, 37 (39) u. Rosenau, Rissing-van Saan-FS (2011), 547 (563), die aber eine Sanktion im Ordnungswidrigkeitenrecht präferieren. 546 Siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (612 f.), dem zufolge eventuelle zivilund standesrechtliche Folgen zusätzlichen Druck ausüben; ferner Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179, der eine eigenständige Sanktionierung derartiger Regelverstöße erst bei sich mittelfristig abzeichnendem „betreuungsrechtlichen Wildwuchs“ für vorstellbar hält und zusätzlich darauf hinweist, dass die Strafnorm einen ggü. §§ 212, 216 StGB abgesenkten Strafrahmen aufweisen müsste.

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4. Die passive Sterbehilfe de lege ferenda Die rechtspolitische Diskussion im Bereich der passiven Sterbehilfe hat mit der gesetzlichen Verankerung der Patientenverfügung durch das 3. BtÄndG deutlich an Elan verloren. Partiell hinfällig dürfte etwa der AE-StB geworden sein,547 der in einem umfassenden § 214 StGB („Beenden, Begrenzen oder Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen“) auch die Bindungswirkung von Patientenverfügungen und des mutmaßlichen Willens klarstellen wollte: „(1) Wer lebensbeendende Maßnahmen beendet, begrenzt oder unterlässt, handelt nicht rechtswidrig, wenn 1. der Betroffene dies ausdrücklich und ernsthaft verlangt oder 2. der Betroffene dies in einer wirksamen schriftlichen Patientenverfügung für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit angeordnet hat oder 3. der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis zu einer Erklärung über Aufnahme oder Fortführung der Behandlung außerstande ist und aufgrund verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass er im Hinblick auf Art, Dauer und Verlauf seiner Erkrankung die Behandlung ablehnen würde, oder 4. bei nahe bevorstehendem Tod im Hinblick auf den Leidenszustand des Betroffenen und die Aussichtslosigkeit einer Heilbehandlung die Aufnahme oder Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen nach ärztlicher Erkenntnis nicht mehr angezeigt ist. (2) Absatz 1 gilt auch für den Fall, dass der Zustand des Betroffenen auf einem freiverantwortlichen Selbsttötungsversuch beruht.“ 548

Zwar wird aus der Entwurfsbegründung deutlich, dass seine Verfasser ihn nicht als Substitut für eine zivilrechtliche Regelung der Patientenverfügung verstanden wissen wollen. Auch wäre gegen die Vorschrift aus rechtsdogmatischer Sicht nichts einzuwenden.549 Rechtstheoretisch wäre sie hingegen verfehlt. Entgegen der Ansicht der Entwurfsverfasser550 fällt die Patientenverfügung nicht in den Regelungsbereich des Strafrechts. Vielmehr handelt es sich dabei um eine genuin zivilrechtliche Materie.551 Im Schrifttum wird mit Recht darauf hingewiesen, dass es im Strafrecht um das zulässige „Ob“, im Zivilrecht dagegen um das mögliche „Wie“ ärztlichen Tätigwerdens geht. Da die Patientenverfügung Letzte547 Gleiches gilt für den „Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Autonomie und Integrität von Patienten am Lebensende“ von Höfling, MedR 2006, 25. 548 AE-StB, GA 2005, 553 (584). 549 Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung steht dem nicht entgegen; das wäre nur dann der Fall, wenn die Regelung im AE-StB enger als diejenige in § 1901a BGB wäre. 550 AE-StB, GA 2005, 553 (564). 551 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 143; ausführlich dazu Eichenhofer, in: Kodalle (Hrsg.), Das Recht auf ein Sterben in Würde (2003), 69; vgl. auch allgemein zur passiven Sterbehilfe Lipp, in: May u. a. (Hrsg.), Passive Sterbehilfe: besteht gesetzlicher Regelungsbedarf? (2002), 37 (43 mit Fn. 31); ders., FamRZ 2004, 317.

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res beeinflussen will und damit zugleich Ersteres mitentscheidet, sind die mit diesem Rechtsinstitut verbundenen Probleme in erster Linie aus zivilrechtlicher Perspektive zu diskutieren.552 Relevant ist der Gesetzesvorschlag des AE-StB allenfalls noch insoweit, als er deutlich macht, dass auch der technische Behandlungsabbruch zulässige Sterbehilfe ist. Eine entsprechende Klarstellung wäre mit Blick auf den Streit um die richtige dogmatische Begründung für dieses allseits akzeptierte Ergebnis, der nach der hier vertretenen Auffassung auch nicht durch das Urteil des BGH im „Fuldaer Fall“ beigelegt werden konnte,553 nach wie vor durchaus zu begrüßen.

III. Die reine Sterbehilfe Unter dem Begriff „reine Sterbehilfe“ werden üblicherweise schmerzlindernde Maßnahmen in Form der Verabreichung von Analgetika zusammengefasst, die nicht mit (dem Risiko) einer Lebensverkürzung einhergehen.554 Derartige Verhaltensweisen sind mit Blick auf die hier in erster Linie in Betracht kommenden §§ 223 ff. StGB selbstverständlich straflos, wenn der Patient ausdrücklich in die Medikamentengabe einwilligt. Gleiches gilt für den Fall, dass eine bewusste Willensäußerung nicht mehr erlangt werden kann, die medikamentöse Schmerzlinderung jedoch dem mutmaßlichen Willen des Kranken entspricht. Beides ist völlig unbestritten.555 Konsens herrscht auch dahingehend, dass der behandelnde Arzt wegen Körperverletzung durch Unterlassen zu bestrafen ist, wenn er dem Leidenden diese Hilfe vorenthält;556 denn einerseits ist schon die 552 Prägnant Eichenhofer, in: Kodalle (Hrsg.), Das Recht auf ein Sterben in Würde (2003), 69. 553 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. a) cc) (2). 554 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (85); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 99 sowie Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (28), der auch die Einbeziehung zwischenmenschlicher Fürsorge betont. Teilweise wird auch von „echter Sterbehilfe“ (Muschke, Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe? [Diss. 1988], 20), „Hilfe im Sterben“ (Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 21) bzw. „Hilfe beim Sterben“ (Stürmer, Sterbehilfe [1989], 7) oder „reiner Sterbebegleitung“ (Eisele, BT 1, Rn. 157) gesprochen. 555 Siehe z. B. Eisele, BT 1, Rn. 153; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (85); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 99; Wessels/ Hettinger, BT 1, Rn. 31. Von Straflosigkeit ist selbstverständlich auch dann auszugehen, wenn die reine Sterbehilfe Gegenstand einer validen Patientenverfügung gem. § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB ist, mithin ein Abstellen auf den mutmaßlichen Willen gar nicht in Betracht kommt (vgl. § 1901a Abs. 2 Satz 1 BGB). Da es bei der reinen Sterbehilfe i. d. R. nicht um Leben oder Tod geht (vgl. aber auch nachstehende Fn.), wird dies freilich nur selten der Fall sein. 556 Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 101; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 23; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 99. Wirkt sich die unterlassene Schmerzlinderung lebensverkürzend aus, kommt gar eine Strafbarkeit nach §§ 211, 212, 13 StGB in Betracht; siehe z. B. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 23 im Anschluss an Langer, in: Kruse/Wag-

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Intensivierung bzw. Verlängerung von Schmerzen Körperverletzung, andererseits umfasst die ärztliche Behandlungspflicht neben der Heilung auch (bloße) Schmerzlinderung, und dies selbst dann, wenn eine Genesung des Patienten nach Lage der Dinge ausgeschlossen werden kann.557 Bei Nichtgaranten kommt in solchen Fällen eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht.558 Unklar ist dagegen die strafrechtliche Beurteilung von Sachverhalten, bei denen der Kranke (mutmaßlich) gegen die Injektion schmerzlindernder oder beruhigender Mittel optiert. Die Strafbarkeitsfrage hängt hier entscheidend davon ab, ob man die (eigenmächtige) Heilbehandlung mit der h. L. als tatbestandsloses ärztliches Verhalten ansieht oder mit der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur als tatbestandsmäßige Körperverletzung begreift.559 Ohne dass der Streit ausgebreitet werden könnte, sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, dass Letzteres vorzugswürdig ist, weil nur so die Verfügungsbefugnis des Patienten über den eigenen Körper angemessen geschützt wird.560 Die gegen seinen Willen vorgenommene Injektion ist folglich ein unerlaubter Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten und damit nach § 223 StGB strafbar.561 Eine Bestrafung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt dagegen regelmäßig nicht in Betracht, da Behandlungsinstrumente im Fall ihres bestimmungsgemäßen Gebrauchs durch zugelassene Ärzte nicht als „gefährliche Werkzeuge“ i. S. d. Vorschrift anzusehen sind.562

ner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität (1986), 101 (136 f.). Nicht strafbar ist dagegen die Nichtvornahme psychologisch-menschlicher Betreuung jenseits nachweislicher somatischer Störungen; siehe Bottke, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.), Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht (1995), 35 (114). 557 Statt aller Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht (1988), 101. 558 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (86); Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 46. 559 A. A. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (85), der davon ausgeht, dass es sich in den Fällen der reinen Sterbehilfe nicht um einen Heileingriff handelt, dies allerdings nicht näher begründet. Eine nähere Begründung wäre freilich wünschenswert, denn die Verabreichung schmerzstillender Medikamente ist nach allgemeiner Ansicht auch dann noch als Heileingriff aufzufassen, wenn sie keine Verbesserung des status ante bewirkt; siehe statt aller Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 9 m.w. N. 560 Ausführlich Schroth, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 21 (23 ff.). 561 So i. E. auch Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (85), für den hier die Strafbarkeit freilich „eindeutig“ ist, sowie Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 9 f., der den Patientenwillen in den Begriff der medizinischen Indikation integriert. 562 Siehe z. B. Eisele, BT 1, Rn. 309, 332; Lackner/Kühl, § 224 Rn. 5 u. Wessels/ Hettinger, BT 1, Rn. 276; a. A. Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 224 Rn. 8.

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IV. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung Handelt es sich beim Lebensmüden um eine unheilbar kranke Person, kann schließlich auch die Beihilfe zur Selbsttötung in den Kontext der Sterbehilfe einzuordnen sein. Ihre strafrechtliche Beurteilung bildet den Gegenstand des nächsten Abschnitts.563 1. Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Teilnahme daran a) Tatbestandslosigkeit und Rechtmäßigkeit des Suizids Ausgangspunkt aller Erwägungen zu dieser Fallgruppe ist die Schutzrichtung der Tötungsdelikte: Die §§ 211 ff. StGB erfassen nach ganz h. M. nur die Tötung eines anderen Menschen, ist das Verhalten des Suizidenten mit anderen Worten tatbestandslos.564 Vereinzelte Vorschläge, die Strafbarkeit der Selbsttötungsteilnahme565 über eine Konstruktion zu begründen, wonach der Suizid zwar unter eine Fremd- wie Selbsttötungen gleichermaßen erfassenden (fiktiven) Tatbestand falle, der Suizident aber aufgrund eines „besonderen gesetzlichen Entschuldigungsgrundes“, des Erlebens der völligen Sinnlosigkeit des eigenen Lebens, straffrei sei,566 haben in 563 Vorab sei aber noch Folgendes bemerkt: Definiert man Sterbehilfe, wie dies hier in Anlehnung an Roxin geschehen ist, als „Hilfe, die einem unheilbar erkrankten Menschen auf seinen Wunsch oder doch mindestens im Hinblick auf seinen mutmaßlichen Willen geleistet wird, um ihm einen seinen eigenen Vorstellungen entsprechenden menschenwürdigen Tod zu ermöglichen“ (siehe oben Erster Teil A.), dann wird klar, dass nur vorsätzliche Verhaltensweisen erfasst werden. Ausscheiden müssen damit auf jeden Fall die „klassischen“ Fahrlässigkeitskonstellationen, in denen der Dritte z. B. eine Schusswaffe ungesichert verwahrt, die der unheilbar Kranke dann zur Selbsttötung verwendet. Hier kann schon nach herkömmlichem Sprachgebrauch nur schwerlich von „Sterbehilfe“ gesprochen werden. Nicht erfasst werden aber auch Sachverhalte wie der sog. Zivildienst-Fall (BGH NJW 2003, 2326), in denen der Lebensmüde den Dritten unter Vorspiegelung späterer Rettung um die Vornahme einer zur Todesherbeiführung geeigneten Handlung bittet und ihn damit als absichtslos doloses Werkzeug ge- bzw. missbraucht. Zwar ist der Dritte hier unmittelbar in das todbringende Geschehen involviert, doch fehlt ihm wiederum das Bewusstsein, durch das eigene Verhalten zum Tod des Moribunden beizutragen. Folglich kommt erneut nur eine Strafbarkeit nach § 222 StGB in Betracht; ausführlich zum Ganzen Eisele, BT 1, Rn. 193 ff. 564 Siehe dazu BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 32, 367 (371); OLG München NJW 1987, 2940 (2941); Dreier, JZ 2007, 317 (319); Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 100; Momsen, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 211 ff. Rn. 14; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 43. 565 Zu ihrer Straflosigkeit siehe den nächsten Abschnitt unten Erster Teil B. IV. 1. b). 566 Schmidhäuser, Welzel-FS (1974), 801 (810 ff.); ähnlich Klinkenberg, JR 1978, 441 (443 ff.), der dem Polizeirecht sowie § 216 StGB eine Weiterlebenspflicht entnimmt. Eine Erwähnung verdient auch der Vorschlag von Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (643 ff.), der die Strafbarkeit der Suizidteilnahme mittels eines gewohnheitsrechtlichen Straftatbestandes der Selbsttötung i.V. m. § 28 Abs. 2 StGB begründen möchte.

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Rechtsprechung und Lehre keine Anhänger gefunden.567 Und dies mit Recht: Entgegen weit verbreiteter Meinung ergibt sich bereits aus dem Gesetzestext, dass als Tatobjekt eines Tötungsdelikts nur ein anderer Mensch infrage kommt. Neumann macht zutreffend darauf aufmerksam, dass die Behauptung Hoersters, die Selbsttötung sei nach dem „eindeutigen Wortlaut der §§ 211 ff. nicht von der Strafbarkeit ausgenommen“,568 zu Unrecht auf den 1. Halbsatz von § 212 Abs. 1 StGB („Wer einen Menschen tötet [. . .]“) fokussiert und seine Strafandrohung (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren) unberücksichtigt lässt. Anders als im Fall einer Selbstverletzung (§ 223 StGB), bei der eine Bestrafung des Täters theoretisch möglich wäre, sah der Gesetzgeber hier offenkundig keine Veranlassung für eine explizite Tatbestandsbeschränkung auf fremdschädigende Handlungen.569 Systematische Gesichtspunkte untermauern dies: Es wäre ungereimt, dem auf Verlangen Tötenden mit § 216 StGB eine Privilegierung zuzugestehen, die (versuchte) Selbsttötung aber gleichzeitig als (versuchten) Totschlag zu bestrafen.570 Für die Nichtanwendbarkeit der Tötungstatbestände auf den Suizid spricht aber auch die (rechts-)geschichtliche Entwicklung.571 Schließlich war die Schaffung eines Tatbestands zur Bestrafung der Selbsttötungsteilnahme verschiedentlich Gegenstand rechtspolitischer Überlegungen,572 was verdeutlicht, dass man sie Es ist offenkundig, dass diese Konstruktion schon deshalb nicht tragfähig sein kann, weil sie gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Verbot von (strafbarkeitsbegründendem) Gewohnheitsrecht verstößt; siehe zur Kritik Bottke, Suizid und Strafrecht (1982), 34; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 103 f.; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (342 f.). 567 Kritisch etwa Charalambakis, GA 1986, 485 (487); Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 102; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (336 ff.); abl. auch BGHSt 32, 367 (372). 568 Hoerster, NJW 1986, 1786 (1788); vgl. auch Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 9 u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 30, denen zufolge die Beschränkung auf Fremdtötungen nicht eindeutig ist. 569 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 38, dort auch mit dem weiterführenden Hinweis, dass, da die vollendete Tat dem Tatbestand des § 212 StGB nicht unterfällt und der vollendete Suizid somit kein Verbrechen i. S. d. § 23 Abs. 1 StGB ist, es auch keinen tatbestandsmäßigen Suizidversuch gibt. 570 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 215; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 219; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 39; Schroeder, ZStW 106 (1994), 564 (566). 571 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 219; Schroeder, ZStW 106 (1994), 564 (566); zur rechtshistorischen Entwicklung Dreier, JZ 2007, 317 f.; ausführlich Holzhauer, in: Saar/Roth (Hrsg.), Heinz Holzhauer: Beiträge zur Rechtsgeschichte (2000), 60. 572 Siehe dazu Schmidhäuser, Welzel-FS (1974), 801 (806 f.) unter Hinweis auf den Entwurf eines Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuchs von 1927, in dem in § 248 die „Verleitung zum Selbstmord“ unter Strafe gestellt werden sollte (RT-Drs. III/3390, 27, 127), sowie die Sitzung der Großen Strafrechtskommission v. 5.3.1958, in der die Pönalisierung der Beteiligung an einer Selbsttötung entgegen den Empfehlungen in den Vorarbeiten, die an die Entwürfe aus den zwanziger Jahren anknüpften (vgl. Schröder, in: Materialien zur Strafrechtsreform [1954], 292 f.), abgelehnt wurde (vgl. die Nieder-

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de lege lata für straflos hielt.573 Als nicht tatbestandsmäßige Handlung ist die Selbsttötung auch nicht rechtswidrig i. S. v. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB und, da es auch außerhalb des Strafrechts kein rechtliches Verbot gibt, nicht rechtswidrig i. S. eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung in toto.574 Unerheblich ist vor diesem Hintergrund, ob die einfachgesetzliche Rechtslage Ausdruck eines verfassungsrechtlich verbürgten „Rechts auf Selbsttötung“ ist; die Entscheidung einzelner Suizidfragen hängt hiervon nicht maßgeblich ab.575 Daher nur so viel: Die v. a. im älteren Schrifttum vertretenen Auffassungen, nach denen die Selbsttötung im rechtswertungsfreien Raum siedelt576 oder gar verfassungsrechtlich verboten ist,577 konnten sich nicht durchsetzen. Nach überwiegender Meinung handelt es sich bei der eigenhändigen Lebensbeendigung um ein grundrechtlich geschütztes Verhalten, wobei darüber gestritten wird, ob das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)578 oder die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)579 bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)580 einschlägig ist. Die genaue dogmatische Lokaschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 7. Bd., 87 ff.), mit der Folge, dass sie im StGB-Entwurf aus dem Jahr 1962 nicht enthalten war. 573 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 219; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (336). Ob man bei einer Selbsttötung bereits eine Verletzung des Rechtsguts „Leben“ zu verneinen hat, wie dies vereinzelt angenommen wird – siehe Sax, JZ 1975, 137 (146); zust. Neumann, JA 1987, 244 (247); krit. aber Herzberg, ZStW 91 (1979), 557 (572 ff.) –, kann an dieser Stelle offen bleiben. 574 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 41, dort auch mit dem weiterführenden Hinweis, dass die im „Freitodhelfer-Fall“ BGHSt 46, 279 (285) unter Berufung auf BGHSt 6, 147 (153) neuerdings wieder vertretene Auffassung, die Rechtsordnung werte eine Selbsttötung, von äußersten Ausnahmefällen abgesehen, als rechtswidrig, in einem säkularen Staat keine Grundlage haben kann; ebenso Sternberg-Lieben, JZ 2002, 153 (154 f.); siehe ferner Dreier, JZ 2007, 317 (319 mit Fn. 127), der die berechtigte Frage aufwirft, wie eine Handlung (straf-)rechtswidrig sein kann, wenn sie unter keinen Straftatbestand fällt. 575 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 221 mit Fn. 300; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 34 mit Fn. 141; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 34. 576 So Czinczoll, Solidaritätspflichten bei der Selbsttötung (Diss. 1984), 129; Niestroj, Die rechtliche Bewertung der Selbsttötung und die Strafbarkeit der Suizidbeteiligung (Diss. 1983), 78 ff.; zuletzt noch Lorenz, JZ 2009, 57 (60). Siehe zur Lehre vom rechtswertungsfreien Raum Bottke, GA 1982, 346 (348 ff.); Lindner, JZ 2006, 373 (382). 577 Lindemann, DVBL. 1957, 37 (40); vgl. auch BGHSt 6, 147 (153); 46, 279 (285). 578 So insb. Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 221 ff.; Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung (1992), 72 ff., 110 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte – Staatsrecht 2, Rn. 419. 579 Dreier, JZ 2007, 317 (319); Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 8; Kunig, Jura 1991, 415 (418); Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 211. 580 So ausdrücklich K. Möller, KritV 2005, 230 (232 ff.); Schmaltz, Sterbehilfe, Rechtsvergleich Deutschland – USA (2001), 48 ff.; wohl auch Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 19; Uhlenbruck, ZRP 1986, 209 (214 f.); Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung (1975), 90 ff.

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lisierung muss hier nicht erörtert werden; sie ist für den Fortgang dieser Arbeit unerheblich. Wichtig ist nur mit Dreier darauf hinzuweisen, dass es keinesfalls um ein positiv konnotiertes „Recht auf Selbsttötung“ i. S. einer staatlicherseits übertragenen Kompetenz oder gar begrüßten Handlung geht, sondern nur um die Frage, an welchem Grundrecht sich ein etwaiges Suizidverbot müsste messen lassen. Maßgebend ist demnach die umgekehrte Erwägung, dass die staatliche Beschränkung der individuellen Handlungsfreiheit einem Legitimationsdruck unterliegt.581 b) Straflosigkeit der Suizidteilnahme Aus der Tatbestandslosigkeit und Rechtmäßigkeit des Suizids folgt nach ganz h. M., dass sowohl Anstiftung als auch Beihilfe dazu mangels rechtswidriger, d. h. notwendig tatbestandsmäßiger (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) Haupttat i. S. d. §§ 26, 27 StGB straffrei sind.582 Freilich liefert dieses sog. Akzessorietäts- oder Teilnahmeargument nach vorzugswürdiger Auffassung nur den vordergründigen, formalen Grund der Straflosigkeit. Neumann hat überzeugend herausgearbeitet, dass die Beteiligung an einer tatbestandslosen Selbstschädigung vom Regelungsbereich der auf die Beteiligung an der Verletzung von Rechtsgütern Dritter zugeschnittenen Teilnahmebestimmungen ab ovo nicht erfasst wird, daraus aber nicht zugleich folgt, dass derartige Verhaltensweisen stets eine täterschaftliche Tötung wären.583 Die Verantwortungsbereiche von Suizident und Drittem sind vielmehr mithilfe des Eigenverantwortlichkeitsprinzips voneinander abzugrenzen.584 Da der Suizident 581 Siehe Dreier, JZ 2007, 317 (319), dem zufolge die (Wieder-)Einführung der Suizidstrafbarkeit an der Menschenwürdegarantie scheitern würde, weil das daraus abgeleitete Recht auf den eigenen Tod die Wahl des Todeszeitpunktes ebenso umfasse wie das Recht, in Würde zu sterben. 582 BGHSt 2, 150 (152); 13, 162 (167); 24, 342 (343); 32 (367 (371); Arzt, in: Arzt/ Weber, BT, § 3 Rn. 22; Dreier, JZ 2007, 317 (319); Eisele, BT 1, Rn. 37, 170; Krey/ Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 100; Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 34; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (105); Schmaltz, Sterbehilfe, Rechtsvergleich Deutschland – USA (2001), 32; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 43. Straflos sind auch und erst recht allgemein gehaltene, an einen nicht näher bestimmten Personenkreis gerichtete Suizidanleitungen; siehe Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 35; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 48; ausführlich dazu V. Schneider/Rossel/Klug, Spann-FS (1986), 491. 583 So aber Schilling, JZ 1979, 159 (160 ff.), dem zufolge sich die Mitwirkung am Suizid als eine in mittelbarer Täterschaft begangene Fremdtötung darstellt, weil der tatbestandslos handelnde Lebensmüde Werkzeug des Dritten sei. Mit Recht krit. Charalambakis, GA 1986, 485 (488 f.); Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 90; Neumann, JuS 1985, 677 (679); Roxin, NStZ 1984, 71. 584 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 47 f.; ausführlich ders., JA 1987, 244 (246 ff.); zust. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 222 ff.; für das Eigenverantwortlichkeitsprinzip als materiellen Grund der gegenwärtigen Rechtslage auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 33 u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 34.

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zum einen kein Unrecht begeht, zum anderen aber auch für seinen Tod vollumfänglich verantwortlich ist, kommt eine originäre Haftung des Dritten mangels Zurechenbarkeit der nur mittelbar herbeigeführten Todesfolge nicht in Betracht.585 Der allenfalls noch gangbare Weg, ihn in abgeleiteter Form, d. h. über das Verhalten des Suizidenten zu behaften – im Wege der Anstiftung oder der Beihilfe –, ist aufgrund des fehlenden Unrechtscharakters der Selbsttötung aber ebenfalls verbaut, da dem untergeordnet Mitwirkenden kaum der Vorwurf widerrechtlichen Verhaltens zu machen ist, wenn sich die für das Geschehen vorrangig verantwortliche Person selbst nicht rechtswidrig verhält.586 2. Die Abgrenzung von strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Fremdtötung Aus dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip lassen sich zwei Kriterien für die Abschichtung von strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Fremdtötung deduzieren: Da ein Zurechnungsausschluss zugunsten des Dritten nur dann in Betracht kommt, wenn der Suizident eine fehlerfreie Entscheidung pro morte getroffen und selbst über sein Leben verfügt hat, weist die Abschichtung einen „äußeren und einen inneren Aspekt“ auf.587 a) Die innere Abgrenzung Der „innere Aspekt“ betrifft die Frage, inwieweit die geistige und psychische Konstitution des Suizidenten die Abgrenzung zwischen strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Tötungshandlung unabhängig vom äußeren Verhalten der ins Geschehen involvierten Personen beeinflusst.588 Es besteht Einigkeit, dass das Veranlassen, Ermöglichen und Erleichtern eines Suizids im Lichte der Tötungsdelikte nur dann straflos ist, wenn die Selbsttötung Folge einer freiverantwortlichen Willensentscheidung des Rechtsgutsträgers ist, andernfalls die Regeln der mittelbaren Täterschaft zur Anwendung kommen.589 Diese Einigkeit beruht 585

Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 223. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 223 f.; siehe auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 34 m.w. N. und dem weiterführenden Hinweis, dass diese Aufteilung von Zuständigkeitsbereichen unabhängig von der Lauterkeit der Motive des Suizidteilnehmers gilt. 587 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 228 im Anschluss an Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 f.; vgl. aber auch Herzberg, JuS 1988, 771 (772). 588 Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (178). 589 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 37 (dem zufolge es allerdings schon ausreichen soll, dass die Freiverantwortlichkeit „offensichtlich zweifelhaft“ ist; mit Recht dagegen Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 63 unter Hinweis auf den Grundsatz „in dubio pro reo“); Fischer, Vor § 211–216 Rn. 22; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, Rn. 105; Rengier, BT 2, § 8 Rn. 1; Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 121 f.; vgl. auch OLG München NJW 1987, 2940 (2941 f.), das in diesem Zusammen586

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freilich auf einem Formelkompromiss, denn wann eine freiverantwortliche Entscheidung vorliegt bzw. nicht vorliegt, wird unterschiedlich beurteilt.590 aa) Exkulpationslösung vs. Einwilligungslösung Während der BGH in seinen bisherigen Entscheidungen zur Selbsttötungsproblematik eine eindeutige Stellungnahme zum Maßstab der Freiverantwortlichkeit missen lässt,591 stehen sich diesbezüglich im Schrifttum unbeschadet zahlreicher Nuancen im Wesentlichen zwei Lösungsansätze gegenüber: die sog. Exkulpations- und die sog. Einwilligungslösung.592 Nach der Exkulpationslösung sollen die herkömmlichen strafrechtlichen Regeln zum Ausschluss der Schuld (§§ 19, 20, 35 StGB, 3 JGG) entsprechend herangezogen werden.593 Die Mitwirkung an der Selbsttötung ist nach dieser Aufhang allerdings statt von „Freiverantwortlichkeit“ von „Eigenverantwortlichkeit“ spricht. Gegen die Gleichstellung beider Begriffe Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (308). Soweit danach eine täterschaftliche Fremdtötung vorliegt, scheidet § 216 StGB aus, da das Fehlen der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses die „Ernstlichkeit“ des Verlangens ausschließt; siehe Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 37; Momsen, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 211 ff. Rn. 18; Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (178). Verkennt der Dritte das Fehlen der Freiverantwortlichkeit, so kann fahrlässige Tötung (§ 222 StGB), bei Unkenntnis der tatsächlich gegebenen Freiverantwortlichkeit versuchter Totschlag bzw. Mord (§§ 212, 211, 22 StGB) in Betracht kommen; siehe z. B. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 37; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 63; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 64. 590 Ausführlich zum Streitstand Gropp, in: Pohlmeier u. a. (Hrsg.), Suizid zwischen Medizin und Recht (1996), 13; Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, seine Schranken und die strafrechtlichen Konsequenzen (2000), 164 ff.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 Rn. 37 ff. 591 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 37; siehe aber auch Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 50, denen zufolge BGH NStZ 1983, 117 (118) die Einwilligungslösung (dazu sogleich) zugrunde liegt; dagegen Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (178 mit Fn. 7) mit dem Hinweis, dass dort nur die „freie Willensbestimmung“ des Sterbewilligen betont, aber nicht gesagt werde, unter welchen Voraussetzungen sie etwa fehlen könnte. 592 Nicht erörtert wird im Folgenden die eigenständige Konzeption von Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (81 ff.), der sich bei der Interessenverteidigung des Suizidenten sowohl an dessen Wohl als auch an dessen Autonomie orientieren will und dabei auch die sachlichen und persönlichen Umstände, d. h. die konkrete Plausibilität des Selbsttötungsentschlusses berücksichtigt. Zur Kritik an dieser „weich“ paternalistischen Konzeption siehe ausführlich Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (181 ff.). 593 Bottke, Suizid und Strafrecht (1982), 248 ff.; ders., GA 1983, 22 (31 f.); Klinger, Die Strafbarkeit an einer durch Täuschung herbeigeführten Selbsttötung (Diss. 1992), 86 ff.; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (346 f., 349); ders., Goltdammer’s Arichv-FS (1993), 177 (178 f.); Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 116 ff. Für die Exkulpationslösung im Ansatz auch Achenbach, Jura 2002, 542 (543) sowie Schünemann, NStZ 1982, 60 (62 f.), denen zufolge allerdings bereits Zustände i. S. d. § 21 StGB die Annahme von Freiverantwortlichkeit verbieten; Letzterer hat in LK, § 25 Rn. 106 ff. seine Position im Hinblick auf Irrtumsfälle mittlerweile aufgegeben.

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fassung folglich nur als Fremdtötung strafbar, wenn die Tat des Lebensmüden Ausdruck jugendlicher Unreife ist oder im Zustand geistiger Erkrankung, schwerer seelischer Störung bzw. in einer gravierenden Notstandslage verübt wurde.594 Die Verfechter der mittlerweile wohl herrschenden Einwilligungslösung wollen hingegen die Maßstäbe anlegen, die in Rechtsprechung und Lehre für eine wirksame Einwilligung bzw. ein „ernstliches Verlangen“ i. S. d. § 216 StGB vorausgesetzt werden.595 Freiverantwortlich handelt der Lebensmüde nach dieser Ansicht zum einen, wenn er über natürliche Einsichtsfähigkeit verfügt und die Tragweite seines Entschlusses überblicken kann; zum anderen ist die Mangelfreiheit seiner Willensbildung erforderlich, die unbeeinflusst von Drohung, Täuschung oder Zwang gewesen sein muss.596 Praktische Relevanz kommt dem Streit v. a. bei Nötigungsmitteln unterhalb der Schwelle des § 35 StGB, bei einer unterhalb der Grenze des § 20 StGB liegenden (und damit § 21 StGB zu unterstellenden) Beeinträchtigung der Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit des Suizidenten sowie bei einem durch einen „Motivirrtum“ ausgelösten Suizidentschluss zu:597 Während hier die Verfechter der Exkulpationslösung die Freiverantwortlichkeit des Suizids durchweg bejahen, gehen die Anhänger der Einwilligungslösung grundsätzlich von einer nicht freiverantwortlichen Selbsttötung aus.598 594

Statt aller Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 38. Brandts/Schlehofer, JZ 1987, 442 (444); Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 299 f.; Eisele, BT 1, Rn. 183; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 36; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 26; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 255 ff.; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 13a; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 20; M.-K. Meyer, Ausschluss der Autonomie durch Irrtum (1984), 221 ff.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 65; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 48. Grundlegend Herzberg, JuS 1974, 374 (379) im Anschluss an Geilen, JZ 1974, 145 (151 f.). 596 Statt aller Eisele, BT 1, Rn. 183. 597 Siehe dazu Schneider, in: MK, Vor §§ 211 Rn. 49 ff. mit einem ausführlichen Überblick. 598 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf die letzte Fallgruppe; bei ihr ist innerhalb der Anhängerschaft der Einwilligungslösung umstritten, ob alle Motivirrtümer oder nur solche von Gewicht bedeutsam sind. Für Ersteres z. B. M.-K. Meyer, Ausschluss der Autonomie durch Irrtum (1984), 234 ff.; Mitsch, JuS 1995, 888 (892); vgl. auch Brandts/Schlehofer, JZ 1987, 442 (447 f.), die allerdings darauf hinweisen, dass die Sozialadäquanz bzw. das erlaubte Risiko als Korrektiv fungieren könne und damit belanglose Täuschungen im gesellschaftlichen Bereich meinen. Für Letzteres in erster Linie Neumann, JA 1987, 244 (253 f.), der zwischen Irrtümern über Sinn und Qualität des zu erwartenden weiteren Lebens (Annahme einer unheilbaren Erkrankung), über die Folgen des Todes (Erreichen politischer Ziele, vorgetäuschter Doppelsuizid) und über die Umstände des Todes (der Lebensmüde will sich am Grab seiner Geliebten töten, ordnet aber dessen Lage falsch ein) differenziert; wenngleich diese Anordnung einem tendenziell abnehmenden Gewicht des jeweiligen Motivirrtums entspreche, müsse die Einordnung in die eine oder andere Fallgruppe aufgrund einzelfallspezifischer Wertungen nach komparativen Prinzipien erfolgen, bei der auch eine etwaige Verantwortlichkeit des Hintermannes für den Motivationsfehler zu berücksichtigen sei. 595

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Zu abweichenden Ergebnissen müssen beide Auffassungen aber auch dann gelangen, wenn es – wie hier – um die bloße Mitwirkung am Suizid unheilbar kranker Menschen geht. Soweit Roxin als einer der prominentesten Verfechter der Exkulpationslösung hier Gegenteiliges mit der Begründung behauptet, ein solcher Mensch handle, wenn er aus dem Leben scheiden wolle, regelmäßig „nicht in zurechnungsunfähigem Zustand, sondern unter voller Einsicht in seine Situation und unter sorgfältiger Abwägung aller für ihn maßgeblichen Umstände“, und weiter ausführt, dass etwa im „Fall Hackethal“ 599 die Freiverantwortlichkeit des Suizids „nach allen dazu vertretenen Lehren außer Zweifel“ gestanden habe,600 dann liegt dem eine verkürzte Sicht der Dinge zugrunde. Denn die Anhänger der Exkulpationslösung wollen ja neben den Regeln über die Schuldunfähigkeit auch § 35 StGB entsprechend anwenden. Geht man aber – was freilich nicht unumstritten ist – davon aus, dass in Drittschädigungsfällen mittelbare Täterschaft nicht nur dann in Betracht kommen kann, wenn der Hintermann die Notlage herbeiführt (z. B. durch eine Lebensbedrohung des Werkzeugs), sondern auch dann, wenn die Zwangslage bereits vorhanden ist und dem in Notstand Geratenen überhaupt erst ermöglicht wird, sich auf Kosten Unschuldiger zu retten,601 so ist nicht zu sehen, wieso in den Fällen einer Selbstschädigung mittelbare Täterschaft nur bei einer Nötigung mit den Mitteln des § 35 Abs. 1 StGB in Betracht kommen soll. Bei konsequenter Übertragung dieser Grundsätze müsste vielmehr auch dann von mittelbarer Täterschaft auszugehen sein, wenn der Hintermann dem in Not geratenen Vordermann die Selbstschädigung durch seine physische Unterstützung überhaupt erst ermöglicht, indem er ihm z. B. – wie im „Fall Hackethal“ – Kaliumzyanid zur Verfügung stellt und ihn über die Einnahme instruiert.602

599 OLG München NJW 1987, 2940 mit Anm. Herzberg, JZ 1988, 182. Zum Sachverhalt: Ein prominenter Arzt betreute in seiner Privatklinik eine Patientin, die durch unheilbaren Gesichtskrebs entstellt war und größte Schmerzen litt. Nachdem sie mehrfach eindringlich um Hilfe bei der Selbsttötung gebeten hatte und er zur Überzeugung von der Aussichtlosigkeit ihres Zustands gelangt war, versprach der Arzt seine Unterstützung. Er übergab der Patientin Kaliumzyanid und instruierte sie über die Einnahme, woraufhin diese das Gift schluckte und alsbald ohne Todeskampf verstarb. 600 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (106). 601 Siehe Roxin, AT 2, § 25 Rn. 52 mit dem Beispiel des Dritten, der einem verschütteten und sonst todgeweihten Bergmann Sprengstoff verschafft, damit dieser sich den Weg nach draußen freisprengen kann, obwohl dadurch, wie beide wissen, andere Bergleute umkommen werden. Gegen mittelbare Täterschaft in solchen Fällen aber Jescheck/Weigend, AT, 639; Heine, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 33. 602 Vgl. Herzberg, JA 1985, 336 (339); ders., JuS 1988, 771 (774 f.), der allerdings unzutreffend davon ausgeht, dass Roxin im „Fall Hackethal“ eine Tötung auf Verlangen in mittelbarer Täterschaft hätte annehmen müssen. Tatsächlich käme auch unter Zugrundelegung der Exkulpationslehre ausschließlich ein Totschlag in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) in Betracht: Wie bereits dargelegt (vgl. oben

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bb) Stellungnahme Schon aus kriminalpolitischen Gründen erscheint daher die h. L. als die vorzugswürdige. Herzberg weist mit Recht darauf hin, dass gerade dann, wenn jemand den gegenwärtigen Qualen einer unheilbaren Krankheit durch Suizid entfliehen will, dogmatisch sichergestellt werden muss, „daß der mitleidige Helfer auch bloßer Gehilfe bleibt und als solcher freigesprochen werden kann“.603 Für diese Ansicht streiten aber auch die überzeugenderen strafrechtsdogmatischen Erwägungen, denn die Exkulpationsregeln beziehen sich ausschließlich auf Fremdschädigungen. Ihre analoge Anwendung auf Selbstschädigungen verbietet sich, weil beide Sachverhalte in normativer Hinsicht einen grundlegenden Unterschied aufweisen: Verlässt der Handelnde in erstgenannten Konstellationen mit einer Missachtung strafrechtlicher Verbotsnormen bewusst den Boden des Rechts und kann seine Verantwortlichkeit deshalb nur in begrenztem Umfang aufgehoben sein, ist das in letztgenannten Konstellationen mit Blick auf die Straflosigkeit des Suizids gerade nicht der Fall.604 Man kann insoweit auch von einer „Appellwirkung des rechtlichen Verbots“ 605 sprechen, die bei einer Selbsttötung gerade fehlt. Freilich wird dieses „dogmatisch-konstruktive Manko“ der Exkulpationslösung für deren Anhänger „bei wertender Betrachtung durch die vom kreatürlichen Selbstschutzmechanismus ausgehende physische Gegenmotivation ausgeFn. 589), schließt das Fehlen der Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses die „Ernstlichkeit“ des Verlangens i. S. d. § 216 StGB aus. Siehe im Übrigen auch Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 26 mit dem Beispiel des im Autowrack eingeklemmten, brennenden Unfallopfers, dessen Bitte nach Erlösung wegen der Situation des § 35 StGB die Ernstlichkeit abgesprochen werden müsste, mit der Folge, dass der dieser Bitte nachkommende Helfer nach § 212 StGB (nicht § 216 StGB) strafbar wäre. 603 Herzberg, JA 1985, 336 (339). Die von zahlreichen Anhängern der Einwilligungslösung ebenfalls im kriminalpolitischen Kontext bemühten Ergebnisse der modernen Suizidforschung (vgl. etwa Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 27 ff.; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, § 1 Rn. 90 ff.; M.-K. Meyer, Ausschluss der Autonomie durch Irrtum [1984], 230 ff.; Sinn, in: SK, § 212 Rn. 14), denen zufolge die meisten Suizidfälle als Abschluss einer krankhaften, durch die drei Merkmale „Einengung“, „Aggressionsumkehr“ und „Suizidfantasien“ gekennzeichneten Entwicklung angesehen werden müssten (sog. präsuizidales Syndrom), können die Vorzugswürdigkeit dieser Konzeption hingegen nicht fundieren. Bottke, Suizid und Strafrecht (1982), 255; Roxin, DreherFS (1977), 331 (349 ff.) u. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 58 ist zuzugestehen, dass psychiatrische Erkenntnisse ggf. auch im Rahmen von § 20 StGB berücksichtigt werden können, mithin beide Lösungsansätze „empirieoffen“ sind; vgl. auch Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 144 f. 604 Herzberg, JA 1985, 336 (339); Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 29; Lackner/ Kühl, Vor § 211 Rn. 13a i.V. m. Rn. 12; Mitsch, JuS 1995, 888 (891); Neumann, JA 1987, 244 (251 f.); ders., in: NK, Vor § 211 Rn. 65; Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 64. Grundlegend Geilen, JZ 1974, 145 (151). 605 Dieser plastische Begriff geht zurück auf Herzberg, JuS 1974, 374 (378).

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glichen“.606 So sei es gewiss verwerflich, eine psychisch angeschlagene Person durch Vorspiegelung einer Krankheit zur Selbsttötung zu bewegen, doch dürfe man andererseits durchaus erwarten, dass der Getäuschte den unqualifizierten Behauptungen eines Laien nicht blind vertraut und sich zwecks Untersuchung seines Zustands an entsprechende Fachpersonen wendet.607 Dagegen sprechen aber zwei miteinander zu verbindende Gesichtspunkte: Erstens geht es bei den Exkulpationsregeln nicht um das, was der Täter kann, sondern um die berechtigten Erwartungen der Rechtsordnung an ihn, d. h., es stehen Zumutbarkeitsfragen im Vordergrund.608 Zweitens ist nicht so recht zu sehen, warum vom Lebensmüden ein Rückgriff auf gegenmotivatorische Kapazitäten verlangt werden sollte, da es für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit stets nur auf das momentane Versagen des Einsichts- und Hemmungsvermögens ankommen kann; ob und, wenn ja, welche besseren Einsichts- bzw. Hemmungsmöglichkeiten der Lebensmüde gehabt hätte, ist dagegen gänzlich irrelevant.609 Vor diesem Hintergrund geht auch der Einwand ins Leere, es sei widersprüchlich, in den Fällen, in denen der seinen Suizidversuch Überlebende auch Rechtsgüter Dritter beeinträchtigt, den Suizidversuch als solchen als unfrei, die Fremdschädigung aber als strafbar zu erachten.610 Derartige Differenzierungen sind nicht widersprüchlich, sondern mit Blick auf den Strukturunterschied von Selbstund Fremdschädigungen gerade geboten.611

606 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 60 im Anschluss an Bottke, Suizid und Strafrecht (1982), 255; ferner Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, seine Schranken und die strafrechtlichen Konsequenzen (2000), 182; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (346). 607 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 56, der jedoch selbst zugestehen muss, dass diese Argumentation problematisch und i. E. unhaltbar wird, wenn eine fachkundige Auskunftsperson (etwa der behandelnde Arzt) die Falschauskunft erteilt; indes dürfe sich die Theoriebildung nicht an derartigen „Extremfällen“ orientieren; es komme nicht von ungefähr, dass die Rspr. über einen durch Vortäuschung einer Krankheit verursachten Suizid bisher noch nicht habe entscheiden müssen. Mit dieser Bemerkung geht Schneider freilich großzügig über den Umstand hinweg, dass es genau solche Fälle sind, an denen er seinen Haupteinwand gegen die Einwilligungslösung – ihre (angeblich) mangelnde Trennschärfe – festmacht (a. a. O., Rn. 62). 608 So im Kontext der analogen Anwendung von § 35 StGB Neumann, JA 1987, 244 (252). 609 So im Zusammenhang mit der analogen Anwendung von § 51 StGB a. F. als Vorgängervorschrift zu §§ 19, 20, 21 StGB Geilen, JZ 1974, 145 (151). Neumann, JA 1987, 244 (252 f.) macht zutreffend darauf aufmerksam, dass die fehlenden rechtlichen auch nicht durch möglicherweise rechtlich relevante gesellschaftliche Erwartungen substituiert werden können, weil es beim Suizid um eine moralisch indifferente Handlung geht und der zweifellos vorliegende Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln eine erhöhte Verantwortlichkeit des Suizidenten nicht begründen kann. 610 So Bottke, Suizid und Strafrecht (1982), 251; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 60; Simson, Die Suizidtat (1976), 81. 611 Dazu mit anschaulichen Fallbeispielen Herzberg, JA 1985, 336 (338 f.).

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Hinzu kommt ein Weiteres: Im gleichen Umfang, wie der Strukturunterschied zwischen Selbst- und Fremdschädigungen einerseits gegen eine (analoge) Anwendung der Exkulpationsregeln spricht, legt andererseits die Parallele zwischen der Tötung auf Verlangen und dem Suizid – beide entsprechen dem Wunsch des Rechtsgutsträgers nach Lebensbeendigung – eine Heranziehung des Einwilligungsmaßstabs nahe.612 Der hiergegen vorgebrachte Einwand der fehlenden psychologischen Vergleichbarkeit der Tatsituation613 überzeugt nicht: Zum einen ist keineswegs ausgemacht, dass derjenige, der einen Dritten zur Tötung auffordert, sich mit einer anderen Hemmschwelle konfrontiert sieht als derjenige, der selbst eine Medikamentenüberdosis einnimmt; zum anderen ergibt sich die situative Parallele daraus, dass der Wille des Lebensmüden hier wie dort gleichermaßen selbstdestruktiv wirkt.614 Nach alledem ist die Einwilligungslösung der Exkulpationslösung überlegen. Für Letztere könnte allenfalls noch angeführt werden, die Grenzziehung zwischen Suizidteilnahme und Fremdtötungstäterschaft werde durch die Anwendung des Einwilligungsmaßstabs unsicherer, als sie es bei Heranziehung der Vorschriften über die Schuldfähigkeit wäre.615 Angesichts der Unklarheit darüber, welche Willensmängel die Unwirksamkeit einer Einwilligung begründen, ist dies zwar richtig, doch kann dieser Ansatz dadurch nicht desavouiert werden: Wenn man diese Unsicherheit nicht schon als „höchst wünschenswerte Flexibilität“ interpretieren möchte,616 dann muss man sich eben um eine klare(re) Konturierung der Einwilligungsgrenzen bemühen.617 Abschwächung erfährt dieser Einwand im

612 Eisele, BT 1, Rn. 183; Herzberg, JA 1985, 336 (340); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 26; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 13a; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 48. 613 So v. a. Charalambakis, GA 1986, 485 (491); Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (345); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 61. 614 M.-K. Meyer, Ausschluss der Autonomie durch Irrtum (1984), 221; ebenso Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 26; vgl. auch ders., in: LK, 11. Aufl., § 216 Rn. 7. 615 So insb. Klinger, Die Strafbarkeit an einer durch Täuschung herbeigeführten Selbsttötung (Diss. 1992), 94; Roxin, Goltdammer’s Arichv-FS (1993), 177 (179); ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (106); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 55, 62 f.; Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 117. 616 So Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 300, dort auch mit dem anschaulichen Beispiel eines schwer leidenden moribunden Minderjährigen, dessen Suizid sich unter Rückgriff auf die Einwilligungsregeln als freiverantwortlich qualifizieren ließe, während der Selbsttötungsversuch eines Anwalts als Reaktion auf die Brandzerstörung seiner Kanzlei als unfreiverantwortlich bewertet werden könnte. 617 So Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 230; siehe auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 300, der mit Recht betont, dass die Unsicherheit der Einwilligungsregeln ein Problem der ganzen Strafrechtsordnung ist; dagegen aber Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 63, dem zufolge die fehlende Trennschärfe nicht nur vorübergehender Natur, sondern „geradezu das Programm einer

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Übrigen dadurch, dass die von der Gegenauffassung analog angewendeten Exkulpationsregeln mit Blick auf die fehlende Fremdschädigung mit dem Fixpunkt des „,Unrechts‘“ der Tat eine eindeutige Bezugsgröße missen lassen.618 b) Die äußere Abgrenzung Der „äußere Aspekt“ betrifft die Frage nach der Beschaffenheit der jeweiligen äußeren Tatbeiträge von Getötetem und Mitwirkendem mit Blick auf die Abgrenzung von strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Tötung auf Verlangen.619 Um straffrei zu sein, müssen sich Mitwirkungsakte eines Dritten als Veranlassung, Ermöglichung oder Erleichterung einer Selbsttötung darstellen, d. h., sie dürfen nicht in eine Fremdtötung übergehen.620 Zwar wird sich die Täterstellung regelmäßig aus dem äußeren Geschehensablauf ergeben,621 doch kann die Abgrenzung auch Schwierigkeiten bereiten. aa) Problembehaftete Fallgruppen Diese Schwierigkeiten stellen sich immer dann, wenn der Dritte unmittelbar in das Tötungsgeschehen involviert ist.622 Das streitbefangene Fallmaterial lässt sich im Wesentlichen in zwei Richtungen auffächern:623 topisch wertenden Dogmatik“ ist, wobei derartige Schwächen bei der Abschichtung von Straflosigkeit und Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren untragbar seien. 618 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 65; siehe dazu auch Herzberg, JA 1985, 336 (338). 619 Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 f. Liegen die Voraussetzungen des § 216 StGB nicht vor, was freilich nur sehr selten der Fall sein wird, kommt eine Strafbarkeit nach §§ 211, 212 StGB in Betracht; siehe Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 230. Klarstellend sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die bloße Einwilligung des Opfers in das Tötungsbegehren des Täters den Anforderungen aus § 216 StGB an ein „Bestimmen“ nicht genügt; siehe BGHSt 50, 80 (92). 620 Prägnant Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 36. 621 Siehe statt aller Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 216 Rn. 11 mit dem Hinweis, dass derjenige, der den Sterbewilligen auf dessen (freiverantwortliche) Aufforderung unmittelbar (z. B. durch Erschießen) zu Tode bringt, ohne Weiteres aus § 216 StGB strafbar ist; ebenso Schneider, in: MK, § 216 Rn. 32, der aber darauf aufmerksam macht, dass bereits umstritten ist, ob das einverständliche Einflößen eines Gifttranks eine Tötung auf Verlangen (so Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 216 Rn. 11) oder eine straflose Suizidteilnahme darstellt (so Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie [2001], 273; Eisele, BT 1, Rn. 175; Otto, Tröndle-FS [1989], 157 [163 mit Fn. 26]), wenn der Lebensmüde zwischen Hinunterschlucken oder Ausspucken des Getränks frei entscheiden kann. 622 Beschränkt sich der Beitrag des Dritten hingegen auf bloße Unterstützungshandlungen im Vorfeld des suizidalen Geschehens (z. B. Beschaffung der Tatwaffe), ist seine Straflosigkeit unproblematisch; siehe dazu Schneider, in: MK, § 216 Rn. 32; vgl. auch Hirsch, Lackner-FS (1987), 597 (607). 623 Siehe zum Folgenden die Übersicht bei Schneider, in: MK, § 216 Rn. 32 ff.

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Unklar ist die strafrechtliche Beurteilung zum einen in denjenigen Fällen, in denen der Lebensmüde und der Dritte im unmittelbaren Augenblick der Todesherbeiführung in mittäterschaftsähnlicher Manier zusammenwirken. Das wohl berühmteste Beispiel für eine derartige Konstellation ist der von Herzberg gebildete und in der Folge von zahlreichen Autoren aufgegriffene Fall des Lebensmüden, der sich auf sein Zeichen von einem zuvor dafür bezahlten Arbeitskollegen mit einem Lkw auf dem Gelände seiner Speditionsfirma überfahren lässt („Lkw-Fall“).624 Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen zum anderen bei Sachverhalten, die sich dadurch auszeichnen, dass das gewählte Tötungsmittel bzw. die gewählte Tötungsart nicht augenblicklich zum Erfolg führt, sich die Wirkung vielmehr über einen längeren Zeitraum hinweg entfalten muss. Hierher gehören die Fälle des sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizids, mit dem sich das RG im „Gashahn-Fall“ 625 und der BGH im ähnlich gelagerten „Gisela-Fall“ 626 auseinandersetzen mussten. Daneben geht es auch um Konstellationen, bei denen dem Sterbewilligen nach Vornahme der potenziell tödlichen Handlung durch den Dritten nur noch die Möglichkeit der Einleitung rettender Gegenmaßnahmen verbleibt. Als ein Beispiel kann der viel diskutierte Fall Merkels dienen, in dem der Arzt dem Sterbewilligen ein langsam wirkendes Gift injiziert und ihm anschließend ein wirksames Gegenmittel anbietet („Injektions-Fall“).627

624 Herzberg, JA 1985, 131 (137); ferner Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 231 f.; Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (79); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 54; Roxin, Goltdammer’s Arichv-FS (1993), 177 (185); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 48, 50, 53. 625 RG JW 1921, 579 mit Anm. P. Merkel, JW 1921, 579. Zum Sachverhalt: Der junge Angeklagte und seine gleichfalls junge Geliebte beschlossen, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Dazu verriegelte er Türen und Fenster und öffnete alle Gashähne, während sie Türen und Fensterritzen mit feuchten Tüchern verstopfte. Anschließend erwarteten sie gemeinsam den Tod. Das Mädchen verstarb, während ihr Freund gerettet werden konnte. Das RG verurteilte ihn wegen Tötung auf Verlangen. 626 BGHSt 19, 135 mit Anm. Dreher, MDR 1964, 337; Paehler, MDR 1964, 647. Zum Sachverhalt: Der Angeklagte und seine 16-jährige Freundin namens Gisela, deren Liebesbeziehung von den Eltern des Mädchens untersagt worden war, beschlossen, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Dazu setzten sie sich in das Auto des Angeklagten, der einen Schlauch vom Auspuff zum Fenster der Fahrerseite geführt hatte. Gisela verriegelte die Tür zum Beifahrersitz. Der Angeklagte trat dann das Gaspedal durch, bis er bewusstlos wurde. Während er noch gerettet werden konnte, verstarb das Mädchen kurze Zeit später. Der BGH gelangte zu einer Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen. 627 Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (80); auf diesen oder ähnliche Fälle rekurrieren u. a. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 232; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 56; Roxin, Goltdammer’s Arichv-FS (1993), 177 (185); C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 38 mit Fn. 64; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 52.

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bb) Die Position der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zieht die Grenze zwischen strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Tötung auf Verlangen schon seit geraumer Zeit anhand der Grundsätze der Tatherrschaftslehre. In Abkehr von der auf die subjektive Theorie abhebenden Spruchpraxis des RG, an die zunächst auch der BGH anknüpfte, hat der 2. Strafsenat 1963 im „Gisela-Fall“ festgestellt, dass das subjektive Kriterium des „Täter-“ bzw. „Teilnehmerwillens“ nicht weiterführen könne, da auch § 216 StGB tatbestandlich die Unterordnung unter fremden Willen voraussetze.628 Vielmehr komme es, so das Gericht weiter, allein auf die tatsächliche Beherrschung des todbringenden Geschehens an. Entscheidend sei, ob sich der Sterbewillige in die Hand eines anderen begeben habe, um duldend den Tod von ihm entgegenzunehmen, oder ob er bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behalten habe. Die Möglichkeit, nach dem Tatbeitrag des anderen noch über Leben und Tod zu entscheiden, reiche hierfür nicht aus; maßgeblich sei der Gesamtplan. Soll der Beitrag eines Beteiligten nicht bis zum Erfolgseintritt willensgesteuert fortdauern, sondern nur die Kausalkette so anstoßen, dass der andere sich den Auswirkungen noch entziehen oder sie beenden kann, so liege nur Beihilfe zur Selbsttötung vor. So hätten die Dinge im „Gashahn-Fall“ gelegen.629 Vorliegend sei der Gesamtplan aber ein anderer gewesen, weil der Angeklagte das Gesamtgeschehen steuern und die auf den beiderseitigen Tod zielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt eigener Bewusstlosigkeit fortsetzen sollte. Dass das Opfer zunächst noch den Wagen hätte verlassen können, sei unerheblich. Es habe sich zur duldenden Hinnahme der auf den Tod zielenden Handlung des Angeklagten entschlossen, ohne den letztmöglichen Zeitpunkt des Sich-Entziehen-Könnens genau zu kennen.630 cc) Auffassungen in der Lehre Die überwiegende Literaturauffassung nähert sich der Problematik aus ähnlicher Richtung, setzt dabei aber andere Akzente. Von der Prämisse ausgehend, dass in den Fällen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens bei einem Suizid keine Mittäterschaft i. S. d. § 25 Abs. 2 StGB vorliegen könne, weil diese zwei Straftäter voraussetze und nur zwischen solchen eine wechselseitige Zurechnung ermögliche, die Selbsttötung für den Suizidenten aber straflos sei,631 soll in Abwandlung der allgemeinen Tatherrschaftsregeln danach zu fragen sein, wer die 628 BGHSt 19, 135 (138 f.); vgl. aber noch RG JW 1921, 579; BGHSt 13, 162 (166) – „Hammerteich-Fall“. 629 Schneider, in: MK, § 216 Rn. 38 macht darauf aufmerksam, dass das passive Verharren in der Gefahrensituation vom BGH folglich als Ausdruck von Tatbeherrschung angesehen wird. 630 BGHSt 19, 135 (139 f.).

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Herrschaft über den letzten, unwiderruflichen Akt, den sog. point of no return,632 ausübt. Werde der „point of no return“ vom Lebensmüden überschritten, sei die Mitwirkung des Dritten lediglich als Teilnahme am Suizid zu werten; überschreite ihn hingegen der Dritte, liege eine Tötung auf Verlangen vor.633 Der Sache nach geht es bei dieser auch als „modifizierte Tatherrschaftslösung“ bezeichneten Lehre um nichts anderes als um einen objektiven Zurechnungsausschluss nach Eigenverantwortlichkeitsprinzipien.634 Roxin, der sie maßgeblich geprägt hat, fasst den tragenden Gedanken prägnant wie folgt zusammen: „Selbstmord begeht, wer im kritischen Augenblick, jenseits dessen ein Zurück nicht mehr möglich ist, die Entscheidung über sein Leben in eigener Hand hält; wer die Grenzlinie, die beim Eintritt der Handlungsunfähigkeit liegt, selbst überschreitet. Um einen Fall des § 216 StGB handelt es sich dagegen, wenn das Opfer einem anderen den Vollzug des letzten irreversiblen Geschehensaktes anvertraut, wenn er sich über die zum Tode führende Schwelle von fremder Hand hinüberstoßen lässt.“ 635 Hiervon ausgehend gelangen diese Autoren im „Gisela-Fall“ zur Straflosigkeit des Angeklagten, weil sich das „Opfer“ der Abgaseinwirkung bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit jederzeit hätte entziehen können.636 Auf den vom 2. Strafsenat 631 Siehe dazu Eisele, BT 1, Rn. 176 mit Fn. 446; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 222 f.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 53; Roxin, NStZ 1987, 345 (347). 632 Dieser Begriff wurde in diesem Zusammenhang erstmals von Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (77) verwendet und in der Folge von weiteren Autoren aufgegriffen; siehe etwa Neumann, in: Vor § 211 Rn. 51. 633 Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 156 ff.; von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 274 ff.; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 24; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, § 1 Rn. 109; Otto, Tröndle-FS (1989), 157 (162 f.); ders., BT, § 6 Rn. 4; Rengier, BT 2, § 8 Rn. 8; C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), 37 f.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 56. 634 Vgl. Eisele, BT 1, Rn. 180; Engländer, Jura 2004, 234 (235 f.); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 230 f.; Neumann, JA 1987, 244 (248 f.); Roxin, NStZ 1987, 345 (347). Kritisch zum Aussagegehalt des Eigenverantwortlichkeitsprinzips im suizidalen Kontext aber Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 173 ff. 635 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 569; siehe auch ders., NStZ 1987, 345 (347); ders., Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (184); ders., in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (106 f.). 636 Eisele, BT 1, Rn. 179; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 233; Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, § 1 Rn. 109 f.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 55, 59; Paehler, MDR 1964, 647 (648 f.); Rengier, BT 2, § 8 Rn. 10; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 570; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 164; nur i. E. ebenso Arzt, in: Arzt/Weber, BT, § 3

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

für maßgeblich erachteten Umstand, ob der Außenstehende die Kausalreihe nur anstößt und dann ihrer Entwicklung überlässt – dann straflose Beihilfe zur Selbsttötung – oder ob er „die auf den beiderseitigen Tod abzielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt eigener Bewusstlosigkeit“ fortsetzt – dann strafbare Tötung auf Verlangen –, könne es hingegen nicht ankommen. So müsse der BGH bei einer mechanischen Feststellung des Gaspedals zum gegenteiligen Ergebnis gelangen; denn dann würde der Angeklagte den Kausalverlauf nur in Gang setzen, ohne seinen Tatbeitrag „willensgesteuert fortdauern“ zu lassen. Mit einer solchen Differenzierung würden freilich die „Zufälligkeiten des Geschehensablaufs“, die das Urteil gerade ausschalten wolle, für die Strafbarkeit maßgebend. Für die an sich auch vom 2. Strafsenat in den Vordergrund gerückte Frage, ob dem anderen „noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden“, seien die Modalitäten der Gaszuleitung nämlich gänzlich bedeutungslos.637 Analog zu diesen Erwägungen wird auch der überlebende Suizidpartner im „Gashahn-Fall“ für straflos gehalten, weil das „Opfer“ freiwillig im Raum geblieben sei und das sich verteilende Gas bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit inhaliert habe.638 Der „Injektions-Fall“ wird hingegen uneinheitlich beurteilt. Namentlich Roxin geht von der Straflosigkeit des Arztes aus. Da der Kranke die Entscheidung über Leben oder Tod auch nach der Injektion noch in der Hand habe, werde der „point of no return“ erst durch seine Behandlungsablehnung, als die das Schweigen auf das Rettungsangebot des Arztes verstanden werden müsse, überschritten.639 Indes weist Ingelfinger mit Recht darauf hin, dass hier die Entscheidung über die Verabreichung des Antiserums letzten Endes beim Arzt liegt und deshalb ein Zurechnungsausschluss nicht in Betracht kommen kann; etwas anderes ließe sich nur dann annehmen, wenn der Patient über das Gegenmittel verfügt und zur Selbstverabreichung imstande ist.640 Weil in diesem Fall das „Opfer“ in letzter Rn. 40; Dreher, MDR 1964, 337 (338); Herzberg, NStZ 2004, 1 (6); Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (579); a. A. Herzberg, JuS 1975, 35 (38); ders., JA 1985, 131 (137); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 216 Rn. 15; Schneider, in: MK, § 216 Rn. 52; Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 176. 637 Siehe statt aller Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 570 f. 638 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie (2001), 274 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 231; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 55; Rengier, BT 2, § 8 Rn. 10; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 569; nur i. E. ebenso Dreher, MDR 1964, 337 (338); Herzberg, JA 1985, 131 (137); ders., NStZ 2004, 1 (6); a. A. Jähnke, in: LK, 11. Aufl., § 216 Rn. 15; Schneider, in: MK, § 216 Rn. 52. 639 Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (185). 640 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 232; siehe auch Eisele, BT 1, Rn. 180; Kindhäuser, Vor §§ 211–222 Rn. 25 u. Ziethen, ZIS 2007, 371 (372), die für eine straflose Suizidbeihilfe entscheidend darauf abstellen wollen, ob es (nur) in der Hand des Sterbewilligen liegt, rettende Gegenmaßnahmen gegen die vom Dritten gesetzte Bedingung einzuleiten.

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Instanz über den Todesvollzug entscheidet, ist die (Gegen-)Auffassung von Neumann ebenso abzulehnen, der dafür plädiert, beim Kriterium der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt die bloße Möglichkeit der Einleitung von Rettungsmaßnahmen generell außer Acht zu lassen, und hierfür u. a. die Funktion von § 216 StGB als Gegengewicht zur Umgehung der natürlichen Suizid-Hemmschwelle ins Feld führt.641 Dissonanzen bestehen schließlich auch bei der Bewertung des „Lkw-Falls“. Neumann etwa, der ihn unter dem Stichwort „symmetrische bzw. gleichgewichtige Beherrschung des ,letzten Akts‘“ diskutiert, geht von einer straflosen Suizidbeihilfe des Lkw-Fahrers aus, weil nach Eigenverantwortlichkeitsgrundsätzen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Dritten nur dann in Betracht komme, wenn er das Geschehen in höherem Maße beherrsche als der Suizident.642 Wenngleich dieser letzten Feststellung nur schwerlich zu widersprechen ist, weist Neumann schon selbst auf die überzeugendere (Gegen-)Auffassung von Roxin hin, der die (vermeintliche) Symmetrie mittels einer Differenzierung auflöst und die Zurechenbarkeit der Todesfolge je nachdem verneint oder bejaht, ob im kritischen Moment nur dem Sterbewilligen oder nur dem Lkw-Fahrer eine Ausweichmöglichkeit bleibt.643 Damit zeigt sich, dass sich mit dem Kriterium der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt letztlich auch die problembehafteten Fälle in zufriedenstellender Weise lösen lassen – und damit zugleich ein gewichtiger Einwand gegen diesen Ansatz644 entkräftet werden kann –, wenngleich Roxin darin beizupflichten ist, „daß die normative Plausibilität dieses Kriteriums [. . .] abnimmt, je mehr ein Sachverhalt sich der ,hauchdünnen‘ Grenze nähert“.645 Gleichwohl wird, und auch darin ist Roxin zuzustimmen, eine Abgrenzung nicht dadurch unbrauchbar, dass sie „nur im typischen Fall normativ plausibel ist und an der ,Grenze‘ allein noch die Rechtssicherheit gewährleistet“.646

641 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 57; für eine Strafbarkeit in diesen Fällen auch Herzberg, NStZ 2004, 1 (7); Schneider, in: MK, § 216 Rn. 52; i. E. offengelassen von Engländer, Jura 2004, 234 (235 mit Fn. 18) u. Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (80 f.). 642 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 54; nur i. E. ebenso Merkel, in: Hegselmann/ Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (79 f.). 643 Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (185); zust. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 232; ausnahmslos für Strafbarkeit aber Herzberg, JA 1985, 131 (137) u. Schneider, in: MK, § 216 Rn. 50, 52. 644 So insb. Herzberg, JA 1985, 131 (137) u. Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Zur Debatte über Euthanasie (1992), 71 (78 ff.); siehe auch Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (576 f.), der dieses Abgrenzungskriterium für prinzipiell untauglich hält. 645 Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (186); zust. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 231. 646 Roxin, Goltdammer’s Archiv-FS (1993), 177 (186); zust. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 58.

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Dies gilt umso mehr, als überzeugendere Abgrenzungskriterien nicht wirklich ersichtlich sind.647 Soweit teilweise für eine unmodifizierte Anwendung der Tatherrschaftslehre mit der Erwägung plädiert wird, die Straflosigkeit der Mitwirkung an einer Selbsttötung gelte nur für Anstiftung und Beihilfe als Teilnahme im engeren Sinne, weil diese als Bezugstat eine strafbedrohte Handlung voraussetzten, wohingegen keine Akzessorietätsregeln gölten, wenn die Mitwirkung als Mittäterschaft auftrete,648 kann dem nicht gefolgt werden. Aus der Straflosigkeit aktiver Suizidteilnahme folgt, so der treffende Hinweis von Roxin, dass eine zurechenbare Tötung nur bei nicht voll verantwortlicher Selbsttötung möglich ist, andernfalls der Dritte nicht nur bei „Quasi-Mittäterschaft“, sondern auch bei Anstiftung und Beihilfe wegen Totschlags zu bestrafen wäre. Mit Blick auf die Tatbestandslosigkeit der Selbsttötung verbietet es sich nämlich in einem technischen Sinne sowohl von Mittäterschaft als auch von Anstiftung und Beihilfe zu sprechen; dagegen ist nach der Äquivalenztheorie in allen Konstellationen von einer Tötung auszugehen, die eine Bestrafung gem. § 212 StGB nach sich zöge, würde nicht der eigenverantwortliche Suizid die Strafbarkeit des Dritten ausschließen.649 Ein Blick auf die Grundsätze zur objektiven Zurechnung bestätigt die 647 Siehe von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 276 ff. Der subjektiv-psychologisierende Ansatz von Arzt, in: Arzt/ Weber, BT, § 3 Rn. 40, der darauf abstellen will, wer die „funktionierende Sperre“ in Form der „Scheu, sich selbst zu töten“ überwunden hat, erscheint bereits im Ansatz verfehlt, weil die psychische Verfasstheit des Opfers in der Praxis wohl kaum zuverlässig beurteilt werden kann; mit Recht krit. Eisele, BT 1, Rn. 172; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 265; Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 134. Abzulehnen ist auch die Auffassung von Dreher, MDR 1964, 337 (338), der für maßgeblich hält, ob sich das Opfer auf die im Gesetz beschriebene Rolle als „Quasi-Anstifter“ beschränkt (dann Tötung auf Verlangen) oder darüber hinausgehend als „Quasi-Mittäter“ aktiv-fördernd an der Tötungshandlung mitwirkt (dann straflose Suizidteilnahme). Zum einen ist nicht einzusehen, wieso eine aktive Förderung den Lebensmüden per se zum Suizidenten machen soll, zum anderen ist letztlich auch eine Anstiftung „aktives Mitwirken“; mit Recht abl. daher Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 156; von Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes (1981), 276 ff.; Muschke, Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe? (Diss. 1988), 108 ff. 648 So Herzberg, JuS 1975, 35 (38), der hier freilich noch offenlässt, ob § 25 Abs. 2 StGB direkt anzuwenden ist. In späteren Veröffentlichungen erkennt allerdings auch er an, dass die Vorschrift in Fällen mittäterschaftsähnlicher Tatbegehung nicht greifen kann, weil die Tat für den sich selbst Tötenden keine „Straftat“ ist. An seiner Grundaussage hält er indes nach wie vor fest: Ungeachtet der Anwendbarkeit des § 25 Abs. 2 StGB könne für einen oder auch für beide unabhängig von dieser Vorschrift eine echte Tatbestandserfüllung festgestellt werden; siehe Herzberg, JuS 1988, 771 (775); ähnlich Schneider, in: MK, § 216 Rn. 51 f. und – ihm folgend – Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 137, 176, denen zufolge die „tradierten kausalitätsorientierten Tatherrschaftsmuster“ i.R. des § 216 StGB uneingeschränkt anwendbar bleiben und die Steuerung der letzten Bedingung vor dem Erfolgseintritt darüber entscheidet, ob ein Tatbeitrag Suizidteilnahme oder Tötung auf Verlangen ist. 649 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 572.

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Richtigkeit dieser Erwägungen: Ist die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs allgemein anerkannt, wenn der Erfolg vom Opfer – auch noch nach der Tathandlung – verhindert werden kann,650 wäre es ungereimt, die Fälle anders zu beurteilen, in denen es seinem Leben ohnehin ein Ende setzen möchte und an der Tat sogar selbst mitwirkt.651 c) Suizidteilnahme und Garantenunterlassen Der Klärung bedarf abschließend, ob die Straflosigkeit der Suizidteilnahme auf aktive Verhaltensweisen zu beschränken ist oder die Nichthinderung einer freiverantwortlichen Selbsttötung durch den Lebensschutzgaranten ebenso umfasst. Mag diese Frage in Anbetracht der in beiden Konstellationen identischen Willensrichtung des Lebensmüden prima vista seltsam anmuten, ist ihre Beantwortung deshalb erforderlich, weil die Rechtsprechung derartige Fälle nach speziellen Grundsätzen entscheidet.652 aa) Die Position der Rechtsprechung Der BGH nimmt in ständiger Rechtsprechung eine grundsätzliche Rettungspflicht des Lebensschutzgaranten an. An seiner 1952 im „Erhängen-Fall“ getroffenen Feststellung, der zufolge ungeachtet der Straflosigkeit der Suizidteilnahme wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts strafbar sein kann, wer in Kenntnis seiner Rettungspflicht zur Abwendung von Lebensgefahren eine Selbsttötung trotz Möglichkeit der Erfolgsabwendung nicht verhindert,653 hält das Gericht auch heute noch fest, lässt aber mittlerweile im Einzelfall Einschränkungen zu.654 650 Vgl. näher Heinrich, AT, Rn. 1048; ferner Kühl, AT, § 4 Rn. 84; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 187a. 651 Eisele, BT 1, Rn. 180. Der Plausibilität dieser Argumentation scheint sich auch Herzberg nicht mehr länger verschließen zu können: In einem Beitrag jüngeren Datums betont er zwar nach wie vor, dass erst § 216 StGB – und nicht das Vorliegen einer eigenverantwortlichen Selbsttötung – untersucht werden müsse; allerdings will er bei der Subsumtion unter diese Vorschrift im Rahmen der objektiven Zurechnung das Eigenverantwortlichkeitsprinzip berücksichtigen. Dessen Grenze sei dort zu ziehen, wo der Regelungszweck des § 216 StGB tangiert werde, was wiederum erst dann der Fall sei, wenn es zur Erfolgsabwendung aktiver Gegenmaßnahmen bedürfe. Könne sich hingegen das „Opfer“ nach dem Beitrag des anderen dem Erfolg ohne Mühe u. mit Sicherheit entziehen oder ihn durch schlichtes Unterlassen vermeiden, sei ein Zurechnungsausschluss anzunehmen; siehe Herzberg, NStZ 2004, 1 (2 ff.). 652 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 35. Einigkeit besteht hingegen dahingehend, dass das Geschehenlassen eines nicht freiverantwortlichen Suizids ein Totschlag bzw. Mord durch Unterlassen (§§ 211, 212, 13 StGB) ist; siehe etwa Eisele, BT 1, Rn. 187; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 26; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 87; Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 122; vgl. auch – allerdings mit unklaren Ausführungen zur Freiverantwortlichkeit – BGH NStZ 1984, 73. 653 BGHSt 2, 150 mit Anm. Dreher, MDR 1952, 711; Gallas, JZ 1952, 371 u. Meister, GA 1953, 166. Zum Sachverhalt: Der Ehemann der Angeklagten erhängte sich auf-

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Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang seine fast schon legendäre Konstruktion, der zufolge ein in Passivität verharrender Garant zum Täter mutiert, sobald der Suizident nach beendetem Suizidversuch bewusstlos und damit handlungsunfähig wird. In solchen Fällen trete ein „Tatherrschaftswechsel“ ein, weil der Suizident die tatsächliche Möglichkeit der Geschehensbeeinflussung unwiederbringlich verloren habe und der Todeseintritt dann allein vom Verhalten des Garanten abhänge.655 Auf subjektive Kriterien wie etwa den fehlenden Täterwillen oder die Unterordnung unter den Selbsttötungswillen des Lebensmüden kommt es für diese Beurteilung nicht an.656 Hinzu kommt, dass der BGH den Umfang der Garantenpflichten tendenziell sehr großzügig bestimmt. Speziell bei Sachverhalten an der Schnittstelle zwischen Suizidbeteiligung und passiver Sterbehilfe wird eine Entpflichtung des Garanten nur sehr zurückhaltend erörtert.657 So wird die Garantenpflicht des Arztes im „Fall Wittig“ trotz der (schriftlichen) Untersagung lebensrettender Maßnah-

grund ehelicher und häuslicher Zerwürfnisse. Nach Eintritt der Bewusstlosigkeit kam die Angeklagte dazu, die zwar erkannte, dass ihr Mann noch zu retten gewesen wäre, ihn aber am Strick hängen ließ. Sie war „mit dem Verlauf der ohne ihr Zutun in Fluß gekommenen Dinge einverstanden“ und „wollte ihn nicht durch Hilfeleistung abändern“. Der Mann verstarb. 654 Siehe Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 68, der zudem in Fn. 217 darauf hinweist, dass dies bereits in BGHSt 2, 150 (154) angedeutet wurde, wonach die Rettungspflicht im konkreten Fall deswegen nicht habe entfallen können, weil der Suizident „nicht unheilbar und in qualvoller Weise krank“ und auch „keiner anderen schweren oder unerträglichen Gefahr auswegslos ausgesetzt“ gewesen sei; später etwa BGHSt 13, 162 (166 f.), wonach die Unterlassungsstrafbarkeit bei mangelndem Täterwillen und fehlender Eingriffsmöglichkeit des Garanten entfallen könne; siehe ferner OLG Düsseldorf NJW 1973, 2215 (2216), wonach die Unterlassungsstrafbarkeit entfallen könne, wenn der untätige Garant „den freiwillig-ernsthaften Selbsttötungswillen des Schutzbefohlenen achten will und sich diesem Willen unterordnet“. 655 Grundlegend BGHSt 2, 150 (152 f.); bestätigt durch BGH NJW 1960, 1821 (1822); BGHSt 32, 367 (373 f.). 656 Gropp, NStZ 1985, 97 (99); Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 175. Ausnahmen sind insoweit die bereits erwähnten Entscheidungen BGHSt 13, 162 (166 f.) u. OLG Düsseldorf NJW 1973, 2215 (2216). 657 Leitner, Sterbehilfe im deutsch-spanischen Rechtsvergleich (2006), 175; ausführlich Gropp, NStZ 1985, 97 (100 f.). Eine Ausnahme stellt der „Jugendfreund-Fall“ aus dem Jahr 1983 dar, in dem der BGH entschieden hat, dass sich aus der Wohn- und Lebensgemeinschaft zweier befreundeter Rentner nicht die Rechtspflicht ergebe, den anderen bei einer schweren Erkrankung am selbstgewollten Ableben zu hindern, sofern dieser in freier Willensbestimmung den Entschluss gefasst habe, dem für ihn erkennbar herannahenden Tod keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen, sondern dem dazu führenden Geschehen und dem zunehmenden Kräfteverfall seinen Lauf zu lassen (BGH NStZ 1983, 117). Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 70 hält diese Entscheidung insoweit für aufschlussreich, als das Ergebnis der Straflosigkeit nicht mit einzelfallabhängigen berufs- oder situationsbezogenen Zumutbarkeitsüberlegungen, sondern mit allgemeinen Grundsätzen der Einschränkung von Garantenpflichten durch entsprechende Willensbekundungen des Schützlings begründet werde.

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men durch das lebensmüde Opfer nicht generell ausgeschlossen.658 Vielmehr sollen zunächst die allgemeinen Grundsätze zum Tragen kommen, wonach sich wegen Tötung durch Unterlassen strafbar mache, wer einen Bewusstlosen in lebensbedrohlicher Lage antreffe und ihm die erforderliche und zumutbare Hilfe verweigere, obwohl ihn Garantenpflichten für das Leben des Verunglückten träfen.659 Einschränkend wirkt hier lediglich die These des 3. Senats, wonach bei einer Kollision von ärztlichem Lebensschutzauftrag und Achtung des Selbstbestimmungsrechts die Entscheidung über den Vorrang einer der beiden Pflichten eine an den Maßstäben der Rechtsordnung und der Standesethik auszurichtende Gewissensfrage sei. Unter Hinweis darauf, dass es keine Rechtspflicht zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gebe und im konkreten Fall die vitalen Funktionen des Organismus der bewusstlosen Suizidentin nach Einschätzung des angeklagten Arztes schon so schwer beeinträchtigt gewesen seien, dass der fortschreitende Verfall nicht mehr habe aufgehalten werden können, hat der BGH den vorinstanzlichen Freispruch bestätigt.660 In einem späteren Judikat weist er allerdings darauf hin, einem ernsthaften, freiverantwortlich gefassten Selbsttötungsentschluss eine stärkere rechtliche Bedeutung beizumessen als dies im „Fall Wittig“ geschah.661

658 BGHSt 32, 367 (377). Maßgeblich für diese Beurteilung sollte im konkreten Fall insb. der Umstand sein, dass der Arzt für den Abend der Suizidtat einen weitereren Hausbesuch versprochen hatte, woraus der BGH ein Fortbestehen des die Garantenpflicht begründenden Arzt-Patient-Verhältnisses ableitete. 659 BGHSt 32, 367 (373). 660 BGHSt 32, 367 (377 ff.). 661 BGH NStZ 1988, 127; vgl. auch den „Fall Hackethal“, in dem das OLG München – trotz grundsätzlicher Anerkennung der Rspr. des BGH im „Fall Wittig“ – die Ansicht vertrat, dass der Verlust der Handlungsfähigkeit nicht ohne Weiteres einen Tatherrschaftsübergang zur Folge habe und dass nach diesem Zeitpunkt das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen nicht unbedingt „kausal“ für den Todeseintritt sein müsse (NJW 1987, 2940 [2942]). Auch sei der Arzt im konkreten Fall strafrechtlich nicht verpflichtet gewesen, den freiverantwortlichen Tod der Suizidentin zu verhindern. Eine zwingende rechtliche Begründung für eine Ungleichbehandlung von „Normalpatienten“ und freiverantwortlich handelnden Suizidpatienten sei nicht erkennbar. Die Annahme einer Erfolgsabwendungspflicht unter Ingerenzgesichtspunkten wegen der Giftüberlassung scheide rechtslogisch zwingend aus, da andernfalls die vom Gesetzgeber gewollte Straflosigkeit der Suizidteilnahme umgangen würde. An der strafrechtlichen Beurteilung ändere auch der mögliche Verstoß gegen ärztliche bzw. berufsrechtliche Pflichten nichts, weil sich die durch die Giftübergabe geschaffene Gefahrenlage weder durch die Arzteigenschaft des Angeschuldigten noch durch den möglichen Verstoß gegen berufsrechtliche Pflichten erhöht habe. Im Übrigen könnten berufsrechtliche Pflichten weiter reichen als die sich aus dem Strafrecht ergebenden allgemeinen Pflichten. Doch selbst bei Bejahung einer fortbestehenden Garantenpflicht sei der Arzt gem. § 34 StGB gerechtfertigt, zumindest aber unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschuldigt (a. a. O., 2940 [2943 f.]).

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bb) Auffassungen in der Lehre Einige wenige Autoren orientieren sich jedenfalls insoweit an dem restriktiven Rechtsprechungsansatz, als auch sie bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung grundsätzlich Raum für eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts sehen. Indes wird in diesem Kontext für eine von Tatherrschaftsgrundsätzen losgelöste Haftung plädiert, die unter Strafandrohung der §§ 216, 13 StGB speziell dem Beschützergaranten eine rettende Intervention bereits vor Bewusstlosigkeitseintritt aufträgt.662 Auch wenn die Garantenpflicht des Arztes nach dieser Ansicht nicht schon aufgrund der freiverantwortlichen Entscheidung seines Schützlings pro morte verneint werden kann,663 soll je nach Sachlage doch immerhin eine Rechtfertigung der Unterlassung durch eine Abwägung gem. § 34 StGB in Betracht kommen, in die der freiverantwortliche Wille lediglich als ein Faktor neben anderen – wenn auch ein gewichtiger – einzustellen sei.664 Namentlich von Kutzer wird auch betont, dass der Behandlungsverzicht trotz lebensbedrohlicher Krankheit und der behandlungsbedürftige Zustand nach einem Selbsttötungsversuch aus ethischen und rechtlichen Gründen unterschiedlich beurteilt werden müssten. Die gezielte eigenhändige Tötung sei nicht Wahrnehmung des Rechts, selbst über die Behandlung eigener Leiden entscheiden zu dürfen, sondern Negation eines verfassungsrechtlichen Höchstwerts. Darüber hinaus ließen sich die psychischen Einstellungen des unheilbar Kranken bei Verweigerung einer lebenserhaltenden Behandlung und des – zumeist körperlich gesunden – Suizidenten nicht miteinander vergleichen. Obwohl sich beide Fallgruppen überschneiden könnten, müsse das Strafrecht seine Anwendungsgrundsätze mit Blick auf die Regel- und nicht die Ausnahmefälle entwickeln.665 662 Geilen, JZ 1974, 145 (153); Herzberg, NJW 1986, 1635 (1638); ders., JZ 1988, 182 (183 f.); ausführlich ders., ZStW 91 (1979), 557 (565 ff.); ders., JA 1985, 177 (178 ff.). 663 Nachdrücklich Herzberg, NJW 1986, 1635 (1638), dem zufolge die Verantwortung des Arztes allerdings vereinbarungsabhängig ist. Jedenfalls dann, wenn das Hilfeersuchen des Patienten von Anfang an und ausschließlich auf Sterbehilfe gerichtet sei, könne eine Garantenpflicht verneint werden; vgl. des Weiteren ders., JA 1985, 177 (179), wonach die Annahme einer täterschaftsbegründenden Suizidhinderungspflicht des Arztes davon abhängig sein soll, ob der Selbsttötungsentschluss als Ausfluss des Gesundheitsmangels begriffen werden kann, wegen dem sich der Patient in Behandlung befindet. 664 Herzberg, JA 1985, 177 (179); ders., JZ 1988, 182 (184); ausführlich ders., NJW 1986, 1635 (1639 ff.), wonach die Formulierung des BGH im „Fall Wittig“ nur so verstanden werden könne, dass der Arzt nach § 34 StGB gerechtfertigt sei; für eine Rechtfertigung des untätigen Garanten auch Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 302 ff., 307; vgl. jedoch auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 76, wonach der BGH einen zumutbarkeitsspezifischen Fortfall der Garantenpflicht angenommen habe. Für unklar halten die dogmatische Verortung hingegen Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 4 u. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 81. 665 Kutzer, MDR 1985, 710 (712 f.); ders., NStZ 1994, 110 (114); dezidiert gegen diese Auffassung OLG München NJW 1987, 2940 (2944); Schneider, in: MK, Vor

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Die ganz herrschende Auffassung in der Literatur lehnt dagegen eine Strafbarkeit des untätigen Garanten wegen eines durch Unterlassen begangenen Tötungsdelikts bei einem freiverantwortlichen Suizid ab666 – und dies mit Recht. Schon im Ausgangspunkt darf bezweifelt werden, ob die Tatherrschaftslehre bei Unterlassungstaten überhaupt die Aufgabe eines Abgrenzungskriteriums übernehmen kann.667 Der Feststellung, dass man durch Nichtstun nichts beherrschen kann,668 lässt sich nur schwerlich widersprechen.669 Unabhängig davon kann aber auch von einem „Tatherrschaftswechsel“ nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten nicht die Rede sein. Dies deshalb, weil es ab dem Moment der „Versuchsbeendigung“ 670 nicht mehr um die Kontrolle von Kausalverläufen, sondern allenfalls noch um deren Neutralisierung geht, wobei bloße Erfolgsabwendungsmöglichkeiten – derer sich der Suizidhelfer ohnehin begeben kann, indem er etwa dem Sterbewilligen ein besonders schnell wirkendes Mittel überlässt671 – keine Tatherrschaft begründen.672 Im Übrigen kann nicht schon dem bloßen Übergang der Tatherrschaft strafbegründende Funktion zukommen, sondern müsste eine Rechtspflicht zur Intervention vorliegen.673 Jedoch führt das Eigen-

§§ 211 ff. Rn. 75 mit Fn. 247; Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 85 f.; Verrel, JZ 1996, 224 (229 f.). 666 Brändel, ZRP 1985, 85 (86); Eisele, BT 1, Rn. 188, 191; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 24 f.; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 74 ff.; Otto, NJW 2006, 2217 (2222); Rengier, BT 2, § 8 Rn. 14 ff.; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (93 f., 108); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 68, 72 ff.; Verrel, JZ 1996, 224 (229 f.). 667 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 43; Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 74; Sowada, Jura 1985, 75 (78); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 73. Grundlegend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 462 ff., 473 ff. 668 Prägnant Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 73; ebenso Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 463. 669 Kritisch aber Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 96 mit Fn. 172, die diese Aussage für „allzu oberflächlich und gegen die Lebenserfahrung“ halten. 670 Von einem „Versuch“ kann mit Blick auf die Straflosigkeit des Suizids nur in einem untechnischen Sinne gesprochen werden. 671 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (108); siehe auch Wolfslast, Schreiber-FS (2003), 913 (919), die mit Recht betont, dass solche Verhaltensweisen oder das „rechtzeitige“ Alleinelassen des Patienten der Situation todkranker, sterbender Menschen aber nicht gerecht würden. 672 Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 68; ebenso Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 73, dort auch mit Hinweis auf das instruktive Beispiel von Herzberg, JZ 1988, 182 (183), wonach derjenige, der dem Attentäter für dessen Zeitbombe nur Sprengstoff verschafft hat, auch dann bloßer Gehilfe bleibt, wenn er noch eingreifen kann, während der Bombenleger eingeschlafen oder tödlich verunglückt ist (a. a. O., Rn. 73 mit Fn. 238); vgl. auch Sowada, Jura 1985, 75 (78). 673 Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24; Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 68 mit Fn. 163; vgl. daneben Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 24. Prägnant Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 473 f.: „Die richtige Fragestellung bei der

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verantwortlichkeitsprinzip, das bei einem Suizid die Zurechnung des Todeserfolgs zum Verhalten des aktiv mitwirkenden Dritten verhindert, beim Unterlassungsdelikt zu einer Einschränkung der Beschützergarantenstellung, da dem Obhutspflichtigen die Verantwortung für fremde Güter nur zur Verstärkung ihres Schutzes übertragen wurde, und nicht, um die Eigenverantwortlichkeit des Schützlings zu beschneiden.674 Die gleichen Erwägungen, die für die Straflosigkeit des aktiv mitwirkenden Dritten sprechen, lassen sich folglich auch für die Straflosigkeit des untätigen Garanten anbringen; anders entscheiden hieße, einem Wertungswiderspruch Raum zu geben.675 Zu guter Letzt lässt sich für die Richtigkeit dieser Auffassung nunmehr auch die Regelung der Patientenverfügung ins Feld führen.676 Abzulehnen ist vor diesem Hintergrund aber auch die auf den nicht intervenierenden Beschützergaranten abhebende Auffassung im Schrifttum. Zwar versuchen ihre Anhänger, oben genannten Widerspruch dadurch aufzulösen, dass sie bereits die aktive Mitwirkung am Suizid durch den Beschützergaranten unter dem Aspekt einer „Unterlassung durch Begehung“ als Pflichtverletzung qualifizieren;677 doch wird ihnen mit Recht vorgeworfen, dass sie dadurch die Teilnahmelehre von der Unterlassungsdogmatik her aufrollen.678 Ebenfalls nicht weiter unterlassenen Selbstmordhinderung lautet also nicht: ,Täterschaft oder Teilnahme‘, sondern ,Garantenstellung oder nicht‘.“ 674 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 235, dort in Fn. 360 auch mit Hinweis auf die ganz ähnliche These von Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 80, wonach das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit eine strafrechtliche Haftung des Unterlassenden „blockiere“. Ausführlich zur Entpflichtung des Garanten Schultz, JuS 1985, 270 (272 ff.). 675 Gallas, JZ 1960, 686 (689); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 68, 74; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 44, jeweils mit dem in Anlehnung an BGHSt 2, 150 gebildeten Beispiel der Ehefrau, die ihrem lebensmüden Gatten den Strick zum Erhängen reichen dürfte, ihn bei Eintritt der Bewusstlosigkeit jedoch sofort losschneiden müsste. Insoweit der Wertungswiderspruch mit der Straflosigkeit der (aktiven) Suizidteilnahme (auch für Garanten) begründet und diese i. S. d. Teilnahmearguments aus der Tatbestandslosigkeit des Suizids und der Akzessorietät von Anstiftung und Beihilfe abgeleitet wird, ist dem mit Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 78 jedoch entgegenzuhalten, dass diese Annahme nur unzureichend begründet ist, weil aus der Voraussetzung einer tatbestandsmäßigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und rechtswidrigen Haupttat in den §§ 26, 27 StGB nur die fehlende Strafbarkeit als „Anstifter“ oder Gehilfe“, nicht aber die definitive Straflosigkeit der Veranlassung oder Unterstützung einer Selbsttötung folgt. Das Gebot der Gleichbehandlung beider Konstellationen ist vielmehr eine Folge des Eigenverantwortlichkeitsprinzips. 676 Darauf wurde bereits im Kontext der passiven Sterbehilfe hingewiesen; siehe oben Erster Teil B. II. 2. 677 Geilen, JZ 1974, 145 (153); ähnlich Herzberg, ZStW 91 (1979), 557 (568); ausführlich ders., JA 1985, 177 (180 ff.), der die aktive Mitwirkung am Suizid unter dem Gesichtspunkt einer zeitgleich unterlassenen Lebensrettung zu erfassen sucht. 678 So Bottke, GA 1983, 22 (29); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 234 f.; Roxin, Dreher-FS (1977), 331 (348); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 72 mit Fn. 235; wenig überzeugende Replik bei Herzberg, JA 1985,

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führt der Hinweis des BGH, die §§ 211 ff., 13 StGB verdrängten im Fall des „Tatherrschaftswechsels“ lediglich eine schon vor Bewusstlosigkeit des Opfers gem. § 323c StGB strafbewehrte Verpflichtung zur Suizidverhinderung.679 Selbst wenn man die höchst zweifelhafte These von der Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung akzeptierte,680 bliebe das Paradoxon dennoch bestehen: Die Frage, wie es sachlich legitimiert werden kann, das bloße Fortwirkenlassen einer durch eine straflose (Beihilfe-)Handlung (mit-)verursachten Kausalreihe zu pönalisieren, würde lediglich durch die ganz ähnliche Frage abgelöst, warum aus der vergleichsweise geringen Strafbarkeit nach § 323c StGB plötzlich eine deutlich strengere Tötungsstrafbarkeit werden sollte.681 Nicht überzeugen können schließlich auch die Zumutbarkeitserwägungen des BGH im „Fall Wittig“, da sie seiner sonstigen Rechtsprechung zum ärztlichen Heileingriff, der zufolge es sich dabei stets um eine tatbestandsmäßige Körperverletzung handelt, die allenfalls durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein kann,682 diametral entgegenstehen. Wenn etwa der 4. Strafsenat in seiner berühmten Entscheidung im „Myom-Fall“ aus dem Jahr 1957 ausführt, dass das Recht und die Pflicht des Arztes, den Patienten nach Möglichkeit zu heilen, ihre Grenze in dessen Selbstbestimmungsrecht finden und auch ein lebensgefährlich Kranker „triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenswerte Gründe“ haben könne, selbst eine Erfolg versprechende Operation abzulehnen,683 dann ist nicht so recht ersichtlich, wieso die Eingriffspflichten des Arztes in Suizidfällen eine andere Bewertung erfahren sollten.684 Die in diesem Kontext von Kutzer bemühte zweigleisige Argumentation, wonach der Kranke mit dem Behandlungsverzicht den Dingen einfach ihren Lauf lasse, während der Suizident Schicksal spiele, und auch die psychischen Befindlichkeiten von Normal- und Suizidpatienten divergierten, überzeugt nicht. Soweit in Ersterem die Bewertung der Selbsttötung als sittenwidrig mitschwingt, wurde 177 (181); a. A. auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 78 f. Das auf Grünwald, GA 1959, 110 (114) zurückgehende „Aufrollungsargument“ lässt sich ebenso gegen die Konstruktion des BGH anführen; siehe Arzt, in: Arzt/Weber, BT, § 3 Rn. 43; Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24; Schneider, in: MK Vor §§ 211 ff. Rn. 73. 679 BGHSt 32, 367 (374 f.). 680 Näher dazu im nächsten Abschnitt unten Erster Teil B. IV. 3. 681 Sowada, Jura 1985 (75 (78); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 68 mit Fn. 222; ebenso Schultz, JuS 1985, 270 (274). 682 Grundlegend RGSt 25, 375 (377 ff.); in der Folge etwa BGHSt 11, 111 (112); BGH NStZ 1996, 34 (35); OLG Karlsruhe NJW 1983, 352; ebenso die höchstrichterliche Rspr. in Zivilsachen, u. a. BGH NJW 1971, 1887. 683 BGHSt 11, 111 (114). 684 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 75; Sowada, Jura 1985, 75 (83 f.); siehe auch Achenbach, in: Ochsmann (Hrsg.), Lebens-Ende (1991), 137 (147) u. Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24, dort jeweils auch mit dem Hinweis, dass eine nachträgliche Abwägung, wie sie der BGH vornimmt, unscharf ist bzw. Rechtsunsicherheit schafft.

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bereits dargelegt, dass diese Auffassung in einem säkularen Staat deplatziert ist.685 Letzteres hingegen ist nicht mehr als eine unausgewiesene Behauptung, die überdies am Kern der eigentlichen Fragestellung vorbeigeht: Die innere Verfasstheit des Suizidenten ist für die rechtliche Beurteilung nur dann von Belang, wenn sie sich irgendwie auf seine Fähigkeit, eine freiverantwortliche Entscheidung pro morte zu treffen, auswirkt. Nun mag ein nicht unerheblicher Prozentsatz aller (versuchten) Suizide aufgrund seelischer Störungen des Lebensmüden nicht freiverantwortlich sein. Keinesfalls aber ist der These beizupflichten, der Wille zum Suizid sei per se als pathologisch anzusehen.686 Kritik verdient schließlich auch der Umstand, dass die Zumutbarkeitserwägungen des BGH an das ärztliche Selbstverständnis anknüpfen, womit andere Lebensschutzgaranten bei konsequenter Fortführung dieses Gedankengangs a limine von der Straflosigkeit ausgeschlossen sind.687 Eine Strafbarkeit wegen eines durch Unterlassen begangenen Tötungsdelikts kommt nach alledem richtigerweise erst dann in Betracht, wenn nach bzw. während dem Selbsttötungsversuch ein Sinneswandel des sich in einer hilflosen Lage befindlichen Suizidenten manifest werden sollte.688 3. Suizidteilnahme und unterlassene Hilfeleistung Umstritten ist schließlich, ob das Geschehenlassen eines freiverantwortlichen Suizids von § 323c StGB erfasst wird. Diese Problematik tangiert nicht garantenpflichtige Dritte und Lebensschutzgaranten gleichermaßen.689 Die Divergenzen betreffen in erster Linie die Interpretation des Tatbestandsmerkmals „Unglücksfall“ sowie die Grenzen zumutbarer Hilfe i. S. d. Vorschrift.690 685

Im Übrigen muss ein sittliches Missbilligungsurteil nicht zwingend auch Rechtswirkungen entfalten; siehe Ranft, JZ 1987, 908 (912 f.); zust. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 75 mit Fn. 246, der Kutzer zudem vorhält, eine Äußerlichkeit ohne normativen Aussagegehalt zu beschreiben (a. a. O., Rn. 75 mit Fn. 247). 686 Siehe dazu Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 66, dort auch m.w. N. zur Gegenauffassung. 687 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 76, dort auch mit dem treffenden Hinweis, dass die ärztliche Standesethik kein strafrechtstauglicher Aspekt für eine Differenzierung zwischen Ärzten und anderen Lebensschutzgaranten sein kann, da die von Standesorganisationen autonom formulierten Sonderethiken die nach sozialen Kriterien abzufassenden Strafrechtsregeln nicht nachhaltig beeinflussen können. Siehe auch Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 66, der mit Recht betont, dass sich die Entpflichtung von Ärzten und sonstigen Beschützergaranten nach identischen Grundsätzen richten muss. 688 Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 15; Otto, NJW 2006, 2217 (2222); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 77; Sinn, in: SK, § 212 Rn. 21; abweichend Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24, dem zufolge das Aufleben der Strafbarkeit nach §§ 211, 212, 13 StGB nur für Ehegatten und Eltern, nicht aber den Arzt gelten soll. 689 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 81 m.w. N. 690 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 81. Unbestritten ist hingegen, dass ein nicht freiverantwortlicher Suizid ein „Unglücksfall“ i. S. d. § 323c StGB ist und zu ei-

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a) Die Position der Rechtsprechung Der Rechtsprechung des RG folgend, betrachtete auch der BGH einen Unglücksfall zunächst als „plötzliches äußeres Ereignis, das erheblichen Schaden an Personen oder Sachen anrichtet und weiteren Schaden zu verursachen droht“.691 Dieses äußere Ereignis sei vom Willen des Verunglückten unabhängig, ein Unglücksfall daher begrifflich und sprachlich ausgeschlossen, „solange das verantwortliche Handeln des Selbstmörders die Lebensgefahr im wesentlichen so gestaltet, wie er es sich vorgestellt hat, und solange sein Selbsttötungswille fortbesteht“.692 Diese Auffassung wurde nur wenig später vom Großen Senat in seiner Entscheidung im „Gaskocher-Fall“ 693 revidiert: Maßgeblich sei nun, welche Bedeutung der Ausdruck „Unglücksfall“ für den in § 330c StGB a. F. (nunmehr § 323c StGB) zur Hilfe Aufgerufenen habe. Die Vorschrift greife, wenn dieser einer ernsten, Hilfe verlangenden Gefahrenlage ansichtig werde. Unter diesem Gesichtspunkt bestünden sprachlich keine Bedenken, die durch einen Suizidversuch herbeigeführte Situation als Unglücksfall anzusehen. Denn auch in diesem Fall sei ein Mensch in Not geraten, aus der ihm geholfen werden müsse.694 Ein Unglücksfall sei demnach „jedes mit einer gewissen Plötzlichkeit eintretende Ereignis, das eine erhebliche Gefahr bringt oder zu bringen droht, gleichgültig ob die Gefahrenlage dem Gefährdeten von außen zugestoßen oder ob sie, wie beim Selbstmörder, von seinem Willen hervorgerufen ist“.695 Die Frage nach der (Mangel-)Freiheit des Willens sei ebenso irrelevant wie diejenige nach der Benem Einschreiten verpflichtet; siehe BGHSt 2, 150 (noch zu § 330c StGB a. F. als Vorgängervorschrift zu § 323c StGB); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 88; Otto, Gutachten 56. DJT (1986), D 71; Vöhringer, Tötung auf Verlangen (2008), 122. 691 BGHSt 2, 150 f. („Erhängen-Fall“) im Anschluss an RGSt 75, 68 (162) u. RGSt 77, 303. Für einen Überblick über die Rspr. des BGH zu § 323c StGB (bzw. der Vorgängervorschrift § 330c StGB a. F.) in Suizidfällen siehe Geppert, Jura 2005, 39 (43) u. Kutzer, Schöch-FS (2010), 481 (482 ff.). 692 BGHSt 2, 150 (151). 693 BGHSt 6, 147 mit Anm. Gallas, JZ 1954, 641. Zum Sachverhalt: Die Ehe zwischen dem Angeklagten und seiner Frau, die eine Affäre mit einem anderen Mann hatte, war zerrüttet. Beide lebten und schliefen in der Wohnung getrennt. Als der Angeklagte seine Frau eines Tages bewusstlos auf dem Bett liegend, nach Atem ringend, mit grünlich-blassem Gesicht und Schaum vor dem Mund auffand, verständigte er keinen Arzt. Die Frau konnte gleichwohl gerettet werden, weil ihr Liebhaber sie in ein Krankenhaus einliefern ließ. Zugunsten des Angeklagten musste angenommen werden, dass die Frau in suizidaler Absicht das Gas selbst aus einem Kocher ausströmen ließ. Der Große Strafsenat hielt den Ehemann wegen unterlassener Hilfeleistung für strafbar. 694 BGHSt 6, 147 (149). 695 BGHSt 6, 147 (152). Lässt sich diese Entscheidung noch dahingehend deuten, dass die Pflicht zur Hilfeleistung erst mit bzw. nach Vornahme der eigentlichen Selbsttötungshandlung akut wird, wurde später klargestellt, dass es hierfür schon ausreicht, wenn sich der Suizident in „erkannter Selbsttötungsabsicht“ in unmittelbare Gefahr begibt; siehe BGHSt 13, 162 (169); bestätigt durch BGHSt 32, 367 (375).

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herrschung der Gefahrenlage oder dem Fortbestand des Todeswunschs. Das Recht könne nicht anerkennen, dass die Hilfspflicht des Dritten hinter dem sittlich missbilligten Willen des Suizidenten zurückzustehen habe. Darüber hinaus könne dem Dritten schon aus faktischen Gründen nicht abverlangt werden, zunächst langwierige und häufig ergebnislose Überlegungen zur Freiverantwortlichkeit oder etwaigen Willensänderungen des Suizidenten anzustellen.696 In der „Wittig-Entscheidung“ taucht das Argument der Sittenwidrigkeit des Suizids nicht mehr auf; stattdessen wird die „dem solidarischen Lebensschutz dienende Funktion“ des § 323c StGB betont, die es verbiete, die Hilfeleistungspflicht von der Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsversuchs abhängig zu machen.697 Eine Abweichung von diesen Grundsätzen kommt nach Ansicht des BGH nur in – nicht näher umschriebenen – „äußersten Grenzlagen“ in Betracht, in denen die Hilfeleistung dem Dritten unter Umständen nicht zumutbar sein soll.698 b) Auffassungen in der Lehre Teile der Literatur folgen der Rechtsprechung im Ansatz und erblicken in der Selbsttötung ebenfalls pauschal einen „Unglücksfall“ i. S. d. § 323c StGB, operieren aber tendenziell mit einer großzügigeren Auslegung des objektiven Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit.699 Diese soll etwa dann zu verneinen sein, wenn sich der Dritte am Selbsttötungsversuch zuvor aktiv beteiligt hat, der Suizident über Tatherrschaft verfügt und sich z. B. bei klarem Verstand Hilfe verbittet oder wenn Wiederholungstaten zu besorgen sind.700 Daneben gehe es auch und 696

BGHSt 6, 147 (153 f.). BGHSt 32, 367 (375 f.); vgl. aber auch die Entscheidung des BGH im „Freitodhelfer-Fall“, in der unter Berufung auf BGHSt 6, 147 (153) die Selbsttötung als „rechtswidrig“ bezeichnet wird; siehe BGHSt 46, 279 (285). 698 BGHSt 6, 147 (154); 13, 162 (169); 32, 367 (381); in letztgenannter Entscheidung wurde die Zumutbarkeit der Hilfeleistung aufgrund der von der Rechtsordnung hingenommenen ärztlichen Gewissensentscheidung verneint; ähnlich OLG München NJW 1987, 2940 (2945 f.), das im „Fall Hackethal“ in der Selbsttötung einer unheilbar kranken Patientin außergewöhnliche Umstände erblickt und die Erforderlichkeit der Hilfeleistung verneint hat. 699 Siehe beispielsweise Eisele, BT 1, Rn. 192, 1252; Dölling, NJW 1986, 1011 (1013 ff.); Geilen, JZ 1974, 145 (153 f.); Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 24; Otto, NJW 2006, 2217 (2222); Rengier, BT 2, § 8 Rn. 19 ff., § 42 Rn. 17; grds. auch Neumann, JA 1987, 244 (254 f.), der allerdings Bilanzsuizide ausklammert. Achenbach, Jura 2002, 542 (545) u. Krey/Hellmann/Heinrich, BT 1, § 1 Rn. 99 plädieren dafür, nur „offensichtlich freiverantwortliche“ Suizidversuche nicht als Unglücksfall anzusehen; ähnlich Freund, in: MK, § 323c Rn. 61: „wenn die Freiverantwortlichkeit nicht feststeht“. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 83 mit Fn. 275 hält dies angesichts der „Vermengung strafrechtsdogmatischer und genuin strafprozessualer Beweiserwägungen“ mit Recht für problematisch. 700 Rengier, BT 2, § 8 Rn. 20a; für Unzumutbarkeit in den beiden letztgenannten Fällen auch Eisele, BT 1, Rn. 192; für Unzumutbarkeit bei einem „Abwägungssuizid“ Dölling, NJW 1986, 1011 (1015 ff.); weiter einschränkend Otto, NJW 2006, 2217 697

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v. a. um Fälle an der Peripherie zur passiven Sterbehilfe: Soweit § 1901a Abs. 2, 3 BGB die Handlungspflicht auch bei Suiziden begrenze, liege eine klare Unzumutbarkeitskonstellation vor, weil aus dieser Vorschrift entsprechende Grenzen für die Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB abgeleitet werden könnten. Betreuer und Ärzte seien daher nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, wenn sie den Patientenwillen achteten und einem freiverantwortlich in Gang gesetzten Suizidversuch seinen Lauf ließen.701 Vereinzelt wird in diesen oder ähnlichen Fällen nicht erst die Zumutbarkeit, sondern bereits die Erforderlichkeit der Hilfeleistung verneint.702 Wenngleich das in diesen Auffassungen zum Ausdruck kommende Bestreben, den Anwendungsbereich der Vorschrift gegenüber der Einwendung abzusichern, man sei sich der fehlenden Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses nicht bewusst gewesen,703 anerkennenswert ist, erscheint es vorzugswürdig, freiverantwortliche Suizid(versuch)e mit der h. L. nicht als Unglücksfall anzusehen.704 Hierfür sprechen in erster Linie zwei Gründe, von denen der erste die Semantik betrifft: In der Literatur wird mit Recht darauf hingewiesen, dass eine vom „Verunglückten“ bewusst geschaffene Situation nur schwerlich als „Unglück“ verstanden werden kann.705 Das zweite Argument ist ein systematisches: Es wäre (2222), der die Zumutbarkeit erst verneint, wenn sich der Suizident in einer „Situation irreparabler schwerer körperlicher Schäden“ befindet, „die die psychische Grundstruktur des Betroffenen so schwer beeinträchtigen, dass seine Personalität auf Dauer in erheblichem Maße reduziert ist“. 701 Rengier, BT 2, § 8 Rn. 20 im Anschluss an Kutzer, Schöch-FS (2010), 481 (485 f.); vgl. aber auch ders., Rissing-van Saan-FS (2011), 337 (347 f.), wonach eine Patientenverfügung, die ein „suizidales Behandlungsverbot“ beinhalte, unwirksam sei und ihre Umsetzung eine Strafbarkeit aus §§ 216, 13 StGB nach sich ziehe; siehe dazu auch schon bei der passiven Sterbehilfe oben Erster Teil B. II. 2. Zwar äußert sich Kutzer zur Frage einer Strafbarkeit aus § 323c StGB nicht; doch müsste die Unwirksamkeit einer solchen Patientenverfügung bei konsequenter Fortführung seines Gedankengangs auch auf diese entsprechende Auswirkungen haben. 702 So Bottke, GA 1983, 22 (35) für Suizidversuche, „von denen ein ungenötigter und irrtumsfreier Sterbewilliger im Fall eines Sinneswandels durch schlichtes Aufhören zurücktreten kann“; generell für den Wegfall der Erforderlichkeit im Fall eines freiverantwortlichen Suizid(versuch)s Gössel/Dölling, BT 1, § 2 Rn. 108. 703 Vgl. Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 83 m.w. N. 704 Arzt, in: Arzt/Weber, BT, § 3 Rn. 33; Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 173 ff.; Momsen, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, Vor §§ 211 ff. Rn. 21; Schmitt, JZ 1984, 866 (868); Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 84 f.; Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 7; Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 99; Wohlers, in: NK, § 323c Rn. 5; wohl auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 40. 705 Arzt, in: Arzt/Weber, BT, § 3 Rn. 33; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht (1997), 273 f.; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 84; vgl. auch Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 173 f.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

ungereimt, der freiverantwortlichen Entscheidung des Lebensmüden im Rahmen des § 323c StGB nur in Einzelfällen, d. h. keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen, obwohl sie zur Straflosigkeit einer vorherigen aktiven Selbsttötungsteilnahme führt.706 Der hiergegen angeführte Einwand, die in § 323c StGB rechtlich sanktionierte moralische Hilfspflicht überlagere die nach allgemeinen Regeln bestimmte Grenze des rechtlichen Verantwortungsbereichs,707 überzeugt nicht, weil ihm eine fehlerhafte Interpretation des durch diese Vorschrift geschützten Rechtsguts innewohnt: Die allgemeine Hilfeleistungspflicht in § 323c StGB mag zwar auf dem Gedanken der mitmenschlichen Solidarität beruhen, doch handelt es sich dabei nach vorzugswürdiger Ansicht nicht um das durch diese Vorschrift geschützte Rechtsgut; geschützt werden ausschließlich die Individualrechtsgüter des Verunglückten.708 Schließlich können auch kriminalpolitische Bedenken zerstreut werden, wonach diese Ansicht angesichts der schwierigen Beweisführung über die Vorstellung, die sich der Täter bezüglich der Freiverantwortlichkeit des Hilfsbedürftigen mache, „zur Bestrafung derer, und nur derer“ führe, „die zu dumm oder rechtsunkundig sind, um sich der schwer widerlegbaren Einlassung zu bedienen, sie hätten an eine freie Selbsttötung geglaubt“.709 Tatsächlich dürften jedenfalls mit dem Suizidenten nicht bekannte bzw. mit den Umständen des konkreten Falls nicht vertraute Dritte mit dieser Einwendung vor Gericht nur selten Gehör finden, da ihnen zu unterstellen sein wird, dass sie – quasi bedingt vorsätzlich – von einem nicht freiverantwortlichen Suizid(-versuch) und somit einem Unglücksfall ausgegangen sind. Lässt sich eine derartige Situationsanalyse feststellen und war diese korrekt, d. h. der Suizid(-versuch) tatsächlich nicht freiverantwortlich, dann kommt eine Bestrafung gem. § 323c StGB ohne Weiteres in Betracht.710 Glei-

706 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 84; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 63; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 43; ähnlich Sowada, Jura 1985, 75 (86), der freiverantwortliche Selbsttötungen jedoch im Wege einer teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand des § 323c StGB ausklammern möchte. 707 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 83; ausführlich ders., JA 1987, 244 (255 f.); vgl. auch BGHSt 32, 367 (376). 708 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 84. Zu dieser Ratio des § 323c StGB siehe etwa Beckert, Strafrechtliche Probleme um Suizidbeteiligung und Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung historischer und ethischer Aspekte (1996), 174; Eisele, BT 1, Rn. 1246; Rengier, BT 2, § 42 Rn. 1; Schöch, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, § 323c Rn. 3; a. A. Pawlik, GA 1995, 360 (365 f.): „Es geht um soziale Stabilisierung, nicht um ,Rechtsgüterschutz‘.“ 709 Prägnant Arzt, in: Arzt/Weber, BT, § 3 Rn. 33 mit Fn. 53, der dieser Ansicht freilich selbst anhängt. 710 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 85, dem zufolge damit die „,Irrtumsanfälligkeit‘“ der vorzugswürdigen Rechtsauffassung strafprozessual „auf ein erträgliches Maß“ reduziert werden kann; vgl. auch Verrel, JZ 1996, 224 (230). Ist dem Dritten

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ches gilt für den Fall, dass der Lebensmüde seinen ursprünglich freiverantwortlichen Suizidentschluss aufgibt und dies in einer für Dritte erkennbaren Weise nach außen kundtut.711 4. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung de lege ferenda Abschließend sei wiederum etwas zur rechtspolitischen Diskussion gesagt. Sie verläuft im Bereich der Sterbehilfe durch Beihilfe zum Suizid gegenwärtig auf zwei Ebenen: Zum einen soll klargestellt werden, dass (Lebensschutz-)Garanten im Fall eines freiverantwortlichen Suizidversuchs entgegen der problematischen Auffassung der Rechtsprechung (Stichwort „Tatherrschaftswechsel“) nicht intervenieren müssen und es Ärzten gestattet ist, bei der Selbsttötung eines unheilbar kranken Patienten zu assistieren. Entsprechende Regelungen sieht der AE-StB in einem neu zu schaffenden § 215 StGB („Nichthinderung einer Selbsttötung“) bzw. § 4 Sterbebegleitungsgesetz („Ärztlich assistierte Selbsttötung“) vor. Ersterer lautet: „(1) Wer es unterlässt, die Selbsttötung eines anderen zu hindern oder einen anderen nach einem Selbsttötungsversuch zu retten, handelt nicht rechtswidrig, wenn die Selbsttötung auf einer freiverantwortlichen und ernstlichen, ausdrücklich erklärten oder aus den Umständen erkennbaren Entscheidung beruht. (2) Von einer solchen Entscheidung darf insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn der andere noch nicht 18 Jahre alt ist oder seine freie Willensbestimmung entsprechend den §§ 20, 21 des Strafgesetzbuches beeinträchtigt ist. (3) Sofern die Ausschlussgründe des Absatzes 2 nicht vorliegen, ist auch bei einem tödlich Kranken eine freiverantwortliche Selbsttötung nicht ausgeschlossen.“ 712

§ 4 Sterbebegleitungsgesetz lautet: „(1) Ein Arzt darf auf ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen eines tödlich Kranken nach Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten zur Abwendung eines unerträglichen und unheilbaren Leidens Beihilfe zur Selbsttötung leisten.

umgekehrt die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses bekannt und interveniert er trotzdem, so kann dies eine Strafbarkeit wegen Nötigung oder Körperverletzung nach sich ziehen; siehe dazu etwa Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 1 Rn. 27; Neumann, in: NK, § 34 Rn. 84, Vor § 211 Rn. 86; Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung (1975), 130 f.; a. A. aber Arzt, in: Arzt/Weber, BT, § 3 Rn. 47, der dem Dritten grds. eine Rechtfertigung nach § 34 StGB zugesteht und Ausnahmen von diesem Grundsatz nur für möglich hält, wenn dem Suizidenten infolge des Rettungsversuchs Dauerschäden drohen. 711 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 44; Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 84; Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 323c Rn. 7; Thias, Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 99. 712 AE-StB, GA 2005, 553 (585); ähnlich zuvor schon der AE-Sterbehilfe (1986), 11, 25.

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(2) Ein Arzt ist zu einer solchen Hilfeleistung nicht verpflichtet, soll jedoch auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten nach Möglichkeit an einen anderen Arzt verweisen, der hierzu bereit ist.“ 713

Der erstgenannte Vorschlag ist prinzipiell zu begrüßen, wenngleich man sich durchaus darüber streiten kann, ob ein freiverantwortlich gefasster Suizidentschluss nicht schon die Garantenstellung und mit ihr den Tatbestand eines (durch Unterlassen begangenen) Tötungsdelikts zum Wegfall bringt und der im Entwurf genannte Maßstab zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit sachgerecht ist.714 Der letztgenannte Vorschlag verdient dagegen uneingeschränkte Zustimmung,715 doch wurde bereits dargelegt, dass das damit einhergehende Postulat nach einer standesrechtlichen Tolerierung des assistierten Suizids716 innerhalb der Ärzteschaft bislang ungehört verhallt ist.717 Um sog. Sterbehilfeorganisationen wie DIGNITAS718 oder EXIT Einhalt zu gebieten, wird zum anderen de lege ferenda eine Bestrafung ihrer vielerseits als 713

AE-StB, GA 2005, 553 (586). Das hier im Rahmen des Einwilligungsmaßstabs (mit-)befürwortete Kriterium der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit wird von den Entwurfsverfassern als „sehr weit und unbestimmt“ abgelehnt; siehe AE-StB, GA 2005, 553 (579). Kritik verdient darüber hinaus auch die Festlegung der starren Altersgrenze von achtzehn Jahren. Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (287) machen zutreffend darauf aufmerksam, dass auch bei Minderjährigen bestimmte Lebensumstände den Suizid als nachvollziehbar, ggf. auch alternativlos erscheinen lassen können und das für die straf- und standesrechtliche Zulässigkeit des ärztlich assistierten Suizids vorgebrachte Argument, man müsse in ausweglosen Situationen einen „Weg zur Erlösung des Kranken“ finden und Verzweiflungstaten wie ein „Herabstürzen aus großer Höhe“ verhindern (AE-StB, GA 2005, 553 [579]) bei ihnen genauso gilt. Nicht zuzustimmen ist Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (286) aber, soweit sie auch die im Merkmal der „Ernstlichkeit“ des Suizids zum Ausdruck kommende Beschränkung der Straflosigkeit auf Bilanzsuizide (vgl. AE-StB, GA 2005, 553 [579 f.]) mit dem Einwand angreifen, auch Appellsuizide könnten freiverantwortlich sein, weil es bei der entsprechenden Unterscheidung nur um die Motivation des Suizidenten und nicht die Abgrenzung seines und des Verantwortungsbereichs des Dritten gehe. Tatsächlich gibt es gewichtige Literaturstimmen, die bei Appellsuiziden die Freiverantwortlichkeit grds. verneinen; siehe z. B. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 36 i.V. m. 34. 715 Auch Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (320) sieht es als ein „dankenswertes Verdienst“ des AE-StB, dass er die „standesrechtliche Tolerierung“ des ärztlich assistierten Suizids fordert; ebenso Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (287); Schroth, GA 2006, 549 (571 f.). 716 Siehe dazu AE-StB, GA 2005, 553 (581). Die Entwurfsverfasser äußern die Erwartung, die Bundesärztekammer würde ihre Grundsätze dem Gesetz anpassen und die Berufsordnungen der Landesärztekammern würden entsprechend geändert. Neumann/ Saliger, HRRS 2006, 280 (287) machen klarstellend darauf aufmerksam, dass mit dieser Regelung zwar die standesrechtliche Zulässigkeit des ärztlich assistierten Suizids festgeschrieben, nicht aber seine strafrechtliche Zulässigkeit eingeschränkt würde, weil der allgemeine Grundsatz der Straflosigkeit bloßer Suizidteilnahme auch für Ärzte gilt und ein Sonderstrafrecht für Ärzte durch standesrechtliche Regeln nicht begründet werden kann. 717 Siehe oben Erster Teil B. I. 2. a). 714

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anstößig empfundenen Tätigkeit gefordert, die, soweit sie nicht über die Beihilfe zu einer freiverantwortlichen Selbsttötung hinausreicht, de lege lata straflos ist.719 Die verschiedenen Vorschläge unterscheiden sich allerdings zum Teil deutlich voneinander. Der AE-StB etwa sieht die Schaffung eines neuen § 215a StGB („Unterstützung einer Selbsttötung aus Gewinnsucht“) mit folgendem Wortlaut vor: „Wer die Selbsttötung eines anderen aus Gewinnsucht unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 720

Einen abweichenden Ansatz verfolgten die Länder Saarland, Thüringen und Hessen mit ihrem Gesetzesantrag vom 27. März 2006 („Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“),721 der das StGB um einen neuen § 217 („Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“) ergänzen wollte: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit vermittelt oder verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 722

Nachdem dieser Entwurf im (federführenden) Rechtsausschuss und den Ausschüssen für Gesundheit und Innere Angelegenheiten festgefahren war und Vermittlungsversuche keinen Erfolg brachten,723 wurde vom Bundesrat eine Entschließung gefasst, der zufolge noch im Jahr 2008 ein entsprechendes Gesetz 718 DIGNITAS hat mittlerweile auch nach Deutschland „expandiert“. Der am 26.9.2005 in Hannover gegründete Ableger führt die Bezeichnung „DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland) e. V.“ und verfolgt dabei laut eigener Aussage das Ziel, „die derzeitige Rechtslage im Bereich des Sterberechts zu verbessern“, wobei insbesondere auch erreicht werden soll, „dass die aus dem Grundgesetz sich ergebenden elementaren Bürgerrechte – Leben und Sterben in Würde sowie Ausübung des Selbstbestimmungsrechts – in der täglichen Praxis verwirklicht werden können“. Darüber hinaus möchte er seine Mitglieder darin unterstützen, „dass diese im Krankheitsfall ihre durch die Verfassung gewährleisteten Rechte auf freie Selbstbestimmung gegenüber Krankenhäusern, Pflegestationen, Ärzten und Pflegepersonal durchsetzen können“; in diesem Rahmen setzt er sich auch dafür ein, „dass die von den Bürgern errichteten Patientenverfügungen durchsetzbar und einklagbar sind“. Auf Wunsch wird schließlich auch Ärzten, Krankenhäusern u. Pflegeheimen „in kritischen rechtlichen Fragen“ anwaltliche Beratung sowie Auskunft geboten (Quelle: Homepage des Vereins, , Stand 5.12.2013). 719 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 148; ausführlich dazu Birkner, ZRP 2006, 52; Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften (2009); Hilgendorf, JbRE 15 (2007), 479. 720 AE-StB, GA 2005, 553 (585). 721 BR-Drs. 230/06. 722 BR-Drs. 230/06, 1. 723 Der Vorschlag einer etwas modifizierten Fassung des ursprünglichen Entwurfs wurde nur von den Ausschüssen für Recht und Gesundheit übernommen, während ihn der Ausschuss für Innere Angelegenheiten ablehnte (vgl. BR-Drs. 436/08).

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

verabschiedet werden sollte.724 Dazu kam es jedoch ebenso wenig wie zur Verabschiedung der 2010 in kurzen Abständen vom Land Rheinland-Pfalz eingebrachten Anträge, die Werbung für die Förderung der Selbsttötung725 bzw. sowohl die gewerbliche Suizidbeihilfe als auch die Werbung für eine Suizidhilfevereinigung unter Strafe zu stellen.726 Fahrt gewann das Vorhaben erst wieder mit dem eingangs erwähnten „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“,727 der von der Bundesregierung am 22. Oktober 2012 vorlegt wurde und ebenfalls die Ergänzung des StGB um einen neuen § 217 befürwortete: „(1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. (2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Abs. 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere nahestehende Person ist.“ 728

Auch wenn sich diese Entwürfe im Einzelnen durchaus unterscheiden, kann auf eine nähere Erörterung an dieser Stelle verzichtet werden. Dies deshalb, weil alle Vorschläge letzen Endes dasselbe konstruktive Manko teilen: Es ist nicht ersichtlich, welches Rechtsgut geschützt werden soll.729 Das Rechtsgut „Leben“ kann es jedenfalls nicht sein. Lässt sich nämlich dem Mitwirkenden der Tod des Lebensmüden deshalb nicht zurechnen, weil dieser die Entscheidung pro morte fehlerfrei getroffen und selbst über sein Leben verfügt, also eigenverantwortlich gehandelt hat,730 so kann der Umstand, dass die Mitwirkung aus Gewinnsucht 724

BR-Drs. 436/1/08. BR-Drs. 149/10. 726 BR-Drs. 149/1/10. 727 BT-Drs. 17/11126. Grundlage war eine entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, wonach „die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“ unter Strafe gestellt werden sollte (S. 108). 728 BT-Drs. 17/11126, 5. 729 Siehe zum AE-StB Duttge, GA 2006, 573 (584 f.); Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 148b; ders./Saliger, HRRS 2006, 280 (287 f.); Schroth, GA 2006, 549 (570); zum Antrag der Länder Saarland, Thüringen und Hessen Neumann/Saliger, HRRS 2006, 280 (288 mit Fn. 82); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (110); Schroth, GA 2006, 549 (570); zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Duttge, ZfL 2012, 51 u. Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 148a. Klarstellend sei angemerkt, dass dieses Monitum selbstverständlich voraussetzt, dass man die Rechtsgutslehre überhaupt anerkennt. Bekanntermaßen hat das BVerfG in seinem Inzestbeschluss aus dem Jahr 2008 (BVerfGE 120, 224) grundlegende Zweifel an ihr geäußert, wobei für eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Kritk sowie der Rechtsgutslehre selbst in dieser Arbeit kein Raum ist. Es soll hier die Feststellung von Hefendehl, ZIS 2012, 506 genügen, dass die Rechtsgutstheorie für ein rationales Strafrecht nach wie vor von außerordentlicher Bedeutung ist; siehe auch schon das Minderheitsvotum von Hassemer, in: BVerfGE 120, 255 u. – ähnlich krit. – Hörnle, NJW 2008, 2085 sowie Zabel, JR 2008, 453; weiterführend Swoboda, ZStW 122 (2010), 24; vgl. aber auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 8 ff. 725

C. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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resp. geschäfts- oder gewerbsmäßig erfolgt, an diesem Befund nichts ändern. Sämtliche Entwürfe führen daher zu nicht unerheblichen strafrechtsdogmatischen Friktionen. Konzipierte man die Vorschrift hingegen als wucherähnlichen Tatbestand, wie dies namentlich von Schöch vorgeschlagen wird,731 dann wäre dieser Einwand abgeschnitten.732 Doch wird im Schrifttum mit Recht die Frage aufgeworfen, ob es nicht vielleicht zweckmäßiger wäre, die Validität des Sterbewillens mithilfe einer prozeduralen verwaltungsrechtlichen Regelung sicherzustellen.733

C. Sterbehilfe und Verfassungsrecht Der Klärung bedarf abschließend die Frage, ob die auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts vorgefundenen Ergebnisse auch im Lichte grundgesetzlicher Bestimmungen Bestand haben. Die folgende Darstellung wird sich dabei nur auf die direkte Sterbehilfe konzentrieren und die anderen Fallgruppen außer Acht lassen.734 Dies erscheint insofern gerechtfertigt, als es sich bei ihr um die einzige Form handelt, die auch im Fall eines „ausdrücklichen und ernsthaften Verlangens“ gem. § 216 StGB grundsätzlich735 strafbar ist. Die indirekte und die passive Sterbehilfe sowie die Sterbehilfe durch Beihilfe zum Suizid sind demgegenüber straflos, sodass hier nicht die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gesetzlicher Verbote zu erörtern wäre, sondern untersucht werden müsste, ob sich für die Legislative aus dem Schutzpflichtgehalt der Grundrechte eine 730

Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. in der Einleitung. Im Wortlaut: „(1) Wer einem anderen, um sich oder einen Dritten zu bereichern, unter Ausbeutung von dessen Zwangslage Beihilfe zur Selbsttötung leistet oder einer solchen Handlung durch seine Vermittlung Vorschub leistet, wird mit . . . bestraft. (2) Wer die Tat gewerbsmäßig begeht, wird mit . . . bestraft“ (GA 2006, 549 [570]). 732 So Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 148b u. Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (110), wobei Letzterer freilich auch schon die Regelung im AE-StB als wucherähnlichen Tatbestand begreift. Der 66. DJT (2006) hat die Vorschläge des AE-StB u. von Schroth kombiniert, indem er empfiehlt, die „Förderung der Selbsttötung“ sowohl bei „Handeln aus Gewinnsucht“ als auch „bei Ausbeutung einer Zwangslage in Bereicherungsabsicht“ unter Strafe zu stellen; siehe den Tagungsbericht von Kaspar, JZ 2007, 235 (237). 733 Für eine solche Lösung Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 148b im Anschluss an Hilgendorf, JbRE 15 (2007), 479 (494 ff.) u. Schreiber, NStZ 2006, 473 (478), die beide auf die Stellungnahme Nr. 9/2005 („Beihilfe zum Suizid“) der schweizerischen Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin hinweisen; vgl. aber auch Schreiber, Jakobs-FS (2007), 615 (625). 734 Diese Einschränkung legt seiner Untersuchung Lindner, JZ 2006, 373 f. zugrunde. 735 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf die hier vertretene Notstandsrechtfertigung in den Fällen, in denen sich die Tötungshandlung äußerlich als medizinisch indizierte Schmerzlinderung darstellt, und bei Sachverhalten, die durch die Unkontrollierbarkeit der Schmerzen bzw. sonstigen Leiden des Moribunden gekennzeichnet sind bzw. bei denen eine Schmerztherapie – wie im Fall des verbrennenden Autofahrers – von vornherein ausscheiden muss. 731

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

Pflicht zur Pönalisierung solcher Verhaltensweisen ergibt.736 In der gegenwärtigen rechtspolitischen Debatte wird Entsprechendes nur für die gewerbsmäßige bzw. organisierte Suizidbeihilfe gefordert,737 wobei ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Jahr 2012 wieder zurückgezogen wurde.738 Nicht zuletzt mit Blick auf das Fehlen einer entsprechenden Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD739 erscheint die Umsetzung solcher Vorhaben zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich.

I. Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur im Überblick Wenngleich die Frage nach der Zulässigkeit aktiv-gezielter Lebensverkürzungen bei unheilbar Kranken neben straf- und zivilrechtlichen durchaus auch komplexe verfassungsrechtliche Fragestellungen aufwirft, kann von einer vertieften Diskussion auf dieser Ebene bis heute nicht wirklich die Rede sein.740 Rechtsprechung des BVerfG, welche sich explizit mit dem Verbot direkter Sterbehilfe befassen würde, ist jedenfalls nicht vorhanden. Angeführt werden kann allenfalls ein Urteil aus dem Jahr 1987, das die Verfassungsbeschwerde eines Arztes und seiner gelähmten Patientin gegen eine polizeiliche Verfügung zum Gegenstand hatte, die dem Arzt untersagte, der Patientin direkte Sterbehilfe zu leisten.741 Die Verfassungsbeschwerde wurde für unzulässig befunden, weil der Beschwerdeführer (Arzt) zum einen nicht dargetan habe, worin für ihn der schwere und unabwendbare Nachteil bei Nichtleistung der Sterbehilfe liege; zum anderen greife er zwar die polizeiliche Verfügung an, beabsichtige tatsächlich aber, das BVerfG zur Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Auslegung und Anwendung des § 216 StGB zu veranlassen und unter Ausschaltung der Strafgerichte vom Verstoß gegen diese Vorschrift „,freigesprochen‘“ zu werden, bevor er überhaupt die beabsichtigte Sterbehilfe geleistet habe.742 Die Beschwerdeführerin (Patientin) sei durch die Verfügung dagegen gar nicht betroffen, weil deren Überprüfung zur Klärung ihres Anspruchs auf direkte Sterbehilfe durch Dritte ungeeignet sei.743 736 Lindner, JZ 2006, 373 (374); allgemein zu den grundrechtlichen Schutzpflichten Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten (1996). 737 Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen eines solchen Verbots siehe Lorenz, JZ 2009, 57 (64 f.). 738 Siehe dazu oben Einleitung I. sowie Erster Teil B. IV. 4. 739 Siehe oben Einleitung I. 740 Lindner, JZ 2006, 373; vgl. auch Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 143. 741 BVerfGE 76, 248; siehe dazu Lindner, JZ 2006, 373 (375) sowie ausführlich Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 392 ff. 742 BVerfGE 76, 248 (251 f.). 743 BVerfGE 76, 248 (252 f.). Kritisch zu dieser Argumentation Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 392 ff., dem zufolge dem Beschwerdeführer die Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) in diesem Fall nicht hätte

C. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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Materiell-grundrechtliche Fragen wurden in dieser Entscheidung folglich nicht erörtert. Vertiefende Auseinandersetzungen mit dem Thema sind aber auch in der verfassungsrechtlichen Kommentarliteratur nicht auszumachen:744 So wird etwa ausgeführt, dass die Menschenwürde auch das Recht umfasse, bei schweren Leiden und körperlichem oder geistigem Verfall über ein Sterben in Würde zu entscheiden und insbesondere auch den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu verlangen, wohingegen ein „Anspruch auf aktive Sterbehilfe“ den Würdeanspruch überspanne.745 Diese Behauptung geht an der eigentlichen Fragestellung vorbei, weil hier nicht grundrechtliche Leistungsansprüche (status positivus) der Erörterung bedürfen, sondern die Frage, ob der Staat konsentierte Tötungen (auch) bei einem unerträglichen und aussichtslosen Leiden des Lebensmüden pönalisieren darf.746 Auch Formulierungen, wonach „staatlich betriebene Kliniken, in denen unheilbar Kranke den ,Gnadentod‘ erhalten können“, nicht erlaubt seien, „weil der Staat verbotene Eingriffe in das Leben vornehmen würde“,747 sind ebenso wenig überzeugend wie die Feststellung, dies gelte gleichermaßen für privat betriebene Kliniken, weil das Leben unheilbar Kranker durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt werde und deren Einwilligungen in den Gnadentod keine Grundlage für die Auslöschung des Lebens seien.748 Hier wird keine Begründung für die Frage geliefert, ob und, wenn ja, inwieweit auch eine einverständliche direkte Sterbehilfe einen Eingriff in das Grundrecht auf Leben darstellt bzw. wieso die Einwilligung des Lebensmüden generell irrelevant sein soll; auch der Satz „Eine

zugemutet werden dürfen, weil dies die Begehung der Straftat vorausgesetzt hätte, um ein Urteil zu provozieren, ein solches Urteil und seine Folgen (gesellschaftliche Ächtung, eventuell Verlust der Approbation) aber zu einem „schweren und unabwendbaren Nachteil“ i. S. v. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG geführt hätten. Ebenso sei auch die Beschwerdeführerin betroffen gewesen, weil die polizeiliche Verfügung zum Ziel gehabt habe, die direkte Sterbehilfe bei ihr zu verhindern, und ein effektiver Rechtsschutz durch Anrufung der Verwaltungsgerichte schon aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht gekommen wäre. 744 Folgende Zusammenstellung nach Lindner, JZ 2006, 373 (374 f.), der daneben auch das Fehlen vertiefender Erörterungen in der verfassungsrechtlichen Lehrbuchliteratur moniert (a. a. O., 374 mit Fn. 16). 745 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 89 unter Hinweis auf Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rn. 36 (Stichwort „Sterbehilfe“), der Art. 1 GG sogar ein grundsätzliches Verbot jeglicher Form direkter Sterbehilfe entnehmen will; ebenso Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, Art. 1 Rn. 39, der sich zudem auf Art. 2 GG u. die EMRK bzw. das Urteil des EGMR im „Fall Pretty“ (EuGRZ 2002, 234) beruft. 746 So Lindner, JZ 2006, 373 (374), der Herdegen mit Recht eine Vermengung verschiedener grundrechtsdogmatischer Strukturen vorwirft. 747 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 207. 748 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 207.

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

lebensverkürzende aktive Sterbehilfe ist [. . .] ein Angriff auf das Leben“ 749 ist diesbezüglich wenig aufschlussreich.750 Gleichermaßen fragwürdig erscheint schließlich die Verneinung der Zulässigkeit direkter Sterbehilfe mit dem ebenso schlichten wie apodiktischen Hinweis, die Todesbeschleunigung durch aktives Tun im Vorfeld des Sterbeprozesses stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG dar.751 Soweit die Rede von einem „Eingriff“ eine Beschränkung der Unzulässigkeit auf staatliches Handeln suggeriert, wäre zu erörtern gewesen, ob sich aus diesem Grundrecht auch eine Schutzpflicht ableiten lässt, die es dem Gesetzgeber ermöglichen bzw. gebieten würde, die direkte Sterbehilfe für rechtswidrig und gegebenenfalls strafbar zu erklären.752 Andere Stimmen in der Kommentarliteratur halten die direkte Sterbehilfe dagegen für zulässig; auch diese achte die Würde des Kranken, „wenn sie ausschließlich dazu dient, das Leiden zu verkürzen, der baldige Tod des Patienten als unabwendbar erscheint und sie dem erkennbaren oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht“.753 Im übrigen Schrifttum finden sich immerhin einige wenige vertiefende Stellungnahmen zu Verfassungsfragen direkter Sterbehilfe.754 Das Verdienst, die komplexe grundrechtliche Gemengelage erhellt zu haben, gebührt insbesondere Antoine755 und Lindner,756 die beide in jüngerer Vergangenheit der Frage nachgegangen sind, ob und, wenn ja, inwieweit der Staat direkte Sterbehilfe verbieten darf und muss. Ihre jeweiligen Konzeptionen, die sich nicht nur hinsichtlich 749

Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 215. Lindner, JZ 2006, 373 (374). 751 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 39. 752 So Lindner, JZ 2006, 373 (375), dort auch mit dem Hinweis auf ähnliche dogmatische Ungenauigkeiten bei Hufen, NJW 2001, 849 (851) u. Pieroth/Schlink, Grundrechte – Staatsrecht 2, Rn. 421. 753 Zippelius, in: BoK, GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 96; siehe auch Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100 u. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 212a, denen zufolge der Staat die direkte Sterbehilfe im Gegensatz zur passiven Sterbehilfe zwar auch bei einwilligungsfähigen Patienten verbieten kann, dazu aber nicht verpflichtet ist und sie für zulässig erklären könnte, wenn der Patient sie bei vollem Bewusstsein verlangt. Auch Pieroth/Schlink, Grundrechte – Staatsrecht 2, Rn. 421 können sich eine gesetzliche Regelung vorstellen, die dem Arzt erlauben würde, „dem Willen des unheilbar und qualvoll kranken Patienten nach Beendigung des Lebens Rechnung zu tragen“; diese müsste dafür freilich „enge materiell- und verfahrensrechtliche Voraussetzungen statuieren, um zu gewährleisten, dass tatsächlich dem Willen des Patienten entsprochen und nicht etwa doch ein Eingriff gesetzt wird“. 754 Siehe Czerner, MedR 2001, 354 u. Knopp, MedR 2003, 379; vgl. auch Chong, Sterbehilfe und Strafrecht (1998), 221 ff.; Höfling, JuS 2000, 111; Hufen, NJW 2001, 849; Lorenz, JZ 2009, 57; Seibert, Rechtliche Würdigung der aktiven indirekten Sterbehilfe (2003), 65 ff. 755 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 367 ff. 756 Lindner, JZ 2006, 373 (375 ff.). 750

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Ergebnis und Begründung ähneln, sondern – soviel sei vorab gesagt – auch überzeugen können, sollen im Folgenden dargestellt werden.

II. Neuere Konzeptionen: Verfassungsrechtliche Gebotenheit der Straffreistellung direkter Sterbehilfe in Extremfällen Von der eingriffsabwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte ausgehend, untersuchen Antoine757 und Lindner,758 ob die im Verbot direkter Sterbehilfe (§ 216 StGB) begründeten Interessenverkürzungen aufseiten des Sterbewilligen und des Sterbehelfers verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind. a) Die tangierten Grundrechte Während Antoine beim Arzt einen Eingriff in dessen Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 GG) allenfalls in Extremfällen für vorstellbar hält, weil mit der indirekten und der passiven Sterbehilfe bzw. der Sedierung des Patienten regelmäßig ausreichende Optionen zur Leidminderung bestünden und selbst in den Fällen, in denen sich die direkte Sterbehilfe als alternativlos darstelle, die ärztliche Betreuung immer noch an einen Kollegen weitergegeben werden könne, ist die in Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsausübungsfreiheit seiner Auffassung nach ohne Weiteres einschlägig.759 Dass dies nicht unproblematisch ist, weil das ärztliche Selbstverständnis auch heute noch wesentlich durch den hippokratischen Eid geprägt ist,760 der nach gängiger Lesart ein Verbot direkter Sterbehilfe enthält,761 muss freilich auch Antoine eingestehen, der diese Bedenken jedoch unter Hinweis auf die auch von ärztlicher Seite anerkannte Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe zu zerstreuen sucht.762 Das ist nicht stimmig, dürfte doch ein erheblicher Unterschied darin zu sehen sein, ob eine Handlung äußerlich nur als Tötungs- und nicht mehr als Leidminderungshandlung gedeutet werden kann. Belegt wird dies nicht nur durch den Umstand, dass die strafrechtliche Rechtsprechung und der größte Teil der Lehre derartige Verhaltensweisen im Gegensatz zur indirekten Sterbehilfe ausnahmslos für strafbar erachten, sondern auch 757

Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 367 f. Lindner, JZ 2006, 373 (375 f.). 759 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 369 ff. 760 Der in seiner klassischen Variante in Deutschland heute allerdings nicht mehr geleistet wird; siehe dazu Duttge, GA 2005, 612 (613). 761 Im Wortlaut abgedruckt bei Wolfslast/Conrads, Textsammlung Sterbehilfe (2001), 253: „Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben: Heilig und fromm werde ich mein neues Leben bewahren und meine Kunst.“ 762 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 370 f. 758

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

und v. a. durch die Tatsache, dass sich ein entsprechendes Verbot sowohl in der MBO-Ä 1997763 bzw. sämtlichen (auf ihrer Grundlage ergangenen) Länderberufsordnungen als auch in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung findet.764 Da zudem keine sonstigen Grundrechte ersichtlich sind, die betroffen sein könnten, wird man deshalb nicht umhinkommen, das „Interesse“ des Arztes an der Tötung seines unheilbar kranken Patienten mit Lindner als durch das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) umfasst anzusehen.765 Den Patienten betreffend hält Antoine das Lebensgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für tangiert, dessen negative Dimension auch die Bestimmung des eigenen Todeszeitpunkts umfasse. Zwar treffe das Verbot direkter Sterbehilfe durch § 216 StGB nur den Arzt, weshalb die Betroffenheit des Patienten auf den ersten Blick bezweifelt werden könnte; doch sei nach dem modernen Eingriffsbegriff ein (mittelbarer) Eingriff auch bei dem Nicht-Adressaten eines staatlichen Normbefehls möglich, sofern dieser Normbefehl wie ein unmittelbar an ihn gerichteter Gesetzesbefehl wirke. Dies sei hier der Fall, weil das in § 216 StGB enthaltene Verbot die Bestimmung des eigenen Todeszeitpunkts durch eine direkte Sterbehilfe verhindere und der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Organisation der eigenen Tötung durch Dritte ebenfalls umfasse.766 Ebenso geht auch Lindner ohne Weiteres von einer Grundrechtsbetroffenheit des Patienten aus, weil er mit dem Sterbensinteresse auch dessen Realisierungsmodalitäten für geschützt erachtet; im Gegensatz zu Antoine hält er jedoch nicht das – gewichtigere – Lebensgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern – wie schon beim Arzt – die in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte allgemeine Handlungsfreiheit für einschlägig.767 Wenngleich man gegen die Verortung in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einwenden könnte, dass es fraglich erscheint, ob zur Grundrechtsausübung auch die „Auslöschung des personalen Grundrechtssubstrats“ gehört,768 kommt es auf die Einordnung im Ergebnis aber nicht wirklich an. 763

DÄBl. 108 (2011), A-1980 (A-1984): § 16 („Beistand für Sterbende“). DÄBl. 108 (2011), A-346 (Präambel). 765 Siehe Lindner, JZ 2006, 373 (377), dem zufolge zwar über den – hier nicht einschlägigen – „neminem laedere“-Grundsatz hinaus angesichts drohender Missbräuche theoretisch jede Tötungshandlung „inter privatos“ als vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG nicht erfasst angesehen werden könnte; doch sei es grundrechtsdogmatisch überzeugender, Einschränkungen erst bei der Rechtfertigung abzuarbeiten. 766 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 371 f. Dezidiert dagegen Lorenz, JZ 2009, 57 (63): Da schon ein unmittelbares Verfügungsrecht über das eigene Leben nicht anzuerkennen sei, könne es noch weniger als Grundlage eines Anspruchs auf staatliche Zulassung direkter Sterbehilfe dienen. 767 Lindner, JZ 2006, 373 (376 f.). 768 Siehe Dreier, JZ 2007, 317 (319); eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem und weiteren Argumenten gegen die Verortung eines „Rechts auf Selbsttötung“ in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG findet sich bei Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 221 ff., der diese aber i. E. allesamt für nicht durchschlagend hält. 764

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b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs Entlang des grundrechtsdogmatischen Rechtfertigungsschemas prüfen Antoine769 und Lindner770 sodann, ob die Interessenverkürzung beim Sterbehelfer und dem Sterbewilligen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist und die Pönalisierung direkter Sterbehilfe durch § 216 StGB dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz („Übermaßverbot“) entspricht. aa) § 216 StGB als im Grundsatz verhältnismäßige Strafnorm Beide Autoren gehen zunächst von einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck der gesetzlichen Regelung aus: Während Antoine in § 216 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt erblickt, das den Lebensmüden im Hinblick auf Missbrauchs- und Dammbruchgefahren vor unfreiwilligen Tötungen schützt,771 entwickelt Lindner ein mehrschichtiges „Schutzpflichtprogramm zu Gunsten des Lebens“, in dem „der Schutz konkret und abstrakt Sterbewilliger vor fremdbestimmtem Druck und Missbrauch, der Schutz des Lebens als solchem vor jeglicher, auch wohlmeinender Relativierung, die slippery-slope- oder DammbruchGefahr, die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Tötungstabus sowie die historische Dimension der Erfahrungen des Nationalsozialismus zusammengefasst sind“.772 Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der strafrechtlichen Regelung ist nach beiden Autoren relativ unproblematisch,773 ebenso ihre grundsätzliche Angemessenheit, wobei Antoine774 diese Prüfung im Gegensatz zu Lindner775 weiter in Angemessenheit des Verhaltensverbots, der Sanktionsandrohung und des Sanktionsmittels unterteilt und zwischen der Angemessenheit dem Arzt und dem Patienten gegenüber differenziert.776 Lindner weist seinerseits noch darauf hin, dass die im Grundsatz verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Verbotes direk-

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Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 373 ff. Lindner, JZ 2006, 373 (377 ff.). 771 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 375 ff., insb. 379 ff. 772 Lindner, JZ 2006, 373 (383). 773 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 382 f.; Lindner, JZ 2006, 373 (380). 774 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 384 ff. 775 Lindner, JZ 2006, 373 (380). 776 Vorzugswürdig dürfte die einheitliche Betrachtungsweise sein, weil, so der überzeugende Hinweis von Lindner, JZ 2006, 373 (377), sich die Grundrechtsordnung ansonsten in einen unauflösbaren Widerspruch setzen würde: Ließe sich die Beeinträchtigung des Interesses des Sterbewilligen, mithilfe eines Dritten zu sterben, nämlich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen, die Beeinträchtigung des Interesses des Dritten aber schon, dann stünde Grundrechtsverletzung gegen verfassungsrechtlich gerechtfertigte Grundrechtsbeeinträchtigung in einem einheitlichen Lebenssachverhalt – ein, so Lindner, „schon aus logischen Gründen nicht vermittelbares Ergebnis“. 770

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

ter Sterbehilfe auch EMRK-konform sei, weil sich mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 2 („Recht auf Leben“) kein Recht des Kranken folgern lasse, den Tod mit der Hilfe anderer herbeizuführen.777 bb) Unangemessenheit der Sanktionierung in Ausnahmefällen Ist das Verbot direkter Sterbehilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht demnach grundsätzlich nicht zu beanstanden, stimmen beide Autoren darin überein, dass die Grundrechtsverkürzung in extremen Einzelfällen unverhältnismäßig (unangemessen) und damit verfassungswidrig sein kann: Nach Antoine soll hiervon immer dann auszugehen sein, wenn der Leidende, wie im Beispiel des eingeklemmten, bei lebendigem Leibe verbrennenden Unfallopfers und des bei vollem Bewusstsein befindlichen, aber vollständig gelähmten Patienten, zur Selbsttötung physisch nicht in der Lage ist. Bei derartigen Sachverhalten sei das durch § 216 StGB vermittelte Verhaltensverbot zwar dem Arzt, aber nicht mehr dem Patienten gegenüber angemessen; indes führe Letzteres zu einer Verneinung der Angemessenheit der Sanktionsandrohung gegenüber dem Arzt, der durch diese in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt werde.778 Insofern sei eine verfassungskonforme Auslegung nicht nur erlaubt, sondern auch geboten. De lege lata lasse sich die Einschränkung des strafrechtlichen Verbots direkter Sterbehilfe strafrechtsdogmatisch überzeugend nur durch Annahme einer gerechtfertigten Notstandstat gem. § 34 StGB (analog) berücksichtigen.779 Ähnlich argumentiert Lindner, der unter Bezugnahme auf die Eigentumsdogmatik ebenfalls davon ausgeht, dass ein (solches) grundrechtskonformes Gesetz im Einzelfall zu unverhältnismäßigen, unzumutbaren Härten führen kann und derartige grundrechtswidrige „Kollateralschäden“ nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Auch die von ihm beschriebenen Extremkonstellationen decken sich weitgehend mit den von Antoine genannten; neben dem verbrennenden Autofahrer und dem voll bewussten, aber vollständig gelähmten Patienten im sog. 777 Lindner, JZ 2006, 373 (380) unter Hinweis auf EGMR EuGRZ 2002, 234 („Fall Pretty“). Diese Formulierung müsse nicht so verstanden werden, dass der Sterbewillige aus Art. 2 EMRK keinen grundrechtlichen Anspruch gegen einen Dritten oder den Staat auf Sterbehilfe habe; sie sei vielmehr so zu interpretieren, dass der EGMR auch die einverständliche Sterbehilfe eines dazu bereiten Dritten als nicht grundrechtsgeschützt erachte. Folglich liege kein grundrechtsgeschütztes Interesse des Sterbewilligen vor, dessen Verkürzung im Lichte der EMRK zu legitimieren wäre. 778 Dass Antoine das allgemeine Persönlichkeitsrecht erst an dieser Stelle erwähnt, erscheint inkonsequent. Es ist nicht ganz klar, wie eine strafrechtliche Sanktionsandrohung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arztes verletzen kann, wenn das damit einhergehende Handlungsverbot lediglich seine Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG (und das auch nur in „Extremfällen“) bzw. Art. 12 Abs. 1 GG tangiert. 779 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 384 ff.

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Locked-in-Syndrom780 will Lindner jedoch auch Sachverhalte einbeziehen, bei denen ein Schwerstkranker unerträgliche, palliativmedizinisch nicht zu lindernde Schmerzen leidet.781 Dies dürfte jedoch mit Blick auf die in solchen Fällen noch vorhandene Möglichkeit der Suizidbegehung abzulehnen sein. Nicht ganz stimmig sind auch seine Ausführungen zur einfachgesetzlichen Umsetzung dieses „grundrechtsgebotenen Dispenses“: Sofern eine strafrechtsdogmatische Lösung de lege lata nicht nur auf Rechtfertigungs-, sondern auch auf Schuldebene für denkbar gehalten wird,782 ist dem mit Antoine entgegenzuhalten, dass dann jedermann eine direkte Sterbehilfe im Wege der Nothilfe verhindern dürfte und damit in der Lage wäre, das verfassungsrechtlich unzulässige Verbot durchzusetzen.783 Überzeugender sind die Erwägungen Lindners hingegen, soweit de lege ferenda die Einfügung eines Ausnahmetatbestandes in § 216 StGB oder die Schaffung eines neuen § 216a StGB bzw. § 217 StGB angeregt wird, nach dessen Maßgabe direkte Sterbehilfe unter spezifischen materiellen Voraussetzungen nicht strafbar oder schon nicht rechtswidrig wäre. Gleichwohl ist auch hier wieder darauf hinzuweisen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine solche Regelung zu weit geraten sind, wenn sie neben einer irreversiblen, unheilbaren Erkrankung, die in absehbarer Zeit zum Tode führt, auch die „Unzumutbarkeit des Weiterlebens etwa wegen unzureichend linderbarer Schmerzen oder sonstiger besonderer Umstände“ umfassen sollen.784 Erwägenswert ist aber Lindners Vorschlag, eine solche Neuregelung zwecks Vorbeugung von Missbräuchen durch „verfahrensrechtliche Flankierungen“ zu verstärken (Stichwort „Grundrechtsschutz durch Verfahren“),785 und zunächst als sog. Erprobungsgesetz zu konzipieren.786 780 Ausführlich zu diesem Krankheitsbild, bei dem der Patient zwar bei vollem Bewusstsein, jedoch körperlich fast vollständig gelähmt ist u. nur über vertikale Augenbewegungen oder mithilfe technischer Gerätschaften mit der Außenwelt kommunizieren kann, Bauer/Gerstenbrand/Aichner, in: Neumärker (Hrsg.), Hirnstammläsionen (1983), 139. Auch der vielfach preisgekrönte autobiografische Spielfilm „Schmetterling und Taucherglocke“ aus dem Jahr 2007 behandelt den Leidensweg eines Patienten mit Locked-in-Syndrom. 781 Lindner, JZ 2006, 373 (381). 782 Lindner, JZ 2006, 373 (381). 783 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), 389. 784 Lindner, JZ 2006, 373 (381). 785 In Betracht kommen nach Lindner, JZ 2006, 373 (381) ein fachliches Mehraugenprinzip unter Hinzuziehung eines Palliativmediziners und ein Mehraugenprinzip zur Sicherstellung der Freiwilligkeit des Sterbewillens (etwa unter Einschaltung einer Ethikkommission oder eines Notars); des Weiteren Dokumentations- sowie anonymisierte Berichtspflichten ggü. Ethikkommissionen oder dem Parlament. 786 Lindner, JZ 2006, 373 (381 f.). Für diejenigen, die sich auf den Standpunkt stellen, die gezielte Tötung eines Menschen dürfe niemals, d. h. selbst in Extremfällen nicht straffrei sein, schlägt Lindner als weitere Alternative vor, die direkte Sterbehilfe in den „rechtswertungsfreien Raum“ fallen zu lassen. Der Staat könne die fragliche Handlung unter den genannten materiellen u. verfahrensrechtlichen Ausnahmebedingungen – ggf. in einem Erprobungsgesetz – weder als rechtsmäßig noch als rechtswidrig qualifizieren, sondern sich einer Wertung enthalten (a. a. O., 382).

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

III. Kritik und Stellungnahme In obigen Ausführungen ist angeklungen, dass die Thesen von Antoine und Lindner, ungeachtet kleinerer Ungereimtheiten, nicht nur für sich genommen überzeugen, sondern auch gut mit der einfachgesetzlichen Rechtslage harmonieren. Nichtsdestotrotz hat namentlich Duttge mehrere Einwände speziell gegen die Konstruktion Lindners formuliert.787 Diese sollen im Folgenden zunächst zusammengefasst und anschließend ihrerseits kritisch gewürdigt werden. Duttge hält es im Ausgangspunkt für schwerlich vorstellbar, dass neben der strafbewehrten Absicherung des Tötungstabus auch seine Durchbrechung verfassungsrechtlich geboten (und damit nicht nur gerechtfertigt) sein kann. Wie das niederländische Beispiel zeige, sei die Schaffung eines Ausnahmetatbestands für die direkte Sterbehilfe mit gravierenden Gefahren für den Lebensschutz verbunden: Empirische Untersuchungen hätten gezeigt, dass die an sich eng umrissene Tötungsbefugnis nicht selten missbraucht werde und die gesetzliche Regelung derartige Missbräuche nicht nur nicht eindämme, sondern sogar entscheidend begünstige.788 Dies müsste, so Duttge weiter, umso mehr gelten, wenn man mit Lindner von einer abstrakten „Höchstwertigkeit“ menschlichen Lebens auszugehen hätte, die jegliche Verfügung hierüber – auch seitens des Rechtsgutsträgers – verbiete. Damit würde jedoch verkannt, dass ausweislich Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG das Lebensrecht gerade keinen absoluten Schutz genießt. Dieser Befund werde von Lindner – unter Ausblendung des Vorrangs des abwehrrechtlichen Gehalts der Grundrechte – mithilfe der Schutzpflichtdogmatik „ausgehebelt“, der dabei allerdings übersehe, dass die sich daraus ergebenden Anforderungen noch weniger als der abwehrrechtliche Aspekt zu absoluten Schutzgehalten führen könnten: Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG verfüge die Legislative über eine weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsprärogative, die nur ausnahmsweise den Einsatz von Strafrecht gebiete. Die von Lindner besorgte Abschichtung des Lebenswerts durch Straffreistellung direkter Sterbehilfe in bestimmten Fällen überzeuge nur für unfreiwillige Tötungen, wohingegen das Selbstbestimmungsrecht in Grenzfällen auch eine Entscheidung gegen das Weiterleben erlaube. Diese setzte freilich Freiverantwortlichkeit voraus, deren Feststellung durchaus schwierig sein könne, was wiederum für eine Legitimation des § 216 StGB auch unter dem Gesichtspunkt eines „,Voreiligkeitsschutzes‘“ spreche.789 Gleichwohl gebe es Konstellationen vollständiger Handlungsunfähigkeit wie im „Fall Pretty“, in denen bei wiederholtem Tötungsverlangen an der Freiverantwortlichkeit nicht zu zweifeln sei. Hier erschiene es als ein „Akt haarsträubender 787 788 789

Duttge, JZ 2006, 899. Duttge, JZ 2006, 899 (900) unter Hinweis auf Oduncu, MedR 2005, 437 (443 f.). Duttge, JZ 2006, 899 (900 f.).

C. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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Unbarmherzigkeit, dem unerträglich Leidenden unter Hinweis auf das allgemeine Tötungsverbot von Rechts wegen jede Hoffnung auf ein rasches Ende zu nehmen“. Auch der Verweis auf den notwendig abstrakt-generellen Charakter von Rechtsnormen stoße dann an seine Grenzen, da das Recht ein Instrumentarium zur Vermeidung unbilliger Härten im Einzelfall bereithalten müsse. Da in dem Postulat nach einer in abstracto ausnahmslosen Pönalisierung von Fremdtötungen aber gleichzeitig auch ein gewichtiger generalpräventiver Aspekt mitschwinge, der Ansätze verbiete, die als „(begrenzte) ,Freigabe‘ von Tötungshandlungen“ (miss-)verstanden werden könnten, kämen weder Tatbestands- noch Rechtfertigungslösungen in Betracht, während die Verbannung der direkten Sterbehilfe in den rechtswertungsfreien Raum „schon aus normlogischen Gründen“ nicht konstruierbar sei. Die Einräumung eines Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgrunds sei hingegen „strafrechtsdogmatisch stimmig“, doch hätten die Erfahrungen mit dem Schwangerschaftsabbruch gezeigt, dass auch eine solche Regelung für „gefällige Uminterpretationen und normerodierende Effekte“ anfällig wäre.790 Vorzugswürdig sei die Schaffung eines unbenannten minder schweren Falls in § 216 Abs. 3 StGB (n. F.), der in „außergewöhnlichen und einzigartigen Fällen aufgrund einer Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters und unter maßgeblicher Berücksichtigung des Interesses an einer ,Verteidigung der Rechtsordnung‘ die bloße Verurteilung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) erlaubt, ohne durch diese ganz im Ermessen liegende Option gütiger Nachsicht die Normgeltung und generalpräventive Kraft des Strafrechts zu untergraben“.791 Duttges Kritik kann nicht ganz überzeugen. Soweit sie sich gegen die (Kern-) These Lindners richtet, der zufolge nicht nur das strafrechtliche Verbot direkter Sterbehilfe, sondern auch begrenzte Ausnahmen hiervon grundrechtliches Postulat seien, hält ihr Lindner selbst entgegen, dass es sich bei dieser Konstruktion um eine in der deutschen Grundrechtsdogmatik seit der „Pflichtexemplar-Entscheidung“ 792 des BVerfG be- und anerkannte Figur handle, deren Notwendigkeit in „rechtstheoretisch unvermeidbaren Regelungsdefiziten abstrakt-genereller Grundsätze“ liege. Normen wie § 216 StGB beruhten denknotwendig auf pauschalierenden Wertungen, was zu Friktionen bei den Rechtfertigungsmodalitäten führe und einen abstrakt-generell verfassungsrechtlich gerechtfertigten oder gar 790

Duttge, JZ 2006, 899 (901). So Duttge, JZ 2006, 899 (902), der für diesen Lösungsansatz Parallelen zur „strukturell sehr ähnlichen“ Rettungsfolterproblematik zieht und auf die Entscheidung des LG Frankfurt/Main im „Fall Daschner“ (NJW 2005, 692) hinweist, „in dem das Gericht bekanntlich zwecks ,Klarstellung‘ des geltenden Gesetzes den Unrechts- wie Schuldgehalt der Tat unangetastet gelassen, die ,massiven mildernden Umstände‘, resultierend aus der einzigartigen Konfliktlage und der daraus hervorgehenden günstigen Sozialprognose für den allein durch jene schicksalhafte Begegnung zum Täter Gewordenen, zur Grundlage für eine Verurteilung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) genommen“ hat (a. a. O., 899 [901 f.]). 792 BVerfGE 58, 137. 791

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1. Teil: Die Rechtslage in Deutschland

gebotenen Grundrechtseingriff unter speziellen tatsächlichen Voraussetzungen unverhältnismäßig erscheinen lasse. Als Ausgleich bedürfe es einer grundrechtswahrenden und insoweit grundrechtsgebotenen Ausnahme. In diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis spiegle sich die komplizierte tatsächliche Interessenlage des Betroffenen wider, der das ausnahmslose Beharren auf sonst sachgerechten Grundsätzen nicht gerecht werde. Es sei, so Lindner prägnant, „gerade die Stärke einer entwickelten Grundrechtsdogmatik, dass sie Instrumentarien zur sachgerechten, mindestens angemessenen Behandlung schwieriger, zumal existenzieller Interessenkonflikte bereithält und dabei nicht nur abstrakte Dogmen, sondern auch den besonderen atypischen Einzelfall im Auge hat“.793 Dies ist plausibel; indes sollte noch hinzugefügt werden, dass sich Duttges Einwände bei genauerer Betrachtung gegen ihn selbst kehren, da auch seine Ausführungen, wonach einerseits der generalpräventive Aspekt bei der Forderung nach einer abstrakt-generellen Bestrafung von Fremdtötungen schwer wiege und als „Freigabe“ von Tötungshandlungen zu (miss-)deutende Lösungen verbiete, das Recht aber andererseits das Instrumentarium bereithalten müsse, um unbillige Einzelfallhärten zu vermeiden, nicht anders verstanden werden können, als dass sowohl die strafbewehrte Absicherung des Tötungstabus als auch seine Durchbrechung verfassungsrechtlich geboten sind. Sein Vorschlag zur Einführung eines minder schweren Falls wird damit den eigenen Forderungen nicht gerecht; denn mit einer Regelung, welche die Straffreiheit allein von der „gütigen Nachsicht“ des Richters abhängig machen würde, wäre aus Sicht des potenziellen Sterbehelfers gerade nicht für Rechtssicherheit gesorgt und damit letztlich auch das Anliegen des Moribunden, in den genannten Extremfällen von seinen Qualen erlöst zu werden, konterkariert. Im Übrigen müsste Duttge in konsequenter Fortführung seines Gedankengangs von der Verfassungswidrigkeit der geltenden Rechtslage ausgehen – ein Verdikt, das auszusprechen er sich offenbar scheut. Recht zu geben ist Lindner schließlich auch insoweit, als der Einwand, eine beschränkte Dispenslösung würde zu einer Zunahme der Fälle unfreiwilliger Tötungen führen, für sich genommen kein tragfähiges Argument gegen eine künftige Zulassung direkter Sterbehilfe sein kann, weil es mit Blick auf das Fehlen einer gesetzlichen Regelung keine belastbaren empirischen Befunde gibt und man sich trotz Parallelen zum belgischen oder niederländischen Modell vergegenwärtigen sollte, dass die Auslegung deutscher Verfassungsnormen nicht von der Rechtslage bzw. einer dagegen verstoßenden Rechtspraxis in anderen Staaten abhängt.794 793

Lindner, JZ 2006, 903. Siehe Lindner, JZ 2006, 902 (903), der zusätzlich darauf hinweist, dass das von ihm vorgeschlagene System flankierender verfahrens- und organisationsrechtlicher Maßnahmen auch weit über das in Belgien oder den Niederlanden gesetzlich Vorgeschriebene hinausgehe. Mit Blick auf den rechtstheoretischen Einwand von Duttge, wo794

C. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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Mit diesen Ausführungen soll die Darstellung der deutschen Rechtslage abgeschlossen werden. Es dürfte sich bestätigt haben, was bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit angedeutet wurde: dass über die Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit der meisten Sterbehilfeformen zwar im Ergebnis Einigkeit besteht, gleichwohl angesichts unzähliger Einzelprobleme, deren Klärung zum Teil einen nicht unerheblichen Begründungsaufwand erfordert, nach wie vor vergleichsweise große Rechtsunsicherheit herrscht, und zwar sowohl auf ärztlicher als auch auf Patientenseite. Im Folgenden wird die Rechtslage in Ungarn untersucht. Schon jetzt sei verraten, dass diese nicht minder problematisch ist – wenn auch aus ganz anderen Gründen.

nach der Vorschlag, das ausnahmsweise Absehen vom strafbewehrten Verbot direkter Sterbehilfe als Anwendungsfall der Kategorie des rechtswertungsfreien Raums zu begreifen, „aus normlogischen Gründen“ nicht möglich sei, gibt er schließlich auch zu bedenken, dass es sich hierbei letztlich nicht um eine Logik-, sondern eine Wertungsfrage handle und es evident sei, „dass man sich einer Wertung enthalten kann oder sogar muss, wenn man etwas weder billigen noch verwerfen will“ (ebd.).

Zweiter Teil

Die Rechtslage in Ungarn A. Einleitung Im folgenden Teil dieser Arbeit ist die rechtliche Situation in Ungarn darzustellen. Die beiden augenfälligsten Unterschiede zur Situation in Deutschland sollen hier gleich noch einmal vorweggenommen werden:1 Sie bestehen zum einen darin, dass das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Gesetz über das Gesundheitswesen („GesG“)2 in den §§ 20–23 eine detaillierte Regelung der passiven Sterbehilfe enthält,3 zum anderen darin, dass das neue ungarische Strafgesetzbuch („uStGB“)4 in § 160 die Mitwirkung bei der Selbsttötung ausdrücklich unter Strafe stellt.5 Die Darstellung der ungarischen Rechtslage wird sich gleichwohl so weit wie möglich an der Systematik der Darstellung der deutschen Rechtslage orientieren, um so im vergleichenden Teil eine direkte Gegenüberstellung beider Rechtsordnungen zu ermöglichen. Schon jetzt kann indes angemerkt werden, dass die gesetzliche Regelung keineswegs die gesellschaftliche und noch weniger die juristische Debatte über Ster1

Siehe dazu bereits die Einleitung I. G 1997:CLIV über das Gesundheitswesen v. 23.12.1997, MKöz 1997, 9503; siehe dazu ausführlich unten Zweiter Teil C. II. 1. c) aa). „MKöz“ steht für „Magyar Közlöny“ (dt.: Gesetzblatt Ungarns), ein vom Staat herausgegebenes offizielles Periodikum, ähnlich dem BGBl. Die Bezeichnung von Gesetzen erfolgt in Ungarn nach Jahr (hier: 1997) und Reihenfolge der Beschlussfassung im Parlament (hier: CLIV, d. h. das 154. Gesetz). Dies trifft auch auf Verordnungen mit Gesetzeskraft zu, mit dem Unterschied, dass hier die fortlaufenden Nummern mit arabischen Zahlen geschrieben werden. Einfache Verordnungen werden mit dem Jahr ihres Erlasses markiert; vor einem Schrägstrich steht eine jedes Jahr neu beginnende, fortlaufende arabische Zahl auf die erst der Monat in lateinischen, dann der Tag in arabischen Ziffern (in Klammern) und schließlich eine Abkürzung für das jeweilige Erlassorgan (z. B. „Korm.“ für kormány, dt.: Regierung) folgt. Dieses System gilt auch für die Bezeichnungen der im MKöz publizierten Entscheidungen des Verfassungsgerichts mit dem Abschlusskürzel „AB“ für Alkotmánybiróság, dt.: Verfassungsgericht. Siehe zum Ganzen Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 15 f. 3 Vorgreifend sei erwähnt, dass das GesG nach der hier vertretenen Auffassung nicht nur die passive, sondern in gewissem Umfang auch die indirekte Sterbehilfe erlaubt; ausführlich dazu unten Zweiter Teil C. II. 1. c) bb). 4 G 2012:C über das Strafgesetzbuch v. 13.7.2012, MKöz 2012, 13450. 5 Eine entsprechende Strafvorschrift fand sich freilich auch schon in § 168 des alten Strafgesetzbuchs („aStGB“) – G 1978:IV über das Strafgesetzbuch v. 31.12.1978, 1048 –, welches bis zum 30.6.2013 gültig war. Zur ursprünglichen Fassung des Gesetzes und seiner Entstehungsgeschichte siehe ausführlich Rácz, JR 1979, 402. 2

A. Einleitung

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behilfe beendet hat. Tatsächlich beginnt sich in Ungarn erst zaghaft eine durch das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz gekennzeichnete Sterbehilfediskussion nach westlichem Muster zu entfalten.6 Von einer rechtsdogmatisch vertieften Auseinandersetzung mit der Problematik, wie sie insbesondere in Deutschland auszumachen ist, kann dabei freilich noch nicht die Rede sein. Bezeichnend dafür ist, dass sich die zur Sterbehilfe verfügbare Literatur weitestgehend auf die gängigen Strafrechtslehrbücher und -kommentare sowie einige wenige Beiträge in juristischen Fachzeitschriften beschränkt.7 Gleichwohl sind in jüngerer Vergangenheit positive Entwicklungen nicht zu übersehen. Erwähnung verdient etwa eine zwischen dem 22. und 23. Januar 2010 in Budapest veranstaltete interdisziplinäre Sterbehilfetagung, auf der verschiedene Aspekte der Thematik von namhaften Fachleuten aus dem In- und Ausland erörtert und Impulse für ihre weitere Behandlung gegeben wurden.8 Das gesteigerte Interesse dürfte auch auf das Sterbehilfeurteil des ungarischen Verfassungsgerichts („VerfG“) aus dem Jahr 20039 zurückzuführen sein, welches selbst über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt und die Diskussion spürbar belebt hat. Zwar setzen sich in Ungarn ebenfalls schon seit geraumer Zeit neben Ärzten10 und Philosophen11 auch Juristen mit der Thematik auseinander,12 doch geschah dies lange Zeit aus einem für die (ehemals) sozialistischen Staaten typischen arzt- und behandlungsorientierten Blickwinkel heraus. Fragen der Einwilli6 Etwas zu negativ dürfte die Einschätzung von Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 68 sein, wonach eine nennenswerte Debatte um die Sterbehilfe weder in der Rechtswissenschaft noch in der Gesellschaft stattfinde. 7 Eine bedeutsame Ausnahme ist die vor nicht allzu langer Zeit erschienene Monografie von Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), die das Thema in seiner gesamten Bandbreite abdeckt. Auf sie wird im Rahmen dieser Arbeit noch verschiedentlich einzugehen sein. 8 Siehe dazu die Tagungsberichte von Csingár/Ehmann, OER 2010, 232 u. Filó, MT 2010, 1106, der für die Organisation dieser Konferenz verantwortlich zeichnete und auch Herausgeber der beiden Tagungsbände Menschenwürdiges Sterben (2010) u. Párbeszéd a halálról (2011) ist. 9 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 mit Anm. Filó, ZfL 2005, 60; Jakab, OER 2004, 31 u. Szente, Fundamentum 3–4/2003, 91. Für eine ausführliche Darstellung siehe unten Zweiter Teil D. II. 10 Vgl. den sog. Ethik-Kodex (ung.: Etikai Kódex) der Ungarischen Ärztekammer, 8 f. (unter II. 2.2., Abs. 16–17), in der am 24.9.2011 beschlossenen und am 1.1.2012 in Kraft getretenen neuesten Fassung. Beim Ethik-Kodex handelt es sich um eine Zusammenfassung der wichtigsten medizinethischen Grundsätze u. Regeln, die für alle in Ungarn tätigen Ärzte verbindlich sind; näher dazu Poczkodi, in: Sótonyi (Hrsg.), Orvosi felelo˝sség (2006), 30 (35 ff.). 11 Vgl. etwa Blasszauer, A jó halál (1984) u. die Stellungnahme der Ungarischen Gesellschaft für Bioethik zu „Euthanasie, therapeutischer Übereifer und Versorgung des sterbenden Patienten“ v. 10.2.2003. 12 Für einen ausführlichen rechtshistorischen Überblick über die Entwicklung der ungarischen Diskussion zu „Euthanasie“ bzw. Sterbehilfe seit dem Ende des 19. Jahrhunderts siehe Jobbágyi, Az élet joga (2004), 293 ff.; ders., Orvosi jog (2007), 161 ff.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

gung und Aufklärung des Patienten spielten bei der (straf-)rechtlichen Bewertung ärztlicher (Heil-)Eingriffe eine – wenn überhaupt – nur untergeordnete Rolle.13 In diesem Sinne statuierte auch das vorherige, am 1. Juli 1972 in Kraft getretene GesG14 in § 43 Abs. 1 die Pflicht des Arztes, „den Patienten im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten einer dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft, seinen individuellen Gegebenheiten sowie dem Stadium seiner Krankheit entsprechenden Behandlung zu unterziehen“ (Satz 2) und dabei „die effektivsten therapeutischen Methoden [. . .] einzusetzen“ (Satz 3).15 Weiterhin hieß es in § 43 Abs. 2 Satz 2: „Der Arzt ist verpflichtet, auch den von ihm für unheilbar gehaltenen Patienten mit der größtmöglichen Sorgfalt zu behandeln.“ Wenngleich diese Regelungen – mit Recht – als in hohem Maße unbestimmt kritisiert wurden,16 so wird doch zumindest eines daraus hinreichend deutlich: Mögen für die (straf-) rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit ärztlichen Verhaltens auch verschiedene Faktoren bedeutsam gewesen sein – die Respektierung der Patientenautonomie (ung.: egészségügyi önrendelkezési jog) gehörte nicht grundsätzlich dazu.17 Ohne die aktuelle Rechtslage in allen Einzelheiten vorwegzunehmen, sei bereits an dieser Stelle gesagt, dass der ungarische Gesetzgeber mit dieser paterna13 Vgl. etwa die frühen Ausführungen von Horváth, ÁJT 1972, 36 (52 ff.), der dabei freilich noch die Rechtslage nach dem vorletzten ungarischen Strafgesetzbuch (G 1961:V über das Strafgesetzbuch der Volksrepublik Ungarn v. 22.12.1961, MKöz 1961, 939) im Blick hat. Hinsichtlich der hier in erster Linie interessierenden Tötungs- und Körperverletzungsdelikte brachte allerdings auch das aStGB von 1978 keine einschneidenden Neuerungen; diese ergaben sich erst mit Inkrafttreten des neuen GesG am 1.7.1998. 14 G 1972:II über das Gesundheitswesen v. 29.4.1972, MKöz 1972, 293. Mit Inkrafttreten des neuen GesG am 1.7.1998 verlor dieses Gesetz seine Gültigkeit. 15 Die beiden GesG von 1972 u. 1997 sprechen wörtlich vom „Kranken“ (ung.: beteg). Im Folgenden soll nichtsdestotrotz nur noch vom „Patienten“ die Rede sein, auch wenn beide Begriffe nicht notwendig deckungsgleich sind (nicht jeder Patient ist krank, wohingegen jeder Kranke in Behandlung ein Patient ist). Dies bietet sich v. a. auch deshalb an, weil das GesG zahlreiche Vorschriften die medizinische Versorgung gesunder Menschen betreffend enthält und deshalb die durchgängige Rede vom Kranken unpräzise erscheint; vgl. – freilich zum Vorentwurf des GesG – auch Sándor, Fundamentum 1/1997, 87 (89). 16 Eingehend dazu und allgemein zur – unklaren – rechtlichen Situation unheilbar erkrankter Patienten vor Inkrafttreten des neuen GesG am 1.7.1998 Sajó/Sándor, MT 1996, 771. 17 Vgl. auch Kmetty/Takács, Fundamentum 1/2003, 125 (128) in ihrem Normenkontrollantrag an das VerfG, das oben erwähntem Sterbehilfeurteil zugrunde lag. Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf § 47 Abs. 4 i.V. m. Abs. 2 des besagten Gesetzes, der die schriftliche Zustimmung des Patienten oder – im Fall von dessen beschränkter Geschäftsfähigkeit/Geschäftsunfähigkeit – seiner Angehörigen für stationär durchzuführende Operationen verlangte, von diesem Zustimmungserfordernis aber zugleich Ausnahmen in Fällen vorsah, in denen die Operation zur Abwendung einer unmittelbaren Lebensgefahr erforderlich war oder während der Operation weitere operative Eingriffe notwendig wurden. Nach § 48 Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 galten diese Grundsätze auch für Untersuchungsmethoden, die einer Operation wertungsmäßig gleichstehen, sowie für solche Untersuchungs- und Heilmethoden, die mit Lebensgefahr verbunden sind.

A. Einleitung

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listischen Perspektive trotz der eingangs erwähnten Regelung im GesG bis heute nicht vollständig gebrochen hat.18 So bewegte unlängst der tragische Fall des Károly Nagy, eines an unheilbarer Muskeldystrophie („Muskelschwund“) erkrankten Patienten die Öffentlichkeit, dessen Verlangen nach einem Abstellen der lebenserhaltenden Apparaturen nach geltendem Recht nicht entsprochen werden konnte.19 Umgekehrt lässt die paternalistische Perspektive so manchen Arzt unter Umständen nicht einmal vor der Begehung eines (strafbaren) Tötungsdelikts zurückschrecken: Nach wie vor hohe Wellen schlägt ein unlängst in einer medizinischen Fachzeitschrift publizierter Artikel, in dem ein namentlich nicht genannter Stationsarzt über die Gepflogenheit in einem Budapester Krankenhaus berichtet, Patienten mit Krebs im Endstadium und einer Lebenserwartung von nur noch wenigen Wochen ohne deren Wissen mithilfe einer Überdosis Morphin in einen Dämmerzustand zu versetzen und sie dadurch dem innerhalb weniger Tage eintretenden Tod preiszugeben.20 Nachdem in der Folge der Name des Arztes und das Krankenhaus festgestellt werden konnten, leiteten die zuständigen Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen wegen des Verdachts der Tötung von bis zu 70 Patienten ein. Zwar wurde das Ermittlungsverfahren mittlerweile wieder eingestellt, weil, so die Sprecherin der Budapester Oberstaatsanwaltschaft, der für die Feststellung einer Straftat erforderliche Kausalitätsnachweis zwischen den untersuchten Morphinbehandlungen bzw. -dosierungen und den eingetretenen Todesfällen angesichts der dürftigen Beweislage nicht zweifelsfrei habe erbracht werden können.21 Ein schaler Nachgeschmack bleibt aber dennoch. So oder so weist dieser Fall mit der dem Arzt grundsätzlich zugestandenen Vernunfthoheit über den Patienten – die hier, sollten die Anschuldigungen doch der Wahrheit entsprochen haben, selbstredend zu extensiv interpretiert wurde – auf eines der zentralen Probleme der gesetzlichen Regelung hin. Die ungarische Rechtsordnung zeigt sich zum Ende des Jahres 2013 infolge der nach der Wende eingeleiteten gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Reformen jedenfalls formal als größtenteils „totalsaniert“.22 Besonders eifrig agiert in dieser Hinsicht die nationalistisch-konservative Regierung unter Ministerpräsident Orbán, die seit ihrem Erdrutschsieg bei den Wahlen vom 24. Mai 2010 zusammen mit einer kleineren Koalitionspartei über eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügt und in vielen Rechts-

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So auch die Einschätzung von Dósa, Az orvos kártérítési felelo˝ssége (2010), 284. Der Patient ist seiner Krankheit mittlerweile erlegen. 20 Márkus, LAM 2011, 306 mit Anm. Filó, a. a. O., 316. „LAM“ steht für „Lege Artis Medicine“, eine landesweit erscheinende Ärztezeitschrift, in etwa vergleichbar mit dem DÄBl. 21 Vgl. NÉPSZAVA Online v. 21.8.2013 (im Internet abrufbar unter: , Stand 5.12.2013). 22 Vgl. Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), VI.: „runderneuert“. 19

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

bereichen grundlegende Neuerungen angestoßen hat. Um die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 eingeleitete, von ihr aber für unvollendet erachtete postkommunistische Systemtransformation zum Abschluss zu bringen, verabschiedete man am 18. April 2011 eine als „Grundgesetz“ (ung.: alaptörvény; fortan „uGG“) titulierte neue Verfassung,23 die wie geplant am 24. Mai 2011 – dem ersten Jubiläum des Wahlsiegs – verkündet wurde.24 Als ein weiterer zentraler Baustein folgte am 25. Juni 2012 die Verabschiedung des uStGB, das am 1. Juli 2013 in Kraft getreten ist.25 Schon jetzt kann gesagt werden, dass die für den Problemkreis der Sterbehilfe relevanten Änderungen nicht so gravierend sind, wie man vielleicht meinen möchte, da sowohl die vorherige Verfassung als auch das aStGB in den Jahren um und nach dem Systemwechsel im Zuge zahlreicher Novellen einer materiellen Totalrevision unterzogen wurden.26 Nicht berücksichtigt werden konnte im Folgenden das am 11. Februar 2013 verabschiedete neue ZGB, das nach gegenwärtigem Planungsstand am 15. März 2014 in Kraft treten wird.27 Soweit ersichtlich, wird aber auch dieses Gesetz keine einschneidenden Änderungen für die rechtliche Behandlung der Sterbehilfe mit sich bringen. Diese stehen erst mit einem neuen GesG zu erwarten, dessen Ausarbeitung und Verabschiedung in naher Zukunft allerdings unwahrscheinlich ist. 23 Ungarns Grundgesetz v. 25.4.2011, MKöz 2011, 10656. Das uGG wird begleitet von einem neuen VerfGG (G 2011:CLI über das Verfassungsgericht v. 21.11.2011, MKöz 2011, 32722), das am 1.1.2012 in Kraft trat. 24 Siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 295, der auch einen ausführlichen Überblick über Genese und Inhalt dieser – in weiten Teilen äußerst problematischen – Verfassung gibt (a. a. O., 295 ff.). 25 Wie die Verf galt auch das aStGB trotz zahlreicher Novellen vor und insb. nach dem Systemwechsel als in vielen Bereichen überholt; näher dazu Tóth, Einführung in das ungarische Strafrecht (2006), 30 ff.; vgl. auch Nagy/Szomora, in: Jakab/Takács/Tatham (Hrsg.), The Transformation of the Hungarian Legal Order 1998–2005 (2007), 191. In der Strafrechtswissenschaft wurde daher schon seit mehreren Jahren über die Konzeption eines neuen Strafgesetzbuchs debattiert. Anders als beim uGG, das von einem kleinen Zirkel aus hochrangigen Parteikadern ohne besondere rechtswissenschaftliche Reputation ausgearbeitet wurde (siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht [2011], 295), entschied man sich im Fall des uStGB dazu, die Vorbereitungsarbeiten auszulagern und einige namhafte Strafrechtler einzubinden, die für ihre Dienste mit jeweils 500.000 Forint, das entspricht rund 1670 Euro, entlohnt wurden; siehe dazu den Artikel in: NÉPSZABADSÁG Online v. 2.12.2011, im Internet abrufbar unter: , Stand 5.12.2013. Wie schon das uGG, trägt allerdings auch das uStGB die deutliche Handschrift der nationalkonservativen Regierung; darüber hinaus weist es handwerkliche Mängel auf, die im Folgenden aber nur insoweit erörtert werden, als sie auch für die Sterbehilfeproblematik von Bedeutung sind. 26 Speziell die hier interessierenden Vorschriften wurden nur marginal bis gar nicht verändert. Deshalb ist es unschädlich, dass im Zeitpunkt der Fertigstellung vorliegender Arbeit zitierfähige Literatur insb. zum uStGB kaum verfügbar war; auf die Lehrbücher und Kommentare zum aStGB kann ohne Weiteres verwiesen werden. 27 Als Ausgangspunkt für die Neukodifikation diente der Regierung ein unter der Vorgängerregierung 2009 erlassenes ZGB, das aber nicht in Kraft gesetzt worden war; näher dazu Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 93 ff.

B. Terminologie und Begriffsbestimmung

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B. Terminologie und Begriffsbestimmung In Ungarn wird von der Sterbehilfe noch immer ausnahmslos als „eut(h)anázia“, d. h. wörtlich „Euthanasie“, gesprochen, obwohl dieses Wort wegen der gleichnamigen Aktionen zur Vernichtung sog. lebensunwerten Lebens während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft auch dort mit einem negativen Beiklang behaftet ist.28 Ein dem deutschen Ausdruck „Sterbehilfe“ entsprechendes Wort gibt es im Ungarischen nicht. Freilich taucht auch der Begriff „Euthanasie“ weder im GesG noch im uStGB auf und wird er auch sonst in keinem Gesetz erwähnt.29 Es nimmt daher nicht Wunder, dass seine Bedeutung in Ungarn ebenfalls Gegenstand von Diskussionen ist.30 Die überwiegende Mehrheit der Autoren favorisiert eine Begriffsbestimmung, der zufolge von Euthanasie nur dann gesprochen werden kann, „wenn ein Arzt einem unheilbar erkrankten, unerträgliche Schmerzen leidenden Menschen auf seinen Wunsch hin zum Tode verhilft“.31 Weitgehend inhaltsgleiche Definitionen werden auch von der Ungarischen Ärztekammer32 und der Ungarischen Gesellschaft für Bioethik33 zugrunde gelegt. Ein ähnliches Begriffsverständnis lässt auch das Oberste Gericht (fortan „OG“; ung.: Legfelsöbb Bíróság)34 erkennen, das im „Fall Binder“ aus dem Jahr 1995 „Euthanasie“ als die „Beschleunigung 28 Siehe dazu Tasnádi, A halálhoz való jog (Diss. 1991), 11 ff., der aber keine Veranlassung für eine Ablösung des Begriffs sieht, weil die hier diskutierten Verhaltensweisen mit der NS-Euthanasie nichts zu tun hätten. 29 Vgl. aber auch Sajó/Sándor, MT 1996, 771 (772) mit Hinweis auf die – heute freilich nicht mehr gültige – VO des Gesundheitsministers 11/1972. (VI. 30.) EüM über die Ordnung der im Gesundheitswesen Beschäftigten v. 30.6.1972, MKöz 1972, 492, in der es unter der Überschrift „Die Verweigerung der Tätigkeit im Gesundheitswesen“ in § 20 Abs. 1 hieß: „Der Arzt muss seine ärztliche Tätigkeit verweigern, wenn der Patient, sein Angehöriger oder irgendeine andere Person die Ausführung einer Tätigkeit wünscht bzw. den Arzt zur Ausübung einer Tätigkeit zu verleiten sucht, die durch Gesetz verboten ist [z. B. die Durchführung einer nur in einem Krankenhaus durchzuführenden Operation in einer privatärztlichen Praxis, die Auslöschung des Lebens aufgrund einer unheilbaren Krankheit (Euthanasie) usw.].“ 30 Zu den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten siehe ausführlich Kereszty u. a., KR, 65 f. 31 Siehe statt aller Belovics/Molnár/Sinku, KR, 93; ähnlich Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 43, der allerdings auch diejenigen Fälle einbeziehen will, in denen die Lebensverkürzung nur dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. 32 Ethik-Kodex, 8 (unter II. 2.2., Abs. 16). 33 In der Stellungnahme zu „Euthanasie, therapeutischer Übereifer und Versorgung des sterbenden Patienten“ v. 10.2.2003, Abs. 3 Satz 1. 34 Zum vormaligen Aufbau der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit in Ungarn siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 18; ausführlich ders., Justizreform in Ungarn, (2004), 25 ff. Dazu an dieser Stelle nur so viel: Das in Budapest ansässige OG stand an der Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit und war damit letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren. Mit Inkrafttreten des uGG wurde es, bei weitgehend unveränderter Aufgabenzuweisung, in „Kúria“, dt.: Kurie, umbenannt.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

oder Herbeiführung des Todes des unheilbar Kranken mit dem Ziel, seine Leiden zu verkürzen“, definiert und weiterhin ausgeführt hat, dass darunter „allen voran und ausdrücklich eine ,Arzt-Patient-Beziehung‘ zu verstehen ist“.35 Im Gegensatz zum überwiegenden Teil der Literatur wird die Übereinstimmung der jeweiligen Maßnahme mit dem Willen des Kranken hier aber offenkundig nicht als notwendige Voraussetzung für die Begriffsverwendung angesehen.36 Diese Sichtweise ist problematisch, da sie der zentralen Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bei der Entscheidung über Leben und Tod nicht ausreichend Rechnung trägt. Um diese zu betonen, wird dieser Untersuchung deshalb die erstgenannte Definition zugrunde gelegt. Neben Handlungen bzw. Unterlassungen gegen oder ohne den Willen des Opfers sind damit insbesondere auch solche Maßnahmen nicht erfasst, die keine Lebensverkürzung bewirken, die von einem Nicht-Arzt vorgenommen werden37 oder deren Destinatär nicht unheilbar erkrankt ist. Sofern sie hier gleichwohl kurz erörtert werden, geschieht dies teils wegen des Sachzusammenhangs und der fließenden Übergänge zur „Euthanasie“ bzw. Sterbehilfe in dem hier verstandenen Sinne, teils um eine möglichst umfassende Vergleichbarkeit mit den entsprechenden Ausführungen im „deutschen“ Teil dieser Arbeit zu garantieren, denen ein in diesen Punkten – mit Ausnahme des Ausschlusses nicht konsentierter Verhaltensweisen – weiteres Begriffsverständnis zugrunde liegt. Unabhängig von der jeweiligen Begriffsinterpretation wird die Sterbehilfe auch in Ungarn üblicherweise in verschiedene (Handlungs-)Kategorien unterteilt. So wird jedenfalls durchgängig zwischen aktiver Sterbehilfe (ung.: aktív eutanázia) und passiver Sterbehilfe (ung.: passzív eutanázia) unterschieden.38 Die 35 OG, BH 1996 Nr. 349; näher dazu Kovács/Frewer, Ethik Med. 2004, 75 (76); Nagy, in: Filó (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 13 (15 f.). „BH“ steht für „Bírósági Határozatok“ (dt.: Gerichtsbeschlüsse), eine offizielle, monatlich erscheinende Entscheidungssammlung, welche vom OG bzw. nunmehr der Kurie herausgegeben wird. Zitiert werden die darin veröffentlichten Urteile üblicherweise, indem der Abkürzung „BH“ nur Nummer bzw. Jahreszahl des Bands und die Nummer der Entscheidung angehängt werden (hier: 1996 bzw. 349); die Seitenzahl, auf der die Entscheidung beginnt, und die Seitenzahl der einschlägigen Stelle werden hingegen nicht genannt. 36 Vgl. auch den nachfolgenden Satz (Hervorhebungen nur hier): „In einem solchen Fall verhilft der ,Arzt‘ (und nur der Arzt) einem unheilbar erkrankten und unter großen Schmerzen leidenden Menschen zum Tode oder beschleunigt diesen Prozess, sei es, weil dieser einen entsprechenden Wunsch äußert, sei es aufgrund einer eigenen ärztlichen Entscheidung.“ 37 Dazu Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 50 f., der dieser Beschränkung eine Garantiefunktion zuschreibt und auf die entsprechende Begriffsbestimmung durch das OG im „Fall Binder“ (vgl. vorherige Fn.) hinweist. 38 Belovics/Molnár/Sinku, KR, 93; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 68; Nagy, in: Filó (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 13; Tasnádi, A halálhoz való jog (Diss. 1991), 14 ff.; Tóth, Jura 1/2001, 87 (88). Die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe fand sich auch noch auf S. 11 (Punkt 49) der bis zum 31.12.2011 gültigen Fassung des Ethik-Kodex der Ungarischen Ärztekammer; in der seit dem 1.1.2012 gültigen Fassung fehlt sie dagegen.

B. Terminologie und Begriffsbestimmung

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Terminologie entspricht weitestgehend derjenigen in der deutschen Diskussion, sofern man dort den Begriff der aktiven Sterbehilfe auf die gezielte Lebensverkürzung bezieht und nicht verallgemeinernd i. S. tätiger Todesherbeiführung versteht, die ihrerseits weiter in eine direkte und eine indirekte Sterbehilfe zu unterteilen ist.39 Letztere Fallgruppe wird, wenngleich seltener, auch in Ungarn gebildet, wobei allerdings nicht wenige Autoren von einer Verwendung des Begriffs der indirekten Sterbehilfe (ung.: indirekt eutanázia) absehen und stattdessen nur eine äußerliche Umschreibung derselben geben.40 Soweit die Ungarische Ärztekammer neuerdings potenziell lebensverkürzende Schmerzlinderungen unter Hinweis auf die ärztliche Schmerzlinderungspflicht und die fehlende Tötungsabsicht aus dem Bereich der Sterbehilfe ausgrenzt,41 wird dem für diese Arbeit nicht gefolgt. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass sich dieser Berufsstand vom Makel des Verbotenen, der allen als „Sterbehilfe“ etikettierten Verhaltensweisen mehr oder minder anhaftet, kollektiv befreien möchte, sollte doch einer weiteren Zersplitterung des ohnehin schon höchst uneinheitlichen Sprachgebrauchs entgegengewirkt werden. Dies erscheint nicht zuletzt deshalb angezeigt, weil aus der Sicht des Juristen mit der Bezeichnung einer potenziell lebensverkürzenden Schmerzlinderung als „indirekte Sterbehilfe“ noch kein Strafbarkeitsurteil gefällt ist. Aus dem gleichen Grund wird der Ansicht, die im Unterlassensbereich zwischen (verbotener) passiver Sterbehilfe und (nach dem GesG erlaubter) „Vermeidung therapeutischen Übereifers“ (ung.: terápiás túlbuzgóság) trennen will, nicht gefolgt. Diese ebenfalls vornehmlich innerhalb der Ärzteschaft42 befürwortete Differenzierung hat ihren Ursprung in der christlichen Morallehre: In der Enzyklika „Evangelium vitae“ definiert Papst Johannes Paul II. als „Euthanasie im eigentlichen Sinn“ eine „Handlung oder Unterlassung, die ihrer Natur nach und aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um auf diese Weise jeden Schmerz zu beenden“, und unterscheidet hiervon „die Entscheidung, auf ,therapeutischen Übereifer‘ zu verzichten, d. h. auf bestimmte ärztliche Eingriffe, die 39 Siehe aber auch Jobbágyi, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 63 (68) sowie die Stellungnahme der Ungarischen Gesellschaft für Bioethik zu „Euthanasie, therapeutischer Übereifer und Versorgung des sterbenden Patienten“ v. 10.2.2003, Abs. 3 Satz 2. 40 So etwa Földvári, ÁR, 167; Horváth, ÁJT 1972, 36 (53 f.); Nagy, ÁR, 154. Den Begriff „indirekte Sterbehilfe“ verwendet Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 39. 41 Siehe die seit dem 1.1.2012 gültige Fassung des Ethik-Kodex, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17); ähnlich Jobbágyi, Az élet joga (2004), 275; ders., Orvosi jog (2007), 150. In der bis zum 31.12.2011 gültigen Fassung fehlte eine solche Klarstellung. 42 Siehe statt vieler Ferencz, BSz 1/2001, 3 (9 f., 13 f., 16 f.); in der Sache ebenso der Ethik-Kodex der Ungarischen Ärztekammer, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17), der die Fälle des Verzichts auf eine für „sinnlos“ befundene Therapie aber unter den Begriff der terminalen Palliativmedizin (ung.: terminális palliatív medicina) eingeordnet wissen möchte; krit. zu beiden Begriffen Tóth, MJ 2010, 503 (505 mit Fn. 13). Der Sache nach ähnliche Differenzierungen finden sich im juristischen Schrifttum z. B. bei Busch, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 37 (48) u. Jobbágyi, Az élet joga (2004), 274.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

der tatsächlichen Situation des Kranken nicht mehr angemessen sind, weil sie in keinem Verhältnis zu den erhofften Ergebnissen stehen“.43 Ohne an dieser Stelle über den Sinn oder die Durchführbarkeit einer solchen Unterscheidung streiten zu wollen, gilt auch hier, dass mit der Etikettierung eines das Leben (quasi-)kausal verkürzenden ärztlichen Nichttätigwerdens als „passive Sterbehilfe“ dessen normative Bewertung nicht präjudiziert wird.44 Terminologische Spitzfindigkeiten wie diese generieren für eine juristische Untersuchung deshalb keinen erkennbaren Mehrwert. Abschließend bleibt noch zu bemerken, dass in einem weiteren Sinne zur Sterbehilfe auch die Mitwirkung am Suizid (ung.: öngyilkosságban közremu˝ködés) eines unheilbar erkrankten Patienten gezählt wird.45 Sind damit die terminologischen Grundlagen gelegt, gilt es nun im Folgenden die verschiedenen Fallgruppen der Sterbehilfe und ihre Behandlung im ungarischen Recht ausführlich darzustellen.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht I. Grundsätzliches Wie eingangs erwähnt, hat die Sterbehilfe in Ungarn durch das GesG aus dem Jahre 1997 teilweise eine ausführliche gesetzliche Regelung erfahren. Die Frage der Strafbarkeit richtet sich daher in erster Linie nach den Delikten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit – Totschlag bzw. Mord (§ 160 uStGB [§ 166 aStGB]), Mitwirkung bei der Selbsttötung (§ 162 uStGB [§ 168 aStGB]), Körperverletzung (§ 164 uStGB [§ 170 aStGB]) – bzw. der unterlassenen Hilfeleistung (§ 166 uStGB [§ 172 aStGB]),46 die mit den einschlägigen Vorschriften des GesG in Verbindung zu bringen sein werden. 43 Johannes Paul II., Evangelium vitae (2009), 79 f., Hervorhebungen dort. Der Papst hat diese Unterscheidung freilich seinerseits nur aufgegriffen: Sie geht zurück auf die von der Glaubenskongregation zur Euthanasie veröffentlichte Erklärung „Iura et bona“ aus dem Jahr 1980; näher dazu T. Jakab, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 105 (107). 44 Ebenso Tóth, Einführung in das ungarische Strafrecht (2006), 174; ausführlich ders., Jura 1/2001, 87 (90). 45 Vgl. etwa Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 40 ff.; Kereszty u. a., KR, 66. 46 Der Tatbestand der Gefährdung bei Berufsausübung (§ 165 uStGB [§ 171 aStGB]) ist entgegen Földvári, ÁR, 167 dagegen von vornherein nicht einschlägig. Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 48 f. macht mit Recht darauf aufmerksam, dass es bei der Sterbehilfe sinnvollerweise nur um vorsätzliches ärztliches Verhalten gehen kann. Damit kommt aber zunächst einmal der Grundfall der Vorschrift nicht in Betracht, die in Abs. 1 verlangt, dass jemand mit dem Verstoß gegen die Regeln seines Berufs das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder Gesundheit eines anderen oder anderer fahrlässig einer unmittelbaren Gefahr aussetzt oder eine Körperverletzung verursacht und in Abs. 2 lit. b den Tod des Opfers als besonders schweren Fall qualifiziert.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Die Tötung auf Verlangen ist im ungarischen Strafrecht nicht gesondert unter Strafe gestellt. Mit Inkrafttreten des ersten sozialistischen StGB am 1. Juli 196147 wurde der sog. Csemegi-Kodex,48 und mit ihm ein mit dem deutschen § 216 StGB weitgehend übereinstimmender Tatbestand (§ 282), aufgehoben. Laut amtlicher Begründung sollte dies geschehen, weil das den gesellschaftlichen Wert des Lebens widerspiegelnde sozialistische Strafrecht ein Verfügungsrecht über das Leben auch im Einklang mit individuellen Interessen nicht anerkennen dürfe, des Weiteren, weil die auf Verlangen erfolgte Tötung nicht immer aus achtenswerten Beweggründen begangen und in der Praxis häufig auf unbarmherzige Art und Weise vollzogen werde.49 Nach ganz h. M. ist eine Lebensverkürzung deshalb auch bei ausdrücklichem und ernstlichem Verlangen des „Opfers“ als Totschlag oder gar Mord gem. § 160 uStGB (§ 166 aStGB) strafbar.50 Dies lässt sich zusätzlich mit einem systematischen Argument untermauern: Angesichts des Umstands, dass § 162 uStGB (§ 168 aStGB) für das Bestimmen und Hilfeleisten zum (zumindest versuchten) Suizid eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht, wäre es widersinnig, wenn die täterschaftliche Todesherbeiführung als größeres Unrecht bei einem entsprechenden Verlangen des Sterbewilligen, mag es auch ausdrücklich und ernstlich sein, straffrei wäre. Oder anders gewendet: Ist schon die Mitwirkung am Suizid strafbar, dann muss dies a minore ad maius auch für die Tötung auf Verlangen gelten. Hieran hat sich auch mit Inkrafttreten des uStGB nichts geändert.

Ausscheiden muss allerdings auch die Vorsatzvariante nach Abs. 3. Diese ist nämlich nur dann anwendbar, wenn sich der Vorsatz des Täters auf die Gefährdung als solche erstreckt (sog. Grundsatz der limitierten Gefährdung); umfasst er dagegen auch die tödliche Folge, ist der Tatbestand des § 165 uStGB ausgeschlossen und kommt nur die Verwirklichung eines (versuchten) vorsätzlichen Tötungsdelikts in Betracht. 47 G 1961:V über das Strafgesetzbuch der Volksrepublik Ungarn v. 22.12.1961, MKöz 1961, 939. 48 GArt 1878:V über das ungarische Strafgesetzbuch v. 29.5.1878, 101. Das Kürzel „OT“ steht für „Országos Törvénytár“ (dt.: Landesgesetzessammlung), den direkten Vorläufer des MKöz. Legislativakte wurden bis 1949 nicht als „Gesetze“ (ung.: törvény), sondern als „Gesetzesartikel“ (ung.: törvénycikk) bezeichnet; siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 16. 49 VO des Justizministers 3131/1960. IM, zit. nach Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 159. 50 OG, BH 1996 Nr. 349; Filó, in: Tag/Groß (Hrsg.), Tod im Gefängnis (2012), 209 (214); Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (89); Nagy, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 13 (14). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der im Csemegi-Kodex noch enthaltene ungarische Ausdruck für Mord („gyilkosság“) 1961 mit Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs aus dem ungarischen Strafrecht verschwunden ist. Auch das uStGB hat ihn – wie schon das aStGB v. 1978 – nicht wieder aufgegriffen; der „Totschlag“ (ung.: emberölés) gem. § 160 uStGB (§ 166 aStGB) besteht vielmehr aus einem Grundtatbestand (Abs. 1) und mehreren Qualifikationstatbeständen (Abs. 2). Da diese Qualifikationstatbestände aber durchaus Parallelen zu § 211 StGB aufweisen, sollen sie nachfolgend ebenfalls als „Mord“ bezeichnet werden.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Bevor es nun an die eigentliche Darstellung der verschiedenen Fallgruppen der Sterbehilfe geht, sei noch angemerkt, dass in der ungarischen Lehre neben dem Aufbau der Straftat auch und v. a. der Inhalt ihrer einzelnen Systemebenen umstritten ist. Wenngleich sich einerseits namhafte Autoren finden, die im Rahmen eines trichotomischen Deliktsaufbaus den Inhalt der jeweiligen Deliktsebenen nach deutschem Muster bestimmen,51 werden andererseits Konzepte vertreten, die von den aus der deutschen Lehre bekannten Kategorisierungen zum Teil deutlich abweichen.52 Auf diese Konzepte wird im Folgenden nur insoweit eingegangen, als es für das Verständnis der weiteren Ausführungen förderlich erscheint.53

II. Die indirekte Sterbehilfe Die indirekte Sterbehilfe ist nach ganz h. L. – die Rechtsprechung musste sich mit ihr bislang noch nicht befassen54 – straflos.55 Der Sache nach wird sie auch von der Ungarischen Ärztekammer für zulässig erachtet.56 In schroffem Gegen51 Siehe z. B. Nagy, ÁR, 89 ff., der auch einen sehr ausführlichen Überblick über die verschiedenen Auffassungen zum Aufbau der Straftat gibt. 52 Der Grund hierfür war/ist nicht zuletzt darin zu sehen, dass das aStGB keine ausgefeilte Dogmatik zu Rechtswidrigkeit und Schuld kannte; siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 281. Zumindest in diesem Bereich hat das uStGB nun eine echte Verbesserung mit sich gebracht: Fasste das aStGB noch viele materiell- und verfahrensrechtliche Hindernisse als „Strafausschließungsgründe“ zusammen (§§ 22– 31), differenziert das uStGB nunmehr zwischen Gründen, welche die „Straffähigkeit“ (ung.: büntetheto˝ség) des Täters, und Gründen, welche die „Strafbarkeit“ (ung.: büntetendo˝ség) der Tat ausschließen bzw. beschränken. Diese Differenzierung soll laut der amtlichen Begründung des Vorentwurfs zum G 2012:C über das Strafgesetzbuch v. 13.7.2012, 27 die gebotene Unterscheidung zwischen „objektiven“ u. „subjektiven“ Strafausschließungsgründen verdeutlichen. Während Letztere in der Person des Täters wurzeln und zu einem Schuldausschluss führen sollen – hierzu gehören das Kindesalter (§ 16 uStGB), der krankhafte Geisteszustand (§ 17 uStGB), der Zwang u. die Drohung (§ 19 uStGB), der Irrtum (§ 20 uStGB) –, sollen Erstere, namentlich Notwehr (§§ 21, 22 uStGB) u. Notstand (§ 23 uStGB), einen Wegfall der „Sozialgefährlichkeit“ (näher zu diesem Merkmal unten in Fn. 60) bewirken. 53 Für einen kurzen, aber einprägsamen Überblick über das ungarische Straf- und Strafverfahrensrecht vor Inkrafttreten des uStGB siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 277 ff. 54 Im rechtsvergleichenden Abschnitt von VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3632) wird sie unter Hinweis auf BGHSt 42, 301 lediglich kurz skizziert, später aber nicht näher untersucht. 55 Filó, KTSz 1–2/1999, 71 (103 f.); ders., Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 226; Földvári, ÁR, 167; Horváth, MT 1973, 644 (648 f.); Nagy, ÁR, 154; aus zivilrechtlicher Perspektive auch Jobbágyi, Az élet joga (2004), 275, 301; ders., Orvosi jog (2007), 150, 169, der solche Verhaltensweisen aber nicht als Sterbehilfe begreift; für eine Strafbarkeit scheinbar Tóth, MJ 2010, 503 (505), bei dem freilich nicht ganz klar ist, ob er vom herrschenden Begriffsverständnis ausgeht. 56 Siehe den Ethik-Kodex, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17). Wie bereits erwähnt, soll es sich nach Auffassung der Ungarischen Ärztekammer bei einer potenziell lebensverkürzenden Schmerzlinderung aber nicht um einen Fall von Sterbehilfe handeln.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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satz dazu steht lediglich die Auffassung der Ungarischen Gesellschaft für Bioethik, der zufolge die indirekte Sterbehilfe als den grundlegendsten Aufgaben und Zielen ärztlicher Tätigkeit und des Gesundheitswesens zuwiderlaufend abzulehnen ist.57 Dass diese Sichtweise nicht nur unzeitgemäß, sondern auch inhuman ist, sollte indes jedem einleuchten, der sich auch nur annähernd in die Lage eines unheilbar kranken, unter unerträglichen Schmerzen leidenden Menschen versetzen kann. Im Übrigen ignoriert sie auch die gegenwärtige Gesetzeslage, obschon sich diese, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, zumindest auf den ersten Blick keinesfalls als eindeutig darstellt. Soweit man sich mit dieser Fallgruppe überhaupt auseinandersetzt, gehen nämlich auch in der ungarischen Lehre die Meinungen über die Begründung für die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe auseinander. Auf der Suche nach einer dogmatisch tragfähigen Lösung sollen im Folgenden zunächst die unterschiedlichen Konstruktionen dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden; vor dem Hintergrund der entsprechenden Differenzen in der deutschen Lehre und im Hinblick auf den angestrebten Vergleich beider Rechtsordnungen im dritten Teil dieser Arbeit wird anschließend auch auf in Ungarn bisher unerörtert gebliebene Fragen bezüglich der Reichweite einer zulässigen indirekten Sterbehilfe einzugehen sein.58 1. Begründung der Straflosigkeit Auch wenn dies nur von den allerwenigsten Autoren explizit ausgesprochen wird,59 so kann doch aus der Tatsache, dass die verschiedenen Lösungsansätze zu ihrer Straflosigkeit allesamt auf der Ebene der sog. Sozialgefährlichkeit60 bzw. Rechtswidrigkeit siedeln, geschlossen werden, dass in der ungarischen Lehre zu57 Siehe die Stellungnahme zu „Euthanasie, therapeutischer Übereifer und Versorgung des sterbenden Patienten“ v. 10.2.2003, Abs. 3 Satz 2. 58 Die Frage, ob für den Arzt auch eine strafbewehrte Verpflichtung zur Vornahme einer möglicherweise lebensverkürzenden Schmerzlinderung besteht, wird an dieser Stelle noch bewusst ausgeklammert. Sie soll bei der Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung erörtert werden; siehe unten Zweiter Teil C. V. 4. 59 Vgl. aber Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 226; Horváth, MT 1973, 644 (648). 60 Das Element der Sozialgefährlichkeit ist ein dem Sowjetstrafrecht entlehntes Relikt aus sozialistischen Zeiten, dessen genauer Inhalt schon seit Langem eines der zentralen Streitthemen im Bereich des AT darstellt. Die Diskussion muss im Folgenden nicht nachvollzogen werden. Wichtig ist nur zu wissen, dass die h. L. die Sozialgefährlichkeit mit der Rechtswidrigkeit gleichsetzt; siehe statt aller Nagy, ÁR, 132 ff. m.w. N.; sehr ausführlich zum Ganzen Belovics, A büntetendo˝séget kizáró okok (2009), 18 ff. Die beiden Begriffe „Rechtswidrigkeit“ u. „Sozialgefährlichkeit“ werden deshalb im Folgenden synonymisch gebraucht. Entgegen aller Prognosen, die Sozialgefährlichkeit würde im neuen Strafgesetzbuch durch die Rechtswidrigkeit abgelöst, ist die Legaldefinition der Straftat im uStGB nahezu wortgleich aus dem aStGB übernommen worden. Dies erstaunt, wenn man sich vor Augen führt, dass Triebfeder der nationalkonservati-

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

mindest stillschweigende Einigkeit besteht, dass die indirekte Sterbehilfe jedenfalls den (objektiven) Tatbestand des Totschlags gem. § 160 Abs. 1 uStGB (§ 166 Abs. 1 aStGB)61 verwirklicht und dem Täter dabei auch Vorsatz – nach ungarischem Verständnis ein Schuldelement62 – vorzuwerfen ist. Die im Schrifttum offerierten Begründungsmodelle lassen sich im Wesentlichen unter die drei Titel „rechtfertigende Pflichtenkollision“, „rechtfertigender Notstand“ und „Erfüllung von Amts- und Berufspflichten“/„gesetzliche Ermächtigung“ einordnen. a) Rechtfertigende Pflichtenkollision Manche Autoren halten die indirekte Sterbehilfe unter dem Gesichtspunkt einer rechtfertigenden Pflichtenkollision für straflos. Aus der hippokratischen Ethik folge, dass die Leidenslinderung ebenso wie die Lebenserhaltung zu den Berufspflichten des Arztes gehöre. Sie sei nämlich unzweifelhaft nicht nur individuelles Interesse, sondern auch gesellschaftlich-ethisches Postulat, das den Arzt zu einem Eingreifen berechtige, ja verpflichte. Folglich dürfe der Arzt nicht in eine Situation geraten, in der er durch Erfüllung der einen Pflicht die andere verletzen würde. Noch weniger dürfe er sich dabei mit einer Strafnorm konfrontiert sehen. In solchen Fällen müsse das Recht einen Ausweg aus diesem Dilemma garantieren, was wiederum nur bei Einräumung eines freien Wahlrechts gem. der wissenschaftlichen und ethischen Überzeugung des Arztes möglich sei. Rechtlich formuliert bedeute dies, dass die Rechtswidrigkeit eines solchen Verhaltens durch die Kollision der gesellschaftlich anerkannten gleichrangigen Interessen ausgeschlossen werde. Der Arzt, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Überzeugung den Schwerpunkt seines Handelns auf die Linderung der Schmerzen des unheilbar kranken Patienten im Endstadium verlagere, handle daher auch dann rechtmäßig, wenn er sich der todesbeschleunigenden Wirkung der Schmerzlinderung bewusst sei.63 ven Regierung für die Verabschiedung des neuen Gesetzes der endgültige Bruch mit sozialistischen Rechtstraditionen war. 61 Der neue Tötungstatbestand weist ggü. § 166 aStGB neben einigen kleineren sprachlichen Änderungen als wesentliche Unterschiede auf: die Einfügung eines neuen Mordmerkmals (Abs. 2 lit. k: alters- oder krankheitsbedingt eingeschränkte Verteidigungsfähigkeit des Opfers) sowie die Anhebung der Strafuntergrenze bei Vorbereitungshandlungen zur Tötung (Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr statt von zwei Monaten; vgl. Abs. 3). 62 Statt aller Tóth, Einführung in das ungarische Strafrecht (2006), 57. 63 Horváth, MT 1973, 644 (648 f.); ebenso bereits ders., ÁJT 1972, 36 (54 f.) unter Hinweis auf Williams, The Sanctity of Life and the Criminal Law (1957), 322 ff.; zust. Nagy, ÁR, 154; Sympathie für diese Lösung tendenziell noch bei Filó, KTSz 1–2/1999, 71 (103 f.); für rechtfertigenden Notstand aber mittlerweile ders., Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 226, wobei die Notstandslage wohl nach wie vor durch die Kollision zweier Handlungspflichten verursacht werden soll.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Diese Auffassung kann nicht überzeugen.64 Zwar ist richtig, dass die ärztlichen Berufspflichten sowohl die Schmerzlinderung als auch die Lebenserhaltung umfassen65 und dem Arzt bei einer Kollision beider Pflichten die Option rechtmäßigen Handelns bleiben muss. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob deswegen ein Wahlrecht zuzugestehen ist, weil skizzierte Pflichtenkollision auch nur eine unechte i. d. S. sein könnte, dass pflichtgemäß lediglich ein Verhalten ist. Dies sicherlich dann, wenn der Patient gegen Schmerzlinderung optiert, weil er den ihm verbleibenden Lebensrest voll ausschöpfen möchte.66 Hier darf der Arzt nicht therapieren, will er sich nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar machen.67 Bedenklich ist ein Wahlrecht freilich auch dann, wenn der Patient Schmerzlinderung wünscht. Zwar folgt für den Arzt daraus noch nicht per se die Pflicht zur Verabreichung des Medikaments. Mag die Tötung auf Verlangen im uStGB auch nicht gesondert unter Strafe gestellt sein und daher eine Einwilligungssperre, wie sie im deutschen Strafrecht durch § 216 StGB errichtet wird, fehlen, so ist doch auch in der ungarischen Lehre unbestritten, dass das menschliche Leben nicht zu den disponiblen Rechtsgütern gehört, mithin die Einwilligung in die eigene Tötung jedenfalls für sich genommen nicht rechtfertigend wirkt.68 Zu einem verbotenen Handeln kann sie dann erst recht nicht verpflich64 Siehe zum Folgenden Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 21 f.; vgl. im Übrigen auch die entsprechenden Ausführungen zum deutschen Recht oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (1). 65 Vgl. nunmehr auch § 6 GesG, wonach jeder Patient das Recht auf Schmerzlinderung hat. Soll es nicht leerlaufen, muss mit diesem Recht aber auch eine entsprechende Pflicht des Arztes einhergehen. 66 Allerdings ist durchaus vorstellbar, dass auch das Unterlassen einer Schmerzlinderung zu einer Lebensverkürzung führt; vgl. aus dem deutschen Schrifttum z. B. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 23 im Anschluss an Langer, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität (1986), 101 (136 f.); ausführlich dazu die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebene Broschüre „Chronischer Schmerz“, B 33. 67 Dies scheint Horváth zu verkennen, dessen Anfang der 1970er Jahre entwickelte Konzeption ersichtlich von der für sozialistische Staaten typischen streng paternalistischen Sichtweise geprägt ist, die stets dem Arzt die Letztentscheidung über die Durchführung einer medizinischen Maßnahme überantwortet; insoweit zutreffend die vorsichtige Kritik bei Filó, KTSz 1–2/1999, 71 (104). Dabei wird freilich übersehen, dass – wie schon erwähnt – bereits nach der damaligen Rechtslage eine Schmerzlinderung ohne die Zustimmung des Patienten bzw. seiner Angehörigen nicht durchgeführt werden durfte, sofern sie mit der Gefahr einer Lebensverkürzung verbunden war (vgl. oben Fn. 17). Jetzt stellt § 15 Abs. 1 GesG ausdrücklich klar, dass der Patient ein Recht auf Selbstbestimmung hat und dieses nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen u. in der vorgesehenen Form beschränkt werden darf. Gemäß § 15 Abs. 2 GesG kann der Patient frei entscheiden, ob er eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen will bzw. in welche Eingriffe er in diesem Zusammenhang einwilligt oder welche er ablehnt. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu sehen, worauf Nagy, ÁR, 154 auch heute noch die Behauptung stützt, bei Fragen der Sterbehilfe gehe es weniger um die Einwilligung des Patienten denn um die beruflichen Rechte und Pflichten des Arztes. 68 Siehe z. B. Blaskó, ÁR, Rn. 753 u. Nagy, in: Filó (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 13 (14). Von der Einwilligung in die eigene Tötung grenzt die ungarische

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

ten. Möglicherweise gibt aber das uStGB ein konkretes Verhalten vor. Dazu sollte noch einmal ein Blick auf die Konfliktlage bei der indirekten Sterbehilfe geworfen werden: Die Schmerzlinderungspflicht des Arztes kollidiert hier nicht erst mit seiner Pflicht zur Lebenserhaltung, die grundsätzlich auch immer nur vom Willen des Patienten abhängig ist,69 sondern mit dem Tötungsverbot, d. h., es prallen in Wirklichkeit nicht zwei Handlungspflichten aufeinander, sondern eine Handlungs- und eine Unterlassungspflicht. Auf diese Konstellationen finden aber die Regeln des rechtfertigenden Notstands Anwendung.70 b) Rechtfertigender Notstand Gleichwohl hat die Notstandslösung in der ungarischen Lehre bisher so gut wie keine Anhänger gewinnen können. Dies erstaunt, orientiert sie sich doch bei vielen Fragestellungen zum AT und BT traditionell an der deutschen Lehre, die ja bei der indirekten Sterbehilfe bekanntermaßen mehrheitlich ein Vorgehen über § 34 StGB befürwortet. aa) Die Notstandslösung nach Filó Lediglich Filó erblickt in den Fällen der indirekten Sterbehilfe neuerdings eine gerechtfertigte Notstandstat i. S. d. § 23 Abs. 1 uStGB (§ 30 Abs. 1 aStGB). Zugleich weist er aber darauf hin, dass die Notstandsregeln bei Entscheidungen am Lebensende nicht die ärztlichen Handlungsoptionen oder -pflichten definieren dürften. Sie gäben lediglich die Möglichkeit zur Befreiung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Es würde, so Filós Befürchtung, mit gesellschaftlich inakzeptablen Konsequenzen einhergehen, wenn sich der Arzt für eine effektive Schmerzlinderung nur auf ein ausnahmsweises und damit ungewisses Strafbarkeitshindernis berufen könnte. Rechtssicherheit sei deshalb nur durch die Schaffung einer speziell auf die Fälle der indirekten Sterbehilfe zugeschnittenen RegeLehre diejenigen Fälle ab, in denen der Rechtsgutsträger lediglich in die Gefährdung des eigenen Lebens einwilligt. Eine solche Einwilligung soll dann rechtfertigende Wirkung entfalten, wenn die Gefährdung einem „moralisch billigenswerten, aus Sicht der Gesellschaft positiven Zweck dient“; näher dazu Földvári, ÁR, 166. 69 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf die §§ 20–23 GesG, welche einen Verzicht auf lebenserhaltende bzw. lebensrettende Eingriffe nur unter bestimmten tatsächlichen Voraussetzungen, und auch dann nur bei Einhaltung verfahrensmäßiger Kautelen gestatten, damit aber zugleich eine (Zwangs-)Behandlungspflicht bei deren Nichtvorliegen statuieren; ausführlich dazu unten Zweiter Teil C. IV. 1. d). 70 Siehe Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben (1977), 22; vgl. auch allgemein Busch, in: Sótonyi (Hrsg.), Orvosi felelo˝sség (2006), 154 (223); ferner Nagy, ÁR, 149 (156 ff.), der sich als einer der wenigen ungarischen Strafrechtslehrer auch etwas ausführlicher mit dem Problemkreis der Pflichtenkollisionen auseinandersetzt, in den Fällen der indirekten Sterbehilfe aber zu Unrecht von einer Kollision zweier Handlungspflichten ausgeht.

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lung zu erlangen. Diese könnte entweder nach dem Vorbild des niederländischen StGB oder entsprechender deutscher Entwürfe in den BT des uStGB eingefügt werden; im Hinblick auf den Umstand, dass in Ungarn typischerweise Spezialnormen die Tätigkeit des Arztes regelten, sei es aber zweckmäßiger, eine entsprechende ärztliche Befugnis zur Schmerzlinderung im GesG festzuschreiben. Aus strafrechtlicher Sicht soll ein solches Regelungssystem dann als „gesetzliche Ermächtigung“ funktionieren können.71 bb) Mögliche Einwände gegen die Notstandslösung und Stellungnahme Ohne die Antwort auf die Frage vorwegnehmen zu wollen, ob sich die von Filó geforderte Befugnis des Arztes zur Durchführung einer gegebenenfalls auch lebensverkürzenden Schmerztherapie nicht vielleicht doch schon dem aktuellen GesG entnehmen lässt – ihre Erörterung ist Gegenstand des nächsten Abschnitts72 –, muss diese Lösung ebenfalls kritisch hinterfragt werden. Es bieten sich fünf Ansatzpunkte: (1) Vereinbarkeit mit dem Wortlaut der Notstandsvorschrift Unklar ist zunächst, ob sich die Fälle der indirekten Sterbehilfe tatsächlich so ohne Weiteres unter den Wortlaut der Notstandsvorschrift subsumieren lassen, wie dies die Ausführungen Filós suggerieren. Gemäß § 23 Abs. 1 uStGB ist die Handlung desjenigen nicht strafbar, der sich oder andere oder seine oder fremde Güter oder das öffentliche Interesse vor einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr rettet, sofern die Handlung keinen größeren Schaden als den abgewendeten verursacht.73 71 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 226; für rechtfertigende Pflichtenkollision wohl noch ders., KTSz 1–2/1999, 71 (103 f.) im Anschluss an Horváth, MT 1973, 644 (648 f.). Freilich scheint Filó nach wie vor davon auszugehen, dass die Notstandslage hier von einer Kollision zweier Handlungspflichten verursacht wird. Dies ist – wie oben dargelegt – nicht richtig. In den Fällen der indirekten Sterbehilfe kollidiert die (Handlungs-)Pflicht zur Schmerzlinderung mit dem Tötungsverbot, mithin einer Unterlassungspflicht. Im Übrigen wäre, wenn man schon von einer Kollision zweier (gleichwertiger) Handlungspflichten ausgeht, auf die auch in Ungarn bekannte und – jedenfalls partiell – anerkannte Figur der rechtfertigenden Pflichtenkollision zu rekurrieren. Klarstellend sei schließlich angemerkt, dass Filó in seiner 2009 veröffentlichten Monografie noch auf die Notstandsvorschrift im aStGB (§ 30 Abs. 1) Bezug nimmt, von der die Parallelbestimmung im uStGB (§ 23 Abs. 1) in einigen Punkten abweicht. Auf diese Neuerungen wird noch einzugehen sein. Hier sei zunächst nur soviel gesagt, dass sich daraus keine nennenswerten Unterschiede für die Frage nach der Tragfähigkeit der Notstandlösung bei der indirekten Sterbehilfe ergeben, weshalb § 30 Abs. 1 aStGB im Folgenden durch § 23 Abs. 1 uStGB ersetzt wird. 72 Siehe unten Zweiter Teil C. II. 1. c). 73 § 30 Abs. 1 aStGB lautete demgegenüber: „Straffrei bleibt derjenige, der sich oder andere oder seine oder fremde Güter oder das öffentliche Interesse vor einer unmittel-

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Schwierigkeiten bereitet in erster Linie der Begriff des Schadens (ung.: sérelem). Wäre er so zu verstehen, dass sich die geforderte Abwägung in einem abstrakten Gütervergleich zu erschöpfen hätte („reine Güterabwägungstheorie“), dann müsste die Rechtfertigung indirekter Sterbehilfe unter Notstandsgesichtspunkten von vornherein an der „Höchstwertigkeit“ des Rechtsguts „Leben“ 74 scheitern. Indes liegt auf der Hand, dass eine solche Beschränkung zu starr und nicht konsequent durchführbar wäre. Rechtsprechung und Lehre berücksichtigen deshalb, allerdings ohne sich dezidiert mit dieser Frage auseinanderzusetzen, neben dem Rang- und Wertverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter zusätzliche Faktoren wie etwa die Intensität der Gefahr, das Ausmaß des zu befürchtenden Schadens und die Gefahr, die aus der Verletzung des direkt involvierten Rechtsguts für andere Rechtsgüter entsteht.75 Maßgeblich ist mit anderen Worten eine wertende Betrachtung der gesamten Tatsituation. Bei dieser eingeschränkten Güterabwägungslehre handelt es sich aber der Sache nach um nichts anderes als den Interessenabwägungsgrundsatz, wie er auch § 34 StGB zugrunde liegt.76 baren, nicht anders abwendbaren Gefahr rettet, sofern die Gefahrverursachung ihm nicht vorgeworfen werden kann und die Handlung einen kleineren Schaden als den abgewendeten verursacht.“ Die neue Notstandsvorschrift bringt demnach einige wichtige Änderungen mit sich: So erfolgt zum einen eine eindeutige Zuordnung zu den die Strafbarkeit der Tat ausschließenden Gründen, womit klargestellt ist, dass in den Notstandsfällen die Sozialgefährlichkeit bzw. Rechtswidrigkeit entfällt. Dies war zwar auch vorher schon anerkannt – siehe z. B. Balogh/Ko˝halmi, ÁR, 141; Görgényi u. a., ÁR, 188; Szepesi, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve, Rn. 585 – doch ließ das aStGB diese Frage genau genommen offen, indem der Notstand pauschal zu den „Strafausschließungsgründen“ gezählt wurde (vgl. § 22 lit. g). Als zweite wichtige Neuerung muss die Notstandstat nun nicht mehr einen geringeren, sondern lediglich keinen größeren Schaden als den, um dessen Abwendung sich der Täter bemüht hat, verursachen. Damit ist eine Rechtfertigung auch schon im Fall der Gleichwertigkeit von Eingriffs- und Erhaltungsgut möglich. Schließlich spielt auch die Frage, ob dem Täter die Gefahrverursachung vorgeworfen werden kann, für die Verhältnismäßigkeit der Notstandshandlung keine Rolle mehr. Dies bedeutet nun freilich nicht, dass es auf diesen Umstand nicht ankäme; vielmehr findet sich das Merkmal neu in § 23 Abs. 3 uStGB, der die Annahme eines Notstands auch dann ausschließt, wenn der Täter die Gefahr aufgrund seines Berufs hinzunehmen hatte (eine entsprechende Regelung fand sich in § 30 Abs. 4 aStGB). 74 Siehe dazu VerfGE 23/1990. (X. 31.) AB, MKöz 1990, 2175 (2177); Belovics/ Molnár/Sinku, KR, 93; Tóth, in: Halmai/G. A. Tóth (Hrsg.), Emberi jogok, 292 f.; Sári/ Somody, Alapjogok – Alkotmánytan II, 85. 75 Vgl. etwa Belovics u. a., ÁR, 144 f.; Blaskó, ÁR, Rn. 709 ff.; Földvári, ÁR, 141 ff. 76 Vgl. auch die amtliche Begründung des Vorentwurfs zum G 2012:C über das Strafgesetzbuch v. 13.7.2012, 32 (Hervorhebungen nur hier): „Beim Notstand [. . .] handelt es sich um die Kollision zweier geschützter Interessen, bei der der Schutz des einen Interesses nur durch die Beeinträchtigung des anderen Interesses möglich ist.“ Ausführlich zur Entwicklung von Interessen- und Güterabwägungstheorie im deutschen Strafrecht Lenckner, Der rechtfertigende Notstand (1965), 51 ff., der darauf hinweist, dass der in der Nachkriegsjudikatur zunächst noch als Leitlinie ausgegebene Güterabwä-

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(2) Einbeziehung des Höchstwerts „Leben“ in die Interessenabwägung Bei einem solchen Verständnis stellt sich dann allerdings analog zu den entsprechenden Einwänden in der deutschen Diskussion77 die Frage, ob der Höchstwert „Leben“ bei einer Interessenabwägung überhaupt jemals zurücktreten kann bzw. ihr überhaupt ausgesetzt werden darf. Vor dem Hintergrund, dass das uStGB – wie schon das aStGB – nur eine Notstandsvorschrift kennt78 und die Figur eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands nicht be- bzw. anerkannt ist, tut sich die Lehre – verwertbare Rechtsprechung gibt es auch hierzu nicht – mit ihrer Beantwortung denkbar schwer. War man sich im Geltungsbereich des aStGB noch weitestgehend einig, dass in Fällen, in denen es auf Eingriffs- und Erhaltungsseite jeweils nur um ein Menschenleben geht, bereits begrifflich nicht von der Verursachung eines „geringeren Schadens“ i. S. d. § 30 Abs. 1 uStGB die Rede sein konnte79 – auf Grundlage von gungsgrundsatz von Beginn an durch die Berücksichtigung anderer Faktoren wie die Größe der Gefahr und den Umfang des drohenden Schadens relativiert wurde und damit der Sache nach die Interessenabwägungstheorie maßgeblich war (a. a. O., 58 f.). 77 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (a). 78 Zwar fanden sich auch schon in § 30 Abs. 2 u. 3 aStGB – wie jetzt in § 23 Abs. 2 uStGB – Regelungen zum (intensiven) Notstandsexzess, doch handelte es sich dabei nach herrschender Auffassung nicht um einen Rechtfertigungs-, sondern um einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Grund. Diese wurden von einem Teil des Schrifttums bereits auf Tatbestandsebene – bei der Täterqualität – geprüft, während sie andere Autoren als Entschuldigungsgründe auffassten; siehe dazu Belovics u. a., ÁR, 123 f. m.w. N., der selbst von einer Einordnung auf der Ebene des objektiven Tatbestands ausgeht (widersprüchlich aber die Tabelle auf S. 125). Indem er in § 23 Abs. 2 uStGB davon spricht, dass der (Notstands-)Exzesstäter „nicht straffähig“ ist, hat sich der Gesetzgeber dieser Auffassung angeschlossen. 79 Siehe etwa Szepesi, in: Varga (Hrsg.), A bünteto ˝ jog nagy kézikönyve, Rn. 589; ebenso Görgényi u. a., ÁR, 191, die dies aber für höchst unbefriedigend halten, weil die Rechtsordnung von niemandem erwarten könne, sich für andere aufzuopfern. Diesen Widerspruch mit dem Grundgedanken der Notstandsvorschrift vermöge die Rspr. nur mithilfe der Vorschriften zum Notstandsexzess aufzulösen. De lege ferenda sei indes eine Rückbesinnung auf § 80 des Csemegi-Kodex geboten, der eine Handlung für nicht strafbar erklärte, „wenn diese im Notstand begangen wurde, um das Leben des Täters oder seiner Angehörigen aus einer unverschuldeten, nicht anders abwendbaren unmittelbaren Gefahr zu retten“. Aus denselben Gründen für äußerst problematisch hält die (frühere) Rechtslage auch Belovics, A büntetendo˝séget kizáró okok (2009), 152 ff., der sich ebenfalls für eine Neuregelung ausspricht, im Gegensatz zu Horváth aber de lege lata von Strafbarkeit auszugehen scheint: Ein Rekurs auf § 30 Abs. 2, 3 aStGB komme jedenfalls schon begrifflich nicht in Betracht, da der Täter in derartigen Konstellationen das Opfer gerade deshalb töte, um dem Tod zu entkommen, d. h. sich völlig darüber im Klaren sei, dass seine Handlung einen genauso großen Schaden verursache, wie der, um dessen Abwendung er sich bemüht habe. Auch Nagy, in: Gellér (Hrsg.), Györgyi Kálmán ünnepi kötet (2004), 437 (454 f.), der diese Konstellationen anhand des „Karneades-Falls“ illustriert, geht bereits aufgrund des Wortlauts von § 30 Abs. 1 aStGB von seiner Unanwendbarkeit aus; i. E. billigt er aber dem Täter gleichwohl Straflosigkeit zu, indem er als – soweit ersichtlich – einzige Stimme im Schrifttum in derartigen Konstellationen einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand befürwortet.

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§ 23 Abs. 1 uStGB wird nunmehr aber von einer gerechtfertigten Notstandstat auszugehen sein, weil die Vorschrift auch bei Gleichwertigkeit/Gleichrangigkeit von Eingriffs- und Erhaltungsgut greift –, gingen die Meinungen hinsichtlich der Bewertung von Sachverhalten, bei denen auf Erhaltungsseite ein entsprechendes quantitatives Übergewicht feststellbar ist, auseinander. Diese Kontroverse ist auch durch die Neufassung der Notstandsvorschrift nicht entschärft worden. Während etwa Belovics im berühmten „Weichensteller-Fall“ 80 ohne Weiteres von einer gerechtfertigten Notstandstat ausgeht,81 vertritt Nagy die Auffassung, dass in solchen Situationen bei strenger Gesetzesauslegung zwar scheinbar dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen werde, die Rechtfertigung der Opferung unschuldiger Menschen aber „ernstzunehmende rechtsphilosophische Fragen“ aufwerfe.82 Richtigerweise ist eine solche saldierende Betrachtung jedoch auch schon aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. Wie später noch ausführlich darzustellen sein wird,83 bilden die beiden Fundamentalrechte auf Menschenwürde und auf Leben nach ständiger und insoweit überzeugender Rechtsprechung des ungarischen VerfG eine Einheit, die infolge ihrer Eigenart von vornherein nicht eingeschränkt werden darf. Wenngleich mit der Ablösung der Verf durch das uGG am 1. Januar 2012 der diese Garantien gewährende § 54 Abs. 184 aufgehoben wurde, dürfte sich jedenfalls an dieser Judikatur auch in Zukunft nicht viel ändern. So heißt es nun in Art. II. uGG: „Die Menschenwürde ist unantastbar. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und Menschenwürde [. . .].“ Eine Abstufung menschlichen Lebens nach qualitativen oder quantitativen Gesichtspunkten wie im „Weichensteller-Fall“ verbietet sich daher nach wie vor. Gleichwohl wäre es, um zur Ausgangsfrage zurückzukehren, falsch, zu behaupten, dass beim rechtfertigenden Notstand der Höchstwert „Leben“ einer Abwägung schlechterdings entzogen ist und deshalb die Tötung eines Dritten zur Gefahrenabwendung niemals gerechtfertigt sein kann. Die im „deutschen“ Teil dieser Arbeit für überzeugend befundenen Erwägungen Merkels, wonach unabwägbar, d. h. andere absolut verpflichtend und jeder Verrechnung mit Fremdbe80 Dieser geht auf Welzel, ZStW 63 (1951), 47 (51) zurück und liest sich wie folgt: Ein Güterwagen hat sich auf einer steilen Gebirgsstrecke gelöst und rast mit hoher Geschwindigkeit ins Tal auf einen Bahnhof zu. Dort steht ein Personenzug, der von dem Güterzug, würde dieser auf dem bisherigen Gleis weiterrollen, mit voller Wucht erfasst würde. Zahlreiche Tote wären die Folge. Ein Bahnbeamter erkennt die drohende Gefahr und stellt geistesgegenwärtig die Weiche um, die den Güterzug auf ein Nebengleis lenkt, auf dem gerade einige Arbeiter einen Waggon entladen. Wie vom Bahnbeamten vorausgesehen, kommen durch seine Aktion drei Arbeiter zu Tode. 81 Belovics, A büntetendo ˝ séget kizáró okok (2009), 155 f. 82 Nagy, ÁR, 150. 83 Siehe im verfassungsrechtlichen Teil unten Zweiter Teil D. 84 Im Wortlaut: „In der Republik Ungarn hat jeder das angeborene Recht auf Leben und Menschenwürde, um die niemand willkürlich gebracht werden darf.“

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langen entzogen nur das Recht auf Leben ist, diese Pflicht aber normlogisch nur Dritte und nicht auch den Rechtsgutsträger erfassen kann, andernfalls aus dem Lebensrecht eine Lebenspflicht abgeleitet und ein fundamentales Schutzrecht gegen den Geschützten gewendet würde,85 beanspruchen auch hier Gültigkeit. (3) Vereinbarkeit mit der normativen Logik der Notstandsvorschrift Damit ist freilich noch nicht zwangsläufig gesagt, dass die Situation einer indirekten Sterbehilfe, bei der im Gegensatz zu den typischen Fällen des Notstands scheinbar nur Interessen einer Person („Schmerzfreiheit“ vs. „längeres Leben“) aufeinanderprallen, auch mit der normativen Logik des § 23 Abs. 1 uStGB kompatibel sein muss. Worin diese liegt, wurde in der ungarischen Lehre schon mit Blick auf § 30 Abs. 1 aStGB kaum thematisiert,86 doch liegt wie auch in Deutschland eine Betrachtung nahe, welche die Norm als Ausprägung des Solidaritätsprinzips begreift.87 Indes sollte keiner Erörterung bedürfen, dass dieses Prinzip nur im Rahmen interpersonaler Beziehungen zum Tragen kommen kann, wohingegen die Priorisierung eigener Interessen als Ausdruck individueller Autonomie mit solidarischem Interessenverzicht nichts gemein hat.88 So gesehen könnte man auch hier die in Deutschland kontrovers diskutierte,89 in Ungarn aber bislang weitestgehend unerörtert gebliebene90 Frage nach der Anwendbarkeit der Notstandsvorschrift bei intrapersonalen Interessenkollisionen aufwerfen. Zweifel daran könnten schließlich durch den Umstand genährt werden, dass selbst bei einer begrenzten Anerkennung der subjektiven Präferenzen der Beteiligten die Bereinigung interpersonaler Interessenkonflikte im Grundsatz nach objektiven Maßstäben er-

85 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (310 f.); siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 86 Siehe allenfalls Belovics, A büntetendo ˝ séget kizáró okok (2009), 146 im Anschluss an Nagy, in: Gellér (Hrsg.), Györgyi Kálmán ünnepi kötet (2004), 437 (441), der dort aber nur einen Überblick über in der deutschen Lehre zur Ratio von § 34 StGB vertretenen Auffassungen (Ausdruck eines eingeschränkten Handlungsutilitarismus vs. Statuierung einer staatsbürgerlichen Minimalpflicht zu mitmenschlicher Solidarität) gibt. 87 Vgl. oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (a). Im Gegensatz zu § 30 Abs. 1 aStGB, der die Verursachung eines geringeren Schadens als des abgewendeten forderte, ist diese Sichtweise in Bezug auf § 23 Abs. 1 uStGB freilich nicht mehr ganz so zwingend. Das Solidaritätsprinzip setzt eigentlich das Bestehen eines bedeutsamen qualitativen oder quantitativen Unterschieds zwischen den tangierten Rechtsgütern bzw. Interessen voraus; siehe Nagy, in: Gellér (Hrsg.), Györgyi Kálmán ünnepi kötet (2004), 437 (441) m.w. N. Die neue Notstandsvorschrift greift aber – wie bereits erwähnt – auch schon bei einem Gleichgewicht zwischen Eingriffs- u. Erhaltungsinteresse. 88 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (581). 89 Siehe dazu oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (a). 90 Lediglich kursorisch den deutschen Diskussionsstand zu dieser Frage wiedergebend Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 167 f.

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folgt, man bei der Anwendung der Notstandsregelung auf die Fälle der indirekten Sterbehilfe mithin Gefahr liefe, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu unterlaufen.91 Wirklich stichhaltig wäre der Hinweis auf ihre Nichtanwendbarkeit bei Identität des Rechtsgutsinhabers aber nicht. Geht man davon aus, dass das in § 160 uStGB (§ 166 aStGB) niedergelegte strafrechtliche Verbot (auch) konsentierter Tötungen der Aufrechterhaltung des Tötungstabus, d. h. der Wahrung des gesellschaftlichen Interesses an einem Schutz der das Tötungsverbot stabilisierenden allgemeinen Achtung vor menschlichem Leben dient,92 dann lässt sich die Vereinbarkeit der Notstandslösung sowohl mit dem Solidaritäts- als auch mit dem Autonomieprinzip zufriedenstellend begründen. Dabei bietet sich ein Rekurs auf die im „deutschen“ Teil dargestellten Erwägungen Neumanns an: Mit Blick auf den Solidaritätsgedanken kann argumentiert werden, dass die Rechtsordnung bei der indirekten Sterbehilfe ausnahmsweise von der Bekräftigung des Tötungstabus durch Bestrafung der konsentierten Tötung absieht, wenn das Schmerzlinderungsinteresse des Patienten das gesellschaftliche Normstabilisierungsinteresse aufwiegt.93 Im Hinblick auf die Kompatibilität der Notstandslösung mit dem Autonomieprinzip bzw. der rechtfertigenden Einwilligung als dem dogmatischen Werkzeug zu seiner Umsetzung94 ist zwar einzuräumen, dass die Abwägung eigener Inte91

Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (582). So jedenfalls Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 164 f., der sich als – soweit ersichtlich – einziger Strafrechtslehrer der Aufgabe annimmt, eine auch heute noch tragfähige Begründung für das generelle Tötungsverbot im ungarischen Strafrecht zu finden. In diesem Zusammenhang weist er mit Recht darauf hin, dass „flankierende“ Begründungen wie Beweisnot und Missbrauchsgefahren, auf die sich bei der Aufhebung der privilegierten Tötung auf Verlangen auch der ungarische Gesetzgeber berufen hatte, jedenfalls bei der von ärztlicher Seite gewährten Sterbehilfe heutzutage keine tragende Rolle mehr beanspruchen könnten. Die anderen Autoren nehmen dagegen die Strafbarkeit konsentierter Tötungen weitestgehend unwidersprochen hin und begnügen sich mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Unverfügbarkeit des Rechtsguts „Leben“. Dabei wird freilich übersehen, dass damit aber mehr eine Beschreibung denn eine Begründung der geltenden Rechtslage geliefert wird. 93 Vgl. Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (582), der dort freilich mit Blick auf § 34 StGB ein wesentliches Überwiegen des Schmerzlinderungsinteresses fordert; siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). Nach der neuen Notstandsvorschrift (§ 23 Abs. 1 uStGB) reicht es – anders als bei § 30 Abs. 1 aStGB – nach dem oben Gesagten aber schon aus, dass Eingriffs- und Erhaltungsinteresse als gleichwertig zu veranschlagen sind. Über die Frage, ob im Rahmen des Notstands auch kollektive Rechtsgüter als Eingriffsinteressen in Betracht kommen, schweigen sich Rspr. und Literatur in Ungarn aus. Indes sind keine Gründe ersichtlich, wieso dies nicht der Fall sein sollte. 94 Dazu etwa Blaskó, ÁR, Rn. 751 ff.; Nagy, ÁR, 152 ff. Ausführlich zu Geschichte, Voraussetzungen und dogmatischer Einordnung der Einwilligung Belovics, A büntetendo˝séget kizáró okok (2009), 171 ff. sowie Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 91 ff., der sie jedoch im Gegensatz zu den vorgenannten Autoren nicht als (ungeschriebenen) Rechtfertigungsgrund begreift, sondern ihr unter Zugrundelegung 92

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ressen grundsätzlich kein Fall des § 23 Abs. 1 uStGB, sondern vielmehr dem Rechtsgutsinhaber selbst überlassen ist. Doch muss der Einwilligende auch verfügungsberechtigt, d. h. alleiniger Träger des geschützten Interesses oder als dessen Vertreter zur Disposition über das Rechtsgut befugt sein.95 Beim höchstpersönlichen Rechtsgut „Leben“ ist dies nach dem oben Gesagten aber nicht der Fall, da zugleich fundamentale öffentliche Interessen (mit-)berührt werden. Umgesetzt werden kann die subjektiv-autonome Entscheidung des Sterbewilligen hier nur, indem sie durch eine objektive, nach Notstandsregeln strukturierte Interessenabwägung validiert wird.96 Eine Aushöhlung des Selbstbestimmungsrechts steht hierbei nicht zu befürchten: Es liegt auf der Hand, dass eine Not(stands)hilfe dem Bedrohten nicht nur generell, sondern gerade in den hier interessierenden Konstellationen einer mit der Hilfe verbundenen Lebensverkürzung nicht aufgedrängt werden darf, weshalb man nicht umhinkommen wird, seine Einwilligung als conditio sine qua non einer Rechtfertigung anzusehen.97 (4) Umgehung der Einwilligungssperre Dann stellt sich aber immer noch die Frage, ob durch die Anwendung der Notstandsvorschrift nicht die gesetzgeberische Wertung übergangen wird, der Einwilligung in die eigene Tötung eine rechtfertigende Wirkung zu versagen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Tötung auf Verlangen in Ungarn seit 1961 nicht mehr gesondert unter Strafe gestellt ist, der ungarische Gesetzgeber mit der Ablösung des Csemegi-Kodex aber keinesfalls ihre Entkriminalisierung, sondern vielmehr ihre Bestrafung als Totschlag oder gar Mord beabsichtigte, was sich auch mit systematischen Erwägungen untermauern lässt.98 des sog. Basismodells von Rönnau tatbestandsausschließende Wirkung attestiert (a. a. O., 144 f.); näher dazu bei der Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerzund Leidenslinderung unten Zweiter Teil C. V. 2. 95 Blaskó, ÁR, Rn. 751; Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 153 f. 96 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (583); siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 97 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (589); siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). Ob die Einwilligung eine ausdrückliche sein muss oder im Fall der Einwilligungsunfähigkeit des Bedrohten hilfsweise auch eine mutmaßliche sein kann, ist unklar. Die mutmaßliche Einwilligung ist jedenfalls als eigenständiges Rechtsinstitut in der ungarischen Strafrechtslehre zwar bekannt; sie wird aber nicht anerkannt. Siehe dazu Nagy, in: Filó (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 13 (14); ausführlich ders., ÁR, 154, dort auch mit dem Hinweis, dass sich ihre Hauptanwendungsfälle mithilfe der Rechtfertigungsgründe „Ausübung von Berufsrechten und -pflichten“ und „rechtfertigender Notstand“ regelmäßig zufriedenstellend lösen ließen. Indes kann diese Frage offen bleiben, da noch gezeigt wird, dass der Notstandslösung insofern keine eigenständige Bedeutung zukommt, als sich die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe auf das GesG stützen lässt, welches Regelungen für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit des Patienten enthält; siehe unten Zweiter Teil C. II. 1. c), insb. Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (3).

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Der entsprechende Einwand, würde man ihn denn analog zu demjenigen in der deutschen Diskussion99 formulieren, ginge gleichwohl ins Leere. Der Hinweis von Neumann, wonach die Wertungen, die einer Notstandsrechtfertigung zugrunde liegen, andere sind als diejenigen, die im Rechtfertigungsgrund der Einwilligung zum Ausdruck kommen,100 gilt auch hier. Dementsprechend lässt die Einwilligungssperre (für Tötungsdelikte) keinen Rückschluss auf den Ausschluss der Notstandsregeln zu, oder noch pointierter: Handelt es sich bei dem Verbot (auch) der Tötung auf Verlangen um eine prophylaktische Maßnahme gegen die Erosion des Tötungsverbots, dann ist die Konsequenz nicht, dass dieses Interesse wider die allgemeinen Regeln im Einzelfall rigoros aufrechterhalten werden müsste; vielmehr ist es wie jedes andere Interesse, das strafrechtlichen Schutz genießt, einer Notstandsabwägung mit gegenläufigen Interessen zugänglich.101 (5) Vorhandensein von Eingriffs- und Erhaltungsinteresse Mit dem Stichwort „gegenläufige Interessen“ ist zugleich der letzte Gesichtspunkt markiert, unter dem die Notstandslösung dogmatischen Bedenken begegnen könnte. Erörterungsbedürftig ist hier zum einen, ob es in den Fällen der indirekten Sterbehilfe an einem Erhaltungsinteresse (geschütztes Interesse) nicht deshalb fehlt, weil mit seinem Leben denknotwendig auch die Eigenschaft des Patienten beseitigt wird, Träger eines Rechtsguts (hier: des Interesses an körperlichem Wohlbefinden) zu sein.102 Zu beantworten ist zum anderen auch die spiegelbildliche Frage nach einem in die Notstandsabwägung einstellbaren Eingriffsinteresse (beeinträchtigtes Interesse), an dessen Existenz angesichts des Umstands, dass der Patient in die (möglicherweise) lebensverkürzende Schmerzlinderung einwilligen muss, dann aber selbst kein (uneingeschränktes) Interesse

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Siehe oben Zweiter Teil C. I. Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (a). 100 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (584); siehe auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 101 Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (584); siehe auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 102 Diesem Einwand wäre freilich dann von vornherein die Grundlage entzogen, wenn man die subjektive Erlebbarkeit der Leidensminderung als Voraussetzung einer zulässigen indirekten Sterbehilfe erachten würde. Diese Erwägung findet sich bei Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 224, der behauptet, dass die zeitliche Dimension das Einzige sei, was die indirekte von der aktiven Sterbehilfe trenne. Wie bereits im „deutschen“ Teil dieser Arbeit im Anschluss an Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (311) dargelegt, handelt es sich hierbei aber um eine eher zweifelhafte Annahme: Eine an sich zulässige indirekte Sterbehilfe kann nicht schlechterdings dadurch unzulässig werden, dass ihre Nebenfolge „Tod“ ggf. mit der intendierten Hauptfolge „Leidensminderung“ zeitlich zusammenfällt. 99

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mehr an der Verlängerung seines qualvollen Lebens hat, auf den ersten Blick Zweifel anzumelden sein könnten.103 Richtigerweise ist in den Fällen der indirekten Sterbehilfe aber sowohl ein Erhaltungs- als auch ein Eingriffsinteresse vorhanden. Zu Ersterem: Hier darf man keinesfalls den Fehler begehen, den toten Patienten in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken, bei dem es sich von selbst versteht, dass er als Träger des Interesses an Schmerzfreiheit ausscheiden muss. In den Fällen der indirekten Sterbehilfe geht es aber nicht um das Interesse des Toten an der Befreiung von unerträglichen Schmerzen, sondern um das des Lebenden.104 Zu Letzterem: Auch wenn der ungarischen Notstandsvorschrift vorliegend der Interessenabwägungsgrundsatz zugrunde gelegt wurde, ist es nicht angängig, das in ihrem Rahmen relevante Interesse mit den subjektiven Präferenzen des Betroffenen gleichzusetzen.105 Ohne an dieser Stelle auf die Frage einzugehen, inwieweit diese bei der Abwägung eine Rolle spielen können, kommt es prinzipiell auf eine – im Kollisionsfall durch die Entscheidung des Richters verkörperte – objektive Betrachtung an.106 Dies wird in Ungarn von niemandem bestritten, wobei man sich zugegebenermaßen mit derlei Fragen auch nicht wirklich auseinandersetzt. Beeinträchtigt die infrage stehende Handlung ein Rechtsgut, dann kann dieses auch ein verletztes (Notstands-)Interesse sein.107 (6) Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Weg über § 23 Abs. 1 uStGB (§ 30 Abs. 1 aStGB) in den Fällen der indirekten Sterbehilfe aus strafrechtsdogmatischer Sicht prinzipiell offen steht. Nichtsdestotrotz kommt der Notstandslösung im Ergebnis keine eigenständige Bedeutung zu; denn wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, hält das GesG eine spezialgesetzliche Regelung (auch) dieser Fallgruppe parat.

103 Zu den analogen Einwänden in der deutschen Diskussion siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (a). 104 Ausführlich mit Beispielen Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (311 f.); Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (584 ff.); siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 105 Eingehend u. mit Beispiel – freilich im Kontext von § 34 StGB – Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (587); siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 106 So in Bezug auf § 34 StGB Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (582). 107 So zum deutschen Recht Neumann, Herzberg-FS (2008), 575 (587), der sodann zutreffend betont, dass dies a fortiori dort gelten muss, wo der Gesetzgeber das fragliche Rechtsgut gegen Dispositionen seines Inhabers schützt, wie dies bezüglich des Rechtsguts „Leben“ bei § 216 StGB der Fall ist (a. a. O., 588); siehe dazu auch oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). Für das ungarische Recht, das eine Tötung auf Verlangen nicht einmal privilegiert, sondern als Totschlag oder gar Mord bestraft, kann richtigerweise nichts anderes gelten.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

c) Erfüllung von Amts- und Berufspflichten/gesetzliche Ermächtigung Zu erkennen vermag die Subsumierbarkeit der indirekten Sterbehilfe unter das GesG allerdings kaum jemand. Einzig Földvári weist darauf hin, dass der Arzt, der zur Bekämpfung unerträglicher Schmerzen Medikamente von solch starker Wirkung verabreiche, dass diese den Sterbevorgang verkürzten, den Regeln seines Berufs entsprechend handle. Seine Strafbarkeit richte sich deshalb allein danach, ob der Eingriff mit Blick auf den jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft indiziert gewesen sei. Grundlegende Bedeutung erlange dabei allerdings das gesetzlich anerkannte Recht des Patienten, keine Behandlung ohne seine Einwilligung hinnehmen zu müssen.108 Damit wird augenscheinlich auf (nicht näher bezeichnete) Vorschriften des GesG Bezug genommen und die indirekte Sterbehilfe unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung von Amts- oder Berufspflichten für gerechtfertigt erklärt.109 Ungeachtet der Frage, ob man nun in der Erfüllung von Amts- oder Berufspflichten einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund erblickt oder, was genauso gut möglich ist, diese Fälle dem gemeinhin anerkannten – und in § 24 uStGB nunmehr auch gesetzlich geregelten – Rechtfertigungsgrund „gesetzliche Ermächtigung“ (ung.: jogszabály engedélye)110 zuschlägt,111 wurde bereits angedeutet, dass das GesG tatsächlich Vorschriften enthält, unter die man die indirekte Sterbehilfe wird fassen können. Diese Vorschriften gehören freilich zu einem weitaus größeren juristischen Regelungskomplex ärztlicher Tätigkeit und können daher auch nur aus diesem Kontext heraus interpretiert werden. aa) Exkurs: Das GesG aus dem Jahr 1997 Vor der Darstellung des einschlägigen Regelungsregimes sollen deshalb zunächst in einem Exkurs der rechtshistorische Hintergrund sowie die Systematik und der Regelungsinhalt des GesG beleuchtet werden. 108

Földvári, ÁR, 167. Dass Földvári in diesem Zusammenhang tatsächlich auf das GesG rekurriert, wird deutlich, wenn man den Blick auf seine vorherigen Ausführungen zu diesem Rechtfertigungsgrund richtet, wonach die grundlegenden Regeln ärztlicher Tätigkeit im GesG enthalten seien. Dieses Gesetz lege die Voraussetzungen fest, bei deren Vorliegen eine ansonsten tatbestandsmäßige Handlung des Arztes nicht als „sozialgefährlich“ betrachtet werden könne (ÁR, 166). Siehe auch Kereszty u. a., KR, 67 u. Görgényi u. a., ÁR, 196 f. 110 Ausführlich dazu Belovics, A büntetendo ˝ séget kizáró okok (2009), 187 ff., 190 ff. 111 So jedenfalls Belovics u. a., ÁR, 151 mit der einleuchtenden Begründung, dass auch die Erfüllung von Amts- oder Berufspflichten aufgrund rechtlicher Vorschriften geschieht und diese damit der eigentliche Grund dafür sind, dass in solchen Fällen die Rechtswidrigkeit entfällt. Beide Gesichtspunkte miteinander verbindend Kereszty u. a., KR, 67. Nach Görgényi u. a., ÁR, 197 verknüpfen sich hier die Aspekte „Erfüllung von Berufspflichten“ und „Einwilligung des Verletzten“ zu einem Rechtfertigungsgrund sui generis; ähnlich Nagy, ÁR, 153. 109

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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(1) Rechtshistorischer Hintergrund Spezialgesetzliche Regelungen zur Ausübung des Arztberufs gibt es in Ungarn nicht erst seit dem GesG aus dem Jahr 1972. Tatsächlich können derartige Vorschriften dort auf eine vergleichsweise lange Tradition zurückblicken. (a) Das Gesetz über das öffentliche Gesundheitswesen von 1876 Bereits im Jahr 1876 erließ das ungarische Parlament als eine der weltweit ersten Volksvertretungen ein für die damalige Zeit als fortschrittlich zu bezeichnendes Gesetzeswerk. GArt 1876:XIV112 sicherte dem Arzt in § 47 die freie Therapiewahl zu, von der allein der „Kunstfehler“ abzugrenzen war: „Der zur Berufsausübung befugte Arzt kann in der Therapieanwendung nicht beschränkt werden, unterliegt im Hinblick auf seine Tätigkeit aber staatlicher Aufsicht und haftet für begangene Kunstfehler.“ Die in dieser Vorschrift niedergelegten Rechtsgrundsätze enthielten damit zum ersten Mal eine gesetzliche Normierung des ärztlichen Tätigkeitsbereichs, der freilich nur durch die lex artis beschränkt wurde und damit noch denkbar weit gespannt war.113 (b) Das Gesetz über die Ordnung der Ärzteschaft von 1936 Mit der Verabschiedung von GA 1936:I114 wurde dieser Bereich erst sechzig Jahre später neu kodifiziert und dabei auch § 47 des oben genannten Gesetzes aufgehoben (vgl. § 60 Abs. 1). In § 36, der an seine Stelle trat, hieß es nunmehr: „Der Arzt ist bei seiner therapeutischen Tätigkeit, bei der Therapiewahl und bei der Anwendung der therapeutischen Mittel innerhalb der Schranken des Gesetzes und der sich auf die ärztliche Berufsausübung beziehenden Vorschrift (§ 10 Abs. 2 lit. g) völlig frei.“ 115 Zugleich wurde in § 38 aber auch festgelegt, dass sich die straf- und die privatrechtliche Haftung des Arztes nach den allgemeinen 112

GArt 1876:XIV über das öffentliche Gesundheitswesen v. 10.4.1876, OT 1876,

87. 113 Siehe dazu Sótonyi, in: ders. (Hrsg.), Orvosi felelo ˝sség (2006), 1 (2), der diesbezüglich trotzdem nicht ohne Stolz bemerkt, dass man diese „vorwärtsgewandte, mutige“ Richtung der ungarischen Rechtsentwicklung erst dann richtig zu schätzen wisse, wenn man sich den das ungarische Rechtsdenken beeinflussenden deutschen Rechtsraum vor Augen führe, in dem die rechtliche Entwicklung der Arzthaftung „auf ein Abstellgleis“ geraten sei, weil mit derjenigen nach der Rechtmäßigkeit des ärztlichen Eingriffs eine „rein akademische Frage“ die gesamte Aufmerksamkeit von Rspr. u. Lehre auf sich gezogen habe. 114 GArt. 1936:I über die Ordnung der Ärzteschaft v. 16.1.1936, OT 1936, 1. 115 § 10 des Gesetzes regelte in Abs. 1 die Zusammensetzung und in Abs. 2 den Aufgabenkreis der Landesgeneralversammlung als Organ der Landesärztekammer. Dort war unter lit. g festgelegt, dass zu diesem auch die Festlegung der für die ärztliche Berufsausübung geltenden Regeln gehört.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Vorschriften richtet. Wie dies mit dem Grundsatz der Therapiefreiheit in Einklang zu bringen ist, ließ das Gesetz freilich unbeantwortet. (c) Das Gesetz über die Ordnung der Ärzteschaft von 1959 An dieser Rechtslage sollte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht viel ändern. Erst Ende der 1950er Jahre wurden die ärztlichen Verhaltensregeln durch GVO 1959/8116 neu gefasst und mit der neuen sozialistischen Staatsdoktrin harmonisiert.117 In § 3 Abs. 1 wurde dem Arzt auferlegt, „bei seiner therapeutisch-präventiven Tätigkeit [. . .] den Patienten im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten einer dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Heilbehandlung“ zu unterziehen und „zugleich alles zur Krankheitsvorbeugung Mögliche“ zu tun (Satz 1), ferner „mit größtmöglicher Sorgfalt und Umsicht alle Vorkehrungen“ zu treffen, „die erforderlich sind, um das Leben des Patienten zu retten, ihn zu heilen und seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen“ (Satz 3). Gemäß § 5 Satz 1 galt dabei zwar nach wie vor, dass „der Arzt [. . .] bei seiner therapeutischen Tätigkeit, bei der Therapiewahl und bei der Anwendung der therapeutischen Mittel in den Schranken des geltenden Rechts völlig frei“ ist. Doch wurde in § 6 Abs. 1 erstmalig auch die Patientenautonomie ausdrücklich anerkannt – wenn auch nur in engen Grenzen: „Operationen, welche ausschließlich in einem Krankenhaus vorgenommen werden können, darf der Arzt nur mit der schriftlichen Zustimmung des Patienten durchführen. Ist der Patient zur Erteilung der schriftlichen Zustimmung nicht in der Lage oder minderjährig, so bedarf es für die Durchführung der Operation der schriftlichen Zustimmung eines Angehörigen.“ Ausnahmen galten bei unmittelbarer Lebensgefahr und medizinisch indizierter Operationserweiterung (§ 6 Abs. 2, 3). (d) Das Gesetz über das Gesundheitswesen von 1972 Der rasante medizinische Fortschritt der 1960er Jahre und zwischenzeitliche Änderungen im Gesellschaftsgefüge Ungarns ließen GVO 1959/8 bereits nach 116 GVO 1959/8 des Präsidialrates der Volksrepublik Ungarn über die Ordnung der Ärzteschaft v. 28.3.1959, MKöz 1959, 215. Als AusfVO knüpfen an dieses Gesetz an: die VO der revolutionären ungarischen Arbeiter- und Bauern-Regierung 51/1959. (XII. 31.) Korm. über die Inkraftsetzung der GVO 1959/8 über die Ordnung der Ärzteschaft und einige Bestimmungen bezüglich ihrer Ausführung, MKöz 1959, 1111 sowie die VO des Gesundheitsministers 8/1959. (XII. 31) EüM über die Ausführung der GVO 1959/8 über die Ordnung der Ärzteschaft und der VO 51/1959. (XII. 31) über deren Inkraftsetzung, MKöz 1959, 1115. 117 Vgl. die Präambel, in der es heißt, dass es „an der Zeit ist, die grundlegenden Prinzipien ärztlicher Tätigkeit in einer einheitlichen Rechtsvorschrift zusammenzufassen, damit wir auch dadurch die Verwirklichung der Anforderungen des sozialistischen Gesundheitswesens befördern und erfolgreich gegen die Überbleibsel der kapitalistischen Moralauffassung kämpfen können“.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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wenigen Jahren nicht mehr zeitgemäß erscheinen.118 Der Gesetzgeber sah sich daher im Jahr 1972 zur Verabschiedung des eingangs erwähnten GesG veranlasst, welches neben dem bereits dargestellten § 43 noch weitere Vorschriften zur Arzt-Patient-Beziehung enthielt und beispielsweise – wenn auch nur in sehr begrenztem Umfang – Vorgaben hinsichtlich der Aufklärung des Patienten machte. Daneben wurden einige wichtige Regeln betreffend die Einwilligung des Patienten und deren Dokumentation festgeschrieben.119 (e) Das Gesetz über das Gesundheitswesen von 1997 Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 verging noch einmal ein knappes Jahrzehnt, bis die Gesetzeslage eine erneute Umgestaltung erfuhr. Wurde in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel der Schaffung einer demokratischen Rechts- und Wirtschaftsordnung oberste Priorität eingeräumt, beließ es der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zunächst bei Modifikationen bestehender Gesetze und Verordnungen.120 Seine grundlegende Umgestaltung wurde erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit der Umsetzung mehrerer bedeutender Gesetzesvorhaben in Angriff genommen, zu denen auch das aktuelle GesG gehörte, welches nunmehr das gesamte Spektrum des Arztund Medizinrechts – von den Patientenrechten und -pflichten über das öffentliche Gesundheitswesen bis hin zu reproduktionsmedizinischen Verfahren – abzudecken beanspruchte.121 Wie in den meisten Staaten des ehemaligen Ostblocks war die gesetzgeberische Tätigkeit denn auch weniger das Ergebnis einer organischen Entwicklung; Triebfeder war vielmehr der verspürte Druck, sich an die westlichen Rechtsordnungen anpassen zu müssen. Angesichts dieses Umstands spricht Filó mit Blick auf die Regelungen zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten und zum Behandlungsverzicht auch von einem „Normtransplantat“ („legal transplant“) im Watson’schen Sinn.122 Wenngleich der Gesetzgeber, der 118

Sótonyi, in: ders. (Hrsg.), Orvosi felelo˝sség (2006), 1 (2). Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (97 f.). Zu § 43 des GesG von 1972 siehe die Einleitung oben Zweiter Teil A. 120 Siehe Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (98), freilich mit dem Hinweis, dass der Gesetzgeber nicht gänzlich untätig war und durchaus auch weitreichende Entscheidungen traf, wie z. B. die Einführung einer Kopfpauschale zur Finanzierung der allgemeinärztlichen Praxen oder die Verabschiedung von G 1991:XI über den Staatlichen Volksgesundheits- und Amtsarztdienst v. 9.4.1991, MKöz 1991, 753. 121 Siehe Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (98), die als weitere wichtige Rechtsakte in diesem Bereich das G 1997:XLVII über den Schutz von und den Umgang mit gesundheitsbezogenen persönlichen Daten v. 5.6.1997, MKöz 1997, 3518 sowie das G 1997:LXXXIII über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung v. 25.7.1997, MKöz 1997, 5056 nennt. 122 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 300; vgl. dazu Watson, Legal Transplants (1993). Die Rezeptionstheorie Watsons basiert auf der Annahme, dass zivilrechtliche Normen nicht zwangsläufig an sozioökonomische Gesellschaftsstrukturen gekoppelt sind und sich daher ohne größere Probleme adaptieren lassen; 119

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

sich der Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens bewusst war, große Anstrengungen unternahm, um die betroffenen Fachkreise an der Ausarbeitung des Gesetzes zu beteiligen,123 konnte das GesG bei seiner Verabschiedung weder auf einem fachlichen noch auf einem gesellschaftlichen Konsens aufbauen.124 Ersteres lässt sich gut daran ersehen, dass etwa die Regelungen zur Organ- und Gewebetransplantation (verpflichtende Befragung der Angehörigen hinsichtlich des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen bei der postmortalen Organentnahme zu Transplantationszwecken) in Ärztekreisen anschließend auf solch heftigen Widerstand stießen, dass das Gesetz einige wenige Monate nach seinem Inkrafttreten vom Parlament bereits wieder modifiziert und die obligatorische Angehörigenbefragung aufgehoben wurde.125 Wenngleich sich die Vorschriften zur (passiven) Sterbehilfe derartigen Beanstandungen zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt sahen, im Gegenteil zunächst sogar durchaus positiv aufgenommen wurden,126 werfen auch sie zahllose Probleme auf, auf die noch ausführlich einzugehen sein wird. Zuvor soll aber ein Überblick über die Systematik und den Regelungsinhalt des GesG gegeben werden. (2) Systematik und Regelungsinhalt Das GesG gliedert sich in insgesamt 18 Kapitel mit zusammen 247 Paragrafen. Diese decken solch höchst unterschiedliche medizinische Themenkomplexe wie z. B. „Volksgesundheit“ (3. Kapitel: §§ 35–74), „medizinische Versuche an Menschen“ (8. Kapitel: §§ 157–164/C), „Organ- und Gewebetransplantation“ (11. Kapitel: §§ 202–215) und „Versorgung mit Blut“ (13. Kapitel: §§ 223–227) ab. Relevant für den Bereich der Sterbehilfe sind in erster Linie die Kapitel 2 (§§ 5–34) und 6 (§§ 125–140/A) GesG. Ersteres enthält „die Rechte und Pflichten der Patienten“,127 Letzteres „die Rechte und Pflichten des medizinischen Personals“.128 siehe von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland (2008), 58 f. Welche konkrete Rechtsordnung als Vorbild für das GesG diente, kann nicht zweifelsfrei beantwortet werden. Während z. B. bei Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (98) schlicht von Regelungen „aus Übersee“ die Rede ist, weist Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 300 mit Fn. 1046 darauf hin, dass bei der Vorbereitung des Gesetzes die Modelle aus Deutschland, den Niederlanden, Finnland u. Australien diskutiert worden seien. 123 Siehe dazu Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 296. 124 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (98). 125 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (98). 126 Vgl. z. B. Filó, KTSz 1–2/1999, 71 (116 f.); Jobbágyi, Az élet joga (2004), 297; ders., Orvosi jog (2007), 165. 127 In § 3 lit. a GesG legaldefiniert als eine „Person, die medizinische Versorgung in Anpruch nimmt oder an ihr teilhat“. Als „medizinische Versorgung“ wird in § 3 lit. c GesG „die an den konkreten Gesundheitszustand des Patienten anknüpfende Gesamtheit aller medizinischen Maßnahmen“ bezeichnet.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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(a) Die Rechte und Pflichten der Patienten Das GesG räumt den Patienten folgende Rechte ein: • ein „Recht auf medizinische Versorgung“ (§§ 6–9); • ein „Recht auf Menschenwürde“ (§ 10); • ein „Recht auf Kontaktpflege“ (§ 11); • ein „Recht, die Heilanstalt zu verlassen“ (§ 12);129 • ein „Recht auf Aufklärung“ (§§ 13–14); • ein „Recht auf Selbstbestimmung“ (§§ 15–19); • ein „Recht auf Behandlungsverzicht“ (§§ 20–23);130 • ein „Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte“ (§ 24);131 • ein „Recht auf ärztliche Verschwiegenheit“ (§ 25). Einzige Pflichten des Patienten sind nach §§ 26–27 GesG nebst Befolgung der für die Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen maßgebenden Vorschriften die Mitwirkung bei der Behandlung und die Achtung der Rechte anderer bei der eigenen Rechtsausübung. 128 Nach der Legaldefinition in § 3 lit. d GesG sind dies „der Arzt, der Zahnarzt, der Apotheker, die über eine höhere Fachausbildung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens verfügende sonstige Person, die über eine Fachausbildung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens verfügende sonstige Person, ferner die bei der medizinischen Maßnahme mitwirkende Person ohne Fachausbildung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens“. Der Begriff der Fachausbildung wiederum wird in § 3 lit. q GesG definiert als „die zur Ausübung der konkreten Tätigkeit berechtigende, in Ungarn erworbene oder im Ausland erworbene und in Ungarn anerkannte, auf dem Wege einer einfachen, mittleren, gehobenen bzw. höheren Fachausbildung erworbene fachliche Qualifikation sowie der Abschluss bzw. die Fachausbildung, die im Rahmen eines hochschulischen Bachelor-, Master- oder einheitlichen Studienganges erworben wurde, des Weiteren die im Rahmen einer Berufsausbildung oder höheren Berufsausbildung im Bereich des Gesundheitswesens erworbene Ausbildung“. 129 Der Begriff der Heilanstalt ist ein Unterbegriff des Gesundheitsinstituts, das seinerseits ein Unterbegriff des Gesundheitsdienstleisters ist. Gesundheitsdienstleister ist nach § 3 lit. f GesG „unabhängig von Eigentümer und Träger jeder im Gesundheitsbereich tätige Individualunternehmer, jede juristische Person oder jede Organisation ohne juristische Persönlichkeit, welche aufgrund behördlicher Betriebserlaubnis zur Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen befugt ist“. Der Begriff der Heilanstalt umfasst nach § 3 lit. ga GesG „die poliklinische ambulante oder stationäre Versorgung anbietenden Dienstleister“. 130 Das GesG spricht wörtlich von einem „Recht auf Ablehnung der Versorgung“ (ung.: az ellátás visszautasításának joga). 131 Das GesG spricht wörtlich von „medizinischer Dokumentation“ (ung.: egészségügyi dokumentáció). In § 3 lit. p GesG ist dieser Begriff legaldefiniert als „die während der Gesundheitsdienstleistung zur Kenntnis des medizinischen Personals gelangten Aufzeichnungen, Register oder auf sonstige Weise gespeicherten Daten, welche die mit der Behandlung des Patienten zusammenhängenden medizinischen und persönlichen Daten enthalten, unabhängig von deren Träger oder Form.“

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Für die (straf-)rechtliche Beurteilung von Sterbehilfemaßnahmen sind unmittelbar nur die später noch ausführlich darzustellenden Rechte auf medizinische Versorgung, Aufklärung, Selbstbestimmung und Behandlungsverzicht relevant.132 Der Gesundheitsdienstleister ist verpflichtet, den Patienten bzw. seinen Vertreter über diese Rechte, die Möglichkeiten ihrer Durchsetzung und die Hausordnung der Heilanstalt zu informieren (§ 28 GesG). Des Weiteren wird dem Patienten ein Beschwerderecht eingeräumt, mit dem eine Pflicht des Gesundheitsdienstleisters zur unverzüglichen Bearbeitung korreliert (§ 29 GesG). Auch wenn ihm demnach ein selbstständiges Vorgehen möglich ist, steht dem Patienten mit dem sog. Patientenrechtsbeauftragten (ung.: betegjogi képviselo˝) ein unabhängiger Amtsträger zur Seite, der ihn bei der Rechtswahrnehmung sowie -durchsetzung unterstützt. Das GesG enthält detaillierte Vorschriften zu den persönlichen und fachlichen Anforderungen für dieses Amt sowie den damit verbundenen Aufgaben bzw. Rechten und Pflichten (§§ 30–33/A). Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Patient und Gesundheitsdienstleister können beide Parteien die außergerichtliche Beilegung im Rahmen eines Mediationsverfahrens beantragen (§ 34 GesG). (b) Die Rechte und Pflichten des medizinischen Personals Das GesG räumt dem medizinischen Personal folgende Rechte und Pflichten ein: • eine „Pflicht [des medizinischen Personals] zur medizinischen Versorgung“ (§§ 125–127); • ein „(Recht auf) Festlegung der Untersuchungs- und Therapiemethoden“ (§§ 129–130);133 • ein „Recht auf Behandlungsverweigerung“ (§§ 131–133 GesG); • eine „Pflicht zur Aufklärung“ (§§ 134–135 GesG); • eine „Pflicht zur Dokumentation“ (§§ 136–137 GesG); • eine „Pflicht zur Verschwiegenheit“ (§ 138 GesG); • ein „Recht und (eine) Pflicht zur fachlichen Weiterbildung“ (§ 140 GesG). Für die (straf-)rechtliche Beurteilung von Sterbehilfemaßnahmen ist nach der hier vertretenen Ansicht das Recht auf Festlegung der Untersuchungs- und Therapiemethoden von unmittelbarer Bedeutung.134 132

Siehe unten Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) sowie Zweiter Teil C. IV. 1. Der Begriff der Untersuchung wird in § 3 lit. k GesG definiert als „die Tätigkeit, deren Ziel die Bestimmung des Gesundheitszustands des Patienten, das Erkennen von Krankheiten bzw. deren Risiken, die Diagnose, Prognose und Feststellung eingetretener Veränderungen, die Feststellung des Erfolgs einer Heilbehandlung sowie des Todeseintritts und der Gründe hierfür ist“. 134 Siehe unten Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (1). 133

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Zu erwähnen ist noch § 139 GesG, der dem „Schutz des medizinischen Personals“ dient. Die Vorschrift bestimmt, dass das medizinische Personal bei der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen sowie sonstige Arbeitnehmer des Gesundheitsdienstleisters bei mit der Patientenversorgung unmittelbar zusammenhängenden Tätigkeiten als „öffentliche Aufgaben wahrnehmende Personen“ gelten. Auf diese Weise werden sie dem erhöhten strafrechtlichen Schutz des § 311 i.V. m. § 310 Abs. 1 uStGB135 unterstellt. bb) Die Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe nach dem GesG Nach der hier vertretenen Auffassung folgt die Berechtigung des Arztes zur Vornahme einer potenziell lebensverkürzenden Schmerzmedikation aus § 6 Abs. 1 i.V. m. § 129 Abs. 1, 2 GesG. (1) Das Recht des Patienten auf Schmerzlinderung und das Recht des Arztes auf Festlegung der Therapiemethode Gemäß § 6 Abs. 1 GesG hat jeder Patient ein Recht darauf, dass seine Schmerzen und Leiden gelindert werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass mit diesem Recht, soll es nicht leerlaufen, denknotwendig auch eine entsprechende Verpflichtung des Arztes einhergehen muss. § 129 GesG136 legt dagegen fest, welche Untersuchungs- und Therapiemethoden unter welchen Voraussetzungen zulässig sind. Der behandelnde Arzt ist demnach zur Festlegung der Untersuchungs- und Therapiemethode im konkreten Fall 135 § 311 uStGB lautet: „Nach den Vorschriften des § 310 wird bestraft, wer eine der dort bestimmten Taten gegen eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Person verübt.“ § 310 Abs. 1 uStGB lautet: „Wer einen Amtsträger oder einen ausländischen Amtsträger a) mit Gewalt oder Drohung an der Vornahme einer rechtmäßigen Diensthandlung hindert, b) während der Vornahme einer rechtmäßigen Diensthandlung mit Gewalt oder Drohung zu einer Maßnahme zwingt oder c) ihn während der Diensthandlung bzw. wegen der Diensthandlung misshandelt, begeht ein Verbrechen und wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“ Die Parallelvorschrift im aStGB (§ 229 Abs. 1) war mit dieser Bestimmung weitestgehend identisch, sah aber einen niedrigeren Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. 136 Im Wortlaut: „(1) Der behandelnde Arzt ist berechtigt, aus den wissenschaftlich anerkannten Untersuchungs- und Therapiemethoden [§ 119 Abs. 3 lit. b] – im Rahmen des geltenden Rechts – das im konkreten Fall anzuwendende, ihm bzw. den bei der Versorgung mitwirkenden Personen vertraute und praktizierte sowie unter den gegebenen personellen und sachlichen Voraussetzungen durchführbare Verfahren frei zu wählen. (2) Die Anwendbarkeit der gewählten Untersuchungs- und Therapiemethode setzt voraus, dass a) der Patient in ihre Durchführung nach den Vorschriften dieses Gesetzes einwilligt, sowie b) das Eingriffsrisiko geringer als das Risiko der Unterlassung des Eingriffs ist bzw. für die Eingehung des Risikos ein profunder Grund besteht. (3) Der behandelnde Arzt ist – innerhalb seines Aufgabenbereichs – berechtigt, a) einen anderen Arzt oder sonstiges Gesundheitspersonal mit Fachausbildung zur Mitwirkung bei der Untersuchung bzw. Heilbehandlung des Patienten anzuhalten, b) die Einberufung eines Konsils vorzuschlagen bzw. dieses selbst einzuberufen.“

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

befugt, sofern diese wissenschaftlich anerkannt ist, er bzw. die bei der Behandlung mitwirkenden Personen mit ihr vertraut sind und auch die vorhandene sachliche und personelle Ausstattung ihre Anwendung zulässt (Abs. 1). Unter diese Vorschrift wird man auch die indirekte Sterbehilfe fassen können; denn dass es sich bei ihr trotz aller Fortschritte in der Schmerztherapie nach wie vor um einen anerkannten Bestandteil der Palliativmedizin handelt, ist auch in Ungarn anerkannt.137 Der Subsumtion steht auch nicht entgegen, dass § 129 GesG als weitere Voraussetzung verlangt, dass das Risiko des Eingriffs geringer ist als das seiner Unterlassung bzw. für seine Eingehung ein profunder Grund besteht (Abs. 2 lit. b). Zwar dürfte in den Fällen der indirekten Sterbehilfe das mit dem Eingriff verbundene Risiko – der vorzeitige Tod des Patienten – häufig größer sein als das seiner Unterlassung – ein (Weiter-)Leben unter unerträglichen Schmerzen.138 Doch kann dann in dem Umstand, dass deren Linderung nicht anders zu erreichen ist als durch die Gabe potenziell lebensverkürzender Medikamente, durchaus ein profunder Grund i. S. d. Norm gesehen werden, ohne ihren Wortlaut zu überdehnen. Systematische, teleologische und historische Auslegung führen zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nichts Gegenteiliges entnehmen. (2) Die Einwilligung des Patienten als Dreh- und Angelpunkt medizinischer Eingriffe Die Maßnahme bedarf schließlich der nach Maßgabe des Gesetzes erklärten Einwilligung des Patienten (§ 129 Abs. 2 lit. a GesG). Die einschlägigen Vorschriften finden sich in den §§ 15–19 GesG. Ausgehend von dem in § 15 GesG verankerten Grundsatz, dass jedem Patienten das Recht auf Selbstbestimmung zusteht (Abs. 1) und der Patient in Ausübung dieses Rechts frei entscheiden kann, ob er eine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen möchte und in welche Eingriffe er in diesem Zusammenhang einwilligt bzw. welche er, unter Berücksichtigung der Vorschriften zum Behandlungsverzicht, ablehnt (Abs. 2), setzt jeder medizinische Eingriff die von Täuschung, Drohung und Zwang unbeeinflusste, aufgeklärte Einwilligung des Patienten voraus (Abs. 3).139 137 Siehe z. B. Jobbágyi, Az élet joga (2004), 275; ders., Orvosi jog (2007), 144, dem zufolge lebensverkürzende Schmerzlinderungen deshalb auch keinen Fall der Sterbehilfe darstellen; ebenso der Ethik-Kodex der Ungarischen Ärztekammer, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17). Allgemein zum Stand der Schmerztherapie und dazu, dass die Verabreichung hochwirksamer Analgetika offenbar auch heute noch durchaus mit Lebensverkürzungen verbunden sein kann, A. Horváth, LAM 2007, 754. 138 Dazu, dass sich eine unterlassene Schmerzlinderung unter Umständen aber auch lebensverkürzend auswirken kann, siehe bereits die Ausführungen oben in Fn. 66. 139 Zu den diesbezüglichen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen deutschem und ungarischem Recht siehe ausführlich Zentai, Die strafrechtliche und die zi-

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Inhalt und Umfang der Aufklärung richten sich abschließend nach den §§ 13, 14 GesG. Nach § 13 Abs. 2 GesG hat der Patient u. a. ein Recht darauf, neben den empfohlenen Untersuchungen und Eingriffen (lit. b) auch über die möglichen Vorteile und Risiken ihrer Durchführung bzw. Unterlassung (lit. c), sein diesbezügliches Entscheidungsrecht (lit. e), etwaige Alternativen (lit. f) sowie den Ablauf der Behandlung und ihren erwartbaren Ausgang (lit. g) aufgeklärt zu werden. Gleiches gilt nach Abs. 5 für den geschäftsunfähigen und den beschränkt geschäftsfähigen Patienten. In diesem Zusammenhang ist auch § 14 Abs. 1 Satz 1 GesG zu beachten, wonach es dem geschäftsfähigen (bzw. nach Abs. 2 mit Vollendung des 16. Lebensjahres auch dem minderjährigen) Patienten grundsätzlich gestattet ist, auf die Aufklärung zu verzichten, es sei denn, er muss die Art seiner Erkrankung kennen, um die Gesundheit anderer nicht zu gefährden. Bei einem invasiven Eingriff 140 – und damit regelmäßig auch bei der indirekten Sterbehilfe – ist die Einwilligung abweichend von dem in § 15 Abs. 4 GesG niedergelegten Grundsatz der Formfreiheit allerdings nur dann wirksam, wenn sie schriftlich oder, sollte der Patient dazu nicht in der Lage sein, mündlich bzw. auf sonstige Weise vor zwei Zeugen erklärt wird (Abs. 5). Der Patient kann die Einwilligung jederzeit widerrufen; besteht für den Widerruf jedoch kein hinreichender Grund, kann er zur Erstattung der entstandenen Behandlungskosten verpflichtet werden (Abs. 6).141 Für den Fall, dass sich der Widerruf gleichzeitig als Behandlungsverzicht i. S. v. § 20 GesG darstellt, sind die dort niedergelegten Grundsätze maßgeblich.142

vilrechtliche Aufklärung zu der Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung in einem Rechtsvergleich mit Ungarn (Diss. 2004). 140 Nach der Legaldefinition in § 3 lit. m GesG ist dies „ein durch die Haut, Schleimhaut oder eine Körperöffnung in den Körper des Patienten eindringender physischer Eingriff, mit Ausnahme solcher Eingriffe, die aus fachlicher Sicht mit einem vernachlässigbaren Risiko für den Patienten verbunden sind“. Soweit Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 121 behauptet, beim Abtasten des Enddarms und einer Darmspiegelung handle es sich von vornherein nicht um invasive Eingriffe, ist dem angesichts des klaren Wortlauts dieser Vorschrift zu widersprechen. Derartige Maßnahmen scheiden allenfalls deshalb aus dem Kreis der invasiven Eingriffe aus, weil sie für den Patienten mit einem vernachlässigbaren Risiko verbunden sind. Zumindest bei einer Darmspiegelung kann man dies aber kaum annehmen. Zuzustimmen ist Gyöngyösi aber insoweit, als es für die Beurteilung des Eingriffsrisikos sinnvollerweise nicht nur auf den Eingriff an sich, d. h. die Art und Form des Eindringens in den Körper, ankommen kann, sondern auch der Eingriffszweck berücksichtigt werden muss. So macht es gewiss einen Unterschied, ob eine Kanüle lediglich zur Verabreichung eines harmlosen Betäubungsmittels oder aber zur Erprobung eines noch nicht zugelassenen Medikaments eingesetzt wird. 141 Nach Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 149 können sich hinreichende Gründe, die zum Wegfall der Erstattungspflicht führen, lediglich aus dem Arzt-Patient-Verhältnis ergeben, so z. B. wenn die Einwilligung des Patienten auf einer unvollständigen oder unrichtigen Aufklärung gründet. 142 Siehe dazu unten Zweiter Teil C. IV. 1.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

(3) Stellvertretende Einwilligung bei fehlender/beschränkter Geschäftsfähigkeit Ist der Patient zur Erteilung einer rechtswirksamen Einwilligung (allein) nicht in der Lage, ist grundsätzlich (auch) eine Erklärung seines Vertreters einzuholen. Dabei gilt es zu beachten, dass das GesG für die Frage der Einwilligungsfähigkeit auf die Geschäftsfähigkeit (ung.: cselekvo˝képesség) des Einwilligenden abstellt und dabei in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen Terminologie zwischen (voller) Geschäftsfähigkeit, beschränkter Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit unterscheidet. Eine Legaldefinition findet sich in § 3 lit. t GesG allerdings nur für den Begriff des beschränkt geschäftsfähigen Patienten, wobei auf die allgemeinen personenrechtlichen Vorschriften verwiesen wird: Beschränkt geschäftsfähig ist, wen das Gericht gem. den Bestimmungen des ZGB143 mit allgemeiner Wirkung oder in Bezug auf die Ausübung der mit seiner medizinischen Versorgung verbundenen Rechte unter eine die Geschäftsfähigkeit beschränkende Betreuung144 gestellt hat, sowie die minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat und nicht geschäftsunfähig ist. Für die auf die medizinische Versorgung bezogenen Willenserklärungen solcher Personen gelten – sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt – die Regeln des ZGB.145 Ausgehend von der Prämisse dieser Arbeit konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf die beschränkte Geschäftsfähigkeit/Geschäftsunfähigkeit bei volljährigen Patienten. Volljährig ist jeder, der nicht minderjährig ist. Minderjährig ist nach § 12 Satz 1 ZGB, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, es sei denn, dass er eine Ehe geschlossen hat. Die Eheschließung bewirkt nicht den Eintritt der Volljährigkeit, wenn das Gericht die Ehe wegen mangelnder Ge143 G 1959:IV über das bürgerliche Gesetzbuch v. 11.8.1959, MKöz 1959, 657; deutsche Übersetzung in Brunner/Schmid/Westen (Hrsg.), WOS Nr. II. 1. a), III. 1., IV. 1. Die folgenden Ausführungen basieren auf einer eigenen Übersetzung des Autors. Aufgrund seiner sozialistischen Prägung wird das bürgerliche Gesetzbuch in der deutschen Ostrechtsforschung abweichend von seiner ungarischen Bezeichnung nicht selten als „Zivilgesetzbuch“ (ZGB) bezeichnet; siehe Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 4 mit Fn. 11. Dem wird in dieser Arbeit gefolgt. 144 In der ZGB-Übersetzung von Brunner/Schmid/Westen (Hrsg.), WOS Nr. III. 1. werden die ungarischen Worte „gondnokság“ u. „gondnok“ nicht mit „Betreuung“ u. „Betreuer“, sondern mit „Pflegschaft“ u. „Pfleger“ übersetzt; Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 101 ff. übersetzt diese auch im ZGB-Entwurf von 2009 verwendeten Begriffe genauso. Das damit bezeichnete ungarische Rechtsinstitut ähnelt jedoch weniger der in §§ 1909 ff. BGB geregelten Pflegschaft als vielmehr der in §§ 1896 ff. BGB geregelten Betreuung, sodass im Folgenden nur noch dieser Begriff Verwendung finden soll. 145 Geschäftsfähigkeit bedeutet gem. § 11 Abs. 2 ZGB die Fähigkeit, selbst Verträge abzuschließen und sonstige Willenserklärungen abzugeben. Nach § 11 Abs. 3 ZGB kann die Geschäftsfähigkeit nicht Gegenstand beschränkender Vereinbarungen oder Erklärungen sein.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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schäftsfähigkeit oder wegen Fehlens der aufgrund der Minderjährigkeit erforderlichen Genehmigung der Vormundschaftsbehörde für unwirksam erklärt hat (Satz 2). (a) Beschränkte Geschäftsfähigkeit Wie sich bereits aus der Legaldefinition in § 3 lit. t GesG ergibt, ist neben dem nicht geschäftsunfähigen Minderjährigen über vierzehn Jahren jeder (Volljährige) beschränkt geschäftsfähig, der unter eine die Geschäftsfähigkeit beschränkende Betreuung gestellt wurde (vgl. auch den nahezu wortgleichen § 14 Abs. 1 ZGB). Gemäß § 14 Abs. 4 ZGB ordnet das Gericht eine die Geschäftsfähigkeit beschränkende Betreuung bei einem Erwachsenen an, bei dem die für die Besorgung seiner Angelegenheiten erforderliche Einsichtsfähigkeit aufgrund seines psychischen Zustands, geistiger Gebrechen oder einer Suchterkrankung – allgemein oder im Hinblick auf einzelne Gruppen von Angelegenheiten – dauerhaft oder zeitweise erheblich vermindert ist.146 Für den Fall, dass die Einsichtsfähigkeit nur im Hinblick auf einzelne Gruppen von Angelegenheiten vermindert ist, folgt aus § 3 lit. t GesG, dass es im Geltungsbereich des GesG auf die Bestellung eines Betreuers für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge (§ 14 Abs. 6 Ziff. 8 ZGB) ankommt. Nach § 14/B Abs. 1 ZGB ist die Willenserklärung einer solchen Person generell bzw. hinsichtlich der im Urteil bezeichneten Aufgabenkreise – unter Beachtung der Ausnahmen nach Abs. 2147 – nur dann wirksam, wenn sie mit der Einwilligung seines Betreuers abgegeben wurde oder dieser sie nachträglich genehmigt hat;148 im Konfliktfall entscheidet die Vormundschaftsbehörde bzw. der beschränkt Geschäftsfähige selbst, sobald er geschäftsfähig wird. Von diesen Ausnahmen und den Fällen abgesehen, in denen das Gesetz eine eigene Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen verlangt, kann dieser seinen Betreuer

146 Von selbst versteht sich der in § 14 Abs. 5 ZGB enthaltene Hinweis, wonach für den Fall, dass die Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit nur eine partielle ist, der Betreute in allen Angelegenheiten selbstständig wirksame Willenserklärungen abgeben kann, die in eine Gruppe fallen, hinsichtlich der das Gericht die Geschäftsfähigkeit des Betreuten nicht beschränkt hat. 147 Analog zum beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen sieht diese Vorschrift auch für den beschränkt geschäftsfähigen Volljährigen bestimmte Fälle vor, in denen ein Rechtsgeschäft auch ohne die Mitwirkung des Betreuers wirksam ist, so insb. bei Verträgen des täglichen Lebens, bei der Verfügung über Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis und bei Verträgen, durch die der Betreute ausschließlich Vorteile erwirbt. Diese Fälle decken sich weitestgehend mit den in § 12/A Abs. 3 ZGB für den Minderjährigen genannten; anders als dieser darf der Betreute jedoch nur über 50% seiner Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis verfügen. 148 Der Einfachheit halber werden beide Konstellationen im Folgenden unter „Zustimmung“ zusammengefasst.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

mit dessen Zustimmung in einer öffentlichen Urkunde zur Vertretung in sämtlichen Angelegenheiten ermächtigen (Abs. 3). Diese Ermächtigung kann der Betreute durch Privaturkunde mit voller Beweiskraft und gleichzeitiger Mitteilung an den Betreuer jederzeit widerrufen (Abs. 4). In Fällen, in denen ein unverzügliches Tätigwerden erforderlich ist oder ein Gesetz dies bestimmt, kann der Betreuer ausnahmsweise auch ohne solche Ermächtigung tätig werden (Abs. 5). (b) Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit Trifft das GesG nach dem vorhin Gesagten weder eine Aussage darüber, wer geschäftsfähig ist, noch darüber, wer geschäftsunfähig ist, sind hierfür ebenfalls die Vorschriften des ZGB maßgeblich. Ausgangspunkt ist § 11 Abs. 1 ZGB, wonach jeder geschäftsfähig ist, dessen Geschäftsfähigkeit durch das Gesetz nicht beschränkt oder ausgeschlossen ist. Hinsichtlich der beschränkten Geschäftsfähigkeit kann auf obige Ausführungen verwiesen werden. Klärungsbedürftig ist demnach nur, wer geschäftsunfähig ist. Geschäftsunfähig ist neben dem Minderjährigen unter vierzehn Jahren149 zum einen gem. § 15 Abs. 1 ZGB der Volljährige, dem das Gericht mit dieser Wirkung einen Betreuer bestellt hat. Das Gericht ordnet eine die Geschäftsfähigkeit ausschließende Betreuung bei einem Erwachsenen an, bei dem die für die Besorgung seiner Angelegenheiten erforderliche Einsichtsfähigkeit aufgrund seines psychischen Zustands oder geistiger Gebrechen dauerhaft und vollumfänglich fehlt (Abs. 4).150 Nach § 15/A Abs. 1 ZGB ist die Willenserklärung des Geschäftsunfähigen – unter Beachtung der Ausnahme nach Abs. 2151 – nichtig; in seinem Namen handelt sein Betreuer, der jedoch die Wünsche des äußerungsfähigen Betreuten im Vorfeld der Entscheidung anhören und nach Möglichkeit berücksichtigen muss. 149 Vgl. die §§ 12/B–12/D ZGB. Gemäß § 12/B Abs. 2 ZGB ist geschäftsunfähig auch der Minderjährige, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, wenn ihm per Gerichtsbeschluss mit dieser Wirkung ein Betreuer bestellt wurde. Die Wirkung der Betreuung tritt erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit ein, doch wird der Minderjährige bereits mit Rechtskraft des Beschlusses geschäftsunfähig. 150 Zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer die Geschäftsfähigkeit beschränkenden Betreuung ergeben sich demnach sowohl hinsichtlich Dauer/Grad des Verlustes der Einsichtsfähigkeit („dauerhaft oder zeitweise“ vs. „dauerhaft“/„erheblich vermindert“ vs. „fehlt vollumfänglich“) als auch hinsichtlich ihrer Gründe („psychischer Zustand, geistige Gebrechen oder Suchtkrankheiten“ vs. „psychischer Zustand oder geistige Gebrechen“) Unterschiede. 151 Analog zur entsprechenden Bestimmung beim geschäftsunfähigen Minderjährigen (§ 12/C Abs. 2 ZGB) sieht diese Vorschrift auch für den geschäftsunfähigen Volljährigen die Wirksamkeit von Bagatellverträgen vor, die im Alltag häufig sind und deren Abschluss keine besondere Umsicht erfordert. Anders als beim geschäftsunfähigen Minderjährigen müssen beim geschäftsunfähigen Volljährigen die Leistungen jedoch noch nicht bewirkt sein.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Geschäftsunfähig ist zum anderen gem. § 17 Abs. 1 ZGB auch ohne Betreuerbestellung eine Person, die sich in einem Zustand befindet, in dem ihr die zur Besorgung ihrer Angelegenheiten notwendige Einsichtsfähigkeit – dauerhaft oder bei Abgabe der Willenserklärung vorübergehend – völlig fehlt. Typische Fälle sind medikamentös oder schmerzbedingte Bewusstseinstrübungen, komatöse Zustände, Ohnmacht usw.152 Die Willenserklärung einer solchen Person ist grundsätzlich ebenfalls nichtig (Abs. 2). Etwas anderes gilt nur dann, wenn aus ihrem Inhalt und den Umständen geschlossen werden kann, dass sie auch im Fall der Geschäftsfähigkeit begründet gewesen wäre, wobei letztwillige Verfügungen ausgenommen sind (Abs. 3). (c) Gesetzliche Vertretung bei beschränkter Geschäftsfähigkeit/ Geschäftsunfähigkeit Die gesetzliche Vertretung obliegt bei einem Minderjährigen seinen Eltern als Ausfluss von deren Recht und Pflicht zur Personensorge, subsidiär einem gerichtlich bestellten Vormund.153 Im Fall des Erwachsenen, der aus den oben genannten Gründen unter eine die Geschäftsfähigkeit beschränkende bzw. ausschließende Betreuung gestellt wurde, ist bereits angeklungen, dass diese Aufgabe einem gerichtlich bestellten Betreuer zukommt. Für die Einwilligung in medizinische Eingriffe bzw. deren Ablehnung sieht das GesG indes ein spezielles Vertretungsregime vor, welches dasjenige nach dem ZGB teils überlagert, teils ergänzt. Dabei ist zwischen der Vertretung geschäftsunfähiger und der Vertretung beschränkt geschäftsfähiger Patienten zu unterscheiden. (d) Die Vertretung geschäftsunfähiger Patienten nach dem GesG Nach § 16 Abs. 1 lit. a GesG kann der geschäftsfähige Patient – sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt – in einer öffentlichen Urkunde, einer Privaturkunde mit voller Beweiskraft oder, sollte er schreibunfähig sein, in Anwesenheit von zwei Zeugen eine andere geschäftsfähige Person benennen, die sein Einwilligungs- bzw. Ablehnungsrecht für ihn ausübt bzw. die nach § 13 GesG aufzuklären ist (fortan „gewillkürter Patientenvertreter“). Der Sinn dieses Instituts liegt auf der Hand: Ein vom Patienten ausgewählter Dritter, d. h. eine Vertrauensperson, kann mit dem behandelnden Arzt unmittelbar zusammenarbeiten und so dem Willen des Patienten bestmöglich zur Geltung verhelfen. Unklar ist, ob eine solche Vertretung den Verlust der Geschäftsfähigkeit des Patienten notwendig voraussetzt. Geht man vom Wortlaut der Vorschrift aus, 152

Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 129. Vgl. die §§ 71 Abs. 2, 86, 87 bzw. die §§ 93, 101 des G 1952:IV über die Ehe, die Familie und die Vormundschaft v. 6.6.1952, MKöz 1952, 461. 153

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

dann ist eine derartige Einschränkung nicht geboten, kann sich mit anderen Worten auch der aktuell Geschäftsfähige eines gewillkürten Patientenvertreters bedienen. Den gegenteiligen Schluss legt freilich die Gesetzesbegründung nahe, der zufolge es „ein wichtiger Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts ist, dass jede geschäftsfähige Person das Recht hat, mit einer unter bestimmten Formvoraussetzungen abgegebenen Erklärung eine Person zu benennen, die im Fall ihrer Geschäftsunfähigkeit an ihrer statt berechtigt ist, in eine Behandlung einzuwilligen“.154 In der Literatur werden gegen diese Auffassung drei Argumente ins Feld geführt:155 Zum einen mache § 22 Abs. 2 GesG die Bestellung eines Patientenvertreters für die Ablehnung lebenserhaltender oder lebensrettender Eingriffe (im Folgenden „besonderer gewillkürter Patientenvertreter“) ausdrücklich nur für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit möglich, sodass der Gesetzeber, hätte er eine solche Einschränkung auch bei § 16 Abs. 1 lit. a GesG gewollt, eine entsprechende Formulierung gewählt hätte. Zum anderen gelte es ein Urteil des VerfG zu beachten, dem zufolge „das GesG mit Blick auf die Patientenautonomie [. . .] strikt zwischen geschäftsfähigen Patienten und (im Vergleich zu ihnen) beschränkt geschäftsfähigen bzw. geschäftsunfähigen Patienten unterscheidet. Das GesG bietet dem geschäftsfähigen Patienten die Möglichkeit, jemanden zu benennen, der stellvertretend sein Einwilligungs- und Ablehnungsrecht ausüben kann [§ 16 Abs. 1 lit. a]“.156 Schließlich könne ein Geschäftsfähiger auch für die Vornahme sonstiger zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte Vollmacht erteilen, sodass es widersinnig wäre, dies für Dienstleistungen im Bereich des Gesundheitswesens nicht zuzulassen. Auch wenn diese Argumente nicht von vornherein abzulehnen sind, dürfte in der weit überwiegenden Zahl der Fälle ein gewillkürter Patientenvertreter nur für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit bestellt werden. Im Folgenden wird deshalb nur diese Konstellation behandelt.157 154 Amtliche Begründung zum G 1997:CLIV über das Gesundheitswesen v. 23.12. 1997, 9. 155 Siehe zum Folgenden Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 151. 156 VerfGE 36/2000. (X. 27.) AB, MKöz 2000, 6619 (6625). 157 Dies gilt allerdings nicht für den beschränkt geschäftsfähigen Patienten, der, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, ebenfalls einen gewillkürten Patientenvertreter bestellen kann. Dessen Einsatz ist bei dieser Patientengruppe auch schon vor Eintritt einer etwaigen Geschäftsunfähigkeit sinnvoll, da auf diese Weise die Entscheidungsfindung am Krankenbett erleichtert bzw. beschleunigt werden kann. Im Fall des aktuell geschäftsfähigen Patienten greifen diese Erwägungen jedoch nicht, da seine (Willens-)Erklärungen im Gegensatz zu denjenigen des beschränkt geschäftsfähigen Patienten schon für sich genommen wirksam sind. Für ihn wird deshalb i. d. R. keine Veranlassung bestehen, eine andere Person mit der Entscheidungsfindung zu betrauen. Wenig überzeugend daher Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 151, wenn er die Möglichkeit der Vertretung eines aktuell geschäftsfähigen Patienten u. a. auch mit dem Hinweis auf den über 16-jährigen Minderjährigen zu begründen sucht, der sich eines gewillkürten Patientenvertreters regelmäßig nicht zwecks Vorsorge für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit bediene, sondern deshalb, damit an seiner Stelle ein vertrauenswürdiger Erwachsener entscheide.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Hat der Patient keinen gewillkürten Patientenvertreter bestellt oder konnte er dies – etwa aufgrund seiner Minderjährigkeit – von vornherein nicht tun, besteht nach § 16 Abs. 2 GesG eine Hierarchie der Personen, die ihn im Fall seiner Geschäftsunfähigkeit vertreten bzw. die Einwilligung in ambulante oder stationäre Massnahmen erklären oder diese ablehnen (nachstehend „gesetzlicher Patientenvertreter“). Jeweils die erste bzw. vorangehende Stufe eines Personenkreises schließt also die nachfolgende Gruppe aus, wobei zu beachten ist, dass der geschäftsfähige Patient unter Einhaltung der für die Benennung eines gewillkürten Patientenvertreters maßgeblichen Formvorschriften jeden aus dem Kreis der Berechtigten ausschließen kann (§ 16 Abs. 1 lit. a GesG). Zur Vertretung sind – in dieser Reihenfolge – berufen:158 • gesetzliche Vertreter; • im gleichen Haushalt lebende, geschäftsfähige – Ehepartner oder Lebensgefährten, – Kinder, – Eltern, – Geschwister, – Großeltern, – Enkel; • nicht im gleichen Haushalt lebende, geschäftsfähige – Kinder, – Eltern, – Geschwister, – Großeltern, – Enkel. Bei divergierenden Erklärungen von Personen auf gleicher Hierarchiestufe ist gem. § 16 Abs. 3 GesG diejenige Entscheidung zu berücksichtigen, die den Gesundheitszustand des Patienten voraussichtlich am günstigsten beeinflussen wird. Bei Personen i. S. v. § 16 Abs. 2 GesG sind darüber hinaus zwei wichtige Einschränkungen zu beachten: Zum einen sind sie, eine gesetzeskonforme Aufklärung vorausgesetzt, nach § 16 Abs. 4 Satz 1 GesG nur zur Entscheidung über die vom behandelnden Arzt empfohlenen invasiven Eingriffe berufen. Dabei darf ihre Erklärung – mit Ausnahme der Fälle des § 20 Abs. 3 GesG (d. h. einer passiven Sterbehilfe) – den

158 Für weitere Ausführungen zu den einzelnen Personengruppen siehe Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 157 ff.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Gesundheitszustand des Patienten über die üblichen Eingriffsrisiken hinaus nicht nachteilig beeinflussen, insbesondere nicht zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führen (Satz 2). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass nicht-invasive Maßnahmen nicht der Einwilligung des gesetzlichen Patientenvertreters bedürfen.159 Abgesehen davon besteht bei dieser Vorschrift in zweifacher Hinsicht Erörterungsbedarf: Fraglich ist zunächst, ob der Begriff des Gesundheitszustands bzw. der Gesundheit auch die Freiheit von Schmerzen erfasst.160 Dies wäre dann nicht der Fall, wenn mit der Formulierung nur das Hervorrufen, Aufrechterhalten oder Steigern eines pathologischen Zustands gemeint ist, weil Schmerzen für sich genommen keinen Krankheitswert besitzen.161 Für ein solches Verständnis ließen sich die Körperverletzungsdelikte des uStGB anführen, bei denen der Begriff der Gesundheitsschädigung genau so definiert wird.162 Folge wäre allerdings, dass die Durchführung einer effektiven Schmerztherapie, so sie denn invasive Maßnahmen erfordert,163 in das Belieben des gesetzlichen Patientenvertreters gestellt wäre, der darüber entscheiden könnte, ob der Patient leiden muss oder nicht. Dies kann sicherlich nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, der mit dieser Vorschrift offenkundig ein möglichst hohes Maß an – objektiv verstandener – Lebensqualität sicherstellen will. Hinzu kommt, dass der Gesundheitszustand desjenigen, der, um die Wortwahl des BGH im „Dolantin-Fall“ zu bemühen, „schwerste, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen“ 164 leiden muss, schon nach herkömmlichem Sprachverständnis wohl kaum als nicht nachteilig beeinflusst betrachtet werden kann. Ein gesetzlicher Patientenvertreter darf sich einer medizinisch indizierten Schmerzmittelgabe folglich nicht widersetzen. Der in den Fällen der indirekten Sterbehilfe möglicherweise eintretende Tod des Patienten gehört nach dieser Lesart zu den „üblichen Eingriffsrisiken“ i. S. d. § 16 Abs. 4 GesG.165

159 Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 167; vgl. auch VerfGE 36/2000. (X. 27.) AB, MKöz 2000, 6619 (6629 f.). 160 Die Gesetzesmaterialien geben keinen Aufschluss hierüber und auch in der Literatur wird diese Frage nicht erörtert. 161 Allerdings wird insb. bei Tumorschmerzen sehr häufig eine Chronifizierung drohen, die dann auch alle Merkmale eines pathologischen Zustands aufweist; siehe dazu bei der Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung unten Zweiter Teil C. V. 4. 162 Siehe dazu ausführlich bei der Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung unten Zweiter Teil C. V. 1. 163 Und nach den konkreten Umständen auch kein Übergang zu einer chronischen Schmerzkrankheit zu befürchten ist. 164 BGHSt 42, 301 (305). 165 Zur Frage, ob indirekte Sterbehilfe nur bei möglicher oder aber auch bei von vornherein feststehender Lebensverkürzung zulässig ist, siehe unten Zweiter Teil C. II. 2. c).

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Unklar ist darüber hinaus, ob diese Vorschrift auch auf den gewillkürten Patientenvertreter des geschäftsunfähig gewordenen Patienten anwendbar ist, wie dies namentlich von Gyöngyösi behauptet wird.166 Wäre dem so, dann müsste (auch) er beispielsweise im Vorfeld einer Medikamentengabe grundsätzlich nicht angehört werden, sofern diese auf oralem, d. h. nicht-invasivem Wege erfolgen soll. Der Hinweis von Gyöngyösi, auch der gewillkürte Patientenvertreter sei eine Person i. S. v. § 16 Abs. 2 GesG, weil er nach dem Wortlaut dieser Vorschrift von den dort aufgeführten Personen lediglich vertreten werde, überzeugt aber nicht. Mit der Formulierung „soweit der Patient geschäftsunfähig und keine nach Abs. 1 lit. a erklärungsbefugte Person vorhanden ist“ könnte der Gesetzgeber auch das genaue Gegenteil – die Ziehung einer scharfen Trennlinie zwischen gewillkürtem und gesetzlichem Patientenvertreter – bezweckt haben. Dafür spricht, dass Ersterer seine Entscheidungskompetenz vom Patienten selbst erhält, wohingegen Letzterer lediglich durch eine gesetzgeberische Entscheidung legitimiert ist und seine Rechtsausübung deshalb auch eher aufgrund von Praktikabilitätserwägungen eingeschränkt werden darf. Noch schwerer wiegt jedoch die Existenz von § 17 GesG,167 der die Fiktion der Einwilligung des Patienten für Fälle bestimmt, in denen dieser zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung nicht in der Lage ist und die Einholung der Erklärung seines gewillkürten Patientenvertreters nur mit Verzögerungen möglich wäre (lit. a) bzw. bei invasiven Eingriffen, wenn die Einholung der Erklärung seines gewillkürten oder gesetzlichen Patientenvertreters nur mit Verzögerungen möglich wäre und die verzögerte Durchführung des Eingriffs zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führen würde (lit. b). Auf diese Vorschrift wird noch zurückzukommen sein.168 An dieser Stelle sei nur so viel gesagt, dass aus ihr unmissverständlich die Zuständigkeit des gewillkürten Patientenvertreters auch für nicht-invasive Eingriffe und damit die Nichtanwendbarkeit von § 16 Abs. 4 GesG auf ihn folgt. Wäre die Bestimmung auch auf den gewillkürten Patientenvertreter anwendbar und er nur zur Entscheidung über invasive Eingriffe berufen, würde § 17 Abs. 1 lit. a GesG keinen Sinn ergeben bzw. wäre die Regelung in lit. b ausreichend gewesen. 166

Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 155 f. Im Wortlaut: „(1) Die Einwilligung des Patienten ist zu vermuten, wenn der Patient aufgrund seines Gesundheitszustands keine Einwilligungserklärung abzugeben vermag und a) die Einholung der Erklärung einer Person im Sinne von § 16 Abs. 1 lit. a nur mit Verzögerungen möglich wäre; b) im Fall von invasiven Eingriffen, wenn die Einholung der Erklärung einer Person im Sinne von § 16 Abs. 1 lit. a oder von § 16 Abs. 2 nur mit Verzögerungen möglich wäre und die verspätete Durchführung des Eingriffs zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führen würde. (2) Die Einwilligung des Patienten ist nicht erforderlich, falls die Unterlassung des konkreten Eingriffs oder der Maßnahme a) die Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit anderer – unter Einschluss der Leibesfrucht ab der 24. Schwangerschaftswoche – ernsthaft gefährden würde, ferner, wenn b) der Patient – auch unter Berücksichtigung von § 20– 23 – in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt.“ 168 Siehe unten Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (3) (f). 167

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Diese Erwägungen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidungsbefugnis des gewillkürten Patientenvertreters an anderer Stelle dennoch gravierende Einschränkungen erfährt: § 21 Abs. 1 GesG erklärt einen Behandlungsverzicht i. S. v. § 20 Abs. 2 GesG, d. h. einen solchen, der voraussichtlich zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führt (fortan „qualifizierter Behandlungsverzicht“), sowohl bei geschäftsunfähigen als auch bei beschränkt geschäftsfähigen Patienten generell, d. h. auch mit Wirkung für den gewillkürten Patientenvertreter, für unzulässig. Diese Regelung überschneidet sich mit dem Erfordernis aus § 16 Abs. 4 GesG,169 sodass die Entscheidungskompetenzen von gewillkürtem und gesetzlichem Patientenvertreter im Ergebnis lediglich insoweit divergieren, als nur Ersterer einen „einfachen“ Behandlungsverzicht i. S. v. § 20 Abs. 1 GesG, d. h. einen solchen, der weder „qualifiziert“ im oben genannten Sinne ist noch sich als Ablehnung lebenserhaltender oder lebensrettender Eingriffe i. S. v. § 20 Abs. 3 GesG darstellt (im Folgenden „Behandlungsverzicht am Lebensende“), erklären kann.170 Dies freilich nur unter der Voraussetzung, dass dadurch das Leben oder die körperliche Unversehrtheit anderer nicht gefährdet wird (vgl. § 20 Abs. 1 GesG). Der Entscheidungsspielraum des gesetzlichen Patientenvertreters wird dagegen durch § 16 Abs. 4 GesG so weit eingeengt, dass er neben einem Behandlungsverzicht am Lebensende faktisch nur noch in die vom behandelnden Arzt empfohlenen invasiven Eingriffe einwilligen kann. Die Funktion der Einwilligung als Legitimationsgrundlage ärztlichen Handelns wird dadurch freilich ad absurdum geführt. Es zeigt sich, dass obiges Regelungsregime nicht mehr als ein Feigenblatt für den dahinter zum Vorschein kommenden ärztlichen Paternalismus ist, der durch die Neukodifizierung des Gesundheitsrechts doch gerade überwunden werden sollte. Dieses scheint nach wie vor von dem Gedanken geleitet, der bereits im Gesetz über die Ordnung der Ärzteschaft von 1959 zum Ausdruck kam: Der Arzt hat alles zu tun, was notwendig ist, um das Leben des Patienten zu retten, ihn zu heilen und seine Arbeitsfähig-

169 Sie ist jedoch enger, denn § 21 Abs. 1 GesG verbietet über den Verweis auf § 20 Abs. 2 GesG nur einen Behandlungsverzicht, der voraussichtlich zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führt, wohingegen § 16 Abs. 4 GesG davon spricht, dass die Erklärung des gesetzlichen Patientenvertreters für den Patienten über die üblichen Eingriffsrisiken hinausgehend – die bei einem Behandlungsverzicht ohnehin keine Rolle spielen – nicht nachteilig sein darf. Der Verzicht auf einen medizinisch indizierten (Heil-)Eingriff ist aus objektiver Sicht jedoch immer nachteilig, sofern nicht mehrere Behandlungs- bzw. Eingriffsalternativen bestehen und sich der Verzicht auf eine Maßnahme lediglich als Kehrseite der Entscheidung zugunsten einer anderen darstellt. 170 Das GesG macht keine Angaben darüber, wer über die Zuordnung zu einer der drei Kategorien „einfacher Behandlungsverzicht“, „qualifizierter Behandlungsverzicht“, „Behandlungsverzicht am Lebensende“ entscheidet. Da diese Einteilung allerdings auf einer medizinischen ex ante-Prognose beruht und die Indikationsstellung dem behandelnden Arzt obliegt, der diese in der Patientenakte ausführlich zu dokumentieren hat, erscheint es naheliegend, sie auch seiner Zuständigkeit zu überantworten.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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keit wiederherzustellen.171 Wie noch zu sehen sein wird, zieht sich diese Bevormundung des Patienten wie ein roter Faden durch die gesamten das Arzt-PatientVerhältnis betreffenden Vorschriften des GesG. Als zweite Einschränkung sieht § 16 Abs. 5 GesG vor, dass die Meinung des geschäftsunfähigen bzw. beschränkt geschäftsfähigen Patienten bei einer Entscheidung seine medizinische Versorgung betreffend auch dann im fachlich vertretbaren Umfang zu berücksichtigen ist, wenn die Ausübung des Einwilligungsbzw. Ablehnungsrechts durch eine Person i. S. v. Abs. 2, d. h. einen gesetzlichen Patientenvertreter, erfolgt. Wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, kommt dieser Vorschrift jedoch keine praktische Bedeutung zu. (e) Die Vertretung beschränkt geschäftsfähiger Patienten nach dem GesG Das GesG sah für die Vertretung des beschränkt geschäftsfähigen Patienten ursprünglich dieselben Regeln vor wie für geschäftsunfähige Patienten. Sofern dieser im (noch) geschäftsfähigen Zustand keinen gewillkürten Patientenvertreter i. S. v. § 16 Abs. 1 lit. a GesG benannt hatte, oblag seine Vertretung einem gesetzlichen Patientenvertreter i. S. v. § 16 Abs. 2 GesG, der sich seinem Wortlaut nach auf beide Patientengruppen bezog. In einem Urteil aus dem Jahr 2000 hat das VerfG diese Gleichstellung indes als Verletzung des aus der Menschenwürde abgeleiteten Selbstbestimmungsrechts beanstandet. Zwar könne die verminderte Einsichtsfähigkeit beschränkt geschäftsfähiger Patienten zu ihrem eigenen Schutz eine gesetzliche Einschränkung ihrer Autonomie gebieten, doch sei die in § 16 Abs. 2 GesG vorgesehene Gleichbehandlung mit geschäftsunfähigen Patienten unverhältnismäßig. Daran könne auch die in § 16 Abs. 5 GesG statuierte Verpflichtung zur Berücksichtigung der Meinung des Patienten nichts ändern. Da die Übertragung des Entscheidungsrechts auf die in § 16 Abs. 2 GesG benannten Personen für den Patienten den vollständigen Entzug seines Selbstbestimmungsrechts bedeute, sei diese Regelung toter Buchstabe. Das VerfG strich besagte Wendung deshalb mit Wirkung

171 Siehe dazu oben Zweiter Teil C. II. 1. c) aa) (1) (c). Die hier herausgearbeitete Möglichkeit eines einfachen Behandlungsverzichts durch den gewillkürten Patientenvertreter erscheint insoweit freilich als Systemwidrigkeit, die nicht ohne Weiteres erklärt werden kann. Die Gesetzesmaterialien, die in Ungarn grds. weit weniger ausführlich sind als in Deutschland und sich i. d. R. auf die etwas ausgeschmückte Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken, geben jedenfalls keine Antwort hierauf. Eventuell ließe sich argumentieren, dass einerseits der gewillkürte Patientenvertreter seine Legitimation unmittelbar vom Patienten erhält, andererseits bei einem einfachen Behandlungsverzicht aus gesundheitlicher Sicht aber auch nicht viel auf dem Spiel steht, weshalb sich der Gesetzgeber für eine Anerkennung der Autonomie des Patienten bzw. seines Vertreters entschieden hat.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

zum 31. Dezember 2001 aus der Vorschrift.172 Zugleich trug es dem Gesetzgeber die Ausarbeitung einer verfassungskonformen Lösung auf, für die es zwei Alternativen in Aussicht stellte: Zum einen könne an den im ZGB genannten Gründen für das Vorliegen einer beschränkten Geschäftsfähigkeit und/oder den verschiedenen Behandlungsarten angesetzt werden; zum anderen sei aber auch die Ausarbeitung eines eigenständigen Begriffs- und Garantiesystems für die Entscheidungsfähigkeit bei medizinischen Heileingriffen im GesG denkbar.173 Der ungarische Gesetzgeber, der sich von den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln nicht lösen mochte, entschied sich gegen die letzte Variante. Mit einer zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Novelle174 wurden neben der Legaldefinition des beschränkt geschäftsfähigen Patienten in § 3 lit. t GesG und der Anpassung der einzelnen Patientenrechte auch zwei neue Absätze in § 16 GesG eingefügt, die den Vorgaben des VerfG Rechnung tragen sollen. Der erste, § 16 Abs. 6 GesG, sieht die Anwendung von § 16 Abs. 1 GesG auch im Fall des Minderjährigen vor, der das 16. Lebensjahr vollendet hat. Dieser kann demnach ebenfalls einen gewillkürten Patientenvertreter benennen und jede Person aus dem Kreis der gesetzlichen Patientenvertreter ausschließen. Nicht deutlich wird auf den ersten Blick, ob der Minderjährige für die Benennung der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf oder diese selbstständig vornehmen kann. Wäre Letzteres der Fall, dann würde daraus folgen, dass diese Möglichkeit anderen beschränkt geschäftsfähigen Patienten ebenfalls offensteht, diese hierzu aber der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters (der im Fall des unter 16-jährigen Minderjährigen auch eigeninitiativ tätig werden könnte) be-

172

Im Gegensatz zum BVerfG konnte das ungarische VerfG verfassungswidrige Normen gem. §§ 40–43 des G 1989:XXXII über das Verfassungsgericht v. 30.10.1989, MKöz 1989, 1283 („aVerfGG“) nicht nur für mit der Verfassung unvereinbar erklären, sondern musste es diese aufheben; siehe dazu Spuller, Das Verfassungsgericht der Republik Ungarn (1998), 72 f., dort auch mit dem Hinweis, dass dadurch im Rechtssystem enorme Lücken entstanden, weil der Gesetzgeber bei der Rechtsetzung nicht mit dem Tempo Schritt halten konnte, das das VerfG bei der Aufhebung der Normen bisweilen an den Tag legte. An dieser verfassungsgerichtlichen Befugnis hat sich auch mit Inkrafttreten des neuen VerfGG nichts geändert; vgl. § 41 Abs. 1, wonach bei den Verfahren gem. § 24 (nachträgliche Normenkontrolle), § 25 (Normenkontrolle auf richterlichen Antrag) u. § 26 (Verfassungsbeschwerde) eine für verfassungswidrig erklärte Norm ganz oder teilweise aufzuheben ist. 173 VerfGE 36/2000. (X. 27.) AB, MKöz 2000, 6619 (6625 ff., insb. 6627 f.). Ausführlich zu dieser Entscheidung und ihren legislatorischen Konsequenzen Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 123 ff. 174 G 2001:XXXIV über die Pflicht zur gesundheitlichen Fachversorgung sowie die Änderung einiger Gesetze mit Bezug auf das Gesundheitswesen v. 12.6.2001, MKöz 2001, 4132; direkte Folge der Entscheidung war auch das G 2001:XV über die Änderung einiger Vorschriften in Zusammenhang mit der Geschäftsfähigkeit und Betreuung v. 4.5.2001, MKöz 2001, 3351, mit dem die personenrechtlichen Vorschriften im ZGB auf ihren heutigen Stand gebracht wurden.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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dürfen; wäre Ersteres der Fall, dann würde dies bedeuten, dass diese Möglichkeit anderen beschränkt geschäftsfähigen Patienten nicht offensteht, ansonsten die Vorschrift hinfällig würde.175 Für die Beantwortung dieser Frage genügt ein Blick auf den ebenfalls im Zuge der Novelle eingefügten § 16 Abs. 7 GesG, wonach § 16 Abs. 4 GesG auch auf die Erklärung des gesetzlichen Vertreters des beschränkt geschäftsfähigen Patienten bzw. auf die Erklärung der vom beschränkt geschäftsfähigen Patienten nach § 16 Abs. 1 lit. a GesG benannten Person anzuwenden ist. Steht die Möglichkeit einer gewillkürten Patientenvertretung demnach auch (anderen) beschränkt geschäftsfähigen Patienten offen, bedürfen diese, sofern es sich bei ihnen nicht um über 16-jährige Minderjährige handelt, für die Wirksamkeit ihrer Erklärung der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters (der im Fall des unter 16-jährigen Minderjährigen auch eigeninitiativ tätig werden kann).176 Macht der beschränkt geschäftsfähige Patient von der Möglichkeit einer gewillkürten Patientenvertretung nicht erst für den Fall des Eintritts der Geschäftsunfähigkeit Gebrauch, stellt sich zusätzlich die Frage nach dem Verhältnis von Patient und Patientenvertreter sowohl zum gesetzlichen Vertreter als auch zueinander.177 Was den gesetzlichen Vertreter anbelangt, ist dieser grundsätzlich nicht anstelle des Patienten entscheidungsbefugt, weil ansonsten beschränkt geschäftsfähige und geschäftsunfähige Patienten auf eine Stufe gestellt würden. Hierfür hätte es aber keiner Modifikation des Gesetzes bedurft: Es wurde bereits dargelegt, dass § 16 Abs. 2 GesG eine hierarchische Vertretung – mit dem gesetzlichen Vertreter an der Spitze – ursprünglich auch im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Patienten vorsah. Da § 16 Abs. 4 GesG im Hinblick auf diese Patientengruppe – jedenfalls soweit es um invasive Eingriffe geht – keine von den allgemeinen Vorschriften des ZGB abweichende Beurteilung seiner Entscheidungshoheit gebietet, ist der gesetzliche Vertreter lediglich dazu berufen, der Entscheidung des Patienten nach Maßgabe dieser Vorschrift zuzustimmen bzw. dies zu verweigern.178

175

Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 169. So Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 170, dem zufolge diese Grundsätze in gleichem Maße auch für die Abberufung des gewillkürten Patientenvertreters gelten. 177 Bestellt der beschränkt geschäftsfähige Patient einen gewillkürten Patientenvertreter für den Eintritt späterer Geschäftsunfähigkeit, richtet sich seine Vertretung nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Vertretung geschäftsunfähiger Patienten, allerdings mit der Ausnahme, dass für den gewillkürten Patientenvertreter gem. § 16 Abs. 7 GesG die Einschränkungen von Abs. 4 gelten. 178 Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 170 f. Eine Ausnahme gilt jedoch im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen, bei dem der gesetzliche Vertreter nach § 12/A Abs. 5 ZGB zur stellvertretenden Entscheidung befugt ist, wobei wiederum die Vorgaben des § 16 Abs. 4 ZGB zu beachten sind. 176

230

2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Dagegen erklärt der gewillkürte Patientenvertreter die Einwilligung in einen Eingriff bzw. dessen Ablehnung anstelle des beschränkt geschäftsfähigen Patienten. Da aber nach § 16 Abs. 7 GesG die Einschränkungen von Abs. 4 auch für ihn gelten, dürften sich hinsichtlich der Frage nach der Zulässigkeit invasiver Eingriffe keine Unterschiede ergeben und werden diese im Ergebnis unabhängig davon durchzuführen sein, ob der beschränkt geschäftsfähige Patient sich von einem gewillkürten Patientenvertreter vertreten lässt oder – unter Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters – selbst entscheidet. Wenn die Erklärung des gesetzlichen Vertreters mit Ausnahme eines Behandlungsverzichts am Lebensende für den Gesundheitszustand des Patienten nicht nachteilig sein darf, dann bedeutet dies letztlich nichts anderes, als dass er einer vorteilhaften Erklärung des Patienten – der Einwilligung in den vom Arzt empfohlenen invasiven Eingriff – zustimmen muss bzw. umgekehrt seine Zustimmung nicht verweigern darf und einer nachteiligen Erklärung – der Ablehnung des invasiven Eingriffs – seine Zustimmung versagen muss bzw. ihr umgekehrt nicht zustimmen darf.179 Mit Ausnahme des Behandlungsverzichts am Lebensende kann der beschränkt geschäftsfähige Patient eine solche nachteilige Erklärung aber richtigerweise auch schon selbst nicht abgeben: Der durch besagte Novelle unverändert belassene § 20 Abs. 1 GesG spricht mit Bezug auf die Möglichkeit eines (einfachen) Behandlungsverzichts nur vom geschäftsfähigen Patienten. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der beschränkt geschäftsfähige Patient in sämtliche nicht-invasive und invasive Eingriffe, sofern diese nicht lebenserhaltender oder lebensrettender Natur sind,180 nur einwilligen kann, andernfalls seine Erklärung un179 Dies verkennt wohl Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 171, dem zufolge ein invasiver Eingriff nicht durchgeführt werden darf, wenn der beschränkt geschäftsfähige Patient einwilligt, der gesetzliche Vertreter aber nicht zustimmt. Mit Blick auf § 16 Abs. 4 GesG muss der gesetzliche Vertreter der Einwilligung des Patienten in den invasiven Eingriff zustimmen, andernfalls seine Erklärung dessen Gesundheitszustand nachteilig beeinflussen würde. Vor diesem Hintergrund kommt auch der von Gyöngyösi geschilderten Möglichkeit der Beseitigung der Erklärung des gewillkürten Patientenvertreters durch den beschränkt geschäftsfähigen Patienten in der Praxis kaum einmal eine Bedeutung zu. Da sowohl der gewillkürte Patientenvertreter als auch der gesetzliche Vertreter des beschränkt geschäftsfähigen Patienten den Restriktionen nach § 16 Abs. 4 GesG unterworfen sind, können Meinungsdivergenzen nur insofern wirksam ausgefochten werden, als sie die Auswahl eines konkreten invasiven Eingriffs bei mehreren Behandlungsalternativen betreffen. 180 Die Möglichkeit eines Behandlungsvetos bei lebenserhaltenden oder lebensrettenden Maßnahmen ergibt sich zum einen aus § 16 Abs. 7 GesG, der die für den gesetzlichen Patientenvertreter geltende Restriktion aus § 16 Abs. 4 GesG, der zufolge deren Erklärung den Gesundheitszustand des Patienten mit Ausnahme der Fälle des § 20 Abs. 3 GesG, d. h. von passiver Sterbehilfe, nicht nachteilig beeinflussen darf, auch auf den gesetzlichen Vertreter oder den gewillkürten Patientenvertreter des beschränkt geschäftsfähigen Patienten ausdehnt; zum anderen aus § 21 Abs. 2 GesG, der das in den Fällen eines Behandlungsverzichts am Lebensende bei beschränkt geschäftsfähigen (und geschäftsunfähigen) Patienten durchzuführende Verfahren regelt. Siehe dazu ausführlich bei der passiven Sterbehilfe unten Zweiter Teil C. IV. 2. b).

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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wirksam ist.181 Die Vorschrift des § 21 Abs. 1 GesG, wonach ein qualifizierter Behandlungsverzicht i. S. v. § 20 Abs. 2 GesG auch bei beschränkt geschäftsfähigen Patienten unzulässig ist, hat für diese folglich keine eigenständige Bedeutung. Wiederum zeigt sich eine krasse, nur schwerlich zu rechtfertigende Bevormundung, die durch ein umständliches und schwerfälliges Regelungsregime kaschiert werden soll. In der Literatur wird vereinzelt versucht, diese unbefriedigende Situation dadurch aufzulösen, dass jedenfalls der einfache Behandlungsverzicht des beschränkt geschäftsfähigen Patienten zwar für unwirksam befunden, gleichzeitig aber auch eine Einwilligungsfiktion für unzulässig erachtet wird.182 Diese befremdliche Konstruktion führt indes zu keinem anderen Ergebnis, als wenn dem beschränkt geschäftsfähigen Patienten bzw. bei invasiven Eingriffen auch seinem gesetzlichen Vertreter die entsprechenden Entscheidungskompetenzen eingeräumt würden. Sie ist daher mit dem klaren Wortlaut der §§ 20 Abs. 1, 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG nicht zu vereinbaren, mögen diese Vorschriften auch noch so bedenklich sein. (f) Ausnahmen vom Einwilligungserfordernis Das GesG sieht in den §§ 17, 18 GesG mehrere Ausnahmen vom Einwilligungserfordernis vor, wobei § 18 GesG die Zulässigkeit von Operationserweiterungen betrifft, sodass auf seine Erläuterung verzichtet werden kann. Nach § 17 Abs. 1 GesG ist die Einwilligung des Patienten in den Eingriff zu vermuten, wenn er infolge seines Gesundheitszustands zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung nicht in der Lage ist und die Einholung der Erklärung seines gewillkürten Patientenvertreters nur mit Verzögerung möglich wäre (lit. a) bzw. bei invasiven Eingriffen, wenn die Einholung der Erklärung seines gewillkürten oder seines gesetzlichen Patientenvertreters nur mit Verzögerung möglich wäre und die verzögerte Durchführung des Eingriffs zu schweren oder dauernden Gesundheitsschäden des Patienten führen würde (lit. b).

181 Wie sich aus § 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG e contrario ergibt, bedarf die Einwilligung in nicht-invasive Eingriffe dann auch nicht der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des beschränkt geschäftsfähigen Patienten. Diese Vorschriften stellen insoweit eine die allgemeinen ZGB-Vorschriften verdrängende Ausnahme i. S. d. § 3 lit. t GesG dar. Das scheint Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 172 zu übersehen, wenn er behauptet, das Gesetz enthalte keine solche Ausnahme, sodass die allgemeinen Regeln zum Tragen kämen und der Patient auch bei nicht-invasiven Eingriffen grds. der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedürfe. 182 So Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 172, der seine Ausführungen aber nur auf invasive Maßnahmen bezieht. Die skizzierte Problematik betrifft jedoch invasive wie nicht-invasive Eingriffe gleichermaßen.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Diese Vorschrift ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich: Zunächst einmal ist § 17 Abs. 1 GesG unpräzise formuliert, da nach seinem Wortlaut die Einwilligung des Patienten vermutet wird, ihre Anwendung aber die Geschäftsunfähigkeit des Patienten voraussetzt. Ist der Patient geschäftsunfähig, dann ist die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts nämlich beim gewillkürten bzw. subsidiär beim gesetzlichen Patientenvertreter monopolisiert.183 Dies erkennt auch § 17 Abs. 1 GesG an, indem die Einwilligungsfiktion ja nur für den Fall vorgesehen ist, dass die Einholung der Erklärung des gewillkürten bzw. bei invasiven Eingriffen auch des gesetzlichen Patientenvertreters nur mit Verzögerungen möglich wäre. Dann aber müsste es genau genommen die Einwilligung des gewillkürten oder des gesetzlichen Patientenvertreters sein, die vermutet wird.184 Daneben ist dem Gesetzgeber ein Fehler unterlaufen, wenn er in § 17 Abs. 1 lit. a GesG für nicht-invasive Eingriffe undifferenziert auf den gewillkürten Patientenvertreter abstellt. Wie gezeigt, ist der gewillkürte Patientenvertreter nur dann auch zur Entscheidung über nicht-invasive Eingriffe befugt, wenn er vom geschäftsfähigen Patienten bestellt wurde. Wurde er dagegen vom beschränkt geschäftsfähigen Patienten bestellt, so folgt aus § 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG die Beschränkung seiner Entscheidungsbefugnis auf invasive Eingriffe. § 17 Abs. 1 lit. a GesG hätte daher sinngemäß lauten müssen: „[. . .] und die Einholung der Erklärung seines gewillkürten Patientenvertreters nur mit Verzögerungen möglich wäre, wobei es auf diese nur dann ankommt, wenn er vom geschäftsfähigen Patienten bestellt wurde“. Des Weiteren mutet es bedenklich an, wenn § 17 Abs. 1 lit. a GesG die Einwilligungsfiktion bei nicht-invasiven Eingriffen nur von der nicht-rechtzeitigen Einholbarkeit der Erklärung des gewillkürten Patientenvertreters abhängig macht und damit auf das in lit. b enthaltene Erfordernis der Gefahr schwerer oder dauernder Gesundheitsschäden bei verzögerter Durchführung des Eingriffs verzichtet.185 Es ist nicht wirklich ersichtlich, wieso bei nicht-invasiven Eingriffen eine Einwilligungsfiktion an großzügigere Voraussetzungen gebunden werden 183 Vgl. auch die Ausführungen oben Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (3) (e) zu VerfGE 36/2000. (X. 27.) AB, MKöz 2000, 6619. 184 Ähnlich Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 173, der jedoch zu Unrecht davon ausgeht, dass die Norm auch auf den beschränkt geschäftsfähigen Patienten anwendbar ist. Dass dies nicht der Fall ist, folgt bereits aus § 17 Abs. 1 lit. a GesG: Da der beschränkt geschäftsfähige Patient die Einwilligung in nicht-invasive Eingriffe selbstständig wirksam erklären kann, ist ihre Fiktion (unter der Voraussetzung der nicht-rechtzeitigen Einholbarkeit der Erklärung seines gewillkürten Patientenvertreters) gar nicht notwendig. 185 Vgl. aber auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 173, der davon auszugehen scheint, dass sich das Erfordernis der Gefahr schwerer oder dauerhafter Gesundheitsschäden bei verzögerter Durchführung des Eingriffs auch auf § 17 Abs. 1 lit. a GesG bezieht.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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sollte als bei invasiven. Zwar dürfte das Eingriffsrisiko bei invasiven Eingriffen regelmäßig höher sein als bei nicht-invasiven. Indes hebt § 17 Abs. 1 lit. b GesG seinem Wortlaut nach auf diesen Umstand gerade nicht ab. Maßgeblich ist vielmehr das aus der Verzögerung des Eingriffs resultierende Gefahrenpotenzial, das bei invasiven wie nicht-invasiven Verfahren durchaus vergleichbar sein kann. Diese Vorschrift höhlt das Entscheidungsmonopol des gewillkürten Patientenvertreters aus, was insofern problematisch ist, als er seine Entscheidungskompetenz im Gegensatz zum gesetzlichen Patientenvertreter direkt vom Patienten bezieht und diese ohnehin schon sehr weitreichenden Einschränkungen unterworfen ist. Fraglich ist zudem, wie in den in § 17 Abs. 1 lit. b GesG geschilderten Fällen zu verfahren ist, wenn es sich nicht um einen geschäftsunfähigen, sondern um einen beschränkt geschäftsfähigen Patienten handelt.186 Dass § 17 Abs. 1 GesG auf den beschränkt geschäftsfähigen Patienten nicht anwendbar ist, wurde zu Beginn dieses Abschnitts bereits erwähnt. Es könnte daran gedacht werden, die Autonomie des Patienten bei Nichterreichbarkeit seines gewillkürten oder seines gesetzlichen Patientenvertreters ausnahmsweise anzuerkennen und ihm eine verbindliche Entscheidung über invasive Eingriffe auch dann zuzugestehen, wenn deren Unterbleiben oder verzögerte Durchführung zu schweren oder dauernden Gesundheitsschäden für ihn führen würde. Damit würde man sich freilich in Widerspruch zu den Regelungen des GesG setzen, die einen qualifizierten Behandlungsverzicht bei geschäftsunfähigen und beschränkt geschäftsfähigen Patienten nicht gestatten.187 Man wird daher auch im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Patienten nicht um eine Einwilligungsfiktion herumkommen, die dogmatisch auf eine entsprechende Anwendung von § 17 Abs. 1 lit. b GesG gestützt werden kann. Schließlich sieht sich § 17 Abs. 1 GesG auch dem Vorwurf ausgesetzt, zusammen mit den übrigen Bestimmungen zur Vertretung geschäftsunfähiger und beschränkt geschäftsfähiger Patienten in die Irre zu führen. Indem sie die Einwilligungsfiktion nur für den Fall der nicht-rechtzeitigen Einholbarkeit der Erklärungen von gewillkürtem oder gesetzlichem Patientenvertreter gestattet, suggeriert 186 Zur Erinnerung: Die Entscheidung über nicht-invasive Eingriffe kann der beschränkt geschäftsfähige Patient theoretisch selbst treffen, wenngleich seine dahingehende Kompetenz in der Praxis durch § 20 Abs. 1 GesG, der im Zusammenhang mit einem Behandlungsverzicht nur vom geschäftsfähigen Patienten spricht, i. E. aufgehoben wird. 187 Eine entsprechende Beschränkung ergibt sich für den beschränkt geschäftsfähigen Patienten neben § 20 Abs. 1 GesG (vgl. vorherige Fn.) aus § 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG, wonach die Erklärung seines gesetzlichen Vertreters bzw. gewillkürten Patientenvertreters seinen Gesundheitszustand nicht nachteilig beeinflussen und insb. nicht zu einer schweren oder dauerhaften Gesundheitsschädigung führen darf. Schließlich erklärt auch § 21 Abs. 1 GesG einen qualifizierten Behandlungsverzicht bei beschränkt geschäftsfähigen (und geschäftsunfähigen) Patienten generell für unzulässig, wobei der Vorschrift bei dieser Patientengruppe mit Blick auf vorgenannte Regelungen keine eigenständige Bedeutung zukommt.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

auch diese Vorschrift ein Entscheidungsrecht dieser Personen, das ihnen vom GesG in Wirklichkeit gar nicht zugestanden wird. Soweit es um den gewillkürten Patientenvertreter geht, wurde dargelegt, dass dieser einen einfachen und einen Behandlungsverzicht am Lebensende, nicht aber einen qualifizierten Behandlungsverzicht erklären kann.188 Tut er dies doch, so ist diese Erklärung unwirksam; dann kann – und muss – sich der Arzt über seinen Willen hinwegsetzen.189 Handelt es sich bei dem medizinisch indizierten Eingriff um einen solchen, der im Fall seines Unterbleibens zu schweren oder dauernden Gesundheitsschäden des Patienten führen würde, so ist das Abstellen auf die Erklärung des gewillkürten Patientenvertreters folglich als bloßer Formalismus zu verurteilen, da der Eingriff unabhängig davon durchgeführt wird, wie er sich entscheidet. Gleiches gilt für den gesetzlichen Patientenvertreter (und den durch den beschränkt geschäftsfähigen Patienten bestellten gewillkürten Patientenvertreter), dessen Entscheidungskompetenz freilich noch einmal insofern eingeschränkt ist, als sie nur invasive lebenserhaltende und lebensrettende Eingriffe umfasst. Auch hier ist es reiner Formalismus, wenn sich der gesetzliche Patientenvertreter zu Eingriffen erklären muss, die im Fall ihres Unterbleibens nicht zum Tode des Patienten führen und die er deshalb ohnehin nicht wirksam ablehnen kann. Als weitere Ausnahme legt § 17 Abs. 2 GesG fest, dass die Einwilligung des Patienten nicht erforderlich ist, wenn das Unterbleiben des konkreten Eingriffs oder der Maßnahme die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit anderer – unter Einschluss der Leibesfrucht ab der 24. Schwangerschaftswoche – schwer gefährden würde (lit. a) oder der Patient – auch mit Blick auf die §§ 20–23 GesG – in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt (lit. b). Diese Vorschrift ist in zweifacher Hinsicht kritikwürdig: In Anlehnung an den entsprechenden Einwand bei § 17 Abs. 1 GesG ist zum einen auch hier zu bemängeln, dass der Gesetzgeber nur von der (nicht erforderlichen) Einwilligung des Patienten spricht. Insoweit § 17 Abs. 2 GesG auch geschäftsunfähige und beschränkt geschäftsfähige Patienten erfasst, bleibt damit unberücksichtigt, dass die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts bei der ersten Gruppe beim gewillkürten bzw. subsidiär beim gesetzlichen Patientenvertreter monopolisiert ist und bei der zweiten Gruppe bei einem gewillkürten Patientenvertreter monopolisiert sein kann. Kritik verdient darüber hinaus der Umstand, dass § 17 Abs. 2 lit. a GesG die Zulässigkeit des Eingriffs oder der Maßnahme von der Abwendung einer schweren Gefahr für die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit anderer ab188

Siehe oben Zweiter Teil C. II. c) bb) (3) (d). Vgl. dazu auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 160 ff., der jedoch die weitreichenden Beschränkungen der Entscheidungskompetenzen von gewillkürtem und gesetzlichem Patientenvertreter zu verkennen scheint. 189

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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hängig macht. Dadurch wird e contrario der Eindruck erweckt, bei einer bloß „leichten“ Gefährdung sei die Einwilligung des Patienten (gegebenenfalls i.V. m. der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters) bzw. seines gewillkürten oder gesetzlichen Patientenvertreters erforderlich. Dieser Eindruck täuscht. Aus § 20 Abs. 1 GesG folgt die grundsätzliche Unzulässigkeit eines Behandlungsverzichts, wenn dadurch das Leben oder die körperliche Unversehrtheit anderer gefährdet wird. Diese Vorschrift dient damit als Grundlage für ein entsprechendes Zwangsbehandlungsrecht des Arztes, das freilich weiter ist als das in § 17 Abs. 2 lit. a GesG normierte und diesen deshalb in der Praxis weitestgehend zu einem toten Buchstaben verkommen lässt.190 Ein Anwendungsbereich ist der Norm nur insoweit beschieden, als sie explizit auch die Leibesfrucht in den geschützten Personenkreis einbezieht. (4) Zusammenfassung Zusammengefasst ergibt sich für die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe nach dem GesG das folgende Bild: Ist der Patient (voll) geschäftsfähig, dann darf eine lebensverkürzende Schmerztherapie nur durchgeführt werden, wenn er zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt wurde und auf dieser Grundlage in die Medikamentengabe eingewilligt hat. Sind invasive Schmerzlinderungsmaßnahmen indiziert, dann ist die Einwilligung schriftlich bzw. – im Fall von Schreibunfähigkeit – mündlich oder auf sonstige Weise vor zwei Zeugen zu erklären. Beim beschränkt geschäftsfähigen Patienten ist eine medizinisch indizierte Schmerzlinderung hingegen stets, d. h. gegebenenfalls auch zwangsweise, durchzuführen. Seine auf den ersten Blick vorhandene Entscheidungszuständigkeit wird zum einen dadurch faktisch aufgehoben, dass der einen Behandlungsverzicht regelnde § 20 Abs. 1 GesG nur vom (voll) geschäftsfähigen Patienten spricht; zum anderen dadurch, dass sein Gesundheitszustand durch die Erklärung seines gesetzlichen Vertreters bzw. gewillkürten Patientenvertreters nicht nachteilig beeinflusst werden darf (§ 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG). Das ist bei der Ablehnung einer medizinisch indizierten Schmerzlinderung nach der hier vertretenen Auffassung aber immer der Fall. Diese Einschränkung gilt auch für den gesetzlichen Patientenvertreter des geschäftsunfähigen Patienten. Auf seinen gewillkürten Patientenvertreter ist sie hin190 Vgl. auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 174, der – wiederum streng formalistisch – davon ausgeht, dass die Einwilligung des Patienten einzuholen ist, wenn und soweit das Unterbleiben des Eingriffs die Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit anderer zwar zu schädigen droht, diese Schäden aber voraussichtlich nicht schwerwiegend sein werden. Verweigere er sie, so erkläre er der Sache nach einen Behandlungsverzicht, der aber mit Blick auf § 20 Abs. 1 GesG nicht berücksichtigt werden dürfe.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

gegen grundsätzlich nicht anwendbar.191 Die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe hängt hier davon ab, ob man die Ablehnung schmerztherapeutischer Maßnahmen als einfachen oder aber als qualifizierten Behandlungsverzicht i. S. v. § 20 Abs. 2 GesG begreift, der bei dieser Patientengruppe gem. § 21 Abs. 1 GesG unzulässig ist.192 Fraglich ist mit anderen Worten, ob die Therapieverweigerung in solchen Fällen voraussichtlich zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führt. Keiner der beiden Begriffe wird im GesG definiert und auch die Gesetzesmaterialien geben – ebenso wie die einschlägige Literatur – insoweit keinen Aufschluss. Geht man jedoch bei der in § 16 Abs. 4 GesG anzutreffenden Formulierung einer nachteiligen Beeinflussung des Gesundheitszustands davon aus, dass auch eine (gegebenenfalls durch Unterlassen bewirkte) Schmerzzufügung erfasst wird und stellt man zudem in Rechnung, dass die eine indirekte Sterbehilfe erforderlich machenden Schmerzzustände in der Regel gravierend sein dürften (Stichwort „Vernichtungsschmerzen“), dann kann – und muss – man von ihrer Einordnung als „schwere Gesundheitsschädigung“ i. S. d. § 20 Abs. 2 GesG ausgehen.193 Eine medizinisch indizierte Schmerzlinderung ist also auch beim geschäftsunfähigen Patienten stets, d. h. gegebenenfalls zwangsweise, durchzuführen. Ergänzend sei angemerkt, dass obige Einordnung auch für den geschäftsfähigen Patienten Folgen hat, der ein eventuelles Behandlungsveto in einer öffentlichen Urkunde oder in einer Privaturkunde mit voller Beweiskraft niederlegen muss; im Fall von Schreibunfähigkeit ist auch eine mündliche Erklärung ausreichend, sofern zwei Zeugen zugegen sind (vgl. § 20 Abs. 2 GesG). cc) Verhältnis zur Notstandslösung/Auswirkung von Formund Verfahrensverstößen Kann die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe nach dem oben Gesagten sowohl auf eine entsprechende Ermächtigung im GesG als auch auf rechtfertigenden Notstand gestützt werden, stellt sich weitergehend die Frage nach dem Verhältnis beider Rechtfertigungslösungen. Ihre Beantwortung ist vergleichsweise einfach: Maßgeblich ist nur erstere. Für den Bereich ärztlichen Tätigwerdens legt das 191 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf den Fall, dass der (jetzt) geschäftsunfähige Patient bei der Bestellung des gewillkürten Patientenvertreters beschränkt geschäftsfähig war; denn dann gelten die Einschränkungen in § 16 Abs. 4 GesG über § 16 Abs. 7 GesG auch für den gewillkürten Patientenvertreter. 192 Die Vorschrift gilt auch für die Gruppe der beschränkt geschäftsfähigen Patienten; indes kommt ihr mit Blick auf die soeben dargelegten §§ 20 Abs. 1, 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG keine eigenständige Bedeutung zu. 193 Dies gilt umso mehr, als eine nicht rechtzeitig eingeleitete Schmerztherapie insb. bei Krebserkrankungen fast immer zum Entstehen einer chronischen Schmerzkrankheit führt, deren wirksame Behandlung ggf. sehr aufwendig sein und nur in spezialisierten klinischen Schmerzzentren u. -ambulanzen erfolgen kann. Näher dazu bei der Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung unten Zweiter Teil C. V. 4.

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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GesG abschließend fest, welche Verhaltensweisen im Verhältnis zum Patienten zulässig sind und welche nicht. Die Frage der strafrechtlichen Beurteilung ärztlicher (Tötungs-)Handlungen ist in Ungarn deshalb grundsätzlich eine zivilrechts- bzw. verwaltungsakzessorische.194 Daraus folgt allgemein für den Bereich der Sterbehilfe, dass, soweit das GesG ein lebensverkürzendes Verhalten des Arztes zumindest partiell enger regeln, gegebenenfalls auch Formvorschriften und/ oder ein bestimmtes Verfahren vorsehen sollte, diese gesetzgeberische Entscheidung nicht durch einen Rückgriff auf die allgemeinen Notstandsregeln unterlaufen werden darf. Eine andere Frage ist, ob auch jeder noch so geringe Verstoß gegen das betreffende Regelungsregime dazu führen muss, dass der Täter wegen eines Tötungsdelikts zu bestrafen ist. Man denke etwa an folgenden Fall: Ein Patient mit Krebs im Endstadium leidet unerträgliche Schmerzen, um deren Linderung er seinen behandelnden Arzt ersucht. Dieser schlägt dem Patienten eine kontrollierte Morphingabe über eine intravenös zu legende Kanüle vor. Gleichzeitig macht er ihn auf die möglichen Nebenwirkungen dieses Eingriffs aufmerksam, die im konkreten Fall v. a. in einer medizinisch nur schwer kontrollierbaren Atemdepression bestehen. Allerdings vergisst er aufgrund chronischer Arbeitsüberlastung, auf das in § 15 Abs. 5 GesG geregelte Schriftformerfordernis bei einer Einwilligung in invasive Eingriffe hinzuweisen. Der Patient erklärt die Einwilligung denn auch nur mündlich. Nachdem der Arzt die Kanüle gelegt und das Morphin injiziert hat, tritt kurze Zeit später die befürchtete Atemdepression ein und der Patient verstirbt. Ist der Arzt in diesem Fall wegen Totschlags gem. § 166 Abs. 1 uStGB strafbar? Ausgehend von ihrem streng zivilrechts- bzw. verwaltungsakzessorischen Standpunkt würde diese Frage von der ungarischen Lehre vermutlich bejaht.195 Im „deutschen“ Teil dieser Arbeit wurde in Bezug auf die ähnlich gelagerte Problematik des Verstoßes gegen die prozeduralen Regeln der §§ 1901a, 1901b BGB bei der passiven Sterbehilfe freilich der gegenteilige Standpunkt eingenommen und das Vorliegen eines Tötungsdelikts verneint, wenn die betreuungsrechtswidrige Nichteinleitung bzw. -fortführung einer Behandlung sowohl objektiv als auch 194 Eine eindeutige Zuordnung der Vorschriften zum Arzt-Patient-Verhältnis zu einem der beiden Rechtsgebiete ist nicht möglich: Während etwa die Formvorschriften die Einwilligung des Patienten betreffend zivilrechtlicher Natur sind, haben die noch darzustellenden Verfahrensregeln bei der passiven Sterbehilfe tendenziell verwaltungsrechtlichen Charakter. 195 Vgl. etwa Belovics u. a., ÁR, 148 sowie Görgényi u. a., ÁR, 196 f., die dort allerdings nur davon sprechen, dass ein invasiver ärztlicher Eingriff als Körperverletzung zu beurteilen ist, wenn das im GesG für die Einwilligung des Patienten vorgeschriebene Schriftformerfordernis nicht erfüllt ist. Konsequenterweise müsste aber genauso von einem Tötungsdelikt auszugehen sein, wenn ein form- und/oder verfahrenswidriger ärztlicher Eingriff nicht nur eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Patienten, sondern auch dessen Tod bewirkt.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

subjektiv dem (mutmaßlichen) Patientenwillen entspricht. Begründet wurde dies mit dem in solchen Fällen fehlenden Erfolgsunrecht sowie dem Umstand, dass der Behandlungsverzicht allein durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten legitimiert wird, wohingegen die Verfahrensregeln der §§ 1901a, 1901b BGB lediglich die Ermittlung des Patientenwillens als materiellen Dreh- und Angelpunkt der strafrechtlichen Bewertung erleichtern sollen.196 Ungeachtet dessen, dass es hier nicht um einen Behandlungsverzicht, sondern um eine aktiv-lebensverkürzende Schmerzlinderung geht, ließe sich gegen die Übertragbarkeit dieser Erwägungen auf den vorliegenden Fall allenfalls anführen, dass der Unterschied zwischen den betreuungsrechtlichen Vorschriften des BGB und den Regeln des GesG gerade darin zu sehen ist, dass Letztere nach dem Willen des Gesetzgebers allgemeinverbindliche, d. h. auch für das Strafrecht als sekundäre Normenordnung bindende spezifische Regeln für die Abgrenzung erlaubter Sterbehilfe von verbotener Tötung enthalten. Doch selbst dann wird man die Pönalisierung eines Verstoßes gegen bloße Form- und/oder Verfahrensvorschriften als Tötungsdelikt mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für sehr bedenklich halten müssen. Der ungarischen Lehre sind derlei Erwägungen freilich fremd; ein mit der Aufweichung ihres streng zivilrechts- bzw. verwaltungsakzessorischen Standpunkts verbundener Paradigmenwechsel steht in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten.197 2. Reichweite der Straflosigkeit Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe auf den Rechtfertigungsgrund der gesetzlichen Ermächtigung gestützt werden kann bzw. aus § 6 Abs. 1 i.V. m. § 129 Abs. 1, 2 GesG folgt, so sind die in Deutschland diskutierten Fragen zu ihrer Reichweite198 wie folgt zu beantworten: a) Straflosigkeit auch bei schweren Leidenszuständen Die Frage, ob die zulässige indirekte Sterbehilfe notwendig schwere Schmerzen beim Patienten voraussetzt oder darüber hinaus auch schwere, anders nicht 196 Eingehend Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 179; siehe auch oben Erster Teil B. II. 3. b) dd). 197 Vgl. auch Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 30, wonach der ungarische Rechtsstil durch einen starken Formalismus geprägt sei und einem Anspruch i. d. R. nur im Fall hundertprozentiger Subsumierbarkeit unter den – normenpositivistisch streng ausgelegten – Gesetzeswortlaut stattgegeben werde. Bereits bei geringsten Zweifeln in dieser Hinsicht tendierten insb. untere Gerichte zur Ablehnung eines Anspruchs, wobei dies nicht nur für materielle, sondern ebenso bzw. noch mehr für Formerfordernisse gelte, unabhängig von deren Einfluss auf den Verfahrensablauf oder die materielle Rechtslage. 198 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c).

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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zu behebende Leiden in Betracht kommen, ist in letzterem Sinne zu beantworten. § 6 Abs. 1 GesG spricht wörtlich davon, dass jeder Patient ein Recht auf „Linderung seiner Schmerzen und Minderung seiner Leiden“ hat.199 Ein riskantes ärztliches Eingreifen i. S. einer indirekten Sterbehilfe ist daher richtigerweise auch dann zulässig, wenn es beispielsweise um die Bekämpfung Erstickungsangst auslösender Atemnot oder ähnlicher Zustände geht. b) Straflosigkeit auch vor Einsetzen des Sterbevorgangs Eindeutig ist die Rechtslage auch hinsichtlich der zeitlichen Dimension indirekter Sterbehilfe. In § 6 Abs. 1 GesG heißt es ganz allgemein, dass jeder Patient das Recht auf Schmerz- und Leidenslinderung hat. Folglich ist die Verabreichung hochwirksamer Analgetika mit der Gefahr einer Todesbeschleunigung auch dann zulässig und geboten, wenn sich der unter unerträglichen Schmerzen bzw. sonst schwer Leidende noch nicht in der Sterbephase befindet, sondern unter Umständen noch mehrere Wochen oder gar Monate zu leben hat.200 c) Straflosigkeit nur bei möglicher Lebensverkürzung Keine Schwierigkeiten bereitet schließlich auch die Beantwortung der Frage, ob nur Fälle möglicher oder auch von vornherein feststehender Lebensverkürzung in den Bereich erlaubter indirekter Sterbehilfe einzubeziehen sind.201 Gemäß § 129 Abs. 2 lit. b GesG ist Voraussetzung jeder Therapiemethode, dass das Risiko des Eingriffs geringer als das seiner Unterlassung ist bzw. für seine Eingehung ein profunder Grund besteht. Damit ist klargestellt, dass eine Behandlung nicht durchgeführt werden darf, wenn aus dem mit ihr verbundenen Risiko Ge199 Vgl. auch den Ethik-Kodex der Ungarischen Ärztekammer, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17), in dem ebenfalls verallgemeinernd von „Leidenslinderung“ die Rede ist. 200 In diesem Sinne äußert sich auch die Ungarische Ärztekammer in ihrem EthikKodex, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17); dort wird schlicht vom Patienten im Endstadium seiner Krankheit gesprochen. Das Endstadium einer Krankheit ist aber strikt vom Einsetzen des Sterbevorgangs zu unterscheiden. 201 Sie findet in Ungarn allerdings keine Entsprechung auf Vorsatzebene. Zwar unterscheidet man auch dort zwischen einem kognitiven und einem voluntativen Vorsatzelement; der Definition des Vorsatzes in § 7 uStGB (§ 13 aStGB) entsprechend („Vorsätzlich handelt, wer die Folgen seines Verhaltens will oder sich mit den Folgen abfindet“) wird für die Unterscheidung zwischen den einzelnen Vorsatzformen aber nur Letzteres als maßgeblich erachtet. Demgemäß wird auch nur zwischen zwei Vorsatzformen differenziert: Mit direktem Vorsatz (dolus directus) handelt der Täter, wenn er neben dem Wissen um die Tatbestandsmerkmale, zumindest in der Form, dass deren Verwirklichung für möglich gehalten wird, auch den Willen aufweist, das strafrechtlich verpönte Ergebnis zu verwirklichen, sei es als Ziel, Bedingung oder Folge/Nebenfolge eines anderen Ziels. Mit Eventualvorsatz (dolus eventualis) handelt der Täter, wenn er bei gleicher Wissensseite wie beim direkten Vorsatz das strafrechtlich verpönte Ergebnis in Kauf nimmt; näher dazu Belovics u. a., ÁR, 109 ff.

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wissheit wird.202 Ergänzend sei noch einmal angemerkt, dass in solchen Fällen auch keine Notstandsrechtfertigung in Betracht kommt, weil die Vorschriften des GesG zum Arzt-Patient-Verhältnis als abschließende Regelung zu verstehen sind und insoweit eine Sperrwirkung entfalten.203 Wer dies anders sieht, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers zu unterlaufen.

III. Die aktive Sterbehilfe Das vorstehend zur indirekten Sterbehilfe Gesagte hat weitreichende Implikationen für die rechtliche Beurteilung der aktiven Sterbehilfe. Entgegen der ganz überwiegenden Literatur – Rechtsprechung hierzu gibt es nicht –, die eine aktivgezielte Lebensverkürzung ausnahmslos für unzulässig und als Totschlag oder gar Mord für strafbar hält,204 ist der Täter zumindest dann straflos, wenn sich diese äußerlich als Folge einer medizinisch indizierten Schmerzlinderung darstellt und damit phänotypisch der indirekten Sterbehilfe entspricht. Sofern dabei die Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 i.V. m. § 129 Abs. 1, 2 GesG beachtet werden, ist ein solches Verhalten unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung von Amts- und Berufspflichten oder besser: aufgrund gesetzlicher Ermächtigung als gerechtfertigt anzusehen. Bei der Frage nach einer darüber hinausgehenden Straflosigkeit ist eine differenzierende Betrachtung geboten: Handelt es sich um Sachverhalte aus der Sphäre ärztlicher Heilbehandlung, so ist jede aktiv-gezielte Lebensverkürzung, die sich nicht als eine indirekte Sterbehilfe in dem oben genannten Sinn darstellt oder die nicht der Umsetzung eines nach §§ 20–23 GesG rechtlich beachtlichen Behandlungsvetos dient („technischer Behandlungsabbruch“),205 unzulässig und als Tötungsdelikt auch dann mit Strafe bedroht, wenn – was heutzutage freilich nur noch selten der Fall sein dürfte – die Qualen des Patienten schmerztherapeutisch nicht (mehr) beherrschbar sind. Eine sich in diesen Fällen eigentlich aufdrängende Rechtfertigung nach Notstandsregeln kommt nicht in Betracht, da bereits dargelegt wurde, dass das GesG den Rahmen des im Verhältnis zwischen Arzt und Patient Zulässigen abschließend absteckt.206 Eine „gesetzliche Ermäch202 Vgl. auch den Ethik-Kodex der Ungarischen Ärztekammer, 9 (unter II. 2.2., Abs. 17), in dem nur von einer möglichen Vorverlagerung des Todeszeitpunkts die Rede ist. 203 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) cc). 204 Siehe beispielsweise Belovics/Molnár/Sinku, KR, 94; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 68; Szepesi, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2047; ebenso die Ungarische Ärztekammer, Ethik-Kodex, 8 (unter II. 2.2., Abs. 17) sowie die Ungarische Gesellschaft für Bioethik, Stellungnahme zu „Euthanasie, therapeutischer Übereifer und Versorgung des sterbenden Patienten“ v. 10.2.2003, Abs. 3 Satz 2. 205 Näher dazu unten Zweiter Teil C. IV. 3. a). 206 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) cc) sowie Zweiter Teil C. II. 2. c).

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tigung“ zur Vornahme einer Handlung, die äußerlich nur noch als Tötungs- und nicht mehr als Leidminderungshandlung gedeutet werden kann, lässt sich dem GesG aber nicht entnehmen.207 Klärungsbedürftig ist freilich, wie weit diese gesetzliche Sperrwirkung reicht. So wäre es denkbar, sie auf klinische Sachverhalte zu beschränken, mit der Folge, dass den gesetzlichen Vorgaben im außerklinischen Bereich bzw. im Verhältnis des Patienten zu Dritten, d. h. Personen, die außerhalb des Gesundheitswesens stehen und bei denen es sich deshalb nicht um medizinisches Personal i. S. d. GesG handelt, keine Verbindlichkeit (mehr) zukäme. Gestützt auf die Notstandsvorschrift (§ 23 Abs. 1 uStGB) ließe sich dann dem Todeswunsch des unheilbar Kranken etwa dadurch entsprechen, dass ihm, gegebenenfalls nach seinem Rücktransport aus der Heilanstalt, zu Hause ein tödliches Mittel verabreicht wird. Indes ist evident, dass ein solches Verständnis den Willen des ungarischen Gesetzgebers nach einem möglichst umfassenden und lückenlosen Lebensschutz umgehen würde. Mag dieser Standpunkt auf den ersten Blick auch rigide anmuten, wird er durch die Annahme relativiert, dass die schmerztherapeutischen Möglichkeiten mittlerweile so weit entwickelt sein dürften, dass es kaum noch Fälle gibt, in denen Schmerzen nur durch eine (äußerlich auch als solche zu deutende) Tötungshandlung beseitigt werden können. Mit der Verbringung in den klinischen Bereich und der Zuführung zu ärztlicher Behandlung ist dem Patienten in der weit überwiegenden Zahl der Fälle effektiv geholfen. Solange dies zumindest theoretisch möglich ist, muss der Rekurs auf den rechtfertigenden Notstand ausscheiden.208 207 Vgl. auch Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 168 f., der wie bei der indirekten auch bei einer Straffreistellung aktiver Sterbehilfe mithilfe der Notstandsvorschrift eine Aushöhlung der gesundheitsrechtlichen Vorschriften befürchtet und darauf hinweist, dass das Strafrecht seiner Funktion entsprechend nicht als generelle Ermächtigung für die Tätigkeit des Arztes herhalten dürfe. Im Gegensatz zur Auffassung von Filó ist hier allerdings die Unzulässigkeit der Straffreistellung nicht das Ergebnis einer wertenden Beurteilung, die im Fall der indirekten Sterbehilfe zugunsten und im Fall der aktiven Sterbehilfe zuungunsten der Notstandslösung ausfällt. Vielmehr ergibt sich die Unzulässigkeit aktiver Sterbehilfe aus der Sperrwirkung des GesG und damit in erster Linie aus dogmatischen Überlegungen. Für eine wertende Betrachtung ist jedenfalls insoweit kein Raum mehr. 208 Auf einem anderen Blatt steht freilich geschrieben, ob der Ausbau der Palliativmedizin und des Hospizwesens in Ungarn tatsächlich schon so weit fortgeschritten ist, dass eine adäquate Versorgung aller Bedürftigen gewährleistet werden kann. Dies ist äußerst zweifelhaft, leidet das ungarische Gesundheitssystem doch an chronischer Unterfinanzierung. Die ungarische Regierung machte deshalb unlängst wieder mit einem Vorschlag von sich reden, dem zufolge die staatlichen Beihilfen für teure Therapien, insb. bei Krebserkrankungen, sinken sollten. Zu diesem Zweck wurde vom Nationalen Krebsinstitut in Kooperation mit dem Ministerium für Humanressourcen eine Handlungsanweisung publiziert, die Ärzte wortgemäß zur „Auswahl“ bzw. „Selektion“ anhält. Auf diese Weise sollten vorrangig nur noch Patienten mit „Heilungsperspektive“ unterstützt und „bloß lebensverlängernde Medikationen“ zurückgestellt bzw. vom Patienten selbst finanziert werden. Neben Patientenverbänden und Ärzten zeigte sich auch

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Andererseits gibt es jedoch auch seltene außerklinische Extremfälle, in denen eine Schmerztherapie von vornherein nicht in Betracht kommt, wie etwa im Fall des verunglückten Autofahrers, der in seinem Fahrzeug eingeklemmt bei lebendigem Leibe zu verbrennen droht und sich nicht selbst töten kann.209 Hier kann die Sperrwirkung des GesG von vornherein nicht greifen und erscheint eine Notstandsrechtfertigung denkbar. Voraussetzung muss selbstverständlich auch hier sein, dass der Patient ein ausdrückliches und ernsthaftes Tötungsverlangen äußert oder zumindest in seine Tötung einwilligt.210 Die gegen eine Straffreistellung aktiver Sterbehilfe auch in der ungarischen Diskussion unter Berufung auf angebliche (Fehl-)Entwicklungen in den Niederlanden immer wieder beschworenen Schreckensszenarien eines „Dammbruchs“ oder einer „Rutschbahn“,211 sind unbegründet. Sie stehen, wie schon im „deutschen“ Teil dieser Arbeit betont wurde, bereits empirisch auf tönernen Füßen.212 Normativ bedeutsam ist jedoch, so der überzeugende Hinweis Merkels, dass sich diese Argumente auf utilitaristische Prinzipien des Gesellschaftsschutzes stützen, die ihre Validität immer dort verlieren, wo sie ins Inhumane umschlagen.213 Mit Recht weist deshalb auch Kis in aller Deutlichkeit darauf hin, dass derlei Erwägungen bedenklich sind und deshalb – wenn überhaupt – nur mit größter Umsicht ins Feld geführt werden dürfen: „Wenn nämlich dem Sterbenden, dessen Schmerzen der Arzt nicht zu lindern vermag, der gewünschte Erlösungstod deshalb verder (mittlerweile abgelöste) Parlamentarische Ombudsmann für Grundrechte Szabó empört über diesen Vorschlag, der gegen die Menschenwürde und das Gleichheitsgebot verstoße. Für den Fall eines Gesetzes kündigte er einen Gang vor das VerfG an; siehe PESTER LLOYD v. 14.12.2012 (der Artikel ist im Internet abrufbar unter: , Stand 5.12.2013). Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde zwischenzeitlich allerdings wieder zurückgezogen. Ohnehin dürfen derlei Defizite nicht die Regeln der Strafrechtsdogmatik außer Kraft setzen und zur Straffreistellung eines (lebensverkürzenden) Verhaltens führen, das der Gesetzgeber mit Sicherheit bestraft wissen will. 209 Zu diesem in der deutschen Diskussion oft zitierten Beispiel siehe oben Erster Teil B. I. 2. a). 210 Daran, dass eine derartige Willensbekundung in der konkreten Situation auch rechtlich beachtlich sein muss, kann richtigerweise kein Zweifel bestehen. Sofern Tóth, Jura 1/2001, 87 (88) apodiktisch behauptet, unerträglicher Schmerz schließe die Einwilligungsfähigkeit des Patienten per se aus, verkennt er, dass der Leidensdruck das Motiv für die freiverantwortliche Entscheidung des Patienten, nicht aber ein Kriterium mangelnder Freiverantwortlichkeit ist; siehe für die deutsche Diskussion Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 111. 211 Z. B. Jobbágyi, Az élet joga (2004), 300; ders., Orvosi jog (2007), 167 f.; ferner Filó, KTSz 1–2/1999, 71 (117 ff.); deutlich zurückhaltender aber ders., Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 170 ff., 178, wonach die Liberalisierung einzelner Formen der Sterbehilfe stärkere gesellschaftliche Kontrolle voraussetze, deren adäquates Mittel in einem Rechtsstaat die Schaffung solcher verfahrensmäßiger Kautelen sei, die den Anforderungen der Rechtssicherheit genügten. 212 Siehe oben Erster Teil B. I. 2. a). 213 Merkel, Schroeder-FS (2006), 297 (321); siehe auch oben Erster Teil B. I. 2. a).

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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wehrt wird, weil die Gesellschaft auf diese Weise das Leben anderer Menschen zu bewahren sucht, dann wird der Mensch auf dieser letzten Wegstrecke zur Geisel, zum Werkzeug für den Schutz der Interessen anderer. Dies aber ist genauso wenig zulässig wie seine Tötung zwecks Verfolgung äußerer Interessen. Das Leben kranker Kinder und Erwachsener lässt sich nicht dadurch schützen, dass man andere nicht sterben lässt, sondern dadurch, dass die Hilfe zum Tod an strenge Voraussetzungen gekoppelt wird.“ 214

IV. Die passive Sterbehilfe Wirft die strafrechtliche Beurteilung der indirekten und der aktiven Sterbehilfe wie gesehen zahlreiche Probleme auf, scheint sie mit Blick auf Maßnahmen passiver Sterbehilfe vergleichsweise unproblematisch zu sein: Nahezu sämtliche Autoren – (nicht-verfassungsrechtliche) Rechtsprechung gibt es auch zu dieser Fallgruppe nicht – begnügen sich diesbezüglich mit einem Verweis auf die §§ 20–23 GesG, die das „Recht (des Patienten) auf Behandlungsverzicht“ konkretisieren bzw. einschränken.215 Dies ist im Prinzip auch nicht zu beanstanden, da bereits im Kontext der indirekten und der aktiven Sterbehilfe dargelegt wurde, dass sich die Zulässigkeit ärztlichen Verhaltens abschließend nach dem GesG richtet.216 Jedoch gilt es klarzustellen, dass die auf ein aktives Tun zugeschnittenen Rechtfertigungsgründe „Erfüllung von Amts- und Berufspflichten“ und „gesetzliche Ermächtigung“ jenseits der Fälle eines technischen Behandlungsabbruchs von vornherein nicht greifen können. Das unter den gesetzlichen Voraussetzungen erklärte Behandlungsveto des Patienten bewirkt strafrechtsdogmatisch vielmehr den Fortfall der Garantenstellung des Arztes, der insoweit aus seiner Beschützerposition für das Rechtsgut „Leben“ des Patienten entlassen wird.217 Die Garantenstellung wird andererseits aber auch durch die medizinische Indikation begrenzt: Nach § 7 Abs. 1 GesG hat der Patient (nur) ein Recht auf Maßnahmen, die durch seinen Gesundheitszustand indiziert sind. Gleichsam spiegelbildlich legt § 131 Abs. 3 lit. b GesG fest, dass der Arzt die vom Patienten verlangte Behandlung verweigern kann, wenn diese aus fachlicher Sicht nicht 214

Kis, Az állam semlegessége (1997), 306 f. Siehe z. B. Belovics/Molnár/Sinku, KR, 93 f.; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 68; Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (91 f.); Nagy, in: Filó (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 13 (16 ff.); Tóth, Einführung in das ungarische Strafrecht (2006), 172 f. 216 Siehe oben Zweiter Teil C. II. c) cc) sowie Zweiter Teil C. II. 2. c) u. Zweiter Teil C. III. 217 Auf Tatbestandsebene verortet die Straflosigkeit passiver Sterbehilfe – soweit ersichtlich – nur noch Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 208, der jedoch einen Fortfall der Garantenpflicht annimmt. 215

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indiziert ist. Wie dieser Begriff im Einzelnen mit Leben zu füllen ist, ist freilich auch in Ungarn noch weitestgehend ungeklärt.218 Im Folgenden sollen die einschlägigen Vorschriften dargestellt werden, wobei in Anlehnung an die bei der Darstellung der deutschen Rechtslage getroffene Unterscheidung zwischen einem Behandlungsverzicht am Lebensende bei geschäftsfähigen und bei beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten differenziert wird. Ausgangspunkt der (straf-)rechtlichen Beurteilung ist dabei der in § 20 Abs. 1 GesG niedergelegte Grundsatz, wonach der geschäftsfähige Patient vorbehaltlich der gesetzlichen Ausnahmen (dazu sogleich) ein Recht auf Behandlungsverzicht hat, sofern dadurch Leben und körperliche Unversehrtheit anderer nicht gefährdet werden. 1. Der Behandlungsverzicht am Lebensende beim geschäftsfähigen Patienten Die rechtliche Beurteilung passiver Sterbehilfe richtet sich im „Regelfall“ des voll geschäftsfähigen Patienten nach § 20 Abs. 3–8 GesG, ergänzt durch die RegVO über die ausführlichen Regeln der Ablehnung einzelner medizinischer Maßnahmen (fortan „RegVO-GesG“).219 Zu unterscheiden ist zwischen tatsächlichen, formalen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen. a) Tatsächliche Voraussetzungen Gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 GesG ist die Ablehnung lebenserhaltender220 oder lebensrettender Eingriffe,221 um der Krankheit ihren natürlichen Lauf zu lassen, nur möglich, wenn der Patient an einer schweren Krankheit leidet, die nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft innerhalb kurzer Zeit – auch 218 Vgl. zum Ganzen auch Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 206 ff., der in erster Linie mit den Begriffen „objektive Aussichtslosigkeit“ und „Untauglichkeit“ einer Therapie operiert, diese allerdings nicht näher bestimmt. 219 RegVO 117/1998. (VI. 16.) Korm. über die ausführlichen Regeln der Ablehnung einzelner medizinischer Maßnahmen, MKöz 1998, 4319, erlassen auf der Grundlage einer entsprechenden Ermächtigung in § 247 Abs. 1 lit. a GesG. Die RegVO-GesG gilt gem. deren § 1 lit. b nicht nur für den Behandlungsverzicht am Lebensende, sondern auch für den qualifizierten Behandlungsverzicht. 220 In § 3 lit. n GesG legaldefiniert als „die im Fall dringender Notwendigkeit auf die Rettung des Lebens des Patienten gerichtete Gesundheitstätigkeit“. „Dringende Notwendigkeit“ ist nach der Legaldefinition in § 3 lit. i GesG „eine Änderung des Gesundheitszustands, die im Fall des Fehlens sofortiger medizinischer Versorgung eine Lebensgefahr bzw. schwere oder dauernde Gesundheitsschäden für den Patienten zur Folge hätte“. 221 In § 3 lit. o GesG legaldefiniert als „die auf die künstliche Verlängerung des Lebens des Patienten bzw. auf den Ersatz einzelner Lebensfunktionen gerichtete Gesundheitstätigkeit“.

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bei entsprechender medizinischer Versorgung – zum Tode führt und unheilbar ist.222 Wann der Zeitraum bis zum Tode des Patienten als „kurz“ i. S. d. Vorschrift angesehen werden kann, ist unklar. Das GesG enthält keine Präzisierung dieser Voraussetzung. Sicher ist nur, dass sie nicht losgelöst von der entsprechenden medizinischen Versorgung betrachtet werden darf. Führt eine Krankheit trotz lebenserhaltender oder lebensrettender Eingriffe zum Tode, aber können diese das Leben des Patienten so weit verlängern, dass der Zeitraum bis dahin nicht mehr als „kurz“ anzusehen ist, so ist diesem Kriterium nicht (mehr) Genüge getan. Der Arzt muss in einem solchen Fall auch gegen den ausdrücklichen Willen des geschäftsfähigen Patienten (weiter-)behandeln.223 Die Frage, ob die bis zum Todeseintritt verstreichende Zeit kurz oder lang ist, ist naturgemäß stark subjektiv gefärbt. So können dem leidenden Patienten auch schon einige wenige Tage „lang“ vorkommen. Gleichzeitig folgt aus den Vorschriften über das in diesen Fällen zu durchlaufende Verfahren, dass der Patient nach Erklärung eines Behandlungsverzichts am Lebensende noch mindestens drei Tage geschäftsfähig sein muss, zumal das Gesetz für die Untersuchung durch die Ärztekommission224 keine konkreten Fristen vorschreibt und diese jedenfalls nicht sofort erfolgen wird.225 Daraus kann mit Blick auf das Zeitkriterium geschlossen werden, dass der Gesetzgeber mit „kurz“ keinesfalls Tage, vielmehr Wochen, unter Umständen auch Monate gemeint haben kann.226 Hat der Patient seinen Willen zum Behandlungsverzicht am Lebensende signalisiert, ist er zunächst über die Voraussetzungen hierfür sowie die voraussichtli222 Mit Recht bemerken Dósa, Az orvos kártéritési felelo ˝ssége (2010), 285 u. Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 209, dass diese Formulierung gleich in mehrfacher Hinsicht redundant ist: So ist zum einen nicht denkbar, dass eine Erkrankung, welche innerhalb kurzer Zeit auch bei entsprechender medizinischer Versorgung zum Tode führt, nicht „schwer“ wäre. Eine Erkrankung ist ja auch schon „schwer“, wenn sie ohne medizinische Behandlung zum Tode führt. Überflüssig ist zum anderen aber auch das Kriterium der Unheilbarkeit; auch hier ist nicht denkbar, dass eine Erkrankung, welche innerhalb kurzer Zeit auch bei entsprechender medizinischer Versorgung zum Tode führt, nicht unheilbar wäre. Von daher knüpft der Gesetzgeber die passive Sterbehilfe tatsächlich nur an eine Voraussetzung: Die Erkrankung muss auch bei entsprechender medizinischer Versorgung innerhalb kurzer Zeit zum Tode führen. 223 Zu dieser sehr bedenklichen Zwangsbehandlungspflicht und dem damit korrespondierenden Zwangsbehandlungsrecht des Arztes siehe unten Zweiter Teil C. IV. 1. d). 224 Siehe dazu unten Zweiter Teil C. IV. 1. c). 225 In § 3 Abs. 1 RegVO-GesG heißt es diesbezüglich nur, dass der Direktor des betreffenden Gesundheitsinstituts oder eine von ihm benannte Person dafür Sorge zu tragen hat, dass sich die Ärztekommission „unverzüglich“ konstituiert. Gemäß § 6 Abs. 1 RegVO-GesG richtet sich ihre Einberufung nach den Vorschriften der Hausordnung des jeweiligen Instituts. 226 Dósa, Az orvos kártéritési felelo ˝ ssége (2010), 285 f.; zust. Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 209.

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chen Folgen seiner Entscheidung aufzuklären.227 Dies freilich nur dann, wenn es sich nicht um eine Schwangere handelt, die voraussichtlich wird gebären können: Ihr ist ein Behandlungsverzicht am Lebensende gem. § 20 Abs. 6 GesG von vornherein verwehrt.228 Hält der Patient danach noch immer an seiner Entscheidung fest, ist unverzüglich sicherzustellen, dass die formalen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen ihrer Umsetzung erfüllt werden können (§ 2 Abs. 1, 2 RegVO-GesG). b) Formale Voraussetzungen In formaler Hinsicht ist für den Behandlungsverzicht am Lebensende die Einhaltung der für den qualifizierten Behandlungsverzicht angeordneten Form notwendig (§ 20 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. Abs. 2 GesG). Erforderlich ist demnach die Niederlegung in einer öffentlichen Urkunde oder in einer Privaturkunde mit voller Beweiskraft.229 Ist der Patient schreibunfähig, kann das Behandlungsveto auch mündlich vor zwei Zeugen erklärt werden. In diesem Fall muss der behandelnde Arzt ein Protokoll anfertigen und von beiden Zeugen sowie nach Möglichkeit auch dem Patienten unterschreiben lassen; sollte Letzterer seine Schreibfähigkeit später wiedererlangen, hat der Arzt dafür zu sorgen, dass eine schriftliche Erklärung nachgereicht wird (§ 2 Abs. 3 RegVOGesG).230 Der so protokollierte bzw. in einer öffentlichen oder Privaturkunde mit voller Beweiskraft erklärte Behandlungsverzicht bildet – wie sein etwaiger Widerruf – einen Bestandteil der Patientenakte (§ 2 Abs. 2 RegVO-GesG). c) Prozedurale Voraussetzungen231 Die Wirksamkeit des Behandlungsverzichts am Lebensende setzt schließlich die Einhaltung des Verfahrens nach § 20 Abs. 4–7 GesG voraus.232 227 Auf diese Aufklärung kann der geschäftsfähige Patient gem. § 14 Abs. 1 GesG aber auch verzichten. 228 Kritisch Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (92), denen zufolge diese Regelung in eklatantem Widerspruch zum verfassungsgerichtlich bestätigten Recht der Schwangeren auf Abtreibung steht; ebenso Szente, Fundamentum 3–4/2003, 91 (97). Vgl. dazu auch Dósa, Az orvos kártéritési felelo˝ssége (2010), 288 f. 229 Die Kosten für die Errichtung einer öffentlichen Urkunde trägt der Patient (§ 2 Abs. 2 RegVO-GesG). Nach Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 186 ist ein solches Dokument auch wirksam, wenn es ohne Wissen des Gesundheitsdienstleisters und damit ohne vorherige Aufklärung aufgesetzt wurde. 230 Für Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 186 wird die Erklärung allerdings nicht dadurch unwirksam, dass der Arzt dies nicht tut. 231 Zum Verhältnis zwischen Prozedur und Form siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (602), dem zufolge Prozedur bzw. prozedural auch in einem weiteren Sinne als alle formellen Aspekte einer Regelung erfassend verstanden werden kann, also Zuständig-

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Erforderlich ist die Untersuchung des Patienten durch eine dreigliedrige Ärztekommission, bestehend aus dem behandelnden Arzt, einem weiteren Arzt des betreffenden Fachgebiets sowie einem Psychiater. Diese müssen übereinstimmend schriftlich bestätigen, dass der Patient seine Entscheidung in Kenntnis ihrer Folgen getroffen hat und die Voraussetzungen für einen Behandlungsverzicht vorliegen (§ 20 Abs. 4 Satz 1 i.V. m. Abs. 5 GesG). Aufgabe des Facharztes ist die Prüfung, ob die Krankheit des Patienten die Kriterien des § 20 Abs. 3 GesG erfüllt (§ 3 Abs. 2 RegVO-GesG).233 Der Psychiater äußert sich zur Einsichtsfähigkeit des Patienten (§ 3 Abs. 3 RegVO-GesG).234 Diese setzt voraus, dass der Patient die für eine Entscheidungsfindung notwendigen Informationen versteht, er zwischen den möglichen Konsequenzen seiner Entscheidung abwägen und diese auch erfassen kann, schließlich, dass er seine Entscheidung in der entsprechenden Form und auf verständliche Art und Weise mitzuteilen vermag (§ 4 RegVOkeits-, Form- und Verfahrenserfordernisse, ungeachtet dessen, ob die Zuständigkeitsoder Formerfordernisse auch mit „interpersonal-diskursiven Verfahrensregelungen“ verknüpft sind. Im Folgenden soll jedoch ein enges Verständnis zugrunde gelegt und der Begriff im Anschluss an Saliger, a. a. O., 599 (603) auf „rechtliche Verfahren als soziale, interpersonal-diskursive Systeme“ beschränkt werden, weil nur so eine saubere Trennung zwischen prozeduraler Rechtfertigung und formaler Rechtswidrigkeit möglich wird und die Frage beantwortet werden kann, ob bzw. welche Auswirkungen der Verstoß gegen formale Bestimmungen wie Zuständigkeits- oder Formerfordernisse auf die Rechtswidrigkeit des betreffenden Verhaltens zeitigt. 232 Erklärt sich der Patient mit seiner Untersuchung nicht einverstanden, ist der Behandlungsverzicht unbeachtlich (§ 20 Abs. 4 Satz 2 GesG). 233 Siehe dazu Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 190 ff., dem zufolge der Facharzt in diesem Fall auch prüfen muss, ob es überhaupt noch eine „entsprechende medizinische Versorgung“ i. S. v. § 20 Abs. 3 GesG gibt, auf die verzichtet werden kann, mit anderen Worten lebenserhaltende Maßnahmen medizinisch indiziert sind. Diesbezüglich nennt er die Fallgruppen „Aussichtslosigkeit“, „Unwirksamkeit“, „Unmöglichkeit“ und „Außergewöhnlichkeit“ einer medizinischen Maßnahme, bei denen die Indikation verneint werden müsse (die Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte hält Gyöngyösi für unzulässig). Dieser Aufgabenkompetenz des Facharztes ist entgegenzutreten. Oben wude bereits dargelegt, dass die medizinische Indikation die Garantenstellung des Arztes grds. unabhängig vom Willen des Patienten begrenzt (vgl. Zweiter Teil C. IV. in der Einleitung). Konkret: Der Verzicht des Patienten auf die Einleitung oder die Fortführung lebenserhaltender oder lebensrettender Eingriffe setzt denknotwendig voraus, dass diese von ärztlicher Seite überhaupt angeboten werden. Angeboten werden sie aber nur dann, wenn sie auch medizinisch indiziert sind (vgl. §§ 7 Abs. 1, 131 Abs. 3 lit. b GesG). Die Entscheidung hierüber fällt folglich nicht inner-, sondern außerhalb des instititutionalisierten Verfahrens zum Behandlungsverzicht am Lebensende. Aufgabe des Facharztes ist daher allein und ausschließlich die Prüfung, ob eine Erkrankung vorliegt, die auch bei entsprechender, d. h. medizinisch indizierter Versorgung innerhalb kurzer Zeit zum Tode führt (diese Prüfung kann sich mit der vorherigen Indikationsstellung durch den behandelnden Arzt freilich überschneiden). E contrario folgt daraus allerdings zugleich auch, dass der nahende Tod des Patienten die Indikation lebensrettender oder lebenserhaltender Eingriffe für sich genommen noch nicht zu beseitigen vermag. 234 Bei dieser Untersuchung sollen nach Möglichkeit neben dem Patienten auch seine Angehörigen i. S. v. § 16 Abs. 2 GesG angehört werden (§ 3 Abs. 3 RegVO-GesG).

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GesG). Im Rahmen dieser Untersuchung hat sich die Ärztekommission auch der ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten zu vergewissern (§ 6 Abs. 3 RegVOGesG). Ferner muss in einem persönlichen Gespräch versucht werden, seine Motive für den Behandlungsverzicht zu ergründen und ihn zur Rücknahme seiner Entscheidung zu bewegen; über die reguläre Aufklärung hinaus ist dabei noch einmal auf die Konsequenzen hinzuweisen, die das Ausbleiben des Eingriffs nach sich ziehen wird (§ 20 Abs. 7 GesG). Gelangt die Ärztekommission zur Auffassung, dass die Voraussetzungen für einen Behandlungsverzicht nicht erfüllt sind, kann deren Feststellung vor Gericht beantragt werden; das Verfahren ist dasselbe wie im Fall des Behandlungsverzichts bei nicht voll geschäftsfähigen Patienten (§ 7 Abs. 1 RegVO-GesG i.V. m. § 21 Abs. 4 GesG).235 Im Übrigen knüpft die (ablehnende) Beurteilung durch die Ärztekommission selbstverständlich nur an den momentanen Gesundheitszustand des Patienten an, weshalb ein erneuter Behandlungsverzicht zu einem späteren Zeitpunkt dadurch nicht ausgeschlossen wird (§ 7 Abs. 2 RegVO-GesG). Gelangt die Ärztekommission zur Auffassung, dass die Voraussetzungen für einen Behandlungsverzicht erfüllt sind, muss der Patient seinen Willen am dritten Tage nach Abgabe der Bestätigung durch die Ärztekommission vor zwei Zeugen erneut verkünden (§ 20 Abs. 4 Satz 1 GesG). Danach wird die Behandlung nicht eingeleitet bzw. eingestellt (§ 3 Abs. 4 RegVO-GesG). Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Patient seine Erklärung jederzeit formlos widerrufen (§ 20 Abs. 8 GesG). Zu beachten ist allerdings auch § 23 Abs. 1 Satz 1 GesG, wonach eine Behandlung i. S. v. § 20 Abs. 3 GesG nur dann nicht eingeleitet bzw. abgebrochen werden darf, wenn der hierauf gerichtete Wille des Patienten „klar und überzeugend“ ermittelt werden kann. Im Zweifelsfall ist die spätere, persönliche Äußerung des Patienten zu berücksichtigen; ansonsten ist die Einwilligung in den Eingriff zu vermuten (§ 23 Abs. 1 Satz 2 GesG). Die Vorschrift gilt wegen ihrer systematischen Stellung nicht nur für den beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen, sondern auch für den geschäftsfähigen Patienten, bei dem allerdings zu berücksichtigen ist, dass sein auf den Behandlungsverzicht gerichteter Wille mit der Durchführung des oben dargestellten Verfahrens eigentlich schon „klar und überzeugend“ ermittelt wurde. Stellt man zudem in Rechnung, dass er nach dem oben Gesagten seine Erklärung auch jederzeit widerrufen kann, dann muss diese Vorschrift so verstanden werden, dass ihm daneben auch ein Sistierungsrecht zugestanden wird, er mit anderen Worten den Entscheidungsvollzug aussetzen und sich einstweilen (weiter-)behandeln lassen kann, ohne das Verfahren erneut durchlaufen zu müssen, wenn er seine Entscheidung wieder revidiert. Hierin liegt dann auch der Unterschied zum Widerruf im oben genannten Sinne, der, wurde er einmal erklärt, dazu führt, dass für einen neuerlichen Behandlungs-

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Siehe dazu unten Zweiter Teil C. IV. 2. b).

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verzicht das Verfahren nach § 20 Abs. 4–7 GesG noch einmal durchzuführen ist.236 Auch nach Erklärung des Behandlungsverzichts hat der Patient ein Recht auf Schmerz- und Leidenslinderung bzw. Basisbetreuung (§§ 23 Abs. 2 Satz 2 GesG, 9 Abs. 2 RegVO-GesG)237 sowie auf Aufklärung, in deren Rahmen der Arzt wiederholt zur Einwilligung in lebenserhaltende Eingriffe raten muss (§ 9 Abs. 1 RegVO). d) Stellungnahme Dieses Regelungsregime wirft, sieht man einmal von den grundsätzlichen Vorteilen prozeduraler Lösungskonzepte ab,238 gravierende Probleme auf.239 Die Bindung der Zulässigkeit passiver Sterbehilfe an die in § 20 Abs. 3 GesG genannten Voraussetzungen müsste im Umkehrschluss eigentlich bedeuten, dass demjenigen, der an einer Krankheit leidet, die diesen Anforderungen nicht genügt, weil sie nicht innerhalb kurzer Zeit, sondern erst später bzw. überhaupt nicht zum Tod führt, ein Behandlungsverzicht schlechterdings verwehrt bliebe. Eine Bluttransfusion etwa könnte folglich nur der terminal erkrankte Patient ablehnen, nicht aber derjenige, der aufgrund äußerer oder innerer Verletzungen unter akutem Blutverlust leidet.240 Es stellt sich die Frage, ob die Versagung des (Patienten-)Rechts auf Behandlungsverzicht auch eine entsprechende ärztliche Pflicht zur Zwangsbehandlung begründet, die in diesen Fällen nur unter Anwendung freiheitsentziehender oder -beschränkender Maßnahmen wie die Fixierung des Patienten durch mechanische Vorrichtungen (z. B. Gurte, Riemen usw.) oder

236 So versteht die Vorschrift auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 219 f., dem zufolge der Patient deshalb auch darauf achten muss, dass er keine Erklärung abgibt, die in erster Linie als Widerruf des Behandlungsverzichts aufzufassen ist. Der „Zweifel“ i. S. d. Vorschrift muss sich folglich nicht notwendig aus dem ursprünglichen Behandlungsveto ergeben; er kann auch erst nachträglich durch die Sistierungserklärung des Patienten gesät werden. Vgl. dagegen aber auch Holló in seinem Parallel-/Sondervotum zum Sterbehilfeurteil VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3652 f.), der die Vorschrift nur auf den geschäftsfähigen Patienten bezieht und in § 23 Abs. 1 Satz 1 GesG eine Verletzung seines Selbstbestimmungsrechts erblickt, weil er die Regelung so versteht, dass nach erfolgreicher Durchführung des Verfahrens vor dem Behandlungsverzicht bzw. -abbruch eine neuerliche Willensprüfung durchzuführen ist. § 23 Abs. 1 Satz 2 GesG schließlich ergebe überhaupt keinen Sinn, da der Patient die Einwilligung ja jederzeit widerrufen könne. 237 Das Recht auf Schmerz- und Leidenslinderung folgt freilich schon unmittelbar aus § 6 Abs. 1 GesG, sodass diesen Vorschriften nur klarstellende Bedeutung zukommt. 238 Eingehend dazu unten Dritter Teil B. III. 1.; vgl. aber auch die Kritik des ungarischen Modells unten Dritter Teil B. III. 2. 239 Für eine ausführliche verfassungsrechtliche Kritik siehe unten Zweiter Teil D. II. 5. 240 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (99).

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

die Verabreichung starker Sedativa durchführbar wäre.241 Tatsächlich lässt das GesG auch einigen Spielraum für ein solches Vorgehen, indem es die Anwendung derartiger Maßnahmen vergleichsweise großzügig handhabt: In § 10 Abs. 4 Satz 1 GesG wird lediglich vorausgesetzt, dass entweder ein Fall dringender Notwendigkeit vorliegt oder die Anwendung der Maßnahmen zum Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit des Patienten oder anderer geschieht.242 Zumindest die zweite Alternative wird stets erfüllt sein, denn lebensrettende/lebenserhaltende Eingriffe zielen begrifflich auf den Schutz des ansonsten in Lebensgefahr schwebenden Patienten.243 Steht eine lebensrettende Behandlung in Rede, dann ist mit Blick auf deren Definition in § 3 lit. n GesG als „die im Fall dringender Notwendigkeit auf die Rettung des Lebens des Patienten gerichtete Gesundheitstätigkeit“ aber auch die erste Alternative verwirklicht. Bei der lebenserhaltenden Behandlung, die § 3 lit. o GesG als „die auf die künstliche Verlängerung des Lebens des Patienten bzw. auf den Ersatz einzelner Lebensfunktionen gerichtete Gesundheitstätigkeit“ definiert, ist allenfalls die Dringlichkeit von Maßnahmen künstlicher Ernährung zweifelhaft, da diese bei ihrem Ausbleiben insoweit nicht zu einer unmittelbaren Lebensgefahr für den Patienten führen, als sich dessen „Verhungern“ üblicherweise über mehrere Tage, wenn nicht gar Wochen hinzieht.244 Auch dann ist nach dem oben Gesagten aber auf jeden Fall § 10 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 GesG erfüllt.245 241

Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (99). Vgl. auch § 2 Abs. 1 GesG, wonach bei Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen der Schutz der Rechte des Patienten stets gewährleistet sein muss und seine persönliche Freiheit sowie sein Selbstbestimmungsrecht einzig und allein mit Blick auf seinen Gesundheitszustand nach den Vorgaben des Gesetzes beschränkt werden dürfen. 243 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (100). 244 Dies scheint Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (99 f.) zu verkennen, wenn sie behauptet, dass das Dringlichkeitsmoment auch dem lebenserhaltenden Eingriff per definitionem innewohne. 245 Es bleibt anzumerken, dass diese Vorschrift nicht nur missverständlich, sondern auch überflüssig ist. Missverständlich ist sie deshalb, weil sie prima vista die uneingeschränkte Anwendung körperlichen Zwangs ermöglicht. So dient selbstredend jede medizinisch indizierte Maßnahme der Gesundheit des Patienten; natürlich kann es aber nicht i. S. d. Gesetzgebers sein, eine Zwangsbehandlung etwa auch dann zu legitimieren, wenn ein (voll) geschäftsfähiger Patient nach einer Oberschenkelhalsfraktur auf eine Operation verzichtet und insoweit von seinem Recht auf – in Ansehung der schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen bei Ausbleiben des Eingriffs: qualifizierten – Behandlungsverzicht Gebrauch macht. Die Norm muss daher so gelesen werden, dass eine Zwangsbehandlung nur dann in Betracht kommt, wenn der Patient bzw. sein Vertreter nicht nach den Vorschriften des GesG zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten (§§ 15–19) bzw. zum Behandlungsverzicht (§§ 20–23) eine Maßnahme untersagen dürfen. Erklärt das GesG einen Behandlungsverzicht in bestimmten Fällen für unzulässig oder knüpft es ihn an bestimmte tatsächliche/formale/prozedurale Voraussetzungen, dann folgt eine Zwangsbehandlungspflicht und ein damit einhergehendes Zwangsbehandlungsrecht im Wege eines Umkehrschlusses aber auch aus dem betreffenden Regelungsregime. § 10 Abs. 4 Satz 1 GesG verbleibt insoweit kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich. 242

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Die Vorstellung, den geschäftsfähigen Patienten, der sich zwar (noch) nicht in der Terminalphase befindet, sich aber gleichwohl die Vornahme lebensrettender bzw. lebenserhaltender Eingriffe verbittet, mit physischen oder chemischen Mitteln zu ihrer Duldung zwingen zu wollen, erscheint nichtsdestotrotz nicht nur sittlich-moralisch inakzeptabel; 246 ein derartiges Vorgehen wird auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kaum zu vereinbaren sein. Im „Fall Pretty“ 247 haben sich die Straßburger Richter zwar nur am Rande mit Fragen intensivmedizinischer Lebensrettung bzw. -erhaltung auseinandergesetzt, in diesem Zusammenhang aber immerhin darauf hingewiesen, dass „die Weigerung, einer bestimmten Behandlung zuzustimmen, unvermeidlich zum Tode führen“ kann, und dennoch „die Durchführung einer ärztlichen Behandlung ohne Einverständnis eines erwachsenen Patienten im Besitz seiner geistigen Kräfte so in die körperliche Integrität einer Person eingreifen“ würde, „dass die von Art. 8 EMRK geschützten Rechte betroffen sein können“.248 So gesehen erscheint es durchaus möglich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch die einschlägigen Vorschriften des GesG für mit der EMRK nicht vereinbar erklären würde.249 Schließlich ist ein weiteres gravierendes Manko auch in der oben zitierten Definition des lebensrettenden Eingriffs zu sehen. Indem das GesG unter diesem Begriff nur dringend notwendige Maßnahmen versteht, verbleibt eine Regelungslücke bei medizinischen Eingriffen, die zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebensrettend sind, deren Unterbleiben aber keine unmittelbare Lebensgefahr zur Folge hätte.250 Man denke etwa an einen Patienten, bei dem ein malignes Melanom in situ, d. h. mit geringem Metastasierungsrisiko und deshalb sehr guten Heilungschancen entdeckt wurde, der sich aber, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Operation ausspricht. Dass es sich dabei um einen lebensrettenden Eingriff im herkömmlichen Sinne handeln würde, kann mit Blick auf die Prognose des schwarzen Hautkrebses als sicher gelten; ebenso sicher ist aber auch, dass es sich angesichts der fehlenden Dringlichkeit – auch ohne diese 246 Ebenso Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 210; ausführlich Makó/Dósa/Szebik, LAM 2007, 815, die die Unangemessenheit der geltenden Rechtslage mit dem Fall einer 73-jährigen Dialysepatientin illustrieren, die, nachdem sie über mehrere Monate unter katastrophalen Umständen auf einer Station für Innere Medizin untergebracht war, ihren Lebenswillen verloren hatte und deshalb den Wunsch äußerte, man möge doch in Zukunft bei ihr auf weitere Dialysebehandlungen verzichten. 247 EGMR NJW 2002, 2851. 248 EGMR NJW 2002, 2851 (2854). 249 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (100). Siehe für eine verfassungsrechtliche Analyse dieser Bestimmungen die Darstellung des Sterbehilfeurteils des VerfG unten Zweiter Teil D. II. 250 Vgl. die Definition dringender Notwendigkeit in § 3 lit. i GesG als „eine Änderung des Gesundheitszustandes des Patienten, die im Fall des Fehlens sofortiger medizinischer Versorgung eine Lebensgefahr bzw. schwere oder dauernde Gesundheitsschäden für den Patienten zur Folge hätte“.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Operation wird der Patient voraussichtlich noch 1–2 Jahre leben – nicht um einen lebensrettenden Eingriff i. S. d. GesG handelt. Da die Maßnahme aber auch nicht unter den Begriff des lebenserhaltenden Eingriffs fällt und in diesem Fall auch kein qualifizierter Behandlungsverzicht in Betracht kommt – dieser setzt ja gem. § 20 Abs. 2 GesG voraus, dass beim Ausbleiben des Eingriffs schwere oder dauernde Gesundheitsschäden drohen, nicht hingegen der Tod –, ist unklar, wie weit die Autonomie des Patienten hier reicht. Würde man sie auch in der geschilderten Konstellation anerkennen, dann entstünde die paradoxe Situation, dass der Patient sehenden Auges einen unheilbaren Zustand herbeiführen könnte und (erst) dann zwangsbehandelt werden müsste, wenn er, ohne sich bereits in der Terminalphase zu befinden, in unmittelbare Lebensgefahr gerät. Dass dies nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen sein kann, liegt auf der Hand. Man wird daher nicht umhinkommen, den Umkehrschluss aus § 20 Abs. 3 GesG – Behandlungspflicht und -recht des Arztes im Vorfeld der Terminalphase – a fortiori auf die Fälle auszudehnen, in denen die Vornahme eines medizinisch indizierten Eingriffs zwar nicht dringend notwendig ist, aber dennoch auf die Rettung des Lebens des Patienten zielt und gegebenenfalls sogar vollständige Heilung verspricht. 2. Der Behandlungsverzicht am Lebensende beim beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten Hinsichtlich eines Behandlungsverzichts am Lebensende bei nicht voll geschäftsfähigen Patienten kann zunächst auf die Ausführungen bei der indirekten Sterbehilfe und das dort dargestellte Vertretungssystem verwiesen werden: Bei geschäftsunfähigen Patienten kann der Behandlungsverzicht entweder von ihrem gewillkürten Patientenvertreter oder, wurde ein solcher nicht bestellt, von ihrem gesetzlichen Patientenvertreter erklärt werden.251 Im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Patienten kann die Erklärung entweder ein gewillkürter Patientenvertreter oder der Patient selbst abgeben, wobei Letzterer für die Wirksamkeit seiner Erklärung der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf (vgl. § 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 Satz 2 GesG).252 a) Tatsächliche und formale Voraussetzungen Hinsichtlich der tatsächlichen und formalen Voraussetzungen kann auf die vorherigen Ausführungen zum Behandlungsverzicht beim geschäftsunfähigen Patienten verwiesen werden. 251 Verfügt der geschäftsunfähige Patient über mehrere gesetzliche Patientenvertreter auf gleicher Hierarchiestufe und geben diese unterschiedliche Erklärungen ab, so liegt kein wirksamer Behandlungsverzicht vor; siehe Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 198 f. 252 Eine Ausnahme gilt jedoch im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen: Bei ihm ist der gesetzliche Vertreter nach § 12/A Abs. 5 ZGB zur stellvertretenden Entscheidung befugt.

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b) Prozedurale Voraussetzungen Die Einhaltung eines besonderen Verfahrens wie beim geschäftsfähigen Patienten ist beim beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten hingegen nicht erforderlich. Darin liegt offenkundig ein Widerspruch, denn es ist nicht ersichtlich, wieso an die Validierung der tatsächlichen Voraussetzungen des Behandlungsverzichts und des hierauf gerichteten Willens oben genannter Personen weniger strenge Maßstäbe anzulegen sein sollten als beim geschäftsfähigen Patienten.253 Dieser Widerspruch wird allerdings dadurch relativiert, dass der Gesundheitsdienstleister im Fall der Ablehnung lebensrettender/lebenserhaltender Eingriffe bei beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GesG die gerichtliche Ersetzung der Einwilligung beantragen muss.254 Dabei handelt es sich um ein nicht-streitiges, kostenfreies Verfahren, auf das die entsprechenden Vorschriften der uZPO255 Anwendung finden, soweit sich nicht aus dem Gesetz bzw. dem nicht-streitigen Charakter des Verfahrens etwas anderes ergibt (§ 21 Abs. 4 GesG). Bis zum rechtskräftigen Beschluss des Gerichts ist der behandelnde Arzt zur Durchführung aller medizinisch indizierten Maßnahmen verpflichtet; bei unmittelbarer Lebensgefahr ist der notwendige Eingriff auch ohne die gerichtliche Ersetzung der Einwilligung durchzuführen (§ 21 Abs. 2 Satz 2 GesG).256 Falls erforderlich, kann zur Erfüllung dieser Pflichten auch polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen werden (§ 21 Abs. 3 GesG). Das GesG mitsamt Materialien lässt offen, nach welchen Kriterien das Gericht über die Ersetzung der Einwilligung befindet. Rechtsprechung, der Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Frage entnommen werden könnten, ist ebenfalls nicht vorhanden. Immerhin wird im Schrifttum vereinzelt darauf hingewiesen, dass das Gericht nur aufgrund vom Gesundheitsdienstleister vorgebrachter Tatsachen entscheiden dürfe, ferner, dass der Patient im Verfahren trotz Fehlens

253 Vgl. auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 199, der v. a. den Widerspruch zwischen geschäftsfähigem und beschränkt geschäftsfähigem Patienten betont. Dass sich Letzterer keiner medizinischen Untersuchung unterziehen müsse, liege freilich daran, dass sich die fraglichen Bestimmungen noch auf den früheren Rechtszustand beziehen würden, in dem der beschränkt geschäftsfähige Patient genauso wenig erklärungsbefugt gewesen sei wie der geschäftsunfähige. 254 Zur Frage, welches Gericht hierfür zuständig ist, siehe Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 200 f. 255 G 1952:III über die Zivilprozessordnung v. 6.6.1952, MKöz 1952, 422, in deutscher Übersetzung in Brunner u. a., WOS Nr. VI.2. Im Zuge der „Totalsanierung“ ungarischen Rechts steht in den nächsten Jahren auch die Verabschiedung einer neuen Zivilprozessordnung zu erwarten. 256 Diese Regelung zielt in erster Linie auf lebensrettende Eingriffe, bei denen es sich im Gegensatz zu lebenserhaltenden Eingriffen üblicherweise um Maßnahmen ohne Dauercharakter handelt.

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einer entsprechenden Vorschrift im GesG anzuhören sei.257 Während die Anhörungspflicht zumindest beim beschränkt geschäftsfähigen Patienten einen Sinn ergibt, wird die uneingeschränkte Geltung des Beibringungsgrundsatzes der Interessenlage in den vorliegenden Fällen nicht gerecht. Mit Blick auf die in den Fällen der Sterbehilfe tangierten Rechtsgüter („Leben“, „körperliche Unversehrtheit“, „Selbstbestimmung“) und den mit ihrer Verletzung einhergehenden Risiken (Stichworte „Irrtum“ und „Missbrauch“) erscheint im öffentliche Interesse eine umfassende Sachverhaltsaufklärung geboten.258 Eine Entscheidung über die Ersetzung der Einwilligung kann richtigerweise nur getroffen werden, wenn die tatsächlichen und formalen Voraussetzungen eines Behandlungsverzichts am Lebensende verifiziert wurden.259 Besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen der in § 23 Abs. 1 Satz 1 GesG vorgesehenen Rückkopplung des Behandlungsverzichts an den Willen des Patienten zu. Die Entscheidung, ob bzw. wann dieser in dem dort geforderten Sinne „klar und überzeugend“ zutage tritt, kann beim geschäftsunfähigen Patienten allerdings problematisch sein.260 Keine Schwierigkeiten ergeben sich, wenn der Behandlungsverzicht vom gewillkürten Patientenvertreter erklärt wird und der Patient bei dessen Benennung im noch geschäftsfähigen Zustand konkrete inhaltliche Vorgaben hinsichtlich der Vornahme lebenserhaltender/lebensrettender Eingriffe gemacht und diese in der Vollmachtsurkunde fixiert hat.261 Wurde der gewillkürte Patientenvertreter explizit mit der Erklärung eines Behandlungsverzichts am Lebensende betraut, so wird dem Erfordernis aus § 23 Abs. 1 Satz 1 GesG bereits dadurch Genüge ge257

Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 202. Insofern ist es entgegen Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 202 auch nicht möglich, dass der Antrag vom Gesundheitsdienstleister zurückgezogen wird. Damit würde der Zweck des § 21 Abs. 2 GesG, in den Fällen eines Behandlungsverzichts bei nicht voll geschäftsfähigen Patienten eine neutrale Kontrollinstanz zwischenzuschalten, offenkundig konterkariert. Dies gilt umso mehr, als auch Gyöngyösi zutreffend darauf hinweist, dass die Stellung des Antrags zur gerichtlichen Ersetzung der Einwilligung nicht zur Disposition des Gesundheitsdienstleisters steht (a. a. O., 200). 259 Das Gericht wird zu diesem Zweck ein Sachverständigengutachten einholen müssen, um sich dadurch die erforderliche Sachkunde für die Beurteilung medizinischer Fragen zu verschaffen. Zum Sachverständigen im Zivilprozess siehe die §§ 177 ff. uZPO. 260 Unproblematisch ist die Situation hingegen beim beschränkt geschäftsfähigen Patienten, da sich dieser nach dem oben Gesagten im Rahmen der Anhörung erklären kann (und muss). Fraglich ist lediglich, wie zu verfahren ist, wenn sein gesetzlicher Vertreter die nach § 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG erforderliche Zustimmung zum Behandlungsverzicht am Lebensende nicht erteilt. Hier liegt ein Konfliktfall zwischen Betreuer und Betreutem i. S. d. § 14/B Abs. 1 ZGB vor, bei dem die Vormundschaftsbehörde entscheidet. Zumindest in den hier interessierenden Fällen wird sich diese regelmäßig am (natürlichen) Willen des Patienten zu orientieren haben. 261 Zur Möglichkeit der inhaltlichen Ausgestaltung des Vertretungsverhältnisses zwischen Patient und gewillkürtem Patientenvertreter siehe Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 152. 258

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tan. Wurde umgekehrt die Ablehnung lebenserhaltender oder lebensrettender Eingriffe ausdrücklich untersagt, so kann ein auf Behandlungsverzicht gerichteter Patientenwille nicht angenommen werden. Fraglich ist hingegen, wie es sich in den Fällen verhält, in denen es an derartigen Vorgaben fehlt. In der uneingeschränkten Übertragung des Einwilligungs- und Ablehnungsrechts auf den gewillkürten Patientenvertreter auch die Bevollmächtigung zur Erklärung eines Behandlungsverzichts am Lebensende zu erblicken, dürfte zu weit gehen. Hier wird die Entscheidung über einen möglichen Behandlungsverzicht nach Maßgabe des auf sonstigem Wege erschließbaren mutmaßlichen Willens des Betroffenen zu treffen sein, wobei das GesG für diese Entscheidungsfindung keine inhaltlichen Vorgaben macht. Aus einer Gesamtschau der vertretungsrechtlichen Vorschriften, welche die Entscheidung der verschiedenen Vertreter des Patienten bei den übrigen medizinischen Maßnahmen stets in Richtung des „medizinisch Vernünftigen“ lenken, folgt jedoch, dass der Gesetzgeber in diesem engen Bereich intensivmedizinischer Lebenserhaltung ausnahmsweise nicht das verobjektivierte Patientenwohl im Blick gehabt haben kann. Folglich sind für die Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 1 GesG individuelle, konkrete und aussagekräftige Anhaltspunkte zu fordern. Dabei wird man entsprechend § 1901a Abs. 2 BGB in erster Linie früheren mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, ethischen oder religiösen Überzeugungen und sonstigen persönlichen Wertvorstellungen des Patienten Bedeutung beimessen müssen. Fehlen derartige Indizien, ist die Einwilligung des Patienten in die lebenserhaltenden bzw. lebensrettenden Eingriffe gem. dem Grundsatz „in dubio pro vita“ zu vermuten. Diese Grundsätze gelten auch für den Behandlungsverzicht eines gesetzlichen Patientenvertreters, der seine Legitimation ohnehin nicht vom Patienten, sondern durch eine gesetzgeberische Entscheidung erhält.262 Klarstellend sei noch darauf hingewiesen, dass das Gericht im Übrigen keine eigene, neue Entscheidung zum Behandlungsverzicht trifft; es überprüft nur die Entschließung des beschränkt geschäftsfähigen Patienten inklusive der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bzw. die Entschließung des gewillkürten Patientenvertreters des beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten resp. des gesetzlichen Patientenvertreters des geschäftsunfähigen Patienten auf ihre Rechtmäßigkeit. Rechtlich bindend (gegenüber Ärzten, Pflegepersonal und Krankenhausverwaltung) ist der Beschluss nicht. Da die richterliche Genehmigung dem Patienten bzw. seinem Vertreter keinen Vollstreckungstitel verschafft, müssen die Patientenrechte gegebenenfalls vor den allgemeinen Zivilgerichten durchgesetzt werden.263 262 Zugleich folgt aus ihnen, dass ein Behandlungsverzicht am Lebensende bei Personen, die niemals zur Bildung eines rechtlich relevanten Willens in der Lage waren (Neugeborene, geistig Behinderte), nicht statthaft ist; siehe auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 225. 263 Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 201 f.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

c) Behandlungsverzicht aufgrund einer Patientenverfügung Neben einer Äußerung des gewillkürten oder des gesetzlichen Patientenvertreters kann ein Behandlungsverzicht beim geschäftsunfähigen Patienten auch auf eine entsprechende Anordnung in einer wirksamen Patientenverfügung gestützt werden.264 aa) Die Regelung im GesG Gemäß § 22 Abs. 1 GesG kann eine geschäftsfähige Person für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit in einer öffentlichen Urkunde neben Untersuchungen und Eingriffen i. S. v. § 20 Abs. 1 GesG (lit. a) auch Eingriffe i. S. v. § 20 Abs. 3 GesG (lit. c) sowie einzelne lebenserhaltende und lebensrettende Eingriffe für den (hypothetischen) Fall ablehnen, dass sie an einer unheilbaren Erkrankung leidet, infolge der sie sich nicht mehr selbst versorgen kann bzw. ihre Schmerzen nicht mehr kontrollierbar sind (lit. c).265 Eine solche Erklärung ist nur dann wirksam, wenn ein Psychiater in einem Gutachten, das nicht älter als ein Monat ist, bestätigt, dass die Person ihre Entscheidung in Kenntnis ihrer möglichen Konsequenzen getroffen hat. Sie ist darüber hinaus alle zwei Jahre zu aktualisieren und kann vom Patienten jederzeit formfrei bzw. unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit widerrufen werden (§ 22 Abs. 3 GesG). Die inhaltlichen Anforderungen an eine (wirksame) Patientenverfügung sind in der Beilage zur RegVO-GesG266 niedergelegt. Danach muss sie enthalten: • Angaben zur Person des Verfügenden (Ziff. 1); • Eine notarielle Erklärung, die bestätigt, dass der Verfügende ein höchstens ein Monat altes psychiatrisches Gutachten vorgelegt hat, in dem ihm volle Geschäfts- und Zurechnungsfähigkeit bescheinigt wird (Ziff. 2);267

264 Das GesG verwendet den Ausdruck „Patientenverfügung“ nicht, sondern spricht lediglich von einer (öffentlichen) Urkunde, in der auf bestimmte Behandlungen verzichtet werden kann. In der ungarischen Diskussion wird oftmals der englische Ausdruck „living will“ bzw. dessen ungarische Übersetzung (élo˝ végrendelet) gebraucht; siehe z. B. Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 204, der die Bezeichnung allerdings nur auf eine Erklärung bezieht, in der auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet wird. 265 Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift („einzelne lebenserhaltende und lebensrettende Eingriffe“) wird man mit Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 213 f. auch bei einem Behandlungsverzicht i. S. v. § 22 Abs. 1 lit. c GesG einen Totalverzicht für zulässig erachten müssen. 266 Beilage zur RegVO 117/1998. (VI. 16.) Korm., MKöz1998, 4321. 267 Das psychiatrische Gutachten ist gem. der Fn. zu Ziff. 2 der Originalurkunde beizulegen.

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• Eine Auflistung der diagnostischen und/oder therapeutischen Verfahren, auf welche im Fall einer Krankheit bzw. eines Unfalls verzichtet wird (Ziff. 3);268 • Eine Erklärung, wonach der Verfügende nicht damit einverstanden ist, dass im Fall seiner Geschäftsunfähigkeit eine andere Person weitere Eingriffe ablehnt bzw. umgekehrt eine entsprechende Einverständniserklärung mitsamt Angaben zur betreffenden Person (Ziff. 4); • Eine Bestätigung, dass der Verfügende um die Wirkungen des Behandlungsverzichts – Lebensverkürzung bzw. Tod – weiß und sich auch dessen bewusst ist, dass bei Unklarheit der Angaben nach Ziff. 3 seine Einwilligung vermutet wird, die Verfügung nach Ablauf von zwei Jahren keine rechtliche Wirkung mehr entfaltet und sie unwirksam ist, wenn er an einer Krankheit leidet, die das Leben oder die körperliche Unversehrtheit anderer gefährdet (Ziff. 5). Liegt eine valide Patientenverfügung im oben genannten Sinn vor, dann ist der behandelnde Arzt gem. § 5 Abs. 1 RegVO-GesG zu ihrer Umsetzung verpflichtet. Die Rekonstruktion des darin dokumentierten Patientenwillens ist folglich seine Aufgabe; die Einbindung eines Patientenvertreters in diesen Prozess ist ebenso wenig erforderlich269 wie die Einleitung eines Verfahrens auf gerichtliche Ersetzung der Einwilligung. Gemäß § 8 Abs. 1 RegVO-GesG kann der Patient seinem Hausarzt eine Kopie der Patientenverfügung übergeben, die dieser dann zur Patientenakte legt. Bei stationärer Aufnahme, spätestens aber vor Beginn der medizinischen Behandlung muss der Patient den Gesundheitsdienstleister über die Patientenverfügung informieren bzw. ihm eine Kopie derselben übergeben (Abs. 2). Erlangt der Gesundheitsdienstleister Kenntnis davon, dass eine Patientenverfügung verfasst wurde, ist diese aber nicht verfügbar und kann der Patient auch nicht Auskunft über 268 Diese müssen gem. der Fn. zu Ziff. 3 einzeln bzw. so benannt werden, dass sich daraus klare Verhaltensdirektiven ergeben und erkennbar ist, ob der Verfügende eine Behandlung allgemein oder nur für einen näher bezeichneten Fall ablehnt (z. B. ob er generell auf lebenserhaltende Eingriffe verzichtet oder nur eine Zeitspanne oder einen Gesundheitszustand festlegt, nach deren Ablauf bzw. bei dessen Vorliegen er in eine künstliche Lebensverlängerung nicht mehr einwilligt). Erklärt werden kann der Behandlungsverzicht ferner als Ausschluss einer bestimmten Eingriffsart (z. B. Amputation) oder eines konkreten Eingriffs (z. B. Brustamputation). Die Bezeichnung hat sich dabei entweder am alltäglichen Sprachgebrauch zu orientieren (etwa Verzicht auf künstliche Ernährung/Beatmung allgemein oder nur nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne); alternativ kann auch auf die entsprechenden medizinischen Fachbegriffe rekurriert werden, wobei in diesem Fall die umgangssprachlichen Bezeichnungen zusätzlich zu nennen sind. Als dritte Möglichkeit können generell auch nur die konkreten Krankheiten benannt werden (z. B. keine Behandlung bei bösartiger Tumorerkrankung). 269 Dem Patienten steht es nach Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 206 allerdings frei, eine Patientenverfügung mit der Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters zu kombinieren, damit eine gewählte Vertrauensperson im Fall der Fälle den Patientenwillen ggü. dem Arzt artikulieren und durchsetzen kann.

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ihren Inhalt erteilen, leitet der Gesundheitsdienstleister – die Fälle dringender Notwendigkeit ausgenommen – unverzüglich Maßnahmen zu ihrer Beschaffung ein, sofern der Aufbewahrungsort bekannt ist (Abs. 3). bb) Stellungnahme Auch die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung wirft in mehrfacher Hinsicht Probleme auf. Höchst bedenklich erscheint zunächst die in § 22 Abs. 1 lit. c GesG eingeräumte Möglichkeit eines Behandlungsverzichts bei krankheitsbedingter Unfähigkeit zur Selbstversorgung oder nicht kontrollierbaren Schmerzen. Dies deshalb, weil das GesG damit Patientenverfügungen eine größere Reichweite zugesteht als aktuellen Behandlungswünschen des Patienten.270 Der Verlust der Geschäftsfähigkeit kann keine maßgebliche Zäsur für die rechtliche Beachtlichkeit eines solchen Behandlungsvetos bilden. Wenn überhaupt, dann könnte allenfalls versucht werden, das Gegenteil – die Beschränkung der Reichweite einer Patientenverfügung auf das Terminalstadium – argumentativ zu untermauern.271 Derartige Dokumente weisen nämlich gerade keinen Bezug zu einer konkret bestehenden Krankheits- bzw. Behandlungssituation auf; sie sind vielmehr eine Ersatzhandlung für eine unter den gegebenen Umständen unmögliche aktuell-situative Erklärung.272 Stellt man sich auf den Standpunkt, dass solche Willensäußerungen insbesondere in „Situationen unter Extrembedingungen, in denen der Anteil des Unvorhergesehenen stets groß ist“, nicht miteinander gleichgestellt werden können, andernfalls „die Änderungsfähigkeit des Menschen“ unterschätzt würde,273 so scheint eine derartige Restriktion zumindest nicht von vornherein abwegig.274 Ungeachtet dessen ergibt sich aus dem vorstehend Gesagten jedenfalls, dass es sein Bezug zu einer konkret bestehenden Krankheits- bzw. Behandlungs270 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (100 f.); Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 205. 271 Vgl. dazu etwa den Zwischenbericht der Enquête-Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zum Thema „Patientenverfügungen“ v. 13.9. 2004 (BT-Drs. 15/3700), 38 ff. 272 Zwischenbericht der Enquête-Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zum Thema „Patientenverfügungen“ v. 13.9.2004 (BT-Drs. 15/ 3700), 39. 273 So der Zwischenbericht der Enquête-Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“ zum Thema „Patientenverfügungen“ v. 13.9.2004 (BTDrs. 15/3700), 39. 274 Im Ergebnis wird sie gleichwohl abzulehnen sein; ausführlich dazu Verrel, Gutachten 66. DJT (2006), C 85 ff. Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Verankerung des Rechtsinstituts der Patientenverfügung im BGB durch das 3. BtÄndG gegen eine derartige Beschränkung ausgesprochen; zu den Gründen BT-Drs. 16/8442, 16 ff., dort auch in Auseinandersetzung mit der (Gegen-)Auffassung der Enquête-Kommission des Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin“.

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situation ist, der den ausdrücklichen zur validesten Erscheinungsform des Patientenwillens macht und den Unterschied zu bzw. den Vorrang gegenüber einer Patientenverfügung begründet. Schwierigkeiten bereitet daneben die in § 22 Abs. 3 Satz 2 GesG eingeräumte Möglichkeit, die Patientenverfügung unabhängig von der Geschäftsfähigkeit widerrufen zu können. Soweit dies auch den geschäftsunfähigen Patienten betrifft, widerspricht dies der Systematik des GesG, das die Wirksamkeit einer (Willens-) Erklärung sonst stets von der zumindest beschränkten Geschäftsfähigkeit des Erklärenden abhängig macht. In Kombination mit dem Grundsatz der Formfreiheit des Widerrufs ist zudem völlig unklar, welche Verhaltensweisen die Bindungswirkung einer Patientenverfügung entfallen lassen sollen. Man stelle sich etwa einen Sachverhalt vor, bei dem ein Behandlungsverzicht für den Fall einer voll ausgeprägten Demenz angeordnet wurde und bei ihrem Verfasser eine interkurrente (von den Festlegungen in der Patientenverfügung ebenfalls erfasste) Erkrankung auftritt. Hier stellt sich die Frage, ob nicht trotzdem therapiert werden darf, weil aus einem „natürlichem Lebenswillen“ bzw. dem Umstand, dass der Patient nach wie vor eine gewisse Lebensfreude erkennen lässt und z. B. bei Nennung seines Namens lächelt, auf einen (konkludenten) Widerruf geschlossen werden kann.275 Wer dies bejaht, der verkennt freilich, dass es sich dabei weniger um eine „reflektiert-willensgetragene Persönlichkeitsäußerung“ als vielmehr ein „instinkthaftes Verhalten“ des Kranken handeln wird.276 Nun ist natürlich mitnichten jeder Geschäftsunfähige dement. Gleichwohl illustriert dieses Beispiel die Probleme, die sich stellen, wenn für den Widerruf einer Patientenverfügung selbst auf ein Mindestmaß an Einwilligungs- bzw. Geschäftsfähigkeit verzichtet wird. Der ungarische Gesetzgeber wäre daher gut beraten, die Widerrufsmöglichkeit de lege ferenda an die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Patienten zu knüpfen. Widersinnig erscheint schließlich die nach Ziff. 4 der Beilage zur RegVOGesG verpflichtende (Nicht-)Einverständniserklärung mit der Ablehnung weiterer Maßnahmen durch eine andere Person. Mit Blick auf Ziff. 3, wonach der Patient in der Patientenverfügung grundsätzlich genau festlegen muss, welche (lebensverlängernden) Maßnahmen er verweigert, und Ziff. 5, dem zufolge seine Einwilligung vermutet wird, insoweit diese Angaben unklar sind, ist nicht ersichtlich, welcher Anwendungsbereich dieser Bestimmung zukommen soll.277 275 Beispiel nach Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 147. Siehe zur Parallelproblematik im deutschen Recht oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (1) (c). 276 So mit Blick auf das ähnliche Problem bei § 1901a BGB Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 148 m.w. N.; vgl. auch oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (1) (c). 277 Vgl. aber auch Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 206, der Ziff. 4 der Beilage zur RegVO-GesG auf die Benennung des besonderen gewillkürten Patientenvertreters bezieht (zu diesem Vorsorgeinstrument siehe den nächsten Abschnitt). Dem ist zu widersprechen: Besagte Beilage ist betitelt mit „Die verpflichten-

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d) Behandlungsverzicht durch einen besonderen gewillkürten Patientenvertreter Neben der Patientenverfügung hält das Gesetz mit dem besonderen gewillkürten Patientenvertreter ein weiteres Vorsorgeinstrument bereit. aa) Die Regelung im GesG Nach § 22 Abs. 2 GesG kann eine geschäftsfähige Person für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit in einer öffentlichen Urkunde eine andere geschäftsfähige Person benennen, die die in Abs. 1 genannten Rechte stellvertretend für sie ausübt. Für die Wirksamkeit einer solchen Bevollmächtigung gelten dieselben Regeln wie für die Errichtung einer Patientenverfügung, d. h., auch hier ist ein höchstens ein Monat altes psychiatrisches Gutachten beizubringen; darüber hinaus ist alle zwei Jahre eine Aktualisierung notwendig und der Verfasser kann die Erklärung unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit bzw. formlos widerrufen (§ 22 Abs. 3 GesG). Erklärt der besondere gewillkürte Patientenvertreter einen Behandlungsverzicht, ist seine Erklärung nur dann wirksam, wenn eine Ärztekommission i. S. v. § 20 Abs. 4 GesG bestätigt hat, dass die in § 22 Abs. 1 GesG genannten Bedingungen für einen Behandlungsverzicht beim geschäftsunfähigen Patienten vorliegen und der besondere gewillkürte Patientenvertreter die Entscheidung in Kenntnis ihrer Konsequenzen getroffen hat (§ 22 Abs. 4 GesG). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist der Arzt gem. § 5 Abs. 1 RegVOGesG zur Umsetzung der Erklärung des besonderen gewillkürten Patientenvertreters verpflichtet. Ein Verfahren auf gerichtliche Ersetzung der Einwilligung ist auch hier nicht durchzuführen. bb) Stellungnahme Die ersten beiden gegen die Patientenverfügung getätigten Einwände können entsprechend auch gegenüber diesem Rechtsinstitut vorgebracht werden: Kritik verdient zum einen der Umstand, dass der besondere gewillkürte Patientenvertreter mit weitergehenden Rechten ausgestattet werden kann als dem aktuell geschäftsfähigen Patienten selbst zustehen;278 zum anderen ist zu bemängeln, dass

den inhaltlichen Bestandteile der öffentlichen Urkunde nach § 22 Abs. 1 GesG“. § 22 Abs. 1 GesG bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Patientenverfügung; die öffentliche Urkunde zur Benennung des besonderen gewillkürten Patientenvertreters ist Gegenstand von Abs. 2 dieses Paragrafen. 278 Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (101).

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der Widerruf der Bevollmächtigung nicht einmal ein Mindestmaß an Einwilligungs- bzw. Geschäftsfähigkeit des Erklärenden voraussetzt. Zusätzlich zu diesen beiden Punkten ist noch Folgendes zu bemerken: Da die in § 22 Abs. 2–4 GesG enthaltenen Voraussetzungen – oder wenn man so will: Restriktionen – im Fall des gewillkürten Patientenvertreters nicht gelten, stellt sich die Frage, worin der Vorteil dieses Vorsorgeinstruments zu erblicken ist. Einen Sinn ergibt die Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters nur insoweit, als seine Entscheidungskompetenz auch die in § 22 Abs. 1 lit. c GesG eröffnete Möglichkeit eines Behandlungsverzichts vor der Terminalphase umfassen soll. Ist dies aber nicht der Fall, dann besteht für den Patienten nicht wirklich eine Veranlassung, sich eines solchen Vertreters zu bedienen: Ein einfacher Behandlungsverzicht kann ebenso wie ein Behandlungsverzicht am Lebensende auch vom gewillkürten Patientenvertreter erklärt werden, der sich dafür aber keiner medizinischen Untersuchung unterziehen muss. Ebenfalls keiner Untersuchung unterziehen muss sich der Patient bei der Bestellung des gewillkürten Patientenvertreters, die zudem auch in einer Privaturkunde mit voller Beweiskraft, gegebenenfalls auch mündlich erfolgen kann. Schließlich kann dem gewillkürten Patientenvertreter auch das mit den in § 22 Abs. 1 lit. a, b GesG geregelten Verzichtsrechten korrespondierende Einwilligungsrecht übertragen werden, was eine effektivere Umsetzung der Patientenautonomie ermöglicht.279 Beim besonderen gewillkürten Patientenvertreter handelt es sich daher ebenfalls um ein unglücklich konzipiertes Vorsorgeinstrument.

279 Analog zu der aus dem Bereich der Organspende bekannten Differenzierung zwischen „Widerspruchs-“ und „Zustimmungslösungen“ ist der Unterschied zwischen beiden Konstruktionen darin zu sehen, dass bei der Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters medizinische Maßnahmen oder Eingriffe schon zulässig (und durchzuführen) sind, wenn dieser nicht explizit widerspricht, wohingegen sie im Fall des gewillkürten Patientenvertreters erst vorgenommen werden dürfen, wenn dieser ausdrücklich einwilligt. Dem Patienten ist vor diesem Hintergrund anzuraten, bei der Bestellung eines Patientenvertreters in einer öffentlichen Urkunde genau anzugeben, ob es sich dabei um einen gewillkürten oder einen besonderen gewillkürten Patientenvertreter handeln soll; siehe Gyöngyösi, Az élet és test feletti rendelkezések joga (2002), 206, der dort aber auch behauptet, der Patient könne theoretisch sowohl über einen gewillkürten als auch einen besonderen gewillkürten Patientenvertreter verfügen. Dem ist zu widersprechen: Aus dem Wortlaut von § 16 Abs. 1 lit. a GesG („Der geschäftsfähige Patient kann [. . .] diejenige geschäftsfähige Person benennen“; Hervorhebung nur hier) folgt, dass der Patient sein Einwilligungs- bzw. Ablehnungsrecht grds. nur auf eine Person übertragen kann. Da dies aber auch Gyöngyösi so sieht und er zudem darauf aufmerksam macht, dass der Gesetzgeber mit dieser Beschränkung einer unnötigen Verkomplizierung der Entscheidungsfindung am Krankenbett habe vorbeugen wollen (a. a. O., 207), ist unklar, worauf er seine Behauptung stützt. Die Kombination von gewillkürtem und besonderem gewillkürten Patientenvertreter kann nur dann in Betracht kommen, wenn der Patient (auch) auf die Einräumung eines Verzichtsrechts nach § 22 Abs. 1 lit. c GesG Wert legt.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

3. Vertiefung einzelner Rechtsfragen Einer näheren Erörterung bedürfen noch zwei Fragen, die zumindest in Deutschland nach wie vor kontrovers diskutiert werden. a) Der Sonderfall des technischen Behandlungsabbruchs Die dogmatische Beurteilung einer Therapieeinstellung in den Fällen, in denen sie durch äußerlich aktives Verhalten erfolgt, wird in Ungarn gegenwärtig nur von wenigen Autoren erörtert.280 Lediglich Filó und Tóth haben sich dem Thema in jüngerer Vergangenheit aus strafrechtlicher Perspektive genähert. Wenngleich sie im Ergebnis übereinstimmend von der Straflosigkeit derartiger Verhaltensweisen ausgehen, gehen ihre Meinungen über die richtige dogmatische Begründung hierfür auseinander. Die Kontroverse betrifft dabei in erster Linie die Einordnung als Tun oder Unterlassen, erörtert am (Parade-)Beispiel des Ausschaltens lebenserhaltender Apparaturen. aa) Normative Bewertung als Unterlassen Filó gelangt in den Fällen des technischen Behandlungsabbruchs zur Straflosigkeit des (behandelnden) Arztes, indem er trotz des nach außen aktiven Verhaltens in normativer Betrachtung ein Unterlassen annimmt, um es so dem Regelungsregime der §§ 20–23 GesG unterstellen zu können.281 Zur Begründung beruft er sich auf die aus der deutschen Strafrechtsdogmatik bekannten Formeln „sozialer Sinngehalt“ und „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“.282 Derartige Ansätze seien letztlich überzeugend, weil sie das Ergebnis der strafrechtlichen Beurteilung von ontologischen Zufälligkeiten der Gestaltung einer intensivmedizinischen Behandlung – Filó führt das von Roxin gebildete Beispiel an, wonach ein Respirator auch zeitlich getaktet bzw. gesteuert ein- und ausgeschaltet werden könnte – befreiten. Ziehe man die Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe auf dieser Grundlage, dann lasse sich die Frage nach der rechtlichen Beurteilung des technischen Behandlungsabbruchs schon auf Tatbestandsebene lösen. Zwar weiche man damit zweifellos auf einen „weniger beschwerlichen Weg“ aus, doch sähe man sich sonst mit dem Problem konfrontiert, eine tatbestandsmäßige Tötung auf Rechtswidrigkeitsebene straflos stellen zu müssen, 280 Zur Rechtslage nach dem GesG aus dem Jahr 1972 siehe aber immerhin Sajó/ Sándor, MT 1996, 771 (775 f.). Eine spezielle Bezeichnung für diese Sonderproblematik, die in Deutschland unter den Begriffen „technischer“ bzw. „tätiger Behandlungsabbruch“ diskutiert wird, gibt es in Ungarn nicht. 281 Für die Einordnung des technischen Behandlungsabbruchs als Unterlassen – freilich noch im Geltungsbereich des GesG von 1972 – auch Tasnádi, A halálhoz való jog (Diss. 1991), 16 ff. 282 Siehe dazu oben Erster Teil B. II. 3. a) cc) (1) (b).

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obwohl das Strafrecht menschliches Leben für grundsätzlich unverfügbar erkläre.283 bb) Naturalistisch-kausale Einordnung als aktives Tun Anders sieht die Dinge Tóth, dem zufolge es weniger auf die Interpretation des Handlungsbegriffs, sondern nur darauf ankommt, ob zwischen dem Eingriff und dem aus strafrechtlicher Sicht relevanten Eintritt des Hirntods ein Kausalzusammenhang besteht. Bejahe man dies, dann gehe es grundsätzlich nur noch um Strafzumessung, bei der unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände nach Art und Schwere der Strafe bzw. danach gefragt werden müsse, ob eine solche überhaupt zu verhängen sei. Unter dem Blickwinkel formeller Tatbestandsverwirklichung könne deshalb die Frage nach der Unterscheidung zwischen aktiver und – häufig auch mehr oder weniger willkürlich definierter – passiver Sterbehilfe nicht entscheidend sein, weil die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht dadurch ausgeschlossen werden könne, dass im konkreten Fall versucht werde, „eine mit gesundem Menschenverstand eindeutig als aktiv zu bewertende Tätigkeit in den Bereich passiver Euthanasie zu zwängen“. Gleichzeitig beeilt sich Tóth aber auch hinzuzufügen, was seiner Meinung nach „vielleicht zuvor schon klar war“: Die Tatbestandsverwirklichung ziehe in der hier interessierenden Fallkonstellation des technischen Behandlungsabbruchs nicht zwangsläufig Strafe nach sich, biete das GesG doch die Möglichkeit, mit dem Einverständnis des Patienten eine lebensrettende Behandlung einzustellen bzw. abzubrechen. Damit werde die strafrechtliche Haftung des Arztes freilich nicht bereits auf Tatbestands-, sondern erst auf Rechtswidrigkeitsebene ausgeschlossen.284 cc) Stellungnahme Den Ausführungen beider Autoren ist im Ergebnis sowohl zuzustimmen als auch zu widersprechen: Der Rekurs Filós auf die Formeln „sozialer Sinngehalt“ und „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ überzeugt insofern, als die darin liegende wertende Herangehensweise in den hier interessierenden Fällen dem Umstand Rechnung trägt, dass sich eine intensivmedizinische Lebenserhaltung bzw. -verlängerung für gewöhnlich als vielschichtiges Leistungsbündel darstellt, bei dem sich einzelne Maßnah283 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 67 f.; widersprüchlich aber ders., in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 141 (150 ff.): Oben dargestellte Ansicht wird dort zwar nach wie vor als „eigener Standpunkt des Autors“ vorgestellt; gleichzeitig möchte Filó mit Blick auf die Entscheidung des BGH im „Fuldaer-Fall“ (BGHSt 55, 191) aber auch vor den im Anschluss darzustellenden Erwägungen von Tóth, MJ 2010, 503 (505) „kapitulieren“, obgleich er selbst zugeben muss, dass die Begründung des 2. Senats einige Probleme aufwirft. 284 Tóth, MJ 2010, 503 (505).

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men ohne Auswirkung auf den Patienten durch minimale technische Eingriffe modifizieren lassen.285 Das von Filó angeführte Beispiel des mit einer Zeitschaltuhr versehenen Beatmungsgeräts verdeutlicht dies anschaulich. Sofern Tóth dagegen darauf hinweist, dass ja auch in den Fällen „Fekete Angyal“ und „Binder“ keine Zweifel an der rechtlichen Einordnung als aktives Tun und der Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts bestanden hätten,286 hinkt dieser Vergleich und lässt er sich auch nicht durch einen Appell an den „gesunden Menschenverstand“ retten. Denn dieser könnte doch genauso gut gebieten, das Abschalten lebenserhaltender Apparaturen in wertender Betrachtung gerade anders zu beurteilen als die Verabreichung einer tödlichen Kalium- und Morphindosis („Fekete Angyal“)287 oder das Ertränken der todkranken Tochter in der Badewanne („Binder“).288 In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Feststellung Ingelfingers erinnert, dem zufolge durch die ärztliche Behandlung eine Leistung für das Rechtsgut eines Anderen erbracht wird: „Wenn der Arzt diese zurückhält, verletzt er keine geschützte Freiheitssphäre, sondern verstößt allenfalls gegen die Pflicht, für fremde Güter tätig zu werden. Dann liegt aber normativ die Situation eines Unterlassens vor, auch wenn äußerlich eine aktive Tätigkeit damit verbunden ist.“ 289 Diese Sichtweise erscheint freilich umso weniger zwingend, als auch Lösungswege auf Rechtswidrigkeitsebene offenstehen. Filó verneint eine Rechtfertigung unter Hinweis auf den Grundsatz der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens. Dies erstaunt, möchte er doch die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe – unzweifelhaft ein aktives Tun – trotz einiger Bedenken im Ergebnis auf rechtfertigenden Notstand stützen.290 Wie bereits dargelegt,291 handelt es sich dabei grundsätzlich um eine tragfähige Lösung, die nur deshalb keine eigenständige Bedeutung erlangt, weil potenziell lebensverkürzende Schmerzlinderungsmaßnahmen bereits

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So für die deutsche Diskussion Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 119. Tóth, MJ 2010, 503 (505). 287 Siehe zu diesem Fall Kovács/Frewer, Ethik Med. 2004, 75 (78 f.): Angeklagt war eine von den Medien „Schwarzer Engel“ (ung.: fekete angyal) genannte Krankenschwester, die zwischen Mai 2000 und Februar 2001 in einem Budapester Krankenhaus arbeitete und in deren Nachtdiensten eine auffällige Häufung von Todesfällen zu verzeichnen war. Nachdem man sie auf frischer Tat bei der Tötung eines Patienten ertappt hatte, legte sie ein Geständnis ab und gab zu, um die vierzig unheilbar Kranken ein tödliches Gemisch aus Morphin, starken Sedativa und Kalium verabreicht zu haben, weil – so ihre Begründung – sie den betagten und leidenden Patienten habe „helfen“ und deren Schmerzen lindern wollen. Das Gericht verurteilte die Angeklagte zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe. 288 Zum „Fall Binder“ siehe bereits oben Zweiter Teil B. 289 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 310; siehe auch oben Erster Teil B. II. 3. a) cc) (1) (b). 290 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. b) aa). 291 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. b) bb). 286

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vom GesG erfasst werden. Es ist daher nicht ersichtlich, wieso nicht auch hier das richtige dogmatische Instrument die Notstandsvorschrift sein könnte, in deren Rahmen das Interesse des Patienten an einem „natürlichen behandlungsfreien Sterben“ mit seinem (Weiter-)Lebensinteresse und dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung des Tötungstabus abgewogen würde.292 Möglicherweise kommt es aber auf die Notstandslösung gar nicht an, da, wie dies Tóth behauptet, auch der technische Behandlungsabbruch von den Vorschriften des GesG erfasst wird. Tatsächlich lässt sich die Begrenzung einer zulässigen Therapieeinstellung auf äußerlich passive Verhaltensweisen den §§ 20–23 GesG nicht entnehmen. Die gesetzliche Regelung rückt vielmehr den Patienten und sein Recht auf Behandlungsverzicht in den Vordergrund. Dadurch werden zwar, gleichsam spiegelbildlich, auch die Behandlungsrechte und -pflichten des Arztes festgelegt.293 Doch geschieht dies eben ohne phänotypische Umschreibung des Behandlungsabbruchs, der damit ohne Weiteres auch ein tätiger sein kann. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Einordnung als Tun oder Unterlassen für die rechtliche Bewertung des Abschaltens lebenserhaltender Maschinen im Ergebnis unerheblich ist. Nimmt man, was grundsätzlich gut vertretbar erscheint, in diesen Sachverhalten trotz des nach außen aktiven Verhaltens in normativer Betrachtung ein Unterlassen an, dann sind die §§ 20–23 GesG für die Beantwortung der Frage nach der Erfolgsabwendungspflicht des Arztes maßgebend. Geht man hingegen in naturalistisch-kausaler Betrachtung von einem aktiven Tun aus und hält den Tatbestand eines vorsätzlichen Tötungsdelikts für verwirklicht, dann liefern diese Vorschriften eine „gesetzliche Ermächtigung“ für dessen Rechtfertigung. So oder so ist damit die Zulässigkeit des technischen Behandlungsabbruchs dem Regelungsregime der §§ 20–23 GesG unterstellt.

292 Siehe zur analogen Abwägung im deutschen Recht oben Erster Teil B. II. 3. a) cc) (1) (b). 293 Vgl. auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 297 f., der treffend darauf aufmerksam macht, dass wenn man den Willen zum Therapieabbruch als Verweigerung oder Widerruf einer Einwilligung in die weitere medizinische Behandlung interpretiert, seine unmittelbare Wirkung im Entzug des Behandlungsrechts liegt, er daneben aber auch eine mittelbare Wirkung dergestalt besitzt, dass der Arzt mit dem Wegfall eines Behandlungsrechts zum Behandlungsabbruch verpflichtet und aus diesem Grund auch dazu berechtigt ist, weil das die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gebietet. Diese Erwägungen gilt es mit Blick auf das GesG dahingehend zu ergänzen, dass aus der Bindung der Beachtlichkeit eines Behandlungsvetos an bestimmte Voraussetzungen e contrario eine Verpflichtung des Arztes folgt, den Patienten so lange lebenserhaltenden/lebensrettenden Eingriffen zu unterwerfen, wie kein rechtswirksames Behandlungsveto vorliegt. Mit dieser Pflicht geht dann wiederum ein (Zwangs-)Behandlungsrecht des Arztes einher, das nach der hier vertretretenen Auffassung freilich äußerst problematisch ist.

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b) Zulässigkeit der Einstellung künstlicher Ernährung Mit Blick auf die entsprechende Diskussion in der deutschen Lehre sei schließlich auch noch kurz erörtert, von der Anwendung welcher konkreter Mittel im Rahmen eines Behandlungsverzichts abgesehen werden darf. In erster Linie geht es hier um das Problem, ob es rechtlich zulässig sein kann, den Patienten durch Einstellung der künstlichen Ernährung gleichsam „verhungern zu lassen“. Da sich diese Frage vornehmlich bei Patienten im apallischen Syndrom oder anderen dauerkomatösen Zuständen stellt, diese Zustände aber regelmäßig nicht die Kriterien nach § 20 Abs. 3 GesG erfüllen, da hier der Tod bei entsprechender medizinischer Versorgung nicht innerhalb kurzer Zeit eintritt, kommt ihr in Ungarn allerdings keine große Bedeutung zu.294 Für derartige Krankheitsbilder kann lediglich mittels einer Patientenverfügung oder der Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters Vorsorge getroffen werden, doch ergeben sich dann keine besonderen Schwierigkeiten. Im ersten Fall muss der Patient die abgelehnten Eingriffe nach der Beilage zur RegVO-GesG, die als Gegenstand eines Behandlungsvetos explizit auch eine künstliche Ernährung nennt, genau angeben. Für die Bestellung des besonderen gewillkürten Patientenvertreters gilt die Beilage zur RegVO-GesG zwar nicht; doch wird der Patient mit Blick auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 lit. c GesG („einzelne lebenserhaltende, lebensrettende Eingriffe“) auch hier gehalten sein, die (Art der) Maßnahmen, auf die verzichtet werden soll, exakt zu bezeichnen. Erklärt der Patient hingegen einen Totalverzicht, was in Abweichung vom Normtext ebenfalls als zulässig erachtet werden sollte, dann wird davon auszugehen sein, dass dieser sämtliche lebensrettende oder lebenserhaltende Eingriffe inklusive einer künstlichen Ernährung erfasst. Der in einer Patientenverfügung festgelegte bzw. von einem besonderen gewillkürten Patientenvertreter erklärte Verzicht bewirkt dann wiederum den Fortfall der Garantenstellung des Arztes.

V. Die Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerzund Leidenslinderung Untersucht werden muss noch die rechtliche Beurteilung von schmerz- und leidenslindernden Maßnahmen, die nicht mit dem Risiko einer Lebensverkür294 Sie wird deshalb auch nur selten erörtert, und selbst dann nicht besonders ausführlich; siehe etwa Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 210 f., der im Kontext des Behandlungsverzichts am Lebensende beim geschäftsfähigen Patienten mit Blick auf die deutsche Diskussion lediglich bemerkt, dass der Verzicht auf künstliche Ernährung „besonders sensible Probleme“ aufwerfe. Bezogen auf die ungarische Rechtslage beansprucht diese Feststellung allerdings nur eingeschränkt Gültigkeit; dies gilt erst recht, wenn es um die Einstellung künstlicher Ernährung beim einwilligungs- bzw. geschäftsfähigen Patienten geht, die in Ungarn ebenso unproblematisch möglich ist wie in Deutschland.

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zung behaftet sind. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei nach dem in Ungarn vorherrschenden Begriffsverständnis nicht um einen Fall der Sterbehilfe, da diese beim Patienten stets eine Lebensverkürzung voraussetzt. 1. Subsumtion unter den Körperverletzungstatbestand In Betracht kommt insoweit eine Strafbarkeit gem. § 164 uStGB (§ 170 aStGB),295 der neben verschiedenen Formen der vorsätzlichen auch die fahrlässige Körperverletzung unter Strafe stellt. Gemäß Abs. 1 begeht eine Körperverletzung, wer die körperliche Unversehrtheit oder die Gesundheit eines anderen verletzt. Das Vergehen der einfachen Körperverletzung ist in Abs. 2 geregelt: Danach wird der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft, wenn er die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person verletzt oder ihre Gesundheit schädigt und die Heilungsdauer der Verletzung oder der Krankheit weniger als acht Tage beträgt. Bei einer acht Tage überschreitenden Heilungsdauer macht sich der Täter des Verbrechens der schweren Körperverletzung schuldig und ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen (Abs. 3).296 Der Begriff der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit erfordert nach herrschendem Verständnis eine äußere Einwirkung, typischerweise in Form einer Misshandlung (ung.: bántalmazás), welche zu Verletzungsspuren in oder auf dem Körper bzw. einem Teil des Körpers führt.297 Gesundheitsschädigung ist demgegenüber jede Einwirkung, die zwar keine Verletzung bewirkt, jedoch einen krankhaften (pathologischen) Zustand körperlicher oder seelischer Art zur Folge hat.298 Beide Tatmodalitäten können sowohl durch ein Handeln als auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden.299 295 Soweit es um die einfache und schwere Körperverletzung geht, ergeben sich zwischen § 164 uStGB und § 170 aStGB keine materiellen Unterschiede; vgl. im Übrigen aber die nächste Fn. 296 In Bezug auf die Vorgängervorschrift § 170 aStGB, welche ein Pendant zu § 164 Abs. 1 uStGB nicht enthielt und in Abs. 1 die einfache, in Abs. 2 die schwere Körperverletzung regelte, herrschte in der Lehre Uneinigkeit, ob beide Absätze jeweils einen eigenen Grundtatbestand bildeten ober ob Abs. 1 der Grundtatbestand und Abs. 2 dessen Qualifikation war; näher dazu Blaskó u. a., KR, 48. Indem er besagten Abs. 1 eingefügt hat, wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass es sich bei der einfachen und der schweren Körperverletzung um zwei gesonderte Grundtatbestände handelt; vgl. die amtliche Begründung des Vorentwurfs zum G 2012:C über das Strafgesetzbuch v. 13.7.2012, 118. 297 Fehér/Horváth/Lévay, KR, 102; Kereszty u. a., KR, 111; ähnlich Blaskó u. a., KR, 49, die aber zusätzlich verlangen, dass die Einwirkung in „feindlicher Absicht“ erfolgt. Dies ist abzulehnen: Die Voraussetzung einer feindlichen Absicht findet im Gesetz keine Stütze und führt in der Praxis zu erheblichen Strafbarkeitslücken. 298 Belovics/Molnár/Sinku, KR, 116; Kereszty u. a., KR, 111; ähnlich Balogh, KR, 56 u. Blaskó u. a., KR, 49, die aber im Gegensatz zu vorgenannten Autoren den Begriff der Misshandlung nicht exklusiv mit der Zufügung von Verletzungsspuren, sondern auch mit der Verursachung von Krankheiten in Verbindung bringen.

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Die für die Abgrenzung zwischen einfacher und schwerer Körperverletzung erforderliche Bestimmung der Heilungsdauer erfolgt in der Praxis durch einen medizinischen Sachverständigen.300 Dabei wird auf die sog. tatsächliche Heilungsdauer abgestellt.301 Dieser Begriff wird vom Staatlichen Institut für Rechtsmedizin in seinem 16. Fachrundschreiben konkretisiert.302 Danach ist zunächst zwischen einer anatomischen und einer funktionalen Heilungsdauer zu differenzieren.303 Als anatomisch verheilt gelte eine Körperverletzung bei Wiederherstellung der anatomischen Einheit des verletzten Gewebes, wohingegen man von funktionaler Heilung erst bei einer vollständigen Wiederherstellung der Funktionalität des geschädigten Organismus bzw. dann sprechen könne, wenn diesbezüglich keine wesentliche Verbesserung mehr zu erwarten, mithin von einem sog. Endzustand auszugehen sei. Die funktionale Heilungsdauer sei regelmäßig länger als die anatomische. Die tatsächliche Heilungsdauer sei die vom medizinischen Sachverständigen auf der Basis einer Gesamtabwägung unter Berücksichtigung auch der anatomischen und funktionalen Heilungsdauer im Einzelfall bestimmte Rekonvaleszenzdauer. In der Mehrzahl der Fälle stimme sie mit der funktionalen Heilungsdauer überein, falls nicht, dann sei sie länger und dauere regelmäßig bis zu dem Zeitpunkt, an dem die medizinische Versorgung der Verletzungsfolgen (unter Ausschluss etwaiger Rehabilitationsmaßnahmen) beendet werde.304 Folglich wäre bei einer subkutanen Gabe hochwirksamer Analgetika grundsätzlich der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 164 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 2 uStGB (§ 170 Abs. 1 Alt. 1 aStGB) erfüllt: Durch den Stich mit der Kanüle wird die Haut und das unmittelbar darunterliegende Binde- und Fettgewebe (sog. Unterhaut) des Patienten und damit seine körperliche Unversehrtheit verletzt.305 Da der Arzt in diesen Fällen auch vorsätzlich bzw. schuldhaft 299 Belovics/Molnár/Sinku, KR, 116; Kereszty u. a., KR, 110 f.; a. A. Blaskó u. a., KR, 49, die ohne nähere Begründung davon ausgehen, dass eine Misshandlung nur in einem aktiven Tun bestehen kann. 300 Balogh, KR, 57; Blaskó u. a., KR, 49; Tóth, Einführung in das ungarische Strafrecht (2006), 175. 301 Balogh, KR, 57; Belovics/Molnár/Sinku, KR, 116; Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2071. 302 Staatliches Institut für Rechtsmedizin, 16. Fachrundschreiben über die medizinisch-gutachterliche Beurteilung von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheitsschädigungen, EK 1998, 619. „EK“ steht für „Egészségügyi Közlöny“ (dt.: Gesetzblatt für das Gesundheitswesen), ein offizielles Periodikum des nach den Wahlen 2010 im Ministerium für Humanressourcen aufgegangenen Gesundheitsministeriums. 303 Psychische Erkrankungen werden im Rundschreiben nicht behandelt. 304 Staatliches Institut für Rechtsmedizin, 16. Fachrundschreiben über die medizinisch-gutachterliche Beurteilung von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheitsschädigungen, EK 1998, 619 (620, unter III.). 305 Dazu, dass eine solche Verletzung regelmäßig innerhalb von acht Tagen verheilt, siehe die beispielhafte Aufzählung im 16. Fachrundschreiben des Staatlichen Instituts für Rechtsmedizin über die medizinisch-gutachterliche Beurteilung von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheitsschädigungen, EK 1998, 619 (620),

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handelt, wäre er nur dann straflos, wenn zu seinen Gunsten ein Erlaubnissatz greifen würde. Dieses Ergebnis entspricht der herrschenden Auffassung in der Lehre, wonach ein invasiver ärztlicher (Heil-)Eingriff stets eine tatbestandsmäßige Körperverletzung ist.306 2. Die Rezeption des Rönnau’schen Basismodells durch Filó Anders sieht die Dinge neuerdings Filó, der unter Rekurs auf das sog. Basismodell von Rönnau eine gelungene und lege artis ausgeführte Heilmaßnahme de lege lata für tatbestandslos hält. Für Rönnau, der das materielle Unrecht in der „Beeinträchtigung personaler Handlungschancen“ erblickt, schließt die Einwilligung des Berechtigten eine Rechtsgutsverletzung deshalb aus, weil der Konsentierende gerade die ihm durch das Strafrecht gewährleisteten Handlungsoptionen nutzen wolle.307 Nach diesem Rechtsgutsverständnis steht der Wille nur in direkter Nähe zum betreffenden (Individual-)Rechtsgut, er ist aber nicht dessen unverzichtbares Element.308 Ausgehend hiervon weist Filó darauf hin, dass der ärztliche (Heil-)Eingriff zwar einerseits die Handlungschancen des Körpers als vitale Basis der Selbstbestimmung des Patienten verbessere, deshalb seine Einwilligung die Tatbestandsmäßigkeit der Maßnahme ausschließe, andererseits aber auch der ohne oder gegen den Willen des Patienten unternommene Eingriff keine Körperverletzung darstelle, solange er erfolgreich und kunstgerecht ausgeführt worden sei. Als eigenständiges Rechtsgut werde das Selbstbestimmungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten in Ungarn gegenwärtig nur nach Maßgabe des Tatbestands „Verletzung der Patientenautonomie“ bei der Durchführung bestimmter reproduktiver bzw. biomedizinischer Verfahren geschützt. Die nicht durch die Einwilligung des Patienten legitimierte Heilbehandlung sei daher nach geltendem Recht gem. dem strafrechtlichen Fundamentalgrundsatz „nullum crimen sine lege“ nicht strafbar.309 der zufolge zu den innerhalb von acht Tagen verheilenden Verletzungen auch „in den Muskel eindringende, oberflächliche Stich- und Schnittverletzungen gehören, sofern keine Naht erforderlich ist“. 306 Siehe etwa Belovics u. a., ÁR, 148; Dósa, Az orvos kártéritési felelo ˝ssége (2010), 88 f.; Görgényi u. a., ÁR, 196 f.; G. Kovács, A biológia és az orvostudomány hatása a bünteto˝jogra (Diss. 2007), 161; Németh, in: Karsai (Hrsg.), Keresztmetszet (2005), 163 (177). 307 Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht (2001), 124 f.; vgl. dazu auch die mit einer Kritik der konkurrierenden Modelle „Kollisionsmodell“ und „Integrationsmodell“ verbundene Rezeption Rönnaus durch Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 142 ff. 308 Rönnau, Jura 2002, 595 (598). Zur Kritik an diesem Ansatz siehe etwa Schwartz, Die hypothetische Einwilligung im Strafrecht (2008), 92 ff. 309 Siehe Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 195, der sich jedoch noch auf § 173/H aStGB bezieht. Zur Schließung dieser Lücke im System des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes schlägt Filó eine entsprechende Ausweitung dieser

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

3. Stellungnahme Ohne auf die allgemeine Kontroverse um den Wirkgrund der Einwilligung und die damit verknüpfte Frage nach der inhaltlichen Bestimmung des Rechtsgutsbegriffs einzugehen, sei an dieser Stelle nur so viel gesagt: Das Basismodell – oder genauer: diese Interpretation des Basismodells310 – kann nicht nur mit dem klaren Wortlaut der Körperverletzungsvorschrift kaum vereinbart werden, sondern führt hier auch zu untragbaren Ergebnissen, da sie der verfassungsrechtlich verbürgten Patientenautonomie nicht ausreichend Rechnung trägt. In Zusammenhang mit der indirekten Sterbehilfe wurde bereits dargelegt, dass die Einwilligung in ärztliche Heileingriffe (auch) nach dem GesG grundsätzlich311 der zentrale Aspekt im Verhältnis zwischen Arzt und Patient ist; sie bildet den Bezugspunkt zulässigen ärztlichen Tätigwerdens, setzt ihm aber zugleich auch Grenzen. Dieser Grundsatz sollte über den Körperverletzungstatbestand auch strafrechtlich abgesichert werden.312 Nach der von Filó vertretenen Auffassung gäbe es für eigenmächtige Heilbehandlungen, sofern sie nur erfolgreich und kunstgerecht ausgeführt werden, lediglich die wenig effektiven Schranken der Nötigung und der Freiheitsberaubung (§§ 195, 194 uStGB; §§ 174, 175 aStGB).313 Von daher droht eine partielle EntVorschrift vor, wie sie zuvor bereits von G. Kovács, A biológia és az orvostudomány hatása a bünteto˝jogra (Diss. 2007), 157, 190 u. Németh, in: Karsai (Hrsg.), Keresztmetszet (2005), 163 (184 f.) angeregt worden war (ebd.; anders als Filó gehen diese Autoren de lege lata von einer Strafbarkeit der eigenmächtigen Heilbehandlung als Körperverletzung aus). Bei der Schaffung des uStGB blieben derartige Vorschläge freilich unberücksichtigt: § 218 uStGB ist mit § 173/H aStGB im Wesentlichen identisch; lediglich das in § 173/H Abs. 4 aStGB enthaltene Strafantragserfordernis wurde nicht übernommen. 310 Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht (2001), 106 macht selbst darauf aufmerksam, dass sein Erklärungsansatz durch keine der in Deutschland zum ärztlichen Heileingriff vertretenen Grundthesen desavouiert wird. Folge man der Rspr. und qualifiziere die Heilmaßnahme als tatbestandsmäßige Körperverletzung, werde der Körper als Basis für personale Entfaltung auch dann vor Eingriffen geschützt, wenn dieser Akt gerade der Wiederherstellung oder Erhaltung des Rechtsguts diene. Dem Basisgedanken werde damit umfassend – allerdings unter Verkehrung des sozialen Sinns der Tätigkeit in sein Gegenteil – Rechnung getragen. 311 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf das oben dargestellte Vertretungsregime bei beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten sowie die Regelungen zur passiven Sterbehilfe, die unter Umständen auch eine Zwangsbehandlung des Patienten vorschreiben. 312 Strafrechtsdogmatisch zwingend ist dies freilich nicht. Aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung folgt in diesem Zusammenhang nur, dass sich das Strafrecht nicht in Widerspruch zu den Wertungen des GesG setzen darf, nicht aber, dass diese auch strafrechtlich abgesichert werden müssen. Konkret: Unzulässig wäre es, die auf einer aufgeklärten Einwilligung beruhende Heilbehandlung als Körperverletzung zu bestrafen bzw. umgekehrt von einer Körperverletzung durch Unterlassen auszugehen, wenn der Patient den ärztlichen Eingriff ablehnt. 313 Zwischen § 195 uStGB und § 174 aStGB bestehen bis auf einige kleinere sprachliche Abweichungen keine Unterschiede. Gleiches gilt für den Grundtatbestand und die einzelnen Qualifikationen der Freiheitsberaubung in § 194 Abs. 1, 2 uStGB, der ggü. § 175 Abs. 1, 3 aStGB inhaltlich ebenfalls nicht verändert wurde. Gestrichen wurde al-

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mündigung des Patienten, dessen Rechtsposition durch die Schaffung des GesG gerade gestärkt werden sollte.314 Bis zur Schaffung eines allgemeinen, über den Regelungskontext des § 218 uStGB (§ 173/H aStGB) hinausgehenden Tatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung wird man daher nicht umhinkommen, einen adäquaten Schutz des Patienten dadurch sicherzustellen, dass man den allgemeinen Körperverletzungsdelikten das Selbstbestimmungsrecht „auflädt“. Die subkutane Gabe hochwirksamer Analgetika ist demnach stets eine tatbestandsmäßige Körperverletzung i. S. d. § 164 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 2 uStGB (§ 170 Abs. 1 Alt. 1 aStGB). Um straflos zu sein, muss sich der so vorgehende Arzt auf einen Rechtfertigungsgrund berufen können. In Betracht kommen wiederum die Vorschriften des GesG, auf die schon die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe gestützt wurde (§ 6 Abs. 1 i.V. m. § 129 Abs. 1, 2 GesG).315 Auch die nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung kann folglich unter dem Aspekt der Erfüllung von Amts- und Berufspflichten oder besser: aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung gerechtfertigt sein. 4. Strafbarkeit wegen unterlassener Schmerzbehandlung Zu beantworten bleibt damit nur noch die im Kontext der indirekten Sterbehilfe gleichermaßen interessierende Frage, ob die Schmerzlinderungspflicht des Arztes auch eine strafbewehrte ist. Dies wäre zunächst einmal dann der Fall, wenn die entgegen dem Wunsch des Patienten bzw. seines gewillkürten oder gesetzlichen Patientenvertreters nicht geleistete Schmerzlinderung eine Körperverletzung durch Unterlassen wäre. Die Subsumtion derartiger Verhaltensweisen unter den Körperverletzungstatbestand ist nicht ganz unproblematisch, da bereits dargelegt wurde, dass der vorschriftsmäßige Erfolg in der Verursachung einer Substanzeinbuße bzw. eines krankhaften Zustands besteht. Durch die Nichtbehebung oder Nichtverminderung von Schmerzen wird die Substanz des menschlichen Körpers aber nicht beeinträchtigt. Eine Strafbarkeit des Arztes käme deshalb nur dann in Betracht, wenn durch sein Untätigbleiben ein krankhafter Zustand hervorgerufen, aufrechterhalten oder lerdings die Qualifikation in § 175 Abs. 2 aStGB, wonach die Aufrechterhaltung der Freiheitsberaubung von Personen, derer sich der Täter im Wege des Menschenhandels bemächtigt hat, mit einer Freiheitsstrafe zwischen zwei und acht Jahren geahndet wird, wenn diese zur Arbeit gezwungen werden (die Zwangsarbeit wird durch § 193 uStGB in einem eigenen Tatbestand geregelt). Als weitere Änderung kommt hinzu, dass die Freiheitsberaubung jetzt einer höheren Strafandrohung unterliegt (Freiheitsstrafe zwischen zwei und acht Jahren anstatt einem Jahr und fünf Jahren), wenn das Opfer unter achtzehn Jahren ist und die Qualifikationen nach Abs. 2 lit. b, c (niedrige Beweggründe/ Verursachung von Qualen) verwirklicht werden (§ 194 Abs. 3 uStGB). 314 Vgl. die amtliche Begründung zum G 1997:CLIV über das Gesundheitswesen v. 23.12.1997, 4. 315 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (1).

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

intensiviert würde.316 Zumindest akute, d. h. zeitlich limitierte Schmerzen besitzen für sich genommen aber keinen Krankheitswert, mögen sie das Wohlbefinden des Patienten auch erheblich beeinträchtigen. Sie sind üblicherweise nur Begleitsymptom einer körperlichen Erkrankung oder Nervenschädigung und kein eigenständiges Krankheitsbild.317 Bloße Befindlichkeitsstörungen werden von § 164 uStGB (§ 170 aStGB) aber nicht erfasst.318 Sofern die Schmerzen des Patienten nicht in irgendeiner Weise auf seinen Organismus „durchschlagen“ und dort nachweislich zu Funktionsstörungen führen, wird man deshalb eine Körperverletzung durch Unterlassen verneinen müssen. Andererseits gilt es zu berücksichtigen, dass sich chronische, d. h. länger andauernde Schmerzen zu einem sog. chronischen Schmerzsyndrom mit eigenem Krankheitswert entwickeln können. Primär chronische Schmerzen werden auch und v. a. durch Krebserkrankungen verursacht.319 Gerade bei solchen Schmerzen und bei den Akutschmerzen, die nicht nach der zu erwartenden Zeit zu beseitigen sind, müssen präventive Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden, um der Entwicklung einer Schmerzkrankheit entgegenzuwirken.320 Leistet der untätig bleibende Arzt durch sein Verhalten der Ausbildung eines solchen Zustands Vorschub oder behandelt er einen bereits bestehenden Zustand nicht (wirksam), macht er sich folglich wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafbar. Unabhängig von dieser Differenzierung kommt aber auch eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 166 Abs. 1 uStGB (§ 172 Abs. 1 aStGB)321 in Betracht. Dieses Vergehen verwirklicht, wer einem Verletzten oder einer Person, deren Leben oder körperliche Unversehrtheit unmittelbar gefährdet ist, nicht die ihm zumutbare Hilfe leistet. „Verletzter“ i. S. d. Vorschrift ist jeder, dessen körperliche Unversehrtheit oder Gesundheit geschädigt ist, wobei der Grund für 316

Auch wenn die Mehrzahl der Autoren bei der Definition der Gesundheitsschädigung lediglich von der Verursachung eines krankhaften Zustands spricht, wird man auch dessen Aufrechterhaltung bzw. Steigerung als von der Körperverletzungsvorschrift erfasst ansehen müssen; zumindest für Letzteres ausdrücklich auch Balogh, KR, 56. 317 Vgl. die im Jahr 2001 von der Arbeitsgemeinschaft Neurologische Begutachtung (ANB e. V.) veröffentlichten „Empfehlungen zur Schmerzbegutachtung“, 1. 318 Vgl. statt aller Kereszty u. a., KR, 111, denen zufolge eine Ohrfeige keine tatbestandsmäßige Körperverletzung darstellt, sofern sie lediglich mit einer Hautrötung infolge der Gefäßerweiterung und nicht etwa einem Riss der Kapillargefäße bzw. auch nur leichten Blutergüssen einhergeht. 319 Vgl. dazu die Broschüre „Chronischer Schmerz“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, B 31. 320 Siehe die Broschüre „Chronischer Schmerz“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, A 11, B 32 f. 321 Abgesehen von einigen kleineren sprachlichen Änderungen ist § 166 uStGB mit § 172 aStGB inhaltlich bis auf eine Ausnahme identisch: Die Kombination der Qualifikationen nach Abs. 2 u. 3, wonach der Täter den Tod des Opfers verursacht und gleichzeitig die Gefahr verursacht hat oder auch sonst zur Hilfeleistung verpflichtet war, wird neu mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren geahndet. § 172 aStGB sah für diesen Fall keine Mindestfreiheitsstrafe vor.

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die Schädigung grundsätzlich irrelevant ist.322 Erfasst wird folglich auch der unheilbar kranke Patient, dessen Schmerzen der Arzt im Rahmen des Möglichen lindern muss.323 Bleibt er untätig, so ist er nach § 164 uStGB (§ 172 aStGB) zu bestrafen. Mit Blick auf das in § 6 GesG statuierte Recht des Patienten auf Schmerzlinderung, aus dem spiegelbildlich eine entsprechende Pflicht des Arztes folgt, ist in diesen Fällen stets auch die Verbrechensqualifikation nach Abs. 3 erfüllt, die anstatt zwei bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, wenn der Täter auch sonst zur Hilfeleistung verpflichtet war. Sollte die unterlassene Schmerzlinderung gar den Tod des Patienten zur Folge haben, ist auch die Verbrechensqualifikation nach Abs. 2 erfüllt, die zu drei bzw. in Kombination mit der Verbrechensqualifikation nach Abs. 3 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren führen kann.

VI. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung Die Untersuchung, ob und, wenn ja, inwieweit sich Dritte strafbar machen, wenn sie einem unheilbar kranken und große Schmerzen bzw. sonst schwer leidenden Patienten bei seiner Selbsttötung behilflich sind, bildet den Gegenstand des nächsten und zugleich letzten strafrechtlichen Abschnitts. Derartige Fragen sind in Ungarn auch jenseits der Sterbehilfeproblematik von großer Bedeutung, weist das Land doch traditionell eine der weltweit höchsten Suizidraten auf. Nach der neuesten verfügbaren Statistik der WHO aus dem Jahr 2011 kommen in Ungarn jährlich 24.6 Suizidtote auf 100.000 Einwohner, womit das Land den siebten Platz unter 105 erfassten Nationen belegt.324 Männer sind dabei signifikant häufiger betroffen als Frauen und ältere Menschen eher als jüngere.325 Auch 322 Belovics/Molnár/Sinku, KR, 125 f.; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 120; Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2125. Der Begriff der unmittelbaren Gefahr für Leib oder Leben ist dagegen selbsterklärend. Unklar ist hier lediglich, ob auch Personen erfasst werden, die sich weder einer unmittelbaren Bedrohung ihres Lebens noch ihrer körperlichen Unversehrtheit, wohl aber ihrer Gesundheit ausgesetzt sehen. Im Hinblick auf den Grundsatz „nullum crimen sine lege“ wird man dies verneinen müssen, auch wenn dadurch eine kaum zu rechtfertigende Strafbarkeitslücke entsteht. 323 Die Zumutbarkeit der Schmerzlinderung dürfte kaum einmal problematisch werden. 324 Vgl. WHO, Suicide rates per 100,000 by country, year and sex (Table) und WHO, Country reports and charts available, abrufbar unter sowie . Ein detaillierter Landesbericht zu Ungarn kann unter: abgerufen werden, Stand jeweils 5.12.2013. Vor Ungarn liegen gegenwärtig nur Litauen (34.1), Südkorea (31.0), Russland (30.1), Weißrussland (28.4), Guyana (26.4) sowie Kasachstan (25.6). Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Suizidrate 12.3 (jeweils per 100.000 Einwohner). 325 Vgl. die Tabelle der WHO zu Ungarn, in der die auf 100.000 Einwohner gerechnete Suizidrate bei Männern mit 40.0 und bei Frauen mit 10.6 angegeben wird. Mit

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scheint die Suizidinzidenz sehr stark zu variieren: So treten Selbsttötungen vermehrt im Südosten des Landes auf, was wohl in erster Linie mit der wirtschaftlichen Rückständigkeit dieser Region und der damit einhergehenden hohen Arbeitslosenquote erklärt werden kann.326 Besteht bereits eine Familiengeschichte mit suizidalem Verhalten, dann kann sich dieser Umstand seinerseits verstärkend auf die Suizidneigung auswirken.327 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Selbsttötung in Ungarn auf eine lange geschichtliche Tradition zurückblicken kann,328 was nicht zuletzt auch in ihrer bisweilen anzutreffenden Bezeichnung als „morbus hungaricus“ zum Ausdruck kommt. Angesichts dieser Befunde erstaunt es doch sehr, dass die sich um die strafrechtliche Beurteilung der Mitwirkung an einer Selbsttötung rankenden Fragen nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Sterbehilfediskussion kaum eine Rolle spielen: Die einschlägigen Urteile zur Mitwirkung am Suizid lassen sich an einer Hand abzählen und auch das Schrifttum widmet der Problematik nur selten mehr als ein bis zwei Seiten.329 1. Die Straflosigkeit der (versuchten) Selbsttötung Ausgehend von dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs. 1 uStGB („Wer einen anderen tötet“; insoweit identisch mit § 166 Abs. 1 aStGB) ist die Selbsttötung nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Lehre tatbestands- und damit straflos.330 Da die vollendete Tat nicht dem Tatbestand des § 160 Abs. 1 uStGB unterfällt, der Suizid mithin keine vorsätzliche Straftat i. S. v. § 10 Abs. 1 uStGB 44.0 (Männer 71.9/Frauen 17.9) erreicht die Suizidhäufigkeit bei der Gruppe der 45– 54-Jährigen ihren Höhepunkt; nur unwesentlich niedriger ist sie bei der Altersgruppe der über 75-Jährigen mit 41.8 (Männer 90.5/Frauen 18.4). Dagegen beträgt die Selbsttötungsrate etwa bei den 25–34-Jährigen „nur“ 14.6 (Männer 23.4/Frauen 5.5). 326 Siehe Filó, in: ders. (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 103 (105), der daneben auch den in Südostungarn dominierenden Protestantismus als einen tendenziell begünstigenden Faktor ausmacht. Zwar sei diese von Durkheim begründete These heutzutage heftig umstritten, doch scheine die protestantische Moraltheologie im Vergleich mit der strengen katholischen Glaubenslehre in Suizidfragen tatsächlich etwas nachsichtiger zu sein. 327 Siehe Filó, in: ders. (Hrsg.), Menschenwürdiges Sterben (2010), 103 (105), dem zufolge ungarische Studien ein bis zu 26-fach erhöhtes Suizidrisiko bei Männern nachgewiesen haben, in deren Familien die Selbsttötung als ein probates Mittel zur Problembewältigung angesehen wird. 328 Ausführlich dazu Lederer, in: Bähr/Medick (Hrsg.), Sterben von eigener Hand (2005), 137. 329 Als löbliche Ausnahme sind auch hier die Schriften von Filó, ZStW 117 (2005), 952; ders., Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 227 ff. zu nennen, der sich des Themas mehrfach angenommen und vertiefende rechtliche Analysen erarbeitet hat. 330 Vgl. etwa OG, BH 1983 Nr. 7; Belovics/Molnár/Sinku, KR, 93, 109; Blaskó u. a., KR, 32, 43; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 64, 93.

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(§ 16 aStGB)331 ist, ist auch für die Annahme eines tatbestandsmäßigen Suizidversuchs kein Raum. Der seinen Suizidversuch Überlebende macht sich freilich strafbar, wenn die „Tatausführung“ mit einer Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit einhergeht. Einen Grundsatz, dem zufolge fremde Rechtsgüter der Einwirkung durch den Suizidenten schutzlos ausgeliefert sind, lässt sich auch der ungarischen Rechtsordnung nicht entnehmen.332 Unproblematisch ist deshalb die Strafbarkeit bei einem sog. Mitnahme- oder erweiterten Suizid, bei dem der Lebensmüde den Tod eines oder mehrerer ahnungsloser Opfer verursacht. Solche Sachverhalte erfahren keine spezielle Bewertung, weil sie sich als reguläre (allenfalls nur versuchte) Fremdtötung in Kombination mit einer (geplanten) Selbsttötung darstellen.333 Keine Schwierigkeiten ergeben sich ferner, wenn der Suizidversuch dazu dienen sollte, sich der Erfüllung der Wehrpflicht zu entziehen (vgl. § 426 uStGB, § 335 aStGB).334 Wenig überzeugend sind Rechtsprechung und Lehre, soweit es um eine rechtlich akzeptable Begründung für die Straflosigkeit des Suizids geht. Tatsächlich macht man sich kaum die Mühe, eine solche zu finden, wird regelmäßig nur die fehlende Tatbestandsmäßigkeit derartiger Verhaltensweisen angeführt.335 Soweit aber doch einmal versucht wird, Gründe für die geltende Rechtslage zu liefern, wird lediglich darauf hingewiesen, dass der Suizident wegen tiefgreifender Be-

331 Beide Vorschriften sind wortgleich: „Wegen Versuchs wird bestraft, wer die Begehung einer vorsätzlichen Straftat beginnt, sie aber nicht beendet.“ Anders als in Deutschland ist in Ungarn demnach grds. auch der Versuch eines Vergehens mit Strafe bedroht. 332 Vgl. analog zum deutschen Recht Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 31 m.w. N. 333 Siehe Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 247, 249, der diese Selbsttötungsart anhand von Falschfahrten veranschaulicht und darauf aufmerksam macht, dass sich der Lebensmüde in solchen Fällen ggf. wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 186 aStGB strafbar machen kann (die Nachfolgevorschrift § 234 uStGB ist weitgehend identisch, sieht aber in Abs. 2 lit. a für die Qualifikation der Verursachung einer schweren Körperverletzung künftig eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vor). 334 Siehe Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 246 f., dem zufolge Gleiches auch für die in § 336/A aStGB sanktionierte Zivildienstpflichtentziehung gilt. Einen solchen Straftatbestand kennt das uStGB allerdings nicht mehr, da der Zivildienst in Ungarn zum 1.1.2012 abgeschafft wurde. § 426 uStGB weicht von § 335 aStGB im Übrigen insoweit ab, als die Selbstverstümmelung keine Qualifikation der Wehrpflichtentziehung mehr darstellt, sondern neben der Nichterfüllung der Meldeoder Einrückpflicht – dem Grundtatbestand des § 335 aStGB – eine der beiden Tatmodalitäten bildet. Gestrichen wurde auch die andere Qualifikation des unerlaubten Entfernens ins Ausland bzw. des unerlaubten Auslandsaufenthalts. Zur rechtlichen Bewertung von Fällen, in denen der Suizidversuch einer Schwangeren zum Verlust der Leibesfrucht führt, siehe Filó, a. a. O., 248 f. 335 Vgl. die oben in Fn. 330 zitierten Autoren.

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wusstseinsstörung oder krankhaften Geisteszustands unzurechnungs- bzw. schuldunfähig sei. Eine Pönalisierung der (versuchten) Selbsttötung sei deshalb weder unter spezial- noch generalpräventiven Gesichtspunkten Erfolg versprechend, sodass der Gesetzgeber auf die Schaffung eines entsprechenden Straftatbestands habe verzichten können.336 Diese Sichtweise ist ersichtlich von psychiatrischen Forschungsergebnissen beeinflusst, denen zufolge der Lebensmüde vor der Tat an einem sog. präsuizidalen Syndrom leidet, das durch ein Gefühl des Eingeengtseins, Aggressionen und suizidale Fantasien charakterisiert wird.337 Sieht man einmal davon ab, dass das präsuizidale Syndrom nicht dazu geeignet ist, Selbsttötungen als bloßes Resultat psychischer Defekte zu betrachten und sie als rechtlich unfrei zu qualifizieren, weil die in der Suizidforschung zugrunde gelegte „vorrechtliche“ Krankheitsdefinition anderen Aufgaben dient als der strafrechtliche,338 sind im Wesentlichen zwei Einwände zu erheben: Zum einen spricht gegen diese Auffassung, dass nach der modernen Suizidforschung zwar viele, wenn nicht gar die meisten Suizide als Endpunkt einer Krankheit oder krankhaften Entwicklung anzusehen sind – aber eben nicht alle.339 Filó macht in diesem Zusammenhang auf die in der deutschen Lehre anzutreffende Unterscheidung zwischen sog. Appell- und Bilanzsuiziden sowie den Umstand aufmerksam, dass Letztere das Resultat einer rationalen, bilanzierenden Reflexion des Lebensmüden sind.340 Die Aussage, jeder Suizident weise krankhafte seelische Störungen auf, ist folglich zu pauschal, um damit das Fehlen eines Selbsttötungstatbestands plausibel zu machen. Widerlegt wird sie zum anderen aber auch durch die Existenz des § 162 uStGB (§ 168 aStGB) selbst, der anstiftungs- und beihilfeähnliche Handlungen als „Mitwirkung am Suizid“ unter Strafe stellt. Dieser Vorschrift liegt denknotwendig die Annahme (der Möglichkeit) eines freiverantwort-

336 Erdo ˝sy/Földvári/Tóth, KR, 89 f.; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 1; ähnlich Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2037, 2039, dem zufolge das Strafrecht mit jemandem, der bereits den Entschluss zur Selbsttötung gefasst habe, „nichts mehr anfangen“ könne; vgl. auch Tasnádi, MJ 1993, 355 (362), der das Strafzweckargument in den Fällen eines nur versuchten Suizids zwar nicht gelten lassen will, aber davon ausgeht, dass der ungarische Gesetzgeber – von „humanen Gesichtspunkten“ geleitet – den in einer psychischen Ausnahmesituation befindlichen Suizidenten nicht zusätzlich mit Rechtsnachteilen belegen wollte. Zu den verschiedenen Strafzwecktheorien und ihrer Verankerung im ungarischen Strafrecht Belovics u. a., ÁR, 233 f. 337 Vgl. dazu die im „deutschen“ Teil der Arbeit oben in Fn. 603 zitierten Autoren. 338 So Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 58 m.w. N., der sich freilich zur deutschen Rechtslage äußert; ebenso Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 66, dem zufolge die Behauptung, der Wille zum Suizid sei i. d. R. pathologischer Natur, weniger einen psychodiagnostischen Befund als vielmehr eine normative Zuschreibung formuliert. Insbesondere sei nicht anzuerkennen, dass eine mit großen Leiden einhergehende psychische Erkrankung der Annahme von Freiverantwortlichkeit a priori entgegenstehen würde. 339 Vgl. die prozentualen Angaben bei Jähnke, in: LK, 11. Aufl., Vor § 211 Rn. 27. 340 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 264.

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lichen341 Selbsttötungswillens zugrunde, andernfalls jede Veranlassung oder Unterstützung eines Suizids als Fremdtötung zu qualifizieren wäre.342 Der materielle Grund für die geltende Rechtslage ist ein anderer: Durch den Selbsttötungsakt wird kein Tötungsunrecht verwirklicht, weil der eigenhändige Tod zwar aus objektiver Sicht die Charakteristika einer Rechtsgutsverletzung aufweist, es aber am interpersonalen Bezug fehlt.343 Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Suizid(-versuch) nicht zu pönalisieren, ist schon aus diesem Grunde nicht zu beanstanden, sodass es auf die auch in Ungarn umstrittene Frage, ob aus der Verfassung ein „Recht auf Selbsttötung“ abgeleitet werden kann (oder diese im rechtswertungsfreien Raum siedelt),344 insoweit gar nicht mehr ankommt.345 Ungeachtet dessen kann ein solches Recht bejaht werden: Das VerfG hat in seinem Sterbehilfeurteil aus dem Jahr 2003 klargestellt, dass es die Entscheidung pro morte als vom Selbstbestimmungsrecht umfasst ansieht, das seinerseits aus der Menschenwürde abzuleiten ist. Dies sei auch der Grund, weshalb die Selbsttötung im Vergleich zu früheren Zeiten nicht mehr pönalisiert sei. Eine weltanschaulich neutrale, auf dem Boden der Verfassung stehende Rechtsordnung dürfe im Hinblick auf den Entschluss eines Menschen, aus dem Leben zu scheiden, weder eine billigende noch eine missbilligende Position einnehmen; hier sei eine Sphäre betroffen, von der sich der Staat grundsätzlich fernhalten müsse.346 341 In der ungarischen Suiziddogmatik gibt es kein begriffliches Pendant zu diesem in der deutschen Lehre verwendeten Begriff. Gleichwohl ist der Sache nach schon seit langem (überwiegend) anerkannt, dass für die Annahme einer Tat nach § 162 uStGB (§ 168 aStGB) dann kein Raum mehr ist, wenn der Suizident nicht über die Urteilskraft verfügt, um Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken; siehe dazu ausführlich unten Zweiter Teil VI. 3. a). Diese Fähigkeit soll in Anlehnung an die deutsche Terminologie im Folgenden als „Freiverantwortlichkeit“ bezeichnet werden. 342 Ähnlich Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (81). Ob in mittelbarer oder unmittelbarer Täterschaft, soll an dieser Stelle noch offengelassen werden. 343 Siehe – freilich mit Blick auf die Rechtslage in Deutschland – Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2002), 219 ff., 221. 344 Siehe dazu Filó, ZStW 117 (2005), 952 (955); ausführlich ders., Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 265 ff. Zur Lehre vom rechtswertungsfreien Raum siehe Engisch, ZStaatW 108 (1952), 385; Kaufmann, Maurach-FS (1972), 327; Schild, JA 1978, 449, 570, 631. 345 Vgl. entsprechend zum deutschen Recht Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2002), 221 mit Fn. 300. 346 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3637 f.); für ein aus dem Selbstbestimmungsrecht abzuleitendes Grundrecht auf Selbsttötung schon Tasnádi, A halálhoz való jog (Diss. 1991), 121 ff. Der Umstand, dass das uStGB keine Regelung zur Selbsttötung enthält, steht der Annahme eines Rechts auf Selbsttötung folglich nicht entgegen, im Gegenteil: Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 273 ff., 275 macht im Anschluss an Kelsen, Tiszta jogtan (1956), 56 ff. mit Recht darauf aufmerksam, dass die Rechtsordnung menschliches Verhalten nicht nur positiv durch Ge- oder Verbote regeln kann, sondern auch negativ, indem sie ein bestimmtes

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Nicht zuletzt deshalb ist auch dem OG entschieden zu widersprechen, wenn es in einem Urteil aus dem Jahr 1981 ausführt: „Das StGB erblickt in der Selbsttötung bzw. deren Versuch keine Straftat. Weil nun aber die Selbsttötung von der öffentlichen Meinung verurteilt wird und auch sittlichen Normen zuwiderläuft, erklärt § 168 aStGB die damit verbundenen, akzessorischen Verhaltensweisen – namentlich das Bestimmen und das Hilfeleisten dazu – aus Präventionsgründen zu einem Delikt eigener Art (sui generis).“ 347 Diese Auffassung qualifiziert die Selbsttötung als Fremdverletzungsunrecht (gegenüber Staat und Allgemeinheit) und statuiert damit eine Pflicht zum Weiterleben. Filó macht mit Recht darauf aufmerksam, dass dies in einer säkularen Rechtsordnung nicht begründbar ist und Verstöße gegen moralische Wertungen nicht zwingend strafrechtsrelevant bzw. strafwürdig sein müssen.348 Sofern in dem Urteil überdies die Wertung mitschwingt, eine Selbsttötung sei sozialgefährlich, d. h. – jedenfalls nach der hier befürworteten Interpretation dieses Begriffs – rechtswidrig, bleibt unklar, wie eine Handlung (straf-)rechtswidrig sein kann, wenn sie unter keinen strafrechtlichen Tatbestand fällt.349 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Suizid nicht wegen eines krankhaften Geisteszustands des Suizidenten und der dadurch bedingten Sinnlosigkeit von Strafe, sondern deswegen straflos ist, weil er mangels zwischenmenschlicher Interaktion nicht als materielles Unrecht begriffen werden kann. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass auch die Beteiligung an einer freiverantwortlichen Selbsttötung nicht unter Strafe gestellt werden darf; denn bei ihr fehlt es ganz offenkundig nicht an einem interpersonalen Bezug.350

Verhalten dadurch erlaubt, dass sie es nicht verbietet („Was rechtlich nicht verboten ist, ist rechtlich erlaubt“). Mit Blick auf den Grundsatz „nullum crimen sine lege“ beansprucht diese Aussage auch und gerade im Strafrecht Gültigkeit. 347 OG, BH 1983, Nr. 7; siehe auch Balogh, KR, 50 u. Blaskó u. a., KR, 43, die den Suizid ebenfalls als „moralisch verwerflich“ bzw. „gesellschaftlich missbilligt“ bezeichnen. 348 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 255 f. m.w. N. aus dem deutschen Schrifttum; ähnlich Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (81); vgl. auch Nagy, BK 1/2008, 3 (5 f.), dem zufolge ein Verhalten nicht schon deshalb ein Rechtsgut verletzt und pönalisiert werden darf, weil es den guten Sitten oder einem ethischen Gebot zuwiderläuft. Erforderlich sei vielmehr eine wie auch immer geartete Form der Beeinträchtigung des „friedlichen Miteinanders“ in der Gesellschaft. 349 So für die deutsche Diskussion Dreier, JZ 2007, 317 (319 mit Fn. 127). Vgl. aber auch Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 250 ff., 255, der die Sozialgefährlichkeit in diesem Zusammenhang als „gesetzgeberische Kategorie“ begreift und der entsprechenden Bewertung des Suizids lediglich die Aussage entnimmt, der ungarische Gesetzgeber erblicke darin ausnahmslos ein deviantes Verhalten, das unter moralischen wie mentalhygienischen Gesichtspunkten schädlich für die Gesellschaft sei. 350 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2002), 221.

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2. Die Strafbarkeit der Teilnahme am Suizid Tatsächlich stellt – wie bereits angeklungen ist – der ungarische Gesetzgeber anstiftungs- und beihilfeähnliche Handlungen in § 162 uStGB (§ 168 aStGB) als „Mitwirkung am Suizid“ unter Strafe. a) Grundsätzliches Nach h. M. handelt es sich hierbei um eine „Quasi-Teilnahme“, d. h., teilnahmetypische Beteiligungsformen werden hier zu einem selbstständigen Tatbestand erhoben. Die Begriffe „Bestimmen“ (ung.: rábírás) und „Hilfeleisten“ (ung.: segítségnyújtás) werden dementsprechend wie beim AT ausgelegt und den Voraussetzungen von § 14 Abs. 1, 2 uStGB (§ 21 Abs. 1, 2 aStGB)351 unterstellt.352 Bevor auf die einzelnen Tatmodalitäten sowie einige Abgrenzungsfragen näher eingegangen wird, sei noch etwas zur Ratio der Vorschrift gesagt. Die Begründungslage ist hier ähnlich dünn wie bei derjenigen zur Straflosigkeit des Suizids. Das OG hat im erwähnten Urteil aus dem Jahr 1981 die Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid mit dem Verstoß der Selbsttötung gegen die öffentliche Meinung und das Sittengesetz begründet und damit den an der Selbsttötung Beteiligten in abgeleiteter Form, d. h. über das Verhalten des Suizidenten verantwortlich gemacht. Zugleich hat es im Straftatbestand ein Mittel der Suizidprävention erblickt. Die Lehre argumentiert ähnlich,353 wobei sich einige Autoren einer Bewertung des Suizids enthalten und stattdessen das Verhalten des Dritten in den Vordergrund rücken, welches schon für sich genommen „sittlich verwerflich“ und „sozialschädlich“ sei.354 Dass diese „Begründungen“ nicht tragfähig sind, liegt auf der Hand. Die Auffassung der Rechtsprechung, wonach die Selbsttötung gegen die öffentliche Meinung und das Sittengesetz verstoße, wurde bereits als wenig überzeugend resp. für die rechtliche Bewertung irrelevant dargelegt. Ebenso, dass eine Handlung, die tatbestandlich nicht vertypt ist, nicht als sozialgefährlich oder rechtswidrig bezeichnet werden kann. § 162 uStGB (§ 168 aStGB) kann seine Legitimation nicht vom Suizid erhalten, weil dem unmittelbar rechtsgutsverletzenden Verhalten des Lebensmüden die Unrechtsqualität fehlt. Als genauso wenig überzeugend er351 Bis auf eine kleine sprachliche Anpassung stimmt § 14 uStGB mit § 21 aStGB überein. 352 Vgl. etwa OG, BH 1983 Nr. 7; Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (81 f.); Kereszty u. a., KR, 100 f.; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 3; Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2041 ff. 353 Vgl. Balogh, KR, 50; Erdo ˝sy/Földvári/Tóth, KR, 90; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 1. 354 So Fehér/Horváth/Lévay, KR, 93; ähnlich Kereszty u. a., KR, 100; vgl. auch Blaskó u. a., KR, 43.

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weist sich deshalb aber auch der Ansatz, diese Bewertung direkt auf die Teilnahmehandlung zu beziehen. Hier tritt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Nicht nur verwirklicht der Suizident kein Unrecht, er ist für seinen Tod auch alleine verantwortlich.355 Die Literatur verneint dies zwar, weil sie die Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten nicht vollumfänglich anerkennt.356 Doch wurde oben ausgeführt, dass diese Ansicht nicht haltbar ist. Zwar wird es in vielen Fällen an einer freien Entscheidung des Suizidenten fehlen und werden oft vorübergehende Depressionen für den mangelnden Lebenswillen verantwortlich sein. Doch ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es freiverantwortliche Selbsttötungen gibt, wie dies ja auch in § 162 uStGB (§ 168 aStGB) vorausgesetzt wird.357 Es drängt sich die Frage auf, welches Rechtsgut diese Vorschrift denn überhaupt schützt. In Betracht käme allenfalls die „Sittlichkeit“, die vom VerfG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1996, in der es die Vereinigungsfreiheit von Minderjährigen unter Hinweis auf die Schädlichkeit bestimmter Mitgliedschaften einschränkte, auch tatsächlich als schützenswertes Rechtsgut anerkannt wurde.358 Doch auch auf diese Weise ließe sich die Strafbarkeit bzw. Strafwürdigkeit der Mitwirkung an einer Selbsttötung nicht überzeugend begründen. Dies deshalb, weil dann auch der Suizid selbst als sittenwidrig angesehen werden müsste; es kann nämlich nicht verwerflich sein, an einem Verhalten mitzuwirken, das in der Gesellschaft allgemein sittlich toleriert wird.359 Wie weiter unten noch ausgeführt wird, sieht sich § 162 uStGB (§ 168 aStGB) nicht zuletzt deshalb schwerwiegenden verfassungsrecht-

355 Siehe – freilich mit Blick auf die Rechtslage in Deutschland – Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2002), 223. 356 Vgl. auch Filó, ZStW 117 (2005), 952 (957). 357 Ähnlich Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 289 f., der den Suizid eines schwer leidenden, aber zurechnungsfähigen Patienten als eigenverantwortliche Selbstgefährdung begreift. 358 VerfGE 21/1996. (V. 17.) AB, MKöz 1996, 2374 (2378). In seinem Inzest-Urteil VerfGE 20/1999. (VI. 25.) AB, MKöz 1999, 3507 (3508) aus dem Jahr 1999 hat das VerfG die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit des Beischlafes zwischen Geschwistern unter Berufung auf die vorgenannte Entscheidung bestätigt, daneben aber auch noch den Schutz familiärer Bindungen, die staatliche Fürsorgepflicht ggü. Heranwachsenden und genetisch bedingte Risiken für den aus Inzest resultierenden Nachwuchs ins Feld geführt. 359 So für das österreichische Strafrecht, das die Verleitung und Hilfeleistung zur Selbsttötung ebenfalls ausnahmslos unter Strafe stellt (vgl. § 78 des österreichischen StGB), Moos, in: WK, § 78 Rn. 3, der dann aber doch von der sozialethischen Verwerflichkeit der Selbsttötung ausgeht und darin die Grundlage der Rechtswidrigkeit von Eingriffen Dritter erblickt: Unter der Voraussetzung der Beteiligung Dritter werde die Selbsttötung eben in die gesetzliche Rechtswidrigkeit dieser Beteiligung „hineingezogen“. Dass diese Begründung nicht verfängt, liegt auf der Hand; denn selbst wenn man sich der in einer säkularen Rechtsordnung äußerst problematischen Prämisse von der sozialethischen Verwerflichkeit des Suizids anschließen würde, bliebe immer noch unklar, wie ein Verhalten, das rechtlich neutral, also kein Unrecht ist, auf eine bloß untergeordnete Mitwirkungshandlung derart abfärben kann, dass diese nicht nur ihrerseits als sozialethisch verwerflich erscheint, sondern auch Unrechtscharakter erhält.

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lichen Bedenken ausgesetzt. Diese lassen sich auch nicht mithilfe einer „verfassungskonformen Reduktion“ 360 ausräumen, die der ungarischen Grundrechtsdogmatik als Auslegungsmethode ohnehin unbekannt ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Wortlaut einer Strafvorschrift auf diese Weise interpretativ überwindbar sein sollte, ist ein solches Vorgehen nur statthaft, wenn dabei die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers aufrechterhalten wird.361 Da aber mit Blick auf § 162 uStGB (§ 168 aStGB) kein Zweifel bestehen kann, dass der ungarische Gesetzgeber die Mitwirkung am Suizid unabhängig von der konkreten Fallgestaltung bestraft wissen will, ist für einen Dispens in diesem Bereich kein Raum. Wie eine verfassungskonforme Regelung aussehen könnte, sei hier nur am Rande erörtert. Filó, der die ausnahmslose Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid ebenfalls für bedenklich hält, schlägt de lege ferenda die Schaffung eines Straftatbestands nach Vorbild des schweizerischen StGB vor, welches in § 115362 die Verleitung oder Hilfeleistung zur Selbsttötung nur für den Fall unter Strafe stellt, dass der Täter aus selbstsüchtigen Beweggründen handelt. Anders als diese Vorschrift möchte Filó die Beschränkung auf selbstsüchtige Beweggründe aber nur auf die Beihilfemodalität beziehen und die grundsätzliche Strafbarkeit anstiftungsähnlicher Verhaltensweisen unangetastet lassen.363 Dieser Gesetzgebungsvorschlag vermag nicht ganz zu überzeugen. Er sieht sich dem gleichen Vorwurf ausgesetzt wie die in die deutsche Diskussion eingebrachten Vorschläge zur Pönalisierung der geschäftsmäßigen Vermittlung oder Schaffung von Gelegenheiten zur Selbsttötung364 oder der Beihilfe zum Suizid, wenn diese aus Gewinnsucht erfolgt.365 Hier wie dort ist unklar, welches Rechtsgut geschützt werden soll.366 Ohnehin haben sich die Hoffnungen auf eine verfassungskonforme Neuregelung mit der Verabschiedung des uStGB am 25. Juni 2012 auf absehbare Zeit zerschlagen: § 162 Abs. 1 sieht bei nahezu identischem Wortlaut und einer Anhebung des Mindeststrafrahmens auf ein Jahr Freiheitsstrafe weiterhin die ausnahmslose Strafbarkeit des Bestimmens und des Hilfeleistens zum Suizid vor.

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Zu diesem „methodischen Zwitter“ siehe ausführlich Hefendehl, Roxin-FS (2001), 145 (163 ff.). 361 Hefendehl, Roxin-FS (2001), 145 (164). 362 Im Wortlaut: „Wer aus selbstsüchtigen Gründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“ 363 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 316, 320. 364 Gesetzesantrag der Länder Saarland, Thüringen und Hessen v. 27.3.2006 („Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“), BR-Drs. 230/06. 365 AE-StB, GA 2005, 553 (585): § 215a StGB. 366 Siehe bereits oben Erster Teil B. IV. 4.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es sich bei § 162 uStGB (§ 168 aStGB) um eine strafrechtsdogmatisch nur schwer begründbare, verfassungsrechtlich bedenkliche Strafnorm handelt, die aber ob der insoweit eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung vom Rechtsanwender zu respektieren ist. Im Folgenden sollen daher zunächst die beiden Beteiligungsformen dargestellt werden; anschließend wird auf die Abgrenzung zwischen Mitwirkung am Suizid und Fremdtötung einzugehen sein. b) Das Bestimmen zur Selbsttötung Gemäß § 162 Abs. 1 uStGB (§ 168 Abs. 1 aStGB) begeht, wer einen anderen zur Selbsttötung bestimmt oder zu deren Begehung Hilfe leistet, wenn die Selbsttötung versucht oder vollendet wird, ein Verbrechen und wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Handelt es sich beim Täter um eine Person über, beim Lebensmüden um eine Person unter achtzehn Jahren, dann beträgt nach § 162 Abs. 2 uStGB (§ 168 Abs. 2 aStGB) die Freiheitsstrafe mindestens zwei und maximal acht Jahre.367 Die Tatmodalität des Bestimmens zur Selbsttötung (ung.: az öngyilkosságra való rábírás) entspricht inhaltlich der Anstiftung i. S. d. § 14 Abs. 1 uStGB (§ 21 Abs. 1 aStGB), wonach „Anstifter ist, wer vorsätzlich einen anderen zur Begehung einer Straftat bestimmt“.368 Erforderlich ist eine psychische Einwirkung auf das spätere „Opfer“ i. S. eines Anstoßes zur Tat.369 Im Schrifttum wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass diese Einwirkung kausal für die Bildung des Selbsttötungsentschlusses sein muss, da andernfalls, d. h. wenn der Suizidwille beim Opfer bereits vorhanden war und durch die Einwilligung lediglich verstärkt wird, nur eine psychische Beihilfe zur Selbsttötung in Betracht kommt, die bei entsprechendem Vorsatz des Dritten aber ihrerseits unter § 162 uStGB (§ 168 aStGB) fallen kann.370 Bleibt die Einwirkung hingegen erfolglos, wird sie also nur ver367 Die Qualifikation in Abs. 2 wurde erst 2009 durch das G 2012:LXII über die Änderung einiger Vorschriften zur Verwirklichung einer kinderfreundlichen Justiz v. 30.5. 2012, MKöz 2012, 10066 in das aStGB eingefügt und unverändert in § 162 Abs. 2 uStGB übernommen. 368 OG, BH 1983 Nr. 7; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (81); Kereszty u. a., KR, 100; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 3. § 14 uStGB und § 21 aStGB sind nahezu wortgleich. 369 Allgemein zur Anstiftung Balogh/Ko ˝halmi, ÁR, 86 ff.; Belovics u. a., ÁR, 190 ff.; Görgényi u. a., ÁR, 261 ff. 370 Siehe z. B. Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Filó, ZStW 117 (2005), 952 (959); Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2043, 2045; vgl. aber auch OG, BH 1983 Nr. 7, wonach eine Anstiftung auch dann noch in Betracht komme, wenn der Lebensmüde zwar schon mit dem Gedanken an die Selbsttötung gespielt habe, dieser aber erst durch die Einwirkung des Dritten zu einem endgültigen Entschluss gereift sei.

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sucht, geht es begrifflich um eine bloße Vorbereitungshandlung, sodass der Mitwirkende straflos ist.371 c) Das Hilfeleisten zur Selbsttötung Die Tatmodalität des Hilfeleistens zur Selbsttötung (ung.: az öngyilkossághoz való segítségnyújtás) entspricht inhaltlich der Beihilfe i. S. d. § 14 Abs. 2 uStGB (§ 21 Abs. 2 aStGB), wonach „Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen bei der Begehung einer Straftat Hilfe leistet“.372 Erfasst wird jede physische oder psychische Unterstützung eines Lebensmüden, dessen Suizidentschluss feststeht.373 Dies sind alle Verhaltensweisen, welche die Selbsttötung ermöglichen oder erleichtern.374 Als Beispiele für physische Unterstützungshandlungen werden das Bereitstellen von Räumlichkeiten oder Medikamenten für die Selbsttötung wie auch die unmittelbare Mitwirkung am suizidalen Tatgeschehen selbst genannt; dagegen soll psychische Beihilfe anzunehmen sein, wenn der Dritte dem Lebensmüden Ratschläge für die Tatausführung erteilt oder ihn, sei es auch nur durch seine Anwesenheit am Tatort, in seinem Suizidentschluss bestärkt.375 Sofern der Dritte beide Tatmodalitäten verwirklicht, wird das spätere Hilfeleisten nach herrschender Auffassung vom vorgängigen Bestimmen zur Selbsttötung konsumiert.376 Unklar ist, ob auch die Nichthinderung eines Suizids durch einen Lebensschutzgaranten einen Tatvorwurf nach § 162 Abs. 1 Alt. 2 uStGB (§ 168 Abs. 1 Alt. 2 aStGB) begründen kann. Während die Rechtsprechung noch keine Stellung bezogen hat, ist das Schrifttum in dieser Frage gespalten. Vereinzelte Stimmen verneinen sie und nehmen in diesen Fällen einen Totschlag durch Unter371

Balogh, KR, 50; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Filó, ZStW 117 (2005), 952 (959 f.). Nach § 11 Abs. 1 uStGB (wortgleich mit § 18 Abs. 1 aStGB) sind Vorbereitungshandlungen nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung strafbar. 372 OG, BH 1983 Nr. 7; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (82); Kereszty u. a., KR, 100. 373 Allgemein zur Beihilfe Balogh/Ko ˝halmi, ÁR, 88 ff.; Belovics u. a., ÁR, 192 ff.; Görgényi u. a., ÁR, 264 ff. 374 Balogh, KR, 50; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Kereszty u. a., KR, 100 f. Zur umstrittenen Frage, ob Suizidbeihilfe nur durch aktives Verhalten oder auch durch Unterlassen möglich ist, sogleich. 375 OG, BH 1983 Nr. 7; Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (82); Kereszty u. a., KR, 101; Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2045, Letztere auch mit dem Hinweis, dass die bloße Anwesenheit am Tatort, ohne dass dies irgendwelche Auswirkungen auf den Lebensmüden hätte, allenfalls eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 166 uStGB, § 172 aStGB) begründen könne. Mit Blick auf die Möglichkeit einer Suizidbeihilfe durch Unterlassen (dazu sogleich) ist diese Aussage allerdings zu pauschal. 376 Balogh, KR, 51; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 3.

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lassen an, der im Vergleich zur Mitwirkung am Suizid einer deutlich erhöhten Strafandrohung unterliegt (Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren anstatt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren).377 Dabei wird allerdings übersehen, dass dann in Wertungszusammenhängen Spannungen entstehen: Es ist ungereimt, den Dritten, der eine Selbsttötung durch ein Unterlassen ermöglicht oder erleichtert, schwerer zu bestrafen als denjenigen, der dasselbe durch ein aktives Tun bewirkt.378 Vorzugswürdig ist es daher, mit dem überwiegenden Schrifttum davon auszugehen, dass § 162 Abs. 1 Alt. 2 uStGB (§ 168 Abs. 1 Alt. 2 aStGB) auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann, wenn der Dritte Garant für das Leben des Suizidenten ist.379 Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Suizid(-versuch) als Ergebnis einer freiverantwortlichen Entscheidung des Lebensmüden betrachtet werden kann. Ist dies nicht der Fall, so wird das Geschehenlassen des Suizids für den Garanten unter Umständen als Totschlag durch Unterlassen zu werten sein. Was die subjektive Tatseite anbelangt, gelten für beide Tatmodalitäten die allgemeinen Regeln, d. h., erforderlich ist der doppelte Anstifter- bzw. Gehilfenvor-

377 So z. B. Erdo ˝sy/Földvári/Tóth, KR, 90. Anders als § 162 uStGB sah § 168 aStGB keine Mindestfreiheitsstrafe vor. 378 Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (82). Allenfalls ließe sich in Übereinstimmung mit der ständigen Rspr. des BGH in Strafsachen mit einem „Tatherrschaftswechsel“ argumentieren, der dem Garanten eine Intervention gebietet, wenn der Lebensmüde nach seinem Selbsttötungsversuch das Bewusstsein verliert; siehe BGHSt 2, 150 (152 f.); BGH NJW 1960, 1821 (1822); BGHSt 32, 367 (373 f.); BGH JR 1988, 336 (337). Diese Konstruktion wäre nicht so widersprüchlich wie im deutschen Strafrecht, da der ungarische Gesetzgeber ja gerade auch die Teilnahme an einer Selbsttötung bestraft wissen will und deshalb nicht die Rede davon sein könnte, dass „die gesetzgeberische Wertentscheidung, die aktive Förderung des freiverantwortlichen Suizids straflos zu lassen, unterlaufen wird“, wie dies Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 73 mit Blick auf die deutsche Diskussion treffend bemerkt. Schneider weist jedoch auch mit Recht darauf hin, dass sich die Frage der Tatherrschaft nur bis zum Zeitpunkt der „Versuchsbeendigung“ stellt und es danach weniger um die Beherrschung von Kausalverläufen als vielmehr um deren Verhinderung geht, wobei bloße Verhinderungsmöglichkeiten keine Tatherrschaft begründen. Jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt wäre der Ansatz also auch im ungarischen Strafrecht verfehlt. 379 So z. B. Balogh, KR, 50; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Kereszty u. a., KR, 101, wobei das Erfordernis einer Erfolgsabwendungspflicht nur von Letzteren betont wird und sämtliche Autoren auf die Gegenmeinung nicht eingehen. Soweit darüber hinaus bemerkt wird, die bloße Anwesenheit des Dritten am Ort des Tatgeschehens könne keine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach § 162 uStGB (§ 168 aStGB) begründen, sondern allenfalls zu einer Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 166 uStGB (§ 172 aStGB) führen, ist diese Aussage demnach nur dann richtig, wenn sie sich auf den Nichtgaranten bezieht; vgl. auch Filó, ZStW 117 (2005), 952 (960); a. A. aber wohl ders., Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 290 f., wonach es sich bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung um einen Fall eigenverantwortlicher Selbstgefährdung handle, bei der nicht nur Dritte, sondern auch Angehörige des Suizidenten nicht gehalten seien, einzuschreiten.

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satz, wobei dolus eventualis grundsätzlich ausreicht. Der Dritte muss sich folglich zum einen darüber im Klaren sein, dass er einen anderen zur Selbsttötung bestimmt bzw. ihm dabei Hilfe leistet, zum anderen muss er auch die Ausführung oder zumindest den Versuch der Selbsttötung wollen, jedenfalls billigend in Kauf nehmen.380 Mittäterschaft ist bei § 162 uStGB (§ 168 aStGB) ebenso möglich wie Teilnahme, wobei wiederum die allgemeinen Grundsätze gelten.381 Im Schrifttum wird vereinzelt darauf hingewiesen, dass Teilnehmer freilich nicht der Suizident selbst sein könne, weil der Tatbestand zum einen gerade seinen Schutz bezwecke und zum anderen auf diese Weise die Straflosigkeit der Selbsttötung umgangen werde.382 3. Zur Abgrenzung der Mitwirkung am Suizid von der Fremdtötung Ist nach dem oben Gesagten sowohl die Anstiftung als auch die Beihilfe zum Suizid strafbar, stellt sich überdies die Frage, wie diese von der täterschaftlichen (Fremd-)Tötung abzugrenzen sind. Das Erfordernis einer solchen Abgrenzung folgt aus dem bereits erwähnten Umstand, dass Letztere einer deutlich erhöhten Strafdrohung unterliegt. Die Grenzziehung muss in zwei Richtungen erfolgen: Geboten ist zum einen die Bestimmung einer inneren Grenzlinie: Hier geht es um die Frage, ob eine freiverantwortliche Entscheidung zum Tod vorliegt, die eine Zurechnung des Todeserfolgs zum Verhalten des am Suizid Mitwirkenden ausschließt. Die Antwort darauf entscheidet über die Alternativen: Strafbarkeit wegen Suizidteilnahme oder wegen Totschlags (bzw. Mord).383 Zum anderen gilt es auch eine äußere Grenzlinie zu ziehen: Die Mitwirkung des Dritten unterfällt nur dann dem Tatbestand des § 162 uStGB (§ 168 aStGB), wenn sie als Veranlassung, Ermöglichung oder Erleichterung einer Fremdtötung angesehen werden kann und nicht in eine Fremdtötung übergeht. Ist dies nicht der Fall, wird regelmäßig von einer Tötung auf Verlangen auszugehen sein, die in Ungarn freilich keiner gesonderten Privilegierung unterfällt, vielmehr erst auf Strafzumessungsebene berücksichtigt werden kann.

380 OG, BH 1983 Nr. 7; Balogh, KR, 51; Belovics/Molnár/Sinku, KR, 110; Erdo ˝sy/ Földvári/Tóth, KR, 92; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 95. 381 Belovics/Molnár/Sinku, KR, 110; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94 f.; Kereszty u. a., KR, 102; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 1; a. A. – aber wenig überzeugend – Erdo˝sy/ Földvári/Tóth, KR, 91, denen zufolge für eine Anwendung der Teilnahmeregeln kein Raum sei, weil derjenige, der den Bestimmenden oder den Hilfeleistenden zu dieser Tätigkeit bestimme oder zu ihr Hilfe leiste, gleichzeitig selbst Hilfe zur Selbsttötung leiste, sodass er unmittelbar wegen Mitwirkung am Suizid zu bestrafen sei. 382 Kereszty u. a., KR, 102. 383 Ob in mittelbarer oder unmittelbarer Täterschaft sei hier noch dahingestellt.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

a) Die innere Abgrenzung Die Abgrenzung zwischen Suizidteilnahme und Fremdtötung in mittelbarer Täterschaft war in Ungarn lange Zeit umstritten. Allerdings ging es dabei weniger um die Frage nach dem „Wie“ als bereits nach dem „Ob“ einer Abgrenzung. Mit einer zum 29. Juni 2012 in Kraft getretenen, d. h. noch auf das aStGB bezogenen Novelle384 dürfte der Gesetzgeber diesem Streit ein Ende bereitet haben, auch wenn nach der hier vertretenen Auffassung nur ein Teil der Probleme gelöst wurde. Bevor eine fundierte Kritik formuliert werden kann, gilt es freilich, die bisherige Rechtslage darzustellen. aa) Die Rechtslage bis Mitte 2009 Entzündet hatte sich die Auseinandersetzung an der schon mehrfach erwähnten Entscheidung des OG aus dem Jahr 1981. In dem ihr zugrunde liegenden Fall suchten zwei unglücklich Verliebte, deren Beziehung vom Vater des Mädchens missbilligt wurde, den gemeinsamen Tod. Zu diesem Zweck reichte der 17-jährige Angeklagte seiner 13-jährigen Freundin auf deren Bitte hin ein zuvor von ihm beschafftes Tierbetäubungsgerät, mit dem sich diese dann einen Betäubungsstoß in die Stirn versetzte. Der Angeklagte verfuhr anschließend bei sich selbst genauso, konnte aber im Gegensatz zum Mädchen gerettet werden.385 Nachdem das erstinstanzliche Gericht den Angeklagten u. a. wegen Totschlags nach § 166 Abs. 1 aStGB (§ 160 Abs. 1 uStGB) verurteilt hatte, kam das OG im Rahmen einer Überprüfung dieser Entscheidung zum Schluss, dass das Verhalten des Angeklagten als Mitwirkung am Suizid zu werten sei. Hierzu führte es aus, dass Tatobjekt des § 168 aStGB (§ 162 uStGB) zwar grundsätzlich jeder sein könne, hinsichtlich der ersten Variante („Bestimmen zur Selbsttötung“) aber die Zurechnungsfähigkeit des Suizidenten von Bedeutung sei. Nicht Mitwirkung am Suizid, sondern Totschlag in mittelbarer Täterschaft386 sei anzunehmen, wenn der 384 G 2012:LXII über die Änderung einzelner Gesetze zur Verwirklichung einer kinderfreundlichen Justiz v. 30.5.2012, MKöz 2012, 10066. 385 OG, BH 1983 Nr. 7. Für eine ausführlichere Sachverhaltsdarstellung siehe Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (85). 386 Die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft war im ungarischen Strafrecht lange Zeit nicht geregelt, wurde aber – im Hinblick auf den Grundsatz „nulla poena sine lege“ nicht ganz unproblematisch – von Rspr. und Lehre anerkannt. Die Werkzeugqualität des Vordermanns wurde in den folgenden Fallgruppen bejaht: 1. Der Tatmittler ist ein Kind, das bei Tatbegehung das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und deshalb gem. § 23 aStGB (§ 16 uStGB) schuldunfähig ist; 2. der Tatmittler befindet sich in einem krankhaften Geisteszustand (§ 24 Abs. 1 aStGB, § 17 Abs. 1 uStGB) oder handelt unter Zwang oder Drohung (§ 26 Abs. 1 aStGB, § 19 Abs. 1 uStGB) und ist deshalb schuldunfähig; 3. der Tatmittler handelt in einem Irrtum (§ 27 aStGB, § 20 uStGB); 4. der Tatmittler ist Soldat und begeht die Tat auf den (rechtswidrigen) Befehl eines

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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Anstifter ein unzurechnungsfähiges Kind (§ 23 aStGB, § 16 uStGB])387 oder eine Person, die aufgrund ihres krankhaften Geisteszustands nicht in der Lage sei, die Bedeutung und Tragweite der Tat zu überblicken oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 24 Abs. 1 aStGB [§ 17 Abs. 1 uStGB]),388 zur Selbsttötung bestimme. In diesen Fällen nehme das Tatobjekt die konkrete Tötungshandlung zwar selbst vor, doch tue es dies nur aufgrund einer psychischen Einwirkung des Täters. Anders verhalte es sich hingegen bei der Tatmodalität des Hilfeleistens. Hier sei das Alter bzw. die Zurechnungsfähigkeit irrelevant. Entschließe sich demnach ein Kind oder eine gem. § 24 Abs. 1 aStGB (§ 17 Abs. 1 uStGB) unzurechnungsfähige Person dazu, aus dem Leben zu scheiden, sei der dazu physische oder psychische Hilfe Leistende mangels Vorliegen der Voraussetzungen mittelbarer Täterschaft nicht wegen Totschlags, sondern wegen Mitwirkung am Suizid nach § 168 aStGB (§ 162 uStGB) zu bestrafen. Im vorliegenden Fall habe das Opfer den endgültigen Selbsttötungsentschluss ohne das Zutun des Angeklagten gefasst. Da sich dessen Mitwirkung auf die Bestärkung dieses Entschlusses und das Zurverfügungstellen des Tatwerkzeugs, der Sache nach eine physische und eine psychische Hilfeleistung beschränkt habe, sei die Feststellung eines Totschlags durch das erstinstanzliche Gericht unrichtig gewesen. Diese Entscheidung fand in der Literatur ein geteiltes Echo. Einige Autoren hielten sie mit der Begründung für verfehlt, es gehöre gerade zum Wesen mittelbarer Täterschaft, dass sich der Tatmittler eines menschlichen Werkzeugs zur Begehung einer Straftat bedient, was beim Suizid aber gerade nicht der Fall sei. Aus dieser Feststellung wurden indes unterschiedliche Konsequenzen gezogen: Während die einen davon ausgingen, dass der Dritte auch in solchen Fällen wegen Suizidteilnahme in Form der Anstiftung bestraft werden müsse,389 wollten die anderen eine (Fremd-)Tötung in unmittelbarer Täterschaft annehmen, wobei die Tötungshandlung in der psychischen Einwirkung auf den Suizidenten zu sehen

Vorgesetzten hin; 5. der Tatmittler verwirklicht den Tatbestand eines Sonderdelikts, weist aber die dort vorausgesetzte Täterqualität nicht auf. Siehe zum Ganzen Belovics u. a., ÁR, 183 ff. u. Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (60 f.). 387 § 16 uStGB weist ggü. der Vorgängervorschrift insofern eine – höchst bedenkliche – Neuerung auf, als die Strafmündigkeitsgrenze für die Delikte Totschlag bzw. Mord, Totschlag im Affekt, Körperverletzung, Raub und „Plünderung“ (ung.: kifosztás) – vgl. zu diesem dem deutschen Strafrecht unbekannten Tatbestand Tóth, Einführung in das ungarische Strafrecht (2006), 224 f. – auf zwölf Jahre gesenkt wird, wenn der Jugendliche über die Einsicht verfügt, die Folgen der Straftat zu erkennen. Das dürfte bei Zwölfjährigen jedoch kaum einmal der Fall sein. 388 § 17 Abs. 1 uStGB ist mit § 24 Abs. 1 aStGB weitgehend identisch; gestrichen wurde indes die beispielhafte Aufzählung der Gründe für einen krankhaften Geisteszustand („Geisteskrankheit“, „Schwachsinn“, „geistiger Verfall“, „Bewusstseinsstörung“, „Persönlichkeitsstörung“). 389 Balogh, KR, 51; Kónya, in: Berkes, § 168 Rn. 4.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

sei.390 Ohne auf diese kritischen Stimmen einzugehen, hielt der wohl überwiegende Teil des Schrifttums die Ausführungen des OG dagegen für nicht beanstandenswert.391 Dem war insofern zuzustimmen, als gegen die Anwendung der Figur der mittelbaren Täterschaft in solchen Fällen nach altem Recht tatsächlich keine Bedenken bestanden. Karsai/Szomora/Csúri wiesen mit Recht darauf hin, dass bei der Frage nach der Verwirklichung einer Straftat nicht auf den Vorder-, sondern auf den Hintermann abgestellt werden musste und die Personengleichheit von Werkzeug und Opfer deshalb unschädlich war.392 Die Anerkennung der Fallgruppe des (objektiv) tatbestandslos handelnden Werkzeugs bei der mittelbaren Täterschaft entsprach damit letztlich auch einem praktischen Bedürfnis; denn es war – und ist – nicht angängig, das Bestimmen zur Selbsttötung bei einer Person, die nicht die Urteilskraft aufweist, um Bedeutung und Tragweite ihres Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken, wertungsmäßig genauso zu behandeln wie bei einer urteilsfähigen Person. Die weitere Kritik von Karsai/Szomora/Csúri, das OG habe das Kindesalter „als Fall einer biologisch-psychologisch bedingten Schuldunfähigkeit“ angesehen, „obwohl es dogmatisch betrachtet keinen Zusammenhang mit der biologisch-psychologisch bedingten Schuldunfähigkeit“ gebe, das Kindesalter im ungarischen Strafrecht vielmehr „ein selbstständiges, normatives Element des Schuldbegriffes“ sei,393 ist jedoch ebenso unbegründet wie ihre apodiktische Behauptung, ein Kind könne die Bedeutung und Tragweite einer Selbsttötung „schon relativ früh“ bzw. „im Alter von 13 Jahren auf jeden Fall“ überblicken und nach dieser Einsicht handeln.394 Tatsächlich spricht das OG in seiner Entscheidung mit Blick auf § 23 aStGB (§ 16 uStGB) nirgends von einer „biologisch-psychologisch bedingten Schuldunfähigkeit“ und kann diese Annahme dem Urteilstext auch sonst nicht entnommen werden. Vielmehr ist, wie übrigens mit Bezug auf § 24 Abs. 1 aStGB (§ 17 Abs. 1 uStGB) auch, schlicht von „Zurechnungsfähigkeit“ (ung.: beszámítási képesség) 390 Belovics/Molnár/Sinku, KR, 109 f.; Belovics u. a., ÁR, 186; unklar Kereszty u. a., KR, 102 f.; krit. aber Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (87 mit Fn. 53), die eine uferlose Ausweitung des Tötungstatbestands fürchten. 391 Vgl. beispielsweise Blaskó u. a., KR, 44; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94; Filó, ZStW 117 (2005), 952 (960); Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2045. 392 Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (86). 393 Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (87), Hervorhebung im Original. 394 Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (87).

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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bzw. deren Ausschluss die Rede.395 Soweit demnach vom unzurechnungsfähigen Kind i. S. d. § 23 uStGB (§ 16 uStGB) gesprochen wird, meint das Gericht mit dieser Formulierung nichts anderes als die normative Entscheidung des Gesetzgebers für den generellen Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei Personen unter vierzehn Jahren. Dass diese zur Bildung eines freiverantwortlichen Suizidwillens grundsätzlich in der Lage sein sollen, ist ebenfalls nicht richtig, im Gegenteil: Strafunmündige Kinder werden bei ihren Handlungen entwicklungsbedingt so gut wie immer von augenblicklichen Stimmungen geleitet und sind unfähig, die Tragweite ihrer Entscheidungen zu erkennen.396 Schließlich mutet die von Karsai/Szomora/Csúri postulierte Einschränkung der Exkulpationslösung bei Kindern systemfremd an, da die natürliche Einsichtsfähigkeit in der ungarischen Strafrechtsdogmatik auch sonst keine unmittelbare Rolle spielt. Sofern diese Autoren bei ihrem Vorschlag möglicherweise von der in der deutschen Strafrechtslehre vertretenen und auch in dieser Arbeit für vorzugswürdig befundenen397 Einwilligungslösung inspiriert wurden, ist zu bemerken, dass die Einwilligungsfähigkeit nach ganz herrschender Auffassung in Ungarn nicht losgelöst von der (zivilrechtlichen) Geschäftsfähigkeit betrachtet werden kann. Ist der Rechtsgutsträger geschäftsunfähig, weil er bei Tatbegehung noch keine vierzehn Jahre alt ist, so kann er auch in eine Rechtsgutsverletzung nicht wirksam einwilligen.398 Die Regeln zum Ausschluss der Einwilligungs- und der Schuldfähigkeit sind insoweit also deckungsgleich. Zu anderen Ergebnissen käme man übrigens auch dann nicht, wenn der von den Autoren forcierte Paradigmenwechsel tatsächlich auf Akzeptanz stieße und fortan auf die natürliche Einsichtsfähigkeit abgestellt würde. Wie soeben dargelegt, kann bei strafunmündigen Kindern nicht die Rede davon sein, dass sie in der Lage sind, die Bedeutung und Tragweite eigener Entscheidungen verstandesmäßig zu überblicken.

395 Siehe dazu allgemein Belovics u. a., ÁR, 124, wonach gemeinsames Merkmal der die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Gründe sei, dass es an einem (tauglichen) Täter fehle. Belovics weist dort zugleich darauf hin, dass einige Autoren diese Gründe nicht zum gesetzlichen Tatbestand zählen, vielmehr in Zusammenhang mit der Schuld sehen und deshalb bei den Schuldausschließungsgründen verorten. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich der Gesetzgeber im uStGB dieser Auffassung angeschlossen hat, indem er neben dem Kindesalter (§ 16) auch den krankhaften Geisteszustand (§ 17), den Zwang u. die Drohung (§ 19) sowie den Irrtum (§ 20) zu den Gründen zählt, welche die „Straffähigkeit“ des Täters beseitigen und die ausweislich der Gesetzesbegründung zu einem Schuldausschluss führen. 396 Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 43 m.w. N. 397 Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. a) bb). 398 Gleiches gilt für den Fall, dass der Rechtsgutsträger unter eine die Geschäftsfähigkeit ausschließende Betreuung gestellt wurde (§ 15 Abs. 1 ZGB) oder sich in einem Zustand befindet, in dem ihm die zur Führung seiner Angelegenheiten erforderliche Einsichtsfähigkeit – dauerhaft oder bei Abgabe der Willenserklärung vorübergehend – völlig fehlt (§ 17 Abs. 1 ZGB); siehe zum Ganzen Belovics u. a., ÁR, 146 m.w. N.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Ein weiterer interessanter Aspekt der Entscheidung ist die Feststellung des OG, wonach es bei der Tatmodalität des Hilfeleistens nicht auf das Alter bzw. die Zurechnungsfähigkeit des Suizidenten ankomme. Dies war und ist, worauf nur noch Karsai/Szomora/Csúri hinweisen,399 nicht richtig. In der ungarischen Lehre ist für Fremdschädigungsfälle grundsätzlich anerkannt, dass, wenngleich es typischerweise um die Veranlassung des Werkzeugs zur Tat geht, sich äußerlich als Beihilfe darstellende Mitwirkungshandlungen ebenfalls mittelbare Täterschaft begründen können.400 Es ist nicht ersichtlich, wieso hiervon im suizidalen Kontext abgewichen werden sollte. Auch die deutsche Lehre geht davon aus, dass mittelbarer Täter eines Tötungsdelikts nicht nur sein kann, wer den Suizid eines Kindes, verantwortungsunfähigen Jugendlichen oder Geisteskranken veranlasst, sondern auch, wer ihn ermöglicht.401 Nach altem Recht wäre daher in dem vom OG entschiedenen Fall richtigerweise nicht von einer Strafbarkeit gem. § 168 Abs. 1 Alt. 2 aStGB, sondern von einer in mittelbarer Täterschaft begangenen Fremdtötung (§ 166 Abs. 1 aStGB) auszugehen gewesen. Dass diese strafrechtsdogmatisch verfehlte Sichtweise vor Kurzem auch legislatorische Früchte getragen hat, wird in diesem Abschnitt noch dargelegt. An der Entscheidung fällt schließlich auf, dass das OG für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit ausschließlich auf die §§ 23, 24 Abs. 1 aStGB (§§ 16, 17 Abs. 1 uStGB) – Schuldunfähigkeit aufgrund des Kindesalters bzw. wegen krankhaften Geisteszustands – rekurriert und damit offengelassen hat, ob diese Vorschriften abschließend zur Anwendung gelangen sollten. Fraglich ist insbesondere, wieso nicht auch auf § 26 aStGB (§ 19 uStGB) – Ausschluss der Zurechnungsfähigkeit bzw. Schuld wegen Zwang oder Drohung – und § 27 aStGB (§ 20 uStGB) – Vorsatz- bzw. Schuldausschluss aufgrund Tatsachen- oder Rechtsirrtums – abgestellt wurde. In der Tat wäre eine Einbeziehung dieser Vorschriften nur konsequent gewesen; denn es ist unzweifelhaft, dass die Freiheit der Willensentschließung von Zwang oder Drohung und das Fehlen von Willensmängeln wesensbestimmende Elemente der Freiverantwortlichkeit sind.402 399 Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (87), dort auch mit dem Beispiel des sich fortwährend mit einem stumpfen Gegenstand gegen den Bauch schlagenden Geisteskranken, dem ein Messer in die Hand gedrückt wird, mit dem sich dieser sodann tödlich verletzt. 400 Vgl. etwa Belovics u. a., ÁR, 184 f., der freilich kein Beispiel nennt. 401 Siehe z. B. Roxin, AT 2, § 25 Rn. 144; vgl. dazu auch Schneider, in: MK, Vor §§ 211 ff. Rn. 36, jeweils m.w. N. 402 An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine dem deutschen § 3 JGG vergleichbare Regelung im ungarischen Strafrecht fehlt. Lediglich in den §§ 105–126 uStGB finden sich einige Spezialbestimmungen für Jugendliche, die allerdings nicht als konzeptionell eigenständiges Jugendstrafrecht (vergleichbar demjenigen in Deutschland) angesehen werden können; siehe – allerdings noch zum aStGB (§§ 107–121) – Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2012), 281. Als wesentlichste Neuerung ist festzuhalten, dass die untere Altersgrenze für Jugendliche nicht mehr bei vierzehn (vgl. § 23 aStGB), sondern schon bei zwölf Jahren liegt (vgl. § 105 Abs. 1 uStGB).

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bb) Die Rechtslage ab Mitte 2009 Diese Rechtslage hat in jüngerer Vergangenheit eine gravierende Umgestaltung erfahren, welche sich in zwei Schritten vollzog: Im Jahr 2009 wurde durch eine Strafrechtsnovelle403 in § 20 aStGB ein neuer Absatz (Abs. 2) eingefügt, der die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft gesetzlich festschrieb: „Mittelbarer Täter ist, wer den gesetzlichen Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat durch eine Person verwirklicht, die für ihre Handlung wegen Kindesalters, krankhaften Geisteszustands, Zwang, Drohung nicht bestraft werden kann oder sich in einem Irrtum befindet.“ Auf Grundlage dieser Vorschrift, die sich nahezu wortgleich in § 13 Abs. 2 uStGB wiederfindet, ließen sich die Fälle der Mitwirkung an einem Suizid konstruktiv nicht mehr über diese Rechtsfigur lösen, da der Vordermann objektiv tatbestandslos handelt, dies aber die Werkzeugqualität nicht begründen kann. Wie sie zu lösen waren, kann dahingestellt bleiben, da der Gesetzgeber 2012 im Zuge einer weiteren Novellierung des aStGB404 den Tötungsparagrafen (§ 166 aStGB) um einen neuen Absatz (Abs. 3a) ergänzt hat, der wiederum mit § 160 Abs. 5 uStGB wörtlich übereinstimmt: „Wer eine unter vierzehnjährige oder zur Willensäußerung unfähige Person zur Selbsttötung bestimmt, ist, sofern diese ausgeführt wird, nach Abs. 1 zu bestrafen.“ Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Vorentwurf des uStGB ist erklärtes Ziel dieser Vorschrift die Beseitigung der dogmatischen Probleme, die aus dem Umstand resultieren, dass in den Fällen der mittelbaren Täterschaft der Tatmittler zur Begehung einer Straftat eingesetzt werden muss.405 Dieses Ziel dürfte der Gesetzgeber nicht ganz erreicht haben, da mit der Vorschrift neue Probleme kreiert wurden: Zunächst einmal erscheint der Begriff der zur Willensäußerung unfähigen Person im Selbsttötungskontext deplatziert. Zwar fand er sich auch vorher schon im aStGB, jedoch nur in Zusammenhang mit Fremdschädigungsdelikten.406 Dass die Bestimmung eines zur Willensäußerung Unfähigen zum Suizid der Sache nach nunmehr wie ein Fremdschädigungsdelikt behandelt wird, ändert nichts an dem Umstand, dass es hier nach wie vor um ein Geschehen geht, das sich jedenfalls äußerlich als Selbstschädigung darstellt.

403

G 2009:LXXX über eine Änderung des StGB v. 10 6. 2009, MKöz 2009, 24377. G 2012:LXII über die Änderung einiger Vorschriften zur Verwirklichung einer kinderfreundlichen Justiz v. 30.5.2012, MKöz 2012, 10066. 405 Amtliche Begründung des Vorentwurfs zum G 2012:C über das Strafgesetzbuch v. 13.7.2012, 115. 406 So etwa bei der Körperverletzung (§ 170 Abs. 3 aStGB, nunmehr in § 164 Abs. 4 lit. b uStGB), dem Menschenraub (§ 175/A Abs. 1 aStGB, nunmehr in § 190 Abs. 1 lit. b uStGB) u. der Vergewaltigung (§ 197 Abs. 1 aStGB, nunmehr in § 197 Abs. 1 lit. b uStGB). 404

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

Als weiteres Manko kommt hinzu, dass dieser Begriff auch jeglicher Trennschärfe entbehrt. Im Schrifttum wird in Bezug auf das gleichlautende Qualifikationsmerkmal für eine gefährliche Köperverletzung (§ 164 Abs. 4 lit. b uStGB, § 170 Abs. 3 aStGB) lediglich ausgeführt, zur Willensäußerung unfähig sei eine Person, die aus physischen oder psychischen Gründen keinen „Willen im Rechtssinne“ zu bilden bzw. diesen nicht auszudrücken vermöge, wobei dieser Zustand vorübergehender (z. B. Einfluss von Drogen oder Alkohol, Ohnmacht) oder dauerhafter Natur (etwa krankhafter Geisteszustand) sein könne.407 Diese Ausführungen führen auf den ersten Blick nicht wirklich weiter, geht es doch gerade um die Frage, wann der Wille des Suizidenten als rechtlich relevant bzw. frei oder unfrei betrachtet werden darf. Den beispielhaften Aufzählungen lässt sich kein genereller Freiverantwortlichkeitsmaßstab entnehmen. So sind beispielsweise Personen in einem krankhaften Geisteszustand sowohl schuldunfähig i. S. d. § 17 Abs. 1 uStGB (§ 24 Abs. 1 aStGB) als auch zumindest i. S. d. § 17 Abs. 1 ZGB (vorübergehend) geschäftsunfähig. Immerhin scheint die Einbeziehung von Personen unter Drogen- oder Alkoholeinfluss einen im Vergleich zur Exkulpationslösung des OG großzügigeren Maßstab nahezulegen, da § 18 uStGB (§ 25 aStGB) die Privilegien des § 17 uStGB (§ 24 aStGB) demjenigen verweigert, der sich eigenverantwortlich in einen Zustand der Trunkenheit oder sonstigen Rausch408 versetzt hat. Der Rauschtäter wird im ungarischen Strafrecht folglich so behandelt, als sei er voll schuldfähig, und seine Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) wird nach den äußeren Tatumständen beurteilt.409 Gleichzeitig sind solche Personen aber regelmäßig (vorübergehend) geschäftsunfähig i. S. d. § 17 Abs. 1 ZGB. Hierauf aufbauend ließe sich argumentieren, zur Willensäußerung unfähig i. S. d. § 160 Abs. 5 uStGB (§ 166 Abs. 3a aStGB) ist zunächst einmal jeder, der im zivilrechtlichen Sinne als geschäftsunfähig zu betrachten ist. Erachtet man darüber hinaus neben der Freiheit von Zwang oder Drohung auch das Fehlen von wesent-

407 Balogh, KR, 61; Blaskó u. a., KR, 44; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 106; a. A. Kereszty u. a., KR, 117, wonach es bei diesem Merkmal nicht um die Fähigkeit des Opfers zur Bildung eines rechtlich relevanten Willens gehe, sondern darum, ob das Opfer zu bewussten Handlungen in der Lage sei. Insofern könne ein unter Kind unter vierzehn Jahren nicht schon wegen seines Alters als willensäußerungsunfähig betrachtet werden. 408 Zum sonstigen Rausch zählen in erster Linie die durch halluzinogene Drogen verursachten Zustände; vgl. OG, BH 2000 Nr. 432. 409 OG, BH 1997 Nr. 565; 1993 Nr. 73; 2009 Nr. 36. § 18 uStGB (§ 25 aStGB) stellt demnach keine Regelung der actio libera in causa dar, weil der Täter unabhängig davon bestraft wird, ob er im Zeitpunkt des vorsätzlichen Sich-Betrinkens auch Vorsatz bezüglich der später in schuldunfähigem Zustand begangenen Straftat gehabt hat oder diese zumindest hätte voraussehen können. Dass hierin eine bedenkliche Ausnahme vom ansonsten auch im ungarischen Strafrecht geltenden Schuld- bzw. Verantwortungsprinzip zu sehen ist, liegt auf der Hand. Sie lässt sich auch nicht mit dem im Schrifttum vorgebrachten Argument rechtfertigen, der Täter sei in diesen Fällen schließlich selbst für die Bewusstseinsstörung verantwortlich; so aber Belovics u. a., ÁR, 130.

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lichen Willensmängeln als konstitutives Element des „Willens im Rechtssinne“, dann ist damit der Sache nach ein Wechsel weg von der Exkulpations-, hin zur Einwilligungslösung vollzogen. Diese Konstruktion wäre aus strafrechtsdogmatischer Sicht auch überzeugender, da sie der normativen Differenz zwischen der verbotenen Fremdschädigung und der nicht verbotenen Selbstschädigung Rechnung tragen würde.410 Unterschiede zur erweiterten, d. h. um eine entsprechende Anwendung der §§ 19, 20 uStGB (§§ 26, 27 aStGB) ergänzten Exkulpationslösung ergäben sich insoweit, als neben dem in einem Vollrausch ausgeführten Suizid auch eine auf einem Motivirrtum beruhende Selbsttötung als unfrei betrachtet werden könnte, wenn sie eine nachvollziehbare Reaktion auf die betreffende Fehlvorstellung darstellt.411 Jenseits dieser Schwierigkeiten ist § 160 Abs. 5 uStGB (§ 166 Abs. 3a aStGB) schließlich auch deshalb problematisch, weil die Strafbarkeit nur auf Verhaltensweisen erstreckt wird, die sich äußerlich als (Quasi-)Anstiftung darstellen. Es wurde bereits dargelegt, dass der dieser Beschränkung zugrunde liegende Gedanke wenig plausibel ist. Auch wenn, oder besser: gerade weil die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft in den Fällen einer Mitwirkung am Suizid nunmehr von vornherein ausscheidet, hätte der Gesetzgeber gut daran getan, die Strafbarkeit nach § 160 Abs. 5 uStGB (§ 166 Abs. 3a aStGB) unter den genannten Voraussetzungen auch auf beihilfeähnliche Handlungen zu erstrecken. So aber bleibt lediglich die höchst unbefriedigende Möglichkeit einer Bestrafung nach § 162 uStGB (§ 168 aStGB). Als Randnotiz sei angemerkt, dass der Vorentwurf zum uStGB im neugefassten Tötungstatbestand neben dem Bestimmen auch das Hilfeleisten zum Suizid erfassen wollte, die entsprechende Formulierung im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens aber unverständlicherweise wieder gestrichen wurde.412

410 Vgl. die entsprechenden Ausführungen zum deutschen Recht oben Erster Teil B. IV. 2. a) bb). 411 In den übrigen Fällen – Selbsttötung strafunmündiger Kinder oder in krankhaftem Geisteszustand, mithilfe Zwang oder Drohung abgenötigte Selbsttötung, Selbsttötung aufgrund eines „Quasi-Tatbestandsirrtums“ – ist die Freiverantwortlichkeit aber sowohl nach der Einwilligungs- als auch nach der (erweiterten) Exkulpationslösung zu verneinen. Gleiches gilt im Übrigen auch dann, wenn man sich für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit – statt an den Exkulpationsregeln – an § 13 Abs. 2 uStGB (§ 20 Abs. 2 aStGB) orientieren möchte, da nach dieser Vorschrift für die Werkzeugqualität des Vordermanns ebenfalls auf die Regeln zum Ausschluss der Zurechnungsfähigkeit und des Vorsatzes abzustellen ist. 412 Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren. Scheinbar stellte man sich wieder auf den Standpunkt, der auch OG, BH 1983 Nr. 7 (unausgesprochen) zugrunde liegt, dass nämlich der Dritte den defektbehafteten Lebensmüden begrifflich nur dann als „Werkzeug“ gegen sich selbst gebraucht, wenn er in ihm den Entschluss zur Lebensbeendigung hervorruft.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

b) Die äußere Abgrenzung Anders als die Bestimmung der inneren Grenzlinie scheint die äußere Abgrenzung zwischen Mitwirkung am Suizid und Fremdtötung (auf Verlangen) in Ungarn keine größeren Probleme zu bereiten. Rechtsprechung zu dieser Frage ist allerdings nur spärlich vorhanden. In einem 1973 ergangenen Urteil ging es um den Fall eines jugendlichen Gefängnisinsassen, der sich erhängen wollte. Nachdem er sich einen Strick um den Hals gebunden hatte und auf einen Eimer gestiegen war, bat er seinen Zellengenossen, diesen wegzuziehen, was dieser dann auch tat. Der Lebensmüde konnte durch einen herbeigeeilten Wärter gerettet werden. Dem erstinstanzlichen Gericht folgend verurteilte auch das OG den angeklagten Mithäftling ohne nähere Begründung wegen Mitwirkung am Suizid.413 In einem anderen Fall aus dem Jahr 1996 hatten drei Jugendliche beschlossen, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie schlitzten sich die Pulsadern mit einer Rasierklinge auf, die sie herumreichten. Nachdem sich bei ihnen ein Sinneswandel eingestellt hatte und sie um Hilfe riefen, konnten alle drei gerettet werden. Gegen die ersten beiden Jugendlichen wurde Anklage wegen Mitwirkung am Suizid erhoben; der dritte, der die Klinge zuletzt in Händen hielt, wurde nicht verfolgt. Das Gericht sah den Straftatbestand bei beiden Angeklagten als verwirklicht an, wobei eine nähere Begründung auch hier fehlt.414 Allgemeine Abgrenzungskriterien lassen sich aus beiden Entscheidungen folglich nicht herausdestillieren. In dieser Hinsicht ist allerdings auch die Literatur nicht wirklich ergiebig. Als einer der wenigen Autoren weist immerhin Filó unter dem Stichwort „objektive Beschränkung der Strafbarkeit“ darauf hin, dass sich die Teilnahme an der Selbsttötung dadurch auszeichne, dass der Lebensmüde die unmittelbar zum Tod führende Handlung selbst vornehme, wohingegen der Dritte nur dazu beitrage. Erforderlich sei demnach, „dass das Opfer die Selbsttötung eigenhändig begeht 413 OG, BJD Nr. 6343. Genau genommen hatte dieser Fall, der noch im Geltungsbereich des vorletzten StGB von 1961 erging, gar nicht die Bestrafung wegen Mitwirkung am Suizid zum Gegenstand – diese wurde gleichsam als selbstverständlich vorausgesetzt –; vielmehr ging es, wie sich auch aus dem Leitsatz ergibt, um die Möglichkeit, eine psychiatrische Zwangsbehandlung des Täters an seinem Wohnsitz durchführen zu können. 414 Siehe zu diesem Fall Pelle, Fundamentum 1/1999, 171 (174), die in ihrem Beitrag über die Tätigkeit der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ (ung.: Társaság a Szabadságjogokért, abgekürzt „TASZ“) referiert, die in Not geratenen Personen kostenlosen Rechtsbeistand bietet. Auch die beiden Jugendliche nahmen vor Gericht die Hilfe der TASZ in Anspruch, deren Anwälte argumentierten, dass der Straftatbestand der Mitwirkung am Suizid nur von jemandem verwirklicht werden könne, der außerhalb des suizidalen Geschehens stehe. Inwiefern bzw. ob sich das Gericht mit dieser Argumentation überhaupt auseinandersetzte, bleibt unklar. Immerhin weist Pelle noch darauf hin, dass der Richter es bei einer Verwarnung beließ und damit beide Angeklagten i. E. straflos ausgingen (ebd.).

C. Die Sterbehilfe im geltenden ungarischen Strafrecht

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oder zumindest zu begehen versucht“.415 In die gleiche Richtung äußert sich Békés, der darauf abstellt, wer das „unmittelbar zum Tod führende Geschehen“ in Gang gesetzt hat.416 Wenngleich das Schweigen des größten Teils der Lehre wohl eine Reaktion auf das Fehlen einschlägiger Rechtsprechung ist, wird es der Komplexität der Problematik nicht gerecht. Dass die Beantwortung der Frage nach dem äußerlichen „Selbst“ in der Selbsttötung unter Umständen nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten kann, lässt sich gut an der deutschen Diskussion und den dort erörterten Sachverhalten ersehen.417 Gleichwohl ist mit dem Abstellen auf die Steuerung der letzten Bedingung vor dem Erfolgseintritt ein vordergründig plausibles Abgrenzungskriterium benannt, das prima vista gut mit der Nichtanerkennung der Eigenverantwortlichkeit des Lebensmüden bzw. deren gezielter Zurückdrängung durch die §§ 160, 162 uStGB (§§ 166, 168 aStGB) zu harmonieren scheint. Zwingend ist diese Sichtweise indes nicht. Tatsächlich wäre es auch hier denkbar, unter Zugrundelegung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips auf das Kriterium der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt abzustellen, wie dies für das deutsche Recht favorisiert wurde.418 Der Hinweis, dass das Eigenverantwortlichkeitsprinzip im Bereich der Tötungsdelikte grundsätzlich negiert wird, muss mit Blick auf die Strafrahmendivergenz zwischen § 160 uStGB und § 162 uStGB (§ 166 aStGB und § 168 aStGB) nämlich präzisiert werden: Der deutlich herabgesetzte Strafrahmen der Mitwirkung am Suizid lässt sich plausibel nur damit erklären, dass das Unrecht der Tat aufgrund der vom Suizidenten selbst vorgenommenen Selbstverletzungshandlung herabgesetzt ist. Dann aber könnte man auch argumentieren, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Dritten als Täter einer Fremdtötung nur dann in Betracht kommt, wenn er das Geschehen in höherem Maße beherrscht als der Lebensmüde. Auf die beiden von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle hat dieser Theorienstreit allerdings keine Auswirkungen. Während die Annahme einer Suizidbeihilfe im zweiten Fall nicht zu beanstanden ist,419 geht sie im ersten fehl: Indem er den Eimer unter den Füßen des Lebensmüden weggetreten hat, hat der Dritte nicht nur die letzte Bedingung vor dem Erfolgseintritt gesteuert, sondern auch 415 Filó, ZStW 117 (2005), 952 (959), Hervorhebung im Original; vgl. auch ders., Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 246, wonach „Eigenhändigkeit“ zu verlangen sei, d. h., der Lebensmüde müsse selbst eine „entscheidende Rolle“ in der unmittelbar zu seinem Tode führenden Ursachenreihe einnehmen. 416 Békés, zit. nach Filó, ZStW 117 (2005), 952 (961). 417 Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. b) aa). 418 Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. b) cc). 419 Ebenso Filó, ZStW 117 (2005), 952 (961 f.), dort auch m.w. N. zur Gegenauffassung.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

die endgültige Entscheidung darüber getroffen, ob die Tat stattfinden soll. Er hat damit den „point of no return“ beherrscht.420 4. Teilnahme an der Selbsttötung und unterlassene Hilfeleistung Glaubt man der Literatur, scheint schließlich auch die strafrechtliche Beurteilung des tatenlosen Geschehenlassens einer Selbsttötung durch den quivis ex populo keine besonderen Probleme zu bereiten: Nahezu alle Autoren gehen davon aus, dass (auch) Nichtgaranten in situativer Konfrontation mit einem Suizid gem. § 166 uStGB (§ 172 aStGB) zur Hilfeleistung verpflichtet sind, weil eine (versuchte) Selbsttötung stets eine tatbestandsmäßige „Verletzung“ bzw. „unmittelbare Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit“ bewirke.421 Dieser Auffassung entgegengestellt hat sich in jüngerer Vergangenheit lediglich Filó, der die freiverantwortliche Selbsttötung eines unheilbar kranken Patienten als eigenverantwortliche Selbstgefährdung begreift, aus der einem Dritten keine strafrechtlichen Konsequenzen erwachsen dürften. Damit sei natürlich nicht gemeint, dass in Suizidfällen generell keine Hilfeleistungspflicht bestehe; es müssten nur Ausnahmen von dieser Pflicht anerkannt werden.422 Obschon hier nicht genau klar wird, ob Filó in solchen Fällen bereits das Tatbestandsmerkmal der Verletzung bzw. der Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit verneinen möchte oder lediglich für eine restriktive Handhabung des Zumutbarkeitskorrektivs plädiert, ist seiner Auffassung im Ergebnis zuzustimmen. Auch wenn die freiverantwortliche Entscheidung des Suizidenten in Ungarn nicht zur Straflosigkeit der vorher stattfindenden Mitwirkung am suizidalen Geschehen führt, wird man ihr eingedenk des Umstands, dass diese gesetzgeberische Entscheidung oben als mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip unvereinbar kritisiert wurde, zumindest im Rahmen des § 166 uStGB (§ 172 aStGB) nennenswertes Gewicht beimessen müssen. Jedenfalls für den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung muss gelten, dass eine Gefahrenabwehr gegen den freiverantwortlichen Willen des Suizidenten unzulässig ist.423 Demgemäß ist 420 Für eine Fremdtötung i. E. auch Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (84 f.). 421 Balogh, KR, 50; Fehér/Horváth/Lévay, KR, 94, 120; Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2045; vgl. auch Kereszty u. a., KR, 101, denen zufolge die Hilfeleistungspflicht allerdings erst nach Versuchsbeendigung akut werden soll. 422 Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 289 f. 423 Etwas anderes gilt im Bereich des Polizeirechts. Die Vorschriften, denen zufolge Beamten eine generelle Pflicht zur Suizidverhinderung obliegt, in deren Erfüllung sie auch ohne richterliche Genehmigung in Privatwohnungen eindringen dürfen (vgl. § 37 lit. c und § 39 Abs. 1 des G 1994:XXXIV über die Polizei v. 20.4.1994, MKöz 1994, 1422) finden ihre Berechtigung in dem Gesichtspunkt der Gefahrenprävention, der den Ordnungshütern eine unverzügliche Intervention gebietet, bei der eine aufwendige Prüfung der Freiverantwortlichkeit des Lebensmüden regelmäßig unmöglich ist; siehe auch

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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es sachgerecht, solche Selbstverletzungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift zu eliminieren, indem der Eintritt einer Hilfspflichten begründenden Situation – wohlgemerkt in Übereinstimmung mit einem Teil der Lehre424 – aus der Perspektive des Verletzten bzw. Gefährdeten bestimmt wird. Hiergegen ließe sich allenfalls anführen, § 166 uStGB (§ 172 aStGB) statuiere Solidaritätspflichten Unbeteiligter im Interesse des Kollektivsubjekts „Gesellschaft“,425 die in Gefahrensituationen auch eine paternalistische Intervention gebieten.426 Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass es bei dieser Vorschrift nicht um die Gewährleistung von Solidarität geht, sondern um den Schutz der Individualrechtsgüter des Verletzten bzw. in unmittelbare Gefahr Geratenen.427 Die allgemeine Lebensrettungspflicht aus § 166 uStGB (§ 172 aStGB) wird folglich von der freiverantwortlichen Entscheidung des Suizidenten überlagert; sie tritt erst wieder in den Vordergrund, wenn Anhaltspunkte für einen Sinneswandel des Lebensmüden vorliegen.428

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht Zu untersuchen bleibt, ob die auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts vorgefundenen Ergebnisse auch im Lichte der ungarischen Verfassung Bestand haben. Obwohl die Frage nach der Zulässigkeit der verschiedenen Sterbehilfeformen nicht nur eine straf-, sondern auch eine verfassungsrechtliche Dimension aufweist, fand eine Diskussion darüber in Ungarn lange Zeit kaum statt. Für ein Land, das nach vier Jahrzehnten sozialistischen Staatsrechts keine verfassungsrechtliche Tradition besaß,429 sich diese vielmehr erst mit dem Systemwechsel und der Etablierung einer eigenen Verfassungsgerichtsbarkeit zum 1. Januar 1990 Filó, Az eutanázia a bünteto˝jogi gondolkodásban (2009), 291, der allerdings mit Recht darauf hinweist, dass dieser Aspekt bei Suizidhandlungen im Sterbehilfe-Kontext nicht per se zum Tragen kommt, weil hier an der Ernsthaftigkeit des Entschlusses i. d. R. nicht zu zweifeln ist. 424 Vgl. etwa Belovics/Molnár/Sinku, KR, 126; Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto˝jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2125. 425 So bestimmt dessen Ratio Lassó, in: Varga (Hrsg.), A bünteto ˝ jog nagy kézikönyve (2007), Rn. 2121. 426 Zum analogen Einwand in der deutschen Diskussion siehe oben Erster Teil B. IV. 3. b). 427 So jedenfalls Kereszty u. a., KR, 130; wohl auch Balogh, KR, 72; Fehér/Horváth/ Lévay, KR, 120; a. A. – aber wenig überzeugend – Belovics/Molnár/Sinku, KR, 125 u. Blaskó u. a., KR, 56, wonach es bei der unterlassenen Hilfeleistung um den Schutz des gesellschaftlichen Interesses an der Unversehrtheit von Leben, Leib und Gesundheit des Hilfsbedürftigen gehe. 428 Siehe auch schon mit Blick auf eine mögliche Strafbarkeit gem. § 323c StGB oben Erster Teil B. IV. 3. b). 429 Siehe Sólyom, Ungarische Verfassungsgerichtsbarkeit und deutsche Grundrechtsdogmatik, Vortrag aus Anlass der Auszeichnung mit dem Ehrendoktortitel der Universität zu Köln am 9.2.1999, II. 1.; vgl. auch Szomora, ZIS 2011, 29 (30).

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

zu entwickeln begann,430 mag dies aber auch nicht wirklich verwundern. Umso bedeutender ist die eingangs schon erwähnte Tatsache, dass im Jahr 2003 ein vielbeachtetes Urteil zur Sterbehilfe erging, in dem das VerfG ausführlich auf die einzelnen Aspekte der Problematik eingeht.

I. Die Menschenwürde in Einheit mit dem Recht auf Leben in der Rechtsprechung des VerfG Dieses Urteil war freilich nicht völlig ohne dogmatische Vorläufer. In seiner Begründung folgt das Gericht einer Linie, die es bereits in seiner vorangegangenen Entscheidung zur Todesstrafe und den beiden Abtreibungsurteilen eingeschlagen und gefestigt hat. 1. Das Todesstrafenurteil aus dem Jahr 1990 Bereits im Jahr 1990 war die Todesstrafe Gegenstand verfassungsrechtlicher Prüfung.431 In seiner Entscheidung hatte das VerfG das in § 54 Abs. 1 Verf verbriefte Recht auf Leben entgegen dem Anschein der Einschränkbarkeit, der sich bei einem ersten, sozusagen grundrechtsdogmatisch unbefangenen Blick auf die Norm aufdrängt, als absolutes Recht aufgefasst und auf dieser Grundlage die Todesstrafe für verfassungswidrig erklärt. Eine Unterscheidung zwischen dem Wesensgehalt und einem einschränkbaren Teil sei weder bei der Menschenwürde noch beim menschlichen Leben möglich. Abgestellt wird damit auf § 8 Abs. 2 Verf,432 der für die Regelung von Grundrechten und Pflichten ein förmliches Gesetz verlangt und dabei (nur) den Wesensgehalt der Grundrechte für uneinschränkbar erklärt. Das VerfG bezeichnete jede Einschränkung beider Rechte als willkürlich, da eine solche per se deren Wesensgehalt tangiere. 430 Ausführlich zu den Anfängen der ungarischen Verfassungsgerichtsbarkeit Brunner/Sólyom, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn (1995), 16 ff.; Sólyom, Az alkotmánybíráskodás kezdetei Magyarországon (2001); vgl. auch Brunner/Küpper, in: H. Fischer (Hrsg.), Wissenschaftsbeziehungen und ihr Beitrag zur Modernisierung (2005), 421 ff. 431 VerfGE 23/1990. (X. 31.) AB, MKöz 1990, 2175; in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Brunner/Sólyom, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn (1995), 136 ff. Auf dieses Urteil gehen auch Kerek, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn und Rumänien (2010), 332 ff. und Küpper, OER 1999, 155 f. kurz ein. Die folgende Darstellung ist an die Ausführungen Küppers angelehnt. 432 Im Wortlaut: „In der Republik Ungarn bestimmen Gesetze die Regeln, die sich auf die Grundrechte und -pflichten beziehen, sie können jedoch den wesentlichen Inhalt der Grundrechte nicht einschränken.“ Vgl. zu den Grundrechtsschranken in der (alten) ungarischen Verfassung auch Szomora, ZIS 2011, 29 (31). Eine inhaltlich weitgehend identische Regelung findet sich nunmehr in Art. I Abs. 3 uGG: „Die Regelungen, die sich auf die grundlegenden Rechte und Pflichten beziehen, werden durch Gesetze festgelegt. Grundrechte können im Interesse der Durchsetzung anderer Grundrechte oder des Schutzes von verfassungsmäßigen Werten im unbedingt erforderlichen und dem zu erreichenden Zweck angemessenen Maße, unter Beachtung des wesentlichen Inhalts des Grundrechts, eingeschränkt werden.“

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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2. Das erste Abtreibungsurteil aus dem Jahr 1991 Nur etwa ein Jahr später entschied das VerfG aufgrund zahlreicher Normenkontrollanträge433 über die Verfassungsmäßigkeit der lediglich in Form einer Regierungs- bzw. einer Ministerialverordnung verabschiedeten Abtreibungsvorschriften.434 Es erklärte sie mit Blick auf § 8 Abs. 2 Verf für verfassungswidrig und hob sie mit Wirkung zum 31. Dezember 1992 auf.435 Auf Ersuchen des zuständigen Ministers für Volkswohlfahrt machte es darüber hinaus richtungsweisende Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Rahmen der geforderten Neuregelung, den es einerseits durch das Grundrecht der Schwangeren auf Selbstbestimmung und andererseits durch das Recht auf Leben bestimmte. Bereitete die Konstruktion erstgenannten Rechts trotz fehlender Erwähnung in der Verf noch keine großen Schwierigkeiten – das Gericht hatte es schon in einem früheren Urteil formuliert436 und brauchte es nur noch auf den konkreten Fall anzuwenden –, stellte sich die Frage nach dem Lebensrecht der Leibesfrucht als weitaus problematischer dar. Die Richter, die an der im Todesstrafen433 In Ungarn konnte bis vor Kurzem jedermann ein Verfahren auf nachträgliche Normenkontrolle anstrengen und war dabei weder an Fristen noch an das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses gebunden; siehe dazu Ádám, in: Brunner (Hrsg.), Politischer Pluralismus und Verfassungsstaat in Deutschland und in Ungarn (1992), 23 (24 f.); Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 59 f.; sehr ausführlich zu Zuständigkeiten, Organisation, Verfahren und Stellung des VerfG im Geltungsbereich der alten Verfassung Spuller, Das Verfassungsgericht der Republik Ungarn (1998). Mit Inkrafttreten des uGG und des neuen VerfGG wurde der Kreis der Antragsberechtigten für eine nachträgliche Normenkontrolle neu gefasst: Berechtigt sind nach § 24 Abs. 2 lit. e uGG i.V. m. § 24 VerfGG nur die Regierung, ein Viertel der Parlamentsabgeordneten, der Präsident der Kurie, der Generalstaatsanwalt und der Ombudsmann für Grundrechte. 434 §§ 29 Abs. 4 Satz 1, 87 Abs. 2 des G 1972:II über das Gesundheitswesen v. 29.4.1972, MKöz 1972, 293; RegVO 76/1988. (XI. 3.) MT über den Schwangerschaftsabbruch, MKöz 1988, 1185; VO des Sozial- und Gesundheitsministers 15/1988. (XII.15.) SZEM über den Schwangerschaftsabbruch, MKöz 1988, 1379. 435 VerfGE 64/1991. (XII. 17.) AB, MKöz 1991, 2809, in einer deutschen Übersetzung abgedruckt bei Brunner/Sólyom, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn (1995), 256 ff. Auf dieses Urteil gehen z. B. ein Halmai, in: Frowein/Marauhn (Hrsg.), Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mittel- und Osteuropa (1998), 125 (127 f.); Kerek, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn und Rumänien (2010), 337 ff. und Küpper, OER 1999, 155 (156 ff.), an dessen Darstellung sich die folgende Zusammenfassung orientiert. 436 VerfGE 8/1990. (IV. 23.) AB, MKöz 1990, 751. Gegenstand der Entscheidung war das den Gewerkschaften gesetzlich eingeräumte Recht, die Anliegen der Werktätigen ohne deren Mitwirkung oder Ermächtigung zu vertreten. Das Gericht erklärte dies wegen Verstoßes gegen das Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer, das es aus der Menschenwürde ableitete, für verfassungswidrig. Darüber hinaus verwies es auf die modernen Verfassungsstandards, die das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das seinerseits wiederum aus der Menschenwürde fließe, überall garantierten.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

urteil gefundenen Auslegung als absolutes Recht festhielten, wiesen die Entscheidung hierüber an den Gesetzgeber zurück. Es handle sich um eine Wertung, für die aus der Verfassung keine Vorgaben abgeleitet werden könnten. Sollte die Leibesfrucht mit Rechtssubjektivität ausgestattet werden, dann stünde ihr, wie jedem Menschen, das unbedingte Recht auf Leben und Menschenwürde zu; verneinte man hingegen die Rechtspersönlichkeit, dann fiele sie immer noch unter eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates zum Lebensschutz, die als solche aber nicht mehr absolut sei und deshalb auch mit dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter abgewogen werden könne. Verfassungskonform sei diese Abwägung indes nur dann, wenn an ihrem Ende keine der beiden Extremlösungen stehe, d. h. die Abtreibung weder komplett erlaubt noch komplett verboten werde. 3. Das zweite Abtreibungsurteil aus dem Jahr 1998 Eine solche „Totalfreigabe“ sah das Gericht dann 1998 im zweiten Abtreibungsurteil437 durch das zwischenzeitlich neu geregelte Abtreibungsrecht438 als gegeben an. Dabei übernahm es größtenteils den Standpunkt der Antragsteller, § 6 Abs. 1 lit. d des Gesetzes, der einen Schwangerschaftsabbruch bei einer schweren Notlage der Mutter439 bis zur zwölften Woche für zulässig erklärt,440 gewähre im Zusammenspiel mit der Legaldefinition der Notlage in § 12 Abs. 6 Satz 1 (jetzt § 5 Abs. 2) als Situation, „die eine körperliche oder seelische Erschütterung bzw. eine soziale Verunmöglichung hervorruft und dadurch die gesunde Entwicklung der Leibesfrucht gefährdet“,441 sowie der Regelung, dass die Schwangere deren Vorhandensein durch ihre Unterschrift bestätigt (§ 12 Abs. 6 Satz 2 bzw. jetzt Satz 1) und diese Einschätzung einer Überprüfung durch staat437 VerfGE 48/1998. (XI. 23.) AB, MKöz 1998, 6654; ausführlich dazu Kerek, Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn und Rumänien (2010), 337 ff. u. Küpper, OER 1999, 155 (insb. 160 ff.), Letzterer auch mit einer Übersetzung der Leitsätze im Anhang. 438 G 1992:LXXIX über den Lebensschutz der Leibesfrucht v. 23.12.1992, MKöz 1992, 4705. 439 Das Gesetz spricht wortwörtlich von einer „schweren Krisensituation“ (ung.: súlyos válsághelyzet); hier wird jedoch in Übereinstimmung mit dem deutschen Sprachgebrauch und im Anschluss an Küpper, OER 1999, 155 (159 mit Fn. 12) der Begriff der schweren Notlage verwendet. 440 § 6 Abs. 2 erstreckt die Frist bis zur 18. Woche für den Fall, dass die Schwangere geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist (lit. a) oder dass sie die Schwangerschaft unverschuldet nicht früher erkannt hat (lit. b). In speziellen Fällen kann die Abtreibung noch später (§ 6 Abs. 3), bei Lebensgefahr für die Mutter oder Lebensunfähigkeit der Leibesfrucht sogar ohne Frist (§ 6 Abs. 4) vorgenommen werden. Siehe dazu Küpper, OER 1999, 155 (159). 441 Hinsichtlich des Begriffs der sozialen Verunmöglichung sei angemerkt, dass der ungarische Ausdruck „társadalmi ellehetetlenülés“ die Unmöglichkeit der Fortführung der Schwangerschaft aus sozialen Gründen bezeichnet; es handelt sich dabei um den exogenen Faktor neben den endogenen Gründen „körperliche oder seelische Erschütterung“; siehe Küpper, OER 1999, 155 (159 mit Fn. 13).

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liche Stellen entzogen ist (§ 9 Abs. 3 AusfVO, mittlerweile aufgehoben),442 ein praktisch uneingeschränktes Abtreibungsrecht. Diese Vorschriften hielt das VerfG im Wesentlichen aus drei Gründen für beanstandenswert: Zum einen sei bei der Legaldefinition der Notlage ein logischer Widerspruch darin zu sehen, dass die Interessen der Schwangeren in Interessen der Leibesfrucht umgedeutet würden. Dies ermögliche willkürliche sowie widersprüchliche Auslegungen und sei mit dem Rechtsstaatsgebot und den aus § 54 Abs. 1 Verf fließenden Pflichten unvereinbar. Zum anderen führe das Ausreichenlassen ihrer Unterschrift zusammen mit dem Prüfungsverbot im Ergebnis dazu, dass die Schwangere die Abtreibung unkontrolliert verlangen könne. Zwar sei es in Übereinstimmung mit europäischen Rechtsstandards443 grundsätzlich möglich, die Notlage als subjektive Einschätzung im Interesse der Würde und des Intimbereichs der Schwangeren einer staatlichen Nachprüfung zu entziehen, doch bedürfe es dann eines Gegengewichts zugunsten der Interessen der Leibesfrucht, an dem es hier fehle. Schließlich sei in der unkontrollierten Notlagenindikation auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip zu sehen. Da alle ohne ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis vorgenommenen Abtreibungen nach dem aStGB strafbar seien, markierten die Erlaubnistatbestände des Abtreibungsgesetzes als Rechtfertigungsgründe gleichzeitig die Grenze der Strafbarkeit. Als solche müssten sie aber nachprüfbar sein, um nicht gegen das Rechtssicherheitsgebot zu verstoßen.444

II. Das Sterbehilfeurteil des VerfG aus dem Jahr 2003 An seine zur Todesstrafe und zur Abtreibung angestellten Erwägungen konnte das VerfG schließlich in seinem 2003 ergangenen Urteil zur Sterbehilfe anknüpfen.

442 VO des Ministers für Volkswohlfahrt 32/1992. (XII. 23.) NM über die Ausführung des Gesetzes 1992:LXXIX über den Lebensschutz der Leibesfrucht, MKöz 1992, 4711. 443 Näher analysiert werden die gesetzlichen Regelungen in Belgien, Deutschland, Norwegen und Polen. 444 Als verfassungskonforme Regelung schlägt das Gericht wahlweise die Beseitigung des inneren Widerspruchs in der Legaldefinition der Notlage durch Streichung des Verweises auf die Leibesfrucht und die Kontrolle der Notlage vor. Alternativ könne man aber auch weiterhin von einer Kontrolle der Notlage absehen, sofern dafür ausreichende Gegengewichte zugunsten der Leibesfrucht geschaffen würden. Diese sollten einerseits in einem System von Perspektiven eröffnenden Hilfsangeboten an die Schwangere in ihrer Krisensituation bestehen, andererseits in Sanktionen zulasten der Schwangeren auf anderen Rechtsgebieten, etwa bei der Kostentragung für den Eingriff. Siehe dazu Küpper, OER 1999, 155 (166).

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1. Hintergrund Bereits 1993, d. h. noch unter dem Geltungsbereich des GesG von 1972, wurde ein Normenkontrollantrag eingereicht, in dem § 43 Abs. 2 GesG445 als Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie angefochten wurde.446 Angegriffen wurden darüber hinaus die §§ 166–168 aStGB, bezüglich derer die Antragsteller die Feststellung einer „Verfassungswidrigkeit durch Unterlassen“ begehrten.447 Der Gesetzgeber habe es nach Einfügung der Menschenwürdegarantie in die Verfassung versäumt, besagte Vorschriften mit diesem Grundrecht in Einklang zu bringen. Infolgedessen sei mit der ärztlicherseits vorgenommenen Tötung auf Verlangen des unheilbar kranken Patienten auch ein Verhalten mit Strafe bedroht, das aufgrund des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts eigentlich rechtmäßig sein müsste. Schließlich wurde beanstandet, dass bestimmte Fälle einer nicht konsentierten Tötung nicht als „Tötung aus Billigkeitsgründen“ (ung.: méltányossági ölés) aus dem Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungstatbestände ausgegliedert und in einem privilegierten Tatbestand gesondert geregelt wurden. Konnte – oder wollte – das VerfG zu diesen intrikaten Fragen lange Zeit nicht Stellung nehmen, wurde der Normenkontrollantrag mit Inkrafttreten des neuen GesG am 1. Juli 1998 bzw. der dem Patienten darin neu zugestandenen Möglichkeit eines Behandlungsverzichts am Lebensende partiell hinfällig. Nach einer Anpassung an die veränderte Rechtslage wurde er deshalb von den Antragstellern im Jahr 2001 erneut eingereicht.448 2. Die Argumentation der Antragsteller In ihrem neuen Antrag kritisieren die Antragsteller die Rechtslage in dreifacher Hinsicht: Zum einen wird beanstandet, dass der Gesetzgeber das Selbstbestimmungsrecht unheilbar kranker Patienten verletze, wenn er ihnen im GesG nur den Behandlungsverzicht erlaube. Nach Auffassung der Antragsteller wären die gesetz445

Für den genauen Wortlaut der Vorschrift siehe oben Zweiter Teil A. Zum Antrag siehe Halmai, in: Élet és Irodalom v. 9.5.2003, 4. Antragsteller waren die Rechtsanwältin Kmetty und der Verfassungsrechtler Takács. Letzterer bekleidete von 2001 bis 2007 auch das Amt des stellvertretenden Ombudsmanns für Staatsbürgerrechte und war zwischen 2007 und 2008 ungarischer Justizminister. 447 Siehe zu dieser Verfahrensart Küpper, Einführung in das ungarische Recht (2011), 60; ausführlich Sólyom, Brunner-FS (2001), 426. Mit Inkrafttreten des uGG und des neuen VerfGG am 1.1.2012 wurde dieser Verfahrenstyp aus dem Kreis der verfassungsgerichtlichen Kompetenzen gestrichen; vgl. § 71 Abs. 2 VerfGG. 448 Dieser Antrag ist abgedruckt in: Fundamentum 1/2003, 125; vgl. dazu auch Gyo˝rfi, Fundamentum 1/2003, 142; Halmai, in: Élet és Irodalom v. 9.5.2003, 4. 446

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lichen Regeln im Lichte des Grundrechts auf Menschenwürde nur dann verfassungsgemäß, wenn man unheilbar kranke Patienten mit umfangreicheren Rechten ausstatten und ihnen die Möglichkeit einräumen würde, unter Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe aus dem Leben zu scheiden. Darüber hinaus könne aus der Menschenwürdegarantie aber auch abgeleitet werden, dass es dem Arzt erlaubt sein müsse, im Interesse des Würdeschutzes Sterbender einen Patienten selbst bei Fehlen eines entsprechenden Verlangens zu töten. Wenngleich sie zugestehen, dass das neue GesG der Entfaltung der Menschenwürde wesentlich mehr Raum lässt als das vorherige, greifen die Antragsteller des Weiteren die Vorschriften zum Behandlungsverzicht als nach wie vor nicht gerechtfertigte und deshalb verfassungswidrige Eingriffe in dieses Grundrecht an. Konkret werden Bedenken im Hinblick auf die §§ 15 Abs. 2, 20 Abs. 3 und 4 GesG sowie die §§ 22 Abs. 4, 23 Abs. 1 GesG formuliert.449 Angegriffen werden schließlich auch einige konkrete Bestimmungen im GesG bzw. der RegVO-GesG, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Recht des Kranken auf ein würdiges Sterben stehen, sondern sich generell auf die Patientenautonomie beziehen. Da sie für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Sterbehilfeproblematik von untergeordneter Bedeutung sind, kann auf eine Darstellung verzichtet werden. 3. Die amicus curiae-Stellungnahme von Kis/Sajó Knapp anderthalb Jahre nach Einreichung des Antrags äußerten sich Kis und Sajó nach amerikanischem Vorbild als amici curiae zu den darin aufgeworfenen Rechtsfragen.450 In ihrem „brief“ unterstützen sie vollumfänglich die Thesen, denen zufolge die Regeln des GesG sowohl einzeln als auch in toto eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bewirken. Darüber hinaus setzen sie sich ausführlich mit dem von den Antragstellern als verfassungswidrig bezeichneten Verbot der aktiven Sterbehilfe und des assistierten Suizids in den §§ 166– 168 aStGB auseinander. Diesbezüglich gelangen sie zur Auffassung, dass in der fehlenden Entkriminalisierung dieser Verhaltensweisen kein verfassungswidriges

449 Diese Kritikpunkte werden zusammen mit der Urteilsbegründung dargestellt; siehe unten Zweiter Teil D. II. 4. d). 450 Kis/Sajó, Fundamentum 1/2003, 134. Bei der v. a. im angelsächsischen Rechtsraum verbreiteten Institution des „amicus curiae“ (Latein für „Freund des Gerichts“) geht es um die Beteiligung einer Person oder Organisation an einem Gerichtsverfahren, die zwar keine Partei ist, aber gleichwohl ein hervorgehobenes Interesse an Gegenstand und Ausgang des Prozesses hat. Zu diesem Zweck präsentiert der „amicus curiae“ dem Gericht Tatsachen und Rechtsansichten in Form von Schriftsätzen („briefs“), die eine umfassende Ermittlung der Tatsachen oder der Rechtslage erleichtern und damit der Wahrheitsfindung dienen können; siehe Weber, Prozessuale Aspekte der Streitbeilegung im institutionellen Rahmen der Welthandelsorganisation (2007), 47.

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Unterlassen des Gesetzgebers erblickt werden könne, weil ein solches Urteil die Setzung einer „vernünftigen“, d. h. maximal 1- bis 2-jährigen Frist zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands erfordere. Eine solche Frist könne man bei der aktiven Sterbehilfe und beim assistierten Suizid mit Blick auf die gerade erst aufkeimende gesellschaftliche Diskussion und die fehlende Aufarbeitung des Umgangs mit den gesetzlichen Regelungen zur passiven Sterbehilfe aber nicht bestimmen. Gleichwohl liege es in der Kompetenz des VerfG, mit Blick auf die Zukunft festzustellen, dass die Situation in eine verfassungswidrige umschlagen könne, sollten der Gesetzgeber und der Rechtsanwender nicht die notwendigen Schritte in Richtung einer strukturiert ablaufenden Debatte einleiten. Unmittelbare Rechtswirkung entfalte eine solche Feststellung aber nicht. 4. Die Argumentation des VerfG Das Gericht nahm sich für die Entscheidungsfindung zwei Jahre Zeit, was mit Blick auf den Umstand, dass Urteile über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen üblicherweise schon einige Monate nach Antragstellung gefällt werden, nicht wenig ist und auf die Komplexität der Problematik hindeutet.451 Dies gilt umso mehr, als der überarbeitete Antrag Kritikpunkte enthält, die bereits in der Eingabe von 1993 enthalten waren. Bemerkenswert ist auch, dass die Entscheidung mit 25 Seiten Text im Magyar Közlöny sowie 13 zusätzlichen Seiten Parallel- und Sondervoten für die Maßstäbe des VerfG außerordentlich umfangreich ist. Bei einem Thema wie der Sterbehilfe ist richterliche Akribie freilich geboten: Ist es Aufgabe von Rechtsprechung im Allgemeinen und von Verfassungsrechtsprechung im Besonderen, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden zu leisten, so kann dies bei einer solch intrikaten Problematik nur durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Sache erreicht werden, würden Ungenauigkeiten nur neue Konfrontationen nach sich ziehen.452 In der Sache äußert sich das Gericht, nachdem es seine Rechtsprechung zu den geltend gemachten Grundrechten noch einmal dargestellt und ihre Übertragbarkeit auf die Sterbehilfe untersucht hat, zum Erfordernis einer Grenzziehung zwischen aktiven und passiven Verhaltensweisen. Es folgen ausführliche Darlegungen zur Verhältnismäßigkeit der einzelnen Vorschriften des GesG und des aStGB. An die Urteilsbegründung knüpfen schließlich die Parallel- und Sondervoten an.

451 Vgl. Küpper, OER 1999, 155 (161) in Zusammenhang mit dem zweiten Abtreibungsurteil, das gar erst fünf Jahre nach Antragstellung erging. 452 Vgl. mit Blick auf das zweite Abtreibungsurteil Küpper, OER 1999, 155 (161).

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a) Die Entscheidung pro morte als Ausdruck individueller Selbstbestimmung Im Hinblick auf die §§ 20, 22 Abs. 2 aVerfGG stellt das VerfG zunächst ausdrücklich klar, dass es die beanstandeten Vorschriften ausschließlich auf ihre Vereinbarkeit mit der Menschenwürdegarantie prüft und andere Grundrechte, wie etwa die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit oder den Gleichheitssatz, nicht in seine Analyse einbezieht.453 Nach einer rechtsvergleichenden Übersicht, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass bis auf die liberalen gesetzlichen Regelungen in den Niederlanden und Belgien sowie im US-Bundesstaat Oregon die meisten Staaten eine Lebensbeendigung bei unheilbar Kranken in erster Linie dadurch ermöglichen, dass sie deren Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen anerkennen,454 setzt sich das VerfG mit seiner bisherigen Rechtsprechung zur Menschenwürde auseinander. Es verweist darauf, dass es aus diesem Grundrecht bereits in einer seiner ersten Entscheidungen ein „allgemeines Persönlichkeitsrecht“ abgeleitet hat, das die Funktion eines „subsidiären Mutterrechts“ erfüllen und als Basis für die Entfaltung grundrechtsgeschützter Freiheiten außerhalb des expliziten Grundrechtskatalogs, u. a. auch der in concreto einschlägigen Selbstbestimmung über den eigenen Körper, dienen soll.455 Der 453 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3631). Der Prüfungsgegenstand wurde zunächst grds. vom Antragsteller bestimmt, wobei nach § 22 Abs. 2 aVerfGG neben dem Grund auch ein konkretes Begehren formuliert werden musste. Dem VerfG war indes vorbehalten, auch weitere, nicht im Antrag bezeichnete Normen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen, sofern ein enger Zusammenhang mit dem Prüfungsgegenstand erkennbar war; siehe dazu Spuller, Das Verfassungsgericht der Republik Ungarn (1998), 71. Speziell das in § 60 Abs. 1 u. 2 Verf verankerte Grundrecht auf Glaubensfreiheit (nunmehr in Art. VII Abs. 1 uGG) findet zwar in der Begründung des Antrags Erwähnung, ist im eigentlichen Antrag aber nicht enthalten. 454 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3632 ff.). Aus der Rspr. anderer Staaten werden Fälle aus dem Vereinigten Königreich (Ms B. v. an NHS Hospital, Court of Appeal judgment of 22 March 2002; Re J [1991] Fam 33; Diane Pretty v. Director of Public Prosecution), Kanada (Rodriguez v. the Attorney General of Canada [1994]) und Deutschland (BGHSt 42, 305) erwähnt. Vorgestellt werden auch die Sterbehilferegelungen der Niederlande und Belgiens, ebenso das australische nördliche Regionalgesetz über Sterbehilfe (Rights of the Terminally Ill Act, 1995). Besonders ausführlich referiert das VerfG über die USA, deren richterliche Praxis (Cruzan v. Director, Missouri Department of Health 497 US 261 [1990]) es ebenso beleuchtet wie den Oregon Death with Dignity Act aus dem Jahr 1994. Schließlich werden die EGMR-Entscheidung im „Fall Pretty“ sowie die Empfehlung 1418 (1999) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Schutz der Menschenrechte und der Würde der Todkranken und Sterbenden vorgestellt. 455 Das VerfG verweist hier auf VerfGE 8/1990. (IV. 23.) AB, MKöz 1990, 751 sowie VerfGE 36/2000. (X. 27.) AB, MKöz 2000, 6619. Siehe dazu auch Brunner/Küpper, in: Fischer (Hrsg.), Wissenschaftsbeziehungen und ihr Beitrag zur Modernisierung (2006), 421 (445). Zu den krit. Stimmen, die in diesen Ableitungen eine unzulässige Verfassungsinterpretation erblicken, siehe Szente, Fundamentum 3–4/2003, 91 (93 f.) m.w. N., der sich selbst krit. äußert, weil die inflationäre Generierung zusätzlicher Grundrechte

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zusammen mit dem Recht auf Leben an der Spitze des Grundrechtskatalogs stehenden Menschenwürde komme dabei bereits aufgrund ihrer systematischen Stellung die Bedeutung eines – so die Formulierung im Todesstrafenurteil – „alles überragenden Werts“ zu. Bereits dort sei auch dem Standpunkt Ausdruck verliehen worden, dem zufolge das Recht auf Leben und Menschenwürde eine untrennbare Einheit und als solche ein unteilbares und uneinschränkbares Grundrecht bildeten. Dieser Grundsatz komme für die Menschenwürde indes nur dann zum Tragen, wenn sie zusammen mit dem Recht auf Leben als Ausdruck des spezifisch menschlichen Status zutage trete.456 Folglich seien alle aus diesem Mutterrecht abgeleiteten Teilrechte, so etwa das „nackte“ Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wie alle anderen Grundrechte in Übereinstimmung mit § 8 Abs. 2 Verf einschränkbar.457 Das VerfG weist sodann darauf hin, dass es sich zwar schon in früheren Entscheidungen mit verfassungsrechtlichen Fragestellungen im Kontext von Beginn und Ende menschlichen Lebens befasste,458 dort allerdings andere Zusammenhänge des Verhältnisses von Leben und Menschenwürde akzentuiert wurden. Nichtsdestotrotz können die in diesen Urteilen entwickelten Prinzipien seiner Ansicht nach auch für die Beurteilung des vorliegenden Antrags fruchtbar gemacht werden. Von den verschiedenen Ausprägungen der Menschenwürde müsse dabei auf das Selbstbestimmungsrecht abgestellt werden, was im Übrigen auch internationalen Tendenzen entspreche.459 Ausgehend hiervon macht das Gericht deutlich, dass es die Entscheidung des unheilbar kranken Patienten, nicht mehr unter Schmerzen weiterleben zu wollen, die in der Verfassung verankerten zu bloßen Beispielen degradiere und damit zu deren Relativierung beitrage. 456 Das VerfG beruft sich hier auf seine entsprechende Feststellung aus dem ersten Abtreibungsurteil VerfGE 64/1991. (XII. 17.) AB, MKöz 1991, 2809 (2815, 2817). 457 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3636 f.). Das VerfG beruft sich hier auf seine entsprechende Feststellung aus VerfGE 75/1995. (XII. 21.) AB, MKöz 1995, 6500 (6504). Gegenstand der Entscheidung war die in § 300 Abs. 1 ZPO a. F. vorgesehene Möglichkeit, im Rahmen des Verfahrens auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft bei Androhung von Zwangsgeld (§ 185 ZPO) auch nicht verfahrensbeteiligte Zeugen zur Duldung einer Blutentnahme verpflichten zu können, wenn sich im Prozessverlauf Anhaltspunkte für eine etwaige Vaterschaft ergeben. Das VerfG sah hierin eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und hob die Vorschrift mit Wirkung zum 31.12.1996 auf. Der revidierte § 300 Abs. 1 ZPO sieht in der gegenwärtigen Fassung vor, dass solchen Personen per Gerichtsbeschluss Parteistellung verliehen werden kann. 458 Verwiesen wird auf das Todesstrafenurteil VerfGE 23/1990. (X. 31.) AB, MKöz 1990, 2175 u. die beiden Abtreibungsurteile VerfGE 64/1991. (XII. 17.) AB, MK 1991, 2809; 48/1998. (XI. 23.) AB, MKöz1998, 6654. 459 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3637). Angeführt werden eine Entscheidung des Supreme Court of Canada (Rodriguez v. the Attorney General of Canada [1994] 2 LRC 136) und das schon mehrfach zitierte EGMR-Urteil im „Fall Pretty“.

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als Teil seines Selbstbestimmungsrechts ansieht und damit § 54 Abs. 1 Verf für einschlägig erachtet. Die Entscheidung über den eigenen Tod stehe jedem unabhängig von seinem Gesundheitszustand zu. Dies sei auch der Grund, warum die Selbsttötung nicht mehr mit Strafe bedroht sei; ein weltanschaulich neutraler Staat müsse sich einer Bewertung der Beweggründe enthalten und auf seine objektive Schutzpflicht für das menschliche Leben beschränken.460 Das VerfG zieht daraus zwei Schlussfolgerungen: Einerseits müsse die Entscheidung des unheilbar kranken Patienten zum Behandlungsverzicht als von seinem Selbstbestimmungsrecht umfasst betrachtet werden, das insoweit zum Schutze anderer Grundrechte eingeschränkt, aber nicht gänzlich entzogen werden dürfe. Gegenstand verfassungsrechtlicher Prüfung könnte hier allenfalls die Frage nach der Erforderlichkeit derartiger Einschränkungen sein. Andererseits könne dieser Grundsatz dann keine Geltung mehr beanspruchen, wenn es um die Inanspruchnahme aktiver ärztlicher Hilfe zur Lebensbeendigung gehe. Der Arzt setze hier nicht nur die Entscheidung des Patienten um, sondern wirke unmittelbar am todbringenden Geschehen mit und nehme, vermittelt über die Aufklärung, häufig auch eine tragende Rolle bei der Willensbildung des Patienten ein.461 b) Keine Geltung der „Unteilbarkeitsdoktrin“ bei Sterbehilfe Im Folgenden untersucht das Gericht, ob bzw. inwieweit das in seinen vorherigen Entscheidungen herausgearbeitete Prinzip, dem zufolge das Recht auf Menschenwürde nur in Einheit mit dem menschlichen Leben uneinschränkbar ist, in den Fällen der Sterbehilfe zur Anwendung gelangt. Dieser Grundsatz sei nur für diejenigen Situationen maßgebend, in denen das Leben und die mit ihr untrennbar verbundene Menschenwürde durch Dritte eingeschränkt würden. Die Eigenart der Situation des Sterbens liege jedoch gerade darin, dass diese Rechte, anders als bei der Todesstrafe und beim Schwangerschaftsabbruch, hier nicht als untrennbare Einheit erschienen, sondern sich gegenseitig ausschlössen. Beim Recht auf einen würdigen Tod gehe es nämlich weniger um die Aberkennung des Rechts auf Leben als vielmehr um die Beendigung des Lebens aufgrund einer eigenen Entscheidung des Rechtsgutsträgers. 460 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3637 f.). Das VerfG spricht hier wörtlich von einer Pflicht zum Einrichtungsschutz (ung.: intézményvédelmi kötelezettség) und meint damit die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte. Nach deutschem Grundrechtsverständnis wäre es freilich verquer, im Zusammenhang mit dem Recht auf Leben von einer derartigen Schutzpflicht zu sprechen. Institutsgarantien als die eine Ausprägung der Einrichtungsgarantien erstrecken sich nur auf privatrechtliche, institutionelle Garantien als die andere nur auf öffentlich-rechtliche Einrichtungen; siehe dazu Pieroth/Schlink, Grundrechte – Staatsrecht 2, Rn. 88 ff. Beim (menschlichen) Leben handelt es sich selbstverständlich weder um das eine noch um das andere. 461 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3638).

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Dies gelte selbst dann, wenn dazu die Hilfe anderer Personen bzw. des Arztes in Anspruch genommen werden soll. Zwinge man ihn, auch die letzte Phase seines Lebens zu durchschreiten, werde der Patient in seiner Würde verletzt, weil seine Existenz trotz unheilbarer Krankheit nicht dort ende, wo sie infolge schwerer seelischer und körperlicher Leiden, dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hoffnungslosigkeit in einen unauflöslichen Konflikt mit seinem Würdeempfinden trete. Unter Berufung auf das Urteil zur Todesstrafe und die beiden Urteile zum Schwangerschaftsabbruch könne die Uneinschränkbarkeit des (Selbstbestimmungs-)Rechts auf ein menschenwürdiges Sterben folglich nicht geltend gemacht werden.462 Diese Feststellung, so das VerfG weiter, beziehe sich allerdings ohnehin nur auf einen Teil der von den Antragstellern genannten Kritikpunkte, deren zusätzliche Beanstandung der Unzulässigkeit eines Verzichts auf lebenserhaltende/lebensrettende Maßnahmen oder aktive Todesherbeiführung auch bei Fehlen einer entsprechenden Willensbekundung des unheilbar Kranken allerdings genauso zurückzuweisen sei. Andernfalls würde mit dem Einwilligungserfordernis gerade die Verbindung zwischen einer Entscheidung über Leben und Tod und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gekappt und die Entscheidung, was seiner Würde entspreche und was nicht, einem Dritten – dem Arzt – überlassen.463 Entsprechende gesetzliche Regelungen könne man aber selbst in den der Problematik liberal gegenüberstehenden Staaten nicht finden.464 c) Verfassungsrechtliche Gebotenheit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen In einem nächsten Schritt erörtert das VerfG, ob aus der Zulassung des Behandlungsverzichts am Lebensende nicht auch eine Verpflichtung des Gesetzge-

462

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3638). Das VerfG verweist hier auf seine Feststellung in VerfGE 36/2000. (X. 27.) AB, MKöz 2000, 6619 (6625), der zufolge die Würde des Individuums in erster Linie durch sein Selbstbestimmungsrecht vermittelt wird: „Das GesG enthält im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht von Patienten Garantien, die dem in § 54 Abs. 1 der Verfassung verbrieften Recht auf Menschenwürde zur Geltung verhelfen. Zum Selbstbestimmungsrecht der Patienten gehört unter anderem auch das Recht auf Einwilligung in medizinische Eingriffe bzw. deren Ablehnung.“ Kritisch zu diesen Ausführungen Szente, Fundamentum 3–4/2003, 91 (92), dem zufolge das VerfG über diese Fallgruppe nicht so einfach hätte hinweggehen dürfen, weil im Antrag eine entsprechende Stellungnahme gefordert werde; im Übrigen werde hier übersehen, dass das Selbstbestimmungsrecht zwar ein wesentlicher, nicht aber der alleinige Bestandteil der Menschenwürde sei. Bei der vom VerfG zugrunde gelegten extensiven Interpretation der Menschenwürde dürfe man entscheidungsunfähige Patienten nicht schon deshalb als interessenlose Personen abstempeln, weil sie zur Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts aktuell nicht in der Lage seien. 464 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3638 f.). 463

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bers folgt, andere Formen eines als menschenwürdig empfundenen Sterbens straflos zu stellen. Angesichts des Umstands, dass dem unheilbar kranken Patienten einerseits das Recht auf Behandlungsverzicht zukomme, andererseits aber auch sichergestellt werden müsse, dass die entsprechende Regelung keine Verletzung des Lebensrechts bewirke, sei der legislatorische Spielraum eher gering. Die Bestimmung der Grenzlinie, bei deren Überscheitung eine bloße Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts in eine verfassungswidrige Einschränkung der Menschenwürde umzuschlagen drohe, erfordere die Abwägung multipler Faktoren. Dies gelte umgekehrt allerdings genauso: Würde der Gesetzgeber die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts ohne Gewährung entsprechender Garantien zulassen, wären willkürliche Tötungen zu besorgen und die Regelung könnte deshalb verfassungswidrig sein. Ihr dürfe der Gesetzgeber nur bei gleichzeitiger Garantie autonomer Willensbildung Raum lassen. Dabei gelte es zu berücksichtigen, dass die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts nicht zu einer Erschütterung des Vertrauens anderer Patienten in das Gesundheitssystem führen dürfe. Auch müsse bedacht werden, dass bei einer nicht rechtzeitigen und angemessen Reaktion des Gesetzgebers auf die Krisensituation des Patienten in der Praxis häufig zu rechtswidrigen Mitteln gegriffen werde, was Beispiele aus zahlreichen Ländern belegten.465 Besagte Grenzlinie ist nach Auffassung des Gerichts indes nicht in Stein gemeißelt. Sie soll u. a. vom jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und dem Zustand bzw. dem Entwicklungsgrad des Gesundheitssystems abhängig sein. Das bis vor nicht allzu langer Zeit noch nahezu überall auf der Welt bestehende Verbot eines Behandlungsverzichts und aktiver Lebensbeendigung habe seine Ursache nicht zuletzt auch darin gehabt, dass die Voraussetzungen für eine Lockerung der entsprechenden Vorschriften nach legislatorischer Einschätzung eben (noch) nicht vorgelegen hätten.466 Auch der ungarische Gesetzgeber habe den Weg beschritten, den Behandlungsverzicht nach langer Phase eines Totalverbots zuzulassen und insoweit die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zu ermöglichen, der nunmehr selbst über eine würdegemäße Beendigung seines Lebens entscheiden könne. Zugleich sei sichergestellt worden, dass diese Entscheidung wohlüberlegt und frei von äußeren Einflüssen getroffen werde.467 Das in den §§ 20 Abs. 3, 21 Abs. 2, 22 Abs. 1 und 2 GesG eingeräumte Recht auf Behandlungsverzicht, so das VerfG weiter, sei Ausfluss des allgemeinen, d. h. 465

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3639). Das VerfG verweist hier auf einen Bericht der EKMR (Sutherland v. United Kingdom, 1 July 1997) und ein Urteil des EGMR (Goodwin v. United Kingdom, 3 July 2003); daraus werde deutlich, dass eine Veränderung äußerer Umstände, insb. der wissenschaftliche Fortschritt, eine früher als zulässig erachtete Grundrechtseinschränkung heute als überholt erscheinen lassen könne. 467 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3639 f.). 466

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nicht nur unheilbar Kranken zustehenden Rechts auf Selbstbestimmung. Bereits in früheren Entscheidungen habe man klargestellt, dass die Menschenwürde beim Patienten ihren Ausdruck in der Einwilligung in ärztliche Eingriffe finde. Einer ihrer wichtigsten Aspekte sei nämlich, dass der Mensch niemals zum Werkzeug oder Objekt gemacht werden dürfe.468 Bedeutung erlange überdies das Recht auf körperliche Unversehrtheit, welches ebenfalls aus der Menschenwürde fließe und bezogen auf den Patienten in erster Linie bedeute, dass ihn ohne sein Einverständnis niemand berühren dürfe.469 Dagegen gehe es in den Fällen aktiver Tötung nicht mehr um einen Teil des Selbstbestimmungsrechts, der nicht gar vollständig entzogen werden dürfte, da hier der Tod durch das Tätigwerden eines Dritten – des Arztes – eintrete. Angesichts dieses signifikanten Unterschieds könne eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei Ermöglichung eines Behandlungsverzichts gleichzeitig auch aktive Verhaltensweisen straffrei zu stellen, nicht angenommen werden.470 d) Verhältnismäßigkeit der geltenden Rechtslage Kernstück des Urteils sind die Aussagen zur Verhältnismäßigkeit.471 In der Sache hält das VerfG sowohl die Vorschriften des GesG zum Behandlungsverzicht als auch das strafrechtliche Verbot aktiver Todesherbeiführung für verfassungsrechtlich gerechtfertigte Einschränkungen der Patientenautonomie.

468 Das VerfG beruft sich hier wiederum auf eine Feststellung aus dem ersten Abtreibungsurteil VerfGE 64/1991. (XII. 17.) AB, MKöz 1991, 2809 (2815), der zufolge „die Bedeutung des Rechts auf Menschenwürde darin liegt, dass die Autonomie des Einzelnen, seine Selbstbestimmung, über einen Kern verfügt, der jeglicher Fremddisposition entzogen ist und anhand dessen der Mensch – nach klassischer Auffassung – Subjekt bleibt und nicht zum Werkzeug oder Objekt gemacht werden darf“. 469 Das VerfG beruft sich hier auf eine Feststellung aus VerfGE 75/1995. (XII. 21.) AB, MKöz 1995, 6500 (6502), der zufolge „das Recht auf Menschenwürde das verfassungsrechtliche Grundrecht auf Selbstbestimmung [folglich] ebenso umfasst wie das Grundrecht einer Person auf ihre körperliche Unversehrtheit“. 470 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3640). 471 Die Ausführungen des VerfG zu diesem Rechtsgrundsatz können und müssen hier nicht wiedergegeben werden. Es genügt zu wissen, dass seine Interpretation dem in Deutschland vorherrschenden Verständnis ähnelt, vordergründig allerdings nur eine reduzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung, bestehend aus den Punkten „Erforderlichkeit“ und „Angemessenheit“, durchgeführt wird; vgl. dazu auch VerfGE 30/1992. (V. 26.) AB, MKöz 1992, 1908 (1910): „Der Staat darf nur dann zum Mittel der Einschränkung eines Grundrechts greifen, wenn der Schutz oder die Verwirklichung eines anderen Grundrechts bzw. der Schutz eines sonstigen Wertes von Verfassungsrang auf andere Weise nicht erreicht werden kann. Für die Verfassungsmäßigkeit einer Grundrechtseinschränkung reicht es demnach für sich genommen nicht aus, dass diese zum Schutze eines anderen Grundrechts oder eines sonstigen Wertes von Verfassungsrang erfolgt, sie muss vielmehr dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen: Die Bedeutung des verfolgten Ziels und das Gewicht der zu diesem Zweck bewirkten Grundrechtsverletzung müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.“

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Dogmatisch stützt es sich dabei auf die staatliche Pflicht zum Lebensschutz. Ihr komme bei unheilbar kranken Patienten, für deren eigentümliche Situation eine erhöhte Beeinflussbarkeit durch ihre Umwelt (Verwandte, Freunde, medizinisches Personal usw.) kennzeichnend sei, besondere Bedeutung zu. Um eine autonome Entscheidung sicherzustellen, bedürfe es eines vorausschauenden, transparenten, nachprüfbaren und Irrtümer sowie Missbräuche ausschließenden Verfahrens. Dessen Einführung hänge freilich von zahlreichen Voraussetzungen ab, darunter dem medizinischen Wissensstand, dem allgemeinen Zustand des Gesundheitssystems und dem Vorhandensein von Fachpersonal in ausreichender Anzahl und mit ausreichender Kenntnis. Die Schutzpflicht des Staates beziehe sich aber nicht nur auf den unheilbar kranken Entscheidungsträger selbst, sie umfasse auch den Lebensschutz anderer Personen, die künftig in eine ähnliche Situation geraten könnten.472 Diese Aspekte gelte es noch um die Bedeutung des Vertrauens in medizinische Dienstleistungen und Einrichtungen zu ergänzen.473 Die beanstandeten Einschränkungen seien deshalb zum Zweck des Lebensschutzes grundsätzlich erforderlich.474 Diese Gesichtspunkte müssten auch bei der Angemessenheitsprüfung berücksichtigt werden. Die Angemessenheit einer Grundrechtseinschränkung sei zu verneinen, wenn die Relation zwischen der vom Eingriff für den Grundrechtsträger ausgehenden Belastung und dem damit erzielten und beabsichtigten Erfolg (für die Allgemeinheit bzw. einen anderen Grundrechtsträger) nicht stimme. Darüber hinaus könne eine angemessene Grundrechtseinschränkung in eine unangemessene umschlagen, wenn sich mit der Zeit die Voraussetzungen für ihre Lockerung oder Aufhebung herausbilden sollten, die Legislative mit einer verfassungskonformen Lösung aber grundlos zuwarte.475 Der ungarische Gesetzgeber sei 1997 zur Auffassung der Unhaltbarkeit des bis dahin geltenden Totalverbots gelangt. Er habe deshalb einen Behandlungsverzicht am Lebensende unter den gegebenen Voraussetzungen für zulässig erklärt. Die Prognose des Gesundheitsministers, wonach eine Einengung dieser Einschränkungen mit nicht zu unterschätzenden Risiken für den Lebensschutz ein472 Das VerfG verweist hier auf das erste Abtreibungsurteil VerfGE 64/1991. (XII. 17.) AB, MKöz 1991, 2809 (2812), wonach „aus der objektiven Seite des Rechts auf Leben mehr als nur die Pflicht des Staates folgt, das Leben des einzelnen Menschen nicht zu verletzen und mit seiner Gesetzgebung und organisatorischen Vorkehrungen auf dessen Schutz hinzuwirken. Diese Pflicht erschöpft sich nicht im individuellen Lebensschutz zugunsten des einzelnen Menschen, sondern schützt generell auch das Leben und seine Existenzbedingungen. Letztere Aufgabe ist qualitativ etwas anderes als die bloße Summe des Schutzes der einzelnen aus dem Lebensrecht fließenden subjektiven Rechte; Schutzgegenstand ist das ,menschliche Leben‘ an sich – und folglich das menschliche Leben als Wert.“ Zu diesen Erwägungen siehe auch ausführlich Küpper, OER 1999, 155 (164 f.). 473 Dieser Aspekt findet sich schon bei Horváth, ÁJT 1972, 36 (57 f.). 474 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3641 f.). 475 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3642).

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herginge, stütze die Einschätzung dieser Voraussetzungen als angemessen, zumal mit Blick auf die überragende Bedeutung des verfassungsrechtlichen Höchstwerts „Leben“. Der Antrag sei jedenfalls insoweit abzuweisen, als in ihm die Feststellung einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts aufgrund der im GesG nicht gewährten Möglichkeit einer ärztlichen Tötung auf Verlangen des unheilbar kranken Patienten bzw. in seinem wohlverstandenen Interesse begehrt werde.476 Ob aber die Bindung an verfahrensmäßige Kautelen eine Verletzung der Patientenautonomie bewirkt, wird vom VerfG als Nächstes untersucht. Der Umstand, dass der Gesetzgeber für Fälle, in denen ihre Ausübung das eigene oder das Leben anderer tangiert, spezielle Regeln aufstellt, kann nach Auffassung der Richter vor dem Hintergrund der entsprechenden staatlichen Schutzpflicht noch nicht zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gereichen.477 Freilich müsse auch dieses Regelungsregime den Anforderungen aus § 8 Abs. 2 Verf genügen, wobei die Antragsteller die Regelung nicht als Ganzes, sondern unter fünf Gesichtspunkten kritisierten:478 1. Eine Verletzung der Patientenautonomie werde zunächst in § 20 Abs. 3 GesG bzw. der in dieser Vorschrift enthaltenen Beschränkung eines Behandlungsverzichts auf die Fälle unheilbarer, innerhalb kurzer Zeit zum Tode führender Krankheit gesehen. Problematisch sei dies aus Sicht der Antragsteller zum einen deshalb, weil es nach § 20 Abs. 4 GesG für die Frage der Bemessung der verbleibenden Lebenszeit als „kurz“ nicht auf die Einschätzung des Patienten, sondern einer Ärztekommission ankomme,479 zum anderen deshalb, weil durch oben genannte Voraussetzung das Selbstbestimmungsrecht von Personen mit zwar tödlichen, nicht aber innerhalb kurzer Zeit zum Tode führenden Erkrankungen verletzt werde.480

476 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3642). Eine solche Feststellung wird von den Antragstellern aber gar nicht gefordert. Vielmehr beziehen sie das entsprechende Monitum auf die Rechtslage nach dem aStGB, das die aktive Todesherbeiführung durch einen Arzt ebenso wenig privilegierte wie den ärztlich assistierten Suizid. Mit Inkrafttreten des uStGB hat sich daran freilich nichts geändert. 477 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3642). 478 VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3642 f.). 479 Dieser Einwand taucht im Antrag von Kmetty und Takács gar nicht auf. Im Hinblick auf § 20 Abs. 4 GesG wird von ihnen lediglich beanstandet, dass die Wirksamkeit eines Behandlungsverzichts nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, dass sich der Patient einer ärztlichen Untersuchung unterzieht. 480 Hier wird den Antragstellern erneut etwas in den Mund gelegt: So heißt es im Antrag zu diesem Punkt nur, dass die im Verweis auf § 20 Abs. 3 GesG zu sehende Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts seine Ausübung etwa in den Fällen verhindere, in denen die Amputation der Gliedmaßen des Patienten zwar medizinisch indiziert sei, aber nicht aufgrund einer unheilbaren Krankheit. In diesem Beispiel wird folglich weniger der zeitliche Aspekt betont, sondern das Merkmal der Unheilbarkeit. Der Fall des Amputationspatienten wird vom VerfG allerdings im Rahmen eines gesonderten Kritikpunktes erörtert.

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Beide Bedenken greifen für das VerfG zu kurz. Das erste deshalb, weil es gar nicht auf die subjektive Einschätzung der Mitglieder der Ärztekommission ankomme – was nach Ansicht des Gerichts in der Tat bedenklich wäre –, sondern darauf, ob sich der verbleibende Lebensrest unter objektiven Gesichtspunkten, nämlich dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft, als „kurz“ bezeichnen lasse. Es werde daher zu keiner in den Schutzbereich der Patientenautonomie fallenden Frage Stellung bezogen. Bezüglich der zweiten Rüge hätten die Antragsteller übersehen, dass sich die Kopplung an den gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht nur auf das Merkmal der kurzen Zeit, sondern auch auf das der Unheilbarkeit beziehe. Mit Blick auf medizinisch-technische und pharmakologische Fortschritte, die dazu führten, dass heute noch als unheilbar geltende Krankheiten morgen schon heilbar seien, könne unter Berücksichtigung der staatlichen Lebensschutzpflicht jedoch auch die Beschränkung des Behandlungsverzichts auf die Terminalphase nicht als verfassungswidrig betrachtet werden.481 2. Als mit dem Selbstbestimmungsrecht unvereinbar werde von den Antragstellern des Weiteren das in § 20 Abs. 4 GesG enthaltene Erfordernis kritisiert, sich für einen wirksamen Behandlungsverzicht einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Das VerfG hält auch diese Regelung für verfassungskonform. Die Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben gebiete es ihm, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eines Behandlungsverzichts am Lebensende sicherzustellen. Auch gelte es zu beachten, dass dieser die Geschäftsfähigkeit des Patienten voraussetze und der Ärztekommission die Aufgabe obliege, die Geschäftsfähigkeit festzustellen. Im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Rechtsguts „Leben“ im Verfassungsgefüge sei das Untersuchungserfordernis erforderlich und angemessen.482 3. Bedenken würden darüber hinaus mit Blick auf § 15 Abs. 2 GesG bzw. die in dieser Vorschrift enthaltene Kopplung eines Behandlungsverzichts an die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 GesG formuliert. Dadurch werde nach Ansicht der Antragsteller z. B. einem Patienten die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts verwehrt, bei dem eine Amputation der Gliedmaßen indiziert sei, ohne dass eine unheilbare Erkrankung vorliege.483 Diese Bedenken lassen sich nach Ansicht der Richter ebenfalls zerstreuen. Tatsächlich sei nämlich in diesen Fällen gar nicht § 20 Abs. 3 GesG, sondern der einen qualifizierten Behandlungsverzicht ermöglichende § 20 Abs. 2 GesG ein-

481

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3643 f.). VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3644). 483 Dieser Kritikpunkt gehört inhaltlich zum erstgenannten, weshalb er von den Antragstellern im Antrag auch nicht gesondert angeführt wird; vgl. auch Fn. 480. 482

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

schlägig. Das einzige Erfordernis hierfür – die Formulierung des Behandlungsverzichts entweder in einer öffentlichen Urkunde oder in einer Privaturkunde mit voller Beweiskraft – diene dem Interesse des Patienten, indem sichergestellt werde, dass medizinisch indizierte Eingriffe tatsächlich nur auf Grundlage seines unmissverständlichen, nachträglich auch beweisbaren Willens unterbleiben. Diese Beschränkung sei aber ebenfalls erforderlich und angemessen.484 4. Beanstandet werde auch § 22 Abs. 4 GesG unter Hinweis auf die in § 22 Abs. 3 GesG für die Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters vorgeschriebene psychiatrische Untersuchung des Patienten hinsichtlich seiner Kenntnis möglicher Entscheidungsfolgen. Angesichts dieser Vorgabe hielten die Antragsteller das in § 22 Abs. 4 GesG enthaltene Untersuchungserfordernis auch des besonderen gewillkürten Patientenvertreters hinsichtlich seiner Kenntnis der möglichen Konsequenzen des Behandlungsvetos für nicht verfassungskonform. Nach Auffassung des Gerichts verfängt auch diese Argumentation nicht. Die Antragsteller würden den unterschiedlichen Adressatenkreis beider Regelungen verkennen: Während die Ärztekommission zur Frage Stellung beziehe, ob der besondere gewillkürte Patientenvertreter seine Entscheidung in Kenntnis der möglichen Konsequenzen getroffen habe, sei der Psychiater für die entsprechende Untersuchung des Patienten zuständig. Es könne daher nicht die Rede davon sein, dass das Vorliegen ein und derselben Voraussetzung durch zwei unterschiedliche Gremien bzw. Ärzte in zwei unterschiedlichen Verfahren verifiziert werden müsse.485 5. Schließlich müsse sich laut den Antragstellern auch § 23 Abs. 1 GesG den Vorwurf der Verfassungwidrigkeit gefallen lassen. Da § 20 Abs. 2 GesG einen Behandlungsverzicht an bestimmte formelle Voraussetzungen knüpfe, § 23 Abs. 1 GesG aber zusätzlich eine klare und überzeugende Manifestation des Patientenwillens verlange, werde das Grundrecht auf Selbstbestimmung in seinem Wesensgehalt angetastet. Weil nach dieser Vorschrift der Patientenwille später auch in Zweifel gezogen werden könne, sei überdies das Rechtssicherheitsgebot verletzt. Auch dieser Kritikpunkt beruhe, so das VerfG, auf einer unrichtigen Interpretation des GesG. In § 23 Abs. 1 GesG werde nämlich nicht auf § 20 Abs. 2 GesG, sondern auf § 20 Abs. 3 GesG und die in dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit eines Behandlungsverzichts bei unheilbarer und innerhalb kurzer Zeit zum Tode führender Krankheit Bezug genommen. Die eine klare und überzeugende Manifestation des Abbruch- bzw. Verzichtwillens verlangende Regelung in § 23 Abs. 1 GesG sei aber wiederum Ausdruck der staatlichen Pflicht zum Lebens484 485

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3644 f.). VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3645 f.).

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

315

schutz. Sie stelle ebenso wenig eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dar wie eine Gefährdung der Rechtssicherheit.486 In einem letzten Schritt wendet sich das Gericht den beanstandeten Paragrafen des aStGB zu. Nach Auffassung der Antragsteller habe sich der Gesetzgeber ein sog. verfassungswidriges Unterlassen zuschulden kommen lassen, da die §§ 166– 168 aStGB nach Einfügung der Menschenwürdegarantie in die Verfassung nicht mit diesem Grundrecht harmonisiert worden seien. Das in § 54 Abs. 1 Verf verankerte Recht auf Menschenwürde umfasse auch ein Wahlrecht zwischen den Rechten auf Leben und auf Menschenwürde. Demgegenüber stelle das aStGB pauschal jede Fremdtötung und damit auch ärztliche Mitleidstötungen auf Verlangen des unheilbar kranken Patienten sowie die ärztlich assistierte Selbsttötung unter Strafe. Verfassungswidrig sei überdies, dass der Gesetzgeber bestimmte Fälle einer nicht konsentierten aktiven Todesherbeiführung nicht als „Tötung aus Billigkeitsgründen“ (ung.: méltányossági ölés) privilegiert habe. Unter Bezugnahme auf seine vorangegangenen Ausführungen hält das VerfG diese Kritik ebenfalls für ungerechtfertigt. Zwar sei das Recht auf menschenwürdiges Sterben als Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts herausgestellt worden, doch handle es sich dabei nicht um ein uneinschränkbares Recht. Die von den Antragstellern beanstandeten Bestimmungen bzw. die darin liegenden Einschränkungen seien im Hinblick auf die staatliche Pflicht zum Lebensschutz geboten und angesichts der überragenden Bedeutung des verfassungsrechtlichen Höchstwerts „Leben“ auch nicht unverhältnismäßig.487 e) Die Sonder- und Parallelvoten Ein Richter fügte dem Urteil ein Sondervotum, zwei weitere Richter ein Parallel- und Sondervotum und eine Richterin ein Parallelvotum bei, die wie üblich im Magyar Közlöny veröffentlicht wurden.488 Richter Bihari akzeptiert das in § 20 GesG statuierte Recht auf Behandlungsverzicht als Ausfluss des aus der Menschenwürde abzuleitenden Selbstbestimmungsrechts und hält, da aus Beweisgründen geboten, auch die formalen Anforderungen an die Erklärung des Behandlungsverzichts für verfassungsmäßig. Bei den darüber hinausgehenden materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen handle es sich aber um verfassungswidrige Einschränkungen der Patienten486

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3646). VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3646 f.). 488 Das Sondervotum des Verfassungsrichters Erdei, VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3662), behandelt ausschließlich die in § 18 Abs. 2 GesG vorgesehene und von den Antragstellern als verfassungswidrig beanstandete Möglichkeit der Operationserweiterung ohne Einwilligung des Patienten bei dringender Notwendigkeit. Da diese Vorschrift keinen unmittelbaren Zusammenhang zu den verschiedenen Fallgruppen der Sterbehilfe aufweist, kann auf eine Darstellung verzichtet werden. 487

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

autonomie, sodass das VerfG die entsprechenden Vorschriften des GesG bzw. der RegVO richtigerweise hätte streichen müssen.489 Diesen Thesen nicht unähnlich vertritt auch Richter Holló in seinem Parallelund Sondervotum, dem sich Richter Kukorelli anschließt, die Auffassung, dass einige der angegriffenen Vorschriften des GesG verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende, weder erforderliche noch angemessene Gegengewichte zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten bilden und dadurch dessen Wesensgehalt beeinträchtigen. Die staatliche Pflicht zum Lebensschutz (und damit gleichzeitig die Konzeption des GesG) könne sich nur darauf beziehen, die freie und unbeeinflusste Ausübung des Selbstbestimmungsrechts mithilfe geeigneter Verfahren sicherzustellen. In concreto hätte das Gericht § 20 Abs. 3, 4, 7 GesG sowie den in § 20 Abs. 1 GesG enthaltenen Verweis auf Abs. 3 nebst zugehöriger Bestimmungen in der RegVO-GesG aufheben sollen. Anders als bei Bihari wird aber zumindest die Beschränkung eines Behandlungsverzichts auf unheilbare Erkrankungen als verfassungsmäßig erachtet.490 Richterin Tersztyánszkyné Vasadi geht dagegen in ihrem Parallelvotum mit dem Urteil konform, soweit darin der Antrag im Ergebnis abgelehnt wird. Darüber hinaus wendet sie sich aber gegen die im Urteil vertretene These, der zufolge sich das Recht auf Leben und das Recht auf Menschenwürde in den Situationen der Sterbehilfe gegenseitig ausschließen. Letztere dürfe nicht vom subjektiven Empfinden ihres Trägers abhängig gemacht werden. Auch könne aus der Menschenwürde bzw. dem aus ihr abgeleiteten Selbstbestimmungsrecht weder ein Recht auf Entscheidung für den Tod noch auf Selbsttötung abgeleitet werden. Die weltanschauliche Neutralität des Staates hindere diesen nicht daran, zugunsten des Lebens Stellung zu beziehen; der Staat sei dazu sogar verpflichtet und dürfe angesichts der unabsehbaren Folgen eine Unterscheidung zwischen „wertvollem“ und „weniger wertvollem“ Leben nicht zulassen. Verfassungskonform könne nur eine Regelung sein, die den auf einer aufgeklärten, persönlichen und freien Entscheidung beruhenden Behandlungsverzicht ermögliche – hier gehe es nicht um die Verursachung des Todes, sondern um das Eingeständnis fehlender Verhinderungsmöglichkeit.491 5. Stellungnahme Das Sterbehilfeurteil setzt die richterliche Zurückhaltung fort, die das VerfG bereits in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs an den Tag gelegt hat. Nichtsdestotrotz – oder vielleicht gerade deshalb – ist diese Entscheidung kritisch zu betrachten. 489 490 491

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3653 ff.). VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3650 ff.). VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3649 f.).

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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Kann die grundrechtsdogmatische Verortung der Entscheidung zum Tod als Ausdruck des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts noch ebenso wenig beanstandet werden wie die Begründung für die Unanwendbarkeit der Unteilbarkeitsdoktrin in den Fällen der Sterbehilfe, vermag die Grenzziehung zwischen aktivem Töten und passivem Sterbenlassen jedenfalls insoweit nicht zu überzeugen, als sie zu knapp ausfällt. Zwar handelt es sich beim Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr, dem zufolge das passive Sterbenlassen der Verhinderung einer menschenwürdigen bzw. selbstbestimmungswidrigen Behandlung dient (Stichwort „noli me tangere“), um einen plausiblen Ansatz; allerdings wird hier nur eine Antwort auf die Frage gegeben, wieso eine zwangsweise Lebensverlängerung verfassungswidrig wäre. Keineswegs folgt aber daraus per se eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Pönalisierung aktiver Todesherbeiführung bzw. der Beihilfe zur Selbsttötung eines unheilbar kranken Patienten. Diese wird aber notwendig, wenn man, wie es das VerfG tut, das Sterbensinteresse als vom Selbstbestimmungsrecht erfasst ansieht und konsequenterweise nicht nur das Interesse an eigenhändiger Lebensbeendigung, sondern auch das Interesse, dies mit der Hilfe Dritter zu tun, für grundrechtsgeschützt erachtet.492 Der Hinweis auf die staatliche Pflicht zum Lebensschutz, gepaart mit einer Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, erscheint für sich genommen zu dürftig. Dies gilt umso mehr, als das VerfG mit Blick auf seine Kompetenzen ausführt, dass die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Lockerung der das Selbstbestimmungsrecht unheilbar kranker Patienten einschränkenden Regelungen gegeben sind, zu den Rechten und Pflichten des Gesetzgebers gehöre, diese Einschätzung aber verfassungsrechtlich justiziabel sei. In diesem Rahmen wäre dann auch zu erörtern gewesen, inwiefern verfahrensrechtliche Flankierungen bei der passiven Sterbehilfe die Freiwilligkeit des Sterbewillens sicherstellen und Schutz vor missbräuchlicher Handhabung von Ausnahmetatbeständen bieten können, während dies bei der aktiven Sterbehilfe und dem assistierten Suizid nicht möglich sein soll.493 Aber auch die Ausführungen des Gerichts zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsverzicht überzeugen nur teilweise. Sieht man einmal von den zahlreichen Redundanzen – diese ziehen sich übrigens durch 492 Dass das VerfG auch die Inanspruchnahme Dritter als grundrechtsgeschützt erachtet, wird indes von einigen Autoren verkannt; siehe z. B. Jakab, OER 2004, 31 (37); Uitz, Fundamentum 3–4/2003, 106 (107). Dabei ist die Formulierung in VerfGE 22/ 2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3638) vergleichsweise klar. Dort ist die Rede davon, „dass der Wunsch des unheilbar kranken Patienten, seinem Leben [. . .] mit aktiver ärztlicher Hilfe ein Ende zu bereiten [. . .], nicht mehr als ein solcher Bestandteil seines Selbstbestimmungsrechts betrachtet werden kann, der zum Schutze eines anderen Grundrechts nicht gar vollständig entzogen werden könnte“. 493 Dieser Gedanke wurde bereits von Kis/Sajó, Fundamentum 1/2003, 134 (138) in ihrer amicus curiae-Stellungnahme formuliert; ähnlich auch Halmai, in: Élet és Irodalom v. 9.5.2003, 4.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

das gesamte Urteil – sowie dem Umstand ab, dass mitunter eine recht freie Interpretation des Antrags zugrunde gelegt wird, ist auch hier der Verweis auf die Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben jedenfalls dann nicht genügend, wenn er so reflexartig erfolgt, wie das hier der Fall ist. Richter Holló weist in seinem Parallel-/Sondervotum mit Recht darauf hin,494 dass man sich vorab fragen muss, was diese Pflicht bei der passiven Sterbehilfe überhaupt umfasst, wobei im Wesentlichen zwei Interpretationsmöglichkeiten in Betracht kommen: 1. Der Gesetzgeber ist lediglich verpflichtet, organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, welche eine unbeeinflusste Willensbildung sicherstellen, Schutz vor Missbrauch bieten und damit letztlich eine effektive Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gewährleisten; oder 2. der Gesetzgeber muss in Erfüllung seiner Schutzpflicht für das menschliche Leben zusätzlich Gegengewichte zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten bzw. dessen Verwirklichung schaffen und darauf hinwirken, dass dieser von seiner Entscheidung pro morte abrückt. Dass sich die erste Interpretationsmöglichkeit aufdrängt, sollte keiner näheren Erörterung bedürfen. Auch hier gilt: Verfassungsrechtlich geschützt ist nicht das Leben an sich, sondern nur das Recht darauf. Möchte demnach der Einzelne in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts aus dem Leben scheiden, gibt es in dieser Hinsicht grundsätzlich nichts mehr, was geschützt werden müsste. Diese Annahme setzt freilich voraus, dass die Entscheidung zum Tode eine freiwillige war, das Individuum mit anderen Worten auch tatsächlich sterben möchte. Dies sicherzustellen, ist die eigentliche Aufgabe der Legislative, die sich hierfür in erster Linie der oben angesprochenen verfahrensrechtlichen Flankierungen bedienen kann, gegebenenfalls auch muss. Zugleich ist damit aber auch der Lebensschutz zugunsten anderer Menschen gewährleistet, die künftig einmal in eine solche Situation geraten könnten. Der ungarische Gesetzgeber geht dagegen von der zweiten Interpretationsmöglichkeit aus, was schon deutlich wird, wenn man den Blick auf § 20 Abs. 7 GesG richtet, der den Arzt zu einem Versuch der Überredung des Patienten hinsichtlich der Rücknahme seines Behandlungsvetos verpflichtet.495 Eine solche Regelung hat mit der Verifizierung der Freiwilligkeit des Sterbewillens nichts zu tun, sodass das VerfG sie richtigerweise hätte aufheben müssen.496 Was die anderen ver494

VerfGE 22/2003. (IV. 28.) AB, MKöz 2003, 3624 (3652). Vgl. auch § 9 Abs. 1 RegVO-GesG, dem zufolge dem Patienten auch nach Erklärung eines wirksamen Behandlungsverzichts wiederholt die Einwilligung in lebenserhaltende Eingriffe anzuraten ist. 496 Dass die Antragsteller diese Vorschrift nicht erwähnt haben, ist kein Hinderungsgrund. Richter Holló weist in seinem Parallel-/Sondervotum darauf hin, dass das VerfG in ständiger Rspr. nicht nur beanstandete Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung prüft, sondern auch solche, die mit diesen inhaltlich eng zusammenhängen. 495

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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fahrensrechtlichen Bestimmungen, insbesondere das fachliche Mehraugenprinzip zur Verifizierung der tatsächlichen Voraussetzungen eines Behandlungsverzichts am Lebensende sowie der Freiwilligkeit des Sterbewillens, anbelangt, gestaltet sich die Bewertung schon schwieriger. Dem Gesetzgeber wird man hier in der Tat einen weiten Ermessensspielraum zugestehen müssen. Die ähnliche Kritik der Richter Bihari und Holló, wonach das in § 20 Abs. 4 GesG zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bzw. Geschäftsfähigkeit vorgesehene Verfahren das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletze, weil es nicht angängig sei, die Freiwilligkeit seines Willens allein mit der Begründung anzuzweifeln, er sei auf einen Behandlungsverzicht gerichtet, überzeugt deshalb nicht. Ein Ansatzpunkt für eine etwaige Verfassungswidrigkeit könnte allerdings in dem bereits erwähnten rechtssoziologischen Aspekt zu sehen sein, wonach diese Normen in der Rechtswirklichkeit kaum eine Rolle zu spielen scheinen.497 Halmai macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass es sich beim VerfG zwar nicht um ein Sachgericht mit Beweiserhebungsbefugnis handelt, es aber gleichwohl untersuchen kann, inwiefern bzw. ob überhaupt eine gültige Rechtsnorm tatsächliche Wirksamkeit entfaltet. Ausgehend hiervon hat das Gericht noch unter Vorsitz seines ehemaligen Präsidenten Sólyom die sog. Doktrin des lebenden Rechts entwickelt, der zufolge eine Norm auch unter Verweis auf ihre mangelnde Akzeptanz bzw. Durchsetzbarkeit in der Rechtspraxis aufgehoben werden kann.498 Wenig überzeugend sind schließlich auch die Ausführungen des VerfG zu den tatsächlichen Voraussetzungen der passiven Sterbehilfe. Soweit das GesG einen Verzicht auf lebensrettende bzw. lebenserhaltende Maßnahmen nur im Fall einer unheilbaren Krankheit, bei welcher zudem der Tod innerhalb kurzer Zeit eintre-

Neben Holló spricht sich auch Richter Bihari für eine Aufhebung von § 20 Abs. 7 GesG aus. 497 Dieser Aspekt klingt auch schon in der amicus curiae-Stellungnahme von Kis/ Sajó, Fundamentum 1/2003, 134 (136 f.) an, in der die Autoren darauf hinweisen, dass sie zwar keine empirische Untersuchung durchgeführt, aber Umfragen in Krankenhäusern und bei Patienten- bzw. Rechtsschutzverbänden gezeigt hätten, dass das im GesG vorgesehene Verfahren in der Praxis de facto keine Rolle spiele. Darüber hinaus habe eine Suche in Entscheidungssammlungen ergeben, dass in Zusammenhang mit besagten Vorschriften noch keine Entscheidungen ergangen seien, was ebenfalls auf ihre geringe Praxisrelevanz hinweise. Daran scheint sich auch bis heute nicht viel geändert zu haben: Dósa, in: Filó (Hrsg.), Párbeszéd a halálról (2011), 95 (100) etwa hält es für eines der wesentlichen Probleme der gegenwärtigen Rechtslage, dass das Regelungsregime des GesG aufgrund seiner Komplexität mehr als zehn Jahre nach seinem Inkrafttreten noch keine Wurzeln habe schlagen können. 498 Siehe Halmai, Élet és Irodalom v. 9.5.2003, 4, dort auch mit dem Hinweis, dass die Regierung den Standpunkt des VerfG nicht zu teilen scheine, da sich der Justizminister eine Woche nach Urteilsverkündung im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage, in welcher eine Änderung der Vorschriften zur passiven Sterbehilfe gefordert wurde, dahingehend geäußert hätte, dass in Kooperation mit dem Gesundheitsministerium an einer Gesetzesänderung gearbeitet werde, um die Vorschriften handhabbarer zu gestalten. Diese Gesetzesänderung lässt freilich bis heute auf sich warten.

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2. Teil: Die Rechtslage in Ungarn

ten muss, gestattet, sind die darin liegenden Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts auch nicht durch die staatliche Pflicht zum Lebensschutz legitimierbar. Bihari und Holló weisen mit Recht darauf hin, dass der Begriff „innerhalb kurzer Zeit“ willkürliche Auslegungen durch die Ärztekommission zulässt und damit dem Gebot der Rechtsklarheit als Ausprägung des Rechtssicherheitsgebots widerspricht. Dieses Bedenken lässt sich auch nicht mit dem Hinweis ausräumen, Beurteilungsmaßstab für den kurzen Zeitraum sei der gegenwärtige Stand der medizinischen Wissenschaft, der überdies auch auf das Merkmal der unheilbaren Erkrankung bezogen werden müsse, welches seine Rechtfertigung darin finde, dass heute noch als unheilbar geltende Krankheiten morgen oft schon heilbar seien. Diese Feststellung mag für sich genommen ja stimmen. Jedoch muss es der Patient sein, der entscheidet, ob er sich einer Hoffnung hingeben möchte – Hoffnung darf, ja kann nicht aufoktroyiert werden.499 Überdies ist diese Aussage des VerfG viel zu pauschal, um zu überzeugen; denn dass es zahlreiche Krankheiten gibt, bei denen kurz bis mittelfristig nicht mit Heilung zu rechnen ist, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. Führt man sich überdies vor Augen, dass das VerfG – insoweit überzeugend – aus dem Selbstbestimmungsrecht auch ein Recht auf Selbsttötung abgeleitet und in diesem Zusammenhang festgehalten hat, dass die Entscheidung über den eigenen Tod jedem unabhängig von seinem Gesundheitszustand zusteht, dann wäre konsequenterweise nicht nur das Merkmal der kurzen Zeit, sondern auch das der unheilbaren Krankheit zu beseitigen gewesen, wie dies im Ergebnis auch Bihari fordert. Für diese Sichtweise spricht nicht zuletzt auch das bereits angesprochene obiter dictum des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im „Fall Pretty“, wonach die Durchführung eines medizinischen Eingriffs ohne Einverständnis eines erwachsenen Patienten im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gegen Art. 8 EMRK verstößt.500 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es sich beim Sterbehilfeurteil im Gegensatz zu den vorangegangenen Entscheidungen zur Todesstrafe und zur Abtreibung um ein nicht wirklich gelungenes Stück Verfassungsrechtsprechung handelt. Die grundrechtsdogmatische Grundsteinlegung überzeugt, doch ist das auf 499 Vgl. auch Szente, Fundamentum 3–4/2003, 91 (97), der betont, dass diese Voraussetzung nur dann zu rechtfertigen wäre, wenn die objektive Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben auch den Schutz des Patienten vor sich selbst umfassen würde. 500 Bereits im zweiten Abtreibungsurteil hatte das VerfG die EMRK in die zu berücksichtigenden Grundrechte einbezogen; siehe dazu Küpper, OER 1999, 155 (168), der darauf aufmerksam macht, dass es sich bei der EMRK in Ungarn formal gesehen zwar um einfaches Gesetzesrecht handelt, die Verfassungsrechtsprechung ihr aber gleichwohl faktischen Übergesetzesrang zuspricht, wenn sie auch üblicherweise nur als Auslegungshilfe hinzugezogen wird. Ausführlich zum „Fall Pretty“ und der Übertragbarkeit der dortigen Erwägungen des EGMR in die ungarische Grundrechtsdogmatik Uitz, Fundamentum 3–4/2003, 106 (108 ff.).

D. Sterbehilfe und Verfassungsrecht

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diesem Fundament errichtete Haus baufällig. Das VerfG verschanzt sich hinter der viel zu großzügig ausgelegten Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben, vor deren Hintergrund es auch noch weitreichendste Einschränkungen der Patientenautonomie als verhältnismäßig erachtet. Mit Recht stellt Szente fest: „Die Suche nach einem praktischen Ausweg hat indes in eine theoretische Sackgasse geführt; wenn das Recht auf Menschenwürde nur in Einheit mit dem Recht auf Leben, ,als Ausdruck des menschlichen Status‘ absolut ist, dann schützt der uneinschränkbare Teil des Rechts einen praktisch nicht existenten Inhalt. So können aus ihm weder subjektive Rechte abgeleitet werden noch gebiert die Bewahrung der gesamten Grundrechtskonstruktion eine unbedingte Schutzpflicht des Staates. Mit seinen Ausführungen hat das VerfG den uneinschränkbaren Teil der Menschenwürde so weit verengt, bis er gänzlich verschwunden ist – sofern er denn überhaupt mal irgendein Terrain für sich beanspruchen konnte.“ 501

501 Szente, Fundamentum 3–4/2003, 91 (92); zust. Filó, Az eutanázia a bünteto ˝ jogi gondolkodásban (2009), 187.

Dritter Teil

Rechtsvergleichende Betrachtung Nachdem in den ersten beiden Teilen dieser Arbeit zwar die deutsche und die ungarische Rechtsordnung analysiert, dabei ein Vergleich im eigentlichen Sinne aber noch nicht vorgenommen wurde, gilt es im Folgenden zunächst die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Sterbehilferegelungen herauszuarbeiten. Erleichtert wird dieses Vorhaben durch die weitgehende terminologische Übereinstimmung zwischen beiden Ländern – sowohl in Deutschland als auch in Ungarn wird zwischen aktiver Sterbehilfe,1 von der die indirekte Sterbehilfe (in Ungarn jedenfalls der Sache nach) abgegrenzt wird, und passiver Sterbehilfe unterschieden – sowie den hohen Stellenwert deutscher Rechtsprechung und Lehre für die ungarische Strafrechtswissenschaft, der in einer Übernahme oder zumindest Diskussion allgemeiner Rechtsgrundsätze und -institute zum Ausdruck kommt.2 Anschließend soll die Untersuchung auf eine „Metaebene“ gehievt und das ungarische Modell auf seine Übertragungswürdigkeit und Übertragungsfähigkeit in das deutsche Recht untersucht werden. In diesem Rahmen wird auch der Gedanke der „Prozeduralisierung“ des Strafrechts näher zu beleuchten sein, der beiden Konzeptionen innewohnt, freilich mit unterschiedlicher Konsequenz verfolgt wird.

A. Zur Rechtsvergleichung als Teilgebiet der Rechtswissenschaft Bevor es an die vergleichende Darstellung geht, sei aber noch etwas zum Begriff der Rechtsvergleichung sowie ihren Funktionen und Zielen gesagt.3 1 Während in Ungarn ausnahmslos die Bezeichnung „aktive Sterbehilfe“ Verwendung findet, der ggf. die „indirekte Sterbehilfe“ gegenübergestellt wird, wird der Terminus in Deutschland nicht selten auch generalisierend als Oberbegriff für tätige Lebensverkürzungen (jenseits eines technischen Behandlungsabbruchs) gebraucht und diese weiter in eine „direkte“ und eine „indirekte Sterbehilfe“ unterteilt. Weil sie präziser ist, wurde diese Begrifflichkeit auch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt. Um Missverständnissen vorzubeugen und eine bessere Vergleichbarkeit des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts zu gewährleisten, werden beide Bezeichnungen für das folgende Kapitel zusammengeführt und wird die Fallgruppe der aktiv-gezielten Tötung eines unheilbar kranken Patienten als „aktive direkte Sterbehilfe“ bezeichnet. 2 Dass die Sterbehilfeproblematik in Ungarn unter dem Oberbegriff „eut(h)anázia“, d. h. wörtlich „Euthanasie“, diskutiert wird, ist für die normative Bewertung hingegen irrelevant; vgl. oben Zweiter Teil B. 3 Die Methoden des (Straf-)Rechtsvergleichs müssen an dieser Stelle nicht erörtert werden, da sie sich implizit aus dieser Arbeit bzw. ihrem Aufbau ergeben; siehe dazu

A. Zur Rechtsvergleichung als Teilgebiet der Rechtswissenschaft

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I. Begriff der Rechtsvergleichung In ihrer allgemeinsten Form kann Rechtsvergleichung zunächst einmal als „das Miteinandervergleichen von verschiedenen Rechtsordnungen der Welt“ 4 oder, etwas präziser, als „empirische, Gesetzmäßigkeiten des Soziallebens erforschende Wissenschaft vom Recht als allgemeiner Kulturerscheinung“ 5 verstanden werden. Der Begriff wird üblicherweise mit demjenigen der Privatrechtsvergleichung gleichgesetzt,6 doch können rechtsvergleichende Analysen auch und gerade im strafrechtlichen Bereich auf eine lange und durchaus fruchtbare Tradition zurückblicken.7 Auch ist es die Privatrechtsvergleichung, bei der gemeinhin zwischen einem sog. Makro- und einem sog. Mikrovergleich unterschieden wird; indes hat diese Differenzierung bei einem Strafrechtsvergleich gleichermaßen ihren Sinn: Bei einem Makrovergleich geht es weniger um Einzelprobleme und deren Lösungen als vielmehr um die grundsätzlichen Methoden des Umgangs mit der Rechtsmaterie, die verschiedenen Streitbeilegungsverfahren sowie die juristische Arbeitstechnik. Häufige Gegenstände sind etwa Kodifikationsstile und Methoden der Norminterpretation, die Bedeutung von Präjudizien, die Rolle der Doktrin bei der Rechtsfortbildung, die unterschiedlichen Urteilsstile und allgemein der gesellschaftliche Stellenwert bzw. die soziale Akzeptanz des Rechts.8 im Übrigen ausführlich Eser, Kaiser-FS (1998), 1499 (1520 ff.); Hilgendorf, in: Beck/ Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011), 11 (19 ff.); Jung, JuS 1998, 1 (2 ff.). 4 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 2; ähnlich Eser, in: Kaiser-FS (1998), 1499 (1500 f.), der zwar einerseits betont, dass es aufgrund der unterschiedlichen Abstufungen und Zielsetzungen fast aussichtslos erscheine, Rechtsvergleichung „in einem sowohl allumfassenden wie gleichermaßen spezifischen und dabei auch noch allgemeingültigen Begriff zu erfassen“, andererseits aber zwei Merkmale für essenziell hält: „zum einen den Blick über die Grenzen eines (meist des eigenen) Rechts sowie zum anderen den Vergleich zwischen diesen beiden (oder mehreren) Rechten“. 5 Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung (1987), 21; zust. Hilgendorf, in: Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011), 11 (16). 6 Vgl. nur das auch hier zitierte Standardwerk von Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), bei dem sich eine entsprechende Beschränkung auf privatrechtliche Materien bereits aus dem Untertitel („auf dem Gebiete des Privatrechts“) ergibt. 7 Jung, JuS 1998, 1; ausführlich Hilgendorf, in: Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011), 11 (12 ff.). Ein anschauliches Beispiel bildet die zwischen 1905 und 1909 unter Beteiligung der meisten deutschen Strafrechtslehrer erarbeitete „Vergleichende Darstellung des deutschen und des ausländischen Strafrechts“ in 16 Bänden, die als Grundlage für eine als dringend erachtete Revision des Reichsstrafgesetzbuchs vom 15.5.1871 dienen sollte. Siehe dazu E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (1965), 394 f. (§ 327). 8 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 4; ausführlich Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung (1987), 33 ff.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

Bei einem Mikrovergleich stehen dagegen einzelne Rechtsinstitute oder Rechtsprobleme im Vordergrund, d. h. die Beantwortung konkreter Sachfragen oder die Bewertung spezieller Interessenkonflikte in unterschiedlichen Staaten.9 Wenngleich der Übergang zwischen Makro- und Mikrovergleich fließend ist,10 hat auch die vorliegende Arbeit schwerpunktmäßig einen Mikrovergleich zum Gegenstand: die Untersuchung der Zulässigkeit von Sterbehilfe als konkrete Fragestellung, deren rechtliche Probleme sich in erster Linie aus dem Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und dem staatlichen Lebensschutzauftrag speisen.

II. Ziele und Funktionen der Rechtsvergleichung Allgemein betrachtet soll Rechtsvergleichung zuvörderst Erkenntnis generieren. Indem sie dabei hilft, das „Lösungsreservoir“ im Hinblick auf die Suche nach der für die jeweiligen zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten „besseren Lösung“ zu erweitern, unterstützt sie die (anderen Teilgebiete der) Rechtswissenschaft bei der Erforschung von Modellen für die Prävention und Entschärfung gesellschaftlicher Konflikte.11 Zweigert/Kötz weisen ihr fünf speziell praxisrelevante Aufgaben zu: Rechtsvergleichung ist zunächst einmal ein oft unverzichtbares Arbeitswerkzeug für die Legislative.12 Unter Zugrundelegung der Annahme, dass sich Gesellschaften auf ähnlich technologisch-wirtschaftlichem Entwicklungsstand im Alltag auch mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert sehen, bietet sich die Untersuchung von Lösungskonzepten anderer Rechtskreise und deren Fruchtbarmachung bei der Suche nach eigenen Problemlösungen als Möglichkeit an.13 9 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 4 f.; ausführlich Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung (1987), 32 f. Etwas anders verwendet beide Begriffe Sacco, Einführung in die Rechtsvergleichung (2011), § 1 Rn. 30, der unter „Makrovergleichung“ die Beschäftigung mit zu verschiedenen Familien gehörenden Systemen und unter „Mikrovergleichung“ die Beschäftigung mit zu derselben Familie gehörenden Systemen versteht. 10 Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung (1987), 31; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 5. 11 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 14; siehe auch Neumayer, in: Zweigert-FS (1981), 501 (502). 12 Siehe dazu ausführlich Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 14 ff.; ferner Eser, in: Kaiser-FS (1998), 1499 (1510 ff.), der insoweit auch von „legislativer Rechtsvergleichung“ spricht, sowie Neumayer, in: Zweigert-FS (1981), 501 (506); grundlegend zur Nutzung der Rechtsvergleichung durch den deutschen Gesetzgeber Drobnig/Dopffel, RabelsZ 46 (1982), 253. 13 Siehe Hilgendorf, in: Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011), 11 (17), der zugleich aber auch darauf hinweist, dass die Bereitschaft, von anderen Rechtskulturen zu lernen, in Deutschland nicht besonders ausgeprägt sei und sich speziell die deutsche Strafrechtswissenschaft relativ lange Zeit als „Nabel der (strafrechts-)wissenschaftlichen Welt“ betrachtet habe.

A. Zur Rechtsvergleichung als Teilgebiet der Rechtswissenschaft

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Nicht übersehen werden darf dabei allerdings, dass eine Regelung in ihrem „Heimatland“ stets in einen rechtlichen Gesamtkontext eingebettet ist, der in der rezipierenden Rechtsordnung so nicht oder anders bestehen kann. Eine unreflektierte Übernahme von ausländischem Recht kann folglich zu Friktionen führen.14 Rechtsvergleichung kann darüber hinaus auch ein wichtiges Auslegungsinstrument sein.15 Die Bezugnahme auf ausländisches (Straf-)Recht ist immer dann besonders naheliegend, wenn das eigene Sraf(verfahrens)recht einem anderen Land entlehnt wurde;16 sie kann aber auch bei der Auslegung von genuin eigenem Recht Bedeutung erlangen, und dies nicht nur bei identischen Termini (z. B. „Absetzen“ im Fall von Hehlerei), sondern auch bei gleiche Funktionen erfüllenden Elementen und Begriffen wie „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ oder „Täterschaft“ und „Teilnahme“. Insoweit kann Rechtsvergleichung auch eine über die Funktion als bloßes Auslegungswerkzeug hinausgehende Kontrollaufgabe erfüllen, weil der Blick über die Grenzen beim Richter unter Umständen eine selbstkritische Reflexion bewirkt.17 Bedeutsam ist Rechtsvergleichung ferner für die universitäre Lehre.18 Dies, so Neumayer prägnant, „indem sie den jungen Juristen lehrt, sich beim Prozess juristischen Denkens über das vorgegebene Arsenal seines eigenen Rechts zu erheben, sich auf induktivem Wege dem abstrakten ,richtigen‘ Recht zu nähern, wie dies auch das Ausbildungsziel des methodologischen Aporismus der überlieferten Naturrechtslehre darstellt. So erwachsen der allzu einseitigen Ausrichtung 14 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 16; siehe dazu auch Hilgendorf, in: Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011), 11 (18), der als Beispiel die Kombination von deutsch geprägtem materiellem Strafrecht und angelsächsisch orientiertem Strafverfahrensrecht in Japan nennt, die dort viele Probleme verursache. 15 Siehe dazu ausführlich Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 16 ff.; ferner Eser, in: Kaiser-FS (1998), 1499 (1509 f.), der zudem als weitere Ausprägungen der „judikativen Rechtsvergleichung“ die Pflicht zur Ermittlung ausländischen Strafrechts bei der Beurteilung von Auslandstaten nach dem Recht des Gerichtsorts („internationales Strafrecht“) und die rechtsvergleichende Recherche durch supranationale Verfolgungsbehörden und Gerichte im Rahmen internationaler Strafgerichtsbarkeit (z. B. der Jugoslawien- und Ruanda-Tribunale) nennt; Neumayer, in: Zweigert-FS (1981), 501 (506). 16 Als ein Beispiel hierfür nennt Eser, in: Kaiser-FS (1998), 1499 (1509) die – 2005 abgelöste – türkische StPO aus dem Jahr 1929, die im Wesentlichen mit der deutschen StPO übereinstimmte; siehe dazu auch Güriz, in: Ansay/Wallace (Hrsg.), Introduction to Turkish Law (2011), 1 (10 mit Fn. 20). 17 Siehe Eser, in: Kaiser-FS (1998), 1499 (1509 f.), der als Beispiel den BGH nennt, welcher sich in BGHSt 1, 293 (297) durch Berücksichtigung ausländischer Entwicklungen zu einer restriktiven Interpretation homosexueller Handlungen habe bewegen lassen. 18 Ausführlich dazu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 20 ff.; speziell zur Rechtsvergleichung als universitärem Unterrichtsfach Junker, JZ 1994, 920 u. Neumayer, in: Zweigert-FS (1981), 501.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

des Universitätsstudiums am positiven Recht bildungswirksame Gegenkräfte, und hierauf muß viel ankommen.“ 19 Eine wichtige Aufgabe erfüllt Rechtsvergleichung zudem bei der Planung und Konzeption von zwischenstaatlichen Rechtsvereinheitlichungsprojekten. 20 Dabei geht es um die Schaffung von Einheitsrecht zur Förderung des internationalen Rechtsverkehrs und besserer Voraussehbarkeit bzw. erhöhter Rechtssicherheit, die in erster Linie durch Ausarbeitung von „Einheitsgesetzen“ („loi uniforme“), die in einen Kollektivvertrag eingebracht werden und die Vertragsstaaten völkerrechtlich zur Inkraftsetzung und Anwendung verpflichten, oder von einheitlichen Modellgesetzen, die lediglich als Leitbild für die Schaffung oder Revision nationaler Gesetze dienen sollen, erreicht wird.21 Als Beispiel für ein solches Einheitsrecht kann die von der UNCITRAL entwickelte „Convention on Contracts for the International Sale of Goods“ (CISG, auch „Wiener Kaufrecht“ oder „UNKaufrecht“ genannt) aus dem Jahr 1980 gelten, die einen einheitlichen Rechtsrahmen für internationale Kaufverträge vorgibt und mittlerweile von 80 Staaten ratifiziert worden ist.22 Stellvertretend für ein Modellgesetz kann das 1996 ebenfalls von der UNCITRAL herausgegebene „Model Law on Electronic Commerce“ genannt werden, das durch Standardisierung der Rechtskräftigkeit von auf elektronischem Wege geschlossenen Verträgen für mehr Rechtssicherheit im elektronischen Handel sorgt.23 Eine spezifisch praxisbezogene Funktion kommt Rechtsvergleichung schließlich auch bei der Schaffung eines Europäischen Privatrechts zu, die als eine besondere Ausprägung der Rechtsvereinheitlichung begriffen werden kann.24 Wenngleich sie dort ihr Hauptanwendungsgebiet hat, ist Rechtsvereinheitlichung nicht auf privatrechtliche Regelungsmaterien beschränkt: Auch im Strafrecht ist mit dem Völkerstrafrecht oder dem erst in der Entstehung befindlichen Europäischen Strafrecht eine Tendenz zu grenzüber19

Neumayer, in: Zweigert-FS (1981), 501 (505). Siehe dazu ausführlich Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 23 ff. 21 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 23 f. 22 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 25. Zum Zweck der CISG sowie ihrem gegenwärtigen Ratifikationsstand siehe die detaillierten Angaben auf der UNCITRAL-Homepage: ; vgl. außerdem auch , beide auf dem Stand v. 5.12.2013. Allgemein zur CISG Daun, JuS 1997, 811, 998; Piltz, NJW 2011, 2261 u. Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht (2007). 23 Zum Zweck des „Model Law on Electronic Commerce“ siehe wiederum die UNCITRAL-Homepage: , letzter Abruf am 5.12.2013. Vgl. dazu auch Gehrke, Das elektronische Transportdokument – Frachtbrief und Konnossement in elektronischer Form im deutschen und internationalen Recht (2005), 129 ff. 24 Siehe dazu ausführlich Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 27 ff.; ferner Kötz, Zweigert-FS (1981), 481. 20

A. Zur Rechtsvergleichung als Teilgebiet der Rechtswissenschaft

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schreitenden Regelungen zu beobachten,25 wobei diese noch auf absehbare Zeit Ausnahmecharakter haben dürften, weil gerade dieses Rechtsgebiet angesichts seiner Verwobenheit mit im Laufe der Jahrhunderte geformten, von den jeweils herrschenden Wertvorstellungen nachhaltig beeinflussten Ansichten über Recht und Unrecht durch einen besonders starken Landesbezug charakterisiert wird und „ein – notwendig abstrahierendes und pauschalierendes – transnationales Strafrecht“ diesen Überzeugungen weniger entsprechen wird.26

III. Zur Attraktivität des ungarischen (Sterbehilfe-)Rechts als Vergleichsobjekt Wieso nun gerade die ungarische Regelung der Sterbehilfe aus deutscher Sicht von besonderem Interesse ist, wurde bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit dargelegt.27 Im Wesentlichen sind drei Punkte zu nennen: Erstens weist das ungarische Sterbehilferecht im Gegensatz zu demjenigen in Deutschland mit dem GesG eine abschließende Regelung der im Arzt-PatientVerhältnis zulässigen Verhaltensweisen auf, die sich neben der indirekten und der passiven auch mittelbar auf die aktive direkte Sterbehilfe und den ärztlich assistierten Suizid erstreckt, insoweit diese nicht ausdrücklich für zulässig erklärt werden. Zweitens stellt das ungarische Strafrecht anstiftungs- und beihilfeähnliche Handlungen zur Selbsttötung unter Strafe, was v. a. mit Blick auf die rechtspolitischen Vorschläge in der deutschen Diskussion zur Pönalisierung gewerbsmäßiger bzw. organisierter Suizidbeihilfe eine genauere Betrachtung verdient. Drittens – und dies ist ein sehr wichtiger Aspekt – ist die ungarische Strafrechtsdogmatik trotz dieser Unterschiede aufgrund gemeinsamer (rechts-)historischer Wurzeln und der traditionellen Orientierung der ungarischen Lehre an deutscher Rechtsprechung und Literatur28 durchaus mit der deutschen vergleichbar, was im Fall der Vorzugswürdigkeit der ungarischen Lösung, sollte diese auch

25 Ausführlich dazu Jung, JuS 1998, 1 (6) m.w. N., die als weitere Indikatoren die EMRK, welche als Bezugs- u. Referenzsystem auch und gerade für das Strafrecht von Bedeutung sei, sowie allgemein die menschenrechtliche Perspektive als „Stimulus für die Herausbildung metastaatlicher Kontrollinstrumente“ nennt. 26 Hilgendorf, in: Beck/Burchard/Fateh-Moghadam (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung als Problem und Lösung (2011), 11 f.; ausführlich ders., in: Würzburger Juristenfakultät-FS (2002), 333 (340 ff.); ferner Eser, in: Kaiser-FS (1998), 1499 (1524 ff.). Ähnliche Schwierigkeiten können sich freilich auch bei der privatrechtlichen Rechtsvereinheitlichung ergeben; siehe dazu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung (1996), 26. 27 Siehe oben Einleitung I. 28 Ausführlich dazu Nagy, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 21.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

nur Teilbereiche der Sterbehilfeproblematik betreffen, einen Wissens- und Regelungstransfer deutlich vereinfachen würde.

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts I. Einfachgesetzlich-strafrechtliche Ebene 1. Die indirekte Sterbehilfe Eine gewisse Übereinstimmung findet sich im Ergebnis hinsichtlich der Fallgruppe der indirekten Sterbehilfe, die in beiden Ländern als die Gabe hochwirksamer Analgetika mit der unbeabsichtigten (Neben-)Folge einer Lebensverkürzung umschrieben wird.29 Vor dem Hintergrund der positivrechtlichen Regelung ärztlichen Verhaltens im ungarischen GesG ergeben sich im Einzelnen jedoch auch zahlreiche, zum Teil gewichtige Unterschiede. a) Bewertung In der deutschen Rechtsprechung und Lehre wird die indirekte Sterbehilfe schon seit geraumer Zeit als strafrechtliches Problem erkannt und diskutiert, wenngleich im jüngeren Schrifttum auch eine Tendenz beobachtet werden kann, die praktische Relevanz dieser Fallgruppe mit Blick auf die rasanten Fortschritte in der Medizin, die eine effektive Analgesie mittlerweile auch ohne (das Risiko einer) Lebensverkürzung ermöglichen sollen, zu bestreiten. Nichtsdestotrotz ist man sich zumindest im Ergebnis darüber einig, dass die mit dem Risiko einer Lebensverkürzung behaftete Schmerzlinderung straflos sein muss, sofern sie auf Verlangen oder doch zumindest mit der Einwilligung des unheilbar kranken Patienten geleistet wird. Von Straflosigkeit ist auch dann noch auszugehen, wenn dieser aktuell einwilligungsunfähig ist, aber ein entsprechender mutmaßlicher Wille ermittelt werden kann.30 Umgekehrt besteht nach herrschender Auffassung auch ein Anspruch auf indirekte Sterbehilfe insoweit, als ihre Vorenthaltung als Körperverletzung durch Unterlassen bzw. – bei fehlender Garantenstellung – unterlassene Hilfeleistung strafbar sein kann.31 Verbittet sich der Patient dagegen 29 Wie bereits erwähnt, wird der Begriff der indirekten Sterbehilfe in Ungarn vergleichsweise selten verwendet und – sofern man sich überhaupt mit ihr auseinandersetzt – üblicherweise nur von (dem Problem) einer potenziell lebensverkürzenden Schmerzlinderung gesprochen. 30 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. a). Auf den mutmaßlichen Willen kommt es gem. § 1901a BGB freilich nur dann an, wenn der auf die ggf. lebensverkürzende Medikamentengabe gerichtete Wille nicht schon in einer validen Patientenverfügung niedergelegt wurde. Solche „,positiven‘“ Patientenverfügungen werden aber eher die Ausnahme, denn die Regel sein; siehe Olzen, JR 2009, 354 (357). 31 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. a).

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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eine Schmerzmittelgabe und setzt sich der Arzt über ein solches Behandlungsveto hinweg, dann macht er sich wegen eines Tötungsdelikts strafbar.32 So unbestritten dies alles im Ergebnis ist, so umstritten ist in Deutschland die Begründung für die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe. Es steht zu erwarten, dass sich an diesem Umstand auch nach der neuesten Rechtsprechung des BGH im „Fuldaer Fall“ nicht viel ändern wird. Die dort in einem obiter dictum für die indirekte Sterbehilfe vertretene Einwilligungslösung ist mit ihrer Bezugnahme auf die betreuungsrechtlichen Vorschriften nicht nur schwach begründet, sondern auch mit der Einwilligungssperre des § 216 StGB unvereinbar.33 Ebenso wenig vermögen freilich die verschiedenen Tatbestandslösungen zu überzeugen, da sie die für die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe entscheidenden Wertungsfragen nicht transparent gestalten.34 Nach der in dieser Arbeit favorisierten h. L. sind solche Verhaltensweisen aufgrund Notstands nach § 34 StGB gerechtfertigt, weil das Interesse des Patienten an Schmerzfreiheit neben seinem (Weiter-)Lebensinteresse auch das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung des Tötungstabus wesentlich überwiegt.35 In Ungarn wird die indirekte Sterbehilfe, mit der sich die Gerichte bis dato noch nicht befassen mussten, nur von wenigen Autoren als (straf-)rechtliches Problem identifiziert. Diejenigen, die dies tun, gehen allerdings ebenfalls von ihrer Straflosigkeit aus, wobei auch dort die Begründungen differieren. Unter den dargebotenen, allesamt auf Rechtswidrigkeitsebene angesiedelten Vorschlägen wurde im Rahmen dieser Arbeit diejenige Konzeption für vorzugswürdig befunden, welche die indirekte Sterbehilfe wegen der Erfüllung von Amts- und Berufspflichten bzw. aufgrund einer entsprechenden „gesetzlichen Ermächtigung“ im GesG für gerechtfertigt hält.36 Demnach ist der Arzt zur Schmerzlinderung verpflichtet und auch die mit dem Risiko einer Lebensverkürzung behaftete Schmerzmittelgabe statthaft, sofern der hierüber ordnungsgemäß aufgeklärte Patient einwilligt.37 Ist der Patient aktuell nicht (voll) geschäftsfähig – nach ungarischem Verständnis richtet sich die strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit nach der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit –, kommt nach dem GesG zwar grundsätzlich ein äußerst komplexes, in weiten Teilen auch sehr problematisches Vertretungsregime zum Tragen, dessen inhaltliche Ausgestaltung hier aber nicht näher referiert werden muss, weil das Gesetz einen 32

Siehe oben Erster Teil B. I. 1. a). Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 34 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) aa). 35 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (3) (b). 36 Siehe zur rechtfertigenden Pflichtenkollision oben Zweiter Teil C. II. 1. a); zum rechtfertigenden Notstand oben Zweiter Teil C. II. 1. b); zur Erfüllung von Amts- und Berufspflichten bzw. der „gesetzlichen Ermächtigung“ oben Zweiter Teil C. II. 1. c). 37 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (1) u. (2). 33

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

qualifizierten Behandlungsverzicht, d. h. einen solchen, der voraussichtlich zu einer schweren oder dauernden Gesundheitsschädigung führt, bei beschränkt geschäftsfähigen und geschäftsunfähigen Patienten für ausnahmslos unzulässig erklärt. Die Folge ist, dass eine medizinisch indizierte Schmerzlinderung, mag sie auch potenziell lebensverkürzend sein, stets, d. h. gegebenenfalls auch zwangsweise, durchgeführt werden muss.38 In Ungarn ist die indirekte Sterbehilfe folglich auch nur dann als Tötungsdelikt strafbar, wenn sie ohne Einwilligung bzw. gegen den ausdrücklichen Willen des aktuell geschäftsfähigen Patienten erfolgt. Unterschiede zur deutschen Rechtslage ergeben sich auch hinsichtlich der Frage nach einem strafbewehrten Anspruch auf indirekte Sterbehilfe. Zwar betont einerseits das GesG das Recht des Patienten auf Schmerzlinderung, doch werden andererseits bloße Befindlichkeitsstörungen von den Körperverletzungstatbeständen des uStGB grundsätzlich nicht erfasst. Von einer tatbestandsmäßigen „Gesundheitsschädigung“ ist freilich dann auszugehen, wenn der nicht (adäquat) gelinderte Schmerz zu nachweisbaren Funktionsstörungen im Organismus des Patienten oder der Herausbildung einer chronischen Schmerzkrankheit führt. Unabhängig davon kommt stets auch eine Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht.39 b) Umfang In Deutschland wird neben der dogmatischen Begründung ihrer Straflosigkeit auch die Reichweite einer zulässigen indirekten Sterbehilfe unterschiedlich beurteilt. Umstritten ist zum einen, ob Straflosigkeit nur nach Einsetzen des Sterbevorgangs in Betracht kommt oder ob sie generell auch Patienten mit infauster Prognose erfasst. Zum anderen geht es um die Frage, ob ihre Zulässigkeit zwingend voraussetzt, dass der Arzt den Tod des Patienten als Nebenfolge seines Handelns lediglich für möglich hält und dabei billigend in Kauf nimmt (d. h. mit dolus eventualis handelt) oder ob sie auch dann noch anzunehmen ist, wenn er ihn als sicher voraussieht, dabei aber nicht beabsichtigt (d. h. mit dolus directus 2. Grades handelt). Vereinzelt wird schließlich auch problematisiert, ob indirekte Sterbehilfe notwendigerweise (schwere) Schmerzen voraussetzt oder ob sie auch bei sonstigen gravierenden Leidenszuständen des Patienten in Betracht kommen kann. Alle drei Beschränkungen wurden hier abgelehnt, d. h., indirekte Sterbehilfe ist auch schon vor Einsetzen des Sterbevorgangs,40 bei sicherer Lebensverkürzung41 und zur Linderung gravierender Leidenszustände 38 Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (3) (c)–(f) sowie Zweiter Teil C. II. 1. c) bb) (4). 39 Siehe die auch auf die indirekte Sterbehilfe übertragbaren Ausführungen zur Sterbehilfe ohne lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung, oben Zweiter Teil C. V. 4. 40 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) bb). 41 Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) cc).

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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zulässig.42 In diesem Kontext gilt es außerdem darauf hinzuweisen, dass die Einwilligung des Betreuers/Bevollmächtigten eines einwilligungsunfähigen Patienten in die Medikamentengabe bei fehlendem Einvernehmen mit dem Arzt grundsätzlich der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, diese aufgrund des unaufschiebbaren Charakters derartiger Maßnahmen allerdings häufig entbehrlich sein dürfte und ein Verstoß gegen die betreuungsrechtlichen Vorschriften den Vorwurf eines Tötungsdelikts nicht zu begründen vermag, sofern der (in einer Patientenverfügung niedergelegte oder mutmaßliche) Wille des Patienten im Ergebnis korrekt ermittelt wurde.43 Wird in Ungarn schon dem Rechtsproblem der indirekten Sterbehilfe nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen, so findet eine Debatte über ihre Reichweite so gut wie gar nicht statt. Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass das GesG als abschließende Regelung (zulässigen) ärztlichen Verhaltens auch die indirekte Sterbehilfe erfasst, so wird man sich auch hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage(n) an dessen Vorschriften orientieren müssen. Während sich ein Ausschluss leidmindernder Maßnahmen dem Gesetz ebenso wenig entnehmen lässt44 wie eine Beschränkung auf den Sterbevorgang,45 ist eine analgetische Therapie unzulässig, wenn sie mit Sicherheit zum Tod des Patienten führt bzw. insoweit nicht mehr von einem Lebensverkürzungsrisiko gesprochen werden kann.46 Eine richterliche Genehmigung der Einwilligung in die Medikamentengabe ist in Ungarn nicht erforderlich. Im Übrigen führt ein Verstoß gegen die einschlägigen Form- und Verfahrensvorschriften des GesG nach herrschender Auffassung, die einen streng zivilrechts- bzw. verwaltungsakzessorischen Standpunkt vertritt, stets zu einer Bestrafung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts.47 2. Die aktive direkte Sterbehilfe Unterschiede zwischen dem deutschen und dem ungarischen Strafrecht zeigen sich auch bei der Bewertung der aktiven direkten Sterbehilfe, d. h. der gezielten Tötung Sterbender oder Schwerkranker, um ihnen weitere Schmerzen und Leid zu ersparen. Im Ausgangspunkt gilt es freilich als Gemeinsamkeit festzuhalten, dass diese Fallgruppe weder in Deutschland noch in Ungarn ausdrücklich normiert ist. In Deutschland geht die h. L. davon aus, dass die aktive direkte Sterbehilfe bei einem ausdrücklichen und ernsthaften (Tötungs-)Verlangen des Patienten gem. 42 43 44 45 46 47

Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) in der Einleitung. Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) aa). Siehe oben Zweiter Teil C. II. 2. a). Siehe oben Zweiter Teil C. II. 2. b). Siehe oben Zweiter Teil C. II. 2. c). Siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) cc).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

§ 216 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird und bei Fehlen eines solchen Verlangens ein Totschlag vorliegt, für den § 212 StGB eine Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren bzw. in besonders schweren Fällen lebenslange Freiheitsstrafe anordnet.48 Diese Position wird von der Rechtsprechung geteilt, der zufolge Sterbehilfe auch bei aussichtsloser Prognose jedenfalls dann nicht durch gezieltes Töten geleistet werden darf, wenn, so der BGH unlängst im „Fuldaer Fall“, dieser Eingriff nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung steht.49 Im Schrifttum finden sich nichtsdestotrotz schon seit geraumer Zeit unterschiedliche Vorschläge für eine Straffreistellung auch solcher Tötungen. Ihnen ist gemein, dass sie sich regelmäßig auf besondere Ausnahmefälle beschränken und auch dann nur die i. S. d. § 216 StGB verlangte aktive direkte Sterbehilfe erfassen sollen. Nach der in dieser Arbeit favorisierten Notstandslösung finden derartige Einschränkungen im Gesetz jedoch keine Stütze: Neben den seltenen Fällen nicht mehr kontrollierbarer Schmerzen wird man richtigerweise auch dann von Straflosigkeit ausgehen müssen, wenn sie sich äußerlich als (lebensverkürzende) medizinisch indizierte Schmerzlinderung darstellt und damit phänotypisch der indirekten Sterbehilfe entspricht.50 Wie in Deutschland geht auch die h. L. in Ungarn – Rechtsprechung ist wiederum nicht vorhanden – von der ausnahmslosen Strafbarkeit aktiver direkter Sterbehilfe aus. Diese soll zumindest als einfache Tötung gem. § 160 Abs. 1 uStGB (§ 166 Abs. 1 aStGB) mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren, eventuell als Mord nach § 160 Abs. 2 uStGB (§ 166 Abs. 2 aStGB) mit einer Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden sein.51 Ein Tatbestand der Tötung auf Verlangen fehlt im ungarischen Strafrecht, ist ihm jedoch auch nicht unbekannt: Das erste moderne StGB Ungarns, der sog. Csemegi-Kodex, dessen BT von 1880 bis 1961 in Kraft war, enthielt mit § 282 noch eine Vorschrift, die mit dem deutschen § 216 StGB weitestgehend übereinstimmte.52 Anders als in der deutschen finden sich in der ungarische Lehre keine Ansätze für eine Straffreistellung aktiver direkter Sterbehilfe. In dieser Arbeit wurde gezeigt, dass die apodiktische Bejahung ihrer ausnahmslosen Strafbarkeit mit dem geltenden Recht allerdings nicht zu vereinbaren ist: Da die Vorschriften des

48

Siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) cc) sowie Erster Teil B. I. 2. in der Einleitung. Siehe oben Erster Teil B. I. 1. b) bb) (2). 50 Siehe oben Erster Teil B. I. 2. a). 51 Siehe oben Zweiter Teil C. III. Hinsichtlich einer Strafbarkeit wegen Mordes ist in erster Linie an die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals aus § 160 Abs. 2 lit. a uStGB („von langer Hand geplante Tat“) zu denken. 52 Siehe oben Zweiter Teil C. I. 49

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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GesG, aus denen die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe folgt, keine Sonderregelungen zur subjektiven Tatseite enthalten, sind aktiv-gezielte Tötungen in Ungarn jedenfalls dann straflos, wenn die Lebensverkürzung das Ergebnis einer medizinisch gebotenen – bei aktuell geschäftsfähigen Patienten auch mit deren Einwilligung vorgenommenen – Schmerzlinderung ist, diese also phänotypisch einer indirekten Sterbehilfe entspricht. Von Straflosigkeit wird man darüber hinaus auch in eng begrenzten (außerklinischen) Fällen wie dem des verbrennenden Autofahrers ausgehen müssen. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei seiner Tötung um eine gerechtfertigte Notstandstat i. S. d. § 23 Abs. 1 uStGB (§ 30 Abs. 1 aStGB). Im Übrigen aber – und das ist ein weiterer fundamentaler Unterschied zur Rechtslage in Deutschland – ist von ihrer Strafbarkeit auszugehen.53 3. Die passive Sterbehilfe Die wohl gravierendsten Divergenzen zwischen der deutschen und der ungarischen Rechtsordnung bestehen im Bereich der passiven Sterbehilfe, übereinstimmend definiert als Sterbenlassen durch Verzicht auf lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen. Sie rühren in erster Linie daher, dass diese Fallgruppe im ungarischen GesG eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren hat. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – gibt es in Ungarn bis auf das Sterbehilfeurteil des VerfG aus dem Jahr 2003 keine Rechtsprechung zu dieser Sterbehilfeform, mit der sich in Deutschland schon Straf- und Zivilgerichte sämtlicher Instanzen zu befassen hatten. a) Behandlungsverzicht beim aktuell einwilligungsfähigen/ voll geschäftsfähigen Patienten Vergleichsweise unproblematisch ist die Beurteilung der Zulässigkeit des Verzichts auf die Einleitung bzw. Fortführung lebensverlängernder oder lebenserhaltender Maßnahmen, wenn der Patient zum Entscheidungszeitpunkt einwilligungsbzw. nach ungarischem Verständnis: (voll) geschäftsfähig ist. In Deutschland besteht Einigkeit, dass das Behandlungsveto solcher Patienten unbedingt, d. h. auch dann zu achten ist, wenn es sich aus objektiv-medizinischer Sicht als unvernünftig darstellt. Dieser Grundsatz gilt unabhängig von Art und Stadium der (unheilbaren) Erkrankung, insbesondere muss der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt haben. Auch ist die Reichweite der Patientenautonomie nicht auf bestimmte medizinische Maßnahmen und Eingriffe beschränkt und kann der (unheilbar) Kranke gegebenenfalls auch einen „Totalverzicht“, d. h. den Ausschluss des medizinischen Leistungskatalogs in toto, erklären. In solchen Fäl53

Siehe oben Zweiter Teil C. III.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

len entfällt das Behandlungsrecht und damit auch die Behandlungspflicht des Arztes sowie des Behandlungsteams.54 Uneins ist man sich lediglich, wie der Patientenwille strafrechtsdogmatisch umzusetzen ist: Während die Rechtsprechung von einer Rechtfertigung aufgrund (mutmaßlicher) Einwilligung ausgeht, nimmt die Lehre teils einen Wegfall der Garantenpflicht, teils einen Wegfall bereits der Garantenstellung an. Letzteres wurde für vorzugswürdig befunden, weil die Rechtsprechung zu verkennen scheint, dass nicht erst die Nichtaufnahme bzw. der Abbruch, sondern bereits die Einleitung resp. Fortführung einer medizinischen Behandlung rechtfertigungsund einwilligungsbedürftig ist. Für einen Wegfall schon der Garantenstellung spricht, dass diese bei Unterlassungsdelikten den Träger der objektiven Zurechnung bildet und der Wunsch des Patienten, nicht (weiter-)behandelt zu werden, dazu führen muss, dass demjenigen, der dies respektiert, die Todesfolge nicht zugerechnet werden kann.55 Diese Grundsätze kommen nach der hier vertretenen Auffassung in der Sonderkonstellation des durch einen Arzt bewirkten technischen Behandlungsabbruchs genauso zum Tragen, weil sich dieser wertungsmäßig als Unterlassen der Weiterbehandlung darstellt. Der technische Behandlungsabbruch durch einen Dritten ist hingegen auch wertungsmäßig aktives Tun; er ist aber, sofern der Patient keine Weiterbehandlung wünscht, wegen Notstands gerechtfertigt. Auf § 34 StGB sollte man auch dann rekurrieren, wenn man, wie dies ein Teil der Lehre und neuerdings auch der BGH macht, einen rein äußerlichen Maßstab anlegt und auf dieser Grundlage stets zu einem aktiven Tun gelangt. Die von den Verfechtern dieser Ansicht dargebotenen Lösungsansätze zur Straflosigkeit des technischen Behandlungsabbruchs fügen sich nicht bruchlos in die Prinzipien der Strafrechtsdogmatik ein.56 Der Klarstellung halber sei angemerkt, dass zivilrechtliche Vorschriften beim Behandlungsveto eines einwilligungsfähigen Patienten in Deutschland keine Rolle spielen, seine Entscheidung zum Behandlungsabbruch insbesondere keiner richterlichen Überprüfung und Genehmigung bedarf. Ganz anders stellt sich die Rechtslage in Ungarn dar. Die Wirksamkeit eines Verzichts auf lebensverlängernde/lebenserhaltende Maßnahmen ist nach dem GesG an enge tatsächliche, formale und prozedurale Voraussetzungen gekoppelt, die, wenn sie erfüllt werden, die Garantenstellung des Arztes in Wegfall bringen. Dies kommt faktisch einer Umkehrung des im GesG verankerten Grundsatzes gleich, dem zufolge jeder medizinische Eingriff der aufgeklärten Einwilligung des Patienten bedarf. In tatsächlicher Hinsicht ist erforderlich, dass der Patient an einer Krankheit leidet, die auch bei entsprechender medizinischer Versorgung in-

54 55 56

Siehe oben Erster Teil B. II. 2. u. 3. a) aa). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. a) bb). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. a) cc).

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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nerhalb „kurzer Zeit“ 57 zum Tod führt.58 In formaler Hinsicht wird grundsätzlich eine schriftliche Niederlegung des Behandlungsvetos vorausgesetzt; lediglich bei Schreibunfähigkeit kann der Verzicht auch mündlich vor zwei Zeugen erklärt werden.59 In verfahrensmäßiger Hinsicht ist schließlich eine Untersuchung des Patienten durch eine dreigliedrige Ärztekommission notwendig, die sich aus dem behandelnden Arzt, einem weiteren Arzt des betreffenden Fachgebiets sowie einem Psychiater zusammensetzt, denen es obliegt, die tatsächlichen Voraussetzungen des Behandlungsverzichts sowie die Einwilligungs- bzw. Geschäftsfähigkeit des Patienten zu verifizieren. Besonderer Hervorhebung bedarf in diesem Zusammenhang auch die Vorgabe, wonach die Mediziner gehalten sind, den Patienten im Rahmen der Untersuchung zur Rücknahme seines Behandlungsvetos zu bewegen. Hält dieser aber an seiner Entscheidung fest und wurden oben genannte Voraussetzungen bejaht, so ist das Behandlungsveto am dritten Tag nach Abgabe einer entsprechenden Bestätigung durch die Ärztekommission vor zwei Zeugen zu wiederholen; erst danach darf die Behandlung eingestellt bzw. nicht eingeleitet werden.60 Dabei macht es nach dem GesG auch keinen Unterschied, ob sich die Behandlungseinstellung äußerlich als Unterlassen oder aber als aktives Tun (z. B. Abstellen eines Respirators) darstellt; die Sonderproblematik des technischen Behandlungsabbruchs findet auf ungarischer Seite keine Entsprechung.61 Ein Verstoß gegen Form- oder Verfahrensvorschriften zieht nach ganz herrschender, freilich mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz äußerst problematischer Auffassung auch dann eine Strafbarkeit wegen eines (durch Unterlassen) begangenen Tötungsdelikts nach sich, wenn eine freiverantwortliche Entscheidung des voll geschäftsfähigen Patienten pro morte vorliegt.62 b) Behandlungsverzicht beim aktuell einwilligungsunfähigen/ nicht voll geschäftsfähigen Patienten Im Fall des einwilligungsunfähigen Patienten ist nach deutschem Recht zunächst danach zu fragen, ob er für diesen Fall Vorsorge in einer validen Patientenverfügung getroffen hat. Ist dem so, dann gilt grundsätzlich das darin Festgelegte, und zwar unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung. Lehnt also

57 Mit „kurz“ ist nicht gemeint, dass der eigentliche Sterbevorgang eingesetzt haben muss. Nach vorzugswürdiger Ansicht in der Literatur dürfte dieser Begriff einen Zeitraum von mehreren Wochen, unter Umständen gar Monaten bezeichnen; siehe oben Zweiter Teil C. IV. 1. a). 58 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 1. a). 59 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 1. b). 60 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 1. c). 61 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 3. a). 62 Insoweit gilt das bei der indirekten Sterbehilfe Gesagte; siehe oben Zweiter Teil C. II. 1. c) cc).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

der Patient in einer „negativen“ Verfügung (bestimmte) lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen ab, so hat der Arzt die Behandlung einzustellen bzw. darf er diese gar nicht einleiten, wohingegen sie umgekehrt fortzuführen bzw. einzuleiten ist, wenn der Patient sie in einer „positiven“ Verfügung einfordert. Das einschränkende „grundsätzlich“ bezieht sich auf die vorgelagerte Frage der medizinischen Indikation: Diese hat der Arzt in eigener Verantwortung zu bestimmen; erst danach greift das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Die Gegenauffassung, der zufolge die medizinische Indikation gegebenenfalls im Lichte des vom Patienten Gewollten ermittelt werden muss, ist mit Blick auf den insoweit klaren Wortlaut von § 1901b Abs. 1 BGB abzulehnen.63 Abzulehnen ist auch die teilweise vertretene Einschränkung der Bindungswirkung einer Patientenverfügung bei Demenzpatienten. Sofern ein Teil der Lehre aus „kreatürlichen Anzeichen von Lebenswillen“ auf einen (konkludenten) Widerruf der Verfügung schließen will, wird damit das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unterminiert. Für den wirksamen Widerruf einer Patientenverfügung ist nach vorzugswürdiger Auffassung die Einwilligungsfähigkeit des Verfügenden erforderlich.64 In verfahrensmäßiger Hinsicht sind in Deutschland v. a. zwei Dinge zu beachten: Zum einen weist das BGB die Umsetzung der Patientenverfügung dem Betreuer/Bevollmächtigten des einwilligungsunfähigen Patienten zu. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung kann der Betreuer allerdings kein Umsetzungsmonopol für sich beanspruchen und der Arzt in den seltenen Fällen einer nicht auslegungs- und subsumtionsbedürftigen Patientenverfügung dem Patientenwillen bei dringender Notwendigkeit auch autonom zur Geltung verhelfen, wenn ihm der Inhalt der Verfügung bekannt ist. Für diese Sichtweise spricht neben dem neuen § 630d BGB, den Materialien zum 3. BtÄndG sowie dem Umstand, dass die Vorschriften zur Patientenverfügung nach § 1901 BGB siedeln, auch die Erwägung, dass der Verfasser eines solchen Schriftstücks seine „Angelegenheit“ i. S. v. § 1896 BGB selbst besorgt hat.65 Zum anderen bedarf die Nichteinwilligung bzw. der Widerruf der Einwilligung des Betreuers/Bevollmächtigten in die lebensverlängernden oder lebenserhaltenden Maßnahmen der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn er und der Arzt sich über den Patientenwillen uneinig sind.66 Die kontrovers diskutierte Frage, ob ein Verfahrensverstoß per se zu einer Bestrafung wegen eines durch Unterlassen begangenen Tötungsdelikts führt, ist entgegen Teilen der Lehre und neuerdings auch dem BGH zu verneinen; sollte sich später im Strafprozess herausstellen, dass der Behandlungsverzicht bzw. -abbruch dem Willen des Patienten entsprach,

63 64 65 66

Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (a). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (1) (c). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (c). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (b).

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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so erschiene eine Bestrafung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten äußerst problematisch.67 Hat der einwilligungsunfähige Patient keine Patientenverfügung verfasst, so kommt es auf etwaige Behandlungswünsche oder hilfsweise seinen mutmaßlichen Willen an. Entgegen der Rechtsprechung ist allerdings nicht nach einer mutmaßlichen Einwilligung in den Behandlungsabbruch, sondern nach einer mutmaßlichen Einwilligung in die Aufnahme bzw. Fortführung der lebenserhaltenden/lebensverlängernden Behandlung zu fragen. Der mutmaßliche Wille ist in erster Linie anhand konkreter Anhaltspunkte, insbesondere unter Berücksichtigung früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen zu ermitteln. Nach der hier vertretenen Auffassung kann bei einem Fehlen subjektiver Präferenzen allerdings nach wie vor auf die vom BGH in seiner Entscheidung im „Kemptener Fall“ herangezogenen „allgemeinen Wertvorstellungen“ zurückgegriffen werden. Die in der Begründung zum 3. BtÄndG und auch einem Teil der Lehre vertretene Auffassung, in solchen Fällen sei gem. dem Grundsatz „in dubio pro vita“ zu verfahren, d. h. weiterzubehandeln, ist nicht überzeugend, weil nach dem oben Gesagten die Aufnahme bzw. Fortführung der lebenserhaltenden/lebensverlängernden Behandlung legitimationsbedürftig ist, der Grundsatz „in dubio pro vita“ seinerseits auf überindividuellen Kriterien fußt und ein entsprechender Konsens in der Gesellschaft nicht besteht. Wie der Patientenverfügung ist dem mutmaßlichen Willen ebenfalls die Bestimmung der medizinischen Indikation durch den Arzt vorgeschaltet; auch sonst ergeben sich in prozeduraler Hinsicht keine Unterschiede.68 Speziell im Anwendungsbereich des mutmaßlichen Willens wird in Deutschland mitunter problematisiert, ob ein Behandlungsabbruch bei irreversibel bewusstlosen Patienten auch durch die Einstellung einer künstlichen Ernährung erfolgen kann. Das ist zu bejahen, weil plausible Gründe für ihre Sonderstellung gegenüber sonstigen (invasiven) lebenserhaltenden/lebensverlängernden Eingriffen nicht ersichtlich sind und sich die Einwilligungsbedürftigkeit nunmehr auch aus der Vorschrift zur Patientenverfügung ergibt.69 Deutlich anders gestaltet sich die Rechtslage in Ungarn. Vorbehaltlich der vom Arzt festzustellenden medizinischen Indikation lebenserhaltender/lebensverlängernder Maßnahmen kann der Behandlungsverzicht beim geschäftsunfähigen Patienten zunächst entweder von seinem gewillkürten Patientenvertreter oder, wurde ein solcher nicht bestellt, von seinem gesetzlichen Patientenvertreter erklärt werden. Im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Patienten kann die Erklärung entweder sein gewillkürter Patientenvertreter oder der Patient selbst abgeben, wobei Letzterer für die Wirksamkeit seiner Erklärung der Zustimmung des 67 68 69

Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) dd). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) cc) (1). Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) cc) (2).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

gesetzlichen Vertreters bedarf.70 Die tatsächlichen und formalen Voraussetzungen decken sich bei beiden Patientengruppen mit denjenigen beim geschäftsfähigen Patienten.71 Ein Verfahren wie beim geschäftsfähigen Patienten sieht das GesG für diese Fälle hingegen nicht vor; allerdings muss der Gesundheitsdienstleister die Ersetzung der Einwilligung bei Gericht beantragen, welches nach der hier vertretenen Auffassung das Vorliegen der tatsächlichen und formalen Voraussetzungen für einen Behandlungsverzicht bzw. -abbruch ebenso zu verifizieren hat wie dessen Übereinstimmung mit dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten.72 Speziell für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit hält das GesG noch zwei weitere Vorsorgeinstrumente bereit: Zum einen kann der Patient den Behandlungsverzicht in einer Patientenverfügung erklären, die er in geschäftsfähigem Zustand verfasst. Anders als beim aktuell einwilligungsunfähigen Patienten kann das in einem solchen Schriftstück enthaltene Behandlungsveto auch schon vor Eintritt der Terminalphase beachtlich sein. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen der „ungarischen“ Patientenverfügung sind enger als diejenigen der „deutschen“. So ist eine öffentliche Urkunde erforderlich und kennt das ungarische Recht nur „negative“ Patientenverfügungen, d. h. solche, deren Gegenstand die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme ist. Zudem ist die Erklärung nur dann wirksam, wenn ein Psychiater in einem Gutachten, welches nicht älter als ein Monat ist, bestätigt, dass der Verfügende seine Entscheidung in Kenntnis ihrer möglichen Konsequenzen getroffen hat. Ferner ist die „ungarische“ Patientenverfügung alle zwei Jahre zu aktualisieren und kann sie jederzeit nicht nur formfrei, sondern auch unabhängig von der Geschäftsfähigkeit des Verfügenden widerrufen werden. Unterschiede zu ihrem deutschen Pendant bestehen schließlich auch mit Blick auf den vorgeschriebenen Inhalt: Neben Angaben zur Person des Verfügenden und den abgelehnten Maßnahmen muss die „ungarische“ Patientenverfügung auch eine notarielle Bestätigung über die Vorlage des psychiatrischen Gutachtens sowie eine Bestätigung, dass der Verfügende sich der möglichen Konsequenzen seiner Erklärung bewusst ist, enthalten. Anders als in Deutschland ist es in Ungarn der Arzt, der dem so niedergelegten Willen des Patienten Ausdruck und Geltung verschafft, wobei ein gerichtliches Verfahren nicht vorgesehen ist.73 Zum anderen kennt das GesG als weiteres Vorsorgeinstrument den besonderen gewillkürten Patientenvertreter. Dieser kann im Gegensatz zum gewillkürten Patientenvertreter nur mit der Erklärung eines Behandlungsvetos betraut werden, welches allerdings, wie bei der Patientenverfügung, auch schon vor Eintritt der Terminalphase Wirksamkeit entfalten kann. Die Voraussetzungen für die Errich70 71 72 73

Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 2. in der Einleitung. Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 2. a). Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 2. b). Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 2. c) aa).

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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tung einer entsprechenden Vollmacht decken sich mit denjenigen der Patientenverfügung, d. h., auch hier ist ein höchstens ein Monat altes psychiatrisches Gutachten beizubringen, eine zweijährliche Aktualisierung notwendig und kann der Verfasser die Vollmacht unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit bzw. formlos widerrufen. Erklärt der besondere gewillkürte Patientenvertreter ein Behandlungsveto, dann ist dieses nur wirksam, wenn eine dreigliedrige Ärztekommission bestätigt,74 dass beim geschäftsunfähigen Patienten die Voraussetzungen für einen Behandlungsverzicht vorliegen und der besondere gewillkürte Patientenvertreter seine Entscheidung im Bewusstsein ihrer Konsequenzen getroffen hat. Die Einschaltung der Gerichte ist auch in diesem Fall nicht erforderlich.75 Die in Deutschland diskutierte Frage nach der Zulässigkeit der Einstellung künstlicher Ernährung ist in Ungarn nur von untergeordneter Bedeutung, weil sie v. a. bewusstlose Patienten im Vorfeld der Terminalphase betrifft. Bei dieser Patientengruppe kommt ein Behandlungsabbruch aber nur aufgrund einer Patientenverfügung oder eines von einem besonderen gewillkürten Patientenvertreter erklärten Behandlungsvetos in Betracht, wobei die den Gegenstand dieses Behandlungsvetos bildenden lebenserhaltenden/lebensrettenden Maßnahmen, sofern sie nicht in toto, d. h. auch unter Einschluss einer künstlichen Ernährung, abgelehnt werden, in den jeweiligen Dokumenten (Patientenverfügung oder Vollmachtsurkunde) genau zu bezeichnen sind.76 4. Die reine Sterbehilfe/Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung Unterschiede zwischen Deutschland und Ungarn bestehen auch in Bezug auf die strafrechtliche Bewertung von Akten der Schmerz- und Leidenslinderung ohne Lebensverkürzungsrisiko. In Deutschland sind derartige Verhaltensweisen straflos, sofern der einwilligungsfähige Patient in die Medikamentengabe einwilligt bzw. diese beim einwilligungsunfähigen Patienten in einer Patientenverfügung angeordnet wurde oder sich als mutmaßlicher Wille zugrunde legen lässt. Da eine (eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung, zu der auch schmerz- und leidenslindernde Maßnahmen zu zählen sind, nach vorzugswürdiger Auffassung der Rechtsprechung stets eine tatbestandsmäßige Körperverletzung ist, die allenfalls durch die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein kann, macht sich der Arzt wegen Körperverletzung strafbar, wenn er ihn gegen seinen (mutmaßlichen) Willen (zwangs-)therapiert. Umgekehrt besteht wie bei der indirekten Sterbehilfe ein 74 Es handelt sich dabei um dieselbe Ärztekommission, die auch den geschäftsfähigen Patienten untersucht, d. h., Mitglieder sind neben dem behandelnden Arzt ein Arzt des Fachgebiets, in das die Erkrankung des Patienten fällt, und ein Psychiater. 75 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 2. d) aa). 76 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 3. b).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

Anspruch auf Schmerzbekämpfung insoweit, als ihre Unterlassung entgegen dem Wunsch des Patienten als Körperverletzung bzw. unterlassene Hilfeleistung strafbar sein kann.77 Entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung stellt die (invasive) Verabreichung hochwirksamer Analgetika auch nach ungarischem Strafrecht eine tatbestandsmäßige Körperverletzung dar. Sie ist allerdings aufgrund der Erfüllung von Amts- und Berufspflichten oder besser: einer entsprechenden „gesetzlichen Ermächtigung“ im GesG gerechtfertigt, sofern der geschäftsfähige Patient nach ordnungsgemäßer ärztlicher Aufklärung einwilligt. Insoweit gilt nichts anderes wie bei der indirekten Sterbehilfe. Das bezieht sich ebenso auf die Situation bei beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten, bei denen eine Schmerztherapie mit Blick auf die Unzulässigkeit eines qualifizierten Behandlungsverzichts stets durchzuführen sein wird. In Ungarn ist die Medikamentengabe folglich nur dann als Körperverletzung strafbar, wenn sie ohne Einwilligung bzw. gegen den ausdrücklichen Willen des aktuell geschäftsfähigen Patienten erfolgt.78 Schließlich kann auch eine unterlassene oder nicht korrekt durchgeführte Analgesie als Körperverletzung oder unterlassene Hilfeleistung strafbar sein. Ersteres kommt mit Blick auf den Umstand, dass der ungarische Körperverletzungstatbestand bloße Befindlichkeitsstörungen im Gegensatz zu seinem deutschen Pendant nicht erfasst, allerdings nur dann in Betracht, wenn die Schmerzen nachweislich zu Funktionsstörungen im Organismus des Patienten führen bzw. keine präventiv wirkenden Maßnahmen ergriffen werden, um einer Chronifizierung des Schmerzes mit eigenem Krankheitswert vorzubeugen.79 5. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung Deutliche Unterschiede zwischen dem deutschen und dem ungarischen Strafrecht zeigen sich schließlich auch bei der Bewertung der Beihilfe zum Suizid eines unheilbar kranken Menschen. Im Ausgangspunkt weisen mit der Straflosigkeit der (versuchten) Selbsttötung allerdings beide Länder eine Gemeinsamkeit auf. Während dieses Ergebnis in Ungarn – wenig überzeugend – mit der Unzurechnungs- bzw. Schuldunfähigkeit des Lebensmüden begründet wird, die eine Pönalisierung weder unter spezialnoch unter generalpräventiven Gesichtspunkten als angezeigt erscheinen lasse, führt die deutsche Lehre – weitaus überzeugender – den Gesichtspunkt des fehlenden interpersonalen Bezugs eines Suizids ins Feld, der dazu führt, dass der Hand an sich Legende kein Unrecht begeht.80 77 78 79 80

Siehe oben Erster Teil B. III. Siehe oben Zweiter Teil C. V. 1.–3. Siehe oben Zweiter Teil C. V. 4. Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 1.

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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Im Gegensatz zum deutschen ergibt sich im ungarischen Strafrecht nun allerdings die Besonderheit, dass die nach Akzessorietätsgrundsätzen eigentlich straflose Anstiftung und Beihilfe zum Suizid in einem gesonderten Tatbestand zur Täterschaft verselbstständigt und mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe bis zu fünf bzw. – wenn der Täter älter, das Opfer jünger als achtzehn Jahre ist – zwischen zwei und acht Jahren belegt wird.81 Diese Strafnorm erscheint nicht unproblematisch: Zwar fehlt es bei der Beteiligung an einer Selbsttötung nicht am zwischenmenschlichen Bezug und könnte eine Teilnehmerbestrafung prima vista damit begründet werden, dass man die Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten generell nicht in vollem Umfang anerkennt. Dafür ließen sich die oben dargestellten Erwägungen der ungarischen Lehre zur Straflosigkeit der Selbsttötung ins Feld führen, denen zufolge diese auf der Unzurechnungs- bzw. Schuldunfähigkeit des Lebensmüden beruht.82 Indes kann als erwiesen gelten, dass es auch freiverantwortliche Selbsttötungen gibt. Dies erkennt nunmehr auch der ungarische Gesetzgeber ausdrücklich an, wenn er das Bestimmen einer Person unter vierzehn Jahren oder einer zur Willensäußerung unfähigen Person zum Suizid wie eine in unmittelbarer Täterschaft begangene Fremdtötung bestraft. Diese Vorschrift soll ausweislich ihrer Begründung die dogmatischen Ungereimtheiten beseitigen, die daraus resultieren, dass die seit Kurzem ebenfalls gesetzlich geregelte mittelbare Täterschaft die Begehung einer Straftat durch den Tatmittler voraussetzt, woran es beim Suizid jedoch fehlt. Geht aber der Gesetzgeber in den genannten Fällen generell von einem defizitären Willen des Lebensmüden aus, der den dies ausnutzenden Dritten jedenfalls in der Teilnahmeform des Bestimmens zu einem Quasi-Hintermann i. S. d. mittelbaren Täterschaft erhebt, dann kann daraus e contrario nur folgen, dass der Straftatbestand der Mitwirkung am Suizid einen defektfreien bzw. freiverantwortlichen Entschluss des Suizidenten voraussetzt.83 Dies leitet über zu der in Ungarn wie in Deutschland schwierigen inneren Abgrenzung zwischen Suizidteilnahme und Fremdtötung, die in Ungarn mit Blick auf das oben Gesagte allerdings nur das „Wie“ einer Bestrafung betrifft, während es in Deutschland bereits um das „Ob“ von Strafe geht. In Ungarn wurden lange Zeit weniger die Kriterien für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit als vielmehr die Folgen ihres Fehlens diskutiert. Auslöser war ein Urteil des OG aus den 1980er Jahren, wonach sich derjenige, der ein unzurechnungsfähiges Kind oder eine Person, die aufgrund ihres krankhaften Geisteszustands nicht in der Lage ist, die Tragweite der Tat zu überblicken oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Selbsttötung bestimmt, wegen einer in mittelbarer Täterschaft begange81

Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 2. b) u. c). Keinesfalls kann die Pönalisierung der Suizidteilnahme aber mit dem schlichten Hinweis auf die Missbilligung des Suizids durch die öffentliche Meinung oder die vermeintliche Sittendwidrigkeit solcher Akte begründet werden, wie dies die Lehre tut. 83 Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 2. a) sowie Zweiter Teil C. VI. 3. a) bb). 82

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

nen (Fremd-)Tötung strafbar macht. Im Schrifttum wurde dieses Judikat mit dem Argument angegriffen, dass mittelbare Täterschaft die Begehung einer Straftat durch den Tatmittler voraussetze, woran es beim Suizid aber fehle. Während ein Teil der Autoren deshalb nach wie vor wegen Suizidteilnahme bestrafen wollte, nahmen andere eine Fremdtötung in unmittelbarer Täterschaft an.84 Mittlerweile hat der ungarische Gesetzgeber reagiert und neben der Festschreibung der mittelbaren Täterschaft im AT des uStGB (bzw. schon im aStGB) den Tötungstatbestand um oben genannte Vorschrift ergänzt, wonach das Bestimmen zur Selbsttötung bei Personen unter vierzehn Jahren oder zur Willensäußerung unfähigen Personen wie eine in unmittelbarer Täterschaft begangene Fremdtötung bestraft wird. Diese Vorschrift erscheint aus zwei Gründen problematisch: Zum einen bleibt das Merkmal der Unfähigkeit zur Willensäußerung unklar. Die in der Lehre gegebene Umschreibung, der zufolge es auf die Fähigkeit zur Bildung eines rechtlich relevanten Willens ankommen soll, ist offenkundig zu dürftig, geht es hier doch genau um die Frage, wann der Wille des Opfers relevant im Rechtssinne ist. In dieser Arbeit wurde für eine Abkehr von den vom OG bemühten Exkulpationsregeln bei gleichzeitiger Hinwendung zu den Einwilligungsregeln plädiert, weil dies der normativen Differenz zwischen der verbotenen Fremdschädigung und der nicht verbotenen Selbstschädigung Rechnung trägt. Dieses Abgrenzungskriterium wurde zuvor schon für das deutsche Recht befürwortet (dazu sogleich). Schließlich ist die Neuregelung deshalb problematisch, weil sie nur die Anstiftung zu einem nicht freiverantwortlichen Suizid erfasst, während entsprechende Beihilfehandlungen außen vor bleiben und nur als Mitwirkung am Suizid strafbar sind.85 Anders als in Ungarn sind sich Rechtsprechung und Lehre in Deutschland zumindest im Ergebnis schon seit Langem darüber einig, dass sowohl die Anstiftung als auch die Beihilfe zu einer nicht freiverantwortlichen Selbsttötung eine Bestrafung wegen eines in mittelbarer Täterschaft begangenen (Fremd-)Tötungsdelikts nach sich zieht. Umstritten ist hingegen der Maßstab für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit: Während ein Teil des Schrifttums eine analoge Anwendung der für einen Schuldausschluss geltenden Vorschriften präferiert, möchte die wohl überwiegende Anzahl der Autoren auf die Regeln abstellen, die für die rechtfertigende Einwilligung gelten.86 Es wurde soeben darauf hingewiesen, dass die Einwilligungslösung für vorzugswürdig befunden wurde, weil sie der Strukturdifferenz zwischen Selbst- und Fremdschädigungen Rechnung trägt; darüber hinaus lässt sich anführen, dass bei einer Verfügung über das eigene Leben ein ähnlich strenger Maßstab angelegt werden sollte wie bei der Frage nach der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens i. S. d. § 216 StGB.87 84 85 86 87

Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 3. a) aa). Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 3. a) bb). Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. a) aa). Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. a) bb).

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

343

Neben der inneren wird in Deutschland auch über die äußere Abgrenzung zwischen strafloser Suizidteilnahme und strafbarer Fremdtötung gestritten. Wenngleich Rechtsprechung und h. L. unter Heranziehung normativer Verantwortlichkeitsregeln darauf abstellen, ob der Lebensmüde trotz der Intervention des Dritten für den Todeseintritt zuständig bleibt, werden die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt: Während es nach dem BGH darauf ankommen soll, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat,88 ist nach überwiegender Ansicht im Schrifttum danach zu fragen, wer die Herrschaft über den letzten, unwiderruflichen Akt innehat. Vorliegend wurde Letzteres für vorzugswürdig befunden, weil es sich bei der in Rede stehenden Abgrenzung der Sache nach um ein Zurechnungsproblem handelt, das unter Rückgriff auf das Eigenverantwortlichkeitsprinzip zu lösen ist. Eine defektfreie Entscheidung pro morte vorausgesetzt, kann von einer zurechnungsausschließenden Selbstverfügung nur die Rede sein, wenn der Sterbewillige den todbringenden Moment in seinen Händen hält.89 In Ungarn wird die Diskussion um die äußere Abgrenzung unverständlicherweise nicht geführt. Soweit einige wenige Autoren überhaupt einmal Kriterien für das Vorliegen einer Selbsttötung benennen, wird eine kausalitätsorientierte Betrachtung zugrunde gelegt und darauf abgestellt, wer das unmittelbar zum Tode führende Geschehen in Gang gesetzt hat. Eingedenk des Umstands, dass der Strafrahmen für die Mitwirkung am Suizid gegenüber demjenigen des Totschlags deutlich reduziert ist und sich diese Reduktion nur mit dem aufgrund der eigenverantwortlichen Selbstschädigung herabgesetzten Unrecht erklären lässt, könnte in Anlehnung an die deutsche Lehre freilich auch darauf abgestellt werden, wer die Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt ausübt.90 In Deutschland wird des Weiteren darüber gestritten, ob sich ein Lebensschutzgarant wegen eines durch Unterlassen begangenen Tötungsdelikts strafbar macht, wenn er bei einer (freiverantwortlichen) Selbsttötung untätig bleibt. Dies wird vom BGH mithilfe der Konstruktion eines „Tatherrschaftswechsels“ jedenfalls dann bejaht, wenn der Lebensmüde nach seinem Suizidversuch das Bewusstsein verloren hat; in solchen Fällen komme nur ausnahmsweise ein zumutbarkeitsspezifischer Fortfall der Garantenpflicht in Betracht.91 Während ein kleiner Teil des Schrifttums ebenfalls Raum für eine Strafbarkeit sieht, lehnt die ganz h. L. diese mit Recht ab, weil die Tatherrschaftslehre bei Unterlassungstaten kein taugliches Abgrenzungskriterium ist, ein unauflösbarer Widerspruch zur Straflosigkeit der aktiven Suizidteilnahme die Folge wäre und auch die Vorschriften zur Patientenverfügung eine solche Differenzierung nicht zulassen.92 In Ungarn stellen sich 88 89 90 91 92

Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. b) bb). Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. b) cc). Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 3. b). Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. c) aa). Siehe oben Erster Teil B. IV. 2. c) bb).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

derartige Probleme mit Blick auf die Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid nicht; dort wird allerdings die Frage erörtert, ob die Tatmodalität des Hilfeleistens auch durch Unterlassen begangen werden kann – so die h. L. – oder aber in solchen Fällen wegen Totschlags durch Unterlassen zu bestrafen ist – so eine Mindermeinung. Vorliegend wurde die h. L. für vorzugswürdig erklärt, weil es widersprüchlich erschiene, die aktive Förderung einer Selbsttötung als größeres Unrecht milder zu bestrafen als ihr bloßes Geschehenlassen.93 Wiederum nur in Deutschland wird die Frage erörtert, ob sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen kann, wer bei einem freiverantwortlichen Suizid(-versuch) untätig bleibt. Der BGH, der in einem solchen Fall von einem tatbestandsmäßigen „Unglücksfall“ ausgeht, bejaht dies grundsätzlich, wenngleich man in nicht näher spezifizierten Fällen auf Zumutbarkeitsebene auch zur Straflosigkeit gelangen könne.94 Während dem ein Teil des Schrifttums grundsätzlich folgt, dabei allerdings das Zumutbarkeitskorrektiv großzügiger handhabt, geht die herrschende Auffassung in der Literatur davon aus, dass ein freiverantwortlicher Suizid(-versuch) bereits kein „Unglücksfall“ i. S. d. § 323c StGB ist. Für diese Auffassung spricht, neben dem gängigen Begriffsverständnis eines Unglücksfalls als ein nicht gewolltes, unvorhergesehenes Schadensereignis wiederum die Erwägung einer unzulässigen Umgehung der Straflosigkeit aktiver Suizidteilnahme.95 Dagegen geht die ganz h. L. in Ungarn davon aus, dass grundsätzlich auch ein freiverantwortlicher Selbsttötungsversuch zu Verletzungen bzw. einer Gefahr für Leib oder Leben i. S. d. Tatbestands der unterlassenen Hilfeleistung führen kann. Die dadurch ausgelöste Hilfspflicht sieht sich prima vista auch keinen systematischen Einwänden ausgesetzt, weil die Suizidteilnahme in Ungarn strafbar ist. Allerdings ist die pauschale Kriminalisierung derartiger Verhaltensweisen im Lichte des Eigenverantwortlichkeitsprinzips nicht unproblematisch, weshalb in dieser Arbeit einer Mindermeinung gefolgt wurde, die bei einem freiverantwortlichen Suizid(-versuch) eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung verneint.96

II. Verfassungsrechtliche Ebene Mit Blick auf die verfassungsrechtliche Dimension der Sterbehilfeproblematik in Ungarn und in Deutschland gilt es vorweg zu bemerken, dass die Grundrechtsdogmatik beider Länder einige Parallelen aufweist, was dem Umstand geschuldet ist, dass das BVerfG bei der Errichtung einer ungarischen Verfassungsgerichtsbarkeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als Modell diente und es in den Jahren nach der Wende zu einer – wenn auch nur begrenzten – Rezeption seiner 93 94 95 96

Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 2. c). Siehe oben Erster Teil B. IV. 3. a). Siehe oben Erster Teil B. IV. 3. b). Siehe oben Zweiter Teil C. VI. 4.

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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Rechtsprechung kam.97 Ein prima vista gewichtiger Unterschied mag freilich darin liegen, dass die alte wie auch die neue ungarische Verfassung keinen derart „ausdefinierten“ Grundrechtskatalog enthält wie ihn das deutsche GG kennt. So wird von den im Bereich der Sterbehilfe einschlägigen Freiheitsrechten neben der Menschenwürde nur das Recht auf Leben und Freiheit der Person ausdrücklich erwähnt. Dies heißt nun aber selbstverständlich nicht, dass der ungarischen Grundrechtsdogmatik das Selbstbestimmungsrecht bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit fremd wären. Vielmehr werden diese aus der Menschenwürdegarantie abgeleitet. Die grundrechtlichen Bezüge der Sterbehilfe betreffend konzentrierte sich vorliegende Untersuchung auf diejenigen Fallgruppen, die einem strafbewehrten Verbot unterliegen. In Deutschland, wo das BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Implikationen dieses Problemfelds bis dato keine Stellung beziehen musste, ist dies nur die aktive direkte Sterbehilfe. Der in ihrer grundsätzlichen Pönalisierung durch § 216 StGB zu sehende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit wurde vorliegend zwar für verfassungsgemäß befunden.98 Zugleich wurde aber mit einer im Schrifttum vertretenen Auffassung in Anlehnung an die aus der Eigentumsdogmatik bekannte Figur des „grundrechtsgebotenen Dispenses“ eine Verpflichtung des Staates zur Straffreistellung in Extremfällen angenommen. Neben dem schon mehrfach erwähnten Beispiel des verunfallten Autofahrers, der in seinem Fahrzeug eingeklemmt bei lebendigem Leibe verbrennt, ist in erster Linie an den unheilbar kranken Patienten mit Ganzkörperlähmung zu denken. Weil hier die sonst gangbare – und auch vorrangig zu fordernde – Alternative der Selbsttötung versperrt ist, kann das prinzipiell grundrechtskonforme Verbot aktiver direkter Sterbehilfe in concreto nicht mehr als angemessen bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne betrachtet werden.99 Gegen die im strafrechtlichen Teil der Arbeit in solchen Fällen befürwortete Notstandsrechtfertigung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht folglich nicht nur nichts einzuwenden, sie ist auch geboten. Anders als in Deutschland ist in Ungarn – wie dargelegt – neben der aktiven direkten Sterbehilfe auch die Mitwirkung am Suizid strafbar und unterliegt die passive Sterbehilfe weitreichenden Einschränkungen in tatsächlicher, formaler und verfahrensmäßiger Hinsicht. Daneben liegt mit dem Sterbehilfeurteil des VerfG aus dem Jahr 2003 eine umfassende Stellungnahme zu den hiermit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragestellungen vor. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Verfassungsmäßigkeit der geltenden Rechtslage vollumfänglich be97 Ausführlich dazu Sólyom, Ungarische Verfassungsgerichtsbarkeit und deutsche Grundrechtsdogmatik, Vortrag aus Anlass der Auszeichnung mit dem Ehrendoktortitel der Universität zu Köln am 9.2.1999. 98 Siehe oben Erster Teil C. II. b) aa). 99 Siehe oben Erster Teil B. IV. 3. b).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

jaht wird. Zwar geht auch das VerfG davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht nur das Interesse zu sterben, sondern auch die Inanspruchnahme Dritter bei der Herbeiführung des eigenen Todes umfasst, mithin die Pönalisierung von Akten aktiver direkter Sterbehilfe sowie der Mitwirkung am Suizid einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff auslöst. Doch soll dieser Eingriff mit Blick auf die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates für das menschliche Leben gerechtfertigt sein. Die passive Sterbehilfe als eine Art „passive Selbsttötung“ könne hingegen nicht gänzlich untersagt werden, weil damit die Umsetzung einer Entscheidung pro morte grundsätzlich verhindert würde, diese in einem weltanschaulich neutralen Staat aber Sache des Individuums sei. Indes gelte es, mit Blick auf die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zum Lebensschutz auch in diesem Fall Einschränkungen zu machen, weil im Interesse des Moribunden und anderer (potenzieller) Patienten sichergestellt werden müsse, dass lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen nur dann unterbleiben, wenn der Patient dies auch wirklich möchte bzw. einen mangelfreien Willen gebildet hat.100 Dieses unreflektierte Abstellen auf die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates, verbunden mit dem Hinweis auf den weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wurde vorliegend kritisiert. Die Verdichtung der grundrechtlichen Schutzpflichtanforderungen zu „absoluten“ Schutzgehalten kann jedenfalls dann nicht überzeugen, wenn man sich wie die ungarische Grundrechtsdogmatik nur an abstrakten Dogmen orientiert und nicht über das Werkzeug zur Lösung existenzieller Interessenkonflikte in atypischen Einzelfällen verfügt.101

III. Metaebene: Prozeduralisierung als gemeinsamer Anknüpfungspunkt Sowohl die deutsche als auch die ungarische Rechtsordnung bedienen sich im Bereich der Sterbehilfe als wesentliches Charakteristikum einer Regelungstechnik, die sich als „Prozeduralisierung“ 102 bezeichnen lässt.103 100

Siehe oben Zweiter Teil D. II. 4. Siehe oben Zweiter Teil D. II. 5. 102 Begriff nach Hassemer, Mahrenholz-FS (1994), 731 (747), der in erster Linie aber von „prozeduralen Rechtfertigungen“ – so auch der Titel seines Beitrags – spricht und dieses Konzept auf Rechtswidrigkeitsebene verortet; siehe dazu auch den nächsten Abschnitt. 103 Grundlegend zur Prozeduralisierung im Bereich der Sterbehilfe Saliger, KritV 1998, 118 (145 ff.); siehe auch ders., JuS 1999, 16 (20 f.); ders., ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (133 ff., 143 ff.); ders., KritV 2001, 382 (436 f.); ferner Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 142 ff. u. Popp, ZStW 2006, 639 (660 ff.); speziell unter dem Gesichtspunkt der analogen Anwendung von § 1904 BGB a. F. Hufen, NJW 2001, 849 (856 f.); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), 319 ff.; ders., ZfL 2005, 38 (44 f.); ders., JZ 2006, 821 (829 f.); Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch (1998), 118 ff.; Thias, Möglichkeiten und Grenzen 101

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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1. Grundsätzliches zum Prozeduralisierungsgedanken Der Begriff „Prozeduralisierung“ kann in einem allgemeinen Sinne verstanden werden als die an die Beachtung besonderer Verfahrensregelungen gekoppelte Straffreiheit rechtsgutsverletzender bzw. -tangierender Verhaltensweisen.104 Bezogen auf die Sterbehilfe geht es also mit anderen Worten darum, dass ihre Zulässigkeit auch von „verfahrensmäßigen, formellen Kautelen“ abhängt.105 Diese Regelungstechnik ist dem deutschen (Straf-)Recht auch sonst geläufig und erfreut sich gerade im Kontext medizinischer Eingriffe zunehmender Beliebtheit.106 Außerhalb der Sterbehilfe liegende Beispiele sind etwa die §§ 5, 6 KastrG, welche die Einholung der Bestätigung einer Gutachterstelle und unter Umständen auch der Genehmigung des Betreuungsgerichts vor Durchführung der Kastration vorschreiben, § 218 Abs. 1 StGB, der die Straffreiheit einer Abtreibung von einem Beratungsverfahren (geregelt in § 219 StGB i.V. m. dem Schwangerschaftskonfliktgesetz) abhängig macht, sowie die ärztlichen Beteiligungs- und Dokumentationsregelungen im TPG, allen voran die Todesfeststellung als Voraussetzung der postmortalen Organtransplantation nach § 5 i.V. m. § 3, das in § 4 für die Organentnahme mit Zustimmung anderer Personen vorgesehene Verfahren und die in § 8 Abs. 3 Satz 2 für eine Lebendentnahme angeordnete Bestätigung durch eine Kommission.107 Neben der deutschen (und der ungarischen) haben sich im hier interessierenden Bereich der Sterbehilfe freilich auch andere Rechtsordnungen die Prozeduralisierungsidee zu eigen gemacht. Als wohl bekannteste prozedurale Sterbehilferegelung Europas dürfte die 2002 in Kraft getretene „niederländische Lösung“ 108 eines selbstbestimmten Sterbens durch Einschränkung und Abbruch medizinischer Behandlung (2004), 242 ff. Grundlegend zum Prozeduralisierungsgedanken im Strafrecht Hassemer, Mahrenholz-FS (1994), 731; ferner Eser, KritV-Sonderheft 2000, 43; Saliger, Hassemer-FS (2010), 599. Mittlerweile liegt mit der Habilitationsschrift von Eicker, Die Prozeduralisierung des Strafrechts (2010) auch eine umfassende monografische Bearbeitung des Themas vor. 104 Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (601 f.). 105 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 142. 106 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 144; Saliger, KritV 1998, 118 (145). 107 Saliger, KritV 1998, 118 (145); ders., JuS 1999, 16 (20); ferner Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 144. 108 „Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding“ (dt.: Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung). Zum Gesetz v. 10.4.2001 und der Rechtsentwicklung in den Niederlanden siehe E. Fischer, Recht auf Sterben?! (2004); Gordijn, KritV 2001, 457; Grundmann, Das niederländische Gesetz über die Prüfung von Lebensbeendigung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung (2004); Janssen, ZRP 2001, 179; Reuter, Die gesetzliche Regelung der aktiven ärztlichen Sterbehilfe des Königreichs der Niederlande – ein Modell für die Bundesrepublik Deutschland? (2002); Tak, ZStW 113 (2001), 905. Zu Rechtsproblemen bei der Anwendung der gesetzlichen Regelungen in der Praxis M. Lindemann, ZStW 117 (2005), 208. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes Sagel-Grande, ZStW 111 (1999), 742.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

gelten, die neben dem ärztlich assistierten Suizid auch eine aktiv-gezielte Tötung des Patienten ermöglicht, wenn folgende Sorgfaltskriterien beachtet werden: Vergewisserung, dass die Bitte nach Sterbehilfe freiwillig und nach reiflicher Überlegung geäußert wurde, keine Aussicht auf Besserung besteht und der Patient unerträglich leidet; Aufklärung des Patienten über seine Situation und die medizinische Prognose; Überzeugung, dass für die Situation des Patienten keine annehmbare Lösung besteht; Konsultation eines unabhängigen Arztes, der den Patienten untersucht und schriftlich zu vorgenannten Kriterien Stellung nimmt; medizinisch sorgfältige Durchführung der Tötung oder Hilfe zur Selbsttötung. Arzt und Leichenbeschauer müssen den Fall sodann einer regionalen Kontrollkommission (darunter mindestens ein Arzt, ein Jurist und ein Ethiker) melden, der auch die Erklärung des Konsiliararztes zugeht. Gelangt diese nach eingehender Sachverhaltsüberprüfung zur Überzeugung, dass die genannten Sorgfaltskriterien eingehalten wurden, greift zugunsten des Arztes ein Strafausschließungsgrund im niederländischen StGB. In den Jahren 2002 und 2009 wurden ähnliche Regelungen auch in Belgien109 und Luxemburg rechtsgültig.110 Das gemeinsame Charakteristikum aller prozeduralen (Sterbehilfe-)Lösungen, mögen sich diese im Einzelnen auch deutlich unterscheiden und auf unterschiedliche Sachverhalte bezogen sein, und zugleich Paradigmatische an Prozeduralisierung liegt darin, dass die Prüfung der materiellen Straflosigkeitsvoraussetzungen in das Vorfeld des rechtsgutsbeeinträchtigenden Verhaltens verschoben wird und damit das Strafrecht den für ihn typischen ex post-Zugriff zugunsten einer ex ante-Perspektive preisgibt.111 Zwar wird diese Charakterisierung im Schrifttum vereinzelt mit der Erwägung bestritten, schon aus dem Erfordernis eines subjektiven Rechtfertigungselements (bzw. mit Blick auf die Novation der Garantenstellung bei einem Behandlungsveto aus deren Zuordnung zu den in § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB genannten Tatumständen) ergebe sich, dass es im Täterinteresse liege, sich vor Tatbegehung Gedanken über das Vorliegen der tatsächlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen zu machen. Das eigentlich Neue an diesem Konzept sei deshalb weniger der Zeitpunkt als vielmehr die Exklusivität der Rechtmäßigkeitsprüfung: Während die ex situatione-Einschätzung des Täters nur eine vorläufige bleibe, ansonsten aber strafgerichtlicher Kontrolle unterliege (und 109 „Loi relative à l’euthanasie“ (dt.: Gesetz zur Sterbehilfe). Zum Gesetz v. 16.5. 2002 und der Rechtsentwicklung in Belgien siehe ausführlich Khorrami, MedR 2003, 19 (22 ff.); kurze Überblicke finden sich auch bei Kintzi, DRiZ 2002, 256 (260); Knopp, MedR 2003, 379 (381 f.); Oduncu/Eisenmenger, MedR 2002, 327 (330). 110 „Loi sur l’euthanasie et l’assistance au suicide“ (dt.: Gesetz über Sterbehilfe und assistierten Suizid) v. 18.12.2008. Gleichzeitig trat ein Gesetz zum Ausbau der Palliativmedizin in Kraft, in dem der Anspruch jedes Bürgers auf palliativmedizinische Behandlung festgeschrieben wird. Näher zur Rechtslage in Luxemburg Klinkhammer/Rabbata, DÄBl. 105 (2008), A-493. 111 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 143; siehe auch allgemein im Kontext medizinrechtlicher Prozeduralisierung Saliger, KritV 1998, 118 (146).

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damit allenfalls noch als „Irrtum“ eine Rolle spiele), habe es in den hier interessierenden Fällen mit der Vorprüfung sein Bewenden und stehe im Vorfeld der Tat fest, ob sie erlaubt oder verboten sei.112 Doch lässt sich dem zum einen entgegenhalten, dass es auch bei der Prozeduralisierung nicht bei der Vorprüfung bleiben muss, vielmehr eine spätere (straf-)gerichtliche Kontrolle insbesondere der Befolgung prozeduraler Vorschriften möglich bleibt (etwa der Beachtung der §§ 1901a, 1904 BGB bei passiver Sterbehilfe mit Vertreterbeteiligung); zum anderen ist die (weitreichende) Exklusivität der ex situatione-Einschätzung des Handelnden kein Alleinstellungsmerkmal von Prozeduralisierung, kommt sie vielmehr überall dort vor, wo sich ein Straftatbestand (auch) auf die Verletzung außerstrafrechtlicher Pflichten bezieht, deren Unrechtsgehalt nur bestimmt werden kann, wenn man dabei auch die Regeln der jeweils maßgeblichen Verkehrskreise im Blick hat.113 Unabhängig von seiner einfachgesetzlichen Ausgestaltung im konkreten Fall liegt der Vorteil des Prozeduralisierungsmodells auf der Hand: Dadurch, dass die Prüfung der materiellen Straflosigkeitsvoraussetzungen dem rechtsgutsbeeinträchtigenden Verhalten vorgeht, kann deren Beachtung besser sichergestellt und hinsichtlich der tangierten Grundrechte (auf Leben und Selbstbestimmung) ein wirksamerer Rechtsgüterschutz gewährleistet werden, als dies bei einem ausschließlich materiell-rechtlich justierten Sterbehilferecht möglich wäre.114 Dieses Konzept ist dabei doppelfunktionaler Natur, da es sowohl auf Rechtsanwendungsals auch auf Rechtsetzungsebene Wirkungen zeitigt: Indem durch eine externe ex ante-Prüfung und Formalisierung115 potenziellen empirischen und normativen Rechtsanwendungsfehlern entgegengewirkt wird, verringert Prozeduralisierung zum einen Handlungsunsicherheit, der das Recht mit Blick auf die Schwere und Unumkehrbarkeit bestimmter medizinischer Maßnahmen keinen Raum geben 112 So Popp, ZStW 118 (2006), 639 (667), dem zufolge sich diese Frage also gewissermaßen „vom Subjektiven ins Objektive“ verschiebe. 113 Siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (610), der als Beispiel die Relevanz der sog. business judgement rule für unternehmerische Entscheidungen im Rahmen der Untreuestrafbarkeit (§ 266 StGB) nennt; vgl. zur „business judgement rule“ auch Bernsmann, GA 2009, 296 (307). 114 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 143. Eingehend zu den Unzulänglichkeiten eines rein materiell orientierten Sterbehilferechts Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (134 ff.), der neben „kategorialen Problemen“ (Abgrenzung zwischen strafloser Selbsttötungsteilnahme und strafbarer Tötung auf Verlangen, aktiver und passiver Sterbehilfe, strafbarer direkter und strafloser indirekter Sterbehilfe) auch „kriteriale Unsicherheiten“ (Anwendungsbereich von zulässiger Sterbehilfe in zeitlicher Hinsicht [vor/nach Einsetzen des Sterbevorgangs], Rekurs auf allgemeine Wertvorstellungen bei der passiven Sterbehilfe) und „Rechtsgüterschutzdefizite“ (Gefährdungen der Grundrechte auf Selbstbestimmung einerseits, Leben und körperliche Unversehrtheit andererseits [Stichworte „Dammbruch“ u. „Missbrauch“]) nennt. 115 Saliger, KritV 1998, 118 (146 mit Fn. 179) versteht unter diesem Begriff „Verfahren mit Beteiligtenregelungen, Dokumentationspflichten, Fristen bis hin zu richterlichen Genehmigungsvorbehalten“.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

darf; zum anderen kann sie auch als Ausgleichsmechanismus gegenüber Normierungsunsicherheiten verstanden werden, so z. B. beim Schwangerschaftsabbruch, wo das prozedurale, von der Erkenntnis der Unmöglichkeit des Schutzes der Leibesfrucht gegen den Willen der Mutter geleitete (Beratungs-)Element vor dem Hintergrund einer „pluralistischen, nachmetaphysischen Gesellschaft“ gesehen werden kann, „der im Übergang von einem materialen zu einem prozeduralen Naturrecht [. . .] kein konsentierter Boden (mehr) für eine substantielle Pönalisierung zur Verfügung steht“.116 Daraus erhellt, dass es sich bei der Prozeduralisierungsidee in grundrechtstheoretischer Hinsicht um eine Ausprägung des v. a. aus dem Verwaltungsrecht bekannten Konzepts von einem „Grundrechtsschutz durch (Organisation und) Verfahren“ handelt, dem zufolge der Staat präventive organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zur Gewährleistung der Ausübung und Sicherung von Grundrechten zu treffen hat.117 Der so zu optimierende Grundrechtsschutz ist vorrangig Sache des Zivil- und des öffentlichen Rechts: Die Vorschriften zur Patientenverfügung und dem mutmaßlichem Willen bzw. deren verfahrensmäßiger Umsetzung (§§ 1901a ff. BGB) sind genuin zivilrechtlicher Natur und die unübersichtliche Grundrechtsgemengelage bei den einzelnen Sterbehilfekonstellationen kann ohne detaillierte Betrachtungen zu Schutzbereichen, Eingriffen und Eingriffsrechtfertigungen nicht entworren werden.118 Zu betonen ist, dass der Transfer strafrechtlicher Aufgaben auf beide Rechtsgebiete das Strafrecht nicht per se obsolet macht: Kommt es jenseits des durch Prozeduralisierung umzäunten Bereichs nach wie vor zur Anwendung, spielt es auch innerhalb desselben eine Rolle, soweit die Missachtung verfahrensrechtlicher Bestimmungen eine materielle Rechtsverletzung bewirkt.119 116 Prägnant Saliger, KritV 1998, 118 (146 f.). Zu den erkenntnistheoretischen und wertphilosophischen Implikationen des Prozeduralisierungskonzepts siehe Hassemer, Mahrenholz-FS (1994), 731 (747 ff.). 117 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 144. Zur Idee eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren bzw. dessen Funktionen und Strukturen siehe ausführlich Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (103 ff.); ferner Bonin, Grundrechtsschutz durch verfahrensrechtliche Kompensation bei Maßnahmen der polizeilichen Informationsvorsorge (2012), 31 ff. 118 Siehe Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 143, dort auch mit dem weiterführenden Hinweis, dass beide Rechtsgebiete von ihrer Struktur her freiheitsfreundlicher als das Strafrecht sind, weil diesem das Fremdtötungsverbot der §§ 211 ff. StGB als Basis dienen muss und das Selbstbestimmungsrecht folglich nur als dessen Einschränkung interpretiert werden kann, wohingegen die Sterbensautonomie zivilrechtlich betrachtet nur eine Ausprägung des Grundsatzes der Privatautonomie ist und sich der strafrechtliche Gegensatz von Lebensschutz und Selbstbestimmung im öffentlichen Recht auf Grundrechtsebene nicht widerspiegelt. 119 Siehe Saliger, KritV 1998, 118 (146), der zudem auf die Verlagerung der Richtung strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes aufmerksam macht – weg von der Kriminalisierung sozialschädlichen Verhaltens, hin zu einem „,Rechtsgüterschutz durch Verfahrensschutz‘“ –, soweit auch schlichte Verfahrensverstöße sanktioniert werden, wie dies

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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Abschließend sei auch noch etwas zur – mitunter als nachrangig bezeichneten120 – Frage der straftatsystematischen Verortung des Prozeduralisierungsmodells gesagt. Prima vista scheint keine exklusive Verbindung zu einer spezifischen Systemebene zu bestehen:121 Während es z. B. in § 2 KastrG heißt, dass die Kastration unter den im Gesetz genannten materiellen und prozeduralen Voraussetzungen „nicht als Körperverletzung strafbar“ ist, was einen Strafausschließungsgrund nahelegt,122 spricht § 218a StGB davon, dass „der Tatbestand des § 218 nicht verwirklicht“ ist, wenn die dort aufgelisteten materiellen und verfahrensmäßigen Erfordernisse erfüllt sind. Und schließlich soll die hier interessierende Prozeduralisierung von Sterbehilfe unter Mitwirkung von Betreuern/ Bevollmächtigten auf Rechtfertigungsebene angesiedelt sein („prozedurale Rechtfertigung“), weil dieses Modell bei der Einwilligung resp. mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen ansetze und beide Rechtsinstitute auf Rechtswidrigkeitsebene zu verorten sind.123 Sofern diese Aussage auch und v. a. auf die passive Sterbehilfe gemünzt ist, wird allerdings verkannt, dass nach richtiger Auffassung nicht die Nichteinleitung bzw. der Abbruch einer medizinischen Behandlung der Legitimation durch die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten bedarf, sondern ihre Einleitung und Fortführung. Straflosigkeitsgrund ist deshalb das (mutmaßliche) Behandlungsveto des Patienten, welches nach vorzugswürdiger Auffassung nicht erst die zur Rechtswidrigkeit gehörende Garantenpflicht, sondern schon die auf Tatbestandsebene anzusiedelnde Garantenstellung des Arztes (und anderer behandlungskompetenter Personen) in Wegfall bringt. Von „prozeduraler Rechtfertigung“ kann im Zusammenhang mit Sterbehilfe deshalb nur dort die Rede sein, wo es um die rechtliche Beurteilung aktiver Verhaltensweisen geht. Geht man nach wie vor davon aus, dass der von einem Arzt (oder einem sonstigen Mitglied des Behandlungsteams) bewirkte technische Behandlungsabbruch wertungsmäßig ein Unterlassen darstellt und hält man im Anwendungsbereich von Patientenverfügung und mutmaßlichem Willen nicht auch die aktive direkte Sterbehilfe für zulässig, so kommt als ihr Anknüpfungspunkt in erster Linie die

in § 7 KastrG, § 218c Abs. 1 StGB oder den §§ 19, 20 TPG der Fall ist. Für den Bereich der (passiven) Sterbehilfe fehlt eine entsprechende Vorschrift zwar; indes ist ihre Schaffung nach der hier vertretenen Auffassung auch gar nicht geboten (vgl. schon oben Erster Teil B. II. 3. b] dd]). 120 Popp, ZStW 118 (2006), 639 (664). 121 Siehe zum Folgenden Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (607 f.). 122 So jedenfalls Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (607) m.w. N.; a. A. aber Golbs, in: NK, KastrG, § 2 Rn. 3, die unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. V/ 3702, 16) die Auffassung vertritt, dass die Norm die Voraussetzungen für die Rechtfertigung der mit dem Eingriff verbundenen Erfüllung des Tatbestandes der schweren Körperverletzung gem. § 226 StGB regelt, weshalb auch die einzelnen Kriterien, insb. die Einwilligung, nur rechtfertigenden Charakter haben könnten. 123 Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 144; Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (608, 611).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

indirekte Sterbehilfe in Betracht.124 Was nun, um zur Ausgangsfrage zurückzukehren, die straftatsystematische Verortung des Prozeduralisierungsmodells anbelangt, sind zwei Positionen denkbar: eine „systemimmanente Perspektive“, die der Legislative einen entsprechenden Gestaltungsspielraum zugesteht, oder eine „systemtranszendente Perspektive“, die ungeachtet der gesetzlichen Zuordnungen danach fragt, ob Prozeduralisierung nicht exklusiv mit einer Deliktsebene – allen voran der Rechtswidrigkeit – verknüpft und daher eine einheitliche Kategorisierung notwendig ist.125 Tatsächlich gibt es Stimmen, die sowohl im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch126 als auch das KastrG127 betreffend von „Rechtfertigungsgründen“ sprechen.128 Der Verdichtung des Prozeduralisierungsmodells hin zu einer prozeduralen Rechtfertigung steht indes die für dieses Konzept charakteristische ex ante-Prüfung entgegen, die es nicht nur von formalen Rechtfertigungsanforderungen wie Zuständigkeits- und Formvorschriften abgrenzt, sondern auch als „präventiven Rechtstyp“ attribuiert, „der [. . .] das Strafrecht mit seiner charakteristischen ex-post-Perspektive strukturell herausfordert“.129 Dies bedeutet nun freilich nicht, dass prozedurale Lösungen untrennbar mit der Tatbestandsebene verbunden wären. Eine Verortung auf Rechtswidrigkeitsebene lässt sich auf die Erwägung stützen, dass die für Prozeduralisierung in Betracht kommenden Erlaubnissätze „(mutmaßliche) Einwilligung“ und „rechtfertigender Notstand“ zeitlich so strukturiert sind, dass die Prüfung ihrer Voraussetzungen vor der tatbestandsmäßigen Handlung erfolgen kann.130 Man sollte da124 Zum Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung bei indirekter Sterbehilfe siehe oben Erster Teil B. I. 1. c) aa). Ob auch behördliche Genehmigungen wie bei §§ 324 ff. StGB als Ausprägungen des Prozeduralisierungsgedankens begriffen werden können (so v. a. Saliger, Hassemer-FS [2010], 599 [608 f.]; a. A. Stratenwerth, Hassemer-FS [2010], 639 [642], für den hier das die Prozeduralisierung kennzeichnende interpersonal-diskursive Element nicht deutlich genug zutage tritt) kann hier dahingestellt bleiben. 125 Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (609). 126 So – wenngleich noch zum 2. Schwangerschaftsabbruchurteil des BVerfG (BVerfGE 88, 203) – Eser, KritV-Sonderheft 2000, 43 (45 ff.); Hassemer, MahrenholzFS (1994), 731 (733 ff.). Die in dieser Entscheidung skizzierte Konstruktion eines Tatbestandsausschlusses (BVerfGE 88, 203 [273 f.]) ist in Form von § 218a StGB Gesetz geworden; siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (610). 127 Schwalm, in: Mergen (Hrsg.), Die juristische Problematik in der Medizin (1971), 200 (230 m.w. N.). Vgl. dagegen auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. V/3702, 6, 12, wonach die Frage der straftatsystematischen Einordnung bewusst offen gelassen werden sollte. 128 Siehe samt Nachweisen Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (609). 129 Prägnant Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (610). 130 Siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (610), der diese Erkenntnis aus dem Streit um das Erfordernis einer „pflichtgemäßen“ oder „gewissenhaften“ Prüfung der Rechtfertigungslage als Rechtfertigungsvoraussetzung gewinnt und darauf hinweist, dass die Lehre von der pflichtgemäßen Prüfung auch mit Blick auf die oben genannten Rechtfertigungsgründe entwickelt worden wäre; ausführlich dazu Jakobs, AT, 11/24 ff. m.w. N. Nach Saliger kann einer Lokalisierung auf Rechtswidrigkeitsebene schließlich

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her besser anstatt von „prozeduraler Rechtfertigung“ in einem übergeordneten Sinne von „prozeduraler Legalisierung“ sprechen, wobei als Faustregel festgehalten werden kann, dass ihre Einordnung bereits auf Tatbestandsebene umso naheliegender wird, je mehr sie als Augleich rechtlicher Bestimmungsunsicherheiten dient.131 2. Prozeduralisierung im deutschen und im ungarischen Sterbehilferecht: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Bei einem Vergleich der Prozeduralisierungskonzepte im deutschen und im ungarischen Sterbehilferecht stechen neben einigen wenigen Gemeinsamkeiten v. a. zahlreiche Unterschiede ins Auge. Die wichtigsten sind: Sieht man zunächst einmal von dem allgemeinen und nunmehr auch in § 630d Abs. 2 i.V. m. § 630e BGB gesetzlich geregelten Erfordernis ärztlicher Aufklärung ab, das im Wesentlichen so auch in den §§ 13, 14 GesG enthalten ist, dann betrifft die Prozeduralisierung im deutschen Sterbehilferecht nur die Gruppe der einwilligungsunfähigen Patienten, wohingegen sie im ungarischen neben geschäftsunfähigen und beschränkt geschäftsfähigen auch (voll) geschäftsfähige Patienten erfasst. Eine Gemeinsamkeit ergibt sich freilich insoweit, als das für Prozeduralisierung charakteristische interpersonal-diskursive Element132 bei der Gruppe der einwilligungsunfähigen (Deutschland) bzw. geschäftsunfähigen/beschränkt geschäftsfähigen Patienten (Ungarn) mit der Einbeziehung staatlicher Gerichte in beiden Ländern im Ausgangspunkt ähnlich ausgestaltet ist. Anders als in Deutschland, wo die Einschaltung des Betreuungsgerichts nur vorgesehen ist, wenn sich Arzt und Betreuer/Bevollmächtigter über die Kongruenz von medizinischer Behandlung (bzw. deren Unterlassung) und Patientenwillen uneinig sind, ist die Beteiligung der Gerichte in Ungarn obligatorisch. Divergenzen bestehen überdies hinsichtlich Gegenstand bzw. Umfang der gerichtlichen Prüfungspflicht: Hat das Betreuungsgericht in Deutschland lediglich die Entscheidung des Betreuers/Bevollmächtigten nachzuvollziehen, muss das Gericht in Ungarn, jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung, neben der Willensprüfung auch die tatsächlichen Voraussetzungen einer Sterbehilfe (eine innerhalb kurzer Zeit zum Tode führende Erkrankung) verifizieren. Zu dem bei geschäftsfähigen weder das Fehlen eines in der Rechtfertigungsdogmatik üblicherweise postulierten „besseren Rechts“ bzw. einer inhaltlichen Vorgabe der Rechtfertigungsvoraussetzungen durch den Gesetzgeber noch das Fehlen der Möglichkeit ihrer Feststellung durch den Staat entgegengehalten werden, wie dies von Hassemer, Mahrenholz-FS (1994), 731 (732, 735 f.) mit Blick auf die BVerfG-Konzeption zum Schwangerschaftsabbruch kritisiert worden war (a. a. O., 599 [610 f.]). 131 Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (611). 132 Jedenfalls soweit man einem engen Verständnis von Prozedur bzw. prozedural anhängt, wie es hier im Anschluss an Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (602 f.) favorisiert wird (vgl. bereits oben Fn. 231).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

Patienten vorgeschriebenen Verfahren (Untersuchung durch eine dreigliedrige Ärztekommission) gibt es in Deutschland kein Pendant. Es sei bereits an dieser Stelle erwähnt, dass hierin unter Umständen ein Anknüpfungspunkt für eine Optimierung des deutschen Sterbehilferechts zu sehen sein könnte.133 Ein weiterer gewichtiger Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen liegt darin, dass in Ungarn lediglich der Verzicht auf die Einleitung oder Fortführung von lebenserhaltenden/lebensrettenden Maßnahmen (passive Sterbehilfe) prozeduralisiert ist, während in Deutschland darüber hinausgehend nicht nur der Verzicht auf jegliche Form ärztlicher Behandlung, sondern auch ihre Durchführung dem Verfahren nach §§ 1901b, 1904 BGB134 unterliegt. Signifikante Gegensätze zwischen beiden Prozeduralisierungskonzepten zeigen sich zudem beim Rechtsinstitut „Patientenverfügung“. In Deutschland ist für eine wirksame Errichtung lediglich Schriftform vorgesehen; auf die Festlegung verfahrensmäßiger Voraussetzungen wie etwa das Erfordernis ärztlicher Beratung hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet.135 Prozeduralisiert ist allerdings die Umsetzung der Patientenverfügung insoweit, als sie grundsätzlich nicht autonom durch den Arzt erfolgen kann, sondern auch der Mitwirkung des Betreuers/ Bevollmächtigten des Patienten, seiner Vertrauenspersonen und gegebenenfalls auch des Richters bedarf.136 Genau umgekehrt stellt sich die Situation in Ungarn dar: Während die Umsetzung der Patientenverfügung unmittelbar dem Arzt obliegt, ist für ihre wirksame Errichtung die Untersuchung des Verfügenden durch einen Psychiater erforderlich, der bestätigt, dass die Festlegungen in Kenntnis ihrer möglichen Konsequenzen getroffen wurden. Dieses Verfahrenserfordernis besteht gleichermaßen bei der Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters, sodass sich auch Unterschiede zum ähnlich gelagerten deutschen Rechtsinstitut der Vorsorgevollmacht ergeben, deren Errichtung nicht verfahrens133

Siehe dazu ausführlich den übernächsten Abschnitt unten Dritter Teil C. I. D. h.: Erörterung einer medizinisch indizierten Maßnahme mit dem Betreuer/ Bevollmächtigten unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Basis der vom Betreuer/Bevollmächtigten umzusetzenden (Nicht-)Behandlungsentscheidung (§ 1901b Abs. 1 BGB); Gelegenheit für Vertrauenspersonen des Patienten, zur vorgesehenen Maßnahme Stellung zu nehmen (§ 1901b Abs. 2 BGB); bei Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens im Fall der (Nicht-)Behandlung: Anrufung des Betreuungsgerichts, wenn sich Arzt und Betreuer/Bevollmächtigter hinsichtlich des Patientenwillens uneinig sind (§ 1904 BGB). 135 Der „intrapersonal-monologische Vollzug“ gesetzlicher Formvorschriften bei Abgabe von (Willens-)Erklärungen wie der Patientenverfügung ist freilich dann als „prozedural“ anzusehen, wenn man den Begriff in einem weiten Sinne, d. h. unabhängig davon versteht, ob die Formerfordernisse auch mit interpersonal-diskursiven Verfahren verbunden sind; siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (602). Wie schon mehrfach erwähnt, wird vorliegend jedoch ein enges Begriffsverständnis zugrunde gelegt. 136 Das einschränkende „grds.“ bezieht sich auf die – seltenen – Fälle einer nicht auslegungs- bzw. subsumtionsbedürftigen Patientenverfügung, die nach der hier vertretenen Auffassung vom Arzt ggf. direkt umgesetzt werden kann; siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (2) (c). 134

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gebunden ist. In beiden Ländern prozeduralisiert, wenn auch unterschiedlich, ist dagegen die Entscheidung dieser Vertretungspersonen: Ist der Bevollmächtigte in Deutschland zur Umsetzung einer Patientenverfügung oder hilfsweise des mutmaßlichen Patientenwillens berufen und muss er in diesem Rahmen mit dem Arzt und den Vertrauenspersonen des Patienten zusammenwirken, seine Erklärung gegebenenfalls auch durch das Betreuungsgericht genehmigen lassen, ist das Behandlungsveto137 des besonderen gewillkürten Patientenvertreters in Ungarn nur dann wirksam, wenn eine dreigliedrige Ärztekommission bestätigt, dass beim geschäftsunfähigen Patienten die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen und der Vertreter seine Entscheidung in Kenntnis ihrer Konsequenzen getroffen hat.

IV. Die „bessere Lösung“ Zu erörtern bleibt damit noch die zu Beginn dieser Arbeit aufgeworfene Frage nach der „besseren Lösung“. Sie lässt sich, was kaum verwundert, nicht so ohne Weiteres beantworten. Sowohl die deutsche als auch die ungarische Regelung der Sterbehilfe weisen Vor- und Nachteile auf. Der große Vorteil des ungarischen Sterbehilferechts liegt in der Gewährleistung eines vergleichsweise hohen Grades an Rechtssicherheit. Indem er die Rechte und Pflichten von Arzt und Patient in einem einheitlichen Gesetzeswerk – dem GesG – erschöpfend regelt, lässt der ungarische Gesetzgeber kaum Raum für Zweifel hinsichtlich des im Arzt-Patient-Verhältnis Erlaubten. Gleichzeitig fügt sich dieser Ansatz friktionslos in die Grundsätze der (ungarischen) Strafrechtsdogmatik ein: Ist dem Arzt nach dem GesG eine bestimmte rechtsgutsverletzende oder -tangierende Handlung gestattet, so ist diese über den Rechtfertigungsgrund „gesetzliche Ermächtigung“, der dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung Rechnung trägt, gerechtfertigt; steht demgegenüber ein Unterlassen in Rede, so fehlt es bereits an der Garantenstellung und damit an der Tatbestandsmäßigkeit des betreffenden Verhaltens. Zugleich folgt daraus nach herrschender Auffassung aber auch, dass es außerhalb dieses Rahmens keine zulässige Sterbehilfe geben kann, weil das GesG insoweit eine Sperrwirkung entfaltet. Wenngleich diese Sichtweise in vorliegender Arbeit als zu eng befunden und eine Notstandsrechtfertigung aktiv-gezielter Tötungen in außerklinischen Fällen, d. h. jenseits des Anwendungsbereichs des GesG, für vorstellbar gehalten wurde,138 ist damit bereits eines der drei zentralen Probleme der ungarischen Rechts137 Pro memoria: Ein besonderer gewillkürter Patientenvertreter kann nach der Konzeption des GesG ausschließlich für die Abgabe eines Behandlungsvetos bestellt werden. 138 Nach der in Ungarn gebräuchlichen Terminologie handelt es sich dabei freilich nicht mehr um einen Fall der Sterbehilfe, da die Verwendung dieses Begriffs an ärztliche Verhaltensweisen anknüpft.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

lage angesprochen: Indem jeder Verstoß gegen formale und verfahrensmäßige Bestimmungen des GesG nach h. M. zu einer Bestrafung wegen Tötung bzw. Körperverletzung führt, wird nicht nur die Unterscheidung zwischen prozeduraler und formaler Rechtfertigung eingeebnet,139 sondern werden auch unerträgliche Bestrafungszwänge statuiert. Den Arzt etwa, der das Behandlungsveto des einwilligungs- bzw. geschäftsfähigen Patienten beachtet, ohne dass sich dieser zuvor der vorgeschriebenen Untersuchung durch die Ärztekommission unterzogen hat, wegen Totschlags durch Unterlassen zu bestrafen, erscheint unverhältnismäßig. Dasselbe gilt, wenn nicht noch mehr, für den indirekte Sterbehilfe leistenden Mediziner, der sich die Einwilligung des unerträgliche Schmerzen leidenden Patienten im Vorfeld der tödlichen Morphininjektion nicht schriftlich hat bestätigen lassen. Das zweite große Problem des ungarischen Sterbehilferechts ist seine grundsätzliche Autonomiefeindlichkeit. Sollte mit der Verabschiedung des GesG ein endgültiger Bruch mit dem medizinischen Paternalismus sozialistischer Prägung bewirkt und dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten zum Siegeszug verholfen werden, hat der ungarische Gesetzgeber sein erklärtes Ziel nicht erreicht. Vor allem ist nicht einzusehen, wieso ein einwilligungs- bzw. geschäftsfähiger Patient lebensrettende oder lebenserhaltende Maßnahmen nur in der Terminalphase soll ablehnen können. Soweit mit dieser Einschränkung eine Pflicht und ein Recht des Arztes zur Zwangsbehandlung vor Eintritt dieses Stadiums einhergeht, ist dies nicht nur eine grobe Missachtung der Patientenautonomie, sondern auch mit Blick auf den Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde hochproblematisch. Hochproblematisch sind aber auch die prozeduralen Bestimmungen des GesG zum Wirksamwerden eines Behandlungsvetos. Dass das dort vorgesehene Verfahren die Hürden zu hoch hängt, lässt sich bereits an dem Umstand ersehen, dass die Vorschriften im klinischen Alltag keine Rolle zu spielen scheinen. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber seinen Lebensschutzauftrag nicht nur überstrapaziert, sondern auch missversteht, wenn er den Ärzten im Rahmen der Untersuchung des Patienten die Überredung zur Rücknahme des Behandlungsvetos vorschreibt. Noch weiter gehend wird die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts beim beschränkt geschäftsfähigen Patienten verhindert, da dieser zwar formell in jeden medizinischen Eingriff einwilligen muss, ihm ein Behandlungsveto gleichzeitig aber nur im Hinblick auf lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Eingriffe zugestanden wird und im Übrigen das Wirksamwerden seiner Erklärung von der Zustimmung seines ge-

139 Zu ihrer Notwendigkeit siehe Saliger, Hassemer-FS (2010), 599 (603), der auf die (in der deutschen Lehre) verbreitete Auffassung hinweist, einer materiell rechtswidrigen Handlung größeres Gewicht als einer nur formal rechtswidrigen Handlung beizumessen; die mit einer weiten Interpretation von „Prozedur“ einhergehende Vermengung prozeduraler und formaler Rechtfertigung könne daher „auch zu Kurzschlüssen führen“.

B. Vergleich des deutschen und des ungarischen Sterbehilferechts

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setzlichen Vertreters abhängt, der diese seinerseits aber nur dann geben darf, wenn dadurch der Gesundheitszustand des Patienten nicht nachteilig beeinflusst wird.140 Diese wiederum hochproblematische Kanalisierung in Richtung des medizinisch Vernünftigen gilt gleichermaßen für den gesetzlichen Patientenvertreter des geschäftsunfähigen Patienten, wobei für den Zustand der Geschäftsunfähigkeit neben der Möglichkeit, im noch geschäftsfähigen Zustand einen gewillkürten Patientenvertreter mit weiter gehenden Befugnissen zu benennen, immerhin mit einer Patientenverfügung oder einem besonderen gewillkürten Patientenvertreter Vorsorge getroffen werden kann. Beide Instrumente ermöglichen denn auch eine im Vergleich zu obigem Regelungsregime großzügigere Verwirklichung der Patientenautonomie, da sie einen Verzicht auf lebensverlängernde bzw. lebenserhaltende Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen auch schon vor Eintritt in die Terminalphase gestatten. Gleichzeitig liegt darin aber ein schwerwiegender Widerspruch, weil das GesG nicht nur antizipativen Willensbekundungen des Patienten, sondern auch der Erklärung eines Dritten, mag dieser auch vom Patienten bevollmächtigt worden sein, eine größere Reichweite zugesteht als unmittelbar auf die Lebens- und Behandlungssituation bezogenen Äußerungen des aktuell geschäftsfähigen Patienten. Diese rechtlich nicht zu begründende Ungleichbehandlung kann nur mit einem gesetzgeberischen Versehen erklärt werden, womit auch das dritte große Problem des ungarischen Sterbehilferechts identifiziert ist: die zahlreichen handwerklichen Mängel und Ungereimtheiten im GesG. Neben besagtem Reichweitenunterschied ist etwa an das bereits erwähnte Einwilligungs- bzw. Zustimmungserfordernis trotz Unwirksamkeit der Nichteinwilligung/Verweigerung der Zustimmung zu denken. Genauso wenig ergibt es einen Sinn, dass sowohl die Bestellung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters wie auch das Wirksamwerden seines Behandlungsvetos prozeduralisiert sind, wohingegen die Benennung eines gewillkürten Patientenvertreters ebenso wenig verfahrensgebunden ist wie das Wirksamwerden seiner Erklärung, die übrigens neben einem Behandlungsveto auch eine Einwilligung in einen medizinischen Eingriff sein kann. Die Liste ließe sich fortsetzen, doch ist für eine erschöpfende Aufzählung an dieser Stelle kein Raum. Insoweit sei auf die umfangreichen Ausführungen im „ungarischen“ Teil der Arbeit verwiesen. Beim deutschen Sterbehilferecht sind die Probleme anderer Natur. Zwar müssen auch in Deutschland Rechtsgüterschutzdefizite (Selbstbestimmung einerseits, Leib und Leben andererseits) beklagt werden, doch sind diese im Gegensatz zu Ungarn nicht das Ergebnis einer misslungenen ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe; vielmehr ist genau das Gegenteil der Fall: Sie sind dem relativ hohen Grad an Rechtsunsicherheit geschuldet, der mit dem Fehlen einer 140 Die Fälle einer passiven Sterbehilfe sowie die üblichen Eingriffsrisiken ausgenommen (vgl. § 16 Abs. 7 i.V. m. Abs. 4 GesG).

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

expliziten gesetzlichen Regelung bei gleichzeitiger Dominanz des Strafrechts einhergeht.141 Dessen Kategorien können jedenfalls allein nicht „in wertungsmäßig überzeugender Weise den medizinischen und sozialen Realitäten modernen Sterbens vor allem in Hinblick auf das gestiegene Bedürfnis nach Selbstbestimmung in Fragen von Sterben und Tod Rechnung tragen“.142 So wird schon seit geraumer Zeit bemängelt, dass die in der Praxis oftmals fehlende Trennschärfe zwischen indirekter und direkter, aktiver und passiver Sterbehilfe sowie Selbsttötungsteilnahme und Tötung auf Verlangen das ausschließlich an diesen Differenzierungen ausgerichtete Strafrecht zu intrikaten Grenzziehungen nötigt, deren Brisanz durch den Umstand, dass man dabei fast immer über die Frage „Strafbarkeit oder Straflosigkeit“ entscheidet, noch potenziert wird.143 Zu diesen „kategorialen“ gesellen sich „kriteriale Probleme“, die primär die Zulässigkeitsvoraussetzungen passiver Sterbehilfe bzw. die Bedeutung und Bestimmung der vom BGH in seinem Urteil im „Kemptener Fall“ angeführten „allgemeinen Wertvorstellungen“ für die Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens betreffen.144 Vor diesem Hintergrund ist der These Saligers uneingeschränkt zuzustimmen, dass ein ausschließlich materiellem Denken verhaftetes Strafrecht das Problem fehlender Rechtssicherheit bei der Sterbehilfe nicht wird adäquat lösen können.145 Es ist deshalb nur zu begrüßen, dass mittlerweile nahezu sämtliche Gesetzgebungsvorschläge prozedurale Mechanismen zur Sicherung der Patientenautonomie enthalten146 und der Gesetzgeber mit dem 3. BtÄndG nicht nur die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung und des mutmaßlichen Willens ausdrücklich anerkannt, sondern auch ein mehrstufiges Verfahren zur Umsetzung der sich auf diese Weise manifestierenden Patientenautonomie implementiert hat. Wenngleich das gesetzgeberische Tätigwerden nicht zu einer Beilegung aller Streitpunkte führen konnte und im Gegenteil sogar zahlreiche neue, indirekt

141

Eingehend dazu Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (140 ff.). Vgl. Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (134). 143 So Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (134 f.), dort auch mit weiteren Ausführungen zu diesen „kategorialen Problemen“ (135 ff.). 144 Siehe Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (139), der daneben auch noch auf die Unsicherheiten hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs zulässiger Sterbehilfe (vor/nach Einsetzen des Sterbevorgangs) hinweist (a. a. O., 138 f.). Jedoch dürfte der Gesetzgeber mit § 1901a Abs. 3 BGB zumindest in diesem Bereich für Klarheit gesorgt haben; siehe bei der passiven Sterbehilfe oben Erster Teil B. II. 2. 145 Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (142); dazu auch schon ders., KritV 1998, 118 (145 ff., insb. 148 ff.); vgl. auch im Kontext der analogen Anwendung von § 1904 BGB a. F. Verrel, MedR 1999, 547 (549 f.). 146 Vgl. aber noch den AE-Sterbehilfe (1986), 6, wonach prozedurale Absicherungen, insb. die obligatorische Hinzuziehung eines weiteren Arztes bei der Entscheidung über einen Behandlungsabbruch oder die Anwendung leidensmindernder Maßnahmen entbehrlich sein sollen, weil sie dem Regelfall eines Sterbens außerhalb eines Krankenhauses nicht gerecht würden und persönliche Verantwortung in Verfahrensregeln aufgehen ließen. 142

C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge

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auch das Strafrecht betreffende Fragen aufgeworfen wurden,147 ist dadurch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten im Ergebnis doch in erfreulicher Weise gestärkt worden. Wägt man die Vor- und Nachteile des ungarischen und des deutschen Sterbehilferechts gegeneinander ab, dann erscheint trotz der oben genannten Schwächen letzteres als die „bessere Lösung“. Dies deshalb, weil das deutsche Recht im Bereich medizinischer Behandlung grundsätzlich der Maxime „voluntas aegroti suprema lex“ 148 folgt, wohingegen sich das ungarische Recht – allen gegenläufigen Beteuerungen zum Trotz – nach wie vor eher dem Gebot „salus aegroti suprema lex“ 149 verpflichtet fühlt. Bei dieser Perspektive handelt es sich freilich um einen Anachronismus, für den in einer vollends individualisierten Gesellschaft, deren Devise „Selbstbestimmung“ heißt,150 kein Raum mehr ist. Dies gilt auch und gerade, soweit sich die Selbstbestimmung auf den eigenen Körper bezieht. Hier ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen. Mit Recht stellt etwa auch Schreiber fest: „Ein strenger Paternalismus, der davon ausgeht, vorherrschendes Prinzip solle sein, dass das Arzt-Patientenverhältnis davon bestimmt sein müsse, dass der Arzt eindeutig besser wisse und zu bestimmen habe, was für das Wohl des Patienten gut und daher mit der Behandlung einzusetzen sei, findet heute mit Recht auch keine Anerkennung mehr. Er kann auch nicht das rechtlich geltende Prinzip sein.“ 151 Die weitgehende Missachtung des Autonomieprinzips im Bereich medizinischer Behandlung durch den ungarischen Gesetzgeber ist nach alledem ein solch gravierender Nachteil, dass ihn der Vorteil der Rechtssicherheit nicht aufzuwiegen vermag.

C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge Die Schlussfolgerung, dass die deutsche die „bessere Lösung“ ist, bedeutet nun allerdings auch nicht, dass die Regelungen im GesG keinen Anhalt für eine Optimierung des deutschen Sterbehilferechts bieten könnten.

147

Ausführlich dazu Sternberg-Lieben, Roxin-FS (2011), 537 (539 ff.). Dt.: „Der Wille des Kranken sei höchstes Gesetz.“ 149 Dt.: „Das Wohl des Kranken sei höchstes Gesetz.“ Diese als Frage formulierte und in der Literatur gemeinhin als Gegensatz zitierte Parömie – „Soll das Wohl oder der Wille des Kranken oberstes Gesetz sein?“ –, ist einem Ausspruch von Cicero („salus populi suprema lex“) entlehnt; siehe dazu und allgemein zum Widerstreit paternalistischer und autonomieorientierter Konzepte bei der ärztlichen Heilbehandlung Schreiber, Starck-FS (2007), 111. 150 Vgl. dazu den Philosophen Gerhardt, der in seiner 1999 erschienen Monografie mit dem Titel „Selbststimmung“ das Individualitätsprinzip „zum Fundament einer Moraltheorie der nachideologischen Epoche macht“ (so Heidbrink, in: ZEIT Online v. 10.6.1999). 151 Schreiber, Starck-FS (2007), 111 (112). 148

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

I. Vorüberlegungen Eine genauere Betrachtung verdient insbesondere der Umstand, dass der Anwendungsbereich von Prozeduralisierung in Ungarn auch auf die (passive) Sterbehilfe für einwilligungs- bzw. geschäftsfähige Todkranke erstreckt wird. Dies ist – wie bereits dargelegt – ein entscheidender Unterschied zur Rechtslage in Deutschland, wo sich die verfahrensmäßigen Bestimmungen der §§ 1901a ff. BGB nur auf den einwilligungsunfähigen Patienten beziehen. Tatsächlich erscheint diese Beschränkung im deutschen Recht unsachgemäß, weil das Prozeduralisierungskonzept seine Stärken – Entschärfung der terminologischen Trennlinien durch verfahrensmäßige Relativierung, Konzentration von Strafrecht auf Verfahrensschutz ohne gleichzeitige Einbußen bei Autonomie- und Missbrauchsschutz bzw. Handlungssicherheit, Eindämmung von Tabuisierungstendenzen durch Verpflichtung der involvierten Personen auf eine dialogische ex ante-Kontrolle – nicht nur bei der Gruppe der einwilligungsunfähigen Patienten, sondern im gesamten Bereich der Sterbehilfe ausspielen kann.152 Der ungarische Gesetzgeber hat dies bereits im Jahre 1997 und damit als Erster auf dem europäischem Kontinent153 erkannt. Dafür gebührt ihm unzweifelhaft Respekt. Fraglich ist indes, ob das in § 20 Abs. 3–7 GesG vorgesehene Verfahren auch ohne Modifikationen ins deutsche Recht transplantiert werden könnte – und sollte. Dabei muss man sich zunächst vor Augen führen, dass prozedurale und materielle Kriterien eng miteinander verknüpft sind und die mit dem Begriff der Prozeduralisierung umschriebenen Verfahren nicht als „unschuldig“ in dem Sinne angesehen werden können, dass sie sich von den jeweiligen materiellen Fragestellungen abstrahieren ließen.154 Ist Prozeduralisierung Grundrechtsschutz durch Verfahren, dann erfüllt das Verfahren eine materielle Aufgabe und hängt seine normative Ausgestaltung auch und entscheidend vom Gehalt des zu schützenden Grundrechts ab, muss es insbesondere verhältnismäßig, d. h. geeignet, erforderlich und zumutbar sein.155 Vor diesem Hintergrund ist die ungarische Regelung im Hinblick auf ihre Übertragungsfähigkeit und -würdigkeit ins deutsche Recht wie folgt zu bewerten: Zunächst ist gegen den Umstand, dass das GesG für die (passive) Sterbehilfe bei einwilligungs- bzw. geschäftsfähigen Patienten ein konsiliarisches und kein 152

Vgl. Saliger, KritV 1998, 118 (149). Neumann, in: NK, Vor § 211 Rn. 142 bezeichnet die niederländische Regelung der aktiven direkten Sterbehilfe aus dem Jahr 2001 als „erste prozedurale Sterbehilferegelung Europas“, was nach dem oben Gesagten aber offenkundig unrichtig ist. 154 Saliger, KritV 1998, 118 (149); ausführlich zu den Anwendungsfeldern der Prozeduralisierungsidee ders., Hassemer-FS (2010), 599 (604 ff.), dem zufolge jedoch auch bei dieser Hauptfunktion von Prozeduralisierung – der materiellen Rechtsverwirklichung – „Spurenelemente ,reiner‘ Verfahrensgerechtigkeit“ nachweisbar sind (a. a. O., 607). 155 Saliger, KritV 1998, 118 (149); ders., Hassemer-FS (2010), 599 (605). 153

C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge

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gerichtliches Verfahren vorsieht, nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Eine (betreuungs-)gerichtliche Vorabkontrolle ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen wäre sowohl unter Erforderlichkeits- als auch Zumutbarkeitsgesichtspunkten unverhältnismäßig, weil der aktuell einwilligungsfähige Patient als Ausdruck seines Rechts auf körperliche Unversehrtheit selbst entscheidungszuständig ist.156 Kann sich der Grundrechtsträger aber selbst schützen, dann muss der durch Prozeduralisierung gewährte Schutz deutlich „weicher“ als bei einwilligungsunfähigen Patienten sein.157 Sinnvollerweise kann es hier nur um eine Verifikation und ex ante-Dokumentation der Voraussetzungen passiver Sterbehilfe durch mindestens zwei unabhängige Ärzte gehen.158 Unter „Verifikation der Voraussetzungen“ sollte in diesem Zusammenhang neben der Diagnose einer (unheilbaren) Erkrankung als Grundlage der Entscheidung des Patienten, die durch das ärztliche Konsil an Objektivität gewinnt,159 auch die Prüfung seiner Einwilligungsfähigkeit verstanden werden, die inzident im Rahmen der Aufklärung über die Krankheit bzw. die Folgen eines Behandlungsvetos erfolgen kann.160 An der Einwilligungsfähigkeit sind Zweifel angebracht, wenn der Patient nicht in der Lage ist, die Tragweite seiner Entscheidung verstandesmäßig zu überblicken. Wenngleich dies festzustellen in der Regel keine größeren Schwierigkeiten bereiten dürfte, wird es sicherlich auch Fälle geben, in denen ein entsprechender äußerer Schein trügt. Insofern erscheint auch die Vorschrift im GesG überzeugend, wonach zusätzlich zum Behandelnden zwei Ärzte hinzuzuziehen sind, von denen der eine dem Fachgebiet angehört, in das die unheilbare Krankheit fällt, und der andere ein Psychiater ist. Angesichts der existenziellen und irreversiblen Auswirkungen seines Behandlungsvetos wird der Patient damit nicht über Gebühr belastet. Die im GesG ebenfalls vorgeschriebene neuerliche Kundgabe des Behandlungsvetos am dritten Tage nach der ärztlichen Untersuchung erscheint dagegen

156 Vgl. Saliger, KritV 1998, 118 (149), der die private Entscheidungszuständigkeit des einwilligungsfähigen Patienten freilich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitet. 157 Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (148). 158 Siehe Saliger, KritV 1998, 118 (149 f.); ders., ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (148), dem zufolge zusätzlich daran gedacht werden könnte, die Dokumentation in Anwesenheit eines Angehörigen des Patienten vorzunehmen. 159 Vgl. Saliger, KritV 1998, 118 (150). Genau genommen ist das Vorliegen einer unheilbaren Erkrankung allerdings keine Voraussetzung im Rechtssinne, weil ein Behandlungsveto unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Patienten beachtet werden muss, wie dies § 1901a Abs. 3 BGB für den einwilligungsunfähigen Patienten nunmehr ausdrücklich klarstellt. Dies gilt a fortiori für den einwilligungsfähigen Patienten. 160 Insoweit gilt es die oben wiedergegebene Aussage von Saliger, ARSP-Beiheft 75 (2000), 101 (148) dahingehend zu präzisieren, dass die prozedurale Intervention schon dann „weicher“ als bei (offenkundig) einwilligungsunfähigen Patienten sein muss, wenn sich der Patient prima vista selbst schützen kann, weil das Verfahren auch der Prüfung dient, ob der Grundrechtsträger über diese Selbstschutzmöglichkeiten verfügt.

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

grenzwertig. Wurden die Voraussetzungen für passive Sterbehilfe im Rahmen des beschriebenen Verfahrens festgestellt und dokumentiert, so besteht für die Einräumung einer derartigen Karenzzeit kein Grund. Vielmehr dürfte die Entscheidung für den Behandlungsverzicht typischerweise über einen längeren Zeitraum gereift und deshalb wohlüberlegt sein. Dass der Patient sein Behandlungsveto bis zum Todeseintritt jederzeit widerrufen kann und dann die lebenserhaltenden Maßnahmen – vorbehaltlich ihrer medizinischen Indikation – unverzüglich (wieder) aufzunehmen sind, versteht sich von selbst. Unzulässig ist hingegen die Regelung im GesG, wonach im Rahmen der Untersuchung versucht werden muss, den Patienten in einem persönlichen Gespräch zur Offenlegung seiner Motive und zur Rücknahme seines Behandlungsvetos zu bewegen. Sie ist Ausdruck einer grundlegenden Verkennung von Inhalt und Reichweite der staatlichen Lebensschutzpflicht. Bei dieser geht es zunächst einmal nur darum, unfreiwillige Lebensverkürzungen inter privatos zu verbieten, um nicht gegen das Untermaßverbot zu verstoßen. Eine darüber hinausgehende Untersagung auch freiwilliger Lebensverkürzungen (durch ärztliches Unterlassen) stellt aber zugleich einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar, das auch ein subjektives Recht auf Ablehnung lebensverlängernder und gesundheitserhaltender Maßnahmen gewährt. Unabhängig davon, ob man die Unterscheidung zwischen aktivem Töten und passivem Sterbenlassen für rechtlich und ethisch begründbar hält, kann zumindest Letzteres nicht grundsätzlich verboten werden, weil das grundrechtlich verbriefte Lebensrecht ansonsten in eine Lebenspflicht umgedeutet würde. Aufgabe des Staates kann in diesem Fall lediglich Gewährleistung und Schutz der (Sterbens-) Autonomie des Patienten sein. Entsprechend ist dann das Verfahren als (ein) Mittel des Gesetzgebers zur Erfüllung dieses Auftrags zu strukturieren. Ungeachtet dessen konkreter Ausgestaltung kann jedenfalls gesagt werden, dass sich Regelungen, die wie die hier in Rede stehende als eine Art Gegengewicht zur Ausübung bzw. Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten konzipiert sind, von vornherein verbieten.161

II. Regelungsvorschläge für das deutsche Recht Diese Überlegungen sollen nun in punktuelle Gesetzgebungsvorschläge münden. Angeregt wird zunächst eine Ergänzung von § 630d BGB um einen Absatz (Abs. 4) mit folgendem Wortlaut: „Die Wirksamkeit der Nichteinwilligung oder des Widerrufs der Einwilligung in lebenserhaltende oder lebensrettende ärztliche Eingriffe setzt voraus, dass der Patient vor der Nichteinwilligung oder dem Widerruf der Einwilligung von einer dreigliedrigen Ärztekommission untersucht worden ist, die ihn über Art, Stadium und Prognose 161 Siehe dazu auch schon die Stellungnahme zum Sterbehilfeurteil des VerfG oben Zweiter Teil D. II. 5.

C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge

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seiner Erkrankung sowie die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung aufklärt. Mitglieder der Ärztekommission sind der behandelnde Arzt des Patienten, ein Arzt des Fachgebiets, in das die Erkrankung des Patienten fällt, und ein Psychiater.“

Hinsichtlich der systematischen Verortung der Vorschrift sei nur so viel gesagt, dass eine Verankerung im Betreuungsrecht, innerhalb der §§ 1901a ff. BGB, von vornherein nicht in Betracht kommt, weil es hier um die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung bei einwilligungsfähigen, nicht bei einwilligungsunfähigen Patienten geht. Richtiger Ort hierfür sind die §§ 630a–630h, die erst mit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes am 26. Februar 2013 in das BGB eingefügt wurden und die bis zu diesem Zeitpunkt lediglich in Form von Richterrecht bestehenden Patientenrechte auf eine gesetzliche Grundlage gestellt haben. § 630d BGB regelt die aufgeklärte Einwilligung des Patienten als Grundvoraussetzung einer jeden medizinischen Maßnahme, wobei die Aufklärungspflicht des Arztes und ihre inhaltliche Präzisierung nunmehr in § 630e BGB niedergelegt sind. Zwar geht es bei der hier angeregten Neuregelung nicht um die Einwilligung in medizinische Maßnahmen, sondern um die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung, d. h. das genaue Gegenteil. Doch ist es gerade der Umstand, dass beide die Kehrseite ein und derselben Medaille – (der Ausübung) des Selbstbestimmungsrechts des Patienten – sind, der eine Platzierung innerhalb dieser Vorschrift nahelegt. Zur Begründung des Gesetzesvorschlags kann sonst weitestgehend auf obige Ausführungen verwiesen werden. Ergänzend seien lediglich drei Dinge angemerkt: Da es nach § 630d Abs. 1 BGB für die Wirksamkeit der Einwilligung nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die Einwilligungsfähigkeit des Patienten ankommt, gilt Gleiches selbstverständlich auch für die Nichteinwilligung bzw. den Widerruf der Einwilligung. Darüber hinaus bezieht sich die Norm nicht nur auf die Fälle einer passiven Sterbehilfe, weil die Patientenautonomie uneingeschränkt, d. h. auch dann gilt, wenn der Patient „nur“ schwer, aber nicht unheilbar erkrankt ist und etwa auf operativem Wege geheilt werden könnte (z. B. durch eine Nierentransplantation bei chronischer Niereninsuffizienz). In diesen Fällen besteht ein gleichermaßen starkes, wenn nicht gar noch stärkeres Bedürfnis nach einem Grundrechts- bzw. hier: Autonomieschutz durch Verfahren. Schließlich konnte auf eine Festschreibung von Dokumentationspflichten verzichtet werden, weil § 630f BGB den Arzt nunmehr ausdrücklich zur Führung einer Patientenakte und der ausführlichen Dokumentation aller behandlungsrelevanten Fakten verpflichtet. Nicht verschwiegen werden soll, dass dieser Gesetzesvorschlag, so er denn umgesetzt würde, in einem gewissen Widerspruch zu § 1901a BGB stünde, weil eine Patientenverfügung, die die Ablehnung einer ärztlichen Maßnahme zum Gegenstand hat, auch ohne ärztliche Beratung und Aufklärung wirksam ist.162 Die162 Dagegen ist eine Patientenverfügung, die die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme zum Gegenstand hat, grds. nur dann wirksam, wenn der Verfügende zuvor ärztlich aufgeklärt wurde, es sei denn, er hat auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet

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3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

ser Widerspruch sollte nun allerdings nicht dadurch behoben werden, dass man auch beim einwilligungsfähigen Patienten in der akuten Behandlungssituation auf das hier vorgeschlagene Untersuchungserfordernis verzichtet, weil nach dem oben Gesagten bei dieser Patientengruppe ebenfalls ein grundsätzliches Bedürfnis nach einem Grundrechts- bzw. Autonomieschutz durch Verfahren besteht. Geboten wäre vielmehr eine entsprechende Änderung von § 1901a Abs. 1 BGB durch den Gesetzgeber, die allerdings wenig wahrscheinlich ist, hat dieser auf das Aufklärungserfordernis doch bewusst verzichtet.163 Gleichwohl sei hier ein entsprechender Vorschlag für eine Neufassung der Vorschrift unterbreitet. § 1901a Abs. 1 BGB könnte in Zukunft lauten: „Ein einwilligungsfähiger Volljähriger kann für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegen, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung). Hat eine solche Festlegung die Untersagung einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs zum Gegenstand, und besteht die begründete Gefahr, dass der Betroffene bei ihrer Befolgung stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet, so ist sie nur dann verbindlich, wenn sie zugleich die Bestätigung eines Arztes enthält, den Betroffenen über die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung aufgeklärt zu haben. Der Betreuer prüft, ob die in einer Patientenverfügung getroffenen Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Der einwilligungsfähige Volljährige kann die Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen.“

Durch eine solche Änderung von § 1901a Abs. 1 BGB würde die Patientenverfügung zu einem „Mittel der notwendigen Kommunikation“ zwischen Arzt und (künftigem) Patient und wäre die „sachlich gebotene Kongruenz“ zwischen antizipativer und aktuell-situativer (Nicht-)Einwilligung hergestellt.164 Mit Blick auf die herausragende Bedeutung der Aufklärung für die Patientenautonomie ist es nicht angängig, gerade bei antizipierten Entscheidungen über Leben und Tod eine Ausnahme von diesem Erfordernis zu machen; dies gilt auch für ein Behandlungsveto, dessen Wirksamkeit zwar auch sonst nicht aufklärungsabhängig ist, das aber gleichwohl Aufklärungs- und Belehrungspflichten des Arztes auslöst.165 Durch die Klarstellung in § 1901a Abs. 1 Satz 5 BGB, dass der Widerruf und dies in der Patientenverfügung fixiert. Fehlt ein ausdrücklicher Aufklärungsverzicht, so ist die Patientenverfügung laut der Begründung zum 3. BtÄndG nur ein Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten; siehe BT-Drs. 16/8442, 14. 163 Vgl. BT-Drs. 16/8442, 14. Mit Recht krit. zur fehlenden Aufklärungspflicht Höfling, NJW 2009, 2849 (2852); Müller, DNotZ 2010, 169 (181 mit Fn. 52); Olzen, JR 2009, 354 (357). 164 Vgl. – freilich vor Inkrafttreten des 3. BtÄndG – Taupitz, Gutachten 63. DJT (2000), A 113 f., der sich dabei auf die Wertung von § 1904 BGB a. F. beruft. 165 Taupitz, Gutachten 63. DJT (2000), A 112 f. Zu diesen Aufklärungs- und Belehrungspflichten siehe ders., a. a. O., A 111, wonach der Arzt den eine medizinisch indi-

C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge

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einer Patientenverfügung die Einwilligungsfähigkeit ihres Verfassers voraussetzt, wird schließlich auch der in dieser Arbeit für wenig überzeugend befundenen Auffassung eine Absage erteilt, der zufolge ein (konkludenter) Widerruf auch auf „kreatürliche Anzeichen von Lebenswillen“ gestützt werden kann.166

III. Regelungsvorschläge für das ungarische Recht Obige Kritik kann freilich nicht nur für das deutsche, sondern auch und gerade für das ungarische Recht fruchtbar gemacht werden. Empfehlenswert wäre zunächst eine Aufhebung von § 20 Abs. 3 GesG, da die in dieser Vorschrift enthaltene tatsächliche Voraussetzung für einen Behandlungsverzicht am Lebensende – eine Erkrankung, die innerhalb kurzer Zeit zum Tode führt – die verfassungsrechtlich gewährleistete Patientenautonomie missachtet. An den Verfahrenselementen in § 20 Abs. 4–8 GesG gilt es angesichts der Vorzüge der Prozeduralisierungsidee hingegen festzuhalten, wenngleich auch hier einige Änderungen geboten sind. Diese betreffen zunächst das in § 20 Abs. 4 GesG geregelte Erfordernis, die Erklärung zum Behandlungsverzicht am dritten Tage nach der Untersuchung durch die Ärztekommission bzw. deren Bestätigung, dass die Voraussetzungen für einen Behandlungsverzicht erfüllt sind, vor zwei Zeugen zu wiederholen. Für eine derartige Regelung besteht – wie oben ausgeführt – keine Veranlassung, da nach der Untersuchung an der Einwilligungs- bzw. Geschäftsfähigkeit des Patienten nicht mehr zu zweifeln ist und dieser seine Erklärung bis zum Todeseintritt jederzeit widerrufen kann. Im Kontext des § 20 Abs. 4 GesG muss zudem noch darauf hingewiesen werden, dass sich mit der Aufhebung von § 20 Abs. 3 GesG auch der Gegenstand und der Bezugspunkt der ärztlichen Untersuchung ändern: Bei ihr geht es nun nicht mehr darum, das Vorliegen einer in Kürze zum Tode führenden Erkrankung als Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit eines Behandlungsverzichts festzustellen; verifiziert werden muss lediglich das Vorliegen einer unheilbaren Erkrankung, und dies allein mit dem Zweck der Verobjektivierung der Entscheidungsgrundlage des Patienten. Geboten ist daneben die Aufhebung von § 20 Abs. 6 GesG, wonach ein Behandlungsverzicht am Lebensende der Schwangeren nicht gestattet ist, die ihr

zierte Maßnahme ablehnenden Patienten auf die Notwendigkeit der Behandlung sowie auf die Gefahren einer Nichtbehandlung hinweisen muss. Nach Taupitz, a. a. O., A 112 kommt in diesen Fällen auch kein – nach allgemeinen Grundsätzen möglicher – Aufklärungsverzicht in Betracht, weil dieser nicht formularmäßig i. d. S. erklärt werden könne, dass die Kenntnis des Verfassers hinsichtlich der Konturen des Verzichtgegenstands erkennbar sei. Bedenken bestünden hier v. a. mit Blick auf die willkürlich erscheinende Verwendung der sehr unterschiedlich konzipierten, regelmäßig noch nicht einmal selektive Entscheidungen ermöglichenden (Patientenverfügungs-)Formulare; hier werde nicht hinreichend deutlich, ob die Auswahl mit Blick auf den konkreten Inhalt erfolgt sei. 166 Siehe oben Erster Teil B. II. 3. b) bb) (1) (c).

366

3. Teil: Rechtsvergleichende Betrachtung

Kind voraussichtlich zur Welt bringen kann. Sie ist mit der geltenden Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch nicht zu vereinbaren.167 Änderungsbedarf besteht schließlich auch in Hinblick auf § 20 Abs. 7 GesG. Es wurde bereits dargelegt, dass in dieser Vorschrift ein fehlerhaftes Verständnis des Gesetzgebers von Inhalt und Reichweite seiner Lebensschutzpflicht zum Ausdruck kommt, wenn der Arzt dazu angehalten wird, im Fall eines Behandlungsverzichts am Lebensende die Motive des Patienten für seine Entscheidung zu ergründen und ihn zur Rücknahme zu bewegen. In Erfüllung seiner Schutzpflicht für das menschliche Leben darf der Staat keine Gegengewichte zur Patientenautonomie schaffen; es kann für ihn in diesem Bereich lediglich darum gehen, die Defektfreiheit der Willensbetätigung durch die Implementierung prozeduraler Mechanismen sicherzustellen.168 Nicht beanstandet werden kann hingegen die Vorgabe in § 20 Abs. 7 Satz 2 GesG, wonach der Patient im Fall eines Behandlungsverzichts am Lebensende über die reguläre Aufklärung nach § 13 GesG hinaus noch einmal auf die Konsequenzen hinzuweisen ist, die das Ausbleiben des lebenserhaltenden oder lebensrettenden Eingriffs nach sich zieht. Unter Berücksichtigung dieser Vorschläge würde das Regelungsregime zum Behandlungsverzicht am Lebensende in § 20 GesG lauten: „(3) Der Verzicht auf lebenserhaltende oder lebensrettende Maßnahmen ist nur dann wirksam, wenn dabei die Formvorschriften nach Abs. 2 gewahrt werden und sich der Patient von einer dreigliedrigen Ärztekommission untersuchen lässt, die ihn über Art, Stadium und Prognose seiner Erkrankung sowie die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung aufklärt. Sollte sich der Patient dieser Untersuchung verweigern, darf seine Erklärung nicht berücksichtigt werden. (4) Mitglieder der Kommission nach Abs. 3 sind der behandelnde Arzt des Patienten, ein Arzt des Fachgebiets, in das die Erkrankung des Patienten fällt, und ein Psychiater. (5) Im Rahmen der Untersuchung nach Abs. 3 ist der Patient über die reguläre Aufklärung nach § 13 GesG hinaus noch einmal auf die Konsequenzen hinzuweisen, die das Ausbleiben des Eingriffs nach sich zieht. Dieses Erfordernis gilt auch für einen Behandlungsverzicht nach Abs. 2. (6) Der Patient kann sein Behandlungsveto jederzeit formlos widerrufen.“ 169

167 Siehe dazu Karsai/Szomora/Csúri, in: Karsai (Hrsg.), Strafrechtlicher Lebensschutz in Ungarn und in Deutschland (2008), 47 (92) u. Szente, Fundamentum 3–4/ 2003, 91 (97). 168 Siehe oben Zweiter Teil D. II. 5. sowie Dritter Teil C. I. 169 Zur Erinnerung: § 20 Abs. 2 GesG regelt die hier als „qualifizierter Behandlungsverzicht“ bezeichnete Ablehnung medizinischer Eingriffe mit der Gefahr schwerer oder bleibender (Gesundheits-)Schäden. Ein derartiger Behandlungsverzicht bedarf zur Wirksamkeit der Fixierung in einer öffentlichen Urkunde oder einer Privaturkunde mit voller Beweiskraft; im Fall von Schreibunfähigkeit kann die Erklärung hilfsweise auch mündlich vor zwei Zeugen erfolgen.

C. Rechtspolitische Regelungsvorschläge

367

Durch diese Neukonzeption würde auch der in dieser Arbeit kritisierte Missstand behoben, dass das GesG in seiner gegenwärtigen Fassung Patientenverfügungen sowie der Erklärung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters auch schon vor Eintritt in die Terminalphase Wirksamkeit zuerkennt und ihnen damit eine größere Reichweite zubilligt als dem Behandlungsverzicht des aktuell geschäftsfähigen Patienten, dessen Wirksamkeit einen Todeseintritt in kurzer Zeit voraussetzt.170 Insofern gälte es freilich auch noch § 22 Abs. 1 lit. c GesG171 zu streichen, der durch vorliegenden Gesetzgebungsvorschlag obsolet würde. § 22 Abs. 1 GesG hätte dann folgenden Wortlaut: „Eine geschäftsfähige Person kann – für den Fall späterer Geschäftsunfähigkeit – in einer öffentlichen Urkunde a) auf einzelne Untersuchungen und Eingriffe im Sinne von § 20 Abs. 1 sowie b) auf Eingriffe im Sinne von § 20 Abs. 3 verzichten.“

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass mit den hier angeregten Änderungen in erster Linie nur die drängendsten Probleme in Bezug auf den (Behandlungsverzicht beim) aktuell geschäftsfähigen Patienten gelöst würden. Wie in dieser Arbeit ausführlich dargelegt, weist das ungarische Sterbehilferecht jedoch auch hinsichtlich beschränkt geschäftsfähiger und geschäftsunfähiger Patienten gravierende Mängel auf. Dabei handelt es sich freilich weniger um prozedural-sterbehilfespezifische als vielmehr um ganz grundsätzliche Fragen der Entscheidungshoheit im Verhältnis zwischen Arzt und Patient, die das GesG zugunsten des Ersteren beantwortet.

170 Siehe oben Zweiter Teil C. IV. 2. c). Das Vorsorgeinstrument des besonderen gewillkürten Patientenvertreters wäre damit der Sache nach überflüssig, weil der gewillkürte Patientenvertreter über die gleichen Entscheidungskompetenzen verfügen würde. 171 Pro memoria: Die Vorschrift gestattet einen Verzicht auf einzelne lebenserhaltende u. lebensrettende Eingriffe für den Fall, dass der Patient unheilbar erkrankt und infolgedessen außerstande ist, sich selbst zu versorgen bzw. seine Schmerzen auch mit entsprechender Behandlung nicht mehr gelindert werden können.

Schlussbetrachtung Die vorliegende Untersuchung dürfte mit Blick auf Deutschland gezeigt haben, dass die Beurteilung der Sterbehilfe mit Fug und Recht als eines der, um die eingangs zitierten Worte von Roxin noch einmal aufzugreifen, „schwierigsten Probleme des Strafrechts“ bezeichnet werden kann, weil die §§ 211 ff. StGB nicht auf solche Sachverhalte zugeschnitten sind und § 216 StGB nur einen Teilaspekt der Problematik erfasst, existenzielle Entscheidungen am Lebensende ohnehin nur schwer normiert werden können und weil die Sterbehilfe nicht nur das Betätigungsfeld der Strafrechtswissenschaft ist, sondern durch zahlreiche weltanschauliche wie auch ideologische Grundannahmen verkompliziert wird.1 Der Blick über die Landesgrenzen nach Ungarn hat die naheliegende Vermutung bestätigt, dass sich freilich auch andere Staaten mit angemessenen und allseits akzeptierten Lösungen schwertun. Der „ungarische Weg“ in Form der abschließenden rechtlichen Ausgestaltung des Arzt-Patient-Verhältnisses in einem gesonderten Gesetz sorgt zwar für einen vergleichsweise hohen Grad an Rechtssicherheit – mehr aber auch nicht. Die tendenziell autonomiefeindliche Haltung des ungarischen Gesetzgebers mag mit der sozialistischen Vergangenheit des Landes erklärbar sein, doch kann dies mehr als zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr als Entschuldigung herhalten. Umso bedauerlicher ist es, dass das VerfG dem Gesetzgeber mit seinem Urteil im Jahr 2003 die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der geltenden Rechtslage bescheinigt und damit für eine vorläufige Zementierung der rechtlichen Verhältnisse gesorgt hat. Nach alledem sollte eines klar geworden sein: Eine „Ideallösung“ für diese weitläufige und facettenreiche Problematik gibt es nicht. Es gibt nur „bessere“ und „schlechtere Lösungen“. „Besser“ ist eine Lösung in dem hier verstandenen Sinne dann, wenn sie der Autonomie des Einzelnen im weitestmöglichen Umfang Geltung einräumt, der Gesetzgeber aber zugleich sicherstellt, dass Autonomie auch wirklich Autonomie bedeutet. Der Prozeduralisierungsgedanke wurde in dieser Arbeit als ein probates Mittel identifiziert, um diesem Postulat so gut wie möglich gerecht zu werden. Mit der Statuierung eines Verfahrens auch bei einem Behandlungsveto einwilligungsfähiger (voll geschäftsfähiger) Patienten konnte dem ungarischen Recht zumindest in dieser Hinsicht etwas abgewonnen werden.

1 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts (2010), 75 (83 f.).

Schlussbetrachtung

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Ob der deutsche Gesetzgeber den Weg der Prozeduralisierung in Zukunft weiter beschreitet oder aber meint, mit der Verabschiedung des 3. BtÄndG seine Schuldigkeit getan zu haben und sich nunmehr zurücklehnen zu können, wird die Zukunft zeigen.

Ergebnisse/Thesen 1.

In Deutschland ist nach wie vor zwischen „(aktiver) indirekter“ und „aktiver (direkter) Sterbehilfe“, „passiver Sterbehilfe“, „reiner Sterbehilfe“ und „Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung“ zu unterscheiden.

2.

Die indirekte Sterbehilfe als Verabreichung schmerzlindernder Medikamente mit der unbeabsichtigten Nebenfolge der Lebensverkürzung ist straflos, sofern der Patient ausdrücklich in die Medikamentengabe einwilligt, diese in einer Patientenverfügung eingefordert wird oder von einem entsprechenden mutmaßlichen Willen auszugehen ist.

3.

Unter den konkurrierenden Begründungen für dieses Ergebnis erweist sich das Notstandsmodell als vorzugswürdig, weil es als einziges die Straflosigkeit indirekter Sterbehilfe als Resultat eines komplexen Abwägungsvorgangs zwischen dem Schmerzlinderungsinteresse des Patienten auf der einen und seinem Lebens(verlängerungs)interesse bzw. dem Interesse der Allgemeinheit an der Unverbrüchlichkeit des Tötungstabus auf der anderen Seite präsentiert.

4.

Indirekte Sterbehilfe ist nicht nur zur Linderung schwerer Schmerz-, sondern auch zur Bekämpfung sonstiger Leidenszustände zulässig. Eine bei fehlendem Einvernehmen zwischen Betreuer und Arzt grundsätzlich erforderliche Genehmigung der Medikamentengabe durch das Betreuungsgericht dürfte regelmäßig mit Blick auf ihre Unaufschiebbarkeit entbehrlich sein. Eine Beschränkung der Zulässigkeit auf sterbende Patienten ist ebenso abzulehnen wie eine Beschränkung auf Fälle nur möglicher Lebensverkürzung. Das gegen eine Einbeziehung von dolus directus 2. Grades üblicherweise vorgebrachte Argument drohender Abgrenzungsschwierigkeiten zur verbotenen aktiven (direkten) Sterbehilfe i. S. einer aktiv-gezielten Tötung des Patienten vermag nicht zu überzeugen, weil das „Absichtsverbot“ im Gesetz keine Stütze findet.

5.

Da das „Absichtsverbot“ bei der Verabreichung schmerzlindernder Medikamente mit (dem Risiko einer) Lebensverkürzung strafrechtsdogmatisch nicht begründbar ist, ist auch die aktive (direkte) Sterbehilfe entgegen der ganz h. M. jedenfalls dann wegen Notstands gerechtfertigt, wenn sie äußerlich keine Unterschiede zur (aktiven) indirekten Sterbehilfe aufweist. Bei darüber hinausgehenden aktiv-gezielten Tötungen ist eine Rechtfertigung ebenfalls möglich, wenn der Patient zu einer Selbsttötung physisch nicht in der Lage ist und er die Lebensbeendigung ausdrücklich verlangt oder zumindest in

Ergebnisse/Thesen

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diese einwilligt. Auch bei einwilligungsunfähigen Patienten kann aktive (direkte) Sterbehilfe jedenfalls dann wegen § 34 StGB straflos sein, wenn sie den Festlegungen in einer Patientenverfügung entspricht. 6.

Der als „passive Sterbehilfe“ bezeichnete Verzicht auf die Einleitung bzw. Fortführung lebenserhaltender oder lebensrettender Maßnahmen ist grundsätzlich straflos, wobei dies zunächst auf grundrechtliche Wertungen, namentlich die verfassungsrechtlich verankerte Patientenautonomie gestützt werden kann. Die Patientenautonomie kann sich auf drei verschiedene Arten manifestieren, je nachdem ob der Patient (aktuell) einwilligungsfähig oder einwilligungsunfähig ist.

7.

Die Willensäußerung des (aktuell) einwilligungsfähigen Patienten ist die valideste Manifestationsform der Patientenautonomie. Sein Behandlungsveto bewirkt strafrechtsdogmatisch den Wegfall der auf Tatbestandsebene zu verortenden Garantenstellung des Arztes.

8.

Dieser Grundsatz beansprucht entgegen der neuesten Rechtsprechung des BGH im „Fuldaer Fall“ auch dann noch Geltung, wenn die Respektierung des Patientenwillens eine körperliche Aktivität erfordert. Das Abstellen lebenserhaltender Apparaturen stellt sich jedenfalls bei einem Arzt in normativ-wertender Betrachtung als ein Unterlassen weiterer Behandlung dar. Die vom BGH postulierte Abkehr von dieser Lösung hin zu einer rein äußerlichen Betrachtung überzeugt nicht, weil mit dem betreuungsrechtsgestützten Einwilligungsmodell kein strafrechtsdogmatisch adäquater Ersatz offeriert wird. Der von einem Dritten bewirkte technische Behandlungsabbruch ist ein positives Tun, das allerdings wegen Notstands gerechtfertigt sein kann, weil das Interesse des Patienten an einem natürlichen, behandlungsfreien Sterben sein (Weiter-)Lebensinteresse und das Normstabilisierungsinteresse der Allgemeinheit (wesentlich) überwiegt.

9.

Beim (aktuell) einwilligungsunfähigen Patienten ist passive Sterbehilfe aufgrund entsprechender Festlegungen in einer Patientenverfügung oder subsidiär aufgrund seines mutmaßlichen Willens zulässig. Die Verankerung beider Rechtsinstitute durch das 3. BtÄndG hat zu einer erfreulichen Stärkung der Patientenautonomie geführt, gleichzeitig aber offene Fragen unbeantwortet gelassen und neue Probleme kreiert.

10. Mit Blick auf die Patientenverfügung ist insbesondere festzuhalten, dass ihr Widerruf die Einwilligungsfähigkeit des Verfügenden erfordert und sie bei hinreichend präziser Formulierung auch autonom durch den Arzt umgesetzt werden kann. Im Bereich des mutmaßlichen Willens ist ein Abstellen auf „allgemeine Wertvorstellungen“ nach wie vor zulässig, wobei nicht der Behandlungsabbruch, sondern die Einleitung bzw. Fortführung der Behandlung der mutmaßlichen Einwilligung des Patienten bedarf. Für die künstliche Ernährung gilt insoweit nichts anderes, sodass es auch zulässig ist, jemand auf-

372

Ergebnisse/Thesen

grund einer entsprechenden Patientenverfügung oder eines mutmaßlichen Behandlungsvetos „verhungern zu lassen“. 11. Indem der Gesetzgeber dem Verfahren zur Ermittlung und Umsetzung des in einer Patientenverfügung konservierten bzw. mutmaßlichen Willens die Stellung der medizinischen Indikation durch den Arzt vorgeschaltet hat, wurde das Problem des „übermäßigen Lebensverlängerungsanspruchs“ entschärft. 12. Die Nichteinhaltung des betreuungsrechtlichen Prozederes vermag bei Kongruenz des Behandlungsverzichts mit dem in einer Patientenverfügung festgelegten bzw. mutmaßlichen Willen die Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts entgegen der jüngsten Rechtsprechung des BGH im „Kölner Fall“ nicht zu begründen, weil die §§ 1901a ff. BGB lediglich die Ermittlung des Patientenwillens als materielle Zulässigkeitsvoraussetzung passiver Sterbehilfe ergänzen und unterstützen sollen. 13. Von Straflosigkeit ist auch im Fall der reinen Sterbehilfe, d. h. der Verabreichung schmerz- und leidenslindernder Medikamente ohne Lebensverkürzungsrisiko auszugehen. Da mit der Rechtsprechung – und entgegen der h. L. – auch ein lege artis ausgeführter Heileingriff den Tatbestand einer Körperverletzung verwirklicht, ist Voraussetzung auch hier, dass der Patient ausdrücklich in die Medikamentengabe einwilligt, diese in einer Patientenverfügung eingefordert wird oder von einem entsprechenden mutmaßlichen Willen auszugehen ist. Die entgegen dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten unterlassene Schmerzlinderung ist als Körperverletzung durch Unterlassen bzw. unterlassene Hilfeleistung strafbar. 14. Zulässig ist auch eine Sterbehilfe, die als Beihilfe zur freiverantwortlichen Selbsttötung des unheilbar kranken Patienten geleistet wird. Da der Suizid straflos ist, kann die Teilnahme daran schon aus Akzessorietätsgründen nicht strafbar sein, wobei dieses formale Argument in materieller Hinsicht mit dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip abzustützen ist, das die objektive Zurechenbarkeit der Todesfolge ausschließt, wenn der Lebensmüde die Entscheidung für den Tod fehlerfrei getroffen und selbst über sein Leben verfügt hat. 15. Die auf dieser Grundlage vorzunehmende „innere Abgrenzung“ zwischen strafbarem Totschlag (oder Mord) in mittelbarer Täterschaft und strafloser Suizidteilnahme ist an das Merkmal der Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung geknüpft, welche sich entgegen einem Teil der Lehre nicht nach den (entsprechend anzuwendenden) Exkulpationsvorschriften, sondern nach den Regeln bestimmt, die für eine wirksame Einwilligung bzw. für ein „ernstliches Verlangen“ i. S. d. § 216 StGB vorausgesetzt werden. 16. Für die spiegelbildliche „äußere Abgrenzung“ zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Suizidteilnahme ist mit der h. L. und entgegen

Ergebnisse/Thesen

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der strikt auf die strafrechtliche Teilnahmelehre abstellenden Rechtsprechung danach zu fragen, ob der Lebensmüde oder der Dritte die Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt („point of no return“) ausübt. 17. Die gesetzgeberische Entscheidung, die Mitwirkung bei der Selbsttötung straflos zu stellen, kann auch nicht durch die Konstruktion eines „Tatherrschaftswechsels“ oder die rechtliche Einordnung einer freiverantwortlichen Selbsttötung als „Unglücksfall“ i. S. v. § 323c StGB unterlaufen werden. Letzteres verbietet sich aus sprachlichen und systematischen Gründen, während eine Strafbarkeit wegen eines durch Unterlassen begangenen Tötungsdelikts nur dann in Betracht kommt, wenn der Dritte auch erfolgsabwendungspflichtig i. S. v. § 13 Abs. 1 StGB war. Ein nach Einwilligungsmaßstäben defektfreier Suizid(-versuch) führt jedoch zum Wegfall der Garantenstellung des Arztes (und sonstiger Personen). 18. Das in verfassungsrechtlicher Hinsicht vorrangig zu erörternde Verbot aktiver (direkter) Sterbehilfe auch bei einem Verlangen des unheilbar kranken Patienten (§ 216 StGB) ist ebenso geboten wie seine Durchbrechung in Extremfällen. Die seit der „Pflichtexemplar-Entscheidung“ des BVerfG anerkannte Figur des grundrechtsgebotenen Dispenses gebietet eine Ausnahme in Fällen, in denen eine unter abstrakt-generellen Gesichtspunkten verfassungsrechtlich gerechtfertigte bzw. gebotene Grundrechtsbeeinträchtigung unter besonderen tatsächlichen Voraussetzungen unverhältnismäßig erscheint. 19. Auch in Ungarn wird zwischen „aktiver“, „indirekter“ und „passiver Sterbehilfe“ sowie „Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung“ unterschieden. Als „Sterbehilfe“ werden jedoch nur ärztliche Verhaltensweisen bezeichnet. Daneben findet die in Deutschland „reine Sterbehilfe“ genannte Verabreichung von Analgetika ohne Lebensverkürzungsrisiko in Ungarn keine Entsprechung, weil der Sterbehilfebegriff nach dortigem Verständnis nur lebensverkürzende Verhaltensweisen umfasst. 20. Die Gabe schmerzlindernder Medikamente mit der unbeabsichtigten Nebenfolge der Lebensverkürzung ist als „indirekte Sterbehilfe“ – auf die Verwendung dieses Begriffs wird mitunter verzichtet – auch nach ungarischem Recht straflos, wobei die Begründung für dieses Ergebnis ebenfalls umstritten ist. 21. Unter den konkurrierenden Begründungsmodellen erweisen sich sowohl die Lösung über den rechtfertigenden Notstand als auch eine Rechtfertigung aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung im GesG als dogmatisch tragfähig; erstere wird jedoch durch letztere verdrängt, weil das GesG die im ArztPatient-Verhältnis zulässigen Verhaltensweisen abschließend regelt und die dortigen Wertungen des Gesetzgebers nicht durch Rückgriff auf einen allgemeinen strafrechtlichen Erlaubnissatz unterlaufen werden dürfen.

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Ergebnisse/Thesen

22. Wie in Deutschland ist indirekte Sterbehilfe auch in Ungarn nicht nur zur Linderung schwerer Schmerz-, sondern auch zur Bekämpfung sonstiger Leidenszustände zulässig und nicht auf den eigentlichen Sterbevorgang beschränkt. Die Fälle feststehender Lebensverkürzung sind hingegen aus ihrem Anwendungsbereich herauszunehmen, weil das GesG eine Medikamentengabe nur so lange gestattet, wie sie mit dem Risiko der Todesherbeiführung einhergeht. 23. Da das GesG bei der indirekten Sterbehilfe nicht nach der Vorsatzform differenziert, ist eine aktive Sterbehilfe als gezielte Tötung des Patienten entgegen der ganz h. M. jedenfalls dann zulässig, wenn sie sich äußerlich als medizinisch indizierte Medikamentengabe darstellt und insoweit der indirekten Sterbehilfe entspricht. Darüber hinausgehende Tötungen sind im klinischen Kontext mangels entsprechender Ermächtigung im GesG nicht gestattet. Lediglich in außerklinischen Extremfällen ist an eine Notstandsrechtfertigung zu denken, wenn der Leidende seine Tötung ausdrücklich verlangt oder in diese zumindest einwilligt. Die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung wird von der ungarischen Lehre nicht anerkannt. 24. Der als „passive Sterbehilfe“ bezeichnete Verzicht auf die Einleitung oder die Fortführung lebenserhaltender oder lebensrettender Maßnahmen hat im GesG eine ausführliche Regelung erfahren. Als Grundvoraussetzung kommt ein Behandlungsverzicht nur dann in Betracht, wenn die Erkrankung auch bei entsprechender medizinischer Versorgung innerhalb kurzer Zeit zum Tode führt. Im Übrigen gilt es danach zu differenzieren, ob der Patient geschäftsfähig oder beschränkt geschäftsfähig/geschäftsunfähig ist. 25. Bei geschäftsfähigen Patienten setzt die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe die Untersuchung durch eine dreigliedrige Ärztekommission voraus, die neben dem Vorliegen oben genannter Grundvoraussetzung auch feststellen muss, ob der Patient seine Entscheidung in Kenntnis ihrer Folgen getroffen hat. Dieses Regelungsregime wirft gravierende Probleme auf, weil daraus im Umkehrschluss eine Zwangsbehandlungspflicht und ein damit korrespondierendes Zwangsbehandlungsrecht bei Nichtvorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Behandlungsverzichts folgt. 26. Bei geschäftsunfähigen Patienten setzt die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe grundsätzlich eine entsprechende Erklärung des gewillkürten Patientenvertreters oder hilfsweise eines gesetzlichen Patientenvertreters voraus. Im Fall des beschränkt geschäftsfähigen Patienten kann die Erklärung entweder ein gewillkürter Patientenvertreter oder der Patient selbst abgeben, wobei Letzterer für die Wirksamkeit seiner Erklärung der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters bedarf. Bei beiden Patientengruppen ist die gerichtliche Überprüfung der tatsächlichen Voraussetzungen eines Behandlungsverzichts

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und dessen Kongruenz mit dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten obligatorisch. 27. Bei geschäftsunfähigen Patienten kann ein Behandlungsverzicht zusätzlich auf eine entsprechende Festlegung in einer Patientenverfügung oder die entsprechende Erklärung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters gestützt werden. Beide Vorsorgeinstrumente werfen in erster Line deshalb gravierende Probleme auf, weil mit ihnen ein Behandlungsverzicht auch schon vor Eintritt des geschäftsunfähigen Patienten in die Terminalphase möglich ist. 28. Der technische Behandlungsabbruch wirft in Ungarn keine besonderen Probleme auf, weil entsprechende Verhaltensweisen des Arztes unabhängig von ihrer Einordnung als Tun oder Unterlassen unter die Vorschriften des GesG zur passiven Sterbehilfe subsumierbar sind. Unproblematisch ist auch die Einstellung der künstlichen Ernährung, die (nur) aufgrund entsprechender Festlegungen in einer validen Patientenverfügung oder der Erklärung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters möglich ist. 29. Die Verabreichung schmerz- und leidenslindernder Medikamente ist, sofern sie auf invasivem Wege erfolgt, auch in Ungarn eine tatbestandsmäßige Körperverletzung, die analog zur indirekten Sterbehilfe aber (nur) unter den im GesG genannten Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann. Eine unterlassene Schmerzlinderung ist lediglich dann als Körperverletzung strafbar, wenn die Schmerzen nachweislich zu Funktionsstörungen im Organismus des Patienten führen bzw. keine präventiven analgetischen Maßnahmen ergriffen werden, um einer Chronifizierung des Schmerzes mit eigenem Krankheitswert vorzubeugen. Unabhängig davon kommt stets eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung in Betracht. 30. Die Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung eines unheilbar kranken Patienten ist nach ungarischem Strafrecht, das die Anstiftung und Beihilfe zur (gegebenenfalls nur versuchten) Selbsttötung als „Mitwirkung am Suizid“ unter Strafe stellt, verboten. Bei der mit Blick auf die divergierenden Strafrahmen erforderlichen Abgrenzung zu einer täterschaftlich begangenen Tötung sollte indes auch hier zwischen einem „inneren Aspekt“ und einem „äußeren Aspekt“ differenziert werden. 31. Die innere Abgrenzung wurde lange Zeit mehrheitlich nach den Vorgaben eines Urteils des OG vorgenommen, wonach wegen eines mittelbar-täterschaftlich begangenen Tötungsdelikts zu bestrafen ist, wer ein unzurechnungsfähiges Kind oder eine Person in einem krankhaften Geisteszustand zum Suizid anstiftet. Für die Verwirklichung der Beihilfemodalität sollten derartige Erwägungen hingegen keine Rolle spielen. Von Teilen der Lehre wurde dieses Judikat allerdings auch mit dem Argument angegriffen, die –

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Ergebnisse/Thesen

in Ungarn bis vor kurzem ungeregelte – Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft passe konstruktiv nicht auf Selbstschädigungsfälle, weil der Hintermann das Werkzeug zur Begehung einer Straftat einsetzen müsse, der Suizid aber straflos sei. Mittlerweile hat der Gesetzgeber hier für mehr Klarheit gesorgt, indem er einerseits die mittelbare Täterschaft gesetzlich verankert und auf Drittschädigungsfälle zugeschnitten, andererseits aber auch den Tötungsparagrafen um einen Abs. ergänzt hat, dem zufolge wegen Totschlags zu bestrafen ist, wer eine unter vierzehnjährige oder zur Willensäußerung unfähige Person zur Selbsttötung bestimmt. 32. Die äußere Abgrenzung wird in Ungarn nur selten thematisiert, und wenn, dann wird auf die Steuerung der letzten Bedingung vor dem Erfolgseintritt abgestellt. Alternativ ließe sich aber auch an eine Abschichtung nach Eigenverantwortlichkeitskriterien denken und in Anlehnung an die h. L. in Deutschland danach fragen, wer die Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt ausübt. 33. Die Nichthinderung einer freiverantwortlichen Selbsttötung ist bei einem erfolgsabwendungspflichtigen Dritten als Suizidbeihilfe durch Unterlassen strafbar. Überwiegend wird daneben auch eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung bejaht, die mit Blick auf das Eigenverantwortlichkeitsprinzip indes abzulehnen ist. 34. Die verfassungsrechtliche Dimension der Sterbehilfeproblematik wird in ihrer gesamten Bandbreite durch ein Urteil des VerfG aus dem Jahr 2003 illustriert, in dem die geltende Rechtslage für verfassungskonform befunden wurde. Das Judikat krankt indes an Begründungsmängeln, die größtenteils mit einem reflexhaften Rekurs auf den staatlichen Lebensschutzauftrag zusammenhängen, der überdies in Gegenstand und Reichweite insoweit falsch interpretiert wird, als er auch die Schaffung von Gegengewichten zum auf die Herbeiführung des eigenen Todes gerichteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfassen soll. 35. In vergleichender Hinsicht ist das Hauptaugenmerk auf die Idee der Prozeduralisierung von Sterbehilfe zu legen, der sich beide Länder – freilich mit unterschiedlicher Stoßrichtung und Intensität – verschrieben haben. Mit „Prozeduralisierung“ ist die Statuierung förmlicher Verfahren zur (Vorab-)Prüfung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Sterbehilfe gemeint. Durch diesen der strafrechtlichen ex post-Perspektive diametral entgegenstehenden Ansatz – eine Ausprägung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren – kann ein effektiverer Rechtsgüterschutz gewährleistet werden. 36. Trotz der Anknüpfung an dieselbe Idee weisen das deutsche und das ungarische Sterbehilferecht neben Übereinstimmungen auch erhebliche Unterschiede in ihren jeweiligen Prozeduralisierungskonzepten auf. Ähnlich sind sich beide Rechtsordnungen insoweit, als sie bei der Gruppe der einwilli-

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gungsunfähigen (Deutschland) bzw. beschränkt geschäftsfähigen/geschäftsunfähigen Patienten (Ungarn) auf ein gerichtliches Verfahren setzen, in dem die Übereinstimmung der Maßnahme mit dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten (Deutschland) bzw. zusätzlich auch das Vorliegen der tatsächlichen Sterbehilfevoraussetzungen (Ungarn) überprüft wird. In Ungarn ist dieses Verfahren jedoch obligatorisch, wohingegen es in Deutschland nur bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Arzt und Betreuer zum Einsatz kommt. Darüber hinaus ist in Ungarn nur der Behandlungsverzicht i. d. S. prozeduralisiert, wohingegen in Deutschland auch potenziell lebensgefährliche oder gesundheitsschädliche Eingriffe dem Genehmigungserfordernis unterliegen können. Ein weiterer, grundlegender Unterschied ist darin zu sehen, dass das ungarische Recht auch für die (passive) Sterbehilfe beim einwilligungs- bzw. geschäftsfähigen Patienten ein konsiliarisches Verfahren vorsieht, wofür es auf deutscher Seite an einem Pendant fehlt. In Ungarn ist darüber hinaus nur die Errichtung einer Patientenverfügung prozeduralisiert, nicht aber deren Umsetzung, während dies in Deutschland gerade umgekehrt ist. Schließlich sieht das ungarische Recht auch für die Bevollmächtigung eines besonderen gewillkürten Patientenvertreters ein Verfahren vor, wohingegen die Erteilung der ähnlich gelagerten Vorsorgevollmacht in Deutschland keinen derartigen Anforderungen unterliegt. In beiden Ländern verfahrensgebunden ist dagegen die Entscheidung dieser Vertretungspersonen bzw. deren Umsetzung. 37. Bei einer Gesamtbetrachtung beider Rechtsordnungen erscheint das deutsche Sterbehilferecht als die „bessere Lösung“. Zwar sorgt die detaillierte Regelung des Arzt-Patient-Verhältnisses durch das GesG in Ungarn für einen vergleichsweisen hohen Grad an Rechtssicherheit, an der es in Deutschland in Ermangelung einer (spezial-)gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe gerade fehlt. Doch gilt es andererseits zu berücksichtigen, dass die strenge zivilrechts- bzw. verwaltungsrechtsakzessorische Sichtweise der h. M. in Ungarn zu unerträglichen Bestrafungszwängen führt, das GesG tendenziell autonomiefeindlich ist und seine Vorschriften auch zahlreiche, zum Teil schwerwiegende handwerkliche Mängel aufweisen. Eine fehlende Regelung wie in Deutschland kann demgegenüber denknotwendig nicht missglückt sein; zugleich lassen sich mithilfe der allgemeinen Regeln in den meisten Sterbehilfekonstellationen angemessene Ergebnisse erzielen, wenn auch bisweilen nur mit erheblichem Begründungsaufwand. 38. Die Überlegenheit der „deutschen“ gegenüber der „ungarischen Lösung“ bedeutet nicht, dass sich der Rechtsgüterschutz nicht auch bei der ersteren durch einen Ausbau des Prozeduralisierungsmodells noch optimieren ließe und insoweit auch Elemente aus dem ungarischen Recht als Vorbild dienen könnten. De lege ferenda wäre an die Einführung eines konsiliarischen Verfahrens für den Verzicht auf lebensrettende oder lebenserhaltende Maßnah-

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Ergebnisse/Thesen

men bei einwilligungsfähigen Patienten nach dem Muster des GesG zu denken, wobei freilich alle autonomiefeindlichen Elemente der ungarischen Regelung eliminiert werden müssten. Eine entsprechende Überarbeitung der mit Blick auf die Patientenautonomie problematischen Vorschriften wäre im Gegenzug allerdings auch dem ungarischen Gesetzgeber dringend anzuraten.

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Stichwortverzeichnis Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten dieser Arbeit, die Ziffern in den Klammern auf die jeweiligen Fußnoten. Sofern sich Hauptfundstellen bezeichnen lassen, werden diese kursiv hervorgehoben. Abgrenzung – Suizidteilnahme – (Fremd-)Tötung in mittelbarer Täterschaft – Deutschland 141 ff., 342, 372 – Ungarn 286 ff., 341 f., 375 f. – Suizidteilnahme – Tötung auf Verlangen – Deutschland 148 ff., 343, 372 f. – Ungarn 294 ff., 343, 376 Absichtsverbot bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 58 ff. Abtreibung siehe Schwangerschaftsabbruch AE-StB – Terminologie 30 (9), 31 (14) – u. direkte Sterbehilfe 71 – u. indirekte Sterbehilfe 58 (167), 60 f. – u. passive Sterbehilfe 134 f. – u. Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung 64 (194), 167 ff. AE-Sterbehilfe – u. direkte Sterbehilfe 71 – u. indirekte Sterbehilfe 61 (180) – u. Prozeduralisierung von Sterbehilfe 358 (146) – u. Sterbehilfe durch Beihilfe zur Selbsttötung 167 (712) Aktion „T4“ 29 Akzessorietätsargument u. Straflosigkeit der Suizidteilnahme (Deutschland) 140, 160 (675), 341, 372 allgemeine Handlungsfreiheit – als Basis eines Behandlungsvetos (Deutschland) 75 (252)

– als Basis eines Rechts auf Selbsttötung (Deutschland) 139 – als Basis eines Rechts, sich töten zu lassen (Deutschland) 176 – in der ungarischen Grundrechtsdogmatik 299 (436), 345 allgemeine Wertvorstellungen – bei der direkten Sterbehilfe (Deutschland) 68 – bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 53 f. – bei der passiven Sterbehilfe (Deutschland) 97, 100 ff., 124 ff., 337, 349 (114), 358, 371 allgemeines Persönlichkeitsrecht – als Basis eines Behandlungsvetos (Deutschland) 74 f., 361 (156) – als Basis eines Rechts auf Selbsttötung (Deutschland) 139 – in der ungarischen Grundrechtsdogmatik 299 (436), 305, 345 – u. Wunsch nach medizinischer (Weiter-) Behandlung (Deutschland) 116 (455) – Verletzung des ~s des Arztes bei einem Verbot direkter Sterbehilfe (Deutschland) 178 Anhörungsverfahren bei der Umsetzung einer Patientenverfügung (Deutschland) 116 f. apallisches Syndrom, Apalliker – u. Einstellung künstlicher Ernährung – Deutschland 126 ff. – Ungarn 266 – u. mutmaßlicher Wille bei der passiven Sterbehilfe (Deutschland) 98 f., 102

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Stichwortverzeichnis

– u. Umsetzung einer Patientenverfügung (Deutschland) 76, 119 Appellsuizid, Freiverantwortlichkeit eines ~s 168 (714), 276 Appellwirkung des rechtlichen Verbots, Fehlen der ~ bei einer Selbsttötung 145 Ärztekommission, Untersuchung durch eine ~ als Voraussetzung passiver Sterbehilfe (Ungarn) 247 f., 260, 312 ff., 335, 339, 354 ff., 365 f., 374 ärztliche Aufklärung des Patienten bzw. seines Vertreters 23, 81, 110, 115 (448), 186, 211, 213 f., 217, 223, 246, 248 f., 307, 340, 348, 353, 363 f., 366 ärztliche Heilbehandlung, ärztlicher Heileingriff – als Anknüpfungspunkt einer Patientenverfügung (Deutschland) 76, 107, 109 – Bedeutung der aufgeklärten Einwilligung des Patienten für die strafrechtliche Bewertung (Ungarn) 186 – Strafbarkeit der eigenmächtigen ~ (Deutschland) 136, 339 – Strafbarkeit unter Zugrundelegung des Basismodells (Ungarn) 269 ff. – u. Anwendungsbereich aktiver Sterbehilfe (Ungarn) 240 – u. Anwendungsbereich direkter Sterbehilfe (Deutschland) 67 (211) – u. das ungarische GesG 214 (133), 215 (136), 226 (169), 228 – u. die BGH-Rspr. zur Suizidverhinderungspflicht v. Lebensschutzgaranten 161 – u. richterliche Genehmigung indirekter Sterbehilfe (Deutschland) 54 – u. Schutzbereichs-Lösung bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 35 f. ärztliche (Heil-)Kunst siehe ärztliche lex artis ärztliche lex artis 35 f., 209, 269, 270 ärztliche Standesethik u. Mitwirkung beim Suizid (Deutschland) 157, 162 (687)

ärztliche Standesregeln, ärztliches Standesrecht u. Sterbehilfe (Deutschland) 32, 64 f., 131 (534), 133 (546), 168 assistierter Suizid, assisted suicide 31, 64 (193, 194, 195), 167, 168, 303, 304, 312 (476), 315, 317, 327, 348 äußerer Aspekt, äußere Grenzlinie bei der Abgrenzung straflose Suizidteilnahme – strafbare Fremdtötung siehe Abgrenzung Suizidteilnahme – Tötung auf Verlangen Autofahrer-Fall 63, 67 (211), 171 (735), 178, 242, 333, 345 Basisbetreuung, Basisversorgung – bei einem Behandlungsveto – einwilligungsfähiger Patienten (Deutschland) 83 – geschäftsfähiger Patienten (Ungarn) 249 – u. Einstellung künstlicher Ernährung (Deutschland) 126 ff. – Verzicht auf ~ in einer Patientenverfügung (Deutschland) 111 Basismodell bei der Einwilligung u. ärztlicher Heileingriff (Ungarn) 205 (94), 269 ff. Behandlungsrecht u. Behandlungspflicht des Arztes bei einem (mutmaßlichen) Behandlungsveto des Patienten – in Deutschland 80 (276), 333 f. – in Ungarn 235, 245 (223), 249 ff., 265, 374 Behandlungsteam 88, 115, 334, 351 Behandlungsverzicht nach dem ungarischen GesG – am Lebensende 226, 230, 234, 244 ff., 302, 308, 311, 319, 365 – einfacher 226, 230, 234, 236, 261 – qualifizierter 226, 231, 233, 236, 244 (219), 246, 250 (245), 313, 330, 340, 366 (169) Belgien u. Sterbehilfe 70, 182, 301 (443), 305, 348

Stichwortverzeichnis Bestimmtheit einer Patientenverfügung (Deutschland) 109 ff. Betreuungsrecht – als Basis der Einwilligungslösung des BGH bei indirekter Sterbehilfe 41 ff., 329 – als Basis der Einwilligungslösung des BGH bei passiver Sterbehilfe 89 ff., 371 – als Basis der Genehmigungsbedürftigkeit indirekter Sterbehilfe (Deutschland) 53 ff., 331, 370 – Verankerung der Rechtsinstitute „Patientenverfügung“ u. „mutmaßlicher Wille“ im ~ (Deutschland) 94 ff., 336 f., 371 f. – Verhältnis zum Strafrecht (Deutschland) 130 ff., 336 f., 372 Bevormundung siehe Paternalismus Bilanzsuizid 164 (699), 168 (714), 276 Bundesärztekammer u. Sterbehilfe 21 (14), 23, 30 (9), 32, 33, 55 (146), 56 (156), 57, 64, 73, 79 (272), 106, 121, 127, 168 (716), 176 Chronische Schmerzkrankheit, chronisches Schmerzsyndrom 55 (144), 224 (161), 236, 272, 330, 375 Csemegi-Kodex 193, 201 (79), 205, 332 Dammbruch, Dammbruchgefahr – als Argument gegen die Straflosigkeit – aktiver Sterbehilfe (Ungarn) 242 – direkter Sterbehilfe (Deutschland) 66, 70, 349 (114) – Schutz vor ~en als verfassungsrechtlich legitimer Zweck von § 216 StGB 177 Demenz, Demenzkranke – u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 45 (92), 50 (120) – u. Verbindlichkeit einer Patientenverfügung (Deutschland) 94, 111 ff., 336 – u. Widerruf einer Patientenverfügung (Ungarn) 259

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DIGNITAS siehe Sterbehilfeorganisation(en) Doktrin der Doppelwirkung u. Absichtsverbot bei indirekter Sterbehilfe 60 (176) Dolantin-Fall 45, 49, 53 (133), 55, 56, 58, 91 (334), 224 dolus eventualis u. indirekte Sterbehilfe – Deutschland 56 ff., 330, 370 – Ungarn 239 (201) Doppelsuizid, Strafbarkeit der Mitwirkung bei einem – einseitig fehlgeschlagenen ~ (Deutschland) 149, 150 ff. – vorgetäuschten ~ (Deutschland) 143 (598) Doppelwirkungsdoktrin siehe Doktrin der Doppelwirkung Durchschneiden des Schlauchs einer PEG-Sonde 41 (65), 90, 91 EGMR, EMRK u. Selbsttötung, Sterbehilfe 23 f., 173 (745), 177 f., 251, 320 Eid des Hippokrates 175 eigenmächtige Heilbehandlung, eigenmächtiger Heileingriff – u. reine Sterbehilfe (Deutschland) 136 – u. Sterbehilfe durch nicht lebensverkürzende Schmerz- und Leidenslinderung (Ungarn) 269 ff. Eigenverantwortlichkeit, Eigenverantwortlichkeitsprinzip – u. Straflosigkeit der Mitwirkung am Suizid – Deutschland 140 f., 151, 159 f., 170, 343, 372 – Ungarn 280, 284 (379), 295, 296, 341, 376 – u. Straflosigkeit des technischen Behandlungsabbruchs 93 Eingriffs- u. Erhaltungsinteresse u. Notstandsabwägung bei indirekter Sterbehilfe – Deutschland 47, 50 f. – Ungarn 203 (87), 204 (93), 206 f.

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Stichwortverzeichnis

Einstellung künstlicher Ernährung – Deutschland 41 (65), 78, 80 (280), 86 (306), 90, 95 (352), 96, 112 (436), 126 ff., 337, 371 – Ungarn 250, 257 (268), 266, 339, 375 Einwilligungslösung – der Lehre bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 40, 45 – der Lehre in Deutschland zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit eines Suizids 142 ff., 342, 372 – u. ihre Übertragbarkeit ins ungarische Recht 289, 292 f., 342 – des BGH bei der indirekten Sterbehilfe 41 ff., 329 – des BGH bei der passiven Sterbehilfe 90 ff. Einwilligungssperre, Einwilligungsschranke bei (Fremd-)Tötungen – u. die Einwilligungslösung des BGH bei der indirekten Sterbehilfe 44 f., 329 – u. die Einwilligungslösung des BGH beim technischen Behandlungsabbruch 92 – u. Notstandsrechtfertigung indirekter Sterbehilfe (Deutschland) 47 f., 51 – u. Notstandsrechtfertigung indirekter Sterbehilfe (Ungarn) 205 f. – u. rechtfertigende Pflichtenkollision bei indirekter Sterbehilfe (Ungarn) 197 erlaubtes Risiko u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 35, 37 f., 39 Ernährungseinstellung siehe Einstellung künstlicher Ernährung Eventualvorsatz siehe dolus eventualis EXIT siehe Sterbehilfeorganisation(en) Exkulpationslösung zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit eines Suizids – Deutschland 142 ff., 342, 372 – Ungarn 286 ff., 341 f. Fall Binder 189 f., 264 Fall Fekete Angyal 264 Fall Hackethal 144, 157 (661), 164 (698)

Fall Pretty 23 f., 173 (745), 178 (777), 180, 251, 305 (454), 306 (459), 320 Fall Wittig 73, 77 (266), 96 (355), 138 (567), 156 f., 158 (664), 161, 163 (695), 164, 166 (707), 284 (378) Fötus siehe Leibesfrucht Freitodhelfer-Fall 33 (26), 46, 56, 57, 91 (335), 139 (574), 164 (607) Freiverantwortlichkeit – eines Behandlungsvetos u. passive Sterbehilfe (Deutschland) 79, 93, 134 – u. Mitwirkung am Suizid siehe Abgrenzung Suizidteilnahme – (Fremd-)Tötung in mittelbarer Täterschaft Fremdtötung, Abgrenzung von Suizidteilnahme siehe Abgrenzung Suizidteilnahme – (Fremd-)Tötung in mittelbarer Täterschaft/Tötung auf Verlangen Fremdtötungstabu siehe Normstabilisierungsinteresse Früheuthanasie 25 f., 255 (262) Fuldaer Fall 22, 31, 41 ff., 56, 57, 72, 74, 78 (269), 80, 83, 89 ff., 127, 131, 132, 135, 263 (283), 329, 332, 371 Garantenpflicht, Garantenstellung – im Prozeduralisierungskontext 348, 351 – u. Mitwirkung am Suizid – Deutschland 155 ff., 162, 167, 168, 343, 373 – Ungarn 283 f., 344, 376 – u. passive Sterbehilfe – Deutschland 73, 77 (267), 81 ff., 94, 104 (389), 334, 371 – Ungarn 243 f., 247 (233), 266, 334 Gashahn-Fall 149, 150, 152 Genehmigungsverfahren bei passiver Sterbehilfe (Deutschland) 117 ff. Gerichte u. Sterbehilfe siehe richterliche Genehmigung

Stichwortverzeichnis Gesetzgebungsvorschläge im Bereich der Sterbehilfe siehe rechtspolitische Diskussion Gisela-Fall 149, 150, 151 f. grundrechtsgebotener Dispens von der Strafbarkeit direkter Sterbehilfe (Deutschland) 179, 182, 345, 373 Grundrechtsschutz durch Verfahren u. Prozeduralisierung von Sterbehilfe 179, 350, 360, 376 Güterkollision(en) – externe siehe interpersonale Interessenkollision(en) – interne siehe intrapersonale Interessenkollision(en) Heilkunde siehe ärztliche lex artis Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt als Kriterium für die Abgrenzung Suizidteilnahme – Tötung auf Verlangen – Deutschland 150 ff., 343, 373 – Ungarn 295, 343, 376 Hippokratischer Eid siehe Eid des Hippokrates Hirntod 28 (2), 84, 263 Individuelle Präferenzen siehe persönliche Wertvorstellungen in dubio pro vita u. mutmaßlicher Wille des Patienten bei passiver Sterbehilfe – Deutschland 95 (351), 97 f., 101 f., 103, 126, 337 – Ungarn 255 Injektions-Fall 149, 152 f. innerer Aspekt bei der Abgrenzung Suizidteilnahme – Fremdtötung siehe Abgrenzung Suizidteilnahme – (Fremd-)tötung in mittelbarer Täterschaft Interesse am Leben siehe Lebensinteresse Interessenkollision(en) – interpersonale ~ u. rechtfertigender Notstand bei der indirekten Sterbehilfe

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– Deutschland 48, 52 f. – Ungarn 203 ff. – intrapersonale ~ u. rechtfertigender Notstand bei der indirekten Sterbehilfe – Deutschland 48, 52 f. – Ungarn 203 ff. invasiver Eingriff 72 (236), 93, 103, 217, 223, 229, 231, 235, 237, 269, 337, 340, 375 Karneades-Fall 201 (79) Kemptener Fall 29 (3, 6), 42, 76, 77 (264), 80 (278), 86 (306), 95 ff., 106 (400), 124, 127, 128 (521), 130, 132, 337, 358 Kölner Fall 22, 131, 372 Konfliktmodell u. richterliche Genehmigung einer Patientenverfügung (Deutschland) 118 (465) Konsil – ärztliches ~ bei der Festlegung der Therapiemethode (Ungarn) 215 (136) – ärztliches ~ bei der niederländischen Sterbehilfe-Regelung 348 – bei der Umsetzung eines Behandlungsverzichts am Lebensende (Ungarn) 360, 377 f. – v. Arzt u. Betreuer bei der Umsetzung einer Patientenverfügung (Deutschland) 114 (445), 116 Konsultationsverfahren bei Umsetzung einer Patientenverfügung (Deutschland) 114 ff. Koppelungsverbot bei Errichtung einer Patientenverfügung (Deutschland) 107 f. Krebs, Krebserkrankung 55 (144), 56, 63, 144 (599), 187, 224 (161), 236 (193), 237, 241 (208), 251 f., 257 (268), 272 Leben – als Rechtsgut siehe Rechtsgut Leben – Recht auf ~ – als Basis eines Rechts auf Behandlungsverzicht (Deutschland) 75

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Stichwortverzeichnis

– als Basis eines Rechts auf Selbsttötung (Deutschland) 139 – in der ungarischen Verfassung(srechtsprechung) 298 ff., 305 f., 307, 309, 311 (472), 315, 316, 318, 321, 345 – Schutz des ~ als Vorteil des Prozeduralisierungskonzepts 349 – Unabwägbarkeit im Rahmen des rechtfertigenden Notstands bei indirekter Sterbehilfe (Deutschland) 49 – Unabwägbarkeit im Rahmen des rechtfertigenden Notstands bei indirekter Sterbehilfe (Ungarn) 202 f. – Unabwägbarkeit im Rahmen des rechtfertigenden Notstands beim technischen Behandlungsabbruch (Deutschland) 91 – u. Zulässigkeit direkter Sterbehilfe (Deutschland) 173 – u. Zulässigkeit eines rechtlichen Verbots von passivem Sterbenlassen 362 – Schutz der Ehrfurcht vor dem ~ als Ratio von § 216 StGB 44 Lebensinteresse 46, 47, 66, 84, 115, 265, 329, 370, 371 Leibesfrucht 225 (167), 234 f., 275 (334), 299 f., 349 f. Lkw-Fall 149, 153 Locked-in-Syndrom 178 f. Lübecker Fall 73 (242), 76, 101 (377, 378), 104, 106, 118 (465), 123 (487), 126 (503), 127 (512) Luxemburg u. Sterbehilfe 348 Medizinische Indikation – u. die verschiedenen Formen eines Behandlungsverzichts (Ungarn) 226 (170) – u. passive Sterbehilfe (Deutschland) 41 (65), 96 (355), 98, 114 ff., 130 (527), 336, 337, 372 – u. passive Sterbehilfe (Ungarn) 243 f., 247 (233), 362

– u. reine Sterbehilfe (Deutschland) 136 (561) Menschenwürde – als Basis der Patientenautonomie (Deutschland) 75 – in der ungarischen Verfassung(srechtsprechung) 298 ff., 305 ff., 345 – Recht auf ~ nach dem ungarischen GesG 213 – u. Abwägung Leben gegen Leben beim rechtfertigenden Notstand (Ungarn) 202 – u. Behandlungsabbruch bei Fehlen allgemeiner Wertvorstellungen (Deutschland) 101 (375) – u. Einstellung künstlicher Ernährung bei entscheidungsunfähigen Patienten (Deutschland) 128 f. – u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 38, 45 f., 49 f. – u. Recht auf Selbsttötung (Ungarn) 277 – u. Suizidstrafbarkeit (Deutschland) 140 (581) – u. technischer Behandlungsabbruch (Deutschland) 85 – u. übermäßiger Lebensverlängerungsanspruch (Deutschland) 116 – u. Verbindlichkeit einer Patientenverfügung bei Demenzpatienten (Deutschland) 112 (436) – u. verfassungsrechtliche Beurteilung direkter Sterbehilfe (Deutschland) 173, 174 – u. Vertretung beschränkt geschäftsfähiger Patienten nach dem ungarischen GesG 227 – u. Zwangsbehandlung unheilbar kranker Patienten (Ungarn) 356 Missbrauch, Missbrauchsgefahr – als Defizit eines rein materiell orientierten Sterbehilferechts 349 (114) – bei Abstellen auf religiöse oder sonstige Überzeugungen für die Ermittlung

Stichwortverzeichnis des mutmaßlichen Willens bei passiver Sterbehilfe (Deutschland) 100 (374) – bei aktiver Sterbehilfe (Ungarn) 204 (92) – bei Bestellung eines Betreuers u. passiver Sterbehilfe (Deutschland) 118 (464) – bei einem Behandlungsverzicht am Lebensende (Ungarn) 254, 311, 317, 318 – bei Erstreckung der Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe auf Fälle des dolus directus 2. Grades (Deutschland) 58 – bei Zulassung direkter Sterbehilfe (Deutschland) 19, 66, 70, 176 (765), 177, 179, 180 – Schutz vor ~ als Stärke des Prozeduralisierungskonzepts 360 Morphin, Morphingabe 33, 58, 60, 187, 237, 264, 356 Motivirrtum u. Freiverantwortlichkeit einer Selbsttötung – Deutschland 143 – Ungarn 293 Nasciturus siehe Leibesfrucht Niederlande u. Sterbehilfe 19 (2), 66 f., 70, 72 180, 182, 199, 212 (122), 236, 242, 305 (454), 347 f., 360 (153) Normstabilisierungsinteresse Abwägung im Rahmen des rechtfertigenden Notstands – bei der direkten Sterbehilfe (Deutschland) 66, 67, 68 – bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 47, 49, 51, 52 – bei der indirekten Sterbehilfe (Ungarn) 204 – beim technischen Behandlungsabbruch (Deutschland) 371 Normtransplantat, das ungarische GesG als ~ im Watson’schen Sinn 211 Notstand – entschuldigender u. direkte Sterbehilfe (Deutschland) 69 – rechtfertigender

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– im Prozeduralisierungskontext 352 – u. aktive Sterbehilfe (Ungarn) 240 ff., 333, 355, 374 – u. direkte Sterbehilfe (Deutschland) 62 ff., 178, 332, 345, 370 f. – u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 38, 40, 43 (81), 45 ff., 329, 370 – u. Mitwirkung am Suizid (Deutschland) 157 (661), 158, 167 (710) – u. passive Sterbehilfe (Deutschland) 85, 89, 90 ff., 98 (364), 99 f., 120 (475), 334, 371 – u. passive Sterbehilfe (Ungarn) 264 f. – übergesetzlicher entschuldigender – in der ungarischen Strafrechtsdogmatik 201 – u. direkte Sterbehilfe (Deutschland) 69 f. NS-Euthanasie siehe Vernichtung lebensunwerten Lebens Objektive Zurechnung – u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 38 (57), 59 – u. Mitwirkung am Suizid (Deutschland) 141, 151, 152, 154 f., 160., 170, 343 – u. passive Sterbehilfe (Deutschland) 82, 93, 334 Paternalismus 44 (90), 52 (127), 142 (592), 186 f., 197 (67), 226 f., 231, 297, 356, 359 Patientenautonomie – Deutschland 29 (4), 42 (73), 43 f., 74 ff., 78 ff., 157, 161, 169 (718), 180, 333, 363 f., 371 – Ungarn 186, 210, 216 ff., 261, 269 ff., 303, 310, 312 f., 321, 356 ff., 365, 366, 378 Patiententestament siehe Patientenverfügung Patientenverfügung – als rechtspolitischer Anknüpfungspunkt 363 ff., 367

420

Stichwortverzeichnis

– im Prozeduralisierungskontext 350, 351, 354 f., 357, 358, 377 – u. direkte Sterbehilfe (Deutschland) 68, 370 f. – u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 53, 54 (137), 55 (143), 60 f., 328 (30), 331, 370 – u. Mitwirkung am Suizid (Deutschland) 160, 165 (701), 169 (718), 343 – u. passive Sterbehilfe – Deutschland 74, 76, 77 (265), 78 f., 94, 95 (351), 99, 101, 105 ff., 335 ff., 371 f. – Ungarn 256 ff., 266, 338 f., 375 Patientenvertreter nach dem ungarischen GesG – besonderer gewillkürter 222, 257 (269), 259 (277), 260 f., 266, 314, 338 f., 354, 357, 367, 375 – gesetzlicher 223, 227, 231, 235, 252, 256, 271, 337, 357, 374 – gewillkürter 221, 227, 231, 235, 252, 256, 271, 337, 357, 374 PEG-Sonde 41 (65), 90, 91, 129 (525) persönliche Wertvorstellungen bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens – Deutschland 53, 61, 68, 96, 100, 124, 125, 337 – Ungarn 255 Pflichtexemplar-Entscheidung 181, 373 point of no return siehe Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt präsuizidales Syndrom 145, 276 Prozeduralisierung, prozedurale Legalisierung von Sterbehilfe 22 (20), 27, 322, 346 ff., 360, 365, 368, 376 Quasi-Anstifter, Quasi-Anstiftung bei der Mitwirkung am Suizid – Deutschland 154 (647) – Ungarn 293 Quasi-Hintermann bei der Mitwirkung am Suizid (Ungarn) 341

Quasi-Kausalität eines ärztlichen Nichttätigwerdens für den Tod des Patienten – Deutschland 73 – Ungarn 192 Quasi-Mittäter, Quasi-Mittäterschaft bei der Mitwirkung am Suizid (Deutschland) 154 Quasi-Tatbestandsirrtum bei der Mitwirkung am Suizid (Ungarn) 293 (411) Quasi-Teilnehmer, Quasi-Teilnahme bei der Mitwirkung am Suizid (Ungarn) 279 Ravensburger Fall 51 (122), 83 (294), 87 (313), 93 (345) rechtfertigende Pflichtenkollision u. indirekte Sterbehilfe – Deutschland 39 f. – Ungarn 196 ff., 199 (71) Rechtfertigungslösungen bei der indirekten Sterbehilfe – Deutschland 39 ff. – Ungarn 195 ff. Rechtsgut Leben – bei der indirekten Sterbehilfe – Deutschland 36, 46, 49, 50 – Ungarn 200, 204, 207 (107) – bei der Mitwirkung am Suizid (Deutschland) 139 (573), 170 – bei der passiven Sterbehilfe – Deutschland 84, 90, 91, 102 – Ungarn 243 – in der ungarischen Verfassung 313 Rechtsgutslehre 170 (729) Rechtsgutsverletzung 90, 139 (573), 140, 200, 269, 277, 289 Rechtsgutsvertauschung 133 Rechtspolitische Diskussion in Deutschland – im Bereich der direkten Sterbehilfe 70 ff. – im Bereich der indirekten Sterbehilfe 60 ff.

Stichwortverzeichnis – im Bereich der passiven Sterbehilfe 134 f. – im Bereich der Sterbehilfe durch Beihilfe zum Suizid 167 ff. rechtswertungsfreier Raum – u. Selbsttötung – Deutschland 139 – Ungarn 277 – u. direkte Sterbehilfe (Deutschland) 179 (786), 181, 183 (794) reine Güterabwägungstheorie beim rechtfertigenden Notstand (Ungarn) 200 richterliche Genehmigung – als Ausprägung des Prozeduralisierungsgedankens 347, 349 (115), 352 (124), 349, 353 ff., 376 f. – bei indirekter Sterbehilfe – Deutschland 53 ff., 331, 370 – Ungarn 331 – bei passiver Sterbehilfe – Deutschland 97, 104 f., 117 ff., 130 ff., 334, 336 – Ungarn 253 ff., 374 f. Rutschbahn siehe Dammbruch, Dammbruchgefahr Schiefe-Ebene-Argument siehe Dammbruch, Dammbruchgefahr Schriftform, Schriftformerfordernis bei Errichtung einer Patientenverfügung – Deutschland 108 f. – Ungarn 256 Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben – Deutschland 128 (518), 132, 171 f., 174, 177, 180 – Ungarn 300, 307, 311 ff., 320 f., 346, 356, 362, 366, 376 Schwangerschaftsabbruch 133, 181, 246 (228), 299 ff., 307 f., 316, 350, 352, 353 (130), 366 Schweiz u. Sterbehilfe 64

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Selbstbestimmungsrecht des Patienten über seinen Körper siehe Patientenautonomie Selbsttötung, Recht auf ~ – in der deutschen Verfassung 139 f. – in der ungarischen Verfassung 277 Situationsbezogenheit einer Patientenverfügung (Deutschland) 109 ff. slippery slope siehe Dammbruch, Dammbruchgefahr Sozialadäquanz u. indirekte Sterbehilfe (Deutschland) 35, 38 f. sozialer Handlungssinn bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 35, 36 f. Sozialgefährlichkeit – Bedeutung im ungarischen Strafrecht 194 (52), 200 (73), 278, 279 – der indirekten Sterbehilfe (Ungarn) 195, 208 (109) – der Mitwirkung bei der Selbsttötung (Ungarn) 279 – der Selbsttötung (Ungarn) 278 Sterbehilfeorganisation(en) 71, 168 Sterbehilfe-Tourismus in die Schweiz 64 subjektive Präferenzen siehe persönliche Wertvorstellungen Suizid siehe Selbsttötung Taburespektierungsinteresse bei Fremdtötungen siehe Normstabilisierungsinteresse Tatbestandslösungen bei der indirekten Sterbehilfe (Deutschland) 34 ff. Tatherrschaftswechsel bei Bewusstlosigkeit des Suizidenten – Deutschland 156, 159, 161, 167, 343, 373 – Ungarn 284 (378) tätiger Behandlungsabbruch – Deutschland 83 ff., 135, 334, 371 – Ungarn 240, 243, 262 ff., 335, 375 technischer Behandlungsabbruch siehe tätiger Behandlungsabbruch

422

Stichwortverzeichnis

Teilnahmeargument siehe Akzessorietätsargument Tod siehe Hirntod Tötungstabu siehe Normstabilisierungsinteresse Tötungsunrecht, Fehlen des ~s bei der Selbsttötung 277 Tumor, Tumorerkrankung siehe Krebs, Krebserkrankung Übermäßiger Lebensverlängerungsanspruch u. Zulässigkeit passiver Sterbehilfe (Deutschland) 98, 114 ff., 372 Ungarische Ärztekammer u. Sterbehilfe 185 (10), 189, 190 (38), 191, 194, 216 (137), 239 (199, 200), 240 (202, 204) Unrecht der Tötung siehe Tötungsunrecht Unveräußerlichkeit, Unverfügbarkeit des Lebens 180, 204 (92), 263, 264 Utilitarismus – u. Ratio des rechtfertigenden Notstands – Deutschland 48 (109) – Ungarn 203 (86) – u. Tötungsverbot – Deutschland 67 – Ungarn 242 Verhungernlassen siehe Einstellung künstlicher Ernährung Vernichtung lebensunwerten Lebens 29, 189 Vernichtungsschmerzen u. indirekte Sterbehilfe – Deutschland 46 – Ungarn 224, 236

Volljährigkeit, Volljährigkeitserfordernis bei der Errichtung einer Patientenverfügung (Deutschland) 108 Vorschläge de lege ferenda siehe rechtspolitische Diskussion Vorsorgevollmacht 113 (443), 122, 354, 377 Wachkoma siehe apallisches Syndrom, Apalliker Weichensteller-Fall 202 Weiterlebenswunsch des Patienten siehe übermäßiger Lebensverlängerungsanspruch Wert, Werthaftigkeit des Lebens – Deutschland 19, 39, 49, 50 (118), 51, 158, 180 – Ungarn 200, 201 ff., 306, 311 (472), 312, 315 Wohlprinzip u. passive Sterbehilfe – Deutschland 101, 113, 118 (466), 125, 126 (507) – Ungarn 255 Zeitdimension des Selbstbestimmungsrechts 44 Zurechnungsausschluss siehe objektive Zurechnung Zwangsbehandlung, Zwangsbehandlungsrecht – Deutschland 77, 81, 93 – Ungarn 235, 245, 249 ff., 270 (311), 294 (413), 356, 374