Die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung [1 ed.] 9783428556144, 9783428156146

Die Arbeit thematisiert die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche Ahndung. Sie leistet ein

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Die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung [1 ed.]
 9783428556144, 9783428156146

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Schriften zum Strafrecht Band 332

Die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung

Von

Tobias Günther

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS GÜNTHER

Die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung

Schriften zum Strafrecht Band 332

Die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung

Von

Tobias Günther

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

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Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15614-6 (Print) ISBN 978-3-428-55614-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85614-5 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Februar 2017 von der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis einschließlich Januar 2018 berücksichtigt. Bei meinem Doktorvater Professor Dr. Kai-D. Bussmann möchte ich mich für die Betreuung und die vielfältige Unterstützung bedanken. Er hat meine Arbeit mit großem fachlichen Interesse und unter Gewährung genügender Freiräume für eigene Ideen begleitet. Auch durch die Einbeziehung in inte­ ressante Forschungsprojekte im Bereich der Wirtschaftskriminalität hat er mir ein ideales Umfeld für die Dissertation zur Verfügung gestellt. Des Weiteren möchte ich die Gelegenheit ergreifen, an dieser Stelle Prof. Dr. Christian Schröder für die Anfertigung der Zweitkorrektur und die Unterstützung im Rahmen der Bewerbung für die Graduiertenförderung des Landes Sachsen-Anhalt zu danken. Ebenso möchte ich meinen Eltern und meinem Bruder für die Unterstützung im Rahmen des Studiums und dieser sich anschließenden Forschungsarbeit danken. Zu Dank verpflichtet bin ich auch meinen Kollegen und Freunden für die vielen anregenden Gespräche und sonstigen Unterstützungen. Besonders hervorheben möchte ich hier: Dr. Marcus Bergmann, Arne Blanke, Dr. Kirsten Golinski, Dr. Anja Niemeczek, Nicole Selzer und Dr. Daniela Trunk. Halle (Saale), im Juli 2018

Tobias Günther

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen bzw. Unternehmensträger de lege lata und de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Die Strafbarkeit von juristischen Personenund rechtsfähigen Personenvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Ein „echtes“ Verbandsstrafrecht als tragfähiges Modell eines zukünftigen Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) Strafrechtliche Aspekte in Bezug auf eine mögliche Verbandsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 aa) Handlung und Handlungsfähigkeit von Verbänden oder ein gänzlich anderer Anknüpfungspunkt für eine Verbandsstrafe?  18 (1) Originäre Handlungsfähigkeit von Verbänden . . . . . . . . . . 19 (2) Anknüpfungspunkt: „Organisationsdefizit“ als Zustand  . 22 (3) Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 bb) Schuldfähigkeit von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 (1) Bisherige Einwände gegen die Schuldfähigkeit von Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 (2) Gangbare Alternativen zur Schuldbegründung von Verbänden und rechtliche Inkonsistenzen des Instituts der Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 OWiG . . . . . . . 25 (a) Identifikationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 (b) Organisationsverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Anderweitige rechtliche, kriminalpolitische und kriminologische Erwägungen in Bezug auf die Einführung einer Verbandsstrafe  . 34 aa) Unionsrechtliche Vorgaben zur Sanktionierung von Verbänden und Defizite der bestehenden Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 bb) Extraterritoriale Gesetzgebung ausländischer Staaten und deren Auswirkungen auf deutsche Unternehmen . . . . . . . . . . . 39 cc) Sonstige rechtliche Argumente für eine Verbandsstrafbarkeit . 45 dd) Kriminologische Erwägungen zu einer möglichen Verbandsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Eigener Vorschlag für die Ausgestaltung eines Verbandsstrafrechts de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG . . . . . . . . . 59 1. Allgemeines und konzeptionelle Struktur der Verbandsgeldbuße . . . . 59

8 Inhaltsverzeichnis 2. Zweck des § 30 OWiG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzeptionelle Struktur des § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die einzelnen Voraussetzungen der Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tauglicher Adressat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Täter der Bezugs- bzw. Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bezugs- oder Anknüpfungstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsbezogene Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Theorie der Erfüllung betrieblicher Aufgaben . . . . . . . . . . (2) Interessentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Theorie der rechtlichen oder tatsächlichen Handlungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bereicherungsalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Rechtsfolgen der Verbandsgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Modifizierungen der Regelungen der Verbandsgeldbuße nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Struktur und Besonderheiten des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheit: Erfassung von Konzernsachverhalten? . . . . . . . . . . . 2. Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tauglicher Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Zuwiderhandlung als objektive Bedingung der Ahndung . . . . d) Verhinderung bzw. Erschwerung der Zuwiderhandlung . . . . . . . . . 3. Die Sanktionspraxis von § 130 OWiG und daran anknüpfende Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Compliance im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff „Compliance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff „Criminal-Compliance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Verpflichtung zur Einrichtung einer Criminal-ComplianceOrganisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dezidierte Pflicht zur Einrichtung einer Criminal-Compliance Organisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bisheriger Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Empirische Erkenntnisse zur Verbreitung von Criminal-Compliance . . . . 1. Aktuelle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 61 69 69 70 73 74 75 77 78 79 81 81 82 82 83 83 85 89 89 89 92 93 94 97 97 97 101 104 105 106 106 107 111 111 111

Inhaltsverzeichnis9 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV. Die Funktion von Criminal-Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Begriff der „Haftung“ im Sinne des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Auswirkungen von Criminal-Compliance im Vorfeld einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Rechtliche Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance im materiellen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Vorsatztaten durch aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Untreue, § 266 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, § 299 Abs. 1 und 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Bestechlichkeit, § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Bestechlichkeit § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . 132 (3) Bestechung, § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, § 17 Abs. 1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Unechte Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Echte Unterlassungsdelikte, insbesondere der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung, § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (1) Ausschluss des objektiven Tatbestandes? . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Derzeitige Anforderungen der Rechtsprechung an die gehörige Aufsicht im Sinne des § 130 OWiG . . . . . . . . . . 144 (a) Das Dilemma um die Bestimmung der konkreten unternehmerischen Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (b) Einzelne unternehmerische Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (aa) Auswahlpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (bb) Einweisungs- bzw. Instruktionspflichten . . . . . . 148 (cc) Überwachungs-, Untersuchungs- und Sank­ tionspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (dd) Nachgelagerte Organisationspflichten  . . . . . . . . 156 (c) Empirische Erkenntnisse bezüglich der Verbreitung einzelner Compliance- bzw..Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (aa) Deliktsbereich Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (α) Audits bzw. Kontrollen  . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (β) Compliance Officer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (γ) Sanktionierung von Verstößen  . . . . . . . . . . 160

10 Inhaltsverzeichnis (δ) Schulungsmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Deliktsbereich Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . (α) Audits bzw. Kontrollen  . . . . . . . . . . . . . . . . (β) Kartellrechtliche Präsenzschulungen  . . . . . (γ) Sanktionierung von Verstößen  . . . . . . . . . . (δ) Ansprechpartner für Zweifelsfragen  . . . . . . (d) Fazit bezüglich der Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG und daran anknüpfende rechtspolitische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zukünftige Anforderungen der Rechtsprechung an die Unternehmensaufsicht im Sinne des § 130 OWiG . . . . . . (4) § 33 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 Nr. 17c WpHG alte Fassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fahrlässigkeitstaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbandsgeldbuße, § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ebene der Schuld bzw. Vorwerfbarkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbandsgeldbuße, § 30 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sog. Ahndungsteil der Verbandsgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entschließungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auswahlermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sog. Abschöpfungsanteil der Verbandsgeldbuße . . . . . . . . . . . b) Geldbuße wegen einer Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss einer Berücksichtigung von Criminal-ComplianceMaßnahmen auf der Rechtsfolgenebene aufgrund wiederholter Verstöße? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtliche Auswirkungen einer Zertifizierung des CriminalCompliance Programms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen im deutschen Kartellbußgeldverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtliche Risiken, Sanktionspraxis des Bundeskartellamts und kriminologische Befunde bezüglich der Wettbewerbskriminalität . . . . 2. Criminal-Compliance im deutschen Kartellbußgeldverfahren de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haltung des Bundeskartellamts zur Berücksichtigungsfähigkeit kartellrechtlicher Compliance-Programme und deren kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bonusregelung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen und deren Compliance-Strukturen im Bereich der Korruption . . . . . . . . . . . . .

160 161 162 162 162 162 162 166 169 169 171 174 177 177 177 177 180 185 186 188 190 193 193 195 195 200 203 203

Inhaltsverzeichnis11 1. Übersicht zu den Anforderungen des UK Bribery Act 2010 und dessen Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Allgemeines zum UK Bribery Act 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Die Anforderungen des UK Bribery Act 2010 und dessen Richtlinie im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 aa) „Proportionate procedures“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) „Top-Level Commitment“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) „Risk Assessment“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) „Due Diligence“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 ee) „Communication“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 ff) „Monitoring und Review“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Übersicht zu den Anforderungen des U.S. Foreign Corrupt Practices Act und dessen Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Allgemeines zum Foreign Corrupt Practices Act  . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Die Anforderungen des U.S. Foreign Corrupt Practices Act und dessen Richtlinie im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) „Top-Level-Commitment und Richtlinie gegen Korruption“ . 209 bb) „Code of Conduct und Compliance-Prozesse“ . . . . . . . . . . . . . 209 cc) „Compliance-Officer mit ausreichender Autonomie sowie Ausstattung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 dd) „Risk Assessment“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 ee) „Training (Schulungen) und Beratungen im Unternehmen“ .  210 ff) „System, das regelkonformes Verhalten belohnt und regelwidriges sanktioniert“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 gg) „Monitoring bzw. Due Diligence“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 hh) „Berichte und Internal Investigation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 ii) „Dauerhafte Evaluation und ggf. Anpassungen“ . . . . . . . . . . . 211 jj) „Pre-Acquisition Due Diligence and Post-Acquisition Inte­ gration“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Fazit und Vergleich zu den Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 VI. Zusammenfassung und gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 E. Ergebnisse der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Anwendungsbereiche des FCPA und UK Bribery Act . . . . . . . . . 45 Abbildung 2: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen insgesamt . . . . . 112 Abbildung 3: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Abbildung 4: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung von Unternehmen im Anwendungsbereich des FCPA und / oder UK Bribery Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Abbildung 5: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit kartellrechtlicher Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Abbildung 6: Gesamtanzahl der Bonusanträge im Zeitraum von 2006 bis 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

A. Einleitung und Problemaufriss In den Fokus vieler deutscher Unternehmen ist zunehmend das Thema der Kriminalprävention gerückt. Gerade auch aus einer betriebswirtschaftlichen Vernunft heraus versuchen Unternehmensleitungen daher auf verschiedenste Präventionsmaßnahmen zu setzen. Im Vordergrund stehen dabei sog. Crimin­ al-Compliance-Programme. Es ist zu konstatieren, dass Unternehmen und deren Leitungspersonen infolge von spektakulären Strafverfahren bzw. immer höher ausfallenden Verbandsgeldbußen sensibler in Bezug auf eine gerichtsfeste Unternehmensausgestaltung geworden sind. Insbesondere der Gesetzgeber hat dazu beitragen, dass sich die strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndungsrisiken für Unternehmen und Leitungspersonen vergrößert haben. Zuletzt wurde im Rahmen der 8. GWB-Novelle eine Ahndungsverschärfung der §§ 30, 130 OWiG beschlossen. Es erfolgte eine Anhebung des Bußgeldrahmens der Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG von einer Millionen auf zehn Millionen Euro.1 Es verwundert daher nicht, dass Unternehmen immer mehr daran gelegen ist, Compliance-Management-Systeme in der Hoffnung einzuführen, einer straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung zu entgehen bzw. dieses Risiko zu minimieren. Ihre Hoffnung wird dadurch bestärkt, dass namhafte Rechtsanwaltskanzleien Compliance-Beratungen und Wirtschaftsberatungsgesellschaften darüber hinaus Zertifizierungen nach dem IDW PS 980 oder ISO 19600 von Compliance-Programmen anbieten. Des Weiteren existieren bereits in vielen Ländern der Welt gesetzliche Regelungen, die wirksame Compliance-Maßnahmen sanktionsmindernd berücksichtigen. Auch wenn sich das Phänomen bzw. Rechtsgebiet2 der Criminal-Compliance schon geschwind fortentwickelt hat, gibt es dennoch zahlreichen wissenschaftlichen Klärungsbedarf. Vor diesem Hintergrund will die vorliegende Arbeit inhaltlich mit dem Thema der Einführbarkeit einer „echten“ Verbandsstrafe im deutschen Rechtsraum beginnen. Bei der Erläuterung der dogmatischen Grundlagen einer solchen Verbandssanktion de lege ferenda können gleichzeitig erste Schnittstellen zu Criminal-Compliance aufgezeigt werden. 1  Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013, BGBl. I 2013, 1738 (1748). 2  Für ein eigenständiges Rechtsgebiet Rotsch zitiert nach Timm, ZIS 2013, 249.

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A. Einleitung und Problemaufriss

Im zweiten Kapitel sollen die geltenden Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Leitungspersonen als auch dem Unternehmensträger als solchem untersucht werden, um Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance erörtern zu können. Insbesondere soll sich der dogmatischen Struktur der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG als auch dem Merkmal der Betriebsbezogenheit gewidmet werden. Die vorliegende Arbeit will nicht bei einer Einordnung bzw. Konturierung des Begriffs der Criminal-Compliance stehen bleiben. Vielmehr werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Criminal-Compliance-Konzepten und den in § 130 OWiG normierten Aufsichtspflichten im dritten Kapitel dargestellt. Daran anknüpfend wird untersucht, ob sich aus § 130 OWiG eine allgemeine Compliance-Pflicht herleiten lässt. Des Weiteren wird auch auf Aspekte, die die Wirtschaftskriminologie zur allgemeinen Compliance-Thematik beitragen kann, eingegangen. Hierbei sollen u. a. die Erkenntnisse der PricewaterhouseCoopers Studien zur „Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013“ und „Wirtschaftskriminalität in der analogen und digitalen Wirtschaft 2016“ nutzbar gemacht werden. Das darauffolgende vierte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich umfassend mit den Anknüpfungspunkten für Criminal-Compliance im deutschen Recht. Im Rahmen dieses Arbeitsschrittes spielt § 130 OWiG eine zentrale Rolle. Deswegen soll eine Analyse und Systematisierung der dazu ergangen Rechtsprechung erfolgen. Um die Bedeutung von Criminal-Compliance für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung eingehend abbilden zu können, muss jenseits von § 130 OWiG auf weitere relevante Vorschriften eingegangen werden. Da der Fokus der Compliance-Debatte in den letzten Jahren vorwiegend auf dem Deliktsbereich der Korruption lag, möchte diese Arbeit auch auf das Kartellrecht und die Möglichkeiten der dortigen Berücksichtigungsfähigkeit von Compliance-Maßnahmen eingehen. Für die Praxis nicht unwichtig ist darüber hinaus die Frage, welche Anforderungen in organisatorischer Hinsicht ausländische Gesetze an deutsche Unternehmen stellen. Die dazu erforderlichen Elemente eines ComplianceProgramms sollen in diesem Zusammenhang erläutert werden. Den Blick einzig und allein auf die deutschen Compliance-Anforderungen zu richten, wird dem globalen wirtschaftlichen Agieren vieler Unternehmen nicht gerecht. Die zahlreichen internationalen und deliktsspezifischen Regulierungen erschweren es den Unternehmen erheblich einen festen Katalog von Compliance-Maßnahmen zu entwickeln, die das Compliance-Programm abbilden muss. Dies zeigt auch die internationale Dimension der Compliance-Thematik, der sich diese Arbeit versucht zu stellen. Beginnen wird die Untersuchung mit einer überblicksmäßigen Bestandsaufnahme der deutschen Sanktionsmöglichkeiten von Verbänden bzw. leitenden Angestellten.

B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen bzw. Unternehmensträger de lege lata und de lege ferenda Die Sanktionierung von Unternehmensträgern3 d. h. von juristischen Personen und rechtsfähigen Personenverbänden ist in Deutschland grundsätzlich sowohl über das Strafrecht als auch über das Ordnungswidrigkeitenrecht denkbar.4 Aufgrund der zunehmenden Bedeutung des Wirtschaftsstrafrechts bzw. der Wirtschaftskriminologie und der wachsenden gesellschaftlichen Aufmerksamkeit in Bezug auf Wirtschaftskriminalität wird einer angemes­ senen Sanktionierung dieser ein immer größeres Gewicht beigemessen. Zunächst soll der Blick darauf gerichtet werden, ob und in welchem Umfang eine Strafbarkeit von Unternehmensträgern in Deutschland besteht und welche Sanktionsmöglichkeiten de lege ferenda denkbar sind. Insbesondere sollen straf- und verfassungsrechtliche Aspekte bei der Ahndung von juristischen Personen untersucht werden. Dabei sollen die aktuellen Rechtsentwicklungen in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden und der derzeitige Einfluss ausländischen Rechts speziell auf die Sanktionierung deutscher Unternehmen(-sträger) dargestellt werden. In einem zweiten Schritt sollen kriminologische sowie rechtspolitische Erkenntnisse bzw. Erwägungen dargetan werden, die bei der Ahndung gegenüber Kollektiven eine Rolle spielen können. Damit soll ein Ausblick über die gesetzgeberischen Handlungsmöglichkeiten bei der Sanktionierung von Unternehmensträgern gegeben werden. Zu der sich daran anschließenden Diskussion über die materiell-rechtlichen als auch strafprozessualen Folgen der Einführung einer Unternehmensstrafe kann hier in Anbetracht des gewählten Dissertationsthemas kein Beitrag geleistet werden.5

3  Denkbar wäre auch eine Sanktionierung der wirtschaftlichen Einheit „Unternehmen“. Die vorliegende Arbeit will aber das Rechtsträgerprinzip zu Grunde legen. Als Rechtsträger und damit Rechtssubjekt kommen in der Wirtschaft vor allem juristische Personen und rechtsfähige Personenvereinigungen in Betracht. 4  Vgl. im Überblick Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 4 Rn.  7 ff. 5  Zu dieser sich anschließenden „Problematik“ vgl. nur Dierlamm, in: FS Feigen, 25 (33 ff.); Mitsch, NZWiSt 2014, 1 (3 ff.); Trüg, wistra 2010, 241 ff.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen und rechtsfähigen Personenvereinigungen 1. Ein „echtes“ Verbandsstrafrecht als tragfähiges Modell eines zukünftigen Rechts? Ausgehend vom Status quo des deutschen Rechts besteht nicht die Möglichkeit, dass Kriminalstrafen gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen verhängt werden können.6 Der deutsche Gesetzgeber hält auch im Jahr 2018 bisher weiterhin an dem lateinischen Grundsatz „societas delinquere non potest“ fest, wonach juristische Personen oder rechtsfähige Personenvereinigungen wegen fehlender Handlungs- und Schuldfähigkeit keine tauglichen Normadressaten von strafrechtlichen Regelungen sein können.7 Ein Großteil der strafrechtlichen Literatur lehnt eine Verbandsstrafe ebenso aus den unterschiedlichsten Gründen heraus ab.8 Gleichwohl mehren sich auch die Stimmen, die eine Strafbarkeit von Unternehmensträgern als Rechtssubjekten nicht per se ausschließen wollen und eventuellen gesetzgeberischen Aktivitäten diesbezüglich nicht vollends abgeneigt sind.9 Daher ist 6  Engelhart, Sanktionierung, 337; Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 974; Kudlich / Oglakcioglu, WirtschaftsstrafR, § 4 Rn. 85; Radtke, in: MükoStGB, Bd. 1, § 14 Rn. 128; Ransiek, NZWiSt 2012, 45; Tiedemann, WirtschaftsstrafR AT, 4. Aufl., Rn. 242; Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 141; Wittig, WirtschaftsstrafR, 3. Aufl., § 8 Rn. 7. 7  Achenbach, ZIS 2012, 178 (180); G. Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (466); Kelker, FS Krey, 221 (234); Müller-Gugenberger, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, § 23 Rn. 33; Trüg, wistra 2010, 241; Kindler, Unternehmen, 130. 8  Beckemper, in: Unternehmensstrafrecht, 277 (282 f.); Campos Nave, BB 2014 / 27, Die erste Seite; Dierlamm, in: FS Feigen, 25 ff.; von Freier, GA 2009, 98 ff.; Görtz, WiJ 2014, 8 ff.; Hein, CCZ 2014, 75 (80); Kelker, FS Krey, 221 (245 ff.); Knopp / Rathmann, JR 2005, 359 (362 f.); Krey, StrafR AT, Rn. 115 f.; Leipold, ZRP 2013, 34 ff.; Lohbeck, JSE 2014, 5 ff.; Löffelmann, JR 2014, 185 ff.; Mitsch, NZWiSt 2014, 1 ff.; Peglau, ZRP 2001, 406 (407 f.); Ransiek, NZWiSt 2012, 45 (46 ff.); Ransiek, Editorial StV 3 / 2014, I; Rübenstahl, ZRFC 2014, 26 ff.; Schmitz, in: Müko-StGB, Bd. 5, vor §  324 ff. Rn.  144 f.; Schmoller, in: FS Otto, 453 ff.; Schünemann, ZIS 2014, 1 (18); ders., in: FS Tiedemann, 429 (446 f.); Steinberger, BB 2014 / 12, Die erste Seite; Wehnert, in: FS Rieß, 811 ff.; Willems, ZIS 2015, 40 ff.; Wittig, WirtschaftsstrafR, 3. Aufl., § 8 Rn. 9; Zieschang, GA 2014, 91 ff. Eine Verbandsstrafe aus kriminologischer Sicht ablehnend: Hefendehl, MschrKrim 2003, 27 (42); eine Verbandsstrafe nicht gänzlich ablehnend Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (11 ff.) und dies., jM 2014, 257 ff. Für eine Anpassung der Verbandsgeldbuße im OWiG: Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (272); Beulke / Moosmayer, CCZ 2014, 146 ff.; Mansdörfer, ZIS 2015, 23 ff. 9  Alwart, ZStW 1993, 752 ff.; G. Dannecker, in: FS Böttcher, 465 ff.; ders. / C. Dannecker, NZWist 2016, 162 (170); Engelhart, Sanktionierung, 680 ff.; Frister, in: FS



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen17

es legitim, dass auch im Jahre 2017 – trotz schon zahlreicher Debatten um dieses Thema – erneut Überlegungen zur Einführung einer „Verbandsstrafe“ als einem möglichen Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität aus dem Unternehmen heraus, insbesondere auch der der Wirtschaftskriminalität, angestellt werden.10 Als Gründe hierfür können angesehen werden, dass sich Unternehmen zunehmend arbeitsteiliger Strukturen bedienen, bei denen eine erhöhte Gefahr der Begehung von Wirtschaftsdelinquenz besteht und eine Nachweisbarkeit individueller Tatbeiträge erheblich erschwert ist.11 Eine Strafverfolgung, die lediglich auf das Fehlverhalten einzelner für den Unternehmensträger handelnder natürlicher Personen aus ist, wird für eine effektive Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als nicht ausreichend angesehen. Eine überwiegend individualstrafrechtliche Ahndung erscheint angesichts der das Wirtschaftsstrafrecht oft kennzeichnenden Verletzung von überindividuellen Rechtsgütern als nicht mehr angemessen und zeitgemäß. Nicht verwunderlich ist daher ein immer größer werdendes gesellschaftliches Interesse an der Verhinderung, Aufdeckung und effektiven Sanktionierung von Unternehmenskriminalität. Darüber hinaus besteht ein internationaler Trend zur Einführung von Kriminalstrafen gegenüber Unternehmensträgern.12 Aber auch die Prozesse der Globalisierung und Europäisierung an sich haben beacht­ lichen Einfluss auf deutsches Recht, auf gesetzgeberische Aktivitäten sowie auf deutsche Unternehmen bzw. Unternehmensträger und deren ComplianceAusgestaltung. Dem nationalen Recht steht ein immer stärker werdender Partner – das europäische Unionsrecht – zur Seite, dass schon heute zahlreiche Vorgaben zur Sanktionierung von Verbänden in den Mitgliedsländern macht. Dessen Einfluss wird nicht nur im Strafrecht und Strafprozessrecht immer größer, sondern erfasst zusehends immer mehr das gesamte nationale Recht. Des Weiteren ist der Einfluss ausländischer Gesetze mit extraterrito­ rialen Anwendungsbereichen (z. B. der UK Bribery Act 2010) auch für deutWessing, 3 (3 ff.); Hetzer, ZRFC 2014, 18 ff.; Jäger, in: FS I. Roxin, 2012, 43 (55 f.); Kindler, Unternehmen, 312 ff.; Kubiciel, ZRP 2014, 133 ff.; ders., NZWiSt 2016, 178 (178 ff.); ders., ZRP 2016, 137 ff.; Kudlich, in: Compliance und Strafrecht, 209 (210 ff.); ders., Unternehmensstrafrecht, 217 ff.; Kudlich / Oglakcioglu, WirtschaftsstrafR, § 4 Rn. 86 ff.; Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht im Kontext, 2007, 9 ff.; Pieth, KJ 2014, 276 ff.; Radtke, in: Müko-StGB, Bd. 1, § 14 Rn. 128; Salditt, in: FS Achenbach, 433 (436 ff.); H. J.  Schneider, Kriminalpolitik, 60 f.; Scholz, ZRP 2000, 435 (440); Vogel, StV 2012, 427; ders., JA 2012 / 1, Editorial; Wessing, ZWH 2012, 301 ff.; wohl auch Böse, ZStW 2014, 132 ff.; Laue, Jura 2010, 339 ff. 10  Anders Schünemann, ZIS 2014, 1 der die Debatte um die Einführung eines ­Unternehmensstrafrechts als „rechtspolitischen Zombie“ bezeichnet oder von Freier, GA 2009, 98 der von „Zurück hinter die Aufklärung“ spricht. 11  Vgl. zu diesem Aspekt G. Dannecker, in: FS Böttcher, 465, ders., GA 2001, 101 (102); Pieth, KJ 2014, 276 f. 12  Vgl. nur Radtke, in: Müko-StGB, Bd. 1, § 14 Rn. 128; Trüg, StraFo 2011, 471 f.; Bärlein / Englerth, in: FS Wessing, 33 (33 ff.).

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

sche Unternehmen13 nicht zu unterschätzen. Ungeachtet der deutschen Strafrechtsdogmatik drohen hiesigen Unternehmen über extraterritoriale Antikorruptionsgesetze Sanktionen in Form von „echten“ Kriminalstrafen, zum Teil auch in unbegrenzter Höhe. Aber nicht nur internationale Entwicklungen, sondern auch Defizite bei der bestehenden Sanktionsmöglichkeit des Unternehmensträgers nach § 30 OWiG (ggf. in Verbindung mit § 130 OWiG)14 bringen neuen Schwung in die Debatte über die Einführung eines Verbandsstrafrechts. Angesichts dieser Entwicklungen erscheint es angebracht zu sein, sich dem Thema der Verbandsstrafbarkeit erneut und kritisch zu widmen. Der vielfach zu lesende und im Übrigen zu bezweifelnde Hinweis, dass den Strafverfolgungsbehörden schon derzeit ein wirksames Sanktionsinstrumentarium in Form der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG zur Verfügung steht, sollte nicht von einer erneuten wissenschaftlichen Diskussion zum Thema Verbandsstrafrecht abhalten. Diese Thematik, ob Unternehmen kriminalstrafrechtlichen Sanktionen unterworfen werden können, bezeichnet Vogel wegen der in regelmäßigen Abständen aufkommenden Diskussion darüber, als „Klassiker des Unterneh­ mensstrafrechts“.15 Nachfolgend soll untersucht werden, ob strafrechtliche bzw. verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung einer „echten“ Verbandsstrafe streiten und wie diese gegebenenfalls überwunden werden können. Alle dazu vertretenen strafrechtlichen Ansätze bzw. Lösungen können nicht dargestellt werden. Es wird sich auf einen Überblick beschränkt. a) Strafrechtliche Aspekte in Bezug auf eine mögliche Verbandsstrafbarkeit In einem ersten Schritt soll untersucht werden, ob aus strafrechtlicher Sicht gewichtige Gründe gegen die Einführung einer Verbandsstrafe sprechen. Gleichzeitig werden Inkonsistenzen des geltenden Rechts und gangbare Alternativen aufgezeigt, die dem Gesetzgeber bei der Sanktionierung von Unternehmensträgern grundsätzlich zur Verfügung stehen. aa) Handlung und Handlungsfähigkeit von Verbänden oder ein gänzlich anderer Anknüpfungspunkt für eine Verbandsstrafe? Ausgangspunkt einer strafrechtlichen Ahndung im Individualstrafrecht ist immer das Vorliegen einer Handlung. Als Handlung gilt daher jedes willens13  Es sei darauf hingewiesen, dass viele ausländische Rechtsordnungen nicht zwischen Unternehmen und Unternehmensträger trennen. 14  Zur geltenden Verbandsgeldbuße vgl. Gliederungspunkt: B. II. 15  Vogel, StV 2012, 427; ders., in: Unternehmensstrafrecht, 205.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen19

getragene sozialerhebliche Verhalten eines Menschen.16 Handlungsfähig sind daher nur Menschen, da sie einer natürlichen Willensbildung fähig sind. Verbände sind nach der vorstehenden Definition daher handlungsunfähig.17 Für das Individualstrafrecht ist der Anknüpfungspunkt der Handlung zwingend, weil Strafrecht das Verhalten der Menschen (im Sinne der bekannten Strafzwecke) steuern soll. Nicht zwingend ist hingegen, dass bei einer strafrechtlichen Ahndung des Verbandes der Anknüpfungspunkt einer Handlung gewählt wird. Nachfolgend sollen zwei gangbare Alternativen für eine Konstruktion eines Verbandsstrafrechts aufgezeigt werden. (1) Originäre Handlungsfähigkeit von Verbänden Zum einen besteht die Möglichkeit im Verbandsstrafrecht ebenfalls den Anknüpfungspunkt einer Handlung zu wählen. Hierfür muss zunächst eine eigene bzw. dem Verband zumindest „zurechenbare“ Handlung vorliegen. Als Handlung des Verbandes kommen die Verhaltensweisen der (leitenden) Angestellten zumindest aber die der Organe und Vertreter in Betracht. Gegen dieses Modell wird vorgebracht, dass lediglich eine Zurechnung von Handlungen natürlicher Personen für eine Strafbarkeit im Sinne des StGB nicht ausreichend sei.18 Die Verbotsnormen im deutschen Recht knüpfen (fast) ausschließlich19 an menschliches Verhalten, dem danach auch der Vorwurf der Vermeidbarkeit gemacht werden kann. Eigenes d.  h. freies menschliches Verhalten ist Legitimationsbasis für eine sich daran anschließende und auf Generalprävention zielende Strafe.20 Über eine bloße Zurechnung von Handlungen könne so keine Handlungsfähigkeit des Verbandes konstruiert werden.

vieler Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 136. Beschluss vom 25.10.1986  – 2 BvR 506 / 63, BVerfGE 20, 323 (336); Engelhart, Sanktionierung, 348; Gropp, StrafR AT, § 4 Rn. 7; Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, vor § 25 Rn. 120 ff.; Jäger, in: FS I. Roxin, 43 (45); Jescheck / Weigend, StrafR AT, 225; Müller-Gugenberger, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, § 23 Rn. 33; Mitsch, OWiG, 166 Rn. 4; ders., NZWiSt 2014, 1 f.; C. Roxin, StrafR AT, Bd. 1, 262 Rn. 59; Schünemann, in: FS Tiedemann, 429 (431 ff.); ders., ZIS 2014, 1 (4); Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 141; Wittig, WirtschaftsstrafR, 3. Aufl., § 8 Rn. 7; Zieschang, GA 2014, 91 (93 ff.). 18  Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, vor § 25 StGB Rn. 129; Jescheck / Weigend, StrafR AT, 227 ff.; C. Roxin, StrafR AT, Bd. 1, 262 Rn. 59; Schünemann, in: FS Tiedemann, 429 (431 ff.); ders., ZIS 2014, 1 (3 f.). 19  Vgl. aber nur den Wortlaut von § 1 GWB, der explizit von „Unternehmen“ spricht. 20  Schünemann, ZIS 2014, 1 (3 f.). 16  Statt

17  BVerfG,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Diese Argumentation ist für die Ebene des Individualstrafrechts schlüssig und stringent. Der Blick auf die Zurechnungslehre d. h. auf die verschiedenen Formen der Täterschaft (z. B. mittelbare Täterschaft oder Mittäterschaft) im aktuellen Recht unterstreicht dieses Ergebnis. Im Kern weisen sowohl der mittelbare Täter als auch der Mittäter zumindest partiell ein eigenes tatbestandliches Verhalten auf, dass über die Zurechnung nur ergänzt wird.21 Daher kann daraus abgeleitet werden, dass Handlungen im Bereich des Individualstrafrechts nur aufgrund von eigenen Handlungen (und auch eigner Handlungsfähigkeit) zugerechnet werden können. Was heißt dieses Ergebnis nun für die Ebene des Verbandes? Kurzum: Nichts. Zum einen liegen hier zwei unterschiedliche Ebenen, die des Individualstrafrechts und die des Verbandsstrafrechts vor. Das heißt auch, dass grundsätzlich zwei unterschiedliche Phänomene vorliegen, die nicht gleich behandelt werden können und damit auch grundsätzlich getrennten „Zurechnungsmechanismen“ unterliegen. Die Grenzen oder Schranken der Zurechnung des Individualstrafrechts gelten auf der Verbandsebene gerade nicht. Die Handlungszurechnung an juristische Personen muss grundsätzlich anders erfolgen. Bei einer Gleichbehandlung dieser Phänomene kommt es unweigerlich zu dogmatischen Problemen und Verwerfungen, denn dann misst man ein zukünftiges Verbandsstrafrecht an individualstrafrechtlichen Maßstäben. Achenbach kritisiert deshalb zu Recht, dass es zu trivial ist, eine Strafbarkeit des Unternehmensträgers per se auszuschließen zu wollen, weil es nicht den bisherigen individualstrafrechtlichen Prinzipien entspricht.22 Aber auch bei dieser Art der Konstruktion eines Verbandsstrafrechts muss zwischen Handlung und Handlungsfähigkeit des Verbandes getrennt werden. Die „zugerechneten“ oder „identifizierten“ Handlungen machen den Verband als solchen noch nicht zwangsläufig handlungsfähig. Es besteht die Möglichkeit, den Verband als originär handlungsfähig anzuerkennen.23 Das Verhalten von Organen und Vertretern dient nach dieser Auffassung dazu, die den Verband als solchen treffenden Rechte und Pflichten wahrzunehmen bzw. auszuüben. Somit wird dieses Vertreter- bzw. Organhandeln als das des Systems „Verband“ aufgefasst.24 Rogall bezeichnet es als „Form der Selbstbegehung, die als organschaftliche Verbandstäterschaft bezeichnet werden kann […].“25 Zunehmend versuchen vorwiegend die Vertreter, die für eine originäre Handlungsfähigkeit von juristischen Personen bzw. 21  Mitsch,

NZWiSt 2014, 1 (3); ähnlich Löffelmann, JR 2014, 185 (188 Fn. 23). in: Unternehmensstrafrecht, 271 (272). 23  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (273); G. Dannecker, GA 2001, 101 (111); Eidam, Straftäter Unternehmen, 101 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 8 f. 24  G. Dannecker, GA 2001, 101 (111); Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 8 f. 25  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 8. 22  Achenbach,



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen21

Personenvereinigungen plädieren, sich Argumentationen der Systemtheorie26 zunutze zu machen, die eigentlich aus der Kriminologie bzw. Soziologie entstammen.27 Ausgangspunkt dieser systemtheoretischen Überlegungen ist, dass Handeln als ein sozialer Sinnausdruck aufgefasst wird. Untersucht man nun ein menschliches Verhalten und eine Handlung eines Verbandes, so kommt man in beiden Fällen zu der Erkenntnis, dass sich ein Sinnausdruck vorfinden lässt.28 An diesem Sinnausdruck könnte normativ ein Verbandsstrafrecht angeknüpft werden. Für die originäre Handlungsfähigkeit des Verbandes spricht der Umstand, dass sich das Verbandshandeln gerade im Handeln der Organe identifiziert. Damit wird der Wille des handelnden Organs mit dem Willen des Verbandes gleichgesetzt. Juristische Personen haben demzufolge eine reale Verbandspersönlichkeit. Als Befund dafür lassen sich die zivilrechtlichen Vorschriften der § 28 und § 31 BGB anführen. Diese stellen allgemein formuliert auf eine Beschlussfassung des Organs ab, womit zugleich der Verbandswille konstituiert wird. Diese Erwägungen lassen sich mit dem Argument der Einheit der Rechtsordnung auch in ein zukünftiges Verbandsstrafrecht übertragen. Es ist gerade auch „kein erkenntnistheoretisch valider Differenzierungsgrund ersichtlich, weshalb die juristische Person zivilrechtlich handlungsfähig, strafrechtlich aber handlungsunfähig sein sollte“29. Der Aspekt der realen Verbandspersönlichkeit hat auch einen verfassungsrechtlichen Niederschlag in Art. 19 Abs. 3 GG gefunden. Danach gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach anwendbar sind. Gerade aus diesem Gesichtspunkt heraus überzeugt das Gegenargument auch nicht, dass der Wille der juristischen Person nicht mit dem handlungsleitenden Willen natürlicher Personen gleichzusetzen sei.30 Vielmehr ist das ein rein naturalistischer Standpunkt, der konsequent korporative Akteure d. h. Verbände ausklammert. Ob ein anderer Vergleich im aktuellen Recht brauchbare Aussagen zulässt, kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden. Derzeit können gegen Unternehmensträger gemäß § 30 Abs. 1 bzw. 4 OWiG Geldbußen festgesetzt werden. Fraglich erscheint daher, ob durch diese Verbandssanktion nicht denklogisch eine Handlungsfähigkeit der juristischen Luhmann, Soziale Systeme, 191 ff. insbesondere Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 10; G.  Dannecker, GA 2001, 101 (111). Aus der neueren Literatur bedient sich Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht, 74 f. systemtheoretischer Erwägungen. Sie hält die Konstruktion einer Handlungsfähigkeit juristischer Personen für einen gangbaren Weg. 28  G.  Dannecker, GA 2001, 101 (111); Klesczewski, in: FS Seebode, 179 (181 f.); Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 10. 29  Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, 13 (17). 30  Maurach / Zipf, StrafR AT, Bd. 1, § 15 Rn. 8. 26  Vgl. 27  So

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Person vorausgesetzt wird.31 Der Unterschied zwischen einer kernstrafrechtlichen und einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit besteht – gerade auch in Anbetracht der letzten gesetzgeberischen Neuerungen im Ordnungswidrigkeitenrecht – einzig und allein in der Höhe des damit einhergehenden sozialethischen Tadels.32 Daher erscheint es auf den ersten Blick inkonsequent, dass eine Handlungsfähigkeit juristischer Personen und von Personenverbänden im Ordnungswidrigkeitenrecht angenommen wird, aber im Kernstrafrecht abgelehnt wird. Richtigerweise wird man aus § 30 OWiG nur ableiten können, dass eine Handlungsfähigkeit juristischer Personen de lege lata schon bestehen kann, aber nicht zwingend muss.33 Gesetzgeberische Äußerungen zur Konzeption des § 30 OWiG fehlen bisher. Gleichwohl steht der Annahme einer Handlungsfähigkeit des Verbandes für das Strafrecht nach den gemachten Ausführungen nichts im Wege. Es wäre zumindest eine – normativ – vertretbare Entscheidung. (2) Anknüpfungspunkt: „Organisationsdefizit“ als Zustand Der Gesetzgeber kann für ein zukünftiges Verbandsstrafrecht auch einen anderen Anknüpfungspunkt als den einer Handlung auf der Tatbestandsebene wählen. Denkbar erschiene hier an ein „Organisationsdefizit“ als Zustand in einem Unternehmen als materiellem Kriterium anzuknüpfen. Ein „Organisationsdefizit“ soll aber nicht nur dann vorliegen, wenn ein einzelner Unternehmensmitarbeiter einen fehlerhaften Organisationsakt vorgenommen oder unterlassen hat. Würde man dies einfordern, würde man mehr oder weniger doch wieder Bezug auf eine konkrete Handlung oder Unterlassung eines Unternehmensmitarbeiters nehmen. Will man einen korporationsorientierten Blickwinkel einnehmen, so kann sich der Zustand einer Desorganisation gerade auch additiv bzw. kumulativ aus mehreren Beiträgen von Unternehmensmitarbeitern ergeben. „Risikoverdichtung und polykausale Abläufe 31  Eine Handlungsfähigkeit explizit annehmend: Gropp, StrafR AT, § 4 Rn. 9; Hirsch, ZStW 1995, 285 (289); Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1172). Ähnlich wohl auch Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, 13 (16 f.). 32  Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27.03.1979  – 2 BvL 7 / 78, BVerfGE 51, 60 (74); Mitsch, OWiG, 17 Rn. 10; Achenbach, ZIS 2012, 178 (179 f. und 182); Hirsch, ZStW 1995, 285 (290), Zieschang, GA 2014, 91 (93). Wohl auch Ransiek, StV 2014 / 3, Editorial der meint, dass es schon eine „Unternehmensstrafe“ gibt. Anders BVerfG, Beschluss vom 15.08.1996, NJW 1997, 1841 (1844) wonach die Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG keinen Schuldvorwurf und keine ethische Missbilligung enthalte. 33  Da sich der Gesetzgeber zur dogmatischen Konstruktion des § 30 OWiG nicht geäußert hat, kann diese Vorschrift auch auf einem gänzlich anderen Verständnis fußen.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen23

[bilden] einen geradezu klassischen Aspekt der Unternehmenskriminalität“34. Damit würde zulässig an ein35 „Spezifikum“ der korporativen Devianz in einem zukünftigen Verbandssanktionenrecht angeknüpft. Durch eine defizitäre Organisation mitsamt einer schlechten Organisationskultur kann das Verhalten Einzelner d. h. natürlicher Personen stark determiniert werden. Tatgelegenheiten für betriebsbezogene oder den Verband bereichernde Zuwiderhandlungen können bewusst oder unbewusst geschaffen werden. Gleichzeitig können dadurch auch Hemmschwellen gesenkt werden. Ein Organisationsdefizit kann Kriminalität aus dem Verband zumindest fördern und damit auch mitursächlich für Rechtsgutsverletzungen sein. Dass daran in einem Verbandsstrafrecht angeknüpft wird, dürfte eine legitime Basis darstellen. Sofern Organe bzw. Leitungspersonen im Verband verfügbar sind, besteht grundsätzlich die Möglichkeit vorhandene Organisationsdefizite abzustellen. Dem Verband wird dafür ein Tatvorwurf gemacht, dass eine Desorganisation vorgelegen und sich schlussendlich eine betriebstypische Gefahr in einer Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters konkret realisiert hat. Das ist dann der Fall, wenn eine ordnungsgemäße Organisation die betriebstypische Zuwiderhandlung verhindert oder zumindest wesentlich erschwert hätte. Ein solcher Ansatz unterscheidet sich von denjenigen, die „nur“ auf ein sog. Organisationsverschulden abstellen darin, dass bereits ein Tatvorwurf gegenüber dem Verband in concreto den des defizitären Organisationszustands erhoben wird. Damit auch nicht jedes Organisationsdefizit zu einer strafrechtlichen Ahndung des Unternehmensträgers führt, könnte einschränkend eine objektive Bedingung der Verbandsstrafbarkeit normiert werden. Diese könnte in einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat eines oder mehrerer Unternehmensmitarbeiter gesehen werden, ohne dass ermittelt werden muss, welche natürliche Person konkret gehandelt hat. Ohnehin würden betriebstypische Zuwiderhandlungen, die unabhängig d. h. losgelöst von der ordnungsgemäßen Binnenorganisation begangen wurden, nicht zu einem Tatvorwurf an den Unternehmensträger führen.36 Diese Konstellationen würden vielmehr „Exzesstaten“37 eines oder mehrerer Mitar34  Schmitt-Leonardy,

ZIS 2015, 11 (19). sei darauf hingewiesen, dass ein Defizit der internen Organisation nur ein Aspekt kollektiver Devianz ist. Gleichwohl schließt diese Erkenntnis nicht die Anknüpfung an eine tatbestandsbegründende Desorganisation aus. Zu weiteren Faktoren kollektiver Devianz Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (19 ff.); Kölbel, ZIS 2014, 552 (553 ff.). 36  Anders Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1173) der selbst bei ordnungsgemäßer Organisation eine Freizeichnung des Verbandes im Rahmen des § 30 OWiG ausschließen will. 37  Zum Begriff „Exzesstaten“ ausführlich Bussmann, CCZ 2016, 50 (51). 35  Es

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

beiter darstellen, die nicht dem Verantwortungsbereich des Unternehmensträgers zurechenbar sind. (3) Zusammenfassung Das entscheidende aller Argumente ist, dass der Gesetzgeber – sofern er sich für ein Verbandsstrafrecht entscheiden will – nicht an (individual-)strafrechtliche Dogmen gebunden ist, sofern er die limitierende Schranke des Verfassungsrechts, namentlich das Grundgesetz38 und die europarechtlichen Vorgaben zur Verbandssanktionierung beachtet. Daher kann der Gesetzgeber die Handlungsfähigkeit von juristischen Personen und Personenverbänden normativ begründen. Er kann aber genauso gut einen anderen Anknüpfungspunkt z. B. den des angesprochenen „Organisationsdefizits“ für ein Verbandsstrafrecht wählen. Dadurch wird deutlich, dass es sich bei der Frage, ob ein Verbandsstrafrecht in Deutschland eingeführt wird, um keine strafrechtsdogmatische, sondern um eine primär rechtspolitische Frage handelt.39 Im Rahmen eines möglichen Gesetzgebungsverfahrens können gleichwohl Stellungnahmen aus der Strafrechtswissenschaft sowie aus anderen Wissensdisziplinen erfolgen. Wenn man zur Beurteilung einer zukünftigen Verbandsstrafe das derzeitige Individualstrafrecht mit dessen Bedeutungsinhalt von Handlung und Handlungsfähigkeit als Maßstab anlegt, muss es denklogisch zu dogmatischen Diskrepanzen kommen. Dabei wird gleichzeitig verkannt, dass Verbandsstrafe und Individualstrafe etwas Unterschiedliches sind. bb) Schuldfähigkeit von Verbänden (1) Bisherige Einwände gegen die Schuldfähigkeit von Verbänden Problematischer erscheint die Frage, ob juristische Personen oder Personenverbände im strafrechtlichen Sinn schuldhaft handeln können. Auch ein zukünftiges Verbandsstrafrecht braucht ein Schulderfordernis, da dieses eine strafbegründende und zugleich strafbegrenzende Funktion gewährleistet. Nicht tragfähig ist damit ein solcher Ansatz, der eine Verbandsstrafbarkeit ohne Schulderfordernis normieren will.40 38  Vogel, JA 2012 / 1, Editorial; ders., StV 2012, 427 f.; ders., in: Unternehmensstrafrecht, 205 (207 f.); Kubiciel, ZRP 2014, 133 (134 f.). 39  Ebenso Vogel, JA 2012 / 1, Editorial; ders., StV 2012, 427 f.; ders., in: Unternehmensstrafrecht, 205 (207 f.); Kubiciel, ZRP 2014, 133 (134); Tiedemann, WirtschaftsstrafR AT, 4. Aufl., Rn. 372. 40  So aber Alwart, ZStW 1993, 752 ff.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen25

Von der herrschenden Auffassung wird im Bereich des Individualstrafrechts Schuld als persönliche Vorwerfbarkeit41 verstanden, sofern der Normbruch für den Handelnden vermeidbar gewesen ist. Damit wird deutlich, dass Handlung und Schuld im Individualstrafrecht eng zusammenhängen. Dort setzt Schuld zwangsläufig eine Handlung voraus. Es wird auf der Ebene der Schuld ein inhaltlicher Bezug zur Handlung und damit auch zum Willen der natürlichen Person hergestellt. Ausgehend von diesem Verständnis können nur natürliche Personen mit der Motivation handeln, gegen eine Verbotsnorm verstoßen zu wollen mit der Folge, dass die Tat dem Täter dann persönlich vorzuwerfen ist.42 Nur ein Mensch hat folglich die nötige Vermeidemacht, sich gegen den Rechtsbruch zu entscheiden. Schuld ist demnach an das Menschsein geknüpft.43 Eine Zurechnung der persönlichen Schuld eines Organs bzw. Mitarbeiters dem Unternehmensträger gegenüber ist wegen der persönlichen Komponente, die dem Schuldvorwurf inne ist, nicht möglich.44 Anhand dieser Ausführungen ist es nur konsequent, die Schuldfähigkeit von Verbänden nach den individualstrafrechtlichen Grundsätzen zu verneinen. Wie schon erwähnt, würde eine Verbandsstrafe aber eine andere Ebene als die des Individualstrafrechts betreffen. Deswegen können die vorgenannten Argumente – so stringent und schlüssig sie im Bereich des Individualstrafrechts sind – keine automatische Geltung auf der Verbandsebene beanspruchen. Eine zukünftige Verbandsstrafe und die geltende Individualstrafe sind damit zwei verschiedene Sanktionen, die jeweils eigenen dogmatischen Mechanismen unterliegen. Gleichwohl muss eine solche Verbandssanktion, sofern sie als Strafe ausgestaltet ist, ein Schulderfordernis normieren. Das muss unabdingbare Prämisse für ein Verbandsstrafrecht sein, bei dem es um eine strafrechtliche Ahndung und nicht um eine (garantieähnliche) Haftung des Verbandes für sämtliche Zuwiderhandlungen von Mitarbeitern gehen soll. (2) G  angbare Alternativen zur Schuldbegründung von Verbänden und rechtliche Inkonsistenzen des Instituts der Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 OWiG Für die Etablierung einer Verbandsstrafe werden die unterschiedlichsten Ansätze diskutiert, die Schuldfähigkeit von juristischen Personen zu konstru41  Zu diesem Aspekt BGH, Beschluss vom 18.03.1952  – GSSt 2 / 51, BGHSt 2, 194 (200); Jescheck / Weigend, StrafR AT, 426 f.; Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 612. 42  Jescheck / Weigend, StrafR AT, 227 f.; Tofahrn, StrafR AT I, 147 Rn. 240. 43  Jäger, in: FS I. Roxin, 43 (46); Schünemann, ZIS 2014, 1 (3 f.). 44  Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, vor § 25 Rn. 129; Jescheck / Weigand, StrafR AT, 227 f.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

ieren. Daneben werden aber auch alternative Ansätze vorgeschlagen, bei denen auf das Kriterium der Schuld gänzlich verzichtet wird und einem Maßregelmodell45 oder einer gänzlich neuen dritten Spur46 im deutschen Strafrecht – neben bekannten Strafen und Maßregeln – der Vorzug gegeben wird. Auf diese wird kursorisch Bezug genommen. Da das Hauptaugenmerk auf einer Verbandsstrafe liegt und schon festgestellt wurde, dass ein Schulderfordernis nötig ist, geht es folgend um die Konstruktion desselben. Geradezu logischer Ausgangpunkt weiterführender Überlegungen ist dabei, dass juristische Personen oder Personenvereinigungen „nicht im gleichen Sinn schuldhaft handeln […] wie natürliche Personen.“47 (a) Identifikationsmodell Auch für die Begründung einer Verbandsschuld könnte das Identifikationsmodell48 herangezogen werden.49 Führt man den Identifikationsgedanken auf der Ebene der Schuld konsequent fort, so kann eine Verbandsschuld in der Schuld eines Organs gesehen werden. Von entscheidender Bedeutung ist, inwieweit der relevante Personenkreis gezogen werden soll. Sollen nur Organe bzw. Repräsentanten der Leitungsebene oder sämtliche Unternehmensmitarbeiter den Verband identifizieren? Im Unionsrecht existieren zahlreiche Vorgaben für bestimmte Deliktsbereiche, die jeweils eine Verbandssanktionierung zumindest für den Fall fordern, bei denen ein Organ, ein Organteil oder eine anderweitige Leitungsperson Straftaten zugunsten der juristischen Person begangen hat (z. B. Art 5 EG-Rahmenbeschluss zur Bestechung im privaten Sektor50).51

45  Vgl. beispielsweise Schünemann, in: LK-StGB, vor § 25 Rn. 20 ff.; ders., in: Bausteine des europäischen Wirtschaftsstrafrechts, 285 ff.; ders., in: FS Tiedemann, 429 (446 f.). 46  Jäger, in: FS I. Roxin, 43 (51 ff.). 47  Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, 13 (17). 48  Oft auch als Repräsentations-, Akzessorietäts- oder Zurechnungsmodell bezeichnet. 49  Scholz, ZRP 2000, 435 (440); Hirsch, ZStW 1995, 285 (288 f.); Ackermann, Die Strafbarkeit juristischer Personen im deutschen Recht und in ausländischen Rechtsordnungen, 217 ff. und 231 f.; Tiedemann, NJW 1988, 1169, (1171 ff.). Ähnlich Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, 186 ff., jedoch von „Zurechnung“ sprechend. 50  Rahmenbeschluss 2003 / 568 / JI des Rates vom 22.  Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. L 192 vom 31.07.2003, 54. 51  Eine Übersicht zu den unionsrechtlichen Anforderungen bzgl. der Verbandssanktionierung Rönnau / Wegner, ZRP 2014, 158 ff.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen27

Damit wird in einem ersten Schritt für das handelnde Organ am herkömmlichen Verständnis der Schuld als persönlicher Vorwerfbarkeit festgehalten, die daraus resultiert, dass der Normbruch vermeidbar gewesen sein muss. Sofern eine Schuld des Organs festgestellt ist, wird diese in einem zweiten Schritt dem Verband „zugerechnet“ bzw. mit diesem identifiziert. Gegen dieses identifikationsrechtliche Modell und einer so begründeten Verbandsschuld werden zahlreiche und zum Teil auch berechtigte Einwände erhoben. Bei dem Identifikationsansatz besteht die Gefahr – vielleicht noch stärker als beim Ansatz des sog. Organisationsverschuldens – die Ebenen des Individuums und des Verbandes miteinander zu vermengen. Dies zeigt sich auch teilweise in der dagegen vorgebrachten Kritik. Hintergrund der Kritik ist die weiterhin fehlende eigene Schuldfähigkeit des Verbandes. Die Vermeidemacht und damit Schuld des Verbandes müssen sich, da auf Tatbestandsebene der Anknüpfungspunkt an eine Handlung eines Organs gewählt wurde, folglich auch auf diese beziehen. Abgesehen von der Schuldfähigkeit der natürlichen Personen d. h. des Organs selbst, fehlt es dem Verband an einer solchen. Nur der einzelne Mitarbeiter hat hinsichtlich eines kriminellen Tätigwerdens die nötige Vermeidemacht. Eine Zurechnung der Schuld eines Organs bzw. Mitarbeiters dem Verband gegenüber hilft nicht über dessen fehlende eigene Schuldfähigkeit hinweg.52 Selbst wenn man darauf abstellt, dass die Gruppe der Organe bzw. leitenden Angestellten des Unternehmensträgers eine etwaige Vermeidemacht gegen das konkret normwidrige Verhalten eines Mitarbeiters aus dem Unternehmen heraus besitzen, so haben weder Aktionäre noch alle Arbeitnehmer eine solche. ­ Nichtsdestotrotz ist auch diese Gruppe von den rechtlichen als auch tatsächlichen Wirkungen der Verhängung einer Verbandsstrafe betroffen, obwohl das Schuldprinzip Strafen per se ohne Schuld verbietet. Des Weiteren wird gegen das identifikationsrechtliche Modell eingewendet, das wenn dem Unternehmensträger die Schuld eines seiner Organe „zugerechnet“ wird, man notwendigerweise um einer Verdoppelung der Schuld vorzubeugen, diese der jeweiligen Person der Leitungsebene abschreiben muss.53 Eine scharfsinnige Argumentation, die aber auf einer Vermengung der verschiedenen Ebenen fußt. Unterzieht man die vorgebrachten Argumente im Kontext der bestehenden Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG einer Detailanalyse, so ergeben sich zahlreiche rechtliche Inkonsistenzen. Diese werden versucht für die Diskussion um eine zukünftige Verbandsstrafe nutzbar zu machen: 52  Heine / Weißer, in: Schönke / Schröder, vor § 25 Rn. 129; Jescheck / Weigand, StrafR AT, 227 ff.; Schünemann, ZIS 2014, 1 (3 ff.). 53  Jakobs, in: FS Lüderssen, 559 (567).

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Als Befund kann festgestellt werden, dass es zumindest eine vertretbare dogmatische Leseart ist, die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG auf ein Identifikationsmodell zu stützen. Damit identifiziert sich die Verbandsschuld auch dort mit der Schuld eines Organs.54 Eine Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG als selbstständige Sanktion55 und nicht mehr nur bloßen Nebenfolge kann bis zu einer Höhe von 10 Millionen Euro (vgl. § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG) verhängt werden. Voraussetzung dafür ist, dass eine in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG genannte natürliche Person schuldhaft im Sinne des StGB bzw. vorwerfbar im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts gehandelt hat. Weil es in dieser Konstellation auch um eine „Identifikation“ bzw. „Zurechnung“ einer Schuld bzw. Vorwerfbarkeit geht, werden Versuche unternommen, die Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG als Gewinnabschöpfung mit Säumniszuschlag zu deuten.56 Demungeachtet wird eine Umdeutung bzw. Umbenennung nicht den ahndenden Strafcharakter der derzeitigen Verbandsgeldbuße beseitigen können. De lege lata wird die (kumulative) Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 OWiG im verbundenen Verfahren gegen den Täter der Bezugstat festgesetzt, vgl. § 88 Abs. 1 OWiG bzw. § 444 Abs. 1 StPO. Auch in dieser geltenden Konstellation wird dem Organ bzw. Repräsentanten des Unternehmensträgers die Schuld nicht „abgeschrieben“. Es liegt vielmehr eine andere Ebene, die des Verbandes vor. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem BertelsmannLesering-Beschluss ebenfalls diesen Weg vorgeschlagen und festgestellt, dass für die Schuld der juristischen Person auf die Schuld der für sie handelnden Personen abzustellen ist.57 Gegen ein identifikationsrechtliches Modell in einem Verbandsstrafrecht streiten aber einige dogmatische als auch praktische Erwägungen. Sofern das Identifikationsmodell als Anknüpfungspunkt nur auf Organe oder die Leitungsebene abstellt, müsste die unternehmensnützliche Kriminalität von da­ runter angesiedelten Mitarbeiterebenen über eine andere Konstruktion z. B. die einer Aufsichtspflichtverletzung – ähnlich dem jetzigen § 130 OWiG aufgefangen werden. Des Weiteren ist einzuwenden, dass immer ein individueller Schuldvorwurf durch die Strafverfolgungsbehörden dargetan werden muss, auch wenn – wie bei § 30 OWiG derzeit schon58 – auf die Voraussetzung der Feststellung eines konkreten Organs verzichtet wird. Wie schon 54  Ähnlich aber von Zurechnungs- anstatt von Identifikationsmodell sprechend Neumann, Unternehmensstrafrecht, 13 (18). 55  Zum Ahndungscharakter der Verbandsgeldbuße Achenbach, NZWiSt 2012, 321 ff. 56  Klesczewski, in: FS Seebode, 179. 57  BVerfG, Beschluss vom 25.10.1986 – 2 BvR 506 / 63, BVerfGE 20, 323 (336). 58  BGH, Beschluss vom 08.02.1994, KRB 25 / 94, NStZ 1994, 346.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen29

dargelegt, muss auf der Ebene des Verbandes der Schuldvorwurf grundsätzlich anders ausgestaltet sein als auf der Individualebene. Der verbandsbezogene Schuldvorwurf könnte darin gesehen werden, dass Organe mögliche und zumutbare organisatorische Maßnahmen unterlassen haben, die die Tat des anderen Organteils verhindert oder erschwert hätten. Damit wird aber ein Identifikationsmodell mehr oder minder schon mit Elementen eines Organisationsverschuldens kombiniert, um einen verbandsbezogenen Schuldvorwurf konstruieren zu können. Sachgerechter und damit vorzugswürdig erscheint daher schon jetzt das Modell des Organisationsverschuldens. Dort lässt sich ein Schuldvorwurf konstruieren, der ein kollektives Moment enthält und sich damit zugleich stärker von Individualstrafrecht abgrenzt. (b) Organisationsverschulden Eine andere Möglichkeit zur Etablierung einer Verbandsstrafe ist es, auf das sog. Organisationsverschulden des Unternehmens(-trägers) abzustellen.59 Ein Tatvorwurf gegen den Verband würde für die Fälle erhoben, in denen eine Desorganisation vorgelegen und sich schlussendlich eine betriebstypische Gefahr in einer Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters konkret realisiert hat. Worauf soll aber die Schuld bzw. der Schuldvorwurf des Verbandes basieren? Eine Verbandsstraftat wird auch nur dann vorliegen können, wenn zumindest zu einem Zeitpunkt alle für die Straftat konstitutiven Elemente – also auch die Schuld des Verbandes – gegeben sind. Ein Koinzidenz- bzw. Simultanitätsprinzip sollte auch in einem Verbandsstrafrecht Anwendung finden. Die Schuld des Verbandes könnte darin gesehen werden, dass keine organisatorischen Vorkehrungen gegen bekannte betriebstypische Gefahren (z. B. Korruption oder wettbewerbswidrige Absprachen) getroffen wurden, obwohl vorhandenen Organen dies grundsätzlich möglich als auch zumutbar war. Die Schuld und damit auch Vermeidemacht des Verbandes brauchen sich in einem solchen Modell gerade nicht auf die konkrete Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Unternehmensmitarbeiters beziehen, da als tatbestandlicher Anknüpfungspunkt lediglich der Zustand einer Desorganisation gewählt wurde. Das Modell des Organisationsverschuldens wird von vielen Literaturstimmen60 als ein möglicher gesetzgeberischer Weg angesehen.

59  Vgl. G. Dannecker, GA 2001, 101 (118 f.); Kubiciel, ZRP 2014, 133 (137); Tiedemann, WirtschaftsstrafR AT, 4. Aufl., Rn. 375 ff.; ders., NJW 1988, 1169, (1171 ff.). 60  Beckemper, in: Unternehmensstrafrecht, 277 (282); Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, 13 (18); Vogel, in: Unternehmensstrafrecht, 205 (211); Kubiciel, ZRP 2014, 133 (137). Ähnlich auch Pieth, KJ 2014, 276 (280 f.).

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Gleichwohl gibt es auch kritische Stimmen gegen diesen theoretischen Ansatz. Die dagegen angeführte Kritik, dass Strafe aufgrund der „logisch notwendige[n] Strukturprinzipien des Strafrechts“61 wiederum zwingend logisch einen schuldhaften d. h. vermeidbaren Regelbruch durch einen Menschen erfordere62, ist zwar ein stringentes aber eben nur auf dem Boden des bisherigen Individualstrafrechts überzeugendes Argument. Die „Verbandsstrafe“ würde eine andere Ebene als die des Individualstrafrechts betreffen. Des Weiteren kann dagegen argumentiert werden, dass dies einen aus dem Individualstrafrecht stammenden Schuldbegriff als „absolut“ voraussetzen würde, der fortdauernd als unveränderlicher Maßstab für zukünftige gesetzgeberische Tätigkeiten auf dem Gebiet des Sanktionenrechts herangezogen wird. Selbst aus der Verfassung ist nicht ableitbar, dass ein alternatives Verständnis von Schuld und Strafe ausgeschlossen ist.63 Nur für den Fall, dass die Begriffe „Strafe“ und „Schuld“ auf ein Rechtsprinzip gestützt werden, das der Verfassung vorgelagert ist, können für die Verbandsebene Äquivalente z. B. Verbandsvorwerfbarkeit und Verbandsverantwortlichkeit in einem zukünftigen Verbandsstrafrecht gewählt werden. Unbedingt notwendig ist dieser Schritt jedoch nicht64, eine grundsätzliche Modifizierung des Schuldbegriffs für die Verbandsebene erscheint ausreichend. Zudem kann die Verbandsstrafe im StGB so normiert werden, dass eine Abgrenzung zu den Individualsanktionen deutlich wird. Damit würde eine ausreichende Differenzierung zwischen Individual- und Verbandsstrafrecht vorliegen. Ferner wird kritisiert, dass ein Organisationsverschulden des Verbandes letztlich doch auf einem Verschulden einer oder mehrerer natürlichen Personen basieren soll.65 Auch hier muss zunächst berücksichtigt werden, dass eine andere Ebene, nämlich die des Verbandes vorliegt und die Schuld dort nach anderen Mechanismen bestimmt werden muss. Man muss sich von einer individualstrafrechtlichen Dogmatik befreien. Bei dem Versuch ein normativ begründetes Verbandsstrafrechts zu schaffen, müssen naturalistische Denkmuster abgelegt werden. Ferner mag dieses Argument zwar auf einige Konstellationen in der Rechtswirklichkeit zutreffen, zwingend ist dies jedoch nicht immer der Fall. Es mag Konstellationen z. B. die Schuldunfähigkeit eines Mitarbeiters als extremes Gegenbeispiel geben. Denkbar sind auch solche Konstellationen bei denen organisatorische Vorkehrungen einer einzelnen natürlichen Person nicht möglich oder zumutbar waren, mithin ihr 61  Schünemann,

ZIS 2014, 1 (18). Schünemann, in: FS Tiedemann, 429 (433); ders., ZIS 2014, 1 (2 f.). 63  Sachs, in: Unternehmensstrafrecht, 195 (197). 64  Ebenso Frister, FS Wessing, 3 (14). 65  Vgl. Neumann, in: Unternehmensstrafrecht, 13 (18); Schünemann, ZIS 2014, 1 (4); Beckemper, in: Unternehmensstrafrecht, 277 (279). 62  So



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen31

allein kein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Die Schwelle zu einem Schuldvorwurf auf Verbandsebene kann aber dort erreicht sein, wo eine Vielzahl von Organen keine organisatorischen Maßnahmen getroffen haben, um einer Desorganisation vorzubeugen, die allein genommen jeweils einen individuellen Schuldvorwurf nicht zu begründen vermögen. Additiv könnte darin ein verbandsbezogener Schuldvorwurf gesehen werden. Einer größeren Anzahl von Organen stehen üblicherweise größere Ressourcen zur Verfügung, die es eher zumutbar machen einer Desorganisation im Unternehmen entgegenzuwirken. Treffend lässt sich formulieren, dass Kollektive eben doch mehr sind, als die Summe ihrer einzelnen Teile.66 Ohnehin kann in Rekurrierung auf den Schuldvorwurf einer oder mehrerer einzelner natürlicher Personen eine „Versimplifizierung“ des Ganzen gesehen werden, die gerade korporationsbedingte Effekte ausblendet. Die prinzipielle Möglichkeit und Zumutbarkeit der Vermeidung von Organisationsdefiziten würde damit den verbandsbezogenen Schuldvorwurf kennzeichnen. Der bereits angesprochenen Friktion mit dem Schuldprinzip als strafbegrenzendem Merkmal kommt hingegen größeres Gewicht in der Debatte um die Einführbarkeit einer Verbandsstrafe zu, gleichgültig für welches Modell man sich letztlich entscheidet. Jedoch dürfen zwei Aspekte auch hier nicht unberücksichtigt bleiben: Zum einen wird man wohl sagen können, dass jede monetäre Sanktion – gleichgültig ob Individualstrafe oder Verbandsstrafe – zumindest mittelbar auch andere Personen z. B. die Familie, Gläubiger, Anteilseigner oder Arbeitnehmer belastend trifft.67 Auch die bisherigen Maßregeln der Besserung und Sicherung können sich mittelbar auf die vorgenannten Personengruppen finanziell belastend auswirken. Eine Mitbetroffenheit von Unschuldigen lässt sich damit nicht leugnen. Diese Drittbetroffenheit scheint bei indivi­ dualstrafrechtlichen Sanktionen vielmehr „gewohnheitsmäßig geduldet“68 zu werden. Sofern als Ausgangspunkt für eine weitergehende Kritik am Institut der Verbandsstrafe das Kriterium der „Unmittelbarkeit“ bzw. „Finalität“ der Betroffenheit von anderen Personengruppen herangezogen wird, so kann man dieser ebenfalls hinreichend begegnen.69 Ein kursorischer Blick auf die vorgeschlagenen Alternativen zu einer Verbandsstrafe und der bestehenden Verbandsgeldbuße bringen erste Aufschlüsse.

Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (17). in: FS Achenbach, 433 (437). 68  Lüderssen, in: Unternehmensstrafrecht, 79 (99). 69  Vgl. den nachfolgenden Vorschlag für ein Verbandsstrafrecht. 66  Ähnlich 67  Salditt,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Die nicht als Strafe, sondern als (Verbands-)Maßregel zu verstehende Unternehmenskuratel70, kann sich ebenso finanziell belastend für Mitarbeiter und Anteilseigner auswirken. Dies ist denkbar, wenn der Aktienkurs einbricht oder Geschäftsbeziehungen aufgekündigt werden, weil das Unternehmen verpflichtet wird im Rahmen der Firmierung zum Ausdruck zu bringen, dass es unter einem gerichtlich bestellten Kurator z. B. „X-AG u. K.“71 steht. Ohnehin wird man in dieser Firmierung ein repressives Element erkennen können, das stark an „Strafe“ erinnert trotz der formalen Kennzeichnung als „Unternehmenskuratel“. Der intendierte sog. shaming-Effekt verdeutlicht die Strafähnlichkeit umso stärker. Die Argumentation, dass das Konzept der Unternehmenskuratel mit seiner Publizität generalpräventiv auf Unternehmensleitungen einwirken soll72, aber ein öffentliches und damit transparentes Verbandsstrafrecht – das im Gegensatz zum Individualstrafrecht anderen Mechanismen unterliegt – hingegen keine generalpräventiven Wirkungen zeitigen soll, überzeugt daher nicht. Eine Umdefinierung als Verbandsmaß­ regel beseitigt das Kernproblem damit nicht. Zum anderen ist dem derzeitig gewählten Weg über die Verbandsgeldbuße im Ordnungswidrigkeitenrecht ebenso ein Verstoß gegen das Schuldprinzip immanent. Auch bei einer Festsetzung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 bzw. IV OWiG werden unweigerlich unbeteiligte Aktionäre als auch Mitarbeiter betroffen, da nicht nur der unternehmerische Gewinn, sondern auch die Sanktionskosten privatisiert werden. Zwischen Unternehmen(-sträger) und Mitarbeitern bzw. Aktionären besteht dato eine rechtliche als auch wirtschaftliche Risikogemeinschaft. Zumal die letzten gesetzgeberischen Änderungen, insbesondere die Anhebung des Bußgeldrahmens der Verbandsgeldbuße von einer auf zehn Mio. Euro (vgl. § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG), den strukturellen Unterschied zwischen Kernstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht nochmals verringert haben dürften. Bezieht man in die Betrachtung den Bereich der Kartelldelikte noch mit ein, erscheint eine Vereinbarkeit der Verbandsgeldbuße mit dem Schuldprinzip schon de lege lata als ausgeschlossen. Das Höchstmaß der Verbandsgeldbuße kann wegen § 81 Abs. 4 GWB sogar 10 % des Vorjahresumsatzes des Konzerns betragen. Gleiches wird zukünftig für Verbandsgeldbußen auf dem Gebiet des Kapitalmarktstrafrechts gelten. Die noch nicht von Deutschland umgesetzte Marktmissbrauchsverordnung (MAD)73 vom 16.04.2014 fordert in Art. 30 (2) lit. J i) für Insidergeschäfte maximale verwaltungsrechtliche Sanktionen von mindestens 15 Mio. Euro oder 15 % des Konzernumsatzes diesem Modell Schünemann, in: Unternehmenskriminalität, 129 ff. der explizite Vorschlag von Schünemann, in: FS Tiedemann, 429 (433). 72  Schünemann, ZIS 2014, 1 (7 ff.). 73  Verordnung (EU) Nr. 596 / 2014, Abl. L 173 / 1 vom 16.04.2014, 49. 70  Zu 71  So



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen33

einzuführen. Einen solchen Fall der Verbandssanktionierung vorausgesetzt, wären sowohl Aktionäre wie auch Arbeitnehmer wirtschaftlich empfindlich davon betroffen. Ob der Unternehmensgeldbuße ein ethisch-moralischer Vorwurf inne wohnt oder nicht74, ist für die Friktion mit dem Schuldprinzip völlig bedeutungslos. Entscheidend ist, ob die (neben-)strafrechtliche Sanktion – gleichgültig wie sie im Einzelfall heißen mag – an sich für alle von ihr Betroffenen vermeidbar war. Vor dem Hintergrund der neu eingefügten Vorschrift des § 30 Abs. 2a OWiG, die eine Erstreckung der Verbandsgeldbuße auf den Rechtsnachfolger ermöglicht, wird ein weiterer Widerspruch mit dem Schuldprinzip offenkundig. Dem Verband wird in diesen Fällen zweifelsfrei fremde Schuld – als eigene – zugerechnet, indem auf die Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit des fremden75 Organs d. h. die des Rechtsvorgängers abgestellt wird. Daraufhin erfolgt eine Ahndung des Rechtsnachfolgers mittels Verbandsgeldbuße. In diesem speziellen Fall hatten oft nicht einmal die Organe bzw. leitenden Angestellten des Rechtsnachfolgers die nötige Vermeidemacht bezüglich des begangenen Normbruchs. Daher kann man zu Recht sagen, dass Deutschland schon ein Unternehmensstrafrecht auf dem Weg gebracht hat76, es aber um strafrechtliche Dogmen wenigstens zum Schein zu wahren, nicht als solches bezeichnet.77 De lege lata werden daher alle Elemente, die für die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße erforderlich sind, an das Organ und damit an ein Individuum geknüpft. Gegner einer Verbandsstrafe müssten sich daher konsequenterweise wegen der Verletzung des Schuldprinzips auch per se gegen das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße aussprechen.78 Dies wird vielfach bei der vorgebrachten Kritik an einer Verbandsstrafe übersehen oder ausgeblendet.79 Jeder weitere zugestandene Ausbau der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG kann 74  Dagegen BVerfG, Beschluss vom 16.07.1969  – 2 BvL 2 / 69, BVerfGE 27, 18 (33). Dieses sieht in einer Ordnungswidrigkeit nur eine nachdrückliche Pflichtenmahnung. 75  Sofern keine Personenidentität bei dem Rechtsvorgänger und -nachfolger in der Organstellung vorliegt. 76  So Ransiek, StV 2014 / 3, Editorial, I; Leitner, StraFo 2010, 323 (328). 77  Jäger, in: FS I. Roxin, 43 (49) spricht ebenfalls von einer „Scheinlösung“. Ähnlich auch Beckemper, in: Unternehmensstrafrecht, 277 (280); Mitsch, NZWiSt 2014, 1 (3); Fromm, ZIS 2007, 279 (286 f.); von Rosen, in: Unternehmensstrafrecht, 263 (264). 78  In dieser Hinsicht konsequent Schünemann, ZIS 2014, 1 (6); Mitsch, NZWiSt 2014, 1 (3); von Freier, GA 2009, 98 (116); Beckemper, in: Unternehmensstrafrecht, 277 (280); Fromm, ZIS 2007, 279 (286 f.); Leitner, StraFo 2010, 323 (328). 79  So exemplarisch Leipold ZRP 2013, 34 (35 ff.) oder Beulke / Moosmayer, CCZ 2014, 146 (147).

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

daher als Einführung einer Unternehmensstrafe durch die Hintertür unter gleichzeitiger Hinnahme der Verletzung des Schuldprinzips gedeutet werden. Gleichwohl attestieren selbst Kritiker einer Verbandsstrafe der geltenden Regelung der Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 OWiG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 130 OWiG) Defizite bzw. eine unzureichende Ahndungswirkung und machen unterschiedlichste Reformvorschläge diesbezüglich.80 Eine dogmatisch saubere Lösung, die auf Einhaltung des strafrechtlichen Schuldprinzips im herkömmlichen Sinn abzielt, ist dies bei genauer Detailanalyse ebenfalls nicht. b) Anderweitige rechtliche, kriminalpolitische und kriminologische Erwägungen in Bezug auf die Einführung einer Verbandsstrafe aa) Unionsrechtliche Vorgaben zur Sanktionierung von Verbänden und Defizite der bestehenden Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 OWiG Nicht zuletzt sollen auch die unionsrechtlichen Einflüsse auf das deutsche Verbandssanktionenrecht in den Blick genommen werden. Bei einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung eines Verbandsstrafrechts spielen wegen der Normhierarchie nicht nur die nationalen Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte eine bedeutende Rolle, sondern auch das europäische Primärund Sekundärrecht. Zu nennen ist das europäische Sekundärrecht in Form von Rahmenbeschlüssen und Richtlinien der Europäischen Union, die durch den hiesigen Gesetzgeber ins nationale Recht umgesetzt werden müssen. Eine herausragende Bedeutung kommt auch den europäischen Grundrechten zu. Diese wurden seit dem Vertrag von Lissabon in einer Grundrechtscharta (GRC) kodifiziert und sind wegen Art. 6 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union damit zugleich EU-Primärrecht. Die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit kann daher auf dem Gebiet der Sanktionierung von Unternehmensträgern durch unionsrechtliche Vorgaben zumindest teilweise eingeschränkt sein. Eine zukünftige Verbandsstrafe muss sich an diesen unionsrechtlichen Mindestvorgaben messen lassen, ebenso wie es die geltende Verbandsgeldbuße muss. Sofern die Verbandsgeldbuße hinter diesen europarechtlichen Vorgaben zurückbleibt, besteht ein unionsrechtswidriger Zustand.81 Ob das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 OWiG diesen Anforderungen gerecht wird oder ob Defizite bestehen, die wiederum Anlass zu 80  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (275); Beulke / Moosmayer, CCZ 2014, 146 ff.; Zieschang, GA 2014, 91 (92 f.). 81  Rönnau / Wegner, ZRP 2014, 158 (159).



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen35

einer Reform des Verbandssanktionenrechts bieten, soll nachfolgend untersucht werden: Als Ausgangspunkt kann festgehalten werden, dass Deutschland per se keine unionsrechtliche Verpflichtung trifft, eine Verbandsstrafe zu implementieren.82 Unionsrechtliche Vorgaben sowie Gesetzgebungsaktivitäten von anderen EU-Mitgliedsstaaten führen aber zu einem Konvergenzdruck83 bzw. Handlungsdruck dahin gehend, dass auch der deutsche Gesetzgeber aktuell über Möglichkeiten einer effektiven Sanktionierung von Unternehmensträgern nachdenkt.84 Nimmt man zudem die einzelnen Staaten in Europa in den Blick, so fällt auf, dass im Laufe der Jahre immer mehr Regelungen geschaffen wurden, die eine strafrechtliche Ahndung von Unternehmensträgern überwiegend mittels Strafe vorsehen.85 So haben die Niederlande bereits im Jahr 1976 eine Unternehmensstrafe eingeführt.86 Es folgten im Jahr 1984 Portugal, 1986 Schweden, 1991 Norwegen, 1993 Island, 1994 Frankreich, 1995 Finnland und Slowenien, 1996 Dänemark, 1999 Belgien, 2001 Estland und Ungarn, 2002 Malta, 2003 Kroatien und Polen, 2005 Litauen, 2006 Rumänien, 2010 Luxemburg und Spanien und 2011 Lichtenstein.87 Zugegebenermaßen sprechen Tschechien (2012), Österreich (2006) und die Schweiz (2003) auf der Rechtsfolgenseite von keiner „Strafe“ sondern von einer „Buße“ (Art. 102 schweizerisches StGB) bzw. „Verbandsgeldbußen“ (vgl. §§ 3, 4 österreichisches Verbandsverantwortlichkeitsgesetz), obgleich eine gerichtliche Zuständigkeit besteht.88 In dem angelsächsisch geprägten Rechtssystem Englands ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen ohnehin schon sehr lange eine gängige Praxis.89 Deutschland zählt somit zu den Staaten in Europa, in denen eine „echte“ Verbandsstrafe bisher weiterhin abgelehnt wird und kein konkreter Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Verbandssanktionierung gesehen wird. Letztlich ist dieser „Konvergenzdruck“ jedoch weder ein Argument für noch gegen die Einführung einer Verbandsstrafe in Deutschland. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum bezüglich der Ausgestaltung zukünftiger Verbandssanktionen wird dadurch nicht eingeschränkt. Kelker, in: FS Krey, 221 (227 ff.); Rönnau / Wegner, ZRP 2014, 158 ff. dazu Kelker, in: FS Krey, 221 (222 ff.). 84  Vgl. Justizministerium NRW, Gesetzesentwurf zur Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen. 85  Anders Rau, Compliance, 104. 86  Körner, NRW-Justizminister plant Unternehmensstrafrecht. 87  Kelker, in: FS Krey, 221 (237); Körner, NRW-Justizminister plant Unternehmensstrafrecht; Vogel, StV 2012, 427 (431); Wessing, ZWH 2012, 301. 88  Schünemann, ZIS 2014, 1 (12). 89  Kelker, in: FS Krey, 221 (237 ff.). 82  Vgl. 83  Vgl.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Das zweite Protokoll des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (PIF-Konvention)90 spielt eine tragende Rolle bei der Verbandssanktionierung in den einzelnen Mitgliedstaaten, weil es Leitlinien für diese vorgibt. Es fungiert zudem auch als Richtschnur für viele weitere Rechtsakte der Union.91 Art. 4 I des besagten Protokolls fordert von den Mitgliedsstaaten wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen gegen juristische Personen. Es gilt weiter zu untersuchen, ob dieser Anforderungs-Trias durch das geltende Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße erfüllt wird. Von Seiten der Literatur wird konstatiert, dass sich im geltenden Ordnungswidrigkeitenrecht erhebliche verfahrensrechtliche Probleme ausmachen lassen, die zu Defiziten bei der Sanktionierung von Unternehmensträgern nach § 30 Abs. 1 bzw. 4 OWiG führen.92 Hauptursache dafür ist, dass das gesetzgeberische Augenmerk bei der Schaffung des Ordnungswidrigkeitenrechts im Jahre 1968 vor allem auf eine Entkriminalisierung von bestimmten Verhaltensweisen gerichtet war, die tatsächliche und rechtliche Kompliziertheit derjenigen Fälle aber außer Acht gelassen wurde, die einer Sanktionierung von Unternehmen(-strägern) als korporativen Akteuren des Wirtschaftslebens zugrunde liegen können.93 Zu Recht wird derzeit schon gefordert, dass mit der zunehmenden Eingriffsschwere der Verbandsgeldbuße auch über die Frage diskutiert werden muss, inwieweit es rechtsstaatlich geboten ist, juristischen Personen und Personenvereinigungen sämtliche strafprozessuale Garantien auch im buß­ geldrechtlichen Verwaltungsverfahren zukommen zu lassen.94 Ob die Regelung des § 46 Abs. 1 OWiG mit dem pauschalen Hinweis der sinngemäßen Geltung der strafprozessualen Vorschriften diese Bedenken ausräumen kann, kann zumindest bezweifelt werden. Ein expliziter Hinweis im Rahmen der Regelung des §§ 30, 130 OWiG erschiene zudem angebracht. 90  Zweites Protokoll aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Euro­ päischen Gemeinschaften – Gemeinsame Erklärung zu Artikel 13 Absatz 2 – Erklärung der Kommission zu Artikel 7, Abl. C 221 vom 19.07.1997, 12. 91  Rönnau / Wegner, ZRP 2014, 158 ff. 92  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (275); Rönnau / Wegner, ZRP 2014, 158 ff. 93  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (275). 94  Vgl. Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zu Artikel 4 des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (E-8. GWB-ÄndG) – Änderung der §§ 30, 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), 2, die das Abstandsgebot der Geldbuße zur Geldstrafe nicht mehr als gewahrt ansehen; Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (275).



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen37

Ebenfalls empfehlenswert erschiene es, die Zuständigkeit des Gerichts bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu ändern. Derzeit ist bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Einzelrichter am Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat, vgl. § 68 Abs. 1 OWiG. Aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Kompliziertheit der Sachverhalte, die einer Sanktionierung des Unternehmensträgers zugrunde liegen, sollte ein höherrangiges Gericht über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid entscheiden.95 Darüber hinaus führt das das Ordnungswidrigkeitenrecht durchziehende Opportunitätsprinzip im Sinne des § 47 Abs. 1 OWiG zu Problemen bei der Sanktionierung von Unternehmensträgern gemäß § 30 Abs. 1 bzw. 4 OWiG. Empirisch belastbare Forschung zur Anwendungspraxis der Verbandsgeldbuße gibt es kaum. Im Rahmen einer Praxisbefragung von 19 Staatsanwaltschaften Nordrhein-Westfalens zur Unternehmenskriminalität, dass das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße durch eine sehr uneinheitliche Anwendung gekennzeichnet ist. Der Befragung lag ein solches Verständnis von Unternehmenskriminalität zugrunde, dass eine „im Unternehmensbereich wurzelnde und im Unternehmensinteresse ausgeführte Tätigkeit bzw. Untätigkeit mit strafrechtlicher Relevanz“96 meint. Bei neun der nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften kam es in der Zeit zwischen 2006 und 2011 zu insgesamt 27 Verfahren, bei denen Unternehmensstraftaten mittels Verbandsgeldbuße im Sinne des §§ 30, 130 OWiG geahndet wurden. Überraschenderweise kam es im vorgenannten Zeitraum bei den übrigen zehn Staatsanwaltschaften zu keinem einzigen Verfahren wegen Unternehmenskriminalität.97 Relativierend berücksichtigt werden muss dabei aber, dass in vielen Fällen eine Festsetzung der Verbandsgeldbuße rechtlich ausgeschlossen war. So sind eingetretene Insolvenzen bzw. Verfallsanordnungen gemäß §§ 73, 73a StGB bzw. § 29a OWiG gegenüber dem Unternehmensträger denkbar, die gemäß § 30 Abs. 5 OWiG eine Festsetzung einer Verbandsgeldbuße ausschließen.98 Es können aber auch andere rechtliche Gründe99 z. B. die Verjährung der Bezugstat eine Festsetzung der Verbandsgeldbuße ausgeschlossen haben. Gleichwohl können diese vorgenannten Fallkonstellationen nicht als alleiniger Grund für die geringe und damit uneinheitliche Anwendung des Rechtsinstituts der Verbandsgeldbuße in Nordrhein-Westfalen he­ rangezogen werden. Rückschlüsse auf andere Bundesländer und deren An-

95  Achenbach,

in: Unternehmensstrafrecht, 271 (276). ZRP 2013, 74. 97  Kutschaty, ZRP 2013, 74. 98  Kutschaty, ZRP 2013, 74 f. 99  Vgl. § 30 Abs. 4 S. 3, Teilsatz 1 OWiG. 96  Kutschaty,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

wendungspraxis der Verbandsgeldbuße sind – mangels empirischer Erhebungen – zumindest mit Vorsicht zu begegnen. Die Ergebnisse einer weiteren empirischen Befragung von 80 Staatsanwaltschaften zur Sanktionierung von Unternehmensträgern nach § 30 OWiG aus dem Jahr 2007 lassen sich zumindest in dieselbe Richtung deuten. Dort gaben 45 % der Befragten an, das im Falle der Geltung des Legalitätsprinzips im Rahmen des § 30 OWiG, diese Vorschrift wesentlich häufiger anwendet werden würde. Lediglich rund 16 % der befragten Staatsanwaltschaften waren der Meinung, dass § 30 OWiG dadurch nicht häufiger zu Anwendung kommen würde. Knapp 39 % der Befragten machten dazu keine Angabe.100 Ähnliche empirische Ergebnisse zeigte auch eine Untersuchung einer Kölner Forschungsgruppe zur Anwendungspraxis des § 30 OWiG. Von 49 befragten Staatsanwaltschaften gaben 18 an, im Zeitraum zwischen 2011 und 2016 keine Verbandsgeldbußen festgesetzt zu haben.101 Auch wurden starke regionale Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland bei der Verbandssanktionierung festgestellt, wobei im süddeutsche Raum häufiger eine Verbandsgeldbuße festgesetzt wurde.102 Auch für die Fälle bei denen Anknüpfungstat der Verbandsgeldbuße eine Ordnungswidrigkeit ist und somit die allgemeinen Verwaltungsbehörden gemäß § 88 Abs. 1 und 2 OWIG über die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße zu entscheiden haben, stellen sich die gleichen Bedenken bezüglich einer einheitlichen und wirksamen Rechtsanwendung. Lediglich aufgrund der speziellen Zuständigkeitsregel des § 82 S. 1 GWB, wonach das Bundeskartellamt in Fällen des § 81 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 3 GWB zuständig ist, kann eine einheitlichere Sanktionierung von Unternehmenskriminalität sichergestellt werden. Denn in dieser Konstellation setzt gemäß § 48 Abs. 1 und 2 GWB fast ausschließlich ein und dieselbe Behörde – das Bundeskartellamt – die Verbandsgeldbuße fest. Einige Bußgeldentscheidungen des Bundeskartellamts als Reaktion auf Kartellrechtsverstöße können zwar als sog. Leuchtturmverfahren herhalten, sie ändern aber nichts an dem grundsätzlichen Durchsetzungsdefizit, das durch das Opportunitätsprinzip im Ordnungswidrigkeitenrecht entsteht. Das Bundeskartellamt kann Bußgeldbescheide gegen Kartellmitglieder oftmals nur infolge der Nutzung der Bonusregelung durch einen Kartellanten verhängen. Das ist eine Besonderheit des deutschen Kartellrechts. Durch die insgesamt eher uneinheitliche Rechtsanwendung bei der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße wird wenig dazu beigetragen, dass diesem 100  Kirch-Heim,

Sanktionen gegen Unternehmen, 245. NZWiSt 2018, 1 (5 f.). 102  Henssler / Hoven / Kubiciel / Weigend, NZWiSt 2018, 1 (6). 101  Henssler / Hoven / Kubiciel / Weigend,



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen39

Rechtsinstitut großes Gewicht bei der Prävention und adäquaten Sanktionierung von delinquenten Verhalten aus dem Unternehmen heraus zukommt. Dies ist einer Normstabilisierung im Sinne einer positiven Generalprävention gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts eher abträglich. Des Weiteren lässt dies die Einhaltung der Wirksamkeits- als auch Abschreckungskomponente der vom Unionsrecht geforderten Mindestanforderungen an Verbandssanktionen zumindest als fraglich erscheinen. Deshalb fordern Literaturstimmen als notwendige Konsequenz zumindest eine Anpassung des Verfahrensrechts im Ordnungswidrigkeitengesetz. Beispielsweise sollen im Rahmen der Vorschrift des § 47 OWiG Regelbeispiele eingefügt werden, die das Opportunitätsermessen einschränken oder sogar auf „Null“ reduzieren.103 Die Einführung einer Verbandsstrafe und der damit verbundenen Geltung des Legalitätsprinzips hätte die gleichen gewünschten Effekte. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit der Frage nach einer Reform des Rechts der Verbandssanktionen mehr als legitim und erforderlich. Die bisherigen Schwierigkeiten mit dem Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 bzw. 4 OWiG konsequent und vor allem einheitlich auf Wirtschaftsdelinquenz von Korporationen zu reagieren, lassen die gesetzgeberischen Aktivitäten zur Etablierung einer Verbandsstrafe nachvollziehbar erscheinen. Zumal damit den europäischen Anforderungen an eine Verbandssanktionierung versucht werden kann zu entsprechen. bb) Extraterritoriale Gesetzgebung ausländischer Staaten und deren Auswirkungen auf deutsche Unternehmen Während in der kontrovers geführten Debatte um die Einführung einer Verbandsstrafe in Deutschland kaum noch Bewegung im Spiel zu sein scheint, haben immer mehr ausländische Regelungen exterritoriale Auswirkungen auch auf deutsche Unternehmen. Bereits aktuell besteht für eine Vielzahl von deutschen Unternehmen die Gefahr, dass gegen sie eine Verbandsstrafe – zumindest bei Begehung von Korruptionsdelikten – verhängt wird. Im Zuge der internationalen Korruptionsbekämpfung haben der weit103  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (275 f.) Ähnlich auch OECD, Bericht über die Anwendung des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr und der Empfehlung des Rats zur weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr, 87, den Erlass von Leitlinien für das Verfolgungsermessen und die Prüfung der Wirksamkeit unseres jetzigen Sanktionensystems für Unternehmensträger fordert. Rönnau / Wegner, ZRP 2014, 158 (162), meinen sogar, dass die Durchsetzungsdefizite nicht allein durch die Einführung des Legalitätsprinzips beseitigt werden können.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

reichende Foreign Corrupt Practices Act104 und der UK Bribery Act 2010105 enorme Bedeutung auch in Deutschland erlangt. Diese beiden Regelwerke sehen als Folge von Korruptionstaten von Führungskräften bzw. sämtlichen Angestellten eine Sanktionierung des Unternehmens vor. Damit wurde dem deutschen Gesetzgeber die Entscheidung über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts zumindest zum Teil abgenommen. De facto wird über diese Regelungen eine Sanktionierung deutscher Unternehmen mit echten Kriminalstrafen erreicht.106 Wie schnell deutsche Unternehmen in den Anwendungsbereich der beiden genannten Regelungen kommen, soll nun verdeutlicht werden. Im Anschluss daran wird auf die Frage eingegangen, warum Deutschland trotz dieser extraterritorialen Gesetze selbst noch ein ­ Verbandsstrafrecht einführen sollte. Der jüngst am 01.07.2011 in Kraft getretene UK Bribery Act soll als Erstes in den Fokus der Betrachtung genommen werden. Unternehmen werden nach Section 7 Abs. 1 und 2 des UK Bribery Act strafrechtlich sanktioniert, wenn eine mit dem Unternehmen assoziierte d. h. nahestehende Person eine Bestechungshandlung – gleichgültig wo auf der Welt – im Unternehmensinteresse vornimmt und das Unternehmen angemessene Maßnahmen zur Verhinderung der Korruption unterlassen hat. Der Anwendungsbereich hinsichtlich des UK Bribery Act 2010 ist auch für deutsche Unternehmen gemäß Section 7 Abs. 5 UA 2 (b) unter der Voraussetzung eröffnet, dass sie geschäftlich im United Kingdom tätig sind. Die Leitlinien zum UK Bribery Act besagen, dass es für die Frage der geschäftlichen Tätigkeit bzw. Ausübung auf den gesunden Menschenverstand ankommt, die Gerichte aber das letzte Wort diesbezüglich haben werden. Eine Börsennotierung in London soll nicht automatisch dazu führen, dass das Merkmal „carry on a business“ d. h. die Ausübung eines Geschäfts vorliegt.107 Nun soll der Blick auf den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) gerichtet werden. Gemäß 15 U.S.C. § 78 dd-1 FCPA fallen zunächst sog. „Issuer“ d. h. alle Unternehmen, die an einer US-Börse notiert sind in dessen Anwendungsbereich.108 Damit sind auch alle deutschen Unternehmen, die an einer USBörse notiert sind, taugliche Adressaten des FCPA.109 Es ist aber auch aus104  FCPA, online abrufbar unter: http: /  / www.justice.gov / criminal / fraud / fcpa /  docs / fcpa-english.pdf (zuletzt: 09.01.2016). 105  UK Bribery Act 2010, online abrufbar unter: http: /  / www.legislation.gov.uk / uk pga / 2010 / 23 / contents (zuletzt: 09.01.2016). 106  Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 73 Rn. 25; Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 41 Rn. 24. 107  Guidance UK Bribery Act, Section 7, Rn. 36. 108  Guidance FCPA, 10 f. 109  Teicke / Mohsseni, BB 2012, 911 (913); Grau / Meshulam / Blechschmidt, BB 2010, 652 (653).



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen41

reichend, dass die Aktien ausländischer Unternehmen über sog. American Depository Receipts (ADRs) gehandelt werden.110 Zum anderen unterfallen gemäß 15 U.S.C. § 78 dd-2 FCPA sog. „domestic concerns“ dem Anwendungsbereich.111 Darunter sind Unternehmen zu verstehen, die nach US-Recht gegründet wurden oder deren Hauptgeschäftssitz in den USA liegt.112 Erfasst werden damit US-amerikanische Tochtergesellschaften ausländischer d. h. mithin auch deutscher Mutterunternehmen.113 Diese Anwendungsregel hat daher auch für deutsche Unternehmen eine große Bedeutung und lässt ein Tätigwerden des US-Justizministeriums (Department of Justice – DOJ) bei Verdachtsmomenten bezüglich Korruption befürchten. Daneben finden die US-amerikanischen Korruptionsbestimmungen gemäß 15 U.S.C. § 78 dd-3 FCPA auch auf ausländische Unternehmen Anwendung, die nicht unter die Anwendungsvarianten „issuer“ im Sinne des 15 U.S.C. § 78 dd-1 FCPA oder „domestic concern“ im Sinne des 15 U.S.C. § 78 dd-2 FCPA fallen. Notwendig ist, dass Handlungen vorgenommen werden, die Korruptionszahlungen auf dem Hoheitsgebiet der USA fördern bzw. unterstützen.114 Nimmt man die beiden vorherigen Anwendungsvarianten des FCPA mit in den Blick, so kommt man zu der Erkenntnis, dass es sich bei 15 U.S.C. § 78 dd-3 FCPA um einen Auffangtatbestand handelt. Allein über die Handlung wird ein territorialer Anknüpfungspunkt zu den USA herstellt. An den geforderten territorialen Anknüpfungspunkt zu den USA werden damit keine hohen Anforderungen gestellt.115 Es wird aber nicht unbedingt eine körperliche Handlung durch das ausländische Unternehmen in den USA gefordert, es reicht aus, wenn ein „issuer“ bzw. „domestic concern“ angestiftet oder diesen Hilfe bei Korruptionshandlungen geleistet wurde.116 Es sollen beispielsweise Geschäftstreffen in den USA ausreichen, bei dem Handlungen zur Förderung von Korruption wahrgenommen werden.117 Darüber hinaus sollen sogar schon Telefonate, E-Mails in die USA bzw. die Nutzung vom US-Bankensystem genügen.118 Über die genaue Reichweite dieser AnwenFCPA, 11; Haag, ReWir 2012, 1 (10). FCPA, 11. 112  Guidance FCPA, 11. 113  Haag, ReWir 2012, 1 (11). 114  Guidance FCPA, 11. 115  Hoffmann, SZW 2010, 22 (24); Grau / Meshulam / Blechschmidt, BB 2010, 652 (656). 116  Guidance FCPA, 12. 117  Guidance FCPA, 12. 118  Hoffmann, SZW 2010, 22 (24); Yannett / Schürrle, in: Momsen / Grützner, 1132 Rn. 21. 110  Guidance 111  Guidance

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

dungsvariante haben die US-amerikanischen Gerichte noch nicht entschieden.119 Es wird daher zu Recht von einem „lange[n] Arm“ des US-Foreign Corrupt Practices Act gesprochen.120 Legt man den Wortlaut in 15 U.S.C. §§ 78 dd-1, 2 und 3 FCPA zugrunde muss der Täter in allen drei Anwendungsvarianten daneben den US-Postdienst oder ein sog. „interstate commerce“ d. h. ein Mittel des zwischenstaatlichen Handelns benutzt haben.121 Eine Legaldefinition des Merkmals „interstate commerce“ findet sich in 15 U.S.C. § 78 dd-3 (f) (5) FCPA. Es wird definiert als „trade, commerce, transportation, or communication among the several States, or between any foreign country and any State or between any State and any place or ship outside thereof, and such term includes the intrastate use of (A) a telephone or other interstate means of communication, or (B) any other interstate instrumentality.“122 Die im November 2012 veröffentlichte Richtlinie zum Foreign Corrupt Practices Act konkretisiert dieses Merkmal weiter. Es soll ausreichend sein, wenn ­E-Mails, Telefonanrufe, SMS oder Faxe bzw. Bankensysteme aus, in oder innerhalb den USA benutzt werden.123 In der Praxis wird man von einem „weichen“ d. h. schnell erfüllbaren Tatbestandsmerkmal ausgehen müssen. In der Literatur wurde daher noch unter Bezugnahme auf den älteren „Lay Person’s Guide“124 zum FCPA für die Anwendungsvariante des 15 U.S.C. § 78 dd-3 FCPA darauf hingewiesen, dass diesem Merkmal keine große Bedeutung zukommt, da es im Rahmen internationaler wirtschaftlicher Betätigung immer gegeben sein wird.125 Diese Ansicht findet ihre Bestätigung auch in der aktuellen Richtlinie zum Foreign Corrupt Practices Act. Das U.S. Department of Justice und die U.S. Securities and Exchange Commission sind der ­Auffassung, dass allein Handlungen ausreichen, mit denen Korruptionszahlungen auf dem Territorium des USA gefördert werden. Eine Benutzung eines sog. zwischenstaatlichen Mittels ist für die Anwendungsvariante des 15 U.S.C § 78 dd-3 FCPA – auch für ausländische Unternehmen – nicht 119  Yannett / Schürrle,

in: Momsen / Grützner, 1132 Rn. 23. BB 2010, 652. 121  Vgl. 15 U.S.C. § 78 dd-1 und 2 FCPA und Guidance FCPA, 11 f. 122  15 U.S.C. § 78 dd-3 (f) (5) FCPA und auch Guidance FCPA, 11 f. 123  Guidance FCPA, 11 f. 124  Vgl. Lay Person’s Guide to FCPA, Enforcement Antribribery Provisions, Basic Provisions, A. Who: „A foreign company or person is now subject to the FCPA if it causes, directly or through agents, an act in furtherance of the corrupt payment to take place within the territory of the United States. There is, however, no requirement that such act make use of the U.S. mails or other means or instrumentalities of interstate commerce.“ online abrufbar unter: http: /  / www.justice.gov / criminal / fraud / fcpa /  docs / lay-persons-guide.pdf, (zuletzt: 24.09.2013). 125  So Hoffmann, SZW 2010, 22 (24) in Fn.17 seines Aufsatzes. 120  Grau / Meshulam / Blechschmidt,



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen43

erforderlich.126 Vielleicht wird dies auch der Grund sein, warum in vielen deutschsprachigen Aufsätzen zum Anwendungsbereich des FCPA nicht gesondert auf das Tatbestandsmerkmal des sog. „interstate commerce“ eingegangen wird.127 Ohnehin gilt für US-Personen d. h. Unternehmen, die nach US-Recht gegründet wurden und Handlungen zur Förderung von Korruption außerhalb der USA vornehmen nicht das Erfordernis, dass zwischenstaatliche Mittel benutzt werden müssen.128 Damit wird auch deutschen Unternehmen die schwierige Aufgabe abverlangt, strafrechtlich relevantes Verhalten zu antizipieren und durch geeignete unternehmerische Vorkehrungen Rechtstreue über die Landesgrenzen hinaus unter Beweis zu stellen. Wie die Ausführungen zum Anwendungsbereich des Foreign Corrupt Practices Act und des UK Bribery Act 2010 gezeigt haben, besteht in der Praxis für eine große Anzahl deutscher Unternehmen bereits jetzt die Möglichkeit einer originären Unternehmensstrafbarkeit. Die PricewaterhouseCoopers Studie zur Wirtschaftskriminalität 2013 hat gezeigt, dass dem Foreign Corrupt Practices Act und dem UK Bribery Act 2010 eine weitreichende Bedeutung im internationalen Wirtschaftsverkehr zukommt. Deren extraterritorialen Anwendungsbereichen unterliegen potenziell zahlreiche deutsche Unternehmen. Zunächst sollen die Daten zum Anwendungsbereich des UK Bribery Act vorgestellt werden. Von 602 befragten Unternehmen gaben 244 an, dass ihre Gesellschaft nach UK Recht gegründet worden ist oder dass sie geschäftlich bzw. wirtschaftlich im United Kingdom tätig sind. Das bedeutet, dass knapp 41 % der Befragten potenziell in den Anwendungsbereich des UK Bribery Act fallen und somit erhebliche Ahndungsrisiken drohen.129 Nimmt man die Daten zum Anwendungsbereich des Foreign Corrupt Practices Act mit in den Blick, so wird deutlich, dass sich deutsche Unternehmen nicht einzig und allein an § 130 OWiG bezüglich ihrer unternehmerischen Strukturen orientieren können bzw. müssen. Von den 602 befragten Unternehmen gaben 46 an, an einer US-Börse notiert zu sein bzw. dass ihre 126  Guidance FCPA, 11 f.: „Those who are not issuers or domestic concerns may be prosecuted under the FCPA if they directly, or through an agent, engage in any act in furtherance of a corrupt payment while in the territory of the United States, regardless of whether they utilize the U.S. mails or a means or instrumentality of interstate commerce.“. 127  Vgl. nur Grau / Meshulam / Blechschmidt, BB 2010, 652 (656); Teicke / Mohsseni, BB 2012, 911 (913). 128  Vgl. 15 U.S.C. § 78 dd-1 (g) (1) und (2) FCPA und 15 U.S.C. § 78 dd-2 (i) (1) und (2) FCPA. 129  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale bzw. PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 37.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Aktien über sog. ADR’s in den USA gehandelt werden. Damit unterfallen rund 8 % der Unternehmen potenziell der Anwendungsvariante des 15 U.S.C. § 78 dd-1 FCPA.130 Weiterhin gaben 32,4 % der Befragten an, dass ihr Unternehmen bzw. Mutterunternehmen nach US-Recht gegründet worden ist bzw. dass sie über einen Geschäftssitz in den USA verfügen.131 Diese Unternehmen unterfallen potenziell dem Anwendungsbereich des 15 U.S.C. § 78 dd-2 FCPA. Die meisten Unternehmen unterliegen potenziell dem Auffangtatbestand des 15 U.S.C. § 78 dd-3 FCPA. Rund 44 % der befragten Unternehmen gaben an geschäftlich bzw. wirtschaftlich in den USA tätig zu sein.132 Eine Strafbarkeit deutscher Unternehmen nach dem FCPA erscheint in Anbetracht der genannten Zahlen als ein realistisches Risiko, dem Unternehmen ernsthaft begegnen sollten. Das deutsche Unternehmen in das Visier amerikanischer Strafverfolgungsbehörden rücken können, hat die strafrecht­ liche Aufarbeitung der Korruptionsaffäre um Siemens133 in der Vergangenheit mehr als eindrucksvoll gezeigt. Siemens hat infolge von Korruptions­ taten allein insgesamt 800 Millionen an US-Strafverfolgungsbehörden, bestehend aus 450 Millionen US-Dollar Geldstrafe seitens des Justizministerium (Department of Justice – „DOJ“134) und 350 Millionen US-Dollar als Abschöpfungsmaßnahme an die Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission – „SEC“135 bezahlt. All dies verdeutlicht, dass deutschen Unternehmen auch heute schon eine „echte“ Unternehmensstrafe drohen kann. Als Fazit bleibt daher zu formulieren, dass ausländisches (Straf-)Recht gerade für deutsche Unternehmen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Positiv ist aber, dass die Richtlinien zum UK Bribery Act und zum Foreign Corrupt Practices Act einigermaßen konkrete Vorgaben machen, wie Unternehmensleitungen die Compliance-Organisation auszurichten haben und damit eine Unternehmensstrafe abwenden können. 130  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale bzw. PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 37. 131  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale bzw. PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 37. 132  Abgefragt wurde ein Im- und Export in die USA. Dadurch wird in aller Regel ein territorialer Bezug zu den USA sowie die Nutzung eines „interstate commerce“ gegeben sein. 133  Den Fall Siemens ausführlich darstellend Yannett / Schürrle, in: Momsen / Grützner, 1148 Rn. 71 ff. 134  U.S. Department of Justice, Siemens AG and Three Subsidiaries Plead Guilty to Foreign Corrupt Practices Act Violations and Agree to Pay $450 Million in Combined Criminal Fines. 135  U.S. Securities and Exchange Commission, SEC Charges Siemens AG for Engaging in Worldwide Bribery.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen45 UK-BA: Gründung der Gesellschaft nach UK-Recht oder geschäftliche Tätigkeit im UK

41 %

FCPA: US-Börsennotierung oder Handel der Aktien über ADR’s

8%

FCPA: Gründung der Gesellschaft nach US-Recht oder Hauptgeschäftssitz in den USA

32 %

FCPA: territorialer Bezug zu den USA über Im- und Export

44 % 0

5

10 15 20 25 30 35 40 45 50

Quelle: PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 37.

Abbildung 1: Anwendungsbereiche des FCPA und UK Bribery Act

Durch die extraterritoriale Anwendung des US-amerikanischen und britischen Rechts wird nur die Möglichkeit eröffnet, Kriminalstrafen gegen Unternehmen für den Deliktsbereich der Korruption zu verhängen. Ein zukünftiges deutsches Verbandsstrafrecht kann auch in anderen Deliktsbereichen (z. B. Steuer- bzw. Umweltdelikte) generalpräventive Effekte erzielen. Des Weiteren darf nicht angenommen werden, dass in der Einführung eines Verbandsstrafrechts ein vorschnelles Nachgeben auf die Forderung nach mehr Strafrecht zu sehen ist. Betrachtet man Vorschläge für ein Verbandsstrafrecht im Kontext der bestehenden Verbandsgeldbuße, so wird deutlich, dass das Schwert des Strafrechts auch auf Verbandsebene restriktiv einzusetzen ist und dem Prinzip der ultima ratio Rechnung getragen werden kann.136 cc) Sonstige rechtliche Argumente für eine Verbandsstrafbarkeit Des Weiteren existieren bereits de lege lata strafrechtliche Normen, bei denen Verbände ausschließlich (z. B. § 1 GWB Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen) bzw. zumindest auch als Adressaten der Norm (z. B. bei § 266a StGB Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, 283 StGB Bankrott, § 329 StGB Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete oder § 130 OWiG Aufsichtspflichtverletzung) in Betracht kommen. Der „juristischen Patt“137, dass die strafbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmale oftmals nur beim Verband vorliegen aber das geltende Recht bis dato noch keine (kern-)strafrechtliche Ahndung von Verbänden kennt, wird über die Konstruktion des § 14 StGB oder § 9 OWiG gelöst. Danach werden dem 136  Vgl.

den nachfolgenden Vorschlag für ein Verbandsstrafrecht. in: FS Stree / Wessels, 545 (547).

137  Achenbach,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Organ bzw. Beauftragten die strafbarkeitsbegründenden besonderen persön­ lichen Merkmale des Vertretenen d. h. des Verbandes zugerechnet. Dieses juristische Patt ließe sich aber auch auf anderem Wege lösen. Denkbar und auch plausibel erscheint, dass bei einer Verletzung dieser normierten Verbandspflichten dem Verband als solchen eine Strafe droht. Eine „Zurechnungsnorm“ in die andere Richtung d. h. vom Vertreter zum vertretenen Verband – wie es auch schon § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWIG zeigt138 – wäre eine mögliche Option bei der Ausgestaltung eines Verbandsstrafrechts. Grundsätzlich dürfte auch jeder weitere Ausbau der Verbandsgeldbuße berechtigterweise als inkonsistente „Scheinlösung“139 bezeichnet werden, da sich dieselben dogmatischen Argumente wie gegen eine Verbandsstrafe anführen lassen.140 Nicht zuletzt kann die erfolgte Anhebung des Sanktionsrahmens der Verbandsgeldbuße als ein klarer Schritt in Richtung eines Verbandsstrafrechts verstanden werden, auch wenn weiterhin eine bußgeldrechtliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber gewählt wird.141 Das bisherige Höchstmaß der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG von 1. Mio. Euro wurde verzehnfacht.142 Eine qualitative143 Grenzziehung zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht und Kernstrafrecht lässt sich, wenn man die Rechtsfolgen von § 30 OWiG betrachtet, nicht mehr vornehmen.144 Wenn allgemein angenommen wird, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht dazu dient geringes Unrecht zu ahnden145, dann muss das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße in § 30 OWiG davon ausgenommen werden. Nimmt man mit in den Blick, dass Anknüpfungstat der Verbandsgeldbuße eine Straftat einer Leitungsperson des Unternehmens sein kann, so wird dies besonders deutlich. Zutreffend stellt Achenbach für diese Konstellationen fest, dass die

138  Zur konzeptionellen Struktur der geltenden Verbandsgeldbuße vgl. Gliederungspunkt: B. II. 3. 139  Vgl. nur Jäger, in: FS I. Roxin, 43 (49). 140  Vgl. Gliederungspunkt: B. I. 1. bb) (1). 141  Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zu Artikel 4 des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbs­ beschränkungen (E-8. GWB-ÄndG) – Änderung der §§ 30, 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), 2. 142  BR, Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages zum 8. GWB-ÄndG, BRDrucks. 641 / 12, 5. 143  Vgl. dazu BGH, Beschluss vom 04.11.1957 – GSSt 1 / 57, BGHSt 11, 263 (264). 144  Ähnlich Bundesrechtsanwaltkammer, Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zu Artikel 4 des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (E-8. GWB-ÄndG) – Änderung der §§ 30, 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), 2, die das Abstandsgebot der Geldbuße zur Geldstrafe als nicht mehr gewahrt ansehen. 145  Vgl. Mitsch, OWiG, 260 Rn. 6.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen47

„Verbandsgeldbuße“ theoretisch auch als strafrechtliche Sanktion im Kernstrafrecht hätte implementiert und ausgestaltet werden können.146 Den Bedenken, dass durch die Einführung der Verbandsstrafe ein generell verändertes Verständnis von „Strafe“ herbeigeführt wird und insbesondere der Individualstrafe deren „Ernsthaftigkeit“147 genommen wird, kann auf unterschiedlicher Weise begegnet werden. Entweder kann die Verbandsstrafe in einem neu eingefügten Titel im Abschnitt über die Rechtsfolgen der Tat im StGB148 oder in einem eigenständigen Gesetz normiert werden. Zudem könnte dieser Vorwurf mit Blick auf die derzeitige Verbandsgeldbuße und den echten Kriminalstrafen, die von ausländischen Strafverfolgungsbehörden gegenüber deutschen Unternehmen verhängt werden, ebenso erhoben werden. Eine Verbandsstrafe soll neben das bisherige Individualstrafrecht mit seinen Rechtsfolgen treten, ohne dieses in Frage zu stellen. dd) Kriminologische Erwägungen zu einer möglichen Verbandsstrafbarkeit Tiedemann hebt hervor, dass man juristische Personen angesichts ihrer Bedeutung und Macht die in der Wirtschaft von ihnen ausgeht, nicht mehr nur als ein rechtliches Gebilde im Sinne einer Fiktion betrachten sollte. Vielmehr sollte man sie als ein neues soziales Phänomen begreifen, dem sich auch das Recht nicht verschließen sollte.149 Neue komplexe Probleme werden von der Rechtswissenschaft immer durch den Filter der bestehenden Dogmatik betrachtet und damit geht eine Reduzierung des Phänomens auf eine rechtliche – insbesondere strafrechtliche – Kompatibilität einher.150 Geradezu beispielshaft stehen dafür die unzähligen Bemühungen der Strafrechtswissenschaft, eine Verbandsstrafe aus rein (individualstrafrechts-)dogmatischen Erwägungen abzulehnen. Dies führte dazu, dass man korporative Akteure bislang aus dem kernstrafrechtlichen Bereich ausklammerte und nur über den inkonsistenten Umweg des Ordnungswidrigkeitenrechts eine nebenstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensträgern herbeiführte. Zu berücksichtigen gilt ferner, dass eine rasante Entwicklung in der Wirtschaft stattgefunden hat, die vom Einzelkaufmann in Richtung globaler Unternehmen bzw. Konzerne. In der Wirtschaft dominieren nicht mehr einzelne natürliche Personen, sondern eine Vielzahl von global auftretenden Unter146  Achenbach,

NZWiSt 2012, 321 (322). Neumann, Unternehmensstrafrecht, 13 (20). 148  So Frister, in: FS Wessing, 3 (14). 149  Vgl. Tiedemann, WirtschaftsstrafR AT, 3. Aufl., Rn. 244a. Ähnlich auch Schmitt-­ Leonardy, ZIS 2015, 11 (16 f.). 150  So zutreffend Kubiciel, ZRP 2014, 133 (134). 147  So

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

nehmen, deren Milliardenumsätze teilweise Bruttoinlandsprodukte von Staaten erreichen bzw. überschreiten.151 Mittlerweile haben sich also die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert und Unternehmen sind als korporative Akteure immer mehr über nationale Grenzen hinaus tätig. Das Unternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Betätigung gesetzliche Regelungslücken nutzen und die Grenzen des rechtlich Erlaubten ausreizen, liegt auf der Hand. Die Erkenntnis, dass Unternehmen soziale Realitäten sind, hat in anderen Rechtsordnungen schon viel eher einen normativen Niederschlag gefunden. Für den deutschen Rechtsraum kann die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieser aufgezeigten Entwicklungen zunehmend auch auf der kollektiven Ebene gesucht werden. Das soll im gleichen Atemzug aber nicht heißen, dass der einzelne Täter einer strafrechtlichen Ahndung entzogen werden soll. Ebenso soll diese Erkenntnis nicht dahin gehend fehlverstanden werden, dass ein prinzipielles „Mehr“ an Strafrecht für die Verbandsebene zu fordern ist. Ein Vorschlag für ein Verbandsstrafrecht, bei dem es um Ahndung und nicht Haftung gehen soll, muss dies abbilden können. Empirisch belegt ist, dass eine „Verbandsattitüde“152 – besser Unternehmenskultur153 – zu Rechtsgutsverletzungen aus dem Unternehmen beiträgt. Mehrheitlich lassen sich diese Arten von Rechtsgutsverletzungen nicht auf persönliche Merkmale des konkreten Unternehmensmitarbeiters zurückführen.154 Für die Etablierung einer kriminellen Verbandsattitüde bzw. Unternehmenskultur sind zahlreiche Faktoren (z. B. Tatgelegenheiten, Neutralisierungsmechanismen, und Kommunikation) im Unternehmen maßgeblich. Ein Spezifikum des Verbandes sind somit dessen Organisationsstrukturen, die ebenfalls einen Beitrag zu Rechtsgutsverletzungen leisten können. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass korporative Devianz insbesondere im Bereich der Wirtschaft durch deren Eigenheiten z. B. Anonymität des Opfers, Nichtsichtbarkeit des Rechtsbruchs und der Vermengung illegaler und legaler Handlungsabläufe unterstützt wird.155 In der überwiegend juristisch geführten Debatte um die Einführbarkeit einer Verbandsstrafe sollen auch empirische Erkenntnisse aus der Sanktionsforschung berücksichtigt werden. Unter anderem könnten empirische Be151  Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Erläuternde Darstellung zu den Umsätzen von transnationalen Unternehmen anhand des World Investment Report 2010, Handbook of Statistics 2010. 152  Zum Begriff der „Verbandsattitüde“ vgl. Schünemann, ZIS 2014, 1 (4) m. W. N. 153  Ausführlich zum Begriff der „Unternehmenskultur“ Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (67 ff.). 154  Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (72  ff.); Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (13 ff.); Kölbel, ZIS 2014, 552 (553 ff.). 155  Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11 (14).



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen49

funde bezüglich der negativen als auch positiven Generalprävention für die Legitimation und Einführung einer Verbandsstrafe nutzbar gemacht werden. Der negativen Generalprävention d. h. der Abschreckung der Allgemeinheit wird den Kenntnissen der Sanktionsforschung folgend auf der Indivi­ dualebene keine besondere Bedeutung für die Begehung oder Nichtbegehung einer Straftat beigemessen.156 Insbesondere von der Höhe angedrohter Strafen geht kaum eine Bedeutung aus, vielmehr spielt der Parameter des subjektiven Entdeckungsrisikos die entscheidendere Rolle für die Begehung von Straftaten.157 Dennoch kann die schlichte Existenz des Strafrechts generalpräventive Wirkung entfalten.158 Betrachtet man nun die Unternehmensebene, so kann man feststellen, dass im Gegensatz zu individuellen Wirtschaftsstraftätern159 Unternehmen durchaus rational handelnde Akteure sind.160 Dies zeigt sich sehr deutlich darin, dass oft diejenigen Unternehmen, die bereits in wirtschaftskriminelle Vorkommnisse verwickelt waren und auch jene, die bisher nicht im Mittelpunkt staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen standen, sich aus ökonomischen Beweggründen heraus für Compliance-Systeme entscheiden.161 Mit dem Aufund Ausbau unternehmensinterner Kontroll- und Präventionsmaßnahmen wollen Unternehmen nachhaltig das Risiko einer strafrechtlichen Ahndung mit all ihren negativen Folgen (z. B. den nachteiligen Auswirkungen auf den Aktienkurs, Reputationsverlust sowie den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge) verringern. Im Wirtschaftsleben basieren die unternehmerischen Entscheidungen, ob Wirtschaftsstraftaten begangen werden, daher schon eher als beim Individuum auf Kosten-Nutzen Abwägungen.162 Daher könnte die Einführung einer echten Verbandsstrafe im Zusammenspiel mit dem Legalitätsprinzip d. h. Verfolgungszwang von Straftaten dazu beitragen, dass sich Effekte generalpräventiver Art bei Unternehmen derart bemerkbar 156  Bussmann, zfwu 2004, 35 (37 ff.); Albrecht, Kriminologie, 339; H. Schneider, in: FS Heinz, 663 (671 f.); Schöch, in: FS Jescheck, Bd 2, 1081 (1090 und 1102). 157  Bussmann, zfwu 2004, 35 (37 ff.); Schöch, in: FS Jescheck, Bd. 2, 1081 (1090). 158  Schöch, in: FS Jescheck, Bd. 2, 1081 (1090). 159  Kriminologische Erkenntnisse sprechen dagegen, dass der einzelne Wirtschaftsstraftäter vor seinem Handeln eine reine Kosten-Nutzen-Analyse tätigt. Das einfache Rational-Choice-Modell ist daher nicht umfassend geeignet Wirtschaftskriminalität auf der Mikroebene zu erklären, da z. B. kulturelle Aspekte gänzlich unberücksichtigt bleiben, obwohl sie für die Entscheidungsfindung des Täters eine Rolle spielen. Vgl. dazu Bussmann, in: Wirtschaftskriminalität, 57 (67 f.); H. Schneider / John, in: Wirtschaftskriminalität, 159 ff.; H. Schneider, in: FS Heinz, 663 (671 f.). 160  H. Schneider, in: FS Heinz, 663 (674). 161  H. Schneider, in: FS Heinz, 663 (674). 162  Zum Rational-Choice Ansatz im Allgemeinen Meier, Kriminologie, §  11 Rn. 27.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

machen, dass von der Begehung unternehmensnütziger Kriminalität abgeschreckt wird und gleichzeitig die eigene Compliance-Entwicklung vorangetrieben wird.163 Theoretisch plausibel ist, dass es wegen des Legalitätsprinzips und des öffentlichen Strafverfahren (ggf. mit einem sozialethischen Unwerturteil) zu einem größeren Reputationsverlust für Unternehmen und damit zu mehr „Kosten“ kommen kann, denen die Unternehmensführung entgegentreten will.164 Nicht nur die Androhung einer Verbandsstrafe, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche erfolgt, ist entscheidend. In die gleiche Richtung deuten einige Studien, die eine deliktshindernde und damit präventive Wirkung für die Fälle konstatieren, in denen eine Einzelund Verbandssanktion nebeneinander als wahrscheinlich erachtet werden.165 In einer Studie zur praktischen Anwendung und Wirksamkeit des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes in Österreich wurde nachgewiesen, dass eine strafrechtliche Verortung der Unternehmensträgerverantwortlichkeit mehrere Präventivwirkungen zeitigt. Festgestellt wurde, dass vom Verdachtsmoment gegen das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz als Strafrecht im engeren Sinn verstoßen zu haben, eine hohe symbolische Wirkkraft gerade bei denjenigen Unternehmen zu spüren ist, deren Marktwert sich stark über Image und ­Reputation bestimmt.166 Des Weiteren wurde festgestellt, dass ein reales Verfahrensrisiko im erheblichen Maße dazu beiträgt, dass unternehmensinterne Kontroll- und Präventionsmaßnahmen ergriffen werden.167 Die Reputation ist gerade für diejenigen Unternehmen, die am Kapitalmarkt aktiv sind, besonders wichtig, denn Anleger und Investoren achten penibel darauf. Aber auch Unternehmen, die mit börsennotierten Unternehmen zusammenarbeiten wollen, müssen ihre Unternehmensstrategie darauf ausrichten, reputationsschädigende Verhaltensweisen zu unterlassen. In der Tendenz sind daher Unternehmen besser zu beeinflussen als Individuen. Auf 163  Gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe aus unterschiedlichen kriminologischen Erwägungen z. B. Hefendehl, MschrKrim 2003, 27 (42). Sie zumindest nicht gänzlich ausschließend Kaspar, in: Wirtschaftskriminalität, 135 (145 f.). 164  Wessing, ZHR 2012, 301 (305); Achenbach, ZIS 2012, 178 (182); Kubiciel, ZRP 2014, 133 (135). 165  Paternoster / Simpson, Law & Society Review Vol. 30 (1996), 549  ff.; Smith / Simpson / Huang, Business Ethics Quarterly Vol. 17 (2007), 633 ff. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Furcht vor informellen Sanktionen und moralische Überlegungen eine noch entscheidendere Rolle bezüglich der Begehung oder Nichtbegehung einer Straftat gespielt haben. 166  Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Studie zur praktischen Anwendung und Wirksamkeit des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes, Jahresbericht IRKS 2011, 43. 167  Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, Studie zur praktischen Anwendung und Wirksamkeit des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes, Jahresbericht IRKS 2011, 41 f.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen51

den Aspekt der Publizität und des Prestiges (im Sinne von Kosten) verweisen selbst diejenigen Stimmen, die eine Verbandsstrafe wegen eines Verstoßes gegen das Schuldprinzip ablehnen und stattdessen auf ein generalpräventiv wirkendes Maßregel-Konzept der Unternehmenskuratel setzen wollen.168 Ein zukünftiges Verbandsstrafrecht sollte nicht ausschließlich über den Aspekt der negativen Generalprävention legitimiert werden. Ein öffentliches und transparentes Verbandsstrafrecht, welches dazu wirksam durchgesetzt wird, leistet der positiven Generalprävention ebenso einen Beitrag. Durch eine Verbandsstrafe, die ebenso ein sozialethisches Unwerturteil ausdrückt, reagiert die Rechtsordnung auf unternehmensnützige bzw. betriebsbezogene Straftaten aus Unternehmen heraus. Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsordnung wird gestärkt, indem signalisiert wird, dass Straftaten aus oder von Unternehmen nicht geduldet und damit als Bagatellen abgetan werden. Von einem Verbandsstrafrecht könnte auch eine größere Symbolwirkung gerade in Bezug auf die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ausgehen. Symbolgesetzgebung ist ein im Wirtschaftsstrafrecht oft anzutreffendes Mittel des deutschen Gesetzgebers. Im Jahre 1997 kodifizierte der Gesetzgeber den Tatbestand der Korruption und der Submissionsabsprachen im StGB. Er wollte mit dieser Implementierung im StGB eine Stärkung des allgemeinen Unrechtsbewusstseins und eine höhere soziale Ächtung erreichen.169 Einen ähnlichen symbolischen Akt könnte man in der Einführung einer Verbandsstrafe erblicken. c) Eigener Vorschlag für die Ausgestaltung eines Verbandsstrafrechts de lege ferenda Sofern man die prinzipielle Möglichkeit eines Verbandsstrafrechts anerkennt, besteht im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung desselben keine Einigkeit. Beide Konzepte d. h. das Identifikationsmodell als auch das Modell des Organisationsverschuldens haben jeweils gewisse Vor- und Nachteile. Wählt der Gesetzgeber ein identifikationsrechtliches Modell und beschränkt die Ahndungsmöglichkeit des Unternehmensträgers – ähnlich wie bei § 30 OWiG – auf Fälle von Zuwiderhandlungen von Funktionsträgern und Führungspersonen, so ergeben sich Strafbarkeitslücken für unternehmensnützliche Kriminalität seitens Mitarbeiter ohne Leitungsfunktionen. Strafwürdige Beeinträchtigungen individueller als auch überindividueller 168  Schünemann,

in: FS Tiedemann, 429 (446 f.). Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 13 / 5584, 15. 169  BT,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Rechtsgüter im Unternehmensinteresse können auch von Mitarbeitern unterer Unternehmensebenen begangen werden. Eine solche Lösung würde keine Verbesserung zum geltenden Recht der Verbandsgeldbuße gemäß §§ 30, 130 OWiG darstellen. Dort kann man über den Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung die unternehmensnützliche Kriminalität von Mitarbeitern ohne Führungsposition erfassen und daran wiederum eine Verbandsgeldbuße knüpfen. Deshalb sollten bei einer zukünftigen Verbandsstrafe auch die möglichen Zuwiderhandlungen von allen Unternehmensmitarbeitern ohne Leitungsfunktion erfasst werden können. Ein Pendant zum jetzigen Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG wäre auch für ein derartiges zukünftiges Verbandsstrafrecht zu fordern. Das identifikationsrechtliche Modell bedarf bei der Begründung strafrechtlicher Kollektivverantwortung für Regelbrüche in zweierlei Hinsicht zwingend eines Korrektivs: Zum einen muss sich die Zuschreibung bzw. Identifizierung für Verantwortlichkeit auf betriebsbezogene bzw. unternehmensnützliche Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten beziehen. Die Betriebsbezogenheit bzw. Bereicherungsalternative ist auch im geltenden Recht so in den §§ 30 Abs. 1 bzw. 130 Abs. 1 OWiG wiederzufinden. Ebenso sollten auch nur solche Zuwiderhandlungen zu einer Ahndung des Unternehmensträgers führen, die dem typischen Betriebsrisiko entsprechen. Für alle anderen Regelbrüche ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit weiterhin nur auf der individuellen Ebene zu suchen. Die Verbandsstrafe ist nur dann eine legitime Reaktion, wenn auf Zuwiderhandlungen abgestellt, bei denen sich eine betriebstypische Gefahr verwirklicht hat. Zum anderen sollte eine strafrechtliche Ahndung des Verbands beim Identifikationsmodell kein Automatismus170 werden, selbst dann nicht, wenn ein betriebsbezogener oder unternehmensnützlicher Regelbruch durch ein Organ(-teil) oder einen Mitarbeiter vorliegt.171 Grundlage einer Konstituierung kollektiver Verantwortlichkeit und damit auch gleichzeitig dessen Legitimation kann nicht allein die schlichte Identifizierung mit einer Handlung und Schuld eines Mitarbeiters sein. Vielmehr muss eine sog. „Eigenschuld“ des Verbandes vorliegen. Diese könne darin gesehen werden, dass verfügbare Organe den spezifischen Kollektivstrukturen bzw. -bedingungen, die Eingang in die jeweiligen Operationen d. h. Handlungen und Unterlassungen der ­Unternehmensmitarbeiter gefunden haben und einer Normstabilisierung im 170  Schmitt-Leonardy,

Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht, Rn. 568. Frage der Verhängung bzw. Festsetzung einer Verbandsstrafe ist jedoch von der strafprozessualen Frage zu trennen, ob entsprechend dem Legalitätsprinzip einem etwaigen Verdachtsmoment bzgl. eines betriebsbezogenen Regelbruchs zunächst nachgegangen werden muss. 171  Die



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen53

Vorfeld und bei der Tatausführung entgegenwirkt haben, nicht zumutbar entgegengewirkt haben.172 Ohne das gleichzeitige Abstellen auf Organisa­ tionsstrukturen würde ein reines Identifikationsmodell für den Verband eher an ein „Haftungsprinzip“ erinnern als an eine strafrechtliche „Ahndung“. Eine Verbandsstrafe ließe sich nur verhindern, wenn dauerhaft regelkonformes Verhalten innerhalb des gesamten Kollektives an den Tag gelegt wird. Raum für unter anderem auch betriebsbedingte Exzesstaten verbleibt bei einem Identifikationsmodell nicht. Jede betriebsbedingte Zuwiderhandlung ­ eines Mitarbeiters führt damit zu einer Ahndung des Verbandes. Organisatorische Vorkehrungen des Verbandes zur Minimierung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen könnten einzig im Strafverfahren als auch auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden. Die soeben dargestellten Aspekte lassen daher insgesamt das Modell des Organisationsverschuldens vorzugswürdiger erscheinen. Dieses hat zum einen den Vorteil, dass es die betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen aller Unternehmensmitarbeiter unabhängig von einer Leitungsfunktion erfasst, die auf eine Desorganisation im Unternehmen zurückzuführen sind. Zudem bietet es die Möglichkeit das Strafrecht auf der Ebene des Verbandes nur dann als ein Reaktionsmittel einzusetzen, wenn die Tat eines Einzelnen Ausfluss eines organisatorischen Mangels war, der zur Rechtsgutsbeeinträchtigung beigetragen hat. In jedem anderen Fall verbietet sich dann das Mittel der Verbandsstrafe. Exzesstaten173 lassen sich mit dem Modell des Organisa­ tionsverschuldens besser herauskristallisieren. Ein Entwurf einer Sanktionsnorm für ein Verbandsstrafbarkeitsgesetz könnte folgendermaßen lauten: „§ 1 Verbandsstrafe Eine Verbandsstrafe wird für den Fall verhängt, dass vorsätzlich oder fahrlässig ein Defizit in der Organisation vorgelegen hat, sofern dadurch eine mit Strafe oder Geldbuße bedrohte Zuwiderhandlung begangen oder wesentlich erleichtert worden ist, die als verbandsbezogen174 gilt oder den Verband bereichert hat oder bereichern sollte. Als Verbandsstrafen kommen eine Geldstrafe sowie eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht.“

Der Zustand der Desorganisation im Verband kann vorsätzlich oder fahrlässig verursacht worden sein. Anzumerken gilt weiter, dass die betriebsbe172  Ähnlich Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht, Rn. 568, die sich für die Berücksichtigung „kollektiver Momente“ ausspricht, die bei der Rechtsgutverletzung eine Rolle gespielt haben. 173  Diese gilt es ebenfalls konsequent nach dem Individualstrafrecht zu sanktionieren. 174  Als Synonym kann auch „betriebsbezogen“ verwendet werden.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

zogene oder unternehmensnützliche Zuwiderhandlung nur als objektive Bedingung der Verbandsstrafbarkeit verstanden werden soll, also außerhalb des Unrechtstatbestandes steht. Zudem soll das Vorliegen einer Zuwiderhandlung nicht als Beweis für eine unzureichende Organisation im Verband verstanden werden. Grundsätzlich kommen als Zuwiderhandlungen sowohl Straftaten als auch Ordnungswidrigkeiten in Betracht, egal ob diese durch ein Tun oder Unterlassen verwirklicht worden sind. Für eine Zuwiderhandlung ist der Verstoß gegen den objektiven Tatbestand einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit allein nicht ausreichend. Vielmehr ist erforderlich, dass daneben der subjektive Tatbestand der in Rede stehenden Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit erfüllt ist. Sofern die begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorsätzliches Handeln erfordert, muss dieses also vorgelegen haben. Darüber hinaus muss die Straftat oder Ordnungswidrigkeit auch rechtswidrig begangen worden sein. Für die Konstellation, dass eine Strafbarkeit der natürlichen Person scheitert, weil strafbarkeitsbegründende persönliche Merkmale fehlen (z. B. bei einem Verstoß gegen das Sonderdelikt des § 266a StGB), ist dies für eine Verbandssanktionierung unschädlich. Gleichwohl müssen alle anderen vorausgesetzten Merkmale des objektiven wie subjektiven Tatbestandes gegeben sein, sowie die allgemeine Rechtswidrigkeit vorliegen. Der konkrete Täter der Zuwiderhandlung muss nicht festgestellt werden können. Weitergehende Anforderungen werden an die objektive Bedingung der Verbandsstrafbarkeit nicht gestellt. Theoretisch besteht zumindest die Möglichkeit, dass jede betriebsbezogene Zuwiderhandlung eines Mitarbeiters von der Rechtsprechung zum Anlass genommen wird, einen Organisationsmangel im Unternehmen zu suchen. Dies hätte zur Folge, dass eine Verbandsstrafe ähnlich wie bei der geltenden Verbandsgeldbuße automatisch beim Vorliegen einer betriebsbezogenen oder unternehmensnützlichen Zuwiderhandlung verhängt wird. Hier hat es die Rechtsprechung in der Hand einer solchen Sanktionspraxis vorzubeugen und dem Gedanken des Strafrechts als ultima ratio Rechnung zu tragen. Eine strafrechtliche Hypertrophie sollte auch auf der Ebene des Verbandes verhindert werden. Sofern eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen wurde, ohne dass ein unrechtsbegründendes Organisationsdefizit vorgelegen hat, so ist bei unternehmensnützlicher Kriminalität das aus der Tat Erlangte über das Institut des Verfalls bzw. Drittverfalls abzuschöpfen175, ohne dass es einer ahndenden Sanktion für den Verband bedarf. 175  Entgegen dem Vorschlag von Beulke / Moosmayer, CCZ 2014, 146 (149), ist eine Abschöpfung des deliktisch erlangten Vermögens auch dann erforderlich und geboten, wenn ein funktionierendes Compliance-System vorhanden ist und eine strafrechtliche Ahndung des Verbandes nicht in Frage kommt.



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen55

Liegt ein kriminelles176 Verhalten aus dem Verband vor, so muss zunächst danach geschaut werden, ob ein Organisationsdefizit bestand. Ist ein solches gegeben und besteht ein Zurechnungszusammenhang, steht einer Verbandssanktionierung nichts im Wege. Ist kein Organisationsdefizit vorhanden, liegt ein Exzess einer oder mehrerer natürlicher Personen vor. Eine Ahndung des Verbandes muss unterbleiben. Vielmehr ist der Exzesstäter mittels Individualstrafrecht konsequent zu ahnden. Etwaige deliktisch erlangte Gelder beim Verband sind im Wege einer Drittverfallsanordnung abzuschöpfen, sodass sich Straftaten auch für den Verband niemals lohnen. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn Leitungs- oder Aufsichtspersonen nicht einschreiten, obwohl es zu erkennbaren bzw. wiederholten Verstößen durch andere Unternehmensmitarbeiter gekommen ist. Darin kann ein Verstoß gegen die Überwachungs- und interne Sanktionierungspflicht des Verbandes gesehen werden, der einen Organisationsmangel zu begründen vermag. In einem solchen Fall erscheint eine Verbandssanktionierung wiederum legitim. Zwischen dem Organisationsdefizit und der betriebsbezogenen bzw. unternehmensnützlichen Zuwiderhandlung muss als notwendiges und zugleich hinreichendes „Zurechnungsminimum“ eine wesentliche Erleichterung bestehen. Das Risiko der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit muss sich durch das vorliegende Organisationsdefizit erheblich erhöht haben. Für ein Begehen durch Unterlassen gilt entsprechendes. Mit dem Aspekt der „Mitbetroffenheit von Dritten“ d. h. Arbeitnehmern und Anteilseignern in einem solchen Verbandsstrafrecht ist angemessen umzugehen. Vorangegangene Ausführungen haben gezeigt, dass auch diese von einer Verbandssanktionierung unweigerlich betroffen wären. Hinsichtlich der Personengruppe der Organe bzw. leitenden Führungspersonen kann eine Vermeidemacht hinsichtlich einer Desorganisation im Verband attestiert werden. Diese können eine Verbandsstrafe insofern verhindern, dass sie dem Zustand einer Desorganisation vorbeugen, indem sie im erforderlichen Maß technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen treffen. Eine Mitbetroffenheit von Arbeitnehmern und Anteilseignern bei einer Verbandssanktionierung wäre dann nicht unverhältnismäßig, wenn dieser Personengruppe ebenfalls eine prinzipielle Vermeidemacht hinsichtlich des Tatvorwurfs der Desorganisation eingeräumt wird. Eine Vermeidemacht der Arbeitnehmer und Anteilseigner muss sich bei diesem Modell der Verbandsstrafbarkeit nur auf den Zustand der Desorganisation beziehen und nicht auch hinsichtlich der konkret begangenen Zuwiderhandlung eines Unterneh176  Gemeint

sen.

sind verbandsbezogene oder den Verband bereichernde Verhaltenswei-

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

mensmitarbeiters. Der Tatvorwurf besteht einzig und allein darin, dass ein Zustand der Desorganisation vorgelegen hat. Eine solche Vermeidemacht der betreffenden Arbeitnehmer und Anteilseigner wird ganz wesentlich davon abhängen, ob es ihnen möglich ist, Zugriff auf entsprechende Informationen hinsichtlich getroffener oder nicht getroffener organisatorischer Maßnahmen im Verband zu nehmen. Ein Tätigwerden zur Vermeidung einer Desorganisation setzt daher unabdingbar eine solide Informationsbasis voraus. Damit auf die dazu nötigen Informationen zugegriffen werden kann, sollte in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften z. B. dem Aktiengesetz177, ein Informationsrecht für Aktionäre gegebenenfalls auch der Hauptversammlung normiert werden. Gleiches sollte für Arbeitnehmer bzw. vorhandene Betriebsräte gelten. Damit sollte rechtlich sichergestellt sein, dass ein Informationstransfer über vorhandene organisatorische Vorkehrungen im Verband stattfinden kann. Maßgeblich für eine ausreichende Vermeidemacht der Anteilseigner und Arbeitnehmer ist aber nicht nur ein Informationsrecht, sondern darüber hinaus auch ein Recht auf Verpflichtung der jeweiligen Organe bei aktuell nicht oder unzureichend bestehenden Organisationsstrukturen solche ohne Zögern zu implementieren (Implementationsrecht). Dieses Recht auf Schaffung entsprechender Organisationsstrukturen sollte ebenfalls in den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften kodifiziert werden.178 Durch das gesetzlich vorgesehene Informationsrecht haben es die Anteilseigner und Arbeitnehmer selbst in der Hand ihr Recht auf Verpflichtung der Organe zu entsprechenden Organisationsvorkehrungen wahrzunehmen. Für den Fall, dass Anteilseigner und Arbeitnehmer ihre vorgenannten Rechte nicht wahrnehmen und es zu einer betriebsbedingten oder unternehmensnützlichen Zuwiderhandlung kommt, die auf fehlerhafte Organisationsstrukturen zurückzuführen ist, bilden sie mit dem übrigen Verband in zulässigerweise eine rechtliche als auch wirtschaftliche „Schicksalsgemeinschaft“. Dem Schuldprinzip kann somit angemessen Rechnung getragen werden. Das Schuldprinzip insbesondere in seiner strafbegrenzenden Ausprägung ist im Bereich des Individualstrafrechts in der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verankert.179 Weil Art. 1 177  Gleiches

mag für die anderen Gesellschaftsformen entsprechend gelten. sei darauf hingewiesen, dass es durch diese neuen Rechte der Arbeitnehmer / Hauptversammlung zu Friktionen im derzeitigen Regelungsregime des AktG kommen kann. 179  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.07.1949  – 1 BvR 197 / 53, BVerfGE 9, 167 (169); BVerfG, Beschluss vom 03.06.1992  – 2 BvR 1041 / 88, 78 / 89, BVerfGE 86, 288 (313); BVerfG, Beschluss vom 24.10.1986 – 2 BvR 1851, 1853, 1875 und 1852 / 94, BVerfGE 95, 96 (140). 178  Es



I. Die Strafbarkeit von juristischen Personen57

Abs. 1 GG als Rechtsgrundlage des Schuldprinzips fungiert, ist es einer gesetzgeberischen Abwägung auch mit anderen verfassungsrechtlichen Belangen entzogen.180 Damit wird einem Menschen ein nicht einschränkbarer Anspruch auf Beachtung seiner konkreten Verantwortlichkeit im Rahmen einer Sanktionierung gewährt. Eine schuldangemessene Bestrafung wird garantiert. Der Verbandsstrafe liegt ein im Vergleich zum Individualstrafrecht alternatives aber verfassungsrechtlich zulässiges Verständnis181 von Schuld und Strafe zugrunde. Fraglich ist aber dessen Verankerung im nationalen Recht als auch im Unionsrecht. Im nationalen Recht hat das Schuldprinzip für die Verbandsebene weitestgehend dieselben Rechtsgrundlagen, wie im Bereich des Individualstrafrechts. Das Schuldprinzip und seine begrenzende Funktion können auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG gestützt werden. Einzig nicht als taugliche Rechtsgrundlage kann die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG fungieren.182 Diese ist per se an das Menschsein geknüpft. Problematisch erscheint, dass es durch den fehlenden Bezug zur Menschenwürde keinen uneinschränkbaren Schutz auf Beachtung der konkreten Verantwortlichkeit des Verbandes im Rahmen einer Sanktionierung gibt. Art. 2 Abs. 1 GG sowie das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 20 Abs. 3 GG lassen sich durch Abwägung mit anderen Verfassungsgütern einschränken. Eine zum Individualstrafrecht vergleichbare d. h. nicht einschränkbare Gewährleistung auf eine schuldangemessene Bestrafung kann aber im Unionsrecht gefunden werden. Art 49 Abs. 3 GRC fordert, dass das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf. Darin kann eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gesehen werden. Das Justizgrundrecht aus Art. 49 Abs. 3 GRC ist nicht einschränkbar.183 Die Grundrechtecharta und damit auch das vorgenannte Grundrecht gehören wegen Art. 6 Abs. 1 EUV zum Primärrecht und stehen damit an der Spitze der Normenpyramide des Unionsrechts. 180  Zur Nichtabwägbarkeit der Menschenwürde statt vieler: Kunig, in: von Münch /  Kunig, Bd. 1, Art. 1 Rn. 4. 181  Sachs, in: Unternehmensstrafrecht, 195 (197). 182  Im Ergebnis ebenso Vogel, in: Unternehmensstrafrecht, 205 (208); Neumann, Unternehmensstrafrecht, 13 (19  f.); Kudlich / Oglakcioglu, WirtschaftsstrafR, § 4 Rn. 89; Kudlich, in: Compliance und Strafrecht, 209 (212). 183  Vgl. nur Regeling / Szczekalle, Grundrechte in der Europäischen Union, Rn. 1212. Dies wird daraus gefolgert, dass Art 49 Abs. 3 GRC ein Sonderfall des Prinzips der Verhältnismäßigkeit darstellt. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip fungiert gemäß Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRC als Schranken-Schranke d. h. es ist bei jeder Grundrechtseinschränkung strikt zu beachten.

58

B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Einzig fraglich erscheint, ob der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta überhaupt eröffnet ist. Ausgangspunkt der Beantwortung dieser Frage ist Art. 51 Abs. 1 GRC. Danach sind die Mitgliedsstaaten ausschließlich bei der Durchführung von Unionsrecht an die EU-Grundrechte gebunden. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber sich für den Weg entschieden, einen allgemeinen Sanktionstatbestand für Verbände – den der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG – zu schaffen und damit alle unionsrechtlichen Rechtsakte insbesondere Richtlinien umzusetzen zu wollen, die Vorgaben für eine Verbandssanktionierung enthalten. Will der Gesetzgeber daran festhalten und einen allgemeinen Sanktionstatbestand in einem Verbandsstrafrecht schaffen und gleichzeitig die Norm des § 30 OWiG vollständig streichen, so muss dieser gesetzgeberische Akt als eine Neuumsetzung von sekundärem Unionsrecht gelten. Sogar für den Fall einer innerstaatlichen Anwendung einer Steuerstrafvorschrift stellte der EuGH in der „Åkerberg Fransson“ Entscheidung eine Verknüpfung zum Unionsrecht her, indem er unter anderen auf die Mehrwertsteuerrichtlinie aus 2006 abstellte.184 Erst recht im Lichte dieser Rechtsprechung dürfte der Anwendungsbereich der GRC für den Fall der Kodifizierung eines Verbandstrafrechts eröffnet sein, die der Umsetzung diverser unionsrechtlicher Richtlinien zur Sanktionierung von juristischen Personen und Personenverbänden dient. Eine schuldangemessene Bestrafung wird für Verbände daher über Art. 49 Abs. 3 GRC garantiert. 2. Fazit Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht auch in Deutschland eine Verbandsstrafe einzuführen. Die dargestellten Defizite im Verfahrensrecht des Ordnungswidrigkeitenrechts schwächen die präventive Wirkkraft der geltenden Verbandsgeldbuße. Daher sollte vielmehr versucht werden, die Verbandssanktionierung effizienter als bisher zu gestalten. Ein gangbarer Weg – der auch den Aspekt der Mitbestrafung unschuldiger Dritter beachtet – ist die Einführung eines Verbandsstrafrechts, das tatbestandlich an eine Desorganisation anknüpft. Ein solches Modell hat mehrere Vorteile. Es schlägt zum einen die Brücke zur aktuellen Criminal-Compliance Debatte, indem positive Anreize für die Ergreifung organisatorischer Maßnahmen geschaffen werden. Eine Ahndung des Unternehmensträgers ist tatbestandlich für solche Fälle ausgeschlossen, bei denen alle gehörigen Organisationsmaßnahmen getroffen wurden und sich die Tat daher als Exzess eines Mitarbeiters darstellt. Zum Zweiten können die Strafzwecke der negativen wie positiven Generalprävention besser 184  EuGH,

Urteil vom 26. 2. 2013 – C-617 / 10, NJW 2013, 1415 ff.



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG59

erreicht werden, wenn sich Strafen für die korporativen Akteure als ein realistisches Szenario darstellen, weil im Verbandsstrafrecht ein Legalitätsprinzip gilt. Und zum Dritten wird deutlich, dass in einem solchen Modell eines Verbandsstrafrecht auch kein vorschnelles Nachgeben auf die Forderung nach mehr Strafrecht zu sehen ist. Die hiesigen Aufführungen haben indes nur aufgezeigt, dass dies ein beschreitbarer Weg sein kann. Dies würde auch zugleich bedeuten, dass man sich von der inkonsistenten Scheinlösung der Verbandsgeldbuße verabschieden kann. Der Grundsatz „societas delinquere non potest“ ist auch im deutschen Rechtsraum in „societas delinquere potest“ abänderbar.

II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG Nachdem nun in einem ersten Schritt festgestellt wurde, dass bisher keine Kriminalstrafen gegen korporative Akteure existieren, soll jetzt das Rechts­ institut der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 bzw. 4 OWiG betrachtet werden. Mit einer knappen Darstellung der gegenwärtigen Rechtslage soll zum einen der Anwendungsbereich der Verbandsgeldbuße aufgezeigt werden. Zum anderen soll die Ausgangsbasis für eine Lokalisierung von möglichen Anknüpfungspunkten für etwaige unternehmerische Compliance-Maßnahmen im geltenden Recht geschaffen werden. Ob und wie Compliance-Maßnahmen dann im Rahmen einer strafrechtlichen Ahndung de lege lata und de lege ferenda berücksichtigt werden können, soll anschließend unter dem Gliederungspunkt D. dargestellt werden. Zunächst wird aber auf das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße eingegangen. 1. Allgemeines und konzeptionelle Struktur der Verbandsgeldbuße Die im sechsten Abschnitt des Ordnungswidrigkeitengesetzes in § 30 geregelte Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen stellt die nach deutschem Recht wichtigste Grundlage für die Sanktionierung von Unternehmensträgern dar.185 Auf eine umfangreiche Darstellung der historischen Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts und der der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG wird weitgehend verzichtet.186 Punktuell wird an gegebenen Stellen auf historische Besonderheiten der Verbandsgeldbuße hingewiesen.

185  Klesczewski,

in: FS Seebode, 179 nennt § 30 OWiG ein „einzigartiges Institut“. ausführlich Engelhart, Sanktionierung, 325 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 22 ff. 186  Dazu

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Als Bezeichnungen für § 30 OWiG werden parallel „Unternehmens­ geldbuße“187 und „Verbandsgeldbuße“188 verwendet.189 Für die Begrifflichkeit der Verbandsgeldbuße lässt sich anführen, dass sich der Gesetzgeber in § 30 OWiG beispielsweise durch die Verwendung der Worte „juristische Personen und Personenvereinigungen“ für das Rechtsträgerprinzip entschieden hat.190 Deshalb erscheint die Verwendung des Begriffes Verbandsgeldbuße vorzugswürdig. § 30 Abs. 1 und 4 OWiG kann man mehr oder weniger als eine abschließende Regelung bezüglich der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden betrachten.191 Die meisten Ergänzungen bzw. Modifizierungen erfolgen durch gesetzgeberische Anordnungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).192 Zunächst soll sich dem Zweck, den die Vorschrift des § 30 OWiG verfolgt, gewidmet werden. Anschließend wird die konzeptionelle Struktur, die der Verbandsgeldbuße zugrunde liegt, untersucht. Über die Ausführungen zum Zweck und zur Konzeption des § 30 OWiG können möglicherweise Rückschlüsse auf rechtliche Anknüpfungspunkte für Compliance-Maßnahmen sowohl auf der Tatbestands- als auch Rechtsfolgenebene gezogen werden. 2. Zweck des § 30 OWiG Noch bevor sich mit der dogmatischen Struktur der Verbandsgeldbuße beschäftigt wird, soll deren Zweck kurzerhand betrachtet werden. Nach den Ausführungen des Gesetzgebers soll die Verbandsgeldbuße vermeiden, dass juristische Personen und Personenvereinigungen bei deliktischem Handeln, das aus ihrem Rechtskreis entstammt und in ihrem Interesse erfolgt, besser gestellt werden als natürliche Personen. Die Sanktionsbemessungen von natürlichen Personen, die deliktisch im Interesse des Verbandes handeln, sind in der Höhe durch deren persönliche wirtschaftliche Verhältnisse limitiert. Unberücksichtigt bleiben bei unternehmensnützigen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von Mitarbeitern die wirtschaftlichen Vorteile, die dem 187  Hellmann / Beckemper,

WirtschaftsstrafR, Rn. 1013. Achenbach, NZWiSt 2012, 321; ders., ZIS 2012, 178 (180); ders., JUS 1990, 601 (605). 189  Beispielhaft dafür Wittig, WirtschaftsstrafR, 3. Aufl., § 12 Rn. 1; Krekeler, in: FS Hanack, 639 (645); Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 42 Rn. 25. 190  Vgl. dazu Achenbach, NZWiSt 2012, 321; ders., Unternehmensstrafrecht, 271; Heinichen, WRP 2012, 159 (161). 191  Engelhart, Sanktionierung, 373 f.; Lemke / Mosbacher, OWiG, § 30 Rn. 1. 192  Vgl. dazu Gliederungspunkt: B. II. 6. 188  Insbesondere



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG61

Unternehmen selbst zu fließen. Eine Ahndung, die zur Bekämpfung solcher unternehmensnützigen Verhaltensweisen anhält als auch eine Abschöpfung erzielter Gewinne bei dem Unternehmensträger selbst sind nur über eine Verbandsgeldbuße möglich.193 Es lässt sich resümieren, dass die Verbandsgeldbuße einen doppelten Zweck verfolgt. Zum einen den der Abschöpfung illegal erwirtschafteter Gelder und zum anderen den der Ahndung. Die Ahndungsfunktion der geltenden Verbandsgeldbuße lässt sich noch deutlicher aus dem Gesetz ableiten. Auch die Verbandgeldbuße im sechsten Abschnitt des OWiG ist eine Geldbuße, deren zugewiesene Aufgabe gemäß § 1 Abs. 1 OWiG allgemeingültig die der Ahndung ist.194 Wie jede andere Strafe auch hat die Verbandsgeldbuße als ahndende Sanktion sowohl repressive als auch präventive Funktion.195 Einerseits ist die Verbandsgeldbuße ein Reaktionsmittel auf einen bereits begangenen Verstoß aus dem Verband heraus. Andererseits muss die Geldbuße den Unternehmensträger derart wirtschaftlich angemessen treffen, dass eine Normverdeutlichung möglich ist und in präventiver Hinsicht zu gesetzeskonformen Verhalten der Mitarbeiter beiträgt.196 Insbesondere die leitenden Unternehmensangehörigen sollen angehalten werden, sich zukünftig rechtstreu zu verhalten.197 3. Konzeptionelle Struktur des § 30 OWiG Aussagen über die konzeptionelle Struktur des § 30 OWiG zu treffen und daran Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance-Maßnahmen festzumachen, fällt schwer. Das ist dem Umstand geschuldet, dass mit den zahlreichen gesetzgeberischen Änderungen des § 30 OWiG neue Interpretationsmöglichkeiten zur konzeptionellen Struktur der Verbandsgeldbuße eröffnet wurden. Seitdem steht die Verbandsgeldbuße in dogmatischer Hinsicht scheinbar auf wackeligen Füßen. Es gibt daher Stimmen, die per se von einer Unzulässigkeit der Verbandsgeldbuße ausgehen, weil sie mit den individualstrafrecht­ lichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen ist.198 Andere wiederum 193  BReg, Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), BTDrucks. V / 1269, 58 f. 194  Ausführlich dazu: Achenbach, ZIS 2012, 178 (180). 195  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 16; Eidam, wistra 2003, 447 (448); Lemke /  Mosbacher, OWiG, § 30 Rn. 7; Mitsch, OWiG, 167 Rn. 7; Achenbach, ZIS 2012, 178 (180). 196  Görtz, WiJ 2013, 38 (42). 197  Eidam, wistra 2003, 447 (448); Greeve, in: Hauschka, 527 Rn. 86. 198  von Freier, Kritik der Verbandsstrafe, 225 f.; Jescheck / Weigand, StrafR AT, 228 f.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

wollen eine Deutung als „Gewinnabschöpfung mit Säumniszuschlag“ vornehmen, um eine Zulässigkeit mit den herkömmlichen Strukturen zu gewährleisten.199 Die Unzulässigkeit der Verbandsgeldbuße soll hier nicht erneut diskutiert werden. Die vorhergehenden Ausführungen zur Verbandsstrafe haben gezeigt, dass es ebenfalls zu erheblichen Friktionen kommt, wenn man die individualstrafrechtlichen Grundsätze auf das geltende Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße zu übertragen versucht. Vielmehr scheint sich der Gesetzgeber bewusst oder unbewusst und aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben normativ für ein Verbandsstrafrecht in Form der Verbandgeldbuße entschieden zu haben. Um sich die Struktur des § 30 OWiG zu erschließen, müssen drei Fragen nacheinander beantwortet werden. Als Erstes ist die Frage zu beantworten, ob § 30 OWiG die historische Einstufung als unselbstständige Nebenfolge beibehält oder mittlerweile als eigenständige Sanktion angesehen werden kann? Ursprünglich war die Verbandsgeldbuße (§ 26 OWIG alte Fassung von 1968) als reine unselbstständige Nebenfolge ausgestaltet, das heißt an die Sanktionierung einer natür­ lichen Person, die des Organs gekoppelt.200 Jedoch wurde diese Konstruktion durch den Gesetzgeber wieder aufgegeben. Im Jahr 2002 erfolgte im Rahmen eines gesetzgeberischen Tätigwerdens im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts der nochmalige explizite Hinweis, dass es sich „bei der Verbandsgeldbuße nicht um eine Nebenfolge handelt“.201 Schon im Jahr 1986 erfolgte die Änderung der Rechtsnatur der Verbandsgeldbuße durch den Gesetzgeber.202 Die Konstruktion als unselbstständige Nebenfolge wurde aufgegeben, als im Rahmen der Umsetzung des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität der Terminus „Nebenfolge“ bewusst beseitigt wurde.203 199  Klesczewski,

in: FS Seebode, 179 ff. WRP 2012, 159 (161 f.). 201  BT, Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, BT-Drucks. 14 / 8998, 12. 202  Engelhart, Sanktionierung, 378 f., sieht in der Reform von 1986 keine dogmatische Änderung der Verbandsgeldbuße sondern nur eine Bestätigung dafür, dass es sich vorher bei § 30 OWiG auch schon um eine eigenständige Sanktionsnorm gehandelt hat. 203  BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsauschusses zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), BTDrucks. 10 / 5058, 11 und 36. 200  Heinichen,



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG63

Eine materiell-rechtliche Einordnung der Verbandsgeldbuße durch den Gesetzgeber unterblieb.204 Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass es sich bei § 30 OWiG um eine eigenständige bußgeldrechtliche Sanktion – ausweislich des Wortlauts in § 33 Abs. 1 S. 2 OWiG – handelt, deren Adressat juristische Personen und Personenvereinigungen sind.205 Als zweite Frage schließt sich an, wie § 30 OWiG als Sanktionsnorm die Verbandsverantwortlichkeit genau ausgestaltet? Die Beantwortung dieser Frage ist von enormer rechtlicher Bedeutung, da sie Rückschlüsse auf mögliche ahndungsbegrenzende Auswirkungen von Criminal-Compliance-Maßnahmen bei der Verbandssanktionierung zulässt.206 Das heutige Spektrum, welches zur Struktur der Verbandsgeldbuße vertreten wird, ist breit. In den Blick genommen werden sollen das Zurechnungsmodell207, ein Modell, das von einer identifikationsrechtlichen Verbandsverantwortlichkeit ausgeht und schließlich das Modell des Organisationsverschuldens.208 Diese drei Modelle eignen sich am ehesten zur Erklärung der geltenden Verbandsgeldbuße. Das zuletzt genannte Modell geht inhaltlich davon aus, dass der geltenden Verbandsgeldbuße in materieller Hinsicht ein Organisationsverschulden des Verbandes selbst zugrunde liegt. Dieses Organisationsverschulden ist jedoch nur teleologische Grundlage des § 30 OWiG, im Kern geht Tiedemann auch davon aus, dass dem Verband eine Schuld einer Leitungsperson zugerechnet wird.209 Der eigentlichen Zuwiderhandlung einer Leitungsperson geht ein 204  Brender,

Verbandstäterschaft, 91 ff. Lemke / Mosbacher, OWiG, § 30 Rn. 10; Heinichen, WRP 2012, 159 (162); Engelhart, Sanktionierung, 378 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 14; Achenbach, ZIS 2012, 178 (180 f.); ders., NZWiSt 2012, 321; Dörr, in: Unternehmensstrafrecht, 23 (25). 206  Ebenso Petermann, Compliance-Maßnahmen, 36 f.; Faber, Corporate Compliance, 242. 207  BGH, Urteil vom 05.12.2000 – 1 StR 411 / 00, BGHSt 46, 207 (211); Bohnert, OWiG, § 30 Rn. 1; Gürtler, in: Göhler, OWiG, vor § 29 a Rn. 12 und § 30 Rn. 36 a; Trüg, ZWH 2011, 6 (7); Otto, Jura 1998, 409 (415 und 417); Theile / Petermann, JuS 2011, 496 (500); Lemke / Mosbacher, OWiG, § 30 Rn. 9; Ransiek, ZGR 1999, 613 (652 ff.); ders., in: Unternehmensstrafrecht, 285 (297); Schmidt, wistra 1990, 131 (133); Heine, ZStR 2001, 22 (35); Walter, JA 2011, 481 (485); Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1172 und 1174); Hirsch, ZStW 1995, 285 (312 f.); Rau, Compliance, 102; Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 42 Rn. 26; Kaul, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 1671 Rn. 84; K. Schröder, in: Knierim / Rübenstahl / Tsambikakis, Kap. 15 Rn. 273; Kretschmer, in: FS Geppert, 289 (300); Kubiciel, in: FS Wessing, 69 (70); im Ergebnis wohl auch Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 1018. 208  Tiedemann, NJW 1988, 1169 ff.; ders., WirtschaftsstrafR AT, 4. Aufl., Rn. 375 ff. 209  Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1173); Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (466 ff.). 205  Ebenso

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

zeitlich vorgelagertes Verschulden des Verbandes voraus, keine notwendigen Maßnahmen zur Vorsorge für gesetzmäßiges Verhalten der Organpersonen getroffen zu haben. Dieses Organisationsverschulden des Verbandes ist der materielle Grund für die Verhängung der Verbandssanktion. Angemerkt ­werden muss, dass das Organisationsverschulden nicht als persönliche Vorwerfbarkeit verstanden werden soll, sondern vielmehr von einem sozialen Schuldbegriff ausgegangen wird.210 Zur Begründung dieses Ansatzes wird angeführt, dass das geltende Strafrecht ähnliche Konstruktionen kennt. Zum Beispiel geht der Straftatbestand des Vollrausches im Sinne des § 323a StGB sowie die Rechtsfigur der actio libera in causa von einer vorgelagerten Strafbarkeit aus.211 In diesem vorgelagerten Organisationsverschulden des Verbandes soll ein eigenständiger Strafgrund erblickt werden, der zur Täterschaft des Verbandes im Rahmen des § 30 OWiG führt. Eine adäquate bzw. ordnungsgemäße unternehmerische Organisation soll jedoch nicht dazu führen, dass sich der Verband als solcher von seiner strafrechtlichen Verantwortung freizeichnen kann.212 Diesem Modell haben sich einige neuere Literaturstimmen angeschlossen, die in dem Organisationsverschulden ebenfalls die teleologische Grundlage des § 30 OWiG sehen.213 Engelhart verfolgt mit seinem Kombinationsmodell zu § 30 OWiG einen ähnlichen dogmatischen Ansatz, geht aber im Rahmen der Unternehmensverantwortlichkeit sogar noch einen Schritt weiter als das vorgenannte Modell von Tiedemann.214 Er geht davon aus, dass zum einen die Handlung und die Schuld des Unternehmensmitarbeiters dem Verband als eigene zugerechnet werden. Zum anderen soll § 30 OWiG zugleich auch eine eigene Verantwortlichkeit des Unternehmens begründen. Die Unternehmensverantwortlichkeit wird nicht nur in einem Organisationsverschulden gesehen, sondern in einem darüber hinausgehenden „Unternehmensverschulden“.215 Mit dem Unternehmensverschulden soll die (Wirtschafts-)Kriminalität der obersten Führungsebene im Unternehmen erfasst werden können, bei denen eine Verwirk­lichung des Tatbestandes der Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG aufgrund des Fehlens eines hierarchisch Vorgesetzten, der für entsprechende organisatorische Vorkehrungen verantwortlich wäre, ausscheidet.216 Das Unternehmensverschulden soll auch nicht nur eine teleologische Grundlage des § 30 210  Tiedemann,

NJW 1988, 1169 (1171 ff.); ders., in: FS Stree / Wessels, 527 (532). NJW 1988, 1169 (1172). 212  Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1172). 213  Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (467), Bock, Criminal Compliance, 264. 214  Engelhart, Sanktionierung, 378 ff. 215  Engelhart, Sanktionierung, 381 f. 216  Engelhart, Sanktionierung, 383 f. 211  Tiedemann,



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG65

OWiG sein, sondern „integrativer Bestandteil des Tatbestands“217. Sofern eine betriebsbezogene oder unternehmensnützliche Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Organs vorliegt, soll das Unternehmensverschulden per se und unwiderlegbar zutage treten.218 Gegen eine solche dogmatische Struktur der geltenden Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG lassen sich jedoch stichhaltige Argumente anführen. Weder im Wortlaut des § 30 OWiG noch in den gesetzgeberischen Materialien zur Verbandsgeldbuße lassen sich Hinweise auf ein „Vorverschulden“ bzw. „Organisationsverschulden“ als teleologischer Grundlage des § 30 OWiG vorfinden. In systematischer Hinsicht spricht gegen ein solches Organisa­ tionsverschulden auch, dass organisatorische Vorkehrungen des Betriebsinhabers im geltenden Recht in einem separaten Tatbestand, den der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG geregelt sind. Das Modell des Organisationsverschuldens und auch das soeben vorgestellte Kombinationsmodell von Engelhart können daher die dogmatische Struktur der geltenden Verbandsgeldbuße nicht zufriedenstellend erklären. Zugegebenermaßen hat der Gedanke eines sog. Vorverschuldens oder Organisationsverschuldens des Verbandes einen gewissen Charme, insbesondere unter Berücksichtigung grundgesetzlicher und unionsrechtlicher Wertungen. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches national in Art. 20 Abs. 3 GG sowie unionsrechtlich in Art. 49 Abs. 3 GRC verankert219 ist, könnte das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „eines Organisationsdefizits“ erforderlich sein und in § 30 OWiG hineingelesen werden. Damit bestünde die Möglichkeit, die strafrechtliche Ahndung des Verbandes angemessen zu begrenzen. Exzesstaten sind immer möglich, auch solche, die unternehmensnützlich oder betriebsbezogen sind. Sofern der Verband durch angemessene Organisationsstrukturen (z. B. in Form von Criminal-Compliance-Programmen) Zuwiderhandlungen adäquat begegnet, hat eine strafrechtliche Ahndung des Unternehmensträgers zu unterbleiben. Im Gegensatz zu den Vorschlägen von Tiedemann und Engelhart würde daher das Organisationsverschulden des Verbandes nicht unwiderlegbar vermutet, falls eine betriebsbezogene oder unternehmensnützliche Zuwiderhandlung begangen worden ist. Die Zurechnungsansätze gehen davon aus, dass die fremde Handlung und Schuld einer Leitungsperson im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr.1 bis 5 OWiG dem 217  Engelhart, Sanktionierung, 383. Konsequent geht Engelhart auch davon

aus, dass § 30 OWiG einen eigenen Ordnungswidrigkeitentatbestand darstellt, trotz der Verortung im Allgemeinen Teil des OWiG. Der BGH, Urteil vom 05.12.2000  – 1 StR 411 / 00, BGHSt 46, 207 (211) hingegen erblickt in § 30 OWiG keinen Ordnungswidrigkeitentatbestand. 218  Engelhart, Sanktionierung, 383. 219  Siehe Ausführungen zur Verbandsstrafe.

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Unternehmensträger als fremde220 oder eigene221 zugerechnet werden. Wohingegen der Ansatz von der originären Verbandsverantwortlichkeit die Handlung und Schuld des Organs als Eigendelinquenz des Verbandes mittels Identifizierung versteht. Die Ansätze eint, dass sie davon ausgehen, dass § 30 OWiG dem Verband bereits de lege lata eine Handlungs- und Schuldfähigkeit anerkennt.222 Ob der identifikationsrechtliche Ansatz nicht letztlich auch eine Zurechnungskonstruktion darstellt oder nicht, wird unterschiedlich beurteilt.223 Richtigerweise wird man dem Verband die Handlung sowie das Verschulden weder als eigenes noch als fremdes „zurechnen“, obwohl es sich bei der natürlichen Leitungsperson und dem Unternehmensträger um zwei verschiedene Rechtssubjekte und Sanktionsadressaten handelt. Dies lässt sich damit begründen, dass der Verband sich notwendigerweise um überhaupt am Rechts- und Wirtschaftsleben teilzunehmen, natürlicher Menschen bedienen muss. Ohne im 21. Jahrhundert Rekurs auf den wenig ergiebigen Streit zwischen Gierkes Organtheorie und Savignys Vertretertheorie nehmen zu wollen224, hat der Gesetzgeber in § 30 OWiG eine differenzielle Regelung getroffen. Normativ wurde in § 30 OWiG festgelegt, wessen deliktisches Verhalten als Verbandshandeln und Verschulden charakterisiert werden kann. Der Gesetzgeber hat sich, wie § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG zeigt, nur für Leitungspersonen entschieden. Im Umkehrschluss kann daher ein deliktisches Handeln einer unternehmens-angehörigen Person, die hierarchisch nicht der Leitungsebene zugeordnet ist bzw. keine Leitungsbefugnisse innehat, somit nicht als Verhalten des Verbandes aufgefasst werden. Die Zurechnungsansätze verkennen, dass eine Zurechnung als solche nicht nötig ist, denn der Unternehmensträger kann ohne das Verhalten natürlicher Personen überhaupt nicht am Rechts- und Wirtschaftsleben teilnehmen. Das Organhandeln ist somit mit dem Verbandshandeln gleichzusetzen. Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Verbandsverantwortlichkeit charakterisiert sich folglich in 220  Exemplarisch BVerfG, Beschluss vom 25.10.1986  – 2 BvR 506 / 63, BVerfGE 20, 323 ff.; Bohnert, OWiG, § 30 Rn. 1; Kämpfer, in: FS Wessing, 55 (58). 221  Statt vieler nur Schroth, wistra 1986, 158 (162) und Petermann, ComplianceMaßnahmen, 40. 222  Vielfach bleiben diese aber eine Begründung dafür schuldig, wie trotz einer Zurechnung (oder Identifizierung mit) einer Handlung und Schuld des Organs die dogmatische Brücke zu einer eigenen Handlungs- und Schuldfähigkeit des Verbandes geschlagen werden kann. 223  Von einer „Zurechnung“ auch bei dem Modell der originären Verbandsverantwortlichkeit sprechen: Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 8; Engelhart, Sanktionierung, 376; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 42. 224  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (272 f.), fordert sogar sich von diesem überkommenen Streit zu lösen. Ähnlich auch G.  Dannecker / C.  Dannecker, NZWist 2016, 162 (171).



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dem Handeln und Verschulden ihrer natürlichen Leitungspersonen, ohne dass es einer Zurechnung bedarf.225 Zunehmend wird von Vertretern des Zurechnungsansatzes klargestellt – im Kern aber immer dogmatisch von einer Zurechnung ausgehend –, dass es ohne Belang ist, ob der Unternehmensträger durch bestimmte Leitungsperson eigens handelt oder ob es einer Zurechnung des Verhaltens der natürlichen Leitungspersonen bedarf.226 Für die vorliegende Arbeit ist eine Beantwortung dieser Fragestellung aber von entscheidender Bedeutung, da sie Rückschlüsse auf Anknüpfungspunkte von Criminal-Compliance insbesondere auf der Rechtsfolgenebene zulässt. Jedoch sprechen – wie gerade aufgezeigt – die besseren Argumente dafür, in § 30 OWiG ein identifikationsrechtliches Modell und damit ein originäres Verbandshandeln und Verschulden zu erblicken. Als weiteres Zwischenergebnis lässt sich konstatieren, dass § 30 OWiG strukturell von einer originären Verantwortlichkeit des Unternehmensträgers ausgeht. Schließlich stellt sich zuletzt die Frage, ob § 30 OWiG eine Verbandstäterschaft konstituiert? Diese Frage mag ein wenig verwundern, denn allgemein anerkannt ist nur, dass § 30 OWiG den Unternehmensträger zum Sanktionsadressaten macht und der Grundsatz „societas delinquere non potest“ nach herrschender Auffassung227 weiterhin gelten soll. Der Schritt dahin gehend, den Unternehmensträger nicht nur als Sanktionsadressaten anzuerkennen, sondern § 30 OWiG gleichzeitig eine täterschaftsbegründende Funktion beizumessen, ist eigentlich nicht mehr weit. Es mehren sich die Stimmen, die in § 30 OWiG eine Täterschaft des Verbandes erkennen wollen.228 Das würde bedeuten, dass der Grundsatz „societas delinquere non potest“ in „societas delinquere potest“ schon für das geltende Recht als abgeändert gilt. Der Charakter der Norm des § 30 OWiG muss dafür untersucht werden. Gegen eine Täterschaft des Verbandes könnte zunächst der fehlende Verweis in § 30 Abs. 3 auf § 17 Abs. 3 OWiG sprechen. § 17 Abs. 3 OWiG regelt die Strafzumessung. Maßgebend für die Bemessung der Geldbuße sollen vor allem die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den – Täter – trifft sein. Lässt sich aus diesem Befund schließen, dass § 30 Abs. 1 225  Ebenso Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (272 ff.); ders., ZIS 2012, 178 (180). 226  Ransiek, in: Unternehmensstrafrecht, 285 (297). 227  Statt vieler Weber-Ray, in: Unternehmensstrafrecht, 321 (322). 228  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 16; Eidam, wistra 2003, 447 (448 f.); Kretschmer, in: FS Geppert, 289 f.; Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1171 ff.), Bock, Criminal Compliance, 264 und 374; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (464 ff.); Petermann, Compliance-Maßnahmen, 39 ff.; ders., in: Sanktionsdurchgriff, 99 (103); Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht, Rn. 433; Faber, Corporate Compliance, 248; Kubiciel, in: Festschrift Wessing, 69 (72); wohl auch Engelhart, Sanktionierung, 378 ff. und Pampel, BB 2007, 1636 (1639).

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und 4 StGB keine täterschaftsbegründende Funktion zukommt? Wohl eher nicht, denn § 30 OWiG gibt selbst keine Auskunft über anderweitige Bemessungskriterien bei der Verbandssanktionierung. Vielfach wird daher für die Anwendung des § 17 Abs. 3 OWiG auch bei der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße plädiert.229 Es könnte gegen eine Täterschaft des Verbandes argumentiert werden, dass § 30 OWiG im Gegensatz zu § 1 Abs. 1 OWiG anstatt von „Ahndung mit einer Geldbuße“ nur von deren „Festsetzung“ spricht. Doch auch die Verbandsgeldbuße im sechsten Abschnitt des OWiG ist eine Geldbuße, deren zugewiesene Aufgabe gemäß § 1 Abs. 1 OWiG allgemeingültig die der Ahndung ist.230 Mithin sprechen diese Argumente nicht gegen eine Verbandstäterschaft. Im Umkehrschluss kann aus der Stellung des Verbandes als Verfahrensbeteiligter im Bußgeldverfahren gemäß §§ 46 Abs. 1, 88 OWiG in Verbindung mit § 444 Abs. 1 StPO nicht geschlossen werden, dass der Verband ein materiell-rechtlich Beteiligter im Sinne des § 14 OWiG und somit Täter ist.231 § 14 OWiG selbst hilft bei der Beantwortung der vorstehenden Frage ebenfalls nicht weiter, denn die Beteiligungsnorm ist historisch gesehen schon immer auf natürliche Personen zugeschnitten gewesen. Werden Pflichten verletzt, z. B. betriebsbezogene oder unternehmensnützliche Zuwiderhandlungen durch Organe begangen, liegt damit auch zugleich eine Identifizierung mit dem Verband vor. Gerade weil eine Identifizierung des Verbandes mit dem Organverhalten vorliegt, ist es nur stringent den Verband nicht nur als Sanktionsadressaten, sondern auch als Täter zu begreifen. Vor diesem Hintergrund kann § 30 OWiG auch als „besondere“ identifika­ tionsrechtliche d. h. organschaftliche Beteiligungsnorm für Verbände aufgefasst werden. Strafbegründende Merkmale232 werden nicht wie bei § 9 OWiG oder § 14 StGB vom Vertretenen auf den Vertreter „übergewälzt“ oder „transformiert“, sondern mittels „Identifizierung“ vom Vertreter auf den Vertretenen übertragen. Das Rechtsinstitut des § 30 OWiG verfolgt daher den Zweck eine Täterschaft des Verbandes durch normwidriges Verhalten seiner Organe und Leitungspersonen zu konstituieren.233 Der Anwendungsbereich 229  Statt vieler Mitsch, OWiG, 171 Rn. 15 und Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 12 Rn. 13. 230  Ausführlich dazu Achenbach, ZIS 2012, 178 (180). 231  Ebenso Achenbach, ZIS 2012, 178 (180). 232  Damit sind nicht nur solche gemeint, die den Charakter eines Sonderdelikts haben. 233  Eine Täterschaft bejahen ebenfalls: Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 16; Eidam, wistra 2003, 447 (448 f.); Kretschmer, in: FS Geppert, 289 (298 f.); Tiedemann, NJW 1988, 1169 ff.; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (464 ff.); Bock, Criminal Compliance, 264; Faber, Corporate Compliance, 242; wohl auch Engelhart, Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 378 ff.



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG69

der Beteiligungsnorm des § 30 OWiG beschränkt sich nicht nur auf vorsätzliche Taten, auch Fahrlässigkeitskonstellationen werden erfasst. Die vorstehenden Ausführungen haben verdeutlicht, dass § 30 OWiG als eine Identifikations- und damit gleichzeitig auch Beteiligungsnorm verstanden werden kann, die Unterschiede zu den bekannten Normen des § 14 StGB bzw. § 9 OWiG als auch § 14 OWiG aufweist. 4. Die einzelnen Voraussetzungen der Verbandsgeldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG Nachfolgend soll sich den tatbestandlichen Voraussetzungen der geltenden Verbandsgeldbuße gewidmet werden, die die Grundlage für eine Reaktion des Staates auf Rechtsverstöße bilden. Zu allen umstrittenen Einzelheiten der Tatbestandsmerkmale des § 30 OWiG wird vorliegend keine Stellung bezogen. Vielmehr soll nur ein summarischer Überblick gegeben werden, anhand dessen sich die mögliche Verortung von Criminal-Compliance auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite diskutieren lässt. a) Tauglicher Adressat Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit nach § 30 OWiG setzt zunächst voraus, dass ein tauglicher Adressat vorliegt. Das Gesetz nennt in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG abschließend die sanktionsfähigen Verbände.234 Als mögliche Adressaten einer Verbandsgeldbuße kommen daher juristische Personen, die rechtfähigen Personengesellschaften sowie nicht rechtsfähigen Vereine in Betracht. In Form einer juristischen Person können beispielsweise die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die eingetragene Genossenschaft, der rechtsfähige Verein, die rechtsfähige Stiftung und die Europäische Gesellschaft mit einer Verbandsgeldbuße geahndet werden.235 Nach der herrschenden Ansicht sind auch juristische Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 30 Abs. 1 OWiG sanktionsfähige Adressaten.236 Ablehnend einer Täterschaft des Verbandes gegenüber: Mitsch, OWiG, 165 Rn. 1; Rau, Compliance, 95 ff.; Klesczewski, in: FS Seebode, 179 (182 ff.); Achenbach, ZIS 2012, 178 (180). 234  Vgl. nur Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 33. 235  Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 34; G.  Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (472 f.); Wittig, WirtschaftsstrafR, 3. Aufl., § 12 Rn. 10. 236  OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.1979  – 1 Ss OWi 1 / 79, NJW 1979, 1312; Eidam, wistra 2003, 447 (449); Mitsch, OWiG, § 16 Rn. 9; Rogall, in: KK-OWiG,

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Des Weiteren kommen rechtsfähige Personengesellschaften als sanktionsfähige Adressaten in Betracht. Gemäß der Legaldefinition in § 14 Abs. 2 BGB ist eine rechtsfähige Personengesellschaft eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Gegen die Europäische Wirtschaftsvereinigung, die Offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft und die GmbH & Co KG kann daher eine Verbandgeldbuße festgesetzt werden.237 Daneben werden die Partnerschaftsgesellschaften sowie die Gesellschaften des bürger­ lichen Rechts, sofern sie Teilnehmer am Rechtsverkehr sind, erfasst.238 Neben den juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften werden auch die nicht rechtsfähigen Vereine erfasst, vgl. § 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG. Als nicht rechtsfähiger Verein werden sämtliche körperschaftlich organisierte Personenvereinigungen angesehen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen.239 Dem Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG für nicht rechtsfähige Vereine kommt nur eine marginale Bedeutung zu, da vielfach eher die Anwendungskategorie der rechtsfähigen Personengesellschaften in Form einer OHG oder KG gegeben sein wird.240 b) Täter der Bezugs- bzw. Anknüpfungstat Die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG kommt nur bei Vorliegen einer sog. Bezugs- bzw. Anknüpfungstat infrage. Wer nun Akteur d. h. tauglicher Täter dieser Anknüpfungstat sein kann, soll im Folgenden untersucht werden. Als Erstes bleibt festzuhalten, dass Täter der Anknüpfungstat nur eine natürliche Person sein kann.241 Dies erkennt man sehr deutlich daran, dass beispielsweise in § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG von „Organ“ oder „Mitglied eines solchen Organs“ gesprochen wird. Anders sieht es dagegen im europäischen Wettbewerbsrecht aus. Die Europäische Kommission kann gemäß Art. 23 Abs. 1 und 2 der Kartellverfahrensverordnung explizit gegen „Unternehmen“ und „Unternehmensvereinigungen“ Geldbußen verhängen.242 Als Täter der Bezugstat einer europarecht­ lichen Geldbuße kommt daher das Unternehmen selbst in Betracht.243 § 30 Rn. 35 ff.; Engelhart, Sanktionierung, 386; Lemke / Mosbacher, OWiG, § 30 Rn. 13. 237  Engelhart, Sanktionierung, 387; G.  Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (473); Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 41. 238  Engelhart, Sanktionierung, 387; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 41. 239  Kübler / Assmann, GesellschaftsR, 132; RGZ 143, 212 (213). 240  Achenbach, in: FS Stree / Wessels, 545 (552). 241  Achenbach, NZWiSt 2012, 321 f.; G. Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (474).



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG71

Für das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße kann als Zweites festgehalten werden, dass es keiner Bestimmung einer konkret verantwortlichen Leitungsperson bedarf. Nach Rechtsprechung und Literatur ist vielmehr ausreichend, dass überhaupt eine Leitungsperson eine Bezugstat begangen hat.244 Als Drittes kann für die deutsche Regelung des § 30 Abs. 1 OWiG konstatiert werden, dass per se nicht jeder Unternehmensmitarbeiter als Täter der Anknüpfungstat in Betracht kommt, sondern vielmehr nur derjenige, der eine Leitungsfunktion im Unternehmen innehat.245 Ursprünglich war der Täterkreis der Bezugstat auf Organe einer juristischen Person (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG alte Fassung), auf Vorstände eines nicht rechtsfähigen Vereins (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG alte Fassung) und auf vertretungsberechtigte Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 OWiG alte Fassung) beschränkt.246 Für die Bestimmung des Täters einer Anknüpfungstat kam es somit maßgeblich auf eine formelle Rechtsposition im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 OWiG alte Fassung an.247 Erfasst wurden bislang nur Täter, die der ersten Leitungsebene des Unternehmens angehörten.248 Erst durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27. Juni 1994249 konnten auch Akteure der sog. zweiten Leitungsebene im Unternehmen namentlich General- und Handlungsbevollmächtigte sowie Prokuristen (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 OWiG) Täter der Anknüpfungshandlung sein.250 Durch das sog. EU-Rechtsinstrumente-Ausführungsgesetz vom 22.08.2002251 wurde der Täterkreis für die Anknüpfungstat abermals erwei242  Vgl. dazu Achenbach, ZIS 2012, 178 (180); Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 1038 ff; Trüg, ZWH 2011, 6 Fn 1. 243  Achenbach, NZWiSt 2012, 321 f. 244  Vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.1994  – KRB 25 / 93, NStZ 1994, 346; Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 1027. 245  G. Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (474); Engelhart, Sanktionierung, 390. 246  Dazu Trüg, ZWH 2011, 6 (7 f.). 247  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 9 Rn. 8 f. 248  Trüg, ZWH 2011, 6 (7 f.). 249  Einunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz – Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminialität- (31. StrÄndG – 2. UKG) vom 27. Juni 1994, BGBl. I 1994, 1440. 250  Trüg, ZWH 2011, 6 (8). 251  Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro, BGBl. I 2002, 3387.

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tert. Wichtigster Bestandteil der gesetzlichen Neuregelung war die Einfügung des § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG. Demnach können auch sonstige Personen, die für die Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person oder Personenvereinigung verantwortlich handeln, Täter einer Anknüpfungstat sein. Wichtige Erkenntnis dieser gesetzlichen Neuerung ist, dass für die Bestimmung des Täters der Anknüpfungstat somit nicht mehr auf eine formelle Rechtsposition abgestellt wird, sondern faktisch danach geschaut wird, ob ein verantwortliches Handeln in Leitungsfunktion für eine juristische Person oder Personenvereinigung vorliegt.252 Der Gesetzgeber hat mit der Festlegung des tauglichen Täterkreises in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG auf Leitungspersonen eine differenzierte Regelung im Sinne eines Identifikationsmodells getroffen.253 Ein deliktisches Verhalten einer unternehmensangehörigen Person, die hierarchisch nicht der Leitungsebene zugeordnet ist und damit keine Leitungsbefugnisse innehat, kann somit nicht als Anknüpfungstat für eine Verbandsgeldbuße dienen. Der Gesetzgeber sieht es wohl als nicht gerechtfertigt an, ein solches Verhalten als Anlass dafür zu nehmen, den Verband direkt mittels einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG zu ahnden. Nach geltendem Recht werden Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten von Mitarbeitern unterer Unternehmensebenen und ohne Leitungsfunktion nur indirekt über ein Zusammenspiel mehrerer Normen erfasst. Dies ist dann der Fall, wenn einer leitenden natürlichen Person gemäß §§ 130, 9 OWiG gleichzeitig eine Aufsichtspflichtverletzung zur Last fällt.254 Per se genügt eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines Unternehmensmitarbeiters ohne Leitungsfunktion allein weder für eine Sanktionierung des Verbandes nach § 30 OWiG noch für die einer Leitungsperson 252  Vgl. dazu Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 9 Rn. 8 ff.; Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 30 Rn. 14. 253  Siehe die vorgenannten Ausführungen zur konzeptionellen Struktur der Verbandsgeldbuße. 254  Schaefer / Baumann, NJW 2011, 3601 (3604 f.), plädieren dafür, die strafrechtliche Ahndung der Leitungsperson für die Fälle einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG entfallen zu lassen, wenn eine Entschädigung an das Unternehmen gezahlt wird. Dieser Vorschlag würde zwar zu einer restriktiveren Handhabung des Tatbestandes des § 130 OWiG führen und begegnet auch der Gefahr, dass Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen nur mit dem Ziel gefunden werden, eine Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG festzusetzen. Dieser Vorschlag verkennt aber, dass nicht Schutzobjekt des § 130 OWiG das Unternehmen ist, sondern die von betriebsbezogenen Normen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts geschützten Rechtsgüter. Vgl. dazu Rogall, in KK-OWiG, § 130 Rn. 14 ff. Zudem zielt die strafbewehrte Aufsichtspflicht des Unternehmensinhabers bzw. der über § 9 OWiG gleichgestellten Personen nicht darauf ab jedwede Zuwiderhandlung zu verhindern sondern nur solche, die betriebsbezogenen sind. Eine sinnvolle Begrenzung der zutreffenden Aufsichtsmaßnahmen lässt sich über andere Wege erreichen.



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG73

nach § 130 OWiG aus.255 § 130 OWiG kommt somit – dogmatisch gesehen – eine wesentliche Funktion bei der Verhängung von Verbandsgeldbußen zu, sofern eine Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat durch einen Unternehmensmitarbeiter begangen wurde, der nicht zu den Leitungspersonen im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG zählt. Die Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 130 OWiG reicht in der Folge dann als Bezugsordnungswidrigkeit für eine Verbandsgeldbuße aus.256 Überdies soll ein Blick auf die empirische Sanktionsforschung in Bezug auf § 30 OWiG geworfen werden. Im Rahmen einer Befragung von 80 Staatsanwaltschaften zur Sanktionierung des Verbandes nach § 30 OWiG gaben rund 54 % an, dass der Kreis der Täter, der eine Ahndung auslöst, ausreichend sei. Lediglich rund 9 % der Befragten hielten den Täterkreis des § 30 OWiG für zu gering. Rund 37 % der Befragten machten dazu keine Angabe.257 In einer Studie von PricewaterhouseCoopers aus dem Jahre 2009 bei der 500 Unternehmen zur Sicherheitslage in Deutschland befragt wurden, wurde ermittelt, dass über die Hälfte der Wirtschaftsstraftäter aus dem eigenen Unternehmen stammen.258 Des Weiteren ist in Erfahrung gebracht worden, dass Wirtschaftsstraftäter zu 29 % aus dem Topmanagement und zu 38 % aus dem mittleren Management kommen.259 Man kann daher sagen, dass viele Täter aus einer gehobenen Unternehmensposition kommen und § 30 OWiG, indem es an die Leitungspersonen anknüpft, einen ausreichenden Personenkreis abdeckt. Einer gesetzgeberischen Erweiterung des Personenkreises in § 30 OWiG bedarf es daher nicht. c) Bezugs- oder Anknüpfungstat Nachdem geklärt wurde, wer Täter der Bezugstat sein kann, soll sich dieser nun näher gewidmet werden. Der Wortlaut von § 30 Abs. 1 OWiG hilft dafür in einem ersten Schritt schon weiter. Es wird dort von einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gesprochen. Damit wird klargestellt, dass die Bezugstat gleichermaßen eine Ordnungswidrigkeit als auch Straftat sein kann. Darüber hinaus muss die Bezugstat tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft bzw. vorwerfbar begangen worden sein.260 255  Die tatsächlich begangene Zuwiderhandlung des Mitarbeiters ohne Leitungsfunktion ist kein Tatbestandsmerkmal im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG sondern nur objektive Bedingung der Ahnung, vgl. dazu Gliederungspunkt: B. III. 2 / c). 256  Vgl. dazu ausführlich Többens, NStZ 1999, 1 ff. 257  Kirch-Heim, Sanktionen gegen Unternehmen, 245. 258  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität 2009, 44. 259  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität 2009, 43. 260  Bohnert, OWiG, § 30 Rn. 7.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Jedoch kommen nicht sämtliche Delikte als taugliche Bezugstaten des § 30 Abs. 1 OWiG in Betracht. Vielmehr spricht § 30 Abs. 1 OWiG davon, dass durch die Bezugstat Pflichten, die die juristische Person treffen, verletzt worden sind oder das der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. aa) Betriebsbezogene Pflichten Zuerst soll ein Blick auf die Alternative der Verletzung betriebsbezogener Pflichten geworfen werden. Die Bestimmung der Betriebsbezogenheit von Pflichten hat eine wichtige dogmatische Bedeutung. Das Vorliegen von betriebsbezogenen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ist für die Sanktionierung von Verbänden nach § 30 Abs. 1 OWiG oder der von Aufsichtspersonen nach § 130 OWiG relevant. Ebenso spielt das Merkmal der Betriebsbezogenheit im Rahmen der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung eine Rolle. Die Frage nach dem Betriebsbezug hat aber nicht nur eine dogmatische Bedeutung, sie hat vielmehr auch eine enorme praktische Relevanz für Unternehmen. Je nachdem wie die Rechtsprechung die Betriebsbezogenheit definiert, müssen unternehmerische Criminal-Compliance-Systeme angepasst werden, um sicher alle sanktionsrechtlich relevanten Sachverhalte antizipieren zu können. Ein Criminal-Compliance-System, das von einem zu engen Verständnis der Betriebsbezogenheit ausgeht, blendet unter Umständen Delikte aus, die die Rechtsprechung im Rahmen einer Sanktionierung nach § 30 Abs. 1 bzw. 4 bzw. § 130 Abs. 1 OWiG heranzieht. Es drohen erhebliche Ahndungsrisiken, denen die Unternehmensleitung mit einem solchem System ja gerade begegnen möchte. Verkürzt gesagt, bestimmt die Reichweite der Betriebsbezogenheit zugleich auch die Reichweite der notwendigen unternehmerischen Antizipation von strafrechtlich relevanten Sachverhalten.261 Als betriebsbezogen gelten zunächst diejenigen Sonderdelikte (z. B. § 130 OWiG, § 266a StGB, § 1 GWB), die nur durch den Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber verwirklicht werden können.262 Die Betriebsbezogenheit der Pflicht ergibt sich in dieser Konstellation daraus, dass der Verband durch den Gesetzgeber zum Normadressaten erklärt wurde. Eine Betriebsbezogenheit wird von der herrschenden Auffassung zu Recht auch in denjenigen Fällen angenommen, bei denen es zur Verwirklichung eines allgemeinen Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitentatbestands kommt, der in einem inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit steht.263 261  Zur Antizipation von strafrechtlichen Sachverhalten, vgl. Gliederungspunkt: C. I. 2. 262  Kretschmer, in: FS Geppert, 289 (299 f.); Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 82 ff. 263  BGH, Urteil vom 20.10.2012  – 4 StR 71 / 11, NJW 2012, 1237 (1238); OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.06.1998 – 1 Ss 100 / 98, NStZ-RR 1998, 311 (312);



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG75

Gemeint sind zunächst solche Pflichten, die sich dem Wirkungskreis der juristischen Person oder rechtsfähigen Personenvereinigung zuordnen lassen z. B. Verkehrssicherungspflichten.264 Nicht abzustreiten ist, dass darüber hinaus ein weitergehender Klärungsbedarf besteht, was konkret unter der Betriebsbezogenheit zu verstehen ist. (1) Theorie der Erfüllung betrieblicher Aufgaben Nach dieser Theorie ist eine Straftat dann betriebsbezogen, wenn sie in Erfüllung betrieblicher Aufgaben erfolgt und nicht nur bei Gelegenheit der Ausführung.265 Kritisiert wird an einem solchen Verständnis, dass dann konsequenterweise Straftaten, die der Unternehmensmitarbeiter unter Überschreitung seines Zuständigkeitsbereiches oder seiner Kompetenzen begeht, nicht als betriebsbezogen gelten müssten.266 Eingestanden wird, dass das Kriterium „in Erfüllung betrieblicher Aufgaben“ zunächst ein relativ formales ist. Andererseits ist aber fraglich, ob sich eine deliktische Zuwiderhandlung, die unter Überschreitung von Kompetenzen erfolgt, niemals als in Erfüllung einer betrieblichen Aufgabe darstellen kann.267 Wird ein Mitarbeiter vom Geschäftsherrn beauftragt für diesen ein Angebot auf eine öffentliche Ausschreibung abzugeben und kommt es unter bewusster Kompetenzüberschreitung mit anderen Konkurrenten zu einer wettbewerbswidrigen Absprache, so kann darin normativ-wertend gleichwohl eine betriebliche Verrichtung nämlich die Abgabe eines Angebots gesehen werden. Eine Verknüpfung der Zuwiderhandlung lässt sich (wertend) trotz bewusster Kompetenzüberschreitung zum übertragenen Aufgabenkreis herstellen. Bei anderen Konstellationen z. B. denen der Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB ist die Frage des Betriebsbezuges mithilfe dieser Theorie nicht ganz so einfach zu beantworten. Das Verbot der Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB ist keine Pflicht, die den „Inhaber als solchen“ trifft, da Normadressat und Täter nur der Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebs sein kann.268 Gleichwohl könnte man normativ-wertend die Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB denAchenbach, NZWiSt 2012, 321 (324); Klesczewski, OWiG, Rn. 565; Hellmann /  Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 961; Többens, NStZ 1999, 1 (5); Rogall, in: KKOWiG, § 30 Rn. 84 ff. und 105 f. 264  G. Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (476). 265  C. Roxin, StrafR AT, Bd. 2, 758, Rn. 141. 266  So Schall, in: FS Rudolphi, 267 (281); diesem folgend Otto, in: FS Schroeder, 339 (342). 267  Ähnlich Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 92. 268  Vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2013  – 1 StR 532 / 12, NJW 2013, 3590; Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 973a und 762.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

noch in einem Zusammenhang mit der Erfüllung betrieblicher Aufgaben sehen. Das lässt sich damit begründen, dass sich die Tathandlung d. h. das Fordern, Sich-Versprechen-Lassen oder Annehmen eines Vorteils gerade im geschäftlichen Verkehr vollziehen muss. Private Handlungen des Angestellten scheiden für § 299 Abs. 1 StGB aus.269 Vielmehr besteht für einen ­Unternehmensmitarbeiter einzig und allein im geschäftlichen Verkehr d. h. nur beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen überhaupt die Möglichkeit, einen Vorteil als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung zu fordern. Diesen Sachverhalten wird fast ausnahmslos eine betriebliche Aufgabe zugrunde liegen. Aus diesen Überlegungen heraus könnte es sich bei der Straftat der Bestechlichkeit um eine im besonderen Zusammenhang mit der Führung eines Unternehmens stehenden Pflicht d.  h. betriebsbezogenen Pflicht handeln.270 Gegen diesen Befund können aber systematische Erwägungen insbesondere unter Einbeziehung des geschützten Rechtsguts ins Feld geführt werden. Als widersprüchlich zu diesem Ergebnis erscheint die Tatsache, dass der Geschäftsherr selbst Vorteile für eine Bevorzugung im Wettbewerb vom Vorteilgeber annehmen darf, ohne sich einer Strafbarkeit nach § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB auszusetzen, man aber über den Umweg des § 30 OWiG dann doch eine Strafbarkeit des Geschäftsherrn d. h. des Unternehmensträgers herbeiführt. Die gesetzgeberische Wertung des § 299 Abs. 1 StGB – die der Straflosigkeit des Geschäftsherren – wird dadurch unterlaufen. Für eine Sanktion gegenüber dem Verband besteht damit kein Bedarf.271 Auch ohne Sanktionsandrohung über § 30 Abs. 1 bzw. § 130 Abs. 1 OWIG wird der Geschäftsherr ein ureigenes Interesse daran haben, Zuwiderhandlungen gegen seine Rechtsgüter durch Mitarbeiter zu unterbinden.272 Das trifft insbesondere auch für die Konstellationen des § 299 Abs. 1 StGB zu, in denen Angestellte ohne Kenntnis und Billigung des Geschäftsherrn Vorteile für eine unlautere Bevorzugung eines Vertragspartners annehmen. Befriedigende Ergebnisse lassen sich daher über den Weg erzielen, indem man negativ diejenigen Fallkonstellationen ausklammert, die sich zwar normativ-wertend als in Erfüllung einer betrieblichen Aufgabe herausstellen, sich aber letztlich gegen Rechtsgüter oder zumindest auch Interessen des Geschäftsherren bzw. Unternehmensinhabers richten.273 Zu denken ist hier – 269  Fischer,

StGB, § 299 Rn. 12. Fruck, Aufsichtspflichtverletzung, 44; Wollschläger, Täterkreis, 95. FS Schmidt, 237 (245) bejaht im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung eine Betriebsbezogenheit der Bestechlichkeit. Ebenso wohl auch Kudlich, in: Unternehmensstrafrecht, 217 (228 Fn. 51). 271  Im Ergebnis ebenso Helmrich, wistra 2010, 331 (334). 272  Zutreffend Hoven, ZIS 2014, 19 (26). 270  So z. B.  Rönnau, in:



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG77

neben § 299 Abs. 1 StGB – auch an die Untreue gem. § 266 Abs. 1 StGB. Andererseits lassen sich diejenigen Handlungen erfassen, die zwar im Eigeninteresse des Täters begangen werden, den Geschäftsherren nicht schädigen aber Sach- und Personalgefahren für Dritte begründen z. B. die eigennützigen Betrügereien eines angestellten Croupiers gegenüber Kunden.274 (2) Interessentheorie Ein anderer Ansatz zur Bestimmung der Betriebsbezogenheit einer Straftat ist es, auf das verfolgte Interesse des Unternehmensmitarbeiters bzw. Repräsentanten abzustellen.275 Eine Betriebsbezogenheit kann daher nur dann bejaht werden, wenn Unternehmensmitarbeiter zumindest auch im Verbands­ interesse agieren. Inhaltlich wird dabei an die ebenfalls im Rahmen von § 14 StGB oder § 9 OWiG vertretene und gleichlautende „Interessenstheorie“276 angeknüpft. Für diese Sichtweise spricht, dass Zuwiderhandlungen die ausschließlich zulasten des Unternehmensinhabers begangen werden, konsequent ausgeklammert werden können. Ein handhabbarer Maßstab zur Bestimmung von betriebsbezogenen Pflichten würde damit zur Verfügung stehen. Die Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB oder die Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB scheiden damit per se als betriebsbezogene Straftaten aus. Andererseits kann gegen die Interessentheorie angeführt werden, dass es aus der Sicht eines schutzwürdigen Dritten gerade keinen Unterschied macht, ob der Unternehmensangehörige aus Eigen- oder Fremdinteresse gehandelt hat, wenn dabei Gefahren verursacht worden sind.277 Auch wenn ein Eigeninteresse eines Repräsentanten bzw. Unternehmensmitarbeiters vorliegt, kann es Fallkonstellationen geben, die sich als Ausdruck der Gefahrenquelle „Betrieb“ herausstellen und letztlich Rechtsgüter Dritter tangieren.278 Als Beispiel wurden schon eigennützige Betrügereien eines angestellten Croupiers genannt.279 Dieses Ergebnis leuchtet ein, wenn man zur Bestimmung der Betriebsbezogenheit einer Straftat die Ge273  Im Ergebnis ebenso Groß / Reichling, wistra 2013, 89 ff.; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 98; Helmrich, wistra 2010, 331 (334), wohl auch Rathgeber, Criminal Compliance, 285 f., 294 und 305. 274  Beispiel nach C. Roxin, StrafR AT, Bd. 2, 758 Rn. 141. 275  Vgl. nur Schünemann, wistra 1986, 41 (45). 276  BGH, Urteil vom 20.05.1981  – 3 StR 94 / 81, BGHSt 30, 127 (129); BGH, Urteil vom 06.11.1986 – 1 StR 327 / 8634, BGHSt 34, 221 (223). 277  Schall, in: FS Rudolphi, 267 (282); Otto, in: FS Schroeder, 339 (342); Basualto, in: FS Frisch, 333 (343). 278  Ausgeklammert werden auch hier die Zuwiderhandlungen, die sich ausschließlich gegen Rechtsgüter oder Interessen des Geschäftsherren richten. 279  Beispiel nach C. Roxin, StrafR AT, Bd. 2, 758 Rn. 141.

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

danken, die zur Begründung einer Überwachergarantenstellung des Geschäftsherrn herangezogen werden, nutzbar macht. Von vielen Stimmen wird die Überwachergarantenstellung des Geschäftsherrn insbesondere auf die Sachherrschaft über den Betrieb als Gefahrenquelle280 gestützt. Zwar hat das Merkmal der Betriebsbezogenheit auch bei der Geschäftsherrenhaftung eine strafbegrenzende Funktion281, gleichwohl würde man dem Institut wichtige Anwendungsfälle entziehen, wenn man eine Betriebsbezogenheit nur dann bejaht, wenn Unternehmensmitarbeiter zumindest auch im Verbandsinteresse agiert haben. Der Betrieb ist auch bei eigennützigen Handlungen eines Mitarbeiters eine Gefahrenquelle, speziell dann, wenn die Rechtsgutsverletzung durch die Unternehmensleitung feststellt oder bei gebotener Vorsicht hätte festgestellt werden können.282 Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen erweist sich die Interessentheorie zur Bestimmung der Betriebsbezogenheit als zu eng. (3) Theorie der rechtlichen oder tatsächlichen Handlungsmöglichkeit Ein dritter Ansatz stellt zur Bestimmung der Betriebsbezogenheit einer Straftat darauf ab, ob der Unternehmensmitarbeiter die ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen als auch tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten ausgenutzt hat.283 Für diese Theorie spricht, dass sie auch die eigennützigen Handlungen von Unternehmensmitarbeitern erfasst, bei denen sich der Betrieb dennoch für Dritte als Gefahrenquelle darstellt.284 Die Tatsache, dass der Betriebsbezug einzig und allein aufgrund der Nutzung einer rechtlichen oder tatsächlichen Handlungsmöglichkeit durch einen Mitarbeiter hergestellt wird, wird zutreffend als zu weitgehend kritisiert.285 Das Kriterium der Nutzung einer tatsächlichen Handlungsmöglichkeit wird bei vielen Lebenssachverhalten erfüllt sein. Per se erfasst würden auch erst einmal diejenigen Fallkon­ stellationen, die sich gegen Rechtsgüter oder zumindest auch Interessen des Geschäftsherrn bzw. Unternehmensinhabers richten (z. B. Untreue gemäß 280  C. Roxin, StrafR AT, Bd. 2, 757 Rn. 137; ders., JR 2012, 305 (306); G. Dann­ ecker / C. Dannecker, JZ 2010, 981 (990); Mittelsdorf, ZIS 2011, 123 (126); Fischer, StGB, § 13 Rn. 70; Ransiek, AG 2010, 147 (150); Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, Bd. 1, § 13 Rn. 53; Gimbernat Ordeig, in: FS C. Roxin, 651 (656 ff. und 661). 281  Selbmann, HRRS 2014, 235 (240). 282  Selbmann, HRRS 2014, 235 (238 m. w. N.). 283  Schall, in: FS Rudolphi, 267 (282); Schall, in: FS Kühl, 417 (427); Kuhn, wistra 2012, 297 (298); Wohlers / Gaede, in: NK-StGB, Bd. 1, § 13 Rn. 56. 284  Schall, in: FS Kühl, 417 (427). 285  So Otto, in: FS Schroeder, 339 (342); Basualto, in: FS Frisch, 333 (344). Diesen folgend Rogall, in: KK-OWiG, § 130, Rn. 94. Ebenfalls kritisch Selbmann, HRRS 2014, 235 (240).



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG79

§ 266 Abs. 1 StGB oder Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB). Diese müssten dann nach dem bereits Gesagten richtigerweise ausgeklammert werden. (4) Rechtsprechung Die Rechtsprechung konstatierte – in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 OWiG – dass es für die Qualifizierung als betriebsbezogenen Pflichtenverstoß nicht darauf ankommt, ob die juristische Person einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt.286 Ein Betriebsbezug ist nach der Rechtsprechung dann hergestellt, wenn die Tat „einen inneren Zusammenhang mit der spezifischen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebes aufweist“.287 Was meint nun dieser innere Zusammenhang? Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass es wohl eine normativ-wertende Entscheidung zu sein scheint.288 Ausgeklammert werden solche Taten, die der Mitarbeiter lediglich bei Gelegenheit seiner Tätigkeit im Unternehmen begeht.289 Der erforderliche Betriebsbezug fehlt auch dann, wenn die Tat des Mitarbeiters sich nicht als spezifisch anhaftende Gefahr des Betriebes bzw. des konkreten Tätigkeitsfeldes darstellt, sondern sich genauso gut außerhalb des Betriebes ereignen könnte.290 So hat die Rechtsprechung entschieden, dass sog. Mobbing, dass unter den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB subsumiert werden kann, keinen Bezug zum Betrieb aufweist.291 Legt man diese Ausführungen als Maßstab an, so kann sich selbst die Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB als betriebsbezogen erweisen, da sich die Tathandlung d. h. das Fordern, Sich-Versprechen-Lassen oder Annehmen eines Vorteils gerade im geschäftlichen Verkehr vollziehen muss und private Handlungen des Angestellten ausscheiden.292 Außerhalb des Betriebes kann diese per se nicht vorkommen. Es scheint so, dass die Rechtsprechung den Betriebsbezug auch bei Straftaten bejaht, die sich gegen die Rechtsgüter bzw. Interessen des Verbandes bzw. Geschäftsherren richten. Exemplarisch hat die Rechtsprechung entschieden, dass Untreue (z. B. durch Bildung schwarzer Kassen für etwaige Korruptionszahlungen293) den erfor286  OLG

Celle, Beschluss vom 26.11.2004 – 1 Ws 388 / 04, NStZ-RR 2005, 82. Urteil vom 20.10.2012 – 4 StR 71 / 11, NJW 2012, 1237 (1238). 288  Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 99. 289  BGH, Urteil vom 20.10.2012 – 4 StR 71 / 11, NJW 2012, 1237. 290  OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.03.1971 – 3 Ss  / 71, GA 1971, 281 (283). Diesem folgend: BGH, Urteil vom 20.10.2012 – 4 StR 71 / 11, NJW 2012, 1237. 291  BGH, Urteil vom 20.10.2012 – 4 StR 71 / 11, NJW 2012, 1237 (1238). 292  Fischer, StGB, § 299 Rn. 12. 293  BGH, Urteil vom 29.08.2008 – 2 StR 587 / 07, BGHSt 52, 323 ff. 287  BGH,

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derlichen Betriebsbezug aufweist.294 Bestätigt wurde dies auch in einem Bußgeldverfahren gegen die Siemens AG aus dem Jahr 2008. Dort wurde eine isolierte Verbandsgeldbuße gemäß § 30 IV OWiG in Höhe von 395 Millionen (der Ahndungsteil betrug 250.000 Euro, der restliche Betrag diente allein der Abschöpfung der rechtswidrig erlangten Vermögensvorteile) verhängt. Anknüpfungstat der Verbandgeldbuße war eine Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 130 OWiG, da schwarze Kassen unterhalten wurden, aus denen Bestechungszahlungen erfolgten und der Gesamtvorstand der Siemens AG nichts dagegen unternahm.295 Damit dürfte für die gerichtliche Praxis weitgehend geklärt sein, dass Untreue als betriebsbezogene Straftat im Sinne des §§ 30, 130 OWiG und der sog. Geschäftsherrenhaftung gilt. Ein dogmatisch sauberer Weg ist dies jedenfalls nicht. Dass Straftaten wie die Untreue die sich gegen Rechtsgüter des Geschäftsherren richten, nach der Rechtsprechung den erforderlichen Betriebsbezug aufweisen, dürfte dem Bedürfnis der Praxis geschuldet sein, Korruption in und aus Unternehmen umfassend bekämpfen zu wollen. Die Praxis will schon vorab der eigent­ lichen Tathandlung des Anbietens, Versprechens oder Gewährens eines Vorteils im Sinne des § 299 Abs. 2 Nr. 1 StGB Sanktionierungen von Aufsichtspersonen und Unternehmensträgern herbeiführen können. Doch auch im Schrifttum wird die Untreue teilweise als betriebsbezogen angesehen.296 Der Vergleich mit der Untreue, die als geschütztes Rechtsgut nur das Vermögen des Treugebers kennt und damit keine Rechtsgüter externer Dritter schützt, legt wohl eine Einordnung der Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB durch die Rechtsprechung ebenfalls als betriebsbezogener Straftat nahe. Als Fazit und Empfehlung kann daher formuliert werden, dass die unternehmerische Risikoanalyse die Auslegungslinie der Rechtsprechung hinsichtlich der Betriebsbezogenheit von Pflichten berücksichtigen sollte. Ohnehin werden die meisten Unternehmen ein Interesse daran haben, auch Mitarbeiterkriminalität gegen das Unternehmen zu unterbinden.

294  OLG

Celle, Beschluss vom 26.11.2004 – 1 Ws 388 / 04, NStZ-RR 2005, 82 f. den veröffentlichten Entwurf des Bußgeldbescheids gegen Siemens aus dem Jahr 2008, online abrufbar unter: http: /  / www.siemens.com / press / pool / de /  events / 2008-12-PK / MucStaats.pdf (zuletzt: 09.01.2016). 296  K. Schröder, in: Knierim / Rübenstahl / Tsambikakis, Kap. 15 Rn. 277; Dörr, in: Unternehmensstrafrecht, 23 (28); Rönnau / F. Schneider, ZIP 2010, 53 (56). Eine Betriebsbezogenheit der Untreue verneinen Helmrich, wistra 2010, 331; Groß / Reichling, wistra 2013, 89 (90 f.); Knauer, in: FS I. Roxin, 465 (476); Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 98; Bohnert, OWiG, § 130 Rn. 31. Zweifelnd auch Hoven, ZIS 2014, 19 (27 f.). 295  Vgl.



II. Die geltende Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1, 4 OWiG81

bb) Bereicherungsalternative Die Bereicherungsalternative des § 30 Abs. 1 OWiG stellt eine von der Verletzung betriebsbezogener Pflichten unabhängige Möglichkeit der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße dar.297 Entsprechend des Wortlautes von § 30 Abs. 1 OWiG ist es nicht erforderlich, dass auch tatsächlich eine Bereicherung des Verbandes erfolgte. Es reicht vielmehr aus, dass eine Bereicherung desselben angestrebt war. 5. Die Rechtsfolgen der Verbandsgeldbuße § 30 Abs. 1 OWiG sieht als alleinige Rechtsfolge die Möglichkeit der Festsetzung einer Geldbuße gegen den Verband vor. Mit der 8. GWB-Novelle298, die zum 30.06.2013 in Kraft getreten ist, sind Veränderungen hinsichtlich des Bußgeldrahmens der Verbandsgeldbuße verbunden gewesen. Für eine konkrete Bestimmung des Bußgeldrahmens muss einerseits hinsichtlich der Natur der Bezugstat d. h. Straftat oder Ordnungswidrigkeit unterschieden werden. Zum anderen muss bei Straftaten – wie § 30 Abs. 2 Nr. 1 und 2 OWiG zeigen – zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten unterschieden werden. Durch die obengenannte Gesetzesänderung wurde der Bußgeldrahmen für vorsätzliche Straftaten auf bis zu zehn Millionen Euro erhöht (vgl. § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWIG). Für eine fahrlässige Bezugstat kann die Verbandsgeldbuße immerhin noch fünf Millionen Euro betragen (vgl. § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG). Ist die Bezugstat hingegen eine Ordnungswidrigkeit, so gilt deren Bußgeld­ rahmen auch für die festzusetzende Verbandsgeldbuße, vgl. § 30 Abs. 2 S. 2 OWiG. Die gesamten vorstehenden Ausführungen bezogen sich ausschließlich auf den sog. Ahndungsteil der Verbandsgeldbuße. Für diesen können auch ohne expliziten Verweis von § 30 OWiG auf § 17 Abs. 3 OWiG die dort genannten Bemessungskriterien bei der Festlegung des Ahndungsteils der Verbandsgeldbuße herangezogen werden.299 Selbst wenn man § 17 Abs. 3 OWiG nicht – auch nicht entsprechend – anwenden will, lassen sich kaum andere Bemessungskriterien ausmachen und heranziehen.300 297  Vgl. Lohbeck, JSE 2014, 5 (9); G.  Dannecker, in: FS Böttcher, 465 (477); Theile / Petermann, JuS 2011, 496 (500). 298  Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013, BGBl. I 2013, 1738 ff. 299  Statt vieler Mitsch, OWiG, 171 f. Rn. 15; Achenbach, in: Achenbach / Ransiek /  Rönnau, 4. Aufl., 12 Rn. 13. 300  Beispielhaft nur die vorgeschlagenen Bemessungskriterien von Dörr, in: Unternehmensstrafrecht, 23 (29): Bedeutung der Bezugstat, Gewicht und Ausmaß der Pflichtverletzung und Schwere des Schaden.

82

B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Weil das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße neben der Ahndung auch die illegal erwirtschafteten Gelder abschöpfen soll, ermöglicht § 30 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 17 Abs. 4 S. 2 OWiG eine Überschreitung des bestehenden Bußgeldrahmens. Dies stellt den sog. Abschöpfungsteil der Verbandsgeldbuße dar. 6. Modifizierungen der Regelungen der Verbandsgeldbuße nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Eine Abweichung von dem gerade dargestellten Bußgeldrahmen des § 30 Abs. 2 OWiG gibt es im Kartellordnungswidrigkeitenrecht. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB bestimmt, dass für Verbandsgeldbußen die Obergrenze301 von 10 % des Vorjahresumsatzes eines Konzerns gilt. Die 10 %-Obergrenze bei der Verbandssanktionierung gilt für Vorsatztaten. Wegen § 17 Abs. 2 OWiG gilt bei fahrlässigem Handeln die Obergrenze von 5 % des Vorjahresumsatzes des Konzerns. Wie sich aus § 81 Abs. 5 S. 2 GWB entnehmen lässt, hat die Verbandsgeldbuße auch im Bereich des Kartellrechts den Zweck, den Verband zu ahnden und auch Gewinn abzuschöpfen.

III. Der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG Grundsätzlich kann die Unternehmensleitung über eine Beteiligungsstrafbarkeit, sei es durch aktives Tun oder Unterlassen für das delinquente Fehlverhalten untergegebener Mitarbeiter, ahndbar gemacht werden. Der Nachweis des Vorsatzes einer Leitungsperson bezüglich des konkreten Taterfolges dürfte in der Praxis aber selten gelingen.302 Der Ordnungswidrigkeitentatbestand der Aufsichtspflichtverletzung soll diese Lücke schließen. Tatbestandlich knüpft § 130 OWiG schlicht nur an eine unterlassene Aufsichtsmaßnahme der Leitungsperson an, auf die sich der Vorsatz allein beziehen muss. Die durch einen Unternehmensmitarbeiter begangene Zuwiderhandlung ist gerade kein notwendiger Bezugspunkt des Vorsatzes.303 Ein tatbestandlich, rechtswidrig und vorwerfbares Verhalten im Sinne des § 130 OWiG eröffnet im Nachgang darüber hinaus sogar die Möglichkeit, den Unternehmensträger gemäß §§ 30, 130 OWiG zu sanktionieren.304 § 130 OWiG kommt somit – zumindest in der Theorie – eine wesentliche Funktion 301  BGH,

Beschluss vom 26.02.2013 – KRB 20 / 12, NJW 2013, 1972. dazu Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 35 Rn. 35 ff. 303  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 47 Rn. 60. 304  Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (323 f.); Többens, NStZ 1999, 1 ff. 302  Vgl.



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG83

bei der Festsetzung von Verbandsgeldbußen zu. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Struktur, die Besonderheiten und die Sanktionspraxis des § 130 OWiG gegeben werden.305 1. Struktur und Besonderheiten des § 130 OWiG Um das schon angedeutete Zusammenspiel von §§ 9, 130 und 30 OWiG besser zu verstehen, soll sich vorab kursorisch der Struktur und den Besonderheiten des Tatbestandes der Aufsichtspflichtverletzung gewidmet werden. a) Tatbestandsstruktur Es gilt als Erstes hervorzuheben, dass es sich bei § 130 OWiG um ein Sonderdelikt handelt.306 Als Täter kommt ausschließlich der Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber in Betracht. Diese können sowohl juristische Personen (z. B. GmbHs), rechtsfähige Personengesellschaften (z. B. OHGs) als auch natürliche Personen sein. Aufgrund der Tatsache, dass juristische Personen bzw. Personengesellschaften nur mittels ihrer Organe bzw. Gesellschafter handeln können, ist es diesen Konstellationen immanent, dass Sanktions­ adressat und Handelnder auseinanderfallen. Damit keine Sanktionslücken entstehen, können über die Regelung des § 9 OWiG, die die Ahndung begründenden besonderen persönlichen Merkmale auf Vertreter und Beauftragte „übergewälzt“ werden, sofern sie für den Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber tätig werden.307 Letztendlich kommen allesamt in § 9 Abs. 1 und 2 OWiG genannten Personen als taugliche Täter des Tatbestandes des § 130 OWiG in Betracht. Unter Compliance-Gesichtspunkten d. h. für die Antizipation von strafrechtlichen Sachverhalten hat dies eine besondere Relevanz. Es gilt zu beachten, dass der Täterkreis bei § 9 OWiG von dem der Anknüpfungstat in § 30 OWiG abweicht.308 Ausweislich des Wortlautes von § 9 Abs. 1 und 2 OWiG werden neben Organen und vertretungsberechtigten Gesellschaftern auch Beauftragte zum Zwecke der Unternehmensleitung oder einzelner inhaberbezogener Aufgaben erfasst.

305  Eine systematische Aufarbeitung, der durch die Rechtsprechung konkretisierten Aufsichtspflichten findet sich unter Gliederungspunkt: D. III. b) bb) (2) (b). 306  Többens, NStZ 1999, 1 (2 f.); Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 52; Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 958. 307  Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 958; Achenbach, in: FS Stree /  Wessels, 545 (547); Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 53 ff. 308  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 34 Rn. 16 ff.

84

B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Resümierend ist festzuhalten, dass sich der Verpflichteten- und damit mögliche Täterkreis im Sinne des § 130 OWiG durch die Norm des § 9 OWiG deutlich vergrößert. Ein Compliance-System sollte dies bei der Risikoanalyse beachten, um eine Sanktionierung nach § 130 OWiG vollumfänglich abwenden zu können. Als zweiter Aspekt die Struktur betreffend muss angemerkt werden, dass sich die Ordnungswidrigkeit der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG als ein echtes Unterlassungsdelikt darstellt.309 Erforderlich ist ausweislich des Wortlauts von § 130 OWiG nur ein Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen, um Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Weitere Tatbestandsmerkmale kennt § 130 OWiG nicht. Drittens ist hervorzuheben, dass § 130 Abs. 1 OWiG keine Norm darstellt, die ein sog. Organisationsverschulden des Unternehmens(-trägers) selbst statuiert.310 Der gesetzgeberische Kerngedanke, der hinter dieser Regelung steht, ist ein anderer. Sanktioniert wird über den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 130 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 oder 2 OWiG in einem ersten Schritt eine leitende natürliche Person. Dieser leitenden natür­ lichen Person obliegt in organisatorischer Hinsicht die Pflicht Aufsichtsmaßnahmen zu treffen, damit betriebsbezogene Zuwiderhandlungen im Unternehmen vermieden werden. Erst in einem zweiten Schritt wird dann eine Verbandsgeldbuße gegen den Unternehmensträger nach § 30 Abs. 1 oder 4 OWiG festgesetzt, wobei inhaltlich an die rechtswidrige und vorwerfbare Handlung einer natürliche Person d. h. an die zuvor begangene Verletzung der Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 OWiG als Bezugsordnungswidrigkeit angeknüpft wird.311 Als Viertes ist festzuhalten, dass § 130 OWiG als Auffangtatbestand konzipiert ist.312 Der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG soll zur Anwendung kommen, wenn bei der aufsichtspflichtigen Person selbst eine vorsätzliche Täterschaft, eine Beteiligung an der Zuwiderhandlung im Sinne des § 14 OWiG bzw. eine fahrlässige Nebentäterschaft ausgeschlossen werden kann.313 Eine von Unternehmensinhaber bzw. dessen 309  Klesczewski, OWiG, Rn. 561; Niesler, in: Graf / Jäger / Wittig, § 130 OWiG, 1026 Rn. 5; Rotsch, in: Momsen / Grützner, 55 Rn. 78. 310  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (274). 311  Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (274). 312  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 41 Rn. 41; Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130 Rn. 25; Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 954; Rau, Compliance, 60; Bock, ZIS 2009, 68 (72); Rebmann / Roth / Hermann, OWiG, Bd. 2, § 130 Rn. 28; Wilhelm, Erforderliche Aufsichtsmaßnahmen, 61. 313  Niesler, in: Graf / Jäger / Wittig, § 130 OWiG, 1027 f. Rn. 13.



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG85

Leitungspersonal gemäß § 9 OWiG verwirklichte Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG ist somit gegenüber einer Strafbarkeit aus unechtem Unterlassungsdelikt subsidiär.314 b) Besonderheit: Erfassung von Konzernsachverhalten? Ebenfalls von besonderer Bedeutung für die Sanktionierung ist die Frage, ob eine Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 OWiG auch im Unternehmensverbund besteht? Wenn dies der Fall ist, dann würde eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit der Konzernobergesellschaft bzw. der über § 9 OWiG gleichgestellten Personen für Vorgänge und eingesetztes Aufsichtspersonal in den Tochtergesellschaften bestehen. Im Anschluss daran könnte wiederum sogar eine Verbandsgeldbuße gemäß §§ 30, 130 OWiG gegen die Konzernobergesellschaft festgesetzt werden. Aber auch unter dem Aspekt der Criminal-Compliance ist dies eine interessante Fragestellung. Sofern § 130 OWiG als Grundlage einer allgemeinen Criminal-Compliance Verpflichtung verstanden wird, würde damit ebenfalls eine konzernweite Dimension deutlich werden. Für eine derartige Aufsichtspflicht muss die Konzernobergesellschaft als Unternehmensinhaberin der Tochtergesellschaften im Sinne des § 130 OWiG gelten. Als Ausgangspunkt der Beantwortung dieser Frage soll der Blick zunächst noch einmal auf § 30 OWiG gerichtet werden. Wie bereits beschrieben, stellt § 30 OWiG auf das Rechtsträgerprinzip ab.315 Damit wird deutlich, dass eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die vom Leitungspersonal einer rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaft begangen wurde, auch nur eine Verbandsgeldbuße gegen eben jene rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft zur Folge haben kann. Eine Ahndung der Konzernobergesellschaft gemäß § 30 Abs. 1 OWiG für eine Zuwiderhandlung seitens der Leitungsebene der Tochtergesellschaft ist damit ausgeschlossen.316 Daher lässt sich die Feststellung treffen, dass § 30 OWiG an das selbstständige Rechtssubjekt beispielsweise die juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft anknüpft. Ob die Konzernobergesellschaft Unternehmensinhaberin der Tochtergesellschaften im Sinne des § 130 OWiG ist, wird innerhalb der Literatur unterschiedlich beurteilt. Eine wohl überwiegende Mehrheit in der Literatur vertritt die Auffassung, dass keine Aufsichtspflicht der Konzernobergesellschaft gegenüber den Tochtergesellschaften besteht.317 Unternehmensinhaber 314  Geismar,

Aufsichtspflichtverletzung, 42 f. Gliederungspunkt: B. II. 1. 316  Ausführlich dazu Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (325). 317  Wirtz, WuW 2001, 342 (348 f.); Deselaers, WuW 2006, 118 (122 ff.); J. Koch, ZHR 2007, 554 (570 ff.); ders., WM 2009, 1013 (1017 f.); Pelz, in: Hauschka, § 6 315  Vgl.

86

B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

ist nur die Tochtergesellschaft in Form einer rechtlich selbstständigen juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft.318 Zu diesem eigenen Verantwortungskreis gehören dann auch die möglichen, erforderlichen und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 OWiG, um betriebsbezogene Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten zu verhindern. Als weiteres Argument gegen eine solche Aufsichtspflicht der Konzernobergesellschaft wird der Sinn und Zweck des § 130 OWiG im Zusammenspiel mit den §§ 9, 30 OWiG angeführt. Betriebsbezogene bzw. unternehmensnützliche Zuwiderhandlungen der Leitungsebene einer juristischen Person bzw. Personengesellschaft können direkt über § 30 Abs. 1 OWiG geahndet werden. Der Zweck des § 130 OWiG besteht nur darin, eine Sanktion auch für die Fälle zu ermöglichen, bei denen – wie in der Praxis üblich – Inhaberpflichten von der Leitungsebene auf untere Mitarbeiterebenen übertragen werden. Über das Zusammenspiel der §§ 30, 130 OWiG wird in diesen Fällen dann die Möglichkeit eröffnet, eine Verbandsgeldbuße zu verhängen. Damit bestehe kein Bedarf die Aufsichtspflichten auf die Konzernobergesellschaft zu erstrecken und damit eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortung nach § 130 OWiG zu begründen.319 Andere Stimmen wollen dagegen eine Aufsichtspflicht der Konzernobergesellschaft über Tochtergesellschaften annehmen. Unternehmensinhaber ist dann zumindest auch die Konzernobergesellschaft.320 Hierfür wird angeführt, dass Konzerne genauso wie die Unternehmen eine einheitliche Leitung besitzen und aufgrund ihres faktischen Durchgriffsrechts wirtschaftliche Funktion Rn. 17; Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130 Rn. 5a; Hellmann / Beckemper, Fälle zum WirtschaftsstrafR, Rn. 96; Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (327); Karbaum, Kartellrechtliche Compliance, 267 f.; Schmid, in: Müller-Gugenberger / Bieneck, § 30 Rn. 138; Wilhelm, Erforderliche Aufsichtsmaßnahmen, 31; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 113 und 235; ders., in: Sanktionsdurchgriff, 99 (103); Graf, in: FS Feigen, 37 (37  ff.); wohl auch Schmitt-Leonardy, Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht, Rn.  388 f. 318  Pelz, in: Hauschka, § 6 Rn. 17; Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (325); J. Koch, WM 2009, 1013 (1017 f.). 319  J. Koch, ZHR 2007, 554 (572 f.); ders., AG 2009, 564 (568 f. und 571); Habersack, in: FS Möschel, 1175 (1177); Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (326 f.); Graf, in: FS Feigen, 37 (46). 320  Bohnert, OWiG, §  130 Rn. 7; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 27; U.H. Schneider, NZG 2009, 1321 (1324); Grützner / Leisch, DB 2012, 362 (368); Niesler, in: Graf / Jäger / Wittig, § 130 OWiG, 1034 Rn. 52 f.; Lemke / Mosbacher, OWiG, § 130 Rn. 7; Caracas, CCZ 2015, 167 (168 f.); Timmerbeil / Reinhard, KonzernR, 80 f. Rn. 262; Potinecke / Block, in: Knierim / Rübenstahl / Tsambikakis, Kap. 2 Rn. 127; Bock, ZIS 2009, 68 (71); Brouwer, CCZ 2009, 161 (165); Ost, NZKart 2013, 25 (27). So wohl auch die neuere Rechtsprechung: OLG München, Beschluss vom 23.09.2014 – 3 Ws 599, 600 / 14, BB 2015, 2004 die die Anwendung des § 130 OWiG auf Konzerne vom konkreten Sachverhalt abhängig machen will.



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG87

wahrnehmen können.321 In diesem Zusammenhang kann die Konzernobergesellschaft mit der ihr zur Verfügung stehenden Macht erheblichen Einfluss auf Entscheidungen nehmen, die die Geschäftspolitik betreffen.322 Argumentiert wird weiter, dass eine hierarchische Struktur mitsamt dem faktischen Durchgriffsrecht dem Kernstrafrecht im Rahmen der mittelbaren Täterschaft bzw. der sog. Geschäftsherrenhaftung ebenfalls geläufig ist.323 Die besseren rechtlichen Argumente sprechen aber gegen eine solche Aufsichtspflicht der Konzernobergesellschaft. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 130 OWiG steht in einem funktionalen Zusammenhang mit den §§ 30 und 9 OWiG. Gerade weil § 30 OWiG auf den rechtlich selbstständigen Unternehmensträger abstellt, sollte um einen generellen Gleichlauf im Ordnungswidrigkeitengesetz zu gewährleisten auch im Rahmen des § 130 Abs. 1 OWiG auf diesen abgestellt werden. Des Weiteren kann aus § 9 Abs. 3 OWiG keine allgemeine d. h. für das gesamte Ordnungswidrigkeitenrecht geltende faktische Betrachtungsweise abgeleitet werden, vielmehr muss neben einer faktischen Tätigkeit als Organ oder Beauftragter ein solcher rechtlicher Bestellungsakt zumindest intendiert gewesen sein.324 Darüber hinaus dürften die Bezugspunkte und die Reichweite eines faktischen Durchgriffsrechts der Obergesellschaft im wirtschaftlichen Verbund im Einzelnen unklar sein. Ein Durchgriffsrecht nur hinsichtlich der „allgemeinen Geschäftspolitik“ wird in vielen Fällen nicht ausreichen, um eine prinzipielle Möglichkeit zur Ergreifung von Aufsichtsmaßnahmen anzunehmen. Unternehmensinhaber ist somit stets der Unternehmensträger, d. h. die jeweils selbstständige juristische Person bzw. rechtsfähige Personengesellschaft.325 Ebenso erzeugt die Verneinung einer solchen Aufsichtspflicht der Konzernobergesellschaft keine Sanktionslücken. Zum einen entstehen keine Sanktionslücken durch Delegation von Leitungsaufgaben auf Mitarbeiter unterer Ebenen. Diese werden de lege lata über die §§ 130, 9 OWiG aufgefangen und ermöglichen letztlich eine Ahndung des Unternehmensträgers herbeizuführen.326 Zum anderen entstehen seit der Normierung des § 30 Abs. 2a OWiG auch keine Sanktionslücken mehr dadurch, dass eine bestehende Gesellschaft gegen die eine Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG festgesetzt wurde, sich dieser Ahndung durch (partielle) Abspaltung auf an321  Rogall,

in: KK-OWiG, § 130 Rn. 27. KonzernR, 80 f. Rn. 262. 323  Bock, ZIS 2009, 68 (71). 324  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 29 Rn. 17. 325  Im Ergebnis ebenso Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (326) und Graf, in: FS Feigen, 37 (44). 326  J. Koch, AG 2009, 564 (570); Graf, in: FS Feigen, 37 (46); Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (327). 322  Timmerbeil / Reinhard,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

dere selbstständige Rechtsträger im Konzernverbund entziehen kann.327 Den Umweg, über den Tatbestand einer Aufsichtspflichtverletzung gegen die Konzernobergesellschaft letztlich auch eine Ahndung eines Unternehmensträgers gemäß §§ 30, 130 OWiG herbeizuführen, bedarf es also gerade nicht mehr. Für den Aufbau und die Ausrichtung unternehmerischer Criminal-Compliance-Konzepte dürfte jedoch die Sicht der Strafverfolgungsbehörden auf diese Frage maßgeblich sein. Das Bundeskartellamt hat die Auffassung vertreten, dass die Konzernobergesellschaft eine bußgeldbewehrte Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 OWiG über die Tochtergesellschaften trifft.328 Zumindest für die kartellrechtliche Praxis hat das Bundeskartellamt damit die maßgebliche Sichtweise festgelegt. Auch die Staatsanwaltschaft München I hat sich diesem Standpunkt in einem Bußgeldverfahren gemäß §§ 30 Abs. 4, 130 Abs. 1 OWiG gegen die Siemens AG (als Konzernobergesellschaft) im Jahre 2008 angeschlossen, als es zu Korruptionsstraftaten in rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaften kam.329 Damit die Obergesellschaft bzw. deren Leitungspersonal gemäß § 9 OWiG überhaupt eine Risikoanalyse durchführen und entsprechende Aufsichtsmaßnahmen ergreifen kann, muss sie auf alle nötigen Informationen in den Tochtergesellschaften zurückgreifen können. Ist ein hinreichender Informationsfluss nicht gewährleistet, dürfte eine Pflichterfüllung der Aufsicht durch die Obergesellschaft nicht (vollumfänglich) möglich sein. Die Schwierigkeit bei der Umsetzung von CriminalCompliance-Programmen im Unternehmensverbund besteht daher primär in der Informationsbeschaffung. Für eine solche prinzipielle Möglichkeit der Ergreifung von Aufsichtsmaßnahmen und damit der Sanktionsabwendung müsste die Konzernobergesellschaft über eine hinreichende Informations­ basis verfügen.

327  Graf,

in: FS Feigen, 37 (42 f.). Bundeskartellamt, Stellungnahme zum Diskussionsentwurf des Bundesministerium für Justiz zur Regelung der Rechtsnachfolge in die Bußgeldhaftung, 5. Der ursprünglich unter anderem auch an die „Etex Holding GmbH“ adressierte Bußgeldbescheid wurde durch das Bundeskartellamt aufgehoben, gleichwohl wurde zumindest überlegt ein Bußgeld gegen die belgische Konzernmutter S.A. Etex Group wegen Verletzung der Aufsichtspflicht im Sinne des §§ 130, 9 OWiG zu verhängen. 329  Vgl. beglaubigte Abschrift des Entwurfs des Bußgeldbescheids gegen die Siemens AG vom Dezember 2008, online abrufbar unter: http: /  / www.siemens.com /  press / pool / de / events / 2008-12-PK / MucStaats.pdf (zuletzt: 09.01.2016). 328  Siehe



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG89

2. Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen Im Folgenden sollen die Tatbestandsvoraussetzungen kurz dargestellt werden. Auf einzelne Besonderheiten des § 130 OWiG wurde bereits eingegangen. a) Tauglicher Täter Als tauglicher Täter des § 130 Abs. 1 OWiG kommt nur der Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber. Über die Konstruktion des § 9 OWiG sind es auch die dort genannten Personen. b) Tathandlung Die Tathandlung des § 130 Abs. 1 OWiG besteht in einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen, um im Betrieb bzw. Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Die einzelnen betrieblichen bzw. unternehmerischen Aufsichtspflichten, die durch die Rechtsprechung konkretisiert wurden, werden an anderer Stelle besprochen, weil sie zugleich gewisse (Branchen-)„Mindeststandards“ bzw. „Orientierungshilfen“ für unternehmerische Criminal-Compliance Program­me nach deutschem Recht darstellen.330 Die Reichweite der Aufsichtspflicht des Unternehmensinhabers wird durch ein Trias an Kriterien in concreto der Möglichkeit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit begrenzt.331 Der objektive Tatbestand des § 130 OWiG ist dann nicht gegeben, wenn dem Betriebsinhaber bzw. Organ oder Beauftragten im Sinne des § 9 OWiG die konkrete Aufsichtsmaßnahme unmöglich war.332 Das Recht darf Unmögliches nicht abverlangen. Eine hohe praktische Relevanz dürfte das Kriterium der tatsächlichen Unmöglichkeit nicht haben, da Unternehmen in aller Regel über eine gewisse wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen, die unter Umständen die Hinzuziehung externer Expertise, Bestellung von mehreren Aufsichtspersonen im Unternehmen oder die Ergreifung von mehreren Aufsichtsmaßnahmen gleichzeitig rechtfertigt.333 Auch eine persönliche Unmöglichkeit 330  Vgl.

Gliederungspunkt: D. III. b) bb) (2). Bock, ZIS 2009, 68 (74). 332  Bock, ZIS 2009, 68 (74); für die unechten Unterlassungsdelikte Fischer, StGB, § 13 Rn. 77 f. 333  Bock, HRRS 2010, 316. 331  Vgl.

90

B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

des Unternehmensinhabers beispielsweise infolge von Arbeitsüberlastung oder Krankheit mögen in größeren Unternehmen kaum eine Relevanz haben. Aus dem Umstand, dass die Aufsichtspflicht delegierbar ist (vgl. § 130 Abs. 1 OWiG am Ende), kann geschlossen werden, dass gerade keine höchstpersönliche Erfüllung der Aufsicht gesetzlich vorgesehen ist. Eine Arbeitsteilung bzw. Vertretung ist auch bei der Durchführung von Aufsichts- und insbesondere Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen möglich und oftmals angezeigt.334 Des Weiteren wird eine pauschale Berufung auf eine fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zur Unmöglichkeit der Durchführung von konkreten Aufsichtsmaßnahmen führen. In diesem Kontext gilt es zu bedenken, dass zahlreiche Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen keine bzw. kaum Mehrkosten für den Unternehmensinhaber verursachen.335 So sind beispielsweise Belehrungen über die Korruptionsstraftaten, Kartelldelikte oder den Tatbestand der Geldwäsche durch vorhandenes Personal der Rechtsabteilung möglich. Das Gleiche mag für eine rechtliche Risikoanalyse zutreffen. Insbesondere kann auch auf kostenfreie Beratungsangebote von Aufsichtsbehörden (vgl. § 51 Abs. 8 GwG) zurückgegriffen werden. Ebenso kann ohne finanziellen Aufwand eine unternehmensinterne Kommunikation vorangetrieben werden, die auf Einhaltung ganz bestimmter gesetzlicher Regelungen zielt. Das zweite Kriterium zur Begrenzung der Aufsichtspflicht ist ausweislich des Wortlauts von § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG die Erforderlichkeit. Die vom Unternehmensinhaber unterlassene Handlung muss erforderlich d. h. geeignet gewesen sein, den tatbestandlichen Erfolg abzuwenden. Bei mehreren gleich geeigneten Mitteln darf das mildeste d. h. das mit dem geringsten finanziellen oder zeitlichen Aufwand gewählt werden.336 An die Geeignetheit der Aufsichtsmaßnahme zur Vorbeugung oder Reduzierung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen im Unternehmen werden unterschiedliche Anforderungen gestellt. Eine Ansicht sieht nur solche Maßnahmen als geeignet an, die eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bieten, dass betriebsbezogene Verstöße verhindert werden.337 Andere lassen jede Verringerung des Risikos von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen für die Geeignetheit von Aufsichtsmaßnahmen ausreichen.338 Im Zusammenhang mit der Geeignetheit wird 334  Bock,

HRRS 2010, 316. HRRS 2010, 316 (317). 336  Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 40; Bohnert, OWiG, § 130 Rn. 21; Bock, HRRS 2010, 316 (317). 337  Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 40; Klesczewski, OWiG, Rn. 569; Többens, NStZ 1999, 1 (4). Ähnlich wohl auch Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 48 Rn. 62, der fordert, dass die betriebstypische Zuwiderhandlungsgefahr beseitigt wird. 338  Bock, HRRS 2010, 316. 335  Bock,



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG91

man erst einmal negativ diejenigen Aufsichtsmaßnahmen ausklammern müssen, die aus der maßgeblichen ex ante Perspektive das Risiko der Begehung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen nicht reduzieren.339 Darunter fallen insbesondere die zum Zwecke des sog. window-dressings ergriffenen Aufsichts- und Compliance-Maßnahmen. Die Vornahme solcher Scheinmaßnahmen lässt das Risiko der Begehung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen zumindest unverändert340 und genügt daher nicht der Pflicht zur Ergreifung aller erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG. Auf der anderen Seite dürfen auch keine überspannten An­ forderungen an die erforderliche Aufsicht gestellt werden. Lässt man für die Geeignetheit einer Aufsichtsmaßnahme jede Verringerung des Risikos betriebsbezogener Zuwiderhandlungen ausreichen, müssten beispielsweise Schulungen bereits nach einer Woche im Unternehmen wiederholt werden, wenn ex ante feststeht, dass dies zu einer auch nur äußerst geringen Risikosenkung beiträgt. Zwar kann man befriedigende Ergebnisse noch über das weitere Kriterium der Zumutbarkeit erreichen, doch verkennt diese Ansicht, dass schon die Erforderlichkeit ein begrenzendes Tatbestandsmerkmal des § 130 OWiG ist. Des Weiteren lässt sich noch der Vertrauensgrundsatz anführen, d. h., der Geschäftsherr darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass sich Unternehmensmitarbeiter im Rahmen der Gesetze bewegen. Dies rechtfertigt es gerade nicht jede, auch noch so geringe Senkung des Risikos der Begehung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen ausreichen zu lassen. Vielmehr sind nur solche Aufsichtsmaßnahmen geeignet und damit erforderlich, die ex ante eine hohe Wahrscheinlichkeit bieten, dass solche Verstöße unterbleiben. Ein gewisses Restrisiko der Begehung von betriebsbezogener Kriminalität verbleibt trotz gehöriger Aufsicht. Ein weiteres zentrales Kriterium zur Einschränkung der Aufsichtspflicht ist die Zumutbarkeit. Auf den Streit, wo dieses Kriterium im Allgemeinen zu prüfen ist, wird nicht näher eingegangen.341 Der Unternehmensinhaber bzw. Aufsichtspersonen schulden grundsätzlich nur zumutbare Aufsichtsmaßnahmen. Das sind solche, die sich nach der Abwägung der widerstreitenden Interessen namentlich des Unternehmensinteresses (in finanzieller, zeitlicher und personeller Hinsicht) und des zu schützenden Interesses (individuelle als auch überindividuelle Rechtsgüter) nicht deutlich zugunsten des Ersteren 339  Bock,

HRRS 2010, 316 (317). eine Risikoerhöhung erscheint plausibel, sofern der einzelne Mitarbeiter mitbekommt, dass der Unternehmensinhaber bzw. Leitungspersonen nach außen Scheinmaßnahmen ergreift, gleichwohl nicht ernstlich gegen betriebsbezogene Zuwiderhandlungen vorgeht. 341  Diskutiert wird die Zumutbarkeit als objektives Tatbestandsmerkmal, als Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund. 340  Sogar

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

ausfallen.342 Im Ergebnis wird eine Verhältnismäßigkeits- bzw. Angemessenheitsprüfung durchgeführt. c) Die Zuwiderhandlung als objektive Bedingung der Ahndung Der Wortlaut des § 130 Abs. 1 OWiG spricht des Weiteren von einer Zuwiderhandlung gegen Pflichten, die den Inhaber treffen. Die tatsächlich begangene Zuwiderhandlung ist aber kein objektives Tatbestandsmerkmal sondern lediglich eine objektive Bedingung der Ahndung.343 Einschränkend muss es eine solche Zuwiderhandlung sein, die sich gegen Pflichten des ­Inhabers richten. Darunter sind alle Zuwiderhandlungen gegen betriebsbezogene Pflichten344 zu verstehen.345 Bezüglich der Zuwiderhandlung ist es ausreichend, dass der Täter den Tatbestand verwirklicht und rechtswidrig handelt. Ein schuldhaftes Handeln ist gerade nicht Voraussetzung.346 Für Zuwiderhandlungen gegen Sondernormen braucht der Täter, die für die Verwirklichung des Tatbestandes erforderliche Qualität in seiner Person nicht zu besitzen.347 Darüber hinaus muss der konkrete Täter der Zuwiderhandlung nicht bekannt bzw. ermittelbar sein, um eine Ahndung des Unternehmensinhabers aus § 130 OWiG herbeizuführen.348 Erwähnenswert ist auch, dass Täter der Zuwiderhandlung nicht nur ein Unternehmens- bzw. Betriebsmitarbeiter sein kann, sondern auch eine externe Person.349 Aufgrund der Tatsache, dass die Zuwiderhandlung als objektive Bedingung der Ahndung nicht selbst zum Tatbestand des § 130 OWiG gehört, muss sich der Vorsatz des Unternehmensinhabers nicht auch darauf erstrecken. Ebenso muss sich die Erkennbarkeit im Rahmen der Fahrlässigkeit nicht auf die konkrete Zuwiderhandlung beziehen.350

Bock, HRRS 2010, 316 (318 f.). Beschluss vom 10.09.2003  – 2 ARs 258 / 03, NStZ 2004, 699 (700); Demuth / T. Schneider, BB 1970, 642 (647); Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130 Rn. 17; Kudlich / Oglakcioglu, WirtschaftsstrafR, § 4 Rn. 122. 344  Zur Bestimmung der Betriebsbezogenheit von Pflichten vgl. Gliederungspunkt: B. II. 4. c) aa). 345  Klesczewski, OWiG, Rn. 563. 346  Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (324); Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 969. 347  Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 969. 348  Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130 Rn. 20; Klesczewski, OWiG, Rn. 567. 349  Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 130 Rn. 19. 350  Klesczewski, OWiG, Rn. 574; Achenbach, NZWiSt 2012, 321 (324). 342  Ähnlich 343  BGH,



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG93

d) Verhinderung bzw. Erschwerung der Zuwiderhandlung Des Weiteren muss ein Zurechnungszusammenhang zwischen der unterlassenen Aufsichtsmaßnahme und der konkreten Zuwiderhandlung bestehen. Ein solcher ist nach dem Gesetz dann gegeben, wenn die Zuwiderhandlung bei gehöriger Aufsicht verhindert worden wäre. Für eine Zurechnung ausreichend ist aber auch, dass die Zuwiderhandlung wesentlich erschwert worden wäre, vgl. § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG. In der gerichtlichen Praxis dürfte die Erschwerungsvariante der häufigere Anknüpfungspunkt für die Herstellung des Zurechnungszusammenhangs sein. Bei der Verhinderungsvariante muss durch das Gericht nachgewiesen werden, dass die Zuwiderhandlung durch die gebotene Aufsichtsmaßnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterblieben wäre.351 Das wird nur in den wenigsten Fällen vollumfänglich gelingen. Einer herausragenden Bedeutung – gerade unter Compliance-Gesichtspunkten – kommt der Frage zu, was „wesentliches Erschweren“ im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG meint. Die Antwort darauf hat enormen Einfluss, wie gut unternehmerische Compliance-Konzepte funktionieren müssen. Es wird damit geklärt, inwieweit Zuwiderhandlungen durch Criminal-Compliance-Maßnahmen unterbunden werden müssen und wie groß der Raum für Exzesstaten ist. Ein wesentliches Erschweren liegt nach überwiegender Auffassung dann vor, wenn die unterlassene Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahme zur Beseitigung der betriebsbezogenen Zuwiderhandlungsgefahr geeignet gewesen wäre.352 Nach anderer Auffassung liegt eine wesentliche Erschwerung schon dann vor, wenn die Aufsichtsmaßnahme geeignet war, die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer betriebsbezogenen Zuwiderhandlung substanziell zu reduzieren.353 Diesem zweiten Standpunkt scheint sich auch die Rechtsprechung angeschlossen zu haben, ohne jedoch eine Maß festzulegen, inwieweit die gebotene Aufsichtsmaßnahme zur Reduktion der Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung beigetragen haben muss.354 Damit lässt sich schon an dieser Stelle sagen, dass sog. window-dressing, d. h. Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen, die nur zum Schein ergriffen 351  Rogall,

in: KK-OWiG, § 130 Rn. 115. in: Achenbach / Ransiek / Rönnaus, 4. Aufl., 48 Rn. 62; ders., NZWiSt 2012, 321 (324); Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 970; Bock, ZIS 2009, 68 (73). 353  Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 117. Dieser plädiert für eine Reduzierung der Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung um mindestens 25 %. 354  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1899). 352  Achenbach,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

werden und nicht ernsthaft auf eine Deliktsvermeidung ausgerichtet sind, nicht ausreicht um der Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG zu genügen.355 Auf der anderen Seite muss ein Compliance-Programm nicht jede konkrete Zuwiderhandlung verhindern. Sofern durch entsprechende Aufsichts- und Compliance-Maßnahmen die Zuwiderhandlungsgefahr (z. B. die von kartellrechtlichen Absprachen) adäquat beseitigt bzw. das Risiko der Begehung einer solchen Zuwiderhandlung gesenkt wurde, darf trotz begangener Zuwiderhandlung keine Aufsichtspflichtverletzung angenommen werden. Raum für Exzesstaten besteht nach der dogmatischen Struktur des § 130 OWiG daher. 3. Die Sanktionspraxis von § 130 OWiG und daran anknüpfende Reformüberlegungen Offizielle Statistiken, die die Sanktionspraxis des § 130 OWiG wiedergeben, existieren nicht. Empirische Untersuchungen diesbezüglich sind ebenfalls rar. In der Literatur wird oft davon gesprochen, dass die §§ 9, 130 OWiG im Zusammenhang mit § 30 OWiG ein „probates Mittel“356 seien, um insbesondere Wirtschaftskriminalität einzudämmen. Ob sich diese Einschätzung bestätigen lässt, sollen die wenigen empirischen Arbeiten zu § 130 OWiG zeigen. Im Rahmen einer empirischen Erhebung von Geismar zur Sanktionspraxis des § 130 OWiG wurden insgesamt 45 deutsche Staatsanwaltschaften befragt, die sich schwerpunktmäßig mit den Themengebieten Wirtschaftskriminalität bzw. Korruption befassen. Erstaunlich ist, dass fünf Schwerpunktstaatsanwaltschaften angaben, keine genügenden Erfahrungen mit dem Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung des § 130 OWiG in ihrer täglichen Arbeit gemacht zu haben. Weitere acht Staatsanwaltschaften machten keine Angabe.357 Bei der Frage, ob die zur Verfügung stehenden Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts zu wenig Anwendung finden würden, antworteten von den 97 Vertretern der 32 Staatsanwaltschaften 71 mit „Ja“. Lediglich 19 Vertreter verneinten dies und 7 Vertreter machten dazu keine Angabe.358 Die geringe Anwendungspraxis scheint sich ebenfalls in Schätzungen der 46359 Vertreter der Staatsanwaltschaften zur Verhängung einer Geldbuße nach auch Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 48 Rn. 62. NStZ 1999, 1. 357  Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 156. 358  Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 156. 359  Die anderen 51 Vertreter machten keine bezifferbaren Angaben. 355  So

356  Többens,



III. Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG95

§ 130 OWiG zu bestätigen. Gerade mal in knapp ein Fünftel aller Fälle (19 %), bei denen alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 OWiG vorgelegen haben, wurde auch tatsächlich eine Geldbuße verhängt.360 Mit großer Zurückhaltung sind die Erkenntnisse für den kartellrechtlichen Bereich zu betrachten. Dort soll § 130 OWiG laut Aussagen eines (!) Mitarbeiters des Bundeskartellamts – obwohl auch nach Auffassung des Bundeskartellamts § 130 OWiG die wichtigste Bezugstat der Verbandsgeldbuße ist361 – im Bereich der Kartellordnungswidrigkeiten in weniger als 20 % aller Fälle zur Anwendung kommen.362 Es lässt sich wohl konstatieren, dass in Bezug auf § 130 OWiG eine uneinheitliche Rechtsanwendung vorherrscht. Dies lässt sich insbesondere auf das geltende Opportunitätsprinzip im Sinne des § 47 Abs. 1 des Ordnungswidrigkeitenrechts zurückführen. An diesem Befund ändert grundsätzlich auch die Tatsache nichts, dass § 130 OWiG nur als ein Auffangtatbestand ausgestaltet ist. Die Effizienzerwartungen im Sinne einer positiven wie negativen Generalprävention an § 130 OWiG dürften auch weiterhin enttäuscht werden, wenn nicht zumindest das Verfahrensrecht des Ordnungswidrigkeitenrechts angepasst wird. Ein realistisches Sanktionsszenario stellt § 130 OWiG bislang nicht dar. Gangbar erscheinen de lege ferenda in diesem Zusammenhang Einschränkungen des Ermessens bis hin zu Ermessensreduzierungen gegen Null, die in den § 47 OWiG aufgenommen werden könnten. Ein anderer Weg könnte ein Verbandsstrafrecht mitsamt der Geltung des Legalitätsprinzips sein. Eine Transformation des Ordnungswidrigkeitentatbestands der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG in einen Straftatbestand begrüßten nur 33 Vertreter der Staatsanwaltschaften. 51 Vertreter sprachen sich dagegen aus.363 Durch eine solche Transformation ins Kernstrafrecht hätten die Strafverfolgungsbehörden gemäß § 152 Abs. 2 StPO eine Strafverfolgungspflicht. Mehrheitlich scheint man innerhalb der Staatsanwaltschaften einen solchen Straftatbestand der Aufsichtspflichtverletzung aber abzulehnen. Das komplette Gegenteil, d. h. die Abschaffung des Ordnungswidrigkeitentat­ bestands des § 130 OWiG, fand ebenso wenig Anklang bei den Vertretern der Staatsanwaltschaften. 77 Vertreter der Staatsanwaltschaften lehnten einen solchen Vorschlag ab. Nur 11 Vertreter plädierten für eine solche Abschaffung.364 360  Geismar,

Aufsichtspflichtverletzung, 165. WuW 1999, 385 (388). 362  Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 13. 363  Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 166. 364  Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 167. 361  Bundeskartellamt,

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B. Überblick über Sanktionen gegen Unternehmen

Reformbedarf besteht aber gleichwohl, denn die Defizite im geltenden Verfahrensrecht des Ordnungswidrigkeitenrechts verhindern derzeit, dass sich der Trias der §§ 30, 130, 9 OWiG als ein effektives Mittel zur Bekämpfung der Unternehmens- insbesondere auch der Wirtschaftskriminalität herauskristallisieren kann. Das zeigt auch die ganze Debatte um die Einführung eines Verbandsstrafrechts. Das „Schattendasein“365 des § 130 OWiG im Bereich der Wirtschaftskriminalität hat zur Folge, dass der von § 130 OWiG angedachte Zweck – die Sanktionslücke zu schließen, die entsteht, wenn wie in der Praxis üblich Inhaberpflichten von der Leitungsebene auf nachgeordnete Mitarbeiter delegiert werden – nicht erreicht werden kann. Ein Zusammenspiel der §§ 30, 130 OWiG und damit letztlich eine Herbeiführung einer Ahndung des Unternehmensträgers kann es dann in vielen Fällen der Unternehmens- und Wirtschaftskriminalität nicht geben, wenn der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung aufgrund der Defizite im Verfahrensrecht nicht als Bezugsordnungswidrigkeit in Betracht kommt. Eine insgesamt einheitlichere und konsequentere Rechtsanwendung des § 130 OWiG könnten dazu beitragen, dass diesem Rechtsinstitut größeres Gewicht bei der Prävention von delinquenten Verhalten aus Unternehmen heraus zukommt. Leider hat der Gesetzgeber auch im Rahmen der 8. GWB-Novelle366, bei der zahlreiche Änderungen im Ordnungswidrigkeitenrecht erfolgten, vergessen, die dargelegten Defizite im Verfahrensrecht zu beseitigen.

365  Geismar,

Aufsichtspflichtverletzung, 13. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013, BGBl. I 2013, 1738 ff. 366  Achtes

C. Compliance im Allgemeinen Das folgende Kapitel nähert sich dem Begriff und den daraus ableitbaren Kernanliegen von Compliance bzw. Criminal-Compliance auf verschiedenen Wegen. Zunächst wird eine Begriffserläuterung vorgenommen, um das interdisziplinäre Themengebiet Compliance einzugrenzen und diesem Konturen zu verleihen. Dabei muss notwendigerweise zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen d. h. die der Strafrechtswissenschaft, die des Gesetzgebers und schließlich die der Wirtschaft selbst in Bezug auf (Criminal-)Compliance unterschieden werden. Dies sorgt für eine erste Orientierung bezüglich des interdisziplinären Forschungsgegenstandes und schafft einen Ausgangpunkt für die hier interessierende – strafrechtsorientierte – Frage, der Bedeutung von Criminal-Compliance für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung. Des Weiteren soll auch auf die rechtliche Problemstellung eingegangen werden, ob das geltende deutsche bzw. internationale Recht Unternehmensinhabern die Verpflichtung auferlegt (konkrete) Compliance-Vorkehrungen zu treffen. Danach werden empirische Daten, die die Compliance-Entwicklung im Wandel der Zeit vor allem in Deutschland aufzeigen, vorgestellt. Um diesem interdisziplinären Thema gerecht zu werden, sollen auch kriminologische Aspekte zum Thema Compliance beleuchtet werden, die in der überwiegend rechtlich geführten Compliance-Diskussion wenig berücksichtigt werden.

I. Begriffsklärung 1. Der Begriff „Compliance“ Der Begriff „Compliance“ ist heute in vielen Wissensdisziplinen allgegenwärtig. Compliance und Compliance-Programme haben einen kometenartigen Aufstieg hinter sich, wie aus der Anzahl der dazu erschienenen Publikationen ablesbar ist. Auch die hiesige Rechtsprechung hat einen Anteil daran, dass man Compliance-Programme mit Kriminalprävention im Unternehmen assoziiert und der Terminus Compliance immer mehr Eingang in die deutsche Rechtssprache gefunden hat. Der 5. Strafsenat des BGH hat in einem obiter dictum grundsätzlich die Möglichkeit einer Garantenstellung des Compliance-Officer zur Verhinderung von Straftaten von Unternehmensmitarbeitern angedeutet367 und damit erheblich dazu beigetragen, dass sich die

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C. Compliance im Allgemeinen

Strafrechtswissenschaft diesem (neuen) Forschungsgegenstand widmet. Doch was genau meint nun der aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammende Begriff Compliance in concreto? Zunächst einmal wird heute einhellig unter dem Begriff „Compliance“ das Handeln in Übereinstimmung mit bestehenden Regeln bezeichnet.368 Aus strafrechtsorientierter Sicht lässt sich dieser Befund mittels der Hinzuziehung des Begriffs „Criminal“(-Compliance) noch weiter konkretisieren.369 Aber auch in anderen Wissensdisziplinen z. B. der Medizin ist der Begriff in Deutschland schon länger als solcher bekannt. Dort kennzeichnet der Begriff Compliance die Therapietreue des Patienten und somit die Einhaltung der zur Genesung ausgesprochenen ärztlichen Anweisungen.370 Im Bank- und Kapitalmarktrecht wurden ebenso frühzeitig – schon ab Mitte der 90er Jahre – organisatorische Maßnahmen getroffen, die darauf abzielten Regelungen des Wertpapierhandels einzuhalten und sich damit dem heutigen Verständnis von Compliance zuordnen lassen.371 Im Zuge der fortschreitenden Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, insbesondere der Korruption, hat sich die Begrifflichkeit Compliance auch in der rechtlichen und kriminologischen Literatur zunehmend weiter durchgesetzt. Im rechtlich-organisatorischen Sinne bezeichnet „Compliance“ daher alle Maßnahmen und Anstrengungen, die sicherstellen, dass innerhalb aller Ebenen eines Unternehmens gesetzeskonform gehandelt wird.372 Es verwundert daher nicht, dass ausgehend von diesem Compliance-Verständnis Stimmen laut wurden, die die Einhaltung geltenden Rechts als allbekannte Binsenweisheit bezeichneten.373 Diesem mag nur insoweit zuzustimmen sein, dass die Konzeptidee von Compliance, die Einhaltung 367  BGH,

Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394 / 08, BGHSt 54, 44 (49 f.). in: Inderst / Bannenberg / Poppe, 2. Aufl., 1 Rn. 1; Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 61 Rn. 2 ff.; Hauschka, in: Hauschka, § 1 Rn. 2; ders., NJW 2004, 257; Moosmayer, Compliance, Rn. 1; Kort, NZG 2008, 81; Maschmann, NZA-Beilage 2012, 50; Bürkle, BB 2005, 565; Gößwein / Hohmann, BB 2011, 963; I. Roxin, StV 2012, 116; Lösler, NZG 2005, 104; Schröder, KapitalmarktsstrafR, Rn. 1015; van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (42); Petermann, in: Sanktionsdurchgriff, 99 (108). 369  Zum Begriff „Criminal-Compliance“ der nachfolgende Gliederungspunkt: C. I. 2. 370  Lösler, Compliance, 13; Rotsch, ZIS 2010, 614 (614). In diesem medizinischen Sinne hat das Wort Compliance auch schon Eingang in die Rechtsprechung gefunden, vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 21.11. 2002 – 3 U 97 / 02, GRUR-RR 2003, 105. 371  Lösler, NZG 2005, 104; Klindt, NJW 2006, 3399. 372  Jäger / Rödl / Campos Nave, Corporate Compliance, 25; Dieners, in: Dölling, 186 Rn. 5; Bock, ZIS 2009, 68; Lösler, NZG 2005, 104; Poppe, in: Inderst / Bannenberg / Poppe, 2. Aufl., 1 Rn. 2; Rotsch, in: FS Samson, 141. 373  U.-H. Schneider, ZIP 2003, 645 (646). 368  Poppe,



I. Begriffsklärung99

der Gesetze, hinlänglich bekannt ist.374 Doch im Rahmen zunehmender internationaler Betätigung von Unternehmen und extraterritorialer Geltung von Gesetzen ist die Frage, wie unternehmerische Organisationsstrukturen beschaffen sein müssen, um Kriminalität von und gegen Unternehmen zu vermeiden, nicht leicht zu beantworten. Auch die Frage, wie der Konflikt zu lösen ist, dass ausländische Rechtsordnungen einzelne Compliance-Maßnahmen von Unternehmen fordern, die der deutschen Rechtsordnung bisher wenig geläufig sind oder sogar in eine Spannungslage zu deutschen Regelungen treten können, muss beantwortet werden. Gerade weil Unternehmen auch noch die unterschiedlichsten Bedenken gegen die Einführung von Compliance-Programmen hegen375, scheint das Thema keine Binsenweisheit zu sein, sondern bedarf noch weitere wissenschaftliche Aufarbeitung. Es lassen sich aber auch solche Compliance-Ansätze vorfinden, die über die bloße Einhaltung des Rechts hinausgehen. So gibt es Ansätze, die unter Compliance neben der Befolgung der Gesetze auch die Einhaltung ethischer Richtlinien, Verhaltenskodizes und innerbetrieblicher Regelungen verstehen, die Unternehmen sich selbst auferlegen.376 Oft ist in diesem Zusammenhang auch von den Begriffen Ethik bzw. Unternehmensethik und Moral zu lesen. Damit soll der Zweck verfolgt werden, sich nicht nur gesetzestreu zu verhalten, sondern darüber hinaus auch moralisch bzw. ethisch und sozial verantwortungsvoll zu agieren.377 Wenn man sich diese Ansätze genauer anschaut, kann man jedoch folgendes feststellen: Kernanliegen solcher Bemühungen ist ebenso die Einhaltung des geltenden Rechts.378 Das Strafrecht verkörpert Werte und damit moralische Maßstäbe, die in einer Gesellschaft allgemeingültig sind.379 Es wurde eine nachdrückliche Missbilligung bestimmter Verhaltensweisen (z. B. keine Kartelle zu bilden oder Marktmacht zu missbrauchen) durch Gesetzgeber vorgenommen. Um moralisch bzw. ethisch zu handeln, ist daher stets ein Rekurs auf das Strafrecht und dessen „zeitabhängigen Vorstellungen von Recht und Unrecht“380 notwendig. Dies deckt das heutige Compliance-Verständnis bereits ab. Rotsch, in: Momsen / Grützner, 55 Rn. 78. Compliance und Unternehmenskultur 2010, 17. 376  Poppe, in: Inderst / Bannenberg / Poppe, 1. Aufl., 1 Rn. 3; von Hehn / Hartung, DB 2006, 1909; Moosmayer, Compliance, Rn. 1; Nothhelfer, CCZ 2013, 73; Hüffer /  U.-H. Schneider, ZIP 2010, 55; I. Roxin, StV 2012, 116; Quentmeier, Compliance, 19; Kudlich / Oglakcioglu, WirtschaftsstrafR, § 7 Rn. 254; Niesler, in: Graf / Jäger / Wittig § 130 OWiG, 1027 Rn. 9. 377  Behringer, Compliance, 45. 378  Bussmann, CCZ 2016, 50 (53). 379  Bussmann, CCZ 2016, 50 (53). 380  Bussmann, CCZ 2016, 50 (53). 374  Ebenso

375  PwC / Bussmann,

100

C. Compliance im Allgemeinen

Sinnvoller erscheint es, das die oftmals formal-juristisch ausgerichteten Normkonformitätsbemühungen des Unternehmens mittels einer guten Unternehmenskultur unterstützt und effektiviert werden.381 Empirische Studien belegen gerade in unterschiedlicher Ausprägung Normkonformitätseffekte von Compliance-Programmen, die von einer Unternehmenskultur unterstützt werden.382 Es liegt auf der Hand, dass man mittels einer unterstützenden Wertevermittlung durch Führungspersonen (sog. Tone from the Top und Ethical Leadership383) entsprechende Regelungen (beispielsweise einzelne abstrakte kartellrechtliche bzw. kapitalmarktstrafrechtliche Regelungen) im Unternehmen besser kommunizieren und vermitteln kann. Ganz zu schweigen von der rechtlichen Problematik der Blankettstrafgesetze mit Verweisungen auf EU-Verordnungen384 und deren Vermittelbarkeit gegenüber Unternehmensmitarbeitern. Ethische Werte, die eng an strafrechtliche Regelungen gekoppelt sind und durch diese konkretisiert werden, tragen in einem komplexen Compliance-Programm am ehesten zur Einhaltung der gesetzlichen Regelungen bei.385 Aber auch der Blick auf ausländische Rechtsordnungen z. B. dem UK Bribery Act 2010 bringt weitere Erkenntnisse. Wie oben bereits ausgeführt, können auch deutsche Unternehmen in dessen Anwendungsbereich fallen. Die Richtlinie zum UK Bribery Act 2010 hat zwar keinen verordnenden Charakter386, doch werden für eine Berücksichtigung bei der Strafzumessung bzw. für einem vollständigen Verzicht auf eine strafrecht­ liche Sanktionierung des Unternehmens klare und transparente Richtlinien vorgeschlagen, damit sich eine Anti-Korruptionskultur entwickeln kann.387 Im Kern wird über eine Vermittlung von Werten und Moral, die eng an strafrechtliche Normen gekoppelt sind, auch immer die Einhaltung des Gesetzes aus Einsicht und Überzeugung bezweckt.388 Zu Recht wird drauf hingewiesen, dass moderne Compliance-Management-Systeme sowohl an recht­ lichen als auch integritätsförderlichen389 Gesichtspunkten auszurichten sind.390 381  Bussmann,

in: FS Achenbach, 57 (77 f.). dazu Kölbel, in: Rotsch, 1439 ff. mit einem Überblick über 22 (!) Studien, die die Wirksamkeit unternehmerischer Compliance-Systeme von einer guten Kommunikation und Unternehmenskultur abhängig machen. 383  Zur Bedeutung des Ethical-Leaderships für die Akzeptanz von korruptionrechtlichen Compliance-Programmen, vgl. Golinski, Antikorruptionsprogramme, 126. 384  Vgl. dazu Schützendübel, Die Bezugnahme auf EU-Verordnungen in Blankettstrafgesetzen, 27 ff. 385  Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (77 ff.). 386  Vgl. Guidance UK Bribery Act 2010, 20. 387  Vgl. Guidance UK Bribery Act 2010, 20. 388  Bussmann, CCZ 2016, 50 (54). 389  Ausführlich zu den Elementen einer integritätsfördernden Unternehmenskultur, vgl. Bussmann, CCZ 2016, 50 (54 ff.). 382  Vgl.



I. Begriffsklärung101

2. Der Begriff „Criminal-Compliance“ Im Zuge der fortschreitenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Compliance hat sich, vornehmlich in der wirtschaftsstrafrecht­ lichen Literatur, die Begrifflichkeit „Criminal-Compliance“ durchgesetzt.391 Das Kernanliegen von Criminal-Compliance lässt sich inhaltlich als Einhaltung der Strafgesetze im weiteren Sinne verstehen. Damit ist nicht nur die Befolgung von wirtschaftsstrafrechtlichen Gesetzen gemeint, sondern per se sämtlicher straf- und nebenstrafrechtlicher Gesetze.392 Das dürfte auch das Funktionsverständnis sein, dass der Gesetzgeber aus seiner Perspektive zugrunde legt393, wenn er im politischen Meinungsbildungsprozess über künftige gesetzliche Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance, insbesondere über deren ausdrückliche gesetzliche Normierung nachdenkt. Mittels der neuen Regulierungsform der Criminal-Compliance – als einer Form der regulierten Selbstregulierung – will der Gesetzgeber effizienter als im Wege der „klassischen“ strafrechtlichen Gesetzgebung Steuerungswirkungen auf die Wirtschaft entfalten.394 Tragender Gedanke und Legitimation dieses neuen gesetzgeberischen Konzepts kann und soll ein verbesserter Rechts­ güterschutz in der modernen Gesellschaft sein. Nimmt man bei der Begriffsbestimmung von Criminal-Compliance die unternehmerische Perspektive395 ein, so wird vielfach von einem Konzept der „Haftungsvermeidung“396 gesprochen. Es wird angenommen, dass es primäre Aufgabe der Criminal-Compliance ist, jedwede strafrechtliche Verantwortlichkeit in und aus dem Unternehmen zu vermeiden.397 Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass Unternehmen diese Ahndungsvermeidung grundsätzlich auf zwei Wegen erreichen können.398 Der Erste ist schlicht die Gewährleistung der Einhaltung strafrechtlicher Ge- und Verbote. Damit 390  Bussmann, CCZ 2016, 50 (54). Ähnlich Schröder, KapitalmarktsstrafR, Rn. 1021. 391  Rotsch, ZIS 2010, 614 (614 ff.) mit dem exemplarischen Aufsatztitel „Criminal Compliance“; Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 63 Rn. 7 ff.; ders., in: FS Samson, 141 (141); Bock, ZIS 2009, 68 (70); ders., Criminal Compliance, 22 und 246. 392  Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 63 Rn. 7 ff.; Rotsch, in: Rotsch, 42 f. Rn.  12 f. 393  So auch Kölbel, ZStW 2013, 499 (502 f.). 394  Ähnlich Theile, wistra 2012, 285 ff.; Kölbel, ZStW 2013, 499 (502 f.). 395  Man könnte auch sagen, die des Subsystems „Wirtschaft“. 396  Vgl. nur exemplarisch der Titel von Hauschka’s Compliance-Handbuch „Corporate Compliance: Handbuch der Haftungvermeidung im Unternehmen“; Gilch / Schautes, in: Momsen / Grützner, 125. 397  Bock, Criminal Compliance, 246. 398  Kölbel, ZStW 2013, 499 (504 f.).

102

C. Compliance im Allgemeinen

wür­de sich das Verständnis von Criminal-Compliance aus gesetzgeberischer und unternehmerischer Perspektive decken, es würde inhaltlich um strafrechtliche Normkonformität gehen. Der zweite Weg zur Ahndungsvermeidung ist die Verheimlichung bzw. Vertuschung von begangenen Rechtsverstößen.399 Trivial ist, dass der zweite Weg der Ahndungsvermeidung konträr zu den Vorstellungen des Gesetzgebers ist, wenn er mit Criminal-Compliance eine umfassende Deliktsprävention in Unternehmen verbindet und anstrebt. Insgesamt kann die Umschreibung von Criminal-Compliance als ein Konzept zur reinen Ahndungsvermeidung nahelegen, dass ein sog. „windowdressing“ betrieben wird bzw. Compliance-Maßnahmen nur als Feigenblatt dienen und gesetzeskonformes Verhalten nicht ernsthaft angestrebt wird.400 Der weiteren Untersuchung wird daher nur dasjenige Verständnis von Criminal-Compliance zugrunde gelegt, das auf eine Normbefolgung abzielt, denn nur so lassen sich die strafrechtsorientierten Fragen um die Bedeutung von Criminal-Compliance für die Ahndung beantworten. Ohnehin treffen nur auf den ersten Blick extrem unterschiedliche Vorstellungen über die Funktion von Criminal-Compliance zutage. Sofern Unternehmen und deren Leitungspersonen konsequent und nachhaltig eine strafrechtliche Normkonformität anstreben, wird sich dies auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnen. Mit dieser Sichtweise wird dem gesetzgeberischen Anliegen einer Kriminalprävention als auch dem unternehmerischen Interesse an einer Ahnungsvermeidung durch strafrechtliche Normbefolgung Rechnung getragen. Für die Kernaufgabe von Criminal-Compliance, der Sicherstellung von strafrechtlicher Normkonformität muss eine umfassende und gründliche Antizipation von strafrechtlich relevanten Sachverhalten (Risk-Assessment) erfolgen. Diese beschränkt sich nicht nur auf die strafrechtlichen Ahndungs­ risiken für das Unternehmen bzw. die Leitungsebene selbst, sondern muss ebenfalls alle vom Wirkungskreis des Unternehmens ausgehenden Risiken für strafrechtliche Verstöße mit abdecken.401 Dies dürfte für Unternehmen aus der maßgeblichen ex ante Perspektive eine große Herausforderung sein, insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts.402 Blankettmerkmale und normative Tatbestandsmerkmale, bei denen auf außerhalb des Tatbestandes liegende Wertungen Bezug genommen wird, verdeutlichen die Problematik der unternehmerischen Antizipation von strafrechtlichen relevanten Lebenssachverhalten in diesem Bereich. Strafverfolgungsbehörden haben aus ihrer ex post Betrachtung des jeweiligen Sachverhalts einen enormen Wissensvorsprung und den konkreten tatbestandlichen Erfolg vor Augen. Es be399  Kölbel,

ZStW 2013, 499 (504 f.). Schröder, KapitalmarktsstrafR, Rn. 1020. 401  Ähnlich Schröder, KapitalmarktsstrafR, Rn. 1020. 402  Rotsch, in: Rotsch, 44 Rn. 14.

400  Zutreffend



I. Begriffsklärung103

steht daher die realistische Gefahr, dass ein Zurechnungszusammenhang und letztlich eine Strafbarkeit angenommen wird.403 Die nötige Antizipation von strafrechtlich relevanten Sachverhalten beschränkt sich des Weiteren auch nicht auf diejenigen, bei denen ein wirtschaftliches Interesse des Unternehmens zu bejahen ist.404 Diese spielen zwar eine gewichtige Rolle, gleichwohl würden diejenigen Sachverhalte außer Acht gelassen, bei denen ebenfalls wegen Verstoßes gegen sog. betriebsbezogene Pflichten eine Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 OWiG verhängt bzw. eine Strafbarkeit der Aufsichtsperson nach §§ 130, 9 OWiG begründet werden kann oder sogar eine strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung aus unechtem Unterlassungsdelikt in Betracht kommt. Wie schon erwähnt, konstatierte die Rechtsprechung, dass es für die Qualifizierung als betriebsbezogenen Pflichtenverstoß gerade nicht darauf ankommt, ob die juristische Person einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt.405 Ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der Antizipation von strafrechtlichen Sachverhalten – wie schon erwähnt – berücksichtigt werden muss, ist die deutsche Rechtsprechungspraxis in Bezug auf betriebsbezogene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. In diesem Kontext gilt es zu beachten, dass die Rechtsprechung den erforderlichen Betriebsbezug auch bei solchen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erblickt, die sich gegen Interessen oder Rechtsgüter des Geschäftsherren bzw. Unternehmens richten. Bezugsgegenstand der Antizipation sollten deswegen ebenfalls das Delikt der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB und wohl auch das Delikt der Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 StGB sein.406 Ein Vergleich mit der Untreue, die als geschütztes Rechtsgut nur das Vermögen des Treugebers407 kennt und damit keine Rechtsgüter externer Dritter schützt, legt wohl eine Einordnung der Bestechlichkeit als betriebsbezogene Straftat durch die Rechtsprechung nahe. Es besteht die Gefahr, dass die Rechtsprechung bei der Bestechlichkeit die Lauterkeit des Wettbewerbs408 als primäres Rechtsgut ansieht und darauf abstellt, dass sich die Tathandlung nur innerhalb des geschäftlichen Verkehrs vollziehen kann. Eine Sanktionierung des Verbandes gemäß §§ 30, 130 OWiG bzw. der Leitungsperson gemäß § 130 OWiG erschiene im Duktus der aufgezeigten Rechtsprechung als nicht ausgeschlossen trotz dogmatischer Bedenken. Eine sorgfältige Criminal-Compliance-Konzeption deutscher Unternehmen sollte das Delikt der Bestechlichkeit nicht nur wegen der Gefahren der hiesi403  Rotsch,

in: Rotsch, 44 Rn. 14. aber Rotsch, in: Momsen / Grützner, 56 Rn. 80. 405  OLG Celle, Beschluss vom 26.11.2004 – 1 Ws 388 / 04, NStZ-RR 2005, 82. 406  Vgl. Gliederungspunkt: B. II. 4. c) aa) (4). 407  Fischer, StGB, § 266 Rn. 2. 408  Fischer, StGB, § 299 Rn. 2. 404  So

104

C. Compliance im Allgemeinen

gen Rechtsprechungspraxis, sondern auch aus einem weiteren wichtigen Grund umfassen. Der UK Bribery Act 2010 sieht mit seinem extraterritorialen Anwendungsbereich gemäß § 2 eine Strafandrohung für die Bestechlichkeit einer natürlichen Person vor. Begeht ein Unternehmensmitarbeiter eine solche Tathandlung der Bestechlichkeit, schließt sich daran eine akzessorische Strafbarkeit der Unternehmensleitung gemäß § 14 (2) lit. b UK Bribery Act an, sofern der Tat zugestimmt oder diese stillschweigend geduldet wurde. Um eine umfassende strafrechtliche Normkonformität anzustreben und in der Folge strafrechtliche Ahndungsrisiken zu vermeiden, sollten gerade interna­ tional tätige Unternehmen ihr Criminal-Compliance-Programm inhaltlich auch auf die Fallkonstellation der Bestechlichkeit ausgerichtet haben. Dem Umstand, dass zumindest im kartellrechtlichen Bereich die herrschende Konzernobergesellschaft eine Aufsichtspflicht über Tochtergesellschaften trifft409, gilt es auch bei der Antizipation von strafrechtlichen Risiken im ausreichenden Maße Rechnung zu tragen. Damit überhaupt von der Konzernobergesellschaft nachvollzogen werden kann, ob ein strafrechtlich relevanter Lebenssachverhalt vorliegt oder nicht, muss diese Zugriff auf entsprechende Informationen der Tochtergesellschaft nehmen. Der Informa­ tionsfluss muss die interne Struktur und schon getroffenen Präventivmaßnahmen notwendigerweise mitumfassen. Weil der Wissenstransfer zwischen zwei rechtlich selbstständigen Unternehmensträgern d. h. von Tochter- zur Konzernobergesellschaft besondere Schwierigkeiten birgt, sollte dieser Themenpunkt auf der Agenda der unternehmerischen Kriminalprävention einen besonderen Stellenwert einnehmen. Grundsätzlich sollte die Risikoanalyse gründlich und umfassend erfolgen, um ein hohes Maß an strafrechtlicher Normkonformität sicherstellen zu können. Auf die weiteren Facetten von Criminal-Compliance (z. B. Beratungs-, Informations-, Qualitätssicherungs-, Innovations- und Marketingfunktionen410 bzw. deren Bedeutung im Strafprozess vor allem im Rahmen von Verfahrensabsprachen im Sinne des § 257c StPO), die sich dann ergeben, wenn man eine ausschließlich unternehmerische Sichtweise auf dieses Phänomen einnimmt, braucht an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. 3. Fazit Als Resümee kann festgehalten werden, dass sich die Begrifflichkeit „Compliance“ in der Praxis wie auch in der Forschung fest etabliert hat. Mit der wissenschaftlichen Herausarbeitung der Begrifflichkeit „Criminal-Com409  Vgl.

Gliederungspunkt: B. III. 1. ausführlich Lösler, NZG 2005, 104.

410  Dazu



II. Rechtliche Verpflichtung105

pliance“ ist eine Einengung und Konzentrierung der allgemeinen Compliance Thematik erfolgt. Im Fokus steht daher primär die Sicherstellung rechtmäßigen Verhaltens im straf- und nebenstrafrechtlichen Bereich. Des Weiteren kann konstatiert werden, dass Criminal-Compliance-Konzepte nur dann normkonformes Verhalten ernsthaft anstreben können, wenn es gelingt, eine umfassende Antizipation von allen strafrechtlich relevanten Sachverhalten im Unternehmen bzw. Unternehmensverband vorzunehmen. Diejenigen Präventionskonzepte, die einzig und allein darauf ausgerichtet sind deliktische Handlungen von Unternehmensmitarbeitern (sog. Berufs­ kriminalität) und Externen zulasten des Unternehmens zu unterbinden (z. B. Diebstahl am Arbeitsplatz § 242 StGB oder Verrat von Geschäfts- und ­Betriebsgeheimnissen im Sinne des § 17 UWG), werden den Anforderungen einer gerichtsfesten Unternehmensorganisation im Sinne der §§ 30, 130 OWiG nicht gerecht.411 Die unternehmerischen Compliance-Strukturen müssen unbedingt berücksichtigen, dass gerade das eigene Unternehmen insbesondere bei internationaler Betätigung und den damit zunehmenden Tatgelegenheiten eine „Gefahrenquelle“412 darstellt, nämlich dass finanziell unternehmensnützliche und betriebsbezogene Zuwiderhandlungen begangen werden, die zuvörderst (externe) Dritte schädigen. Empirisch hat sich dies auch in Unternehmensbefragungen gezeigt. Im Jahre 2011 stammte jeder zweite Täter aus dem eigenen Unternehmen, 2013 waren es sogar 62 % der Täter.413

II. Rechtliche Verpflichtungzur Einrichtung einer Criminal-Compliance-Organisation? Nachdem nun in einem ersten Schritt geklärt wurde, was unter dem Begriff Criminal-Compliance verstanden wird, soll nachfolgend ein kursorischer Überblick über einzelne Compliance-Regelungen erfolgen. Danach soll untersucht werden, ob nach deutschem Recht eine Pflicht zur Einrichtung einer konkreten Criminal-Compliance-Organisation besteht. Dabei ist stringent zwischen spezialgesetzlichen Regelungen, die für einzelne Wirtschaftsbereiche gelten und einer allgemeinen rechtlichen Verpflichtung zur Errichtung einer Compliance-Organisation zu unterscheiden.

Schröder, KapitalmarktsstrafR, Rn. 1022. KapitalmarktsstrafR, Rn. 1022. 413  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 80. 411  Vgl.

412  Schröder,

106

C. Compliance im Allgemeinen

1. Dezidierte Pflicht zur Einrichtung einer Criminal-Compliance Organisation? a) Bisheriger Forschungsstand Die wohl herrschende Auffassung in der bisherigen Forschung geht davon aus, dass die Leitungsebene eines Unternehmens keine rechtliche Pflicht trifft, ein Compliance-System einzuführen.414 Dennoch ist eine Tendenz dahin gehend zu verzeichnen, dass sich die Stimmen mehren, die allgemein eine solche Verpflichtung annehmen und damit Maßnahmen innerhalb des Unternehmens zu treffen sind, die die Rechtstreue zumindest fördern sollen.415 Eine solche Verpflichtung der Leitungsebene zur Einrichtung einer Compliance-Organisation wird dabei auf verschiedene gesetzliche Regelungen aus den unterschiedlichsten Rechtsgebieten gestützt. Als Rechtsgrundlage für eine allgemeine Compliance-Pflicht werden Analogien zu spezial­ gesetzlichen Compliance-Normen (z. B. § 80 WpHG neue Fassung, vormals § 33 WpHG bzw. § 25a KWG)416, gesellschaftsrechtliche Normen (z. B. §§ 76, 93 AktG)417 oder auch nebenstrafrechtliche Normen (z. B. § 130 OWiG)418 herangezogen. Andere Vertreter wiederum wollen keine ausdrück414  Vgl. nur Hauschka, in: Hauschka, § 1 Rn. 23; ders., ZIP 2004, 877; Kort, NZG 2008, 81 (84); Michalke, StV 2011, 245 (246); Wilhelm, ZRFC 2013, 133 (135); Gößwein / Hohmann, BB 2011, 963 f.; Thüsing, Compliance, § 2 Rn. 47; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 104 f; ders., in: Sanktionsdurchgriff, 99 (109 ff.); Stanitzek, Criminal Compliance, 44; Theile, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 77 f.; Theile, wistra 2010, 457 (459 f.); Fateh-Moghadam, in: Das Wirtschaftsstrafrecht des StGB, 25 (28); Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 87 Rn. 50. 415  U.-H. Schneider / Buttlar, ZIP 2004, 1621 (1622); U.-H. Schneider, NZG 2009, 1321 (1322 f.); Fleischer, NZG 2004, 1129 (1131); Fleischer, CCZ 2008, 1 (2); Campos Nave / Bonenberger, BB 2008, 734; J. Koch, WM 2009, 1013, 1116; Bürkle, BB 2005, 565 (569); Bock, ZIS 2009, 68 (70); ders., wistra 2011, 201 (205); ders., Criminal Compliance, 571; von Busekist / Hein, CCZ 2012, 41 (43); Grundmeier, Rechtspflicht, 23 ff.; Timmerbeil / Reinhard, KonzernR, 80 Rn. 261 f., die sogar aus §§ 9, 130 OWiG eine konzernweite Compliance-Pflicht herleiten. Etwas zurückhaltender Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 54 Rn. 68. 416  So U.-H. Schneider, ZIP 2003, 645 (648 f.); ders., NZG 2009, 1321 (1322 f.); Passarge, DStR 2010, 1675 (1676). 417  Fleischer, CCZ 2008, 1 (2 f.); ders., BB 2008, 1070 (1072); Rieder / Jerg, CCZ 2010, 201 (201); Passarge, DStR 2010, 1675 (1676). 418  Bock, ZIS 2009, 68 (68 ff.); ders., in: Compliance und Strafrecht, 57 (69); Moosmayer, Compliance, Rn. 10; Saliger, RW 2013, 263 (275), spricht von einer indirekten bzw. unvollkommenen Pflicht zu Compliance; wohl auch Rathgeber, Crim­inal Compliance, 305 f. Kritisch Abendroth, Corporate Governance, 302 f. und Hauschka, in: Hauschka, § 1 Rn. 23.



II. Rechtliche Verpflichtung107

liche und ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Compliance-Pflicht im deutschen Recht vorfinden. Sie gehen jedoch – aus der Perspektive der Unternehmen – von einer faktischen Verpflichtung aus, entsprechende Rechtstreue durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, schon aufgrund der enormen strafrechtlichen Ahndungsrisiken, die es für diese zu vermeiden gilt.419 Inwieweit diese Begründungsansätze, die unterschiedlicher kaum sein könnten, eine Compliance-Pflicht statuieren oder auch nicht, soll nachfolgend untersucht werden. b) Stellungnahme Die vorhergehenden Ausführungen haben gezeigt, dass derzeit mehrheitlich noch keine dezidierte Compliance-Organisationspflicht angenommen wird. Dieser Standpunkt soll kritisch hinterfragt werden. Es wird daher zuerst nach den rechtlichen Rahmenbedingungen d. h. nach Rechtsquellen für Criminal-Compliance im geltenden deutschen Recht gesucht. Die entscheidende Frage ist also, wo lassen sich Normen finden, die Unternehmen bzw. dem Leitungspersonal im organisatorischen Sinne zumindest einzelne Pflichten hinsichtlich zu treffender Kontroll- und Präventionsmaßnahmen auferlegen? Gesucht wird aber nicht nach einer Rechtsgrundlage für Compliance im weiteren Sinn, sondern eine solche für Criminal-Compliance, deren primäre Aufgabe darin bestehen soll, strafrechtliche Normbefolgung im Unternehmen zu gewährleisten. Ausgehend von dieser Prämisse lassen sich diejenigen Begründungsansätze, die gesellschaftsrechtliche Normen für eine Criminal-CompliancePflicht heranziehen wollen, nicht überzeugend nutzbar machen. Einzelne Compliance-Aspekte können auch aus den §§ 76, 91, 93 AktG abgeleitet werden, z. B. die Verortung der Sicherstellung von Rechtstreue auf der Leitungsebene. Diese gesellschaftsrechtlichen Regelungen betreffen aber nicht ausschließlich und auch nicht überwiegend den Gegenstand, den sich Criminal-Compliance verschrieben hat, nämlich den der Sicherstellung der Einhaltung von strafrechtlichen Ge- und Verboten. Einzelne organisatorische Maßnahmen, die gesellschaftsrechtlich der Leitungsebene abverlangt werden, betreffen zum einen das Innenverhältnis zur Gesellschaft420 und zum anderen dienen sie überwiegend der Sicherstellung rechtmäßigen Verhaltens in zivil419  In diesem Sinne Rodewald / Unger, BB 2007, 1629; Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 68 Rn. 14; Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweis­ gebersysteme, 54 f. Rn.69; Stanitzek, Criminal Compliance, 44 f.; wohl auch Gößwein / Hohmann, BB 2011, 963 (964). 420  Grundmeier, Rechtspflicht, 31 f.; J. Koch WM 2009, 1013 (1013 und 1015); Petermann, Compliance-Maßnahmen, 85.

108

C. Compliance im Allgemeinen

rechtlicher Hinsicht. Die Einhaltung zivilrechtlicher Gesetze und Verträge und die damit einhergehende Abwendung zivilrechtlicher Haftungsrisiken sollen gerade nicht in den Blickwinkel der Betrachtung genommen werden. Aufgrund der vorgenannten Ausführungen können die gesellschaftsrecht­ lichen Regelungen aus dem AktG, auch wenn sie sinnmäßig auf andere Gesellschaftsformen angewendet werden könnten421, nicht als Rechtsgrundlage für eine generelle Criminal-Compliance-Pflicht fungieren. Damit würde der gewollten thematischen Konzentrierung von Criminal-Compliance auf den straf- und nebenstrafrechtlichen Bereich nicht Rechnung getragen. Einzelne spezialgesetzliche Regelungen, die die Einführung einer Compliance-Organisation oder einzelner Compliance-Maßnahmen vorschreiben, können ebenfalls nicht nutzbar gemacht werden eine generelle Verpflichtung zu begründen. § 25a Abs. 1 KWG bzw. § 80 Abs. 1 S. 1 WpHG schreiben eben nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen in organisatorischer Hinsicht vor bestimmte Aufsichts-, Kontroll- und Compliance-Maßnahmen zu ergreifen. Gleiches gilt für Organisationspflichten nach §§ 4 ff. GwG, die nur bestimmte Verpflichtete422 des Geldwäschegesetzes (GwG) erfüllen müssen. Diese gesetzlichen Regelungen besitzen alle branchenspezifischen Charakter und können daher nicht verallgemeinernd organisatorische Anforderungen statuieren.423 Im Nachgang wird aufgezeigt, dass sich durchaus noch geeignetere Rechtsquellen für Criminal-Compliance finden lassen. Im Strafgesetzbuch, das ohnehin als Individualstrafrecht ausgestaltet ist, lassen sich keine Normen finden, die dem Unternehmensinhaber oder einer für das Unternehmen handelnden Leitungsperson organisatorische Pflichten auferlegen. Aussichtsreicher erscheint daher ein Blick in das Ordnungswidrigkeitenrecht, das zudem in § 30 OWiG die Möglichkeit eröffnet, den Unternehmensträger selbst zu sanktionieren. § 30 Abs. 1 OWiG spricht aber nur von „Pflichten, welche die juristische Person oder Personenvereinigung treffen“ und konkretisiert diese Pflichten nicht weiter. Daher soll der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 Abs. 1 OWiG, der ohnehin als Anknüpfungstat424 für eine Sanktionierung des Unternehmensträgers fungieren kann, in den Mittelpunkt der weiteren Betrachtung rücken. Tatbestandlich fordert § 130 Abs. 1 OWiG vom Unternehmensinhaber grundsätzlich diejenigen Aufsichtsmaßnahmen, die erforderlich sind, um im Unternehmen betriebsbezogene Zuwiderhandlungen zu verhindern. Fraglich ist, ob sich daraus eine generelle Verpflichtung zur Schaffung einer CriminalCompliance-Organisation ableiten lässt. dazu Moosmayer, Compliance, Rn. 10. dazu § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 16 GwG. 423  Bürkle, BB 2005, 565 (567). 424  Vgl. Gliederungspunkt: B. II. 4. b) und c). 421  Kritisch 422  Vgl.



II. Rechtliche Verpflichtung109

Gegen eine solche Verpflichtung spricht zunächst einmal nicht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 130 OWiG lediglich von „Aufsichtsmaßnahmen“ gesprochen hat, d. h. das Gesetz die Begrifflichkeit „CriminalCompliance“ oder „Compliance-Maßnahmen“ nicht verwendet. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass sich sämtliche Aufsichtsmaßnahmen heute im rechtlich-organisatorischen Sinne als Teil von Criminal-Compliance verstehen lassen und eine zentrale Bedeutung für die strafrechtliche Normbefolgung im Unternehmenskontext spielen.425 Auch der Einwand, dass Criminal-Compliance und der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG unterschiedliche Wirk- und Zweckrichtungen verfolgen sollen426, lässt sich nicht durchgreifend gegen eine allgemeine Criminal-Compliance-Pflicht anführen. Compliance soll – so der Einwand – vordergründig der im Interesse des Unternehmens stehenden Abwendung einer strafrechtlichen Ahndung und nur mittelbar dem Rechtsgüterschutz Dritter dienen.427 Dieses Argument hat seinen Ursprung in den unterschiedlichen Sichtweisen auf Criminal-Compliance. Aus der unternehmerischen Perspektive betrachtet, sollen Criminal-Compliance-Konzepte Instrumente zur Vermeidung einer strafrechtlichen Ahndung428 sein. Danach ist das wirtschaftliche Unternehmensinteresse auf den ersten Blick die entscheidende Determinante. Nimmt man jedoch einen strafrechtsorientierten Blick – der dieser Bearbeitung zugrunde liegt – auf Criminal-Compliance ein und klammert damit den Aspekt der Ahndungsvermeidung infolge von Vertuschung durch Unternehmen429 einmal aus, so ist eine solche nur noch durch die Einhaltung sämtlicher strafrechtlicher Ge- und Verbote für Unternehmen realisierbar. Mit dem unternehmerischen Streben nach strafrechtlicher Ahndungsvermeidung durch Gewährleistung von Normkonformität geht notwendigerweise damit auch der Schutz von Rechtsgütern Dritter einher. Aus welchen einzelnen Interessen und Motivationslagen (z. B. Strafvermeidung und damit Gewinnmaximierung) heraus die Einhaltung der strafrechtlicher Gesetze durch Unternehmen selbst erfolgen, ist für den Gesetzgeber von nachgeordneter Bedeutung. Wichtig ist nur, dass damit ein Beitrag zum Rechtsgüterschutz geleistet wurde. Das im Unternehmensinteresse stehende Ziel der 425  Ähnlich Petermann, Compliance-Maßnahmen, 95, der von „Berührungspunkten zwischen § 130 OWiG und Compliance-Maßnahmen“ spricht sowie Achenbach, in: Unternehmensstrafrecht, 271 (274), der von einer „weitgehende[n] Überdeckung“ ausgeht. 426  So Wilhelm, ZRFC 2013, 133 f. 427  Wilhelm, ZRFC 2013, 133 f. m. w. N. 428  Zur Begriffsbestimmung von Criminal-Compliance aus den unterschiedlichen Perspektiven, vgl. Gliederungspunkt: C. I. 2. 429  Es wird keineswegs bestritten, dass es diese in der unternehmerischen Praxis nicht gibt.

110

C. Compliance im Allgemeinen

Vermeidung einer strafrechtlichen Ahndung lässt sich aus diesem Blickwinkel nicht losgelöst vom Schutz Rechtsgüter Dritter verfolgen. Des Weiteren steht einer solchen Rechtspflicht prinzipiell nicht entgegen, dass es sich bei § 130 OWiG um eine „nur“ nebenstrafrechtliche Norm handelt.430 Der Unterschied zwischen dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ist ohnehin nach herrschender Auffassung nur noch ein quantitativer.431 Der Gesetzgeber hätte problemlos eine dem § 130 OWiG entsprechende Norm im StGB statuieren können. Die 8. GWB-Novelle hat zudem deutlich gemacht, dass kein Wesensunterschied mehr zwischen Kernstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht besteht. Infolgedessen ist es zu erheblichen Verschärfungen des Ordnungswidrigkeitenrechts gekommen. Verbandsgeldbußen bei vorsätzlichen Straftaten von Leitungspersonen können nun mit bis zu 10 Mio. Euro geahndet werden, vgl. § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG. Für die Fallkonstellation einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG, in deren Folge es zu einer Straftat gekommen ist, gilt wegen §§ 130 Abs. 3 S. 2, 30 Abs. 2 S. 3 OWiG das Gleiche. Damit dürfte zwischen Kernstrafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht nur noch ein sehr geringer gradueller Unterschied bestehen. Das entscheidende Argument gegen eine allgemeine Pflicht zum Aufbau einer Criminal-Compliance-Organisation ist stattdessen, dass § 130 OWiG nur in Abhängigkeit von den konkreten betrieblichen Umständen d. h. im Einzelfall die Ergreifung von Aufsichtsmaßnahmen und damit der Schaffung einer Compliance-Organisation vorsieht. Man kann daher sagen, dass nicht für alle Unternehmensinhaber bzw. über § 9 OWiG gleichgestellten natürlichen Personen eine „jederzeit durchsetzbare Verpflichtung zur [Criminal-] Compliance“432 besteht. Zutreffend ist auch der Einwand, dass die – oben genannten – bereichsspezifischen Compliance-Verpflichtungen im Sinne des § 25a KWG bzw. § 80 Abs. 1 WpHG gerade zeigen, dass im Allgemeinen eine solche Verpflichtung nicht bestehen kann.433 Ergänzend lässt sich gegen eine solche Pflicht auch der allgemeine Vertrauensgrundsatz anführen, d. h. der Geschäftsherr darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass sich Unternehmensmitarbeiter im Rahmen der Gesetze bewegen. Gleichwohl kann sich eine solche Verpflichtung für einige Unternehmensinhaber aufgrund besonderer betrieblicher Umstände (z. B. vermehrte Verstöße in der Vergangenheit bzw. neue riskante Betätigungsfelder oder Produkte) ergeben. Die Verpflichtung erfasst in diesen Fällen dann alle mögli430  So aber Lösler, Compliance, 132, bezüglich Compliance im Bereich des Wertpapierrechts. 431  Hirsch, ZStW 1995, 285 (290) und wohl auch Achenbach, ZIS 2012, 178 (180). 432  Stanitzek, Criminal Compliance, 32. 433  Rotsch, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 68 Rn. 14.



III. Empirische Erkenntnisse zur Verbreitung von Criminal-Compliance 111

chen, erforderlichen und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen zur Verhinderung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen.434 In einem ersten Zwischenergebnis lässt sich daher festhalten, dass keine dezidierte Pflicht zur Errichtung einer Compliance-Organisation besteht. Das Entschließungsermessen der Unternehmensleitung hinsichtlich dem „Ob“ von Compliance-Vorkehrungen kann jedoch im Einzelfall aufgrund besonderer betrieblicher Umstände reduziert sein und sich somit zu einer Rechtspflicht verdichten. Im Weiteren sei vorab schon darauf hingewiesen, dass sofern eine solche Verpflichtung im Einzelfall besteht, auch das Auswahlermessen der Unternehmensleitung hinsichtlich einzelner konkret zutreffender ComplianceMaßnahmen durch die Rechtsprechung eingeschränkt sein kann.435 2. Fazit Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass keine generelle Pflicht des Unternehmensinhabers zum Aufbau einer Criminal-Compliance-Organisation besteht. Weder gesellschaftsrechtliche noch bereichsspezifische Organisa­ tionsnormen sind tauglich eine solche Rechtspflicht zu begründen. Einzig aus § 130 Abs. 1 OWiG kann sich im Einzelfall für den Unternehmensinhaber bzw. über § 9 OWiG gleichgestellte Leitungspersonen eine Rechtspflicht zur Ergreifung von Aufsichts- und damit Criminal-Compliance-Maßnahmen ergeben. § 130 Abs. 1 OWiG fordert vom Betriebsinhaber

III. Empirische Erkenntnisse zur Verbreitung von Criminal-Compliance Nachdem erörtert wurde, was unter dem Begriff „Criminal-Compliance“ verstanden wird und verdeutlicht wurde, dass keine generelle Rechtspflicht zum Aufbau einer Compliance-Organisation besteht, soll nun ein empirischer Überblick über die Compliance-Entwicklung in Deutschland gegeben werden. 1. Aktuelle Entwicklung Über das Thema „Compliance“ bzw. „Criminal-Compliance“ wird in der Fachpresse und der allgemeinen Presse ausgiebig berichtet. Man kann daher leicht den Eindruck gewinnen, dass Compliance-Programme eine gewichtige Rolle in der Unternehmenspraxis spielen. Im Mittelpunkt der weiteren Bear434  Bock, Criminal Compliance, 458 f. jedoch von einer generellen Verpflichtung zu Errichtung einer Compliance-Organisation ausgehend. 435  Vgl. Gliederungspunkt: D. III. b) bb) (2) (b).

112

C. Compliance im Allgemeinen

beitung soll nun die Auswertung empirischer Daten zum Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen in der deutschen Wirtschaft stehen. Die PriceWaterhouseCoopers Studie zur „Wirtschaftskriminalität in der analogen und digitalen Wirtschaft 2016“, bei der 720 deutsche Unternehmen interviewt wurden, hat festgestellt, dass im Jahr 2015 76 % der Befragten an einem Compliance-Programm fest hielten.436 In den Jahren 2013 bzw. 2011 hatten von den 601 bzw. 830 deutschen Unternehmen rund 74 % bzw. 52 % ein Compliance-Programm implementiert.437 2007 verfügten lediglich 41 % der Befragten über ein solches Programm. Im Jahr 2009 waren es immerhin schon 44 % der 500 deutschen Großunternehmen, die ein Compliance-Programm implementiert hatten.438 Die vorgenannten Zahlen belegen eindeutig eine quantitative Zunahme von Compliance-Programmen in deutschen Unternehmen. Es ist daher nicht übertrieben, wenn man sagt, dass ComplianceProgramme einen kometenartigen Aufstieg hinter sich haben. Eine Aussage über die Qualität des Compliance-Programms lässt sich daraus aber nicht ableiten. Die nachfolgende Grafik zeigt die Compliance-Entwicklung im Zeitraum von 2007 bis 2015. Eine zweite Frage ist es schließlich, ob die unternehmerischen Compliance-Programme auch die (betriebsbezogen) Deliktsbereiche der Korruption439 bzw. des Kartellrechts abdecken. 2015

76 %

2013

74 %

2011

52 %

2009

44 %

2007

41 % 0

20

40

60

80

100

Quelle: PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 26; dies., Wirtschaftskriminalität in der analogen und digitalen Wirtschaft 2016, 54.

Abbildung 2: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen insgesamt

436  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale bzw. PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität in der analogen und digitalen Wirtschaft 2016, 54. 437  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale bzw. PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 26. 438  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale bzw. PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2011, 40. 439  Mit Ausnahme von § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB.



III. Empirische Erkenntnisse zur Verbreitung von Criminal-Compliance 113 21 %

2015

Keine Ausrichtung auf Korruption

79 % 48 % 52 %

2013 0

20

40

60

Korruptionsrechtliches Compliance-Programm 80

100

Quelle: PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 26; dies., Wirtschaftskriminalität in der analogen und digitalen Wirtschaft 2016, 54.

Abbildung 3: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung

Bezieht man in die Betrachtung mit ein, ob das unternehmerische Compliance-Programm440 den Deliktsbereich der Korruption mit abdeckt, so ergibt sich schon ein leicht verändertes Bild. In der besagten Studie von 2013 gaben lediglich 52 % der Unternehmen an, über eine solche korruptionsrechtliche Ausrichtung ihres Compliance-Programms zu verfügen.441 Damit schneiden sich 21 % der Befragten, die über kein korruptionsrechtliches Compliance-Programm verfügen, pauschal die Möglichkeit ab, dass dieses bei der Sanktionierung einer Korruptionsstraftat nach deutschem Recht berücksichtigt wird. Weder bei einer bußgeldrechtlichen Sanktionierung des Unternehmensträgers nach § 30 Abs. 1 bzw. 4 OWiG noch bei der einer Leitungsperson nach § 130 Abs. 1 OWiG kann ein solches ComplianceProgramm im Falle einer Korruptionsstraftat berücksichtigt werden. Betrachtet man den Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung von denjenigen deutschen Unternehmen, die auch potenziell den Anwendungsbereichen des FCPA und / oder dem UK Bribery Act unterliegen in Abhängigkeit zu den Mitarbeiterzahlen, so ergibt sich folgendes Bild in Abbildung 4. Von den 310 deutschen Unternehmen, die potenziell dem Anwendungsbereich des FCPA und / oder dem UK Bribery Act unterliegen, verfügten über 83 % formal gesehen über ein Compliance-Programm. Doch lediglich knapp zwei Drittel d. h. 63 % der Unternehmen hatten auch eine korruptionsrecht­ liche Ausrichtung desselben.442 Den anderen 37 % der Unternehmen ist damit eine Exkulpation bzw. Berücksichtigung bei der Strafzumessung im Falle einer Korruptionsstraftat von vornherein verwehrt. Einen genügenden Anreiz für Unternehmen bzw. die 440  Oder

Antikorruptionsprogramm. des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale. 442  Berechnungen des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale. 441  Berechnungen

114

C. Compliance im Allgemeinen Unternehmen, die dem FCPA und/oder UK Bribery Act unterliegen und über ein korruptionsrechtliches Compliance-Programm …

63 %

mehr als 10000 Mitarbeiter

85 %

5000 bis 10000 Mitarbeiter

71 %

1000 bis 4999 Mitarbeiter

58 %

500 bis 999 Mitarbeiter

35 % 0

20

40

60

80

100

Quelle: PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 38.

Abbildung 4: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung von Unternehmen im Anwendungsbereich des FCPA und / oder UK Bribery Act

Unternehmensleitung organisatorische Maßnahmen zur Prävention von Korruption zu ergreifen, sollte die vollständige Exkulpationsmöglichkeit des § 7 (2) UK Bribery Act bzw. die Möglichkeit der Berücksichtigung bei der Strafzumessung durch § 8 C2.5f der United States Federal Sentencing Guidelines eigentlich bieten. Zumal diese „Exkulpationsmöglichkeiten“ nicht nur auf dem Papier existieren, sondern auch in der strafgerichtlichen Praxis Anwendung finden. So wurde beispielsweise im April 2012 kein Strafverfahren gegen eine amerikanische Investmentbank eingeleitet, obwohl es durch deren Vorstand zu erheblichen Bestechungszahlungen im Umfang von mehr als 5 Mio. US-Dollar im Rahmen von Immobiliengeschäften in China kam. Die Nichteinleitung eines Strafverfahrens durch das US-Justizministerium (Department of Justice – DOJ) bzw. der US-Börsenaufsicht (Securities and Exchange Commission – SEC) ist darauf zurückzuführen, dass durch die Investmentbank ein effektives korruptionsrechtliches Ethik- und ComplianceProgramm implementiert hatte.443 Das doch eher geringe tatsächliche Vorkommen von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung bei denjenigen deutschen Unternehmen, die potenziell dem Anwendungsbereich des FCPA und / oder dem UK Bribery Act unterliegen, verwundert angesichts der enormen strafrecht­ lichen Ahndungsrisiken, die drohen können. § 7 (1) UK Bribery Act stellt allein das Unterlassen von korruptionsrechtlichen Aufsichtsmaßnahmen unter 443  Dazu

ausführlich Grützner / Behr, CCZ 2013, 71 ff.



III. Empirische Erkenntnisse zur Verbreitung von Criminal-Compliance 115

Strafe, wenn eine mit dem Unternehmen assoziierte Person eine Bestechungstat begeht. Auf der Rechtsfolgenseite können britische Gerichte gemäß § 11 (3) UK Bribery Act gegen Unternehmen deshalb Geldstrafen in unbegrenzter Höhe festsetzen. Trotz einer wachsenden Anzahl von Fachpublikationen zu den extraterritorialen Anwendungsbereichen des FCPA bzw. UK Bribery Act444 und der damit einhergehenden Aufklärung über korruptionsrechtliche Verbote und drohenden strafrechtlichen Risiken, besteht ein noch erheblicher Nachholbedarf für unternehmerische Compliance-Konzepte im Bereich Korruptionsbekämpfung. Die Risikoanalyse deutscher Unternehmen muss sich daher am FCPA bzw. UK Bribery Act und deren Richtlinien orientieren und anhand dieser die bestehende Compliance-Konzeption anpassen und überarbeiten. Auffällig ist ebenfalls – wie die obenstehende Grafik zeigt –, dass mit zunehmender Mitarbeiterzahl der Verbreitungsgrad von korruptionsrecht­lichen Compliance-Programmen erheblich zunimmt. Lediglich 35 % der deut­schen Unternehmen, die potenziell dem Anwendungsbereich des FCPA und / oder UK Bribery Act unterliegen und über 500 bis 999 Mitarbeiter verfügten, hatten ein korruptionsrechtliches Compliance-Programm implementiert. Bei den Großunternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitern, die ebenfalls potenziell in den Anwendungsbereich eines oder beider ausländischer Anti-Korruptionsgesetze fallen, zeigte sich ein wesentlich höheres Verbreitungsniveau. Dort hatten 85 % der Unternehmen ein korruptionsrechtliches Compliance-Programm etabliert.445 Ein Compliance-Management-System bezüglich Korruption zu implementieren, ist auch für kleinere und mittelgroße Unternehmen von rechtlichen als auch wirtschaftlichen Nutzen, vor allem wenn sie vom „langen Arm“446 des FCPA und UK Bribery Act erfasst werden. Man kann sagen, dass der Entwicklungsprozess d. h. die zunehmende Verbreitung von Criminal Compliance-Programmen „top-down“ verläuft.447 In der Praxis werden die regulatorischen Maßnahmen, die vom FCPA bzw. UK Bribery Act bzw. deren Richtlinien ausgehen, am ehesten von größeren Unternehmen umgesetzt. Nachfolgend widmen wir uns sich dem Verbreitungsgrad kartellrechtlicher Compliance-Programme in deutschen Unternehmen. In der aktuellen PwC Studie zu Wirtschaftskriminalität verfügten von den 600 befragten Unterneh444  Teicke / Mohsseni; BB 2012, 911 ff.; Grau / Meshulam / Blechschmidt, BB 2010, 652 ff.; Haag, ReWir 2012, 1 ff.; Schwarz, CCZ 2011, 59 ff.; Kappel / Ehling, BB 2011, 2115 ff.; Klengel / Dymek, HRRS 2011, 22 ff.; Walther / Zimmer, RIW 2011, 199 (200); Scheint, NJW-Spezial 2011, 440 ff.; Deister / Geier, CCZ 2011, 12. 445  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 38. 446  Grau / Meshulam / Blechschmidt, BB 2010, 652. 447  Dazu ausführlich Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (63).

116

C. Compliance im Allgemeinen 44 %

2015 2013 20

40

kartellrechtliches Compliance-Programm

71 %

29 % 0

keine Ausrichtung auf Kartelldelikte

55 %

60

80

100

Quelle: Eigene Darstellung anhand PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 62.

Abbildung 5: Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit kartellrechtlicher Ausrichtung

men gerade einmal 29 % über ein kartellrechtliches Compliance-Programm. Die große Mehrheit von 71 % der Unternehmen hat diesen Deliktsbereich aus ihrer unternehmerischen Compliance-Konzeption derzeitig noch ausgeklammert. Die Compliance-Entwicklung im Bereich der Kartelldelikte steckt daher noch in den Kinderschuhen, der Verbreitungsgrad von korruptionsrecht­ lichen Compliance-Programmen liegt auf einem wesentlich höheren Niveau.448 Für das Jahr 2015 ist ein positiver Trend zu verzeichnen, denn es hatten bereits 55 % der befragten Unternehmen ein Compliance-Programm mit kartellrechtlicher Ausrichtung implementiert.449 Auf die Verbreitung der einzelnen Compliance- bzw. Aufsichtsmaßnahmen im kartellrechtlichen Deliktsbereich (z. B. kartellrechtliche Schulungen) wird im Rahmen der empirischen Erkenntnisse zu § 130 OWiG eingegangen.450 Die Gewährleistung der kartellrechtlichen Pflichten durch die Unternehmensleitung ist ein komplexes Unterfangen. Ohne jedwede unternehmerische Vorkehrungen in Bezug auf Kartelldelikte bestehen erhöhte Risiken, dass es zu strafbaren Verhalten im Unternehmen kommt, sei es aus Kontroll- oder Prozessdefiziten heraus oder aus Unkenntnis der Mitarbeiter, was nach deutschen bzw. europäischen Kartellrecht als erlaubt bzw. verboten gilt. Bedenkt man zudem noch, dass selbst der Informationsaustausch zwischen Unternehmen nicht selten in kartellrechtlicher Hinsicht relevant sein kann, wird die ganze Komplexität der Sicherstellung rechtmäßigen Verhaltens deutlich. Des Weiteren schneiden sich diejenigen Unternehmen, die über kein kartellrechtliches Compliance-Programm verfügen die Chance ab, dass dieses im Rahmen der deutschen Bußgeldbemessung z. B. nach § 30, 130 OWiG mildernd berücksichtigt werden kann.

448  PwC / Bussmann,

Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 62. des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale. 450  Vgl. Gliederungspunkt: D. III. b) bb) (2) (c) (bb). 449  Berechnungen



IV. Die Funktion von Criminal-Compliance117

2. Fazit Erfreulich ist, dass Unternehmen immer mehr auf Criminal-ComplianceProgramme setzen, um damit normgemäßes Verhalten zu gewährleisten. Die genannten Zahlen belegen, dass korruptionsrechtliche Compliance-Programm schon zum verbreiteten Standard in der Unternehmenspraxis gehören. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Verbreitung von unternehmerischen Compliance-Konzepten auch weiterhin zunehmen wird. Jedoch müssen auch hier zwei Dinge dringend berücksichtigt werden: Zum einen sagt die zunehmende Verbreitung von Compliance-Programmen noch nichts über die Qualität dieser unternehmerischen Konzepte aus. Zum anderen besteht hinsichtlich der strukturellen Ausrichtung von ComplianceProgrammen noch erheblicher Nachholbedarf. Auch wenn keine dezidierte Rechtspflicht zum Aufbau einer Criminal-Compliance-Organisation besteht, so muss die Unternehmensleitung im Einzelfall prüfen, ob korruptionsrechtliche, kartellrechtliche, kapitalmarktrechtliche oder andere strafrechtliche Risiken bestehen. Eine bloße strukturelle Ausrichtung auf Delikte, die sich gegen das Unternehmen richten oder auf den Deliktsbereich der Korruption wird keinesfalls genügen, um umfassend Normkonformität anzustreben und damit auch strafrechtliche Ahndungsrisiken zu vermeiden. Das hat eindeutig der Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrecht­ licher und kartellrechtlicher Ausrichtung gezeigt. Der Aufwand in personeller, sachlicher und finanzieller Hinsicht, der mit der Implementierung von Compliance-Programmen einhergeht, wird nur dann Früchte tragen können, wenn diese Vorkehrungen auch auf die Risiken ausgerichtet werden, die von und aus dem jeweiligen Unternehmen drohen. Es liegt auf der Hand, dass die Rechtsprechung und die allgemeinen Verwaltungsbehörden bei der Untersuchung von Korruptions- oder Kartelldelikten Compliance-Programme im Rahmen der Straf- bzw. Bußgeldbemessung kaum berücksichtigen werden, wenn diese keine solche strukturelle Ausrichtung aufweisen.

IV. Die Funktion von Criminal-Compliance In der wissenschaftlichen Forschung hat sich zunehmend das Verständnis durchgesetzt, dass (Criminal-)Compliance als eine Art „Selbstregulierung“451 bzw. „regulierte Selbstregulierung“452 aufgefasst werden kann. 451  Von Selbstregulierung sprechen: Bussmann, MschrKrim 2003, 89 (101); ders., in: FS Achenbach, 57 (66); Rönnau, in: FS Schmidt, 237 (241 ff.); Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (460 ff.); Theile, in: Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, 77 (80); ders., wistra 2010, 457 (457 und 460); ders., wistra 2012, 285; Lüderssen, in: FS Amelung, 67 (76); Rau, Compliance, 39; Kuhlen, in: Compliance

118

C. Compliance im Allgemeinen

Diese Erkenntnis lässt sich noch weiter präzisieren. Mit dem Begriffen „Selbstregulierung“ bzw. „regulierte Selbstregulierung“ ist weniger der Prozess der Normgenese durch Unternehmen gemeint als die größtenteils autonome Normdurchsetzung mittels verschiedenster organisatorischer Maßnahmen (z. B. Schulungen, Hinweisgebersystemen, Kontrollen etc.) durch die Unternehmensleitung.453 Eine unternehmenseigene Normgenese kann es nichtsdestotrotz in Form von Unternehmensrichtlinien (vor allem im Deliktsbereich der Korruption) daneben ebenfalls geben, auch wenn dies als „nachrangiger Nebenaspekt“454 von Criminal-Compliance bezeichnet wird. Die inhaltliche Ausgestaltung der Compliance-Programme d. h. insbesondere das „Wie“ der Normdurchsetzung erfolgt zwar weitestgehend freihändig durch die Unternehmen, jedoch gehen die Compliance-Aktivitäten insgesamt auf Initiativen des Gesetzgebers zurück.455 Zum einen existieren offene bzw. ausfüllungsbedürftige rechtliche Regelungen (§ 130 OWiG) und zum anderen wurden durch die Legislative bereichsspezifische Vorgaben (z. B. § 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 2 KWG und § 80 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 WpHG) gemacht, die jeweils zudem sanktionsbewehrt sind. Ein weiterer Aspekt ist diesbezüglich zu bedenken: Normen des Nebenstrafrechts (z. B. § 130 OWiG) räumen Unternehmen Freiräume für eigene kriminalpräventive Maßnahmen ein, doch kann es unter Umständen zu massiven Einschränkungen dieser Freiräume infolge von konkretisierender Rechtsprechung456 oder konkreterer internationaler Vorgaben kommen. Bezüglich des letzteren Punktes ist im Allgemeinen an den Deliktsbereich der Korruption und im Besonderen an den FCPA bzw. UK Bribery Act 2010 und deren Richtlinien457 zu denken. Aber auch in anderen Deliktsbereichen kann es zu erheblichen Einschränkungen hinsichtlich zu treffender organisatorischer Maßnahmen kommen. Des Weiteren rückt durch Criminal-Compliance eine zweite d. h. nicht staatliche Kontroll- und Sozialisationsinstanz immer stärker in den Fokus, und Strafrecht, 1 (17 ff); Engelhart, RW 2013, 208 (211); Saliger, RW 2013, 263 (283 f.); Bock, ZIS 2009, 68 (77); ders., Criminal Compliance, 222 ff.; Pape, Corporate Compliance, 137 ff. 452  Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (460 ff.); Kölbel, ZStW 2013, 499 (507). Wobei sich letzterer explizit gegen den Begriff der Selbstregulierung und für den Terminus der „privaten vorbeugenden Strafnormdurchsetzung“ stark macht, vgl. Kölbel, MschrKrim 2008, 22 (31); ders., ZStW 2013, 499 (508 ff.). 453  Zutreffend Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (66 f.); Kölbel, ZStW 2013, 499 (507 ff.). 454  Kölbel, ZStW 2013, 499 (508). 455  Kölbel, ZStW 2013, 499 (509 f.). 456  Vgl. Gliederungspunkt D. III. 1. b) bb) (2) (b). 457  Vgl. Gliederungspunkt: D. V. 1. bzw. 2.



IV. Die Funktion von Criminal-Compliance119

die korporativen Akteure selbst.458 Es ist daher das Verhältnis von staatlicher und unternehmerischer Sozialkontrolle zu klären. Denkbar sind die unterschiedlichsten Ausgestaltungen dieses Verhältnisses. Das reicht von einem möglichen Nebeneinander dieser Kontrollinstanzen459 bis hin zu einer Deutung als „Rückzug des Staates aus der Kriminalprävention“460. Treffend ist wohl die Erkenntnis, dass mit dem zunehmenden Bedeutungsgewinn der sog. regulierten Selbstregulierung auch eine (teilweise) Privatisierung des Strafrechts einhergeht.461 Das aber wiederum heißt nicht, dass die strafrechtliche Sozialkontrolle des Staates durch Criminal-Compliance Bemühungen der Unternehmen substituiert wird oder diese sich auf dem Rückzug befindet. Vielmehr agieren die Kontroll- und Sozialisationsinstanzen nebeneinander.462 Von einem Rückzug des Staates aus dem Bereich der Kriminalprävention kann allein schon deshalb nicht gesprochen werden, weil ohnehin die meisten rechtlichen Strafnormen, die den Unternehmen Freiräume für eigene kriminalpräventive Maßnahmen einräumen – für den Fall der Nicht- oder Schlechtumsetzung – sanktionsbewehrt sind.

458  Bussmann,

in: FS Achenbach, 57 (66). Bussmann, MschrKrim 2003, 89 (101); Theile, wistra 2010, 457. 460  So Wessing, in: FS Volk, 867 (879). 461  Ebenso Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (66); Engelhart, RW 2013, 208 (211); Rönnau, in: FS Schmidt, 237 (243); Saliger, RW 2013, 263 (283 f.). 462  Zutreffend daher Bussmann, MschrKrim 2003, 89 (101); Theile, wistra 2010, 457. 459  So

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung Nachfolgend sollen die dogmatisch möglichen ahndungsbegrenzenden bzw. unter Umständen auch ahndungsverschärfenden Auswirkungen von Criminal-Compliance im deutschen Straf- und insbesondere Nebenstrafrecht untersucht werden. Dabei soll die Detailanalyse sowohl die ahndenden Sanktionen gegen Individualpersonen als auch überpersonale Einheiten in den Blick nehmen. Dezidiert aus der Betrachtung ausgeklammert wird die Thematik von „Non-Compliance“ und deren allgemeine strafrechtliche Folgen.463 Zuvor soll kurz auf die Abgrenzung der Begrifflichkeiten Haftung und Ahndung im Strafrecht eingegangen werden.

I. Begriff der „Haftung“ im Sinne des Strafrechts Anknüpfend an den Titel dieser Dissertation „Die Bedeutung von Criminal-Compliance-Maßnahmen für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung“ und der Hoffnung zahlreicher Unternehmen, dass sich Compliance „enthaftend“ auswirkt, soll zunächst untersucht werden, inwieweit dem deutschen Strafrecht und insbesondere Nebenstrafrecht der Begriff der „Haftung“ geläufig ist. Eine Legaldefinition, was unter einer „strafrechtlichen Haftung“ bzw. „Bußgeldhaftung“ zu verstehen ist, findet sich im geltenden Recht nicht. Gleichwohl erfreut sich der Begriff der „Haftung“ einer starken Beliebtheit. Überall ist davon zu lesen, sogar in der juristischen Fachliteratur.464 Das Bundeskartellamt spricht in der Stellungnahme zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Änderung der §§ 30, 130 OWiG von einer sog. „Bußgeldhaftung“.465 In vielen Fachaufsätzen ist die Rede von einer „strafrechtlichen Haftung“466, „Enthaftungswir­ 463  Ausführlich zum Thema „Non-Compliance“, Piel, ZWH 2014, 13 ff.; Theile, wistra 2010, 457. 464  Vgl. Achenbach, ZIS 2012, 178 der von „einem verbreiteten Sprachgebrauch“ spricht. 465  Siehe auch Bundeskartellamt, Stellungnahme des Bundeskartellamts zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Regelung der Rechtsnachfolge in die Bußgeldhaftung.



I. Begriff der „Haftung“ im Sinne des Strafrechts121

kung“467, „Unternehmenshaftung im Sinne des § 30 OWiG“468, „Verbands­ haftung“469 oder „Haftung nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht bzw. nach § 130 OWiG“470. Selbst in Lehrbüchern zum allgemeinen Teil des Strafrechts ist von den „Grundlagen der strafrechtlichen Haftung“ zu lesen.471 Aber auch die Rechtsprechung scheint dem Begriff der „Haftung“ nicht abgeneigt zu sein. Dort ist auch von der „Haftung einer juristischen Person nach § 30 OWiG“472 zu lesen. Dogmatisch sauberer erscheint es, anstatt von strafrechtlicher Haftung besser von Ahndung zu sprechen. Strafen und Geldbußen sind – egal ob sie natürliche bzw. juristische Personen oder Personenvereinigungen betreffen – keine staatlichen Reaktionen, die darauf abzielen, dass der Betroffene vermögensrechtlich für ein Fehlverhalten einzustehen hat. Vielmehr sind sie eine staatliche Reaktion darauf, dass ein vorsätzliches bzw. fahrlässiges, rechtswidriges und schuldhaftes bzw. vorwerfbares Verhalten vorliegt, das einen Straf- bzw. Bußgeldtatbestand verwirklicht.473 Achenbach stellt zu Recht fest, dass das OWiG die Begrifflichkeiten „Haftung“ und „Unternehmen“ nicht kennt.474 Des Weiteren verweist er auf den § 1 Abs. 1 OWiG, der ebenfalls von Ahndung anstatt von Haftung spricht.475 Das OWiG weißt der Geldbuße somit die Aufgabe der Ahndung normwidrigen Verhaltens zu. Die trifft auch für den Fall zu, dass eine kumulative Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 OWiG bzw. eine isolierte Verbandgeldbuße gemäß § 30 Abs. 4 OWiG wegen einer Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG festgesetzt wird. Denn auch die Verbandgeldbuße im sechsten Abschnitt des OWiG ist eine Geldbuße, deren zugewiesene Aufgabe gemäß § 1 Abs. 1 OWiG allgemeingültig die der Ahndung ist.476 Die vorliegende Arbeit versucht daher die Bedeutung von ComplianceProgrammen für die strafrechtliche Ahndung zu untersuchen. „Nur das Phänomen der Ahndung bringt die zusätzliche Dimension von Stigma, Tadel, Vorwurf und persönlicher [bzw. kollektiver] Verantwortlichkeit in die Beur-

466  Böttcher, NZG 2011, 1054; Rieder / Jerg, CZZ 2010, 201 (201 und 203); Schemmel / Minkoff, CZZ 2012, 49 (50). 467  Schemmel / Minkoff, CCZ 2012, 49 (51). 468  Bock, ZIS 2009, 68 (72). 469  Rogall, in: KK-OWiG, § 30, Rn. 8. 470  Wittig, WirtschaftsstrafR, 2. Aufl., § 8 Rn. 7; Bosch, Organisationsverschulden in Unternehmen, 337. 471  Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 212 f. 472  BGH, Urteil vom 05.12.2000 – 1 StR 411 / 00, BGHSt 46, 207. 473  Achenbach, ZIS 2012, 178 (178 f.). 474  Achenbach, ZIS 2012, 178 (179). 475  Achenbach, ZIS 2012, 178 (179). 476  Ausführlich dazu Achenbach, ZIS 2012, 178 (180).

122

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

teilung mit ein“477 und zeigt, dass von ihr auch indirekte Folgen, wie Reputationsverlust und Beeinträchtigung von Geschäfts- und Behördenbeziehungen für Unternehmen ausgehen.

II. Auswirkungen von Criminal-Compliance im Vorfeld einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit Erste Auswirkungen können Criminal-Compliance schon im Vorfeld einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zeitigen. Der Idealfall, der durch die Im­ plementierung eines Criminal-Compliance-Programms eintritt, ist der, dass Vorsatztaten eines Unternehmensmitarbeiters478 im Vorbereitungs- oder Versuchsstadium durch z. B. stichprobenartige Kontrollen oder Hinweisgebersysteme entdeckt und damit (deren Vollendung) verhindert werden.479 Das gilt grundsätzlich für vorsätzliche Straftaten und Ordnungswidrigkeiten die zum Nachteil des Unternehmens erfolgen als auch für solche, die im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens begangen werden. Des Weiteren ist denkbar, dass strafrechtliche Verhaltensweisen unterbleiben, weil potenzielle Täter das Entdeckungsrisiko aufgrund komplexer Criminal-ComplianceStrukturen im Unternehmen subjektiv als hoch einschätzen. In diesen Idealfällen wird sowohl dem Interesse des Staates an einem verbesserten Rechtsgüterschutz als auch dem (wirtschaftlichen) Interesse des jeweiligen Unternehmens bezüglich einer Ahndungsvermeidung Rechnung getragen. Realitätsnah muss davon ausgegangen werden, dass es keine dauerhafte Garantie geben kann, dass sämtliche vorsätzliche (insbesondere betriebsbezogene bzw. unternehmensnützliche) Verstöße aus dem Unternehmen verhindert werden können. Ein gewisses Restrisiko für die Begehung solcher Delikte wird immer verbleiben.480 Criminal-Compliance-Konzepte können zugleich auch eine Strategie gegen fahrlässiges Fehlverhalten aus dem Unternehmen heraus bilden, dass vor allem auf Kontrolldefiziten bzw. Unkenntnis der Mitarbeiter beruhen kann. Criminal-Compliance-Programme, die regelmäßig Schulungs- und Kontrollmaßnahmen vorsehen, können idealerweise pflichtwidrige Vernachlässigungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durch einzelne Mitarbeiter481 verhindern, indem ein Bewusstsein für die gebotene Sorgfalt entwickelt wird und daraufhin bestimmte Vorkehrungen zur Einhaltung der Sorgfaltsanforde477  Achenbach,

ZIS 2012, 178 (182). solche von Leitungspersonen. 479  So auch Stanitzek, Criminal Compliance, 193. 480  So auch Schefold, ZRFC 2013, 124. 481  Ebenfalls solche der Leitungsebene. 478  Auch



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht123

rungen getroffen werden.482 Aber auch in Fällen der bewussten Fahrlässigkeit können Criminal-Compliance-Programme präventive Auswirkungen und damit einen Beitrag zum Rechtsgüterschutz leisten. In der Konstellation, in der ein Unternehmensmitarbeiter z. B. eine Tatbestandsverwirklichung im Kartellrecht – einer selbst nach der Rechtsprechung komplexen Rechtsmaterie483 – zwar für möglich hält, aber darauf vertraut sie nicht zu verwirklichen, können durch Schulungsmaßnahmen die gebotenen Sorgfaltsanforderungen verdeutlicht werden. Eine Sorgfaltspflichtverletzung und damit ein Fahrlässigkeitsvorwurf können aus der Perspektive des Unternehmens dadurch von vornherein vermieden werden. Unterbleiben so idealerweise Anknüpfungstaten von natürlichen Personen, besteht zum einen kein Raum für eine Aufsichtspflichtverletzung des Unternehmensinhabers gemäß §§ 130 Abs. 1, 9 OWiG und zum anderen auch nicht für die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 Abs. 1 OWiG gegen den Unternehmensträger.

III. Rechtliche Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance im materiellen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht de lege lata Die Untersuchung der rechtlichen Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance im geltenden Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht soll auf der Tatbestandsebene beginnen. Damit kann ein erster umfassender Überblick über die ahndungsrechtliche Bedeutung von Criminal-Compliance-Konzepten gewonnen werden. 1. Tatbestandsebene Vielfach beschränken sich Ausführungen in der Literatur zur ahndungsrechtlichen Bedeutung von Criminal-Compliance einzig und allein auf Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG. Dies verengt den Fokus und lässt keine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen von Criminal-Compliance im geltenden Recht zu. Begonnen werden soll mit den möglichen Auswirkungen von Criminal-Compliance in Bezug auf Vorsatz­ taten eines Mitarbeiters bzw. einer Leitungsperson durch aktives Tun innerhalb eines Unternehmensträgers.

Stanitzek, Criminal Compliance, 194. Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1897). 482  Ähnlich 483  OLG

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

a) Vorsatztaten durch aktives Tun Verwirklicht ein Unternehmensinhaber, Unternehmensmitarbeiter oder eine Leitungsperson (im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG) sämtliche Merkmale des objektiven und subjektiven Tatbestands eines Delikts in seiner Person selbst, so besteht grundsätzlich kaum eine Möglichkeit, etwaige Crim­ inal-Compliance-Maßnahmen auf der Ebene des Tatbestandes zu berücksichtigen.484 Das Gleiche gilt auch für eine Beteiligung in Form der mittelbaren Täterschaft, Mittäterschaft, der Anstiftung oder Beihilfe. Für eine Nebentäterschaft kann ebenfalls nichts anderes gelten. Das hat zur Konsequenz, dass durch Criminal-Compliance-Maßnahmen keine Vorwurfsbeschränkung stattfinden kann. aa) Untreue, § 266 Abs. 1 StGB Eine Ausnahme von diesem Grundsatz und damit eine strafrechtliche ­ elevanz können Criminal-Compliance-Maßnahmen möglicherweise innerR halb des Tatbestands der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB erlangen. Denkbar ist, dass etwaige Compliance-Vorschriften des Unternehmens insbesondere bei der Vornahme von Bestechungszahlungen als auch legalen Risiko­ geschäften im Rahmen des § 266 StGB – sowohl vorwurfsbeschränkende als auch vorwurfsschärfende – Auswirkungen entfalten. Zu erörtern ist, ob intern aufgestellte Compliance-Vorschriften Ausgangpunkt für eine im Rahmen des Treubruchtatbestandes erforderliche Pflichtverletzung sein können. Eine Treuepflichtverletzung und damit den Tatbestand der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB haben Teile der Rechtsprechung mit der Argumentation angenommen, dass es zu Verstößen gegen unternehmensintern aufgestellte Compliance-Vorschriften kam, die vorsahen Bestechungszahlungen zu unterlassen.485 Mehrheitlich wird auch in der strafrechtlichen Literatur davon ausgegangen, dass durch den Geschäftsherrn festgesetzte Compliance-Regelungen grundsätzlich die Basis für untreuetaugliche Pflichtverletzungen bilden können.486 Es wird maßgeblich auf den Inhalt der aufgestellten Compliance-Vorschriften ankommen, ob diese als ­ Ausgangpunkt für eine im Rahmen des Tatbestandes der Untreue erforderli484  Ebenso Dreher, ZWeR 2004, 75 (81 f.); Stanitzek, Criminal Compliance, 194; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 122 f. 485  LG Darmstadt, Urteil vom 14. Mai 2007 – 712 Js 5213 / 04 – 9 KLs, CCZ 2008, 38 (38). Die Vermögensbetreuungspflicht hatte das Gericht aus der Stellung des Beschuldigten als „Bereichsvorstand für die Buchhaltung und der Einhaltung der Compliance-Richtlinien“ hergeleitet. 486  So Rönnau, ZStW 2007, 887 (922 f.); Saliger / Gaede, HRRS 2008, 57 (72); Corsten, HRRS 2011, 247 (249).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht125

che Pflichtverletzung herangezogen werden können. Wird durch die Compliance-Vorschrift nur – deklaratorisch – die allgemeine arbeitsvertragliche (Neben-)Pflicht wiederholt bzw. konkretisiert, keine Straftaten zu begehen, kann keine für die Untreue relevante Pflichtverletzung angenommen werden, da diese Pflicht alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichermaßen trifft.487 Enthält die Compliance-Vorschrift für einen bestimmten Personenkreis (z. B. Einkäufer, die eigenverantwortlich vermögensrelevante Entscheidungen treffen können und den Zahlungsverkehr abwickeln) jedoch konkrete Vorgaben für den Umgang mit dem Vermögen (z. B. keine schwarzen Kassen für etwaige spätere Bestechungshandlungen zu bilden), so kann darin eine Hauptpflicht488 gesehen werden, fremde Vermögensinteressen zu wahren. Wie die vorgenannten Ausführungen verdeutlicht haben, können unternehmensintern aufgestellte Compliance-Vorschriften im Einzelfall so zu einer Strafbegründung im Sinne des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB beitragen. Compliance-Vorschriften können darüber hinaus auch im Rahmen des Missbrauchstatbestandes der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB insbesondere für die Konstellation der Vornahme von legalen Risikogeschäften im Wirtschaftsbereich eine ahndungsrechtliche Rolle spielen.489 Als „taugliche“ Risikogeschäfte für den Missbrauchstatbestand kommen unter der Prämisse, dass eine Verpflichtungs- und / oder Verfügungsbefugnis durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt wurde, vor allem Vorleistungs-, Spekulations- und (legale) Investitionsgeschäfte in Betracht, da diese üblicherweise rechtswirksam zustande kommen.490 Denkbar ist, dass Compliance-Vorschriften in derartigen Fallkonstellationen ahndungsbegründende Auswirkungen für vermögensbetreuungspflichtige Mitarbeiter entfalten. Der Vermögensinhaber kann in den Compliance-Richtlinien beispielsweise eine (Teil-)Rückausnahme in Bezug auf die Vornahme von grundsätzlich erlaubten Risikogeschäften formulieren (z. B. Vorleistungs- oder Investitionsgeschäfte nur bis zu einer bestimmten Geldsumme zu tätigen). Das Gleiche gilt für den Fall, dass unternehmerische Compliance-Vorschriften eine (Teil-)Ausnahme von (dispositiven) Regelungen vorsehen, die einen bestimmten Personenkreis grundsätzlich eine unbeschränkte Verpflichtungsoder Verfügungsbefugnis durch Gesetz einräumen.491 Die Nichteinhaltung dieser Vorgaben durch einen vermögensbetreuungspflichtigen Mitarbeiter 487  Dierlamm,

in: FS Widmaier, 607 (611 f.); Corsten, HRRS 2011, 247 (249). den Voraussetzungen an die Vermögensbetreuungspflicht Rengier, StrafR BT 1, 349 Rn. 15 ff. 489  Ähnlich Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (468 f.); Engelhart, Sanktionierung, 406; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 122. 490  Hellmann, ZIS 2007, 433 (434 f.). 491  Oftmals fußt die Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis auf mehreren Entstehungsgründen, vgl. dazu Perron, in: Schönke / Schröder, § 266 Rn. 7 f. 488  Zu

126

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

stellt dann einen Befugnismissbrauch im Sinne des § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB dar. Unternehmerische Compliance-Regelungen können im Einzelfall das für Vermögensbetreuungspflichtige erlaubte Risiko abstecken und somit für eine „Grenzziehung zwischen erlaubter Betätigung im Wirtschaftsleben […] und strafbarer Untreue“492 sorgen. Letztlich können die durch Compliance-Vorschriften so mitbegründeten Fälle der Missbrauchs- bzw. Treubruchsuntreue auch eine Ahndung des Unternehmensinhabers nach § 130 OWiG bzw. des Unternehmensträgers nach § 30 OWiG zur Folge haben. Das hat seinen Grund darin, dass – wie schon ausgeführt493 und kritisiert – die Rechtsprechung in der Untreue eine betriebsbezogene Straftat494 sieht und damit den Weg für eine daran anschließende Ahndung nach §§ 30, 130 OWIG zu ebnen scheint. Des Weiteren ist nicht ausgeschlossen, dass intern aufgestellte ComplianceVorschriften zu Risikogeschäften auch dazu beitragen, dass vermögensbetreuungspflichtige Unternehmensmitarbeiter im Einzelfall einem Irrtum unterliegen können.495 Theoretisch möglich und in der Praxis wohl nicht ganz fernliegend ist eine solche Konstellation, dass Compliance-Richtlinien in Bezug auf erlaubte Risikogeschäfte verfasst wurden, jedoch unter Missachtung von gesellschaftsrechtlich zu gewährleistenden Kompetenzen (z. B. unter Nichtberücksichtigung aller Gesellschafter einer GmbH496 oder im Falle einer Aktiengesellschaft unter Missachtung der Einschaltung des Aufsichtsrats bzw. der Hauptversammlung im Sinne des § 111 Abs. 4 S. 2 bzw. S. 3 AktG497). In einem solchen Fall ist das tatbestandsausschließende Einverständnis durch den Vermögensinhaber nicht wirksam erteilt worden. Nimmt der Vermögensbetreuungspflichtige ein solches Risikogeschäft in der Vorstellung vor, dass es durch die Compliance-Vorschriften gedeckt sei, fehlt ihm in Bezug auf die Missbrauchsuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB der Tatbestandsvorsatz bezüglich des Missbrauchs seiner Befugnis bzw. in Bezug auf die Treubruchsuntreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB der Vorsatz bezüglich der Treupflichtverletzung. Unternehmensintern aufgestellte Compliance-Vorschriften können daher wie gerade aufgezeigt auch im Rahmen des subjektiven Tatbestandes eine rechtliche Relevanz entfalten.

492  Hellmann,

ZIS 2007, 433. Gliederungspunkt: B. II. 4. c) aa) (4). 494  OLG Celle, Beschluss vom 26.11.2004 – 1 Ws 388 / 04, NStZ-RR 2005, 82 f. 495  Engelhart, Sanktionierung, 406; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (469). 496  Beispiel nach Engelhart, Sanktionierung, 406. 497  Beispiel nach Hellmann, ZIS 2007, 433 (436). 493  Vgl.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht127

bb) Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, § 299 Abs. 1 und 2 StGB Eine weitere strafrechtliche Relevanz können Criminal-Compliance eventuell auch innerhalb des Tatbestands der Bestechlichkeit im Sinne des § 299 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB entfalten. Angesichts der weiten Verbreitung von korruptionsrechtlichen Compliance-Maßnahmen498 – insbesondere von Richtlinien – in der deutschen Wirtschaft kann man der Klärung dieser Frage ein besonderes Interesse attestieren. (1) Bestechlichkeit, § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB Eine ahndungsrechtliche Rolle können korruptionsrechtliche ComplianceRichtlinien bzw. Vorschriften möglicherweise derart spielen, dass sie ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Geschäftsherrn499 (Betriebs­ inhabers bzw. Prinzipals) für die Annahme von Vorteilen – auch solcher die nicht mehr als sozialadäquat500 gelten – durch Angestellte im Unternehmen formulieren können. Lege ein in einer Compliance-Richtlinie formuliertes tatbestandsauschließendes Einverständnis vor, würde damit die Strafbarkeit des Angestellten eines geschäftlichen Betriebes nach § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB entfallen. Für die Fallgestaltung, dass eine Vorteilsnahme durch einen Angestellten mit Wissen und Wollen des Betriebsinhabers bzw. Geschäftsherrn (z. B. die Gesellschafterversammlung einer GmbH oder OHG bzw. KG)501 erfolgt (sog. entschleierte Schmiergelder), müsste für ein tatbestandliches Einverständnis das Rechtsgut für diesen disponibel sein. Zu klären gilt es folglich, welches primäre Rechtsgut der Tatbestand der Bestechlichkeit nach § 299 Abs. 1 StGB schützt. Die herrschende Ansicht in der Literatur sieht den freien und lauteren Wettbewerb vordergründig als geschützt an.502 Schon 498  Siehe

Gliederungspunkt: C. III. 1. Stanitzek, Criminal Compliance, 197. 500  Für eine Herausnahme sozialadäquater Vorteile aus dem Tatbestand vgl. nur G. Dannecker, in: NK-StGB, Bd. 3, § 299 Rn. 28. Anders Beckemper, in: Compliance-Diskussion, 113 (123 f.), die darauf hinweist, dass es eine einschränkende Auslegung des Tatbestandes des § 299 StGB wegen sozialadäquater Vorteile nicht geben kann, insofern der Vorteil für eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb gewährt wird. 501  Siehe oben zu den gesellschaftsrechtlich zu gewährleistenden Kompetenzen, die für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis notwendig sind. 502  G.  Dannecker, in: NK-StGB, Bd. 3, § 299 Rn. 4; Fischer, StGB, § 299 Rn. 2; Krick, in: Müko-StGB, Bd. 5, § 299 Rn. 2; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 299 Rn. 2; Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 760; Heine / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 299 Rn. 2; Bürger, wistra 2003, 130 (133); Wessels / Hillenkamp, StrafR BT 2, 499  So

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

dafür lässt sich der Wortlaut des § 299 Abs. 1 StGB anführen, der von „im Wettbewerb“ spricht. Auch die Normierung der Bestechlichkeit im 26. Abschnitt des StGB „Straftaten gegen den Wettbewerb“ spricht für diese Sichtweise. Für das Wettbewerbsmodell, das der heutigen Norm des § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugrunde liegen soll, spricht auch die Vorgängervorschrift, die im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (§ 12 UWG alte Fassung) geregelt war.503 Diesen Standpunkt vertritt ebenfalls die Rechtsprechung504 als auch der Gesetzgeber in der Begründung zum Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13.08.1997505, mit dem der Tatbestand der Bestechlichkeit in das StGB implementiert wurde. Daneben sollen gleichrangig die (Vermögens-)Interessen der Mitbewerber506 bzw. auch die des Geschäftsherrn507 als Schutzgüter anerkannt sein. Aus diesem Befund ergibt sich eingangs die Konsequenz, dass der Geschäftsherr über das Kollektivrechtsgut „freier Wettbewerb“ nicht disponieren kann.508 Es erscheint daher aus der Perspektive des Rechtsguts zunächst Rn. 704; Corsten, Einwilligung, 301; Kindhäuser, ZIS 2011, 461 (467); Nöckel, ZIS 2013, 50 f.; von Tippelskirch, GA 2012, 574 (576); Kubicel, ZIS 2014, 667 (670 f.). Anders Pragal, ZIS 2006, 63 (69 ff.). 503  Dazu Nöckel, ZIS 2013, 50 f. 504  BGH, Urteil vom 18.01.1983 – 1 StR 490 / 82, NJW 1983, 1919 (1920). 505  BT, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 13 / 5584, 12. 506  BGH, Beschluss vom 18.03.1952, BGHSt 2, 396 (402); BGH, Urteil vom 09.10.1990  – 1 StR 538 / 89, NJW 1991, 367 (370); G.  Dannecker, in: NK-StGB, Bd. 3, § 299 Rn. 5; Heine / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 299 Rn. 2; Bürger, wistra 2003, 130 (133). So auch schon RG, Urteil vom 14.05.1914  – III 140 / 14, RGSt 48, 291 (295). Anders Wollschläger, Täterkreis, 5 ff., der einzig den freien Wettbewerb geschützt sieht. 507  Wessels / Hillenkamp, StrafR BT 2, Rn. 704; Krick, in: Müko-StGB, Bd. 5, § 299 Rn. 2. Für einen mittelbaren Schutz der Vermögensinteressen der Mitbewerber und des Geschäftsherren: Fischer, StGB, § 299, Rn. 2. Explizit dagegen z. B. Bürger, wistra 2003, 130 (133 f.) und Wollschläger, Täterkreis, 5 ff., der einzig den freien Wettbewerb geschützt sieht. 508  Menn, Der geschäftliche Betrieb als „Dritter“ im Sinne des § 299 StGB, 128 Rn. 276; Momsen, in: BeckOK-StGB, § 299, Rn. 22; Rönnau, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 322 Fn. 358; Braasch, in: Wirtschaftskriminalität, 185 (189); wohl auch LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.04.2015, 5 / 12 Qs 1 / 15, NStZRR 2015, 215 f. Für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis Rengier, in: FS Tiedemann, 837 (848 f.); Corsten, Einwilligung, 343 bzw. Szebrowski, Kick-Back, 195, der die Pflichtenbeziehung zwischen Angestellten und Geschäftsherrn als geschützt ansieht und durch dessen Zustimmung die Pflichtwidrigkeit des Handelns des Angestellten entfalle. Für eine rechtfertigende Einwilligung Winkelbauer, in: FS Weber, 385 (392 f.).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht129

stringent, die Erteilung eines tatbestandlichen Einverständnisses durch den Geschäftsherrn als nicht möglich zu erachten.509 Als widersprüchlich und sinnwidrig im geltenden Recht erscheint aber die Tatsache, dass der Geschäftsherr selbst Vorteile für eine Bevorzugung im Wettbewerb vom Vorteilgeber annehmen darf, ohne sich einer Strafbarkeit auszusetzen, indessen den Angestellten, der mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn den Vorteil annimmt, eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder eine Geldstrafe gemäß § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB trifft.510 Diese Diskrepanz in der strafrechtlichen Beurteilung des tatidentischen Unrechts gilt es aufzulösen. Eine Hinnahme dieses Widerspruchs, gegebenenfalls unter Hinweis auf ein gesetzgeberisches Versehen, ist unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten nicht statthaft.511 Von einigen Stimmen in der Literatur wird daher vorgeschlagen, dass das Unrecht des Geschäftsherrn über eine Teilnahme gemäß §§ 26, 27 StGB aufgefangen werden soll.512 Dies überzeugt bei genauer Beleuchtung der Sachverhaltskonstellation nicht, denn der Gesetzgeber hat den Schutz des lauteren Wettbewerbs hinter den der Vertragsfreiheit, d. h. der freien wirtschaftlichen Betätigung des Geschäftsherrn zurückgestellt und diesen per se als tauglichen Täter513 des § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgeschlossen. Dies muss dann erst recht für eine Teilnahmestrafbarkeit gelten, da ansonsten die zuvor genannte gesetzgeberische Wertung – die der Straffreiheit des Geschäftsherrn – im § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterlaufen wird. Andere Stimmen halten de lege ferenda die Einbeziehung des Geschäftsherrn in den Kreis der tauglichen Täter des § 299 Abs. 1 StGB zumindest für diskussionswürdig.514 Dafür aber muss der Gesetzgeber die wohlüberlegte Entscheidung treffen, ob er der wirtschaftlichen Betätigung und damit Vertragsfreiheit des Geschäftsherrn weiterhin den Vorrang vor dem Schutz des lauteren Wettbewerbs einräumt. Jedenfalls dürfte das Aushandeln von Rabatten bzw. Vorteilen durch den Geschäftsherrn selbst erwünschtes Marktverhal509  So

auch die Korkengeld-Entscheidung des Reichsgerichts, RGSt 48, 291 ff. diesen Wertungswiderspruch in § 299 Abs. 1 StGB hinweisend Winkelbauer, in: FS Weber, 385 (386 ff.); Walther, Jura 2010, 511 (518); Nöckel, ZIS 2013, 50 (55); von Tippelskirch, GA 2012, 574 (577 f.); Rönnau, in: Achenbach / Ransiek /  Rönnau, 4. Aufl., 322 Rn. 52 sowie Erb, in: FS Geppert, 97 (99 ff.). 511  Ähnlich Nepomuck / Groß, wistra 2012, 132 (134). 512  von Tipplskirch, GA 2012, 574 (585). 513  Aus jüngerer Rechtsprechung BGH, Urteil vom 10.07.2013  – 1 StR 532 / 12, NStZ 2014, 42 (43). 514  Siehe nur Momsen, in: Beck-OK StGB, § 299 Rn. 11.1; Satzger, ZStW 2003, 469 (488); Bürger, wistra 2003, 130 (135). Explizit dafür Beukelmann, in: FS I. Roxin, 201 (202). Dagegen etwa Erb, in: FS Geppert, 97 (105 ff.); Wollschläger, Täterkreis, 117 ff.; Rönnau, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 363 Rn. 106. 510  Auf

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ten darstellen.515 Es partizipieren unter Umständen auch die Allgemeinheit d. h. die Verbraucher an den ausgehandelten Preisnachlässen. Ob sich angesichts dieser Aspekte die Einbeziehung des Geschäftsherrn in den Tatbestand der Bestechlichkeit rechtfertigen lässt, erscheint zumindest fraglich. Aber schon derzeit muss nach einem gangbaren Weg zur Lösung dieses Widerspruchs gesucht werden. Ein solcher Weg könnte eine teleologische Reduktion des Tatbestands der Bestechlichkeit für die Fälle sein, in denen der Geschäftsherr seine Zustimmung zur Annahme von (Dritt-)Vorteilen durch den Angestellten erteilt hat. In der Folge wäre die Handlung des Angestellten als straflos zu betrachten.516 Anknüpfungspunkt hierfür könnte das Tatbestandsmerkmal des § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB „in unlauterer Weise“517 sein. Nach dem bisher herrschenden Verständnis wird die Unlauterkeit einer Bevorzugung im Rahmen der sog. „Unrechtsvereinbarung“ geprüft.518 Eine solche liegt vor, wenn der Vorteil für eine konkrete in der Zukunft liegende unlautere Bevorzugung gefordert, angeboten, versprochen oder angenommen wird.519 Gerade dieses Tatbestandsmerkmal bietet sich an, eine schutzzweckbezogene Eingrenzung der Strafbarkeit des Angestellten vor dem Hintergrund des primären Rechtsguts – der Lauterkeit des Wettbewerbs – zu erreichen. Vergegenwärtigt man sich den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen, dann muss festgestellt werden, dass eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausgeschlossen ist, sofern der Geschäftsherr Vorteile für sich annimmt bzw. auf sein Geheiß hin an Angestellte gewährt werden.520 § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt daher ein systematisches und kein teleologisches Verständnis des „freien Wettbewerbs“ zugrunde, nur so lässt sich der oben genannte Widerspruch auflösen. Berücksichtigt man diese gesetzgeberische Wertung, dann kann folgerichtig auch keine strafbare Beeinflussung bzw. Gefährdung des Wettbewerbs vorliegen, wenn der Angestellte in einer auf Arbeitsteilung aus515  Zutreffend Beckemper, in: Compliance-Diskussion, 113 (123). Ähnlich auch Erb, in: FS Geppert, 97 (106 ff.) und Rönnau, StV 2009, 302 (304 f.). 516  Ebenfalls für eine Straflosigkeit Rheinländer, WiJ 2014, 143 (148 ff.); Bernsmann / Gatzweiler, Verteidigung bei Korruptionsfällen, 127 Rn. 621; Kindhäuser, ZIS 2011, 461 (467); Heine / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 299 Rn. 19a; Rönnau, StV 2009, 302 (304). Für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis Stanitzek, Criminal Compliance, 197; Rengier, in: FS Tiedemann, 837 (848 f.); Corsten, Einwilligung, 343; Szebrowski, Kick-Back, 195. 517  Ähnlich Winkelbauer, in: FS Weber, 385 (391). 518  Statt vieler Nöckel, ZIS 2013, 50 (55) und Heger, in: Lackner / Kühl, StGB, § 299 Rn. 5. 519  Fischer, StGB, § 299 Rn.13. 520  Rönnau, StV 2009, 302 (305); Rengier, in: FS Tiedemann, 837 (845).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht131

gerichteten Wirtschaft mit Zustimmung des Geschäftsherrn einen Vorteil annimmt.521 Man kann daher sagen, dass für die Bestimmung der Lauterkeit des Handelns des Angestellten ein Rückgriff auf das Interesse des Geschäftsherrn stattfinden muss.522 Der Zustimmung des Geschäftsherrn wird in aller Regel eine Kalkülentscheidung desselben zugrunde liegen, in der die Parameter Preis und Leistung ausreichend berücksichtigt werden.523 In jedem anderen Fall wurzelt die Entscheidung für die Annahme des Vorteils auf der Vertragsfreiheit des Geschäftsherrn, wonach auch wirtschaftlich nachteilige Geschäfte per se nicht verboten sind. Dagegen kann auch nicht argumentiert werden, dass es für die Strafbarkeit des Angestellten nicht auf die Pflichtwidrigkeit gegenüber dem eigenen Geschäftsherrn ankommt, da primäres Rechtsgut der freie und lautere Wettbewerb sei.524 Zum einen geht es gerade bei diesem Rückgriff auf das Interesse des Geschäftsherrn um die Bestimmung der Lauterkeit, d. h., es wird der Frage nachgegangen, ob institutionelle Marktregeln missachtet wurden.525 Zum anderen besteht unter Zugrundelegung eines so weitreichenden Verständnisses des freien Wettbewerbs die Gefahr einer teleologischen Extension und damit unzulässigen Analogie. Mit anderen Worten wird das Rechtsgut „freier Wettbewerb“ durch § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur partiell geschützt. Die Zustimmung des Geschäftsherrn schließt daher eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs nach der derzeit geltenden Fassung des § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus. Gleichzeitig kann damit festgestellt werden, dass § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB de lege lata kein reines Wettbewerbsmodell zugrunde liegt.526 Auch in der jüngsten Rechtsprechung werden zumindest leise Zweifel gehegt, ob die Korkengeld-Entscheidung527 des Reichsgerichts noch ihre Richtigkeit besitzt, denn für die Frage, ob der geschäftsführende Alleingesellschafter als Betriebsinhaber gilt und damit nicht im Sinne des § 299 Abs. 2 Nr. 1 StGB bestochen werden kann, wurde im Rahmen der Unlauterkeit auf die Kommunikation zwischen Agent (d. h. Angestellten) und Prinzipal (d. h. Geschäftsherrn) abgestellt.528

521  So zutreffend Rönnau, StV 2009, 302 (305); Bernsmann / Gatzweiler, Verteidigung bei Korruptionsfällen, 127 Rn. 621. 522  Ähnlich auch Erb, in: FS Geppert, 97 (99 f.). 523  So auch Erb, in: FS Geppert, 97 (99). 524  Vgl. zu diesen Aspekt Heine / Eisele, in: Schönke / Schröder, § 299 Rn. 19a. und Fischer, StGB, § 299 Rn. 16. 525  So auch Erb, in: FS Geppert, 97 (99). 526  Rönnau, StV 2009, 302 (303) m. w. N. 527  Vgl. RGSt 48, 291 ff. 528  LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.04.2015 – 5 / 12 Qs 1 / 15, NStZ-RR 2015, 215.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Als Ergebnis lässt sich formulieren, dass korruptionsrechtliche Compliance-Vorschriften derart eine ahndungsrechtliche Rolle spielen können, dass die Zustimmung des Geschäftsherrn zur Annahme von Vorteilen durch Angestellte eine Strafbarkeit derselben nach § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB entfallen lässt. Sofern unternehmerische Compliance- bzw. Korruptionsrichtlinien auch die Konstellation regeln, dass Angestellte Drittvorteile für den Geschäftsherrn annehmen oder einfordern dürfen, muss aus den oben angeführten Gründen ebenfalls eine Strafbarkeit der Angestellten aus § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausscheiden.529 Darüber hinaus ist auch an einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum zu denken: Nimmt der Unternehmensmitarbeiter im Fall des tatsächlich nicht wirksam erteilten Einverständnisses (in Compliance-Vorschriften) eine Handlung in der irrigen Annahme eines solchen vor, fehlt ihm in Bezug auf § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Tatbestandsvorsatz. Unternehmensintern aufgestellte Compliance-Vorschriften können daher auch im Rahmen des subjektiven Tatbestandes eine rechtliche Relevanz entfalten. (2) Bestechlichkeit § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB Darüber hinaus können korruptionsrechtliche Compliance-Vorschriften eine durchaus beachtliche ahndungsrechtliche Rolle im Rahmen des neuen § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB spielen. Laut der Gesetzesbegründung muss „der Vorteil […] im Rahmen […] einer Unrechtsvereinbarung eine Gegenleistung für die im Interesse des Vorteilsgebers liegende Verletzung von Pflichten durch den Vorteilnehmer sein“530. In den Gesetzesmaterialien findet sich zudem der Hinweis, dass allein die Annahme eines Vorteils keine taugliche Pflichtverletzung im Sinne des § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB begründen kann, ebenso wenig wie das Verschweigen dieser gegenüber dem Geschäftsherrn. Stattdessen muss in der Unrechtsvereinbarung eine weitere Handlung des Angestellten bzw. Beauftragten erwartet werden, bei der Pflichten verletzt werden, die sich inhaltlich auf den Bezug von Waren und Dienstleistungen beziehen.531 Klarstellend wurde im Gesetzgebungsprozess darauf hingewiesen, dass es zu keiner tatsächlichen Verletzung von Pflichten für die TatbeErgebnis ebenso Rönnau, StV 2009, 302 (305). Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 18 / 6389, 15. 531  BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 18 / 6389, 15. 529  Im

530  BT,



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht133

standsmäßigkeit nach § 299 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 StGB kommen muss.532 Vielmehr braucht die Pflichtverletzung nur im Rahmen der Unrechtsvereinbarung erwartet zu werden. Diese Erkenntnisse lassen erste Rückschlüsse auf die ahndungsrechtliche Bedeutung von Compliance-Richtlinien im Rahmen des § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu. Solche Compliance-Richtlinien, die inhaltlich per se die Annahme von Vorteilen (oder selbst das bloße sog. „anfüttern“ lassen zur allgemeinen Betriebspflege) verbieten, können damit nicht die für § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB intendierte Pflichtverletzung begründen.533 Die Pflichtverletzung des Mitarbeiters gegenüber dem Geschäftsherrn betrifft in diesen Fällen nicht den Bezug von Waren oder Dienstleistungen. Für eine Strafbarkeit nach § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB muss die (erwartete) Pflichtverletzung aber gerade im Zusammenhang mit dem Bezug von Waren und Dienstleistungen stehen. Als Bezugspunkt für eine erwartete Pflichtverletzung scheiden auch solche unternehmensintern normierten Pflichten aus, die beispielsweise den Geheimnisverrat534 betreffen, da sie sich inhaltlich ebenso wenig auf den Bezug von Waren und Dienstleistungen beziehen. Hingegen können derartige Compliance-Regelungen des Unternehmens, die beispielsweise die Auswahl von Geschäftspartnern bzw. Zulieferern oder deren allgemeinen Ablauf betreffen, taugliche Pflichten im Sinne des § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB statuieren, worauf sich die Unrechtsvereinbarung beziehen kann. Damit können Compliance-Richtlinien – die inhaltlich zumindest auch den Wettbewerb schützen wollen535 – Strafbarkeitsrisiken im Sinne des § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB für Unternehmensmitarbeiter erzeugen. Ebenso ist aber auch die umgekehrte Konstellation denkbar, d. h. eine solche, in der unternehmensinterne Compliance-Regelungen eine Strafbarkeit nach § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB verhindern. Insbesondere das Tatbestandsmerkmal536 „ohne Einwilligung537 des Unternehmens“ bietet Raum für eine 532  BReg, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 18 / 4350, 21. 533  So auch der Gesetzgeber selbst, vgl. BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 18 / 6389, 15. 534  Obwohl dieser auch von Mitbewerbern initiiert und damit in einem inneren Zusammenhang mit der Vorteilsgewährung stehen können. 535  Zu dieser schutzzweckbezogenen Eingrenzung innerhalb des neuen Tatbestands des § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB, vgl. Kubiciel, ZIS 2014, 667 (670). 536  Der Gesetzgeber geht diesbezüglich von einem Tatbestandsmerkmal aus, vgl. BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BT-Drucks. 18 / 6389, 15. 537  Kritisch zum Begriff der „Einwilligung“ Krack, ZIS 2016, 83 (86).

134

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Berücksichtigung diesbezüglichen Maßnahmen. In der Praxis sind Fälle denkbar, in denen der Geschäftsherr in Unternehmensrichtlinien zum Ausdruck bringt, mit der Annahme von Vorteilen durch Mitarbeiter (bis zu einem bestimmten Wert) als auch mit der Verknüpfung des Vorteils mit einer (bestimmten) pflichtwidrigen Handlung bzw. Unterlassung des Mitarbeiters einverstanden zu sein. Das Einverständnis des Geschäftsherrn muss sich aber nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl auf die Annahme des Vorteils als auch deren inhaltliche Verknüpfung mit einer pflichtwidrigen Handlung des Angestellten beziehen.538 Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann dadurch eine Strafbarkeit des Angestellten bzw. Beauftragten nach § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausscheiden. Im umgekehrten Fall des tatsächlich nicht erteilten Einverständnisses, bei dem der Unternehmensmitarbeiter jedoch dessen Vorliegen irrtümlich annimmt, liegt wiederum ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vor. (3) Bestechung, § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB Auch im Rahmen der Bestechung nach § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB können unternehmensinterne Regelungen eine Strafbarkeit einer natürlichen Person sowohl begründen als auch ausschließen. Das bloße Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils gegenüber einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens kann – obwohl ein solches Verhalten in Compliance-Regelungen durch den Geschäftsherrn am Zuflussort untersagt sein kann – keine im Rahmen einer Unrechtsvereinbarung erwartete Pflichtverletzung im Sinne des § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB darstellen. Hierfür muss gleichfalls – wie bei § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch – in der Unrechtsvereinbarung eine weitere Handlung des Angestellten bzw. Beauftragten erwartet werden, bei der Pflichten verletzt werden sollen, die sich inhaltlich auf den Bezug von Waren und Dienstleistungen beziehen. Das können beispielsweise Compliance-Regelungen des Unternehmens sein, die die Auswahl etwaiger Geschäftspartner und Lieferanten betreffen. Dadurch können Strafbarkeitsrisiken im Sinne des § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB derart er538  So BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption, BTDrucks. 18 / 6389, 15. Vielleicht ist es auch besser, in derartigen Fällen (d. h. bei Vorliegen des Einverständnisses) nicht mehr von pflichtwidriger Handlung bzw. Unterlassung des Mitarbeiters zu sprechen. Kritisch zum Bezug des Merkmals „ohne Einwilligung“ Krack, ZIS 2016, 83 (84 f.).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht135

zeugt werden, dass Pflichten statuiert werden, auf die sich die in der Unrechtsvereinbarung erwartete Pflichtverletzung beziehen kann. Andererseits kann eine Strafbarkeit nach § 299 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch durch Compliance-Regelungen ausgeschlossen werden. Dies ist denkbar, sofern der Geschäftsherr z. B. in Unternehmensrichtlinien zum Ausdruck bringt, mit dem Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils (bis zu einem bestimmten Wert) an Angestellte als auch mit der Verknüpfung des Vorteils mit einer (konkreten) pflichtwidrigen Handlung bzw. Unterlassung des Mitarbeiters einverstanden zu sein. Auch hier gilt wieder: Im umgekehrten Fall des tatsächlich nicht erteilten Einverständnisses, bei dem der Täter jedoch dessen Vorliegen irrtümlich annimmt, liegt wiederum ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vor. cc) Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, § 17 Abs. 1 UWG Nähere Aufmerksamkeit verdient auch der Tatbestand des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gemäß § 17 Abs. 1 UWG, deren Täter (nur) alle Unternehmensbeschäftigten sein können.539 Criminal-ComplianceMaßnahmen können sich möglicherweise auch auf diesen Tatbestand auswirken. Vorstellbar ist, dass Unternehmen Hinweisgebersysteme einrichten, damit Mitarbeiter anonym ihnen bekannt gewordene Gesetzesverstöße bzw. Verdachtsmomente diesbezüglich melden können. Zusätzlich kann in unternehmerischen Compliance-Richtlinien auf die Möglichkeit der Nutzung eines solchen Hinweisgebersystems hingewiesen werden. Die Gründe für die Implementierung solcher Compliance-Maßnahmen können sehr unterschiedlich sein. Es kann einerseits eine rechtliche Pflicht (z. B. § 25a Abs. 1 S. 6 Nr. 2 KWG) bestehen, ein Hinweisgebersystem einzuführen. Andererseits kann der Geschäftsherr für die Einhaltung von strafrechtlichen Regelungen aus Einsicht und Überzeugung versuchen, die informelle Sozialkontrolle im Unternehmen mittels Hinweisgebersystems zu erhöhen. Sofern man entgegen einer Literaturansicht540 „illegale“ Geheimnisse, d. h. solche, denen ein unternehmensbezogenes deliktisches Verhalten zugrunde liegt (z. B. eine Korruptionsstraftat nach § 299 StGB), ebenfalls als tatbe539  Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 93 Rn.  22; Ebert-Weidenfeller, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 388 Rn. 62. 540  Rützel, GRUR 1995, 557 (560  f.) sowie aus der neueren Literatur Engländer / Zimmermann, NZWiSt 2012, 328 (331 ff.). Diesem folgend Rotsch / Wagner, in: Rotsch, 1334 Rn. 53.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

standlich von § 17 UWG geschützt ansieht541, können Criminal-ComplianceMaßnahmen möglicherweise folgende Auswirkungen zeitigen: Denkbar ist, dass sich Compliance-Maßnahmen bereits auf das Tatobjekt, d. h. auf das Geschäfts- und Betriebsgeheimnis auswirken. Ein solches liegt vor, wenn eine unternehmensbezogene Tatsache, die nicht offenkundig ist, nach dem bekundeten Willen des Geschäftsinhabers geheim zu halten ist und gleichzeitig ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung besteht.542 Es wird vertreten, dass durch die Implementierung eines Hinweisgebersystems im Unternehmen (konkludent) zum Ausdruck kommt, dass der Geschäftsherr auf eine Geheimhaltung bezüglich unternehmensbezogener Delikte verzichtet, sodass es bereits an einem Geschäft- bzw. Betriebsgeheimnis und damit tauglichen Tatobjekt fehlen soll.543 Zutreffend wird dagegen angeführt, dass es wohl gerade nicht dem Willen der Geschäftsleitung entspricht, dass die unternehmensbezogene Tatsache eines (vermeintlichen) Gesetzesverstoßes einem beliebigen Personenkreis – seien es auch andere Unternehmensmitarbeiter544 – mitgeteilt wird.545 Stattdessen dürfte ein Geheimhaltungswille des Geschäftsherrn diesbezüglich auch weiterhin daran erkennbar sein, dass für die Hinweisgabe ausschließlich ein bestimmtes Verfahren sowie ein bestimmter Mitteilungsempfänger (z. B. ein internes bzw. externes Hinweisgebersystem mitsamt einem Mitteilungsempfänger, der einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt) gewählt wurden.546 Bedenkt man des Weiteren, dass der Mitteilung eines Sachverhalts, der auf einen Regelverstoß hindeutet, auch sensible Daten (wie z. B. Kundendaten, Bezugsquellen oder Kontodaten) zugrunde liegen können, wird man in der Regel eher auf einen Geheimhaltungswillen des Geschäftsherrn (durch Auslegung) schließen können.547 Als erstes Ergebnis bleibt daher festzuhalten, 541  So die h. M. Ebert-Weidenfeller, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 391 Rn. 72; Többens, NStZ 2000, 505 (506); A. Koch, ZIS 2008, 500 (503). 542  BGH, Urteil vom 15.03.1955  – I ZR 111 / 53, GRUR 1955, 424 (425); BGH, Urteil vom 27.04.2006 – I ZR 126 / 03, GRUR 2006, 1044 (1046). 543  So von Pelchrzim, CCZ 2009, 25 (29); Lindemann, in: Rotsch, 477 f. Rn. 35. 544  Ausgehend vom Wortlaut des § 17 Abs.1 UWG kann Mitteilungsempfänger des Geschäftsgeheimnisses auch eine andere unternehmensangehörige Person sein, die bisher nicht Geheimnisträger war, vgl. auch Lutterbach, Whistleblowing, 75; Janssen / Maluga, in: Müko-StGB, Bd. 7, § 17 UWG Rn. 48; Ohly, in: Ohly / Sosnitza, § 17 Rn. 15. Anders A. Koch, ZIS 2008, 500 (502), der meint, dass eine Strafbarkeit aus § 17 UWG ausscheidet, weil das Geheimnis „die Sphäre des Unternehmens nicht verlassen“ hat. Diesem folgend Rotsch, in: Rotsch, 99 Rn. 30. 545  Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 91 Rn. 16. 546  Ähnlich Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 91 Rn. 16. 547  Zutreffend Lutterbach, Whistleblowing, 67 f.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht137

dass trotz Einrichtung eines internen wie externen Hinweisgebersystems ein Geheimhaltungswille des Geschäftsherrn vorliegt. Ein Geschäfts- bzw. Betriebsgeheimnis und damit taugliches Tatobjekt liegt also weiter vor. Stattdessen ist in der Einrichtung eines Hinweisgebersystems zutreffend eine rechtfertigende Einwilligung des Geschäftsherrn zur Offenbarung des Geheimnisses an eine bestimmte Person z. B. den Compliance-Officer zu sehen. Die herrschende Auffassung548 sieht in dem Merkmal „unbefugt“ im Sinne des § 17 Abs. 1 UWG kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, sondern nur einen allgemeinen Hinweis auf die Rechtswidrigkeit. CriminalCompliance-Maßnahmen wirken sich unter Zugrundelegung dieser Auffassung erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit aus. Anders die Rechtsprechung, die bei der Auslegung des Merkmals „unbefugt“ im Sinne des § 17 Abs. 1 UWG eine Parallele zum Merkmal der „Rechtswidrigkeit der Bereicherung“ im Rahmen der Bereicherungsdelikte des Strafgesetzbuches zieht und somit von einem Tatbestandsmerkmal ausgeht.549 Daher dürfte in diesen Fällen schon von einem tatbestandsaus­ schließenden Einverständnis des Geschäftsherrn in die Offenbarung des Betriebsgeheimnisses an eine zur Entgegennahme betraute Person auszugehen sein.550 b) Unterlassungsdelikte Es erscheint des Weiteren nicht ausgeschlossen, dass Criminal-Compliance-Maßnahmen strukturell bei den echten als auch unechten Unterlassungsdelikten tatbestandliche Auswirkungen zeitigen können. Die unechten Unterlassungsdelikte sollen als Erstes einer näheren Untersuchung unterzogen werden.

548  Dittrich, in: Müller / Gugenberger, 1232 Rn. 57; Többens, NStZ 2000, 505 (507); Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 515; Ohly, in: Ohly / Sosnitza, § 17 Rn. 27. Anders aus der Literatur d. h. für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis Janssen / Maluga, in: Müko-StGB, Bd. 7, § 17 UWG Rn. 48. Offen gelassen von Schemmel / Ruhmannseder / Witzigmann, Hinweisgebersysteme, 96 Rn. 33. 549  BayOblG, Beschluss vom 09.05.1988 – RReg 4 St 275 / 87, GRUR 1988, 634; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.01.2006  – 16 U 12 / 05, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 83. 550  Auch hier ist wieder an einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum zu denken, sofern kein Einverständnis erteilt wurde, der Täter aber irrig ein solches für gegeben hält.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

aa) Unechte Unterlassungsdelikte Sowohl beim vorsätzlichen als auch fahrlässigen551 unechten Unterlassungsdelikt ist erforderlich, dass den Täter – als Garant – eine Erfolgsabwendungspflicht trifft.552 Gleiches gilt für eine Teilnahme durch Unterlassen an einer fremden Straftat, sofern man diese Konstruktion für dogmatisch möglich hält.553 Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt – wie § 14 Abs. 1 OWiG zeigt – ohnehin das Einheitstäterprinzip. Mit anderen Worten muss für den Unterlassenden eine Rechtspflicht zum Handeln bestehen.554 Mittlerweile bejaht die Rechtsprechung555 als auch das überwiegende Schrifttum556 die Möglichkeit, dass den Betriebsinhaber bzw. Geschäftsherrn eine Garantenstellung zur Verhinderung von Straftaten untergebener Mitarbeiter treffen kann. Als maßgebende dogmatische Stütze der Garantenstellung des Betriebsinhabers werden einerseits die Befehlsherrschaft bzw. Weisungsbefugnis557 und / oder andererseits die Herrschaft über den Betrieb als Gefahrenquelle558 herangezogen. Auf die von der Gegenauffassung559 hervorgebrachten Argumente (insbesondere der der Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter) soll hier nicht weiter eingegangen werden. Ohnehin führen diese eher zu einer Beschränkung als zu einer generellen Verneinung der Garantenstellung und damit Erfolgsabwendungspflicht des Geschäftsherrn.560 Vielmehr soll die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Criminal-Compliance-Maßnahmen beim unechten Unterlassungsdelikt im Vordergrund stehen. 551  Die

Fahrlässigkeitsdelikte werden nachfolgend noch separat erläutert. StrafR AT, Rn. 715; Rengier, StrafR AT, 482 Rn. 1; Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, 118 ff. 553  Zu diesem Aspekt Krüger, ZIS 2011, 1 ff. 554  Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 717; Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, 120 f. 555  BGH, Urteil vom 20.10.2012  – 4 StR 71 / 11, NJW 2012, 1237 ff.; wohl auch schon die Garantenstellung des Betriebsinhabers andeutend BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394 / 08, BGHSt 54, 44 (49 f.). 556  Schall, in: FS Kühl, 417 (417  ff.); Schünemann, ZStW 1984, 287 (294), G.  Dannecker / C.  Dannecker, JZ 2010, 981 (990); Selbmann, HRRS 2014, 235 (225 ff.); Wagner, ZIS 2012, 704 (708). 557  Schünemann, ZStW 1984, 284 (318); Rogall, ZStW 1986, 573 (616  ff.); C. Roxin, StrafR AT, Bd. 2, 756, Rn. 135. 558  G. Dannecker / C. Dannecker, JZ 2010, 981 (990); Schall, in: FS Rudolphi, 267 (267 ff.); Mittelsdorf, ZIS 2011, 123 (126); Lindemann / Sommer, JuS 2015, 1057 (1059 f.). 559  Siehe nur Spring, Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung, 133 ff., 144 ff., 208 ff.; Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 724. Im Grunde plädiert letzterer nur für eine Beschränkung der Erfolgsabwendungspflicht auf betriebsbezogene Straftaten. 560  Zu diesen Aspekt ausführlich Schall, in: FS Rudolphi, 267 ff.; ders., in: FS Kühl, 417 ff. 552  Wessels / Beulke / Satzger,



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht139

Denkbar wäre die folgende Überlegung: Die Einrichtung einer umfas­ senden, d. h. aus einer Vielzahl von Compliance-Maßnahmen bestehenden Compliance-Organisation, könnte die Garantenstellung und damit die strafrechtlich gebotene Handlungspflicht des Geschäftsherrn zur Verhinderung von betriebsbezogenen Straftaten von Mitarbeitern561 entfallen lassen. Dies leuchtet insbesondere ein, sofern man den Betrieb als Quelle von Sach- und Personalgefahren ansieht. Diese Sichtweise könnte damit begründet werden, dass mit der Implementierung von Criminal-Compliance-Programmen d. h. der Schaffung von adäquaten Organisationsstrukturen zu einem bestimmten Zeitpunkt der Gefahrenherd „Unternehmen“ weniger risikoreich in Bezug auf die Rechtsgüter Dritter erscheint. Eine solche Ansicht erscheint auf den ersten Blick plausibel und nachvollziehbar, lässt aber den Umstand unberücksichtigt, dass die Garantenstellung und damit auch die Handlungspflicht des Geschäftsherren sich „im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zur Erfolgsabwendung“562 konstituiert. Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Garantenstellung des Geschäftsherrn per se nicht durch die Implementierung eines Criminal-Compliance-Programms entfallen kann. Sach- und Personalgefahren für Dritte können im Einzelfall trotz vorhandenen Compliance-Programmes bestehen. Eine Strafbarkeit aus unechtem Unterlassungsdelikt kann daher gleichwohl drohen. An diese Erkenntnisse anknüpfend, widmen wir uns im Folgenden dem Erfordernis der Erfolgsabwendungsmöglichkeit unter Compliance-Gesichtspunkten, gerade auch in Delegationskonstellationen. Geradezu logisch erscheint, dass Unterlassungen nur dann tatbestandlich sind, wenn eine physisch-reale Handlungsmöglichkeit zur Erfolgsabwendung bestand.563 In der Compliance-Literatur wird vertreten, dass es durch ein umfassendes Compliance-Programm an der Erfolgsabwendungsmöglichkeit für weitere Maßnahmen fehlen kann, da bereits alle möglichen Maßnahmen durch den Geschäftsherrn bzw. den Compliance-Beauftragten ergriffen worden sind.564 Für die Beantwortung dieser Frage sollte zwischen der Erfolgsabwendungspflicht des Geschäftsherrn und einer solchen des Compliance-Beauftragten bzw. -Officers unterschieden werden. Wie dargelegt kann den Betriebsinhaber bzw. Geschäftsherrn nach herrschender Auffassung eine Garantenstellung zur Verhinderung von Straftaten untergebener Mitarbeiter treffen. Der Com-

561  Besser: die Handlungspflicht des Geschäftsherrn, den aus den Straftaten von Mitarbeitern drohenden Erfolg abzuwenden. 562  Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, 123. 563  Statt vieler BGH, Urteil vom 22.01.1953  – 4StR 417 / 52, BGHSt 4, 20 (22); Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 708. 564  So Stanitzek, Criminal Compliance, 198 f.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

pliance-Officer kann arbeitsvertraglich565 und / oder tatsächlich566 diejenigen (Teil-)Aufgaben übernehmen, die den Leitungspersonen via der Geschäftsherrenhaftung zukommen. Den Leitungspersonen steht es grundsätzlich frei, derartige Aufgaben (partiell) zu übertragen.567 Erwähnenswert im Zusammenhang mit der Aufgabendelegierung an den Compliance-Officer ist es, dass diesen dann gerade (auch) eine Handlungspflicht zum Schutz der Interessen und Rechtsgüter externer Dritter trifft.568 Mit anderen Worten erfolgt die Betätigung des Compliance-Officers nicht ausschließlich im Unternehmensinteresse, sondern gerade auch fremdnützig. Die so auf den Compliance-Officer delegierte Handlungspflicht beschränkt sich aber ausschließlich auf die aus dem Unternehmen als Quelle von Sachund Personalgefahren drohenden Erfolge.569 Unschädlich im Zusammenhang mit der Aufgabendelegation und der erforderlichen Erfolgsabwendungsmöglichkeit ist es gleichfalls, dass der Compliance-Officer üblicherweise kein Weisungsrecht übertragen bekommt. Vielmehr ist entscheidend und gleichzeitig ausreichend, dass der Compliance-Officer Teilaspekte d. h. Überwachungs- und Informationsaufgaben wahrnimmt, die der Erfolgsabwendungspflicht im Sinne des § 13 StGB zugehörig sind und der Erfolg letztlich durch Unterrichtung der Leitungsperson und deren Einschreiten vermeidbar ist.570 Der Compliance-Officer muss z. B. eine drohende Gewässerverunreinigung (im Sinne des § 324 Abs. 1 StGB) durch einen Unternehmensmitarbeiter auch nicht durch eine persönliche Weisung oder deren zwangsweisen Durchsetzung verhindern. Es genügt, dass der Geschäftsherr informiert wird und dieser den Erfolg verhindert. Eine tatsächliche Möglichkeit zur Erfolgsabwendung wird für den Compliance-Beauftragten üblicherweise durch eine zügige Unterrichtung des Geschäftsherrn gegeben sein.571 Dies ist im konkreten Einzelfall festzustellen. Ein zu einem bestimmten Zeitpunkt im Unternehmen (von der Unternehmensleitung) implementiertes Compliance-Programm ändert daran nichts. Diese vorgemachten Ausführungen gelten aber nur, sofern an den Compliance-Officer Pflichten delegiert wurden, die den Leitungspersonen im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung zu kommen. Nur dann muss dieser über565  H. Schneider / Gottschaldt,

ZIS 2011, 573 (575). Rönnau / F. Schneider, ZIP 2010, 53 (57 f.). 567  G. Dannecker / C. Dannecker, JZ 2010, 981 (990 und 992). 568  Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, 397. 569  G. Dannecker / C. Dannecker, JZ 2010, 981 (990 f.). 570  Zutreffend G. Dannecker / C. Dannecker, JZ 2010, 981 (990 f.) und Bergmann, Strafbarkeit vertragswidrigen Unterlassens, 397. Anders beispielsweise H. Schneider / Gottschaldt, ZIS 2011, 573 (574) und Berndt, StV 2009, 689 (691). 571  Natürlich sind extreme Ausnahmekonstellationen wie z. B. die Bewusstlosigkeit des Compliance-Beauftragten denkbar. 566  So



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht141

haupt präventiv tätig werden. Nicht selten werden Compliance-Officer in der Unternehmenspraxis arbeitsvertraglich aber nur dahin gehend verpflichtet sein, reaktiv tätig zu werden. Ihre Aufgabe erschöpft sich dann oftmals darin, nach einer begangenen Zuwiderhandlung eine Sanktions- bzw. Überwachungsfunktion auszuüben und Optimierungen von Organisationsmaßnahmen vorzunehmen. In Bezug auf den Geschäftsherrn muss ergänzt werden: Es ist ebenfalls richtig, dass der Geschäftsherr mittels Compliance-Maßnahmen (z. B. Anweisungen, Schulungen, Kontrollen, Richtlinien) eine konkrete Möglichkeit zur Erfolgsabwendung haben kann. Ob anderen Maßnahmen danach die Möglichkeit zur Erfolgsabwendung regelmäßig fehlen wird572, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls. Zu bedenken gilt es jedenfalls, dass nicht nur unternehmensinterne Maßnahmen in Erwägung zu ziehen sind, sondern eine Möglichkeit der Geschäftsleitung zum steuernden Eingreifen in den Geschehensablauf auch durch Einschaltung von Polizei oder speziellen Sicherheitsbehörden bestehen kann. Kursorisch erwähnt werden soll, dass die vermehrte Einsetzung von Compliance-Officern in der betrieblichen Praxis gerade auch erst eine strafrechtliche Verantwortung derselben statuieren können, sofern die Erfolgsabwendungspflicht des Geschäftsherrn auf diese delegiert wurde. Damit lassen sich ungeachtet etwaiger Beweisschwierigkeiten zumindest in der Theorie (erhöhte) Ahndungsrisiken durch Compliance infolge von Delegationsakten573 ausmachen. Des Weiteren ist wiederum fraglich, ob sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen in Bezug auf den Compliance-Beauftragten oder die Leitungsperson in einem Strafverfahren bewiesen werden können. Insbesondere die sog. Quasikausalität und der Vorsatz in Bezug auf den konkreten deliktischen Erfolg dürften in der Regel Beweisschwierigkeiten bereiten und eine Strafbarkeit aus unechtem Unterlassungsdelikt ausscheiden lassen.574 Die sog. Quasikausalität liegt nur vor, wenn bei Vornahme der gebotenen Handlung der tatbestandliche Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre.575 Im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO kann ein bestehendes Criminal-ComplianceProgramm berücksichtigt werden. Der Umstand, dass ein umfassendes d. h. aus einer Vielzahl von Compliance-Maßnahmen bestehendes Gesamtkonzept bereits besteht, kann die Überzeugungsbildung des Gerichts dahin gehend 572  In

diese Richtung deutend Stanitzek, Criminal Compliance, 199. geht es gerade nicht um allgemeine Ahndungsfolgen von Non-Compli-

573  Hier

ance.

574  Vgl.

Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 39 Rn. 33 f. StrafR AT, 467 Rn. 13.

575  Rengier,

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

beeinflussen, dass weitere zusätzliche Maßnahmen den Erfolg auch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten entfallen lassen.576 In Betracht käme im Anschluss daran allenfalls noch eine Strafbarkeit wegen einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG. Welche ahndungsrecht­ liche Rolle ergriffene Criminal-Compliance-Maßnahmen im Rahmen der echten Unterlassungsdelikte spielen können, soll nachfolgend dargetan werden. bb) Echte Unterlassungsdelikte, insbesondere der Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung, § 130 OWiG (1) Ausschluss des objektiven Tatbestandes? Mehrheitlich wird – zu Recht – in der Literatur angenommen, dass durch Implementierung eines angemessenen Criminal-Compliance-Programms der objektive Tatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG ausgeschlossen werden kann.577 Der Idealfall besteht darin, dass der Unternehmensinhaber selbst durch die Implementierung eines Criminal-Compliance-Programms alle möglichen, erforderlichen und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen tatbestandlich getroffen hat und es in der Folge dadurch auch zu keiner betriebsbezogenen Zuwiderhandlung eines Unternehmensmitarbeiters kommt.578 Treffend wird darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss des objektiven Tatbestandes der Aufsichtspflichtverletzung auch dann in Betracht kommt, wenn der Unternehmensinhaber eine externe Rechtsberatung mit der Implementierung eines Criminal-Compliance-Programms beauftragt hat, um den Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG zu genügen.579 Kumulativ müssen dafür drei Voraussetzungen vorliegen: Erstens wird dafür vorausgesetzt, dass der Unternehmensinhaber den externen Rechtsberater sorgfältig und gewissenhaft ausgewählt hat.580 Zweitens muss der Unternehmensinha576  Engelhart,

Sanktionierung, 405. KapitalmarktstrafR, Rn. 1019; Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (742); Schefold, ZRFC 2013, 124 (126); Petermann, Compliance-Maßnahmen, 214; Stanitzek, Criminal Compliance, 205 ff.; van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (45); Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (306 f.); Wessing, in: FS Volk, 867 (876); Engelhart, Sanktionierung, 403; Mosbacher, in: Compliance-Diskussion, 129 (130 ff.); Kubiciel, in: FS Wessing, 69 (70 f.); Kämpfer, in: FS Wessing, 55 (58). 578  Welche Voraussetzungen das Criminal-Compliance-System dabei erfüllen muss, wird nachfolgend dargestellt. 579  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (307). 580  BGH, Urteil vom 04.04.2013  – 3 StR 521 / 12, NStZ 2013, 461; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2003  – 3 Ss 114 / 03, NStZ-RR 2003, 263. Ausführlich zum 577  Schröder,



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht143

ber für eine hinreichende d. h. wahrheitsgemäße und vollständige Informa­ tionsbasis beim externen Berater sorgen, damit dieser eine Criminal-Compliance-Konzeption entwerfen kann.581 Und drittens muss der Ratsuchende d. h. der Unternehmensinhaber selbst noch einmal eine abschließende eigene Prüfung der Auskunft auf Plausibilität vornehmen.582 Unter diesen Voraussetzungen kann es zu einem Ausschluss des objektiven Tatbestands im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG für den Unternehmensinhaber kommen. Zum anderen kann die gehörige Aufsicht durch den Unternehmensinhaber auch dann ausgeübt worden sein, wenn eine Zuwiderhandlung durch einen Unternehmensmitarbeiter tatsächlich begangen worden ist.583 Solche Kon­ stellationen können sich insbesondere dann ergeben, wenn interne oder auch externe Rechtsberater zur Mithilfe bei der Ausübung der gehörigen Aufsicht durch den Unternehmensinhaber eingeschaltet wurden. Denkbar sind daher folgende Fälle584: Erstens, der Rechtsberater verneint ex ante die Strafbarkeit eines Lebenssachverhalts, woraufhin der Unternehmensinhaber keine Aufsichtsmaßnahmen ergreift, doch die Strafverfolgungsbehörden kommen zu einem gegenteiligen Ergebnis. Der Unternehmensinhaber bzw. die über § 9 OWiG gleichgestellte Leitungsperson haben bereits durch die Einschaltung eines Rechtsberaters nach den oben genannten Voraussetzungen ihre gehörige Aufsicht ausgeübt.585 Zweitens, der Rechtsberater nimmt irrig an, dass die bereits durch den Unternehmensinhaber getroffenen Aufsichtsmaßnahmen der gehörigen Aufsicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWIG genügen und es kommt im Anschluss daran zu einer betriebsbezogenen Zuwiderhandlung. Auch hier hat der Unternehmensinhaber durch die Einschaltung eines (externen) Rechtsberaters nach den aufgezeigten Kriterien bereits der gehörigen Aufsicht genüge getan.586 Der dritte denkbare Fall besteht darin, dass der Rechtsberater selbst schuldhaft eine Aufsichtsmaßnahme übersieht und es in deren Folge zu einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus dem Unternehmen kommt. Diesbezüglich kann man genauso wie in den vorherigen Fällen konstatieren, dass der Unternehmensinhaber die gehörige Aufsicht durch Einschaltung des Rechtsberaters hat tatbestandlich walten lassen.587 Aspekt der sorgfältigen Auswahl des externen Beraters Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253 (256 ff.) und Gliederungspunkt: D. III. 2. 581  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (307). 582  BGH, Urteil vom 04.04.2013  – 3 StR 521 / 12, NStZ 2013, 461; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2003  – 3 Ss 114 / 03, NStZ-RR 2003, 263; Rieder / Jerg, CCZ 2010, 201 (202) sowie diesem folgend Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (307). 583  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (307). 584  Alle Fälle nach Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (307 ff.). 585  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (307 f.). 586  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (308). 587  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (308 f.).

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

(2) D  erzeitige Anforderungen der Rechtsprechung an die gehörige Aufsicht im Sinne des § 130 OWiG (a) D  as Dilemma um die Bestimmung der konkreten unternehmerischen Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG Im geltenden deutschen Recht stellt § 130 OWiG eine wichtige Rechtsquelle dar, an der sich Leitungspersonen hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Compliance-Programme orientieren können.588 Wie bereits geklärt, besteht grundsätzlich keine generelle Rechtspflicht hinsichtlich des „Ob“ d. h. zur Ergreifung von konkreten Compliance-Maßnahmen.589 § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG spricht zunächst nur von „erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen“, die der Inhaber eines Unternehmens bzw. Betriebes im Einzelfall treffen muss. In § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG findet sich dann ein gesetzgeberischer Hinweis zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen. Nicht abschließend, wie das Wort „auch“ verdeutlicht, werden die Bestellung, sorgfältige Auswahl und die Überwachung von Aufsichtspersonen genannt.590 Darüber hinaus gibt § 130 OWiG aber keine Auskunft, welche weiteren Aufsichtsmaßnahmen der Unternehmensinhaber bzw. Leitungspersonen im Sinne des § 9 OWiG im Einzelfall treffen müssen.591 Deswegen verwundert es nicht, dass das Tatbestandsmerkmal der gehörigen Aufsicht als konturenlos bezeichnet wird.592 Die konkrete Ausgestaltung, also das „Wie“ der Aufsicht bzw. Compliance-Organisation, steht grundsätzlich im Auswahlermessen der Leitungsebene. Es ist daher verständlich, dass Betriebs- bzw. Unternehmensinhaber die Hoffnung haben, dass die Judikative durch Urteile bzw. Beschlüsse zu Konkretisierungen der erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen beiträgt. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass Unternehmen, um überhaupt wirtschaftlich und in sozialer Verantwortung tätig werden zu können, klare und eindeutige Vorgaben hinsichtlich des gesetzmäßigen Verhaltens benötigen.593 Eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung erscheint daher für alle am Wirtschaftsleben Beteiligten mehr als nötig, allein schon wegen einer ernst gemeinten Kriminalprävention.

Bock, ZIS 2009, 68 (70). Gliederungspunkt: C. II. 1. b). 590  Vgl. Bussmann / Matschke, CCZ 2009, 132; Rogall, in: KK-OWiG, § 130, Rn. 39. 591  Rogall, in: KK-OWiG, § 130, Rn. 39. 592  Bosch, Organisationsverschulden, 347  ff.; Wilhelm, ZRFC 2013, 133; dies., Erforderliche Aufsichtsmaßnahmen, 9 ff. 593  Vgl. Bock, ZIS 2009, 68 (73). 588  Vgl. 589  Vgl.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht145

Nachfolgend wird die zu § 130 OWiG ergangene Rechtsprechung dargestellt und versucht hinsichtlich der einzelnen unternehmerischen Aufsichtspflichten zu systematisieren. Dabei sind aber zwei Besonderheiten zu beachten: Die ergangene Rechtsprechung zu § 130 OWiG kann nur einen Teilbereich der aktuell von Unternehmensleitungen geforderten Aufsichtsmaßnahmen abbilden. Nicht jeder Sachverhalt, bei dem es um konkrete unternehmerische Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG geht, wird letztlich durch die Rechtsprechung entschieden. Vielmehr gibt es neben den Gerichten noch andere Entscheidungsträger, die bestimmen und konkretisieren können, was unter der „gehörigen Aufsicht“ im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG zu verstehen ist. Denn viele Geldbußen werden durch Verwaltungsbehörden verhängt. Nur falls der Betroffene einen Einspruch gemäß § 67 ff. OWiG gegen den Bußgeldbescheid einlegt, würde ein Amtsgericht über den Sachverhalt und damit auch über die einzelnen Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG entscheiden. Welche Anforderungen die zuständigen Verwaltungsbehörden im Einzelnen an die unternehmerischen Aufsichtspflichten stellen, bleibt daher weitgehend unklar. Dies wird auch dadurch bedingt, dass Bußgeldbescheide nur partiell begründet werden müssen. Über die zur Last gelegte Tat, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit sowie der angewendeten Bußgeldvorschriften (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG) und der Beweismittel (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 4 OWiG) hinaus, muss der Bußgeldbescheid nicht weiter begründet werden, § 66 Abs. 3 OWiG. Welche Aufsichtsmaßnahmen im konkreten Einzelfall durch Unternehmen an den Tag gelegt werden müssten, braucht die Verwaltungsbehörde folglich nicht darzulegen und zu begründen. Die allgemeinen Verwaltungsbehörden können somit im Einzelfall höhere Anforderungen an die „gehörige Aufsicht“ im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG stellen, als es die bisherige Rechtsprechung gemacht hat. Es besteht darüber hinaus auch die Möglichkeit, dass die regionalen Verwaltungsbehörden jeweils einen anderen d. h. milderen oder strengeren Sorgfaltsmaßstab hinsichtlich der einzeln zu treffenden unternehmerischen Aufsichtsmaßnahmen anwenden. Des Weiteren bestehen unterschiedliche Perspektiven, aus denen einzelne Compliance-Maßnahmen betrachtet werden. Die Rechts- und ComplianceAbteilung eines Unternehmens bzw. die extern hinzugezogene Unternehmensberatung muss zukunftsgerichtet betriebstypisch delinquentes Verhalten von Angestellten antizipieren und erfolgsversprechende Präventivmaßnahmen ergreifen, damit einer strafrechtlichen Ahndung begegnet wird.594 Demgegenüber nimmt die Rechtsprechung mit einer Ex-post-Betrachtung und ­einem Wissensvorsprung dergestalt, dass das Schadensausmaß und andere 594  Rotsch,

ZIS 2010, 614 (616).

146

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

tatsächliche Gegebenheiten bekannt sind, die getroffenen unternehmerischen Aufsichtsmaßnahmen unter die Lupe.595 Die Rechtsprechung hält sich sehr bedeckt, konkrete Vorgaben bzw. Maßnahmen zu nennen, die Unternehmen hätten ergreifen sollen, damit sie sich nicht dem Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung aussetzen. Das OLG Frankfurt hat in einem Beschluss vom 21.09.1992 darauf hingewiesen, dass „es […] nicht Sache des Senats [ist], der Nebenbetroffenen […] konkrete Möglichkeiten aufzuzeigen“596, wie Kontrollsysteme bzw. Kontrollvorkehrungen im Unternehmen bezüglich der Verhinderung von Kartellrechtsverstößen auszusehen haben. Die Rechtsprechung beschränkt sich in vielen Urteilen bzw. Beschlüssen oft einzig und allein darauf, die Aufsichtspflichtverletzung zu benennen, ohne jedoch Ausführungen zum erwarteten normgemäßen Verhalten zu machen.597 Welche genauen Anforderungen Unternehmen beachten müssen, damit sie sich nicht dem Vorwurf einer Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG aussetzen, ist anhand der zahlreichen manchmal auch widersprüch­ lichen Judikatur598 im Ergebnis schwer zu beurteilen. Nichtsdestotrotz kann aus der Rechtsprechung eine grobe Richtschnur entnommen werden, was von Unternehmen diesbezüglich aktuell im Einzelfall gefordert wird.599 Die nachfolgenden Ausführungen sind somit als „Orientierungshilfen“ zu verstehen, welche Maßnahmen Compliance-Programme von Unternehmen in ihrem Katalog im Einzelfall vorsehen sollten, damit einer strafrechtlichen Ahndung vorgebeugt werden kann. Bereits hier soll erwähnt werden, dass zunehmend ausländische Gesetze mit ihren extraterritorialen Anwendungsbereichen und sich den daraus ergebenden Pflichten größeren Einfluss auch auf deutsche Unternehmen haben und weitere präventive Maßnahmen angezeigt sein können. (b) E  inzelne unternehmerische Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG In der Regel unterteilt die Rechtsprechung die Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG in Auswahl-, Einweisungs- und Überwachungspflichten.600 Darüber hinaus lassen sich aus der ergangenen Rechtsprechung noch allgemeine Organisationspflichten für Unternehmen ableiten. Auf die Darstellung 595  Rotsch, 596  OLG

(233).

ZIS 2010, 614 (616 f.). Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231

Rettenmaier / Palm, NJOZ 2010, 1414 (1415 f.). CCZ 2009, 132 sprachen schon 2009 von einem „Wildwuchs an Kasuistik“. 599  Ebenso Rettenmaier / Palm, NJOZ 2010, 1414. 600  Vgl. nur BGH, Beschluss vom 25.06.1986 – KRB 2 / 85, NStZ 1986, 34. 597  Vgl.

598  Bussmann / Matschke



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht147

des Forschungsstandes der Literatur zu den einzelnen Aufsichtspflichten wird an dieser Stelle verzichtet, ohnehin geht dieser in weiten Stücken mit den Anforderungen der Rechtsprechung konform. Vielmehr soll ein umfassender Überblick über die für die Praxis maßgebliche Rechtsprechung zum Ordnungswidrigkeitentatbestand der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG erfolgen. Es wird nun versucht, die ergangene Rechtsprechung zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen darzustellen und zu systematisieren. Es wird ebenfalls der Versuch unternommen, die hinter den einzelnen Aufsichtspflichten stehenden Bedeutungsinhalte zu erörtern. (aa) Auswahlpflichten Die Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG beginnen mit einer gewissenhaften Auswahl derjenigen Unternehmensmitarbeiter, die zum einen neu eingestellt oder in andere Unternehmensbereiche versetzt werden und zum anderen bezüglich derer, an die bestimmte bisher nicht zum Tätigkeitsfeld gehörende Aufgaben z. B. Aufsichtsaufgaben delegiert werden. Die Rechtsprechung fordert von den Unternehmen, dass die Auswahl neuer Mitarbeiter konkret bezogen auf den jeweils zu übernehmenden Aufgaben- und Verantwortungsbereich erfolgt.601 Bei einer Einstellung von Mitarbeitern hat der Unternehmer insbesondere die Anforderungen, die die zu besetzende Stelle in rechtlicher Hinsicht an den Bewerber stellt, zu berücksichtigen.602 Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter bzw. bei Versetzungen im Unternehmen dürfen „Referenzen“ und „Auftreten“ allein nicht die ausschlaggebenden Faktoren sein.603 Vielmehr ist erforderlich, dass der Unternehmer den Mitarbeiter hinsichtlich der Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle überprüft. Einen Pflichtenverstoß sieht die Rechtsprechung auch darin, dass Aufsichtspflichten durch den Unternehmens- bzw. Betriebsinhaber an Mitarbeiter delegiert werden, die nicht in der Lage sind und dafür Sorge tragen können, dass gesetzliche Regelungen eingehalten werden.604 601  OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39). 602  KG Berlin, Urteil vom 20.01.1999  – Kart 16 / 98, wistra 1999, 357 (359), in Bezug auf die kartellrechtlichen Anforderungen, die ein Geschäftsführer einer GmbH zu beachten hat. 603  BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479). 604  KG Berlin, Beschluss vom 26.08.1997 – 2 Ss 182 / 97 – 5 Ws (B) 424 / 97; online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 22.08.1995 – 2 Ss 102 / 95 – 5 Ws (B) 234 / 95, online abrufbar unter: www.juris. de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 8.

148

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es gleichgültig ist, aus welchen Gründen die bestellte Aufsichtsperson nicht in der Lage ist, die gesetzlichen Regelungen einzuhalten. Es ist daher ohne Belang, ob die Nichtbeachtung der gesetzlichen Bestimmungen durch die ausgewählte Aufsichtsperson auf tatsächlichen Gründen z. B. zu starke Arbeitsbelastung, verschiedene gleichzeitig zu betreuende Arbeitsorte605 etc. oder auf rechtlichen Gründen z. B. fehlenden oder mangelhaften Kenntnissen auf einem bestimmten Rechtsgebiet beruht. (bb) Einweisungs- bzw. Instruktionspflichten606 Neben den oben genannten Auswahlpflichten treffen den Unternehmensbzw. Betriebsinhaber auch Einweisungs- und Instruktionspflichten gegenüber Mitarbeitern.607 Neue Mitarbeiter im Unternehmen sind generell wegen der sie neu treffenden Pflichten zu belehren und einzuarbeiten.608 Pauschale Hinweise, dass die Unternehmensleitung gesetzeskonformes Verhalten wünscht, genügen nicht den Einweisungs- und Instruktionspflichten.609 Erforderlich sind vielmehr Informationen an die Unternehmensmitarbeiter, in denen die wahrzunehmenden Pflichten genauestens mitgeteilt werden.610 Die Anweisungen seitens des Unternehmensinhabers müssen zum einen klar und verständlich sein und sollten zum anderen mit aktuellen Beispielen aus der Praxis belegt werden, sodass für den einzelnen Mitarbeiter genau ersichtlich wird, welche Verhaltensweisen verboten sind.611 Im Ergebnis müssen die Anweisungen und damit der Rechtsunterricht die Mitarbeiter in die Lage versetzen, die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zu beherrschen und anzuwenden.612 Dies trifft insbesondere auf die Fälle zu, in denen der Unternehmensinhaber Aufsichtspflichten vertikal delegiert, d. h. auf untergebene Mitarbeiter überträgt.613 Werden Aufsichtspflichten delegiert, muss der 605  Vgl. nur OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2002  – 1 Ss OWi 148 / 02, wistra 2002, 274 f. in Bezug auf die Betreuung mehrerer Baustellen. 606  Man kann auch von Schulungspflichten sprechen. 607  KG Berlin, Urteil vom 20.01.1999 – Kart 16 / 98, wistra 1999, 357 (359); OLG Karlsruhe, Urteil vom 23.04.2008 – 6 U 180 / 06, CR 2009, 217. 608  OLG Celle, Beschluss vom 24.02.1987  – 2 Ss (OWi) 342 / 86, NdsRpfl 1987, 135. 609  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1897). 610  KG Berlin, Beschluss vom 26.08.1997 – 2 Ss 182 / 97 – 5 Ws (B) 424 / 97; online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 8. 611  OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.04.1986 – 1 Ws 418 / 84, wistra 1987, 35. 612  KG Berlin, Beschluss vom 31.10.2001  – 2 Ss 223 / 00  – 5Ws (B) 784 / 00, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 7 in Bezug auf gesetz­ liche Identifizierungspflichten des Geldwäschegesetzes.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht149

betroffene Angestellte in den neuen Pflichtenkreis eingewiesen und auf die wesentlichen gesetzlichen Bestimmungen nicht nur hingewiesen, sondern mit diesen vertraut gemacht werden.614 Nur aufgrund einer genauen und soliden Informationsbasis kann der Mitarbeiter zuverlässig seine übertragenen Aufsichtspflichten wahrnehmen und eine Sensibilisierung für verbotene Verhaltensweisen erreichen. Strengere Anforderungen an die Belehrung und In­ struktion von Mitarbeitern fordert die Rechtsprechung auch in Wirtschaftsbranchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Kartellrechtsverstöße besteht.615 In Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Kartellrechtsverstöße besteht, muss eine „spezifisch kartellrechtliche Belehrung erfolgen“, zumal es sich bei dem Kartellrecht um eine komplizierte Rechtsmaterie handelt.616 Die Belehrungen können derart aussehen, dass regelmäßig Rundschreiben verschickt werden und in Rahmen von Präsenzschulungen mittels Vorträgen die kartellrechtlichen Regelungen verdeutlich werden.617 Das OLG Düsseldorf hat in einem Beschluss klargestellt, dass Bewerber, nachdem sie sorgfältig ausgewählt wurden „fortlaufend über die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften genau zu unterrichten [sind und] ihnen klar zu machen [ist], für welchen Teil des Betriebsablaufes sie verantwortlich sind“618, damit in einem arbeitsteiligen Wirtschaftsunternehmen Zuwiderhandlungen gegen betriebliche Pflichten verhindert werden. Eine einmalige Unterrichtung der Mitarbeiter, über die zu ihrem Tätigkeitsfeld gehörenden gesetzlichen Bestimmungen, ist nicht ausreichend, vielmehr müssen die Angestellten in regelmäßigen zeitlichen Abständen nachdrücklich auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen hingewiesen werden.619 Die Beleh613  KG Berlin, Beschluss vom 22.08.1995 – 2 Ss 102 / 95 – 5 Ws (B) 234 / 95, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016); OLG Koblenz, Beschluss vom 03.03.1989  – 1 Ss 38 / 99, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn.  11 f. 614  OLG Koblenz, Beschluss vom 03.03.1989 – 1 Ss 38 / 99, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 12. 615  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896) sieht in der Transportbetonindustrie ein erhöhtes Risiko für Kartellrechtsverstöße. 616  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896) für die Transportbetonbranche. 617  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.03.2006 – VI-Kart 3 / 05 (OWi), online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 846 wobei allein die Verteilung eines Merkblatt zur Einhaltung des Kartellrechts als nicht ausreichend erachtet wurde. 618  OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39). 619  BGH, Beschluss vom 11.07.1956  – 1 StR 306 / 55, BGHSt 9, 319 (323); KG Berlin, Beschluss vom 02.05.1991 – 2 Ss 44 / 91  – 3 Ws (B) 54 / 91, NZV 1991, 322 (323); KG Berlin, Beschluss vom 26.03.1992 – 2 Ss 28 / 92 – 3 Ws (B) 65 / 92, NZV

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

rungspflicht entfällt auch angesichts der Tatsache nicht, dass der betreffende Angestellte bereits Kenntnisse über die einschlägigen gesetzlichen Regelungen hat.620 Ist der Unternehmensinhaber bzw. eine Aufsichtsperson aufgrund von fehlenden rechtlichen Kenntnissen nicht selbst in der Lage die Angestellten einzuweisen oder substanziell zu belehren, so muss auf externe Sachverständigenhilfe z. B. Anwaltskanzleien bzw. Wirtschaftsprüfergesellschaften zurückgegriffen werden.621 Gesteigerte Anforderungen stellt die Rechtsprechung auch an die Art und Weise der Übermittlung der notwendigen Informationen an die Unternehmensmitarbeiter. Als nicht ausreichend hat es die Rechtsprechung erachtet, wenn ein Geschäftsführer „umfangreiches Informationsmaterial bekannt gibt, ohne zu kontrollieren, ob seine Mitarbeiter das Material tatsächlich gelesen und verstanden haben.“622 Entscheidend für die Erfüllung der Einweisungspflichten ist somit nicht die pauschale Kenntnisnahmemöglichkeit, sondern die tatsächliche Kenntnis der Mitarbeiter von den entsprechenden Informationen. Nur im letzteren Fall genügt man den Einweisungspflichten im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG. Der Einweisungs- bzw. Belehrungspflicht über die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen ist auch nicht genüge getan, wenn der Unternehmer stattdessen eine einmalige Beratungs- und Diskussionsveranstaltung einer fachkundigen Behörde in den Betriebsräumen durchführen lässt.623 Ausreichend ist es ebenfalls nicht, wenn der Unternehmensinhaber Richtlinien für Kreditinstitute bekannt gibt und Gesetzestexte im Wortlaut wiedergibt, denn damit ist nicht sichergestellt, dass die Angestellten die gesetzlichen Bestimmungen auch in der Praxis anwenden können.624 Die Unternehmensmitarbeiter sollen danach über ein eigenes Subsumtionsvermögen verfügen. Wie oben bereits angeführt, ist eine fortlaufende Unterrichtung 1992, 329; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39). 620  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896). 621  KG Berlin, Urteil vom 20.01.1999  – Kart 16 / 98, wistra 1999, 357 (359); BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001 – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479), in Bezug auf die Zuhilfenahme externer Sachverständiger für die Überwachung – gleiches mag aber für die zeitlich vorgelagerten Instruktionspflichten des Unternehmensinhabers gelten. 622  KG Berlin, Beschluss vom 31.10.2001  – 2 Ss 223 / 00  – 5Ws (B) 784 / 00, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 8. 623  Vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26.03.1992  – 2 Ss 28 / 92  – 3 Ws (B) 65 / 92, NZV 1992, 329 hinsichtlich der Belehrung über Sozialvorschriften. 624  KG Berlin, Beschluss vom 31.10.2001  – 2 Ss 223 / 00  – 5Ws (B) 784 / 00, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 8.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht151

sowie Belehrung über die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen erforderlich. Die Rechtsprechung sieht den Sinn der Belehrung bzw. Einweisung darin, dass den Unternehmensmitarbeitern nicht nur Kenntnisse über die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen vermittelt werden, sondern ihnen gleichzeitig eindringlich bewusst gemacht wird, dass das Unternehmen auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen bedacht ist und bei Verstößen mit Maßnahmen seitens des Unternehmens zu rechnen ist.625 (cc) Überwachungs-, Untersuchungs- und Sanktionspflichten In ständiger Rechtsprechung wird deutlich gemacht, dass alleine die sorgfältige Auswahl und Instruktion von Unternehmensmitarbeitern nicht ausreichend ist, um der Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG zu genügen. Vielmehr ist auch eine Überwachung bzw. Kontrolle notwendig.626 Verfügt die Person, die für die Überwachung zuständig ist, nicht über die relevanten Kenntnisse, so muss der Unternehmensinhaber dafür sorgen, dass sachkundige Dritte diese ausüben.627 Richtigerweise muss das auch für den Unternehmensinhaber selbst gelten. Gleiches gilt, wenn der Unternehmensinhaber aus zeitlichen oder technischen Gründen nicht in der Lage ist, etwaige Kontrollmaßnahmen zu ergreifen.628 Hat der Unternehmensinhaber seine Kontroll- und Sanktionspflichten einem Dritten übertragen, so muss der Unternehmensinhaber das eingesetzte Aufsichtspersonal selbst auch in regelmäßigen Abständen überwachen629 bzw. sich durch Erkundigungen auf den ak-

625  KG Berlin, Beschluss vom 02.05.1991  – 2 Ss 44 / 91  – 3 Ws (B) 54 / 91, NZV 1991, 322 (323); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2007 – IV-2 Ss (OWi) 83 / 07 – (OWi) 64 / 07 III, NJW 2008, 930 (931). 626  BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479); OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896); OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992  – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (232); OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.04.1986 – 1 Ws 418 / 84, wistra 1987, 35; OLG Hamm, Beschluss vom 21.10.1998  – 2 Ss OWi 1148 / 98, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 9; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.03.1989  – 1 Ss 38 / 99, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn.11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990 – 2 Ss (OWi) 144 / 90 – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39). 627  OLG Koblenz, Beschluss vom 03.03.1989 – 1 Ss 38 / 99, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn.13; BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001 – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479). 628  OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.09.1976 – 3 Ss 526 / 76, NJW 1977, 1410. 629  OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2003  – 1 Ss OWi 634 / 03 online abrufbar unter: http: /  / www.judicialis.de (zuletzt: 29.03.2016).

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

tuellen Stand der Überwachungsmaßnahmen bringen lassen.630 Denn auch im Falle einer zulässigen vertikalen Delegierung von Überwachungspflichten treffen den Unternehmensinhaber nach gefestigter Rechtsprechung auch weiterhin – zumindest teilweise – eigene Aufsichtspflichten, insbesondere allgemeine Organisationspflichten, die sicherstellen sollen, dass es der von ihm ausgewählten Aufsichtsperson überhaupt möglich ist, Kontrollmaßnahmen zu ergreifen.631 Bei gefahrträchtigen Arbeiten kann es nötig sein, dass eine sachkundige Person, die die gesetzlichen Bestimmungen kennt, dauerhaft vor Ort ist und Überwachungsmaßnahmen trifft.632 Der BGH hat entschieden, dass „Art und Umfang der Aufsichtspflichten, die von einem Betriebsinhaber […] verlangt werden müssen, […] nicht allein an dem Ziel auszurichten [sind], durch eine möglichst umfassende Beaufsichtigung der Betriebsangehörigen jegliche Zuwiderhandlung gegen betriebliche Pflichten zu verhindern.“633 Die Überwachungspflichten des Unternehmensinhabers finden ihre Grenzen in der Würde der Angestellten und der Pflege des Betriebsklimas, daher sind keine umfassenden bzw. flächendeckenden Personalkontrollen angezeigt.634 Die Überwachungsmaßnahmen müssen zum einen zumutbar sein und zum anderen darf sich der Aufsichtspflichtige entsprechend des Vertrauensgrundsatzes auf die Eigenverant­ wortung der Angestellten verlassen.635 Die Rechtsprechung hat diesen Vertrauensgrundsatz noch weiter konkretisiert. Die durchzuführenden Kontrollen des Unternehmensinhabers können umso geringer ausfallen, je besser der 630  OLG

(275).

Hamm, Beschluss vom 19.03.2002 – 1 Ss OWi 148 / 02, wistra 2002, 274

631  Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.1998  – 2 Ss (OWi) 385 / 98  – (OWi) 112 / 98 III, NStZ-RR 1999, 151; OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2003 – 1 Ss OWi 634 / 03, online abrufbar unter: http: /  / www.judicialis.de (zuletzt: 29.03.2016); BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479); OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992  – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (232). 632  KG Berlin, Beschluss vom 22.08.1995 – 2 Ss 102 / 95 – 5 Ws (B) 234 / 95, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), in Bezug auf Bauarbeiten, bei denen eine Person gewährleisten und kontrollieren muss, dass auf jeder Baustelle die Baumschutzverordnung eingehalten wird; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2002 – 1 Ss OWi 148 / 02, wistra 2002, 274 (275). 633  BGH, Beschluss vom 11.03.1986  – KRB 7 / 85, online abrufbar unter: www. juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 10. 634  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896); BGH, Beschluss vom 11.03.1986 – KRB 7 / 85, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 10. 635  BGH, Beschluss vom 11.03.1986  – KRB 7 / 85, online abrufbar unter: www. juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 10.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht153

einzelne Mitarbeiter qualifiziert ist.636 Der Vertrauensgrundsatz ist erschüttert und greift nicht mehr, wenn es im Unternehmen in der Vergangenheit zu relevanten Vorfällen gekommen ist, bei denen betriebliche Pflichten verletzt worden sind.637 Die Folge ist, dass verstärkte Kontrollmaßnahmen erfolgen müssen. Gleiches gilt, wenn aufgrund von bestimmten Anhaltspunkten davon ausgegangen werden muss, dass es zukünftig zu Verstößen kommen kann oder wenn komplizierte Rechtsmaterien eine erhöhte Kontrolldichte – auch bezüglich höher qualifizierter Angestellter – erfordern.638 Ebenso soll die „Anfälligkeit der Branche für Verstöße“639 als Gradmesser für auszuübende Kontrollaktivitäten dienen. Ein erhöhtes Risiko für Kartellrechtsverstöße haben die Gerichte der Transportbetonindustrie bescheinigt.640 Verstärkte Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sollen insbesondere auch bei neuen Mitarbeitern nach Ansicht der Rechtsprechung an den Tag gelegt werden, damit erkennbar wird, dass die Einarbeitung funktioniert hat.641 Hingegen bedürfen Mitarbeiter, die sich über Jahre hinweg als sehr zuverlässig erwiesen haben, keiner erhöhten Kontrollmaßnahmen.642 Im Allgemeinen genügt es seitens des Unternehmensinhabers nicht, dass wöchentliche Kontrollen lediglich angekündigt werden, vielmehr erfordern gerade Tätigkeiten, bei denen eine rechtliche Kompliziertheit gegeben ist, auch tatsächlich durchgeführte Kontrollmaßnahmen.643 636  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1897). 637  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1897); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39); OLG Celle, Beschluss vom 24.02.1987 – 2 Ss (OWi) 342 / 86, NdsRpfl 1987, 135; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.06.1998 – 1 Ss 100 / 98, NStZ-RR 1998, 311 (312). 638  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1897); BGH, Beschluss vom 01.06.1977 – KRB 3 / 76, BGHSt 27, 196 (202). 639  OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39). 640  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896). 641  BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479); OLG Celle, Beschluss vom 24.02.1987  – 2 Ss (OWi) 342 / 86, NdsRpfl 1987, 135. 642  OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.1977  – 4 Ss OWi 1737 / 77, MDR 1978, 598. 643  KG Berlin, Beschluss vom 31.10.2001 – 2 Ss 223 / 00 – 5 Ws (B) 784 / 00, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016) Rn. 8 in Bezug auf die gestiegenen rechtlichen Anforderungen, die einen Mitarbeiter in einer Geldwechselstube treffen und die daran auszurichtenden Aufsichtsmaßnahmen des Unternehmensinhabers.

154

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Die Rechtsprechung erachtete es als zu wenig, auch ohne dass gestiegene Kontrollanforderungen vorlagen, dass der Aufsichtspflichtige die Angestellten lediglich ab und an aufsuchte und Beobachtungen vornahm. Nicht erforderlich soll gleichwohl eine dauerhafte und unmittelbare Überwachung sein.644 Ebenso wenig genügt es, wenn der Unternehmensinhaber sich über Betriebsabläufe insbesondere über die Geschäftsentwicklung im Ressort „Beschaffung“ nur nach Bedarf und Absprache informiert. Notwendig sind regelmäßige Erkundigungen.645 Notwendig erscheinen daher regelmäßig und überraschend durchgeführte stichprobenartige Kontrollen, die sicherstellen sollen, dass alle Angestellten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen handeln.646 Der Sinn der Kontrollen besteht nach Auffassung der Rechtsprechung darin, den Angestellten in Erinnerung zu rufen, dass betriebliche Zuwiderhandlungen entdeckt und anschließend durch die Unternehmensleitung sanktioniert werden können.647 Stellen sich die Betriebsvorgänge als rechtlich kompliziert heraus, sodass stichprobenartige Kontrollen nicht mehr ausreichen, um einen geeigneten Überblick über die Materie und die Abläufe zu bekommen, so können umfangreiche und überraschend durchgeführte Geschäftsprüfungen angezeigt sein.648 Das Bayerische Oberste Landgericht hat mit seinem Beschluss v. 10.08.2001 erheblich zur Rechtssicherheit beigetragen und erste verlässliche Angaben zur Kontrolldichte geliefert. Es hat angenommen, dass bei Unternehmen, in denen die Mitarbeiter bisher zuverlässig gearbeitet haben, keine besonderen rechtlichen Kenntnisse erforderlich sind und zudem nur eine durchschnittliche Gefahr der Begehung von deliktischen Handlungen durch Mitarbeiter besteht, zumindest monatliche Kontrollen angezeigt sind.649 Da­ 644  BGH,

Beschluss vom 11.07.1956 – 1 StR 306 / 55, BGHSt 9, 319 (323). Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1897). 646  BGH, Urteil vom 23.03.1973  –2 StR 390 / 72, BGHSt 25, 158 (163); BGH, Beschluss vom 25.06.1985  – KRB 2 / 85, wistra 1985, 228 (229); BGH, Beschluss vom 24.03.1981  – KRB 4 / 80, wistra 1982, 34; BGH, Beschluss vom 24.03.1981  – KRB 4 / 80, WuW-E BGH 1799; BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479); OLG Köln, Beschluss vom 20.05.1994  – Ss 193 / 94 (B) – 106 B, wistra 1994, 315; OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2010 – III-1 RBs 24 / 10, online abrufbar unter: www.justiz.nrw.de / nrwe (zuletzt: 29.03.2016) Rn. 22; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.04.1986  – 1 Ws 418 / 84, wistra 1987, 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990 – 2 Ss (OWi) 144 / 90 – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39). 647  Vgl. BGH, Beschluss vom 25.06.1985  – KRB 2 / 85, wistra 1985, 228 (229); BGH, Beschluss vom 24.03.1981 – KRB 4 / 80, wistra 1982, 34. 648  BGH, Beschluss vom 25.06.1985  – KRB 2 / 85, wistra 1985, 228 (229); OLG Köln, Beschluss vom 20.05.1994 – Ss 193 / 94 (B) – 106 B, wistra 1994, 315. 649  BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479). 645  OLG



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht155

raus lässt sich schlussfolgern, dass gesteigerte Kontroll- und Überwachungstätigkeiten an den Tag gelegt werden müssen, wenn einer der gerade zuvor genannten Faktoren negativ abweicht oder zumindest Verdachtsmomente dahin gehend bestehen. Ferner stellte das Gericht an die Überwachungsmaßnahmen die Bedingung, dass die Kontrollen zudem den überwiegenden Teil der Belegschaft betreffen müssen, damit sie auch als solche verstanden werden und überhaupt die Möglichkeit besteht, adäquat betriebsbezogene Pflichtverstöße aufzudecken.650 Ferner trifft den Unternehmensinhaber nach ständiger Rechtsprechung nicht nur eine Überwachungspflicht hinsichtlich des Personals, sondern da­ rüber hinaus ebenfalls eine Untersuchungspflicht für den Fall, dass konkrete Tatsachen auf Fehlverhalten im Unternehmen schließen lassen.651 Damit wird deutlich, dass allein die Überwachung bzw. Sanktionierung nicht genügt, vielmehr muss die Leitungsebene eigene Untersuchungen anstellen, sofern sich Anhaltspunkte auf nicht normgemäßes Verhalten zeigen. Der Unternehmensinhaber ist auch gehalten, erkennbare Verstöße gegen betriebsbezogene Pflichten zu sanktionieren. Die Rechtsprechung leitet aus dem Nichteinschreiten bei erkennbaren bzw. wiederholten Verstößen von Mitarbeitern die Indizwirkung her, dass die Normverstöße seitens der Geschäftsleitung geduldet werden.652 Der Unternehmensinhaber ist nicht verpflichtet als Maßnahme für begangene Zuwiderhandlungen gleich arbeitsrechtliche Sanktionen anzudrohen.653 Es reicht daher aus, dass für den Fall der Zuwiderhandlung überhaupt Konsequenzen bzw. Sanktionen durch den Arbeitgeber angedroht werden.654 Erst im Zuge von mehrmaligen Verstößen kann es angezeigt sein, dass eine Kündigung angedroht wird bzw. die Entlassung erfolgt.655 Die Rechtsprechung verneint es wegen der Wahrung des Betriebsfriedens, dass betriebliche Sanktionen gegen Angestellte im Unternehmen bekannt zu machen sind.656 650  BayObLG,

(479).

Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478

651  BGH, Urteil vom 08.10.1984 – II ZR 175 / 83, GmbHR 1985, 143 f.; OLG Koblenz, Urteil vom 10.06.1991 – 6 U 1650 / 89, ZIP 1991, 870 (871). 652  BGH, Beschluss vom 25.06.1986 – KRB 2 / 85, NStZ 1986, 34 (35). 653  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (232). 654  BGH, Beschluss vom 24.03.1981  – KRB 4 / 80, WuW-E BGH 1799; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231. 655  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2007 – IV-2 Ss (OWi) 83 / 07 – (OWi) 64 / 07 III, NJW 2008, 930 (931); BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001 – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479). 656  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231.

156

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Die Rechtsprechung ist sich aber selbst auch bewusst, dass sämtliche noch so gut durchgeführte Kontrollmaßnahmen nicht jedwede vorsätzliche Handlung, bei der betriebliche Pflichten verletzt werden, verhindern kann.657 Ebenso erkennen die Gerichte an, dass es in Unternehmen zu Exzesstaten kommen kann. Sie sehen dabei in dem Umstand, dass Angestellte Verstöße begehen „kein ausreichendes Indiz für die Unzulänglichkeit der ergriffenen Aufsichtsmaßnahmen“.658 (dd) Nachgelagerte Organisationspflichten Unternehmensinhaber treffen neben den Auswahl-, Einweisungs- und Überwachungspflichten im Rahmen des § 130 Abs. 1 OWiG auch nachgelagerte Organisationspflichten. Die Rechtsprechung bekräftigt immer wieder, dass es „nicht Aufgabe des Gerichts oder anderer staatlicher Stellen [ist], einem Betriebsinhaber vorzuschreiben, wie er seinen Betrieb zu organisieren hat, um den ihm von Gesetzgeber auferlegten Pflichten beanstandungsfrei nachkommen zu können, denn mit der Eröffnung eines Betriebes liegt es zunächst an ihm, die zur Verhinderung betriebsbedingter Zuwiderhandlungen erforderlichen Überlegungen anzustellen.“659 Des Weiteren wird in ständiger Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, dass das Ausmaß der Aufsichtspflicht das von der Unternehmensleitung an den Tag gelegt werden muss, von den ganz konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt.660 Die Gerichte ziehen als Maßstab für den Umfang der zutreffenden Aufsichtsvorkehrungen immer die Sorgfalt heran, „die einem ordent­ lichen Angehörigen des jeweiligen Tätigkeitsbereichs abverlangt werden 657  BGH, Beschluss vom 11.03.1986  – KRB 7 / 85, online abrufbar unter: www. juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 10. 658  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231. 659  OLG Oldenburg, NJW 1977, 1410; OLG Hamm, Beschluss vom 19.11.2003 – 1 Ss OWi 634 / 03 online abrufbar unter: http: /  / www.judicialis.de (zuletzt: 29.03.2016); in dieselbe Richtung gehend OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (232). 660  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (232); OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896); OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2002 – 1 Ss OWi 148 / 02, wistra 2002, 274; OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.1984  – 1 Ss 45 / 84, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016); OLG Köln, Beschluss vom 20.05.1994  – Ss 193 / 94 (B)  – 106 B, wistra 1994, 315; BGH, Beschluss vom 25.06.1985  – KRB 2 / 85, wistra 1985, 228; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.03.1989  – 1 Ss 38 / 99, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn.11; OLG Hamm, Beschluss vom 21.10.1998 – 2 Ss OWi 1148 / 98, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn.10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.1998 – 2 Ss (OWi) 385 / 98 – (OWi) 112 / 98 III, wistra 1999, 115 (116).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht157

kann.“661 Die Rechtsprechung hat jedoch für einige Brachen bzw. Tätigkeitsbereiche eine erhöhte Aufsichtspflicht konstatiert aufgrund einer besonderen Anfälligkeit dieser Brachen für Pflichtverstöße. Die Transportbeton­ industrie soll nach Auffassung der Rechtsprechung durch ihre Strukturen besonders anfällig für eine Bildung von Kartellen sein.662 Aber auch die Gerichte haben nicht die unrealistische Erwartungshaltung, dass durch eine gehörige Aufsicht dauerhaft alle Pflichtverstöße verhindert werden. In der Folge lässt es die Rechtsprechung genügen, dass die Aufsichtspflicht dergestalt ausgeübt wird, dass die unternehmerischen bzw. betrieblichen Pflichten voraussichtlich beachtet werden.663 Daher müssen keine überspannten Anforderungen an die organisatorischen Aufsichtsvorkehrungen gestellt werden. Die erforderlichen Maßnahmen in organisatorischer Hinsicht haben sich nach Ansicht der Rechtsprechung insbesondere an den Kriterien der Größe664 sowie dem Tätigkeitsfeld665 des betreffenden Unternehmens zu orientieren.666 Als eine unzureichende Organisationsstruktur erachtete es die Rechtsprechung, dass eine Revisionsabteilung aus lediglich 5 Personen bestand, obwohl das Unternehmen über 5.000 Beschäftigte hatte.667 Ob der gleiche Maßstab auch für eine Rechts- oder Compliance-Abteilung gelten mag, die neben einer Revisionsabteilung bestehen kann, ist fraglich. Es wird insbesondere auch auf die konkrete Funktionsabgrenzung zwischen Revision und Rechts- bzw. Compliance-Abteilung im Unternehmen ankommen. Zu beden661  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896). 662  So OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006 – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896 f.). 663  BGH, Beschluss vom 11.07.1956 – 1 StR 306 / 55, BGHSt 9, 319 (322 f.); OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuW-E / DE-R 1893 (1896); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39); BayObLG, Beschluss vom 10.08.2001  – 3 ObOWi 51 / 01, wistra 2001, 478 (479). 664  OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39); OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.06.1998 – 1 Ss 100 / 98, NStZ-RR 1998, 311. 665  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896). 666  OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.1990  – 2 Ss (OWi) 144 / 90  – (OWi) 28 / 90 III, wistra 1991, 38 (39), OLG Hamm, Beschluss vom 16.07.2003 – 4 Ss OWi 373 / 03, wistra 2003, 469; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.06.1998  – 1 Ss 100 / 98,  NStZ-RR 1998, 311; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.1998 – 2 Ss (OWi) 385 / 98 – (OWi) 112 / 98 III, NStZ-RR 1999, 151. 667  KG Berlin, Urteil vom 25.07.1980  – Kart 26 / 79, WuW-E OLG 1981, 2330 (2332).

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ken gilt es dabei, dass die Revisionsabteilung auch betriebswirtschaftliche Aufgaben wahrnimmt. Eine erste Orientierung bietet diese Rechtsprechung allemal. Letztlich muss auf eine ausreichende Personaldecke für eine adäquate Aufgabenübernahme geachtet werden. In organisatorischer Hinsicht ist die Unternehmensleitung gehalten, eine funktionierende Grundorganisation aufzubauen, bei der geregelte Zuständigkeitsverteilungen bzw. Ressorts bestehen, damit Normverstößen vorgebeugt wird.668 Die Rechtsprechung erblickt einen Verstoß gegen die Aufsichtspflicht, wenn in organisatorischer Hinsicht Kompetenzen mehrfach übertragen werden und die Angestellten sich daraufhin auf die Zuständigkeit des jeweils anderen verlassen.669 Eine Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG hat die Rechtsprechung hingegen verneint, wenn der Unternehmensinhaber im Zuge eines Anteilsverkaufs organisatorisch eine spezialisierte Anwaltssozietät und damit Juristen mit der kartellrechtlichen Behandlung dieses Vorgangs betraut. Die Unternehmensleitung kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass die kartellrechtlichen Anforderungen durch die Anwaltssozietät beachtet werden.670 Die zu treffenden organisatorischen Maßnahmen betreffen nur den Rechtsund Pflichtenkreis des jeweiligen eigenen Unternehmens. Es müssen keine Aufsichtsmaßnahmen bezüglich eines Subunternehmens ergriffen werden, dieses ist vielmehr selbst für die betriebliche Organisation verantwortlich.671 (c) E  mpirische Erkenntnisse bezüglich der Verbreitung einzelner Compliance- bzw. Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 OWiG (aa) Deliktsbereich Korruption In der PricewaterhouseCoopers-Studie zur Wirtschaftskriminalität 2013 wurden 603 Unternehmen befragt, ob sie über ein Anti-Korruptionsprogramm bzw. ein Compliance-Programm mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung verfügen. 52 % der Unternehmensverantwortlichen bejahten diese Frage.672 Damit haben sich die anderen 48 % der Befragten pauschal die Möglichkeit 668  BGH,

Beschluss vom 23.04.1985 – KRB 7 / 84, WuW / E BGH 2148 (2149). Beschluss vom 23.04.1985  – KRB 7 / 84, WuW / E BGH 2148; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.1998  – 2 Ss (OWi) 385 / 98  – (OWi) 112 / 98 III, wistra 1999, 115 (116). 670  BGH, Beschluss vom 11.11.2008 – KRB 47 / 08, NJW-RR 2009, 973 (974). 671  OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.04.2005  – 5 Ss 12 / 05, NJW 2005, 2567 (2568); BayOblG, Beschluss vom 18.02.1998 – 4St RR 2 / 98, NStZ 1998, 575. 672  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 36. 669  BGH,



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht159

abgeschnitten, dass bei der bußgeldrechtlichen Sanktionierung des Unternehmensträgers nach § 30 Abs. 1 und 4 OWiG bzw. der einer Leitungsperson nach § 130 Abs. 1 OWiG ein Compliance-Programm im Falle einer Korruptionsstraftat als mildernder Umstand berücksichtigt wird. Des Weiteren wurde abgefragt, wie die Verbreitung einzelner ComplianceMaßnahmen für die Deliktsbereiche der Korruption und des Kartellrechts in der Unternehmenspraxis aussieht. Nachfolgend wird mit den Ergebnissen zum Deliktsbereich der Korruption begonnen: (α) Audits bzw. Kontrollen Angemerkt werden muss diesbezüglich, dass es keine Rechtsprechung zu §§ 30, 130 OWiG gibt, bei der die Begrifflichkeit „Audit“ als solche explizit verwendet. Als Audits bezeichnet man unternehmerische Maßnahmen, die darauf abzielen zu untersuchen, wie gesetzliche Vorgaben oder interne Richtlinien eingehalten werden.673 Jedoch gibt es nach der Rechtsprechung – wie oben dargestellt – Überwachungs-, Kontroll- und Untersuchungspflichten, aus denen ein Tätigwerden der Unternehmensleitung gefordert wird.674 Audits zielen ebenfalls – wie die in der Rechtsprechung geforderten stichprobenartigen Kontroll- oder Überwachungsmaßnahmen – darauf ab, sicherzustellen, dass bestimmte gesetzliche Anforderungen bzw. unternehmensinterne Richtlinien eingehalten werden. Von denjenigen Unternehmen, die über ein korruptionsrechtliches Compliance-Programm verfügten, gaben rund 70 % an solche Maßnahmen durchzuführen.675 (β) Compliance Officer Auch hier ist anzumerken, dass die Rechtsprechung zu §§ 30, 130 OWiG keinen „Compliance-Officer“ als solchen fordert. Diese Überwachungs- und Beratungsfunktion kann auch eine Aufsichtsperson der Rechts- oder Revi­ sionsabteilung des jeweiligen Unternehmens wahrnehmen oder gänzlich extern ausgelagert sein. Die jeweiligen Aufsichtspflichten der Geschäftsleitung können dementsprechend partiell übertragen werden und so den unterschiedlichsten unternehmerischen Abteilungen zugeordnet sein. Diesbezüglich ga673  Dieners / Lembeck, in: Dieners, Kap. 7 Rn. 57; Lampert / Matthey, in: Hauschka, § 26 Rn. 78 f. 674  Vgl. Lampert / Matthey, in: Hauschka, § 26 Rn. 78 f. 675  Die Erkenntnisse zum Verbreitungsgrad gehen auf die Datenanalyse des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale für die Studie „Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur“ zurück, die dieser Arbeit zur Verfügung gestellt wurden.

160

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ben 87 % der Unternehmen an, eine Compliance-Funktion eingerichtet zu haben.676 (γ) Sanktionierung von Verstößen Weiterhin besteht nach stetiger Rechtsprechung eine Pflicht der Unternehmensleitung, begangene Rechtsverstöße im Unternehmen zu sanktionieren. 89 % derjenigen befragten Unternehmen, die über ein korruptionsrechtliches Compliance-Programm verfügten, gaben an eine Sanktionierungsmaßnahme umzusetzen.677 (δ) Schulungsmaßnahmen Ein weiteres wichtiges Kriterium, das ebenfalls zu den „Mindeststandards“ der deutschen Rechtsprechung in Bezug auf §§ 30, 130 OWiG zählt, sind Schulungsmaßnahmen. Damit sollen die Mitarbeiter anlassunabhängig über die strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen im Korruptionsbereich unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Position im Unternehmen aus- bzw. fortgebildet werden. Diese sind unerlässlich, um abstrakten Zuwiderhandlungsgefahren präventiv zu begegnen. Diese Schulungsmaßnahmen können in unterschiedlichster Weise erfolgen. Bei der Befragung waren Mehrfachnennungen durch die Unternehmen möglich. Von den 310 befragten Unternehmen gaben 69 % an, Schulungen in Form von unternehmenseigenem Training durchzuführen. 48 % der Befragten führten zudem Workshops durch. Darüber hinaus bilden 39 % der Unternehmen ihre Mitarbeiter anhand digitaler Lernprogramme bzw. Filme fort.678 Legt man die soeben dargestellten Anforderungen als Orientierungshilfe für die gehörige Aufsicht bezüglich des Deliktsbereichs der Korruption zugrunde, so haben von den insgesamt 603 befragten deutschen Unternehmen gerade einmal 26 % diese erfüllt.679 Angemerkt werden muss dabei, dass es bei den Schulungsmaßnahmen nicht darauf ankam, dass diese in einer bestimmten Form durchgeführt wurden. Entscheidend war allein, dass über676  Die Erkenntnisse zum Verbreitungsgrad gehen auf die Datenanalyse des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale für die Studie „Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur“ zurück, die dieser Arbeit zur Verfügung gestellt wurden. 677  Die Erkenntnisse zum Verbreitungsgrad gehen auf die Datenanalyse des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale für die Studie „Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur“ zurück, die dieser Arbeit zur Verfügung gestellt wurden. 678  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 41. 679  Die Erkenntnisse gehen auf die Datenanalyse des Economy & Crime Research Centers Halle / Saale für die Studie „Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur“ zurück.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht161

haupt Aus- bzw. Fortbildungen im korruptionsrechtlichen Bereich im Unternehmen erfolgten. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass nicht sämtlicher Rechtsprechung ein explizit korruptionsrechtlicher Fall zugrunde lag und die Aufsichtsmaßnahmen grundsätzlich immer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden.680 Gleichwohl werden diese Kriterien auch weitgehend von der Literatur getragen.681 Überraschend ist, dass weniger als ein Drittel der befragten Unternehmen diese „Mindestanforderungen“ bzw. „Orientierungshilfen“ nach deutschem Recht einhalten. Dies verwundert aus vielen Gründen. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmen im Zuge der fortschreitenden und internationalen Bekämpfung der Korruption bzw. der Wirtschaftskriminalität sensibler und aufgeschlossener bezüglich der Ergreifung von Präventionsmaßnahmen geworden sind. Zum anderen sind die durch die Rechtsprechung konkretisierten Aufsichtspflichten zu § 130 OWiG nicht neu und hätten einer Rechts-, Revisions- oder Compliance-Abteilung bei einer inhaltlichen Analyse des § 130 OWiG auffallen und berücksichtigt werden können. Eine im Unternehmen erfolgte Aufarbeitung der Aufsichtspflichten und der dazu ergangenen Rechtsprechung hätte eigene Kontroll- und Prozessdefizite aufgezeigt und die strafrechtlichen Ahndungsrisiken nochmalig vor Augen geführt. Die Anforderungen ausländischer Regelungen insbesondere die der Richtlinien zum UK Bribery Act oder zum FCPA gehen in der Regel weit über diese deutschen „Mindeststandards“ hinaus. Es bleibt zu hoffen, dass die letzten gesetzgeberischen Verschärfungen des Ordnungswidrigkeitenrechts im Zuge der 8. GWB-Novelle dazu beigetragen haben, dass die Unternehmen den strafrechtlichen Ahndungsrisiken, die bei Prozess- bzw. Kontrolldefiziten oder unterbliebenen Schulungsmaßnahmen drohen, besser begegnen. Der Bußgeldrahmen für Verbandgeldbußen infolge von Aufsichtspflichtverletzungen ist über die Verweisungen in §§ 130 Abs. 3 S. 2, 30 Abs. 2 S. 3 OWiG auf bis zu 10 Mio. Euro angestiegen. Dies sind alles ernsthafte Gründe, über die Einführung und den Aufbau von Aufsichtsbzw. Compliance-Maßnahmen nachzudenken. (bb) Deliktsbereich Kartellrecht Lediglich knapp 29 % und damit weniger als ein Drittel der 603 befragten Unternehmensverantwortlichen gaben an, über ein kartellrechtliches Compliance-Programm zu verfügen.682 Damit haben sich auch hier die anderen 71 % nur Gürtler, in: Göhler, § 130 Rn. 10. vieler Rogall, in: KK-OWiG, § 130, Rn. 53 ff. 682  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 62. 680  Vgl.

681  Statt

162

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

der Befragten pauschal die Möglichkeit abgeschnitten, dass ComplianceMaßnahmen bei einer strafrechtlichen bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung berücksichtigt werden können. Hinsichtlich der Verbreitung einzelner kartellrechtlicher Compliance-Maßnahmen sieht es wie folgt aus: (α) Audits bzw. Kontrollen Unternehmensseitige Überprüfungen zielen wie die in der Rechtsprechung geforderten stichprobenartigen Kontroll- oder Überwachungsmaßnahmen darauf ab sicherzustellen, dass bestimmte gesetzliche Anforderungen eingehalten werden. Von denjenigen Unternehmen, die über ein kartellrechtliches Compliance-Programm verfügten, gaben knapp 71 % an solche Maßnahmen durchzuführen.683 (β) Kartellrechtliche Präsenzschulungen Rund drei Viertel der befragten Unternehmen (76 %) führten diese Art der Schulungen durch, um die komplexe Rechtsmaterie den Mitarbeitern zu vermitteln.684 (γ) Sanktionierung von Verstößen Begangene Rechtsverstöße sanktionieren zeitnah etwa 90 % der Unternehmen, die über ein kartellrechtliches Compliance-Programm verfügten.685 (δ) Ansprechpartner für Zweifelsfragen Fast alle (98 %) Unternehmen, die ein kartellrechtliches Compliance-Programm implementiert hatten, hatten auch einen Ansprechpartner für Zweifelsfragen.686 (d) F  azit bezüglich der Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG und daran anknüpfende rechtspolitische Überlegungen Nach Analyse der einzelnen Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG kann als erstes Fazit festgehalten werden, dass die deutsche Rechtsprechung 683  PwC / Bussmann,

Wirtschaftskriminalität Wirtschaftskriminalität 685  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität 686  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität 684  PwC / Bussmann,

und und und und

Unternehmenskultur Unternehmenskultur Unternehmenskultur Unternehmenskultur

2013, 2013, 2013, 2013,

63. 63. 63. 63.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht163

partiell zur Konkretisierung einzelner Aufsichts- bzw. Compliance-Pflichten beigetragen hat. Dies hat zur Folge, dass das unternehmerische Auswahlermessen bezüglich der Ergreifung einzelner organisatorischer Maßnahmen eingeschränkt wird.687 Zu einer erheblichen Reduzierung des Auswahlermessens ist es z. B. im Bereich der Instruktions- bzw. Schulungspflichten gekommen. Dort hat die Rechtsprechung entschieden, dass allein die Hereingabe von umfangreichem Informationsmaterial nicht ausreichend ist. Vielmehr muss auch eine Kontrolle der Kenntnisnahme erfolgen, um den Schulungspflichten nachzukommen.688 Des Weiteren konstatiert die Rechtsprechung, dass in Branchen in denen ein erhöhtes Risiko für Kartellrechtsverstöße besteht, eine „spezifisch kartellrechtliche Belehrung erfolgen“ muss.689 Die beiden vorgenannten Fälle verdeutlichen exemplarisch, dass das Auswahl­ ermessen bezüglich der Art und Weise von einzelnen Maßnahmen stark eingeschränkt sein kann. Entgegen einer Literaturansicht690 haben intensive Maßnahmen in anderen Bereichen nicht zur Folge, dass mit anderen Aufsichtspflichten großzügiger umgegangen werden kann. So führt eine extra gewissenhafte Auswahl eines Mitarbeiters nicht dazu, dass eine den Anforderungen der Rechtsprechung nicht genügende Schulungsmaßnahme per se aufgewogen wird. Jedenfalls in den Fällen, in denen Konkretisierungen von einzelnen Aufsichtspflichten stattgefunden haben, scheinen Kompensationen durch andere Maßnahmen wohl kaum mehr möglich. Die durch die Rechtsprechung vorgenommenen Konkretisierungen der Aufsichtspflichten bieten ein gewisses Maß an Rechtsicherheit und erleichtern damit – natürlich ebenfalls nur in einem gewissen Maße – die betriebswirtschaftliche Betätigung. Es existieren damit hinsichtlich einzelner Teil­ bereiche der unternehmerischen Organisation zumindest bestimmte gerichtsfeste Vorgaben. Eine vollständige und gewissenhafte Früherkennung und Analyse der zu § 130 OWiG ergangenen Rechtsprechung gehört damit zu den wichtigsten Aufgaben der Unternehmensleitung. Dieser Vorgang sollte von der unternehmerischen Rechts-, Revisions- und Compliance-Abteilung unterstützt und begleitet werden. Einzig damit kann sichergestellt werden, dass diese „Mindeststandards“ bzw. „Orientierungshilfen“ in Bezug auf § 130 OWiG d. h. die branchen- und handelsüblichen Aufsichtspflichten erkannt und eingehalten werden. Die Rechtsprechung trägt zur Konkretisierung der Aufsichtspflichten bei. Ergebnis ebenso Busekist / Hein, CCZ 2012, 41 (43 f.). Berlin, Beschluss vom 31.10.2001  – 2 Ss 223 / 00  – 5Ws (B) 784 / 00, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 9. 689  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896), für die Transportbetonbranche. 690  Bock, in: Compliance und Strafrecht, 57 (69). 687  Im

688  KG

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Zweifelsfrei kann ebenso resümiert werden, dass noch weiterer Bedarf an einer Konkretisierung der Aufsichts- und Compliance-Pflichten seitens des Gesetzgebers bzw. der Rechtsprechung besteht.691 Zu einer Überdehnung der Aufsichtspflichten insbesondere durch die Rechtsprechung mit ihrer Ex-postBetrachtung sollte es aber nicht kommen. Betriebsabläufe sollten nicht schwerwiegend durch Aufsichtsmaßnahmen beeinträchtigt werden. Exzesstaten einzelner Mitarbeiter sind immer möglich. Diese Kritik soll auch nicht so weit gehen, dass der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 130 OWiG abzuschaffen wäre.692 Vertreter der Staatsanwaltschaften sprachen sich in einer Befragung diesbezüglich auch mehrheitlich gegen eine Abschaffung des Tatbestandes aus.693 Ein solcher Vorgang hätte zur Folge, dass Ahndungslücken entstehen, denn oft liegt eine Beteiligung einer Leitungsperson an einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit eines Mitarbeiters nicht vor bzw. kann nicht nachgewiesen werden. Eine anderweitige strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung über die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft dürfte im Wirtschaftsleben in den wenigsten Fällen gegeben sein. Ebenso spielt die Strafbarkeit einer Leitungsperson aus unechtem Unterlassungsdelikt wegen der Nichtverhinderung einer betriebsbezogenen Zuwiderhandlung von nachgeordneten Unternehmensmitarbeitern in der Praxis eine untergeordnete Rolle. Ausschlaggebend ist die fehlende Erfolgszurechnung694 bzw. der fehlende Vorsatz oder dessen Nachweisbarkeit.695 De lege lata können betriebsbezogene oder unternehmensnützliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von Unternehmensmitarbeitern, die nicht zum Kreis der Leitungspersonen im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG gehören696, keine Verbandsgeldbuße nach sich ziehen. Dies ist nur über den Umweg bzw. die Konstruktion der Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG möglich. Vielmehr sollte der Gesetzgeber – sofern es sich nicht für ein Verbandsstrafrecht entscheiden möchte – ernsthaft über eine Überarbeitung des Ordnungswidrigkeitengesetzes nachdenken. Legislatorischer Nachholbedarf besteht nicht nur hinsichtlich einer Begrenzung bzw. Einschränkung des Opportunitätsermessens im Sinne des § 47 Abs. 1 OWiG insbesondere in Fällen schwerer Kriminalität, sondern auch bei der Konkretisierung der erforder­ lichen Aufsichtsmaßnahmen. Problematisch ist hierbei aber, ob der Gesetzge691  Ebenso Bock, ZIS 2009, 68 (73 f.); Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 44 f. Rn. 49, 53. 692  So der Vorschlag von Bock, in: Compliance und Strafrecht, 57 (70). Dagegen ebenfalls Geismar, Aufsichtspflichtverletzung, 138 ff. 693  Vgl. Gliederungspunkt B. III. 3. 694  Sog. fehlende Quasikausalität. 695  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 39 Rn. 32 ff. 696  Und eine Beteiligung der Leitungsperson nicht vorliegt oder nachweisbar ist.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht165

ber überhaupt in der Lage ist, die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 OWiG unabhängig von der Branche oder der gewählten Rechtsform d. h. abstrakt-generell näher zu konkretisieren. Es gibt Stimmen, die darauf hinweisen, dass ohnehin nur durch die offene Formulierung des § 130 OWiG ein effektiver Rechtsgüterschutz möglich ist.697 Die herrschende Auffassung in der Literatur verlangt zur Konkretisierung der gehörigen Aufsicht im Sinne des § 130 OWiG eine Beschränkung auf sog. „betriebstypische Gefahren“, d. h. es sind nur solche organisatorischen Maßnahmen durch den Aufsichtspflichtigen zu ergreifen, die die für das jeweilige Unternehmen typischen Zuwiderhandlungen vermeiden sollen.698 Ein erster gangbarer Schritt des Gesetzgebers zur Konkretisierung der gehörigen Aufsicht wäre es, das Kriterium der „betriebstypischen Gefahr“ in den Wortlaut des § 130 OWiG mit aufzunehmen. Jedoch muss angemerkt werden, dass einige deliktische Verhaltensweisen z. B. Kartellverstöße oder Korruption sich für eine Vielzahl von Unternehmen als „betriebstypische Gefahr“ herausstellen können. Des Weiteren kann man den Standpunkt vertreten, dass das Merkmal der „betriebstypischen Gefahr“ ebenfalls konturierungsbedürftig ist, wenn man nur auf die Verbreitung d. h. auf jeweils bekannt gewordenen Delikte im Hellfeld abstellt.699 So ist es für die Baubranche typisch, dass Submissionsabsprachen im Sinne des § 298 StGB getroffen werden.700 Die Fallberichte des Bundeskartellamts zum Kartellverbot zeigen aber, dass es auch in anderen Branchen vermehrt zu Submissionsabsprachen gekommen ist und ausschreibende Kommunen erheblich schädigten. Zu nennen wäre hier ins­ besondere die Feuerwehrtechnik-Branche, die zuletzt 2011 erheblich im Fokus der Ermittlungen von Staatsanwaltschaften und des Bundeskartellamts stand.701 Deshalb kann man wohl sagen, dass Submissionsabsprachen auch für Unternehmen dieser Branche als betriebstypisch gelten. Des Weiteren dürften für eine Vielzahl von Unternehmen auch Kartellabsprachen im Sinne der §§ 1, 81 Abs. 2 Nr. 1 GWB zum betriebstypischen Gefahrenkreis zählen. Legt man den Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011 / 2012 mit den Bußgeldverfahren, die von größerer Bedeutung waren, zugrunde kann man sagen, dass für Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus, der Kon697  Wilhelm,

ZRFC 2013, 133 (137). Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 965; Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 46 Rn. 54; Többens, NStZ 1999, 1 (5); Kudlich /  Oglakcioglu, WirtschaftsstrafR, § 4 Rn. 123a; Gürtler, in: Göhler, § 130 Rn. 9; Rogall, ZStW 1986, 573 (587 ff.); Kretschmer, in: FS Geppert, 289 (296 f.). 699  So z. B. Groß / Reichling, wistra 2013, 89 (91). 700  Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 46 Rn. 54; Kretschmer, in: FS Geppert, 289 (297). 701  Vgl. Bundeskartellamt, Fallbericht Feuerwehrlöschfahrzeuge; dass., Fallbericht Feuerwehrdrehleiterfahrzeuge. 698  Vgl.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

sumgüterindustrie sowie der Bauindustrie Kartellabsprachen wohl als betriebstypische Gefahr gelten können.702 Für Unternehmen im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus soll sich auch die Korruption als eine betriebs­ typische Zuwiderhandlungsgefahr darstellen.703 Diese – den Tatbestand des § 130 OWiG und damit die Aufsichtspflicht einschränkende – verfassungskonforme Auslegung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass eine umfassende und genaue Risikoanalyse notwendig ist, um die jeweils typischen Gefahrenkreise für das Unternehmen zu erkennen und zu erörtern. Aus dem Ergebnis der Risikoanalyse sind dann entsprechende Präventionsstrategien zu entwickeln. Klar ist auch, dass es einer unternehmerischen Betätigung immanent ist, dass bestimmte Risiken gesetzt werden, gerade in Anbetracht vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung. (3) Z  ukünftige Anforderungen der Rechtsprechung an die Unternehmensaufsicht im Sinne des § 130 OWiG Die gerade aufgezeigten Anforderungen der Rechtsprechung stellen Mindestanforderungen bzw. Orientierungshilfen für unternehmerische Compliance-Programme dar, um eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung des Betriebs- bzw. Unternehmensinhabers nach § 130 OWiG sowie eine daran anknüpfende Verbandsgeldbuße nach §§ 30, 130 OWiG zu vermeiden. Es ist ebenso absehbar und naheliegend, dass die bisherigen Anforderungen der Rechtsprechung nicht als starrer und unveränderlicher Maßstab für die zu treffenden unternehmerischen Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen he­ rangezogen werden können. Vieles spricht dafür, dass sich die Anforderungen an eine Unternehmensorganisation im Sinne des § 130 OWiG erhöhen werden, da zunehmend mehr Know-how vorhanden ist, ein gesteigertes öffent­ liches Interesse am Thema Aufsichts- und Compliance-Maßnahmen besteht, sowie immer mehr gesetzgeberische Aktivitäten704 ausländischer Staaten erheblichen Einfluss auf deutsche Unternehmen haben. Durch eine zunehmende grenzüberschreitende Geltung verschiedener ausländischer Rechtsnormen werden die rechtlichen Anforderungen an Compliance- und Aufsichtspflichten damit auch oft für deutsche (Groß-)Unternehmen705 – über das von § 130 OWiG geforderte Maß hinaus – erhöht. Aber 702  Bundeskartellamt,

Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011 / 2012, 30 f. in: FS Geppert, 289 (297). 704  Vgl. zuletzt nur der UK Bribery Act bzw. US Foreign Corrupt Practices Act. 705  Aber wie schon dargestellt, unterfallen nicht nur deutsche Großunternehmen den extraterritorialen Anwendungsbereichen zum UK Bribery Act oder FCPA. Jedoch dürften die deutschen Großunternehmen wohl am ehesten auf die gestiegenen Anforderungen bezüglich ihrer Compliance-Strukturen reagieren. 703  Kretschmer,



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht167

selbst wenn diese ausländischen Rechtsnormen keine Pflichten im Rechtssinne statuieren sollten, bestimmte Compliance-Maßnahmen zu treffen, besteht oft faktisch ein Zwang solche zu treffen.706 Allein schon aus dem Grund im Falle von Zuwiderhandlungen sich die Möglichkeit offen zu halten, eine strafrechtliche Ahndung des Unternehmens bzw. der Leitungsebene abzuwenden bzw. zu minimieren, weil komplexe Compliance-Strukturen vorhanden sind. Steht nun nach deutschem Recht eine Aufsichtspflichtverletzung des Unternehmensinhabers nach § 130 OWiG im Raum, weil es zu einer betriebsbezogenen Zuwiderhandlung eines nachgeordneten Mitarbeiters im Unternehmen gekommen ist, kommt der Rechtsprechung für die zukünftige Bestimmung des Ausmaßes der gehörigen Aufsicht eine entscheidende Rolle zu. Auch wenn die Rechtsprechung betont, dass es für die Bestimmung des Ausmaßes der Aufsichtspflicht auf den ganz konkreten Einzelfall ankommt707 und es prinzipiell nicht ihre Aufgabe sei, dem Unternehmen bzw. Unternehmensinhaber konkrete Vorgaben bezüglich zutreffender Aussichtsmaßnahmen zu machen708, wird das Ausmaß der erforderlichen Aufsicht im Sinne des § 130 OWiG durch die Rechtsprechung anhand eines sog. Maßfigurenmodells bestimmt.709 Die Rechtsprechung stellt dabei vordergründig auf diejenige Sorgfalt ab, „die von einem ordentlichen Angehörigen des jeweiligen Tätigkeitsbereiches verlangt werden kann, um die Verletzung betriebsbezogener Pflichten zu verhindern“.710 Als Vergleichsmaßstab für die erforderlichen Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen eines Unternehmens wird auf ­dessen Verkehrskreis, d. h. den Geschäfts- bzw. Branchenstandard, abgestellt. Dass die Rechtsprechung als Sorgfaltsmaßstab normativ auf den Branchen706  Vgl.

Guidance FCPA; Guidance UK Bribary Act. Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (232); OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896); OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2002 – 1 Ss OWi 148 / 02, wistra 2002, 274; OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.1984  – 1 Ss 45 / 84, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016); OLG Köln, Beschluss vom 20.05.1994  – Ss 193 / 94 (B)  – 106 B, wistra 1994, 315; BGH, Beschluss vom 25.06.1985  – KRB 2 / 85, wistra 1985, 228; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.03.1989  – 1 Ss 38 / 99, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn.11; OLG Hamm, Beschluss vom 21.10.1998 – 2 Ss OWi 1148 / 98, online abrufbar unter: www.juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 10.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.1998 – 2 Ss (OWi) 385 / 98 – (OWi) 112 / 98 III, wistra 1999, 115 (116). 708  OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.1992 – 6 Ws 12 / 91, NJW-RR 1993, 231 (233). 709  Bock, HRRS 2010, 317 (323); ders., ZIS 2009, 68 (75). 710  OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.1998  – 2 Ss (OWi) 385 / 98  – (OWi) 112 / 98 III, NStZ-RR 1999, 151; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuW-E /  DE-R 1893 (1896). Treffend kritisch zum Maßfigurenmodell z. B. Bock, ZIS 2009, 68 (75 f.). 707  OLG

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

durchschnitt abstellt, wird auch daran deutlich, dass sie für einige Branchen explizit erhöhte Aufsichtspflichten konstatiert. Die Transportbetonindustrie ist nach Auffassung der Rechtsprechung durch ihre Strukturen besonders anfällig für die Bildung von Kartellen. Mit gesteigerten Aufsichtsmaßnahmen seitens der Unternehmensinhaber soll dem begegnet werden.711 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass bei dieser Art der Rechtsfindung die Gefahr besteht, dass irgendwann ein Maßstab für die Ausübung der Aufsichtspflicht durch die Rechtsprechung angelegt wird, der die Überregulationstendenzen einzelner Branchen aufgreift, die im Wege der bisherigen Selbstregulierung entstanden sind. Dies wäre dann auch keine Durchschnittsorientierung mehr. Angestoßen durch die zahlreichen extraterritorialen Gesetze und einer damit einhergehenden erhöhten Sensibilität bezüglich Unternehmens- und Wirtschaftskriminalität, sind es die Unternehmen selbst, die die ComplianceEntwicklung quantitativ wie auch qualitativ vorantreiben. Diese Entwicklung verläuft „top-down“, da es zuvörderst die börsennotierten Großunternehmen sind, die den extraterritorialen Wirkungen ausländischen Rechts unterliegen. Diese üben ihrerseits dann oft wieder Druck auf Geschäftspartner bzw. Zulieferer aus, ebenfalls Compliance-Maßnahmen in ihre Unternehmensorga­ nisation zu implementieren.712 Internationale Regulierungen werden daher auch weiterhin ein Impuls für Großunternehmen sein, ihre ComplianceStrukturen anzupassen. Dieser über Jahre andauernde Prozess sorgt somit dafür, dass sich branchenspezifisch sukzessive die Anforderungen an die Unternehmensorganisation erhöhen. Indem die deutsche Rechtsprechung dann wiederum unter Zuhilfenahme des sog. Maßfigurenmodells auf den mittlerweile gestiegenen Branchendurchschnitt als Sorgfaltsmaßstab für die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen im Sinne des § 130 OWiG abstellt, werden so normativ die „Mindestanforderungen“ an eine gerichtsfeste Unternehmensorganisation ebenfalls schrittweise erhöht. Auch die letzten gesetzgeberischen Entwicklungen werden dazu beitragen, dass sich die Anforderungen an die unternehmerische Organisation erhöhen. Nunmehr hat der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur 8. GWB-Novelle klargestellt, dass ein vorhandenes Compliance-System als „unternehmensbezogener Umstand“ bei der Bußgeldbemessung des § 30 OWiG berücksichtigt werden soll.713

711  Vgl. so OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuW-E / DE-R 1893 (1896 f.). 712  Dazu ausführlich Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (63). 713  BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG), BT-Drucks. 17 / 11053, 21.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht169

(4) §   33 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 Nr. 17c WpHG alte Fassung Der Gesetzgeber hatte sich ausweislich des §  39 Abs.  2 Nr.  17c, Abs. 6 WpHG alte Fassung dafür entschieden, die Nichteinrichtung einer Compliance-Funktion als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu zweihunderttausend Euro zu sanktionieren. Durch die Einrichtung einer solchen Compliance-Funktion kann der objektive Tatbestand der Ordnungswidrigkeit des § 39 Abs. 2 Nr. 17c WpHG alte Fassung ausgeschlossen werden. c) Fahrlässigkeitstaten In der Literatur wird vertreten, dass Criminal-Compliance-Maßnahmen insbesondere bei den Fahrlässigkeitsdelikten (z. B. § 324 Abs. 1 und 3 StGB) von Unternehmensangehörigen tatbestandlich eine Relevanz erlangen können.714 In diesem Kontext soll untersucht werden, ob und inwieweit Criminal-Compliance-Maßnahmen auf die besonderen objektiven Fahrlässigkeits­ elemente Einfluss nehmen können. Es kann daran gedacht werden, dass Compliance-Maßnahmen (z. B. Richtlinien als auch umfassende Risikoanalysen) im Rahmen des Merkmals der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung eine Bedeutung erfahren.715 Eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung liegt vor, wenn der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, obwohl der konkrete Erfolg objektiv vorhersehbar war.716 Bei der Untersuchung, ob der Täter einen Verhaltensfehler begangen hat, können als Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs außerstrafrechtliche Rechtsvorschriften (z.  B. DIN-Vorschriften) als auch allgemeine Erfahrungssätze herangezogen werden.717 In diesem Zusammenhang können speziell Compliance-Richtlinien718 von Unternehmen bzw. Verbänden (z. B. Industrie-Verbänden), die gewisse einzuhaltende Standards – gerade zum Schutz der Rechtsgüter Dritter – formulie714  Petermann, Compliance-Maßnahmen, 133 ff.; Wessing, in: FS Volk, 867 (876); Stanitzek, Criminal Compliance, 201; Engelhart, Sanktionierung, 406 ff.; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (469 f.). 715  Vgl. Engelhart, Sanktionierung, 406  ff. und Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (469 f.). 716  Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 567, Rengier, StrafR AT, 520, Rn. 15. 717  Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 572; Rengier, StrafR AT, 520, Rn. 16. 718  Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es durch die unternehmerische Regelsetzung mittels Compliance-Richtlinien im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip zu Problem kommen kann, den der Gesetzgeber selbst muss alle wesentlichen Entscheidungen treffen. Zu diesem Aspekt ausführlich Theile, in: Rotsch, 1210.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ren, unter Umständen als Sorgfaltsmaßstab für die Rechtsprechung fungieren.719 Die allgemeine „Problematik“ in Bezug auf Compliance-Richtlinien besteht aber darin, dass diese – wie es die Unternehmenspraxis zeigt – mehr als heterogen sind. Es gibt Fälle von unternehmerischen Compliance-Richtlinien, die sich einzig und allein in der Wiedergabe bestimmter gesetzlicher Strafvorschriften erschöpfen. In einer solchen Konstellation wird die unternehmensseitig gesetzte Compliance-Richtlinie als tauglicher Sorgfaltsmaßstab ausscheiden, denn es wird an konkret gebotenen Verhaltensvorgaben fehlen. Andererseits ist es aber auch möglich, dass unternehmensseitig derart überzogene Vorgaben in Compliance-Richtlinien getroffen werden, die weit über die objektiv erforderliche Sorgfalt für bestimmte Situationen hinausgehen. In diesen Fällen wird es regelmäßig an der objektiven Zurechnung des Erfolgs unter Berücksichtigung des Schutzzweckzusammenhangs fehlen. Des Weiteren kann es vorkommen, dass Compliance-Richtlinien – gerade im hoch spezialisierten und sich schnell weiterentwickelnden Technikbereich – in zeitlicher Hinsicht veraltete Vorgaben beinhalten, die nicht die (aktuell) im Verkehr erforderliche Sorgfalt widerspiegeln.720 Für den Fall, das Compliance-Richtlinien nur dazu dienen betriebliche Abläufe in zeitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu optimieren, wird ebenso am erforderlichen Schutzzweckzusammenhang zwischen Erfolgseintritt (z. B. § 229 StGB) und Normverletzung fehlen. Sofern Compliance-Richtlinien als Sorgfaltsmaßstab für die Bestimmung einer Sorgfaltspflichtverletzung herangezogen werden können, wird zutreffend und relativierend eingewendet, dass ein Verstoß gegen Unternehmensrichtlinien keine solche Aussagekraft besitzt, dass zwingend deswegen eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorliegen muss.721 Allenfalls lässt sich daraus eine Indizwirkung ableiten.722 Ebenso gilt es den Schutzzweckzusammenhang723 zu beachten, wenn Compliance-Richtlinien als Sorgfaltsnorm oder allgemeiner Erfahrungssatz herangezogen werden. Dies ist wie üblich durch Auslegung der Compliance-Richtlinie im Einzelnen zu ermitteln. 719  Petermann, Compliance-Maßnahmen, 134 ff.; Engelhart, Sanktionierung, 407. Vgl. auch die vorhergehenden Ausführungen zu den durch Compliance-Maßnahmen beeinflussten Sorgfaltsmaßstab für die erforderlichen Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG. 720  Petermann, Compliance-Maßnahmen, 136. 721  Rengier, StrafR AT, 520 Rn. 17; Engelhart, Sanktionierung, 407; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 137. 722  Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 572; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 137. 723  Allgemein zum Schutzzweckzusammenhang Rengier, StrafR AT, 524.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht171

Im Übrigen kann eine Risikoanalyse der Unternehmensleitung als Bestandteil eines Criminal-Compliance-Konzepts im Rahmen der Vorhersehbarkeit des Erfolges und damit auch bei der Sorgfaltspflichtverletzung eine ahndungsrechtliche Rolle spielen.724 Als objektiv vorhersehbar gilt, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters in der gegebenen Tatsituation aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde.725 Sofern die Unternehmensleitung mit einer Risikoanalyse regelmäßig nach tatbestandlichen Gefahren (z. B. Geldwäschegefahren im Sinne des § 261 StGB bzw. Körperverletzungsgefahren im Sinne des § 229 StGB, die aus gefährlichen Betriebsgegenständen resultieren) sucht, kann es an der objektiven Vorhersehbarkeit fehlen, wenn durch außergewöhnliche Umstände ein tatbestandlicher Erfolg gleichwohl eintritt. In diesem Fall hat sich eine Gefahr realisiert, die außerhalb jeglicher Lebenserfahrung stand, sodass mit ihr gerade nicht gerechnet werden musste. Mit dem Compliance-Instrument einer (umfassenden und stets aktuellen) Risikoanalyse kann die objektive Vorhersehbarkeit eines Erfolgseintritts ausgeschlossen sein. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit scheidet für Angehörige der Unternehmensleitung in diesen Fällen aus. Das Gleiche kann für Mitarbeiter unterer Unternehmensebenen gelten, denn diese dürfen sich aufgrund des Vertrauensgrundsatzes auf die von der Unternehmensleitung durchgeführte Risikoanalyse (mit mehr Personal, Expertise und Erfahrung) und der damit erfolgten Identifizierung von tatbestandlichen Gefahren im und aus dem Unternehmen verlassen. Ist der tatbestandliche Erfolg gleichwohl eingetreten, kann dies im Einzelfall wiederum auf die Verwirklichung von außergewöhnlichen Umständen zurückzuführen sein. Der konkrete Erfolg kann daher im Einzelfall für den Unternehmensmitarbeiter ebenfalls nicht objektiv vorhersehbar sein. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kann unter diesem Gesichtspunkt ausscheiden. In diesen Fällen schafft „Compliance“ eine Verantwortungsdelegation nach „oben“, d. h. hin zur Unternehmensleitung. d) Verbandsgeldbuße, § 30 OWiG In einem ersten Schritt sollen die tatbestandlichen726 Voraussetzungen der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße noch einmal kurz vergegenwärtigt wer724  Petermann, Compliance-Maßnahmen, 135; Engelhart, Sanktionierung, 407; Stanitzek, Criminal Compliance, 201; Wessing, in: FS Volk, 867 (876). 725  Wessels / Beulke / Satzger, StrafR AT, Rn. 667a.; Rengier, in: KK-OWiG, § 10 Rn. 30. 726  Sofern man in § 30 OWiG einen eigenen Ordnungswidrigkeitentatbestand erblicken möchte.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

den. Dies ist für den zweiten Schritt, der Lokalisierung möglicher tatbestandlicher Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance-Maßnahmen relevant. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Beurteilung der Berücksichtigungs­ fähigkeit von Criminal-Compliance-Maßnahmen auf der „Tatbestands“- als auch Rechtsfolgenseite nur unter Rückgriff auf die – schon erörterten727 – dogmatischen Grundlagen der Verbandssanktionierung nach § 30 OWiG erfolgen kann.728 Als Voraussetzungen formuliert § 30 OWiG lediglich, dass eine Leitungsperson im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG eine betriebsbezogene oder das Unternehmen bereichernde729 Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit begehen muss. Anderweitige Voraussetzungen nennt der Wortlaut des § 30 OWiG nicht. Tatbestandliche Auswirkungen können Criminal-Compliance-Maßnahmen im Rahmen des § 30 OWiG zunächst in der Konstellation zeitigen, in der – wie gerade aufgezeigt – bereits die Anknüpfungstat der Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG durch entsprechende Compliance-Maßnahmen entfällt.730 Fehlt es per se an einer tauglichen Anknüpfungstat – die des § 130 OWiG – einer Leitungsperson, besteht kein Raum für eine unternehmensbezogene Sanktion nach § 30 OWiG. Darüber hinausgehende tatbestandliche Auswirkungen vermögen CriminalCompliance-Maßnahmen im Rahmen des § 30 OWiG aber nicht zu entfalten.731 In Bezug auf die dogmatische Struktur der Verbandsgeldbuße wurde bereits konstatiert, dass § 30 OWiG – egal, ob an eine Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstat einer Leitungsperson angeknüpft wird – kein sog. „Organisationsverschulden“ als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zugrunde liegt.732 Selbst wenn man ein solches „Organisationsverschulden“ im Rahmen des § 30 OWiG für plausibel hält, lassen Vertreter dieser Ansicht ergriffene organisatorische Maßnahmen des Verbandes nicht für eine strafrechtliche Freizeichnung ausreichen. Vielmehr soll die konkrete Anknüpfungstat gerade 727  Siehe

Gliederungspunkt: B. II. 2. und 3. auch Petermann, Compliance-Maßnahmen, 38; Faber, Corporate Compliance, 242. 729  Erfasst werden auch die Konstellationen, bei denen eine Bereicherung des Verbandes nur angestrebt war. 730  Zutreffend Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (471); Pampel, BB 2007, 1636 (1638); Dreher, ZWeR 2004, 75 (78 f.); Engelhart, Sanktionierung, 402 f.; Kämpfer, in: FS Wessing, 55 (58). 731  Ebenso Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (471); Engelhart, Sanktionierung, 411 ff.; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 218 f.; Stanitzek, Criminal Compliance, 207 f.; Rau, Compliance, 136. 732  Siehe Gliederungspunkt: B. II. 3. 728  So



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht173

Ausdruck einer fehlerhaften Organisationsstruktur gewesen sein.733 Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass nach diesem dogmatischen Verständnis Criminal-Compliance-Maßnahmen tatbestandlich keine Berücksichtigung finden kann. Auch vor dem dogmatischen Hintergrund eines sog. Zurechnungsmodells734, bei dem die Handlung bzw. Schuld der Leitungsperson dem Verband als eigene oder fremde zugerechnet werden, tut sich keine Möglichkeit auf, etwaige Criminal-Compliance-Maßnahmen tatbestandlich zu berücksichtigen.735 Dass gleiche gilt für das hier favorisierte identifikationsrechtliche Modell, das der Verbandsgeldbuße de lege lata am ehesten zugrunde liegt. Genauso wenig können Criminal-Compliance-Maßnahmen (z. B. durch Schaffung einer gewissen Grundorganisation, bei der geregelte Zuständigkeitsverteilungen bestehen) im Rahmen der Prüfung, ob ein Handeln „als“ verantwortliche Leitungsperson im Sinne des § 30 OWiG vorliegt, tatbestandliche Relevanz erlangen. Insbesondere bewirken sie keinen etwaigen Abbruch des Zurechnungszusammenhangs zwischen Anknüpfungstat und Stellung als Leitungsperson.736 Dies gilt unabhängig davon, ob man ein verantwortliches Handeln „als“ Leitungsperson anhand einer funktionsspezifischen Sichtweise737 oder anhand des verfolgten Interesses738 bestimmt. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass es für ein Handeln als verantwortliche Leitungsperson nicht darauf ankommt, ob gegen interne Compliance-Vorgaben (insbesondere intern geregelte Zuständigkeiten) verstoßen wurde, da dies bei deliktischem Verhalten gewöhnlich indiziert ist.739 Das intern nicht zuständige Organ, das trotzdem ein abgesprochenes Angebot bei einer Ausschreibung im Sinne des § 298 StGB abgibt, handelt gerade in Wahrnehmung seiner Funktion als Organ und im Interesse seines Verbandes. Daher bieten sich für Criminal-Compliance-Maßnahmen im Rahmen von § 30 OWiG tatbestandlich keine weiteren Anknüpfungspunkte. Das schließt aber die Möglichkeit der Berücksichtigung auf der Rechtsfolgenebene nicht aus.

733  Tiedemann,

NJW 1988, 1169 (1172). Gliederungspunkt: B. II. 3. 735  So auch Petermann, Compliance-Maßnahmen, 218; Faber, Corporate Compliance, 249. 736  Ebenso Engelhart, Sanktionierung, 411 ff.; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 218 f. 737  Dafür Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 11 Rn. 11. 738  So z. B. Kretschmer, in: FS Geppert, 289 (300); Hellmann / Beckemper, WirtschaftsstrafR, Rn. 1018. 739  Engelhart, Sanktionierung, 411 f. 734  Siehe

174

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

2. Ebene der Schuld bzw. Vorwerfbarkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts Im Mittelpunkt der weiteren Betrachtung sollen die möglichen Auswirkungen von Criminal-Compliance-Maßnahmen auf das Verbrechensmerkmal der Schuld bzw. der der Vorwerfbarkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts stehen. Dies mag auf den ersten Blick ein wenig verwundern, da man mit Criminal-Compliance zuvörderst organisatorische Maßnahmen assoziiert, deren mögliche Auswirkungen auf die strafrechtliche Ahndung man eher auf der Tatbestands- als auch Rechtsfolgenebene sucht. Bedenkt man aber, dass Criminal-Compliance-Konzepte Unternehmensmitarbeitern unter Umständen auch die Hinzuziehung einer externen bzw. internen Rechtsberatung für konkrete rechtliche Zweifelsfragen vorschreiben bzw. zumindest gestatten können, wird ein weiterer Punkt deutlich, der Einfluss auf die strafrechtliche Ahndung haben kann: namentlich der eines Verbotsirrtums im Sinne des § 17 S. 1 und 2 StGB bzw. § 11 Abs. 2 OWiG. Denkbar sind solche Fälle der Hinzuziehung einer präventiven Rechtsberatung vor allem im Bereich des Kartellrechts740 und insbesondere auch des Kapitalmarktstrafrechts. Gerade das Kapitalmarktstrafrecht stellt sich als sehr komplexe Rechtsmaterie dar. Das liegt vordergründig an den zahlreichen und kaum überschaubaren strafbzw. bußgeldbewehrten Ge- und Verbotsnormen des WpHG.741 Aber auch die Dynamik des Kapitalmarktstrafrechts schlechthin und die oft verwendete unionsrechtsakzessorische Blankettstrafgesetzgebung tragen zu dieser Komplexität bei.742 Vorab sei kurz erwähnt, dass man die Fälle der Hinzuziehung einer Rechtsberatung inhaltlich dem Themenkomplex von Criminal-Compliance zuordnen kann, da einer solcher Vorgang gerade auch dem Kernanliegen bzw. Ziel von Criminal-Compliance, d. h. der Einhaltung der strafrechtlichen Ge- und Verbote im weiteren Sinn entspricht.743 Für die weitere Untersuchung sollen allein diejenigen Fälle interessieren, bei denen die präventive Rechtsberatung und die Strafverfolgungsbehörde zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Strafbarkeit eines Lebenssachverhalts gekommen sind und der Unternehmensmitarbeiter infolge der Präventivberatung das in Wirklichkeit strafbare Verhalten als rechtlich zulässig erachtete. In einer solchen Konstellation fehlt dem Unternehmensmitarbeiter 740  Exemplarisch BGH, Beschluss vom 11.11.2008 – KRB 47 / 08, NJW-RR 2009, 973 ff., für den Fall der Hinzuziehung einer spezialisierten Anwaltssozietät für den Bereich des Kartellrechts. 741  Schröder, KapitalmarktsstrafR, Rn. 1017. 742  Szesny, in: Szesny / Kuthe, 21. Kap. Rn. 13. 743  Ähnlich Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht175

bei der Tatbegehung das nötige Unrechtsbewusstsein. Der Unternehmensangehörige handelt aber gemäß § 17 S. 1 StGB nur dann ohne Schuld bzw. nicht vorwerfbar im Sinne des § 11 Abs. 2 OWiG, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte. Nach der Rechtsprechung werden als Maßstäbe für die Beurteilung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums die „Gewissensanspan­nung“744, das „Nachdenken“745 bzw. eine „Erkundigung“746, herangezogen. Zu den Maßstäben der Gewissensanspannung und des Nachdenkens soll hier kein Beitrag geleistet werden, da es vorliegend gerade um eine Erkundigung d. h. Inanspruchnahme einer präventiven Rechtsberatung geht. Zum anderen dürfte in den genannten Rechtsgebieten des Kartellrechts und des Kapitalmarktstrafrechts selbst bei gehöriger Nutzung der intellektuellen Fähigkeiten eines rechtsunkundigen bzw. rechtlich kaum vorgebildeten Unternehmensmitarbeiters keine Feststellung einer positiven Unrechtskenntnis zu erwarten sein. Jenseits dessen hat die Rechtsprechung für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums bei Inanspruchnahme einer rechtlichen Präventivberatung zahlreiche und teils strikte Kriterien aufgestellt.747 Grundvoraussetzung für die Unvermeidbarkeit des Irrtums ist die Einholung eines verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats.748 Als Auskunftsperson kommen regelmäßig Rechtsanwälte749, Behörden750 und sonstige Juristen751 in Betracht. Die Auskunft muss des Weiteren „objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage“752 erfolgen. Insbesondere darf die Auskunft erteilende Person kein Eigeninte­ resse753 verfolgen.754 Eine höchstrichterliche Entscheidung, ob Justiziare 744  BGH, Beschluss vom 18.03.1952  – GSSt 2 / 51, BGHSt 2, 194 (201); BGH, Urteil vom 19.12.1952 – 1 StR 2 / 52, BGHSt 3, 357. 745  BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 253 / 16, NStZ 2017, 284 (288). 746  BGH, Urteil vom 23.12.1952  – 2 StR 612 / 52, BGHSt 4, 1 (5); BGH, Urteil vom 23.04.1953 – 3 StR 219 / 52, BGHSt 4, 236 (243); BGH, Urteil vom 13.11.1953 – 5 StR 496 / 53, BGHSt 5, 111 (118); BGH, Beschluss vom 27.01.1966  – KRB 2 / 65, BGHSt 21, 18 (20 f.). 747  Ausführlich dazu: Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253 (255 ff.); Gaede, HRRS 2013, 449 (455 ff.). 748  BGH, Urteil vom 03.04.2008 – 3 StR 394 / 07, NStZ-RR 2009, 13; BGH, Urteil vom 13.09.1994 – 1 StR 357 / 94, BGHSt 40, 257 (264). 749  BGH, Urteil vom 04.04.2013 – 3 StR 521 / 12, NStZ 2013, 461. 750  OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 19.11.1964 – 2 Ss 785 / 64, VRS 28, 423 (425 f.). 751  BGH, Urteil vom 13.11.1953 – 5 StR 496 / 53, BGHSt 5, 111 (118). 752  BGH, Urteil vom 04.04.2013 – 3 StR 521 / 12, NStZ 2013, 461. 753  Dergestalt, dass kein eigenes Interesse der Auskunftsperson am Prüfungsergebnis selbst bestehen darf, vgl. zu dieser Klarstellung Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253 (256 f.). 754  BGH, Urteil vom 16. 5. 2000 – Stb St (R) 2 / 00, NJW 2000, 2366 (2368).

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

oder Syndikusanwälte gleichfalls wie externe Rechtsanwälte die nötige Neutralität aufweisen, ist noch nicht existent. Gleichwohl haben mehrere Oberlandesgerichte keine Zweifel bezüglich der Neutralität einer Rechtsberatung durch diese Inhouse-Juristen angemeldet.755 In der Literatur wird vorsichtshalber trotzdem für die Hinzuziehung eines externen Rechtsrats plädiert.756 Sofern sich das Auskunftsersuchen auf eine rechtlich komplexe Materie bezieht, muss zum einen eine genügende Spezialisierung bei der Auskunftsperson vorliegen757 und zum anderen ein schriftliches Gutachten erfolgen.758 Der Ratsuchende muss auch eine abschließende eigene Prüfung der Auskunft vornehmen, d. h. prüfen, ob keine gegenteiligen Anhaltspunkte zum vorgefundenen Ergebnis erkennbar sind.759 Sind die gerade summarisch dargestellten Anforderungen durch den Unternehmensmitarbeiter erfüllt worden und vertraut dieser infolge der Auskunft auf die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens, ist der Irrtum regelmäßig unvermeidbar.760 Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass sich das Problem des unvermeidbaren Verbotsirrtums auch im Bereich des Tatbestands der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG stellen kann, wenn sich die Erkundigung auf die Implementierung eines gerichtsfesten Criminal-Compliance-Programms bezieht.761 Für den Fall, dass die Präventivberatung zu einem Tatbestandsirrtum des Ratsuchenden geführt hat, muss im Rahmen der sich anschließenden Fahrlässigkeitsprüfung dem Merkmal des subjektiven Fahrlässigkeitsvorwurfs Aufmerksamkeit geschenkt werden.762 Die eben gerade dargestellten Vermeidbarkeitskriterien des Verbotsirrtums lassen sich für die Frage des Vorliegens eines subjektiven Fahrlässigkeitsvorwurfs entscheidend nutzbar machen.763 Sofern die ratsuchende Leitungsperson diesen Pflichten nachgekommen ist, liegt es nahe, einen subjektiven Fahrlässigkeitsvorwurf im Rahmen der Schuld zu verneinen.

755  OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.02.1998  – Ss 9 / 98, NStZ-RR 1998, 251, mit Verweis auf OLG Hamburg, Urteil vom 12.10.1966  – 1 Ss 46 / 66, NJW 1967, 213 (214). 756  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253 (257). 757  OLG Stuttgart, Urteil vom 26.06.2006 – 1 Ss 296 / 05, NJW 2006, 2422. 758  BGH, Urteil vom 04.04.2013 – 3 StR 521 / 12, NStZ 2013, 461. 759  OLG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2003  – 3 Ss 114 / 03, NStZ-RR 2003, 263 und zuletzt BGH, Urteil vom 04.04.2013 – 3 StR 521 / 12, NStZ 2013, 461. 760  BGH, Urteil vom 13.09.1994 – 1 StR 357 / 94, BGHSt 40, 257 (264). 761  Dazu ausführlich Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (306 ff.). 762  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253 (255). 763  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 253 (255); Rengier, StrafR AT, 536 Rn. 83.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht177

3. Rechtsfolgenebene Nachfolgend soll untersucht werden, welche dogmatischen Anknüpfungspunkte sich für Criminal-Compliance-Maßnahmen auf der Rechtsfolgenebene dartun können. Begonnen werden soll mit Überlegungen zur Sanktionsbemessung bei der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG. a) Verbandsgeldbuße, § 30 OWiG Bei der systematischen Betrachtung einer Sanktionierung im Ordnungswidrigkeitenrecht muss zum einen zwischen dem Entschließungs- und Auswahlermessen der Strafverfolgungsbehörden und zum anderen zwischen dem sog. Ahndungs- und Abschöpfungsteil der Verbandsgeldbuße unterschieden werden. Noch mehr als auf Tatbestandsebene müssen für die Erkenntnisgewinnung bezüglich der Berücksichtigungsfähigkeit von Criminal-Compliance-Maßnahmen auf der Rechtsfolgenseite, die unterschiedlichen dogmatischen Begründungsansätze zur Verbandsgeldbuße im Auge behalten werden. aa) Sog. Ahndungsteil der Verbandsgeldbuße (1) Entschließungsermessen Dass Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten von Leitungspersonen mit einer Verbandsgeldbuße geahndet werden können, aber nicht müssen, lässt sich selbst aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 OWiG entnehmen, der von „kann“ bezüglich deren Festsetzung spricht. Das Opportunitätsprinzip im Sinne des § 47 Abs. 1 OWiG durchzieht das gesamte Ordnungswidrigkeitenrecht. Es ist daher möglich, dass die Entscheidungsinstanz nach pflichtgemäßer Ermessensausübung kein Verfahren gegen den Unternehmensträger einleitet, obwohl eine Anknüpfungsstraftat einer Leitungsperson in Form einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorliegt.764 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist diesbezüglich aber erforderlich, dass für ein Nichteinschreiten der Strafverfolgungsbehörde eine pflichtgemäße Ermessensabwägung stattfindet, bei der keine sachfremden Gründe einbezogen werden.765 Da tatbestandlich kaum Raum für eine Berücksichtigung von CriminalCompliance-Maßnahmen besteht und das Rechtsinstitut des § 30 OWiG keine „Garantiehaftung“ des Unternehmensträgers statuieren soll, wird vielfach gefordert, dass Strafverfolgungsbehörden dann zumindest von der Festvieler Mitsch, in: KK-OWiG, § 47 Rn. 2. BGH, Urteil vom 03.12.1998 – 1 StR 240 / 98, NJW 1999, 1122.

764  Statt 765  So

178

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

setzung einer Verbandsgeldbuße absehen sollen können.766 Dies soll nachfolgend unter Hinzuziehung der dogmatischen Konzepte zur Verbandsgeldbuße erläutert werden: Begonnen werden soll abermals mit dem Modell des Organisationsverschuldens. Man könnte zum einen im Rahmen einer Ermessensentscheidung über das „Ob“ der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße den Standpunkt vertreten, dass die begangene Anknüpfungstat der Leitungsperson unwiderlegbar vermuten lässt, dass ein Organisationsverschulden vorgelegen hat.767 Sofern keine anderweitigen Gründe für eine Nichtfestsetzung einer Verbandsgeldbuße vorliegen, würde § 30 OWiG im Prinzip auf eine reine Garantiehaftung hinauslaufen. Eine solche ist dem deutschen Strafrecht ansonsten aber mehr als fremd. Zudem würde eine entscheidende Erwägung außer Betracht gelassen, die unbedingt in die Ermessensentscheidung über die Nichtfestsetzung einer Verbandsgeldbuße einbezogen werden sollte. Durch umfassende Criminal-Compliance-Programme, die aus einer Vielzahl von ineinandergreifenden Compliance-Tools bestehen, wird in einem erheblichen Maße dazu beigetragen, dass die Entdeckungswahrscheinlichkeit von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erhöht wird. Dadurch kommt es zu einer gewollten Aufhellung des Dunkelfelds. Dieses Phänomen wird als sog. Kontrollparadox bezeichnet.768 Es zeigt sich damit im gleichen Atemzug, dass die organisatorischen Maßnahmen des Verbandes funktionieren. Die begangene Tat der Leitungsperson lässt sich aus diesem Blickwinkel dann als das vorsätzliche Ausnutzen von Verbandsstrukturen betrachten und entspricht eher einer Exzesskonstellation.769 Dies könnte es rechtfertigen, bezüglich des Verbandes auf eine Ahndung nach § 30 OWiG zu verzichten, sofern adäquate Compliance-Vorkehrungen ergriffen worden sind, die effektiv einer Deliktsverwirklichung vorbeugen. Eine konsequente Ahndung des einzelnen Exzesstäters bleibt davon unberührt. Criminal-Compliance-Maßnahmen können daher im Rahmen des Entschließungsermessens berücksichtigt werden, auch wenn man in § 30 OWiG de lege lata – wenig überzeugend – ein sog. Organisationsverschulden hineinlesen sollte.770 Ferner soll untersucht werden, wie auf Basis eines Zurechnungsmodells Criminal-Compliance-Maßnahmen bei der Ausübung des Entschließungser766  Zuletzt der Bundesverband der Unternehmensjuristen, Gesetzesvorschlag für eine Änderung der §§ 30, 130 OWiG, 8; Bock, Criminal Compliance, 361; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (472 f.). 767  So Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1172); Faber, Corporate Compliance, 249. 768  Bussmann, zfwu 2004, 35 (36). 769  Ähnlich Petermann, Compliance-Maßnahmen, 220  f.; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (471 f.). 770  Im Ergebnis ebenso Petermann, Compliance-Maßnahmen, 220 f.; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (472 f.).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht179

messens hinsichtlich der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße berücksichtigt werden können. Bei den Zurechnungsansätzen muss zwischen denjenigen unterschieden werden, die Handlung und Schuld der Leitungsperson dem Unternehmensträger als fremde771 oder eigene772 zurechnen, denn dies kann Einfluss auf Ermessenserwägungen der Entscheidungsbehörde haben. Vonseiten der Literatur wird vertreten, dass bei einer Zurechnung fremder Schuld, sich die Straftat aus Sicht des Verbandes gerade als Exzess darstellen kann, wenn dieser adäquate Compliance-Maßnahmen ergriffen hat.773 Begründet wird dies mit dem Gedanken, dass kein hundertprozentiger Schutz vor Straftaten von Leitungspersonen möglich ist, aber die Compliance-Anstrengungen des Verbandes wenigstens im Allgemeinen zu einer Risikoverringerung bezüglich der Begehung von Delikten beigetragen haben.774 Criminal-Compliance-Maßnahmen können daher das Entschließungsermessen der Entscheidungsinstanz derart beeinflussen, dass diese auf die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße verzichtet. Andererseits kann dagegen eingewendet werden, dass bei einem Konzept, bei dem die Schuld dem Unternehmensträger als fremde zugerechnet wird, gerade kein Bezug zu eigenen unternehmensbezogenen Gesichtspunkten im Rahmen der Ermessensausübung stattfinden darf.775 Für die letzte Sichtweise spricht, dass nach dem Konzept der Zurechnung fremder Schuld gerade alle Elemente für die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße an das Individuum geknüpft sind. Das Konzept der Zurechnung fremder Schuld überzeugt jedoch dogmatisch nicht776, da der Gedanke des Strafrechts als ultima ratio in einem solchen Modell keine Berücksichtigung finden kann. Bei einem solchen Modell, bei dem die Schuld dem Unternehmensträger als eigene zugerechnet wird, wird konstatiert, dass eine Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Maßnahmen im Rahmen des Entschließungsermessens ausgeschlossen sei.777 Das kann wenig überzeugen. Gerade aufgrund der Tatsache, dass eine eigene Schuld des Verbandes vorliegt, liegt es nahe, auch andere verbandsbezogene Zumessungskriterien schon im Entschlie771  Exemplarisch BVerfG, Beschluss vom 25.10.1986  – 2 BvR 506 / 63, BVerfGE 20, 323 ff.; Bohnert, OWiG, § 30 Rn. 1. 772  Statt vieler nur Schroth, wistra 1986, 158 (162); Petermann, ComplianceMaßnahmen, 40. 773  Siehe Petermann, Compliance-Maßnahmen, 221. 774  So Petermann, Compliance-Maßnahmen, 221, unter Rückgriff auf den Gedanken der Risikoverringerung von Bock, Criminal-Compliance, 361. Zutreffend für eine Berücksichtigung im Entschließungsermessen, aber ohne auf die dogmatischen Grundlagen des § 30 OWiG eingehend Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (747). 775  Faber, Corporate Compliance, 249. 776  Siehe Gliederungspunkt: B. II. 3. 777  So Petermann, Compliance-Maßnahmen, 222.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ßungsermessen zu berücksichtigen. Lassen ergriffene Criminal-ComplianceMaßnahmen des Verbandes die Tat einer Leitungsperson eher als Exzess erscheinen, kann mit diesem sachlichen Grund argumentiert werden, dass es gerade keiner Verbandsgeldbuße für eine Normbekräftigung (positive Generalprävention) bedarf. Die Individualsanktion ist hierfür ausreichend. Auch wenn darauf hingewiesen wird, dass die Verbandsgeldbuße ebenso dem Zweck einer Vermögensabschöpfung dient, spricht dies nicht durchgreifend gegen eine Berücksichtigung im Entschließungsermessen. Es kann aus dem Umkehrschluss des § 30 Abs. 5 OWiG abgeleitet werden, dass gegen den Unternehmensträger auch selbstständig der Verfall gemäß § 29a OWiG angeordnet werden kann.778 Die gerade gemachten Ausführungen lassen sich ohne Probleme auch auf das zutreffendere identifikationsrechtliche Modell übertragen, da dort auch eine eigene Schuld des Verbandes mittels Identifizierung mit der Schuld einer Leitungsperson vorliegt. (2) Auswahlermessen Nachfolgend soll dargestellt werden, welche Relevanz Criminal-Compliance-Maßnahmen im Rahmen des Auswahlermessens der Entscheidungsbehörde erlangen können. Wie sich aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 OWiG selbst entnehmen lässt, ist als Rechtsfolge gegen Unternehmensträger lediglich die Festsetzung einer Geldbuße vorgesehen. Das hat zur Folge, dass sich das Auswahlermessen der Entscheidungsinstanz lediglich auf die konkrete Zumessung der Geldbuße beschränkt.779 Maßgebend für die Bemessung der Verbandsgeldbuße sollen trotz fehlenden Verweises in § 30 Abs. 3 OWiG die Parameter des § 17 Abs. 3 OWiG sein.780 Danach fungieren als Bemessungskriterien im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG vor allem die „Bedeutung der Ordnungswidrigkeit“781 und der „Vorwurf, der den Täter trifft“. Daneben kommen gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG ebenfalls noch die „wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters“ als weiteres Strafzumessungskriterium in Betracht. Dieses letztgenannte Zumessungskriterium wird insbesondere bei bedeuten778  Auch wenn das Gesetz wohl den Weg über § 30 OWiG näher legt und bei § 29a OWiG noch das sog. „Bruttoprinzip“ hinsichtlich Verfalls zu beachten ist. Eine Angleichung des § 29a OWiG an das im Rahmen des §§ 30 Abs. 3, 17 Abs. 4 OWiG geltende „Nettoprinzip“ wäre wünschenswert. Zum Bruttoprinzip bei § 29a OWiG, vgl. Noak, ZIS 2012, 329 (331 f.). 779  Petermann, Compliance-Maßnahmen, 223. 780  Statt vieler BGH, Beschluss vom 26.02.2013  – KRB 20 / 12, NJW 2013, 1972 (1974); Mitsch, OWiG, 171 Rn. 15; Achenbach, in: Achenbach / Ransiek / Rönnau, 4. Aufl., 12 Rn. 13. 781  Da auch eine Straftat als Anknüpfungstat im Rahmen des § 30 OWiG in Betracht kommt, muss entsprechend die Bedeutung der Straftat ein Zumessungsparameter sein.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht181

den Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts für die Bußgeldzumessung eine Rolle spielen.782 Ergänzend für das Kartellrecht normiert § 81 Abs. 4 S. 6 GWB die Parameter der „Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung“, die bei der Zumessung der Verbandsgeldbuße berücksichtigt werden sollen. Unter Zugrundelegung der drei verschiedenen dogmatischen Konzepte, die zum Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße vertreten werden, ergeben sich folgende Möglichkeiten der Berücksichtigung von Criminal-ComplianceMaßnahmen im Rahmen des Auswahlermessens: Sieht man ein Organisationsverschulden als Grundlage von § 30 OWiG an, kann man hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit von Criminal-Compliance-Maßnahmen innerhalb des Auswahlermessens zu einem ambivalenten Ergebnis kommen. Stellt man – wie bereits im Entschließungsermessen thematisiert – darauf ab, dass die begangene Anknüpfungstat der Leitungsperson unwiderlegbar vermuten lässt, dass ein Organisationsverschulden vorgelegen hat783, stellt sich die Frage, warum gerade organisatorische Maßnahmen im Anschluss daran mildernd bei der Zumessung der Verbandsgeldbuße bedacht werden sollen. Diesen (Haftungs-)Gedanken konsequent zu Ende gedacht, besteht für Criminal-Compliance-Maßnahmen keine Chance im Rahmen des Auswahlermessens berücksichtigt zu werden.784 Andererseits kann argumentiert werden, dass durch das Hineinlesen eines Organisationsverschuldens gerade erst recht der Weg für eine Berücksichtigung von unternehmensbezogenen Parametern z. B. Compliance-Maßnahmen im Rahmen einer Ermessensentscheidung eröffnet wird.785 Ferner lässt sich für die Berücksichtigung verbandsbezogener Kriterien die Regelung des § 30 Abs. 4 OWiG anführen, wonach eine anonyme Festsetzung der Verbandsgeldbuße gestattet wird. Bei dieser kann gerade nicht auf den Zumessungs­ parameter „Vorwurf, der den Täter trifft“ rekurriert werden, da dieser nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.786 Wendet man den Parameter „Vorwurf, der den Täter trifft“ daher sinngemäß auf das Kollektiv (Zumessungsparameter: „Vorwurf gegen den Verbands“787) an, dann können Compliance782  Achenbach,

BB 2000, 1116 (1119). Tiedemann, NJW 1988, 1169 (1172); Faber, Corporate Compliance, 249. 784  In diesem Sinne Faber, Corporate Compliance, 249. 785  So zutreffend, obwohl das Modell des Organisationsverschuldens doch gänzlich abzulehnen ist: Petermann, Compliance-Maßnahmen, 225; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (471 f.); Engelhart, Sanktionierung, 434. Ähnlich auch Hirsch, ZStW 1995, 285 (313 f.), jedoch noch nicht von Compliance-Maßnahmen sprechend. 786  So auch Wegner, Zumessung, 92. 787  Für eine sinngemäße Anwendung der Parameter des § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG auf den Verband bzw. das Unternehmen, vgl. nur Engelhart, Sanktionierung, 434 und Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 134. 783  So

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Anstrengungen im Rahmen der Ermessensabwägungen – neben dem anderen Zumessungsparameter „Bedeutung der Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat“ – herangezogen werden. Daher sollte es schon de lege lata möglich sein, verbandsbezogene Präventivmaßnahmen bezüglich der Anknüpfungstat in Form von Criminal-Compliance-Maßnahmen mildernd bei der Zumessung der Verbandsgeldbuße zu berücksichtigen, auch wenn man § 30 OWiG auf ein Organisationsverschulden stützen sollte.788 Wie sich noch zeigen wird, ist die letztere Deutungsweise auch die unionsrechtlich gebotene und damit einzig zulässige. Die bisherigen Überlegungen zur konzeptionellen Struktur der Verbandsgeldbuße haben gezeigt, dass § 30 OWiG am ehesten ein identifikationsrechtliches Modell zugrunde liegt.789 Des Weiteren kann vorausgesetzt werden, dass § 30 OWiG eine besondere organschaftliche Beteiligungsnorm darstellt und damit eine Täterschaft des Verbandes begründet.790 Aufgrund der Tatsache, dass ein eigenes Verbandsverschulden – charakterisiert durch das Verschulden der Leitungspersonen – vorliegt, liegt der Schluss nahe, dass etwaige Criminal-Compliance-Maßnahmen des Verbandes auch auf der Rechtsfolgeseite eine Berücksichtigung finden können.791 Gleichwohl gilt es grundsätzlich zu beachten, dass es sich bei einer Individualsanktion und einer Verbandssanktion im Sinne des § 30 OWiG schon de lege lata um unterschiedliche Phänomene handelt, die gerade auch bei der Bußgeldzumessung nicht gleich behandelt werden dürfen. Man muss sich daher von dem Gedanken lösen, dass sich individualstrafrechtliche Aspekte – auch solche der Bußgeldzumessung – eins zu eins auf das Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße übertragen lassen. Es wurde bereits festgesellt, dass es nur um eine sinngemäße Anwendung der Zumessungsparameter des § 17 Abs. 3 OWiG auf den Verband gehen kann.792 Ganz im Sinne einer identifikationsrechtlichen Lesart des § 30 OWiG erfolgt bei der Strafzumessung keine Beschränkung auf das tatbezogene Kriterium der „Bedeutung der Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat“. Eine Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Maßnahmen im Rahmen dieses tat­ bezogenen Zumessungsparameters scheidet ohnehin aus. Vielmehr muss in Fällen der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße auch der Grad der Vorwerf788  Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (472); Engelhart, Sanktionierung, 411 ff. Im Ergebnis auch Petermann, Compliance-Maßnahmen, 225. 789  Siehe Gliederungspunkt: B. II. 3. Insgesamt zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch das Zurechnungsmodell, das dem Unternehmensträger die Handlung und Schuld als eigene zurechnet. 790  Siehe Gliederungspunkt: B. II. 3. 791  So (auch) Faber, Corporate Compliance, 249. Ähnlich aber von einem Zurechnungsmodell ausgehend Petermann, Compliance-Maßnahmen, 226. 792  Engelhart, Sanktionierung, 434 f.; Rogall, in: KK-OWiG, § 30 Rn. 134.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht183

barkeit der handelnden Leitungsperson vermittelnd für den Verband berücksichtigt werden.793 Dies ist zwingend, wenn man de lege lata nicht auf ein verbandsbezogenes Schuldprinzip und damit auf eine sanktionsbeschränkende Wirkung auch bei der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße verzichten möchte.794 Die Geltung eines verbandsbezogenen Schuldprinzips folgt zum einen aus dem deutschen Verfassungsrecht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG.795 Zum anderen folgt es aus der nicht einschränkbaren Gewährleistung einer schuldangemessenen Bestrafung aus dem Unionsrecht gemäß Art. 49 Abs. 3 GRC. Diese fordert, dass das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf. Eine schuldangemessene Bestrafung des Verbandes wäre gerade nicht möglich, wenn man ausschließlich das objektive d. h. tatbezogene Zumessungsparameter der „Bedeutung der Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat“ he­ ranzieht. Eine Chance, Criminal-Compliance-Maßnahmen hinreichend im Auswahl­ ermessen zu berücksichtigen, besteht nichtsdestotrotz über das Zumessungsparameter des „Vorwurfs, der den Täter bzw. Verband trifft“.796 Wie dargestellt, hat dieser Zumessungsparameter nicht nur eine individuelle, sondern auch eine überindividuelle Dimension. Die letztere Dimension betreffend, kann der gesamte Organisationskreis des Verbandes insbesondere im Zusammenhang mit der Anknüpfungstat in die Ermessensentscheidung einbezogen werden. Diesem Befund steht auch nicht die Wertung des § 130 OWiG entgegen, da diese Norm zunächst nur eine eigene Ordnungswidrigkeit der natürlichen Leitungsperson für betriebsbezogene Zuwiderhandlungen von untergebenen Mitarbeitern statuiert. Als verbandsbezogene Kriterien können daher die Auswahl und Überwachung der Leitungspersonen, Schulungsmaßnahmen und andere präventive Vorkehrungen mildernd bei der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße berücksichtigt werden. Im Falle einer isolierten d. h. anonymen Verbandsgeldbuße, bei der gerade keine konkrete Leitungsperson ermittelt werden konnte, kann dieser Parameter sowieso nur im überindivi­ duellen Sinne eine Bedeutung erfahren. Sofern für die Entscheidungsbehör793  Zutreffend Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 30 Rn. 36a; Petermann, ComplianceMaßnahmen, 226 f. 794  Ebenfalls für die Geltung eines Schuldprinzip bei der Festsetzung der Verbandsgeldbuße Achenbach, in: FS Schünemann, 1019 (1025). 795  Zu diesem Aspekt BVerfG, Beschluss vom 25.10.1986  – 2 BvR 506 / 63, BVerfGE 20, 323. 796  Ebenso Petermann, Compliance-Maßnahmen, 226  f.; van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (46); wohl auch Rübenstahl / Skoupil, wistra 2013, 209 (215). Auch die Bundesregierung fordert in Bezug auf kartellrechtliche Bußgelder bei gleichzeitiger Involvierung einer Leitungsperson nur, dass keine „Befreiung von Bußgeldern“ möglich sein soll. Das schließt eine mildernde Berücksichtigung im Auswahlermessen aber nicht gänzlich aus. Vgl. Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2013 / 2014.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

den ein konkreter unternehmerischer Leitfaden für die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften erkennbar ist, spricht nichts dagegen diese Präventivbemühungen im Rahmen der konkreten Zumessung der Verbandsgeldbuße zu honorieren. Im Zusammenhang mit dem Zumessungsparameter „wirtschaftliche Verhältnisse des Täters d. h. Verbandes“ besteht kein Raum für eine Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Maßnahmen. Anders sieht es hingegen bei dem durch § 81 Abs. 4 S. 6 GWB normierten Parameter der „Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung“ aus. CriminalCompliance-Maßnahmen können weniger auf die Schwere als auf die Dauer der Zuwiderhandlung einen Einfluss haben und deshalb innerhalb dieses ­Parameters eine Berücksichtigung bei der Zumessung der kartellrechtlichen Verbandsgeldbuße finden. Denkbar ist, dass durch Hinweisgebersysteme oder interne Untersuchungen (sog. Internal Investigation) die Nichteinhaltung von kartellrechtlichen Regelungen durch Leitungspersonen aufgedeckt und der Verstoß abgestellt wird. Des Weiteren ist denkbar, dass sich die restliche Unternehmensführung für eine Anzeige und Kooperation mit den Ermittlungsbehörden entscheidet. In der Compliance-Literatur wird unter Heranziehung eines Vergleichs zu § 46b Abs. 1 S. 4 StGB dafür plädiert, dass sich eine Kooperation der Unternehmensleitung auch im Rahmen des Auswahlermessens mildernd auf die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße auswirken soll.797 Diesem ist unter Hinweis darauf, dass umfangreiche Criminal-Compliance-Konzepte die Bereiche „Vorbeugung“ (Prevention), „Aufdeckung“ (Detection) als auch das „Reagieren“ (Respond) in Bezug auf deliktisches Verhalten umfassen798, zuzustimmen. Nicht unerwähnt für den Bereich der Kartellordnungswidrigkeiten soll das Rechtsinstitut der sog. Bonusregelung bleiben.799 Für alle Modelle gilt im Rahmen des Auswahlermessens, dass ein positives Nachtatverhalten mildernd Beachtung finden kann. Die Rechtsprechung hat auch schon vereinzelt Gebrauch gemacht, organisatorische Vorkehrungen zur Verhinderung zukünftiger Verstöße mildernd bei der Bemessung einer Verbandsgeldbuße einzubeziehen.800 Dies ist wie § 46 Abs. 2 StGB zeigt auch bei Individualsanktionen möglich. Verbände sollten diesbezüglich nicht schlechter gestellt werden, da sich die Strafzwecke (positive wie negative Spezial- und Generalprävention) sinngemäß auch auf juristische Personen anwenden lassen. Dies gilt für die Konstellation, in der der Verband nach797  Petermann,

Compliance-Maßnahmen, 228 ff. diesem Aspekt Moosmayer, in: Wirtschaftskriminalität, 83 ff. 799  Vgl. Gliederungspunkt: D. IV. 2. b). 800  KG Berlin, Urteil vom 21.06.1990 – Kart 12 / 89, WuW / E OLG 4572 (4574). 798  Zu



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht185

träglich glaubhaft und im angemessenen Umfang Compliance-Maßnahmen ergreift, um Verstöße – so wie sie vorgefallen sind – zukünftig abzustellen bzw. deren Begehungsrisiko zumindest zu minimieren.801 Der Verband hat in diesem Fall das Unrecht eingesehen und bereits daraus gelernt, indem es mittels Compliance-Maßnahmen auf unternehmensseitige Präventionsstrukturen setzt. Andererseits ist auch denkbar, dass unternehmerische Compliance-Vorkehrungen strafschärfend im Rahmen des Auswahlermessens berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen Compliance-Maßnahmen nur zum Schein ergriffen wurden, um von Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten der Leitungspersonen abzulenken bzw. diese vertuschen zu wollen.802 Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung liegt hier gerade nicht vor, da zum einen nicht an ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes des § 30 Abs. 1 OWiG angeknüpft wird803 und zum anderen auch nicht auf Umstände abgestellt wird, die für die Tat typisch804 sind. bb) Sog. Abschöpfungsanteil der Verbandsgeldbuße Die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sollen sich auch für den Verband nicht lohnen, deswegen ordnet § 30 Abs. 3 OWiG die Geltung von § 17 Abs. 4 OWiG und damit eine Gewinnabschöpfung an. Hinsichtlich der Gewinnabschöpfung stellt § 30 Abs. 3 in Verbindung mit § 17 Abs. 4 OWiG eine Soll-Bestimmung dar, wohingegen § 81 Abs. 5 GWB für den Bereich des Kartellrechts nur eine Kann-Bestimmung normiert. Ohne Stellung zu beziehen, ob bei der Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils richtigerweise das sog. Netto- oder Bruttoprinzip Anwendung findet, soll an dieser Stelle vielmehr untersucht werden, ob selbst unter Zugrundelegung des Nettoprinzips unternehmerische Aufwendungen für – teilweise umfangreiche – Compliance-Management-Systeme in Ansatz gebracht werden können. Stellt man also nur auf den wirtschaftlichen Vorteil d. h. Geldbetrag ab, der dem Verband nach Abzug der Kosten, die dieser für die Erlangung des Tatgewinns aufgewendet hat, muss man zu dem Schluss kommen, dass Auf801  Zutreffend die überwiegende Compliance-Literatur: Engelhart, Sanktionierung, 441; Gürtler, in: Göhler, OWiG, § 30 Rn. 36a; Sieber, in: FS Tiedemann, 449 (472); Petermann, Compliance-Maßnahmen, 225 f., van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (45), Kämpfer, in: FS Wessing, 55 (60). Anders Pampel, BB 2007, 1636 (1638 f.). 802  Engelhart, Sanktionierung, 441 f. 803  Das (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmal des Organisationsverschuldens kennt § 30 Abs. 1 OWiG gerade nicht. 804  Zu den Aspekt, dass Umstände, die für die Tat typisch sind, ebenso vom Verbot der Doppelverwertung umfasst werden, vgl. BGH, Urteil vom 06.11.2003 – 4 StR 296 / 03, NStZ-RR 2004, 80.

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

wendungen für Compliance-Management-Systeme nicht berücksichtigt werden können.805 Das hat den Grund, dass Kosten für Compliance-Konzepte keine Aufwendungen sind, die zur Erlangung des Tatgewinns getätigt wurden. Vielmehr sollen solche Präventiv-Konzepte die Begehung von Straf­ taten und Ordnungswidrigkeiten gerade verhindern bzw. zumindest erschweren. b) Geldbuße wegen einer Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 OWiG Das Opportunitätsprinzip im Sinne des § 47 Abs. 1 OWiG findet ebenfalls im Rahmen des § 130 OWiG Anwendung, d. h. es besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens.806 Sofern eine Einstellung des Bußgeldverfahrens aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht in Betracht kommt, soll untersucht werden, inwieweit Criminal-ComplianceMaßnahmen bei der konkreten Zumessung der Geldbuße berücksichtigt werden können. Für die Bußgeldzumessung im Rahmen des § 130 OWiG ist die Vorschrift des § 17 Abs. 3 OWiG maßgebend.807 Als Zumessungsparameter sind daher ebenfalls die „Bedeutung der Ordnungswidrigkeit“ und der „Vorwurf, der den Täter trifft“ relevant. Bezüglich des Zumessungsparameters „wirtschaftliche Verhältnisse des Täters“ ist auf Unternehmensinhaber abzustellen, nicht auf den Unternehmensmitarbeiter, der die betriebsbezogene Zuwiderhandlung vorgenommen hat.808 Neben dieser für die Bußgeldzumessung maßgeblichen Vorschrift ziehen sowohl die Rechtsprechung809 als auch Literatur810 die tatsächlich begangene Zuwiderhandlung des Unternehmensmitarbeiters als Zumessungsparameter heran. In der Literatur wird vertreten, dass Compliance-Maßnahmen das Aufsichtsverschulden der Leitungsperson mildern können und deshalb innerhalb des Zumessungsparameters „Vorwurf, der den Täter trifft“ positiv in der 805  Im Ergebnis ebenso Engelhart, Sanktionierung, 440  f.; Petermann, Compliance-Maßnahmen, 231. Explizit für eine Berücksichtigung der Aufwendungen für Criminal-Compliance-Maßnahmen im Zusammenhang mit §§ 30 Abs. 3, 17 Abs. 4 OWiG, Schefold, ZRFC 2013, 124 (128); Beulke / Moosmayer, CCZ 2014, 146 (149); Rübenstahl / Skoupil, wistra 2013, 209 (215). 806  Statt vieler Mitsch, in: KK-OWiG, § 47 Rn. 2. 807  Bohnert, OWiG, § 130 Rn. 38; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 122. 808  Beck, in: BeckOK-OWiG, §  130 Rn. 110; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 122. 809  OLG Celle, Beschluss vom 28.02.2007 – 322 Ss 39 / 07, NStZ-RR 2007, 215. 810  Beck, in: BeckOK-OWiG, § 130 Rn. 111; Rogall, in: KK-OWiG, § 130 Rn. 122.



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht187

Gesamtabwägung aller Umstände zu würdigen sind.811 Es wird darauf hingewiesen, dass trotz ergriffener Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen sich betriebsbezogene Exzesstaten von Unternehmensmitarbeitern nicht gänzlich vermeiden lassen.812 Im Grundsatz ist eine Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen auf der Rechtsfolgenseite zu begrüßen, jedoch muss stringenter zwischen dem Tatbestand, der objektiven Ahndbarkeitsbedingung und der Rechtsfolge getrennt werden: In Bezug auf die objektive Bedingung der Ahndung muss – wie schon dargelegt – ein Zurechnungszusammenhang zwischen der unterlassenen Aufsichtsmaßnahme und der konkreten Zuwiderhandlung eines Unternehmensmitarbeiters bestehen. Ein solcher ist nach dem Gesetz dann gegeben, wenn die Zuwiderhandlung bei gehöriger Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre, vgl. § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG. Die Verhinderungsvariante einmal aufgrund der geringeren Bedeutung für die Praxis ausgeklammert, so muss darauf zurückgekommen werden, wann eines „wesentliches Erschweren“ im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG vorliegt. Damit kann geklärt werden, inwieweit Zuwiderhandlungen durch Criminal-ComplianceMaßnahmen unterbunden werden müssen und wie groß der Raum für Ex­ zesstaten ist. Legt man den Standpunkt der Rechtsprechung als Maßstab für eine „wesentliche Erschwerung“ an, dann muss die hinzugedachte Aufsichtsmaßnahme geeignet sein, die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer betriebsbezogenen Zuwiderhandlung substanziell zu reduzieren.813 Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnisse müssen schon solche unterlassenen Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen ausscheiden, die die Zuwiderhandlung des Unternehmensmitarbeiters nur leicht erschwert bzw. gänzlich keinen Einfluss auf deren Begehung gehabt hätten. Eine Berücksichtigung dieser Exzesstaten von Unternehmensmitarbeitern beim Ausmaß und Gewicht der Aufsichtspflichtverletzung der Leitungsperson kann es daher auf der Rechtsfolgen­ ebene nicht ergeben.814 Nicht unterschlagen werden soll die Gefahr, dass Strafverfolgungsbehörden von der begangenen Zuwiderhandlung eines Unternehmensmitarbeiters per se auf eine Aufsichtspflichtverletzung der Leitungsperson schließen. Eine überzeugende Berücksichtigung können Criminal-Compliance-Maßnahmen auf Rechtsfolgenebene in Form des positiven Nachtatverhaltens fin811  Petermann,

Compliance-Maßnahmen, 216 f.; Bock, Criminal-Compliance, 355. Compliance-Maßnahmen, 216 f. 813  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1899). 814  So aber Petermann, Compliance-Maßnahmen, 216 f. 812  Petermann,

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

den.815 Ein anerkennenswertes Bemühen der Leitungspersonen kann darin gesehen werden, dass Compliance-Maßnahmen zeitnah nach Begehung einer Aufsichtspflichtverletzung im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG ergriffen werden. In dieser Konstellation geht es zwar weniger um ein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen oder einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (vgl. § 46 Abs. 2 StGB), gleichwohl kann darin ein Versprechen gesehen werden, sich zukünftig rechtskonform zu verhalten. Dies lässt zum einen die Einsicht der Leitungspersonen in das begangene Unrecht und zum anderen einen Beitrag für den zukünftigen Rechtsgüterschutz erkennen. Auch die Rechtsprechung hat die Ergreifung von organisatorischen Maßnahmen als positives Nachtatverhalten mildernd bei der konkreten Bußgeldzumessung berücksichtigt.816 Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Implementierung eines Compliance-Programms nur der Erfüllung der gesetzlichen Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG dient.817 Zum einen kann auch im Rahmen wirtschaftlichen Handelns nicht mehr als die Einhaltung der bestehenden Gesetze von Leitungspersonen verlangt werden. Zum anderen kommt es für ein positives Nachtatverhalten entscheidend darauf an, dass die Aufsichtsperson zeitnah aus autonomen Gründen heraus Signale zur Rechtstreue zu erkennen gibt818 und das ist mit der Ergreifung von CriminalCompliance-Maßnahmen der Fall. Des Weiteren ist ein positives und damit honorierbares Nachtatverhalten des Betroffenen in Form einer unterstützenden Sachverhaltsaufklärung denkbar. In der Praxis der Ermittlungsbehörden wird derzeit sowohl die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden als auch der Auf- und Ausbau eines umfassenden Compliance-Programms mildernd bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt.819 c) Ausschluss einer Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Maßnahmen auf der Rechtsfolgenebene aufgrund wiederholter Verstöße? Sofern eine Leitungsperson oder andere Unternehmensmitarbeiter wiederholt in eine vorsätzliche Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit verwickelt sind, 815  Ebenso Rau, Compliance, 232; Rübenstahl / Skoupil, wistra 2013, 209 (215); Stanitzek, Criminal Compliance, 207; van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (45); Rosinus, Haftungsvermeidung, 127. Explizit dagegen Pampel, BB 2007, 1636 (1638). 816  KG Berlin, Urteil vom 21.06.1990 – Kart 12 / 89, WuW / E OLG 4572 (4574). 817  So aber Pampel, BB 2007, 1636 (1638). 818  van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (46). 819  Vgl. beglaubigte Abschrift des Entwurfs des Bußgeldbescheids gegen die Siemens AG vom Dezember 2008, online abrufbar unter: http: /  / www.siemens.com /  press / pool / de / events / 2008-12-PK / MucStaats.pdf (zuletzt: 09.01.2016).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht189

stellen sich daran anknüpfende Fragen, die die weitere ahndungsbegrenzende Wirkung von Criminal-Compliance-Systemen insgesamt betreffen. Aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden ist wohl insbesondere die Frage relevant, ob durch einen oder wiederholte vorsätzliche Verstöße von Unternehmensmitarbeitern eine komplette „Entwertung“ des Criminal-Compliance-Systems erfolgt? Bei der Beantwortung dieser Frage gilt es genau zu differenzieren, den Einzelfall zu betrachten und die Möglichkeiten und Grenzen der unternehmerischen Kriminalprävention durch Criminal-Compliance-Programme zu berücksichtigen. Differenzierend wird man sagen können, dass es immer mal wieder zu einmaligen vorsätzlichen (betriebsbezogenen bzw. unternehmensnützlichen) Zuwiderhandlungen von Unternehmensmitarbeitern und somit auch der Leitungsebene trotz eines komplexen und an sich funktionalen Criminal-Compliance-Programms kommen kann.820 Eine dauerhafte Garantie, dass es zu keinen betriebsbezogenen Verstößen aus dem Unternehmen heraus kommt, kann es nicht geben. Ein gewisses Restrisiko für die Begehung solcher Delikte wird immer verbleiben.821 Eine absolute Normkonformität kann auch durch unternehmerische Criminal-Compliance-Programme nicht hergestellt werden. Zum anderen sollte man bedenken, dass durch die Implementierung eines Criminal-Compliance-Programms bzw. der Neuausrichtung auf bisher nicht abgedeckte Deliktsfelder eine Verschiebung der Kriminalität vom Dunkelins Hellfeld geschieht. Je mehr man intern kontrolliert, desto mehr Delikte werden sichtbar. Dieses Phänomen wird als sog. Kontrollparadox bezeichnet.822 Damit treten in der ersten Zeit nach der Implementierung häufiger – auch vorsätzliche – Verstöße zutage, die nicht die komplette Funktionalität des Compliance-Programms in Frage stellen. Gerade vorsätzlich begangene Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten müssen nicht Folge von unternehmerischen Kontrolldefiziten sein, sondern ­können auch auf die unterschiedlichsten autonomen Motive des Täters zurückführen, die Verbandsstrukturen zu deliktischen Verhalten ausnutzen zu wollen. Compliance-Maßnahmen wie Schulungen oder Belehrungen über ­ deliktische Verhaltensweisen, Richtlinien, Hinweisgebersysteme oder stichprobenartige Kontrollen erschweren zwar die Tatbegehung, indem Tatgelegenheiten minimiert und das Entdeckungsrisiko erhöht werden, aber sie ha820  Ähnlich Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (309); Schefold, ZRFC 2013, 124; Rieder / Jerg, CCZ 2010, 201 (202); Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (745); Gilch / Schaute, in: Momsen / Grützner, 127 Fn. 4; Rönnau, in: FS Schmidt, 237 (241 Fn. 22). 821  Schefold, ZRFC 2013, 124. 822  Bussmann, zfwu 2004, 35 (36).

190

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ben wohl nur bedingten Einfluss auf diejenigen Täter, die fest entschlossen sind, bestimmte (Wirtschafts-)Delikte zu begehen. Diese suchen mit krimineller Energie bewusst nach Tatgelegenheiten und nutzen diese im Rahmen von üblichen d. h. legalen Geschäftsgebaren aus. Eine komplette „Entwertung“ des Criminal-Compliance Systems liegt bei dieser Fallkonstellation daher in der Regel nicht vor. Vielmehr kann man solche individuellen Verhaltensweisen als Exzesstaten verstehen. Deswegen können Criminal-Compliance-Maßnahmen trotz vorliegender Verstöße auch weiterhin eine Berücksichtigung auf der Rechtsfolgenebene finden. Treten aber stark vermehrt und über einen längeren Zeitraum insbesondere vorsätzliche Normverstöße der Leitungsebene und anderer Unternehmensmitarbeiter trotz Implementierung eines Criminal-Compliance-Systems auf, kann das ein Indiz dafür sein, dass nur sog. window-dressing betrieben wird. Diese Annahme liegt insbesondere dann nahe, wenn die Implementierung des Compliance-Systems zeitlich schon eine Weile her ist und die Verschiebung der begangenen Delikte vom Dunkel- ins Hellfeld schon größtenteils abgeschlossen ist. Die begangenen Verstöße konterkarieren dann die „halbherzig“ getroffenen Präventivanstrengungen mittels Criminal-ComplianceProgrammen. Ob dies der Fall ist, müssen die Entscheidungsbehörden im Einzelfall ermitteln. Ohnehin wird in Bezug auf § 130 OWiG in diesen Fällen eine Pflicht zur Anpassung des Compliance-Programms bestehen, um betriebsbezogene Zuwiderhandlungen zu verhindern. d) Rechtliche Auswirkungen823 einer Zertifizierung des Criminal-Compliance Programms Nachdem dargestellt wurde, welche Auswirkungen Criminal-ComplianceMaßnahmen im geltenden Strafrecht haben können, soll noch der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung Zertifizierungen von ComplianceProgrammen für die strafrechtliche Ahndung haben. An Zertifizierungsstandards für Compliance-Programme mangelt es in der Wirtschaft nicht. Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland bietet den Prüfungsstandard „IDW PS 980 – Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen“824 an. Daneben existiert der „ISO 19600“ Prüfstandard, der von der Internationalen Organisation für Normung verabschiedet wurde825 823  Es geht vorliegend allein um die rechtlichen Auswirkungen einer Zertifizierung. Aus der Sicht der Unternehmen bzw. der Wirtschaft können Zertifizierungen Vorteile bei Auftragserlangungen (gerade von Großunternehmen) als auch positive Image­ effekte zeitigen. Vgl. zu diesen Aspekten Bussmann, in: FS Achenbach, 57 (63). 824  Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer, Verlautbarungen – IDW Prüfungsstandards. 825  International Organization for Standardization, ISO 19600:2014(en).



III. Anknüpfungspunkte im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht191

sowie ein Standard für Compliance Management Systeme „TR CMS 101: 2011“ vom TÜV Rheinland826. Es liegt nicht fern, dass Unternehmensleitungen, die sich trotz eines gewissen zeitlichen als auch finanziellen Aufwands für die Implementierung eines Criminal-Compliance-Programms entschieden haben, nun in einem zweiten Schritt danach streben, dieses anhand eines Prüfstandards zertifizieren zu lassen. Natürlich herrscht aus Sicht der Unternehmen die Erwartungshaltung und Hoffnung vor, dass die externe Überprüfung und Zertifizierung ihrer Compliance-Programme der Gefahr einer strafrechtlichen Ahndung vollständig entgegenwirkt bzw. diese auf ein Minimum reduziert wird. Diese Erwartungshaltung der Unternehmen wird zudem dadurch bestärkt, dass andere Staaten (beispielsweise Großbritannien mit dem sog. UK Bribery Act 2010 in Sec. 7 Abs. 2) gesetzlich vorsehen, dass Unternehmen einer strafrechtlichen Ahndung mittels geeigneter Compliance-Management-Systeme entgegenwirken können. Um die materiell-rechtliche Bedeutung der Zertifizierungen von Compliance-Programmen richtig erfassen zu können, muss wie bei „CriminalCompliance“ ein rein strafrechtsorientierter Blick auf diese Prüfstandards eingenommen werden. Deshalb bleiben Ausführungen zu wirtschaftlichen Aspekten und Vorteilen (z. B. Marktmacht der Wirtschaftsprüfer827, Signalfunktion für am Kapitalmarkt aktive Unternehmen828, Außenwirkung und Vertrauen auf Geschäftspartner829 oder Voraussetzung für die Auftragserlangung von Großunternehmen) einer solchen Zertifizierung außen vor. Die weitere Untersuchung wird sich exemplarisch auf den Prüfstandard IDW PS 980 konzentrieren. Dieser kennt drei Prüfungsvarianten für ComplianceProgramme: eine Konzeptionsprüfung, Angemessenheitsprüfung sowie eine Wirksamkeitsprüfung.830 In der PricewaterhouseCoopers-Studie zur Wirtschaftskriminalität 2016 wurde festgestellt, dass von den 720 befragten Unternehmen rund 54 % Kenntnis vom Prüfstandard IDW PS 980 hatten. Von denjenigen Unternehmen, die über ein Compliance-Programm verfügten, haben rund 35 % eine solche Zertifizierung durchführen lassen.831 Eine gewisse Verbreitung hat dieser Standard daher in der Unternehmenspraxis bereits erfahren. 826  TÜV

Rheinland, TR CMS 101:2011. Compliance, Rn. 300. 828  Görtz / Roßkopf, CCZ 2011, 101 (103). 829  Eckert, AR 2011, 122 (123). 830  Dazu ausführlich Moosmayer, Compliance, Rn. 299 ff. 831  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität in der analogen und digitalen Wirtschaft 2016, 80. 827  Moosmayer,

192

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Nicht verwunderlich ist, dass das Spektrum der Auffassungen, das zu den möglichen materiellrechtlichen Auswirkungen einer solchen Zertifizierung vertreten wird, zwei Extreme kennt. Einerseits wird behauptet, dass eine Zertifizierung d. h. erfolgreiche Wirksamkeitsprüfung nach dem IDW PS 980 eine tatbestandsausschließende Wirkung im Rahmen des § 130 OWiG hervorruft.832 Andererseits wird vertreten, dass von einer solchen Zertifizierung überhaupt keine materiellrechtliche Auswirkung – auch nicht in Bezug auf §§ 30, 130 OWiG – zu erwarten ist.833 Vergegenwärtigt man sich, dass es für einen Tatbestandsausschluss nach § 130 Abs. 1 OWiG einzig und allein auf das implementierte ComplianceProgramm bzw. die Compliance-Organisation selbst ankommt, wird deutlich, dass eine Zertifizierung nach dem Prüfstandard IDW PS 980 keine materiellrechtliche Auswirkung entfaltet.834 Schließlich dürfte auch regelmäßig ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 11 Abs. 2 OWiG (bzw. § 17 S. 1 StGB) bei einer Leitungs- bzw. Aufsichtsperson nicht vorliegen, wenn diese ausschließlich einen Wirtschaftsprüfer (ohne weitere Hinzuziehung eines qualifizierten Rechtsberaters) für die Einrichtung und anschließende Zertifizierung eines Criminal-ComplianceProgramms beauftragt, um der Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG zu genügen. Für die Annahme eines vermeidbaren Verbotsirrtums dürfte es in dieser Konstellation oft an der erforderlichen rechtlichen Sachkunde und manchmal auch an Objektivität des Beraters fehlen, sofern dieser über Jahre hinweg schon als Abschlussprüfer im Unternehmen tätig war.835 Allenfalls kann eine Zertifizierung nach diesem Standard Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Tatrichters im Sinne des § 261 StPO bzw. der einer Verwaltungspersonen im Verwaltungsverfahren haben. Zu beachten gilt allerdings, dass eine solche von einem Wirtschaftsprüfer durchgeführte Prüfung nur dann maßgeblichen Einfluss auf die Überzeugungsbildung einer Entscheidungsperson haben wird, wenn diese ebenfalls durch einen objektiven und sachlichen Rechtsberater begleitet wird.836

832  So

(209).

aus der Sicht der Wirtschaftsprüfer: Gelhausen / Wermelt, CCZ 2010, 208

833  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (306); Rieder / Jerg, CCZ 2010, 201 (207); Böttcher, NZG 2011, 1054 (1057); Moosmayer, Compliance, Rn. 300. 834  Ebenso Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (309); Withus / Hein, CCZ 2011, 125 (127). 835  Zutreffend Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (309); Rieder / Jerg, CCZ 2010, 201 (204 f.). 836  Zutreffend Moosmayer, Compliance, Rn. 300; Rieder / Jerg, CCZ 2010, 201 (204 ff.); Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (304 ff.).



IV. Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen193

IV. Die Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen im deutschen Kartellbußgeldverfahren 1. Strafrechtliche Risiken, Sanktionspraxis des Bundeskartellamts und kriminologische Befunde bezüglich der Wettbewerbskriminalität Im Fokus der allgemeinen Compliance-Forschung stand lange Zeit überwiegend das Thema Korruption und mögliche Präventionsmaßnahmen diesbezüglich. Dies spiegelt sich in der PricewaterhouseCoopers-Studie zur Wirtschaftskriminalität 2013 auch im höheren Verbreitungsgrad von Compliance-Programmen mit korruptionsrechtlicher Ausrichtung gegenüber solchen mit kartellrechtlicher Ausrichtung wieder.837 Der Prävention bezüglich Korruption sollte auch weiterhin ein hoher Stellenwert im Unternehmen – gerade bei internationaler Betätigung und zunehmender extraterritorialer Auswirkungen ausländischer Antikorruptionsgesetze – zukommen. Die Geschäftsleitung sollte daher im Rahmen einer umfassenden Risikoanalyse ausländische Gesetze und deren potenzielle extraterritoriale Auswirkungen auf das Unternehmen frühzeitig eruieren. Daneben sollten Unternehmen aber nicht vergessen, ihr Criminal-Compliance-Programm konzeptionell auch auf das Kartellrecht838 hin auszurichten. Weniger als ein Drittel (28,7 %) der 603 befragten Unternehmen verfügten laut oben genannter Studie bereits über ein solches kartellrechtliches Compliance-Programm.839 Angesichts der Tatsache, dass sich zahlreiche kartellrechtliche Risikobereiche in Form von Kartellabreden, Zusammenschlüssen von Unternehmen oder missbräuchlichen Verhaltensweisen durch marktbeherrschende Unternehmen auftuen können, verwundert dies. Selbst der reine Informationsaustausch zwischen Unternehmen kann kartellrechtlich äußerst relevant und risikoreich sein. Das Bundeskartellamt hat im März 2013 den Informationsaustausch zwischen zahlreichen führenden Drogerie- bzw. Konsumgüterherstellern, obwohl keine „konventionellen“ Kartellabreden im Sinne des § 1 GWB vorlagen, mit der Begründung sanktioniert, dass durch den Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen der Wettbewerb nachhaltig beeinträchtigt wird und letztlich Verbraucher geschädigt werden können.840 Dieser „wettbewerbsbeschränkende Informa­ tionsaustausch“ steht zunehmend auf der Agenda des Bundeskartellamts 837  Vgl.

Gliederungspunkt C. III. 1. Wettbewerbskriminalität aus kriminologischer Sicht ausführlich Bussmann, in: FS Kerner, 49 ff. 839  PwC / Bussmann, Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 62. 840  Vgl. Bundeskartellamt, Fallbericht Drogerieartikel; dass., Konsumgüterhersteller. 838  Zur

194

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

und mit einer weiteren Intensivierung der Verfolgungstätigkeit diesbezüglich ist wohl zu rechnen. Strafrechtliche Ahndungsrisiken bestehen somit für Leitungspersonen, die unmittelbar an der Kartellstraftat bzw. Kartellordnungswidrigkeit beteiligt sind und für solche, die nicht die gehörige Aufsicht im Sinne des § 130 Abs. 1 OWiG ausüben. Für nachgeordnete Mitarbeiter droht ebenfalls eine strafrechtliche Ahndung für den Fall, dass sie sich an der Kartellstraftat bzw. Kartellordnungswidrigkeit beteiligen. In den beiden erstgenannten Fällen kann es zudem zu einer Sanktionierung des Unternehmensträgers nach § 30 Abs. 1 und 4 OWiG mittels einer Verbandsgeldbuße kommen. Die verhängten Geldbußen des Bundeskartellamts bewegen sich seit Längerem auf hohem Niveau. Diese können unter Umständen Liquiditätsprobleme und sogar Insolvenzen der betreffenden Unternehmen nach sich ziehen. Bekannt geworden ist der Insolvenzfall der „Albert Ziegler GmbH & Co. KG“, einem Hersteller von Feuerwehrlöschfahrzeugen. Dieses Unternehmen hatte sich mit zwei Konkurrenten zu einem Preis- bzw. Quotenkartell zusammengeschlossen. Nach Verhängung der Kartellgeldbuße durch das Bundeskartellamt in Höhe von 8 Mio. Euro hat die Albert Ziegler GmbH & Co. KG einen Insolvenzantrag gestellt.841 Das Bundeskartellamt hat mittlerweile darauf reagiert und bietet Unternehmen bei höheren Geldbußen Ratenzahlungen an, um eine Insolvenz zu vermeiden.842 All dies verdeutlicht aber die enormen bußgeldrechtlichen Ahndungsrisiken im Kartellrechtsbereich. Erhöhte Kartellrechtsrisiken dürften zudem in Krisenzeiten bestehen, die am Markt einen steigenden Wettbewerbsdruck auslösen.843 Deshalb ist es im Bereich des Kartellrechts ebenfalls erforderlich, dass Unternehmen die für sie maßgeblichen gesetzlichen Regularien und Risiken umfassend analysieren. Innerhalb des Unternehmens bzw. des Konzerns dürften daher präventiv wirkende Maßnahmen angezeigt sein, die regelkonformes Verhalten im Bereich des Kartellrechts sicherstellen oder zumindest fördern. Insbesondere bei den sog. schweren Kartellordnungswidrigkeiten des § 81 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2 a, 5 und Abs. 3 GWB (unter anderem Verstöße gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Absprachen im Sinne des § 1 GWB bzw. Verstößen gegen verbotenes Verhalten marktbeherrschender Unternehmen, §§ 19, 20 GWB) drohen erhebliche strafrechtliche Ahndungsrisiken mit bis zu einer Million Euro. Über § 81 Abs. 4 S. 2 GWB sind darüber hinaus bei vorsätzlichem Handeln sogar Geldbußen bis zur umsatzbezogenen Bußgeldobergrenze844 von 10 % dazu ausführlich Palzer, NZI 2012, 67 ff. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011 / 2012, XII. 843  Bussmann, in: FS Kerner, 49 (57). 844  BGH, Beschluss vom 26.02.2013 – KRB 20 / 12, NJW 2013, 1972 (1974). 841  Vgl.

842  Bundeskartellamt,



IV. Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen195

des Vorjahresumsatzes des Unternehmens möglich. Sofern es sich um zu einer wirtschaftlichen Einheit verbundene Unternehmen handelt, wird auf den Vorjahresumsatz des Konzerns abgestellt.845 Vor diesem Hintergrund ist es interessant, inwieweit unternehmerische Criminal-Compliance-Konzepte bei der Sanktionierung von Rechtsverstößen durch deutsche Kartellbehörden de lege lata berücksichtigt werden. Das diesbezügliche Erkenntnisinteresse wird aus strafrechtlicher Perspektive noch einmal gesteigert, da das Kartellrecht darüber hinaus noch das Instrument der sog. Bonusregelung846 kennt. Über die Bonusregelung des Bundeskartellamts ist unter bestimmten Voraussetzungen ein privilegierter Ausstieg aus dem Kartell möglich, indem die Geldbuße vollständig erlassen oder zumindest reduziert wird. Ein Vergleich beider Institute – unter Berücksichtigung der Auffassung des Bundeskartellamts – wird weitere Erkenntnisse bringen, ob unternehmerische Compliance-Management-Systeme auf der Rechtsfolgen­ ebene berücksichtigungswürdig erscheinen. 2. Criminal-Compliance im deutschen Kartellbußgeldverfahren de lege lata a) Die Haltung des Bundeskartellamts zur Berücksichtigungsfähigkeit kartellrechtlicher Compliance-Programme und deren kritische Würdigung Das Bundeskartellamt bezieht, was die Frage der Berücksichtigung einer strafrechtlichen Präventivberatung und der darauffolgenden Implementierung eines noch so umfassenden Criminal-Compliance-Programms auf der Rechtsfolgenseite betrifft, eine klare Stellung. Das Bundeskartellamt vertritt bislang die Auffassung, dass Compliance-Programme per se keine niedrigeren Bußgelder rechtfertigen können, denn auftretende Rechtsverstöße seien Ausdruck eines schwachen, d. h. nicht funktionierenden Compliance-Programms.847 Diese Praxis der Nichtberücksichtigung von Compliance-Programmen bei der Bußgeldzumessung wurde auch in zurückliegenden Jahren so kommuniziert.848 Das Bundeskartellamt begründet seinen Standpunkt damit, dass die Einrichtung eines Compliance-Systems der vom Gesetz geforderten „gehöri845  BGH,

Beschluss vom 26.02.2013 – KRB 20 / 12, NJW 2013, 1972 (1975). Bonusregelung im Einzelnen: Bundeskartellamt, Bekanntmachung des Bundeskartellamts Nr. 9 / 2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 07.03.2006, 1 ff. 847  Mundt, BUJ Sonderedition Compliance 2012, 82. 848  Pampel, BB 2007, 1636; Krebs / Eufinger / Jung, CCZ 2011, 213; Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011 / 2012, 31 f. 846  Zur

196

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

gen Aufsicht“ im Sinne des § 130 OWiG diene. Die Einhaltung des „nur“ rechtlich Gebotenen kann in der Folge nicht als mildernder Umstand im Kartellbußgeldverfahren berücksichtigt werden.849 Auch in den neuen Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts vom 25. Juni 2013 werden keine Aussagen darüber getroffen, ob kartellrechtliche Compliance-Programme bei der Bußgeldfestsetzung berücksichtigt werden.850 Zu Recht wird dies vonseiten der Wissenschaft851 als auch der Wirtschaft852 kritisiert. Ausgehend von dieser Prämisse müssten kartellrechtliche ComplianceProgramme so „effektiv“ sein, dass sie jede kartellrechtliche Straftat bzw. Kartellordnungswidrigkeit aus dem Unternehmen heraus verhindern. Sie müssten sogar so effektiv sein, dass konzernweit absolute Rechtstreue sichergestellt wird, denn – wie schon dargestellt – trifft die Konzernobergesellschaft eine bußgeldbewehrte Aufsichtspflicht im Sinne des § 130 OWiG auch über Vorgänge in den Tochtergesellschaften. Für die Berücksichtigung von kartellrechtlichen Compliance-Bemühungen bei der Bußgeldbemessung lassen sich jedoch gewichtige Gründe anführen. Zuallererst ist anzumerken, dass es zu betriebsbedingten bzw. unternehmens­ nützlichen Rechtsverstößen in einem Unternehmen kommen kann, obwohl ein noch so komplexes Criminal-Compliance-Programm mitsamt Aufsicht implementiert ist.853 Eine Garantie, dass durch Compliance-Programme dauerhaft und durchgängig alle kartellrechtlichen Vorschriften im Unternehmen bzw. Konzern eingehalten werden, gibt es nicht. Man sollte seitens der Strafverfolgungsbehörden realistische Erwartungen an ein kartellrechtliches Compliance-Programm formulieren und erkennen, dass immer ein Rest­ risiko für die Begehung von betriebsbezogenen Verstößen besteht.854 Der BGH hat dies bereits im Jahr 1986 erkannt und dazu ausgeführt, dass es „weder möglich noch notwendig [ist], betriebliche Aufsichtsmaßnahmen so zu gestalten, daß sie alle vorsätzlichen Verstöße gegen betriebliche Pflichten 849  Pampel, BB 2007, 1636 (1638); Krebs / Eufinger / Jung, CCZ 2011, 213; Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011 / 2012, 31 f. 850  Bundeskartellamt, Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren. 851  Krebs / Eufinger / Jung, CCZ 2011, 213 (214 ff.); Dreher, ZWeR 2004, 75 (91 ff.); van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (45 ff.); Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (745 f.). 852  Moosmayer, CCZ 2013, 218 (219), als Chief Counsel Compliance der Siemens AG. 853  Kudlich / Wittig, ZWH 2013, 303 (309); Schefold, ZRFC 2013, 124; Rieder /  Jerg, CCZ 2010, 201 (202); Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (745); Gilch / Schaute, in: Momsen / Grützner, 127 Fn. 4; Rönnau, in: FS Schmidt, 237 (241 Fn. 22); Faber, Corporate Compliance, 120 f. 854  Schefold, ZRFC 2013, 124.



IV. Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen197

verhindern“855. Als Grenze sämtlicher Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen ist das realistisch Zumutbare und schließlich auch die Eigenverantwortung aller Unternehmensangehörigen heranzuziehen.856 Zum Beispiel gehören flächendeckende Personalkontrollen selbst nach Auffassung der Rechtsprechung nicht zu den Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG und sind daher nicht angezeigt.857 Alles andere sind Erwartungshaltungen an Criminal-Compliance-Programme, die von einem Gedanken an absolute Sicherheit getragen werden. Gerade in Anbetracht der zahlreichen Tatgelegenheiten und anonymer Handlungs- bzw. Kommunikationsstrukturen, die sich bei arbeitsteiliger Organisation und internationaler Betätigung ergeben, kann das Risiko, dass Straf- bzw. Ordnungswidrigkeiten begangen werden, nicht vollständig ausgeschlossen werden. Das hat seinen Grund auch darin, dass vorsätzlich begangene Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten nicht Folge von unternehmerischen Kontrolldefiziten sein müssen. Compliance-Maßnahmen wie Schulungen oder Belehrungen über kartellrechtliche Regelungen und Richtlinien, Hinweisgebersysteme oder stichprobenartige Kontrollen erschweren zwar die Tatbegehung, indem Tatgelegenheiten minimiert und das Entdeckungsrisiko erhöht werden, aber haben wohl nur bedingten Einfluss auf diejenigen Täter, die fest entschlossen sind, bestimmte (Wirtschafts-) Delikte unter Ausnutzung bestimmter Organisationsstrukturen zu begehen. Diese suchen mit krimineller Energie bewusst nach Tatgelegenheiten und nutzen diese im Rahmen von üblichen d. h. legalen Geschäftsgebaren aus. Diese Tätergruppe mag wohl extrem klein sein, sie zeigt aber, dass sicherlich nicht sämtliche betriebsbezogene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten trotz Implementierung eines komplexen Criminal-Compliance-Programms unterbunden werden können. Richtig ist, dass die Einrichtung eines Aufsichts- bzw. Compliance-Systems mit den unterschiedlichsten Maßnahmen zunächst einmal der vom Gesetz geforderten „gehörigen Aufsicht“ im Sinne des § 130 OWiG dient. Gleichwohl schließt das eine Honorierung eines positiven Nachtatverhaltens in Form der Ergreifung (verbesserter) Compliance-Maßnahmen nicht aus.858 Das Unternehmen zeigt dadurch, dass es versucht sich zukünftig rechtstreu zu verhalten. Die Einsicht in das begangene Unrecht ist vorhanden.

855  BGH, Beschluss vom 11.03.1986  – KRB 7 / 85, online abrufbar unter: www. juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 16. 856  BGH, Beschluss vom 11.03.1986  – KRB 7 / 85, online abrufbar unter: www. juris.de (zuletzt: 29.03.2016), Rn. 10. 857  OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2006  – VI-2 Kart 5 + 6 / 05 OWi, WuWE / DE-R 1893 (1896). 858  Vgl. Gliederungspunkt: D. III. 3. b).

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D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Gegen die Auffassung des Bundeskartellamts spricht auch ein kriminologischer Aspekt. Dass es zu kartellrechtlichen Rechtsverstößen trotz eines vorhandenen Compliance-Programms kommt, darf zum einen nicht dahin gehend fehlgedeutet werden, dass es zu einer Zunahme von Wirtschaftskriminalität im Unternehmen kommt und zum anderen nicht, dass das Compliance-Programm nicht funktional sei. Vielmehr kommt es durch komplexe Crim­ inal-Com­ pliance-Programme zu einer höheren Sensibilität bezüglich Unternehmenskriminalität und einer Erhöhung der objektiven wie subjektiven Entdeckungswahrscheinlichkeit von Kartellrechtsverstößen. Es erfolgt eine gewollte Aufhellung des Dunkelfelds. Dieses Phänomen wird – wie schon dargelegt – als sog. Kontrollparadox bezeichnet.859 Daher wird es erst eine Zeit lang dauern, bis das Stadium des Kontrollparadoxes verlassen wird und sich die Präven­ tionsfunktion der unternehmerischen Compliance-Maßnahmen vollends zeigen wird.860 Kartellrechtlichen Compliance-Programmen kann bislang aber nicht ihre Funktionalität abgesprochen werden. Des Weiteren kann aus der kriminologischer Perspektive angeführt werden: Die Bildung von Kartellen durch Unternehmen stellt überwiegend normales und rationales aber doch nur kurzfristig lohnenswertes Verhalten dar.861 Da es bei Kartelldelikten keine sichtbaren Opfer gibt, bereitet die Kartellaufdeckung bekanntermaßen jedoch große Schwierigkeiten. Die Strafverfolgungsbehörden setzen mittels der Bonusregelung Anreize für einen Ausstieg aus dem Kartell. Jedoch kann das Institut der Bonusregelung selbst ein Risikofaktor für die Bildung von Kartellen darstellen, da ein „Exit“ aus dem Gefangenendilemma für die Kartellanten möglich ist.862 Daher ist es bezüglich einer längerfristigen Prävention sinnvoll, bei den kooperativen Akteuren und ihren möglichen Sozialisationsleistungen anzusetzen.863 Mit Compliance-Programmen können in Bezug auf das Kartellrecht im gesamten Unternehmen Lerneffekte und damit Verhaltensänderungen einsetzen. Die Bonusregelung trägt dagegen eher nur zu einer Aufhellung des Dunkelfeldes bei. Aufgrund der Tatsache, dass Unternehmen rationalen Argumenten zugänglich sind, kann es durchaus Sinn machen Compliance-Bemühungen im Rahmen der Strafzumessung zu honorieren. Es lassen sich aber auch noch andere Gründe vorfinden, die für eine Berücksichtigung von Compliance-Programmen durch das Bundeskartellamt sprechen. Nunmehr hat der Gesetzgeber im Rahmen der 8. GWB-Novelle 859  Bussmann,

zfwu 2004, 35 (36). Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 16 in Bezug auf Deliktsfeld der Korruption. 861  Bussmann, in: FS Kerner, 49 (54 f. und 56 f.). 862  Bussmann, in: FS Kerner, 49 (58 f.). 863  Bussmann, in: FS Kerner, 49 (59 f.). 860  PwC / Bussmann,



IV. Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen199

klargestellt, dass ein vorhandenes Compliance-System als „unternehmensbezogener Umstand“ bei der Bußgeldbemessung des § 30 OWiG berücksichtigt werden soll.864 Dies muss dann erst recht für die Bußgeldbemessung im Rahmen des § 130 OWiG gelten, da die tatbestandlich geforderte „gehörige Aufsicht“ substanziell auf organisatorische Strukturen und Maßnahmen vom Unternehmensinhaber abstellt. Zudem kann § 130 OWiG als Bezugsordnungswidrigkeit der Verbandsgeldbuße im Sinne des § 30 OWiG fungieren. Damit steht nun die bisherige Haltung des Bundeskartellamts zur Berücksichtigungsfähigkeit von Compliance-Programmen bei der Bußgeldbemessung im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen. So hatte schon 1990 der Kartellsenat des Berliner Kammergerichts organisatorische Vorkehrungen – die wir heute begrifflich auch als ComplianceMaßnahmen bezeichnen können – mildernd bei der Bemessung des Bußgeldes berücksichtigt.865 Der Kartellsenat des OLG Düsseldorf, der zuständig ist, wenn gegen die Entscheidung des Bundeskartellamts Einspruch eingelegt wird, äußerte sich dergestalt, dass Compliance-Programme als mildernde Umstände bei der Bußgeldzumessung berücksichtigt werden können.866 Ein Blick auf die Praxis der Bußgeldzumessung im Deliktsbereich der Korruption zeigt Ähnliches. Die Staatsanwaltschaft München I setzte im Zuge einer Korruptionsaffäre im Dezember 2008 eine Verbandsgeldbuße gemäß §§ 30 IV, 130 OWiG gegen die Siemens AG fest. Dabei wurde die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden sowie der Ausbau eines umfassenden ComplianceProgramms mildernd bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt.867 Eine Übertragung dieser Grundsätze auf kartellrechtliche Sachverhalte scheint daher nicht ausgeschlossen. Viele andere nationale Kartellbehörden haben den präventiven Nutzen von kartellrechtlichen Criminal-Compliance-Programmen erkannt und honorieren diese bei der Strafzumessung als mildernden Umstand. Namhaftestes Beispiel dafür dürften die US-Sentencing Guidelines868 der USA sein.869 Aber nicht nur in den USA, die eine Vorreiterstellung in der Compliance-Bewegung einnehmen, werden kartellrechtliche Präventivbemühungen von Unter864  BT, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG), BT-Drucks. 17 / 11053, 21. 865  KG Berlin, Urteil vom 21.06.1990 – Kart 12 / 89, WuW / E OLG 4572 (4574). 866  Krebs / Eufinger / Jung, CCZ 2011, 213 (214). 867  Vgl. beglaubigte Abschrift des Entwurfs des Bußgeldbescheids gegen die Siemens AG vom Dezember 2008, online abrufbar unter: http: /  / www.siemens.com /  press / pool / de / events / 2008-12-PK / MucStaats.pdf (zuletzt: 09.01.2016). 868  Vgl. U.S. Sentencing Commission, US Sentencing Guidelines, Kapitel 8. 869  Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (747); van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (47).

200

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

nehmen bei der Strafzumessung berücksichtigt. So finden ComplianceStrukturen auch in den Strafzumessungs-Leitlinien der englischen Kartell­ behörde, dem sog. „Office of Fair Trading“870 besondere d. h. mildernde Berücksichtigung.871 Des Weiteren setzen zahlreiche andere nationale Kartellbehörden (z. B. Brasilien, Kanada, Australien) Anreize zur Implementierung von Compliance-Programmen, indem diese bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt werden.872 Zuletzt hat die französische Wettbewerbsbehörde, die sog. „Autorité de la Concurrence“ im Februar 2012 Leitlinien für kartellrechtliche Compliance-Programme erlassen.873 Diese Leitlinie schlägt für den Fall vor, dass durch Compliance-Programme Kartelle aufgedeckt werden, die jeweiligen Unternehmen einen Kronzeugenantrag stellen sollen, um einen vollständigen Erlass der Geldstrafe zu bekommen.874 Aber auch wenn kein solcher Antrag gestellt wurde, können im Rahmen von sog. „Settlements“ (d. h. Vergleichsverfahren) Compliance-Programme zu Reduzierungen in Höhe von 10 % der vorgesehenen Geldstrafen führen.875 Ermäßigungen von Geldstrafen können zudem auch für andere Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht in Betracht kommen. Hierzu muss das betreffende Unternehmen nachweisen, dass durch Compliance-Vorkehrungen zukünftig Verstöße abgestellt werden, noch bevor die französische Kartellbehörde eigene Untersuchungen angestellt.876 Selbst für den Fall, dass sich das Unternehmen verpflichtet effektive Compliance-Programme erst zukünftig d. h. nach dem Verstoß einzuführen, kann die französische Kartellbehörde dies im Rahmen der Strafzumessung – im Einzelfall – berücksichtigen.877 b) Die Bonusregelung des Bundeskartellamts Die Bonusregelung des Bundeskartellamts statuiert die Voraussetzungen, unter denen Geldbußen im kartellrechtlichen Bereich erlassen oder reduziert 870  Vgl. Office of Fair Trading, OFT’s guidance as to the appropriate amount of a penalty. 871  Bosch / Colbus / Harbusch, WuW 2009, 740 (747). 872  Ausführlich dazu van Vormizeele, CCZ 2009, 41 (47). 873  Autorité de la Concurrence, Framework-Document of 10 February 2012 on Antitrust Compliance Programmes, 1 ff. 874  Autorité de la Concurrence, Framework-Document of 10 February 2012 on Antitrust Compliance Programmes, 8 Rn. 27. 875  Autorité de la Concurrence, Framework-Document of 10 February 2012 on Antitrust Compliance Programmes, 9 Rn. 31. 876  Autorité de la Concurrence, Framework-Document of 10 February 2012 on Antitrust Compliance Programmes, 8 Rn. 28. 877  Autorité de la Concurrence, Framework-Document of 10 February 2012 on Antitrust Compliance Programmes, 8 f. Rn. 29.



IV. Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Programmen201

werden können. Kerngedanke der Bonusregelung ist es, den Kartellanten einen rationalen Ausstieg aus dem Kartell zu ermöglichen.878 Gerade in ­ ­Phasen, in denen eine erhöhte Instabilität des Kartells droht oder schon eingetreten ist, kann sich für Unternehmen ein „Gefangenendilemma“879 entwickeln. Unternehmen können ihre getroffenen Absprachen bzw. Verhaltens­ abstimmungen am Markt, sofern wie üblich ein Kartellverbot besteht und keine Ausnahmen (z. B. §§ 2 und 3 GWB) davon vorliegen, nicht gerichtlich durch­setzen, wenn einzelne Unternehmen inhaltlich davon abweichen.880 Die Bonusregelung können daher alle Kartellbeteiligten nutzen, d. h. natürliche Personen, Unternehmen sowie Unternehmensvereinigungen.881 Auf die grundsätzlich verbotenen vertikalen Preisabsprachen zwischen Unternehmen (z. B. zwischen Hersteller und abnehmende Unternehmen), findet die Bonusregelung des Bundeskartellamts keine analoge Anwendung.882 In der Praxis wird von der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Bonusreglung immer häufiger Gebrauch gemacht. Die nachfolgende Grafik zeigt die jährlich gestellten Anträge für die Bonusregelung des Bundeskartellamts in der Fassung der Bekanntmachung vom 07. März 2006. 80

72 66

70 56

60 50

41

40

42

30

51 41

24

20 10 0

7

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Quelle: Modifizierte Abbildung aus Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2013 / 2014, 24.

Abbildung 6: Gesamtanzahl der Bonusanträge im Zeitraum von 2006 bis 2014 878  PwC / Bussmann,

Wirtschaftskriminalität und Unternehmenskultur 2013, 61. in: Vahlens Kompendium, 369 (398 f.). 880  Kerber, in: Vahlens Kompendium, 369 (400). 881  Bundeskartellamt, Bekanntmachung des Bundeskartellamts Nr. 9 / 2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 07.03.2006, 1 Rn. 1. 882  Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011 / 2012, 60. 879  Kerber,

202

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

Die Voraussetzungen der Bonusregelung müssen stets kumulativ vorliegen. Die Anforderungen unterscheiden sich je nachdem, ob das Bundeskartellamt selbst schon in der Lage ist, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken oder nicht. „Das Bundeskartellamt wird einem Kartellbeteiligten die Geldbuße erlassen, wenn 1. er sich als erster Kartellbeteiligter an das Bundeskartellamt wendet, bevor dieses über ausreichende Beweismittel verfügt, um einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken und 2. er das Bundeskartellamt durch mündliche und schriftliche Information und – so weit verfügbar – Beweismittel in die Lage versetzt, einen Durchsuchungs­ beschluss zu erwirken und 3. er nicht alleiniger Anführer des Kartell war oder andere zur Teilnahme an dem Kartell gezwungen hat und 4. er ununterbrochen und uneingeschränkt mit dem Bundeskartellamt zusammen­ arbeitet.“883 „Das Bundeskartellamt wird einem Kartellbeteiligten nach dem Zeitpunkt, zu dem es in der Lage ist, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, die Geldbuße in der Regel erlassen, wenn 1. er sich als erster Kartellbeteiligter an das Bundeskartellamt wendet, bevor dieses über ausreichende Beweismittel verfügt, um die Tat nachzuweisen und 2. er das Bundeskartellamt durch mündliche und schriftliche Informationen und – soweit verfügbar – Beweismittel in die Lage versetzt, die Tat nachzuweisen und 3. er nicht alleiniger Anführer des Kartells war oder andere zur Teilnahme an dem Kartell gezwungen hat und 4. er ununterbrochen und uneingeschränkt mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeitet und 5. keinem Kartellbeteiligten ein Erlass […] gewährt werden wird.“884

Selbst wenn die Voraussetzungen für einen Erlass der Geldbuße nicht vorliegen sollten, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, dass die Geldbuße um bis zu 50 % reduziert wird, wenn der Kartellbeteiligte mit dem Bundeskartellamt kooperiert, um eine Aufklärung zu erreichen.885 883  Bundeskartellamt, Bekanntmachung des den Erlass und die Reduktion von Geldbußen vom 07.03.2006, 1 Rn. 3. 884  Bundeskartellamt, Bekanntmachung des den Erlass und die Reduktion von Geldbußen vom 07.03.2006, 1 Rn. 4. 885  Bundeskartellamt, Bekanntmachung des den Erlass und die Reduktion von Geldbußen vom 07.03.2006, 2 Rn. 5.

Bundeskartellamts Nr. 9 / 2006 über in Kartellsachen – Bonusregelung – Bundeskartellamts Nr. 9 / 2006 über in Kartellsachen – Bonusregelung – Bundeskartellamts Nr. 9 / 2006 über in Kartellsachen – Bonusregelung –



V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen203

c) Fazit Unternehmerische Criminal-Compliance-Programme, welche sich (ernsthaft) zum Ziel gesetzt haben, umfassend Verstöße gegen das Kartellrecht zu verhindern, werden derzeit durch das Bundeskartellamt nicht ausreichend honoriert. Compliance-Programme können derzeitig nur dazu beitragen, dass Unternehmen, Unternehmensvereinigungen bzw. natürliche Personen die Bonusregelung des Bundeskartellamts rechtzeitig in Anspruch nehmen können, bevor dies andere Kartellanten tun. Das Bundeskartellamt könnte durch eine Berücksichtigung von CriminalCompliance-Maßnahmen auf der Rechtsfolgenebene dazu beitragen, dass Unternehmen zunehmend mehr auch im Bereich des Kartellrechts auf eine langfristige Kriminalprävention setzen und damit insgesamt strafrechtsorientierter agieren. Eine Berücksichtigung von kartellrechtlichen ComplianceMaßnahmen ist – wie aufgezeigt – dogmatisch im Rahmen der Bußgeldzumessung des § 30 als auch § 130 OWiG möglich.

V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen und deren Compliance-Strukturen im Bereich der Korruption Den Blick einzig und allein darauf zu richten, was deutsche Strafrechtsnormen hinsichtlich der Compliance-Ausgestaltung fordern, wird der zunehmenden internationalen Ausrichtung vieler Unternehmen und der allgemeinen Globalisierung schlechthin nicht gerecht. Dies wurde auch sehr schön am Beispiel des Siemens-Korruptionsskandals im Jahr 2006 deutlich. Die Siemens AG musste neben der Geldbuße nach deutschem Recht rund 600 Millionen Euro (800 Millionen US-Dollar) an das US-Justizministerium (Department of Justice – „DOJ“) und die amerikanische Börsenaufsicht (United States Securities and Exchange Commission – „SEC“) als Strafe zahlen. Rechnet man die Steuerrückzahlungen, Verfahrenskosten, Kosten für externe Berater und Anwälte mit ein, so musste Siemens mehr als eine Milliarde Euro für diesen Korruptionsskandal bezahlen.886 An dieser beträchtlichen Summe, die Siemens an die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden zahlen musste, wird erkennbar, dass ausländisches Recht einen erheblichen Einfluss auf deutsche Unternehmen und deren Compliance-Ausgestaltung haben kann. Aber auch der immer größer werdende Wettbewerb führt zum sog. Outsourcing von Unternehmensbereichen bzw. zur Gründung von ausländischen Tochtergesellschaften. Die damit einhergehende Internationalisie886  Kretschmer,

in: FS Geppert, 289.

204

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

rung von Unternehmen hat einen immer größeren Einfluss ausländischen Rechts zur Folge, auch für deutsche Unternehmen. Vorliegend sollen nun die wichtigsten ausländischen Rechtsquellen, an denen sich auch deutsche Unternehmen hinsichtlich ihrer Compliance-Ausgestaltung im Deliktsbereich der Korruption orientieren können bzw. müssen knapp dargestellt werden. Angefangen werden soll mit dem jüngeren UK Bribery Act. Danach soll auch der U.S. Foreign Corrupt Practices Act betrachtet werden. 1. Übersicht zu den Anforderungen des UK Bribery Act 2010 und dessen Richtlinie a) Allgemeines zum UK Bribery Act 2010 Neben den deutschen Korruptionsbestimmungen haben verschiedene ausländische Regelungen beispielsweise der sog. UK Bribery Act 2010, ein Antikorruptionsgesetz aus Großbritannien, auch für Deutschland enorme Bedeutung. Die Besonderheit des UK Bribery Act 2010 besteht darin, dass in dessen Geltungsbereich gemäß Section 7 – wie schon erläutert – nicht nur britische Unternehmen fallen, sondern alle, die Geschäfte im United Kingdom betreiben.887 Der UK Bribery Act 2010 erfasst neben aktiver (section 1) und passiver (section 2) Bestechung auch sog. Beschleunigungszahlungen (facilitation payments).888 Eine Differenzierung zwischen der Bestechung von Amtsträgern und Angestellten der Privatwirtschaft wird nicht vorgenommen, beide Formen sind strafbar.889 Die Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im Geschäftsverkehr erfordert – im Gegensatz zu § 299 Abs. 1 StGB – keine Wettbewerbssituation.890 Normiert sind daneben noch die Bestechungen von ausländischen Amtsträgern (section 6). Neben der Bestrafung einer natürlichen Person eröffnet der UK Bribery Act 2010 auch die Möglichkeit, gegen Unternehmen als solche vorzugehen, wenn Bestechungshandlungen nicht wirksam entgegnet wurde (section 7).891 Gleichwohl besteht für die Unternehmen die Möglichkeit, sich zu exkulpieren, wenn der Nachweis gelingt, ein hinreichendes Compliance-Programm implementiert zu haben.892 887  Walther / Zimmer,

RIW 2011, 199 (202) und Gliederungspunkt: B. I. 1. b) bb). CCZ 2011, 12 (13). 889  Klengel / Dymek, HRRS 2011, 22 (23); Walther / Zimmer, RIW 2011, 199 (200); Scheint, NJW-Spezial 2011, 440; Deister, CCZ 2011, 12 (13). 890  Klengel / Dymek, HRRS 2011, 22 (23). 891  Walther / Zimmer, RIW 2011, 199 (202). 888  Deister,



V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen205

b) Die Anforderungen des UK Bribery Act 2010 und dessen Richtlinie im Einzelnen § 7 des UK Bribery Act sieht die Sanktionierung von Unternehmen vor, wenn es unterlassen wird, geeignete Präventivmaßnahmen zu ergreifen, um Korruptionstaten zu verhindern. Die Unternehmen trifft eine strafrechtliche Verantwortung für den Fall, dass eine mit ihr verbundene Person (associated person893) eine andere Person besticht, um einen Vorteil für das Unternehmen zu erlangen.894 Für Unternehmen besteht grundsätzlich die Möglichkeit sich zu exkulpieren, wenn nachgewiesen wird, dass adäquate Maßnahmen ergriffen wurden, um derartige Handlungen zu verhindern.895 Das Gesetz selbst spricht nur von „adequate procedures“896, definiert sie aber nicht weiter. Das britische Justizministerium hat am 30. März 2011 eine Richtlinie (guidance) veröffentlicht897, die diese „adequate procedures“ für Unternehmen konkretisieren soll. Diese enthält sechs Prinzipien, an denen sich Unternehmen hinsichtlich ihrer Compliance-Programme orientieren können.898 Es wird explizit darauf hingewiesen, dass diese sechs Prinzipien zum einen keinen verordnenden Charakter haben und zum anderen auf die jeweiligen Umstände des Unternehmens angepasst werden müssen.899 Ebenso wird explizit hervorgehoben, dass eine Zertifizierung durch externe Dritte keine Garantie dafür bietet, dass Unternehmen sich nach § 7 (2) des UK Bribery Act 2010 exkulpieren.900 Im Nachgang werden diese sechs Prinzipien, die Unternehmen kumulativ für eine Exkulpation erfüllen müssen, dargestellt. aa) „Proportionate procedures“ Erforderlich sollen klare und transparente Richtlinien im gesamten Unternehmen sein, damit sich eine Anti-Korruptionskultur entwickeln kann.901 Alle zu ergreifenden Maßnahmen sollten verhältnismäßig sein, d. h. sich inhaltlich an den tatsächlichen Gegebenheiten des Unternehmens orientieren und das bestehende Korruptionsrisiko beachten.902 892  Walther / Zimmer,

RIW 2011, 199; Deister, CCZ 2011, 12 (15). section 8 UK Bribery Act 2010. 894  Vgl. section 7 (1) UK Bribery Act 2010. 895  Vgl. section 7 (2) UK Bribery Act 2010. 896  Vgl. section 7 (2) UK Bribery Act 2010. 897  Guidance UK Bribery Act. 898  Guidance UK Bribery Act, 20 ff. 899  Guidance UK Bribery Act, 20. 900  Guidance UK Bribery Act, 31. 901  Guidance UK Bribery Act, 21 f. 902  Guidance UK Bribery Act, 21 f.; Daniel / Rubner, NJW-Spezial, 2011, 335 (336). 893  Vgl.

206

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

bb) „Top-Level Commitment“ Wesentliche Anti-Korruptionsmaßnahmen sollen von der oberen Führungsebene selbst ausgeführt werden und nicht nach unten delegiert werden.903 Der obersten Führungsebene ist es am ehesten möglich eine Anti-Korrup­ tionskultur zu entwickeln.904 Erforderlich ist eine interne und externe Kommunikation der „Zero-Tolerance“ bezüglich Korruption. Angestellten und Geschäftspartnern sollen klar kommuniziert werden, dass jedwede Form von Korruption nicht geduldet wird und welche Sanktionen drohen, wenn gegen die Richtlinie verstoßen wird.905 Hierzu gehören auch die Auswahl und das Training von Senior-Managern, damit sie die Anti-Korruptionsmaßnahmen kommunizieren und den Angestellten geeignete Maßnahmen aufzeigen können.906 Bei schwierigen und kritischen Entscheidungen sollte die Führungsebene einbezogen werden. Zudem sollte mit Angestellten, Geschäftspartnern, anderen Organisationen und den Medien in Dialog getreten werden, damit die Richtlinien klar kommuniziert werden können.907 cc) „Risk Assessment“ Unternehmen müssen regelmäßig eine Risikoanalyse vornehmen. Es sind interne als auch externe Risiken zu untersuchen. Dabei sind die Größe, die Struktur und die Orte, an denen Unternehmen wirtschaftlich tätig sind, zu berücksichtigen.908 Die (Ober)-Aufsicht über die Risikoeinschätzung sollte das Top-Level-Management haben.909 Die Risikoeinschätzung sollte klar dokumentiert werden einschließlich der daraus gezogenen Schlussfolge­ rungen für das Unternehmen.910 Bei den externen Risiken muss zwischen den „Country risk“, „Sectoral risk“, „Transaction risk“, „Business opportunity risk“ und den „Business partnership risk“ unterschieden werden.911 Als interne Risiken werden insbesondere angesehen: Mängel bei Trainingsmaßnahmen, Fähigkeiten oder Wissen der Mitarbeiter, eine Bonus-Kultur, die riskante Geschäftsabschlüsse belohnt, unzureichende Kontrollen bzw. Richt­

903  Daniel / Rubner, 904  Guidance 905  Guidance 906  Guidance 907  Guidance 908  Guidance 909  Guidance 910  Guidance 911  Guidance

UK UK UK UK UK UK UK UK

NJW-Spezial, 2011, 335 (336). Bribery Act, 23. Bribery Act, 24. Bribery Act, 24. Bribery Act, 24. Bribery Act, 25. Bribery Act, 25. Bribery Act, 25. Bribery Act, 26.



V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen207

linien oder ein fehlendes klares Anti-Korruptions-Bekenntnis des Top-LevelManagements.912 dd) „Due Diligence“ Unternehmen müssen eine sorgfältige Auswahl der Geschäftspartner als auch der für das Unternehmen tätigen Personen treffen.913 Die Unternehmen müssen wissen, wer ihre genauen Geschäftspartner sind, damit bestehende Bestechungsrisiken genau abgeschätzt werden können. Bezüglich Geschäftspartner sollten Informationen und Auskünfte eingeholt werden.914 Der Umfang der Prüfung hängt von dem jeweiligen Bestechungsrisiko im Einzelfall ab. Es müssen daher auch immer die Umstände, unter denen Geschäftsbeziehungen entstehen, berücksichtigt werden (z. B. wenn das lokale Recht die Einschaltung von Agenten vorschreibt).915 ee) „Communication“ Erforderlich ist, dass die Richtlinien und die zu ergreifenden Präventionsmaßnahmen klar und verständlich sowohl im gesamten Unternehmen als auch bei den Geschäftspartnern kommuniziert werden.916 Kommuniziert werden sollten nicht nur die Richtlinien selbst, sondern auch die durchzuführenden Kontrollen, Strafandrohungen bei Verstößen und andere Maßnahmen.917 Die Richtlinien sollten durch die Angestellten verstanden werden können, damit ein ernsthaftes Anti-Korruptionsbewusstsein geschaffen wird. Mitarbeiter sollten sich regelmäßig einer Schulung unterziehen. Die Schulungen sollten die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder im Unternehmen berücksichtigen. Eine Evaluierung ist zudem angezeigt. Erforderlich ist weiter, dass vertrauliche (sichere) Informationskanäle im Unternehmen eingerichtet werden, die Angestellte sowie Externe bei Verdachtsmomenten oder Anfragen nutzen können.918

912  Guidance 913  Guidance 914  Guidance 915  Guidance 916  Guidance 917  Guidance 918  Guidance

UK UK UK UK UK UK UK

Bribery Act, Bribery Act, Bribery Act, Bribery Act, Bribery Act, Bribery Act, Bribery Act,

26. 27. 28. 27 f. 29. 29. 29 f.

208

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

ff) „Monitoring und Review“ Dieses Prinzip besagt, dass eine dauerhafte Überwachung der bisher getroffenen Präventionsmaßnahmen angezeigt ist. Unternehmen müssen daher Maßnahmen zur Überwachung bzw. Review treffen, damit auf Probleme bzw. gesetzliche Änderungen reagiert werden kann.919 Unternehmen haben die Möglichkeit einer internen oder externen Review.920 Zu diesem Prinzip des Monitorings und Reviews gehören ebenfalls Berichterstattungen durch leitende Angestellte im Unternehmen.921 2. Übersicht zu den Anforderungen des U.S. Foreign Corrupt Practices Act und dessen Richtlinie a) Allgemeines zum Foreign Corrupt Practices Act Der Foreign Corrupt Practices Act ist ein amerikanisches Anti-KorruptionsGesetz, dass bereits im Jahr 1977 erlassen wurde. Das Hauptaugenmerk dieses Gesetzes besteht darin, die Bestechung von ausländischen Amtsträgern im internationalen Geschäftsverkehr zu unterbinden.922 Der FCPA regelt mit Zusammenhang mit einer möglichen Bestechung ausländischer Amtsträger (15 USC §§ 78dd-1, 78dd-2, 78dd-3 FCPA) die zu treffenden Vorkehrungen wie fehlerfreie Buchführung, Dokumentation sowie interne Kontrollen (15 USC 78m. (a) FCPA). Im November 2012 haben das US-Justizministerium (Departement of Justice – „DOJ“) und die amerikanische Börsenaufsicht (United States Securities and Exchange Commission – „SEC“) einen „Guide“ zum Foreign Corrupt Practices Act veröffentlicht, an dem sich Unternehmen hinsichtlich ihrer Compliance-Programme orientieren können.923 Gleichzeitig wird aber klargestellt, dass der „Guide“ nicht bindend ist und keine Gesetzesqualität hat („It is non-binding, informal, and summary in nature, and the information contained herein does not constitute rules or regulations.“).924 Gleichwohl gibt der Guide die Rechtsauffassungen der beiden oben genannten Institutionen wieder („DOJ“ und „SEC“).

919  Guidance

UK Bribery Act, 31. UK Bribery Act, 31. 921  Guidance UK Bribery Act, 31. 922  Haag, ReWir 2012, 1 (1). 923  Guidance FCPA, Einleitung. 924  Guidance FCPA, Einleitung. 920  Guidance



V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen209

b) Die Anforderungen des U.S. Foreign Corrupt Practices Act und dessen Richtlinie im Einzelnen Im „Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act“ werden die Anforderungen bezüglich der Compliance-Programme konkretisiert. Zum einen wird klargestellt, dass die DOJ und die SEC kein festes Schema der Anforderungen an Compliance-Programme aufstellen („DOJ and SEC have no formulaic requirements regarding compliance programs“) sondern im Guide nur einige Basiselemente genannt werden.925 Es lassen sich die Kennzeichen effektiver Compliance-Programme auf zehn Punkte zusammenfassen: aa) „Top-Level-Commitment und Richtlinie gegen Korruption“ Es soll ein Bekenntnis der Unternehmensführung gegen Korruption und zu entsprechenden Compliance-Maßnahmen diesbezüglich vorliegen. Damit einhergehen soll, dass eine Richtlinie gegen Korruption verabschiedet wird. Durch diese soll sich im ganzen Unternehmen eine Antikorruptions-Kultur entwickeln, die die Umsetzung der Compliance-Programme unterstützt. Diese Maßnahmen müssen von der Unternehmensführung ausgehen, denn nur diese hat die Möglichkeit im ganzen Unternehmen klar und deutlich darauf aufmerksam zu machen.926 bb) „Code of Conduct und Compliance-Prozesse“ Die Einführung eines Code of Conducts (Verhaltenskodex) soll den Angestellten erlaubte Verhaltensweisen aufzeigen. Der Code of Conduct sollte zudem in verschiedene Sprachen übersetzt werden, gerade für die Angestellten in ausländischen Tochtergesellschaften.927 Des Weiteren sollte dieser regelmäßig überprüft und aktualisiert werden.928 Zudem sollten die unternehmerischen Compliance-Prozesse und Unternehmensrichtlinien die Compliance-Verantwortlichen benennen, eine Buchführung, interne Kontrollen sowie eine Dokumentation der Prozesse durchführen. Alle vorgenannten Maßnahmen haben sich an der Größe des Unternehmens sowie dem Tätigkeitsfeld und dessen Risiken zu orientieren.929 925  Guidance

FCPA, FCPA, 927  Guidance FCPA, 928  Guidance FCPA, 929  Guidance FCPA, 926  Guidance

56. 57. 57. 58. 58.

210

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

cc) „Compliance-Officer mit ausreichender Autonomie sowie Ausstattung“ Das Compliance-Programm selbst sollte auch Compliance-Verantwortliche (Officer) benennen. Diese sind mit genügend Autonomie sowie Sach- und Personalmitteln auszustatten.930 dd) „Risk Assessment“ Eine dauerhafte Risikoanalyse darf in einem Compliance-Programm nicht fehlen. Unterschiedliche Tätigkeitsfelder bieten auch unterschiedliche Korruptionsrisiken.931 ee) „Training (Schulungen) und Beratungen im Unternehmen“ Ein unerlässliches Compliance-Instrument sind regelmäßige Schulungen und Beratungen der einzelnen Angestellten im Unternehmen. Darüber hinaus sollten alle wichtigen Angestellten, Officers und Directors, welche Geschäftspartner akquirieren oder mit ihnen regelmäßig Kontakt haben, auch zertifiziert werden.932 ff) „System, das regelkonformes Verhalten belohnt und regelwidriges sanktioniert“ Im Unternehmen sollten Maßnahmen klar kommuniziert werden, auch die Konsequenzen, die bei regelwidrigen Verhalten drohen. Damit soll klar ausgedrückt werden, dass unethisches bzw. kriminelles Verhalten nicht geduldet wird. Regelkonformes Verhalten kann dagegen belohnt werden.933 gg) „Monitoring bzw. Due Diligence“ Ein dauerhaftes Monitoring in einem Unternehmen ist unerlässlich. So sollten Geschäftspartner und erfolgte Zahlungen dauerhaft überwacht werden, damit bei Verdachtsmomenten gleich eingeschritten werden kann. Geschäftspartner müssen anhand der Risiken sorgfältig ausgewählt werden.934 930  Guidance

FCPA, FCPA, 932  Guidance FCPA, 933  Guidance FCPA, 934  Guidance FCPA, 931  Guidance

58. 58 f. 59. 59 f. 60.



V. Der Einfluss ausländischen Strafrechts auf deutsche Unternehmen211

hh) „Berichte und Internal Investigation“ Im Unternehmen sollte eine Möglichkeit vorgesehen werden, dass Angestellte Missbrauch bzw. Verdachtsmomente melden können. Vorstellbar sind anonyme Hotlines bzw. Ombudsstellen. Die Unternehmen sollten dann den Vorwürfen bzw. Verdachtsmomenten nachgehen.935 ii) „Dauerhafte Evaluation und ggf. Anpassungen“ Erforderlich ist eine dauerhafte Evaluation der gesamten ComplianceMaßnahmen. Die Ergebnisse der Evaluation sollten dann zu Anpassungen der bisherigen Maßnahmen führen.936 jj) „Pre-Acquisition Due Diligence and Post-Acquisition Integration“ Eine sorgfältige Auswahl und Überprüfung (sog. Due Diligence) soll stattfinden, bevor Übernahmen vollzogen werden. Ebenfalls soll nach einer rechtlichen Zusammenfassung (Fusion) zweier Unternehmen eine Compliance Überprüfung bzw. Anpassung erfolgen.937 3. Fazit und Vergleich zu den Aufsichtspflichten im Sinne des § 130 OWiG Zwischen den Aufsichtsmaßnahmen des § 130 OWiG und den Compliance-Maßnahmen, die die Richtlinien zum FCPA bzw. UK Bribery Act für eine Exkulpation fordern, bestehen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Die erste Übereinstimmung besteht in der Zielsetzung, d. h. der angestrebten Verhinderung betrieblicher Straftaten im weiteren Sinne. Dazu sehen sowohl die deutschen Aufsichtssichtpflichten als auch die oben genannten ausländischen Richtlinien eine Risikoanalyse, Schulungen bzw. Einweisungen, Überwachungen und Sanktionierungen im Falle von regelwidrigem Verhalten vor. Unterschiede bestehen eher hinsichtlich der „neueren“ Compliance-Instrumente wie (ethischen) Richtlinien, Verhaltenskodizes oder dem Top-Level-Commitment. Solche Maßnahmen sehen nur die Richtlinien zum FCPA bzw. UK Bribery Act für eine Exkulpation vor. Diese Maßnahmen zielen eher auf eine unterstützende Unternehmenskultur und damit auf eine Sozialisation im Unternehmen ab, die die präventiven Wir935  Guidance

FCPA, 61. FCPA, 61. 937  Guidance FCPA, 62. 936  Guidance

212

D. Die Bedeutung von Criminal-Compliance

kungen rein „juristischer Maßnahmen“ wie z. B. Schulungen und Sanktionierungen vergrößern sollen.

VI. Zusammenfassung und gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten de lege ferenda Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für Criminal-Compliance-Maßnahmen im geltenden Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht. Dies gilt sowohl für Vorsatz- als auch Fahrlässigkeitsdelikte. Auswirkungen von Criminal-Compliance-Maßnahmen können sowohl die Ebene des Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit als auch die der Schuld betreffen. Des Weiteren finden sich auch zahlreiche Ansatzpunkte für eine Berücksichtigung auf der Rechtsfolgenseite. Insgesamt kann man Criminal-Compliance-Maßnahmen einen ambivalenten Charakter für die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung bescheinigen. Zum einen können Criminal-Compliance-Maßnahmen in vielen Bereichen eine Ahndung vermeiden bzw. diese zumindest begrenzen. Dies betrifft aber nicht nur die Konstellationen, bei denen es um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung (z. B. § 130 OWiG) oder des Unternehmensträgers (z. B. § 30 OWiG) geht. Wie die Ausführungen zu § 299 Abs. 1 StGB und § 17 Abs. 1 UWG gezeigt haben, können Compliance-Maßnahmen auch Strafbarkeiten nachgeordneter Mitarbeiter ausschließen. Ebenso kann eine Sanktionierung aus § 39 Abs. 2 Nr. 17c WpHG alte Fassung verhindert werden. Zum anderen können getroffene Compliance-Maßnahmen in einigen Bereichen z. B. im Rahmen des § 266 Abs. 1 StGB oder § 299 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 2 StGB zu einer Verantwortungsschärfung beitragen. Es zeigen sich geradezu exemplarisch zwei Seiten einer Medaille, einerseits Ahndungsvermeidung und andererseits Verantwortungsschärfung. Nichtsdestotrotz kann sich die Hoffnung bzw. Erwartungshaltung vieler Unternehmen, dass sich Criminal-Compliance-Maßnahmen auch langfristig wirtschaftlich lohnen müssen, so mit richtig verstandener Compliance erfüllen. Nachfolgend sollen noch gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, wie Criminal-Compliance-Maßnahmen de lege ferenda angemessen im deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht berücksichtigt werden können: 1. Eine Möglichkeit der Berücksichtigung von Criminal-Compliance-Maßnahmen ist die Einführung eines „echten“ Verbandsstrafrechts, das an ein Organisationsdefizit anknüpft.938 Dieses bietet per se genügend Anreiz, 938  Vgl.

Gliederungspunkt: B. I. 1. c).



VI. Zusammenfassung213

dass Unternehmensleitungen auf Criminal-Compliance-Maßnahmen setzen. Allenfalls im Rahmen einer Strafzumessungsnorm sollte der Gesetzgeber ausdrücklich klarstellen, dass ergriffene Compliance-Maßnahmen nach Tatbegehung, als positives Nachtatverhalten berücksichtigt werden können. 2. Sollte sich der Gesetzgeber gegen ein Verbandsstrafrecht und damit auch weiterhin für das geltende Rechtsinstitut der Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG entscheiden, sollten mehrere Änderungen vorgenommen werden. Zum einen sollten in § 47 Abs. 1 OWiG Ermessensreduzierungen diskutiert werden, zumindest für Fälle schwerer (Wirtschafts-)Kriminalität. Die Strafzwecke der negativen als auch positiven Generalprävention sind so besser zu erreichen. 3. Zum anderen sollte ein ausdrücklicher Verweis von § 30 Abs. 3 OWiG auf § 17 Abs. 3 OWiG erfolgen. Damit könnte klargestellt werden, dass die dortigen Zumessungsparameter sinngemäß bei der Verbandsgeldbuße Anwendung finden. Des Weiteren sollten Compliance-Maßnahmen als Zumessungsparameter im Sinne des § 17 Abs. 3 OWiG aufgenommen werden. Wünschenswert wäre auch eine Erwähnung, dass nach Tatbegehung ergriffene Compliance-Maßnahmen als positives Nachtatverhalten berücksichtigt werden können. Dies würde zugleich die Möglichkeit eröffnen, dass auch im Rahmen des Tatbestands der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG Compliance-Maßnahmen als positives Nachtatverhalten berücksichtigt werden können. Insgesamt könnte mit den vorgenannten Änderungen eine gleichmäßigere und schuldangemessenere Bestrafung sowohl natürlicher als juristischer Personen sichergestellt werden und damit der europarechtlichen Verpflichtung aus Art. 49 Abs. 3 GRC genügend Rechnung getragen werden.

E. Ergebnisse der Arbeit Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Einführung eines Verbandsstrafrechts ist entgegen vieler Behauptungen auch in Deutschland möglich. Weniger die Aspekte der (angeblich fehlenden) Handlungs- und Schuldfähigkeit von juristischen Personen und Personenvereinigungen spielen bei der Einführbarkeit einer solchen Sanktion die entscheidende Rolle, sondern einzig die Mitbetroffenheit von unschuldigen Dritten. Diese Friktion lässt sich jedoch dadurch ausräumen, dass Anteilseignern und Arbeitnehmern jeweils Vermeidemacht hinsichtlich der Rechtsgutverletzung als auch der darauffolgenden Strafe eingeräumt wird. In dem vorzugswürdigen Modell, das tatbestandlich an eine Desorganisation im Unternehmen anknüpft, muss den betreffenden Personenkreisen gesellschaftsrechtlich ein Informationsrecht bezüglich getroffener Organisationsmaßnahmen im Unternehmen und auch ein Recht auf Verpflichtung der Unternehmensleitung zur Ergreifung solcher Maßnahmen eingeräumt werden. Ein solches Modell hätte darüber hinaus den Vorteil, dass es Criminal-Compliance-Maßnahmen schon tatbestandlich berücksichtigt. 2. Der geltenden Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG liegt konzeptionell ein identifikationsrechtliches Modell zugrunde. Darüber hinaus ist § 30 OWiG auch eine Beteiligungsnorm, die im Einzelfall eine Täterschaft des Verbandes statuiert. 3. Die Bestimmung der Betriebsbezogenheit von Pflichten hat eine wichtige dogmatische Bedeutung für die Sanktionierung von Verbänden im Sinne des § 30 OWiG und der von natürlichen Aufsichtspersonen nach § 130 OWiG. Auch im Rahmen der sog. Geschäftsherrenhaftung müssen nur betriebsbezogene Straftaten der Mitarbeiter verhindert werden. 4. Eine Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit ist dann betriebsbezogen, wenn sie in Erfüllung betrieblicher Aufgaben erfolgt und nicht nur bei Gelegenheit der Ausführung. Ausgeklammert werden müssen diejenigen Fallkonstellationen, die sich zwar normativ-wertend als in Erfüllung einer betrieblichen Aufgabe darstellen, sich aber letztlich gegen Rechtsgüter oder zumindest auch Interessen des Geschäftsherrn bzw. Unternehmensinhabers richten.



E. Ergebnisse der Arbeit215

5. Mit der Herauskristallisierung der Begrifflichkeit „Criminal-Compliance“ ist eine Konzentrierung der allgemeinen Compliance Thematik einhergegangen. Das Kernanliegen von Criminal-Compliance lässt sich inhaltlich als Einhaltung aller straf- und nebenstrafrechtlichen Gesetze beschreiben. 6. Eine dezidierte Pflicht zur Ergreifung von Compliance-Maßnahmen besteht bislang dato nicht. Eine solche Verpflichtung kann sich für einige Unternehmensinhaber jedoch aufgrund besonderer betrieblicher Umstände (z. B. vermehrte Verstöße in der Vergangenheit bzw. neue riskante Betätigungsfelder oder Produkte) ergeben. 7. Nicht aus der Debatte ausgeklammert und daher mit in den Blick genommen werden muss der Umstand, dass ergriffene Compliance-Maßnahmen potenziell auch erst eine Ahndung von Unternehmensmitarbeitern ermöglichen (§§ 266 Abs. 1, 299 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB) können. Ferner können sie im Rahmen des § 130 Abs. 1 OWiG, wo als Vergleichsmaßstab für die erforderlichen Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen eines Unternehmens auf dessen Verkehrskreis d. h. den Geschäfts- bzw. Branchenstandard abgestellt wird, zu einer Strafbarkeit und damit Ahndung verhelfen. 8. Criminal-Compliance-Maßnahmen können de lege lata strafausschließende bzw. strafmildernde Auswirkungen zeitigen. Sie können dazu beitragen, dass Sanktionierungen des Verbandes gemäß § 30 OWiG bzw. natürlicher Personen nach § 130 OWiG unterbleiben. Auch nach einer deliktischen Zuwiderhandlung können solche Maßnahmen im Einzelfall als positives Nachtatverhalten durch die Strafverfolgungsbehörden im geltenden Recht eine Berücksichtigung finden. Des Weiteren können CriminalCompliance-Maßnahmen aber auch für untere Unternehmensebenen ahndungsbegrenzende Auswirkungen (§ 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie § 17 Abs. 1 UWG bzw. Fahrlässigkeitstaten) entfalten.

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Literaturverzeichnis239 Winkelbauer, Wolfgang, Ketzerische Gedanken zum Tatbestand der Angestellten­ bestechlichkeit (§ 299 Abs. 1 StGB), in: Heinrich, Bernd / Hilgendorf, Eric / Mitsch, Wolfgang / Sternberg-Lieben, Detlev (Hrsg.), Festschrift Ulrich Weber zum 70. Geburtstag: 18. September 2004, 2004, 385. Wirtz, Marcus M., Die Aufsichtspflichten des Vorstandes nach OWiG und KontraG, WuW 2001, 342. Withus, Karl-Heinz / Hein, Oliver, Prüfung oder Zertifizierung eines Compliance Management Systems, CCZ 2011, 125. Wittig, Petra, Wirtschaftsstrafrecht mit Fällen und Aufbauschemata, 2. Auflage, München 2011, zitiert als: Wittig, WirtschaftsstrafR, 2. Aufl. – Wirtschaftsstrafrecht mit Fällen und Aufbauschemata, 3. Auflage, München 2014, zitiert als: Wittig, WirtschaftsstrafR, 3. Aufl. Wollschläger, Sebastian, Der Täterkreis des § 299 Abs. 1 StGB und Umsatzprämien im Stufenwettbewerb, Heidelberg 2009, zitiert als: Wollschläger, Täterkreis. Zieschang, Frank, Das Verbandsstrafgesetzbuch, GA 2014, 91.

Stichwortverzeichnis Aufsichtspflichtverletzung  82 ff. − Anforderungen der Rechtsprechung  144 ff. − Auswahlpflichten  147 f. − Einweisungspflichten  148 − Konzernsachverhalte  85 ff. − Organisationspflichten  156 ff. − Reformüberlegungen  94 ff. − Sanktionspflichten  151 ff. − Sanktionspraxis  94 − Struktur  83 ff. − Tatbestandsvoraussetzungen  89 ff. − Täter  89 − Überwachungspflichten  151 ff. − Verbreitung von Aufsichts- bzw. Compliance-Maßnahmen  158 ff. Bedeutung von Criminal-Compliance für die strafrechtliche und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung  120 ff. − Aufsichtspflichtverletzung  144 ff., 186 ff. − Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr  127 ff. − Fahrlässigkeitstaten  169 ff. − Kartellbußgeldverfahren  193 ff. − Rechtsfolgenebene  177 ff. − Schuld  174 ff. − Tatbestandsebene  123 ff. − Unterlassungsdelikte  137 ff. − Untreue  124 ff. − Verbandsgeldbuße  171 ff., 177 ff. − Verrat von Betriebs- und Geschäfts­ geheimnissen  135 ff. − Vorwerfbarkeit  174 ff. Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr  127 ff.

Betriebsbezogene Pflichten  74 ff. − Interessentheorie  77 f. − Rechtsprechung  79 ff. − Theorie der Erfüllung betrieblicher Aufgaben  75 ff. − Theorie der rechtlichen oder tatsäch­ lichen Handlungsmöglichkeit  78 f. Bonusregelung  200 ff. Bundeskartellamt  193 ff. Compliance  97 ff. Criminal-Compliance  101 ff. − Bedeutung für die strafrechtliche- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung  120 ff. − Funktion  117 ff. − Pflicht zur Einrichtung einer Criminal-Compliance Organisation  106 ff. − Verbreitung  111 ff. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen  82 Haftung  120 ff. Handlung  18 ff. Handlungsfähigkeit  18 ff. Identifikationsmodell  26 ff. Monitoring  208, 210 Objektive Bedingung der Ahndung  92 Organisationsdefizit  22 ff. Organisationsverschulden  29 ff. Risk Assessment  206 f., 210 Schuldfähigkeit  24 ff.

Stichwortverzeichnis241 Strafbarkeit juristischer Personen und rechtsfähiger Personengesellschaften  16 ff. Top-Level-Commitment  206, 209 UK Bribery Act 2010  204 ff. − Anforderungen  205 ff. Unternehmenssanktion  15 ff. U.S. Foreign Corrupt Practices Act  208 ff. − Anforderungen  209 ff.

Verbandsgeldbuße  59 ff. − Konzeptionelle Struktur  59 − Rechtsfolgen  81 f. − Voraussetzungen  69 ff. − Zweck  60 Verbandsstrafe  15 ff. Verrat von Betriebs- und Geschäfts­ geheimnissen  135 ff. Zertifizierungen  174 ff., 190 ff.