Die Quadragesima-Homilien Leos des Großen: Eine hermeneutische und liturgiehistorische Untersuchung der Traktate 39-42 9783631818206, 9783631825297, 9783631825303, 9783631825310, 3631818203

Die Predigten Leos des Großen gehören nicht nur zu den schönsten der lateinischen Tradition, sondern stellen auch eine S

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Die Quadragesima-Homilien Leos des Großen: Eine hermeneutische und liturgiehistorische Untersuchung der Traktate 39-42
 9783631818206, 9783631825297, 9783631825303, 9783631825310, 3631818203

Table of contents :
Cover
Series Information
Copyright Information
Dedication
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I Einleitung
1 Ziel und Begrenzung der Arbeit
2 Arbeitsschritte und Aufbau
3 Forschungsstand
3.1 Forschungsstand zur Sprache Leos
3.2 Forschungsstand zum zentralen Kerygma Leos
3.2.1 Vom Kerygma zur Hermeneutik
3.2.2 Von der Hermeneutik zur Soteriologie
3.2.3 Von der Soteriologie zur christlichen Transformation Roms
3.3 Forschungsstand zum liturgiehistorischen Rahmen der Quadragesima-Predigten
3.3.1 Die Quadragesima in Rom zur Zeit Leos des Großen
3.3.2 Der liturgische Rahmen der konkreten Quadragesima-Predigten
II Die Methode der Predigt
1 Die Predigt als mündlicher Vortrag
2 Die Form der Predigt
3 Die Rolle der Rhetorik
4 Der Predigtstil Leos des Großen
4.1 Das christliche Latein
4.2 Überblick über die Entwicklung des Prosarhythmus
4.3 Leos Sprache
4.4 Die von Leo häufig verwendeten Stilfiguren
4.5 Das Verhältnis von Stil und Gehalt
4.5.1 Die Übereinstimmung von Syntax, Rhythmus, Wortwahl, Stilfiguren und Inhalt
4.5.2 Leos Sprache als Medium einer ästhetischen Theologie
4.6 Schlussfolgerungen
5 Der liturgische Kontext der Predigt
5.1 Die Bedeutung des liturgischen Rahmens für die Hermeneutik der Predigten
5.2 Die Verwendung der Bibel in der Liturgie
5.2.1 Die Verwendung der biblischen Bücher
5.2.2 Die Bedeutung der liturgischen Lesungen und deren Aktualisierung
6 Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen
6.1 Die Abgrenzung von Nestorius
6.2 Die Abgrenzung von Eutyches
6.3 Leos Christologie
6.4 Leos Soteriologie
6.5 Leos theologische Deutung von Geschichte
III Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen
1 Analyse von tract. 39
1.1 Historische Angaben
1.2 Literarische Form
1.2.1 Narratio: 1,1-13
1.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio
1.2.3 : 5,139-6,214β
1.2.4 Gliederung
1.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts
1.3.1 Rhetorische Analyse der einleitenden Narratio: 1,1-13
1.3.2 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,69-78
1.3.3 Analyse der Figuren in tract. 39
1.4 Leos Bibelverwendung
1.4.1 Der Befund der biblischen Bezugnahmen
1.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes
1.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt
1.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung
1.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten
1.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt
1.6 Theologische Grundgedanken
2 Analyse von tract. 40
2.1 Historische Angaben
2.2 Literarische Form
2.2.1 Exordium: 1,1-8
2.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio, Confutatio
2.2.3 Peroratio: 4,89-5,158β
2.2.4 Gliederung
2.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts
2.3.1 Rhetorische Analyse des Transitus: 2,23-31
2.3.2 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,47-88α
2.3.3 Analyse der Figuren in tract. 40
2.4 Leos Bibelverwendung
2.4.1 Der Befund der biblischen Bezugnahmen
2.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes
2.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt
2.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung
2.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten
2.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt
2.6 Theologische Grundgedanken
3 Analyse von tract. 41
3.1 Historische Angaben
3.2 Literarische Form
3.2.1 Exordium: 1,1-9
3.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio
3.2.3 Peroratio: 3,69-99
3.2.4 Gliederung
3.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts
3.3.1 Rhetorische Analyse der Confirmatio: 1,10-20
3.3.2 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 2,45-58
3.3.3 Analyse der Figuren in tract. 41
3.4 Leos Bibelverwendung
3.4.1 Der Befund der biblischen Bezugnahmen
3.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes
3.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt
3.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung
3.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten
3.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt
3.6 Theologische Grundgedanken
4 Analyse von tract. 42
4.1 Historische Angaben
4.2 Literarische Form
4.2.1 Exordium: 1,1-12
4.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio, Confutatio
4.2.3 Peroratio: 6,220-261α
4.2.4 Gliederung
4.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts
4.3.1 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,106-126α
4.3.2 Rhetorische Analyse der Peroratio: 6,226α-254α
4.3.3 Analyse der Figuren in tract. 42
4.4 Leos Bibelverwendung
4.4.1 Der Befund der wörtlichen Bezugnahmen auf die Bibel
4.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes
4.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt
4.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung
4.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten
4.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt
4.6 Theologische Grundgedanken
5 Schlussfolgerungen
5.1 Die Übereinstimmung von Stil und Gehalt
5.2 Liturgiehistorische Erkenntnisse
5.2.1 Datierung und liturgische Lesungen in den Predigen 39, 40, 41 und 42
5.2.2 Datierung und liturgische Lesungen in Leos übrigen acht Quadragesima-Predigten
5.2.3 Leos Adressaten
IV Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-11
1 Grundlinien der Auslegung der Versuchungsperikope in der Alten Kirche
2 Leos Auslegung der Versuchungsperikope
2.1 Paraphrase der Auslegung in den vier Predigten Leos (tract. 39-42)
2.2 Die in den drei Versuchungen enthaltenen dogmatischen Konzepte
2.3 Die Verwendung der Bibel in der Auslegung von Mt 4,1-11
2.4 Zusammenfassung
3 Die Auslegung des Augustinus
3.1 Äußere Umstände von serm. 208
3.2 Inhalt von serm. 208
3.3 Vergleich mit Leos Auslegung
3.4 Zusammenfassung
4 Die Auslegung des Maximus von Turin
4.1 Äußere Umstände von serm. 51
4.2 Inhalt von serm. 51
4.3 Vergleich mit Leos Auslegung
4.4 Zusammenfassung
5 Die Auslegung des Petrus Chrysologus
5.1 Äußere Umstände von serm. 13
5.2 Inhalt von serm. 13
5.3 Vergleich mit Leos Auslegung
5.4 Zusammenfassung
6 Schlussfolgerungen
6.1 Liturgiehistorische Schlussfolgerungen
6.1.1 Die Schriftlesungen am ersten Sonntag der Quadragesima
6.1.2 Die Aktualisierung des vierzigtägigen Fastens
6.2 Die Auslegung der drei Versuchungen
6.2.1 Der Satan als getäuschter Täuscher
6.2.2 Die Gegenüberstellung der Versuchungen von Adam und Christus
6.2.3 Die Reaktionen Christi als Verhaltensmodell
6.2.4 Die Aktualisierung der Versuchungen in den untersuchten Predigten
6.2.5 Inhaltliche Quellen für Leo bei der Auslegung von Mt 4,1-11
6.3 Bewertung von Leos Rückgriff auf verschiedene Auslegungstraditionen
V Zusammenfassung
Anhang
1 Abkürzungsverzeichnis
2 Bibliographie
3 Register
3.1 Schriftstellen
3.2 Stellen bei antiken und mittelalterlichen Autoren
3.3 Moderne Autoren
3.4 Namen- und Sachregister

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Die Quadragesima-Homilien Leos des Großen

PATROLOGIA BEITRÄGE ZUM STUDIUM DER KIRCHENVÄTER Herausgegeben von Andreas Spira †, Hubertus R. Drobner, Christoph Klock

Band 39

KARL WECHTITSCH

DIE QUADRAGESIMA-HOMILIEN LEOS DES GROSSEN EINE HERMENEUTISCHE UND LITURGIEHISTORISCHE UNTERSUCHUNG DER TRAKTATE 39-42

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Publiziert mit Unterstützung der Universität Graz. P-Initiale zum weihnachtlichen Introitus aus dem Abdinghofer Graduale fol. 12V, Bibliotheca Theodoriana Hs. Ba 1 aus dem Jahr 1507. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn.

ISSN 0940-4015 ISBN 978-3-631-81820-6 (Print) E-ISBN 978-3-631-82529-7 (E-PDF) E-ISBN 978-3-631-82530-3 (EPUB) E-ISBN 978-3-631-82531-0 (MOBI) DOI 10.3726/b17094 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Berlin 2020 ∙ Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang – Berlin ∙ Bern ∙ Bruxelles ∙ New York ∙ Oxford ∙ Warszawa ∙ Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com

Parentibus et pastoribus

Inhaltsverzeichnis I

Einleitung ......................................................................................................  17



1 Ziel und Begrenzung der Arbeit ................................................................  17



2 Arbeitsschritte und Aufbau ........................................................................  20



3 Forschungsstand ..........................................................................................  26 3.1 Forschungsstand zur Sprache Leos .......................................................  26 3.2 Forschungsstand zum zentralen Kerygma Leos .................................  28 3.2.1 Vom Kerygma zur Hermeneutik ................................................  28 3.2.2 Von der Hermeneutik zur Soteriologie .....................................  29 3.2.3 Von der Soteriologie zur christlichen Transformation Roms . 32 3.3 Forschungsstand zum liturgiehistorischen Rahmen der Quadragesima-Predigten ........................................................................  37 3.3.1 Die Quadragesima in Rom zur Zeit Leos des Großen .............  37 3.3.2 Der liturgische Rahmen der konkreten QuadragesimaPredigten ........................................................................................  41



II Die Methode der Predigt ........................................................................  45

1 Die Predigt als mündlicher Vortrag ..........................................................  45



2 Die Form der Predigt ..................................................................................  47



3 Die Rolle der Rhetorik ................................................................................  49



4 Der Predigtstil Leos des Großen ................................................................  52 4.1 Das christliche Latein .............................................................................  53 4.2 Überblick über die Entwicklung des Prosarhythmus .........................  55 4.3 Leos Sprache ............................................................................................  62 4.4 Die von Leo häufig verwendeten Stilfiguren .......................................  62 4.5 Das Verhältnis von Stil und Gehalt .......................................................  65 4.5.1 Die Übereinstimmung von Syntax, Rhythmus, Wortwahl, Stilfiguren und Inhalt ...............................................  65 4.5.2 Leos Sprache als Medium einer ästhetischen Theologie .........  72 4.6 Schlussfolgerungen .................................................................................  76



8

Inhaltsverzeichnis

5 Der liturgische Kontext der Predigt ..........................................................  78 5.1 Die Bedeutung des liturgischen Rahmens für die Hermeneutik der Predigten ...........................................................................................  78 5.2 Die Verwendung der Bibel in der Liturgie ...........................................  79 5.2.1 Die Verwendung der biblischen Bücher ....................................  79 5.2.2 Die Bedeutung der liturgischen Lesungen und deren Aktualisierung ............................................................................    80 6 Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen ................................................  84 6.1 Die Abgrenzung von Nestorius .............................................................  85 6.2 Die Abgrenzung von Eutyches ..............................................................  85 6.3 Leos Christologie ....................................................................................  86 6.4 Leos Soteriologie .....................................................................................  90 6.5 Leos theologische Deutung von Geschichte ........................................  93

III  Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen ...................................................................................................... 103 1 Analyse von tract. 39 .................................................................................  103 1.1 Historische Angaben ............................................................................  103 1.2 Literarische Form ..................................................................................  108 1.2.1 Narratio: 1,1-13 ...........................................................................  109 1.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio .......................................................  110 1.2.3 Peroratio: 5,139-6,214β ..............................................................  119 1.2.4 Gliederung ...................................................................................  121 1.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts .....................................................  122 1.3.1 Rhetorische Analyse der einleitenden Narratio: 1,1-13 ........  122 1.3.2 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,69-78 ...............................................  127 1.3.3 Analyse der Figuren in tract. 39 ...............................................  131 1.4 Leos Bibelverwendung .........................................................................  142 1.4.1 Der Befund der biblischen Bezugnahmen ..............................  142 1.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes .......................  145 1.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt ...........................................  149

Inhaltsverzeichnis



9

1.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung ........................................................................................  153 1.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten .........................  153 1.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt . 156 1.6 Theologische Grundgedanken .............................................................  157

2 Analyse von tract. 40 .................................................................................  161 2.1 Historische Angaben ............................................................................  161 2.2 Literarische Form ..................................................................................  164 2.2.1 Exordium: 1,1-8 ..........................................................................  165 2.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio, Confutatio . 165 2.2.3 Peroratio: 4,89-5,158β ................................................................  168 2.2.4 Gliederung ...................................................................................  169 2.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts .....................................................  170 2.3.1 Rhetorische Analyse des Transitus: 2,23-31 ............................  170 2.3.2 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,47-88α .............................................  173 2.3.3 Analyse der Figuren in tract. 40 ...............................................  180 2.4 Leos Bibelverwendung .........................................................................  190 2.4.1 Der Befund der biblischen Bezugnahmen ..............................  190 2.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes .......................  192 2.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt ...........................................  192 2.5  Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung ........................................................................................  194 2.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten .........................  194 2.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt . 195 2.6 Theologische Grundgedanken .............................................................  197 3 Analyse von tract. 41 .................................................................................  201 3.1 Historische Angaben ............................................................................  201 3.2 Literarische Form ..................................................................................  201 3.2.1 Exordium: 1,1-9 ..........................................................................  201 3.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio .....................  202

10

Inhaltsverzeichnis

3.2.3 Peroratio: 3,69-99 ........................................................................  206 3.2.4 Gliederung ...................................................................................  208 3.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts .....................................................  209 3.3.1 Rhetorische Analyse der Confirmatio: 1,10-20 ......................  209 3.3.2 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 2,45-58 ...............................................  214 3.3.3 Analyse der Figuren in tract. 41 ...............................................  219 3.4 Leos Bibelverwendung .........................................................................  228 3.4.1 Der Befund der biblischen Bezugnahmen ..............................  228 3.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes .......................  231 3.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt ...........................................  232 3.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung .........................................................................................  234 3.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten .........................  234 3.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt . 235 3.6 Theologische Grundgedanken .............................................................  236 4 Analyse von tract. 42 .................................................................................  238 4.1 Historische Angaben ............................................................................  238 4.2 Literarische Form ..................................................................................  243 4.2.1 Exordium: 1,1-12 ........................................................................  243 4.2.2 Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio, Confutatio . 245 4.2.3 Peroratio: 6,220-261α .................................................................  250 4.2.4 Gliederung ...................................................................................  254 4.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts .....................................................  255 4.3.1 Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,106-126α ........................................  255 4.3.2 Rhetorische Analyse der Peroratio: 6,226α–254α ..................  260 4.3.3 Analyse der Figuren in tract. 42 ...............................................  263 4.4 Leos Bibelverwendung .........................................................................  273 4.4.1 Der Befund der wörtlichen Bezugnahmen auf die Bibel ......  273 4.4.2 Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes .......................  274 4.4.3 Die Bibel als Quelle für den Inhalt ...........................................  276

Inhaltsverzeichnis



11

4.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung .........................................................................................  278 4.5.1 Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten .........................  278 4.5.2 Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt . 280 4.6 heologische Grundgedanken ...............................................................  282 5 Schlussfolgerungen ....................................................................................  285 5.1 Die Übereinstimmung von Stil und Gehalt .......................................  285 5.2 Liturgiehistorische Erkenntnisse .........................................................  286 5.2.1 Datierung und liturgische Lesungen in den Predigen 39, 40, 41 und 42 ...............................................................................  286 5.2.2 Datierung und liturgische Lesungen in Leos übrigen acht Quadragesima-Predigten ...................................................  287 5.2.3 Leos Adressaten ..........................................................................  290

IV Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-11 ..........................  291

1 Grundlinien der Auslegung der Versuchungsperikope in der Alten Kirche ...............................................................................................  291





2  Leos Auslegung der Versuchungsperikope ............................................  294 2.1 Paraphrase der Auslegung in den vier Predigten Leos (tract. 39-42) ......................................................................................................  294 2.2 Die in den drei Versuchungen enthaltenen dogmatischen Konzepte .................................................................................................  297 2.3 Die Verwendung der Bibel in der Auslegung von Mt 4,1-11 ..........  303 2.4 Zusammenfassung ................................................................................  304



3 Die Auslegung des Augustinus ................................................................  305 3.1 Äußere Umstände von serm. 208 ........................................................  308 3.2 Inhalt von serm. 208 .............................................................................  310 3.3 Vergleich mit Leos Auslegung .............................................................  311 3.4 Zusammenfassung ................................................................................  316



4 Die Auslegung des Maximus von Turin .................................................  317 4.1 Äußere Umstände von serm. 51 ..........................................................  318 4.2 Inhalt von serm. 51 ...............................................................................  321



12

Inhaltsverzeichnis



4.3 Vergleich mit Leos Auslegung .............................................................  322 4.4 Zusammenfassung ................................................................................  329



5 Die Auslegung des Petrus Chrysologus ..................................................  330 5.1 Äußere Umstände von serm. 13 ..........................................................  333 5.2 Inhalt von serm. 13 ...............................................................................  335 5.3 Vergleich mit Leos Auslegung .............................................................  337 5.4 Zusammenfassung ................................................................................  343



6 Schlussfolgerungen ....................................................................................  344 6.1 Liturgiehistorische Schlussfolgerungen .............................................  344 6.1.1 Die Schriftlesungen am ersten Sonntag der Quadragesima ..... 344 6.1.2 Die Aktualisierung des vierzigtägigen Fastens .......................  344 6.2 Die Auslegung der drei Versuchungen ...............................................  346 6.2.1 Der Satan als getäuschter Täuscher ..........................................  346 6.2.2 Die Gegenüberstellung der Versuchungen von Adam und Christus ................................................................................  348 6.2.3 Die Reaktionen Christi als Verhaltensmodell ........................  351 6.2.4 Die Aktualisierung der Versuchungen in den untersuchten Predigten ..............................................................  351 6.2.5 Inhaltliche Quellen für Leo bei der Auslegung von Mt 4,1-11 ............................................................................................  354 6.3 Bewertung von Leos Rückgriff auf verschiedene Auslegungstraditionen .........................................................................  354



V Zusammenfassung ..................................................................................  357 Anhang ..................................................................................................................  367 1 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................  367 2 Bibliographie ................................................................................................  369

2.1 Primärliteratur ........................................................................................  369



2.2 Sekundärliteratur ....................................................................................  374

Inhaltsverzeichnis

13

3 Register ............................................................................................................  387

3.1 Schriftstellen ............................................................................................  387



3.2  Stellen bei antiken und mittelalterlichen Autoren .............................  391



3.3  Moderne Autoren ...................................................................................  397



3.4  Namen- und Sachregister ......................................................................  401

Vorwort Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung der Dissertation, die ich unter Anleitung von Univ.-Prof. Pablo Argárate 2018 als Dissertation an der Karl-FranzensUniversität in Graz eingereicht habe. Besonderen Dank schulde ich Prof. Harald Buchinger für die intensive Beratung und Förderung sowie für die Einladung zu einem Forschungsaufenthalt nach Regensburg. Prof. Hubertus Drobner danke ich für die Anregungen und Ermöglichung der Drucklegung meiner Arbeit in der Reihe Patrologia. Für die Rahmenbedingungen einer unbeschwerten Arbeitsatmosphäre bin ich den Regenten der Priesterseminare von Graz und Regensburg sehr verbunden. Die Beschäftigung mit Leo führt zu der Erkenntnis, dass dieser große Papst sich um den Einklang von sprachlicher Eleganz und inhaltlicher Relevanz bemüht, um die Schönheit christlicher Lebenspraxis aufzuzeigen. An dieser Stelle danke ich meinen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern für ihr Lebenszeugnis, denn „die ganze Lehre der christlichen Weisheit besteht nicht in der Fülle des Ausdrucks…, sondern in der wahren und freiwilligen Demut“ (Leo, tract. 37,3).

I  Einleitung 1 Ziel und Begrenzung der Arbeit Leos zwölf Quadragesima-Predigten waren bisher noch nicht Gegenstand einer umfassenden Forschungsarbeit. Sie wurden zwar in allgemeinen Analysen von liturgischen Predigten, der altkirchlichen Quadragesima, von Leos Sprache und Theologie berücksichtigt, aber nicht eigens thematisiert. Zu nennen sind lediglich die liturgiehistorischen Artikel von Ignace Carton1 und Antoine Chavasse,2 der Aufsatz zur Christologie von Geoffrey Dunn3 und die Edition in der Reihe Bibliotheca Patristica,4 die eine allgemeine Einführung zu den Kollekten- und Quadragesima-Predigten bietet sowie einen sprachlich-analytischen und historischen Kommentar mit einzelnen Verweisen zu den Quellen.5 In der vorliegenden Untersuchung werden die Form der Predigten, das Verhältnis von Sprache und Inhalt sowie der liturgiehistorische Rahmen erschlossen. Die Ermittlung der sprachlichen Form soll nicht nur Leos Verwendung der Rhetorik und dadurch die zentralen Inhalte sichtbar machen, sondern auch Leos hermeneutische Grundsätze und die Bedeutung von Leos zentralem Kerygma der Doppelkonsubstantialität erfassen. Bei der Analyse der Entsprechung von Stil und Gehalt in den Quadragesima-Predigten ist der Ansatz von Marco Ronconi6 zu berücksichtigen, der Leos Rhetorik unter dem Aspekt der Ästhetik betrachtet. Da der Papst in allen Teilen der Predigt das Wahre, Gute und Schöne 1 Vgl. Carton, Ignace:  À propos des oraisons de Carême. Notes sur l’emploi du mot  „observantia“ dans les homélies de St Léon: VigChr 8 (1954) 104-114. 2 Vgl. Chavasse, Antoine: Les féries de carême célebrées au temps de Saint Léon le Grand (440-461), in: Miscellanea Liturgica I, In Onore di Sua Eminenza Il Cardinale Giacomo Lercaro, Rom u.a.: Desclée, 1966, 551-557. 3 Vgl. Dunn, Geoffrey D.: Suffering Humanity and Divine Impassibility. The Christology in the Lenten Homilies of Leo the Great: Aug. 41 (2001) 257-271. 4 Vgl. Leone Magno, I Sermoni Quaresimali e sulle Collette (= BPat 33, Leone Magno. Sermoni. 3.  Band), hg. v.  Elio Montanari, Marco Pratesi, Silvano Puccini, Bologna: EDB, 1999. 5 Vgl. Pratesi, Commento, in: Leone Magno. I Sermoni Quaresimali e sulle Collette (= BPat 33, Leone Magno. Sermoni. 3. Band), hg. v. Elio Montanari / Marco Pratesi / Silvano Puccini, Bologna: EDB, 1999, 290-347. 6 Vgl. Ronconi, Marco: «A Maiestate Humilitas» Il rilievo della retorica nella teologia di Leone Magno (= TG.T 129), Rom: Editrice Pontificia Università Gregoriana, 2005; idem: Teologia e retorica in Leone Magno, in: RivLi 93 (2006) 946-956.

18

Einleitung

zusammensehe, gehe es ihm nicht nur um die Vermittlung von intellektuellen Inhalten oder um eine Übereinstimmung von Inhalt und Rhetorik, wie sie auch Augustinus forderte, sondern auch um die Kategorie der Schönheit, die an der Rhetorik selbst zum Medium werde. Für die sprachliche Untersuchung der Quadragesima-Predigten ergeben sich daraus folgende Aufgaben:  (1) In der Einleitung Leos Sprache und Stil in die Entwicklung des christlichen Lateins und der lateinischen Kunstprosa einzubetten und seine Aussagen über die Rhetorik darzustellen, um die Annahme einer ästhetischen Verkündigung bewerten zu können, (2) im Hauptteil die Entsprechung von Stil und Gehalt in den Quadragesima-Predigten zu untersuchen, nicht zuletzt an der Form von rhythmuskonformen Reformulierungen biblischer Zitate7 und (3) die durch Leos bevorzugte rhetorische Figuren (Alliteration, Assonanz, Antithese, Homoioteleuton, Isokolon) vorgegebenen Inhalte zu eruieren sowie in Beziehung zu Leos zentralem Kerygma vom Gottmenschen Jesus Christus zu setzen. Um die Bedeutung des liturgiehistorischen Rahmens für das Verständnis der zwölf Quadragesima-Predigten angemessen zu berücksichtigen, sollen die traditionellen Annahmen bezüglich der Datierung auf den ersten Sonntag der Quadragesima und der für diese Liturgie bestimmten, biblischen Perikopen 2 Kor 6,1-10 und Mt 4,1-11 am textimmanenten Befund von primären und sekundären Hinweisen überprüft werden. Soweit wie möglich sollen auch Schlüsse auf die Zusammensetzung der Adressaten Leos gezogen werden. Da in den ersten vier Predigten 39-42 zentrale Inhalte an der Versuchungsgeschichte Mt 4,1-11 entwickelt werden, wird diese Bibelstelle in ihrer Bedeutung für Leos Profilierung der Quadragesima und seiner theologischen Deutung von Geschichte sowie seiner Theologie der Erlösung untersucht. Dazu wird die Entwicklung der lateinischsprachigen Auslegung von Mt 4,1-11 bis hin zu Leos liturgischer Aktualisierung herausgearbeitet. In der vorliegenden Arbeit geht es also nicht um konkrete, historische Transformationsprozesse der Stadt Rom in eine christliche civitas Dei, sondern um die Erfassung der von Leo intendierten Grundlinien für die Entwicklung eines solchen Stadtkonzeptes, besonders im

7 Matthew Hoskin zeigte anhand der Untersuchung des Tomus (ep. 28), dass die in den Manuskripten überlieferten, biblischen Zitate ab dem 7. Jh. nicht so umfangreich durch die Version der Vulgata ersetzt wurden wie angenommen. Häufiger scheinen die Zitate einer anderen (vor der Vulgata entstandenen?) lateinischen Version entnommen oder durch den rhythmischen Stil Leos geprägt zu sein: vgl. idem, The Contamination of Leo the Great’s Scriptural Quotations, in: SE 55 (2016) 157-187, besonders 186f.

Ziel und Begrenzung der Arbeit

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Bereich der Fürsorge für die Armen als Realisierung der christologisch begründeten Barmherzigkeit. Leos „exegetische“ Arbeit in den Quadragesima-Predigten wird daher als Theologie entfaltet, in der die ‒ besonders in der Liturgie vermittelte ‒ Aktualisierung des Evangeliums in der Gegenwart verdeutlicht wird. Der Vergleich mit den Auslegungen der Versuchungsgeschichte von je einer Predigt von Augustinus, Maximus von Turin und Petrus Chrysologus soll zur weiteren Klärung der Bedeutung der Versuchungsperikope als Evangelium für die Quadragesima beitragen. Durch die Ergebnisse dieser Zusammenschau wird ein neues Licht auf Leos Profil als lateinischer Prediger geworfen. Einige formale Bemerkungen zur vorliegenden Untersuchung sollen an dieser Stelle noch gemacht werden: Leos Predigten werden nach der Ausgabe von Chavasse zitiert und auch als tractatus („Abhandlung“, „Predigt“) bzw. durch die Abkürzung „tract.“ bezeichnet.8 Für die Textanalyse wird die Textvariante α herangezogen, die gemäß Chavasse die erste Sammlung durch Leo darstellt. Auf die Abweichungen der Variante β von Leos zweiter Predigt-Sammlung wird aber hingewiesen. Bibelstellen werden gemäß der Vulgata zitiert. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wurde auf eine gendergerechte Sprache verzichtet.

8 Leos Predigten werden als tractatus (Lehrcharakter der Ansprache) oder sermo (Gattungsbegriff) bezeichnet – sie geben die griech. Begriffe λόγος und ὁμιλία wieder (vgl. Sachot, Art. Homilie, in: RAC 26 [1994] 171).

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Einleitung

2 Arbeitsschritte und Aufbau Auf dem Acker des Herrn, Geliebteste, dessen Arbeiter wir sind, müssen wir klug und wachsam einer geistigen Bewirtschaftung nachgehen, damit wir uns mit beharrlicher Ruhelosigkeit darum sorgen, was zu den angemessenen Zeiten zu tun ist, und uns über die Frucht der heiligen Werke freuen können.9 Leo der Große

Die Einleitung erschließt Form, Sprache und zentrales kerygmatisches Anliegen von Leos Predigten. Dabei werden die zu Leos Zeiten typischen Anknüpfungspunkte an die pagane Tradition der Rede und der Rhetorik skizziert (→ II 1 ‒ 3). Besondere Rücksicht wird auf die Darstellung von Leos Predigtstil, der Entwicklung des christlichen Lateins, des Prosarhythmus und der Übereinstimmung von Form und Inhalt genommen, um Hinweise auf eine liturgische Ästhetik sowie auf eine ästhetische Theologie10 erfassen und bewerten zu können (→ II 4). 9 Vgl. tract. 14,1 (CChr.SL 138 58,1-5): In dominico agro, dilectissimi, cuius operarii sumus, oportet nos prudenter atque vigilanter spiritalem exercere culturam, ut perseveranti industria, quae legitimis temporibus sunt exsequenda curantes, de sanctorum operum fruge laetemur. 10 Vgl. z. B. Huizing, Klaas: Ästhetische Theologie. Der erlesene Mensch. Der inszenierte Mensch. Der dramatisierte Mensch, München: Gütersloh, 2015. Ausgehend von der Beobachtung, dass der Mensch in erster Linie „Atmosphären“ (= Gefühle) wahrnimmt, bevor diese in Worte transformiert werden, entwickelt Huizing die These, dass es vor allem die Sinnlichkeit sei, die einen Zugang zur Transzendenz ermögliche und erst später (wenn überhaupt) das Denken. Sein biblisch-literarischer Ansatz sieht in der Bibel kein dogmatisches Lehrbuch oder eine moralische Drohfibel sondern eine ästhetische Urkunde. Gründend auf Paulus, der in Gal 3,1 von dem „vor-Augen-malen“ des Gekreuzigten spricht, liest er die Bibel als Inkarnationsdrama, in dem Jesus Christus im Leseakt eine konkrete Gestalt annimmt, sich sozusagen inkarniert und so die Leser affektiv betroffen macht. Diese „affektive Betroffenheit“ durch die faszinierende Erscheinung des durch die Lektüre „vor-Augen-gemalten“ Christus, also seine ästhetische Evidenz (= Augenscheinlichkeit, Einsicht, die ohne methodische Vermittlung geltend gemacht wird), münde, so Huizing, in der „Wiedergeburt“ und Erneuerung der Leser. Im Gegensatz zur ästhetischen Theologie verweist eine theologische Ästhetik auf den „schönen Ausdruck“ der christlichen Gotteslehre in Kunst und Literatur. Hans Urs von Balthasar schreibt über Leo, dass er „die höchste Harmonie durch den Reigen der kirchlichen Feste“ erkennen lasse, während der Stil eine untergeordnete Rolle spiele. Christus sei als die „objektive Evidenz“ zu verstehen, in der sich Gott den Menschen offenbare und die mit ihrem Aufleuchten die „subjektive Evidenz“, die innere Erfahrung des Glaubens,

Arbeitsschritte und Aufbau

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Da die spezifischen Quellen für Leos Quadragesima-Predigten nicht Gegenstand dieser Arbeit sind, sondern vielmehr das Zueinander von Sprache und Inhalt und die Wirkung auf die Adressaten des 5.  Jh., wird die Kontinuität zu lateinischen Predigern und Autoren in diesem Durchgang nur prinzipiell erschlossen, um auf die in der Forschung bereits festgehaltene Anknüpfung an Augustinus, Hilarius, Tertullian und andere Prediger bzw. Autoren11 hinzuweisen. In der Analyse der Predigten sind die Verweise auf Parallelen und mögliche Quellen daher nicht auf Vollständigkeit angelegt, sondern dienen der Erläuterung von Motiven und Sprachstrukturen, wo dies m. E. hilfreich ist. Ein Überblick über Leos Bibelverwendung ergänzt das Bild von Leos Sprache, die von biblischen Formulierungen und Inhalten geprägt ist, und schlägt auch eine Brücke zu seiner inhaltlichen Botschaft und seinem Verständnis der verlesenen Texte in der Liturgie und deren Aktualisierung, die bei Leo stets mit der effizienten Prägung der Menschen und damit der Kultur verbunden ist (→ II 5). Den Einleitungsteil beschließen dogmengeschichtliche Vorbemerkungen über Leos zentrale christologische und soteriologische Grundsätze sowie wesentliche Hinweise auf Leos theologische Deutung von Geschichte (→ II 6). Im Hauptteil (→ III) werden zunächst nur die ersten vier QuadragesimaPredigten (von insgesamt zwölf) detailliert analysiert. Zu dieser Eingrenzung führt die Tatsache, dass Leo nur in diesen Predigten (tract. 39-42) explizit auf die Versuchungsperikope (Mt 4,1-11) Bezug nimmt und die Klärung der liturgiehistorischen Fragen nach den Lesungen und dem Datum der Predigt ihren Ausgang von textimmanenten Belegen nehmen soll. Torsten Krannichs Lokalisierung erwähnenswerter christologischer Formulierungen in diesen vier Traktaten12 schien außerdem vielversprechend für die Profilierung von Mt 4,1-11 als zentrales Narrativ (narratio) von Leos soteriologischen Grundgedanken für seine Zeit. Die Analyse erfolgt nun nach sechs Kriterien: (1) Historische Angaben zur Predigt, (2) Literarische Form, (3) Rhetorischer Ausdruck des Inhalts, (4) Die

erhelle. Die „subjektive Evidenz“ bezeichne also die Wahrnehmung der Herrlichkeit Gottes durch den Menschen (idem: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik 1, Schau der Gestalt, 3. Aufl., Einsiedeln: Johannes, 1988, 36f). Vgl. Ronconi, A maiestate humilitas, 47. 11 Vgl. Ronconi, Teologia e retorica in Leone Magno, in: RivLi 93 (2006) 947 Anm. 5. 1 2 Vgl. Krannich, Torsten: Von Leporius bis zu Leo dem Großen. Studien zur lateinischsprachigen Christologie im fünften Jahrhundert nach Christus (= STAC 32), Tübingen: Mohr Siebeck, 2005, 191-194. Auf den christologischen Schwerpunkt der ersten vier Quadragesima-Predigten konzentriert er sich auf Basis von kurzen Zusammenfassungen, „da wir hier anhand der verschiedenen Auslegungen zu einem einzigen biblischen Text gut die differenzierte Denkweise Leos erkennen können“ (ibid., 190).

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Einleitung

Verwendung der Bibel, (5) Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung. (6) Abschließend werden die theologischen Grundgedanken als Aktualisierung von Mt 4,1-11 ausgedrückt. Unter den historischen Angaben zur Predigt (1) wird die von Chavasse vorgenommene Datierung auf ein bestimmtes Jahr erläutert. Gegebenenfalls gehören dazu auch die Datierung der zweiten Sammlung und der Hinweis auf deren abweichenden Textbestand bzw. die Erläuterung für mögliche Ursachen einer späteren Textrevision. An dieser Stelle werden auch mögliche Hinweise auf die Bestimmung der Predigt für den ersten Sonntag der Quadragesima angeführt. Schließlich werden in den Predigten auch mögliche Anspielungen an historische Umstände und Texte berücksichtigt. Im zweiten Schritt (2) wird die literarische Form untersucht, die abschließend zur Darstellung der Gliederung der Predigt führt. Um der Frage nachzugehen, ob und inwiefern Stil (Figuren, Tropen und Klauseln) und Gehalt sich in neuralgischen Passagen von dogmatischen Wendungen intensiver entsprechen als an anderen Stellen, werden im Untersuchungsgang „Rhetorischer Ausdruck des Inhalts“ (3) neben den jeweiligen konkreten Auslegungen von Mt 4,1-11 (die eine Fülle von dogmatischen Wendungen enthalten und i. d. Regel der Narratio entsprechen), auch jeweils eine zweite Stelle auf diese Entsprechung hin untersucht, die keine oder kaum christologische Erläuterungen enthalten. Um bei der Auswahl dieser jeweils zweiten Stelle eine größere Bandbreite abzudecken, werden sie der Einleitung (Exordium), dem Schluss (Peroratio) oder dem Mittelteil (Argumentatio, Confirmatio) entnommen. Die Erhebung der Inhalte, die darüber hinaus in den gesamten Predigten durch die sprachlichen Strukturen zum Ausdruck kommen, erfolgt über die Filter jener Stilmittel, die Leo bevorzugt verwendet: Alliteration, Assonanz, Antithese, Homoioteleuton und Isokolon (Parallelismus und Chiasmus). Der vierte Schritt (4) untersucht die Hinweise auf vorausgehende Schriftlesungen, um die traditionelle Annahme, dass es sich dabei um 2 Kor 6,1-10 und Mt 4,1-11 handle, bewerten zu können. Ausgegangen wird dabei von Leos allgemeiner Bibelverwendung in der jeweiligen Predigt, indem der Befund der verwendeten biblischen Bücher sowie der verschiedenen Formen von Zitaten erhoben wird (vollständige Zitate, Teilzitate, wörtliche Anspielungen), die mögliche, sprachliche Adaption des biblischen Ausdrucks im Sinne einer rhythmuskonformen Reformulierung sondiert und die Verwendung von biblischen Inhalten ermittelt wird. An fünfter Stelle (5) werden Form und Häufigkeit der Einbeziehung des Publikums untersucht, um dessen Einfluss auf die Gestalt der Predigt zu bewerten und mögliche Schlüsse auf die Zusammensetzung der Adressaten zu ziehen. Schließlich (6) werden die theologischen Grundgedanken auf Basis der vorausgehenden, vor allem rhetorischen Analyse dargestellt. In den Schlussfolgerungen nach der Analyse der vier Predigten werden die Erkenntnisse über die Übereinstimmung von Stil und Gehalt und über den

Arbeitsschritte und Aufbau

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liturgiehistorischen Rahmen (Lesungen, Datierung der Predigt, Adressaten) dargeboten und in Beziehung zu Leos übrigen acht Quadragesima-Predigten (tract. 43-50) gesetzt, indem sprachliche und inhaltliche Kontinuitäten oder Diskontinuitäten aufgezeigt werden. Im zweiten Hauptteil (→ IV) wird eine Fallstudie anhand des Vergleichs von Leos konkreter Auslegung der Versuchungsperikope Mt 4,1-11 mit jener von anderen, lateinischen Autoren und Predigern erstellt. Das Ziel dieser Studie besteht einerseits in der Einordnung von Leos inhaltlicher Arbeit und besonders der dogmatischen Formulierungen in die frühkirchliche Auslegungstradition13 und andererseits in der Untersuchung der Bedeutung der Schriftstelle Mt 4,1-11 für die Liturgie, für das Verständnis der Quadragesima und für die theologische Deutung von Geschichte. Einleitend werden zunächst Grundlinien der Auslegung von Mt 4,1-11 in der frühen Kirche vorgestellt sowie die in diesem Untersuchungsgang zitierten Autoren genannt (→ IV 1). Als Ausgangspunkt für die Profilierung Leos als Prediger seiner Zeit dient die darauf folgende Zusammenschau der entsprechenden Stellen der vier Predigten Leos (→ IV 2). Für den konkreten Vollzug des Vergleichs wurde je eine Predigt von Augustinus, Maximus von Turin und Petrus Chrysologus ausgewählt (→ IV 3 ‒ 5),14 um auch den liturgiehistorischen Rahmen dieser Predigten (Zeit, Schriftlesungen) berücksichtigen zu können. Die Aktualisierungen und die dogmatischen Formulierungen der drei Predigten werden größtenteils in den Fußnoten mit den wichtigsten Traditionslinien der altkirchlichen Auslegung der Versuchungsperikope in Beziehung gesetzt, um in den Schlussfolgerungen (→ IV 6) auf diese Verweise zurückgreifen zu können. In der Zusammenfassung (→ V) werden schließlich alle Erkenntnisse dargestellt. 13 Besonders bei den Predigten ist zu beachten, dass sie nicht notwendig die zeitgenössischen dogmengeschichtlichen Herausforderungen der Großkirche widerspiegeln müssen, da Predigten prinzipiell nicht als dogmatisch präzise Traktate angelegt sind, sondern anlassbezogen und wohl auch adressatenorientiert formuliert wurden. Dass Leos christologisches Konzept aber im Wesentlichen in seinen Predigten vorbereitet und entwickelt wurde, ist eine wichtige Voraussetzung für die Bewertung des Befundes von adressatenorientierten Formulierungen. 14 Für die Auswahl dieser Prediger waren folgende Kriterien entscheidend: Der Autor ist in vielen Bereichen eine Quelle für Leo (Augustinus), ist ein Zeitgenosse und verwendet einen ähnlichen Stil (Petrus Chrysologus) und greift auf ähnliche inhaltliche Darstellungen zurück wie Leo (Maximus von Turin, Augustinus). Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 76: „In content, subject and matter, they resemble Maximus of Turin’s or Augustine’s liturgical sermons, expounding the seasons and feasts of the liturgy; in their style, they resemble the elegant, exegetical homilies delivered to the imperial court at Ravenna by Peter Chrysologus“. Die Kriterien für die Auswahl der konkreten Predigten finden sich zu Beginn der jeweiligen Erörterung.

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Einleitung

Daraus ergibt sich folgender Aufbau:  (II) Die Methode der Predigt (Form, Sprache, Liturgie, Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen), (III) Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen (Traktate 39 ‒ 42), (IV) Die Auslegung der Versuchungsperikope (Mt 4,1-11) im Vergleich, (V) Zusammenfassung und Synthese der liturgisch-exegetischen Aspekte der QuadragesimaPredigten, der Bewertung der Souveränität Leos im Umgang mit der Bibel, der lateinischen Sprache sowie der Tradition der Auslegung von Mt 4,1-11 und der Bedeutung der Quadragesima in Leos Theologie der Erlösung. Präliminaria zur Kolometrie und zu den Klauseln Bezüglich der Kolometrie und der Kennzeichnung der Klauseln im dritten Arbeitsschritt der Predigtanalyse („Rhetorischer Ausdruck des Inhalts“) folge ich den Grundsätzen von Blümer:15 (1) Die Unterteilung in Kola darf sich nicht rein an den Klauselrhythmen orientieren. (2) Die für Leo typischen Klauseln dürfen jedoch herangezogen werden, um mit der Kolongrenze eine eventuelle Absicht des Autors zu benennen. (3) Eine Zerlegung in grammatikalische Bestandteile ist zu wenig, sie müssen in Sinneinheiten zusammengefasst werden. (4) Rhetorische Stilmittel (Parallelismus, Antithese…) haben eine gliedernde Funktion und sollten die Binnenstruktur deutlich werden lassen. Blümer gibt nun folgende Klauseln als von Leo bevorzugt und somit als „schlussstark“ an: P 1 γ und 1 γ; T 2 γ und 2 γ; T 13 γ und 13 γ; V 3 δ, 3 δ und V δ; TT 12 γ und 12 γ.

Die Großbuchstaben stehen für die akzentuierenden Kursusformen:  P  =  cursus planus (x́x xx́x), T = cursus tardus: (x́xx x́xx), V = cursus velox: (x́xx xxx́x) und TT  =  cursus trispondaicus:  (x́x  xxx́x); die Zahlen für die quantitierenden Formen: 1 = Kretikus und Trochäus (‒◡‒ ‒◡: mórte vìcérunt), 2 = Dikretikus (‒◡‒ ‒◡‒: céssit aùdáciae), 3 = Kretikus und Ditrochäus (‒◡‒ ‒◡ ‒◡: glóriàm consecúti) und 12 = Tritrochaicus (‒◡ ‒◡ ‒◡: ésse vìdeátur).

15 Zum Klauselsystem vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 62-70. Bevor Blümer seine Grundsätze zur Kolometrie aufstellt, erläutert er auf den Seiten 70-75 verschiedene Zugänge zur Einteilung von Kola in der Forschungsgeschichte.

Arbeitsschritte und Aufbau

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Akzentuierende Klauseln können also gleich bedeutsam sein wie quantitierende und sind in der Anwendung eher als Einheit zu betrachten.16 Die durch einen Akut (´) angegebenen Betonungen fallen in den entsprechenden Fällen mit der ersten und der vorletzten Länge bzw. im Dikretikus mit der vorvorletzten Länge zusammen. In der akzentuierenden Form kann die Betonung aber auch auf eine Kürze fallen, sodass etwa auch die fünf Silben ◡◡◡‒◡ als cursus planus (x́x/xx́x) gelten können. Der Gravis (`) für die unbetonten Längen wird bei der Textanalyse um der Übersicht willen nicht angegeben. Die hochgestellte Zahl bezieht sich auf die jeweilige Länge, um ihre Auflösung in zwei Kürzen anzugeben: der Exponent in T 13 γ bezieht sich z. B. auf die dritte Länge der Hauptform 1, sodass ‒◡‒ ◡◡◡ statt ‒◡‒ ‒◡ gilt. Mit den griechischen Buchstaben werden die Zäsuren (Sprechpausen) angegeben, die in der Regel mit den Wortgrenzen zusammenfallen: In P 1 γ erfolgt die Zäsur vor der dritten Silbe, im folgenden Beispiel also nach morte: mórte vìcérunt (‒◡/ ‒ ‒◡). Der Unterschied zwischen V 3 δ und V δ besteht darin, dass im ersten Fall die akzentuierende Form (V)  mit der quantitierenden übereinstimmt, während im zweiten Fall die nach den metrischen Regeln gemessenen Quantitäten nicht mehr mit den Akzenten des cursus velox zusammenfallen, wie an folgenden Beispielen deutlich wird: abstinéntiàm dèvovéntes (V 3 δ) entspricht dem cursus velox (x́xx/ xxx́x) und der quantitierenden Hauptform 3 (‒◡‒/ ‒◡ ‒◡) und weist vor der vierten Silber eine Zäsur auf (δ). Dahingegen ist matéria querèlárum (V δ) nur der akzentuierenden Form des cursus velox zuzuordnen, da die Quantitäten (◡◡◡/ ◡‒ ‒◡) nicht mit der Hauptform 3 übereinstimmen. Um der Autorenintention möglichst gerecht zu werden sollen nur jene von Blümer benannten Klauseln als bewusst verwendet in Frage kommen, die Leo ‒ praktisch in Einklang mit der Tradition ‒ bevorzugt verwendet.17 Alle anderen Rhythmen werden um der Tranzparenz willen dennoch an den Kola-Enden angegeben, wie z. B. temporáliùm varietátes (33 δ). Hier ist die dritte Länge der Hauptform 3 in zwei Kürzen aufgelöst, sodass die Anzahl der Silben nicht mehr dem cursus velox entspricht (‒◡‒/ ◡◡◡‒◡). Alle Rhythmen, die keinem dieser Schemata entsprechen, werden als unrhythmisch (unrhythm.) gekennzeichnet.

16 Vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 64. Steeger vermutete, dass starke Schlüsse die Quantitäten meist genau berücksichtigten, während schwache Einschnitte häufig akzentuierende Klauseln aufwiesen: vgl. idem, Die Klauseltechnik Leos des Großen, 65-71. 17 Siehe Überblick über die Entwicklung des Prosarhythmus.

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Einleitung

3 Forschungsstand 3.1 Forschungsstand zur Sprache Leos Die sprachliche Analyse der Predigten knüpft abseits von der Frage nach ihrer Abhängigkeit von anderen Quellen18 vor allem bei den Arbeiten von Francesco di Capua, Theodor Steeger, William J. Halliwell, Herbert Arens und Wilhelm Blümer an.19 Steeger20 analysierte und kategorisierte Leos Klauseltechnik in den Predigten. Di Capua21 wies bei der Analyse der Klauseltechnik in Leos Briefen darauf hin, dass diese rhythmisierte Sprache sich nicht wesentlich von Leos Predigtstil

18 Eine solche Detailuntersuchung ist nicht Ziel dieser Arbeit. Studer nennt vor allem Augustinus, daneben aber auch den Einfluss von Hilarius von Poitiers und von der allgemeinen Tradition der lateinischen Bibelaktualisierung (dazu zählt Studer etwa die Begriffe res gestae, historia, intelligentia spiritualis, sacramentum pietatis, exemplum, aber auch die Unterscheidung der historischen Tatsächlichkeit und des tieferen Sinns) oder der zu Leos Zeiten in Rom gegenwärtigen alexandrinischen Strömungen. Darüber hinaus gibt Studer in Bezug auf den Einfluss Augustins zu bedenken, dass es sich bei direkten Anspielungen auch um eine Redaktion von Prosper von Aquitanien oder von einem anderen Autor handeln könne: vgl. idem, Die Einflüsse der Exegese Augustins auf die Predigten Leos des Großen, in: Forma futuri. Studi in onore del cardinale Michele Pellegrino, Turin: Bottega d’Erasmo, 1975, 915-930. Eine Detailarbeit bietet Michele Pellegrino: vgl. idem, L’influsso di S. Agostino su S. Leone Magno nei Sermoni sul Natale e sull’ Epifania: Annali del Pontificio Istituto Superiore di Scienze e Lettere « S. Chiara » 11 (1961) 101-132. Zu den Quellen des Tomus ad Flavianum bestätigte Aldo Granata zahlreiche Quellen (Ambrosius, Philastrus, Gaudentius, Hilarius, Niceta von Nimesiana, Augustinus): vgl. idem, Note sulle fonti di S. Leone Magno, in: RSCI 14 (1960) 263-282. Zu beachten ist außerdem Leos Florilegium mit Belegen von zahlreichen frühchristlichen Autoren: vgl. ep. 165,3-10 (PL 54 1173A-1190B). Vgl. dazu De Soos, Marie Bernard: Le mystère liturgique d’après saint Léon le Grand (= LQF 34), Münster: Aschendorff, 1958, 6-21. Vgl. auch die zusätzlichen Literaturangaben dazu bei Studer: idem, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 915 Anm. 2. 19 Eine knappe Zusammenschau wichtiger Ergebnisse findet sich bei Nardi, Carlo: Lingua e stile dei Sermoni, in: I Sermoni di Leone Magno. Fra storia e teologia (= BPat 30, Leone Magno. Sermoni, 1. Band, Introduzione), hg. v. Mario Naldini, Fiesole (Fl): Nardini, 1997, 101-119. 20 Vgl. Steeger, Theodor: Die Klauseltechnik Leos des Großen in seinen Sermonen. Untersuchungen zur Rhythmik der lateinischen Kunstprosa im 5. Jahrhundert n. Chr. (Inauguraldissertation), Haßfurth a. M.: Georg Michael Rasp, 1908. 21 Vgl. Di Capua, Francesco: Il Ritmo prosaico nelle Lettere dei Papi e nei Documenti della Cancelleria Romana dal IV al XIV secolo, 1. Band, Parte I: Leone Magno – Parte II: Da Cornelio a Damaso, Roma: Lateranum, 1937.

Forschungsstand

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unterscheidet. Halliwell22 stellte fest, dass Leo (neben den Klangfiguren Alliteration und Assonanz23) die Antithese, das Homoioteleuton und das Iskolon (Parallelismus, Chiasmus) besonders häufig, rhetorisch effizient und gemäß der Logik des Inhalts verwendet. Arens24 führte die Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Inhalt in seiner Untersuchung des Einflusses von Rhetorik und Syntax auf die Gestalt des Textes des Tomus ad Flavianum „bis hin zur Wortwahl“25 weiter. Während Murphy26 Leos Stil mitunter als gegenüber dem Inhalt verselbstständigt beschrieb, konstatierte Blümer27, dass die Arbeit von Arens in der Darstellung der Entsprechung von Leos Stil und Gehalt noch „viel zu kurz kommt“28, da dieser der Rhetorik lediglich eine inhaltliche Qualität zuschrieb.29 Die äußere Form von Leos Sprache erschließe sich jedoch aus dem Inhalt und umgekehrt, sodass der Inhalt selbst „spreche“30. Diese Prävalenz des Inhalts, also des christlichen Kerygmas, das sich auch bei anderen Autoren, bevorzugt durch einen biblisch verbürgten,

22 Halliwell, William J.:  The Style of Pope St. Leo the Great (= PS 59)  Washington, D.C.: The Catholic University of America, 1939. 23 Die Assonanz ist wie andere Klangfiguren zu einem großen Teil auf die Sruktur der lateinischen Sprache zurückzuführen. Halliwell schätzt, dass Leo ca. 10% der Assonanzen bewusst eingesetzt hat: vgl. idem, The Style, 37. 24 Vgl. Arens, Herbert: Die christologische Sprache Leos des Großen. Analyse des Tomus an den Patriarchen Flavian (= FThSt 122), Freiburg i. Br. U.a.: Herder, 1982. 25 Ibid., 17. 26 Vgl. Murphy hebt die Brillanz von Leos Predigten hervor, verweist zugleich aber auf eine übertriebene, mit der Verständlichkeit konkurrierende Koketterie mit der Rhetorik: vgl. idem, Francis Xavier: The Sermons of Pope Leo the Great. Content and Style, in: Preaching in the Patristic Age. Studies in Honor of W.J. Burghardt SJ, hg. v. David H. Hunter, New York / Mahwah, 1989, 183-197; besonders 185: „What Leo brings to the elucidation of the truths of revelation is a clear-cut, structured Latinity and a paradoxical manner of expression that frequently requires some mental jousting to fully comprehend his insights. His sermons are chiseled with great care, so meticulously that at times he seems to be indulging a penchant for ingenuity rather than straight doctrinal elucidation“. Wenn es aber um dogmatische Formulierungen gehe, sei Leo um Präzision bemüht (ibid.): „Nevertheless, when dealing with the delicate and abstruse mysteries of the faith, he weighs his words with invariable precision“. 27 Vgl. Blümer, Wilhelm: Rerum Eloquentia. Christliche Nutzung antiker Stilkunst bei St. Leo Magnus, Frankfurt a. M. u.a.: Lang, 1991. 28 Vgl. ibid., 173. 29 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 138: „Inhalt und Form lassen sich nicht in absolute Distanz bringen. Die Form hat nicht nur den Hang zur inhaltlichen Füllung, sondern hat selbst schon etwas von inhaltlicher Qualität“. Vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 171. 30 Vgl. ibid., 178.

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Einleitung

kunstvollen Antithesenbau manifestiere,31 sei in allen Teilen von den untersuchten Predigten Leos nachzuweisen, obgleich das antithetische Isokolon, das oft in Verbindung mit Homoioteleuta und gleichen Klauseln auftrete besonders häufig bei der Darstellung des Mysteriums der Gottmenschheit Christi zur Anwendung komme.

3.2 Forschungsstand zum zentralen Kerygma Leos 3.2.1  Vom Kerygma zur Hermeneutik Basil Studer32 arbeitete als zentrales, kerygmatisches Anliegen Leos die Doppelkonsubstantialität heraus, nach der Christus an der göttlichen und der menschlichen Natur Anteil habe und daher consubstantialis Patri33 („gleich beschaffen wie der Vater“) und consubstantialis Matri34 („gleich beschaffen wie die Mutter“) sei.35 Dass Leo ohnehin weniger an spekulativer Theologie und philosophisch-theologischer Begriffsdefinition interessiert ist, verdeutlicht auch seine Schriftauslegung, die von der bei frühchristlichen Autoren häufig zu findenden

31 Vgl. ibid., 181. Im Hinblick auf Leos häufiger Nutzung der Antithese spricht Alois Grillmeier von einer Christologie der Mitte, die eine via media zwischen den Positionen von Antiochia und Alexandrien darstelle und übernimmt damit Leos eigene Darstellung sowie deren Wahrnehmung im Osten: vgl. idem, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. 2,1 Das Konzil von Chalcedon (451), Rezeption und Widerspruch (451 - 518). 2., verb. und erg. Aufl., Freiburg i. Br. u.a.: Herder, 1991, 734-750. Diesem Anliegen diene speziell die Antithese (vgl. ibid., 740): „Diese Theologie der zwei Naturen ist wie gemacht für seine Vorliebe für Antithesen und rhythmischen Parallelismus. In dem einen Satz spricht er die Eigenart des Göttlichen, in dem anderen das Wesen des Menschen aus. Wie ein Pendel schwingt der Rhythmus seiner Rede hin und her: von der göttlichen Seite auf die menschliche; aus der Transzendenz Gottes in die Immanenz unserer irdischen Geschichte. Letzteres ist zu beachten“. Armitage geht mit Meyendorff (vgl. idem, Christ in eastern Christian thought, 24-28) hingegen davon aus, dass Leo mit Prosper im Wesentlichen die Zurückweisung des homo assumptus-Modells erreichen wollte und nur aus der Sicht des Ostens eine via media wählte (vgl. Armitage J. Mark: A Twofold Solidarity: Leo the Great’s Theology of Redemption [= ECSt 9], Strathfield: St. Pauls, 2005, 7-10). 32 Vgl. Studer, Basil: Il concetto di “consostanziale” in Leone Magno, in: Aug. 13 (1973) 599-607. 33 Vgl. tract. 25,2 (CChr.SL 138 118,31-33): Dei filium ante saecula a Patre genitum, et Patri sempiterna et consubstantiali aequalitate coaeternum. 34 Vgl. tract. 30,6 (CChr.SL 138 158,142-145): Unigenitus Dei etiam hominis filius esse dignatus est, ut homousios Patri Deus, idem homo verus et secundum carnem matri consubstantialis existeret. 35 Zugleich weist Studer darauf hin, dass Leo diese Begriffe nicht prägte und bereits auf eine Tradition der lateinischen Christologie zurückgreifen konnte: vgl. idem, Il concetto di “consostanziale” in Leone Magno, in: Aug. 13 (1973) 599. Mit Grillmeier kann aber zumindest

Forschungsstand

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„two-nature exegesis“36 bestimmt ist. Maria-Barbara von Stritzky37 zeigte, dass Leo im Sinn einer altkirchlichen Exegese eine Brücke zwischen Hermeneutik und Schriftaktualisierung schlägt, um den Kriterien der regula fidei und der Erbauung der Adressaten gerecht zu werden. Leo konkretisiere die Christologie am biblischen Text näher, um die Voraussetzungen für ein christliches Leben aus soteriologischer Hinsicht verstehbarer zu machen.38 Für den Papst sei das Mysterium der Einheit der Person Jesu letztlich also nicht intellektuell erschöpfend zugänglich,39 sondern müsse in der Weggemeinschaft im Glauben angenommen werden. Indem die Glaubenden Christus als exemplum imitationis nachfolgen, aktualisieren sie ihrerseits nicht nur das Mysterium in der lebendigen Kirche, sondern begreifen auch die heilsgeschichtliche Wahrheit über Christus.40

3.2.2  Von der Hermeneutik zur Soteriologie J. Mark Armitage41 arbeitete die Verknüpfung von Hermeneutik und Soteriologie im Denken Leos noch deutlicher heraus. Er legte dar, dass die Lehre der

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auf die eigentümliche Prägung bei Leo hingewiesen werden (vgl. idem, Jesus der Christus, 747): „Doch hat er der schon bestehenden Überlieferung durch seinen Rhythmus und seine Vorliebe für antithetische Formulierungen seine besondere Eigenart aufgeprägt“. Einzig, was die Wirksamkeit Christi betreffe, sei Leo einen eigenen Weg gegangen: Er habe nicht nur das principium quod unterschieden, sondern denke weiter bis zum principium quo, also bis zur Zweiheit der Naturen. Daher gehe er von zwei Wirksamkeiten aus (activitates). Jede Natur wirke stets gemeinsam mit der anderen, jedoch das ihr Eigene. Strenge Cyrillianer wagten von der Zweiheit der Naturen nur extra Christum zu sprechen, also in Bezug auf die Effekte dieser Wirksamkeit, nämlich göttliche und menschliche. Leos Rede von den beiden Handlungsprinzipien (forma), die einer Vermischungschristologie entgegen wirken sollten, seien den Cyrillanern verdächtig erschienen. Dennoch ermögliche Leos Darstellung ein leichteres Verständnis. Leo hebe außerdem bereits die Zweiheit des Willens in der Person Christi hervor (vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 744-746). Vgl. Wiles, Maurice F.: The Spiritual Gospel. The Interpretation of the Fourth Gospel in the Early Church, Cambridge: Cambridge UP, 1960, 135. Stritzky, Maria-Barbara von: Schriftauslegung als Verkündigung. Phil. 2,6-7 in den Weihnachtspredigten Leos des Großen, in: RQ 97 (2002) 1-16. Vgl. ibid., 5-16. Vgl. tract. 30,4 (CChr.SL 138 155f, 89-92): Nativitas autem Domini nostri Iesu Christi omnem intellegentiam superat et cuncta exempla transcendit, nec potest ullis esse comparabilis, quae est inter omnia singularis. Vgl. Stritzky, Schriftauslegung als Verkündigung, in: RQ 97 (2002) 16. Vgl. Armitage, J. Mark: A Twofold Solidarity: Leo the Great’s Theology of Redemption (= ECSt 9), Strathfield: St. Pauls, 2005.

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Doppelkonsubstantialität als Voraussetzung für das soteriologische Konzept der pax christiana („auszudehnender Friede Christi“) und der salus imperii („Rettung des Imperiums“) zu verstehen sei. Leos erstes Anliegen sei der Schutz des Kerygmas von den beiden Naturen Jesu, das zeige, wer Christus sei und worin sein Sieg bestehe. Die menschliche Natur Jesu sei die Bedingung dafür, dass die Schrift und der Sieg Christi sich in der Gegenwart erfüllen, da die Fortsetzung des Sieges Christi im Leib der Kirche in Form der participatio („Teilhabe“) und der imitatio („Nachahmung“) der Barmherzigkeit geschehe. Nur die ‒ aus Leos Sicht ‒ orthodoxe Christologie anerkenne die Solidarität Christi mit den Menschen und besonders mit den Armen und ermöglichte so das auf die Almosen und damit auf die Gottes- und Nächstenliebe ausgerichtete, vernunftgemäße Fasten (rationabile ieiunium42). Diese Weggemeinschaft mit Christus garantiere den Frieden im inneren des Menschen sowie in der Gesellschaft, da mit dem Sieg über die geistigen letztlich auch die zeitlichen, das gegenwärtige Rom bedrohenden Feinde weichen müssten. Die dem Papst und dem Kaiser unterstellte Hauptstadt habe die heilsgeschichtliche Aufgabe, die christliche Lehre vom Irrtum zu befreien und das Licht des Evangeliums in die Welt zu verbreiten, um die Völker in das wahre Israel zu rufen.43 Diesen Zusammenhang von Erlösung und Bekenntnis zeigte auch Torsten Krannich44 in seiner Studie zur Entwicklung der lateinischen Christologie auf. Laurent Pidolle45 hob die zentrale Bedeutung von 1 Tim 3,16 und Phil 2,6-11 für die Entwicklung von Leos Christologie hervor, während er Mt 5,17 als Schlüssel des biblisch-historischen Aspekts der Christologie und Joh 12,32 als deren Höhepunkt auswies.46 Wie der zunächst in die Welt eingetretene und schließlich erhöhte Christus die Geschichte an sich ziehe, so auch die nun eindeutig

4 2 Vgl. tract. 44,2 (CChr.SL 138A 260,51): Rationabilibus autem sanctisque ieieuniis. 43 Vgl. Armitage, A Twofold Solidarity, 185: „this vast eschatological process is orchestrated from Rome, the spiritual centre of the Roman empire out of which flows the pax christiana“. 44 Vgl. Krannich, Torsten: Von Leporius bis zu Leo dem Großen, 2005. 45 Vgl. Pidolle, Laurent: La christologie historique du pape saint Léon le Grand, Paris: Éditions du Cerf, 2013. Verfasst wurde die Arbeit als Dissertation in Rom im Jahr 2008 unter dem Titel „Le Mystère du Christ, Fils de Dieu et Fils de David, Lumière des Nations et Gloire d’Israël dans les sermons de saint Lèon le Grand. Une étude de christologie historique“. 46 Vgl. Pidolle, La christologie historique, 324: „Jn 12,32 est comme le point d’orgue de la christologie historique de Léon“. Vgl. 1 Tim 3,16: et manifeste magnum est pietatis sacramentum, quod manifestatum est in carne, iustificatum est in spiritu, apparuit angelis, praedicatum est gentibus, creditum est in mundo, adsumptum est in gloria. Bei der Deutung von 1 Tim 3,16 konnte Leo auf Hilarius zurückgreifen (vgl. ibid., 82). Phil

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verstehbaren Vor-Bilder des AT (z. B. Melchisedek, vgl. Hebr 7) und die Menschen.47 Als Teil der Geschichte tragen die Menschen zur Inkorporation derselben in Christus bei, durch die zugrundeliegende Struktur von sacramentum und exemplum im Glauben, in der Taufe und in der Eucharistie.48 Gemäß dieser „Theologie der Erfüllung“ führe der Durchgang durch Christus zur eigentlichen Transformation der Geschichte.49 Die sakramentale Anteilnahme an Christus sei aber auch die hermeneutische Bedingung für das das gläubige Verstehen dieser Zusammenhänge,50 da dann der Schleier vom Herzen genommen werde und das Licht der Erkenntnis ans Ziel gelange.51 Allein die Glaubenden haben Zugang zu den zentralen Wahrheiten in den Quellen der Schrift und der sich in Christus erfüllenden, dynamischen Geschichte der Verheißung bzw. der sich in den konkreten Gegebenheiten der Gegenwart spezifisch lichtenden Offenbarung.52 Als hermeneutisches Prinzip könne daher die auch von Augustinus als Teil der

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2,6-11 entspricht dem sogenannten Philipper-Hymnus. Pidolle zeigt, dass lateinische und griechische Autoren vor Leo bereits eine entsprechende Deutung von Phil 2 vornahmen (vgl. ibid., 34-40; 88-97). Mt 5,17: nolite putare quoniam veni solvere legem aut prophetas; non veni solvere, sed adimplere. Joh 12,32: et ego si exaltatus fuero a terra, omnia traham ad me ipsum. Vgl. ibid., 197f; 316f. Vgl. ibid., 319. Charles Anang erläuterte Leos Exegese ebenfalls als eine in der Passion gipfelnde Theologie. Im johannäischen Motiv „ich werde alle an mich ziehen“ (Joh 12,32) sowie im paulinischen „Leben in Christus“ (z. B. Röm 6,5-14) werde deutlich, dass die Geschichte in Gott hineingezogen werde. Daher wirke das Mysterium Christi in der Gegenwart durch die Kategorien sacramentum und exemplum, vor allem in der Taufe und der Eucharistie, aber auch in allen anderen liturgisch begangenen und im Alltag umzusetzenden Facetten des Lebens Jesu, die sich in der Passion zu einem Ganzen fügen. Diese Transformation könne als soteriologische Indienstnahme der Schöpfung durch Gott charakterisiert werden: Die Christen folgen im Glauben Christus nach und bereiten sich auf das Leiden vor. So setze Christus seine priesterliche Mittlerschaft in den Gläubigen fort. Auf die Parallelen zum theozentrischen und am Kult orientierten Hebräerbrief weist Anang immer wieder hin, sodass dieser Brief auch als wichtiger Bezugspunkt zum Verständnis von Leos Theologie zu beachten ist: vgl. idem, The Theology of the Passion of Christ in the Sermons of Saint Leo the Great, Dissertation, Rom 1999. Vgl. Pidolle, La christologie historique, 104; 162f. Vgl. ibid., 320. Vgl. ibid., 222. Vgl. ibid., 238; 335 Anm. 2: Eine historische (Schrift-)Auslegung des Wirkens des Erlösers, das im AT als Schatten (obumbratae significationes) voraus-gebildet und in der sakramentalen, christlichen Feier verwirklich sei, findet sich bei Leo in tract. 59,7 (CChr.SL 138A 357,161-358,178).

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regula fidei eingenommene Perspektive auf die forma servi bzw. auf die forma Dei der Person Christi gelten.53 Demnach werde eigentlich nicht die Schrift im exegetischen Sinn erklärt, sondern alles durch die sakramentale Zeichen enthaltende Schrift beleuchtet,54 die die Realität des Christusmysteriums in der Kirche der Gegenwart bezeichne und auf deren Fülle verweise. Leos „Christologie der Geschichte“ sei insofern vom historischen Kontext des 5.Jh. geprägt55 und gleichzeitig der Hintergrund für deren ontologische Bestimmung auf dem Konzil von Chalcedon, sodass sie als Ermutigung zu einer Theologie der Geschichte gewertet werden könne,56 die den historischen Jesus nicht von dem Christus des Glaubens trenne.57

3.2.3  Von der Soteriologie zur christlichen Transformation Roms Während Bernard Green58 auf Basis der Datierungen von Chavasse die Entwicklung der Christologie in Leos frühen Predigten nachzeichnet59 und dabei auch die oben ausgeführten Überlegungen von Armitage zur christlichen Transformation

5 3 Vgl. ibid., 94. 54 Vgl. ibid., 331; 335. Pidolle zitiert de Lubac, L’Écriture dans la tradition, 67. 55 Vgl. ibid., 328f. Dabei sei besonders die Reflexion der jüdischen Wurzeln, der israelitica dignitas, zu nennen, durch die er gegenüber kritischen Heiden, Juden oder anderen Lehren (Manichäer) betone, dass die Geschichte und der Glaube Israels nicht abgeschafft oder nichtig, sondern in das magnum pietatis sacramentum der Erfüllung (Inkarnation, Passion, Erhöhung) integriert sei. 56 Vgl. ibid., 345. 57 Vgl. ibid., 317; 343; 345. Vgl. tract. 74,2 (CChr.SL 138A 457,42f): Quod itaque Redemptoris nostri conspicuum fuit, in sacramenta transivit. 58 Vgl. Green, Bernard: The Soteriology of Leo the Great (= OTM), Oxford: Oxford UP, 2008. 59 Leo habe zunächst infolge des Eindrucks des pelagianischen Streites die Gottheit Christi stärker betont und habe sich aber schon bald durch die anwachsende Präsenz von Manichäern mit der Notwendigkeit konfrontiert gesehen, die menschliche Natur Christi zu verteidigen. Mittels des augustinischen Konzepts des mediator Dei und der persona verlor er jedoch nie die Einheit Christi aus dem Blick (vgl. ibid., 178; 187; 248-253).

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des Imperium Romanum aufgreift,60 konzentriert Susan Wessel61 sich stärker auf die konkreten Auswirkungen von Leos Christologie auf das Verständnis der Rom-Idee und der praktischen Kirchenpolitik auf. Unter den Vorzeichen des bedrohlichen Vordringens der Barbaren verbinde Leo Rom mit einem Konzept von der civitas Dei, das einen besonderen Auftrag für die Gegenwart beinhalte. Im Hinblick auf Leos Soteriologie sei der auf die Nachfolge in der Barmherzigkeit und Fürsorge für die Armen ausgerichtete Fokus auf die menschliche Natur Christi kaum einmal vor ihm so klar zu Tage gekommen. Leos Bestrebungen, diese lateinische Christologie durchzusetzen seien außerdem aufs engste mit seinem kirchenpolitischen Handeln verbunden. Als markante Wegmarken seien dabei die Anerkennung seiner Autorität im Westen, sein kontinuierlicher Einsatz um ein neues Konzil nach der sogenannten Räubersynode und seine Ablehnung des Kanon 28 des Konzils von Chalcedon zu nennen, der den Ehrenvorrang Roms vor Konstantinopel abschaffen sollte. In Zeiten der Instabilität vermittelte Leos Soteriologie auf diese Weise eine neue Vision für Rom.62

60 In seiner Überzeugung des universalen Heilswillen Gottes habe Leo wenig auf die asketischen Trennung von der Welt und einem exklusiven Kreis von Auserwählten gehalten, sondern habe sich vielmehr als das predigende Oberhaupt der Stadt Rom verstanden, aber auch der ganzen Kirche: „he offered a Christianity for everyman, a faith that did not subvert the traditional bonds of society and scarcely challenged its mores or values, but rather baptised old-fashioned civic virtue and offered a new way of understanding what it was to be a good Roman“ (ibid., 249). Vgl. Greschat, Neues zu Leo dem Großen, in: ThR 75 (2010) 475f. Leos Verhältnis des Klerus zu den Armen mag seine Entrüstung über die Ordination eines Sklaven beschreiben: vgl. ep. 4,1 (PL 54 611A): sacrum ministerium talis consortii vilitate polluitur. Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 84. 61 Vgl. Wessel, Susan: Leo the Great and the Spiritual Rebuilding of a Universal Rome (= SVigChr 9\f “MAutoren” 3) Leiden / Boston: Brill 2008. Zur Bedeutung der Predigt in diesem Transformationsprozess vgl. Harrison, Carol: The Typology of Listening: The Transformation of Scripture in Early Christian Preaching, in: Delivering the Word. Preaching and Exegesis in the Western Christian Tradition (= Bible World), hg. v. William John Lyons / Isabella Sandwell, Sheffild / Bristol: Equinox, 2012, 62-79. 62 Vgl. ibid., 248: „Leo’s call to imitate Christ was a profound affirmation of humanity and the human condition at a time of political instability“.

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Almosen als Parameter der Transformation des städtischen Zusammenlebens Im Gefolge von Peter Brown stellte Robert Markus63 fest, dass die augustinische Alternative zum verabsolutierten, asketischen Modell des Christentums mit dem Tod des Bischofs von Hippo aus der Großkirche nach und nach verschwinde. Leos päpstlichen Maßnahmen und die repressiven Maßnahmen des Staates wirkten darauf hin, dass die „trichotomy…‒ of Christian (or sacred), secular (neutral, civic), pagan (profane) ‒ vanished to be replaced by a simpler dichotomy: sacred and profane, or simply, ‘Christian’ and ‘pagan’“64. Mit Évelyne Patlagean65 ging Markus außerdem davon aus, dass Leo mit seinen Predigten die Ablösung des antiken Modells der munificentia („Mildtätigkeit zum Wohlergehen des Volkes“) durch die öffentliche und anonyme Form der Gabe von Almosen beförderte und dadurch die Trennung zwischen Bürger und Nicht-Bürger zugunsten der Unterscheidung Arm und Reich aufhob: „Here is one facet of Leo’s programme of turning Rome into a new and radically Christian civic community. His determined effort to rid Rome of Manichees and other heretics also, perhaps formed part of a programme of establishing the City as a theopolis“66.

Einen solchen Wandel unterstreicht auch Neil Bronwen.67 Sie sieht jedoch in der Annahme einer sozialen und wirtschaftlichen Verbesserung der Lage der Armen einen Trugschluss. Die Althistorikerin betrachtet die reine absichtslose Gabe der Almosen im Anschluss an Jaques Derrida68 aus philosophischer Sicht als prinzipiell fast unmöglich und sieht im römischen Patronatswesen eine Option, die diesem Umstand gerecht zu werden versuchte. Da ein solches soziales Netzwerk der menschlichen Logik des Austausches entsprochen habe, habe man zugleich ein Band entwickelt, dass die Gesellschaft zusammenhielt. Als die Armen unter

63 Vgl. Markus, Robert A.: Between Marrou and Brown. Transformations of Late Antique Christianity, in: Transformations of Late Antiquity. Essays for Peter Brown, hg. v. Philipp Rousseau and Manolis Papoutsakis, Cornwall: Ashgate, 2009, 1-13. 64 Ibid., 134. 65 Vgl. Patlagean, Évelyne: Pauvreté économique et pauvreté sociale à Byzance. 4e-7e siècles, Paris: Mouton 1977. 66 Vgl. Markus, Robert A.:  The End of Ancient Christianity, Reprint, Cambridge u.a.:  Cambridge UP, 1993, 127. Der Begriff theopolis wurde von Claude Lepelley geprägt: vgl. idem, León le Grand et la cité romaine, in: RevSR 35 (1962) 137. 67 Vgl. Bronwen, Neil: Models of gift giving in the preaching of Leo the Great, in: JECS 18 (2010) 225-259. 68 Vgl. Derrida, Jacques: Given Time 1. Counterfeit Money, trans. Peggy Kamuf, Chicago: Chicago UP, 72009.

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anderem durch die Predigten der Bischöfe immer mehr als einheitliche Masse ins Bewusstsein traten, der jeglicher Rechtsstatus fehlte, zumal sie praktisch keine Gegenleistung z. B. im Sinne einer öffentlichen Ehrung erbringen konnten, habe Leo aufgrund der allzu stark verankerten Tradition des Patronatswesens ein entsprechendes Äquivalent formulieren müssen, wobei christliche Bischöfe bei den Almosen auf jüdische sowie stoische Modelle zurückgreifen konnten.69 So habe Leo Gott als den eigentlichen Patron vorgestellt, der zugleich der Klient der Reichen werden solle. Einerseits schulde man ihm evangeliumsgemäß in den Armen die Zuwendung und andererseits gelte es, ihm die AlmosenSpenden zu leihen, um im Austausch dafür den Lohn der ewigen Glückseligkeit zu erhalten.70 Dazu sollte auch das von den Armen einzig geforderte Gebet für deren Wohltäter beitragen. In der Akzeptanz des Selbstinteresses der Reichen sei man der moralischen Bedingtheit des Menschen entgegengekommen, sodass die Almosen-Bezieher und ihre Personenwürde umso mehr zugunsten des Seelenheils der Spender aus aus dem Blickfeld geraten seien. Die Beziehung zwischen Spender und Empfänger sei aber nicht nur durch Gott, sondern auch durch dessen Vertreter, den Bischof erweitert worden, der die Almosen in der Regel einsammeln ließ, um sie durch Diakone anonym an die Bedürftigen weiter zu verteilen. Durch diese Adaptierung habe Leo die Beibehaltung des Status quo der sozialen Schichten Roms unterstützt und zugleich ein unmögliches Ideal der Gerechtigkeit für die Armen gepredigt.

69 Bronwen charakterisiert die jüdischen Almosen als anonyme, indirekte Gabe, die an keine Bedingungen geknüpft wurde (indiscriminate), da die Armen die Gerechtigkeit schlicht verdienten. Die Armen erhielten somit einen gewissen Rechtsstatus, der ihrer Würde gerecht werden sollte. In der stoischen Philosophie basierte das Almosenwesen auf dem Grundsatz der gleichen Natur aller Menschen (vgl. Bronwen, Models of Gift Giving, in: JECS 18 [2010] 231f; 245). 70 Vgl. Armitage, A Twofold Solidarity, 178-81.

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Zusammenfassend stellt Bronwen fest, dass es einem Armen zu diesen christlichen Zeiten aus genannten Gründen womöglich sogar schlechter und nur in speziellen Fällen besser ergangen sei, sofern man etwa auf entsprechenden Armen-Listen eingetragen oder in das Gefolge von reichen Asketen aufgenommen wurde, die freiwillig ein bedürfnisloses Leben suchten.

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3.3 Forschungsstand zum liturgiehistorischen Rahmen der Quadragesima-Predigten 3.3.1  Die Quadragesima in Rom zur Zeit Leos des Großen Liegt die Herkunft der Quadragesima nach Hansjörg Auf der Maur und Harald Buchinger letztlich „im Dunkeln“71, so kann für Rom zur Zeit Leos bereits ein deutlicher Rahmen für diese liturgische Zeit erfasst werden. Nach Winfried Böhne72 zeichnen die verwertbaren Angaben Leos folgendes Bild: Die Quadragesima beginne mit dem Sonntag sechs Wochen vor Ostern und zähle 40 Tage.73 Das Vorbild des vierzigtägigen Fastens Jesu habe dabei lediglich symbolischen Charakter, da für Rom anzunehmen sei, dass jedenfalls an Sonntagen nicht gefastet wurde. Mit dem Donnerstag vor Ostern, an dem auch die Versöhnungsfeier für

71 Buchinger, Harald: On the Early History of Quadragesima: A New Look at an Old Problem and some Proposed Solutions, in: Liturgies in East and West. Ecumenical Relevance of Early Liturgical Development. Acts of the International Symposium Vindobonense I, Vienna, November 17-20, 2007, hg. v. Hans-Jürgen Feulner (=  ÖSLS 6), Wien: LIT, 2013, 99-117, repr. StLi 43 (2013) 321-341. Buchinger bezieht sich bei dieser Formulierung auf das Standardwerk von Auf der Maur (vgl. idem: Feiern im Rhythmus der Zeit I. Herrenfeste in Woche und Jahr [= GDK 5], Regensburg: Pustet, 1983, 145) und stellt jene beiden Rekonstruktionsmodelle der Quadragesima plausibel in Frage, die einerseits von einer kontinuierlichen Ausdehnung der Passionswoche auf eine österliche Fastenzeit ausgehen und andererseits die Ursprünge im alexandrinischen, postbaptismalen Fasten nach Epiphanie vermuten. Dieses vierzigtägige Fasten sei bereits von dem jesuanischen Vorbild Mt 4,1-11 abgeleitet und schließlich gemeinsam mit dem Tauftermin verschoben worden, sodass es zu einem quadragesimalen Fasten geworden sei. Beide Modelle sollten den unterschiedlichen Phänomenen des Passionsfastens, einer (möglichen dreiwöchigen,) präbaptismalen Vorbereitung (wie sie eventuell Sokrates um 439 für Rom bezeugen will) und der Quadragesima Rechnung tragen. Ein wichtiges Argument für eine von beiden Erklärungsversuchen unabhängige Entwicklung dieser 40 Tage stelle nach Buchinger deren biblische Begründung und Erläuterung dar. Maßgebend sind dabei allerdings zunächst nicht die Ereignisse von Mt 4,1-11, sondern alttestamentliche Motive. Bezüglich den historischen Ursprüngen der Quadragesima könne nur festgehalten werden, dass ihre Existenz für Palästina ab 325-337, für Alexandria ab 334 und für Rom wohl schon vor 340 festzumachen sei. 72 Vgl. Böhne, Winfried: Beginn und Dauer der römischen Fastenzeit im sechsten Jahrhundert, in: ZKG 77 (1966) 224-237. 73 Aufgrund der Quellenlage findet auch Buchinger eine vierzigtägige Quadragesima unter Leo überzeugend: vgl. idem, On the Early History of Quadragesima, in: StLi 43 (2013) 335.

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öffentliche Büßer stattfand,74 endete die Quadragesima.75 Auf die 40 Tage folgten noch zwei Tage Paschafasten, bevor in der Nacht von Samstag auf Sonntag die österliche Vigil gefeiert wurde.76 Für den Sonntag ist bei Leo keine von dieser Vigil unabhängige Feier bezeugt.77 Die in Leos Predigten erwähnten Wochentage in der Quadragesima Über die konkrete, liturgische Prägung der Wochentage und die entsprechende Qualität des Fastens gibt es keine hinreichenden Hinweise bei Leo.78 Lediglich in 74 Vgl. Innocentius I, ep. 25 (BRHE 58 28,113-116): De paenitentibus autem…quinta feria ante Pascha eis remittendum Romnae ecclesiae consuetudo demonstrat. Vgl. Buchinger, Harald: Biduum senza celebrazione di sacramenti: Innocenzo I e lo sviluppo della liturgia pasquale, in: La decretale di Papa Innocenzo I al vescovo di Gubbio Decennio. Atti del Convegno internazionale Roma, 18 maro 2016 (= StAns 174), hg. v. Matteo Monfrinotti, Rom: S. Anselmo / Eos, 2017, 104; Maxwell, Art. Lent, in: The New SCM Dictionary of Liturgy and Worship (2002) 278. Vgl. Liber Sacramentorum, hg. v. Mohlberg, 56 [352]-57 [359]. 75 Vgl. Böhne, Beginn und Dauer, in: ZKG 77 (1966) 228. Der Abschluss der Quadragesima mit dem Donnerstag vor Ostern ist zumindest für die Frühzeit in Rom wahrscheinlich. Bei Ambrosius und Augustinus schloss die Quadragesima erst mit der Osternacht. Vgl. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit I, 146. Auch Egeria inkludiert die Passionswoche in die Quadragesima. Vgl. Auf der Maur, Hansjörg: Die Osterfeier in der Alten Kirche (= LOen 2), Aus dem Nachlaß hg. v. Reinhard Meßner / Wolgang G. Schöpf. Mit einem Beitrag von Clemens Leonhard, Münster: LIT, 2003, 166. 76 Die bis in den Sonntag reichende Vollvigil ergab sich in Rom wohl durch die Ausdehnung des Fastens auf den Sonntagmorgen in Folge der Durchsetzung des gegenüber dem Modus der Quartodezimaner als sekundär einzustufenden Sonntags als feststehender Ostertermin. Vgl. Buchinger, Harald: Liturgiegeschichte im Umbruch – Fallbeispiele aus der Alten Kirche, in: Dynamik und Diversität des Gottesdienstes. Liturgiegeschichte in neuem Licht (= QD 289), hg. v. Albert Gerhards und Benedikt Kranemann, Freiburg i. Br. u.a.: Herder, 2018, 166f. Dahingegen wurde klassisch angenommen, dass die Vigil eine Vorverlegung der sonntäglichen Feier sei: vgl. Jungmann, Josef Andreas: Die Vorverlegung der Ostervigil seit dem christlichen Altertum, in: LJ 1 (1951) 48-54. Vgl. die Rekonstruktion von Chavasse: idem: La structure du carême et les lectures des messes qudragésimales dans la liturgie romaine, in: MD 31 (1952) 76-119. Vgl. Auf der Maur, Die Osterfeier der Alten Kirche, 95f. 77 Gregor der Große ist wohl der erste Zeuge für eine von der österlichen Vigil unabhängige liturgische Feier am Sonntag von Ostern. Vgl. Buchinger, Gregor der Große und die abendländische Liturgiegeschichte: Schlüssel- oder Identifikationsfigur?, in: Psallite sapienter. Festschrift zum 80. Geburtstag von Georg Béres, Budapest: Szent István Társulat, 2008, 132; idem, Biduum senza celebrazione di sacramenti, 108. 78 Vgl. De Soos, Chavasse, Auf der Maur, Pratesi und Merkt gehen davon aus, dass an Mittwochen und Freitagen in der Quadragesima keine Eucharistie gefeiert wurde,

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der Quadragesima-Predigt tract. 4279 findet sich ein Passus, nach dem nicht nur der traditionelle Mittwoch und Freitag Fasttage seien, sondern auch der Montag.80 Diese Angabe bezieht sich nach Jungmann aber aus zwei Gründen nur auf die erste Woche der Quadragesima:81 Sie ist erstens analog zu den anderen

sondern eine Liturgie des Wortes und der Gebete. Vgl. Chavasse, La structure du carême, 85; De Soos, Le mystère Liturgique, 42; Pratesi, Introduzione, 26f. Auf der Maur referiert nach Chavasse, dass Innozenz I. in seinem Brief an Decentius berichte, dass in Rom die Ferialoffizien vom Mittwoch und Freitag ohne Eucharistiefeier gewesen seien. Innozenz erwähnt in diesem Brief zwar den Freitag, jedoch nicht den Mittwoch: vgl. ep. 25,66-91 (BRHE 58 24-26). Vgl. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit I, 148. Merkt bezieht sich ebenfalls auf Chavasse: Merkt, Andreas: Maximus I. von Turin. Die Verkündigung eines Bischofs der frühen Reichskirche im zeitgeschichtlichen, gesellschaftlichen und liturgischen Kontext, Leiden u.a.: Brill, 1997, 161 Anm.103. Vgl. Chavasse, Antoine: La préparation de la Pâque, à Rome, avant le Ve siècle. Jeúne et organisation liturgique, in: Mémorial J. Chaine (= BFCTL 5), Lyon: Mappus, 1950, 61-80. Die auf Chavasse beruhende Annahme, dass am Mittwoch und Freitag keine Eucharistie gefeiert wurde, kann somit allein auf der Tradition beruhen, dass der Eucharistieempfang als Fastenbrechen interpretiert wurde. Ein zumindest eingefordertes Fasten vor dem Eucharistieempfang ist zu Leos Zeiten wohl etabliert (vgl. Arbesmann, Art. Fasten, in: RAC 7 [1969] 482f). Schon Egeria berichtet, dass die Hebdomadare, die das Wochenfasten einhielten, ihr Fasten brachen, indem sie am Samstag kommunizierten: vgl. Itin. 27,9-28,2 (FC 20 250,1-21). 79 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 250,254α-258α): Secunda igitur et quarta et sexta feria ieiunemus, sabbato vero apud beatum Petrum apostolum vigilias celebremus. 8 0 Aufgrund des Zusatzes et tertia in den Handschriften K L O St von tract. 42 (vgl. 42,6 [CChr.SL 138A 250,254f]) zieht Pratesi auch den Dienstag als Fasttag in Betracht: vgl. idem, Introduzione, 26 Anm. 72. Jedenfalls sei die Streichung von Chavasse textkritisch nicht nachvollziehbar. Chavasse habe mit der liturgiehistorischen Beobachtung argumentiert, dass der Dienstag frühestens im 6. Jh. als Fasttag hinzugekommen sei, sodass der Zusatz et tertia aus dieser Zeit stammen müsse. Da der unter Gregor II (715-731) hinzugefügte Donnerstag im entsprechenden Passus nicht ergänzt worden sei, müsse der Eingriff in den Text vor dieser Zeit geschehen sein: vgl. idem, Les féries de câreme, 555-557. Pratesi hält jedoch auch dieses liturgiehistorische Konzept für zweifelhaft: vgl. idem, Commento, 312. Vgl. Feichtinger, Hans: Die Gegenwart Christi in der Kirche bei Leo dem Großen (= Pat. 18), Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, 2007, 165 Anm. 3. 81 Vgl. Jungmann, Josef Andreas: Die Quadragesima in den Forschungen von Antoine Chavasse, in: ALW 5 (1957) 87f. Chavasse hingegen hatte von Leos Angabe auf einen allgemeinen Fasttag am Montag während der ganzen Quadragesima geschlossen: vgl. idem, Les féries de carême, 557; idem, La structure du carême, in: MD 31 (1952) 76-119.

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Ankündigungen der Quatember formuliert,82 wobei die hier angekündigte Quatember eben mit der ersten Woche der Quadragesima zusammenfiel.83 Zweitens habe an jenem Montag die Zeit für die Büßer begonnen.84 Die im zitierten Passus von tract. 42 ebenfalls erwähnte, in St. Peter abgehaltene Vigil am Samstag könnte gemäß der frühesten Belege85 mit der Feier der Ordinationen identisch sein. Da dabei die Verlesung des Evangeliums von der Verklärung des Herrn (Mt 17,1-9) vorgesehen war, ist die Annahme, dass Leos Predigt zu dieser Bibelstelle (tract. 51) in dieser Vigil gehalten worden sei,86 nicht unbegründet. In tract. 51 findet sich jedoch kein Anhaltspunkt für eine solche Zuordnung.87 In die Zeit der Quadragesima fallen ebenso einige Passionspredigten, nämlich jene, die am Sonntag vor Ostern gehalten88 und am darauffolgenden Mittwoch fortgesetzt wurden.89 Nicht zuletzt aufgrund dieses Befundes wird man davon ausgehen müssen, dass Leo nicht nur zur Eröffnung der Quadragesima 82 Papst Leo hatte die Einrichtung des Quatemberfastens (Osterfasten, Pfingst-, September- und Dezemberfasten), das durch Fasten am Mittwoch und Freitag und durch eine Vigil am Samstag stattfand, wohl bereits vorgefunden: (vgl. Arbesmann, Art. Fasttage, in: RAC 7 [1969] 520f). Genauere Ausführungen dazu finden sich unter Analyse von tract. 42. Literarische Form. 83 Vgl. Arbesmann, Art. Fasttage, in: RAC 7 (1969) 520f. 84 Jungmann verweist auf eine Stelle des Briefes von Innozenz I. an Decentius, an der aber lediglich die Versöhnung am Donnerstag vor dem Pascha-Sonntag erwähnt wird: vgl. ep. 25 (BRHE 58 28,113-116). Vgl. idem, Die Quadragesima in den Forschungen von Antoine Chavasse, in: ALW 5 (1957) 88. Vgl. auch die Darstellung von Auf der Maur, nach der Chavasse von liturgischen Feiern am Mittwoch und Freitag sowie von Eucharistiefeiern an Sonntagen ausgeht: idem, Feiern im Rhythmus der Zeit I, 148. 85 Vgl. Chavasse, Antoine: Les Lectionnaires Romains de la Messe au VIIe et au VIIIe siècle. Sources et Dérivés, 2. Teil, Synoptique Général Tableaux complémentaires, Freiburg: Éditions Universitaires, 1993, 28. 86 Vgl. Chavasse, La structure du carême, in: MD 31 (1952) 99. Vgl. Jounel, Pierre: The Easter Cycle, in: The church at prayer. An Introduction to Liturgy. 4. Band, The Liturgy and Time, hg. v. Aimé Georges Martimort u.a., übers. v. Matthew J. O´Connell, Collegevillel, Minn.: Liturgical Press, 1986, 68; Pratesi, Introduzione, 27. 87 Chavasse kann daher das Datum des Samstags der ersten Woche auch nur hypothetisch erschließen. Das angegebene Jahr 445 versieht er selbst mit einem Fragezeichen, da er lediglich schwache Argumente (inhaltliche, den Apostel Petrus betreffende Parallelen zu tract. 83, 73, 3 und 60) anführen kann: vgl. idem, CChr.SL 138, CLXXVIIII; CLXXXIf. 88 Vgl. tract. 52; 54; 57; 58; 60; 62; 64; 67. 89 Vgl. tract. 53; 55; 56; 59; 61; 63; 65; 68. Aufgrund der offensichtlich noch fehlenden Ausprägung einer mimetischen Feier der Passion nach Jerusalemer Vorbild und Leos theologisch tiefgehender Ausführungen muss bei den Predigten 70, 71 und 72 offen bleiben, ob sie am Freitag vor Ostern oder in der Ostervigil gehalten wurden (vgl.

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predigte.90 Olivar hält die Anzahl der ca. 100 überlieferten Predigten Leos für ein Pontifikat von 21 Jahren insgesamt für viel zu gering.91 Dass Leo seine Predigten unter gewissen (wohl vor allem dogmatischen92) Gesichtspunkten für seine Sammlung auswählte und aus verschiedenen Gründen auch nicht alle Quadragesima-Predigten überliefert wurden, scheint jedenfalls sehr wahrscheinlich zu sein.

3.3.2  Der liturgische Rahmen der konkreten Quadragesima-Predigten Wie bereits oben angedeutet werden Leos zwölf Quadragesima-Predigten gemäß der Datierung von Chavasse in der Regel auf die Eröffnung der Quadragesima, also auf den ersten Sonntag datiert.93 Zugleich gelten diese Predigten als erste Zeugen Buchinger, Biduum senza celebrazione di sacramenti, 104; 107f). Chavasse ordnete tract. 71 der Vigil und 70, 72 dem Freitag zu: vgl. idem, CChr.SL 138, CLXXXVIIIf. 90 Vgl. Hughes Oliphant Old geht von einer historischen Entwicklung der Predigthäufigkeit in der Quadragesima aus und schloss von Leos erhaltenen zwölf Predigten zur Eröffnung der Quadragesima darauf, dass Leo in der österlichen Fastenzeit nur einmal über die Einhaltung dieser Fastenzeit predigte: vgl. idem, The Reading and Preaching of the Scriptures in the Worship of the Christian Church. 2. Band, The Patristic Age, Michigan u.a.: Eerdemans, 1998, 411. Vgl. Böhne, Beginn und Dauer, in: ZKG 77 (1966) 227; Arbesmann, Art. Fasttage, in: RAC 7 (1969) 517: „Die Quadragesima war zugleich auch die beliebteste Predigtzeit“. Feichtinger spricht von einer intensiven Predigttätigkeit Leos in der Passionszeit: vgl. idem, Die Gegenwart Christi, 167. 91 Vgl. Olivar, Alejandro:  La predicación cristiana antigua (= BHer.TF 189), Barcelona: Herder, 1991, 316: „Casi un centenar de sermones para un pontificado de veintiún años, ya que León murió en 461, no son muchos sermones“. 92 Vgl. Studer, Art. Leo I., in: TRE 20 (1990) 741. 93 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138A, 209-294; idem, CChr.SL 138. Vgl. Old, The Reading and Preaching of the Scriptures, 414. Old schließt aus dieser Datierung auf die besonders hohe Bedeutung dieses Festes: vgl. ibid., 405: „There are twelve sermons for the beginning of Lent. Leo obviously considered the beginning of the forty-day fast a major solemnity, among the highest, in fact, of the high holy days“. Pratesi ist sich der Problematik der Datierungen von Chavasse bewusst, zweifelt aber nicht an der Datierung der Quadragesima-Predigten auf den ersten Sonntag: vgl. idem, Introduzione, 26. Vgl. Montanari, Elio: Nota sulla storia del testo dei sermoni, in: I sermoni di Leone Magno (= BPat 30, Leone Magno. Sermoni. 1. Band, Introduzione), hg. v. Mario Naldini, Fiesole (Fl): Nardini, 1997, 171-214. Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 165. Zu einer anderen Datierung gelangte, soweit ich sehen konnte, einzig Neuhold, der lediglich sechs Predigten (tract. 39-43 und 50) auf den ersten Sonntag in der Quadragesima datierte, während die anderen im Verlauf der Quadragesima, speziell tract. 45 und 47, aufgrund des inhaltlichen Motivs der „Nägel der Enthaltsamkeit“ (45,4 [CChr.SL 138A 267,99]; 47,1 [CChr.SL 138A 275,36]) wohl in der Nähe von Ostern gehalten worden seien: vgl. idem, Leo der Große als Prediger, 54f.

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für die in der Liturgie des ersten Sonntags der Quadragesima verwendeten Lesungen 2 Kor 6,1-10 und Mt 4,1-11,94 ohne dass die textimmanenten Belege für alle zwölf Predigten ausgewiesen worden wären. Datiert man die Predigten auf den Sonntag, ist eine mit diesen Lesungen verbundene Eucharistiefeier wahrscheinlich.95 Als liturgischen Versammlungsort gibt Chavasse die Lateranbasilika an, da dieser Anlass seit Papst Anastasius (399-401) 94 Vgl. Chavasse, La structure du carême, in: MD 31 (1952) 99. Vgl. Böhne, Beginn und Dauer, in: ZKG 77 (1966) 227; Pratesi, Introduzione, 26. Die Lesung Mt 4,1-10/11 fand sich aber wohl auch bereits in den Lektionaren von Ambrosius, Maximus von Turin, und Petrus Chrysologus: Zu Maximus vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 161. In der Anm. 100 gibt Merkt an, dass alle Eröffnungspredigten sich auf Mt 4,2 beziehen: serm. 35,4 (CChr.SL 23 138,99-139,102), 50,1 (CChr.SL 23 197,11-14) und 67,1 (CChr.SL 23 280,5-7). Zu Mailand vgl. Paredi, Angelo: La liturgia di San Ambrogio, in: Sant’ Ambrogio nel XVI centenario della nascita (= PUCSC.S 5,18), Maioland: Universita cattolica del S. Cuore, 1940, 69-157, 130 Anm. 1, zu Ravenna vgl. Sottocornola, Franco: L’ann \f “MAutoren” o liturgico nei sermoni di Pietro Crisologo. Ricerca storico – critica sulla liturgia di Ravenna antica (= StRav 1), Cesena: Centro Studi e Ricerche sulla Antica Provincia Ecclesiastica Ravennate, 1973, 200. 95 Darauf lässt sich durch ep. 9,2 (PL 54 626C,1-627B,12) schließen. In diesem Brief aus dem Jahre 445 versucht Leo dem Nachfolger von Cyrill von Alexandrien, Dioskuros, durch Possidonius die römische Praxis der wiederholten Eucharistiefeier nahezubringen, damit das ganze Volk teilnehmen könne, wenn die Kirche an einem höheren Fest (vgl. ep. 9,2 [PL 54 626C,4f]: sollemnior festivitas) zu wenig Platz biete. Den Umstand, dass Leo die Eucharistiefeier kaum explizit benennt, greift De Soos aber zu pauschal als argumentum ex silentio für die allgemeine eucharistische Form der römischen Liturgie im 5. Jh. auf (vgl. idem, Le mystère Liturgique, 42): „En effet le circonstances dans lesquelles saint Léon prend la parole sont celles du service eucharistique“. Leos Bezeichnungen mysteria, munera und participatio corporis et sanguinis beinhalten wohl häufig die Eucharistie (vgl. De Soos, Le mystère Liturgique, 43; 92f; divina mysteria steht zunächst für die Osterfeier z. B. in Ep 121,3 [PL 54 1058A], aber wohl auch für die Eucharistiefeier z. B. in ep. 155,2 [PL 54 1126C-1127A]), doch weisen besonders die ersten beiden meist weit über eine Eucharistiefeier hinaus. Leos Bemerkung, dass die mysteria zu keiner Zeit im Jahr fehlen würden, ist daher kein Argument für die oben genannte Pauschalisierung: vgl. tract. 49,1 (CChr.SL 138 285,3-7): nulla pars anni a sacris est aliena mysteriis…quiquid illud est quod in diversis gratiae operibus et donis reparationi humanarum confertur animarum. Holeton arbeitete zurecht heraus, dass das Mysterium der Erlösung bei Leo mit dem ganzen Leben Jesu verbunden sei und sich auch nicht auf die eucharistischen Gaben beschränke: vgl. idem, The sacramental language of St. Leo the Great. A Study of the Words „Munus“ and „Oblata“, in: EphLit 92 (1978) 120-131. Das zeigt er in einer Studie zu den Begriffen munus und oblata bei Leo. Beide beziehen sich auf die ganze liturgische Feier und daher auch auf die Glaubenden (ibid., 131-161). Hierbei wird auch deutlich, dass die Schriftlesungen und die Predigt bei Leo einen sehr hohen

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ebendort gefeiert worden sei.96 Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte, dass Leo von einer diesbezüglichen Tradition wusste oder dass er an eine solche begründete. Die Teilnehmer der Feier werden aufgrund der geprägten Sprache Leos einhellig gebildeteren Schichten zugeordnet.97

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Stellenwert einnahmen, da in diesen die heilsrelevanten Geschehnisse der Bibel realistisch aktualisiert und den Glaubenden eine Handlungsoption im Sinne der Nachfolge des Lebensmodells Jesu angeboten wurde (ibid., 161-165). Vgl. Chavasse, La preparation de la Pâques à Rome avant le Ve siècle, 76. Chavasse zitiert in der Anmerkung 42 den Praedestinatus: praedest. 1,82 (CChr.SL 25B 48,15-19): Quod lectum [Das von Ambrosius gegen Jovinian geschriebene Buch] in media Romana, id est ecclesia Lateranensi, una voce et populus Romanus et sacerdotes in eidem Iovinanistis et ipso Ioviniano anathema clamaverunt, in ipso initio quadragesimae, sancto Anastasio episcopo antistite. Vgl. Pratesi, Introduzione, 26. Zur Bedeutung der Stationsgottesdienste vgl. Baldovin, John F.: The urban Character of Christian Worship. The Origins, Development, and Meaning of stational Liturgy (= OCA 228), Rom: Pont. Inst. Studiorum Orientalium, 1987; Grisar, Hartmann: Das Missale im Lichte römischer Stadtgeschichte. Stationen, Perikopen, Gebräuche, Freiburg i. Br.: Herder, 1925; Kirsch, Johann Peter: Die römischen Titelkirchen im Altertum (= SGKA 9), Paderborn: Schöningh, 1918; idem: Die Stationskirchen des Missale Romanum. Mit einer Untersuchung über Ursprung und Entwicklung der liturgischen Stationsfeier (= EO 19), Freiburg i. Br.: Herder, 1926. Leclercq listet die 25 Titelkirchen und andere auf: vgl. idem, Art. Rome, in: DACL 14,2 (1948) 2590-2598. Di Capua schloss aufgrund der geprägten Sprache Leos auf ein Publikum, das sich eher aus speziellen Gruppen (Priester Mönche, Gebildete) zusammensetzte, für das die Predigten auch vornehmlich bestimmt gewesen seien (vgl. idem, Il ritmo prosaico in S. Agostino, in: Miscellanea Agostiniana, 2. Band, Studi Agostiniani, a cura dell’Ordine Eremitano di S. Agostino nel XV Centenario dall morte del Santo Dottore, Rom: Poliglotta Vaticana, 1931, 750): „quelli…furono recitati innanzi a un piccolo cenacolo di presbiteri, di monaci e di persone d’una certa levatura, le quali potevano comprendere il linguaggio letterario e ammirarne il fluire ritmico, oppure, pronunziati in una forma popolare, vennero poi correti e ritmicamente rifatti nel pubblicarli per iscritto“. Old zweifelt prinzipiell, ob man den uns heute vorliegenden Predigten in dieser Form überhaupt folgen hätte können (vgl. idem, The Reading and Preaching of the Scriptures, 402): „Yet one wonders if the congregation was able to follow his sermons. They are so ingeniously terse that one would be surprised if a congregation could pick up all his meaning from the living voice that came from the papal chair. It is possible that these sermons have been heavily edited and the homiletical expansions eliminated, and yet the style in which they have come to us has a definite logic“. Olivar bezieht zwar, etwas optimistischer, die ganze Stadt als mögliches Publikum mit ein, geht aber auch von feierlichen Anlässen aus, bei denen der Senat und andere Gebildete anwesend waren, die eine anspruchsvolle Predigt genießen konnten (vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 317): „Se adivina que el orador se dirige a un público, el de la cividad de Roma, que en las fiestas estaba integrado tembién por miembros del senado y otras personas cultas, exigentes en principio, capaces en todo caso, de saborear una elocuencia elegante, según el gusto sobrio de la aristocracia romana“.

II  Die Methode der Predigt 1 Die Predigt als mündlicher Vortrag Schriftlich überlieferte Predigten sind stets nur Zeugnisse eines für die Mündlichkeit bestimmten Textes, nicht aber der Predigt-Vortrag selbst. Bei dieser sachgemäßen Unterscheidung zwischen schriftlicher und mündlicher Form ist aber zu bedenken, dass die spätantike Literatur prinzipiell für einen mündlichen Vortrag im Sinne der Rezitation bestimmt war.98 Schriftlich festgehaltene Predigten waren nicht für ein Archiv gedacht, sondern für die Weiterverwendung für die Verkündigung und Erbauung der Gläubigen.99 Umso zurückhaltender sind scheinbare Indizien tatsächlicher Mündlichkeit zu bewerten.100 9 8 Vgl. die Darstellung der Problematik bei Merkt: idem, Maximus I. von Turin, 22f. 99 Vgl. Harrison, The Typology of Listening, 65: „the preacher’s presentation of Scripture effectively became the means of forming or impressing a Christian seal upon the hearts and minds of those who heard it. Preaching became the theatre of the soul“. Carruthers weist auf die Bedeutung von „Text“ als „weben“ (to weave) hin. Ein Text habe die Funktion, eine „textual community“ zu erschaffen (vgl. eadem: The book of Memory. A Study of Memory in Medieval Culture, Cambridge: Cambridge UP, 1990, 12): „Literary works become institutions as they weave a community together by providing it with shared experience, the language of stories that can be experienced over and over again through time and as occasion suggests. Their meaning is thought to be implicit, hidden, polysemous and complex, requiring interpretation and adaptation“. 100 Vgl. Fuhrmann, Manfred: Mündlichkeit und fiktive Mündlichkeit in den von Cicero veröffentlichen Reden, in: Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur (= ScriptOralia 19), hg. v. Gregor Vogt-Spira, Tübingen: Gunter Narr, 1990, 59-62. Die etwa von Merkt zusammengestellten Indizien für den mündlichen Charakter von Predigten, sind bei Leo in einem sehr beschränkten Ausmaß gegeben: Redundanz und Ausführlichkeit sowie Parataktische Syntax. Hypotaxe ist lediglich in explikativen Relativ- und ut-Sätzen gegeben, antithetische Parallelismen (tragen zur Klarheit der mündlichen Darstellung bei), Wiederholungen und eine formelhafte Rede bzw. Verwendung von Merksätzen, die das Einprägen erleichtern, Rede in der 1.P. mit direkter Anrede in der 2.P., die in den Imperativ übergehen kann. Schließlich sei eine Predigt eher nicht stilistisch überarbeitet, wenn sie eine anorganische Einheit darstelle, deren Teile meist additiv ohne Spannungsbögen aufeinander folgen: vgl. idem, Maximus I. von Turin, 10-13. Christian Gnilka stellt treffend fest: „Faßt man den Übergang zur Schriftlichkeit ins Auge, wird man darauf achten müssen, wer die Aufzeichnungen vornahm oder überwachte, zu welchem Zweck sie erfolgte, für wen und wann. Es dürfte kaum möglich sein, aus den antiken Texten selbst solche Definitionen der Mündlichkeit zu gewinnen,

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Die Methode der Predigt

Die kompakte Form von Leos Predigten, der hohe Stil und der vergleichsweise diffizile Inhalt schließen eine Improvisation in dieser Form aus101 und verweisen auf eine ausgedehnte Vor- bzw. Nachbereitung. Wahrscheinlich arbeitete Leo die Predigten im Vorhinein aus, nicht um sie schlicht vorzulesen, sondern um sie zu memorieren und eventuell mit der Niederschrift in den Händen auch zu improvisieren.102 Nach dem mündlichen Vortrag überarbeitete er die Predigt wohl entweder selbst oder überließ diese Aufgabe einem Sekretär.103 Demnach ist auch die Arbeit von Stenographen (notarii), wie sie bei Augustinus und Gaudentius von Brescia bezeugt ist,104 nicht notwendig anzunehmen.105 Diese Gegebenheiten sind bei der Auswertung von Indizien der Mündlichkeit zu berücksichtigen.106 Die sogenannte „mündliche Literatur“ Leos könnte also gegenüber anderen

die allen Bedingungen ihrer schriftlichen Fixierung gerecht würden und die es etwa erlaubten, Spuren tatsächlicher Rede aus dem Bereich der literarischen Stilkunst stets sicher und sauber auszusondern“ (idem, Züge der Mündlichkeit in spätlateinischer Dichtung, in: Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur [= ScriptOralia 19], hg. v. Gregor Vogt-Spira, Tübingen: Gunter Narr, 1990, , 237). 101 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 621f. 102 Vgl. ibid., 315f. 103 Vgl. ibid., 316. 104 Vgl. Frank, Karl Suso: Augustinus: sapienter et eloquenter dicere, in: Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur (= ScriptOralia 19), hg. v. Gregor Vogt-Spira, Tübingen: Gunter Narr, 1990, 259-261. 105 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 316. Vgl. Hagendahl, Harald:  Die Bedeutung der Stenographie für die spätlateinische christliche Literatur, in: JAC 14 (1971) 24-38. 106 Halliwell und Arens sehen ein Argument für die Mündlichkeit der Traktate darin, dass Leos Stil in den Briefen deutlich reflektierter sei als in den Predigten (vgl. idem, The Style, 9; 95): „However, the line between Leo the preacher, and Leo the formal prose stylist, is not always clear. There is more than one verbatim repetition from the Sermons in the Letters. The fervor of the Christian preacher overflows into his correspondence“. Allerdings ist nach Arens hier auch kein zu großer Optimismus geboten, da der Unterschied zwischen geschriebener und mündlicher Äußerung bei Leos komplizierter Kunstprosa nicht mehr festzustellen sei (vgl. idem, Die christologische Sprache, 19): „Geschriebene Sprache ist im allgemeinen sorgfältiger verfertigt und reflektierter gestaltet. Für Leo läßt sich dieser Unterschied von geschriebener und mündlicher Äußerung nicht mehr feststellen. Wir dürfen aber sicher in Anbetracht der komplizierten Kunstprosa Leos damit rechnen, daß er nicht so gesprochen hat, wie er schrieb, auch wenn manche Stilmittel durch Schule und Übung in Fleisch und Blut übergegangen sein mögen“.

Die Form der Predigt

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Predigern bereits dadurch eine Ausnahme darstellen, dass die Traktate bereits im Vorhinein literarisch durchkomponiert und durchstilisiert wurden.107 Bei der Untersuchung des tradierten Endtextes gehe ich davon aus, dass Leos Predigten kein rein literarisches Konstrukt sind, sondern für den mündlichen Vortrag verfasst und im Nachhinein auf stilistischer Ebene überarbeitet wurden, sodass sie im Wesentlichen den tatsächlichen Redecharakter bewahrt haben.108

2 Die Form der Predigt Bei allen Parallelen zur paganen Rede gilt mit Schäublin festzuhalten, dass die Gattung der Predigt in Anlehnung an ihre jüdischen Wurzeln109 in mehreren Punkten deutlich davon abhebt:110 1. Die Lesung heiliger Schriften gibt weitgehend das Thema vor.111 2. Der Sitz im Leben ist die gottesdienstliche Feier. 3. Der Ton und Charakter der Predigt ist paränetisch und zugleich familiär.112 4. Der Prediger kann sich unabhängig vom Thema aller Stilebenen bedienen.113

107 Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 24;. Olivar, La predicación cristiana antigua 266474. Zur Sonderstellung Leos vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 1991. 108 Sachot behauptet z. B. generell, dass Predigtsammlungen ihren aktuellen Charakter durch eine von der Indoktrinierung geprägten Überarbeitung eingebüßt haben: vgl. idem, Art. Homilie, in: RAC 26 (1994) 164. Krannich führt als Gegenargumente an, dass Leo seine Rolle als Prediger reflektiere, dass er den Faden von anderen Predigten aufnehme und dass er aktuelle Themen anspreche, z. B. die Manichäer: vgl. idem, Von Leporius bis zu Leo dem Großen, 167f. 109 Zur Homilie in Synagogen vgl. Sachot, Art. Homilie, in: RAC 16 (1994) 148-155. 110 Vgl. Schäublin, Christoph: Zum paganen Umfeld der christlichen Predigt, in: Predigt in der Alten Kirche, hg. v. Ekkehard Mühlenberg / Johannes Van Oort, Kampen: Kok, 1994, 24. Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 20f. 111 Vgl. Kennedy, George Alexander: Classical Rhetoric and its Christian and Secular Tradition from Ancient to Modern Times, London: Croom Helm, 1980, 137: „The primary function of the Christian orator, in contrast, was to interpret and bring into practice the holy word“. 112 Familiär bedeutet der Prediger kennt seine Hörer. Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 541-543. 113 Nach Augustinus braucht der Prediger keine Stilart zu verschmähen, sondern kann jede je nach Bedarf einstetzen: vgl. doctr. chr. 4,17,34 (CChr.SL 32 141,1-4): Qui ergo dicendo nititur persuadere, quod bonum est, nihil illorum trium spernens, ut scilicet doceat, ut delectet, ut flectat; oret atque agat, ut…intellegenter, libenter, oboedienter audiatur; doctr. chr. 4,6,9 (CChr.SL 32 122,9-13).

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Die Methode der Predigt

Die Art der Stoffgliederung (dispositio) ist im Predigtgenre vielfältig und orientiert sich in der Spätantike und besonders bei Leo mitunter deutlich stärker an der antiken Rede,114 eine vergleichbare, allgemeine Konvention gab es dabei aber nicht.115 Auch Leo hält sich nicht immer an die gleiche Form, einerseits der variatio zuliebe, da er immer wieder zu gleichen Festanlässen predigt und andererseits um der dogmatischen, paränetischen, heortologischen oder martyrologischen Dimensionen einer Predigt je nach Schwerpunkt gerecht zu werden.116 Exordium und Peroratio sind für Predigten gewissermaßen loci communes und stellen keine Besonderheit dar. Bei Leo werden diese Teile fast immer mit der formelhaften Anrede dilectissimi („Geliebteste“) eröffnet, während die Predigt in der Regel mit einer Schlussdoxologie endet.117 Besonders zu beachten sein wird aber auf die Abschnitte der Confirmatio, der Confutatio und der Narratio. Diese Narratio bezieht sich stets auf die narratio evangelicae lectionis also auf das Tagesevangelium und dient in der Regel auch der Formulierung von dogmatischen Aussagen, womit auch eine Confutatio verbunden sein kann.118 Diese äußere Form sollte zur Überzeugungskraft der durchdachten und argumentativ stringenten Komposition beitragen, die bei Leo daher zurecht die Bezeichnung tractatus („Abhandlung“, „Predigt“) trägt.119 Ab dem 4.  Jh. wird eine gewisse Nähe zwischen dem sermo christianus und dem genus demonstrativum erkennbar,120 da sich der christliche Panegyricus herauszubilden begann,

114 Vgl. Carbonero, Oreste: La struttura letteraria dei Sermones di San Leone Magno, in: Sil 1 (1975) 263-270. 115 Merkt stellt den uneinheitlichen Aufbau auch für Maximus fest: vgl. idem, Maximus I. von Turin, 11 Anm. 61. 116 Vgl. Carbonero, La struttura letteraria, 267-269. Die Confutatio etwa kann einen breiteren Raum einnehmen und die Narratio verdrängen. 117 Die Formeln Amen und PDN haben offenbar auch Augustinus und Caesarius von Arles gelegentlich verwendet, sodass die Authentizität bei entsprechender Textbezeugung möglich ist. Wo sie fehlen, könnten Kopisten sie aufgrund ihrer stereotypen Form auch ausgelassen haben (vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 30). Die Anrede der Gemeinde erfolgt in verschiedenen Formen, wobei klassisch fratres verwendet wird (vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 879-884). 118 Vgl. Carbonero, La struttura letteraria, 264. Auch nach De catechizandis rudibus ist die Narratio der Ort für die biblische Auslegung, um die Heilsgeschichte zu vermitteln: vgl. cat. rud. 3,5 (CChr.SL 46 124,76-125,19). Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 347. 119 Vgl. Pinell: Teologia e liturgia negli scritti di San Leone Magno, in: EO 8 (1991) 140. 120 Vgl. Carbonero, La struttura letteraria, 262.

Die Rolle der Rhetorik

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der den soziokulturellen und festlichen Gegebenheiten Rechnung tragen sollte.121 Deren Funktion besteht vor allem im delectare, sodass die Zuhörer den Vortrag als Kunstwerk genießen können.

3 Die Rolle der Rhetorik Die christlichen Prediger übertreffen das antike Ideal des orator sapiens122 darin, die Bedeutung des Inhalts vor dem Ausdruck zu betonen.123 Auch Augustinus ordnet die Rhetorik dem klar und deutlich zu vermittelnden Kerygma unter.124 Die Beredsamkeit solle, wie in der Schrift, aus dem Inhalt selbst gleichsam wie eine Dienerin zum Vorschein kommen.125 Wer also nicht nur beredt, sondern weise sprechen wolle, müsse im Verständnis der Schrift fortgeschritten sein126 und im Sinne des Apostels Paulus127 nicht den Worten dienen, die vielmehr ihm dienen sollten.128 121 Vgl. Rexer, Jochen: Die Festtheologie Gregors von Nyssa. Ein Beispiel der reichskirchlichen Heortologie (= Pat. 8), Frankfurt a. M. u.a.: Lang, 2002, 139. 122 Vgl. de orat. 3,80f (BSGRT 292,17f): nam neque sine forensibus nervis satis vehemens et gravis nec sine varietate doctrinae satis politus et sapiens esse orator potest. Augustinus beruft sich auf Ciceros Ideal des Einklangs von Weisheit und Rhetorik (doctr. chr. 4,5,7 [CChr.SL 32 120,10-12]): fassi sunt enim sapientiam sine eloquentia parum prodesse civitatibus, eloquentiam vero sine sapientia nimium obesse plerumque, prodesse numquam. Vgl. Cic., inv. 1,1 (BSGRT 2,2-5). 123 Das spezifisch Christliche ist nicht der sermo humilis als solcher, sondern die Möglichkeit, das genus humile auch auf erhabene Gegenstände anzuwenden (vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 21 Anm. 112). Vgl. Schäublin, Zum paganen Umfeld der christlichen Predigt, 29. Vgl. Frank, Augustinus: sapienter et eloquenter dicere, 268: „Die eloquentia wird als Dienerin der sapientia in ihre Grenzen gewiesen, unter das Gesetz der göttlichen Weisheit gestellt. Sie ist um ihren Eigenwert gebracht, die Redekunst ist etwas Neutrales“. 124 Vgl. doctr. chr. 4,8,22-10,24 (CChr.SL 32 131-133); 4,10,24 (CChr.SL 32 133,23-26): si autem non potest…utetur etiam verbis minus integris, dum tamen res ipsa doceatur atque discatur integre; 4,10,25 (CChr.SL 32 134,53-55): Is est autem optimus, quo fit, ut qui audit verum audiat et, quod audit, intellegat. 125 Vgl. doctr. chr. 4,6,10 (CChr.SL 32 122f,34-39): Et in quibus locis forte agnoscitur (sc. eloquentia) a doctis, tales res dicuntur, ut verba quibus dicuntur, non a dicente adhibita, sed ipsis rebus velut sponte subiuncta videantur, quasi sapientiam de domo sua, id est, pectore sapientis intellegas producere et tamquam inseparabilem famulam etiam non vocatam sequi eloquentiam. 126 Vgl. doctr. chr. 4,5,7 (CChr.SL 32 120,18-21). 127 Augustinus zitiert 1 Kor 1,17 in doctr. chr. 4,28,61 (CChr.SL 32 164f,9f): Non in sapientia verbi, ne evacuetur crux Christi. 128 Vgl. doctr. chr. 4,28,61 (CChr.SL 32 164,6-8): In ipso etiam sermone malit rebus placere quam verbis nec existimet dici melius, nisi quod dicitur verius, nec doctor verbis serviat, sed verba doctori.

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Die Methode der Predigt

Einige Skepsis meldet Augustinus nur beim officium des delectare an, da es einseitig verstanden dazu diente, die Zuhörer unabhängig von einer Wahrheitsvermittlung zu unterhalten.129 Der Inhalt von delectare solle sich daher auf die Vermittlung der Freude am christlichen Mysterium beziehen,130 was an den Hinweisen auf die Freude an der Festtagsgnade besonders deutlich wird.131 Die Bedeutung der Rhetorik für Leo Gemäß der traditionellen Auffassung lehnt auch Leo die Rhetorik als unnötiges Geschwätz ab, das bei der Verkündigung des Evangeliums unangebracht sei.132 Diese Haltung erläutert Leo besonders an den Irrlehrern, deren Gabe, ihre Hörer von jeder beliebigen Sichtweise zu überzeugen, gefährlich und abzulehnen sei.133 Die Wahrheit des Evangeliums hingegen streite für sich selbst und die rechtgläubigen Zuhörer seien nicht an Ohrenschmeicheleien interessiert, sondern an den Zeugen, die sie belehren. Die christliche Weisheit bestehe nämlich nicht in Wortemacherei (Rhetorik), in der schlauen Argumentationskunst (Dialektik) oder im Streben nach Ruhm, sondern in der aufrichtigen Demut.134 Diese Grundhaltung betreffe nicht nur den der Verkündigung dienenden sprachlichen Ausdruck, sondern die ganze Lebensführung. Daher komme dem lebenspraktischen

129 Vgl. doctr. chr. 4,25,55 (CChr.SL 32 160f,9-17). Das genus temperatum soll nicht nur den Hörer erfreuen, sondern auch zur Überzeugung beitragen: vgl. doctr. chr. 4,25,55 (CChr.SL 32 161,26-30). 130 Vgl. Aug., serm. 192,1 (Drobner 212): Christus de carne natus est. Gaudete solemniter; Leo, tract. 23,1 (CChr.SL 138 102,1-6); 33,1 (CChr.SL 138 170,1-7); 74,5. (CChr.SL 138A 459,98-100). Vgl. Studer, Basil: Schola christiana. Die Theologie zwischen Nizäa (325) und Chalzedon (451), Paderborn u.a.: Schöningh, 1998, 113. 131 Vgl. Studer, Basil: Das christliche Fest, ein Tag der gläubigen Hoffnung (Zur Festtheologie Gregors von Nyssa), in: Traditio et Progressio. Studi liturgici in onore del Prof. Adrien Nocent, OSB, hg. v. Giustino Farnedi (= SA 95), Rom: Abbazia S. Paolo, 1988, 520f. 132 Blümer hat sich in seiner Dissertation ausführlich mit der Frage nach dem Predigtstil Leos beschäftigt und einige der hier wiedergegebenen Aussagen über die Redekunst gesammelt: vgl. idem, Rerum Eloquentia, 55-59. 133 Vgl. Leos Brief an Kaiser Leo: ep. 164,1 (PL 54 1148C-1150A). 134 Vgl. tract. 37,3 (CChr.SL 138 202,48-51): Unde tota, dilectissimi, christianae sapientiae disciplina non in abundantia verbi, non in astutia disputandi, neque in appetitu laudis et gloriae, sed in vera et voluntaria humilitate consistit.

Die Rolle der Rhetorik

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Vorbild (exemplum, opus) bei der Verkündigung auch ein größeres Gewicht zu als den Worten (vox).135 Die Beredsamkeit stelle also lediglich ein Problem dar, wenn sie von Häretikern eingesetzt werde und der Wahrheit des Evangeliums nicht entspreche. Leos hoher Stil mag hingegen als indirekte, positive Anerkennung der Rhetorik gelten. Grenzen und Ausrichtung der Rhetorik Für Leo reicht die menschliche Sprache nicht aus, um das göttliche Mysterium auszudrücken. Bei aller Schwierigkeit sei das Schweigen aber nie eine Option,136 zumal gerade die Grenzen der Ausdrucksfähigkeit genügend Stoff biete.137 Wesentliche Hilfe für die Darlegung des Unsagbaren seien außerdem der Glaube und die Schrift,138 vor allem aber der im Gebet angerufene Heilige Geist. Mit dessen Hilfe scheitere der Mensch nicht an den Grenzen der Sprache139 und erkenne zugleich, dass alles Gelingen in der Verkündigung von Gott komme.140 135 Vgl. tract. 85,1 (CChr.SL 138A 535,19-21): Sit eloquentia facilis ad exorandum, sit ratio efficax ad suadendum, validiora tamen sunt exempla quam verba et plus est opere docere quam voce. 136 Vgl. tract. 23,1 (CChr.SL 138 102,1-6): Nota quidem sunt vobis, dilectissimi, et frequenter audita, quae ad sacramentum pertinent sollemnitatis hodiernae…quae a nobis numquam est tacenda, licet non sit, ut dignum est, explicanda; 29,1 (CChr.SL 138 146,1-6); 58,1 (CChr.SL 138A 337,4-7); 62,1 (CChr.SL 138A 378,1-7). 137 Vgl. 62,1 (CChr.SL 138A 378,7-9): cum ipsa materia, ex eo quod est ineffabilis, fandi tribuat facultatem, nec possit deficere quod dicatur, de qua numquam potest satis esse quod dicitur. 138 Vgl. tract. 29,1 (CChr.SL 138 146,6-21): Utramque enim substantiam in unam convenisse personam, nisi fides credat, sermo non explicat, et ideo numquam materia deficit laudis, quia numquam sufficit copia laudatoris.…Ne autem infirmitatis nostrae perturbemur angustiis, evangelicae nos et propheticae adiuvant voces, quibus ita accendimur et docemur, ut nobis nativitatem Domini, qua Verbum caro factum est, non tam praeteritam recolere, quam praesentem videamur inspicere. 139 Vgl. tract. 27,3 (CChr.SL 138 134,56f): In hac autem, dilectissimi, misericordia dei, cuius erga nos magnitudinem explicare non possumus; 29,1 (CChr.SL 138 147,9-13): Gaudeamus igitur quod ad eloquendum tantae misericordiae sacramentum inpares sumus, et cum salutis nostrae altitudinem promere non valemus, sentiamus nobis bonum esse quod vincimur; 58,1 (CChr.SL 138A 337,1-4); 69,1 (CChr.SL 138A 419,1-4). 140 Vgl. tract. 5,1 (CChr.SL 138 22,7f): pie et veraciter confitemur, quod opus ministerii nostri, in omnibus quae recte agimus, Christus exsequitur, et non in nobis, qui sine illo nihil possumus, sed in ipso, qui possibilitas nostra est, gloriamur. Die Botschaft von der Geburt Jesu habe noch durch Engel überbracht werden müssen, bevor die Verkündigung in den verschiedenen Sprachen nach der Himmelfahrt und Geistsendung Jesu erfolgen konnte: vgl. tract. 34,1 (CChr.SL 138 179,26-30): Praeerat autem, sicut

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Die Methode der Predigt

Das betende Vertrauen in das inspirative Wirken Gottes141 vonseiten des Predigers und der Zuhörer142 helfe dabei, dass der Prediger erbauliche Inhalte auszuwähle143 und mit der Fülle des Wortes beschenkt werde und dass die Adressaten aufnahmefähig (capaces) werden.144

4 Der Predigtstil Leos des Großen Hinführung Um die verschiedenen Facetten der Übereinstimmung von Stil und Gehalt in Leos Predigten vorab sachgemäß einordnen zu können, sollen zunächst die Grundzüge der Entwicklung der für das 5.  Jh. wesentlichen Traditionen dargestellt werden: (1) Das christliche Latein, (2) die Entwicklung des Prosarhythmus, (3) Leos Verwendung der Sprache und (4) die von Leo häufig verwendeten Stilfiguren. Aus den daraus gewonnen Erkenntnissen wird (5)  die prinzipielle Bedeutung der Syntax, des Rhythmus, der Wortwahl und der Stilfiguren für die Entsprechung von Rhetorik und Inhalt dargestellt und die Charakterisierung von Leos Sprache als Medium einer ästhetischen Theologie bewertet. Mit den hier synonym verwendeten Ausdrücken „Leos Stil“ und „(päpstlicher) Kanzleistil“ verweise ich auf den nicht näher aufzulösenden Kontext der Entstehung von Leos Predigten und Briefen.145

res docuit, huic miraculo gratia Dei et…quod nondum poterat humano eloquio disseri, caelo faciebat euangelizante cognosci; 76,8 (CChr.SL 138A 485,203-207). 141 Vgl. tract. 38,1 (CChr.SL 138 205,10-12); 52,4 (CChr.SL 138A 312,115-119). 142 Vgl. tract. 58,1 (CChr.SL 138A 337,7-14): Auxiliantibus autem orationibus vestris, affuturam credimus gratiam Dei. 143 Vgl. tract. 25,1 (CChr.SL 138 117,1-6); 33,1 (CChr.SL 138 170,4-7). 144 Vgl. tract. 76,1 (CChr.SL 138A 473,16-29):…et nos faciat abundantes. 145 Abgesehen davon, dass Diktieren eine gängige Praxis in der in der Spätantike war (daher nimmt Olivar für die Briefe und Predigten auch an, dass Leo sie diktierte: vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 315), hatte Leo auch schon vor seinem Pontifikat in der päpstlichen Kanzlei gewirkt: „Al servizio della Chiesa romana aveva esercitato fino a quel momento le mansioni di cancelliere, e per questo occorreva che fosse un buon conoscitore del diritto e dell’arte della persuasione, cioè l’eloquenza“ (Pinell, Teologia e liturgia, in: EO 8 [1991] 139). Für Leo selbst arbeitete z. B. Prosper von Aquitanien.

Der Predigtstil Leos des Großen

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4.1 Das christliche Latein Infolge der Bedeutung der Schrift und des sprachlichen Substrates der lateinischen Bibelübersetzungen, der Neologismen146 und der Umgangssprache147 weist das christliche Latein gegenüber der Sprache der Puristen Unterschiede in Wortschatz,148 Morphologie und Syntax auf.149 Die Aufnahme eines rhetorischen Repertoires ist daher bereits in den Stilmitteln der Volkssprache (Assonanzen, Alliteration, Reime150) grundgelegt und erfolgt nicht erst durch die besonders ab dem vierten Jahrhundert forcierte Besinnung auf die antike Kultur- und Literatursprache.151 Der Mittelweg zwischen Volks- und Bildungssprache, den Augustinus gemäß seiner Predigt-Theorie152 beschritten hatte, blieb eher eine Ausnahmeerscheinung.153 Als allgemeine Gründe für eine Orientierung christlicher Autoren154 an den Klassikern sind zu nennen:  Die Reaktion auf den Einfluss der Sprachen der

146 Wesentliche Wegbereiter für das christliche Latein sind afrikanischer Provenienz: Tertullian, Cyprian, Minucius Felix und Laktanz (vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 606-615). 147 Entgegen einzelner Bemühungen von christlichen Apologeten um einen klassischen Stil (Minucius Felix, Laktanz, Hilarius von Poitiers, Avitus von Vienne und Paulinus von Nola), setzte sich dennoch die Orientierung an der Volkssprache zunächst durch (vgl. Arens, Die christologische Sprache, 115). 148 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 189: „in der Zeit, in der die lateinische Schriftsprache ihre höchste stilistische Formenvollendung erreicht hat, ist sie in ihrem Wortschatz am ärmsten gewesen“. Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 183. 149 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 113f. 150 Vgl. Mohrmann, Christine: Die altchristliche Sondersprache in den Sermones des hl. Augustin, Erster Teil. Einführung, Lexikologie, Wortbildung (= LCP, Studia ad sermonem Latinum Christianum pertinentia Fasc. 3), Amsterdam: Adolf v. Hakkert, 1965. 13; Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 758f. 151 Vgl. ibid., 16. 152 Vgl. Die Grundsätze einer „einfachen“ Sprache, die vor allem verständlich sein soll, sind vor allem in den Werken De catechizandis rudibus und De doctrina christina festgehalten. 153 Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 750-52: Andere lateinische Prediger des 4. und 5. Jh. (Zeno von Verona, Maximus von Turin, Petrus Chrysologus, Leo der Große und Caesarius von Arles) legen Wert auf eine rhetorisch reflektierte Literatursprache, sodass auch die allgemeine Überarbeitung von zu veröffentlichenden Predigten als Trend anzusehen ist. 154 Besonders geprägt wurde das christliche Latein in dieser Zeit durch Hilarius von Portiers, Marius Victorinus, Ambrosius und Augustinus sowie durch die Schrift-Übersetzung des Hieronymus (vgl. Mohrmann, Christine: Die Rolle des Lateins in der

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Die Methode der Predigt

Barbaren155 und die Reaktion auf die zunehmende Öffentlichkeit des christlichen Lateins nach der „konstantinischen Wende“,156 das nun gleich gerne gehört wird wie die Sprache von profanen Redekünstlern.157 Für die Zusammensetzung der Zuhörer lassen sich daraus nur vorsichtige Schlüsse ziehen: Rhetorisch anspruchsvolle Predigten konnten zwar wohl eher von Gebildeten geschätzt und erfasst werden, doch müssen sie dennoch nicht notwendig vornehmlich für spezielle Gruppen (Priester, Mönche, Gebildete) bestimmt gewesen sein.158 Zur Sprachgestalt des christlichen Lateins im 4.  und 5.  Jh. sind schließlich auch die Sprache der Liturgie,159 die Kunstsprache in der Hymne160 und die päpstliche Kanzleisprache zu zählen.161 Während der an der Klassik orientierte Prosarhythmus in den ersten Jahrhunderten nur in den apologetischen und polemischen Werken, in moralischen und theologischen Traktaten und in offiziellen Dokumenten und Briefen verwendet wurde, fand er ab dem 4. Jh. auch Eingang

Kirche des Westens, in: Études sur le Latin des Chrétiens, 2. Teil, Latin Chrétien et Médieval, Rom: Edizioni di storia e letteratura, 1961, 39f). 155 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 576-80. 156 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 115. Im Osten ist hier besonders Gregor von Nazianz von Nazianz zu nennen, der die klassischen Stilmittel zu ihrer vollen Wirkung entfaltet: insbesondere die Antithese in Form des Isokolon mit Homoioteleuton (vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 565). 157 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 550f; 554f: Darauf weist auch die von den Predigern abgelehnte Sitte des Applauses während und nach der Predigt hin, im Osten (vgl. Johannes Chrysostomus: in act. Apost. hom. 30,3 [PG 60,226-228] gleich wie im Westen (vgl. Augustinus, serm. 339,1 [OC 26 3f)]). 158 Von einer ausgewählten Zuhörerschaft geht Di Capua aus (vgl. idem, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 750): „quelli del secondo o furono recitati innanzi a un piccolo cenacolo di presbiteri, di monaci e di persone d’una certa levatura, le quali potevano comprendere il linguaggio letterario e ammirarne il fluire ritmico, oppure, pronunziati in una forma popolare, vennero poi correti e ritmicamente rifatti nel pubblicarli per iscritto“. Arens charakterisiert Leos Audruck als Sprache, die von weiteren Schichten verstanden werden konnte: vgl. idem, Die christologische Sprache, 119. 159 Zur Sprache der Liturgie hat vor allem Ambrosius beigetragen, aber auch Leo (vgl. Arens, Die christologische Sprache, 116f). Vgl. Mohrmann, Die Rolle des Lateins, 40f; 45: Dabei wurden auch „Elemente des alten, feierlichen römischen Gebetsstiles“ aufgenommen. 160 Vgl. Mohrmann, Die Rolle des Lateins, 45f: Ambrosius gelang es nach griechischem Vorbild eine spezifisch christliche „Dichtform“ in der Hymne zu schaffen. 161 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 116.

Der Predigtstil Leos des Großen

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in die Predigten von Bischöfen.162 In Rom werden zunehmend auch das fachsprachliche Vokabular und der juristische Stil übernommen,163 da die päpstliche Kanzlei infolge des wachsenden Zuständigkeitsbereichs kirchlicher Verwaltung den Stil der kaiserlichen zu übernehmen begann.164 Volkssprache und christlichimperiale Kommunikation trifteten auseinander.165 Wohl nicht nur unter diesem Aspekt wurde Leo auch als „kaiserlicher Papst“166 bezeichnet. Wenn die äußere Form von Leos Predigtstil auch auf sein Denken schließen lässt, ist es insgesamt als aristokratisch zu bezeichnen.167

4.2 Überblick über die Entwicklung des Prosarhythmus Eine entscheidende Charakteristik von Leos Stil stellt der Prosarhythmus dar, der sich nicht nur auf die Klauseln am Ende von Satzteilen oder Sätzen beschränkt,168 162 Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 751: „Fenomeno importante e degno di studio è il rifiorire, in queste orazioni, di quei procedimenti ritmici e stilistici, che son propri dell’infanzia dell’arte, e che accompagnano i primi passi della prosa oratoria: assonanze, rime, alliterazioni, bisticci, antitesi, parallelismi, piccoli incisi, ecc. Queste furono, secondo l’esplicita testimonianza di Cicerone, le caratteristiche del ritmo prosaico nei prischi scrittori latini“. Vgl. Zanoni, Guglielmo: De Romanitate S. Leonis Magni, in: Lati. 12 (1964) 186: „Fieri profecto non poterat, ut hic Pontifex sui temporis rationi non obtemperaret, quo scriptores plus nimio rhetoricae arti indulgebant“. 163 Vgl. Mohrmann, Die Rolle des Lateins, 48. Wie vielen Gelehrten dieser Zeit wird Leo auch eine juristische Ausbildung zugeschrieben (vgl. Studer, Art. Leo I., in: TRE 20 [1990] 738). 164 Vgl. ibid., 48. 165 Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 751f: Der Brief- und Predigtstil nähern sich gegen Ende des 4. und zu Beginn des 5. Jh. immer mehr einander an. Predigten dieser Zeit dürften dem Volk aufgrund der rhetorischen Form nicht leicht zugänglich gewesen sein. Vgl. Mohrmann, Die Rolle des Lateins, 48. 166 Den Zusammenhang von der derartig geprägten Kanzlei und Leos Stil sah bereits Arens: vgl. idem, Die christologische Sprache, 117; 138. 167 Vgl. ibid., 117f. Vgl. Martin, Art. Leo, in: RAC 22 (2008) 1202: „Wenn man vom paganen Rombild u. der Kirchengewalt der Kaiser absieht, hat Leo sich nicht mit der Antike auseinandergesetzt, sondern als römischer Aristokrat lateinischer Prägung gedacht u. gehandelt“. 168 Vgl. Pollmann, Die christliche Bildung, 252 Anm. 111: „Die antike Rhetorik konnte zur Ausschmückung der Rede an Periodenenden Wörter mit einer bestimmten Abfolge von kurzen und langen Silben wählen. Es handelt sich dabei um den Prosarhythmus, der geschulten Hörern musikalisch erschien“. Die „einfachste, grundlegende Funktion der Klauseln ist es, andere nichtmetrische Phänomene der Satzgliederung dienend

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Die Methode der Predigt

sondern die Prosa insgesamt rhythmisch bindet.169 Der folgende Überblick über die Geschichte des Prosarhythmus170 soll daher eine Einordnung von Leos Anwendung dieses Phänomens ermöglichen. In Anbetracht der fehlenden Studien über die durchgehende Rhythmisierung,171 beschränke ich mich auf eine Darstellung der Anwendung von Klauseln, die in der lateinischen Kunstprosa172 ohnehin die wohl größere Rolle spielen.173

und unterstützend zu begleiten“ (Primmer, Adolf: Gebändigte Mündlichkeit: Zum Prosarhythmus von Cicero bis Augustinus, in: Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur [= ScriptOralia 19], hg. v. Gregor Vogt-Spira, Tübingen: Gunter Narr, 1990, 20). Klauseln weisen also auf Satz- oder Kolonschlüsse hin, die im Deutschen nicht leicht wiederzugeben sind. 169 Vgl. Martin, Art. Leo, in: RAC 22 (2008) 1192. Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 183. 170 Eine umfassende Klärung des Prosarhythmus fehlt bis heute, im lateinischen wie im griechischen Bereich (vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 19). „Es steht jedenfalls fest, daß der lateinische Prosarhythmus ähnlich wie die poetische Rhythmisierung auf dem geregelten Wechsel von langen und kurzen Quantitäten (quantitierende, metrische Prosa), später von betonten und unbetonten Silben (akzentuierende, tonische oder einfach rhythmische Prosa) beruht“ (Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 715). 171 Bei aller Offensichtlichkeit der durchgehenden Rhythmisierung (Binnenkola) fehlen auch hierzu noch entscheidende Studien: „Unter dem Prosarhythmus wird also weiterhin im Wesentlichen die rhythmische Gestaltung der durch starke Interpunktion markierten Periodenschlüsse (Klauseln, Kadenzen) zu verstehen sein“ (HofmannSzantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 715). 172 Der Begriff „Kunstprosa“ wurde von Norden geprägt und ist bei ihm mehr ein Wertprädikat, als ein klar umrissener Begriff. Mag sein Werk auch unsystematisch, ungenau und subjektiv sein, dennoch hat Norden die Ausdruckskultur der antiken Prosaiker erfasst (vgl. Erren, Art. Kunstprosa, in: HWR 4 [1998] 1474f). Da „Kunstprosa“ „als Bezeichnung des gepflegten sprachlichen Ausdrucks [dient], der bei den Völkern der Antike […] sowohl der mündlich vorgetragenen Rede als auch dem in Buchform verbreiteten Schrifttum das Gepräge gibt“ (ibid., 1474), verwende ich diesen Begriff auch für Leos Predigten, wie bereits Arens: „Wir dürfen aber sicher in Anbetracht der komplizierten Kunstprosa Leos damit rechnen, daß er nicht so gesprochen hat, wie er schrieb, auch wenn manche Stilmittel durch Schule und Übung in Fleisch und Blut übergegangen sein mögen“ (idem, Die christologische Sprache, 19). 173 Vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 19. Vgl. Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Wissenschaft, 4. Aufl., Stuttgart: Franz Steiner, 2008, 483 (§ 985): „Das Ende des Satzes ist die rhythmus-auffälligste Stelle, weil auf das Ende des Satzes vor Beginn des neuen Satzes eine Pause folgt, die den Ausklang des Satzes im akustischen Gedächtnis des Hörers nachklingen läßt, während im Inneren des Satzes der soeben gesprochene Rhythmus durch den unmittelbar

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Ihren ersten Bezugspunkt findet die lateinische Kunstprosa174 in ihrem griechischen Vorbild,175 wobei Platon und Demosthenes176 als Ideale angesehen wurden. Der bilinguale177 Cicero gilt neben anderen als entscheidender Vermittler eines Klausel-Repertoires178 für die lateinische anschließenden Rhythmus abgelöst wird, so daß die Wirkung immer wieder aufgehoben wird“. Vgl. ibid., 505f [§ 1054]. 174 Vgl. Dräger, Art. Klausel, in: HWR 4 (1998) 1093 „Die griechische Kunstprosa, als deren Archeget der aus Platons bekannte Thraysmachos von Chalkedon am Bosporos (5.Jh.) durch die Einführung der Periode gilt, war von Anfang an rhythmisiert, ohne daß dafür Regeln gegeben waren“. 175 Vgl. Staab, Satzlehre im Rahmen der klassischen Rhetorik, 1510: Die Entwicklung des griechischen Prosarhythmus wurde in der ersten Hälfte des 20. Jh. in drei Schritten beschrieben: (1) Einfluss der Epik auf die historischen und philosophischen Texte. (2) Prägung durch die „dithyrambische Prosametrik“. (3) Mit Gorgias beginnt die attische Rhetorik, die sich auf die Schlussmetrik konzentriert. 176 Platon ist ein herausragender Vertreter für die Kunstprosa, Demosthenes für die politische Rede (vgl. Staab, Satzlehre, 1510). 177 Nach Nordens Theorie setzte eine gelungene Orientierung an einer klassischen Kunstprosa immer gute Kenntnisse der griechischen Sprache voraus. Das gilt für Cicero im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Rom und im 2. bzw. 3. Jh. im vom asianischen Latein geprägten Afrika (vgl. idem, Die antike Kunstprosa, 597), besonders für Tertullian (sowie für Minucius Felix, Lactanz). Aufgrund der wohl unzureichenden Griechischkenntnisse des Cyprian von Karthago ist anzunehmen, dass sich der bereits eingebürgerte lateinische Stil „fortpflanzte“ (ibid., 594). Im 4. Jh. wirkt der Einfluss des Griechischen besonders in Aquitanien bei Hilarius von Portiers (und Sulpicius Severus), sowie bei Ambrosius in Mailand, in Rom bei Ammianus Marcelinus und Claudius Claudianus im 5. Jh. sowie im beginnenden 6. Jh. bei Boethius. Einzig die Originalität des Augustinus scheint hier eine Ausnahme zu sein, wie wohl auch er an eine lateinische Tradition in Africa anknüpfen konnte. Leo orientiert sich an den genannten christlichen Schriftstellern sowie am spätantiken Kanzleistil (vgl. ibid., 573-575; 585; 597). 178 Zu Ciceros geläufigsten Klauseln zählen Kl.1: Kretikus und Trochäus (‒◡‒ ‒◡: mórte vìcérunt), Kl.2: Dikretikus (‒◡‒ ‒◡◡: céssit aùdáciae), Kl.3: Ditrochäus bzw. Kretikus und Ditrochäus (‒◡‒ ‒◡‒◡: glóriàm consecúti) und Tritrochaicus (Kl.12: = die zweite Länge von Kl.1 wird durch zwei Kürzen ersetzt): ‒◡◡◡‒◡: ésse vìdeátur). Die Haupttypen dieser Klauseln ergeben auch die Haupt-Akzentklauseln des späteren CursusSystems. Deren Elemente werden als cursus planus (x́x/xx́x), cursus tardus: (x́x/xx́xx), cursus velox: (x́xx/xxx́x) und cursus trispondaicus: (x́x/xxx́x) bezeichnet (vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 21 Anm. 7). Vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 717. Blümer sprich beim Cursus-System von „tonischen Äquivalenten“, wobei er feststellt, dass Leo quantitierende Klauseln nicht schlechthin vor akzentierenden bevorzugt. Vielmehr seien die beiden Typen als Einheit zu betrachten: vgl. idem,

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Sprache.179 Während das Kennzeichen dieser Hochblüte im ersten Jahrhundert ihre unaufdringliche180 und dennoch die Überzeugungskraft steigernde181 Rerum Eloquentia, 63-66. Die „gelehrtesten Autoren des ausgehenden Altertums (z. B. Sedulius, Ennodius, Boethius) verwenden […] Satzschlüsse, die sowohl dem quantitierenden als auch dem akzentuierenden Prinzip gerecht zu werden versuchen (Dräger, Art. Klausel, in: HWR 4 [1998] 1099). Der Übergang zur akzentuierenden Klausel-Bildung ist bereits bei Cyprian deutlich erkennbar (vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 717). Augustinus beachtet den Wort-Akzent mitunter stark, da die Afrikaner nach seinem Zeugnis kaum auf die Quantitäten achten. Man beachte etwa den Hymnus gegen die Donatisten, der ausschließlich nach dem Akzent geregelt ist (vgl. Norden, Eduard: Die antike Kunstprosa. Vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance, 1. Band, 10. Aufl., Stuttgart u.a.: Teubner, 1995, 948). 179 Vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 21. 180 In seiner rhetorischen Theorie widerspricht Cicero „der verbreiteten Ansicht, nur der Schlussrhythmus verdiene Beachtung, und legt dar, wie in der kunstvollen Periode ein durchgängiger Rhythmus, im wörtlichen Sinne eines dynamischen Fließens, durch ebenso bewusstes wie unauffälliges Maß auf das Ende als wichtigste Klangmarkierung hinzielen muss“ (Staab, Satzlehre, 1508). Zum Fluss des Prosarhythmus: vgl. Cic., or. 65,220 (Seel 111,16f): Multum interest, utrum numerosa sit, id est similis numerorum, an plane e numeris constet oratio: alterum si fit, intolerabile vitium est, alterum nisi fit, dissipata et inculta et fluens est oratio. Die Zuhörer erwarten geradezu einen rhythmischen Abschluss: vgl. or. 59,199 (Seel 105,11-15): quare cum aures extremum semper exspectent in eoque adquiescant, id vacare numero non oportet, sed ad hanc exitum iam a principio ferri debet verborum illa comprehensio et tota a capite ita fluere, ut ad extremum veniens ipsa consistat. Die Prosa wird nach Cicero nicht nur durch einen Rhythmus, sondern auch durch die Wortanordnung und Symmetrie rhythmisiert: vgl. or. 65,219 (Seel 110,28-111,5): Et quia non numero solum numerosa oratio, sed et compositione fit et genere, quod ante dictum est, concinnitatis – compositione potest intellegi, cum ita structa verba sunt, ut numerus non quaesitus, sed ipse secutus esse videatur…ordo enim verborum effecit numerum sine ulla aperta oratoris industria. Der gebildete Rhetoriker bringe also ohne geistige Anstrengung eine rhythmisierte Syntax hervor. Auch wenn Cicero die Übereinstimmung von Rhythmus und Inhalt nicht direkt anspricht, so ist eine der Logik entsprechende und der Überzeugungskraft zuträgliche Abstimmung Voraussetzung für jede ernstzunehmende Rede. Die Klauseln seien außerdem abwechselnd zu verwenden, um bei den Hörern keinen Anstoß zu erregen (orat. 63,213 [Seel 109,2-4]): dichoreus non est ille quidem sua sponte vitiosus in clausulis, sed in orationibus nihil est tam vitiosum, quam si semper est idem. 181 Auch wenn die Worte dieselben sein mögen, Klauseln verändern den Klang für die Ohren. Aber zu oft dürfe man sie prinzipiell nicht einsetzen, da die Hörer den Rhythmus bald erkennen und dann genug davon hätten: vgl. orat. 63,215 (Seel 109,1821). „‘at eadem verba, eadem sententia‘. animo istuc satis est, auribus non satis. sed

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Verwendung ist,182 nimmt die gesetzesmäßige Anwendung von Schlussklauseln in der Nachklassik stetig zu,183 sodass sie in der Spätantike bereits zum guten Ton gehört,184 besonders in den kaiserlichen und spätestens seit Leo auch in den päpstlichen Kanzleien. Norden konstatiert dazu: „Das – wenigstens nach modernem Gefühl – Manierierte und Bizarre, das der rhetorischen Kunstprosa von Anfang an eigen gewesen war und das nur durch den Geschmack und die Gestaltungskraft der größten Stilvirtuosen ein erträgliches Aussehen erhalten hatte, tritt in der spätlateinischen Literatur immer mehr in den Vordergrund und verdrängt schließlich völlig das Normale, entsprechend dem,Glaubenssatz aller stilistischen Barbarei, dass man sich tättowieren[sic!] müsse, um schön zu sein‘ “185

Als erster im Westen, der nicht nur den Boden für das christliche Latein bereitete, sondern auch die Kunstprosa bereits an sorgfältig durchdachten Stellen einsetzte, ist Tertullian zu nennen.186 Er kann als ein Beispiel der (sophistischen)

id crebrius fieri non oportet; primum enim numerus agnoscitur, deinde satiat, postea cognita facilitate contemnitur“. 182 Aristoteles, der den Prosarhythmus als erster thematisiert (vgl. rhet. 3,8,1408b [Kassel 161,21-162,36]), gibt an, dass der Rhythmus im Inneren latent bleiben und erst am Ende des Satzes wahrnehmbar sein sollte. Er plädiert für einen Übergang vom latenten Binnenrhythmus zur manifesten Klausel (vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 22f). Nach Cicero hingegen sollen die Hörer die Klauseln nur unbewußt wahrnehmen (ibid., 23f): „Bei Cicero tritt an die Stelle von,latent – manifest‘ ein anderes Begriffspaar: das des weiterlaufenden und des (am Periodenschluß) zum Stillstand kommenden Rhythmus“. 183 Mit der von Cicero festgehaltenen Theorie und dem damit verbundenen Studium der Klauseln geht auch der stetige Prozess der bewussten Wahrnehmung derselben einher (vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 21f). 184 Die aristotelische Erläuterung der Klauseln gewinnt in der Spätantike wieder an Relevanz, da die Hörer den Rhythmus bewusst „genießen und mitvollziehen sollen“ (Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 23). 185 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 587. Den letzten Satzteil zitiert Norden aus: Bernays, Über die Chronik des Suplicius Severus, in: Gesammelte Abhandlungen 2, hg. v. Hermann Usener, Nachdruck der Ausgabe von 1885, Hildesheim u.a.: Olms, 1971, 85. Über den Zusammenhang von fallendem sprachlichen Niveau und der Entwicklung des Prosarhythmus in der Spätantike schreibt Norden außerdem: „In allen Provinzen des Reiches entartet die Prosa in gleicher Weise; die Formen der Entartung leiten sich her aus den seit Jahrhunderten bewußt und unbewußt tradierten Effektmitteln der rhetorischen Kunstprosa“ (idem, Die antike Kunstprosa, 587). 186 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 943: Norden nennt hier den Anfang des Werkes De pudicitia.

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Kunstprosa187 gelten, da er deren hervorragendste Eigentümlichkeit, die Antithese, auch zu seinem markantesten Stilmerkmal machte.188 Doch erst der ehemalige Rhetor Cyprian wandte die Gesetzmäßigkeiten der Klauseln nach einem System an,189 das bereits erheblich von der ciceronianischen Verwendung abweicht.190 Seine Klauseln scheinen besonders an den Stellen aufzufallen, wo er Schriftzitate aufnimmt.191 Mit dieser Parallele zu Leo ist auch eine zweite gegeben: Wortstellung und Wortgebrauch werden mitunter durch die Berücksichtigung des Rhythmus beeinflusst.192 Neben der Blüte der lateinischen Literatur in Afrika ist auch das klare JuristenLatein zu nennen, das sich von anderen Gattungen in der Spätantike abhebt.193 Das gilt auch für die Konstitutionen aus dem kaiserlichen Kabinett.194 „Es ist, um es kurz zu machen, die verschnörkelte Sprache der Kanzlei: sie blieb so im ganzen Mittelalter an den kaiserlichen, fürstlichen und päpstlichen Kanzleien, deren

187 Die Antithese tritt seit Gorgias am häufigsten in der Form der oft mehrgliedrigen Isokola mit Homoioteleuta auf, besonders in Verbindung mit rhythmischen Satzschlüssen. Diesem Parallelismus zuliebe hat Tertullian oft ungewöhnliche Wortformen und Konstruktionen gebraucht (vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 612-614). 188 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 612. 189 Cyprian ist der „erste christliche Schriftsteller, bei dem die Beobachtung des Gesetzes ungemein pedantisch ist, weil es sich auf die kleinsten Kommata ausgedehnt findet, ist Cyprian“ (Norden, Die antike Kunstprosa, 944). 190 Während Cicero den Wortakzent bei der Klausel-Bildung noch nicht beachtet hatte, noch die zur Zeit der akzentuierenden Prosa hauptsächlich verwendeten Zäsurtypen: 1γ, 1γδ und 1δ besonders berücksichtigt (bei Cicero findet sich die gleiche Anzahl wie bei den nicht rhythmisch schreibenden Autoren Sallust und Livius), geht bei Cyprian mit der allgemeinen Vereinfachung der Morphologie der Klauseln auch die Tendenz einher, den metrischen Iktus und den Wortakzent zusammenfallen zu lassen, indem eben die dazu geeigneten Zäsurtypen bevorzugt werden. Bei Cicero selbst ist diese Koinzidenz bei der Hälfte seiner Klauseln durch den Charakter der lateinischen Sprache bedingt, bei Cyprian sind es aber bereits rund 75%, bei Cassiodor 99% (vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 717). 191 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 945. 192 Vgl. ibid., 945f. 193 Vgl. ibid., 581f: „Auch die großen Juristen, die dem dritten Jahrhundert angehören, stehen sowohl stilistisch wie rein sprachlich betrachtet durchaus abseits von der großen Masse der übrigen Autoren: sie schreiben einfach, klar, vornehm.“ Seit Konstantin seien die Konstitutionen im Codex Theodosianus „schwülstig, rhetorisch, geschwätzig“, sodass sich „alle Fehler des bombastischen Stils“ darin fänden. 194 Vgl. ibid., 582.

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Sekretäre immer rhetorisch gebildet waren, und hat sich von da aus in die modernen Sprachen verpflanzt“195

Seit dem 4. Jh. weisen die Schriftstücke der kaiserlichen Kanzlei die ausführliche Anwendung von Klauseln auf.196 Augustinus versteht es, die Klauseln mäßig und je nach Anlass anzuwenden197 bzw. in mündlicher Rede mitunter auch klauselfrei zu sprechen.198 Wie Cicero warnt Augustinus vor der Entkräftung des Inhalts199 und plädiert auch in dieser Einzelfrage der Rhetorik im Sinne der Überzeugungskraft für den wechselweisen Bezug von Inhalt und Klauseln, die gleichsam aus dem Inhalt selbst entstehen müssten.200 Was Leo von anderen Prosaikern des 5. Jh. unterscheidet,201 ist seine stärkere Anbindung an das klassische Latein202 sowie eine besonders ausdrucksstarke Anwendung von Stilmitteln und Rhythmus.203 1 95 Vgl. ibid., 582. 196 Vgl. ibid., 946. 197 Vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 23. Als hochgebildeter Rhetoriker verfügte Augustinus über das Talent, die Klauseln maßvoll einzusetzen, findet es aber angemessen, dass sie im christlichen Kanon sehr selten anzutreffen sind: vgl. doctr. chr. 4,20,41 (CChr.SL 32 148,106-109): „sicut in meo eloquio, quantum modeste fieri arbitror, non praetermitto istos numeros clausularum, ita in auctoribus nostris hoc mihi plus placet quod ibi eos rarissime invenio“. 198 Stattdessen wendet Augustinus Wort- und Klangspiele an (vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 48). 199 Vgl. doctr. chr. 4,20,41 (CChr.SL 32 148,99f): Sed cavendum est, ne divinis gravibusque sententiis, dum additur numerus, pondus detrahatur. 200 Vgl. doctr. chr. 4,26,56 (CChr.SL 32 162,23-27): maxime quando adest eius quoddam decus non appetitum, sed quodam modo naturale, et nonnulla non iactanticula, sed quasi necessaria atque, ut ita dicam, ipsis rebus exorta numerositas clausularum, tantas acclamationes excitat ut vix intellegatur esse summissa. 201 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 310: „De todos modos, aunque nos cueste imaginar a la aparición de León en la historia de la predicación sin la preexistencia de otros predicatores y su contacto con ellos, la personalidad del papa León como predicator es singularísma, incomparable, sin que estos adjectivos pretendan, por sí solos, calificar la predicación de este orador sagrado en só misma; de todas formas, valorado como orador eclesiástico, León ocupa un lugar muy eminente“. Nach Halliwell gebe es bei Leo im Vergleich mit anderen Autoren seiner Zeit weniger Argumentationsfiguren: vgl. idem, The Style, 96. 202 Vgl. Mueller, Mary Magdalene: The Vocabulary of Pope St. Leo the Great (= PatSt 67), Washington: The Catholic University of America, 1943, 242: „So far as his general vocabulary is concerned, he, like his great predecessors, reflected Cicero’s influence to such a degree that he must also be classed as a noteworthy representative of the Ciceronian tradition“. 203 Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 185.

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4.3 Leos Sprache Leo gilt nicht als Spracherneuerer, nur 27 Wörter können ausschließlich bei ihm nachgewiesen werden.204 Unter den Substantiven, die besonders seit der Spätantike verwendet werden, finden sich bei Leo häufig jene auf die Endungen: –tio, –sio, –tor und –sor.205 Häufig verwendet Leo auch die Nomina auf –tas.206 Eben solche eigenen sich auch besonders für den Prosarhythmus.207 Der Anteil der Substantive im spätlateinischen Vokabular Leos ist hoch:208 Von 571 spätlateinischen Prägungen bei Leo sind 301 Substantive, 140 Adjektive, 64 Adverbien, nur 66 Verben: Dieser Befund spricht für einen substantivischen Stil.209 Leo ist auch kein Pionier auf der Ebene der Semantik.210 Bedeutungsverschiebungen gibt es wieder besonders bei den Substantiven: In den Predigten finden sich 339, 229 in den Briefen.211

4.4 Die von Leo häufig verwendeten Stilfiguren Leo wurden in der Forschung besonders folgende Figuren zugeschrieben:  Alliteration212, Assonanz213, Antithese214, Isokolon215 bzw. 2 04 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 119. Vgl. Mueller, The Vocabulary, 235. 205 Vgl. ibid., 120. 206 Vgl. ibid., 120. 207 Vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 719:  Abstrakte Begriffe auf –tio, –sio und –tas sind auffallend häufig im nachciceronianischen Latein und eignen sich für die rhythmische Prosa. 208 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 120. Vgl. Mueller, The Vocabulary, 235. 209 Vgl. ibid., 120. 210 Vgl. ibid., 121. Vgl. Mueller, The Vocabulary, 58. 211 Vgl. Ibid., 125. Vgl. Mueller, The Vocabulary, 240. Demnach könnten die Predigten mehr „Christianismen“ enthalten als die Briefe. Leos christologische Sprache ist jedoch nicht von Gräzismen, sondern von der lateinischen Tradition geprägt (vgl. Krannich, Von Leporius bis zu Leo dem Großen, 181; Mueller, The Vocabulary, 242). 212 Halliwell zählt in seinen ausgewählten Teilen der Traktate 2234 solcher Alliterationen und beschreibt Leos Stil als durch diese Klangfigur geprägt: vgl. idem, The Style, 35. 213 Die Assonanz ist bei Leo häufig anzutreffen und ist wie andere Klangfiguren zu einem großen Teil auf die Sruktur der lateinischen Sprache zurückzuführen. Halliwell schätzt, dass Leo ca. 10% der Assonanzen bewusst eingesetzt hat: vgl. idem, The Style, 37. 214 Blümer fand die Antithese in den von ihm untersuchten Predigten häufig vor: vgl. idem, Rerum Eloquentia, 180-182. Dahingegen schrieb Halliwell im Hinblick auf das ganze Werk Leos (idem, The Style, 96): „Antithesis is more prominent in Augustine, Ambrose, Hilary, and Jerome“. Der Befund in den Quadragesima-Predigten soll durch eine entsprechende Untersuchung festgestellt werden. 215 Blümer nennt das antithetische Isokolon mit Homoioteleuton. Unter Isokolon fallen auch die Figuren des Parallelismus und des Chiasmus: vgl. idem, Rerum Eloquentia, 181.

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Parison216 und Homoioteleuton.217 Er entfaltet deren Wirkung an inhaltlich bedeutsamen Stellen häufig durch kurze Isokola oder Kommata.218 Die miteinander verwobenen gorgianischen Stilfiguren219 Antithese, Isokolon und Homoioteleuton wurden nicht nur in der Zeit der ersten bzw. zweiten Sophistik220 sowie von anderen christlichen Autoren und Predigern besonders

216 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 137: „Eine von Leo gern verwandte Modifikation des Isokolons stellt das Parison dar. Damit sind parallele Textglieder ,von nur annähernd gleicher Länge gemeint‘ “. Im letzten Satzteil wird Halliwell zitiert: vgl. idem, The Style, 56. 217 Vgl. Halliwell, The Style, 93f. 218 Norden schreibt dazu: „Wir wissen, daß diese Figuren mit ihrem starken rhythmischen Wortfall am meisten dann dem Ohr zum Bewußtsein kommen, wenn sie in kurzen Sätzchen auftreten, und daß dementsprechend das am meisten hervortretende Charakteristikum der asianischen Diktion die Auflösung der Periode in zerhackte κόμματα war“ (Norden, Die antike Kunstprosa, 566). Vgl. Zanoni, De Romanitate, in: Lati. 12 (1964) 186: „Scilicet stilo utitur eleganti, presso, gravi, florenti; in eoque expoliendo maximam curam et studium impendit, ut oratio in omnibus suis partibus concinnitate praestet, numerosa et volubilis currat, atque ad extremum suavi cum aurium delectatione insistat“. 219 Vgl. Rädle, Art. Antithese, in: RDL 1 (1997) 102: „Die Antithese, klassische, gorgianische Redefigur‘, formal oft mit dem Chiasmus, meist aber mit Figuren des Parallelismus (Isokolon, Parison und Homoioteleuton) verbunden, dient der stilistischen Hervorhebung eines gedanklichen Gegensatzes zwischen Wörtern oder Sätzen. Antithetisches Denken und Sprechen gilt als Prinzip der concinnitas (,kunstgerechte Verbindung‘). Die aus der Natur der Sache sich ergebende formale Parallelität und rhythmische Gliederung betont Cicero“. 220 Norden konstatiert über Ciceros Bild vom asianischen bzw. sophistischen Stil: „Wir haben oben (S.  134; 138f) aus Cicero selbst erfahren, daß die charakteristische Eigentümlichkeit der einen asianischen Stilart in zierlich gebauten konzinnen Sätzchen bestand, die Cicero selbst in Zusammenhang mit den ἀντιθέσειϛ, ἰσόκωλα, ὁμοιοτέλευτα der alten sophistischen Kunstprosa setzt“ (idem, Die antike Kunstprosa, 226). Cicero bringt die Stilmittel Isokolon, Antithese und Homoioteleuton außerdem mit der Schlusskadenz in Verbindung ‒ ein Zusammenhang, der auch bei Leo häufig sehr deutlich wird: vgl. Cic., or. 65,220 (Seel 111,8-13): formae vero quaedam sunt orationis, in quibus ea concinnitas est, ut sequatur numerus necessario. Nam cum aut par pari (Isokola) refertur aut contrarium contrario (Antithesen) opponitur aut quae similiter cadunt verba verbis comparantur (Homoioteleuta), quidquid ita concluditur, plerumque fit, ut numerose cadat.

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verwendet,221 sondern bilden in ihrer Struktur-verleihenden, dialektischen Dimension überhaupt ein Prinzip der Literatur und Philosophie.222 Dass der Antithesenbau ein bevorzugtes Stilmittel vieler christlicher Autoren wurde,223

221 Vgl. Marrou, Henri-Irénée: Augustinus und das Ende der antiken Bildung, Paderborn u.a.: Schöningh, 1982,69-75. 222 Vgl. Rädle, Art. Antithese, in: RDL 1 (1997) 102: „In ihrer ornamental-rhetorischen und dialektisch-gedanklichen Funktion wird die Antithese zu einem energischen, ontologisch legitimierten Strukturprinzip der Literatur und Philosophie“. 223 Die Antithese findet sich auch sehr häufig bei Paulus, an dem Leo sich oft orientiert (vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 509). Das macht auch Augustinus deutlich, wenn er in doctr. chr. 4,20,42 (CChr.SL 32 149,125-139) jene Stelle als Beispiel für reichhaltigen Redeschmuck anführt ‒ worunter eben auch Antithesen zu finden sind ‒, die unter Leo in der Quadragesima als Lesung vorgetragen wurde: 2 Kor 6,2-11. Augustinus führt außerdem Beispiele für die schöne Anwendung von (die Antithese begünstigenden) Parallelismen und Homoioteleuta bei Paulus an: vgl. doctr. chr. 4,40 (CChr.SL 32 146,52f): ubi illa pulchriora sunt, in quibus propria propriis tamquam debita reddita decenter excurrunt. Als Beispiel nennt er Röm 12,6;15f und hält die Schönheit der Wendung in Röm 12,16 fest, wie sie auch ähnlich bei Leo begegnet: vgl. doctr. chr. 4,40 (CChr.SL 32 147,65-67): Et quam pulchre ista omnia sic effusa, bimembri circuitu (= „Wendung“, „Periode“) terminantur: Non alta sapientes, sed humilibus consentientes! Vgl. Leo, tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f): si humilia non spernit, si alta non adpetit. Des Weiteren zitiert Augustinus Cyprian (hab. virg. 23 [CChr.SL 3F 318,432-319,438]) als Gewährsmann für ein genus temperatum, in dem folgender Satzparallelismus auch als schön erkannt wird: vgl. doctr. chr. 4,47 (CChr.SL 32 154,74-81): Quomodo portavimus, inquit, imaginem eius, qui de limo est, sic portemus et imaginem eius, qui de caelo est. Hanc imaginem virginitas portat, portat integritas, sanctitas portat et veritas, portant disciplinae dei memores, iustitiam cum religione retinentes, stabiles in fide, humiles in timore, ad omnem tolerantiam fortes, ad sustinendas iniurias mites, ad faciendam misericordiam faciles, fraterna pace unanimes atque concordes. Vgl. auch das Beispiel von Ambrosius: doctr. chr. 4,46 (CChr.SL 32 153,44-63). Aus der Bemerkung des Augustinus über das genus grande (bezüglich des Beispiels Gal 4,10-20) wird deutlich, dass er die hier fehlenden Figuren der Antithese, der Steigerung und das Klingen von Zäsuren, Kola und Perioden besonders dem genus temperatum zuschrieb: vgl. doctr. chr. 4,44 (CChr.SL 32 151,182-184) Numquid hic aut contraria contrariis verba sunt reddita aut aliqua gradatione sibi subnexa sunt aut caesa et membra circuitusque sonuerunt? Die häufige Verwendung des Isokolon mit Homoioteleuton und er der Antithese ist auch bei Gregor von Nazianz deutlich (vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 565). Auch er knüpft an die sophistische Redetradition an (vgl. Rexer, Die Festtheologie Gregors von Nyssa, 139).

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ergibt sich aus deren Anliegen, sich einer klaren Sprache224 bzw. der Volkssprache zu bedienen,225 sowie aus der Einsicht, dass die christlichen Glaubenswahrheiten Gegensätze vereinen.226

4.5 Das Verhältnis von Stil und Gehalt 4.5.1  Die Übereinstimmung von Syntax, Rhythmus, Wortwahl, Stilfiguren und Inhalt Die rhetorische Analyse in dieser Arbeit ist nicht darauf beschränkt, die Häufigkeit der einzelnen Stilelemente in den Quadragesima-Predigten zu eruieren,227 224 Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa, 624: „Während sich so in der christlichen Predigt durch eine fast ausschließliche Anwendung der auf die Sinne am stärksten wirkenden zierlichen (gorgianischen) Redefiguren ein Stil ausbildete, der mit seiner leichten Verständlichkeit und seiner breiten, salbungsvollen Behaglichkeit mehr und mehr ein spezifisch christliches Gepräge erhielt, nahm in den übrigen Literaturgattungen der bis zur Unkenntlichkeit gesteigerte, mit affektierter Zierlichkeit zu einem abschreckenden Gemengsel vereinigte Schwulst, gleichfalls ein Erbteil der alten sophistischen Kunstprosa und des aus dieser entwickelten Asianismus ungehemmt weiter seinen Weg“. 225 Vgl. Mohrmann, Die altchristliche Sondersprache, 26. 226 Augustinus erläutert die Antithese, indem er die Ebene der Sprache mit jener der Schöpfung insgesamt vergleicht: „Wie dort die Gegenüberstellung von Gegensätzen die Schönheit der Rede bewirkt, so wird gleichsam in seiner Beredsamkeit nicht der Worte, sondern der Dinge durch die Gegenüberstellung der Gegensätze […] die Schönheit der Welt ‘komponiert’“ (Blümer, Rerum Eloquentia, 175). Vgl. Augustinus, civ. 11,18 (CChr.SL 48 337,5-7): Antitheta enim quae appellantur in ornamentis elocutionis sunt decentissima („Unter den stilistischen Schmuckmitteln sind die Antithesen die attraktivsten“). Vgl. Rädle, Art. Antithese, in: RDL 1 (1997) 102. Augustinus nennt als Beispiel eine Stelle aus der Schriftlesung von Leos Quadragesima-Predigten: 2 Kor 6,7;10. Augustinus setzt in civ. 11,18 (CChr.SL 48 337,18-21) fort: Sicut ergo ista contraria contrariis obposita sermonis pulchritudinem reddunt: ita quadam non verborum, sed rerum eloquentia contrariorum obpositione saeculi pulchritudo componitur. Vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 175; 181f: Blümer, Rerum Eloquentia, 182: „Die wichtigsten Mysterien des christlichen Glaubens bergen eine Vereinigung von Gegensätzen in sich, die christliche Glaubensverkündigung behandelt oft Gegensätze. Das im Wesen der Schöpfung begründet liegende Stilmittel der Antithese bot sich daher von selbst an, derartige christliche Glaubensinhalte darzustellen. Zwischen der ‘rerum eloquentia’ Gottes und der ‘verborum eloquentia’ der christlichen Autoren besteht eine tiefe, wesenhafte Analogie. Sorgfältige Auswahl bei der Benutzung rhetorischer Mittel darf man daher auch bei anderen christlichen Autoren vermuten“. 227 Ein konkreter Vergleich mit der rhetorischen Form anderer Autoren ist in dieser Arbeit nicht geplant. In allgemeiner Form hat Halliwell einen solchen vorgenommen

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sondern soll auch zeigen, welchen Inhalten bzw. welchen auf Einheit angelegten Gegensätzen sie Ausdruck verleihen.228 Blümer zeigte in seiner Untersuchung, dass Leo das antithetische Isokolon (häufig in Verbindung mit einem Homoioteleuton bzw. mit gleichen Klauseln und teilweise durchgehender Rhythmisierung) besonders für seine Erläuterung der beiden Naturen Christi verwendete  – ebenso aber für die jüngfräuliche Mutterschaft Mariens (Jungfrau-Mutter) und für das Mysterium der Trinität (Einheit-Dreiheit).229 Bei der Untersuchung der spezifischen Anwendung der Figuren in den Quadragesima-Predigten werden diese Kategorien auch zu berücksichtigen sein. Darüber hinaus sind auch die Klauseln am Ende von Satzteilen oder Sätzen von hohem Interesse, da sie Leos Syntax in der Regel unterstützen,230 einen Wohlklang und Harmonie vermitteln.231 Dieser Umstand ist insofern beachtenswert,

(vgl. idem, The Style, 95): „Leo differs most from Augustine and Hilary by his greater fondness for homoioteleuton, pleonasm, and parison, but he is otherwise rather sparing of devices characteristic of the Second Sophistic“. 228 Zum Verhältnis von Rhetorik und christlicher Hermeneutik vgl. Schäublin, Christoph: The Contribution of Rhetorics to Christian Hermeneutics. A special Contribution, in: Handbook of Patristic Exegesis. The Bible in Ancient Christianity. With special Contributions by various Scholars, hg. v. Charles Kannengiesser, Leiden / Boston: Brill, 2006, 149-163. 229 Vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 180f. Blümer versuchte außerdem die durchgehende Übereinstimmung von Stil und Gehalt zu aufzuzeigen: „bei sämtlichen Stilmitteln stand ihr Vorhandensein in engem Zusammenhang mit dem Inhalt, kurzum: das ganze Arsenal der antiken Beredsamkeit wird von St. Leo Magnus in den Dienst genommen, um den christlichen Glaubenswahrheiten zu prallem Ausdruck zu verhelfen“ (Blümer, Rerum Eloquentia, 181). 230 Vgl. ibid., 128; 136: „Schließlich werden wir zu beachten haben, daß die vom Redner besonders modulierte Klausel nicht nur stilistisch, sondern auch sachlich von Bedeutung sein kann“. 231 Vgl. ibid., 135f. Vl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 106f; 136: „Die verschiedenen Klauseln selbst reihen sich nach bestimmten Mustern und bilden häufig einen Reim von ganz eigener Art“. Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 122). Vgl. Zanoni, De Romanitate, in: Lati. 12 (1964) 186: „Attamen rhetorum praeceptis is temperate ac modice utitur, et quidem fere semper sapienti iudicio. Quod praesertim contingit in periodorum clausolis adhibendis, qua in re Leonem principem obtinere locum, viri docto omnes consenstiunt. Quare haud pauca huius Pontificis scripta exstant pulcherrima artis specimina, postrema fortasse, in quibus veterum scriptorum robur et venustas, aetate illa, reviviscere quodammodo videantur“.

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als der Rhythmus das Verständnis, die Wortwahl und die Wortstellung beeinflussen kann:232 „Eine Beachtung der angewandten Stilregeln kann z. B. davor bewahren, bestimmten Wörtern ein zu großes Gewicht beizulegen, da sie möglicherweise nur wegen Reim oder Rhythmus gewählt wurden. Andererseits können stilistische Mittel bestimmte Wörter besonders herausheben und betonen.“233

Beide Möglichkeiten können bei Leo bezeugt werden ‒ sowohl die Dominanz des Rhythmus entgegen der Wortwahl,234 als auch die Übereinstimmung von Rhythmus und Inhalt.235 Einen dritten Aspekt stellt aber noch die Prävalenz der biblischen Zitate, sowie dogmatischen und theologischen Aussagen vor dem Rhythmus dar.236 Dem scheint Blümer in seiner Untersuchung ausgewählter 232 Vgl. ibid., 130. Kayser schreibt dazu: „Aber es gibt auch Prosa, in der es [die besagte Übereinstimmung] nicht der Fall ist. Überall da zum Beispiel, wo nach einer «Wohlgefälligkeit» des Rhythmus gestrebt wird oder doch zumindest störende Wirkungen vermieden werden, ist im Autor wie im Leser bzw. Hörer ein besonderes rhythmisches Empfinden wach, das selbstständig reagiert. Darüber hinaus wird sich zeigen, daß durch die Gliederung eine besondere Vertiefung der Bedeutungen erreicht werden kann“ (Kayser, Wolfgang: Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft, 16. Aufl., Bern / München: Francke, 1973, 264) 233 Vgl. ibid., 130. 234 Leo beschränkte sich nicht auf die philosophisch dialektische Präzision seiner Begriffe, sondern schöpft auch aus dem Reichtum der rhetorischen Ästhetik – was freilich zulasten seiner systematischen Kraft geht. Das ist z. B. dann der Fall, wenn er sich in seiner Wortwahl zwischen den quasi Synonymen substantia, natura, essentia, forma oder persona am Wohlklang des cursus (also des Rhythmus) orientiert (vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 952). 235 Siehe oben, bzw. Vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 180f. Leo suchte diese Entsprechung tendenziell vor den größeren Pausen (am Ende von wichtigen Satzteilen oder am Periodenende): „Was wir von den im allgemeinen streng eingehaltenen Regeln für die Klauseln großer Pausen gesagt haben, gilt nicht im gleichen Maße für die (kleinen) Pausen nach ,incisa‘ und ,membra‘. Hier ist Leo in der Gestaltung von Metrik und Rhythmik viel freier; hier treten nach Quantität und Akzent unregelmäßige Klauseln sehr viel häufiger auf, aber irgendeine stilistische Feinheit lässt sich fast immer nachweisen“ (Arens, Die christologische Sprache, 135; Di Capua, Il ritmo prosaico I, 74; Blümer, Rerum Eloquentia, 64f; Steeger, Die Klauseltechnik Leos des Großen, 67f). 236 Im Hinblick auf die Briefe schreibt Arens im Rückgriff auf Di Capua: „Es kommt nicht oft vor, daß Leo eine Schlußklausel vor einer großen Pause nicht nach Quantität und Akzent regelmäßig bildet. Der Grund für das Abweichen von der Regel liegt meist auf der Hand. Zitate oder Reminiszenzen aus der Bibel, ausgeprägte theologische Formeln oder dogmatische Definitionen weisen den Rhetor und Ästheten in seine

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Predigtpassagen entgegenzuhalten, dass eine prinzipielle Entsprechung von Stil und Gehalt gerade in den Aussagen zu finden sei, die zentrale Glaubensaussagen berühren.237 Doch er untersuchte nicht das prinzipielle Verhältnis von Klauseln und Inhalt, sondern stellte lediglich deren verstärkende Wirkung fest.238 Bei der Analyse der Entsprechung von Stil und Inhalt ist daher auch auf die Bedeutung der Klauseln zu achten. Wie die Analyse der Anwendung von Klauseln dabei helfen kann, die „mündliche Literatur“ Leos zu erfassen, so kann die Verklausulierung auch den Adressaten eine Verständnishilfe gewesen sein.239 Aus dieser Perspektive Grenzen. Im Fall des Konflikts gebührt der Sache der Vorrang vor dem Stil“ (Arens, Die christologische Sprache, 134; Di Capua, Il ritmo prosaico I, 17): „Il respetto per le parole del sacro testo rendeva impossibile cambiare l’ordine delle parole o di sostituire un vocabolo con un altro simile per avere la clausola. Similmente, le reminiscenze bibliche, le formole teologiche fisse e le definizioni dommatiche imponevano delle restrizioni ai precetti della retorica. Il prosatore ecclesiastico cercava di conciliare, fin che poteva, le regole della tradizione letteraria con le esigenze della teologia; ma quando l’una veniva a contrasto con l’altra, la teologia aveva il sopravvento. E’ una massima questa che impera non solo nella prosa letteraria, ma in tutta la vita ecclesiastica di quei secoli. Perciò possiamo affermare che, in generale, le citazioni e le reminiscenze bibliche, come le formole dommatiche e teologiche non sono sottoposto alle regole delle clausole“. 237 Blümer untersucht die Entsprechung von Stil und Gehalt in ausgewählten Predigt-Passagen und vermutet im Gegensatz zu Di Capua, dass eine Übereinstimmung gerade in den Aussagen zu suchen sind, die zentrale Glaubensaussagen berühren. „Umgekehrt dürfen wir vermuten, daß die absichtsvolle Entsprechung von Form und Inhalt dort am deutlichsten in der Praxis sichtbar wird, wo Glaubensinhalte direkt verkündet werden (idem, Rerum Eloquentia, 61). 238 Gegen Ende fasst Blümer zusammen: „In allen Fällen notierten wir eine Vielzahl rhetorischer Mittel, die allesamt nur einen Zweck dienten: die christlichen Mysterien in einer klaren und wirksamen Form darzustellen. Wir sahen, wie selbst die Anordnung der Kola ein Abbild des verkündeten Mysteriums sein konnte, wir fanden […] gezielten Einsatz der Klauseltechnik“ (idem, Rerum eloquentia, 181). Und schließlich: „Die von den Vätern in großer Einmütigkeit gestellte Forderung, die Form an den Inhalt anzupassen […] finden wir bei St. Leo erfüllt, seine Anpassung der Stilelemente an den Inhalt geht so weit, daß man sagen darf, hier ‘spreche’ der Inhalt selbst, oder, in Abwandlung der Augustinstelle, hier liege eine ‘rerum eloquentia’ vor“ (ibid., 182). 239 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 130f. Kayser schreibt dazu: „Ja, es stellt sich überhaupt die Frage, ob die Meinung eines Satzes nicht erst dann mit größtmöglicher Klarheit und Intensität herauskommt, wenn sie bestimmten rhythmischen Anforderungen Genüge tut, wie sie – völlig unbewußt – in der Hörerschaft leben“ (idem, Das sprachliche Kunstwerk, 264)

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spricht der ähnliche Stil240 in den Briefen wie in den Traktaten241 sowie die ähnliche Verteilung der Klauseltypen in beiden Genres242 zwar für Leos Kanzleistil, aber nicht notwendig gegen eine mündliche actio dieser Predigten ‒ wie wohl sie im Nachhinein noch (m. E.  nicht entscheidende243) 240 Vgl. Halliwell, The Style, 95: „The most notable differences between the style of Leo’s Sermons and that of the Letters is to be found in the frequency of figures of redundancy, repetition, and the Gorgianic figures, especially parison and homoioteleuton“. 241 Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico, 182: „Il primo risultato, messo in luce dall’analisi ritmica dell’epistolario leoniano, è che non esiste quella grande differenza tra i sermoni e le epistole, che i critici hanno visto“. 242 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 134. Steeger untersuchte die Traktate exemplarisch, Di Capua die Briefe: Hauptform 1: Briefe (ca. 32 %), Traktate (ca. 40%); Hauptform 2: Briefe (ca. 30%), Traktate (24,2%); Hauptform 3: Briefe (ca. 31%), Traktate (ca. 9%), Hauptform 4: Briefe (ca. 7 %), Traktate (ca. 16%). Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 38f; Steeger, Die Klauseltechnik Leos des Großen, 67. Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 182: In quelli (Predigten) e in queste (Briefe) le clausole sono applicate con eguale frquenza e con le medesime caratteristiche. Salvo le differenze, dovute al genere letterario diverso e alle circostanze particolari in cui nacquero, epistole e sermoni, linguisticamente, stilisticamente, ritmicamente, sono simili. Le osservazioni che faremo sulla lingua, i mezzi espressivi e il periodare ritmico dell’epistolario si applicano anche alla raccolta dei sermoni“. 243 Sachot behauptet z. B. generell, dass Predigtsammlungen ihren aktuellen Charakter durch das Anliegen einer Indoktrinierung eingebüßt hätten (vgl. Sachot, Art. Homilie, in: RAC (26) 1994, 164). Dem ist angesichts der These von Chavasse von einer editio secunda (vgl. Chavasse, CChr.SL 138a, XLVI) sowie unter Berücksichtigung einer von Olivar vertretenen Predigt-Vor- sowie Nachbereitung (vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 315f) auch teilweise zuzustimmen. Für eine geringfügige Veränderung, die an der Aktualität der Predigten nichts änderte, können indes nur schwache Argumente angeführt werden: Leo reflektiert seine Rolle als Prediger, er nimmt den Faden von anderen Predigten auf und spricht aktuelle, die Stadtrömer betreffende Themen an z. B. die Manichäer (vgl. Krannich, Von Leporius bis zu Leo dem Großen, 167f). Bei Leos durchdachtem Predigt-Konzept, aus dem auch immer wieder Anleihen für die Briefe genommen werden, ist eine im Wesentlichen die auf uns gekommene Predigtgestalt enthaltende Vorbereitung im Vorhinein nicht weniger wahrscheinlich als eine grundsätzliche bis zu Unkenntlichkeit fortgeschrittene Überarbeitung. Im Letzten bleibt die Annahme, in den uns vorliegenden Texten im Wesentlichen die tatsächlichen Predigten zu sehen, eine brauchbare Hypothese. Ein weiteres schwaches Indiz für die prinzipielle actio der Predigten der ersten Kollektion ‒ ohne auf deren Form Rücksicht zu nehmen ‒ ist der Hinweis in der Betitelung von codex Augiensis K (pergam. 227, Landesbibliothek Karlsruhe): Tractatus quos a die ordinationis sue per continuum quinquenium beatissimus papa Leo dixit ad populum. Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, XIV; Montanari, Nota sulla Storia, 174.

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Veränderungen erfahren haben werden.244 Im Gegenteil, die häufige Aufnahme von Predigtzitaten in den Briefen245 weist darauf hin, dass sich eher sein Predigtstil in den Briefen wiederfindet  als umgekehrt,246 sodass diese gedrängten und bestens durchdachten Predigten247 durchaus bereits in einer Vorbereitung die wesentliche Form gefunden haben können. Da Leos Stil248 verschiedene Traditionen aufgenommen und konserviert hat249 und darin  eher dem kaiserlichen Kanzleistil ähnelt als dem cicerionianischen

244 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 315: „León dictaba personalmente sus sermons antes de la predicación, como dictaba sus cartas. Luego, en la iglesia, los recitaba, habiéndolos aprendido de memoria. No hemos de creer que leyera los textos“. Er könnte aber wie Ambrosius Pergamente in den Händen gehalten haben (vgl. ibid., 316). Nach dem Vortrag folgte wohl eine Überarbeitung (ibid., 316): „Después del acto de la predicación, retocaba en privado los textos, él mismo, probablemente, y no un secretario“. Vgl. Pinell, Teologia e liturgia, in: EO 8 (1991) 139: „mediante il sermone che va elaborando senza fretta per la prossima celebrazione“. 245 Vgl. Halliwell, The Style, 95: „However, the line between Leo the preacher, and Leo the formal prose stylist, is not always clear. There is more than one verbatim repetition from the Sermons in the Letters. The fervor of the Christian preacher overflows into his correspondence“. 246 Darin geht Arens mit Halliwell konform: vgl. Arens, Die christologische Sprache, 26 Anm. 9: „Leo’s sermon style is reflected more in his Letters, rather than the reverse“ (Halliwell, The Style, 9). 247 Die genaue Vorbereitung Leos brachte eine gewisse gedrängte Kürze der Predigten mit sich: „Una curiosidad tan grande en la preparación de estos sermones no podía producir textos muy largos. Ordinariamente los discursos pastorales de san León, no ya los que hemos mencionado por su brevedad extraordinaria, son densos de contenido como bellos de forma, que han merecido para León I el distintivo de Magno o Grande” (Olivar, La predicación cristiana antigua, 318). 248 „Nach Di Capua erreicht diese Sprachkunst in Leos Schaffen im Bereich päpstlicher Sprache ihren Höhepunkt, an dem auch spätere Zeiten der päpstlichen Briefschreibung noch Maß nahmen“ (Arens, Die christologische Sprache, 131). Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 4: „Il ritmo particolare delle prose della cancellaria pontificia raggiunse l’apogeo stilistico e la perfezione letteraria nell’epistolario di Leone Magno. Il suo stile ritmico fu il modello a cui s’ispiranrono la maggioranza deo cancellieri posteriori“. 249 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 135: „In Sprache und Stil der päpstlichen Kanzlei haben sich im Laufe der Zeit vielfältige neue Einflüsse vereinigt, obwohl sich die Kanzlei der klassischen Tradition weiterhin verpflichtet fühlt. Die Silbenqualität ist zur Zeit Leos praktisch in der Aussprache verschwunden, die Kanzlei im Lateran aber kennt und befolgt sie noch“. Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 146; 182-186.

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Latein,250 geschweige denn der Alltagssprache,251 musste der Vortrag dieser Predigten gegebenenfalls umso erhabener,252 pathetisch bzw. dramatisch253 und dogmatisch-autoritativ254 gewirkt haben.

250 Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 182: „Non è il latino classico e ciceroniano, è il latino delle scuole di retorica e di diritto, della cancellaria papale e imperiale, della conversazione e della corrispondenza tra le persone colte. E’ il latino della rinascenza letteraria, che la lingua del Lazio ebbe, nel quarto secolo e nella prima metà del quinto, per opera della Chiesa e dell’Impero“. Nach Di Capua vereinen die Prosaiker des 4. und 5. Jh. die Vorzüge Ciceros und Senecas: vgl. idem, Il ritmo prosaico I, 184. 251 „Leo und seine Kanzlei schreiben ein Latein, das in dieser Form nie gesprochen wurde, sondern eine eigene literarische Kunstform darstellt: die Kunstprosa, die ihre Stellung zwischen einfacher Prosa und gebundener Poesie innehat. Zu ihrer Beherrschung bedurfte man der Unterweisung in den rhetorischen Schulen“ (Arens, Die christologische Sprache, 131). Vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico I, 182: „Il latino che adopera S. Leone nelle sue lettere non è il latino popolare e volgare, ma è una lingua letteraria, e come tutte le lingue letterarie, è un linguaggio composito, dove s’incontrano e s’intrecciano arcaismi e nuove formazioni, voci della scuola e della chiesa, vocaboli e construzioni poetiche e comuni, elementi classici e biblici, i quali sono fusi più o meno coerentemente e felicemente dall’abilità e dall’arte dello scrittore“. 252 Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 131: „Der Erfolg der Schriften Leos geht nicht zuletzt auch auf die Dimension des Schönen in ihnen zurück, die wiederum Geist und Persönlichkeit des Verfassers und die Atmosphäre der Kanzlei charakterisieren“. Olivar hält Leo Stil für nicht pompös, sondern beruhigt und ausgeglichen, sowie schön konstruiert, was auf ein anspruchsvolles Publikum schließen lässt: vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 317. 253 Olivar sieht in Leos effektreichen Stil viel Pathos, mit gelegentlich dramatischen Äußerungen über die Barmherzigkeit: „Esta serenidad de estilo, típicamente romana, admite sin dificultad, cuando es oportuno, efectos retóricos, como el énfasis, el tono patético, el apóstrofe y la diatriba, conjuntamente con moderadas explosiones de una piedad a veces expresada de un modo dramático“ (idem, La predicación cristiana antigua, 317). Als Beispiele für die Apostrophen und den Diatribenstil führt Olivar folgende Stellen an: tract. 33,3 (CChr.SL 138 172f,45-66); 32,3 (CChr.SL 138 167f,4874). In letzterer Stelle bewirken die Anaphern außerdem eine besondere Wirkung (vgl. ibid., 317 Anm. 18). 254 Die dogmatischen Formulierungen erscheinen nach Olivar wie an Gott gerichtete Lobgebete wie Formulare der römischen Liturgie: „Léon, además, sabe convertir la formulación del dogma en alabanza y en oraciones dirigias a Dios. Ya hemos dicho que sus sermones son como grandes fórmulas liúrgicas, y al estar construidos, como las oraciones de la liturgia romana, con el empleo del trícolon, de la antítesis y la

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4.5.2  Leos Sprache als Medium einer ästhetischen Theologie Vor dem Hintergrund von Leos Inkarnationstheologie255 und dessen Anliegen einer ganzheitlichen Partizipation an der Liturgie bzw. am mysterium salutis256 im Sinne einer Annahme von Jesu sacramentum und Nachfolge von Jesu exemplum,257 arbeitete Ronconi258 eine dem Papst zuschreibbare theologische Deutung von Form und Inhalt der Predigten heraus, die aber den Schwachpunkt hat, dass Leo sich darüber nicht äußert.259 Ein wesentlicher Ausgangspunkt ist dabei der Begriff der humilitas, der bei Augustinus die Menschwerdung Christi, aber auch

observancia rigurosa del ritmo de las cláusulas, podrían ser en parte cantados como los prefacios de la misa romana” (idem, La predicación cristiana antigua, 317f). 255 Vgl. Martin, Art. Leo II, in: RAC 22 (2008) 1193: „Im Zentrum seiner Theologie steht die Lehre von der Menschwerdung Gottes. Immer wieder betont Leo die wahre Menschennatur Christi, welche die Bedingung für die Erlösung ist“. 256 Vgl. ibid., 1194: „Typisch für Leo ist ferner ein historisches, evolutives Verständnis der Heilsereignisse: Durch die Inkarnation hat der Gottessohn nicht nur die volle Menschennatur angenommen und ihre Würde zurückgegeben, sondern sie erhöht und damit schon die Kirche in ihrem Urzustand geschaffen (z. B. serm. 26,2); dieser entfaltete sich über das Leiden und die Auferstehung bis zu Himmelfahrt und Pfingsten, wodurch die Jünger das Bewusstsein, Kirche zu sein erlangten und die Kirche zum Sakrament wurde. Die sakramentale Erneuerung in den Festen des Jahres-Zyklus macht den Gottessohn gegenwärtiger als zu Zeiten seiner Sichtbarkeit; Christologie, Ekklesiologie und Pneumatologie sind eng miteinander verbunden“. 257 Vgl. ibid., 1194. Vgl. Ronconi, A maiestate humilitas, 189f: „Questa determinatezza dell’incarnazione e della partecipazione – liturgica e vitale – è lo spartiacque decisivo per tutta la fede, la sua trasmission, la sua attuazione storica e il rapporto con il fine ultimo cui tende e da cui è attirata“. Das Ziel der Predigt ist die Begegnung mit den Adressaten und deren Anteilnahme auf der Ebene des Intellekts und der Affekte, letztlich an der Erlösung durch Christus (vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 952). Für Augustinus wird vor allem die Erläuterung zum wichtigsten Genre (Kommentare), es geht ihm vornehmlich darum intellektuell verstanden zu werden (vgl. ibid., 953). 258 Auf seine Monographie «A Maiestate Humilitas» Il rilievo della retorica nella teologia di Leone Magno (TG.T 129), Rom: Editrice Pontificia Università Gregoriana, 2005 folgte ein Artikel: Teologia e retorica in Leone Magno, in: RL 93 (2006) 946-956. 259 Daher muss Ronconi auch offen lassen, ob Leo diese Hypothese tatsächlich im Sinn haben konnte: vgl. idem, A maiestate humilitas, 193: „Non sappiamo se Leone abbia mai teorizzato una tale poetica / teologia; sicuramente non ne ha lasciato traccia in un testo appositamente scritto. Di fatto, tuttavia, egli sembra muovere la sua teologia sempre da questo punto in poi“.

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den literarischen Stil der Schrift beschreibt,260 bei Leo jedoch ‒ etwas subtiler ‒ auch die in Christus eingehüllte natura humana:261 Leos optimistische Betrachtung der menschlichen Natur habe ihren Grund in deren Aufnahme in Christus, wodurch sie ihre dignitas erfahre. Der Gegenpol zur humilitas sei unter diesem Blickwinkel nicht die superbia, sondern die maiestas oder divinitas, als Ausdruck der göttlichen Natur und der Konsubstantialiät mit dem Vater. Als Synonym für humilitas verwende Leo die humanitas wohl auch aus Gründen der Assonanz. Im Begriff der humanitas sei aber auch die Dynamik der παιδεία enthalten, zu der die Getauften gerufen sind.262 Die forma humilitatis Christi zeige die dignitas des Christen, da sie in der Taufe der humilitas Christi gleichgestaltet werden, sodass sie an seiner maiestas teilhaben. Da die Getauften aber gleichzeitig noch in der Nachfolge stehen und angefochten werden (ohne die maiestas zu verlieren), brauchen sie auch die Bestärkung durch Leos Predigten. Leo gehe es aber nicht nur um die Vermittlung von intellektuellen Inhalten geht oder um die Übereinstimmung von Inhalt und Rhetorik, wie das auch Augustinus fordert, sondern: die Schönheit der Rhetorik werde selbst zum Medium. Der Prediger achte darauf, dass die Worte der Bibel und die Schönheit der Rhetorik eine Einheit bilden, lasse das Entscheidende aber Gott tun. Denn ohne sein Zutun scheiterten die Menschen an der Begrenztheit der menschlichen Sprache263 und könnten nicht die begreifende Nachfolge

260 Für Augustinus ist der Predigtstil nicht auf das genus humile beschränkt – wie er in De doctrina auch für die Schrift nachweisen möchte – sondern kann je nach Anlass und Adressaten gewählt werden, ja soll sogar in der Predigt selbst variieren, sodass er letztlich für das christliche genus mixtum eintritt. Dem gegenüber kommt Augustinus über die Beschäftigung mit der Bibel und ihrem genus humile zu einem Begriff von Ästhetik, der die Schönheit vorrangig im Inhalt der christlichen Botschaft ‒ der Inkarnation oder der humilitas Gottes ‒ bezeichnet. Augustinus meldet daher deutliche Skepsis bei dem officium oratoris des delectare an, da es einseitig verstanden dazu diene, die Zuhörer unabhängig von einer Wahrheitsvermittlung zu unterhalten (vgl. doctr. chr. 4,25,55 [CChr.SL 32 160f,9-17]; 4,25,55 [CChr.SL 32 161,26-30]). Die Freude der Zuhörer erschließe sich wiederum über den Inhalt. In einem Brief stellt Augustinus der humilitas des Schrift-Stils die superbia der Irrlehrer gegenüber (eloquium superbum…humilis sermo). Die Schrift spreche ohne Schminke zum Herzen (sine fuco ad cor loquitur): vgl. ep. 137,18 (CChr.SL 31B 272,408-273,415). Das genus humile der Schrift berge den Reichtum des Inhalts, der nicht für alle zugänglich und daher erklärt werden müsse: vgl. ep. 137,18 (CChr.SL 31B 272,407f): Modus autem ipse dicendi, quo sancta Scriptura contexitur, quam omnibus accessibilis, quamvis paucissimis penetrabilis. Für Augustinus kann die humilitas also den Schriftstil und Christus selbst charakterisieren. 261 Vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 955. 262 Vgl. ibid., 951. 263 Siehe das Kapitel: Die Rolle der Rhetorik.

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Die Methode der Predigt Christi antreten. Insofern verweise auch die schöne Sprache auf den Anderen.264 Christus gebe sein auxilium (sacramentum), damit Christinnen und Christen verstehen und seinem exemplum folgen können. Da die Predigt also den ganzen Menschen ansprechen solle und die nativitas Christi eine Dynamik benenne, die sich von der menschlichen Geburt zur Liturgie (Taufe, Ostern, Pfingsten und darüber hinaus) erstrecke, sei der Predigt auch die Signatur der Inkarnation eingeschrieben.265 Der Christ müsse demnach ein Sohn des Höchsten werden, und ein Liebhaber des schönen und guten Stils, ohne Angst vor der superbia ‒ in Christus sei die Erniedrigung und Erhöhung schließlich bereits ohne Hochmut aufgenommen, da die Schönheit und die Güte von Gott kommen.266 Die Söhne der Finsternis, die Irrlehrer, lehnen die Einheit der beiden Naturen ab, die die Christen gerade zur Ablehnung einer Haltung führen muss, nach der sich die humanitas nicht als schön, wahr und gut erweisen kann.267 Bei den Predigten Leos stehe man an der Schwelle einer mystischen Theologie, die Gott im Menschen erfahrbar mache und auf rhetorischer Ebene die Unendlichkeit in der Sprache.

Die große Wertschätzung der menschlichen Natur wirke sich bei Leo also auch bei der Bewertung der Funktion von Sprache aus sowie auf die implizite Verhältnisbestimmung von Inhalt und Ästhetik.268 Besonders die Anwendung der Klauseln spreche nach Ronconi für ein besonders, ästhetisches Empfinden: Leo beschränkte sich nicht auf die philosophisch dialektische Präzision seiner Begriffe, sondern schöpft aus dem Reichtum der rhetorischen Ästhetik, was freilich zulasten seiner dogmatischen Präzision ging.269 Leo verwendet die sehr häufig aufgenommene biblische Sprache als Ausgangspunkt für Formulierungen und Erklärungen, zögert aber nicht, Bibelzitate zu verändern, um ihnen einen schöneren Rhythmus zu verleihen (durch Klauseln und Parallelismen bzw. durch variatio270), um seine Hörer adäquat an der Predigt teilnehmen lassen zu können.271 Die intensive Anwendung des cursus diene dazu, die Güte und Schönheit Gottes mitzuteilen, wofür gerade die Stadtrömer

2 64 Vgl. Ronconi, A maiestate humilitas, 185. 265 Vgl. ibid., 952. 266 Vgl. ibid., 956. 267 Vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 956. 268 Vereinfacht ausgedrückt, leitet Augustinus die Schönheit von der Wahrheit ab (vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 954), sodass der Stil nur durch den Inhalt legitimiert wird (Obwohl Augustinus sich auch der gereimten und Volkstümlichen Prosa bedient: vgl. Frank, Augustinus: sapienter et eloquenter dicere, 264), die Sprache sei letztlich eine Folge des Sündenfalls (vgl. Gn. adv. Man. 2,4f [CSEL 91 123,18-125,18]). Leos Perspektive sei eine andere, gemäß seiner Romanitas und seiner mens oratoria, die daran gewöhnt sei „a non scindere il vero dal bello“ (Ronconi, Teologia e retorica, 954). 269 Vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 952. 270 Vgl. ibid., 188f. 271 Vgl. Ronconi, A maiestate humilitas, 189; vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 954.

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empfänglich sein mussten.272 Insofern sehe Leo in allen Teilen der Predigt sozusagen das Wahre, Schöne und Gute immer zusammen.273

Unter Berücksichtigung des von Ronconi nicht erwähnten,274 allgemeinen, durchaus adressatenorientierten Trends der Rückbesinnung auf die klassische Rhetorik und die starke Verwurzelung des cursus in der Tradition (christlicher Autoren bzw. Prediger, des Kanzleistils) ist jedenfalls anzuerkennen, dass auch Leo seinen Zuhörer die Freude an einer wohlklingenden Predigt ermöglichte. Auf dieser Ebene ist aber wohl allen zeitgenössischen Predigern Leos zu unterstellen, dass sie in der Konformität einer rhetorisch ausgearbeiteten Predigt und der Wahrheit der christlichen Botschaft die bestmögliche Gestalt der Verkündigung erkannten. Dass die Sprache angesichts des Mysteriums an ihre Grenzen gerät und der entscheidende Impuls in der Predigt nicht durch den Prediger, sondern durch Gott selbst, dem er sich zu Verfügung stellt, kann ebenfalls als Gemeinplatz unter frühchristlichen Predigern eingestuft werden. Leo wirft aber ohne Zweifel einen optimistischen Blick auf die Schöpfung und besonders auf die daraus resultierende gottmenschliche Dynamik in der Verkündigung des Wortes Gottes. Das auxilium Gottes verleihe dem Menschenwort die dignitas und verwandle die hörenden Gläubigen im Sinne der imitatio Christi. Nach Leo ist es letztlich Christus,275 der die durch die Tradition des christlichen Lateins eröffnete, rhytmusgebundere Aktualisierung der von ihm häufig aufgenommenen oder zitierten Schrift, erschließt, in die Nachfolge ruft und sie ermöglicht. Demnach ist die Ästhetik der Predigt vor allem in ihrer dynamischen Kraft zu sehen, die keineswegs ohne den menschlichen Anteil der rhetorischen Affektlenkung wirkt und die Adressaten am Mysterium Christi teilhaben lässt. Obgleich die literarische Form der Predigten auf die Berücksichtigung eines zeitgenössischen Sprachideals verweist, ist die Charakterisierung von Leos Ausdruck als ein Zeugnis für ein Medium einer ästhetischen Theologie jedenfalls als anachronistisch zu bezeichnen. Ronconi entgeht einer solchen Engführung mit dem Verweis auf die Bezogenheit der Rhetorik auf den Inhalt und das Wirken

2 72 Vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 954. 273 Vgl. ibid., 954. 274 Den Einfluss von Hilarius, Tertullian und Augustinus benennt er nur auf der Ebene sprachlichen Definition von dogmatischen Aussagen (vgl. Ronconi, Teologia e retorica, 947 Anm. 5). 275 Vgl. Martin, Art. Leo, in: RAC 22 (2008) 1194. Christus ist in den Festen bzw. auch in der Schriftaktualisierung gegenwärtiger als zu Zeiten seiner Sichtbarkeit.

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Gottes, kommt ihr aber mit der Überbewertung der Bedeutung der Klauseln nahe.276 Für eine theologische Reflexion der Schönheit des sprachlichen Stils gibt es bei Leo keinen Anhaltspunkt.

4.6 Schlussfolgerungen Von Leos Prosarhythmus lässt sich zusammenfassend festhalten, dass er durch eine lange (christliche) Tradition geprägt ist, der auch einen deutlichen Einfluss des durch technisch-juristische Begriffe charakterisierten kaiserlichen Kanzleistils erfuhr.277 Daher kann die hohe Frequenz von Klauseln zwar nicht als genuin leoninisches Charakteristikum angesehen werden, sehr wohl aber als bewusste Anknüpfung an einen erhabenen, imperialen Stil. Dass dieser Stil sich im Wesentlichen auch in Leos Briefen findet, lässt auf den allgemeinen Kanzleistil schließen, erklärt sich bisweilen aber auch durch die Aufnahme von Predigt-Zitaten in den Briefen. Diese Umstände sprechen auch nicht notwendig gegen die These, dass Leo die Predigten größtenteils vor der actio erstellte und sie durch die bzw. nach der Artikulation vollendete (bzw. seine Kanzlei). Die inhaltlich dicht gedrängten und nach allen Gliederungs- und Stilkünsten der Antike geformten

276 Für das Verständnis von Ronconis Perspektive auf Leo ist dessen Zitat von Hans-Urs von Balthasar aufschlussreich (hier auf Deutsch wiedergegeben): „Dieser [der Theologe] kann, wie der Augustinus der Confessiones, eine große symphonische, lyrischrhapsodische Musik entfesseln, um seiner ästhetischen Gotterfahrung Ausdruck zu geben. Er kann dasselbe symphonische Orchester auf den unpersönlichen Stil der liturgischen Musik stimmen, wie der Areopagite. Er kann sich auf das Ausschleifen kleiner Edelsteine der Wort- und Formulierungskunst verlegen, um sie dann an der Schnur seiner Predigten aufzureihen (wie nicht ganz ohne Eitelkeit Gregor von Nazianz). Er kann die gleiche klargeschliffene Kurzform aus dem römischen Geist der Gesetzgebung erstreben, wie oft Tertullian, wie Leo der Große, wie gelegentlich Ambrosius: höchste Prägnanz, die als menschlich-kirchliche Antwort gedacht ist auf die äußerste Bestimmtheit des biblischen Gotteswortes“ (idem, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik 2, Fächer der Stile, 3. Aufl., Einsiedeln: Johannes, 1984, 12f). Vgl. Ronconi, A maiestate humilitas, 187). 277 Gegenüber einseitigen und subjektiven Theorien der allgemeinen Degenerierung des Prosarhythmus in der Spätantike ist auch ein Wandel des ästhetischen Empfindens zu bedenken, der die steigende Anwendung der Klauseln begünstigte. Eine solche Degeneration kolpotiert Norden (vgl. idem, Die antike Kunstprosa, 655f): „Die große Masse der Stilkünstler ist an der schwierigen Aufgabe gescheitert, indem sie, um mich eines anderen, gleichfalls antiken Bildes zu bedienen, die starken Gewürze zur Speise selbst gemacht hat“.

Der Predigtstil Leos des Großen

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Predigten sind in einer im 5.  Jh. verständlichen Sprache verfasst und können auch in dieser Form vorgetragen worden sein.278 Bezüglich der von Leo häufig verwendeten Stilmittel (Antithese, Isokolon, Homoioteleuton) wurde deutlich, dass sie überhaupt als Signatur der christlichen Predigt gelten können.279 Es bleibt dennoch Leos Verdienst, diese Stilmerkmale in besonderer Intensität verbunden und auf hohem Niveau souverän für die christliche Verkündigung angewandt zu haben, sodass sie der inneren Logik des Glaubens auch entsprechen.280 Als ein Charakteristikum von Leos Stil wurde die spezifische Prägung des dialektischen Stilmittels der Antithese festgehalten. Deren Auswirkung auf die Mikrostruktur von Leos Sprache ist auf die Verkündigung der Doppelkonsubstantialität zurückzuführen, die bei ihm besonders durch die Einheit und das Gegenüber von humilitas / humanitas und maiestas / divinitas zum Ausdruck kommt. Auf rhetorischer Ebene ergibt sich dadurch eine ideelle Konformität zwischen der in menschlicher Sprache verfassten Verkündigung und ihrem Ziel, die Adressaten für Gottes Initiative zu öffnen und sie nach dem Vorbild der nativitas („Geburt“) Christi zu erneuern. Leos Anliegen der Übereinstimmung von Stil und Gehalt scheint aber im konkreten Text zumindest dann nicht letztentscheidend gewesen zu sein, wenn sein Rhythmusgefühl über die Wortwahl bestimmt und wenn Wortstellung und Wortwahl keinen Rhythmus ergeben. Gebildete Adressaten Leos haben dessen Stil wohl zeitgemäß und schön empfunden. Dennoch ist nicht notwendig von dem spezifischen, theologischen Anliegen Leos auszugehen, durch den Wohlklang seiner Sprache auf die Güte und Schönheit Gottes zu verweisen, zumal die explizite Assoziation der sprachlichen Schönheit mit dem Inhalt bei Leo nicht nachzuweisen ist. Sehr wohl ging es dem traditionell orientierten Bischof aber um die affektive Anteilnahme seiner Zuhörer und um die Vermittlung des Inhalts, dem die Schönheit gewissermaßen von selbst entsteigt. Von Leo reflektiert ist jedoch das erschließende Wirken des Mysteriums Christi für Prediger und Hörer, die an die Grenzen des menschlichen Ausdrucksvermögens und Verstehens des christlichen Kerygmas stoßen. Diese Grenzen 278 Man beachte den Umstand, dass „mündliche Literatur“ in der Antike ‒ abgesehen von der ausgeprägten Mnemotechnik, die das auswendige Rezitieren ohne weiteres ermöglichte ‒ ihre Bezeichnung auch daher bezieht, dass Texte prinzipiell stets laut gelesen wurden und für den Vortrag gedacht waren. 279 „Die Signatur des Stils der christlichen Predigt in lateinischer Sprache ist der antithetische Satzparallelismus mit Homoioteleuton“ (Norden, Die antike Kunstprosa, 616f). 280 Vgl. Blümer, Rerum Eloquentia, 182.

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Die Methode der Predigt

werden zwar wiederum nicht mit Grenzen der Darstellungsmöglichkeit rhetorischer Schönheit identifiziert, doch in der Erfahrung des Unendlichen an der endlichen Ausdrucksform ist nach Leo das eigentlich Ästhetische zu suchen, der Gottmensch Jesus Christus.

5 Der liturgische Kontext der Predigt 5.1 Die Bedeutung des liturgischen Rahmens für die Hermeneutik der Predigten Form, Sprache und Ziel der Predigt können erst im Gesamtzusammenhang der Liturgie in ihrer Tiefendimension erfasst werden.281 Die Predigt erläutert die Bedeutung des aktuellen Festtages und vermittelt zugleich die Aktualität der Schrift, indem die Wirkung der entsprechenden Heilsereignisse (virtus operis282) sakramental erneuert und als Taten Christi im Heute (hodie283) in den Adressaten präsent werden sollen Auf diese Weise entfaltet die Predigt eine Theologie des Leibes Christi und soll zu einer größeren Einheit der Glieder und des Hauptes führen.284 Liturgie und Leben werden als enge Einheit verstanden, die in der christlichen Askese des Sterbens für die Sünde und des Lebens für Gott eingeholt werden muss.285

281 Zum Zusammenhang von Liturgie und Praxis bei Leo vgl. Robinson, David Charles: Informed Worship and Empowered Mission. The Integration of Liturgy, Doctrine, and Praxis in Leo the Great’s Sermons on Ascension and Pentecost, in: Worship 83 (2009) 524-540. 282 Vgl. tract. 36,1 (CChr.SL 138 195,6-11): Neque enim ita ille emensus est dies, ut virtus operis quae tunc est revelata transierit, nihilque ad nos nisi rei gestae fama pervenerit, quam fides susciperet et memoria celebraret, cum multiplicato munere Dei etiam nostra cotidie experiantur tempora, quidquid illa habuere primordia. 283 Vgl. z. B. tract. 21,1 (CChr.SL 138 85,1f): Salvator noster, dilectissimi, hodie natus est, gaudeamus. Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 155-159. 284 Vgl. Kročil, Vladimir:  Papst Leo der Große und seine liturgischen Predigten, in: HoLiKo 26 (2009) 21f. Vgl. Cavalcanti, Elena: La predicazione di Leone Magno a Roma, in: La comunità cristiana di Roma, 1. Band, La sua vita e la sua cultura dalle origini all’alto medio evo (= AD 9), hg. v. Letizia Pani Ermini / Paolo Siniscalco, Rom: Libreria Editrice Vaticana, 2000, 247-267; De Margerie, Betrand: San León Magno, exegeta litúrgico de los misterios de Cristo revividos en la Iglesia, in: CuMon 106 (1993) 329-331. 285 Vgl. Kročil, Papst Leo der Große, in: HoLiKo 26 (2009) 23.

Der liturgische Kontext der Predigt

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Mit dieser hohen Einschätzung der Homilie und der Sorge um die Rechtgläubigkeit geht auch die Einschränkung der Predigterlaubnis für Bischöfe (sacerdotes) einher.286

5.2 Die Verwendung der Bibel in der Liturgie 5.2.1  Die Verwendung der biblischen Bücher Bei aller Bedeutung der Schrift für Leo, ist zur Kenntnis zu nehmen, dass er die Schrift verhältnismäßig nicht so häufig zitiert wie andere frühchristliche Autoren.287 Im AT nimmt er am häufigsten die Psalmen auf (70 von 142 AT-Zitaten), was auf seinen Bezug zur Liturgie hinweisen könnte, während die 26 Jesaja-Zitate wohl auf Leos Christozentrik und Verkündigung des Messias verweisen.288 Aus dem NT zitiert er am öftesten Matthäus (125 von 450 NT-Zitaten), dann Johannes (74 Zitate), den Römerbrief (44 Zitate), 1 Korinther (42 Zitate), Lukas (30 Zitate) und 2 Korinther (28 Zitate).289 Diese Aufstellung spiegelt den Befund der Bibelverwendung des Ambrosius, Hieronymus und Augustinus wider und verweist daher wohl auf eine traditionelle Verwendung, vermutlich sogar innerhalb der Liturgie.290 Spielen die paulinischen Briefe allgemein für die moralischen und dogmatischen Aussagen eine große Rolle, so ist der Hebräerbrief besonders als Grundlage zur Ausfaltung der Mittlerschaft Christi zu berücksichtigen.291 Dass sich bei 286 An Maximus, den Bischof von Antiochien, schreibt Leo über die Sorge, nur Priester bzw. Bischöfe predigen zu lassen: vgl. ep. 119,6 (PL 54 1045C-1046A): Illud quoque dilectionem tuam convenit praecavere, ut praeter eos qui sunt Domini sacerdotes, nullus sibi docendi et praedicandi ius audeat vindicare, sive ille monachus, sive sit laicus, qui alicuius scientiae nomine glorietur. Quia etsi optandum est ut omnes Ecclesiae filii quae recta et sana sunt sapiant, non tamen permittendum est, ut quisquam extra sacerdotalem ordinem constitutus gradum sibi praedicatoris assumat, cum in Ecclesia Dei omnia ordinata esse conveniat, ut in uno Christi corpore et excellentiora membra suum officium impleant, et inferiora superioribus non resultent. Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 26. 287 Nach Lauras sind 592 eindeutige Schriftzitate zu zählen (vgl. idem, Saint Léon le Grand et l’Écriture sainte, 128). Vgl. Campione, Ada: Sulla presenza della Scrittura nelle epistule dei papi prima di Leone Magno, in: ASEs 7 (1990) 476-483. 288 Vgl. Lauras, Saint Léon le Grand et l’Écriture sainte, in: Studia Patristica 6, Papers presented to the Third International Conference on Patristic Studies, held at Christ Church, Oxford 1958, 6. Teil, Theologica Augustinana (= TU 81), hg. v. Frank Leslie Cross, Berlin: Akademie, 1962, 128f. 289 Vgl. ibid., 128. 290 Vgl. ibid., 129f. 291 Vgl. Anang, The Theology of the Passion, passim; bes. 186-191.

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Die Methode der Predigt

Leo keine Zitate von Markus und von der Offenbarung finden, fügt sich gut in dessen positiven Zugang und in seine Skepsis gegenüber Endzeit-Spekulationen ein.292 Zwar kann man bei Leo eher von Argumentationsstützen und Schriftbeweisen als von Schriftauslegung sprechen, doch gibt es zum Teil auch deutliche Ausfaltungen der verba.293 Manche Zitate könnten ihm (bei der Vorbereitung) spontan in den Sinn gekommen sein, andere wollte er vielleicht aus Rücksicht auf die Aufnahmefähigkeit der Zuhörer nicht weiter ausfalten.294 Zusammenfassende und abzuschließende Schriftbelege können inhaltlich auf das liturgische Fest bezogen sein, die Doxologie einleiten und entsprechen überhaupt seinem Stil.295

5.2.2  Die Bedeutung der liturgischen Lesungen und deren Aktualisierung Gemeinsam mit der jährlichen Wiederkehr der jeweiligen, liturgischen Zeit eröffnen die Schriftlesungen (narratio) einen Zugang zum Heilsmysterium.296 Daher gibt es in vielen Predigten neben allgemeinen Aktualisierungen auch direkte Bezugnahmen auf die bereits in der Schriftlesung vorausgegangene narratio,297 entweder zu Beginn oder an der rhetorisch-entsprechenden Stelle der Predigt, der Narratio: häufiger ist dabei das Evangelium gemeint, bisweilen wird aber auch eine Epistellesung aufgenommen.298 292 Vgl. Lauras, Saint Léon le Grand et l’Ecriture sainte, 129. Auch Ambrosius und Augustinus verwenden diese Bücher seltener. 293 Vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 916f. Nach Lauras seien gut ein Drittel der NT-Zitate eingestreut, ein Drittel als Schriftbeweise und ein Drittel als Kommentar angelegt. Zu dieser Zahl kommt Lauras durch die Untersuchung der 19 Passionspredigten: vgl. idem, Saint Léon le Grand, 133. 294 Z. B.: 1 Kor 1,23: Licet crux Iudaeis sit scandalum, Gentibus autem stultitia, nobis tamen Dei virtus est Deique sapientia (tract. 56,1 [CChr.SL 138A 328,8f]). Vgl. Lauras, Saint Léon le Grand, 133. 295 Vgl. Lauras, Saint Léon le Grand, 133f. 296 Vgl. tract. 56,1 (CChr.SL 138A 328,13-15): non solum recursu temporis, sed etiam textu evangelicae lectionis omne opus nostrae salutis ingeritur. Vgl. De Soos, Le mystère Liturgique, 50; 101: „Une fête liturgique est donc, aux yeux de saint Léon, un jour determine de l’année, anniversaire d’un événement majeur de la vie du Sauveur; en ce jour consacré, tous les chrétiens se rassemblent partout pour célébrer la mémoire de cet événement en accomplissant solennellement le culte eucharistique au cours duquel les lectures sacrées rappellent à tous l’événement commémoré“. 297 Vgl. Studer, Schola christiana, 106. 298 Darauf verweisen auch Leos eigene neun Belege von narratio, von denen sechs mit evangelica bzw. evangelii verbunden sind: vgl. tract. 36,1 (CChr.SL 138 195,11): narratio

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Durch die Erläuterung der Schriftlesungen wird die Kontinuität der in Christus gipfelnden Heilsgeschichte und der gegenwärtigen Präsenz Christi in den aktuellen Herausforderungen verdeutlicht.299 Die Vergegenwärtigung Christi in diesem hermeneutischen Prozess ist allerdings auch bei Leo nicht gegen andere Formen der Gegenwart Christi auszuspielen.300 Leos Verständnis von Aktualisierung Leo schreibt dem biblischen Text unter dem Stichwort historia301 („schriftliche Erzählung“, „Tatsachenbericht“) eine Autorität zu, in der die Glaubwürdigkeit der nicht selbst erlebten Heilsereignisse begründet ist.302 Als patristischer Prediger untersucht Leo den biblischen Text aber nicht nach dessen historischer Bedingtheit,303 sondern setzt sich das Ziel, die Hörer zu einer höheren und tieferen Form des Glaubens zu führen, nämlich zur Begegnung mit dem Unbegrenzten, dem lebendigen Christus innerhalb des Verstehenshorizontes des Gottesdienstes und schließlich zur Nachahmung Christi im Alltag.304 Stets ist er sich dabei der notwendigen Hilfe des göttlichen Geistes bewusst.305 Dieser ist es,

evangelicae lectionis; 38,1 (CChr.SL 138 205,2); 62,5 (CChr.SL 138A 381,110f); 64,1 (CChr.SL 138A 389,11f); 70,1 (CChr.SL 138A 426,1f); 72,1 (CChr.SL 138A 441,2). Ein weiterer Hinweis auf die bevorzugte Bezugnahme auf das Evangelium ist die häufige Formulierung evangelica historia: z. B. tract . 40,3 (CChr.SL 138A 225,48). Demgegenüber findet sich nur ein Beleg von historia, der sich auf die Lesung bezieht und zwar in den Pfingst-Predigten, da die Lesung aus der Apostelgeschichte das Festgeheimnis zum Ausdruck bringt: vgl. tract. 75,2 (CChr.SL 138A 466,20): apostolica historia. 299 Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 87. Vgl. Simonetti, Manlio: Esegesi e dottrina, in: I sermoni di Leone Magno. Fra storia e teologia (= BPat 30, Leone Magno. Sermoni. 1. Band, Introduzione), hg. v. Mario Naldini, Fiesole (Fl): Nardini, 1997, 51-70; 67-70. 300 Vgl. ibid., 87. Feichtinger führt als gegenläufige Tendenz D.R. Holeton an: vgl. idem, The Sacramental Language of Leo the Great, in: EL 92 (1978) 115-165, 162f. 301 Vgl. die Anmerkungen zu narratio oben. 302 Vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 928 Anm. 78: Leo stellt die auctoritas Evangelii und die ratio sacramenti parallel gegenüber: vgl. ep. 119,1 (PL 54 1041C,26f): nec auctoritas Evangelii, nec ratio suscipiat sacramenti. 303 Mit der modernen Exegese hat diese Aktualisierung jedoch gemein, dass die res („Inhalt“, bei Leo: „Glaubensinhalt“, „Festinhalt“, „Ideal christlichen Lebens“) bedeutsamer sind als die verba („Wörter“). Vgl. Fiedrowicz, Michael: Theologie der Kirchenväter. Grundlagen frühchristlicher Glaubensreflexion, Freiburg u.a.:  Herder, 2007, 105. 304 Vgl Fiedrowicz, Theologie der Kirchenväter, 104f. 305 Vgl. Kročil, Papst Leo der Grosse, 24; Fiedrowicz, Theologie der Kirchenväter, 102.

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der den Prediger über den Inhalt belehrt, ihm die Worte eingibt und die Hörer durch die Worte des Predigers unterrichtet, sodass Schrift und Predigt nicht auf menschliche Worte reduziert werden können.306 Die daraus erwachsende Einheit von exegetischer und sakramentaler Sprache307 ist daher ein Wesenszug seiner Predigten.308 Nach Leo reicht die in Gott vertrauende, rechtgläubige Verkündigung des Predigers und dessen beharrliches Bemühen trotz seines ungenügenden, menschlichen Ausdrucksvermögens309 für die „aktualisierende Verlebendigung“ der biblischen Worte aber nicht aus. Auch von den Adressaten ist dieser Glaube gefordert, der die Autorität der Schrift anerkennt.310 Die Glaubenden sollen das gehörte Wort nach dem Modell der Inkarnation Christi bereitwillig aufnehmen.311 Dazu sollen drei (an Augustinus orientierte) Schritte der Auslegung führen: (1) Zuerst wird die liturgisch vorgesehene Lesung (lectio) den mit der Wahrnehmungsebene des Glaubens beschenkten Hörern zu Gehör gebracht, damit sie die Geschehnisse (imago rerum gestarum312) geistig ins Heute (hodie) vergegenwärtigen und bildlich vor Augen haben (visio).313 Dadurch 3 06 Vgl. ibid., 26. 307 Vgl. Guzie, Tad: Exegetical and Sacramental language in the Sermons of Leo the Great, in: StPatr 12 (1975) 209. Zum Verständnis von Leos Schrifthermeneutik in den liturgischen Predigten vgl. Kročil, Vlastimil: Papst Leo der Große, in: HoLiKo 26 (2009) 21-29; Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 87-102. 308 Vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 926. 309 Vgl. Kročil, Papst Leo der Grosse, 27f. 310 Vgl. tract. 52,1 (CChr.SL 138A 307,1-9): Sacramentum, dilectissimi, dominicae passionis…tam plane ac lucide evangelicus sermo reservavit, ut religiosis et piis cordibus non aliud sit audisse quae lecta sunt quam vidisse quae gesta sunt. Unde cum indubitabilem obtineat auctoritatem sacra narratio, adnitendum nobis est, auxiliante Domino, ut perspicuum habeat intelligentia, quod notum fecit historia. Vgl. tract. 27,1 (CChr.SL 138 132,5-10); 34,2 (CChr.SL 138 180,40-49); 66,1 (CChr.SL 138A 401,1-14). Vgl. De Soos, Le mystère liturgique, 102; Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 919. 311 Vgl. tract. 69,2 (CChr.SL 138A 420,23f): Decurso igitur, dilectissimi, textu evangelicae lectionis, quam de gloria crucis Christi intento accepistis auditu. Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 87. Feichtinger zitiert Hudon, Le présupposés “sacramentels” de saint Léon le Grand, in: EgT 10 (1979) 325. 312 Vgl. tract. 72,1 (CChr.SL 138A 441,1-4): Totum quidem paschale sacramentum evangelica nobis narratio praesentavit et ita per aurem carnis penetratus est mentis auditum, ut nemini nostrum rerum gestarum imago defuerit. 313 Vgl. De Soos, Le mystère liturgique, 54; 102. Vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 918. Im Hinblick auf sein Verständnis von liturgischer Erneuerung

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wird das entsprechende Ereignis im Leben Jesu nicht nur ins Gedächtnis gerufen, sondern auch gnadenhaft als Muster und Beispiel zugänglich.314 Diese zweifache Wirkung bezeichnet Leo mit Augustinus als exemplum („Modell“, „Beispiel“) und sacramentum315 („Gnade“, „Heilswirksamkeit).316 Der Glaube der Schrift gegenüber ist aber nur der Ausgangspunkt zur Fülle der Erkenntnis hin.317 (2) In einem zweiten Schritt erfassen die Hörenden durch die Predigt und kraft ihrer intelligentia spiritualis, welche Ereignisse beispielhaft für sie geschehen sind.318 Sie müssen sich darüber Rechenschaft geben, wie Christus für sie ein exemplum und sacramentum sein kann.319 Diese Erkenntnis soll zur (3) dritten Stufe hinführen, nämlich zu einer größeren Liebe Gottes. Glaube und Liebe sind für Leo schließlich die Wege, die den Menschen zur Schau Gottes führen, daher betont er auch immer die Pflicht, die sich aus den erläuterten Ereignissen im Leben ergibt.320 Auf diese Weise steht das Leben Jesu in einem ähnlichen Verhältnis zur

kann Leo wohl als Realist bezeichnet werden, der aber noch nicht in physikalischen Begriffen der Scholastik dachte. Die Erneuerung der Geschehnisse ist wie bei anderen frühkirchlichen Autoren auch bei Leo noch in einem weiteren spirituellen Sinn zu verstehen (vgl. Guzie, Exegetical and Sacramental Language, 208; 210). 314 Vgl. tract. 62,5 (CChr.SL 138A 381,110-115): Unde omnis ordo rerum gestarum, quem plenissime evangelica narratio percucurrit, ita fidelium est accipiendus auditu, ut salva fide actionum quae tempore dominicae passionis impletae sunt, intellegamus non solum remissionem peccatorum in Christo conpletam, sed etiam formam iustitiae esse propositam. Vgl. De Soos, Le mystère Liturgique, 38; 59; 87. 315 De Soos unterscheidet bei Leo drei Bedeutungsebenen von sacramentum: (1) Das sacramentum salutis bezeichnet das ganze Mysterium Christi, (2) Das sacramentum nativitatis, passionis etc. erneuert das Mysterium wie alle Teilfeste (vergleichbar mit einem Typus), (3) das sacramentum als Ritus stellt er dem heutigen Verständnis eines Sakramentes (unter dem Blickwinkel der Wirkung) zur Seite: vgl. idem, Le mystère Liturgique, 79f. 316 Vgl. tract. 67,5 (CChr.SL 138A 411,106-109): Ab omnipotenti medico duplex nobis miseris remedium praeparatum est, cuius aliud est in sacramento, aliud in exemplo, ut per unum conferantur divina, per aliud exigantur humana. Vor Augustinus kommt dieses Begriffpaar nur selten vor (vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 925f). 317 Vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 928. 318 Vgl. ibid., 920. 319 Vgl. ibid., 919. 320 Von Augustinus her wird dieser Zusammenhang von Erkenntnis und Liebe (scientia ‒ dilectio) am deutlichsten, bei Leo ist die Liturgie allerdings viel eindringlicher die Quelle für fides recta, intelligentia und dilectio. Die Predigtexegese Leos ist insgesamt also orthodoxer und liturgischer als bei Augustinus, erreicht aber nicht dieselbe theologische Tiefe (vgl. Studer, Die Einflüsse der Exegese Augustins, 922; 927f; 930).

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liturgischen Aktualisierung wie der Buchstabe zum Geist,321 sodass die Begriffe sacramentum und exemplum dem mystischen (typologischen) und dem moralischen Schriftsinn entsprechen.322 Folgerichtig ist es für Leo (trotz der Anteilhabe an den Sakramenten und der Teilnahme an der Liturgie) nicht denkbar, wahrer Christ (wie Christus) zu sein und nicht wie Christus zu handeln.323 Diese fundamentale Einsicht liegt auch seinem Verständnis von der liturgischen Einheit der Quadragesima und der Feier des Pascha-Mysteriums zugrunde: Indem die Christen mit Christus die Versuchungen und letztlich den Tod überwinden, sollen sie ihrem Namen immer mehr gerecht werden.

6 Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen Um Leos Christologie verständlicher zu machen, sollen zunächst die dogmengeschichtlichen Entwicklungen jener beiden Lehren dargestellt werden, die Leo häufig als diametral verschiedene Degenerationen der wahren Lehre charakterisiert:324 der sogenannte Nestorianismus und der Eutychianismus.325

3 21 Vgl. Guzie, Exegetical and Sacramental Language, 209. 322 De Soos zeigt in einer Skizze, welche Bedeutung sacramentum und exemplum für Leos Verständnis des Mysteriums Christi haben. Die historische Versuchung etwa ist als sacramentum auf die Taufvorbereitung ausgerichtet und ermuntert als exemplum zum Widerstand gegen den Satan (vgl. De Soos, Le mystère Liturgique, 97). Vgl. Guzie, Exegetical and Sacramental Language, 212. 323 Vgl. Guzie, Exegetical and Sacramental Language, 211. Vgl. tract. 25,6 (CChr.SL 138 124,154-157): Frustra autem appellantur christiani, si imitators non sumus Christi, qui ideo se viam esse dixit, ut conversatio magistri sit forma discipulis, et illam humilitatem eligeret servus, quam sectatus est dominus. 324 Vgl. Nestorius (sowie Apollinaris, Valentinus, Manichäer): ep. 35,1 (PL 54 805,3-17); Eutyches: ep. 35,3 (PL 54 807,25-36). Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-82α). Charakteristisch nennt er sie die beiden Feinde:  vgl. ep. 165,2 (PL 54 1155B,221157A,4); 124,1 (PL 54 1063A,2-10). 325 Dass es in beiden Fällen nicht notwendig hätte zur Verurteilung kommen müssen, zeigen die vergleichbaren Spannungen um Leporius im Westen, die durch eine kluge Vermittlung aufgelöst werden konnten. Dieser stieß sich an der Idiomenkommunikation und ging von der Verbindung der menschlichen mit der göttlichen Natur aus. Bevor es zu einer Verurteilung kam, gelang es Augustinus, ihm ein Inkarnationsverständnis zu vermitteln, bei dem sich die menschliche Natur mir der Person des Logos verbindet (vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 661-666).

Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen

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6.1 Die Abgrenzung von Nestorius Als der Streit zwischen Nestorius und Cyrill von Alexandrien entbrannt war und beide in Kontakt mit Papst Coelestin getreten waren,326 musste sich dieser erst ein Urteil bilden.327 In dieser Lage bittet der Archediakon und spätere Papst Leo Johannes Cassian um seine Expertise, die er im Werk De incarnatione Domini contra Nestorium Libri VII zusammenfasst.328 Wie der Titel bereits verrät, verurteilt Johannes Cassian Nestorius. Doch seine Christologie ist jeder Systematik bar und konnte Leo keinesfalls zufriedenstellen, vor allem in Bezug auf die Vergöttlichung der menschlichen Natur.329 Nestorius irritierte die mia-physis-Formel, die Cyrill unwissentlich von Apollinaris von Laodicea übernommen hatte. Zwar distanzierte Cyrill sich von letzterem durch sein Bekenntnis zur Seele Christi und konnte auch die Rede von den beiden Naturen nach und nach verstehen,330 doch die mia-physis-Lehre gab er trotzdem nicht auf.331 Seine streitbaren Verdienste sind daher auch auf der Ebene der Einheit der Person Christi angesiedelt.332 Seine Verurteilung des Nestorius bezog sich infolgedessen auch nicht auf die Rede von zwei Naturen, sondern die von ihm gewitterte Trennung dieser beiden.333 Nestorius kam zunehmend in Bedrängnis, da er einerseits nicht in der Lage war, sein Anliegen sprachlich unverfänglich auszudrücken und andererseits, da es an einem umsichtigen Vermittler fehlte und Cyrill sich auf keinen Dialog einließ. Das Konzil von Ephesus hielt die Einheit der Person Christi und den Inkarnationsglauben fest und verurteilte Nestorius.334

6.2 Die Abgrenzung von Eutyches In der Auseinandersetzung um Eutyches war Leo bereits Papst. Er antwortete auf das Schreiben des Eutyches mit dem (wohl von Prosper von Aquitanien aus Leos Traktaten entwickelten und zusammengestellten) Tomus ad Flavianum, der Eutyches zwar verurteilte, aber aufgrund von missverständlichen Passagen keine

3 26 Auslöser für den Streit war der von Nestorius abgelehnte Titel der Gottesgebärerin. 327 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 671f 328 Vgl. ibid., 666. 329 Vgl. ibid., 668. 330 Vgl. ibid., 673-676. 331 Vgl. ibid., 677. 332 Vgl. ibid., 678. 333 Vgl. ibid., 681f. 334 Vgl. ibid., 689f.

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überzeugende Lösung darstellte. Eine Diskrepanz gab es besonders bezüglich des Verständnisses der Einigung der beiden Naturen: Leo denkt mit dem Personenbegriff vom Resultat der Einigung her, die Alexandriner setzen mit dem Logos vom Ausgangspunkt für die Einigung an. So fühlten sich dabei eher die Anhänger des Nestorius verstanden, als extreme Anhänger Cyrills.335 Auf der Reichssynode von Ephesus 449, die Leo als „Räubersynode“ (latrocinium336) bezeichnete, wurde Eutyches im Zuge eines militärisch geplanten Coups rehabilitiert, ohne dass der Tomus auch nur verlesen wurde.337 Als eine historisch jedenfalls mitentscheidende Wende kann der Tod des noch jugendlichen Kaisers Theodosius durch einen Reitunfall im Jahr 450 gelten und die Thronbesteigung seiner Schwester Pulcheria mit ihrem Ehemann Marcian, die beide Leo unterstützten.338 Auf diese Weise setzte sich letztlich der Tomus durch, der jedoch wiederum nur unter Vorbehalten und unter Hinzufügung des zweiten Briefes des Cyrill an Nestorius und anderer Dokumente angenommen wurde.339

6.3 Leos Christologie Die Abgrenzung vom Nestorianismus und Eutychianismus als Paradigmen der Unterscheidungs- und der Vermischungschristologie, wie sie Leo zuvor auf ähnliche Weise im Apollinarismus beschäftigte, scheint für den Papst in der Tat ein Pendel zu sein, um die wahre Christologie auszuloten.340 Auf dem Weg zur Entwicklung einer ausgewogenen Christologie, droht Leo mit seinen Formulierungen manchmal in das jeweils andere Paradigma zu kippen. Grenzt er sich vom Nestorianismus ab, leistet er in seinem die Einheit Christi betonenden Gegenentwurf bisweilen der Forcierung einer Vermischungschristologie Vorschub.341 335 Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, hg. v. Theodor Schneider, Düsseldorf: Patmos,32006 349f. 336 Vgl. An Kaiserin Pulcheria, ep. 95,2 (PL 54 943,23). Die Klagen gegenüber Theodosius und die Forderung nach einem Konzil in Italien blieben ungehört: vgl. ep. 43 und 44 (PL 54 821-832). Mit diesem Anliegen wendet er sich auch an Kaiserin Pulcheria: vgl. ep. 45 (PL 54 833-836). 337 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 733; 736. Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 350. 338 Vgl. ibid., 738: Hilfreich für das Anliegen Leos war sicher auch, dass Marcian lateinisch sprach. 339 Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 350. 340 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 747. 341 In tract. 23 lehnt Leo den Adoptianismus bzw. die Rede von der Einwohnung ab und spricht von einer Vermischung: vgl. tract. 23,1 (CChr.SL 138 102,19-103,25): Hic enim

Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen

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Andererseits nähert er sich in seiner Betonung der Wirksamkeit der beiden Naturen Christi der nestorianischen Lehre an, sodass er sie in der Auseinandersetzung mit den auf die Einheit der Person Christi bestehenden (und gegen Chalcedon eingestellten) Mönchen von Palästina revidiert.342 Angesichts dieser Erfahrungen, nimmt es nicht Wunder, dass Leo verschiedene Häresien unter Unterscheidungs- und Vermischungschristologien subsumiert und simplifiziert.343 So verbindet er etwa Nestorius allgemein mit jenen Lehren, die Christus der Gottheit entkleiden würden, während er doketische und manichäische Überzeugungen bei Apollinaris344 und

mirabilis sacrae Virginis partus, vere humanam vereque divinam unam edidit prole personam, quia non ita proprietates suas tenuit utraque substantia, ut personarum in eis possit esse discretio; nec sic creatura in societatem sui Creatoris est assumpta, ut ille habitator, et illa esset habitaculum; sed ita ut naturae alteri altera misceretur. Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 747f: „Solche Vermischungsterminologie ist aber selten. Sie tritt mit dem Fortschreiten der Kontroversen wie von selbst zurück. In der Dialektik der eutychianischen und nestorianischen Häresie bildete sich dann die besondere Formulierungskunst Leos heraus, die klar die Ebene bezeichnet, auf der Christus je die Einheit und je die Zweiheit zu finden ist“. Vgl. Serm 69,3 (CChr.SL 138A 421,4952): Non geminatus persona, non confusus essentia, potestate inpassibilis, humilitate mortalis, sed utraque sic utens, ut et virtus glorificare posset infirmitatem, et infirmitas non valeret obscurae virtutem. 342 Zur Textgeschichte von non quasi a Deo [iam: add. β], sed etiam [om. β] quasi ab homine vinceretur (tract. 39,3 [CChr.SL 138A 215,77f]) vgl. Analyse von tract. 39. Historische Angaben. Vgl. Perrone, Lorenzo: La chiesa di Palestina e le controverse christologiche. Dal concilio do Efeso (431) al secondo concilio di Constantinopoli (553) (= TRSR 18), Brescia: Paideia, 1980. 343 In tract. 40 nennt Leo zwei Irrlehren, die entweder die Menschheit Jesu leugnen (wie in seinem Verständnis von Apollinaris bzw. später Eutyches) oder dessen Gottheit (Nestorius): vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-82α). Vgl. Pratesi, Commento, 299. Außerdem kommt Leos Darstellung der Lehre des Nestorius gewissermaßen jener des Arius gleich, bei dem Gott Jesus die Würde des (moralisch) adoptierten Sohnes verleiht (vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 336): vgl. tract. 28,5 (CChr.SL 138 143,97-101): Nam ille [Nestorius] beatam Mariam virginem hominis tantummodo ausus est praedicare genetricem, ut in conceptu eius et partu nulla verbi et carnis facta unitio crederetur, quia dei filius non ipse factus sit hominis filius, sed creato homini sola se dignatione sociaverit. 344 Den Apollinarismus und den Manichäeismus bringt Leo z. B. in ep. 109,3 (PL 54 1016B,19-1017A,1) miteiander in Verbindung. In tract.47 stellt Leo das Wiederaufkeimen von bereits verurteilten Auffassungen über die beiden Naturen Christi fest, wobei der die prinzipielle Leugung der Menschwerdung den Manichäer

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Eutyches345 feststellt. Bisweilen fasst er die Unterscheidungs- und Vermischungschristologien auch unter den Namen Nestorius und Eutyches zusammen.346 Die ausgewogene Berücksichtigung der beiden Naturen Christi, bei der sich die Idiomenkommunikation wie von selbst einstellt,347 wurde auf diese Weise zum zentralen Anliegen Leos, das in folgendem Satz deutlich wird:

n und das Aufgehen der Gottheit im Fleische (!), das zum Leiden der Gottheit führt, dem Apollinaris zuschreibt: vgl. tract. 47,2 (CChr.SL 138A 276,56-63): qui [Die Leugner der Wahrheit] de spiritu olim destructi erroris olimque damnati veterem insaniam conceperunt, qua geminam in Christo audeant negare naturam, aut non suscepta carnis scilicet veritate, aut in carnem deitate conversa, ut aut secundum Manichaeum nulla eius sit resurrectio, cuius nulla est passio, aut secundum Apollinarem ipsa deitas verbi mutabilis, ipsa sit facta passibilis. Vgl. ep. 165,2 (PL 54 1157B,23-29) = ep. 124,2 (PL 54 1063B,25-31): Eutyches quoque eodem percellatur anathemate, qui per impios veterum haereticorum volutatus errores, tertium Apollinaris dogma delegit, ut negata humanae carnis atque animae veritate totum Dominum nostrum Iesum Christum unius assereret esse naturae, tamquam Verbi Deitas ipsa se in carnem animamque converterit. Vgl. Pratesi, Commento, 334f. 345 Zu dieser Einschätzung kommt Leo, da Eutyches nach der Einigung nur mehr eine Natur bekennt, sodass es sich bei der menschlichen Gestalt Jesu nur um einen Scheinleib handeln könne, wie er bei Mani in der Tradition des Marcion angenommen wird (vgl. Sattler Dorothea / Schneider, Theodor: Schöpfungslehre, in: Handbuch der Dogmatik 1, hg. von Theodor Schneider, Düsseldorf: Patmos, 32006, 173f). Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 742. Vgl. ep. 30,1 (PL 54 787A,11-B,18): Nam quantum Nestorius a veritate excedit, dum dominum Iesum Christum de matre virgine hominem solum asserit natum, tantum etiam hic [Eutyches] a catholico tramite deviavit, qui de eadem virgine editum non nostrae credit esse naturae, ut quod formam servi gessit, quod nostri similis fuit atque conformis, quaedam nostrae carnis fuerit imago non veritas. 346 Vgl. Nestorius (sowie Apollinaris, Valentinus, Manichäer): ep. 35,1 (PL 54 805,3-17); Eutyches: ep. 35,3 (PL 54 807,25-36); tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-82α). Charakteristisch nennt er sie die beiden Feinde: vgl. ep. 165,2 (PL 54 1155B,22-1157A,4); ep. 124,1 (PL 54 1063A,2-10). Leo sieht sogar eine Annäherung zwischen Nestorius und Apollinaris. Eine Übereinstimmung mit der Lehre des Apollinaris ergebe sich darin, dass auch Nestorius im Letzten die menschliche Natur des Logos verneine, indem er zwar von einer menschlichen Gestalt (species) durch die Geburt ausgehe, die Einigung mit dem göttlichen Logos jedoch bestreite: vgl. ep. 35,1 (PL 54 805,8-15). 347 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 746.

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Tab. 1:  tract. 21,2 (CChr.SL 138 87,43-46) = Tomus ad Flavianum: ep. 28,3 (PL 54 76,12-15) Salva igitur proprietate utriusque naturae, et in unam coenunte personam, suscepta est a maiestate humilitas, a virtute infirmitas, ab aeternitate mortalitas.

„Die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen wird gewahrt, auch im Zusammenkommen zu einer Person; von der Majestät wurde das Niedrige angenommen, von der Kraft die Schwachheit, von der Ewigkeit die Sterblichkeit.“348

Dem Schwachpunkt, die Einigung der beiden Naturen ausdrücken zu können, begegnet Leo mit dem Konzept der gegenseitigen Durchdringung, der wechselseitigen Einwohnung, die zur Verhüllung der Gottheit unter den menschlichen Bedingtheiten führt und ebenso zur Teilnahme der menschlichen Natur an der dignitas Gottes.349 Die dabei verwendeten augustinischen der Bibel entnommenen Denkansätze der Person Christi350 und des mediator Dei et hominum (1 Tim 2,5) verleihen Leos Christusbild ein weites Spektrum, indem sie eine statische Christologie mit einer dynamischen Soteriologie vereinigen.351 Als Ziel und Teil der Christologie sollte die Soteriologie die Bedingungen der Erlösung im Geheimnis der Person Christi festhalten.352 Zwar ist die Ausrichtung der Christologie(n) auf die Soteriologie bereits im Neuen Testament grundgelegt und im ersten Jahrtausend

3 48 Grillmeier, Jesus der Christus, 740. 349 Vgl. ibid., 742: „Andere Väter, wie Gregor von Nyssa und Cyrill, haben auch mit diesen Vorstellungen gearbeitet – bei allen Unterschieden im einzelnen“. Grillmeier charakterisiert Leos Vorstellung der Einigung der beiden Naturen als eine circumincessio. „Mit immer neuen Wendungen illustriert Leo der Sache nach den von Gregor von Nazianz […] formulierten, tatsächlich aber schon seit Tertullian und Origines gültigen Satz: Quod non est assumptum, non est sanatum. Die Zweinaturenlehre wird zu einer Lehre von der Vergöttlichung des Menschen, mag Leo hierbei auch viel zurückhaltender sein als etwa Athanasius“ (ibid., 740). 350 Vgl. Studer, Basil: Una persona in Christo. Ein augustinisches Thema bei Leo dem Grossen, in: Aug. 25 (1985) 453-487. 351 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 741. 352 Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 387. Die im NT und durch die Geschichte (so auch bei Leo) wirksamen christologisch-soteriologischen Grundmodelle können mit drei Perspektiven wiedergegeben werden: (1) In der ersten Perspektive wird Jesus Christus als Vorgänger und Anführer, Heiland und Befreier in seinem menschlichen Geschick ernst genommen und darin der Weg des Messias aufgezeigt. „Als der Gegenwärtige bleibt er beim Erzählen und Hören seiner vergangenen

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Die Methode der Predigt

allgemein verbreitet, doch entfaltet Leo sie auf spezifische Weise im Kontext der Liturgie.

6.4 Leos Soteriologie Leo nimmt Gottes rettendes Handeln auf drei Ebenen wahr: (1) Gottes ewiger Plan der Erlösung, (2) dessen Verwirklichung in der Geschichte, besonders im Leben Jesu Christi und (3) dessen Aktualisierung im liturgischen Leben der Kirche.353 Prädestiniert sei nicht die Zahl der Erwählten, sondern die Erlösung durch Jesus Christus.354 Leos implizite Erläuterung dieser Prädestination führt nicht zu einer gnadentheologischen Zuspitzung wie bei Augustinus,355 sondern verlagert

Geschichte heilend am Werk [kursiv übernommen, 389]“ (2) Bei der Perspektive auf den auferstandenen Gekreuzigten als Paradigma des Glaubens wird das irdische Leben Jesu nicht mehr in seiner Bedeutung reflektiert, sondern die Erlösung in der äußersten Kenose des Kreuzes betrachtet. In der lateinischen Patristik wird die Versöhnung mit Gott Vater durch den gehorsamen „zweiten Menschen“ besonders betont. (3) Die Perspektive der Menschwerdung des Gottessohnes als Offenbarung und Vermittlung göttlichen Lebens betrachtet die menschliche Geschichte Jesu als Medium und Vollzugsform, als wirksames Zeichen der Erlösung (Personensakrament), an dem die Gläubigen mystisch-sakramental teilhaben sollen (vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 388-390). Zum Zusammenhang von Christologie uns Soteriologie vgl. Bronwen, Neil: Leo the Great (The Early Church Fathers), Oxon: Routledge, 2009. 353 Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 92. Vgl. Hudon, Germain: Les présupposés “sacramentels” de saint Léon le Grand, in: EgT 10 (1979) 327-337. 354 In der zweiten Kollektion von tract. 22 ist Leos einzige Anwendung von praedestinare enthalten. Diese ist auf den vorherbestimmten Plan Gottes bezogen: vgl. tract. 22,1 (CChr.SL 138 90, 8-12): Deus enim omnipotens et clemens, cuius natura bonitas, cuius voluntas potentia, cuius opus misericordia est, statim ut nos diabolica malignitas veneno suae mortificavit invidiae, praeparata (β praedestinata) renovandis mortalibus pietatis suae remedia inter ipsa mundi primordia praesignavit. 355 Wie der Bischof von Hippo selbst eingesteht ist seine Prädestinationslehre für die Pastoral nicht praktikabel: vgl. persev. 22,57-62 (PatSt 91 199-206). Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 78. Augustinus kam infolge seiner persönlichen Lebensgeschichte zu einer spezifischen Auffassung über die Gnade und die menschliche Freiheit und ließ sich in der Auseinandersetzung mit Pelagius zu Zuspitzungen verleiten. Während Pelagius die Glaubensentscheidung ernst nehmen wollte, indem er moralisierend die Immanenz göttlicher Gnade sowie die Willensfreiheit des Menschen betonte, sah Augustinus die Gnade in einem spezifischeren Sinn als Gottes heilende Kraft. Die Sünde bestehe nämlich nicht nur in einer willentlichen Tat, sondern es handle sich um eine Sklaverei und

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die Verantwortung auf das menschliche Individuum.356 Der Papst betont, dass Gott alle Menschen retten wolle357 (vgl. 1 Tim 2,4), der Mensch aber seine Erwählung verlieren könne.358 Seine Ausführungen basieren auf der Betrachtung der Person Jesu Christi, an dessen Einheit der göttlichen Leidensunfähigkeit und des menschlichen Leidens Erlösung aufleuchtet.359 Je nach liturgischem Anlass hebt er bisweilen eine der beiden Facetten seiner Soteriologie stärker hervor. In den Weihnachts- und Epiphaniepredigten verkündigt er das Heilsangebot inklusivistisch für alle Menschen, in den Kollekten- und Fastenpredigten (Pfingsten, September, Dezember, Quadragesima) predigt er von der persönlichen Aneignung dieser Erlösung.360 Bei aller Forcierung der Bedeutung des menschlichen Handelns und der Askese361 (conversatio sancta, exemplum), ist Leo sich stets des prinzipiellen Vorranges der Gnade (auxilium, sacramentum) bewusst. Die Betonung menschlicher Askese (34 von 96 Predigten beziehen sich auf Zeiten

Unfreiheit (vgl. Hilberath, Gnadenlehre, in: Handbuch der Dogmatik 1, 12-14). Die Gnade wird in dieser Tradition formalisiert als helfende Gnade bzw. zuvorkommende Hilfe und individualisierend und psychologisierend verengt, sodass die Gnade nicht mehr als neue Lebenssituation und als verheißende Fülle verstanden wird, „sondern als Mittel, durch das Gott am und im einzelnen handelt“ (Hilberath, Gnadenlehre, in: Handbuch der Dogmatik 1, 18). 356 Vgl. Barclift, Philip L.: Pope Leo’s Soteriology. Sacramental Recapitualtion, Dissertation, Milwaukee, 1992, 178f. 357 Vgl. tract. 21,1 (CChr.SL 138 85,4-10): Nemo ab huius alacritatis participatione secernitur, una cunctis laetitiae communis est ratio, quia Dominus noster, peccati mortisque destructor, sicut nullum a reatu liberum repperit, ita liberandus omnibus venit. Exsultet sanctus, quia propinquat ad palmam. Gaudeat peccator, quia invitatur ad veniam. Animetur gentilis, quia vocatur ad vitam. 358 Nach Leo verlor Judas seine Erwählung durch seinen Verrat: vgl. tract. 67,4 (CChr. SL 138A 410,79-411,94). 359 Vgl. Dunn, Suffering Humanity and Divine Impassibility, in: Aug. 41 (2001) 270f. 360 Vgl. tract. 19,2 (CChr.SL 138 77,29-36): Siquidem ieiunium vernum in Quadragesima, aestivum in Pentecosten, autumnale in mense septimo, hiemale autem in hoc qui est decimus celebramus, intellegentes divinis nihil vacuum esse elementa servire, dum per ipsius mundi cardines, quasi per quattuor evangelia, incessabili tuba discimus quod et praedicemus et agamus. Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 277-279; Green, The Soteriology of Leo the Great, 89. 361 Vgl. ibid., 277f. Vgl. z. B. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,72-215,73): ut cuius munimur auxilio, eius erudiremur exemplo. Leo verurteilt pelagianisches und „semi-pelagianisches“ Gedankengut: vgl. ep. 1 (PL 54 593A-597A), bes. 1,3 (PL 54 595A): Quae utique nisi gratis detur, non est gratia, sed merces retributioque meritorum; ep. 2 (PL 54 597B-598B). Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 78f.

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Die Methode der Predigt

des Fastens, sechs weitere konkret auf die Almosen) gründet daher keineswegs in der extremen, gnadentheologischen Überlegung, dass man sich die eschatologische Erlösung im Letzten verdienen müsse, sondern in einer liturgischen Perspektive auf die Aktualisierung des heilbringenden Zusammenwirken des göttlichen Rufes und der menschlichen Antwort.362 Das Fasten wird insofern gnadentheologisch vertieft als es durch die Anteilhabe am exemplum Christi zu einem Heilmittel (remedium) werde.363 Dabei steht das pastorale Anliegen, seinen Adressaten eine praktische, biblisch fundierte (vgl. z. B. Mt 22,1-13; Mt 25,31-46) und glaubwürdige Lehre von der Erlösung vorzulegen im Vordergrund364 und keine systematische Abhandlung. In dieser Verkündigung mahnt der Papst seine Adressaten, sie mögen ihrer Würde, die ihnen kraft der Erlösung geschenkt sei, gerecht werden,365 um das Pascha-Fest würdig feiern zu können.366 Das gelinge durch die Anteilnahme an allen Vollzügen des Lebens Christi, die in den Feiern und praktischen Übungen im Laufe des Jahres liturgisch begangen werden.367 Auf diese Weise argumentiert er die Notwendigkeit der Teilnahme an

362 Vgl. z. B. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,28α-31α): ut hostes nostros superare valeamus, per observantiam caelestium mandatorum divinum quaeramus auxilium. 363 Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 166. 364 Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 82. 365 Vgl. ibid., 88: „While in principle the nativity has offered salvation to all humanity, the need to appropriate that salvation is outlined in the sermons for the Lenten and other fasts and for the Collections“. Vgl. ibid., 89: „The sermons for the fasts and the collections are about the re-drawing of the image of God in his congregation, the appropriation now of the salvation offered to all individual souls. This theme is reinforced in the sermons for Holy Week, Easter, the Ascension, and Pentecost where he tracked the way of obedience and humility followed by Christ and now followed by his body, the Church […] Christ lived as one saving act of love, restoring justice by overturning the power of the Devil, a life of humility and obedience reversing the sin of Adam, leads to its liturgical celebration in the annual round of feasts of the Church“. 366 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 214,54-59α): [adversarii] ad hoc totam vim suae malignitatis intendunt, ut celebraturi sanctum Pascha Domini in aliquo inveniamur indigni, et unde nobis obtinenda erat propitiatio, inde contrahatur offensio. 367 Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 91: „Union with Christ in the Church is achieved by sharing the saving actions of his life“. Vgl. tract 22,4 (CChr.SL 138 96,144-97,178); 36,1 (CChr.SL 138 195,1-11); 66,4 (CChr.SL 138A 404,92-405,120); 74,1 (CChr.SL 138A 455,1-456,19).

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allen liturgischen Ereignissen, „Sakramenten“368, im Laufe des Jahreszyklus und eröffnet den getauften Bürgern Roms eine hoffnungsvolle Perspektive.369 Nicht der Unterschied zwischen den beiden (augustinischen) civitates steht bei Leo im Vordergrund, sondern die Aktualisierung der Gnade in der Natur, des Evangeliums in der Kultur, der Vorsehung in der Geschichte.370

6.5 Leos theologische Deutung von Geschichte Wie in anderen Bereichen greift Leo auch bei seiner theologischen Deutung von Geschichte371 auf die Bibel und die Tradition zurück, ohne dabei eine so umfangreiche Theologie der Geschichte zu entwerfen wie Augustinus.372 Der Papst stellt vor allem den Zweck und die Ursachen der gegenwärtigen Geschichte vor dem Hintergrund seiner ausführlichen Soteriologie dar. Diese ist aufs engste mit seiner Christologie, Ekklesiologie, seiner Gnadenlehre im Sinne des sacramentum und exemplum verbunden, mit der Erlösungslehre und seiner tiefentwickelten sakramentalen Theologie der Liturgie, die genregemäß vor allem in den Predigten anzutreffen ist.373 Bei seiner Deutung der gegenwärtigen Krise des Reiches374 konnte er daher sowohl bei einem kosmisch-biblischen 368 Vgl. tract. 74,2 (CChr.SL 138A 457,42f): Quod itaque Redemptoris nostri conspicuum fuit, in sacramenta transivit. 369 Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 92: „It [Das Modell der Vermittlung der erfolgten und noch ausstehenden Erlösung] gave supreme importance to living the life of the Church to people who had only a generation before forsaken the public observance of a pagan calendar for a Christian one, who had learned a new sacred topography of their city, who were learning to accept a new history of ancient Rome“. 370 Vgl. ibid., 82. 371 Bei den folgenden Ausfrührungen orientiere ich mich vor allem an Barclift, Philip L.: Predestination and Divine Foreknowledge in the Sermons of Pope Leo the Great, in: ChH 62 (1993) 5-21. 372 Da der Einfluss des Augustinus bei der theologischen Deutung von Geschichte nicht nur bei Leo eine große Rolle spielt, ist zu berücksichtigen, dass Leo zwar zeitgemäß die gnadentheologischen und geschichtstheologischen Spitzenaussagen (die Prädestination) des Bischofs von Hippo meidet, zugleich aber in dessen früheren Werken auf die allgemeine, kirchliche Tradition zurückgreifen konnte (vgl. Barclift, Predestination, in: ChH 62 [1993] 6-10). 373 Vgl. Barclift, Predestination, in: ChH 62 (1993) 6. 374 Vgl. ep. 31,4 (PL 54 793C-794A): rerum praesentium nimis incerta conditio; ep. 15,10 (PL 54 685B): Quid ergo hic agunt…mundarum rerum mobilis status et inquieta diversitas?; tract. 28,5 (CChr.SL 138 143,115f): mutabilitates humanae conditionis; 43,2 (CChr.SL 138A 253,39f): cum ad ipsas rerum temporalium varietates cogitatio humana convertitur; 43,2 (CChr.SL 138A 253,58f): inaequalitatum perturbatione quatiantur; 39,1 (CChr.SL 138A 211,13f): Et nos itaque…inter multas adversitates et proelia constituti.

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und dogmatisch-christologischen Geschichtsdenken anknüpfen375 wie auch bei einem providentiell-ethischen, das die Bedrohung der von Gott erwählten, irdischen Ordnungsmacht als Bedrohung der ecclesia deutete376 und diese moralisch zu überwinden versuchte.377

375 Eine kosmische Deutung findet sich bereits bei Irenäus, der die Einheit Gottes als Ursache für die Oikonomia begreift, die Schöpfung und Erlösung umfasst und in Christus zusammengefasst wird, um eschatologisch vollendet zu werden (Anakephalaiosis). Das Ziel der Geschichte ist die Einheit mit Gott (vgl. Essen, Art. Geschichtstheologie, in: LThK3 4 [1995] 565). Wie bei anderen Theologen des Ostens sieht auch Irenäus die Heilsgeschichte als göttliche παιδεία (vgl. adv. haer. 5,2,3 [FC 8/5 34,8-39,7]). Pelagius teilt dasselbe Anliegen, wenn er darauf beteht, dass Gott zwar die Initiative im Prozess der Erlösung ergreift, dass der Mensch jedoch in Freiheit darauf antworten muss (vgl. Hilberath, Gnadenlehre, in: Handbuch der Dogmatik 1, 13). Auch bei Leo ist der παιδεία-Ansatz zentral: vgl. tract. 82,2 (CChr.SL 138A 510,31-39): Deus namque bonus, iustus, omnipotens, qui misericordiam suam humano generi numquam negavit, omnesque in commune mortales ad cognitionem sui abundantissimis semper beneficiis erudivit,…caecitatem et…nequitiam…miseratus est, mittendo verbum suum…ut nostra fieret ad summa provectio. 376 Bezüglich der heilsgeschichtlichen, und ethisch-positiven Deutung der Entwicklung von Rom und der gegenwärtigen Lage hatten bereits Eusebius und Orosius Überlegungen angestellt. Eusebius sah mit der anbrechenden Herrschaft Konstantins eine Heilszeit für Kirche und Staat, Orosius hob die providentielle Bedeutung des Römischen Reiches für das Christentum hervor und deutete dessen Bedrohung stark apokalyptisch. (vgl. Essen, Art. Geschichtstheologie, in: LThK3 4 [1995] 565). Zur Verhältnisbestimmung von imperium und ecclesia bei Leo vgl. Stockmeier, Peter: Imperium bei Papst Leo dem Grossen, in: Studia Patristica 3, Papers presented to the Third International Conference on Patristic Studies held in Oxford 1959, 1. Teil, Introduction, Edi-tiones, Critica, Philologica (= TU 78). hg. v. Frank Leslie Cross, Berlin: Akademie, 1961, 413-420.413-420; idem: Bemerkungen zum Verständnis der Kircheneinheit bei Papst Leo dem Großen, in: Auf Wegen der Versöhnung. Beiträge zum ökumenischen Gespräch, hg. v. Peter Neuner und Franz Wolfinger, Frankfurt a. M.: Josef Knecht, 1982, 45-57; Brezzi, Paolo: Una «Civitas terrena spiritualis» come ideale storico-politico di Sant Agostino, in: Augustinus Magister 2. Communications. Congrès International Augustinien, Paris: Études Augustiniennes, 1954, 915-922; Studer, Basil: Leo der Grosse und der Primat des römischen Bischofs, in: Unterwegs zur Einheit. Festschrift für Heinrich Stirnimann, hg. v. Johannes Brantschen / Pietro Selvatico, Freiburg: Herder, 1980, 617-630; Szidat Joachim: Art. Imperium Romanum, in: AL 3 (2004) 546-560; Kötter, Jan-Markus: Prosper Von Aquitanien und Papst Leo der Große. Der Primat des Papstes im Spiegel einer zeitgenössischen Chronik, in: RQ 111 (2016) 252-271. 377 Deutlich wird dieses Denken etwa bei Maximus von Turin (vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 51-55) und Salvian (vgl. Badewien, Jan: Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Salvians von Marseille, Göttingen: V&R, 1980, 18-45).

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Anlass für die Deutung der politisch unsicheren Verhältnisse ist für Leo wie für Augustinus die Frage nach dem quare temporibus christianis378 („warum zu Zeiten, da das Christentum bereits erstarkt ist?“). Bei deren apologetischer und seinen Adressaten Trost und Hoffnung spendender Beantwortung bringt Leo noch unmittelbarer zum Ausdruck, dass man bei allen Widrigkeiten Gott vertrauen müsse, da er der Herr der Geschichte sei. Die Ursachen für die gegenwärtigen Bedrängnis seien zu einem großen Teil in Gottes Pädagogik zu suchen, zu der Prüfungen und paränetische Antworten auf die moralischen ‒ von den geistigen Feinden begünstigten ‒ Verfehlungen des Menschen gehörten, aber auch das Zulassen von Versuchungen durch die satanischen Mächte, die sich auch der physischen Feinde bedienen konnten. Die konkrete theologische Deutung durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang In einer paränetisch-moralischen Deutung konnte Lwo die Barbareneinfälle auch als Gottes flagellum379 („Geißel“) verstehen und mit den Feinden der geistigen Ebene in Beziehung setzen,380 um sie dem Einflussbereich der Bürger der civitas Rom zuzuordnen.381 Dass damit letztlich alle Menschen der Stadt gemeint 378 Vgl. Aug., serm. 296,9 (OC 25 273f): iam adhuc video quid dicas in corde tuo: ecce temporibus christianis Roma affligitur, aut afflicta est, et incensa est: quare temporibus christianis? 379 Vgl. tract. 84,1 (CChr.SL 138A 525,6-12): Magnum enim periculum est…nec de correptione compungi, nec de remissione laetari. Vereor…ne vox illa prophetica tales [homines ingratos] increpasse videatur, quae dicit: Flagellasti eos, et non doluerunt, castigasti eos, et noluerunt accipere disciplinam. Quae…correctio ostenditur. 380 Die rechte Moral, die aus dem christlichen Glauben erwachse, bedeute das Ende für die Häresie und die Anstürme der Barbaren: vgl. ep. 82,1 (PL 54 917B): quia profectus caritatis et fidei utrorumque armorum potentiam insuperabilem facit, ut…et haeretica falsitas et barbara destruatur hostilitas. Daher sollen die Römer sich auf den inneren Kampf verlagern: vgl. 48,2 (CChr.SL 138A 281,58-60): Servi autem Dei…bellum vitiis potius quam hominibus indicunt. 381 Leo entwickelt die civitas-Lehre des Augustinus mit der zeitgemäßen, moralischen Deutung der gegenwärtigen Krise weiter und wendet sie konkret auf die Hauptstadt an: vgl. besonders tract. 82,1 (CChr.SL 138A 508,9-509,30). In seinem Konzept für Rom verbindet Leo die Petrinologie, christliche Soteriologie und Eschatologie sowie die juristische Mentalität und den Klassizismus der Spätantike (vgl. Studer, Leo der Große und der Primat des römischen Bischofs, 628f) mit der altrömischen, optimistischen Vorstellung der staatstragenden Effizienz von Moral und Leitungskompetenz (die jetzt vor allem Papst und Kaiser durch das jeweilige von Gott verliehene ius zukommt; zur altrömischen Vorstellung. Vgl. das Ennius Zitat bei Cicero, das die Verschränkung von Bürger und Gesellschaft betont (vgl. re publ. 5,1,1 [BSGRT 116,9]: Moribus antiquis res stat Romana virisque; „Der römische Staat hat seine Bestand in Sitten und Männern von alter Art“). Vgl. Bartnik,

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sind, ergibt aus Leos Überzeugung über deren Hinordnung bzw. tatsächliche Zugehörigkeit zur ecclesia bzw. zur civitas Dei. Gemäß der patristischen Grundausrichtung382 ist die Taufe auch für Leo383 eine notwendige, zugleich aber für Czeslaw: L’Interprétation théologique de la Crise de L’Empire Romain par Léon le Grand, in: RHE 63 (1968) 746f. Außerdem nimmt Leo die bereits bei Augustinus transformierte, vergilianische Vision eines geistigen Reiches ohne Grenzen auf. Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 750f; 753f; 770. Vgl. Szidat, Art. Imperium Romanum, in: AL 3 (2004) 552. Die Kritik der Rom-Idee durch Augustinus ist natürlich nicht als prinzipielle Gegnerschaft zu Romanitas zu sehen, zumal er sich einen Fortbestand des Römertums in vielleicht veränderter Form vorstellt (vgl. Wachtel, Beiträge zur Geschichtstheologie des Aurelius Augustinus, 96; 98f), da die damit verbundene, politische Ordnung eine wesentliche Dimension des Metaprinzips seiner Ethik darstellt (vgl. Geest, Paul J. J. van: Ethik, in: Augustin Handbuch, hg. v. Volker Henning Drecoll, Tübingen: Mohr Siebeck, 2007, 539). 382 Vertreten wurde diese Position etwa von Hilarius und Hieronymus (vgl. Kern, Art. Heilsnotwendigkeit der Kirche, in: LThK3 4 [1995] 1346), aber auch von Augustinus. Häretikern nütze auch die Bluttaufe nicht: vgl. bapt. 4,14,24 (Opera 28 222,21224,2): Numquid potest .., vis Baptismi maior esse aut potior quam confessio? quam passio? ut quis coram hominibus Christum confiteatur, et sanguine suo baptizetur? Et tamen…neque hoc Baptisma haeretico prodest, si quamvis Christum confessus extra Ecclesiam fuerit occisus…Salus extra Ecclesiam non est. Quis negat? Et ideo quaecumque ipsius Ecclesiae habentur, extra Ecclesiam non valent ad salutem. Nur in Spitzenaussagen kommt er in seinem Dilemma zwischen Heilsexklusivismus aufgrund der fehlenden Taufe und Heilsinklusivimus im Hinblick auf die Geschichte vor Christus (vgl. retr. 1,13,3 [CChr.SL 57 37,23-34]) und die verborgenen Heiligen (vgl. catech. rud. 22,40 (CChr.SL 46 164,32-165,65); bapt. 5,27,38 (Opera 28 294,1-296,19) zum Schluss, dass die Heilswirksamkeit nicht an die Zugehörigkeit zur Kirche gebunden sei. Dabei differenziert er die äußerliche von der gelebten und eigentlichen Zugehörigkeit nach dem Schema von signum („Zeichen“) und res („Wirklichkeit“). 383 Vgl. tract. 45,3 (CChr.SL 138A 266,87-267,91): Sed quia quod non ex fidei fonte procedit, ad praemia aeterna non pervenit, alia est conditio operum caelestium, alia terrenorum. Mundana benivolentia in his quos adiuvat, habet finem; christiana pietas in suum transit auctorem. Da Leo eine Liebe ohne Glauben als mundana benivolentia charakterisiert, könnte man ihm wohlwollend unterstellen, dass er zwischen einer intellektuell durchdrungenen und einer orthopraktischen, gläubigen Existenz unterscheidet. Ersterer müsste sich erst in der Liebe bewähren, zweiterer offenbarte sich gerade erst durch die Liebe. Dass dem Papst eine solche Unterscheidung aber fremd ist, wird durch die synonyme Verwendung von fides und veritas deutlich, sowie durch das paränetische Anliegen seiner Predigten, die gerade den Zusammenhang zwischen Rechtgläubigkeit und Liebe verdeutlichen wollen, damit sein Urteil gegen Sekten und Häretiker noch

Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen

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alle Menschen zugängliche, wenn auch keine hinreichende Grundlage für die physische und spirituelle Rettung.384 Der einzelne Christ müsse sich nämlich angesichts der satanischen Versuchungen der Anteilhabe an Christus würdig erweisen.385 Bei dieser Bewährungsprobe scheint der Tun-Ergehen-Zusammenhang ein beinahe absoluter zu sein, wenn Leo aus praktisch-theologischem Kalkül die Gefahr des Heidentums für die Stadt386 oder die mildernde und somit positive Wirkung des Christentums auf diese gefährlichen Heimsuchungen betont.387 Schließlich werde dem Satan gerade durch die Taufe das ius („Recht“) auf die Seele und deren Heil entzogen.388 deutlicher ausfällt: vgl. tract. 47,2 (CChr.SL 138A 276,53-55): In aliam enim transfertur viam, quisquis a confessione veritatis abducitur, totusque eius cursus abscessio est, et tanto erit morti vicinior, quanto fuerit a catholica luce longinquior; tract. 46,3 (CChr.SL 138A 272,77-82); Das Verstehen der göttlichen Form der Barmherzigkeit ist die Voraussetzung für die reine Ausübung derselben: vgl. tract. 91,3 (CChr.SL 138A 566,47-51): Hanc comfessionem, dilectissimi, toto corde promentes, impia haereticorum commenta respuite, ut ieiunia vestra et elemosinae nullius erroris contagio polluantur. Tunc enim et sacrificii munda est oblatio et misericordiae sancta largitio, quando hi qui ista dependunt, quid operentur intellegunt. 384 Dazu in Spannung steht Leos Gleichsetzung der Kirche mit dem Paradies: vgl. tract. 70,4 (CChr.SL 138A 430,90-93): [diabolus] inpugnat, ut…animas…a paradiso Ecclesiae raptas in consortium suae damnationis inducat. 385 Vgl. tract. 48,1 (CChr.SL 138A 279,14): ut digni possimus divinis interesse mysteriis; 59,8 (CChr.SL 138A 361,218-362,223f): ut…resurrectionis Christi mereamur esse participes. 386 Vgl. tract. 84,1f (CChr.SL 138A 525,1-526,18): Anlässlich des Jahrestages der Plünderung Roms beklagt Leo, dass die Menschen diesen Tag der Zurechtweisung und Befreiung (diem castigationis et liberationis) kaum begehen. Daher sei er mit Furcht erfüllt, da diese Form der Undankbarkeit (für die Stadt) insofern gefährlich sei, als sie auch keine moralische Besserung der Menschen andeute. Die Menschen suchten eher die insana spectacula auf als die Orte der Märtyrergräber. Damit scheint er sich zwar nur auf Christen zu beziehen, die heidnische Bräuche pflegen, aber eine Gefahr, die von jenen ausgeht, die zur Gänze Heiden sind, wird Leo nicht geringer eingeschätzt haben. Vgl. auch die Thematik des Sonnenkultes bei Bronwen, Neil: Pagan Ritual and Christian Liturgy: Leo the Great’s Preaching on Sun-Worship, in: Liturgie und Ritual in der alten Kirche. Patristische Beiträge zum Studium der gottesdienstlichen Quellen der alten Kirche (= SPA 11), hg. von W. Kinzig, Leuven u.a.: Peeters, 2011, 127-140. 387 Diesem Gedanken verleiht Leo vor allem anlässlich des Jahrestages der Plünderung Roms Ausdruck: vgl. tract. 84,1f (CChr.SL 138A 526,26-30): revertimini ad Dominum intelligentes mirabilia quae in nobis dignatus est operari, et liberationem nostram…ineffabili omnipotentis Dei misericordiae deputantes, qui corda furentium barbarorum mitigare dignatus est. Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 774f. 388 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,40f): novum quaerit lucrum, quia ius perdit antiquum.

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Die Methode der Predigt

Während die augustinisch-pessimistische Einschätzung der conditio humana der Ausgangspunkt für die der gegenwärtige, politische und soziale Krise ist, führt Leo ein optimistischer Blick auf die moralische Möglichkeit des getauften, auf Gott vertrauenden und daher von Gottes Kraft erfüllten Menschen389 zum hoffnungsvollen Ausblick auf die entscheidende Wende.390 Dabei müsse zuerst die avaritia („Habgier“) überwunden werden, die Leo in Anlehnung an 1  Tim  6,10391 die Wurzel aller Übel nennt. Sie sei nämlich zum einen mit der in jeder Sünde enthaltenen Begierde gleichzusetzen392 und zum anderen die größte Feindin der Werke der Barmherzigkeit und Liebe393 und damit auch die Ursache für die soziale Ungerechtigkeit.394 Umgekehrt bezeichnet Leo die

389 Vgl. tract. 76,5 (CChr.SL 479,114-120): Quod utique apostoli, posteaquam nova sancti Spiritus abundantia sunt repleti, ardentius velle et efficacius posse coeperunt, proficientes a praeceptorum scientia ad tolerantiam passionum, ut sub nulla iam tempestate trepidantes, fluctus saeculi et elationes mundi fide supergrediente calcarent, et morte contempta, omnibus gentibus evangelium veritatis inferrent. 390 Dasselbe Konzept verfolgen etwa Maximus, Bischof von Turin, und der christliche Geschichtsschreiber Salvian (vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 51-55; Badewien, Geschichtstheologie, 18-45).). Nach Augustinus jedoch können die geschichtlichen Ereignisse und Kollektive nicht mit dem eschatologischen Heil oder Unheil gleichgesetzt werden (vgl. Häring, Harmann: Eschatologie in: Augustin Handbuch, hg. v. Volker Henning Drecoll, Tübingen: Mohr Siebeck, 2007, 545). Daher kann Augustinus auch die avaritia („Habsucht“), superbia („Hochmut“) und libido dominandi („Herrschsucht“) und andere Sünden und Laster als Verneinung wahrer, menschlicher Gemeinschaft im Sinne der civitas Dei bezeichnen und zugleich einen Zusammenhang zwischen moralischem und politischem Verfall bestreiten (vgl. Geest, Ethik, 537f; Szidat, Art. Imperium Romanum, in: AL 3 [2004] 550). 391 1 Tim 6,10: radix enim omnium malorum est cupiditas. 392 Vgl. tract. 60,4 (CChr.SL 138A 366,75-367,79): inspicite quae germina et quales fructus de avaritiae stirpe nascantur, quam merito apostolus radicem esse malorum omnium definivit, quia nullum peccatum sine cupiditate committitur, et omnis inlicitus adpetitus istius aviditatis est morbus; 45,4 (CChr.SL 138A 267,103-105): radix quoque avaritiae altius persequenda est, ut omnium malorum germen valeat excidi, si eorum potuerit fomes evelli; 67,4 (CChr.SL 138A 410,81f): facibus inflammatus avaritiae. 393 Vgl. tract. 74,5 (CChr.SL 138A 461,121-123): Quid autem tam inimicum misericordiae et operibus caritatis, quam avaritia, de cuius radice omnium malorum germen emergit? Leo stellt die avaritia außerdem der benevolentia („Wohlwollen“) gegenüber: vgl. tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,99f): avaritiae morbus…larga benivolentia; der largitas („Freigiebigkeit“): vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 138A 275,42f): und der liberalitas („freisinnige Denk- und Handlungsart“): vgl. tract. 90,4 (CChr.SL 138A 561,101α). 394 Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 767f.

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continentia („Enthaltsamkeit“) daher als Mutter der Tugenden395 und das Fasten als Nahrung für die Tugenden396 ‒ besonders im Hinblick auf die heilgeschichtliche Umkehrung der Ursünde.397 Daher werden im Anschluss auch die superbia („Hochmut“) und weitere Laster wie luxuria („Genusssucht“) und ira („Zorn“) eingereiht.398 Die christliche Erkenntnis dieser menschlichen Grundverhältnisse (von Taufbewerbern und Getauften399), die der entscheidenden Wende vorausgehen muss, ist letzten Endes von Gott geschenkt bzw. durch die Predigt Leos vermittelt und erfordert die Antwort des Menschen. Am deutlichsten erläutert Leo diesen Zusammenhang in einem alttestamentlichen exemplum (1 Sam 7,6-11), in dem die Not der Unterdrückung durch die Philister als Folge der Sünden und Laster der Hebräer zu verstehen und der Sieg auf den Triumpf über die eigenen Laster zurückzuführen sei.400 Leos damit verbundene Aussicht auf eine göttliche Gerechtigkeit, die in einem gewissen Ausmaß bereits zu Lebzeiten erfahrbar sei,401 fügt sich dabei in ein Konzept des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ein, der auf keinem Automatismus beruht, zumal sonst niemand vor Gott bestehen

395 Vgl. tract. 50,3 (CChr.SL 138A 293,71): tales fructus mater virtutum continentia parit; 19,2 (CChr.SL 138 78,44f): Cum ergo universa vitia per continentiam destruantur; 50,2 (CChr.SL 138A 293,50-52): His autem et aliis temptationibus…quae rectius virtus quam continentia opponitur…? 396 Vgl. tract. 13,1 (CChr.SL 138 54,7f): Semper enim virtuti cibus ieiunium fuit. 397 Vgl. tract. 79,1 (CChr.SL 138A 498,12-14): ut sicut fuit concupiscentia initium peccatorum, ita sit continentia origo virtutum. 398 Vgl. tract. 19,2 (CChr.SL 138 78,45f): et quidquid avaritia sitit, quidquid superbia ambit, quidquid luxuria concupiscit, huius virtutis soliditate superetur; 45,4 (CChr.SL 138A 267,103f): Extinguenda est iracundia, mortificanda superbia, destruenda luxuria; 47,1 (CChr.SL 138A 39-43): Iniquitas cum iustitia non habet pacem, temperantiam odit ebrietas, falsitati nulla est cum veritate concordia, non amat superbia mansuetudinem, petulantia verecundiam, avaritia largitatem; 90,4 (CChr.SL 138A 561,96-102): Nutrit patientiam labor, mansuetudo extinguit iram, benivolentia calcat invidiam, immundae cupiditates sanctis desideriis enecantur, avaritia liberalitate depellitur. 399 Vgl. tract. 45,1 (CChr.SL 138A 262,10-17). 400 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,1-13). Siehe die Ausführungen der Analyse von tract 39. 401 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,2f): propter peccatorum suorum offensiones…dominatione premerentur; 95,4 585,91-586,94): Religiosa tristitia…nec de hoc dolet quod divina iustitia agitur, sed de eo maeret, quod humana iniquitate committitur; ep. 152 (PL 54 1122C): confidentes misericordiam praestituram, ut scelestis ausibus etiam in hoc tempore digna reddantur.

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Die Methode der Predigt

könnte,402 sondern auf einer biblischen iustitia connectiva („verbindende Gerechtigkeit“, „Gemeinschaftsgerechtigkeit“).403 Weitere theologische Deutungen der Krise des Römischen Reiches Wird dieses Konzept der Erfahrung unerklärlicher Schicksalsschläge (strepitus fatorum404) nicht gerecht (Theodizee-Frage), sucht Leo aufseiten Gottes nach einer Antwort. Dazu dient auch die rechte Betrachtung der Verhältnisse im Sinne einer ratiocinatio („Überlegung“, „Syllogismus“): Die eigentliche Strafe für die Sünde, den Tod, habe Christus bereits auf sich genommen, sodass auch geringfügigere Übel verdientermaßen anzunehmen seien.405 Für den Menschen sei es nicht gut, dass sein Wille stets erfüllt werde,406 zumal er wie Christus die

402 Vgl. tract. 2,1 (CChr.SL 138 7,18-8,21): Neque enim de qualitate nostrorum operum pendet caelestium mensura donorum: aut in isto saeculo…hoc unicuique retribuitur, quod meretur, ubi si iniquitates Dominus observaret, nullus iudicium ipsius sustineret; 49,3 (CChr.SL 138A 288,71-73): nec obese cuiquam vel proprium vel originale peccatum ubi iustificatio non meritis retribuitur, sed sola gratiae largitate donator. 403 Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 773. Altorientalisch und biblisch verstanden, äußert sich der Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht in Vergeltung, also in einer rein äußerlich, von Gott automatisch durchgesetzten auferlegten Strafe. Es handelt sich dabei vielmehr um ein Prinzip der Gegenseitigkeit und der Solidarität auf Basis einer kommunikativ verfassten Welt. Nicht Magie, sondern Verantwortungsethik und die goldene Regel steht im Vordergrund (vgl. Sedlmeier: Art. Tun-Ergehen-Zusammenhang, in: LThK3 10 [2001] 304). Unter iustitia connectiva kann man sich nach Assmann nicht nur die religiöse Gerechtigkeit vorstellen, sondern zunächst einmal die Überzeugung, dass sich das Gute lohnt und das Böse rächt. Ab der Mitte des 2. Jtd. habe sich die Theologisierung von Geschichte im Vorderen Orient und im Mittelmeerraum durchgesetzt, zumal die Götterwelt als völkerrechtliche Instanz fungierte. Eine Verschärfung dieses Verständnisses trat ein, als etwa ein Volk seinen Gott nicht mehr als Schutzherrn ihres politischen Bündnisses anrief, sondern mit seinem Gott selbst einen Bund schloss, sodass „Gott der Herr und das Volk als Subjekt der Geschichte“ zu verstehen war. „Die,iustitia connectiva‘ wird zur Gerechtigkeit Gottes“ (vgl. idem, Das kulturelle Gedächtnis, 232-234; 256f). 404 Vgl. ep. 15,10 (PL 54 685C). 405 Vgl. tract. 37,3 (CChr.SL 138A 201,37-43): Si igitur omnipotens Deus causam nostram nimie malam humilitatis privilegio bonam fecit, et ideo destruxit mortem et mortis auctorem, quia omnia quae persecutores intulere non rennuit, sed oboediens patri crudelitatem saevientium mitissima lenitate toleravit, quantum nos humiles, quantum oportet esse patientes, qui si quid laboris incidimus, numquam nisi nostro merito sustinemus! 406 Vgl. tract. 56,2 (CChr.SL 138A 330,59-61): Quia…utile nobis est ne fiat plerumque quod volumus. Deus iustus et bonus, quando ea quae nocitura sunt petitur, negando miseratur.

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Bedrohung nicht fliehen, sondern im Ertragen überwinden solle.407 Die Anteilnahme am Leiden Christi vergrößere die Kirche408 und schließlich sei auch bei scheinbar, schweren Schlägen Dankbarkeit angesagt, da noch Schlimmeres abgewendet worden sei.409

Letztlich führt die Antwort aber zum unerklärlichen Ratschluss Gottes (secreta dispensatio; secretum consilium; divinae rationis occultum),410 zu dessen erziehenden Prüfungen (probationes411) und zur bevorstehenden Endzeit,412 in der nicht nur die Gnade zunehme, wie die wachsende Zahl der Taufen erkennen lasse,413 sondern auch die Versuchungen des Satans. Wie Leos Begriffe erahnen lassen (temptatio; tribulatio; persecutio; perturbatio) finden diese Versuchungen auf physischer und geistiger Ebene statt.414 Der Satan verliere die Seelen aber nicht nur aufgrund der Taufe, sondern in weiterer Folge durch deren moralische Besserung. Mit dieser Überzeugung ist die Vorstellung von zwei Perioden der 407 Vgl. tract. 67,6 (CChr.SL 138A 412,125f): ut inter praesentis vitae pericula non tam optandum nobis sit declinando ista effugere, quam tolerando superare. 408 Vgl. tract. 82,6 (CChr.SL 138A 516,149f): Non minuitur persecutionibus ecclesia, sed augetur. 409 Vgl. tract. 84,1f (CChr.SL 138A 525,17-526,30). 410 Vgl. tract. 22,1 (CChr.SL 138 91,23):  secreti dispensatione; 82,3 (CChr.SL 138A 510,35): secretiore consilio; 28,3 (CChr.SL 138 141,45): divinae rationis occulto. 411 Vgl. tract. 12,2 (CChr.SL 138 49,38-50,41): Quoniam…bona est illi causa tolerandi, qui se adversis vel corrigi intelligit, vel probari; 412 Leo vertritt keine unmittelbare Naherwartung, da er mit der Bibel davon ausgeht, dass der Tag unbekannt ist: vgl. tract. 19,1: (CChr.SL 138 76,4-7): Quod utique praeceptum, dilectissimi, ad nos specialius pertinere cognoscimus, quibus denuntiatus dies, quam si est occultus non dubitatur esse vicinus. Mit Augustinus verbindet er das Ende zunächst wohl mit dem individuellen Lebensende: vgl. tract. 18,1 (CChr.SL 138 73,20f) sicut proxima est tribulatio, ita est et vicina promissio. Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 766. 413 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,36-39): dum per omnes fines terrae regeneranda in Christo multorum milium milia praeparantur, et adpropinquante novae creaturae ortu, spiritalis nequitia ab his quos possidebat extruditur; 49,3 (CChr.SL 138A 287,68288,78). 414 Vgl. ep. 167 (PL 54 1201A): nulla piorum portio a temptatione sit libera; tract. 2,1 (CChr.SL 138 7,18f): aut in isto saeculo in quo tota vita temptatio est; 86,2 (CChr.SL 138A 541,25-27): apud beatum Petrum apostolum pariter vigilemus, cuius suffragantibus meritis ab omnibus tribulationibus mereamur absolvi; ep. 16,5 (PL 54 701A): in persecutionis angustiis; tract. 44,3 (CChr.SL 138A 261,87f): ut ab omnibus perturbationibus liberi…veniatis; ep. 37 (PL 54 811B): et temporalis necessitas me non patiatur deserere civitatem.

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Die Methode der Predigt

Kirche verbunden: Der Zeit der Verfolgung und der Blutzeugen folge die Zeit der durch ihre Sittenreinheit bekränzten Bekenner.415 Welcher Art die Prüfungen und Herausforderungen auch sein mögen, gemäß der biblischen Zusage in Röm 8,31-39416 können die Christen mit festem Vertrauen in den Sieg der Liebe Christi durch alle Herausforderungen hindurch zu Gott gelangen.417 Zusammenfassung Hatte Augustinus sozusagen die Flucht nach vorne zur Prädestination angetreten und betont, dass die eigentliche civitas Dei verborgen und die Kirche zwar gesellschaftsformend und geschichtswirksam sei, ein Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Bedrohung aber nicht bestehe, akzentuiert Leo stärker die positiven Möglichkeiten des Menschen,418 die Gesellschaftswirksamkeit des Christentums und den Zusammenhang von moralischer Besserung und gesellschaftlichem Wohlergehen.419 Wenn er seine geistige civitas-Vision daher unmittelbar mit dem irdischen Rom verknüpft, stellt er den Menschen eine neue Gesellschaft, ein neues Rom vor Augen, das sich der Gerechtigkeit und Vorsehung Gottes anvertraut.

415 Augustinus hatte als dritte Phase noch die Zeit des Antichristen angenommen (vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 [1968] 777f; 782). 416 Vgl. Ep 15,10 (PL 54 685B,28-685C,38); tract. 36,2 (CChr.SL 138 197,53-57); 57,5 (CChr.SL 138A 106f): Quoniam si deus pro nobis, quis contra nos? Neben zahlreichen anderen Belegen ist ebenso erwähnenswert: 1 Joh 4,4, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,70): fortior est qui in nobis est quam qui adversum nos est. 417 Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 782. 418 Vgl. Wachtel, Beiträge zur Geschichtstheologie des Aurelius Augustinus, 98f: „Es ist hier daran zu erinnern, daß auch die Erneuerungsbestrebungen der römischen Reformer mehr auf eine sittlich-moralische Regeneration der Bürger als auf eien Veränderung der staatlichen Einrichtungen abzielten“. 419 Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 747: „Tous les événements égalment sont fondés sur les lois de caractère juridico-personnel, qui règlent les relations entre les hommes, réciproquement, et entre l’humanité et Dieu”

III  Die Auslegung der QuadragesimaPredigten Leos des Großen 1 Analyse von tract. 39 1.1 Historische Angaben Die Datierung der ersten Edition Die Predigten 39-43 stammen aus der ersten Kollektion, die den Predigtzyklus der ersten fünf Jahre von Leos Pontifikat 440-445 enthält.420 Da die meisten Handschriften (K, L, O, P und A-B-C) dieselbe Reihenfolge im jahresübergreifenden Predigtzyklus von Leos Amtsantritt bis zum Septemberfasten einhalten (440-441; 441-442; 442-443; 443-444; 444-445), leitet Chavasse daraus auch die tatsächliche Chronologie ab.421 Während ihm dies leicht möglich erschien, wo der jeweilige liturgische Anlass durch fünf Predigten (je eine für die Jahre 440445) vertreten ist, müsse eine zuverlässige Einordnung zwischen 440-445 offen bleiben, wo weniger als fünf Predigten vorhanden seien und historische Querverweise fehlen. Da zur Quadragesima für diesen Zeitraum nun fünf-Predigten überliefert sind, datierten sie sich gewissermaßen von selbst.422 Demnach sei tract. 39 als Leos erste Quadragesima-Predigt nach der Ansprache zur Amtsübernahme am 29. September 440 einzuordnen, sodass das darauffolgende Frühjahr 441 anzunehmen sei. Die Datierung auf den ersten Sonntag der Quadragesima ist aufgrund er deutlichen Benennung dieses Datums (Accedentes ergo, dilectissimi, ad Quadragesimae 420 Das schließt Chavasse aus der Überschrift, die in den Handschriften K und B2 enthalten ist: [In nomine Dei summi incipiunt B2] tractatus quos a die ordinationis suae per continuum quinquennium beatissimus papa Leo dixit ad populum (vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CLXXVII). Vgl. Pratesi, Commento, 290. Für die Datierung der ersten Sammlung ist auch der Umstand interessant, dass die in den Briefen verwendeten Zitate aus den Traktaten alle der ersten Sammlung entnommen sind, auch bei den Passagen, die doppelt überliefert wurden (vgl. Montanari, Nota sulla storia, 206; Chavasse, CChr.SL 138, CLIIIf). 421 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CLXXVII: „Sauf quelques exceptions, rares et somme toute accidentelles, ces témoins reproduisent les sermons en question dans le même ordre, ce qui assure une base solide aux observations qui permettent de définir la portée chronologique de cet ordre, en attendant de voir cette chronologique confirmée par quelques recoupements historiques“. 422 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CLXXVIII.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

initium:  „Geliebteste, da wir also zum Beginn der Quadragesima hinzutreten“ 3,60-62) zu befürworten, sodass das von Chavasse angegebene Datum 9. Februar 441 als wahrscheinlich gilt.423 Die Datierung der Überarbeitung Die Überarbeitung von tract. 39 ist nicht leicht zu datieren.424 Einige Veränderungen im Text, Auslassungen und Ergänzungen könnten aber mit zwei bestimmten historischen, mehr oder weniger datierbaren Ereignissen in Verbindung stehen. Die veränderte politische Situation In der Forschung geht man davon aus, dass Leos Veränderungen im Textabschnitt 1,15-22β auf eine Wende der politischen Situation verweist:425 Bedrohten die Vandalen im Jahr 441 nach der Eroberung von Sizilien noch unmittelbar die Stadt Rom, so sei diese Gefahr durch den Frieden von 442 zwischen Valentinian III. und Geiserich gebannt gewesen. Leos Adressaten hätten daher mit dem Wortlaut „unsere Feinde“ (hostes nostros 1,15α; 2,28α) zunächst die tatsächliche Bedrohung durch die Vandalen assoziiert. Um der veränderten politischen Situation bei der Überarbeitung nun Rechnung zu tragen, habe Leo die Formulierung „wenn wir unsere Feinde auf ähnliche Weise zu besiegen wünschen“ (si similiter hostes nostros superare cupimus 1,15fα) durch „wenn wir ähnliche Gegenmittel zu gebrauchen wünschen“ (si similibus remediis uti cupimus 1,15βf) ersetzt. Während hier die Feinde (hostes) nicht mehr erwähnt werden, erhalten sie in 2,28β den verallgemeinernden Zusatz „alle“ (omnes hostes nostros). Eine weitere Verallgemeinerung der konkreten Assoziation mit zeitlichen Feinden bewirke die Abschwächung des Vergleichs zwischen dem militärischen Ausnahmezustand des Volkes der Hebräer und der Situation der Stadtrömer durch

423 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138A, 211. Montanari bezweifelt die Datierungsversuche von Chavasse und hält auch die zweite Edition Leos in der von Chavasse präsentierten Form (vgl. Chavasse, CChr.SL 138, XLVI; CLXXIX) für nicht wahrscheinlich. Er zieht außerdem die Überarbeitung durch Leo in Zweifel. Chavasse habe über gewisse Problematiken seiner These von der zweiten Edition hinweggesehen (vgl. Montanari, Nota sulla storia, 184; 204-207; 213). 424 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CCI. Vgl. Pratesi, Commento, 290. 425 Pratesi (vgl. idem, Commento, 23; 290) geht mit Dolle (vgl. idem, Les Sermons en double édition de S. Léon le Grand, in: RThAM 45 [1978] 25-27) davon aus, dass der historische Hintergrund in der Bedrohung durch die Vandalen 441 zu suchen sei. Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 121. Bartnik hingegen war von der Bedrohung durch die Hunnen im Jahr 452 ausgegangen: vgl. idem, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 767.

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den Zusatz „beinahe“ (propemodum 1,17fβ).426 Die Lage sei eben nur mehr beinahe dieselbe (Eadem enim propemodum causa nostra est 1,17fβ). Dahingegen habe „ja sogar“ (immo 1,17α) noch unterstrichen, dass es sich um dieselbe Lage handle. Leo habe die erwähnten Feinde jedoch auch in der ersten Edition nicht auf zeitliche Feinde reduziert, sondern zunächst bei der Auseinandersetzung der Hebräer mit den Philistern angeknüpft, um letztere dann mit den geistigen Feinden (spiritales inimici) zu konterkarieren.427 Dass Leo darüber hinaus bei einem für seine Zuhörer aktuellen Anlass anknüpfen wollte, ist möglich,428 besonders auch im Hinblick auf die Parallele bei Maximus von Turin.429 Dahingegen scheinen die genannten Veränderungen in der zweiten Edition nicht so deutlich auf eine besondere Veränderung der politischen Situation hinzudeuten. Diese können ebenso als schlichte Verdeutlichung der Formulierung der ersten Edition aufgefasst werden, dass sich die Ausgangslage zwischen den Hebräern und Römern nämlich dadurch unterscheidet, dass letztere vor allem mit Widersachern auf geistiger Ebene zu kämpfen haben, aber auch mit irdischen. Aus diesem Blickwinkel ließen sich auch die weiteren Ergänzungen der zweiten Edition besser einordnen: (sicut β) illi a carnalibus adversariis (ita β) nos a spiritalibus (maxime β) inpugnamur inimicis („[wie] jene von fleischlichen Widersachern, [so] werden wir [hauptsächlich] von geistigen Feinden angegriffen“ 1,19-22). Die Ergänzungen sicut, ita und maxime schließen die zeitlichen Feinde nicht

4 26 Vgl. Dolle, Les Sermons en double édition, in: RThAM 45 (1978) 26. 427 Vgl. Pratesi, Commento, 290: „Nei nemici di cui parla la redazione α sono da vedersi sia i nemici spirituale – i più pericolosi – che quello materiali“. 428 Vgl. Pratesi, Commento, 290: „lotta dei cristiani contro i nemici spirituali, che tuttavia assumono i contorni dei ben identificabili corporei hostes che in quel momento (441) stanno agustiando i suoi ascultatori […]: i vandali“. 429 In einer Quadragesima-Predigt spricht auch Maximus in einer Aktualisierung des exemplum von 1 Sam 14,24-46 von geistigen und irdischen Feinden. Der Sieg über die geistigen durch das Fasten ziehe auch den Sieg über die irdischen Feinde nach sich. Dabei benennt er dennoch die Aktualität von irdischen Feinden: vgl. serm. 69,4 (CChr.SL 23 290,92-291,96): Ergo, fratres, statutum nobis custodiamus omni observatione ieiunium, ut hostes nostros spiritales carnalesque vincamus! Habemus enim, sicut nostis, et carnales hostes. Ieiunemus igitur, ut eos exercitus noster ut Saul superet; 72,2 (CChr.SL 23 301,14-302,53); 81,3f (CChr.SL 23 333,44-334,81); 82,1 (CChr.SL 23 336,2-16). Maximus betont ebenso die Bedeutung der Weisungen Christi als Waffen des Glaubens und des Gebetes: vgl. 83,1-4 (CChr.SL 23 339,3-341,79); 85,2f (CChr. SL 348,17-350,72); 86,1-3 (CChr.SL 23 352,2-353,75). Vgl die Predigten von Petrus Chrysologus über das Fasten und die Almosen: serm. 41,1-4 (CChr.SL 24 231,3235,107); 42,1-6 (CChr.SL 24 236,3-240,113).

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aus, im Gegenteil, durch maxime („hauptsächlich“) wird gerade eine gewisse Unschärfe beim harten Gegensatz zwischen den carnales und spiritales inimci der ersten Edition ermöglicht. Dass Leo auch bei der zweiten Edition an den Sieg über Feinde auf beiden Ebenen dachte ‒ wenn die zeitlichen Feinde auch sekundäre Bedeutung haben ‒ wird in den folgenden Versen deutlich: „Wenn diese durch die Besserung der Sitten, die uns durch die Gnade Gottes geschenkt wird, besiegt werden sollten, wird uns auch die Stärke der körperlichen Feinde unterlegen sein“ (Qui si donata nobis per Dei gratiam morum correctione vincantur, etiam corporeorum nobis hostium fortitudo subcumbet 1,23-35f). Bei einem Sieg über die geistigen Widersacher durch eine von Gott geförderte, moralische Besserung, die jener der eingangs erwähnten Hebräer entspricht, würden eben auch die irdischen Feinde weichen, die man in der Stadt Rom zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder fürchten musste.430 Aus den Ausführungen oben folgt, dass auch Dolles Einschätzung der Auslassung in 6,198β-203β431 eine sehr vage Hypothese darstellt: Die Aufforderung zur konkreten Barmherzigkeit gegenüber den Armen (pauperes 6,198β) und Bedürftigen (indigentes 6,200β) in Form von Almosen sei an dieser Stelle nämlich dem Flüchtlingsstrom geschuldet, der durch die Bedrohung im Jahre 441 in Gang gesetzt worden sei.432 Zur Zeit der zweiten Edition hätten die Betroffenen bereits wieder in ihre Heimat zurückkehren können, sodass diese Stelle ihre Aktualität verloren habe.433 Bei der großen, allgemein Bedeutung der Barmherzigkeit in den Quadragesima-Predigten könnte es auf eine wesentlich unspektakulärere, überlieferungstechnischer Ursache für diese Auslassung geben. Zudem ist auch nicht dezidiert von Flüchtlingen die Rede. Die Argumentation für die historische Zuordnung der Predigt in eine Zeit der militärischen Bedrohung genießt eine hohe Plausibilität, nicht jedoch die Erläuterungen von wenigen Veränderungen in der zweiten Edition unter dem

430 Eine gewisse Unsicherheit im Zuge des Zusammenbruchs des weströmischen Reiches und der sogenannten Völkerwanderung wird wohl auch in den Jahren nach 441 bestanden haben: z. B. wurde Rom im Jahre 452 von den Hunnen bedroht, 455 wurde Rom schließlich von den Vandalen geplündert. 431 tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,198α-203α): Pauperum gemitus surdo non transeamus auditu, et misericordiam indigentibus prompta benignitate praestemus, ut misericordiam in iudicio invenire mereamur. 432 Vgl. Dolle, Les Sermons en double édition, in: RThAM 45 (1978) 30; Pratesi, Commento, 295. 433 Vgl. ibid., 30.

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Gesichtspunkt, dass die spezielle militärische Bedrohung des Jahres 441 ihren realen Hintergrund verloren habe. Auszuschließen ist dieser Zusammenhang dennoch nicht. Als terminus a quo kann demnach zunächst das Jahr 442 angenommen werden.434 Die veränderten, dogmatischen Herausforderungen In der Forschung wurde bei der Datierung der Überarbeitung von tract. 39 auch auf die Revisionen von dogmatischen Formulierungen geachtet. Da Leo infolge der Konfrontation mit Mönchen von Palästina die Einheit der Person Christi stärker zu betonen beginne, sei folgende, diese Absicht widerspiegelnde TextVariante der zweiten Edition in die Jahre 452-454 zu datieren.435 Tab. 2: Überarbeitung von tract. 39 Erste Edition

Zweite Edition

cum hostis generis humani non quasi a Deo, sed etiam quasi ab homine vinceretur (3,76-78α) „da der Feind es Menschengeschlechts gleichsam nicht von Gott, sondern auch noch gleichsam von einem Menschen besiegt wurde“

cum hostis generis humani non quasi a Deo iam, sed quasi ab homine vinceretur (3,77fβ) „da der Feind es Menschengeschlechts gleichsam nicht bereits von Gott, sondern gleichsam von einem Menschen besiegt wurde“

Der Ausdruck der ersten Edition habe die Bedeutung der menschlichen Natur hervorheben sollen, konnte jedoch im Sinne des von Leo simplifizierten Nestorianismus436 missverstanden werden. Mit der nicht weniger unglücklichen Einfügung von „gleichsam…gleichsam“ (quasi…quasi) wollte er eben den Eindruck vermeiden, eine Natur Christi könnte eine Handlung ohne die andere abschließen, sodass beide Naturen ihre Bedeutung für den Sieg erhalten.437 Der Satan wurde also nicht durch die göttliche Natur (allein) besiegt, sondern auch (etiam) 434 Dolle gibt als terminus a quo 445 an (vgl. idem, Les Sermons en double édition, in: RThAM 45 [1978] 26) und denkt dabei offensichtlich an den chronologischen Beginn der Entstehung der Predigten für die zweite Sammlung, die Leo wohl in den Jahren 452-454 zusammenstellte (vgl. Chavasse, CChr.SL 138, XLVI). Genauso gut könnte Leo die Predigt auch bald nach dem Friedensschluss mit den Vandalen überarbeitet haben oder erst in der Phase der Zusammenstellung der zweiten Sammlung, die auch ein Anlass für eine solche Überarbeitung sein könnte. 435 Vgl. Feichtinger, Die christologische Sprache, 272. 436 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 743. 437 Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 123.

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durch die menschliche. Spätestens der Vorwurf des Nestorianismus im Zuge der Auseinandersetzung mit den Mönchen Palästinas (452-453) habe Leo zu einer Revision des Satzes veranlasst. Mit dem „bereits“ (iam 3,74β) der zweiten Edition werde nun die Einheit der beiden Naturen stärker hervorgehoben, wobei die menschliche Natur infolge des getilgten „auch“ (etiam) zumindest an diesem Punkt eine besondere Bedeutung behalte.438 In 3,72f habe Leo die weitaus gelungenere Formulierung gewählt und bei der Überarbeitung im Sinne der Perspektive auf die Einheit der Person Jesu durch „desselben“ (eiusdem) ergänzt: „damit wir durch das Beispiel dessen (desselben β) unterrichtet werden, durch dessen Hilfe wir geschützt werden“ (ut cuius munimur auxilio, eius [eiusdem β] erudiremur exemplo). Christus schenke als Gott auxilium und als Mensch das im auxilium begründete exemplum.439

Aus diesen Ausführungen lässt sich für die zweite Edition eine Datierungsspannweite von 442-454 annehmen, wobei die Jahre 452-454 als Entstehungszeit am plausibelsten erscheinen.

1.2 Literarische Form In tract. 39 tritt die Rückbesinnung auf die klassischen Regeln der Rhetorik deutlich zu Tage, die im 4. Jh. mit der Einbettung des Christentums in die griechisch-römische Kultur ihren Ausgang nimmt und im 5. Jh. nichts mehr Ungewöhnliches ist,440 insbesondere nicht für Papst Leo in Rom. Neben den üblichen rhetorischen Stilmitteln sind auch einige Strukturelemente einer antiken Rede in dieser Predigt erkennbar. Dazu gehören nicht nur das Exordium441 und die Peroratio, sondern auch eine ausgedehnte Confirmatio. Das Exordium ist hier in Form einer Narratio ausgeführt.

4 38 Vgl. ibid., 123. 439 Die göttliche Hilfe (auxilium) sei bewusst zuerst genannt, da die Gottheit auch ontologisch an erster Stelle stehe, während das Verhalten Christi in der Versuchung ein Lebensmodell (exemplum) für die Glaubenden sei (vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 122). 440 Vgl. Studer, Schola christiana, 110; 115. 441 An das Exordium, das mit der captatio benevolentiae beginnt, hielten sich die meisten Prediger (vgl. Studer, Schola christiana, 106).

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1.2.1  Narratio: 1,1-13 Der für Leo ungewöhnliche Einstieg mit einer biblischen Narratio442 entspricht einem von Cicero benannten speziellen Exordium.443 Während das principium („Anfang“) ein klassisches an der perspicuitas („Deutlichkeit“) orientiertes Exordium charakterisiere, in dem der Redner seine Zuhörer zu gewinnen versuche,444 werde in der insinuatio („Eingang durch einen engen oder gekrümmten Wege“, „Einschmeichelung“) eine besondere Strategie gewählt. Dabei versucht der Redner das Unterbewusstsein des Publikums etwa durch das psychologische Mittel einer Unterstellung oder einer Überrumpelung zu erreichen, sodass besonders die Affekte angesprochen werden.445 Eine indirekte Unterstellung erfolgt bei Leo nun durch den für seine Adressaten unüberhörbaren Vergleich einer Episode aus dem Alten Testament (wohl 1 Sam 7,6-11446) mit der gegenwärtigen Bedrohung Roms durch die Vandalen. Auf diese Weise wird das Volk Israel zum Typos für die Christen Roms sowie der geschilderte Tun-Ergehen-Zusammenhang auf die Gegenwart übertragen: Wie die Hebräer sich einst durch ihr Fasten von ihren Sünden abgewandt hatten und daher über die Philister triumphieren konnten, so sollen auch die Stadtrömer der drohenden Gefahr begegnen, indem sie ihren lasterhaften Lebenswandel hinter sich lassen und fasten. Die Bezeichnung der Israeliten als „Volk der Hebräer“ (Hebraeorum… populus 1,1) und „alle Stämme Israels“ (omnes Israheliticae tribus 1,1f) nimmt einerseits die biblischen Sprachgebrauch auf, könnte aber durch die bewusste Intention begründet sein, die Assoziation zum römischen populus („gesamtes Volk [der Stadt]“)447 und zu den tribus („Stadtbezirk“, „armes Volk“) der Stadt zu wecken. 4 42 Vgl. Pratesi, Commento, 290: Il sermone si apre – insolitamente – con una narratio. 443 Vgl. inv. 1,15,20 (BSGRT 19,9f): exordium in duas partes dividitur: in principium et insinuationem. 444 Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 150f [§265]. 445 Vgl. ibid., 160 [§281]. 446 Die sprachlichen und inhaltlichen Übereinstimmungen verweisen auf diese Stelle: vgl. 1 Sam 7,6;11: et ieiunaverunt in die illa et dixerunt ibi peccavimus Domino…et persecuti sunt Philistheos et percusserunt eos. 447 Mit dem Sammelbegriff populus bezeichnet Leo die Kirche in ihrer Gesamtheit, die besonders in der Zeit des Fastens noch unterwegs zur endgültigen Erlösung ist, während er Ecclesia für die Kirche als Leib Christi verwendet, die den Geist zu Pfingsten empfangen hat (vgl. tract. 75,5 [CChr.SL 138A 470,102-121]) und in enger Verbundenheit mit Christus besteht (vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 90).

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Die Hebräer seien wegen ihrer Sünden (propter peccatorum suorum offensiones 1,2) einer schweren Unterdrückung durch die Philister anheimgefallen (gravi Philistinorum dominatione 1,2f). Um über ihre Feinde zu siegen, hätten sie ihre Kräfte durch ein Fasten aufgefrischt (vires animi et corporis indicto sibi reparavere ieiunio 1,4f). Sie hätten nämlich erkannt, dass sie die Bedrängnis (miseram subiectionem 1,6) infolge ihres Ungehorsams (neglectu…mandatorum Dei 1,6f) und Sittenverfalls (morum corruptione 1,7) verdienten und vergeblich ihre Waffen gebrauchten (frustraque se armis certare 1,8). Daher mussten sie zunächst ihren Lastern widerstehen (vitiis repugnassent 1,8) und nahmen eine strenge Korrektur ihres Lebenswandel auf sich (severae sibi castigationis adhibuere censuram 1,9). Sie überwandten zuerst die Verführung zur Genusssucht (gulae448 inlecebram 1,10), um die sichtbaren Feinde zu besiegen. Schließlich mussten die Zwingherrn (graves domini 1,12), die ihre Macht nur über Gesättigte ausüben konnten (quos sibi saturos subiugarent 1,12f), den Hungernden weichen.

1.2.2  Der Hauptteil: Confirmatio In tract. 39 erstreckt sich die Confirmatio über den ganzen Hauptteil, allerdings in drei Teilen. Der zweite und dritte Teil werden jeweils durch eine Überleitung (Transitus) eingeleitet: Confirmatio I (1,13-26), Transitus (2,27α-34), Confirmatio II (2,34-25), Transitus (2,46-59α), Confirmatio III (3,60-4,138β). Der Transitus („Übergang“, „Überleitung“) erfolgt in der klassischen Disposition zwischen einzelnen Redeteilen und ist eigentlich zwischen der einleitenden Narratio und der Confirmatio anzusiedeln.449 Der Ausdruck schien mir jedoch für die Überleitungen Leos zutreffend zu sein, da sie die vorhergehenden Leitlinien zusammenfassen und bereits einen Ausblick auf den nächsten Gedankenschritt geben. Der Bezug zur Versuchungsgeschichte im letzten Teil ist eher eine argumentative Bestärkung der Adressaten als eine Erläuterung und Aktualisierung dieser Bibelstelle im Sinne einer Narratio.

448 Die gula dient seit Hilarius und Ambrosius außerdem zur Charakterisierung der ersten Versuchung Jesu: vgl. die Ausführungen zum Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-11. 449 Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 163 [§288]; 189 [§346]: Als Übergang von der Narratio zur Argumentatio besteht die wichtigste Form des Transitus in Form der propositio, also in der Feststellung des für die Argumentatio wesentlichen Inhalts und der Kerngedanken.

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Confirmatio: 1,13-4,138β 1,13-26: Confirmatio I: Die Aktualisierung der Typologie Auf die einleitende Insinuatio folgt eine erste Confirmatio, in der der unterstellte Vergleich zwischen dem Volk Israel und Leos Adressaten nun explizit formuliert wird. Die Eröffnung erfolgt über die vergleichende Feststellung „Und so [wollen] auch wir, Geliebteste“ (Et nos itaque, dilectissimi 1,13) und steht als Aktualisierung in direkter Spannung zur Einleitung der Predigt „Das Volk der Hebräer [hat] einst“ (Hebraeorum quondam populus 1,1). Die Parallele zwischen dem alttestamentlichen Volk und Leos Adressaten besteht in der Lage, die von Widrigkeiten und Schlachten (multas adversitates et proelia 1,13f) gekennzeichnet ist. Daher fordert der Kirchenlehrer seine Adressaten dazu auf, den beispielhaften Weg der Israeliten zu ihrem Sieg nachzuahmen (ut superare hostes suos possent: „damit sie ihre Feinde besiegen konnten“ 1,3f), damit auch sie ihre Feinde besiegen (ut hostes nostros superare valeamus: „damit wir die Kraft haben, unsere Feinde zu besiegen“ 2,28f). Dennoch unterscheidet Leo zunächst im Sinne der allegorischen Auslegung den Kampf der Israeliten gegen irdische Feinde (carnales adversarii 1,20) und den gegenwärtigen Kampf gegen Widersacher auf der geistigen Ebene (spiritales inimici 1,21f). Gegen diese könne man nur durch eine moralische Besserung (morum correctione 1,23) siegen, die von Gottes Gnade geschenkt wurde (donata…per Dei gratiam 1,23). Damit richtet Leo die Aufmerksamkeit von der irdischen Bedrohung Roms, die wohl tatsächlich durch die Vandalen bestand,450 auf die moralische. Die Niederlage von irdischen Angreifern wäre lediglich ein Nebeneffekt (etiam corporeorum nobis hostium fortitudo subcumbet: „werden uns auch die tapferen, körperlichen Feinde unterliegen“ 1,24). Diesen von der biblischen Narratio abgeleiteten und auf die städtische Gesellschaft Roms übertragenen Tun-Ergehen-Zusammenhang weitet Leo in derselben Periode 1,23-26 schließlich noch einmal auf die geistige Ebene aus: Die Schwächung der Feinde bestehe in der ganzheitlichen Besserung von Leos Zeitgenossen (emendatione nostra infirmabuntur 1,25), das der Niederlage der Feinde durch das Fasten der Hebräer (vgl. 1,11f) entspricht. Leo unterstreicht diese inhaltliche Parallele, indem er die Feinde jeweils durch „schwer zu bezwingen“ (graves 1,2; 12; 25) charakterisiert. Die gegenwärtigen Angreifer seien nicht wegen ihrer Verdienste schwer zu bezwingen, sondern wegen der Sünden der Verteidiger (graves nobis, non ipsorum merita, sed nostra delicta fecerunt 1,26).

450 Vgl. Historische Angaben.

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2,27α-34: Transitus: Zusammenfassung und Überleitung zum inneren Kampf Äußerlich erkennbar ist der aus einem Satz bestehende Transitus in 2,27α durch die Einleitung „Deswegen, Geliebteste“ (Quapropter, dilectissimi) und den Hortativus in der 1.P.Pl. „lasst uns suchen“ (quaeramus 2,31α). Damit Leos Adressaten ihre Feinde überwältigen können, sollen sie sich an die Gebote des Himmels halten, und eben dadurch die göttliche Hilfe erfahren (per observantiam caelestium mandatorum divinum quaeramus auxilium 2,29-31β).451 Der erste Auftrag gilt aber der eigenen Umkehr. Denn nur im Sieg über sich selbst könne es einen Sieg über die äußeren Feinde geben (non aliter praevalere posse nos adversariis nostris, nisi praevaluerimus et nobis 2,32β-34β).452 Dieses für Leo charakteristische Ineinander von persönlicher Erfüllung der Gebote und der göttlichen Hilfe verweist auf die soteriologisch ausgefaltete Christologie. Nicht nur das Handeln (exemplum) wird für Christen als Weg zu Gott vorgestellt, sondern auch die innere Ausrichtung auf Gott hin, das göttlich gewirkte Sein Christi (auxilium453). 2,34-26: Confirmatio II: Die Erläuterung des inneren Kampfes und des Zieles Im zweiten Teil der Confirmatio führt Leo die Selbstüberwindung als inneren Kampf (intra nosmetipsos multa certamina: „in uns selbst [gibt es] viele Kämpfe“ 2,34f) und als Kampf zwischen zwischen caro und spiritus454 („Fleisch“ und „Geist“ 2,35f; vgl. Gal 5,17) aus. 451 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,27β-36): „Quapropter, dilectissimi, ut hostes nostros superare valeamus, per observantiam caelestium mandatorum divinum quaeramus auxilium scientes non aliter praevalere nos adversariis nostris, nisi praevaluerimus et nobis. Sunt enim intra nosmetipsos multa certamina, et aliud caro adversus spiritum, aliud adversus carnem spiritus concupiscit” (vgl. Gal 5,17). 452 Ähnlich bei Maximus von Turin (serm. 69,3 [CChr.SL 23 289,49-53]): „Quomodo enim potest in altero diaboli inprobitatem vincere, qui gulae intemperantiam in se ipso non vincit? Prius ergo, homo, tui victor esto, ut possis esse victor alterius! Sunt enim intra te proprii tibi hostes, qui cotidie te obpugnant“. 453 Die Bedeutung des Leitgedankens des auxilium spiegelt sich auch darin wider, dass er auch in Verbindung mit dieser Stelle von tract 39 in das Altgelasianum eingegangen ist (vgl. Lang, Arthur: Leo der Große und die Texte des Altgelasianums, mit Berücksichtigung des Sacramentum Leonianum und des Sacramentum Gregorianum, Steyl: Steyler Verlagsbuchhandlung, 1957, 440f). 454 Da Leo in diesem Abschnitt unterschiedliche Begriffe für Geist verwendet (spiritus, animus, mens und ratio) folgt ein kurzer Abriss über Leos Anthropologie, die keine systematische ist: Vielmehr geht der Papst pragmatisch von zwei Bestandteilen des Menschen aus (substantiae), dem materiellen (caro, corpus, homo exterior) und dem geistigen (animus, anima, mens, cor, homo interior). Insofern nimmt er einen biblischen bzw. einen paulinischen Standpunkt ein. Es geht ihm schließlich nicht um eine philosophische Erklärung,

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Angesichts dieser Uneinigkeit (dissensio 2,36) weist Leo auf die unterschiedlichen Folgen hin, wenn sich entweder das Fleisch oder der Geist durchsetze. Bei einem allzu starken Einfluss (fortior 2,37) der Begierden werde der Geist (animus 2,37) nicht nur die ihm eigene Würde (propria dignitas 2,37f) verlieren, sondern auch das große Risiko bestehen (perniciosissimus 2,38β), dass der Geist, der eigentlich über den Körper herrschen sollte (imperare 2,39), diesem sklavisch diene (servire 2,39). Wenn der Geist (mens 2,39) aber seinem Erzieher (rector 2,39) ergeben und mit Gnadengaben beglückt (supernis muneribus delectata 2,40) die Reize zur Sünde verachte und sie nicht zum Beherrscher seines Leibes mache (in suo corpore peccatum regnare non siverit 2,41f; vgl. Röm 6,12), dann habe die vernunftbegabte Seele (ratio 2,43) gemäß der Schöpfungsordnung die erste Stelle inne (ordinatissimum…principatum 2,42f). Ihre Befestigungswerke (munitiones 2,43) hielten dann auch den Angriffen unreiner Geister (spiritalium nequitiarum 2,43f; vgl. Eph 6,12b) stand. Darüber hinaus entspreche diese Ordnung auch dem wahren Frieden und der Freiheit des Menschen (vera pax hominis et vera libertas 2,44f), da der Leib vom Geist als Entscheidungsträger gelenkt (caro animo regitur 2,45f) und der Geist von Gott gesteuert werde (animus Deo praeside gubernatur 2,46).455 Leo sieht im Fasten also die ideale Möglichkeit, die pax im Menschen zu befördern, also den Leib mit dem Geist sowie den Geist mit Gott zur Einigkeit zusammenzuführen.456 Mit paulinischen Termini spricht er vom inneren Kampf und verwendet dabei für die rechte, innere Ordnung der Seele politisch bzw. sondern um den Weg zu Gott, der über die imitatio Christi (exemplum) und die raparatio naturae (sacramentum) führt, die durch den Heiligen Geist vermittelt wird. Während anima auf die Person bezogen wird (vgl. tract. 41,1 [CChr.SL 138A 232,14]: anima christiana), verwendet Leo animus im allgemeinen Sinn für die geistige Dimension des Menschen (Vernunft, Gedanken, Leidenschaften, Sehnsüchte). Das Fasten nehme die Dimensionen des Willens und des Verstandes in Anspruch, da es um die Befreiung von der concupiscentia sowie von den Irrlehren gehe (vgl. tract. 46,1 [CChr.SL 138A 269,17]). Mens verwendet Leo synonym mit animus, dafür spricht auch die Substitution von mens durch animus in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,43β). Vgl. Pratesi, Commento, 306. Die synonyme Verwendung von animus und anima ist ebenfalls wahrscheinlich, auch wenn der marginale Vokalunterschied von animos und animas in den beiden Editionen auch den Kopisten zugeschrieben werden kann: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,66βf): animas. Dahingegen verwendet Leo spiritus im paulinischen Sinne und nur selten für ein anthropologisches Element (vgl. Pratesi, Introduzione, 29-32). 455 Ähnlich hatte es bereits Augustinus in De utilitate ieiunii formuliert, wo er ebenfalls das Zitat Gal 5,17 kommentiert (util. ieiun. 46,4,5 [CChr.SL 46 235,162f]): Regat te praepositus, ut possit a te regi subiectus. Infra te est caro tua, supra te est Deus tuus. Vgl. Pratesi, Commento, 291. 456 Vgl. Armitage, A Twofold Solidarity, 164.

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militärisch gefärbte Begriffe: Die Seele bewahrt ihre „Amtswürde“ (dignitas 2,38) nur, wenn sie im Idealfall den „Prinzipat“ (principatus 2,43) über den Leib innehabe. Bei der rechten Haltung des Geistes handelt es sich um „Befestigungen“ (munitiones 2,43), Gott als Beschützer der Seele nennt er „Statthalter“ (praeses 2, 46), der dem Mensch das göttliche auxilium („Hilfstruppe“ 2,31α) gänzlich durch den „Dienst von oben“ (superna munera 2,40) zuteilwerden lasse. Somit werde der Mensch von Gott her mit allem ausgestattet, womit er den inneren Frieden (pax 2,44) sowie die Freiheit (libertas 2,45) finden könne. Diese (nicht nur) für die Römer emotionalen Schlagwörter457 erschließen die platonischchristliche Leitungsaufgabe der Seele im Horizont des Hörens auf Gott und vor dem Hintergrund der Verwirklichung dieses Desiderats in Jesus Christus. 2,46-59α: Transitus: Zusammenfassung und Überleitung zur Quadragesima Nach diesen prinzipiellen Ausführungen zum Sinn und zur Wirkung des Fastens folgt wiederum ein Übergang zum nächsten Gedankenschritt. Dieser stellt die besondere Zeit der Quadragesima und ihre Wirkung vor Augen, um im Rahmen von Leos Soteriologie, die stets an Christus orientiert das Zueinander von göttlicher Hilfe und menschlichem Tun betrachtet, schließlich den Blick besonders auf das Lebensmodell (exemplum) Jesu zu richten. Der Transitus beginnt mit „Diese Vorbereitung, Geliebteste“ (Haec praeparatio, dilectissimi 2,46) und führt aus, dass die Einübung in die oben genannte Hingabe an Gott zwar jederzeit (omni tempore 2,47) angebracht, jetzt (nunc 2,48) aber besonders gefordert sei, da auch die Feinde mit leidenschaftlicherem Eifer im Hinterhalt lauerten (acriore insidiantur astutia 2,50). Diese seien in den heiligsten Tagen der Quadragesima (sacratissimi Quadragesimae dies 2,51f) besonders auf den Plan gerufen, da auf diese Zeit, in der alle Untätigkeit und Nachlässigkeit ein Ende finden sollen (in quorum observantia praeteritae desidiae castigantur, omnes neglegentiae diluuntur 2,52f), ihre Entmachtung in der Feier des Pascha-Mysteriums erfolgt. Daher strebten die Widersacher mit aller Macht danach, dass die Gläubigen das Osterfest in unwürdiger Weise (indigni 2,56α) begehen und Gott so beleidigen, anstatt sich mit ihm versöhnen zu lassen (unde nobis obtinenda erat propitiatio, inde contrahatur offensio 2,56-59). 3,60-4,138β: Confirmatio III: Das Wirken Christi durch auxilium und exemplum Dieser Abschnitt beginnt mit „Da wir also hinzutreten, Geliebteste“ (Accedentes ergo, dilectissimi 3,60fα) und steht im Anschluss an den Transitus ganz im 457 Unter dem Einfluss des princeps Augustus wurden diese Begriffe propagandistisch stilisiert: vgl. R. Gest. div. Aug.1,1 (Cooley 58): in libertatem vindicavi; 13 (Cooley 72): cum per totum imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax.

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Zeichen des Beginns der Quadragesima (Quadragesimae initium 3,61f) und der adäquaten Vorbereitung auf den Kampf gegen die Versuchungen (ad pugnas temptationum animos praeparemus 3,66fα), den Leo mit dem Auftrag verbindet, dem Herrn sorgfältiger zu dienen (diligentior Domini servitus 3,62fα). Ebenfalls im Transitus angeklungen war die Notwendigkeit der eifrigeren Vorbereitung im Sinne der eigenen Rettung (studiosius 2,51; studiosiores pro nostra salute 3,68) sowie der leidenschaftlichere Angriff der Feinde (acrior 2,50; vehementius 3,69). Neu ist jedoch die Erklärung, dass das eigene positive Bemühen den Angriff der Widersacher direkt proportional verstärke (quanto…tanto 3,68f). 3,69-78: Christus als auxilium und exemplum Die Feststellung der Intensivierung des feindlichen Angriffs stellt den Auftakt für Leos nähere Darlegung seiner Soteriologie auf der Grundlage des Tagesevangeliums Mt 4,1-11 dar. Christus ist derjenige der stärker ist (fortior 3,70) als der Widersacher (qui adversum nos est 3,70), sodass er als Gottmensch in einer Person den Christen eine zweifache Hilfe zuteilwerden lasse. Durch ihn haben die Gläubigen ihre Kraft (validi 3,71), da sie auf seine Kraft (virtus 3,71) vertrauen können oder anders ausgedrückt, die Gläubigen werden nicht nur durch seine göttliche Hilfe gestärkt (munimur auxilio 3,72f), sondern besonders durch sein lebenspraktisches Modell belehrt (erudiremur exemplo 3,73).458 Um die Nachfolge seines Lebens zu ermöglichen, habe der Herr sich vom Versucher versuchen lassen (ob hoc se Dominus temptari a temptatore permisit 3,71f) und den Satan bewusst nicht durch die Vollmacht der göttlichen Kraft (non potestate virtutis 3,75) besiegt, sondern durch die Zeugnisse der Schrift (testimoniis legis 3,75). Der Sieg der auf Gott vertrauenden menschlichen Natur über den Feind des Menschengeschlechts (hostis generis humani 3,76f) erwies dem Menschen außerdem eine besondere Ehre (hominem plus honoraret), während er eine größere Strafe für den Widersacher bedeute (adversarium plus puniret 3,75f), da er nicht offenkundig von Gott besiegt wurde, sondern vom Gottmenschen, in dem die göttliche Natur verborgen war. Leos Intention, auch hier die Unterscheidungschristologie zur Anwendung zu bringen, scheint zunächst im Sinne einer Trennungschristologie missglückt zu sein, sodass er sie in der zweiten Edition auch überarbeitete: „nicht [bereits β] gleichsam von Gott, sondern (auch noch α) gleichsam von einem Menschen“ (non quasi a Deo [iam add. β], sed etiam [om.

458 Die damit verbundene Teilhabe am Leben Christi in Gestalt eines ständigen Kampfes verweist auf die Erlösung von innen her (vgl. Pratesi, Commento, 292).

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Β] quasi ab homine 3,77f).459 Durch diese Überarbeitung hebt er zwar die Einheit der beiden Naturen in Christus stärker hervor, doch schmälert er die besondere Bedeutung der wahren Menschheit Jesu bei der Versuchung nicht, im Gegenteil: Er fährt im Text der Edition β nicht mit der Erläuterung des Ineinanders von auxilium und exemplum anhand des Epheserzitates Eph 6,14-17 fort, sondern stellt in der ausführlichen Erweiterung von 3,79β-4,121β das exemplum Jesu und die Aufforderung zur Nachahmung desselben in den Mittelpunkt.460 3,79β-121β: Die Nachahmung von Jesu exemplum In dieser mit „Es kämpfte also jener“ (Pugnavit ergo ille 3,79β) einsetzenden Ergänzung erklärt Leo den Sinn des Kampfes und Sieges Jesu näher mit Finalsätzen, in denen das historische Kämpfen und Siegen Jesu in der 3.P.Sg. (Pugnavit 3,79β; vicit 3,80β) zum Nachfolge-Appell für die Adressaten in der 1.P.Pl. wird (pugnaremus 3,80β; vinceremus 3,81β). Diese sollen das Tun und Sprechen Jesu schließlich in ihrem Leben erfahrbar machen, sodass ihre Existenz als Anteilhabe an der „Erzählung der Lesung aus dem Evangelium “ (narratio evangelicae lectionis) verstehbar wird. Der Kampf des Menschen (certamen; congressio 3,84βf) bestehe in der Konfrontation mit dem Feind (hostis 3,84β), den Erfahrungen der Versuchungen (temptationum experimenta 3,82β) und Prüfungen (probationes 3,83β), der Sieg darüber in den Werken der Tugend (opera virtutis 3,83β) und im Glauben (fides 3,84β). Um keinen Zweifel an der Unausweichlichkeit dieses Kampfes zu aufkommen zu lassen, fährt Leo mit der Feststellung fort, dass der Mensch ohnehin inmitten von Nachstellungen und Schlachten (in medio insidiarum, in medio proeliorum 3,86fβ) lebe. Den Adressaten soll somit die Dringlichkeit ihrer Entscheidung deutlich werden: Wenn sie vor der Realität der Versuchung in Form von Täuschungsmanövern des Satans nicht die Augen verschließen wollen (Si nolumus decipi 3,87β), müssen sie aufmerksam bleiben und wachen (vigilandum est 3,87fβ). Zur Siegesbereitschaft (Si volumus superare 3,88β) gehöre dann aber auch der Kampf (pugnandum est 3,88fβ). Um seiner Ermahnung Nachdruck zu verleihen, führt der Kirchenlehrer in 3,90-92β König Salomon als Gewährsmann

459 Vgl. die Erläuterungen unter Historische Angaben und im Kapitel Die in den drei Versuchungen enthaltenen dogmatischen Konzepte. Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 123: „a reference back to the antithesis of strength in weakness, the Lord of majesty in the reality of man already seen in the Christmas and Epiphany sermons“. 460 Vgl. ibid., 123.

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mit einem Zitat aus Jesus Sirach461 an. Salomon wird als „mit der Weisheit Gottes angefüllter Mann“ (vir…sapientia Dei plenus 3,92fβ) charakterisiert, der wisse, dass der Eifer in der Frömmigkeit mit der Mühsal des Kampfes verbunden sei (sciens studium religionis laborem habere certaminis 3,93fβ). Mit diesem Weitblick weise dieser auf die Gefahr des Kampfes hin, damit der Versucher die Glaubenden nicht ungeahnt verwunden könne (ad ignorantem temptator accederet, inparatum citius vulneraret 3,96-98β). Der zweite Abschnitt der Ergänzung beginnt mit „Wir [wollen] daher, Geliebteste“ (Nos itaque, dilectissimi 4,99β) und ist als Zusammenfassung und Zuspitzung des Gesagten einzustufen. Zunächst grenzt Leo sich mit dem Schriftbeleg Eph 6,12462 gegen dualistische Irrlehren ab, indem er auf die Qualität des Kampfes hinweist. Dieser sei nicht gegen den eigenen Körper, also gegen die menschliche Natur gerichtet (adversus carnem et sanguinem 4,103fβ), sondern gegen Fürste und Mächte (adversus principes et potestates 4,104fβ) und die Beherrscher dieser finsteren Welt (adversus rectores mundi huius tenebrarum 4,105fβ) sowie gegen die satanischen Geister (contra spiritalia nequitia in caelestibus463 4,106fβ). Daher sollen die Glaubenden sich auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Feinde jeden guten Vorsatz bemerken und gerade dadurch herausgefordert werden (hoc ipso quod aliquid boni adpetimus, adversarios provocamus 4,110β-112β). Aufgrund des unüberwindlichen Grabens des diabolischen Neides (inter nos atque illos per diabolicae invidiae fomitem 4,112f) bestehe ein eingewurzelter Widerstreit (inveterata dissensio 4,113fβ) zwischen den Gottsuchern und den Feinden. Daher leiden die Anhänger des Satans an der Rechtfertigung der Glaubenden (nostris iustificationibus torqueantur 4,116fβ). Diese werden mit Gottes Hilfe (Deo auxiliante 4,115β) zu jenen Gütern befördert, aus denen die Diener des Satans herausgefallen sind (illi ab his bonis exciderunt 4,114fβ). Mit diesem Hinweis auf das wirksame Eingreifen Gottes rundet Leo den Einschub ab. Es

461 Vgl. Sir 2,21: Fili, inquit, accedens ad servitutem Dei, praepara animam tuam ad temptationem. In der Tradition gilt Salomon als der Verfasser der Weisheitsliteratur (Weisheit, Kohelet, Jesus Sirach). 462 Eph. 6,12: Non est nobis, conluctatio adversus carnem et sanguinem, sed adversus principes et potestates, adversus rectores mundi huius tenebrarum, contra spiritalia nequitia in caelestibus. 463 Mit den „Himmeln“ sind wohl im Unterschied zum transzendenten Himmel die „unteren Himmel“ gemeint. Die Bezeichnung „Weltbeherrscher dieser Finsternis“ bezieht sich in der Gnosis auf die Planetensphäre, im jüdischen Bereich aber auf den Satan (vgl. Schnackenburg, Der Brief an die Epheser, 280f).

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folgen noch einige Antithesen, die die Unvereinbarkeit der menschlichen Arbeit für Gott und den Bemühungen für den Satan auf den Punkt bringen. Dabei bedient Leo sich vor allem medizinischer Metaphern, sodass die Bösen letztlich durch die Heilung der Gläubigen verwundet werden (curatione nostrorum vulnerum vulnerantur 4,120fβ). 4,122-138β: Die Waffen Christi als auxilium für die Christen Mit der Einleitung „Steht daher fest, Geliebteste“ (State igitur, dilectissimi 4,122) zum Zitat von Eph 6,14-17464 wird die Aufmerksamkeit nun auf die konkreten Waffen Gottes (armatura Dei Eph 6,13) gerichtet, die auch die Glaubenden zieren sollen.465 Zur Bewaffnung gehöre die Gürtung der Lenden des Geistes mit der Wahrheit (succincti lumbos vestrae in veritate 4,122f), die Beschuhung mit der Bereitschaft, das Evangelium vom Frieden zu verbreiten (calciati pedes in praeparatione evangelii pacis 4,123f), der Schild des Glaubens zur Abwehr der Angriffe des Bösen (scutum fidei, in quo possitis omnia tela maligni ignita extinguere 4,124f) sowie der Helm des Heiles466 (galea salutis 4,125f) und als einzige Angriffswaffe das Schwert des Geistes bzw. des Wortes Gottes (gladium spiritus, quod est verbum Dei 4,126), dessen sich auch Christus im Tagesevangelium erfolgreich bedient habe.467 Christus sei es auch, der die Glaubenden durch sein Wirken und sein Vorbild mit seinen mächtigen Waffen und unüberwindlichen Schutzmitteln zurüste (potentibus nos telis…insuperabilibus munimentis…armaverit 4,127-129), sodass auch die Aufforderung damit verbunden sei, den glänzenden Anführer (dux multis insignis trumphis 4,128β) und unbesiegten Lehrer des christlichen

464 Leo spart aus Eph 6,14 die Worte et induti loricam iustitiae aus (vgl. Eph 6,14-16): State igitur, dilectissimi, ut Apostolus ait, succincti lumbos mentis vestrae in veritate, et calciati pedes in praeparatione evangelii pacis, in omnibus sumentes scutum fidei, in quo possitis omnia tela maligni ignita extinguere, et galeam salutis, et gladium spiritus quod est verbum Dei. 465 Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 124. Vgl. tract. 49,3 [CChr.SL 138A 287,62f]): nunc oporteat armis spiritalibus instrui, et coelesti tuba ad ineundum certamen accendi. 466 Die Panzerung soll vor zweierlei Bedrohungen schützen: Vor (1) Begierde (im körperlichen und geistigen Bereich) und (2) Irrlehren (vgl. 47,2 [CChr.SL 138A 276 50-52]): Per istum vero agonem, dilectissimi, ad praemia aeterna tendentibus, in eo maxime diaboli insidiatur astutia, ut quorum pervertere non potest probitatem, subruat fidem. 467 Entnommen ist dieser Gedanke dem zweiten Lied vom Gottesknecht, dessen Mund Gott zu einem scharfen Schwert mache (vgl. Jes 49,2).

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Kriegsdienstes (invictus christianae militiae magister468 4,128f), nachzuahmen. Konkret rüste Christus die Glaubenden mit dem Gürtel der Keuschheit aus (Succinxit lumbos baltheo castitatis 4,129f) sowie mit den Banden des Friedens (calciavit pedes vinculis pacis 4,130). Ein ungegürteter Soldat werde nämlich vom Anreiz zur Sittenlosigkeit übermannt (discinctus miles cito ab inpudicitiae incentore vincitur 4,130f) und ein nicht beschuhter leicht von der (teuflischen) Schlange gebissen (et non caliciatus facile a serpente mordetur 4,130-132).469

1.2.3 Peroratio: 5,139-6,214β 5,139β-173β: Der geistige Ertrag der Enthaltsamkeit von Lastern Die Peroratio leitet Leo zusammenfassend mit „Im Vertrauen auf diese Waffen also“ (His igitur, dilectissimi, freti armis 5,139f) ein, um den angesprochenen Kampf nun tatsächlich zu beginnen (propositum certamen ineamus 5,141α; vgl. Hebr 12,1). An dieser Stelle spannt er auch den Bogen zum Anfang der Predigt, wo das Fasten als Strategie des Volkes Gottes vorgestellt wurde. Wie Leo dieses nachzuahmende Fasten auch dort nicht lediglich auf den Verzicht auf Speisen beschränkte, indem er die darüber hinausweisenden Formulierungen observatio („Beobachtung“ 1,16fα) und observantia caelestium mandatorum („pflichtgemäße Einhaltung der himmlischen Gebote“ 2,19α) gebrauchte, so fordert er auch jetzt das mit der rechten Schwächung des Fleisches (carnis substantia 5,146) verbundene Wachstum der Geistesstärke (animae fortitudo470 5,146f). Auf diese Weise solle dem inneren Menschen zugutekommen, was dem äußeren auferlegt werde (Adflicto paululum exteriore homine, reficiatur interior 5,147f), denn dann werde

468 magister militiae bezeichnet in der römischen Armee ein Leitungsamt (vgl. Pratesi, Commento, 294. Pratesi zitiert auch Stellen von drei antiken Historikern). Zu bekannten römischen Heermeistern zählen Stilicho (395-408) und Aetius (423-454). 469 In der Erweiterung von 4,133β-138β fügt Leo noch die fehlenden drei Waffen aus dem Epheserzitat an: den Schild des Glaubens zum Schutz des ganzen Körpers (scutum fidei ad protectionem totius corporis dedit 4,133fβ), den Helm des Heiles (galeam salutis 4,134β) und das Schwert bzw. das Wort der Wahrheit an (gladio, id est verbo veritatis 4,135fβ; vgl. Eph 1,13). Die Angriffswaffe des Wortes diene dazu, dass der Kämpfer im Geiste nicht nur vor der Gefahr der Verwundung gefeit sei (ut spiritalis praeliator non solum sit tutus a vulnere 4,136fβ), sondern den Widerstrebenden auch verwunden könne (sed et repugnantem valeat vulnerare 4,137fβ). 470 Ein Effekt des wahren Fastens sei auch das Zerfallen der Kraft der sichtbaren Feinde: vgl. 39,1 (CChr.SL 138A 212,24f): corporeorum nobis hostium fortitudo subcumbet

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der Geist durch geistliche Freuden gestärkt (spiritalibus mens deliciis roboretur 5,149). Jede christliche Seele (omnis anima christiana 5,150) sei aufgerufen, sich zu prüfen, das Innerste des Herzens zu betrachten und zu unterscheiden (severo examine cordis sui interna discutiat 5,150f), um der Unordnung des Herzens (discordia 5,151) und der Begierde (cupiditas 5,151) aus dem Weg zu gehen. Das in 153α-155α folgende Zitat Mt 15,13471 macht die Vergänglichkeit dieser negativen, nicht in Gott wurzelnden Affekte deutlich, sodass sie bereits jetzt durch die entgegengesetzten Tugenden verbannt werden sollen: Das Zulassen von Begierden durch die Sittenreinheit (incontinentia; castitas), Lüge durch die Wahrheit (mendacium; veritas), Hochmut durch Demut (superbia; humilitas) und schließlich soll die missgünstige Rede gezügelt werden (obtrectationum lingua frenetur 5,156-162β). Wie in den anderen Schlussplädoyers der Quadragesima-Predigten spricht Leo auch hier von der Vergebung und vom Weichen der Rachegelüste (Cessent vindictae 5,163α).472 5,174-5,1912β: Die Bedeutung der Vergebung Die Bedeutung der Vergebung zeigt Leo durch die Richtschnur von Mt 6,12473, die Vater Unser-Bitte von der wechselseitigen Vergebung auf (dominicae orationis regula 5,177). Da die Wirksamkeit des ganzen Gebetes von der Erfüllung dieser Bedingung abhänge (ut totius orationis effectus in hac conditione consistat 5,182α-184α), müsse jeder, der nach Rache verlange (cupiditate ultionis exarsit 5,174), den Schuldigen freisprechen (absolutionem…acceleret 5,175-177), selbst wenn er die Strafe verdient habe (poena dignus 5,176). 6,192-214β: Vergebung, Barmherzigkeit und das (ewige) Pascha-Fest Daher (Proinde, dilectissimi 6,192) müsse sich der Mensch seiner Schwachheit (infirmitas 6,192), die ihn in Sünden geraten lasse (in quaelibet delicta prolabimur 6,193) bewusst sein und das Heilmittel (remedium 6,194) der wechselseitigen Vergebung in Anspruch nehmen. Die Almosen (misericordia 6,199fα)

4 71 Mt 15,13: Omnis postremo plantatio quam, radicitus auferatur. 472 In der Edition β folgt an dieser Stelle 5,166β-168β das Zitat Mt 15,13 (siehe oben in 5,153α-155α) Dazu erläutert Leo, dass jeder dem Acker des Herzens nicht eigene Sprößling (externum germen 5,171β) auszureißen sei, damit die Samen der Tugenden (virtutum semina 5,170β) genährt werden. 473 Mt 6,12: Dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris. Die Erweiterung 5,185β-191β führt noch Mt 6,14f als Belegstelle an: Si enim dimiseritis hominibus peccata eorum, dimittet et vobis Pater vester qui in caelis est. Si autem non dimiseritis hominibus, nec Pater vester dimittet vobis peccata vestra.

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gegenüber den Armen und Bedürftigen sollen den Spendern selbst Gottes Barmherzigkeit (misericordia 6,202α) verschaffen. Nur wer sich mit der Hilfe Gottes um diese Vollendung bemühe (Ad quam perfectionem qui studium suum gratia Dei adiutus intenderit 6,204f), könne daher das heilige Fasten dem Glauben entsprechend (sanctum ieiunium fideliter 6,205) vollziehen und zum seligen Pascha gelangen, letztlich jedoch durch das Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit (divinae pietatis munus 6,209α) zur ewigen Verherrlichung (glorificatio aeterna 6,210fα).474 Die Predigt endet mit der einfachen Doxologie per Christum Dominum nostrum475 („durch Christus unseren Herrn“ 6,211fα).

1.2.4  Gliederung Nach den bisherigen Ausführungen lässt sich die Predigt in drei Teile gliedern:476 (1)  Narratio 1,1-13 (2)  Confirmatio:  1,13-4,138β), (3)  Peroratio:  5,139-6,214β. Die Glaubenden sollen durch Jesu auxilium bestärkt und durch sein exemplum belehrt werden477, sodass besonders der von Pratesi benannte Abschnitt „Waffen des Christen“478 (3,69-4,138β) unter dem Aspekt der Nachfolge und der Nachahmung weiter unterteilt werden kann:

474 Die Neuformulierung der zweiten Edition drückt die berechtigte Freude über das heilswirksame Fest der Wiederherstellung des Menschen aus: vgl. tract. 39,6 (CChr. SL 138A 221,209-222,210β): digne laetabitur in sacramento reformationis humanae. 475 Die Überarbeitung bietet eine längere Form:  vgl. tract. 39,6 (CChr.SL 138A 222,211β-214β): per Christum Dominum nostrum, qui cum Patre et Spiritu sancto vivit et regnat in saecula saeculorum. Amen. 476 Vgl. Pratesi, Commento, 290: 1.4-3.1; 3.2-4.5; 5.1-6.3. 477 Teilweise wurde dieser Ansatz bereits von Green berücksichtigt: vgl. idem, The Soteriology of Leo the Great, 124. 478 Vgl. Pratesi, Commento, 290.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Tab. 3: Gliederung von tract. 39 Narratio = Exordium: Confirmatio: Confirmatio I: Transitus: Confirmatio II: Transitus: Confirmatio III:

Peroratio:

1,1-13: Alttestamentliche Typologie des Fastens und Siegens 1,13-4,138β: Der Kampf der Christen 1,13-26: Die Aktualisierung der Typologie 2,27α-34: Zusammenfassung und Überleitung zum inneren Kampf 2,34-26 Die Erläuterung des inneren Kampfes und des Zieles 2,46-59: Zusammenfassung und Überleitung zur Quadragesima 3,60-4,138β: Das Wirken Christi durch auxilium und exemplum 3,69-78: Christus als auxilium und exemplum 3,79β-121β: Die Nachahmung von Jesu exemplum 4,122-138β: Die Waffen Christi als auxilium für die Christen 5,139-6,214β: Die Wirkung des Fastens 5,139-173β: Der geistige Ertrag der Enthaltsamkeit von Lastern 5,174-5,192β: Die Bedeutung der Vergebung 6,192-214β: Vergebung, Barmherzigkeit und das (ewige) Pascha-Fest

Die Apostrophe „Geliebteste“ (dilectissimi) soll offenbar nicht nur eine lebendige Beziehung zu den Adressaten herstellen, sondern hat auch eine gliedernde Funktion für den Beginn der Confirmatio, für die beiden Transitus und die Peroratio. Außerdem leitet Leo damit zusammenfassende Ausführungen und eine Aktualisierung für die Adressaten ein:479 Confirmatio I: Et nos, dilectissimi (1,13) Transitus: Quapropter, dilectissimi (2,27) Transitus: Haec praeparatio, dilectissimi (2,46) Confirmatio III: Accendentes ergo, dilectissimi (3,60) Zusammenfassung: Nos itaque, dilectissimi (4,99) Aktualisierung des Verhaltens Christi für die Christen: State igitur, dilectissimi (4,122) Peroratio: His igitur, dilectissimi (5,139) Zusammenfassung: Proinde, dilectissimi (6,192)

1.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts 1.3.1  Rhetorische Analyse der einleitenden Narratio: 1,1-13 Als erste Textpassage wird der Beginn von tract. 39 aufgrund der für Leos Quadragesima-Predigten einzigartigen, einleitenden Narratio vorgestellt. Darin wird das Fasten der Hebräer als entscheidende Wende für den Sieg über die Philister charakterisiert, um diese Typologie für Christus, aber auch für die Christen im Laufe der Predigt zu aktualisieren.

479 Ausnahmen bilden die Anzeichen der lebendigen Anrede in 3,74 (om. β) und 4,126f.

Analyse von tract. 39

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Tab. 4: tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,1-13) 1 Hebraeorum quóndam pópulus (unrhythm.) 1f et omnes Israhelíticae tríbus, (P δ) 2 cum propter peccatorum suórum offensiónes (V 3 γ) 2f gravi Philistinorum dominatióne premeréntur, (T 12 γ) 3f ut superare hostes súos póssent, (ton. Äquiv. Ditrochäus) 4 sicut sacra maniféstat história, (T 13 γ) 4f vires animi et corporis indicto sibi reparavére ieiúnio. (T 2 γ) B 5f Intellexerant enim duram et miseram íllam subiectiónem (V γ) 6f neglectu se mandatórum Déi (ton. Äquiv. Ditrochäus) 7 et morum corruptióne meruísse, (TT 12 γ) 7f frustraque se ármis certáre, (P γ) 8 nisi prius vítiis repugnássent. (V δ) C 8f Abstinentes ergo a cíbo et pótu (P γ) 9 severae sibi castigationis adhibuére censúram; (P 1 γ) 10 et ut hostes súos víncerent, (unrhythm.) 10f gulae inlecebram in seipsis ánte vicérunt. (P 1 γ) D 11 Factumque est hoc modo ut sǽvi adversárii (ton. Äquiv. 22 γ) 11f et graves domini esuriéntibus céderent, (T 2 δ) 12f quos sibi sáturos subiugárant. (V 3 δ) (1f) Als das Volk der Hebräer und alle Stämme Israels einst wegen der Anstoß erregenden Bosheiten ihrer Sünden (2f) durch die unerträgliche Gewaltherrschaft der Philister unterdrückt wurden, (4f) erneuerten sie die Kräfte an Geist und Körper, indem sie sich ein Fasten auferlegten, (3f) um ihre Feinde besiegen zu können, wie die heilige, schriftliche Erzählung deutlich macht. (5f) Sie hatten nämlich eingesehen, dass sie diese harte und traurige Unterwerfung (6f) aufgrund der Vernachlässigung der Gebote Gottes und ihrer verdorbenen Sitten verdienten (7f) und dass sie vergeblich mit den Waffen stritten, wenn sie nicht zuvor ihren Lastern Widerstand leisteten. (8f) Sie hielten sich also von Speise und Trank fern (9) und übten die streng sittliche Haltung einer ernsthaften Züchtigung. (10) Und, um ihre Feinde zu überwinden, (10f) überwanden sie zuvor den Anreiz der Genusssucht in sich selbst. (11) Und so geschah es, dass die grimmigen Feinde (11f) und die unerträglichen Herren den Hungernden wichen, (12f) die sie sich unterworfen hatten, als sie satt waren. A

Gliederung Der Textausschnitt ist in vier Abschnitte zu gliedern: (A) Die zurecht unterdrückten Hebräer und ihre siegreiche Strategie (1-5), (B) Der vorausgehende Erkenntnisakt (5-8), (C) Die praktische Umsetzung des Erkannten (9-11), (D) Der Sieg der Hebräer (11-13).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Erste Beobachtungen Die als Narratio gestaltete Einleitung bringt implizit Leos Überzeugung zum Ausdruck, dass die aktuelle Krise des Römischen Reiches und die Bedrohung von außen im sittlichen Verfall begründet liege.480 Zu überwinden sei die Krise daher nur durch eine innere Reinigung und durch das Fasten. Die geschilderten Umstände spielen offensichtlich auf 1 Sam 7,6-11 an (vgl. 1 Sam 7,7: Philistinorum; Israel), ohne eindeutige Hinweise zu bieten, wie etwa den Namen Samuel oder die näheren Umstände der Schlacht. Rhetorische Detailanalyse Im ersten Abschnitt  1-5 wird die Unterdrückung durch „einst“ (quondam) in die Chronologie der Auseinandersetzung zwischen den Hebräern und Philistern eingeordnet. Die doppelte Bezeichnung des Volkes durch „Volk der Hebräer“ (Hebraeorum populus) und omnes „alle Stämme Israels“ (Israheliticae tribus) bringt die Gesamtheit des in Stämme geteilten Volkes rhetorisch wirksam zum Ausdruck. Auffällig ist die unmittelbar darauffolgende Schilderung der Sünden des Volkes als Ursache für eine Unterdrückung, wobei sich eine alliterative Korrelation zwischen Sünden und Unterdrückung ergibt: propter peccatorum…premerentur (2f). Zu dieser inhaltlichen Zäsur am Ende des Nebensatzes in Vers 3 trägt auch die erste schlussstarke Klausel der Predigt T12γ bei. Nach der Angabe der Ursache für die missliche Lage fasst Leo mit dem Finalsatz „um…zu können“ (ut…possent 3f) bereits deren Überwindung ins Auge. Den großen inhaltlichen Höhepunkt der Strategie für diesen Sieg, auf den der Satz insgesamt zuläuft und der auch durch die Zäsur des Satzabschlusses und die schlussstarke Klausel T2γ hervorgehoben wird, retardiert Leo durch die Verortung dieser Episode in der Heiligen Schrift mit „wie die heilige, schriftliche Erzählung deutlich macht“ (sicut sacra manifestat historia481 4). Mit der Atempause, die mit der schlussstarken Klausel T13γ vorgegeben ist, wird der Auftakt für die zentrale Aussage des Satzes kenntlich gemacht. Es geht um die Wiederherstellung der Kräfte des ganzen Menschen, des Geistes und des Körpers (vires animi et corporis 4f) und zwar durch ein freiwilliges Fasten (indicto sibi…ieiunio 5). Dabei wird auch auf sprachlicher Ebene deutlich, dass der Beschluss (indicto) 4 80 Vgl. Pratesi, Commento, 290f. 481 Eine vorausgehende Verlesung dieser Stelle ist auch angesichts dieser Formulierung nicht wahrscheinlich. Leo verwendet an anderer Stelle zwar eine ähnliche Anspielung an ein gewiss zuvor verlesenes Evangelium (Mt 4,1-11), wählt dabei jedoch das Perfekt, das die abgeschlossene liturgische Lesung zum Ausdruck bringt: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,48) sicut evangelica patefecit historia. Außerdem hätte die Lesung von Sam 7,6-11 den Effekt der überraschenden Insinuatio zu Beginn stark relativiert (siehe Literarische Form).

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dem tatsächlichen Fasten (reparavere ieiunio) vorausgehen musste. An diesem inhaltlichen Höhepunkt schließt Leo den Satz mit der schlussstarken Klausel T2γ, die er angesichts der Kurzform reparavere („sie stellten wieder her“ statt reparaverunt) und auf des Hyperbaton und Homoioptoton indicto…ieiunio bewusst wählte. Dieser erste Satz ist außerdem mit Assonanzen bzw. weiteren Homoioptata482, Hyperbata483 und Alliterationen484 versehen. An der jeweils letzten Stelle eines Kolons sind die Schlüsselwörter zu finden: populus („Volk“), tribus („Stämme“), offensiones („Bosheiten“), premerentur („wurden unterdrückt“), possent („können“), historia („schriftliche Erzählung“), ieiunio („durch das Fasten“). Mit dem zweiten Abschnitt 5-8 beginnt die nähere Auseinandersetzung der bereits im ersten Satz enthaltenen Elemente:  Die Praxis des Fastens wird nun mit „Sie hatten nämlich erkannt“ (Intellexerant enim 5) begründet. Die in Vers 2 erwähnte „unerträgliche Gewaltherrschaft“ (gravis dominatio 1,2f) wird nun mit den Homoioptata „diese harte und traurige Unterwerfung“ (duram et miseram illam subiectionem 6) charakterisiert. Die „Bosheiten der Sünden“ (peccatorum offensiones 2)  werden durch den Chiasmus der Vernachlässigung der Gebote Gottes und der Verderbtheit ihrer Sitten (neglectu se mandatorum Dei et morum corruptione 6f) expliziert. Nur durch die Einhaltung der Gebote und durch die Gnade Gottes gelinge der Sieg durch die Verbesserung der Sitten (per Dei gratiam morum correctione 23). Die Begründung des militärischen Misserfolges aufgrund der Sünden in Vers 2 ist hier durch die Erkenntnis ergänzt, dass die Unterwerfung verdientermaßen geschehen sei (meruisse 7). Schließlich entsprechen das Unvermögen der Hebräer, sich zu befreien und die Reinigung durch das Fasten der Erkenntnis, dass ihr Kampf solange vergeblich sei (frustraque…certare 7f), bis sie ihre eigenen Laster bekämpft haben (vitiis repugnassent 8). Diese zentrale Botschaft am Ende des zweiten Satzes, die den Kampf gegen 482 „Hebraeorum quondam“; peccatorum suorum…Philistinorum; indicto…ieunio“. Die Assonanz von 20 „o“-Lauten und der Häufung von anderen dunklen Vokalen (12 „u“- und 11 „a“-Laute) soll im ersten Satz wohl außerdem die schwierige Lage und die Mühsal unterstreichen, wobei die Häufung von langen Silben nicht nur die Kommata-Abgrenzung erleichtert, sondern auch etwas Feierliches und Getragenes zum Ausdruck bringt (die Positionslängen sind nicht markiert): tract. 39,1 (CChr. SL 139A 211,1-5): Hebraeōrum quōndam pōpulus et ōmnes Isrāhēlīticae trībus, cum prōpter peccatōrum suōrum offēnsiōnes grāvi Philistinōrum dominātiōne premerēntur, ut superāre hōstes suos pōssent, sīcut sācra manifēstat hīstoria, vīrēs animi et corporis indīctō sibi reparavēre iēiūniō. 483 tract. 39,1 (CChr.SL 139A 211,2; 5): propter…offensiones; sacra…historia; indicto… ieiunio. 484 tract. 39,1 (CChr.SL 139A 211,2; 4): propter peccatorum; sicut sacra.

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geistige Feinde als Voraussetzung für den Sieg über leibliche vermittelt, findet durch die schlussstarke Klausel Vδ einen bekräftigenden Abschluss. Der dritte Abschnitt 9-11 erläutert die praktische Umsetzung des Erkannten mit der Einleitung „Sie enthielten sich also“ (Abstinentes ergo 8). Mit dem Verzicht auf Speise und Trank ist nach dieser biblischen Grundlage auch die strenge Übung in den Tugenden (severae…castigationis 9) und die Reinigung von Sünden verbunden. Die geistige Dimension dieses Fastens ist durch die Überwindung des an den Sündenfall erinnernden Anreizes der Genusssucht (gulae inlecebram 10) nicht nur benannt, sondern auch als wesentlichster Aspekt für den Sieg über die Feinde ausgewiesen (ut hostes suos vincerent 10): Der Sieg (vicerunt) über die Genusssucht ist die Bedingung für den Sieg über die Philister (vincerent). Dass die schlussstarken Klauseln am Ende des jeweils zweiten und inhaltsschweren Kolons mit adhibuere censuram (P1γ) und ante vicerunt (P1γ) nicht auf Zufall beruht, zeigt jedenfalls die Wahl der kontrahierten Form adhibuere (statt adhibuerunt). Im vierten und letzten Abschnitt 11-13 beginnt die Schilderung des glücklichen Ausgangs dieser Episode mit „Und so geschah es“ (Factumque est hoc modo 11; vgl. 1 Sam 7,10: Factum est). Die in einem Parallelismus genannten, grimmigen Widersacher (saevi adverarii 11) und schwer zu bezwingenden Herren (graves domini 12) scheinen die Feinde auf geistiger Ebene (adversarii) mit den Philistern (domini) in Verbindung zu bringen.485 Beide müssen samt ihrer unerträglichen Gewaltherrschaft (gravis dominatio 2f) denen weichen, die sich im Fasten von ihren Lastern lösten. Diese Botschaft zieht sich als roter Faden durch die Narratio und gelangt hier zu einem mahnenden Abschluss, indem der Sieg derer, die den Hunger und die Umkehr auf sich nehmen, durch eine Haltung konterkariert wird, die sich dem Fasten verschließt und durch die Sättigung ausgedrückt wird (saturi 12). Durch eine solche Lebenspraxis seien die Hebräer erschlafft und in die Abhängigkeit geraten (2-5). Sprachlich wird diese Mahnung als konzises, antithetisches und alliteratives Kolon mit der bewusst gewählten, schlussstarken Klausel V3δ hervorgehoben: sibi saturos subiugarant (statt subiugaverant). 485 Leo wählt für geistige wie für irdische Feinde die Begriffe hostes und adversarii, sodass eine Abdeckung beider Dimensionen noch wahrscheinlicher ist, wenn beide Bezeichnungen in einem Parallelismus gebündelt werden: (1) irdische Feinde: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,3f): ut superare hostes suos possent; 39,1 (CChr.SL 138A 212,19f): illi a carnalibus adversariis; (2) geistige Feinde: vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,48): pervigiles hostes; 39,2 (CChr.SL 138A 213,50): subtilissimi adversarii. Auch für den Satan verwendet Leo beide Bezeichnungen: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,76): adversarium plus puniret; 39,3 (CChr.SL 138A 215,76f): hostis generis humani.

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Zusammenfassung Das in der Geschichte der Hebräer verortete, biblische exemplum 1 Sam 7,6-11 wird sprachlich kaum aufgenommen, jedoch deutlich in der zentralen Aussage erfasst:  Das Geschick der Hebräer erfährt eine Wende aufgrund ihrer Einsicht und ihrer Umkehr durch das Fasten. Leo setzt bei der Vermittlung dieser biblischen Erfahrung auf die pointierte Wortstellung und auf Stilmittel, die die Bedeutung des Inhalts zum Ausdruck bringen: Alliteration, Chiasmus, Antithese. Durch den Rhythmus ist die Komposition nicht nur getragen, sondern auch geprägt: Besonders durch Zäsuren, bei denen der Höhepunkt wichtiger Gedankenschritte und schlussstarke Klauseln zusammenfallen, auf den verschiedenen syntaktischen Ebenen des Kolon-, des Satz- und Abschnittsabschlusses.

1.3.2  Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,69-78 Die zweite Textpassage ist dem dritten Teil der Confirmatio entnommen und umfasst die nähere Deutung der Versuchungsgeschichte Mt 4,1-11 und somit einige Formulierungen, die von der Entwicklung von Leos Christologie zeugen. Tab. 5: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,69-215,78) 69f Sed fortior est quí in nóbis est (unrhythm.) 70 quam qui advérsum nós est, (ton. Äquiv. Ditrochäus) 70f et per ipsum válidi súmus, (P δ) 71 in cuius virtúte confídimus: (T 2 γ) B 71f quia ob hoc Dominus se temptari a temptatóre permísit, (P 1 γ) 72f ut cuius munímur auxílio, (T 13 γ) C 73 eius erudirémur exémplo. (P 1 γ) 73f Vicit enim adversarium, ut audístis, dilectíssimi, (ton. Äquiv. 22 γ) 74f testimóniis légis, (P δ) 75 non potestáte virtútis, (P 1 γ) 75f ut hoc ipso et hominem plús honoráret, (P 1 β) 76 et adversárium plus puníret, (V δε) 76f cum hostis generis humani non quási a Déo, (P γδ) 77f sed etiam quasi ab hómine vincerétur. (V δ) (69f) Aber stärker ist er, der in uns ist (70) als der, der gegen uns ist (70f) und durch ihn sind wir kräftig, (71) in dessen göttliche Kraft wir vertrauen. (71f) Denn der Herr ließ sich ja darum vom Versucher in Versuchung führen, (72f) damit wir durch das Beispiel dessen unterrichtet werden, durch dessen Hilfe wir geschützt werden. (73f) Er besiegte nämlich den Widersacher, wie ihr gehört habt, Geliebteste, (74f) durch die Zeugnisse des Gesetzes, (75) nicht durch die Vollmacht der göttlichen Kraft, (75f) um eben dadurch den Menschen in höherem Maße zu ehren (76) und den Widersacher in höherem Maße zu bestrafen, (76f) da der Feind des Menschengeschlechts gleichsam nicht von Gott, (77f) sondern auch noch gleichsam von einem Menschen besiegt wurde. A

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Der Beginn der Confirmatio II (3,60-69), die dem vorliegenden Abschnitt vorausgeht, sensibilisiert die Adressaten für die Gefahr der Versuchungen. Je eifriger sie sich um ihre Rettung bemühten, desto leidenschaftlicher wüteten die Feinde gegen sie, sodass die Quadragesima als sorgfältigerer Dienst gegenüber dem Herrn (diligentior Domini servitus 3,62fα) charakterisiert wird. Angesichts dieser Herausforderung stärkt Leo das Vertrauen in Gottes Kraft, die in der Versuchung Jesu offenbar und auch für die Gläubigen auf zweifache Weise wirksam geworden sei. Gliederung Der Textabschnitt kann in drei Abschnitte gegliedert werden: (A) Die Stärke der Christen gründet in Christus (69-71), (B) Der Sinn der Versuchung Jesu (71-73) und (C) Der Sieg Jesu als Aufrichtung des Menschen und Strafe für den Satan (73-78). Erste Beobachtungen Die Bedeutung dieses Abschnittes für die Entwicklung von Leos dogmatischer Formulierungen kann äußerlich bereits an den kurzen und ähnlich langen Kola sowie an den Homoioteleuta erahnt werden (69f; 70f; 72f; 74f; 75f; 76f).486 Rhetorische Detailanalyse Im ersten Abschnitt 69-71 werden in Anlehnung an 1 Joh 4,4487 die Machtverhältnisse zwischen Christus und den satanischen Mächten erläutert. Christus, der nicht fernab von den Christen wirke, sondern unmittelbar in ihnen (qui in nobis est 70), sei stärker (fortior 70) als der Widersacher (qui adversum nos est 70). In den soteriologisch-antithetischen Bestimmungen in uns und gegen uns leuchtet die an der Vereinigung des Menschen mit der Kraft Christi orientierte Soteriologie auf, was durch die Wiederholung von „ist“ (est) am Ende der Kommata pathetisch unterstrichen wird. Christi Wirken in der menschlichen Natur der Gläubigen drückt Leo dadurch aus, dass die Christen ihre Kraft von Christus erhalten (per ipsum validi sumus 70f), da sie auch auf seine Kraft allein vertrauen (in cuius virtute confidimus 71). Dieser „osmotische Prozess“ wird auch auf rhetorischer Ebene durch die übereinstimmenden Laute und Silben „v…idi…mus“ an den beiden Kola-Enden deutlich. Auch wenn Leo sich dieser mystisch-gedeuteten Spiegelung des Inhalts im Wortlaut vielleicht nicht bewusst gewesen sein

4 86 Vgl. Historische Angaben. Die veränderten, dogmatischen Herausforderungen. 487 1 Joh 4,4: quoniam maior est, qui in vobis est quam qui in mundo.

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mag, so wird dennoch auch auf der Klangebene deutlich, dass das Vertrauen in Christus der Inbegriff der Öffnung der menschlichen Natur für die Wirksamkeit der göttlichen Kraft ist. Daher soll dieses Vertrauen durch die Erläuterung des Zwecks der Versuchung Jesu im anschließenden Kausalsatz (quia: „weil ja“, „denn“ 71f) und Finalsatz (ut: „damit“ 72f) gefestigt werden: Wird im Kausalsatz die Souveränität von Gottes Heilshandeln in der historisch verorteten und von Gott zugelassenen Versuchung charakterisiert (Dominus temptari…permisit 72), so zeigt der Finalsatz den Sinn der Versuchung in der doppelten Heilswirksamkeit (munimur: „wir werden geschützt“; erudiremur: „wir werden unterrichtet“). Christen erfahren durch die Versuchung Christi göttliche Hilfe (auxilium) und werden durch das Lebensmodell Christi (exemplum 72f) gestärkt.488 In 70f und 72f wird das Zu-, Mit- und Ineinander von Gott und Mensch auch auf syntaktischer Ebene ausgedrückt: Das Gegenüber wird durch die konzisen Kommata artikuliert, an deren wichtigsten Stellen zu Beginn und am Satzende die inhaltsschweren Formulierungen fortior est („er [Gott] ist stärker“ 70) und virtute confidimus („in die Kraft vertrauen wir [die Menschen]“ 71) zu finden sind. Das soteriologische Zusammenwirken in Christus wird durch das Homoioteleuton auxilio („durch die Hilfe“) und exemplo („durch das Beispiel“ 73) abgebildet. Das Ineinander der beiden Naturen wird schließlich durch die Personalpronomina und die darauf bezogenen Relativsätze syntaktisch vorgezeichnet (per ipsum…in cuius: „durch ihn…in dessen“ 70f und cuius…eius: „dessen…dessen“ 71f). Aber auch in der Formulierung se Dominus temptari a temptatore permisit („Der Herr ließ sich vom Versucher versuchen“ 72) wird das Ineinander von göttlicher Souveränität (Dominus…permisit) und der menschlichen Natur ins Wort gesetzt. Dabei steht Dominus nicht für Gott allein, sondern für den Gottmenschen Jesus Christus, wie an der Betonung der Versuchung durch die figura etymologica deutlich wird (temptari a temptatore). Nicht zuletzt werden die Gedankenschritte der soteriologischen Bedeutung des Vertrauens in das heilwirksame „Gott-Mensch-Modell“ Christi Jesu durch die vier Zäsuren der schlussstarken Klauseln in 71-73 markiert: T2γ, P1γ, T13γ und P1γ. Der dritte aus einem Satz bestehende Abschnitt  73-78 vertieft die Bedeutung und Wirkung von Christi exemplum in der Versuchungsgeschichte. Dabei bezieht sich allein der Hauptsatz auf die Verlesung des Evangeliums Mt 4,1-11 (ut audistis: „wie ihr gehört habt“ 74) und den siegreichen Ausgang (Vicit enim adversarium:  „er besiegte nämlich den Widersacher“ 73f). Auf welche Weise Christus siegte, beschreibt Leo durch das antithetische Isokolon testimoniis legis,

488 Zur Veränderung dieses Satzes in der zweiten Edition siehe Historische Angaben.

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non potestate virtutis („durch die Zeugnisse des Gesetzes, nicht durch die Vollmacht der göttlichen Kraft“ 74f). Das zweite Kolon überragt mit non das erste um eine Silbe, die verdeutlicht, dass Jesu schriftgemäße Antworten, bei aller Verbundenheit mit der göttlichen Natur, dem Bereich der menschlichen Natur zuzuschreiben sind. Auf die Bedeutung der menschlichen Natur machen ebenso die schlussstarken Klauseln aufmerksam, am Ende des Hauptsatzes durch non potestate virtutis (P1γ) und am Ende des ganzen Satzes durch sed etiam quasi ab homine vinceretur (Vδ). Das Homoioteleuton legis…potestatis macht auf rhetorischer Ebene wiederum die Verbundenheit der menschlichen und der göttlichen Dimensionen offenbar. Auf den Hauptsatz folgen ein erläuternder Finalsatz (ut…puniret 75f) und ein soteriologisch bedeutsamer Kausalsatz (cum vinceretur 76-78), der den Sieg der menschlichen Natur betont. Leo balanciert seinen Ausdruck dabei wiederum durch beinahe gleich lange Satzglieder aus, durch den Parallelismus „sowohl… als auch“ (et…et 75f) und die inklusivistische Antithese „gleichsam nicht…sondern auch noch gleichsam“ (non quasi…sed etiam quasi 77f).489 Dieser Sieg als (Gott-) Mensch birgt einen soteriologischen Mehrwert (plus: „mehr“ 75f), der von der Initiative Gottes ausgeht und den Menschen zu größeren Ehren bringt (plus honoraret 74f), indem er ihn der Gewalt des Satans entreißt und diesen dadurch einer größeren Strafe zuführt (plus puniret 75). Rhetorisch drückt Leo die Angemessenheit dieses „(gott-)menschlichen“ Sieges über den Satan, der in der Rettung des Menschengeschlechts besteht, durch die Antonomasie „Feind des Menschengeschlechts“ (hostis generis humani 76f) aus. Auch die Verse 75f lassen weitere, zahlreiche rhetorische Überlegungen zu: Die beiden parallel angeordneten, antithetischen Kola et hominem plus honoraret, et adversarium plus puniret (75f) zählen fast gleich viele Silben (9 und 10), wobei die beiden Wörter mit je drei Silben (hominem; puniret) an den Satzrändern und jene mit vier bzw. fünf Silben (honoraret; adversarium) im Satzinneren angeordnet sind, was nicht nur den Rhythmus und die Melodik für die Hörer gut strukturiert, sondern auch die Klangfiguren der Alliteration und Assonanz begünstigt. Sowohl die ersten Silben von hominem und honararet als auch von plus und puniret werden bewusst gehört und heben den inhaltlichen Gegensatz zwischen Mensch und Widersacher hervor.490

4 89 Zur Veränderung dieses Satzes in der zweiten Edition siehe Historische Angaben. 490 Dass der eine Sieg Jesu in der Wüste konträre Wirkungen hervorbringt, gewinnt auf der Klangebene durch die jeweils langen Silben „-ar-“ in „honoraret“ und „adversarium“ an Plausibilität.

Analyse von tract. 39

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Zusammenfassung Leo wählt in der Erläuterung der Versuchungsgeschichte sehr durchdachte Formulierungen, die vielfach eine bemerkenswerte Einheit der inhaltlichen und der syntaktisch-rhetorischen Ebene aufweisen. Bei seiner soteriologischen Begründung der Versuchung der menschlichen Natur Jesu versucht er auch der Einheit der Person Christi und dem Binom von göttlichem und menschlichem Wirken gerecht zu werden, indem er seinen Adressaten die Modelle von Zueinander, Miteinander und Ineinander vor Augen stellt, durch Antithesen, Homoioteleuta, Parallelismen und Isokola. Die rhythmische Bindung des Abschlusses von zentralen Aussagen durch schlussstarke Klauseln vollendet den Ausdruck des Inhalts.

1.3.3  Analyse der Figuren in tract. 39 Alliteration In tract. 39 finden sich neben den dreizehn klassischen Alliterationen491 noch elf Konstellationen, die durch ein oder mehrere Wörter getrennt sind.492 Unter alliterativen Verbindungen, bei denen der erste Buchstabe des Wortes in einem vorhergehenden bereits aufgenommen wurde, ist folgendes Beispiel erwähnenswert:  propitiatio…offensio („Versöhnung…Ärgernis“ 2,57α-59α). Leo weist daraufhin, dass die Widersacher mit den Versuchungen darauf abzielen, dass das Pascha-Fest für die Gläubigen nicht als Versöhnung erfahrbar werde, sondern sie

491 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,2):  propter peccatorum; 39,1 (CChr.SL 138A 211,12f): sibi saturos subiugarant; 39,2 (CChr.SL 138A 213,36f cupiditates corporis; 39,2 (CChr.SL 138A 213,37): fuerint fortiores; 39,2 (CChr.SL 138A 213,37): animus amittet; 39,2 (CChr.SL 138A 214,56α): inveniamur indigni; 39,3 (CChr.SL 138A 214,76): plus puniret; Eph 6,16, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,124): sumentes scutum; 39,4 (CChr.SL 138A 217,129): militiae magister; 39,4 (CChr.SL 138A 217,135β-138β): verbo veritatis…valeat vulnerare; 39,5 (CChr.SL 138A 218,148): subtracta saturitate; 39,5 (CChr.SL 138A 220,180α): partem petitionum; 39,6 (CChr.SL 138A 221,195): nullatenus neglegamus. 492 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,4f):  mandatorum Dei et morum corruptione meruisse; 39,1 (CChr.SL 138A 211,9): castigationis adhibuere censuram; 39,3 (CChr. SL 138A 214,66αf): ad pugnas…praeparemus; 39,3 (CChr.SL 138A 214,72): temptari a temptatore; 39,3 (CChr.SL 138A 214,75f): hominem…honoraret; 39,3 (CChr. SL 138A 215,89βf): sapientissimus Salomon; Eph 6,15, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,123f): pedes in praeparatione evangelii pacis; Eph 6,17, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,125f): galeam salutis, et gladium spiritus; 39,4 (CChr.SL 138A 217,130): pedes vinculis pacis; 39,6 (CChr.SL 138A 221,200αf): prompta benignitate praestemus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,202αf): in iudicio invenire.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

in Misskredit bringe. Je nach ihrem Bemühen stelle sich eine der beiden Erfahrungen ein. Auf rhetorischer Ebene insinuieren die „o“-Laute zu Beginn und am Ende der beiden Wörter, dass diese Begriffe jeweils eine mögliche Wirklichkeit ausdrücken und lassen diesen Zusammenhang daher plausibel erscheinen. An fünf Stellen gibt es eine Häufung aller drei Alliterationsgruppen,493 von denen zwei Beispiele erläutert werden sollen: In 2,52f wird der innere Zusammenhang der pflichtgemäßen Einhaltung der Quadragesima und der Zurechtweisung und Auflösung aller Nachlässigkeit ausgedrückt:  quorum observantia omnes desidiae castigantur, omnes neglegentiae diluuntur („durch deren pflichtgemäße Einhaltung alle Pflichtvergessenheit zurechtgewiesen wird, alle Nachlässigkeit aufgelöst wird“). In 4,131 warnt Leo davor, dass der Christ ohne die Waffen Christi allzu leicht vom Anreiz zur Unzucht überwältigt wird: ab inpudicitiae incentore vincitur. Die wiederkehrenden „in“- bzw. „inc“- und „cit“-Laute machen die ausgedrückte Wirklichkeit wiederum akustisch wahrnehmbar und betonen einen logischen Zusammenhang. Während die meisten Alliterationen eine Steigerung der inhaltlichen Plausibilität bewirken, verleihen einige auch spezifischen inhaltlichen Nuancen zu einem Ausdruck. Dazu gehören die wachrüttelnde Aktualität der Antithese von Versöhnung und Beleidigung (propitiatio ‒ offensio) und die Verwiesenheit der menschlichen Moral auf die Gebote Gottes (mandatorum ‒ morum). Assonanz In tract. 39 sind vier Assonanzen erwähnenswert, die dem semantischen Gehalt der Worte besonderen Ausdruck verleihen: Die zwei Silben in „oru“ bzw. „orru“ bei neglectu mandatorum Dei…morum corruptione (1,6f) zeigen den Zusammenhang zwischen dem Sittenverfall und der Vernachlässigung der Gebote Gottes auf. An anderer Stelle macht die Silbe „up“ in superare cupimus (1,16α) deutlich, dass der „Sieg“ auf das „Wollen“ angewiesen ist. In 3,71 wird durch die Vokalabfolge „e…i“ in merita…delicta angedeutet, dass beide Möglichkeiten eine gewisse Plausibilität besitzen, auch wenn nur die letztere zutrifft: Die Feinde sind nicht wegen ihrer Verdienste (merita) so schwer zu bezwingen, sondern wegen der Vergehen (delicta) von Leos Adressaten. Schließlich verweisen die übereinstimmenden Laute „v…idi…mus“ in per ipsum validi sumus: („durch ihn sind wir kräftig“ 3,70f) und in cuius virtute 493 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,50): adversarii acriore insidiantur astutia; 39,2 (CChr.SL 138A 214,52f): quorum observantia omnes…omnes; 39,3 (CChr.SL 138A 216,94β-96β): praevideret pugnae periculum, ante admonuit pugnaturum; 39,4 (CChr. SL 138A 217,131): ab inpudicitiae incentore vincitur; 39,6 (CChr.SL 138A 221,207209α): beatum Pascha perveniet et per…pietatis munere.

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confidimus („auf dessen Kraft wir vertrauen“ 3,71) auf den inneren Zusammenhang von menschlichem Vertrauen und der Wirksamkeit der göttlichen Kraft. Homoioteleuton In tract. 39 gibt es vierzehn Homoioteleuta infolge gleicher Personalendungen494 und zwei infolge anderer Verbalformen.495 Zehn Homoioteleuta bezeugen den parallelen bzw. antithetischen Stil von Leo und kommen durch die gleichen Kasus-Ausgänge am Ende von Satzteilen zustande. Zwei davon bringen eine inhaltliche Emphase zum Ausdruck,496 sechs weisen auf den inhaltlichen Zusammenhang dieser beiden Begriffe hin,497 und schließlich stehen sich zwei antithetisch gegenüber.498 Von den Homoioteleuta, die hauptsächlich dem Flexionsreichtum der lateinischen Sprache geschuldet sind (Homoioptata), da sie im Satzinneren in Erscheinung treten, halte ich fünf für nennenswert.499 Die Gleichklänge des Homoioteleuton dienen parallelen, vertiefenden Aussagen, bringen eine allumfassende (populus ‒ tribus), sich in der Polarität der

494 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,10-13): vincerent…vicerunt; cederent…subiugarant; 39,2 (CChr.SL 138A 213,46): regitur…gubernatur; 39,2 (CChr.SL 138A 214,53): castigantur…diluuntur; 39,3 (CChr.SL 138A 214,70): est…est…est; 39,3 (CChr.SL 138A 214,71): sumus…confidimus; 39,3 (CChr.SL 138A 215,76): honoraret…puniret; 39,3 (CChr.SL 138A 215,87β-89β): vigilandum est…pugnandum est; 39,3 (CChr.SL 138A 216,97βf): accederet…vulneraret; 39,4 (CChr.SL 138A 216,111βf): adpetimus…provocamus; 39,4 (CChr.SL 138A 217,131f): vincitur…mordetur; 39,4 (CChr.SL 138A 217,134β-136β): dedit…inposuit…instruxit; 39,5 (CChr.SL 138A 218,146f): tenuatur…alitur; 39,5 (CChr.SL 138A 218,151f): inhaeserit…insederit; 39,5 (CChr.SL 138A 220,175): traderet…inligaret. 495 Vgl. tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,197): vindicari…ignosci; 39,2 (CChr.SL 138A 213,39): servire…imperare. 496 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,1):  populus…tribus; 39,4 (CChr.SL 138A 217,127f): telis…munimentis. 497 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,40): subdita et…delectata; 39,3 (CChr.SL 138A 215,73): auxilio…exemplo; 39,3 (CChr.SL 138A 216,95βf): periculum…pugnaturum; 39,4 (CChr.SL 138A 217,130): castitatis…pacis; 39,4 (CChr.SL 138A 217,137βf): vulnere…vulnerare; 39,5 (CChr.SL 138A 219, 164αf): vindictae…iniuriae. 498 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 214,57f): propitiatio…offensio; 39,3 (CChr.SL 138A 215,75): legis…virtutis. 499 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,2):  peccatorum suorum; 39,1 (CChr.SL 138A 211,4): sacra…hostoria; 39,1 (CChr.SL 138A 211,5): indicto…ieiunio; 39,3 (CChr.SL 138A 216,93β): religionis…certaminis; 39,5 (CChr.SL 138A 218,145): abstinentiam… sectandam.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Formulierungen niederschlagende Ganzheit (vindictae ‒ iniuriae) zum Ausdruck, zeigen Kontinuität oder Diskontinuität im Tun-Ergehen-Zusammenhang auf (cederent ‒ subiugarant). Im Besonderen kann in den Homoioteleuta die Versprachlichung der untrennbaren gottmenschlichen Hilfe Christi erkannt werden (auxilio exemplo; telis munimentis), die aber auch in ihrer Unvermischbarkeit als Antithese menschlichen und göttlichen Ausdrucks greifbar werden (castitatis ‒ pacis; testimoniis legis ‒ potestate virtutis; regitur ‒ gubernatur). Antithese Von den zweiunddreißig Antithesen sind drei auf der strukturellen Ebene500 bzw. dreizehn zusätzlich auf der begrifflichen angesiedelt,501 elf stehen sich als Begriffe gegenüber.502 Von der letzteren Gruppe sind zwei weitere in einem Parallelismus enthalten.503 500 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,1; 13): Hebraeorum quondam…Et nos itaque; 39,2 (CChr.SL 138A 213,36-44): si cupiditates corporis fuerint fortiores…Si autem mens rectori suo subdita…; 39,2 (CChr.SL 138A 213,47-49): licet omni tempore…nunc tamen. 501 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,26):  non ipsorum merita, sed nostra delicta; 39,2 (CChr.SL 138A 213,39):  eum servire, quem decuerat imperare; 39,3 (CChr. SL 138A 214,70): qui in nobis est quam qui adversum nos est; 39,3 (CChr.SL 138A 214,72-215,73):  cuius munimur auxilio, eius erudiremur exemplo; 39,3 (CChr. SL 138A 215,74f):  testimoniis legis, non potestate virtutis; 39,3 (CChr.SL 138A 215,74f): et hominem plus honoraret, et adversarium plus puniret; 39,3 (CChr.SL 138A 215,77f): non quasi a Deo, sed etiam quasi ab homine vinceretur; 39,4 (CChr.SL 138A 216,102β-106β): Non…adversus carnem…, sed adversus principes…, adversus rectores…, contra spiritalia; 39,4 (CChr.SL 138A 216,117fβ): Si ergo nos erigimur, illi corruunt; 39,4 (CChr.SL 138A 4,118fβ): si nos convalesimus, illi infirmantur; 39,5 (CChr. SL 138A 218,147f): Adflicto paululum exteriore homine, reficiatur interior; 39,5 (CChr. SL 138A 218,148f): subtracta saturitate corporis (corporea β), spiritalibus mens deliciis roboretur; 39,5 (CChr.SL 138A 219,159αf): deponatur superbia, humilitas adsumatur. 502 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,12): esurientibus…saturos; 39,1 (CChr.SL 138A 212,25f): infirmabuntur…graves fecerunt; 39,2 (CChr.SL 138A 214,52f): observantia…desidiae…neglegentiae; 39,4 (CChr.SL 138A 216,3,93β-4,96β): sciens…ignorantem; 39,4 (CChr.SL 138A 216,119β): Remedia nostra plagae ipsorum; 39,4 (CChr.SL 138A 216,120βf): curatione nostrorum vulnerum vulnerantur; 39,5 (CChr.SL 138A 219,156α): Incontinentiam castitas; 39,5 (CChr.SL 138A 219,157αf): mendacii tenebras lux…veritatis; 39,5 (CChr.SL 138A 219,170β-173β): virtutum semina nutriuntur…externum germen evellitur; 39,5 (CChr.SL 138A 220,175): carceri…vinculis… absolutionem; 39,6 (CChr.SL 138A 220,192-221,195): memores infirmitatis nostrae… remedium…nullatenus neglegamus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,206β): fermento malitiae veteris alienus in azimis sinceritatis. 503 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,20αf): carnalibus…spiritalibus.

Analyse von tract. 39

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Da die Ausführungen von tract. 39 eine Aktualisierung der eingangs vor Augen gestellten Narratio sind, finden sich auch die darin enthaltenen Antithesen in der gesamten Predigt wieder. Dabei geht es um die Gegenüberstellung eines von Gott abgesonderten, sündigen Lebens und eines Lebens, das sich an den Weisungen Gottes orientiert. Beide Lebensformen sind Teil ein und derselben Identität (Volk der Hebräer), deren Diskontinuität in der Neuausrichtung des Denkens und der lebenspraktischen Orientierung gegeben ist. Diese Wende zeichnet sich auch im Wandel des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ab: Tab. 6: Der Tun-Ergehen-Zusammenhang in tract. 39,1-13 Der Tun-Ergehen-Zusammenhang der Narratio vor der geistigen Wende 1,1-3 Das sündige Tun und die Unterdrückung durch die Philister:

„Als das Volk…wegen der Anstoß erregenden Bosheiten ihrer Sünden durch die unerträgliche Gewaltherrschaft der Philister unterdrückt wurden“504 (1,2)

Die Wende in der Narratio 1,5-8 Die Wende im Denken durch das „Sie hatten…eingesehen, dass sie die… Vertrauen in Gott (der das Volk durch Unterwerfung aufgrund der Vernachlässigung die Unterdrückung belehrte): der Gebote Gottes und ihrer verdorbenen Sitten verdienten und dass sie vergeblich mit den Waffen stritten, wenn sie nicht zuvor ihren Lastern Widerstand geleistet hätten“505 (1,5-8) Der Tun-Ergehen-Zusammenhang der Narratio nach der geistigen Wende 1,4f; 8-13 Die historische Wende durch die „sie erneuerten die Kräfte an Geist und Körper, praktische Umkehr (wahres Fasten indem sie sich ein Fasten auferlegten“506 merzt die Laster aus): (1,4f); „sie überwanden…den Anreiz der Das siegreiche Ergehen: Genusssucht“507 (1,10f) „die…Feinde und…Herren wichen den Hungernden“508 (1,13)

504 tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,2f): propter peccatorum suorum offensiones gravi Philistinorum dominatione premerentur. 505 tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,5-7): Intellexerant…subiectionem neglectu se mandatorum Dei et morum corruptione meruisse, frustraque se armis certare, nisi prius vitiis repugnassent. 506 tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,1-5): vires animi et corporis indicto sibi reparavere ieiunio. 507 tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,10f): gulae inlecebram…vicerunt. 508 tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,11f): adversarii et…domini esurientibus cederent.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

In der Aktualisierung wird nun analog zur Narratio auf die Antithesen der TunErgehen-Zusammenhänge verwiesen, wobei wiederum das eigene Fehlverhalten der Einhaltung von Gottes Geboten gegenübergestellt wird sowie die Bedrängnis durch die (primär) geistigen Widersacher dem (allerdings) noch ausstehenden Sieg im liturgischen bzw. eschatologischen Pascha. Eine Wende bzw. eine Vermittlung zwischen den beiden konträren Orientierungen wird durch Christus ermöglicht, der die Christen durch sein exemplum („Lebensmodell“) und durch die Predigt Leos belehrt und zugleich durch sein auxilium („[göttliche] Hilfe“) unterstützt, besonders in der sakramentalen Form der Quadragesima: Tab. 7: Die Aktualisierung von tract. 39,1-13 Der Tun-Ergehen-Zusammenhang der Aktualisierung vor der geistigen Wende Das sündige Tun und die Bedrängnis durch die geistigen Widersacher, sekundär auch durch irdische Feinde der Stadt Rom:

„wir werden von geistigen Widersachern angegriffen“509 (1,20α-22α); „die uns nicht ihre Verdienste, sondern unsere Vergehen zu schwer zu bezwingenden Gegnern machten“510 (1,25f); „denken wir an unsere Schwäche, durch die wir leicht in alle möglichen Vergehen geraten“511 (6,192f) Die in der Aktualisierung angestrebte Wende Die von Leo intendierte Wende im „wir wissen, dass wir unsere Widersacher Denken durch das Vertrauen in nur überwältigen, wenn wir auch uns zuerst Gottes Kraft, in Christus, der die überwältigt haben“512 (2,32α-34); Christen belehrt, sowie durch dessen „durch ihn [Christus] sind wir stark, in dessen Lebensmodell (das auch im Typus (göttliche) Kraft wir vertrauen“513 (3,70) der Schrift aufleuchtet) und durch die „Im Vertrauen auf diese Waffen also, Predigt Leos: Geliebteste“514 (5,139f) „Lassen wir das Heilmittel und die…Heilung keineswegs außer Acht!“515 (6,194f)

5 09 tract.39,1 (CChr.SL 138A 212,20α-22α): nos a spiritalibus inpugnamur inimicis. 510 tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,24-26): etiam corporeorum nobis hostium foritudo subcumbet, et emendatioe nostra infirmabuntur, quos graves nobis, non ipsorum merita, sed nostra delicta fecerunt. 511 tract. 39,6 (CChr.SL 138A 220,192f): memores infirmitatis nostrae, qua facile in quaelibet delicta prolabimur. 512 tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,32α-34): scientes non aliter praevalere nos adversariis nostris, nisi praevaluerimus et nobis. 513 tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,70): per ipsum validi sumus, in cuius virtute confidimus. 514 tract. 39,5 (CChr.SL 138A 217,139-218,140): His igitur, dilectissimi, freti armis. 515 tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,194f): remedium et…curationem nullatenus neglegamus.

Analyse von tract. 39

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Tab. 7: Fortsetzung Der Tun-Ergehen-Zusammenhang der Aktualisierung nach der geistigen Wende Die einzuholende historische Wende „Durch eine geringe Demütigung des äußeren durch die praktische Umkehr (wahres Menschen, wird der innere erquickt und durch Fasten merzt die Laster aus). Diese den Entzug der körperlichen Sättigung wird Umkehr wird durch die göttliche Kraft das Denken mit geistigen Genüssen gestärkt“516 Christi wirksam unterstützt, besonders (5,147-149) in der Quadragesima: „Jede christliche Seele achte genau auf sich und zerreiße ihr Inneres in einer strengen Prüfung ihres Herzens“517 (5,149-151); „dass wir die… Tage der Quadragesima begehen, durch deren pflichgemäße Einhaltung (observantia) alle Pflichvergessenheit der Vergangenheit zurechtgewiesen, alle Nachlässigkeit (neglegentiae) aufgelöst wird“ (2,51-53) Das zukünftige siegreiche Ergehen:

„auch das tapfere Auftreten unserer irdischen Feinde wird uns unterlegen sein“518 (1,24f) „dann herrscht wahrer Friede im Menschen und wahre Freiheit, wenn das Fleisch vom Geist geleitet, und der Geist von Gott… gelenkt wird“519 „er wird zum seligen Pascha gelangen“520 (6,207)

In dieser Aktualisierung greift Leo immer wieder auf das typologische, von Gott absondernde Verhalten zurück, um es einem an Gottes Weisungen orientierten Leben gegenüberzustellen, zu dem der Kirchenlehrer seine Adressaten ermutigt:

516 tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,147-149): Adflicto paululum exteriore homine, reficiatur interior, et subtracta saturitate corporis, spiritalibus mens deliciis roboretur. 517 tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,149-151): Circumspiciat se omnis anima christiana, et severo examine cordis sui interna discutiat. 518 tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,24f): etiam corporeorum nobis hostium fortitudo subcumbet. 519 tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213 44-46): tunc est vera pax hominis et vera libertas, quando et caro animo, et animus Deo…gubernatur. 520 tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,207): ad beatum Pascha perveniet.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Tab. 8: Gegenüberstellung Absonderung von Gott in der Narratio

Vor Augen gestellte Rückkehr zu Gott in der Aktualisierung

neglectu…mandatorum Dei („durch die Vernachlässigung der Weisungen Gottes“ 1,6f) morum corruptione („durch die Sittenlosigkeit“ 1,7)

per observantiam caelestium mandatorum („durch die pflichtgemäße Einhaltung der himmlischen Weisungen“ 2,29fα) donata nobis…morum correctione („durch die uns…geschenkte Besserung der Sitten“ 1,23) offensio…propitiatio („Ärgernis…Versöhnung“ 2,57-59)

offensiones („Bosheiten“, „Ärgernisse“ 1,2)

Die Antithesen von Auseinandersetzung und Frieden bzw. Kampf und Sieg beschreiben einerseits das Zueinander von Fleisch und Geist bei den Hebräern521 wie bei den Christen522 und andererseits den Kampf zwischen Hebräern und Philistern523 wie die unausweichliche Auseinandersetzung der Christen mit den geistigen Widersachern524 in der Nachfolge Christi. Dass die innere und die äußere 521 Auseinandersetzung / Kampf: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,8): vitiis repugnassent; Sieg / Frieden: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,11): gulae inlecebram in seipsis…vicerunt. 522 Auseinandersetzung / Kampf: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,34-213,35): Intra nosmetipsos multa certamina; tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,36): In qua dissensione; Sieg / Frieden: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,34): praevaluerimus et nobis; tract. 39,2 (CChr. SL 138A 213,44f): vera pax hominis. 523 Auseinandersetzung / Kampf: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,8): armis certare; Frieden / Sieg: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,3; 10) superare; vincerent. 524 Auseinandersetzung / Kampf: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,13f): Adversitates et proelia; 39,1 (CChr.SL 138A 212,21α): inpugnamur; 39,2 (CChr.SL 138A 213,50): insidiantur; 39,3 (CChr.SL 138A 215, 79βf): Pugnavit…pugnaremus; 39,3 (CChr.SL 138A 216,88βf): pugnandum est; 39,4 (CChr.SL 138A 216,84β): Nullum sine hoste certamen; 39,4 (CChr.SL 138A 216,86βf): insidiarum…proeliorum; 39,4 (CChr.SL 138A 216,94β96β): pugnae periculum…pugnatururm; 39,4 (CChr.SL 138A 216,100f): ad agonem praesentis certaminis; 39,4 (CChr.SL 138A 216,113f): non conluctatio adversus carnem et sanguinem, sed adversus principes; 39,4 (CChr.SL 138A 216,113βf): inveterta dissensio; 39,4 (CChr.SL 138A 217,136βf): spiritalis praeliator…repugnantem; 39,4 (CChr. SL 138A 218,141α): propositum certamen. Frieden / Sieg:  vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,16α); 39,2 (CChr.SL 138A 212,28α):  superare; 39,1 (CChr.SL 138A 212,24):  vincantur; 39,2 (CChr.SL 138A 212,32α): praevalere; 39,2 (CChr.SL 138A 213,48): superentur; 39,3 (CChr.SL 1†Note38A 215,80βf): vicit…vinceremus; 39,3 (CChr.SL 138A 215,84βf): nulla sine congressione victoria; 39,3 (CChr.SL 138A 215,88β): superare; 39,4 (CChr.SL 138A 217,123f): in praeparatione evnangelii pacis; 39,4 (CChr.SL 138A 217,130): vinculis pacis.

Analyse von tract. 39

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Auseinandersetzung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, macht Leo im Rückgriff auf die biblische Sprache durch die einheitliche Terminologie deutlich. Abschließend sei auf einige Antithesen aus dem Gesundheitsbereich hingewiesen. Dabei stehen sich Gesundheit und Krankheit sowie Verwundung und Heilung gegenüber.525 Die Antithesen stellen hier also vor allem die Grundoptionen gegenüber, die zu einem Leben mit oder ohne Gott führen. Das Leben mit Gott zeichnet sich durch die Annahme der gottmenschlichen Hilfe aus. Dabei wird der äußere Mensch, das Fleisch als homo assumptus auch durchwegs positiv bewertet, da die sich vor allem im Fasten manifestierende Unterordnung unter den inneren Menschen im Gedenken an die eigene Schwäche und in der gefolgsamen Unterordnung des Geistes unter Gott zur wahrer Stärke führe, zu innerlicher wie äußerlicher. Dahingegen ist das Leben ohne Gott mit dem Satan identifiziert, der Gott auch direkt gegenübergestellt wird. Innere wie äußere Feinde gewännen durch die sich nicht zuletzt in der Nicht-Einhaltung des Fastens manifestierende Untreue an Macht. Parallelismus Von siebenunddreißig Parallelismen in tract. 39526 weisen vierzehn das Schema AB-AB527 (viermal Parison528) auf, weitere fünfzehn das Schema

525 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,46f): Haec praeparatio…salubriter adsumatur; 39,3 (CChr.SL 138A 214,68); 39,4 (CChr.SL 138A 216,97βf): vulneraret; 39,4 (CChr. SL 138A 216,109β): pro nostra salute; 39,4 (CChr.SL 138A 216,118βf) si nos convalescimus, illi infirmantur; 39,4 (CChr.SL 138A 216, 119β-121β): Remedia nostra plagae ipsorum sunt, quia curatione nostrorum vulnerum vulnerantur; 39,6 (CChr.SL 138A 220,192-195): memores infirmitatis nostrae…remedium et…curationem nullatenus neglegamus. 526 Neun davon sind in den Ergänzungen der zweiten Edition enthalten. 527 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,11f): saevi adversarii et graves domini; 39,2 (CChr. SL 138A 212,32α-34): praevalere…adversariis nostris, nisi praevaluerimus et nobis; 39,2 (CChr.SL 138A 213,40): rectori…subdita et…muneribus delectata; 39,2 (CChr.SL 138A 213,44f): vera pax hominum et vera libertas; 39,3 (CChr.SL 138A 215,77f): quasi a Deo…quasi ab homine; 39,3 (CChr.SL 138A 215,90β-92β): ad…servitutem…ad temptationem; 39,5 (CChr.SL 138A 219,163α-165α): Cessent vindictae…mandentur iniuriae; 39,6 (CChr.SL 138A 221,196f): studeamus vindicari…precamur ignosci; 39,6 (CChr.SL 138A 221,205-207):  hic…peraget, hic…perveniet; Das Schema AB-ABAB-AB findet sich in: Eph 6,12f, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,102β-106β): Non… adversus carnem…, sed adversus principes…, adversus rectores…, contra spiritalia. 528 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,49): sollicitius expetenda est et studiosius instruenda;

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

ABC-ABC529 (siebenmal Parison530), fünf das Schema ABCD-ABCD531 (zweimal Parison532) und schließlich zwei Isokola mit der Struktur von ABCDE-ABCDE.533 Von den bereits in den Fußnoten zitierten Parallelismen

39,3 (CChr.SL 138A 214,68f): quanto studiosiores…tanto nos vehementius; 39,3 (CChr. SL 138A 215,74f): testimoniis legis, non potestate virtutis; Eph 6,14f, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,122f): succincti lumbos…, et calciati pedes. 529 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,39): eum servire, quem decuerat imperare; 39,2 (CChr.SL 138A 214,52f): omnes praeteritae desidiae castigantur, omnes neglegentiae diluuntur; 39,2 (CChr.SL 138A 214,56α-59α): unde nobis obtinenda erat propitiatio, inde contrahatur offensio; Eph 6,15-17, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,124126):  scutum fidei…, et galeam salutis, et gladium spiritus; 39,4 (CChr.SL 138A 217,127f): quam potentibus nos telis, quam insuperabilibus munimentis; 39,4 (CChr.SL 138A 217,133βf): Scutum fidei…dedit…galeam salutis inposuit; 39,5 (CChr.SL 138A 219,156α-158α): Incontinentiam castitas pellat, mendacii tenebras lux abigat veritatis; 39,5 (CChr.SL 138A 219,170β-173β): Tunc…virtutum semina nutriuntur, quando… omne externum germen evellitur. 530 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,19α-22α): illi a carnalibus adversariis, nos a spiritalibus inpugnamur inimicis; 39,2 (CChr.SL 138A 213,35f): aliud caro advsersus spiritum, aliud adversus carnem spiritus concupiscit; 39,2 (CChr.SL 138A 213,45f): caro animo (iudice β) regitur, et animus Deo praeside gubernatur; 39,3 (CChr.SL 138A 214,72-215,73):  cuius munimur auxilio, eius erudiremur exemplo; 39,3 (CChr.SL 138A 215,86βf):  in medio insidiarum, in medio proeliorum; 39,5 (CChr.SL 138A 218,145f): si carnis substantia tenuatur, et animae fortitudo non alitur; 39,5 (CChr.SL 138A 220,175): aut carceri traderet, aut vinculis inligaret. 531 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,81β-85β): nulla sunt enim…sine…experimentis opera…nulla sine probationibus fides, nullum sine hoste certamen, nulla sine congressione victoria; 39,4 (CChr.SL 138A 217,131f): Et discinctus…cito ab…incentore vincitur, et non calciatus facile a serpente mordetur; 39,5 (CChr.SL 138A 218,151f): ne quid…discordiae inhaeserit, ne quid cupiditatis insederit. 532 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,74f): et hominem plus honoraret, et adversarium plus puniret; tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,129f): Succinxit lumbos baltheo castitatis, calciavit pedes vinculis pacis. 533 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,87β-89β): Si nolumus decipi, vigilandum est, si volumus superare, pugnandum est; 39,4 (CChr.SL 138A 216,117β-119β): Si ergo nos erigimur, illi corruunt, si nos convalesimus, illi infirmantur. Die Struktur von ABCD-ABCD findet sich im biblischen Zitat in der zweiten Edition: Mt 6,14f, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,185β-191β): Si enim…dimiseritis hominibus… dimittet et vobis Pater vester…Si autem non dimiseritis hominibus, nec Pater vester dimittet vobis.

Analyse von tract. 39

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erfüllen neun die Funktionen der Betonung durch Aufzählung,534 acht der Gegenüberstellung535 und zwanzig der inhaltlichen Ergänzung und Erweiterung.536 Die Parallelismen bringen das gottmenschliche Wirken zum Ausdruck, wobei der menschliche Anteil besonders hervorgehoben wird, die Ehrung des Menschen und die Bestrafung des Satans, der Zusammenhang von Kampf und Sieg sowie die Notwendigkeit des Herrschens des Geistes über den Körper. Chiasmus Unter den vier Chiasmen in tract. 39 sind drei mit der Struktur ab-ba537 und einer mit dem Schema abc-bca.538 Von diesen Chiasmen dient einer der Verdeutlichung,539 zwei drücken die innere Beziehung der beiden Glieder im Sinne der

534 Vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,163α-165α); Mt 6,14f, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,122f); 39,2 (CChr.SL 138A 214,52f); Eph 6,15-17, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,124-126); 39,4 (CChr.SL 138A 217,127f); 39,4 (CChr.SL 138A 217,133βf); 39,5 (CChr.SL 138A 219,156α-158α); 39,5 (CChr.SL 138A 220,175); 39,4 (CChr.SL 138A 217,129f). 535 Vgl. Eph 6,12f, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,102β-106β); 39,3 (CChr.SL 138A 214,68f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,74f); 39,2 (CChr.SL 138A 213,39); 39,2 (CChr. SL 138A 214,56α-59α); 39,5 (CChr.SL 138A 219,170β-173β); 39,1 (CChr.SL 138A 212,19α-22α); Mt 6,14f, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,185β-191β). 536 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,11f); 39,2 (CChr.SL 138A 212,32α-34); 39,2 (CChr. SL 138A 213,40); 39,2 (CChr.SL 138A 213,44f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,77f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,90β-92β); 39,6 (CChr.SL 138A 221,196f); 39,6 (CChr.SL 138A 221,205-207); 39,2 (CChr.SL 138A 213,49); 39,2 (CChr.SL 138A 213,35f); 39,2 (CChr. SL 138A 213,45f); 39,3 (CChr.SL 138A 214,72-215,73); 39,3 (CChr.SL 138A 215,86βf); 39,5 (CChr.SL 138A 218,145f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,81β-85β); 39,4 (CChr.SL 138A 217,131f); 39,5 (CChr.SL 138A 218,151f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,74f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,87β-89β); 39,4 (CChr.SL 138A 216,117β-119β). 537 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,6f): neglectu…mandatorum…et morum corruptione; 39,3 (CChr.SL 138A 215,80βf): vicit ille…nos…vinceremus; 39,5 (CChr.SL 138A 219,159αf): deponatur superbia, humilitas adsumatur. 538 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,79βf): pugnavit…ille tunc…nos postea pugnaremus. 539 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,6f): neglectu…mandatorum…et morum corruptione.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Nachfolge Christi aus,540 während einer die christusgemäße Haltung der humilitas der superbia gegenüberstellt.541

1.4 Leos Bibelverwendung 1.4.1  Der Befund der biblischen Bezugnahmen In tract. 39 verwendet Leo drei vollständige Bibelzitate,542 vier Teilzitate,543 vier Kleinstzitate,544 die nur einzelne Wörter aufnehmen, vier weiträumige 540 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,80βf): vicit ille…nos…vinceremus; 39,3 (CChr.SL 138A 215,79βf): pugnavit…ille tunc…nos postea pugnaremus. 541 Vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,159αf): deponatur superbia, humilitas adsumatur. 542 Vgl. Eph 6,14-17: State ergo succincti lumbos vestros in veritate et induti loricam iustitiae et calceati pedes in praeparatione evangelii pacis, in omnibus sumentes scutum fidei, in quo possitis omnia tela Maligni ignea extinguere, et galeam salutis assumite, et gladium Spiritus quod est verbum Dei in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,122-126); Mt 15,13: Omnis plantatio, quam non plantavit Pater meus caelestis, eradicabitur, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,153α-155α und 219,166β-168β): Omnis postremo…radicitus auferatur; Mt 6,12: Dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,178f); Zwei weitere Zitate finden sich ausschließlich in der zweiten Edition: vgl. Eph 6,12: quoniam non est nobis colluctatio adversus carnem et sanguinem sed adversus principes et potestates, adversus mundi rectores tenebrarum harum, contra spiritalia nequitiae in caelestibus, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,102β-107β): [quoniam]; Mt 6,14f: Si enim dimiseritis hominibus peccata eorum, dimittet et vobis Pater vester caelestis; si autem non dimiseritis hominibus, nec Pater vester dimittet peccata vestra, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,185β-191β):…Pater vester qui in caelis est…; 543 Vgl. Gal 5,17:  Caro enim concupiscit adversus Spiritum, Spiritus autem adversus carnem als aliud caro adversus spiritum, aliud adversus carnem spiritus concupiscit, in: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,35f); Röm 6,12: Non ergo regnet peccatum in vestro mortali corpore als in suo corpore [mortali add. Β] peccatum regnare, in: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,41f); 1 Joh 4,4: maior est, qui in vobis est quam qui in mundo als fortior est qui in nobis est quam qui adversum nos est, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,70); Weish 1,11b: os autem quod mentitur occidit animam als os quod mentitur animam mentientis interficit, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,161α-163α); Zwei weitere Teilzitate findet sich auschließlich in der zweiten Edition: vgl. Sir 2,1: Fili, accedens ad servitutem Dei sta in iustitia et timore et praepara animam tuam ad temptationem als Fili, inquit, accedens ad servitutem Dei, praepara animam tuam ad temptationem, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,90β-92β); 1 Kor 5,8b: sed in azimis sinceritatis et veritatis als in azimis sinceritatis et veritatis in: tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,206βf). 544 Vgl. Eph 6,12: spiritalia nequitiae als spiritalium nequitiarum, in: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,44f); Hebr 12,1: nobis propositum certamen, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,140αf); 1 Kor 5,8a: non in fermento veteri neque in fermento malitiae et nequitiae

Analyse von tract. 39

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Anspielungen an Bibelstellen bzw. Erläuterungen ohne entsprechendes Vokabular.545 Im engeren Sinn befinden sich unter diesen biblischen Bezugnahmen keine Schriftbeweise,546 sondern lediglich Argumentationsstützen, die ausdrücklich als Bibelzitate gekennzeichnet sind (Eph 6,14-17547, Mt 6,12548; Edition β:  Eph 6,12549, Sir 2,1550) oder vorhergehende Aussagen begründen (Weish 1,11b551, Mt 15,13552). Die Teilzitate dienen ebenfalls als Argumentationsstützen, jedoch ohne ausdrücklichen Hinweis, dass es sich um biblische Worte handelt,553 sodass sie, wie

als a fermento malitiae veteris alienus, in: tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,205f); Röm 6,4: in novitate vitae als per novitatem vitae, in tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,207f). Zwei weitere Kleinstzitate befinden sich ausschließlich in der zweiten Edition: Jak 1,3: scientes quod probatio fidei vestrae patientiam operatur; 1 Petr 1,7: probatio vestrae fidei multo pretiosior auro, quod perit, per ignem quidem probato als nulla sine probationibus fides, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,83βf); 2 Kor 6,7: in verbo veritatis; Eph 1,13: verbum veritatis; Kol 1,5: in verbo veritatis evangelii als verbo veritatis, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,135βf). 545 Vgl. 1 Sam 7,6-11, in: tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,1-13); Mt 4,1-11, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,71-215,78); Mt 25,31-40, in:  tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,198α-203α). Die in der ersten Edition tract. 39,6 (CChr.SL 138A 220,185α-192α) nicht zitierte Stelle Mt 6,14f wird in tract. 39,6 (CChr.SL 138A 220,192-221,197) ausgefaltet, in Verbindung mit einer weiteren Anspielung: vgl. Lk 6,37b: Dimittite et dimittemini als Remittamus, ut remittatur nobis, in: tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,195f). 546 Nur in der zweiten Edition ist Mt 6,14f als Schriftbeweis einzuzustufen, wobei das begründende enim ebenfalls Teil des Zitates ist: vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,185β-191β; 185β): Si enim. 547 Eph 6,14-17, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,122-126; 122): State igitur, dilectissimi, ut Apostolus ait; 548 Mt 6,12, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,178f; 177f): illa dominicae orationis regula fidenter utatur dicens. 549 Eph 6,12, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,102β-107β; 101βf): audiamus dicentem Apostolum. 550 Sir 2,1, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,90β-92β; 90β): Salomon…inquit. 551 Weish 1,11b, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,161α-163α; 161α): quia. 552 Mt 15,13, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,153α-155α und 219,166β-168β; 218,153α; 219,166β): postremo. 553 Vgl. Gal 5,17, in: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,35f); Röm 6,12, in: tract. 39,2 (CChr. SL 138A 213,41f); 1 Joh 4,4, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,70); 1 Kor 5,8a, in: tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,205f); 1 Kor 5,8b, in: tract. 39,6 (CChr.SL 138A 221,206βf).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

die einzelnen, wörtlichen Übernahmen aus der Bibel, wohl bereits in Leos Wortschatz übergegangen sind. Für eine Auswahl von biblischen Bezügen aus dem eigenen geistigen bzw. schriftlichen Repertoire spricht auch deren Verwendung in anderen Predigten. Besonders Mt 6,12554 und Mt 6,14555 werden außerdem nur in QuadragesimaPredigten verwendet. 1 Joh 4,4 benutzt Leo in einer Weihnachts-Predigt in einer ähnlich, veränderten Form.556 Außerdem zu nennen sind die Bezüge von 1 Kor 5,8557, Mt 15,13558, Gal 5,17559 und Sir 2,1560, schließlich die fast wörtlichen Übernahmen von spiritalia nequitiae561 („böse Geister“ Eph 6,12) und in novitate vitae562 („in der Wirklichkeit des neuen Lebens“ Röm 6,4). Von den insgesamt fünfzehn (in der zweiten Edition zweiundzwanzig) Bezügen gehen vier (bzw. fünf) auf Mt 6; 13; 15; 25 zurück, zwei (bzw. vier) auf Eph 1; 6, weitere fünf (bzw. sieben) auf Briefe, die dem Paulus zugeschrieben wurden, 554 Diese Vater Unser-Bitte um die Vergebung findet sich in weiteren sechs QuadragesimaPredigten: vgl. tract. 43,4 (CChr.SL 138A 256,108f); 44,3 (CChr.SL 261,98-262,99); 46,4 (CChr.SL 272,106f); 48,4 (CChr.SL 283,107f); 49,5 (CChr.SL 138A 289,112f); 50,2 (CChr.SL 138A 292,40f). 555 Vgl. tract. 43,4 (CChr.SL 138A 256,114f); 50,3 (CChr.SL 138A 294,80f). 556 Allein das biblische maior ersetzt Leo hier nicht durch fortiori: vgl. tract. 26,4 (CChr. SL 138 129,107f): sed maior est qui in nobis est quam qui adversum nos est. 557 Wie in der ersten Edition von tract 39 zitiert Leo nur 1 Kor 5,8a: vgl. tract. 55,5 (CChr. SL 138A 327,99): ab omni fermento malitiae veteris emundati; tract. 72,4 (CChr.SL 445,84): si a femento malitiae veteris abstinemus. Wie in der zweiten Edition von tract 39 verbindet er an drei anderen Stellen auch 1 Kor 5,8a und b: vgl. tract. 59,8 (CChr. SL 138A 361,220β-222β): Non in fermento veteris malitiae et nequitiae sed in azimis sinceritatis et veritatis; tract.69,5 (CChr.SL 138A 424,128-130): Qui non in fermento veteris malitiae, sed in azimis sinceritatis operator; tract. 63,7 (CChr.SL 138A 387,132134): Hoc est quo Pascha Domini in azimis sinceritatis et veritatis legitime celebratur, dum fermento malitiae veteris abiecto. 558 Vgl. tract. 81,3 (CChr.SL 138A 505,38f): Omnis plantatio quam non plantavit pater meus, eradicabitur. 559 Vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 138A 275,33f): Sed cum caro concupiscit adversus spiritum et spiritus adversus carnem; tract. 81,2 (CChr.SL 138A 504,25-28): Quia cum caro concupiscens adversus spiritum spiritali cupiditate superatur, libera obtinetur sanitas et sana libertas, ut et caro mentis iudicio et mens die regatur auxilio. 560 Vgl. tract. 84bis,2 (CChr.SL 138A 530, 28-30): Fili, inquit, accedens ad servitutem dei, sta in iustitia et timore, et praepara animam tuam ad temptationem. 561 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,38f): spiritalis nequitia; tract. 78,2 (CChr.SL 138A 495,20): contra spiritales nequitias; tract. 89,2 (CChr.SL 138A 552,29): contra nequitiae spiritalis insidias. 562 Vgl. tract. 63,7 (CChr.SL 138A 387,130f): per novitatem vitae.

Analyse von tract. 39

145

eine auf 1  Joh 4,4 und zwei (bzw. drei) auf das Alte Testament. Diese Streuung ist eine für Leo übliche, wenn er bisweilen auch öfters von den Psalmen Gebrauch macht.

1.4.2  Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes Leo hat biblische Zitate nicht nur zur Gänze oder teilweise übernommen, sondern sie bisweilen auch gemäß seinem Prosarhythmus reformuliert und den inhaltlichen Erfordernissen angepasst, wie im Folgenden gezeigt wird. Das sprachliche Motiv der Vorbereitung der Christen auf die Versuchungen in der Zeit der Quadragesima entnimmt Leo in tract. 39 dem Sirachbuch. Er zitiert es zwar erst in einer Ergänzung der zweiten Edition,563 in der er es auch weiter ausdeutet,564 nimmt aber bereits in der ersten Edition deutlich Bezug darauf: Tab. 9: Sprachliche Adaption tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,60α-67α)

Sir 2,1

Accedentes ergo…ad Quadragesimae initium, id est ad diligentiorem Dómini servitútem, (V δ) ad pugnas temptationum ánimos praeparémus. (V δ) Wenn wir uns also dem Beginn der Quadragesima nähern, das heißt einem sorgfältigeren Dienst am Herrn, bereiten wir uns(eren Geist) auf die Kämpfe gegen die Versuchungen vor!

Fili…accedens ad servitútem Déi, (ton. Äquiv. Ditrochäus) praepara animam tuam ad temptationem.565 Mein Sohn, wenn du dich dem Dienst an Gott näherst, bereite dich (deinen Geist) auf die Versuchung vor!

563 Sir 2,1, in: tract. 39,3 (CChr.SL 215,90β-92β). Das Zitat schreibt er Salomon zu, da dieser In der Tradition als der Verfasser der Weisheitsliteratur (Weisheit, Kohelet, Jesus Sirach) gilt. 564 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,92β-98β). Dabei hat Leo temptator accederet (3,96βf) wohl aus der Versuchungsperikope entnommen: vgl. Mt 4,3: accedens tentator. 565 Anders als in der Vulgata und in Zitaten von Augustinus (serm. 38,5 [CChr.SL 41 479,80f]; 46,10 [CChr.SL 41 536,216-219]) lässt Leo einen Teil dieses Verses aus: „Fili, accedens ad servitutem Dei sta in iustitia et timore et praepara animam tuam ad temptationem“ (Sir 2,1). Angesichts der drohenden Gefahr für die Stadt Rom im Jahre 441 ist der Hinweis interessant, dass Augustinus dieses Zitat auch in der Predigt anlässlich der Plünderung Roms im Jahre 410 einfließen lässt, um in diesem Zusammenhang auf Prüfungen hinzuweisen (vgl. exc. urb. 3,3 [CChr.SL 46 254,137f]).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

In seiner Aktualisierung des Zitates wird der Präpositionausdruck ad servitutem Dei zur erläuternden Apposition für den Beginn der Quadragesima umfunktioniert und sprachlich verändert. Dabei erweitert Leo dieses Objekt um das auf die spezielle Zeit hinweisende Adjektiv diligentior („sorgfältiger“), ersetzt Deus („Gott“) durch Dominus („Herr“) und invertiert die Wortfolge, um die schlussstarke Klausel Vδ zu ermöglichen. Bei der rhythmuskonformeren Reformulierung des zweiten Satzteiles verfährt Leo ähnlich. Im Unterschied zur biblischen Vorlage verwendet er die Kampfmetapher pugna („Kampf “ 3,66α). Diese betont er in den Ergänzungen der zweiten Edition noch stärker: Zunächst im kausalen Einschub quia quasi ad quemdam agonem sancti operis introimus („weil wir ja in eine Art Wettkampf um heiliges Engagement eintreten“ 3,64βf), dann in der Auslegung und Aktualisierung des Zitates.566 Noch im selben Abschnitt, der auf die Deutung der Versuchung Jesu zuläuft, und deutlich auf 1 Joh 4,4 Bezug nimmt, bringt Leo wiederum eine Kampfmetaphorik ein, die er aus anderen biblischen Zusammenhängen entnommen haben könnte: Tab. 10: Sprachliche Adaption tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,69- 1 Joh 4,4 71)

Lk 11,22

Sed fortior est qui in nobis est quam qui advérsum nós est, (ton. Äquiv. Ditrochäus) et per ipsum válidi súmus, (P δ) in cuius virtúte confídimus. (T 2 γ) Aber er ist stärker, der in uns ist als jener, der gegen uns ist [= der Satan] und durch ihn sind wir stark, in dessen Kraft wir vertrauen.

Si autem fortior eo superveniens vicerit eum, universa arma eius auferet, in quibus confidebat, et spolia eius distribuet. Wenn aber ein Stärkerer als er ihn [= den Widersacher] übertrifft und besiegt, nimmt er ihm all seine Waffen, in die er vertraute und verteilt seine Beute.

quoniam maior est qui in vobis est, quam quí in múndo. (ton. Äquiv. Ditrochäus) da er ja größer ist, der in euch ist, als jener, der in der Welt ist [= der Antichrist].

Zwar ist auch in 1 Joh 4,4 die Rede vom Kampf gegen den Antichristen, doch die Veränderungen weisen darauf hin, dass Leo an dieser Stelle auch andere biblische Zitate im Ohr hatte und sie mehr oder weniger bewusst verwendete, um seine

566 Vgl. tract. 39,4 (CChr.SL 216,93β-101β): laborem habere certaminis…pugnaturum… inparatum vulneraret…ad agonem praesentis certaminis scienter accedimus.

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Analyse von tract. 39

Darstellung des geistigen Kampfes konsequent fortzusetzen. Dass Leo 1 Joh 4,4 nicht prinzipiell mit fortior („stärker“) anstelle von maior („größer“, „stärker“) wiedergibt, zeigt ein weiterer Beleg in einer Weihnachtspredigt,567 in der er ebenfalls die inklusiven Formen der Personalpronomina in nobis und adversum nos anstelle von in vobis und in mundo verwendet. Lk 11,22 ist ebenfalls in einen Kontext des geistigen Kampfes eingebettet, stellt aber nur eine mögliche Referenzstelle für fortior bzw. confidimus („wir vertrauen“) dar, zumal confidebat („er vertraute“ Lk 11,22) in einem anderen Sinn verwendet wird. Daneben ist noch die Aussage Johannes des Täufers über Jesus in Mt 3,11568 (par Mk 1,7; Lk 3,16) als mögliches Vorbild zu nennen. Das adversum („gegen“) könnte Leo aus dem Zusammenhang von Mk 9,39569 (par Lk 9,50) entnommen haben sowie virtus („Kraft Gottes“) der Tageslesung 2 Kor 6,7. Eine weitere Kombination von Zitaten nimmt Leo in Verbindung mit Eph 6,14-17 vor: Tab. 11: Sprachliche Adaption tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,122f)

Eph 6,14

1 Petr 1,13

State igitur…succincti lumbos mentis véstrae in veritáte, (V γδ), et calceati pedes Haltet daher stand, die Hüften eures Geistes umgürtet mit Wahrheit und die Füße beschuht

State ergo succincti lumbos véstros in veritáte, (V γδ), et induti loricam iustitiae Haltet also stand, eure Hüften umgürtet mit Wahrheit, angetan mit dem Brustpanzer der Gerechtigkeit

Propter quod succincti lumbos mentis vestrae, sobrii, perfecte sperate Deshalb umgürtet die Hüften eures Geistes, seid nüchtern und hofft

Der Zusatz mentis vestrae („eures Geistes“) ergibt sich durch die Kombination mit dem Zitat aus 1 Petr 1,13.570 Da das Epheserzitat Eph 6,14-17 bei Leo ansonsten keine Veränderungen in Sprache und Rhythmus, aufweist (bis auf 567 Vgl. tract. 26,4 (CChr.SL 138 129,107f): sed maior est qui in nobis est quam qui adversum nos est. 568 Mt 3,11: qui autem post me venturus est, fortior me est, cuius non sum dignus calceamenta portare. 569 Mk 9,39: qui enim non est adversum vos, pro vobis est. Vgl. Mt 12,30 (par Lk 11,23): Qui non est mecum, contra me est. 570 Dieses Zitate findet sich bei Leo auch ohne in veritate: vgl. tract. 3,4 (CChr.SL 138 14,93f): succincti lumbos mentis vestrae castam et sobriam vitam in Dei timore ducatis.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

die Auslassung et induti loricam iustitiae), könnte diese Vermischung auch eine zufällige Ursache in der Überlieferungsgeschichte haben und muss nicht zwingend auf Leo selbst zurückgeführt werden. In einer Erweiterung der zweiten Edition wird das Schwert als Wort Gottes (gladium spiritus quod est verbum Dei 4,126; Eph 6,17) jedoch mit einem weiteren biblischen Hintergrund erläutert: Tab. 12: Sprachliche Adaption tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,135β138β)

2Kor 6,7

Eph 1,13

dexteram gladio, id est verbo veritátis, instrúxit (P 1 γ), ut spiritalis praeliator…repugnantem váleat vulneráre (V 3 δ)

exhibentes nosmetipsos sicut Dei ministros…in vérbo veritátis, (ton. Äquiv. 12 γ), in virtute Dei, per arma iustitiae a dextris et sinistris Erweisen wir uns selbst als Gottes Diener…durch das Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken

vérbum veritátis, (ton. Äquiv. 12 γ), Evangelium salutis vestrae

die rechte Hand hat er mit dem Schwert, dem Wort der Wahrheit, ausgerüstet, damit der geistige Kämpfer…den Widerstrebenden zu verwunden vermag

das Wort der Wahrheit, das Evangelium von eurer Rettung

Das Wort Gottes, das sich im Rahmen der Versuchung und der Antworten Jesu zunächst als Verteidigungswaffe erweist, wird mit der Anknüpfung an die Tageslesung 2 Kor 6,7 bzw. Eph 1,13 (vgl. Kol 1,5) zum Wort der Wahrheit und als Angriffswaffe in den weiteren Kontext der ganzen christlichen Verkündigung gestellt. Der Inhalt dieser Zitatkombination wird nicht nur durch den Wohlklang der schlussstarken Klauseln P1γ und V3δ befördert, sondern auch durch die Alliteration verbo veritatis, die am Ende des Satzes in valeat vulnerare sozusagen zur lautmalerischen Auslegung wieder aufgenommen wird. Abschließend sei noch auf die Charakterisierung der Quadragesima als certamen („Wettkampf “) hingewiesen, die Leo in der Peroratio mit Hilfe von Hebr 12,1 als zusammenfassende Aufforderung vornimmt. Tab. 13: Sprachliche Adaption tract. 39,5 (CChr.SL 138A 217,139α-218,141α)

Hebr 12,1

His…freti armis, intrepide nobis propositum certámen ineámus (T 12 γ) Im Vertrauen auf diese Waffen lasst uns unerschrocken den Wettkampf beginnen, der vor uns liegt

per patientiam curramus ad propositum nóbis certámen (P γ) lasst uns in Geduld den Wettkampf laufen, der vor uns liegt

Analyse von tract. 39

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Dabei verändert Leo die Wortstellung im Sinne der starken Schlussklausel T12γ und setzt anders als im Hebräerbrief nicht bei der Geduld (per patientiam) an, sondern bei den in der Confirmatio genannten Waffen Christi (His…freti armis), sodass er in seiner Forcierung der Kampfmetaphorik konstant bleibt. Zusammenfassung Leo wählt die biblischen Bezüge nach der inhaltlichen Übereinstimmung mit der Kampfmetaphorik aus oder aktualisiert sie mit zusätzlichen Motiven des Kampfes bzw. mit anderen inhaltlichen Ergänzungen. Des Öfteren scheint er dabei verschiedene biblische Bezüge aus dem Gedächtnis zu kombinieren. Bei den veränderten Zitaten wählt der in der Regel eine rhythmuskonformere Wortstellung, sodass große Teile der Predigt ihre feierliche Form durch die „Veredelung“ mit der biblischen Sprache und den schlussstarken Klauseln erhalten. Vorsichtig sei an dieser Stelle daher bereits die Überlegung angestellt, dass sich Leos soteriologische Christologie, in der das Zueinander von göttlicher und menschlicher Natur erörtert wird, auch auf der Ebene der Sprache widerspiegelt: Wie die Gottheit Christi von der menschlichen Natur verhüllt ist, so wird auch die biblische Sprache immer wieder in die zeitgemäße Rhetorik eingekleidet.

1.4.3  Die Bibel als Quelle für den Inhalt Hinweise auf die liturgischen Lesungen Während auf die Verlesung des Tagesevangeliums Mt 4,1-11 deutlich angespielt wird (ut audistis:  „wie ihr gehört habt“ 3,74), fehlen eindeutige, wörtlichen Aufnahmen der in tract. 40 und 42 bezeugten Epistellesung 2 Kor 6*.571 Die praktisch nicht vorhandenen, wörtlichen Aufnahmen von 2 Kor 6,1-10 und die zu allgemeinen, inhaltlichen Parallelen können keinen weiteren Aufschluss über die Epistellesung geben. Zu den inhaltlichen Parallelen:  Das Zusammenwirken der Gnade in der besonderen, gegenwärtigen Zeit und des eigenen menschlichen Bemühens zieht sich wie ein roter Faden durch diesen biblischen Abschnitt wie auch durch die

571 Dass die Epistellesung 2 Kor 6,1-10 bereits zu Leos Zeiten vorgetragen wurde, nehmen Krannich und Köppen an (vgl. Krannich, Von Leporius bis zu Leo dem Großen, 191; Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 21).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Predigt. Im Detail gibt es Anklänge an den Dienst an Gott,572 an das Fasten,573 die Sittenreinheit,574 an die Züchtigung575 und an die Waffen576. Von der ausführlicheren Anspielung an eine alttestamentliche Episode (vermutlich 1 Sam 7,6-11) kann noch nicht darauf geschlossen werden, dass diese Stelle (statt 2 Kor 6,1-10) verlesen wurde. Einen anderen Schluss lässt auch die Parenthese „wie die heilige, schriftliche Erzählung deutlich macht“ (ut sacra manifestat historia 1,4) nicht zu.577 Die biblischen Inhalte in Verbindung mit der Versuchungsgeschichte Wesentliche inhaltliche Kategorien werden mit der Aufnahme des alttestamentlichen exemplum (wohl 1 Sam 7,6-11) in 1,1-13 vorgegeben, das zwar im Anschluss bereits aktualisiert, jedoch erst im Licht der Versuchungsgeschichte zu ihrer Bedeutungsfülle geführt wird. Die Antithese zwischen der auf die Genusssucht und den Ungehorsam zurückgeführte Unterdrückung und dem durch das Fasten und den Gehorsam begründeten und von Gott geschenkten Sieg wird nicht explizit mit dem TypusAntitypus-Modell von Adam und Christus in Verbindung gebracht. Das hat wohl mit Leos Favorisierung der für die Quadragesima üblichen Kriegsmetaphorik578 572 Vgl. 2 Kor 6,4: exhibentes nosmetipsos sicut Dei ministros und Domini servitutem, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,63α). 573 Vgl. 2 Kor 6,5: in ieiuniis und reparvere ieiunio, in: tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,5); sanctum ieiunium, in: 39,6 (CChr.SL 138A 221,205). 574 2 Kor 6,6: in castitate und Incontinentiam castitas pellat, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,156α). 575 2 Kor 6,9: ut castigati und castigationis adhibuere censuram, in: tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,9); desidiae castigantur, in: tract. 39,2 (CChr.SL 138A 214,53). 576 2 Kor 6,7: per arma iustitiae und armis certare, in: tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,8); militiae magister armaverit, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 217,129); His igitur, dilectissimi, freti armis, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 217,139-218,140). 577 In einer ähnlichen Formulierung leitet Leo ein Psalmzitat im Sinne einer Argumentationsstütze ein: vgl. tract. 17,3 (CChr.SL 138 70,66): sacratissimus David propheta manifestat. Parenthesen die auf eine vorhergehende Schriftlesung Bezug nehmen, stehen außerdem in der Regel nicht in einer präsentischen Zeit: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,48): sicut evangelica patefecit historia; tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,105): sicut evangelica lectione patefactum est. In den beiden nachfolgenden im Präsens verfassten Hinweisen wird jedenfalls nicht auf die (nach Chavasse angegebenen) Tageslesungen Bezug genommen: vgl. tract. 75,2 (CChr.SL 138A 466,20): sicut apostolica testatur historia; 52,3 (CChr.SL 138A 309,59f): sicut Iohannes evangelista testatur. 578 Zu finden ist sie z. B. auch bei Petrus Chrysologus: vgl. serm. 13,1 (CChr.SL 24 82,3f; 6; 7f). Die Eröffnung Ecce tempus, quo miles procedit ad campum sowie auch andere Formen der Kriegsmetaphorik im Sinne des geistlichen Kampfes knüpfen wohl an die witterungsbedingte Gewohnheit an, im Monat des Kriegsgott Mars (März) für den Krieg bereit zu sein (vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 210f). Vgl. serm. 12 (CChr.SL 24 76,3-7).

Analyse von tract. 39

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zu tun. Während diese Metaphorik bei der Aktualisierung des Fastens der Hebräer in Kriegsnot579 und im Speziellen durch die ebenfalls bekannte Gegenüberstellung der unterlegenen, satten (saturi 1,12) und der siegreichen, hungernden Hebräer580 (esurientes 1,12) ins Treffen geführt wird, ist sie bei der Gegenüberstellung des Typus des essenden Adam und des Antitypus des fastenden Christus nicht zu finden.581 Dennoch gibt es mit der „Verlockung der Genusssucht“ (gulae inlecebra 1,10) eine deutliche ‒ bewusste oder unbewusste ‒ sprachliche Anknüpfung an eine traditionelle Charakterisierung der Versuchung des Adam bzw. der ersten Versuchung Jesu. Während Adam wie die Hebräer zunächst dieser Versuchung erlagen, triumphierte Christus wie die Hebräer nach ihrer Einsicht, die zur Umkehr bewegte (gulae inlecebram in seipsis…vicerunt: „sie besiegten die Verlockung der Genusssucht…in sich selbst“ 1,11). Auf dieser sprachlichen Ebene verknüpft Leo das exemplum der siegreichen Hebräer mit dem exemplum Christi (3,69-78; vgl. Mt 4,1-11), sodass dieser alttestamentliche Typus bereits zu Beginn der Predigt als Präfiguration Christi ausgewiesen wird. Eine noch deutlichere Parallelisierung zwischen dem Sündenfall und der Versuchung Jesu führt Leo in der Aktualisierung in 4,131f aus: Wer nicht gemäß Eph 6,15 mit der Bereitschaft für das

579 Neben dem kultischen Fasten gab es im israelitisch-jüdischen Bereich das außerordentliche Fasten z. B. in Kriegsnot. Das Fasten wurde allgemein als fromme, verdienstvolle Leistung vor Gott eingeschätzt, wurde aber nicht im Speziellen als die Antwort auf den Sündenfall ausgelegt, wenn die prinzipielle Wechselwirkung zwischen dem Fasten und dem Motiv des sündigen Essens in Gen 3,6 auch offensichtlich ist. Dass bereits Adam um das verdienstvolle Fasten wusste, betont z.  B. Rabbi Meir (um 150): Adam habe nach dem Sündenfall gefastet und fromm gelebt (vgl. Arbesmann, Art. Fasten, in: RAC 7 [1969] 451f; 455f). 580 Maximus, gibt ebenfalls einen von ihm als exemplum bezeichneten Typus vom Fasten der Israeliten vor dem Sieg über die Philister wieder. Dieses von Saul angeordnete Fasten wurde von dessen Sohn unwissentlich gebrochen, sodass der Sieg sich verzögerte (vgl. 1 Sam 14,24-46): vgl. serm 69,4 (CChr.SL 23 290,67-291,99). 581 Eine heilsgeschichtliche Gegenüberstellung zwischen dem essenden Adam und dem fastenden Christus ist bereits bei Paulus angedeutet: vgl. Röm 5,19: Sicut enim per inoboedientiam unius hominis, peccatores constituti sunt multi, ita et per unius oboeditionem, iusti constituentur multi. Ausdrücklich benannt ist die Gegenüberstellung bei Irenäus: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,18-168,9), besonders konzise etwa bei Maximus von Turin: vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23 206,19-21): Haec enim est vera victoria, ut qui[a]‌Adam inmortalem gloriosum et epulantem subverterat, nunc ab homine mortali humili atque esuriente vincatur.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Evangelium beschuht sei, könne allzu leicht von der Schlange gebissen werden (non calciatus facile a serpente mordetur vgl. Gen 3,15582). Wie der Sieg in Form der Typologie (1 Sam 7,6-11) zur Hoffnung ermuntern soll, so erfüllt sich dessen Wirksamkeit für die Adressaten in Christi Sieg über die Versuchung in Form von auxilium und exemplum. Diese Anteilhabe am Stärkeren (1 Joh 4,4), im Speziellen an seinen Waffen (Eph 6,14-17), sei unbedingt nötig, da die geistigen Widersacher (Eph 6,12583) nur in ihm zu überwältigen seien, zumal diese bei den Menschen anders als beim Gottmenschen584 auch den Kampf zwischen Fleisch und Geist (Gal 5,17; Röm 6,12) für sich nützen könnten. Bei der Darstellung der Ausmerzung der Laster wird die der Botanik entnommene Metaphorik (plantatio:  „Pflanzung“; plantavit:  „pflanzte“; radicitus:  „mit der Wurzel“) aus Mt 15,13 aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst, da sie nicht mehr um die blinden Führer Israels geht.585 Die Zitate über die wechselseitige Vergebung prägen etwa die Hälfte der Peroratio und werden in 5,174-6,197 ausgefaltet. Dazu wird Mt 6,14f in der zweiten Edition zitiert und in der ersten Edition in Verbindung mit Lk 6,37b inhaltlich ausgedeutet.586 582 Gen 3,15: Inimicitias ponam inter te et mulierem, et semen tuum et semen illius: ipsa conteret caput tuum, et tu insidiaberis calcaneo eius. 583 Der Inhalt von Eph 6,12 ist bereits bei der Erstellung der ersten Edition wirksam, wie die Aufnahme von spiritalium nequitiarum zeigt: vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,43f). Leo zitiert die Stelle in der Ergänzung der zweiten Edition schließlich vollständig: vgl. tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,103β-107β). 584 In einer Passionspredigt erläutert Leo Jesu Todesangst auf dem Ölberg und dessen Fügung als Unterordnung der menschlichen Natur unter die göttliche, bei der ‒ aufgrund der Freiheit von der Sünde ‒ kein gewöhnliches inneres Ringen stattfand: vgl. tract. 56,2 (CChr.SL 138A 330,47-58): Prima petitio infirmitatis est, secunda virtutis, illud optavit ex nostro, hoc elegit ex proprio, nec enim aequalis Patri Filius omnia esse Deo possibilia nesciebat, aut ad susciepiendam crucem sine sua in hunc mundum voluntate descenderat, ut hanc diversarum affectionum conpugnantiam perturbata quodammodo ratione pateretur. Sed ut suscipientis susceptaeque naturae esset manifesta distinctio, quod erat hominis, divinam desideravit potentiam, quod erat Dei, ad causam respexit humanam. Superiori igitur voluntati voluntas cessit inferior, et cito demonstratum est quid possit a trepidante orari, et quid non debeat a medente concedi. 585 In der Ergänzung der zweiten Edition erläutert Leo das Zitat durch virtutum semina nutriuntur…de agro cordis…externum germen evellitur:  vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 219,170β-172β). 586 In den Quadragesima-Predigten des Augustinus findet sich das Motiv der Vergebung sehr häufig: vgl. Mt 6,12 und Lk 6,37f, in: serm. 205,3 (PL 54 1040,52f); 206,2 (Pl 54 1041,43f); 208,2 (PL 54 1046,5f; 7f); 210,12 (PL 54 1053,38f); 211 (PL 54 10541058): passim.

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Bei der Erläuterung der Bedingung der Barmherzigkeit gegen Bedürftige für die Barmherzigkeit Gottes denkt Leo wohl an Mt 25,31-40 (6,198α-203α). Schließlich verwendet Leo 1 Kor 5,8 gemäß dem Kontext des ersten Korintherbriefes, der Christus als das Pascha-Lamm vor Augen hält.587 Dabei führt er den Zusammenhang zwischen dem in der ganzen Predigt forcierten Fasten der Quadragesima (sanctum ieiunium: „heiliges Fasten“ 6,205) und der Verheißung des Pascha-Festes durch die Mahlmetaphorik von 1 Kor 5,8 ins Treffen: a fermento malitiae veteris alienus („den Sauerteig der alten Bosheit missbilligend“ 6,205f) und in azimis sinceritatis et veritatis („mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit“ 6,206βf). Zusammenfassung Leo orientiert sich in tract. 39 an typischen, biblischen Inhalten von Quadragesima-Predigten. Dazu gehören der Typus des alttestamentlichen Kriegsfastens, die im Tagesevangelium verlesene Versuchung Jesu als Vorbild und das Fasten als Einübung der Tugenden. Charakteristisch für Leo ist jedoch die wohldurchdachte Komposition: Dazu gehört die unvermittelte Eröffnung der Predigt mit dem alttestamentlichen Typus (vermutlich 1 Sam 7,6-11), die damit in Verbindung stehende Kampfmetaphorik, die in der ganzen Predigt zu finden ist, die Erschließung der Überwindung des inneren Kampfes zwischen Fleisch und Geist im Rahmen von Leos Soteriologie, die Erläuterung der Versuchung Jesu vor dem Hintergrund des alttestamentlichen exemplum und nicht zuletzt die für Leo (wohl im Anschluss an Augustinus) bezeichnende Betonung der Vergebung in der Peroratio.

1.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung 1.5.1  Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten Die üblichen Vokative dilectissimi verwendet Leo zur Adressierung seiner Hörerschaft neunmal und damit vergleichsweise sehr häufig.588 Hinsichtlich der

587 Vgl. 1 Kor 5,7bf: Pascha nostrum immolatus est Christus! Itaque festa celebremus, non in fermento veteri neque in fermento malitiae et nequitiae, sed in azimis sinceritatis et veritatis. 588 Vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,13); 39,2 (CChr.SL 138A 212,27); 39,2 (CChr. SL 138A 213,47); 39,3 (CChr.SL 138A 214,60f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,74α); 39,4 (CChr.SL 138A 217,122); 39,4 (CChr.SL 138A 217,126f); 39,5 (CChr.SL 138A 217,139); 39,6 (CChr.SL 138A 220,192). In der zweiten Edition sind weitere zwei

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Personalpronomina spricht er die Versammlung in der ersten Edition kein einziges Mal in der 2.P.Pl. an,589 während er fünfundzwanzigmal auf die soziativen Formen der 1.P.Pl. zurückgreift.590 Ähnlich verhält es sich bei den Possessivpronomen: in der 2.P.Pl. ist in der ersten Edition keine enthalten,591 während das Possessivpronomen in der 1.P.Pl. zwölfmal verwendet wird.592 Auch bei den Verben setzt sich dieser Trend fort: Ein an den Diatribe-Stil erinnernder593 Pluralis inclusivus in der 1.P.Pl. liegt bei siebenundzwanzig Verben594 Stellen enthalten:  vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,81βf); 39,4 (CChr.SL 138A 216,99β), wohingegen dilectissimi in tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,74β) getilgt wurde. 589 Die beiden Belege von vobis in der zweiten Edition sind Teil des Zitats von Mt 6,14f, in: tract. 39, 5 (CChr.SL 138A 220,187β; 190β). 590 Sieben Belege von nos finden sich in der ersten Edition: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 211,13; 212,20α); 39,2 (CChr.SL 138A 212,33α; 213,51); 39,3 (CChr.SL 138A 214,69, 70); 39,4 (CChr.SL 138A 217,127). Sieben weitere Stellen sind in den Zusätzen der zweiten Edition enthalten: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A; 215,79β; 80β); 39,4 (CChr.SL 138A 216,4,99β; 112β; 115β; 117β; 118β); 39,2 (CChr.SL 138A 212,34): nosmetipsos; Acht Belege von nobis finden sich in der ersten Edition: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,23; 24; 26); 39,2 (CChr.SL 138A 212,34); 39,2 (CChr.SL 138A 214,57α); 39,3 (CChr.SL 138A 214,70); 39,2 (CChr.SL 138A 216,103β); 39,5 (CChr.SL 138A 218,140α); 39,6 (CChr. SL 221,196); 39,6 (CChr.SL 221,197). Zwei weitere Stellen sind in der zweiten Edition enthalten: vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,169β); 39,5 (CChr.SL 138A 219,188β). 591 Die drei Belege von vester und vestra in der zweiten Edition sind Teil des Zitates von Mt 6,14f, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,188β; 190β; 191β). 592 Sechs Belege finden sich in der ersten Edition: vgl. tract.39,1 (CChr.SL 138A 212,18; 25); 39,2 (CChr.SL 138A 212,28; 33); 39,3 (CChr.SL 138A 214,68); 39,6 (CChr.SL 138A 220,192). Sechs weitere Stellen sind in den Zusätzen der zweiten Edition enthalten: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,86β); 39,4 (CChr.SL 138A 216,108β; 109β; 119β; 4,120β); 39,5 (CChr.SL 138A 219,171β). 593 Vgl. Cunningham, Mary P. / Allen, Pauline: Introduction, in: Preacher and Audience. Studies in Early Christian and Byzantine Homiletics (= NHSer 1), hg. v. Mary P. Cunningham / Pauline Allen, Leiden u.a.: Brill, 1998, 8. 594 Fünfzehn Belege finden sich im Text der ersten Edition: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,16α): cupimus; 39,1 (CChr.SL 138A 212,21α): inpugnamur; 39,2 (CChr.SL 138A 212,29): valeamus; 39,2 (CChr.SL 138A 212,34): praevaluerimus; 39,2 (CChr. SL 138A 213,56): inveniamur; 39,3 (CChr.SL 138A 214,68f): fuerimus; 39,3 (CChr. SL 138A 214,71): sumus; 39,3 (CChr.SL 138A 214,70): confidimus; 39,3 (CChr.SL 138A 215,73): munimur; 39,3 (CChr.SL 138A 215,73): erudiremur; 39,5 (CChr.SL 138A 218,145): putemus; 39,6 (CChr.SL 138A 220,193): prolabimur; 39,6 (CChr.SL 138A 220,196): rogamus; 39,6 (CChr.SL 138A 220,197): precamur; 39,6 (CChr.SL 138A 220,203α): mereamur.

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sowie bei weiteren dreizehn Hortativen vor.595 Ebenfalls auf die Allgemeinheit bezogen sind fünf Gerundive, die eine Notwendigkeit von Seiten der Adressaten ausdrücken596 und die die unpersönlichen Aufforderungen, die aus vierzehn Hortativen in der 3.P.Sg. bestehen und alle in der Peroratio 5,139-6,214β zur Anwendung kommen.597 Die Verbalformen in der 2.P.Pl., mit denen Leo sich an die Adressaten direkt wendet sind in Bibelzitate eingebettet,598 ebenso die zwei an die 2.P.Sg. gerichteten Zwölf weitere kommen durch die Zusätze der zweiten Edition hinzu: vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,16α): cupimus; 39,1 (CChr.SL 138A 212,21α): inpugnamur; 39,2 (CChr.SL 138A 212,29): valeamus; 39,2 (CChr.SL 138A 212,34): praevaluerimus; 39,2 (CChr.SL 138A 213,56): inveniamur; 39,3 (CChr.SL 138A 214,68f): fuerimus; 39,3 (CChr.SL 138A 214,71): sumus; 39,3 (CChr.SL 138A 214,70): confidimus; tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,73): munimur; 39,3 (CChr.SL 138A 215,73): erudiremur; 39,5 (CChr.SL 138A 218,145): putemus; 39,6 (CChr.SL 138A 220,193): prolabimur; 39,6 (CChr.SL 138A 220,196): rogamus; 39,6 (CChr.SL 138A 220,197): precamur; 39,6 (CChr.SL 138A 220,203α): mereamur. 595 Elf Belege finden sich in der ersten Edition:  vgl. tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,18α): curemur; 39,2 (CChr.SL 138A 212,31): quaeramus; 39,3 (CChr.SL 138A 214,67): praeparemus; 39,3 (CChr.SL 138A 214,68): intellegamus; 39,5 (CChr.SL 138A 217,141α): ineamus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,195): nullatenus neglegamus; 39,6 (CChr. SL 138A 221,195): Remittamus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,196): demus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,196f): non studeamus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,199αf): non transeamus; 39,6 (CChr.SL 138A 221,201α): praestemus. Zwei weitere Stellen sind in den Zusätzend der zweiten Edition enthalten: vgl. tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,101βf): audiamus; 39,4 (CChr.SL 138A 216,107βf): non ignoramus. 596 Drei sind in der ersten Edition enthalten: vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,49): expetenda est et…instruenda; 39,2 (CChr.SL 138A 214,57): nobis obtinenda erat. Weitere zwei in der zweiten Edition: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,87βf): vigilandum est; 39,2 (CChr.SL 138A 215,88βf): pugnandum est. Ein sechtes Gerundiv drückt aus, dass die Widersacher umso heftiger angreifen, je intensiver die Adressaten sich vorbereiten: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,69): inpetendos. 597 Vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,148): reficiatur; 39,5 (CChr.SL 138A 218,149): roboretur; 39,5 (CChr.SL 138A 218,149): Circumspiciat; 39,5 (CChr.SL 138A 218,151): discutiat; 39,5 (CChr.SL 138A 218,151): Videat; 39,5 (CChr.SL 138A 219,156αf): pellat; 39,5 (CChr.SL 138A 219,158): abigat; 39,5 (CChr.SL 138A 219,158α): deponatur [detumescat β]; 39,5 (CChr.SL 138A 219,159αf): adsumatur [resipiscat β]; 39,5 (CChr.SL 138A 219,161α): frenetur; 39,5 (CChr.SL 138A 219,163α): cessent; 39,5 (CChr.SL 138A 219,164): mandentur; 39,5 (CChr.SL 138A 220,177): acceleret; 39,6 (CChr.SL 138A 219,196): remittatur. 598 Vgl. Eph 6,16, in: tract. 39,4 (CChr.SL 217,125): possitis; Mt 6,14f, in: tract. 39,5 (CChr. SL 138A 220,185β; 188βf): dimiseritis.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Imperative.599 Deutet das Fehlen von Verben in der 2.P. außerhalb von Bibelzitaten auf das geringe Interesse an einer lebendigen, direkten und polarisierenden Bezugnahme auf die Adressaten hin, so erst recht der Verzicht auf Rhetorische Fragen, Ausrufe und Mahnungen zur Aufmerksamkeit.600 In dieses Bild passt auch das alttestamentliche exemplum in der einleitenden Narratio, in der sich die Adressaten noch vor der Aktualisierung implizit angesprochen fühlen sollten (Insinuatio).

1.5.2  Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt Die durchgehende, sehr allgemein gehaltene Kriegsmetaphorik, die in der Nachfolge des Stärkeren, Christus, den Höhepunkt erreicht, spricht keine spezifischen sozialen Schichten an. Auch mit dem Hinweis auf die Voraussetzung des Sieges gegen die geistige Bedrohung für die Abwehr der äußeren Feinde (1,23-25) ist nicht allein der Soldatenstand adressiert. Während sich die Aufforderung zur Nachahmung des biblischen Typus (populus: „Volk“ 1,1) und die Ermunterung zu Almosen, Vergebung und Versöhnung (5,274-6,203α) an die Allgemeinheit richtet, scheinen die subtilen Ausführungen zur Prüfung der inneren Regungen (1,34-46) eher auf ein gebildetes Publikum hinzuweisen, wie auch der hohe Stil insgesamt. Zusammenfassung Aus diesem Befund, der eine hohe Zahl an inklusiven Formen aufweist, lässt sich Leos suggestive Strategie erschließen, sich mit seinen Adressaten in Analogie zu den Hebräern als Kollektiv zu definieren, das sich in der Quadragesima insgesamt auf einen intensiveren Kampf gegen geistige Widersacher vorzubereiten hat. Davon zeugt auch die geringe Anzahl von Personal-, Possessivpronomen in der 2.P. Pl. und von Anreden und Imperativen in der 2.P.Sg. bzw. Pl. im Verlauf der gesamten Predigt, die außerdem ausschließlich in Bibelzitaten eingebettet sind und daher nur bedingt persönliche Formulierungen darstellen. Auch die zahlreichen hortativen Elemente in Form der 3.P.Sg. bzw. Pl. sind nicht nur auf die Adressaten bezogen, sondern drücken eine allgemeine Pflicht aus, die

599 Vgl. Sir 2,1, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,91βf): praepara animam tuam ad temptationem; Eph 6,14, in: tract. 39,4 (CChr.SL 138A 216,122f): State igitur…succincti lumbos mentis in veritate. Die Vater Unser-Bitte richtet sich an Gott: vgl. Mt 6,12, in: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,178): Dimitte nobis debita. 600 Olivar führt von Predigern häufig verwendete Mahnungen zur Aufmerksamkeit an: vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 822-824.

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Leo gemäß der klassischen Strategie der Affektlenkung nicht nur größtenteils in der Peroratio einsetzt, sondern sogar ausschließlich. Damit unterstützt er das Gesamtkonzept der Predigt, die zur persönlichen Umkehr, zum Sieg über die Kämpfe im eigenen Inneren ermuntert, um für das große Fest orientiert und vorbereitet zu sein. Sprache und Inhalt verweisen grundsätzlich auf ein gebildetes Publikum, zugleich ist die Predigt aber an die Menschen von Rom insgesamt adressiert.

1.6 Theologische Grundgedanken Die theologischen Grundlinien Zu Beginn der Quadragesima begründet Leo die Rüstung zum inneren Kampf durch die Prüfungen (probationes 3,83β) und evangeliumsgemäß (Mt 4,1-11) durch die bevorstehenden Versuchungen (temptationum experimenta 3,82β), die eine würdige Feier des Paschafestes und die Teilhabe am österlichen Sieg verhindern könnten. Gleichzeitig stellt seine Predigt eine theologische Deutung der Herausforderungen seiner Zeit als moralische Krise dar (spiritalibus inpugnamur inimicis: „wir werden von geistigen Feinden angegriffen“ 1,21fα),601 die es der Zuversicht in Gottes Kraft und in Gottes Wirken in der (Heils-)Geschichte (sacra…historia 1,4) zu überwinden gelte: Versteht Leo die Zeit der entbehrungsreichen Quadragesima als sakramentale Teilhabe am Kreuz, das auf die österliche Auferstehung vorbereitet,602 so ist diese besondere, heilswirksame Einübung in das Lebensmodell Christi auch ein Bild für das ganze christliche Leben603 und letztlich auch für die Entwicklung der Geschichte zur Ewigkeit hin.604 Daher 601 Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 766-768. Vgl. Pratesi, Commento, 290f. 602 Vgl. tract. 70,5 (CChr.SL 138A 430,100-103): Quid autem est clavis timoris Dei carnes habere confixas nisi corporeas sensus ab inlecebra inliciti desiderii sub metu divini continere iudicii? Der Gedanke der Anheftung des Fleisches findet sich ähnlich bei Augustinus in serm. 207,2 (PL 54 1043,36-39): Imitemur eius crucem, abstinentiae clavis edomitas concupiscentias configentes. 603 Vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 138A 275,22-25): Sicut ergo totius est temporis pie vivere, ita totius est temporis crucem ferre, quae merito unicuique sua dicitur, quia propriis modis atque mensuris ab unoquoque toleratur. Augustinus bezieht das Kreuz auf das ganze Leben, das in der Quadragesima mystisch dargestellt wird: vgl. serm. 205,1 (PL 54 1039,36-38): crux, inquam, ista non quadraginta dierum est, sed totius huius vitae, quae mystico numero quadraginta istorum significatur; 604 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,33-39); 49,3 (CChr.SL 138A 287,68-288,78). Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 784.

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verwundert es auch nicht, dass die direkten Auswirkungen der Sünden (TunErgehen-Zusammenhang) in Leos Darstellung mit dem Willen Gottes und dessen Pädagogik zusammenfallen605 und auch Leos Adressaten zu der Erkenntnis gelangen sollen, dass sie Christus vertrauen müssen, der als Haupt seines Leibes allein die Kraft habe, eine politische und soziale Wende in seinen Gliedern herbeizuführen.606 In diesem Sinn qualifiziert bereits der Aufbau von tract. 39 die Kategorien von auxilium („Hilfe Christi“) und exemplum („Lebensmodell Jesu“) ‒ die in den Menschen durch die Teilhabe an Jesu Versuchung wirksam werden sollen (3,71-73) ‒ als wesentliche Interpretationsschlüssel der Predigt: (1) Das alttestamentliche exemplum der Hebräer, die schließlich umkehren, Gottes Weisungen vertrauen und so sein auxilium erfahren (1,1-13) wird (2) aktualisiert, durch die Deutung der Versuchung Jesu profiliert (1,13-4,138β) und (3) zusammenfassend konkret zur Nachahmung vor Augen gestellt (5,139-6,214β). Dabei erläutert Leo den Typus der Hebräer als ein die Geschichte theologisch deutendes und soteriologisches Modell, das im Antitypus des exemplum Jesu zu seiner Bedeutungsfülle gelangt. Doch bereits im alttestamentlichen Modell selbst entfaltet Leo für seine Adressaten zunächst gewissermaßen die Ausgangslage des „ersten Menschen“ und, nach der Überwindung der an die Ursünde erinnernde Genusssucht (gula 1,10), die Orientierung am „zweiten Menschen“607. Unter diesen Voraussetzungen besteht die „heilsgeschichtliche Typologie“ so zuerst in der die gegenwärtige Lage Roms erhellenden Bedrängnis durch die Philister aufgrund der eigenen Sünden und des Ungehorsams gegenüber Gott (1,2f; 5-7) und dann in der Präfiguration der Nachfolge Christi, die in der vertrauensvollen Unterordnung (humilitas) unter die Macht Gottes (maiestas608) in Form des Fastens als Quelle 6 05 Vgl. Bartnik, L’Interprétation théologique, in: RHE 63 (1968) 773. 606 Das lässt sich aus der Einheit Christi mit der menschlichen Natur schließen, die auch im Bild des Leibes offenbar wird, in dem Christus das Haupt und die Christen die Glieder sind: vgl. tract. 63,3 (CChr.SL 138A 383,41-384,45): Non est ergo dubium, dilectissimi, naturam humanam in tantam conexionem a Filio Dei esse susceptam, ut non solum in illo homine qui est primogenitus totius creaturae, sed etiam in omnibus sanctis suis unus idemque sit Christus, et sicut a membris caput, ita a capite dividi membra non possint. Leo zitiert darauf Kol 1,18-20. 607 Vgl. tract. 69,3 (CChr.SL 138A 422,73-75): Adam enim primus et Adam secundus unum erant carne non opere, et in illo omnes moriuntur, in isto omnes vivificabuntur. 608 Vgl. tract. 68,1 (CChr.SL 138A 414,16-415,21): Idem postremo est qui mortem subiit, et sempiternus esse non desiit, ut omnibus utrimque non dubiis, vera sit in Christo humilitas, vera maiestas, quia ideo se humanae infirmitati virtus divina conseruit, ut dum Deus sua facit esse quae nostra sunt, nostra faceret esse quae sua sunt.

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der Tugenden609 und als Vorbereitung (praeparatio 2,46) auf die Heilswirksamkeit Gottes offenbar wird und sich schließlich im Sieg über die Widersacher manifestiert (1,8-13). Zu diesem „Paradigmenwechsel“ gelangen die Hebräer durch die Erkenntnis ihrer Lage (Intellexerant enim 1,5) und des Zusammenhangs ihres ungehorsamen Verhaltens gegenüber Gott und des Ausbleibens der Hilfe Gottes. Die konkrete Aktualisierung Wie alle Aktualisierungen basiert auch diese auf einer großen Zahl von Parallelen und konkretisierenden Differenzen. Analog zu den Hebräern werden die Adressaten Leos von äußeren Feinden bedrängt und befinden sich in einer Situation der rechtmäßigen Vergeltung (eadem causa nostra est quae illorum fuit: „unsere Lage ist dieselbe wie der von jenen“ 1,18fα). Im Sinne von Leos juridischem Verständnis der Inkarnation und der Erlösung610 ist der Begriff causa („Rechtsfall“) dabei auch als Bezeichnung der Ausgangslage der menschlichen Natur zu verstehen.611 Daher wird Leo bei dieser Formulierung nicht nur an die gegenwärtige Zeit der politischen Krise gedacht haben, sondern jedenfalls auch an die Abgründe der menschlichen Natur insgesamt. Als Grund für diese Lage sind jeweils die eigenen Sünden genannt (peccatorum suorum 1,2; nostra delicta 1,26). Das „gott-menschliche Vehikel“ für die Umkehr und für Gottes Heilswirksamkeit besteht in der Belehrung über die eigene Lage, in der Christus durch die Schrift und Leo spricht,612 sowie im durch Christus ausgerufenen Fasten, durch das die Kräfte an Geist und Körper gestärkt werden (vires animi et corporis 1,4f). In der Aktualisierung betont Leo, dass die geistige Kraft (animae fortitudo 5,147)

609 Vgl. tract. 50,2 (CChr.SL 138A 293,50-52); 50,3 (CChr.SL 138A 293,71); 19,2 (CChr. SL 138 78,44f). 610 Aufgrund des Sündenfalls hätte der Satan ein Recht auf die Herrschaft über die Menschen, die ihm Christus durch die ratio iustitiae und eben nicht durch die potestas virtutis entzogen habe (vgl. Martin, Art. Leo II, in: RAC 22 [2008] 1193f). 611 Vgl. tract. 25,2 (CChr.SL 138 119,50-52): de magna factum est potestate, ut dei filius substantiam humanam causamque susciperet, qui et naturam quam condidit reformaret, et mortem quam non fecit aboleret. Leo lässt Christus feststellen, dass er den Prozess für die menschliche Natur führt, indem er alles an sich zieht: vgl. tract. 57,4 (CChr. SL 138A 336,68f): totam causam humani generis agam. 612 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,32α-34): scientes non aliter praevalere nos adversariis nostris, nisi praevaluerimus et nobis; 40,1 (CChr.SL 138A 223,3-5): cohortatio tamen etiam nostri sermonis adhibenda est, quae, auxiliante Domino, nec inutilis sit pigris, nec onerosa devotis.

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in der Quadragesima vergrößert werden solle (spiritalibus mens deliciis roboretur 5,149), während die Steigerung der körperlichen Kraft nur mehr indirekt aufleuchte, da die Kraft der Feinde infolge der moralischen Besserung unterlegen sei (corporeorum nobis hostium fortitudo subcumbet 1,24f). Die Vernachlässigung der Weisungen Gottes (neglectu…mandatorum Dei 1,6f), der Sittenverfall (morum corruptio 1,7) und die Wende im Gehorsam werden ebenfalls widergespiegelt (neglegentiae:  „Vernachlässigungen“ 2,53; simili observatione:  „mit ähnlicher Beobachtung“ 1,16fα; morum correctione:  „durch die Verbesserung der Sitten“ 1,23; per observantiam caelestium mandatorum:  „durch die pflichtgemäße Einhaltung der himmlischen Gebote“ 2,29fα). Die Waffen (arma 1,8) werden vollständig spiritualisiert (4,122-132; His…freti armis 5,139f). Eine besondere Zuwendung erfährt der in der Narratio nur kurz erwähnte Sieg über den innewohnenden Anreiz zur Genusssucht (gulae inlecebram in seipsis 1,10), da sie im Hinblick auf den Sündenfall als Grundmotiv der Sünde überhaupt und für den Versucher als Angriffspunkt schlechthin gelten kann. Daher bestehe der eigentliche Kampf im Menschen selbst (intra nosmetipsos 2,34) in der Feindseligkeit (dissensio 2,36) zwischen dem Begehren des Fleisches und dem Begehren des Geistes (2,32α-39), die in linearer Verbindung mit der Feindseligkeit (dissensio 4,114β) zwischen den satanischen Widersachern und Leos Adressaten stehe. Der Sieg auf diesen Ebenen bedeutet demnach die Unterordnung des Geistes (mens 2,39) unter Gott, sodass der Verstand (ratio 2,43) auch die ordnungsgemäße Leitung im Leib übernimmt. Dann werde anstelle der superbia („Hochmut“) die humilitas („Demut“ 5,159α) erstarken und die Sittenreinheit die Begehrlichkeit vertreiben (Incontinentiam castitas pellat 5,156α). Der Papst ermutigt zum Vertrauen in Gottes alles übertreffende Kraft (fortior 3,70), da die Begierden des Fleisches (cupiditates corporis 2,36f) den Geist zwar an Kraft übertreffen können (fortiores 2,37), nicht aber Christus. Daher seien die Widersacher stets unterlegen, wenn der Mensch seine Kraft von Christus beziehe (per ipsum validi sumus, in cuius virutute confidimus: „durch ihn sind wir kräftig, in dessen Kraft wir vertrauen“ 3,70f). Zusammenfassung Leo nimmt bei der Aktualisierung vier wegweisende Konkretisierungen vor: (1) Es geht nicht in erster Linie um den Sieg über irdische Feinde, sondern um die Erkenntnis der eigenen Lage (der conditio humana und der gegenwärtigen sozialen sowie politischen Verhältnisse) und um den Weg der Umkehr von den Sünden und Lastern, da dieser Weg die Zusicherung von Gottes Hilfe bedeute und zum Sieg über die Feinde führe. Damit trägt Leo einerseits dem entscheidenden

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Unterschied Rechnung, dass seine Adressaten auf den Sieg der Hebräer zurückblicken konnten, ihrem eigenen aber noch entgegenharren mussten und andererseits der Tatsache, dass Christus den eigentlichen Feind, den Satan, bereits besiegt hatte, und die Christen an diesem Sieg teilhaben sollten.613 (2) Gemäß einem geistigen Verständnis des Kampfes gegen die Philister handelt es sich bei den Feinden nicht (in erster Linie) um zeitliche, sondern um geistige. Unter diesen sind sowohl die Laster und Sünden, als auch die bösen Geister und Satan selbst zu verstehen. (3)  Je mehr sich die Christen um die Nachfolge Christi bemühen, desto intensiver setzen die Feinde sich zur Wehr. (4)  Die göttliche Hilfe ist in der Zeit der Quadragesima als sakramentale Teilhabe am Fasten und Kreuz Christi besonders wirksam, die bösartige Aktivität der Widersacher zwar genauso, doch Christus ist der stärkere.

2 Analyse von tract. 40 2.1 Historische Angaben Die Datierung der ersten und der zweiten Edition Der einzige Hinweis für die Bestimmung dieser Predigt für die Eröffnung der Quadragesima am ersten Sonntag ist die Formulierung „das Fasten der Quadragesima kündigt die Wiederkehr der gebührenden Zeit selbst an“ (ieiunium quadragesimae ipse legitimi temporis recursus indicat 1,2f). Aber auch der primäre Hinweis auf die Verlesung der Versuchungsperikope verweist auf das Datum des ersten Sonntags: „wie die Darstellung des Evangeliums offenlegte“ (sicut evangelica patefecit historia 3,48). Chavasse datiert die erste Edition gemäß der Abfolge der Predigten in den überlieferten Handschriften daher auf den ersten März 442.614 Für die Datierung der Überarbeitung konnten lediglich die dabei eingefügten christologischen Zusätze als Verweise auf die zeitgenössischen Herausforderungen herangezogen werden.

613 Vgl. tract. 37,2 (CChr.SL 138 201,30f): Tota enim victoria salvatoris, quae et diabolum superavit et mundum, humilitate coepta, humilitate confecta est; 70,6 (CChr.SL 138A 432,153-158): Quoniam in his qui apostolico exemplo castigant corpus suum et servituti subiciunt, idem hostes eadem fortitudine conterentur, et nunc enim a Christo vincitur mundus, et cum a servis eius quorumcumque vitiorum incentiva superantur, ipsius virtus est, ipsiusque victoria. 614 Siehe Historische Angaben.

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Hinweise auf historische Zusammenhänge in der Überarbeitung In tract. 40 finden sich in der zweiten Edition neben einer christologischen Ergänzung, vier Auslassungen, eine präzisierende Kürzung und drei geringfügigere Änderungen.615 Außerdem gibt es auch einen deutlichen Hinweis auf die kaiserliche Pascha-Amnestie für bestimmte Verurteilte. Christologische Ergänzung bzw. inhaltliche Filterungen und Kürzungen Bei den meisten dieser Veränderungen wird die Hervorhebung der Bedeutung der menschlichen Natur Jesu deutlich, sodass der Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Monopyhsitismus“ als wahrscheinlich anzunehmen ist. Die einzige christologische Ergänzung in 3,49β-52β erläutert den Sinn der Hungers Jesu mit dem Aufweis der menschlichen Natur. Tab. 14: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,49β-226,52β) qui erat verus Deus, ut verum se etiam hominem demonstraret, et impias opiniones totius erroris excluderet.

„(als unser Retter), der wahrer Gott war, (den Hunger…angenommen hatte), um darzulegen, dass er auch wahrer Mensch ist und um die gottlosen Annahmen allen Irrtums auszuschließen.“

Während Dolle616 diese Ergänzung als Absicherung gegen die Vereinnahmung von Arianern, Nestorianern, Eutychianern, Apollinaristen und Manichäern interpretiert, sieht Montanari darin vor allem eine Reaktion auf die Lehre des Eutyches.617 Von ähnlicher Brisanz zeugt die auf einen fünfzeiligen konjunktischen Gliedsatz verkürzte, ursprünglich 15-zeilige als Confutatio gestaltete Periode in 3,74β78β.618 Dolle wie Montanari vermuten wiederum eine Entschärfung bzw. eine Veränderung infolge von Leos Sensibilität für die christologische Streitfrage.619 615 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,63β-73β); 40,5 (CChr.SL 138A 230,135β-147β und 155β-158β). Letztere Änderung bezieht sich lediglich auf die Schlussdoxologie: per Dominum nostrum Iesum Christum, qui vivit et regnat cum Patre et Spiritu sancto in saecula saeculorum. Amen. Die beiden ersteren werden unten erwähnt. 616 Vgl. Dolle, Le Sermons en double Édition, in: RThAM 45 (1978) 14; 14f Anm. 31. 617 Vgl. Pratesi, Commento, 298. 618 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227, 3,74β-78β): ut veri hominis et veri Dei, et apud dolosas interrogationes inviolata esset humanitas, et apud sancta obsequia manifesta divinitas. 619 Weniger aufschlussreich sind hingegen die drei Tilgungen oder Auslassungen: Wenn man der Entfernung des Verweises auf das Weinwunder zu Kana in 3,60β-62β eine Bedeutung zuschreiben möchte, könnte sie mit der Fokussierung auf den

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Während Dolle in der ersten Edition vor allem die manichäische Lehre widerlegt sieht,620 hält Montanari die Abgrenzung vom Apollinarismus und vom Nestorianismus für wahrscheinlicher.621 In der zweiten Edition habe Leo den Monophysitismus vor Augen gehabt und alle Elemente in dieser Periode ausgeräumt, mit denen er die Vereinigung beider Naturen in Christus ausdrückte, um nun das Missverständnis der Vermischung beider Naturen deutlicher auszuschließen.622 Die in der Überarbeitung widergespiegelten christologischen Fragen machen die Datierung der zweiten Edition in jene Jahre wahrscheinlich, in denen Leo sich besonders mit Eutyches auseinandersetzte, sodass der Zeitraum von 449 bis 454 angenommen werden kann.623 Der Hinweis auf die kaiserliche Pascha-Amnestie Der Abschnitt  5,135α-148α ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen wurde er für die zweite Edition überarbeit624 und zum anderen spricht er von der Argumentations-Duktus des Sieges der menschlichen Natur Jesu (3,67fβ) erklärt werden. Die Streichung der ersten anaphorischen Parallelismen („wenn…wenn“ 5,123α-126α), die von der inneren Reinigung von der Konkupiszenz handeln, könnte konkret zugunsten der Konzentration auf die Versöhnung geschehen sein (vgl. Pratesi, Commento, 298; 300). Schließlich ist sind die Tilgungen von dilectissimi in 4,89β wie in 5,132β wird wohl schlicht der Sorge um die Leserfreundlichkeit zuzuschreiben sein (vgl. ibid., 299; Dolle. Le Sermons en double Édition, in: RThAM 45 [1978] 9), wie an anderen sechs Stellen der Predigten: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,74β); 22,1 (CChr.SL 138A 91,23β); 58,4 (CChr.SL 138A 344,98β); 58,4 (CChr.SL 138A 347,152β); 76,9 (CChr.SL 138A 485,209β); 82,2 (CChr.SL 138A 511,56β). Vgl. Chavasse, CChr.SL 139, CCI; Pratesi, Commento, 295. 620 Vgl. Dolle, Le Sermons en double Édition, in: RThAM 45 (1978) 31. 621 Vgl. Pratesi, Commento, 299. 622 Darauf deutet auch die Veränderung in tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,69β-71β) hin: et in omnibus artibus suis temptatore frustrato. Die Subjektstellung des in seiner Erwartung getäuschten Versuchers im Ablativus absolutus hebt den Angriff des Teufels auf die menschliche Natur deutlicher hervor, während in der ursprünglichen Version ein Passivum divinum herausgehört werden könnte (vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,68α-70α): et omnibus artibus callidi temptatoris elisis. 623 Vgl. Chavasse, CChr.SL 139, CCI; Pratesi, Commento, 295; Wyrwa, Dietmar: Art. Leo I., der Große, in: LACL2 (1999) 391: Wyrwa gibt das Jahr 454 für die Datierung der zweiten Sammlung an sowie 457/58 für eine letzte Erweiterung. 624 Vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 230,135β-147β) enthält dudum statt antiquitus; passionis et resurrectionis Christi statt dominicae passionis; multarum culparum reos faciunt statt reos praecipiunt und sit honoranda clementia statt supernae bonitatis imitatrix sit aemulanda clementia. Letztere Korrektur nimmt von der allzu löblich erwähnten clementia des Kaisers, die zur imitatrix der Güte Gottes stilisiert wird, Abstand. Dadurch wird dem deutlichen Zusammenhang mit dem Hortativ Imitemur in der übernächsten Zeile etwas an Brisanz genommen.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

kaiserlichen Praxis der Pascha-Amnestie für Verurteilte625 und zitiert diese mit vincla solvantur in 5,152 wohl bewusst wörtlich.626 Eine gewisse Aktualität erhält diese unter anderen Rechtsatzungen dadurch, dass sie im Codex Theodosianus erst im Jahr 439 für beide Reichshälften in Kraft getreten waren. Leos Argumentation baut darauf auf, dass diese Amnestie ein zu übertreffendes Vorbild für das Leben der Christen sein sollte. Während er nun in der ersten Edition scheinbar noch den Gedanken einer Generalabsolution für Verurteilte vermittelt (reos praecipiunt relaxari 5,142fα), trägt er in der zweiten Edition mit der Änderung „sie erwirken, dass jene freigesetzt werden, die an zahlreichen Vergehen schuldig sind“ (multarum culparum reos faciunt relaxari 5,142fβ) den Rechtssatzungen Rechnung.627 Die diesbezüglichen rechtlichen Bestimmungen aus den Jahren 367, 368, 381, 384 und 385 nehmen Schwerverbrecher und Unverbesserliche nämlich stets aus.628 Eine weitere Präzisierung bezüglich der historischen Tatsachen könnte auch durch die Ersetzung von „von alters her“ (antiquitus) durch „schon lange“ (dudum 5,135fβ) erfolgt sein, da ersteres Adverb auch mit der Zeit vor Christi Geburt assoziiert wird.

2.2 Literarische Form In tract. 40 sind die Strukturelemente einer antiken Rede deutlicher zu erkennen als in anderen Quadragesima-Predigten. Dazu gehören nicht nur der für Predigten typische Eröffnungs- und Schlussteil, Exordium und Peroratio, sondern auch eine Narratio sowie eine in Confirmatio und Confutatio zu untergliedernde Argumentatio.

625 Diesen Hinweis gibt es auch in tract. 45,4 (CChr.SL 138A 267f,112-115) und tract. 47,3 (CChr.SL 138A 277f,92-97). 626 Die rechtlichen Bestimmungen aus dem Jahre 385 sehen eine Pascha-Amnestie vor: vgl. Cod. iur. civ. 1,4,3 (Krueger 40): Ubi primum dies paschalis extiterit nullum teneat carcer inclusum, omnium vincla solvantur. Vgl. Pratesi, Commento, 300f; Chavasse, CChr.SL 138A, 231. 627 Dennoch betont Leo die Größe der Vergebung vor dem Gewicht der persönlichen Schuld (47,3 [CChr.SL 138A 278,97-101]): Quantaelibet enim existant causae offensionis, ab homine tamen in hominem non tam delicti magnitudo quam naturae est cogitanda communio, ut de iudicio, quo alterum iudicat, misericordiam Dei iudicantis obtineat. 628 Vgl. Cod. Theod. 9,3f; 6f (Mommsen 496f). Vgl. Pratesi, Commento, 300.

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2.2.1  Exordium: 1,1-8 Die klassische captatio benevolentiae im Exordium ermutigt alle Adressaten, die saumseligen (pigri 1,5) wie die frommen (devoti 1,5), die folgende Ermunterung bewusst aufzunehmen und das Fasten der Quadragesima (ieiunium quadragesimae 1,1α) mitzuvollziehen. Mit seiner Ermunterung (cohortatio 1,3) möchte Leo mehr bieten als auf die Fastenzeit hinzuweisen, denn diesen Dienst übernehme der Festkalender selbst bereits (ipse legitimi temporis recursus indicat 1,3).629 Es geht ihm vielmehr darum, seine Adressaten gemäß der inneren Struktur der Quadragesima (ratio istorum [horum β] dierum 1,6) für die peniblere Erfüllung der religiösen Pflichten insgesamt (omnis observantia630 1,6) zu begeistern (incitare 1,8).

2.2.2  Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio, Confutatio Im Hauptteil gibt es naturgemäß einige Unterschiede zu klassischen Reden. Der Prediger knüpft schließlich an eine Schriftlesung an, die besonders bei Leo als die eigentliche Narratio zu verstehen ist.631 Es geht nicht um den Bericht eines Tathergangs, dem die Beweisführung folgt wie im genus iudiciale, sondern um die Auslegung und Aktualisierung der zuvor verlesenen kanonischen Texte. Wenn Leo sich dafür entscheidet, die Confirmatio unmittelbar an das Exordium anzuschließen (1,8-2,31) und sie durch einen Schriftbeweis aus der Tageslesung (2Kor 6,2) zu belegen (1,24f) sowie die Narratio des in der Defensive befindlichen und daher wütenden Satans (2,32-45) mit der Versuchung Jesu (Mt 4,1-11) zu erhellen (3,46-72α/78β), entspricht das gerade seinem Verständnis der eigentlichen Beweisführung, die durch die Confutatio abgeschlossen wird (3,74α-88α). Confirmatio: 1,8-31 1,8-22: Die Schwäche der menschlichen Natur Die Confirmatio, die eine für Leo gesuchte Dichte an Argumentation ohne Schriftzitate enthält, bereitet den Bezug auf die Tageslesung (2Kor 6,1-10) im Transitus vor (2,23-31). 629 Sehr ähnlich beginnt Augustinus in serm. 206,1 (PL 54 1041,2-10): Anniversario reditu Quadragesimae tempus advenit, quo vobis exhortatio nostra debetur…verumtamen et illos qui diebus aliis in his pigri sunt, debet ista solemnitas excitare; et ii qui per alios dies ad ista sunt alacres, nunc ea debent ferventius exercere. 630 Vgl. Mueller, The Vocabulary, 100: „observantia: the observane of religious duties“. 631 Immer wieder gibt es von Leo auch dezidierte Hinweise dazu (vgl. Studer, Schola christiana, 106): vgl. tract. 51,1 (CChr.SL 138A 296,6-10); 52,1 (CChr.SL 138A 307,16); 66,1 (CChr.SL 138A 400,1-5); 70,1 (CChr.SL 138A 426,1-4).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Im fließenden, explikativen Übergang (enim: „nämlich“ 1,8) vom Exordium zur Confirmatio wird die angekündigte „Ermunterung“ (cohortatio 1,3) bereits ins Werk gesetzt. Leo geht zunächst von der menschlichen Natur aus (natura enim nostra 1,8), die unbeständig sei (mutabilis 1,9) und in Bezug auf das Streben nach den Tugenden (virtutum studium 1,10) immer nachlassen (recedere 1,11) wie auch wachsen könne (crescere 1,11). Daher entspreche den gefestigten Menschen (perfectorum vera iustitia 1,12) das Bewusstsein, dass sie noch nicht vollendet (perfecti 1,13) seien und ohne ein Bemühen um den Fortschritt im Glaubensleben (proficiendi…adpetitus 1,14f) Gefahr laufen, kraftlos zu werden (deficiendi periculum 1,14). Daher sollten sich alle ohne Unterschied nach dem bisher Unerreichten ausstrecken und ihre Bemühungen steigern. Denn, wer seinen Einsatz in der Quadragesima (in his diebus 1,22) nicht erhöhe, sei auch zu anderen Zeiten zu wenig gewissenhaft (Parum enim religiosus 1,21). 2,23-31: Transitus: Die besondere Zeit der Gnade Die oben begonnene Charakterisierung der Quadragesima als besondere Zeit wird mit „Daher“ (Unde 2,23) weitergeführt und mit dem entsprechenden biblischen Bezug 2 Kor 6,2 belegt,632 der aus der Tageslesung (lectio 2,23) stammt: „Siehe, jetzt ist die gnadenreiche Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils“ (Ecce nunc tempus acceptum, ecce nunc dies salutis 2,24f). Durch die rhetorische Frage, die diesen Vers aktualisiert,633 verdeutlicht Leo, dass Gnade und Heil vor allem in der Aufnahme des Kampfes gegen die Laster (bellum vitiis indicitur 2,26) bestehe und im Voranschreiten in den gelebten Tugenden (virtutum profectus 2,27). Auf diese passiv formulierte Kriegserklärung an die Laster folgt die Anrede „christliche Seele“ (o anima christiana 2,27f), durch die der Christ zur gegenwärtig besonders geforderten Wachsamkeit vor den Versuchungen des Satans ermahnt wird. Dieser gehe jetzt (modo 2,29) nämlich besonders intensiv zu Werke (acriore saevit invidia 2,31). In der Narratio erläutert Leo den Grund für die gesteigerte Angriffslust des Feindes. Narratio: 2,32-3,88α 2,32-45: Der Entscheidungskampf zwischen Getauften und dem Satan Der Antagonist von Leos Adressaten wird bereits in der Confirmatio als Widersacher (adversarius 2,28) und als Feind (hostis 2,31) bezeichnet, doch erst mit 632 Die biblische Füllung des bereits in der Traditon bekannten Gedankenganges der besonderen Zeit der Quadragesima ist ebenso möglich, da Augustinus diesen Gedankengang bereits ausführte, ohne dass es einen Hinweis auf die Schriftstelle 2 Kor 6,2 gäbe: vgl. serm. 206,1 (PL 54 1041,9f): et ii qui per alios dies ad ista [orationes, ieiunia, eleemosyna] sunt alacres, nunc ea debent ferventius exercere. 633 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 25-27): Quid enim acceptius hoc tempore, quid salubrius his diebus, in quibus bellum vitiis indicitur et omnium virtutum profectus augetur?

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der Ausfaltung von 2 Kor 6,2 „Jetzt nämlich“ (Nunc enim 2,32) beginnt der heilsgeschichtlich-deskriptive Teil des weltweiten Machtverlustes des Satans (toto mundo potestas ei…aufertur 2,32f), der sich auf dessen alte Herrschaft der Sünde und des Todes (antiqua dominatio 2,32) sowie auf die Instrumente der Knechtschaft (captivitatis vasa634 2,33) bezieht. Die Völker kündigten diesem Räuber (praedo 2,34) die Gefolgschaft auf und jedes Menschengeschlecht widerstrebe dessen Weisungen (tyrannici leges 2,36). Zu dieser globalen Wende führe die Vorbereitung der vielen Tausend auf Ostern, die in Christus neu geboren werden (regeneranda in Christo 2,37). Die aktuelle Reaktion des Satans auf diese Entwicklung bestehe in seiner rasenden und gottlosen Wut (Fremit ergo…impius furor 2,39f) und in der Suche nach einem neuen Angriffspunkt beim Menschen (novum…lucrum 2,40). Daher suche er ohne Ruhe (indefessus et pervigil 2,41) nach Gläubigen, die sich unbedacht von der heiligen Schar entfernen (oves a sacris gregibus neglegentius evagantes635 2,42), um sie durch ihre Leidenschaften (per proclivia voluptatum 2,43) und ihre Genusssucht (per devexa luxuriae 2,43) in seine tödliche Einkehr zu führen (in diversoria mortis 2,43f). Seine Angriffe erfolgen gemäß 2,44f durch die Ermunterung zu Regungen des Zornes (irae), des Hasses (odia) und der Begierden (cupiditates), außerdem durch die Verhöhnung der Enthaltsamkeit (continentia) und durch die Anstachelung zu dessen Gegenteil, zur Genusssucht (gula). 3,46-72α/78β: Die Auslegung von Mt 4,1-11 In der rhetorischen Frage636 der Überleitung zur konkreten Auslegung des Tagesevnageliums wird die Entschlossenheit des Satans, alle Menschen zu versuchen,

634 Dolle vermutet, dass Leo die Stellen Mt 12,29 (vasa; diripere; alligaverit bzw. Mk 3,17) und Lk 11,22 (arma; auferet) kombinierte: vgl. idem, SC 49bis, 81f Anm. 3; Pratesi, Commento, 297. Leo verwendet vasa noch an zwei anderen Stellen (Unterstrichenes stimmt wörtlich überein): vgl. tract. 22,4 (CChr.SL 138A 97,172fα): ligato mundi principe captivitatis vasa rapiuntur; 70,4 (CChr.SL 138A 429,86f: Quamvis enim forti et crudeli tyranno per potentiam crucis Christi vasa antiquae depraedationis erepta sint. 635 Der Satan habe das ius antiquum (vgl. tract. 40,2 [CChr.SL 138A 225,41]) verloren und kein Gefolge mehr, er könne nur mehr einzelne Abtrünnige verführen, was auch seine Niederlage bekräftige (vgl. Pratesi, Commento, 297). Vgl. tract. 70,4 (CChr.SL 138A 430,90-93): et multis modis eos in quibus non regnat inpugnat, ut si quas animas neglegentes inprudentesque reppererit, saevioribus eas laqueis rursus innectat, et a paradico Ecclesiae raptas in consortium suae damnationis inducat. 636 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,46f): Quem enim temptare non audeat, qui nec ab ipso Domino nostro Iesu Christo conatus suae fraudis abstinuit?

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an dessen Dreistigkeit erläutert, seine betrügerischen Versuche (conatus suae fraudis 3,47) selbst an Christus erprobt zu haben. Christus habe gemäß der Schrift (sicut evangelica patefecit historia 3,48) nach dem Fasten von 40 Tagen und Nächten den Hunger zugelassen, um auf seine menschliche Natur hinzuweisen (ut verum se etiam hominem demonstraret 3,49fβ). Über diese Schwäche habe sich der Satan gefreut (gavisus 3,54), da sie ihm die Gewissheit vermittelt habe, dass Christus ein reiner Mensch sei. Die Zweifel, die ihm dennoch blieben, wollte er durch die Erforschung der gefürchteten, göttlichen Vollmacht (exploraret potentiam quam timebat 3,56) und durch die Forderung der ersten Versuchung (vgl. Mt 4,3) ausschließen, da diese nur Gott erfüllen konnte. Der Allmächtige (Omnipotens 3,57) habe zwar die Fähigkeit zur Verwandlung von Steinen in Brot gehabt, wie das Weinwunder von Kana bestätige (3,60α-62α), doch forderte die Heilsordnung eher, bei seinem Sieg auf den offenkundigen Beweis seiner göttlicher Vollmacht zu verzichten (potentia Deitatis 3,66α), um durch das Mysterium seiner Menschheit (humilitatis mysterium 66fα) zu siegen. Da der Satan in die Flucht geschlagen und die Künste des schlauen Versuchers auf diese Weise zerschmettert waren (artibus callidi temptatoris elisis 3,69fα), kamen die Engel und dienten ihm (3,70-72; vgl. Mt, 4,11). 3,74α-88α: Confutatio Die Ausdeutung des Engelsdienstes und des Hungers Jesu verbindet Leo mit einer Confutatio, in der er die Leugner der beiden Naturen Christi als Söhne und Schüler des Teufels (filii diaboli atque discipuli 3,74fα) bezeichnet. Diese würden den doppelten Beleg aus dem Evangelium (geminum documentum 3,83α) ignorieren, dass der Hunger Jesu (fames 3,85α) von dessen Menschheit und der Engelsdienst (famulantes angeli 3,86f) von dessen Gottheit Zeugnis gebe.

2.2.3  Peroratio: 4,89-5,158β 4,89-119: Die Einladung, Jesus im Fasten und durch Werke zu folgen Wie viele Predigten endet auch diese mit einer zusammenfassenden und die Affekte ansprechenden637 Schlussmahnung zur praktischen Umsetzung des Gehörten im eigenen Leben.638 Sie zerfällt in zwei Teile. Im ersten Teil (4,89119) werden die Adressaten zu den Werken der Barmherzigkeit aufgefordert, im 637 Vgl. Studer, Schola christiana, 107; Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 236 [§ 431]-244 [§ 444]. 638 Vgl. tract. 28,6f (CChr.SL 138 144f,121-149).

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zweiten (5,120-158β) geht es vor allem um die Reinigung von Leidenschaften, um Vergebung und Versöhnung. Mit dem kausalen Einleitungssatz Quia ergo, dilectissimi (4,89) nimmt Leo auf die ganze Predigt Bezug, um Jesu Belehrung zu unterstreichen, dass der Mensch nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund lebe. Daraus folgt nun der Appell an die Adressaten, Christus darin zu folgen und durch das Fasten nicht den Körper zu schwächen und die Habgier (avaritia 4,99) zu nähren, sondern in der wohlwollenden Gesinnung (benivolentia 4,99f) zu wachsen. Das Ziel dieser Haltung sei die Zugehörigkeit zu den Seliggepriesenen, die nach der Gerechtigkeit dürsten. Daher gelte es auch die Werke der Barmherzigkeit (opera pietatis 4,102) zu üben. Die Speise für die Ewigkeit (ad aeternitatem 4,103) bestehe in der Speisung der Armen, der Bekleidung der Nackten und in der Hingabe an die Kranken, Schwachen, Heimatlosen, Verwaisten und Witwen. Niemand sei zu wenig bemittelt (parvus…census 4,111f), der eine großherzig Gesinnung habe (magnus animus 4,112). Das Maß an Zuwendungsmöglichkeit (mensura pietatis 4,113) hänge nämlich nicht vom eigenen Vermögen ab. Der Unterschied zwischen Arm und Reich sei dann unerheblich, wenn die Herzensregung der Wohltäter (affectus operantium 4,119) die gleiche sei. 5,120-158β: Die Einladung zur Vergebung und zur Versöhnung Der zweite Teil der Peroratio beginnt mit der Differenzierung von dem oben genannten Betätigungsfeld der Tugenden (oportunitas virtutum 5,120f) und anderen Bereichen, in denen alle ohne finanziellen Aufwand aktiv werden können. Hass, Feindschaft, Zorn und Unrecht sollen der Liebe, dem Frieden, der Seelenruhe und der Sanftmut weichen. Herren sollen in ihrer Macht über ihre Diener milder und die Diener eifriger in ihrem Dienst sein. In 5,131-134 formuliert Leo bereits eine deutliche Conclusio: In der Erfüllung dieser Aufträge (Hac igitur observantia 5,131) erfahre der Mensch die Barmherzigkeit Gottes (misericordia Dei 5,132f), die Vergebung seiner Sünden und gehe eine würdigen Osterfeier entgegen. Nach dem Hinweis auf das zu übertreffende Vorbild der Pascha-Amnestie der römischen Kaiser in 5,135-154 wird die Predigt mit der Schlussdoxologie beschlossen (5,155fα/5,155β-158β).

2.2.4  Gliederung Nach den bisherigen Ausführungen lässt sich die Predigt in fünf Teile gliedern:639 (1) Exordium 1,1-8, (2) Confirmatio (1,8-31), (3) Narratio (2,32-3,88α) und Peroratio (5,139-6,214β): 639 Nach der Gliederung von Pratesi, der den Transitus und die Confutatio nicht anführt (idem, Commento, 295).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Tab. 15: Gliederung von tract. 40 Exordium: Confirmatio: Transitus: Narratio: Confutatio: Peroratio:

1,1-8: Die Zuversicht des Predigers, dass seine Ermahnung, die Fastenzeit in rechter Weise zu nützen, dankbar aufgenommen wird 1,8-31: Die Schwäche der menschlichen Natur 2,23-31 Das gesteigerte Bemühen um ein gottesfürchtiges Leben in der Zeit der Gnade und die Versuchungen des Satans 2,32-3,88α: Die Aktualisierung der Wende in der Heilsgeschichte 2,32-45: Der Entscheidungskampf zwischen Getauften und dem Satan 3,46-72α/78β: Die Auslegung von Mt 4,1-11 3,74α-88α: Die Versuchung Jesu bestätigt die Lehre der beiden Naturen 4,89-5,158β: Die Umsetzung der Belehrung Jesu 4,89-119: Die Einladung, Jesus im Fasten und durch Werke zu folgen 5,120-158β: Die Einladung zur Vergebung und zur Versöhnung

Die Anrede dilectissimi kann auch in tract. 40 zur Systematisierung der Rede herangezogen werden. Zweimal leitet diese Anrede einen Abschnitt der Predigt ein (Exordium und Peroratio) und einmal unterteilt sie die Peroratio. Die beiden anderen Stellen konkretisierten das zuvor Gesagte bzw. fassen es zusammen: Exordium: Licet nobis, dilectissimi (1,1) Konkretisierung eines einzelnen Gedankens:  Quia ergo nemo nostrum dilectissimi (1,15) Peroratio: Quia ergo, dilectissimi (4,89) Zur Unterteilung der Peroratio: In ista autem, dilectissimi (5,120) Zusammenfassende Erklärung: Hac igitur observantia, dilectissimi (5,131)

2.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts 2.3.1  Rhetorische Analyse des Transitus: 2,23-31 Die in der Formanalyse als Transitus benannte Textstelle 2,23-31 stellt den Übergang von der Confirmatio (1,8-22) zur Narratio (2,32-3,88α) dar. In diesem wird die Notwendigkeit der besonderen quadragesimalen Vorbereitung durch die Zitation des Verses 2 Kor 6,2640 ausgedrückt, der Teil der Tageslesung war (lectio…insonuit: „die Lesung ertönte“ 2,23f). Andererseits leitet der Transitus die narrative Aktualisierung dieses Verses ein, in der die gegenwärtigen Herausforderungen als Kampf gegen den Satan stilisiert werden (2,32-45).

640 2 Kor 6,2: Ecce nunc tempus acceptum, ecce nunc dies salutis.

Analyse von tract. 40

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Tab. 16: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,23-31) A

B

23 23f 24 24f 25 25f 26 26f 27f 28 29 29-31 31

Unde opportune áuribus nóstris (P 1 δ) lectio apostolicae praedicationis insónuit dícens (P δ) Ecce nunc témpus accéptum, (P 1 γ) ecce nunc díes salútis. (P γ) Quid enim accéptius hoc témpore, (ton. Äquiv. 22 δε) quid salúbrius his diébus, (V δε) in quibus bellum vítiis indícitur (ton. Äquiv. 22 δ) et omnium virtutum proféctus augétur? (P 1 γ) Semper quidem tibi, o ánima christiána (V 3 δ) vigilandum contra salutis tuae adversárium fúit, (P δ) ne ullus pateret locus temptatóris insídiis, (T 13 γ) sed modo tibi maior cautio et sollicitior est adsuménda prudéntia (T γ) quando idem hostis tuus acriore sǽvit invídia. (T 13 γ)

(23f) Daher kam uns die Verlesung der Verkündigung des Apostels zu einer guten Stunde zu Gehör, die da sagt: (24f) Siehe, jetzt ist die gnadenreiche Zeit, siehe, jetzt sind die Tage des Heils. (25f) Was ist nämlich gnadenreicher als diese Zeit, was heilsamer als diese Tage, (26f) in denen den Lastern der Krieg erklärt und der Fortschritt in allen Tugenden vorangetrieben wird? (27f) Zwar hättest du, christliche Seele, gegenüber dem Widersacher deines Heiles immerdar wachsam sein müssen, (29) um den Hinterhalten des Versuchers keine Blöße zu bieten, (29-31) aber jetzt eben musst du dich einer größeren Vorsicht und einer sorgsameren Klugheit bedienen, (31) da auch dein Feind mit leidenschaftlicherer Missgunst wütet.

Gliederung Der Abschnitt kann in zwei Teile gegliedert werden:  (A) Die Auslegung des Schriftbeleges (23-27) und (B) die besondere Qualität des Kampfes gegen den Satan anlässlich der Quadragesima (27-31). Erste Beobachtungen Mit 2 Kor 6,2 ist der zentrale Inhalt der aktuellen Heilszeit vorgegeben, der mit einer großen Zahl an rhetorischen Stilmitteln entwickelt und für die narrative Aktualisierung aufbereitet wird. Dazu nimmt Leo den biblischen Parallelismus in 25f und 26f auf. Das biblische „jetzt“ (nunc) wird in 2,27-31 in Form einer Antithese ausgefaltet, um die gewöhnliche Zeit des Alltags von der Gnade der Gegenwart zu unterscheiden: „Zwar…immerdar…, aber jetzt eben…“ (Semper quidem…, sed modo…). Rhetorische Detailanalyse Die rhetorische Frage spiegelt mit Quid…quid (25f) zunächst den anaphorischen Aufbau Ecce…ecce (24f) und mit acceptius hoc tempore sowie mit salubrius his diebus den parallelen und konzisen Aufbau der biblischen Ellipse von

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

2 Kor 6,2 wider, wobei die Syntax chiastisch aufgenommen wird: nunc tempus acceptum ― acceptius hoc tempore und nunc dies salutis ― salubrius his diebus (24-26). Entgegen einem rhythmischen Kalkül (ohne schlussstarke Klausel) hebt Leo an der betonten letzten Stelle der Satzteile die gegenwärtige Zeit hervor (hoc tempore; his diebus) und weitet den im Singular verwendeten Tag des Heils (dies 25) auf die Tage der Quadragesima aus (diebus 26; 22). Diese Lesart des biblischen „Tages des Heils“ ist zwar möglich, entspricht aber weder dem von Paulus aktualisierten Schriftzitat (in die salutis 2 Kor 6,2; vgl. Jes 49,8), noch dem Singular der griechischen Vorlage (ἰδοὺ νῦν ἡμέρα σωτερίαϛ 2 Kor 6,2), und ist daher als bewusste, wohl bereits vor Leo bekannte Aktualisierung zu interpretieren.641 In den durch „und“ (et 26f) verbundenen Relativsatzteilen wird die besondere Qualität dieser Zeit durch die gewissermaßen chiastisch angeordnete Antithese „Krieg den Lastern“ (bellum vitiis) und „Fortschritt in allen Tugenden“ (omnium virtutum profectus 26f) benannt. Mit dem Homoioteleuton indicitur und augetur (2,26f) bleibt Leo nicht nur ein weiteres Mal bei der parallelen Struktur, sondern führt den ganzen Satz auch zu einem rhythmischen Abschluss (P1γ). Die folgende Periode mit der Anrede „christliche Seele!“ (o anima christiana 27f) weist fünf Kola auf, von denen das erste, dritte und letzte mit einer schlussstarken Klausel abgeschlossen sind (V3δ, T13γ, T13γ). Begünstigt werden diese durch die bewusst gewählte Syntax, in der etwa die Prädikate an unterschiedlichen Positionen stehen (pateret und saevit 29; 31). Als tragende Struktur sind die Antithese Semper quidem…, sed modo, der Parallelismus maior cautio und sollicitior…prudentia sowie das rhythmisch abschließende Homoioteleuton prudentia und invidia (27-31) zu nennen, das die Klugheit als plausibles Mittel gegen den Neid des Satans erkennen lässt. Unter den Hyperbata sind besonders die syntaktisch Anordnungen vigilandum…fuit und contra…adversarium (28) erwähnenswert, da sie eine inhaltliche Aussage zum Ausdruck bringt: Das nach dem biblischen Kernsatz 2 Kor 6,2 in diesen Tagen zu erlangende Heil ist hier in der Mitte des Kolons angelegt (salutis tuae) und wird auf der einen Seite durch die beständig zu übende Wachsamkeit (vigilandum) und auf der (syntaktisch) anderen Seite von dem Widersacher (adversarium) gerahmt, der dieses Heil streitig zu machen versucht. In der Auftrennung des Gerundivs (vigilandum… fuit), das die in der Vergangenheit nicht immer erfolgte Wachsamkeit einfordert, kann unter diesen Vorzeichen die Abbildung des noch zu bestreitenden Weges in der Heilsgeschichte gesehen werden. Eine ähnliche syntaktische Abbildung

641 Maximus von Turin etwa zitiert 2 Kor 6,2 bereits in einer Quadragesima-Predigt: vgl. serm. 35,1 (CChr.SL 23 136,2-4).

Analyse von tract. 40

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des Inhalts kann bei ne ullus pateret locus („damit nicht irgendein Ort offensteht“ 29) angenommen werden, da in der Lücke zwischen den zusammengehörenden Gliedern „irgendein“ und „Ort“ das Verb „offenstehen“ plaziert ist. Ist die Zurüstung für den geistigen Kampf angesichts der verschiedenen Bedrängnisse bereits in der „zu guter Stunde“ (opportune 23)  erklungenen Lesung 2 Kor 6* enthalten, so ergibt sich der konzentrierte Blickwinkel auf die Identifizierung des Versuchers als die eigentliche Bedrohung erst vom Tagesevangelium Mt 4,1-11 her. In diesem Kontext verwendet Leo drei verschiedene Bezeichnungen für den Satan:  „Widersacher“ (adversarius 28), „Versucher“ (temptator 29), „Feind“ (hostis 31). In den Formulierungen „Nachstellungen des Versuchers“ (temptatoris insidiae 29)  und „derselbe / auch dein Feind“ (idem hostis tuus 31)  ist auch eine heilsgeschichtliche Entwicklung vom Sündenfall, über auf die Erlösung vorausweisende Versuchung Jesu bis zu den gegenwärtigen Versuchungen angedeutet. Zusammenfassung Die Erläuterung von 2 Kor 6,2 weist im Transitus eine souveräne Verwendung der Stilmittel auf, sodass der biblische Inhalt sich in ihnen und durch sie erschließt. Leo aktualisiert den Vers dabei auch mit dem Motiv der Nachstellungen des Versuchers aus dem Tagesevangelium, um seine Adressaten für die bevorstehende, religiöse Aufgabe in der Quadragesima geistig vorzubereiten. Diese Aktualisierung geschieht auf Grundlage der Aufnahme des parallelen Aufbaues von 2 Kor 6,2 und der antithetischen Ausdifferenzierung der gegenwärtigen Zeit der Gnade, aber auch durch Homoioteleuta. Durch die Wortstellung unterstützt Leo nicht nur die rhythmischen Kola-Enden, sondern lässt bisweilen auch die semantische Dimension der Syntax erkennen.

2.3.2  Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,47-88α Da die zusammenhängende Aktualisierung von Mt 4,1-11 (3,47-88α) als Erläuterung der Versuchungsgeschichte (3,47-72α) und als Confutatio (3,74α-88α) gestaltet ist, wird sie in zwei Teilen analysiert. Die Erläuterung der Versuchungsgeschichte: 3,47-72α Dieser Abschnitt beschreibt (1)  den Hergang der ersten Versuchung (47-57), (2) begründet, warum Jesus dem Satan dabei nicht willfuhr (57-67) und (3) gibt schließlich den Abschluss der Versuchungsperikope wieder (68-72α). Liturgiehistorisch interessant ist besonders der sprachliche Hinweis auf die zuvor erfolgte Verlesung des Evangeliums Mt 4,1-11:  „wie der Tatsachenbericht des Evangeliums offenlegte“ (sicut evangelica patefecit historia 3,48).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Tab. 17: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,47-227,72α) 47f 48 53 53f 54 55 56 B 56f 57 57f C 58 58 58f 59 60fα 61fα 63fα 64fα 65fα 66fα D 68α 68fα 70-72α A

Nam, sicut evangelica patefécit história, (T 13 γ) cum Salvátor nóster (ton. Äquiv. Ditrochäus) post quadraginta dierum noctiúmque ieiúnium, (T 2 γ) infirmitatis nostrae in se recepísset esúriem, (T 13 γ) gavísus diábolus (T γ) signum se in eo passibilis átque mortális (P 1 γ) invenísse natúrae, (P 1 γ) ut exploraret poténtiam quam timébat, (V 3 δε) Si Filius, ínquit, Déi es, (P γε) dic ut lapides isti pánes fíant. (ton. Äquiv. Ditrochäus) Poterat utique ístud Omnípotens, (T 13 γ) Et fácile érat (P δ) ut ad Creatóris impérium (T 13 γ) in quam iuberétur spéciem (unrhythm.) cuiuslibet generis creatúra transíret, (P 1 γ) sicut, cum voluit, in convívio nuptiáli (V 3 δ) aquam mutávit in vínum, (P 1 γδ) sed hoc magis salutiferis dispensatiónibus congruébat (V 3 δ) ut nequissimi hóstis astútia, (T 2 γ) non poténtia Deitátis, (V δ) sed humilitatis mystério vincerétur. (V 3 δ) Denique fugáto diábolo, (T γ) et omnibus artibus callidi temptatóris elísis, (P 1 γ) accesserunt ad Dominum angeli et ministábant éi. (ton. Äquiv. Ditrochäus)

(47f) Denn ‒ wie der Tatsachenbericht des Evangeliums offenlegte ‒ (48) als unser Erlöser (53) nach dem Fasten von 40 Tagen und Nächten (53f) den Hunger unserer Schwachheit in sich zugelassen hatte, (54) freute sich der Satan, (55) dass er in ihm ein Zeichen unserer leidensfähigen und sterblichen Natur gefunden hatte, (56) sodass er jene Macht zu ergründen suchte, die er fürchtete. (56f) Er sagte: „Wenn du Gottes Sohn bist, befiehl, dass die Steine zu Broten werden!“ (57f) Freilich hätte der Allmächtige das tun können (58) und es wäre ein Leichtes gewesen, dass das Geschaffene auf den Befehl des Schöpfers hin (59) in jede beliebige Gestalt wunschgemäß übergehe, (60-62) sowie er beim Hochzeitsmahl Wasser in Wein verwandelte, sobald er es nur wollte. (63f) Aber es entsprach den heilbringenden Bestimmungen mehr, (64f) dass die List des liederlichsten Feindes (65f) nicht durch die Macht der Gottheit, (66f) sondern durch die Heilswirksamkeit der Niedrigkeit überboten wurde. (68) Als der Satan endlich in die Flucht geschlagen (68f) und alle Ränke des schlauen Versuchers zermalmt waren, (70-72) traten Engel zum Herrn heran und dienten ihm.

Gliederung Der Abschnitt kann in vier Teile gegliedert werden: (A) Schriftgemäße Schilderung und Deutung der Ausgangslage der ersten Versuchung (47-56), (B) Die erste Versuchung (56-58), (C) Defensio und Erläuterung des Verzichts auf den Machtbeweis des Verwandlungswunders (58-67) und (D) Zusammenfassung des

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Sieges Jesu über den Satan und die schriftgemäße Schilderung des Schlusses der Versuchungsgeschichte (68-72). Erste Beobachtungen Deutlicher als in Leos anderen Auslegungen von Mt 4,1-11 ist hier die Form eines Kommentars der Schriftstelle erkennbar. Der erste Teil (A) wird aus Mt 4,2 (48-54) entwickelt, der dritte Teil (C) aktualisiert das Zitat Mt 4,3 (46-58) und der vierte Teil (D) bezieht sich in der Schilderung des Sieges Jesu auf Mt 4,4-10 (68f) bevor Mt 4,11 teilweise zitiert wird (70-72). Erläutert wird dieses Zitat sowie Mt 4,2 in der Confutatio (84α-88α).642 Rhetorische Detailanalyse Unter den Stilfiguren sind in diesem Abschnitt besonders die beiden Chiasmen erwähnenswert, mit denen auf die Naturen Christi hingewiesen wird (53-55; 65α-67α). Zunächst wird auf diese Weise der Hunger als Zeichen der menschlichen Natur Christi ausgedrückt: infirmitatis…esuriem, gavisus diabolus signum… naturae (53-55). Die nicht biblisch bezeugte Freude des Satans (gavisus diabolus) über diese Erkenntnis leitet Leo wohl aus der daraus resultierenden Handlungsoption für die erste Versuchung ab, die er zugleich als Untersuchungsdurchgang zur Identifizierung der Person Jesu als Mensch versteht (ut exploraret 56). Doch dem Satan bleibt offenbar verborgen, dass der Erlöser (Salvator 48) ebenso als wahrer Gott zu begreifen ist, wie Leo durch die Charakterisierung Christi durch „Macht“ (potentia 56), „Allmächtiger“ (Omnipotens), „Schöpfer“ (Creator 58) und schließlich durch „Herr“ (Dominus 71α) verdeutlicht.643 Die Hoheitstitel Omnipotens und Creator verwendet Leo außerdem, um nach dem direkten Zitat der ersten Versuchung aus Mt 4,3 darauf hinzuweisen, dass Christus die Brotverwandlung hätte durchführen können. Dazu nutzt er die betonte erste und letzte Stelle in den Kola: Poterat…Omnipotens / et facile erat /… ad Creatoris imperium / …transiret (57-59). Mit der figura etymologica von Creator und creatura suggeriert er die Plausibilität der Vollmacht (imperium) Christi über die Elemente. Schließlich führt er auch er das exemplum des Weinwunders als Argument an (vgl. Joh 2,1-10), bei dem er den Übergang vom Wasser in den Wein sprachlich mitvollzieht (aquam mutavit in vinum 61fα).

6 42 Vgl. die nachfolgende Textanalyse. 643 In der Überarbeitung charakterisiert Leo den Erlöser (Salvator) unmissverständlich als wahren Gott und wahren Menschen: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,49β52β): qui erat verus Deus, ut verum se etiam hominem demonstraret, et impias opiniones totius erroris excluderet.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Mit dem zweiten Chiasmus setzt Leo Christi siegreiche Strategie des Verzichts auf die Brotverwandlung zugunsten des Heilsplanes (salutiferis dispensationibus 63fα) in einer kraftvollen Antithese ins Wort. Der Sieg sei nicht im Aufbieten der göttlichen Vollmacht, sondern in der heilswirksamen Niedrigkeit errungen worden: non potentia Deitatis, sed humilitatis mysterium (65α-67α). Worin diese Niedrigkeit allerdings besteht, ergibt sich nur implizit durch den Verzicht Christi auf seine göttliche Vollmacht bzw. durch Jesu Antwort in Mt 4,4644, die erst zu Beginn der Peroratio nachgetragen wird, um die Bedeutung des Fastens zu belegen: Tab. 18: tract. 40,4 (CChr.SL 138A 227,89-228,91) Quia…Redemptoris nostri magisterio edocti sumus, non in solo pane vivit homo, sed in omni verbo Dei, prompta devotione et alacri fide suscipiamus sollemne ieiunium.

Da wir durch die Lehre unseres Erlösers unterrichtet wurden ‒ nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort Gottes ‒ wollen wir das alljährliche Fasten mit bereitwilliger Hingabe und freudigem Glauben auf uns nehmen.

Die humilitas645 („Niedrigkeit“, „Demut“ 64fα) Christi entspreche jedenfalls dem göttlichen Plan (dispensationes 64α), der in der Inkarnation seinen Anfang genommen habe. Der dritte Teilabschnitt führt mit zwei Ablativi absoluti lediglich zusammenfassend aus, dass der Satan nach dem Scheitern seiner Listen in die Flucht geschlagen war (vgl. Mt 4,11:  „Dann verließ ihn der Satan“), bevor Leo den Abschluss der Perikope Mt 4,11646 teilweise wörtlich übernimmt. In den 23 Kola finden sich dreizehn schlussstarke Klauseln, von denen vier auf die Glieder der beiden Chiasmen entfallen (53-55; 65α-67α) und deren inhaltliche Bedeutung unterstreichen: T13γ, P1γ, Vδ, V3δ. Besonders die ersten beiden kommen durch eine bewusst klauselbegünstigende Wortstellung zustande, da die Verbalformen an vorletzter Stelle stehen: recepisset esuriem und invenisse naturae (54f). Zusammenfassung Leo gibt die Grundstruktur des Tagesevangeliums unter beinahe wörtlicher Aufnahme (Mt 4,2; 4,11) bzw. unter wörtlicher Aufnahme (Mt 4,3; 4,11) wieder, 6 44 Mt 4,4: non in pane solo vivit homo, sed in omni verbo, quod procedit de ore Dei. 645 Die die Edition β stellt der humilitas die superbissimi (nequissimi α) hostis astutia gegenüber: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,65β). 646 Mt 4,11: Tunc reliquit eum Diabolus, et ecce angeli accesserunt et ministrabant ei.

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während ein großer Teil (Mt 4-10) im Sieg über die Künste des Satans zusammengefasst wird. Da die meisten Schriftbezüge erläutert werden, erinnert dieser Abschnitt stärker an einen Textkommentar als Leos andere Auslegungen von Mt 4,1-11. Die wesentliche Aussage, dass Christus auf den Einsatz seiner göttlichen Vollmacht verzichtet, bringt der Papst vor allem durch die beiden Chiasmen sowie durch die Antithese (53-55; 65α-67α) wirkungsvoll zum Ausdruck, nicht jedoch ohne die bewusste Rhythmisierung dieser Passagen. Die Confutatio: 3,74α-88α Die aus einem Satz bestehende Confutatio bringt die im vorhergehenden Abschnitt entwickelte Christologie durch die Erläuterung von Mt 4,2 und Mt 4,11 einprägsam zum Ausdruck. Tab. 19: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-88α) 1 74fα 75fα 77α 2 78fα 80α 81fα 3 82α 83α 83fα 84-86α 86-88α 1 74fα 75fα 77α 2 78fα 80α 81fα 3 82α 83α 83fα 84-86α 86-88α

a a A B B b b B A A a a A B B b b B A A

Confundantur igitur filii diaboli átque discípuli, (T 13 γ) qui repleti inspiratióne vipérea, (T 13 γ) simplices quósque decípiunt, (T 13 γ) negantes in Christo utramque veram ésse natúram, (P 1 γ) dum aut Deitátem hómine, (unrhythm.) aut hominem Deitáte despóliant, (T 13 γ) cum uníus témporis (unrhythm.) gémino documénto (V δ) utraque fálsitas sit perémpta, (V 3 δε) quia et per famem corporis perfécta humánitas, (T 2 γ) et per famulantes angelos demonstrata est manifésta divínitas. (T 2 γ) In Schmach und Schande fallen mögen also die Söhne des Teufels und seine Jünger, die erfüllt von der Eingebung der Schlange, gerade die Arglosen täuschen, und leugnen, dass jede der beiden Naturen in Christus wahr ist, indem sie entweder die Gottheit des Menschen, oder den Menschen der Gottheit berauben, obwohl durch eines einzigen Zeitpunktes doppelten Beweis jede der beiden Unwahrheiten aus dem Weg geräumt ist, weil ja sowohl durch den körperlichen Hunger die vollkommene Menschheit als auch durch den Dienst der Engel die offenkundige Gottheit nachgewiesen ist.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Gliederung Der aus einer Periode bestehende Abschnitt kann in drei Teile gegliedert werden: (1) Einleitende Verurteilung der Irrlehrer als Söhne und Schüler des Satans (74α-77α), (2) Charakterisierung der Irrlehren (78α-82α), (3) Gegenbeweis zu den Irrlehren (82α-88α). Erste Beobachtungen Die Unterteilung der elf Kola bzw. Kommata erfolgt in zwei Dreierblöcke und einen Fünferblock: die ersten drei Kola stellen die Verurteilung und das Wirken der Irrlehrer fest. Das nachgestellte „also“ (igitur 74α) knüpft an die Auslegung der ersten Versuchung, an den Sieg über den Satan und den Engelsdienst an (4472α). Darin wurde gezeigt, dass Christus bewusst nicht von seiner göttlichen Macht Gebrauch machte und den Satan durch das Mysterium seiner menschlichen Natur besiegte. Die nächsten drei Kola erläutern in Form von Modalsätzen, worin die beiden Irrlehren bestehen (negantes; dum). Bei deren konkreter Darstellung greift Leo auf einen anaphorischen (aut), syntaktischen Parallelismus und zugleich auf einen Chiasmus auf der semantischen Ebene zurück: aut Deitatem homine aut hominem Deitate. Für die Adressaten wird durch diese rhetorische Darstellung bereits der innere Zusammenhang von menschlicher und göttlicher Natur Christi illustriert. Mit der konzessiven Subjunktion „obwohl“ (cum 82α) beginnt der gegenüber den Irrlehren antithetisch verfasste Fünferblock. Die oben genannten Irrlehren (negantes…utramque) bzw. das chiastische Gefüge (80α-82α) wird nun in den Versen 82α-84α unüberbietbar als bereits widerlegt erwiesen (utraque falsitas). Sprachlich hervorgehoben wird dieser inhaltliche Auftakt zur Widerlegung durch die Einbindung der aufsteigenden Zahlwörter (unius temporis; gemino documento), die außerdem auf die Einheit der beiden in den Beweisen belegten Naturen verweisen. Diesen „doppelte Beweis“ (geminum documentum 83α) erläutern die beiden abschließenden, kausalen Sinneinheiten. Dazu verwendet Leo den anaphorisch eingeleiteten Parallelismus (et per), auf den außerdem noch jeweils die Silbe „fam“ folgt. Die durch das Homoioteleuton und die gleiche schlussstarken Klauseln gekennzeichneten Endpositionen perfecta humanitas (T2γ) und manifesta divinitas (T2γ) heben die wahre Lehre in der aufrechterhaltenen Spannung zwischen der im Klang zu erahnenden Einheit der Person und der syntaktisch nachzuempfindenden Zweiheit der Naturen in vollem Umfang hervor. Damit rücken die Beweise am Ende die irrige Leugnung der beiden

Analyse von tract. 40

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Naturen ins rechte Licht, und lösen den in der Verschachtelung aut Deitatem homine, aut hominem Deitate bereits angedeuteten, inneren Zusammenhang der beiden Naturen in die Klarheit des reinen Parallelismus auf. Auf die sorgfältige, rhetorische Ausarbeitung weist auch die Dichte der Klauseln hin: Acht von elf Kola enden mit einer schlussstarken Klausel. Rhetorische Detailanalyse Sehr geschickt hat Leo die entscheidenden Schlüsselbegriffe bereits in der Darstellung der Irrlehren verwendet und sie mit den entsprechenden, die Irrlehrer belastenden Verben versehen (78α-82α): utramque veram esse naturam mit negantes (79f) sowie die Gegenüberstellungen Deitatem homine und hominem Deitate mit despoliant. Zwei der acht Klauseln sind im Hinblick auf die Syntax bewusst rhythmisiert: veram esse naturam (P1γ) und demonstrata est manifesta divinitas (T2γ). Darüber hinaus formt das Zeugma demonstrata est im letzten Satzteil die auf das Ende zulaufende Periode besonders, sodass die Klausel nun zur vollen Geltung kommt und die Glaubenswahrheit der göttlichen Natur festschreibt. Bei Deitatem homine, hominem Deitate despoliant (80α-82α) entschied Leo sich bewusst gegen die schlussstarke Klausel homine Deitatem (Vδ), um den syntaktischen Parallelismus bzw. semantischen Chiasmus zu ermöglichen und die Klausel T13γ in Deitate despoliant am Satzende zu begünstigen. Auch die Alliteration Deitate despoliant hebt die inhaltliche Aussage durch ihre Klangwirkung hervor, die auch bei demonstrata…Divinitas wahrnehmbar ist. Aus dieser Rhythmisierung ergibt sich eine Klauselabfolge, die einerseits die Argumentationsstruktur durch die entsprechende, abwechslungsreiche Bändigung oder Beförderung des Redeflusses unterstützt und andererseits eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen lässt: Die ersten drei Kola 74α-77α sind durch die Klausel T13γ, die letzten beiden durch T2γ geprägt. Die drei Kola-Abschlüsse nach der Einleitung erklingen wie eine festgeschriebene Gebetsformel (75α-79α), die wesentliche Inhalte für das Satzende aufspart und deren rhythmischer Fluss durch die Syntax in 79α vorerst zum Stillstand kommt. Dieser Aufbau wird in 83α-88α gespiegelt, wobei das Periodenende wiederum durch die Syntax einen akustisch Abschluss erfährt (demonstrata est manifesta divinitas). In den Versen 80α und 82α bleibt die Aufmerksamkeit durch die fehlenden, rhythmischen Satzabschlüsse auf das Wortspiel im Satzinneren gerichtet. Die gesamte Periode lässt eine chiastische Vernetzung der Darstellungen der Irrlehren und der Gegenbeweise erkennen (siehe die Buchstaben-Anordnung am linken Rand der Tabelle):  Zunächst wird die von Irrlehrern negierte Feststellung negantes…utramque…naturam (A) durch die beiden Beweise am Ende

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

der Periode als wahr erwiesen (A,A), während die Ausformulierung der beiden Irrlehren (B,B) in B als bereits entkräftet erklärt werden. Schließlich charakterisieren die beiden Kola a,a die Leugner (negantes) in A, während die Kommata b,b die Feststellung in B wesentlich vorbereiten. Es zeichnet sich also ein Spiel mit der „Einheit“ und der „Zweiheit“ ab: während die wahre Auffassung über die beiden Naturen in dem einen Christus eine sei, können auch die auf zwei Möglichkeiten reduzierbaren Irrlehren als eine Unwahrheit (falsitas 84α) bezeichnet werden. Ebenso stehen die Söhne und Schüler dem einen Urprinzip der Irrlehren, dem Satan, gegenüber. Zusammenfassung Die Komposition der Periode bringt mit ihrer rhetorischen Struktur die Verfechtung der Einheit der Person Christi und die „Zweiheit“ der Naturen zu Tage. Antithese, Homoioteleuton, Parallelismus, Chiasmus und die Rhythmisierung mit mitunter deutlich bewusst eingesetzten, schlussstarken Klauseln sind die tragenden Elemente dabei.

2.3.3  Analyse der Figuren in tract. 40 Alliteration In tract. 40 finden sich neben den zweiundzwanzig klassischen Alliterationen647 noch dreizehn Konstellationen, die durch ein oder mehrere Wörter getrennt sind,648 wie etwa die Ellipse in 1,8f. Sie besteht mit Natura…nostra und manente…mortalitate mutabilis aus zwei Alliterations-Gruppen, die durch eine Konjunktion bzw. durch ein Adverb getrennt sind. 647 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 222,6): omnem observantiam; 40,1 (CChr.SL 138A 224,14; 15; 17 und 20f): ibi incidant; nemo nostrum; simul sine; nostrae necessariis; aliquid addamus augmentis; 40,2 (CChr.SL 138A 225,33; 37; 43 und 44): innumera illi; multorum milium milia; per proclivia; Inflammat itaque iras…inridet…incidat; 40,3 (CChr.SL 138A 226,52β; 55): erroris excluderet; signum se; 40,3 (CChr.SL 138A 227,81fα): Deitate despoliant; 40,4 (CChr.SL 138A 228,95β; 97 und 105): desideret Dei; suscipiamus sollemne; Iocundemur in; 40,4 (CChr.SL 138A 229,117): Maiora…et minora mediocrum; 40,5 (CChr.SL 138A 230,124fβ; 129; 131): carnalis concupiscentia castitatis; denique dominorum; disciplina devotior; 40,5 (CChr.SL 138A 231,141f; 149): populi principes; suarum severitate. 648 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 222,8f): Natura enim nostra; manente adhuc mortalitate mutabilis; 40,1 (CChr.SL 138A 223,12): praesumant…perfectos; 40,2 (CChr.SL 138A 225,34): praedoni a populis. Die Konfrontation von praedo und populus wird durch die Präposition a auch bildlich deutlich. Dahingegen soll der populus seine principes in der Pascha-Amnestie nachahmen: vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 231,149): Imitentur…populi principes suos; 40,2 (CChr.SL 138A 225,39f): Fremit…furor; 40,2 (CChr.

Analyse von tract. 40

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Tab. 20: tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,8f) Natura enim nostra manente adhuc mortalitáte mutábilis (T 2 γ)

Unsere Natur ist nämlich ‒ solange ihr immer noch der Tod bevorsteht‒ unbeständig

Zwar ist das Adjektiv mutabilis grammatikalisch mit natura übereingestimmt, erhält aber durch manente…mortalitate eine vorweggenommene, eingrenzende Definition. Diese inhaltliche Bestimmung der menschlichen Natur als eine der Vergänglichkeit und der Unvergänglichkeit zugeordnete Schöpfung wird auf der Klangebene der Alliteration verdeutlicht, da mutabilis („unbeständig“) und mortalitas („Vergänglichkeit“) infolge der Sünde ein Wesensbestandteil der natura sind,649 doch gerade darin der zeitlichen Beschränkung (manens:  „bleibend“) gewissermaßen antithetisch gegenüber stehen. Unter alliterativen Verbindungen, bei denen der erste Buchstabe des Wortes in einem vorhergehenden bereits aufgenommen wurde, schienen fünf erwähnenswert.650 Während viele Alliterationen eine schlichte Steigerung der inhaltlichen Plausibilität bewirken, verhelfen einige auch spezifischen inhaltlichen Nuancen zu ihrem Ausdruck. Dazu gehören die Antithese von Begierde und Sittenreinheit (concupiscentia ‒ castitas), der Zusammenhang von Genusssucht und Tod (devexa luxuriae ‒ diversoria mortis), der innere Verbindung von der Abkehr von der Sünde und der gewissenhaften Feier von Ostern (reatu ‒ religiose), von der Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit des Menschen (manente ‒ mutabilis), die Verwiesenheit (der Quantität) der guten Werke auf die innere Einstellung (fructus ‒ affectus).

SL 138A 225,43f):  per devexa luxuriae in diversoria mortis; 40,3 (CChr.SL 138A 226,58f): imperium in quam iuberetur; 40,3 (CChr.SL 138A 227,74fα): filii diaboli atque discipuli; 40,3 (CChr.SL 138A 227,87fα): demonstrata est…divinitas; 40,4 (CChr.SL 138A 228,107-229,108): decumbentium…debilium; 40,4 (CChr.SL 138A 229,113): pendet…pietatis; 40,5 (CChr.SL 138A 230,131f): observantia…obtinebitur; 40,5 (CChr.SL 138A 231,151): privatas…publicas. 649 Vgl. tract. 22,4 (CChr.SL 138A 97,175-178): Redit in honorem suum antiquis contagiis purgata natura, mors morte destruitur, nativitas nativitate reparatur, quoniam simul et redemptio aufert servitutem, et regeneratio mutat originem, et fides iustificat peccatorem. 650 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,33f): Renuntiatur atrocissimo praedoni; 40,3 (CChr. SL 138A 227,75fα): repleti inspiratione viperea; 40,4 (CChr.SL 138A 228,103f): impleamur. Laetemur; 40,4 (CChr.SL 138A 229,118f): fructus operum…affectus operantium; 40,5 (CChr.SL 138A 230,133f): peccatorum reatu, religiose…celebrabitur.

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Zusammenfassen lassen sich diese Nuancen auf durch die Charakterisierung des menschlichen Lebens als Pilgerschaft, durch die Gegenüberstellung eines gottfernen und eines gottnahen Lebens und durch die Bestimmung des Vorranges der inneren Teilhabe an der Liebe Gottes vor sichtbaren Leistungen. Tab. 21: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,43) quas…in diversoria mórtis indúcat. (P 1 γ) die er…in die Absteigequartiere des Todes führen kann.

Assonanz Von den acht Assonanzen in tract. 40651 sei nur eine exemplarisch genannt. In 2,43f prägen nicht nur die „i“-Laute die Bewegung der Verführung durch den Satan. Die Silben „sor“ und „mor“ verknüpfen den Tod (mors), in den der Satan führt, mit metaphorisch benannten, konkreten Orten des Todes (diversoria), die mit den vorher benannten Sünden der Unaufmerksamkeit und der Genusssucht spezifiziert werden: Die „starke“ Klausel P1γ am Ende des Satzes weist wiederum eher auf eine bewusste Wort- und Syntax-Wahl hin. Mit den Assonanzen drückt Leo hier ausschließlich inhaltliche Spezifizierungen aus, keine Gegenüberstellungen oder besondere Erläuterungen. Homoioteleuton In tract. 40 gibt es sechs Homoioteleuta mit denselben Personalendungen bzw. Infinitiven,652 die den Zusammenhang der bezeichneten Handlungen verdeutlichen. In 2,26f z. B. wird die Kriegserklärung (indicitur) an die eigenen Laster und der Fortschritt in den Tugenden (augetur) als Ideal für die Quadragesima charakterisiert: 651 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,16): perfectus et sanctus…perfectior sanctiorque; 40,2 (CChr.SL 138A 224,27): virtutum profectus; 40,2 (CChr.SL 138A 225,43f): diversoria mortis; 40,3 (CChr.SL 138A 226,57f): Poterat…Omnipotens; 40,3 (CChr.SL 138A 227,87fα): per famulantes angelos; 40,4 (CChr.SL 138A 228,101): sitiunt iustitiam; 40,5 (CChr.SL 138A 229,120f): opportunitate virtutum; 40,53 (CChr.SL 138A 230): ordinati mores. 652 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,17f): poscat augeri…gaudeat incitari; 40,1 (CChr. SL 138A 224,18-20): pervenimus…adprehendimus…curramus…addamus; 40,1 (CChr. SL 138A 224,21f): demonstratur…invenitur; 40,2 (CChr.SL 138A 225,33-39): aufertur…rapiuntur. Renuntiatur…repperitur…reluctetur…praeparantur…extruditur; 40,2 (CChr.SL 138A 224,26f):  indicitur…augetur; 40,3 (CChr.SL 138A 226,50β52β): demonstraret…excluderet.

Analyse von tract. 40

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Tab. 22: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,26) …in his diebus, in quibus bellum vítiis indícitur (ton. Äquiv. 22 δ) et omnium virtutum proféctus augétur. (P 1 γ)

…in diesen Tagen, in denen den Lastern der Krieg erklärt und der Fortschritt in allen Tugenden ausgebaut wird.

Durch das Homoioteleuton „tur“ wird der innere Zusammenhang dieser beiden Desiderate formuliert, sodass der Fortschritt in der Abkehr von den Lastern (vitia) besteht. An dreizehn weiteren Stellen wirken Homoioteleuta durch (antithetische) Aufzählungen,653 durch eine antithetische Gegenüberstellung654 oder durch ein sich wechselweise erhellendes (antithetisches) Isokolon.655 Von den Homoioteleuta, die hauptsächlich dem Flexionsreichtum der lateinischen Sprache geschuldet sind (Homoioptata), da sie infolge von Hyperbata im Satzinneren ihre Wirkung entfalten, halte ich acht für nennenswert.656 Die Gleichklänge des Homoioteleuton dienen vor allem parallelen und vertiefenden Aussagen, wie die Schilderung der Niederlage des Satans (aufertur ‒ extruditur). Außerdem bringen sie die Einheit verschiedener Aussagen bzw. Pole zum Ausdruck:  Die Übereinstimmung der Einforderung des Nachfolge-Ideals durch die entsprechende Jahreszeit und Leos Predigt in der Festtagsfreude (poscat augeri ‒ gaudeat incitari). Der Zusammenhang von wahrer Frömmigkeit und der gewissenhaften Vorbereitung in der Quadragesima (demonstratur ‒ invenitur), von der Haltung des Großmutes und der armutsbedingten geringen Gabe (parvus…census ‒ magnus…animus) und von menschlicher und göttlicher Natur in Christus 653 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,5): nec inutilis sit pigris, nec onerosa devotis; 40,1 1 (CChr.SL 138A 224,17f): graduum…meritorum; 40,5 (CChr.SL 138A 230,127-129). 654 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,31): prudentia…invidia. 655 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,11): sicut potest habere quo recedat, ita potest habere quo crescat; 40,1 (CChr.SL 138A 224,14f): ibi incidant deficiendi periculum, ubi proficiendi deposuerint adpetitum; 40,1 (CChr.SL 138A 224,18f): pervenimus…nondum adprehendimus; 40,2 (CChr.SL 138A 225,40f): lucrum…antiquum; 40,3 (CChr.SL 138A 227,86α-88α): humanitas…divinitas; 40,4 (CChr.SL 138A 228,95βf): verbo… corporeo; 40,4 (CChr.SL 138A 229,112; 118f): census…animus; fructus operum…affectus operantium; 40,5 (CChr.SL 138A 223,130f): mitior…devotior; tract. 40,5 (CChr.SL 138A 231.154): laetantes…innocentes. 656 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,20f): necessariis…augmentis; 40,2 (CChr.SL 138A 225,40): novum…lucrum; 40,2 (CChr.SL 138A 225,42): oves…evagantes; 40,3 (CChr.SL 138A 225,48): evangelica…historia; 40,3 (CChr.SL 138A 227,79α): veram…naturam; 40,4 (CChr.SL 138A 228,96β): cibo…corporeo; 40,4 (CChr.SL 138A 229,109f): desolatarum…viduarum; 40,5 (CChr.SL 138A 231,150): regiis…exemplis.

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(humanitas ‒ divinitas). Schließlich wird alles zu Meidende dem Erstrebenswerten gegenübergestellt:  Eine ignorante Haltung der Gottferne der hingebungsvollen Nachfolge (pigris ‒ devotis), die Gefahr des Stillstandes in der Bewegung auf Gott zu und das Bemühen um einen Fortschritt (periculum ‒ adpetitum). Antithese Von den achtundzwanzig Antithesen sind drei auf der strukturellen Ebene657 bzw. zwei zusätzlich auf der begrifflichen angesiedelt,658 dreizehn stehen sich als Begriffe gegenüber.659 Von der letzteren Gruppe sind acht weitere in einem Parallelismus660 und zwei in einem Chiasmus661 enthalten. Die wohl pointierteste Antithese in tract. 40 findet sich in 2,27-31, in der die Vorsicht (cautio) und die Klugheit (prudentia) der Glaubenden dem Neid des Verführers (invidia) gegenübergestellt werden: Tab. 23: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,27-31) Semper quidem, tibi o anima christiana, vigilandum…fuit…sed modo tibi maior cautio et sollicitior est adsuménda prudéntia, (T 2 γ) quando idem hostis tuus acriore sǽvit invídia. (T 13 γ)

Zwar hättest du, christliche Seele,… immerdar wachsam sein müssen…aber jetzt musst du größere Vorsicht und umsichtigere Klugheit walten lassen, da dein Feind eben vor Neid noch stürmischer um sich tobt.

657 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,3): ipse legitimi temporis recursus…cohortatio tamen; 40,1 (CChr.SL 138A 223,9f): etiamsi…semper tamen; 40,2 (CChr.SL 138A 224,27-29): Semper quidem…, sed modo. 658 Vgl. tract 40,3 (CChr.SL 138A 226,65α-67α): non potentia Deitatis, sed humilitatis mysterio; 40,4 (CChr.SL 138A 228,98-100): non in sterili inedia quam…avaritiae morbus indicit, sed in larga benivolentia. 659 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,9): manenete…mutabilis; 40,1 (CChr.SL 138A 224,18f): pervenimus…nondum adprehendimus; 40,2 (CChr.SL 138A 224,26f): vitiis… virtutum; 40,2 (CChr.SL 138A 225,41f):  indefessus et pervigil…neglegentius; 40,3 (CChr.SL 138A 226,53-56): infirmitatis…potentiam; 40,3 (CChr.SL 138A 227,6870α): fugato…accesserunt; 40,3 (CChr.SL 138A 227,79α-84α): veram…falsitas; 40,5 (CChr.SL 138A 230,127f):  odia…dilectionem…inimicitiae…pacem…tranquillitas iram; 40,5 (CChr.SL 138A 231,140α-148α): suae potestatis…miseratione divina; severitate…clementia; 40,5 (CChr.SL 138A 231,151): privatas…publicas. 660 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,5): pigris…devotis; 40,1 (CChr.SL 138A 223,11): recedat…crescat; 40,2 (CChr.SL 138A 224,31): prudentia…invidia; 40,4 (CChr.SL 138A 228,95fβ): Dei…verbo…cibo…corporeo; 40,4 (CChr.SL 138A 229,111f): parvus…census…magnus…animus; 40,4 (CChr.SL 138A 229,117): Maiora…divitum…minora… mediocrum; 40,4 (CChr.SL 138A 229,118f): fructus operum…affectus operantium; 40,5 (CChr.SL 138A 230,130f): potestas…disciplina. 661 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,14): deficiendi…proficiendi; 40,2 (CChr.SL 138A 225,40f): novum…lucrum…perdit antiquum.

Analyse von tract. 40

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Das erste Glied im Parallelismus maior cautio et sollicitior…prudentia bewirkt eine rhythmische Ausgeglichenheit gegenüber quando…invidia. Durch die Klangwirkung des Homoioteleuton prudentia…invidia und der Klauseln T2γ und T13γ bleiben jedoch vor allem die Kardinaltugend und der sich infolge des Hochmutes nun in der Zeit ausbreitende Neid662 im Vordergrund. Damit ist auch die Grundausrichtung des gesamten Antithesen-Repertoires von tract. 40 zusammengefasst, in dem Leo auf unterschiedlichen Ebenen die Einladung zur Umkehr zu Gott und die Abwendung vom Satan und seinen Versuchungen zum Ausdruck bringt. Es ist letzten Endes Gott selbst, der Leos Adressaten nicht nur durch die Wiederkehr der Quadragesima, sondern auch durch die Predigt (auxiliante Domino: „mit Hilfe des Herrn“ 1,4f) dazu einlädt, die Nachlässigen (pigri) und die Bemühten (devoti 1,5). Auf dem Weg zur liturgisch-österlichen und eschatologischen Begegnung mit dem unveränderlichen Gott, könne nämlich kein Mensch in der Vollendung der Tugenden (virtutum 1,10) leben, sondern müsse sich aufgrund seiner Unbeständigkeit (mutabilis 1,9; recedat…crescat 1,11) stets an der göttlichen Gerechtigkeit (iustitia 1,12) orientieren und sich nach einem Fortschritt in der Heiligkeit bemühen (perfectior sanctiorque 1,16). Diese Kriegserklärung an die Laster (bellum vitiis 2,26) und die Förderung der Tugenden (virtutum profectus 2,27) erwachse aus der Klugheit (prudentia) und führe zur Konfrontation mit dem Neid des Versuchers (invidia 2,31). Zwar sei dieser durch die Erlösung Christi bereits jedes Rechtes auf den Zugriff auf das Leben der Gläubigen verlustig gegangen (ius perdit antiquum 2,41), doch sehe er sich unermüdlich nach neuem Gewinn (novum quaerit lucrum 2,40) und nachlässigen Christen um, um sie durch Versuchungen auf moralischer, aber

662 Das ursprüngliche Übel ist die superbia, wie Augustinus traditonsgemäß aus der Schrift ableitet: Der Satan wurde wegen seines Stolzes, nicht wegen seines Neides gestürzt: vgl. Gn. litt. 11,14 (CSEL 28,1 346,16-20): Nonulli enim dicunt ipsum ei fuisse casum a supernis sedibus, quod inviderit homini facto ad imaginem Dei. Porro autem invidia sequitur superbiam, non praecedit; non enim causa superbiendi est invidia, sed causa invidendi superbia. Auch Leo nennt die superbia an erster Stelle. Der Neid ist auf den Schaden der Menschen ausgerichtet: vgl. tract. 9,1 (CChr.SL 138 32,14f): Incentor namque ille auctorque peccati, primum superbus ut caderet, deinde invidus ut noceret.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

auch auf dogmatischer Ebene (3,74α-88α) zu umgarnen und sie neuerlich dem Tod zuzuführen (in diversoria mortis 2,43f). Da die Erlösung Christi nicht nur durch die im auxilium vermittelte Umpolung des christlichen Lebens und Neuorientierung auf Gott hin bestehen könne, sei sie auch als fortschreitende Teilhabe am exemplum Christi und an dessen Sieg über den Versucher zu verstehen. Ermöglicht werde diese Teilhabe durch die erlösende Vereinigung der infirmitas („Niedrigkeit“ 3,53) des Geschöpfes und der potentia („Macht“ 2,56) des Schöpfers in der Person Christi. Auf diesem Weg der humilitas („Demut“ 3,66fα) sei die Vertreibung des Satans (fugato diabolo) und helfende Zuwendung Gottes (accesserunt…angeli 3,68α-71α) vorgezeichnet. Voraussetzung dafür sei die Unterscheidung der wahren Lehre der beiden Naturen Christi von den falschen Überzeugungen (veram…falsitas 3,79α-84α). Lebt der Mensch nicht nur von Brot, sondern von Gottes Wort, dann faste er wahrhaftig und könne wohltätig handeln, wobei das Herz des Gebers stets über die Gabe entscheide. Indem der Mensch sich also am Modell des göttlichen Erbarmens orientiere (Hac…observantia 5,131), könne er die ihm übertragene irdische Macht zum Wohl der Ohnmächtigen einsetzen und selbst das Erbarmen Gottes erlangen (obtinebitur misericordia Dei 5,132f). Diese Grundordnung des Schöpfers spiegle sich in der öffentlichen Politik (publicas 5,151) durch die Pascha-Amnestie des Kaisers wider (potestatis…supernae bonitatis imitatrix…clementia 5,140-148) und müsste umso mehr von allen, Herren und Dienern (dominorum atque servorum 5,129), im privaten Bereich (privatas 5,151) umgesetzt werden. Parallelismus Die sechzehn Parallelismen in tract. 40 sind nach folgenden Schemata einzuteilen: sieben AB-AB663 (zweimal Parison664), vier ABC-ABC (viermal Parison),665

663 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,34f):  omnium nationum omniumque linguarum; 40,2 (CChr.SL 138A 224,31):  maior cautio et sollicitior est adsumenda prudentia; 40,4 (CChr.SL 138A 228,97): prompta devotione et alacri fide; 40,4 (CChr. SL 138A 229,118f): fructus operum…affectus operantium; tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,104f): Laetemur in…Iocundemur in. 664 Vgl. tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,107-229,108): aegritudines decumbentium, inbecillitates debilium; 40,5 (CChr.SL 138A 231,154): omnes laetantes, omnes…innocentes. 665 tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,43): per proclivia voluptatum et per devexa luxuriae; 40,5 (CChr.SL 229,121f): nullo horreorum dispendio, nulla pecuniae diminutione; 40,1

Analyse von tract. 40

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ein ABCD-ABCD (Parison),666 ein ABCDE-ABCDE667 und schließlich sind drei verschiedene Aufzählungen zu nennen.668 Von diesen Parallelismen erfüllen fünf die Funktionen der nachdrücklichen Emphase,669 fünf der inhaltlichen Ergänzung und Erweiterung,670 und drei der Gegenüberstellung.671 In 1,10f etwa verleiht ein Parallelismus der Bedeutung der natura mutabilis ihre entsprechende, rhetorische Ausgestaltung, indem zwei mögliche, entgegengesetzte Entwicklungen angedeutet werden: Tab. 24: tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,10f) sicut potest habére quo recédat (TT γδ), ita potest habére quo créscat. (P 1 γδ)

wie sie [die Natur] auf etwas bezogen sein kann, von dem sie Abstand nimmt, so kann sie auch auf etwas bezogen sein, wodurch sie wächst.

Durch diese Ausfaltung erscheint die Bezogenheit auf das unveränderliche auxilium Gottes noch plausibler. (CChr.SL 138A 224,17f): sine differentia graduum, sine discretione meritorum; 40,4 (CChr.SL 138A 228,98-100): non in sterili inedia…sed in larga benevolentia. 666 Vgl. 40,4 (CChr.SL 138A 229,111f): Nulli enim parvus est census, cui magnus est animus. 667 Vgl. 40,3 (CChr.SL 138A 227,85α-88α): et per famem…perfecta humanitas, et per famulantes…manifesta divinitas. 668 Nach dem Schema AB-AB-AB-AB-AB: vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,44f): Inflammat itaque iras, nutrit odia , acuit cupiditates, in-ridet continentiam, in-citat gulam. Die Verbal-Komposita mit „in-“, die zu Beginn und am Ende des Satzes zu finden sind, weisen auf die Bewegung auf ein negatives Ziel hin. Eine besondere Wirkung erfährt Inflammat durch die „i“-Alliteration: itaque iras bzw. durch inducat am Ende des vorhergenden Satzes. In tract. 40,5 (CChr.SL 138A 230,123fα; 127-129) wird der jeweilige Parallelismus durch die Anapher si unterstützt: si pellatur lascivia, si abdicetur ebrietas…si odia transeant in dilectionem, si inimicitiae convertantur in pacem, si tranquillitas extinguat iram, si mansuetudo remittat iniuriam. Schließlich ist eine Aufzählung dem Schema AB-AB-AB zuzuordnen: vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 231,151-153): vincla solvantur, deleantur offensae, pereant ultiones. 669 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,44f); 40,4 (CChr.SL 138A 228,104f); 40,4 (CChr. SL 138A 228,107-229,108); 40,5 (CChr.SL 138A 230,123fα; 127-129); 40,5 (CChr.SL 138A 231,151-153). 670 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,17f); 40,2 (CChr.SL 138A 224,30f); 40,2 (CChr.SL 138A 225,34f; 43); 40,4 (CChr.SL 138A 228,97); 40,5 (CChr.SL 229,121f); 40,5 (CChr. SL 138A 231,154). 671 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,85α-88α); 40,4 (CChr.SL 138A 228,98-100); 40,4 (CChr.SL 138A 229,118f).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Die Parallelismen bringen den universalen Ruf an alle Menschen in die Nachfolge Jesu zum Ausdruck (omnium nationum ‒ omnium linguarum), auf dass sie einerseits nicht unfruchtbar fasten, sondern zugleich wohltätig sind (sterilis inedia ‒ larga benivolentia) und andererseits die innere Einstellung höher einschätzen als die Quantität der Gabe (fructus ‒ affectus), um dem Ziel der Freude und der Unschuld entgegen zu gehen (omnes laetantes ‒ omnes innocentes). In der einschließenden Gegenüberstellung von menschlicher und göttlicher Natur (humanitas ‒ divinitas) wird dieser vorgezeichnete Weg zusammengefasst. Chiasmus Unter den sechs Chiasmen in tract. 40 weisen drei die Struktur ab-ba672 auf und jeweils einer die parallele Elemente enthaltenden Schemata673 abC-baC674, aBc-cBa675, Abc -Acb676 und AbcD-AbcD677. Von diesen Chiasmen dienen vier der Verdeutlichung und inhaltlichen Präzisierung,678 zwei der Gegenüberstellung.679

672 Vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 231,151f) remittantur culpae, vincla solvantur; Hier kam der Chiasmus wahrscheinlich durch die freie Zitierung der Konstitution aus dem Jahre 385 (vgl. Historische Angaben) zustande (vincla solvantur), die den Adressaten wohl auch größtenteils bekannt war. Diese Annahme gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass zwei weitere Glieder an das erste Glied parallel anknüpfen: deleantur offenae, pereant ultiones; 40,3 (CChr.SL 138A 226,53-55): infirmitatis nostrae in se (in se om. β) recepisset esuriem, gavisus diabolus signum se in eo passiblis atque mortalis invenisse naturae; 40,3 (CChr.SL 138A 226,65-67): non potentia Deitatis, sed humilitatis mysterio vinceretur. Außerdem sei noch auf eine bei der Revision hinzugefügte Stelle hingewiesen: vgl. tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,94β-96β): magis desideret Dei se verbo quam cibo satiáre corpóreo (T γ). 673 Soche Schemata sind bei Leo sonst seltener anzutreffen (vgl. Pratesi, Commento, 296). 674 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,21f): Parum enim religiosus alio tempore demonstratur, qui in his diebus non religiosior invenitur. 675 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,40f): Et novum quaerit lucrum, quia ius perdit antiquum. 676 tract. 40,5 (CChr.SL 138A 230,131-134): Hac observantia obtinebitur misericordia Dei, et abolito reatu Pascha celebrabitur. 677 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,13-15): ne…ibi incidant deficiendi periculum, ubi proficiendi deposuerint adpetitum. 678 Vgl tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,21f); tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,53-55); 40,5 (CChr.SL 138A 230,131-134); 40,5 (CChr.SL 138A 231,151f). 679 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,40f); 40,3 (CChr.SL 138A 226,65-67). In einem Zusatz der Erweiterung wird der Vorrang der göttlichen vor der leiblichen Speise betont: vgl. tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,94β-96β).

Analyse von tract. 40

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Exemplarisch sei folgender Chiasmus ausgewählt, da er neben einem auch bei anderen anzutreffenden Homoioteleuton (periculum ‒ adpetitum) auch die figura etymologica deficiendi…proficiendi enthält. Tab. 25: tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,13-15) A         b         c      D          A    c         b         D ne…ibi incidant deficiéndi perículum (T γ), ubi proficiendi deposúerint adpetítum. (V 3 δ) damit…sie nicht von da an in die Gefahr geraten, in ihrer Treue Rückschritte zu machen, sobald sie das Verlangen, Fortschritte zu machen, aufgegeben haben.

Die Variation in den mittleren Gliedern dient nicht nur der pointierten Argumentation, sondern auch der inhaltlichen Struktur von Leos Feststellung. Da jeweils die erste und die letzte Stelle des Chiasmus besonders gehört werden, wird mit der Alliteration ibi incidant bereits zu Beginn auf das Fallen hingewiesen, dessen Ausrichtung mit der Endposition periculum angegeben wird. Die Qualität dieser Gefahr (deficiendi) ist im Satzinneren zu finden. Dieser Gefahr wird nun die innere Bewegung auf Gott hin entgegengehalten, mit ubi proficiendi und adpetitum an der Anfangs- und Endposition, jedoch zugleich durch deposuerint wieder ausgeschaltet. Dadurch ergibt sich für die jeweils letzte Stelle des Chiasmus (deficiendi und deposuerint) eine zentrale Position für die Aussage-Qualität des Kolons. Getragen wird diese Struktur außerdem noch durch die akzentuierte Klausel Tγ (deficiendi periculum), die durch den schlussstarken Ausgang V3δ in deposuerint adpetitum übertroffen wird. Neben einer inhaltlichen Zuspitzung (culpae ‒ vincla) bringen die Chiasmen unterschiedliche inhaltliche Nuancen auf den Punkt. Im Hinblick auf Christus erfolgt der Sieg über den Satan nicht durch das machtvolle Wirken Gottes, sondern durch dessen von der Inkarnation bis zur Passion sich enthüllende Erniedrigung (Deitatis ‒ humilitatis). Der Höhepunkt dieses als Barmherzigkeit zu deutende Mysteriums ist das Pascha-Fest (misericordia ‒ Pascha). Im Anzeichen des Hungers wird die wahre menschliche Natur Christi und damit das ganze Heilsmysterium bestätigt (esuriem ‒ signum). Drei weitere Chiasmen betreffen die in der Nachfolge stehenden Christen. Diese erweisen sich nur als gewissenhaft, wenn sie auch an der quadragesimalen Vorbereitung Anteil nehmen (alio tempore ‒ in his diebus). Dazu müssen sie, wie Christus, das Wort Gottes vor der irdischen Speise bevorzugen (verbo ‒ cibo) und sich der Angriffslust des Satans bewusst sein (novum ‒ antiquum).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

2.4 Leos Bibelverwendung 2.4.1  Der Befund der biblischen Bezugnahmen In tract. 40 verwendet Leo vier vollständige Bibelzitate,680 ein Teilzitat,681 vier Kleinstzitate,682 die nur einzelne Wörter aufnehmen und eine kurze Anspielung an das Wunder bei der Hochzeit zu Kana.683 Unter diesen biblischen Bezugnahmen befinden sich keine Schriftbeweise, sondern lediglich drei Argumentationsstützen, die ausdrücklich als Bibelzitate gekennzeichnet sind (2Kor 6,2684; Mt 4,4685; Mt 5,6686).

680 Vgl. 2 Kor 6,2: Ecce nunc tempus acceptabile, ecce nunc dies salutis, in tract. 40,2 (CChr. SL 138A 224,24f); Mt 4,3: Si Filius Dei es, dic ut lapides isti panes fiant, in: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,56f); Mt 4,4: Non in solo pane vivit homo, sed in omni verbo [quod procedit de ore] Dei, in: tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,90f); Mt 5,6: Beati qui esuriunt et sitiunt iustitiam, quoniam ipsi saturabuntur, in: tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,101f). 681 Vgl. Mt 4,11: Tunc reliquit eum Diabolus, et ecce angeli accesserunt et ministrabant ei als Denique fugato diabolo…accesserunt…angeli et ministrabant ei, in: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,68α-72α). 682 Vgl. Weish 2,24: invidia autem diaboli mors introivit in orbem terrarum als invidia, in: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,31). An anderer Stelle übernimmt Leo Weish 2,24 ganz: vgl. tract. 77,2 (CChr.SL 138A 488,29f); Mt 12,29: aut quomodo potest quisquam intrare in domum fortis et vasa eius diripere nisi prius alligaverit fortem et tunc domum illius diripi (vgl. Mk 3,27) und Lk 11,22: si…universa arma eius aufert als potestas… aufertur, et…captivitatis vasa rapiuntur, in tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,32-225,33). Dieser Zusammenhang mit Mt 12,29 wird an anderer Stelle noch deutlicher: vgl. tract. 22,4 (CChr.SL 138 97,173fα): ligato mundi principe, captivitatis vasa rapiuntur; Gal 6,15; 2 Kor 5,17: nova creatura, in: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,38); Eph 6,12: spiritalia nequitiae, in: tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,38f). 683 Vgl. Joh 2,1-10 als in convivio nuptiali aquam mutavit in vinum, in: tract. 40,3 (CChr. SL 138A 226,60α-62α). Weitere inhaltliche Anlehnungen an biblische Vorlagen können für folgende Stellen in Betracht gezogen werden: vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,1-224,22) und 2 Kor 6,1: Adiuvantes autem exhortamur, ne in vacuum gratiam Dei recipiatis; tract. 40,4 (CChr.SL 138A 229,117): Maiora quidem sunt inpendia divitum et minora mediocrum und Tob 4,9: si multum tibi fuerit abundanter tribue si exiguum fuerit etiam exiguum libenter inpertire stude. 684 2 Kor 6,2, in tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,23-25): Unde…lectio apostolicae praedicationis insonuit dicens. 685 Mt 4,4, in:  tract. 40,4 (CChr.SL 138A 227,89-228,91):  sicut Redemptoris nostri edocti sumus. 686 Mt 5,6, in: tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,100-102): ipsa Veritas dicit.

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Die Zitate 2 Kor 6,2687 und Mt 5,6688 sind nicht nur dem Schriftzitate-Repertoire Leos zuzuschreiben, sondern werden fast ausschließlich in den Quadragesima-Predigten (tract. 39-50) verwendet: 2 Kor 6,2 wird noch in tract. 42 verwendet689 und die Seligpreisungen (Mt 5,6; Mt 5,7; Mt 5,8 oder Mt 5,9) in weiteren sechs Quadragesima-Predigten.690 Dieser Befund spiegelt daher nicht nur Leos Anliegen um das besondere Bemühen um Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Reinheit des Herzens und Bereitschaft zum Frieden (Mt 5,6-9) wider, sondern auch einen Teil des biblischen Substrates, das Leo zur Entwicklung seiner Predigten heranzog oder bereits in der Tradition vorfand.691 Letzteres ist jedenfalls von den kleinen biblischen Zitaten „neue Schöpfung“692 (nova creatura Gal 6,15; 2 Kor 5,17) und „böse Geister“693 (spiritalia nequitiae Eph 6,12) anzunehmen, da sie zum Wortschatz lateinischer Schriftsteller und Prediger gezählt werden können. Dasselbe gilt für „Schafe“ (oves 2,42; vgl. Joh 10,12) und „Herde“ (grex 2,42; vgl. Lk 12,32) sowie für „Krone“ (corona 5,121; vgl. 1 Thess 2,19) und „Scheune“ (horreum 5,122; vgl. Lk 12,18), wobei eine, wenn auch nicht allzu bewusste, Entlehnung aus einem konkreten biblischen Kontext auch nicht ausgeschlossen werden kann. Von den insgesamt zehn Bezügen entfallen also vier auf 2 Kor 6* und Mt 4* drei weitere auf Evangelien (Mt; Joh), zwei auf Briefe, die dem Paulus zugeschrieben wurden (Eph; Gal) und eine auf das Alte Testament (Weish 2,24). Im Vergleich zu

6 87 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,4f). 688 Vgl. tract. 50,2 (CChr.SL 138A 293,58f); 95,6 (CChr.SL 138A 587,119f). 689 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,4f). 690 Vgl. Mt 5,6 in: tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,101f); 50,2 (CChr.SL 138A 293,58f); Mt 5,7, in: tract. 47,3 (CChr.SL 138A 278,101f); tract. 49,5 (CChr.SL 138A 290,122f); Mt 5,8, in: tract. 50,1 (CChr.SL 138A 292,30f); Mt 5,9, in: 41,3 (CChr.SL 138A 237,96f); 49,6 (CChr.SL 138A 290,128f). Lediglich Mt 5,7 wird außer in der Predigt auf die Seligpreisungen (tract. 95) noch viermal in anderen Predigten verwendet: zweimal in den Kollektenpredigten, einmal in einer Predigt auf das Dezemberfasten und einmal in einer Pfingstpredigt aufgenommen: tract. 10,2 (CChr.SL 138 41,50-42,51); 11,1 (CChr.SL 138 45,6f); 16,2 (CChr.SL 138 62,49f); 78,4 (CChr.SL 138A 497,55f). 691 2 Kor 6,2 verwendete z. B. Maximus in einer Quadragesima-Predigt: vgl. serm. 35,1 (CChr.SL 23 136,2-4). Augustinus spricht in seinen Quadragesima-Predigten (serm. 205; 206; 208-210: passim) gewöhnlich von einer Zeit, deren Qualität ein besonderes Verhalten verlange, ohne dass er 2 Kor 6,2 aufnimmt. 692 Vgl. tract. 21,3 (CChr.SL 138 88,67); 26,5 (CChr.SL 138 130,125); 27,2 (CChr.SL 138 133,42); 41,2 (CChr.SL 138A 234,57-235,58); 63,7 (CChr.SL 138A 387,134); 93,1 (CChr.SL 138A 574,21). 693 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,43f); 39,4 (CChr.SL 138A 216,106β); 40,2 (CChr. SL 138A 225,38f); 78,2 (CChr.SL 138A 495,20); 89,2 (CChr.SL 138A 552,29).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

anderen Predigten fällt auf, dass sich die sonst häufige Bezugnahme auf paulinische Briefe auf die Ausdeutung von 2 Kor 6,2 durch die Gemeinplätze des christlichen Lateins Gal 6,15 (nova creatura) und Eph 6,12 (spiritalia nequitiae) beschränkt.

2.4.2  Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes In tract. 40 findet sich in den biblischen Zitaten nur eine Reformulierung. Die Erweiterung und Umstrukturierung von Mt 4,11 ist jedoch auch nicht mit der Rhythmisierung des biblischen Textes zu erklären, wie die gleichbleibende Verteilung der Klauselqualitäten zeigt (P1γ und Vδ sind beide schlussstark): Tab. 26: Sprachliche Adaption Mt 4,11

tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,68α-72α)

Tunc reliquit éum diábolus (T γ), et ecce ángeli accessérunt (V δ) et ministrábant éi. (ton. Äquiv. Ditrochäus)

Denique fugáto diábolo (T γ), et omnibus artibus callidi temptatóris elísis (P 1 γ), accesserunt ad Dominum angeli et minstrábant éi. (ton. Äquiv. Ditrochäus) Als der Satan endlich in die Flucht geschlagen und alle Ränke des schlauen Versuchers zermalmt waren, traten Engel zum Herrn heran und dienten ihm.

Dann verließ ihn der Satan und siehe, Engel kamen hinzu und dienten ihm.

Leo ging es um die zusammenfassende, nachdrückliche Betonung von Jesu Triumpf über den in die Flucht geschlagenen Satan (fugatus) und dessen zunichte gemachte Ränke (elisae). Gegenüber dem biblischen Text wählt Leo mit den Ablativi absoluti außerdem eine komplexere Formulierung.

2.4.3  Die Bibel als Quelle für den Inhalt Hinweise auf die liturgischen Lesungen Die zentralen biblischen Quellen für den Inhalt sind die beiden liturgischen Lesungen 2 Kor 6* (1-10?) und Mt 4,1-11. Für die tatsächlich vorausgehende Verlesung dieser beiden Stellen finden sich auch die entsprechenden Zitate (2Kor 6,2; Mt 4,3f; 11) und die sprachlichen Hinweise: „die Verlesung der Verkündigung des Apostels kam zu Gehör“ (auribus nostris lectio apostolicae praedicationis insonuit 2,23f) und „wie der Tatsachenbericht des Evangeliums offenlegte“ (sicut evangelica patefecit historia 3,48). In tract. 40 ergibt sich der spezielle Fokus auf diese beiden biblischen Inhalte auch aufgrund der vergleichsweise geringen Anzahl von anderen biblischen Bezugnahmen.

Analyse von tract. 40

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Die biblischen Inhalte in Verbindung mit den liturgischen Lesungen Die Bedeutung von 2 Kor 6,2 für die Quadragesima Durch 2 Kor 6,2 wird die Quadragesima als besondere Gnadenzeit qualifiziert, in der ‒ gemäß Mt 4,1-11 ‒ mit zunehmenden Nachstellungen und Versuchungen des Satans zu rechnen sei. Die in 2,26f genannten Motive des Kampfes und der Übung in den Tugenden sind ebenfalls in 2 Kor 6 zu finden (2 Kor 6,7: per arma iustitiae: „durch die Waffen der Gerechtigkeit“; 2 Kor 6,4: in multa patientia:  „durch große Standhaftigkeit“). Offen bleiben muss jedoch, ob Leo den Gedanken der besonderen Herausforderung der Quadragesima bereits in der Tradition mit 2 Kor 6,2 verbunden vorfand694 oder ob er diesen etwa bei Augustinus entwickelten Gedanken erst mit dem biblischen Inhalt füllte.695 Die Bedeutung von Mt 4,3f; 11 für die Quadragesima Die erste Versuchung Jesu wird gewissermaßen als Beweis für die gegenwärtige Aktivität des Satans eingeführt (3,46f), während der Sieg durch Jesu Demut als heilsgeschichtliche Wende vor Augen gestellt wird, die mit der Vertreibung des Satans einhergeht (3,63α-72α). Für Leos Adressaten gelte es, diesen Sieg auf dogmatischer und moralischer Ebene voranzutreiben, indem sie an den beiden Naturen Christi festhalten, die im wahren Hunger Jesu und im Engelsdienst (Mt 4,11) offenbar geworden seien, und indem sie der Weisung Jesu aus Mt 4,4 folgend nicht nur vom Brot, sondern von Gottes Wort lebten (3,88α-4,91). Gottes Wort versteht Leo hier offenbar zuerst als kommunikativen Akt der Barmherzigkeit, der sich im recht verstanden Fasten (ieiunium 4,97f) realisieren soll, also im Wohlwollen (benevolentia 4,99f) und gemäß der Seligpreisung Mt 5,6 im Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit (4,101f). Daher sollen Leos Adressaten sich in den verschiedenen Optionen der Barmherzigkeit als selig erweisen (Deliciae igitur nostrae sint opera pietatis; cibis…impleamur. Laetemur in; Iocundemur in…: „Unsere Wonne seien also die Werke der Barmherzigkeit; von den Speisen…sollen wir satt werden; Freuen wir uns an…!; Erleben wir die Freude an…!“ 4,104-110; vgl. Mt 25,31-46). Bei den Hinweisen, dass der Mangel an materiellen Gütern kein Hindernis für barmherziges Handeln sei (4,110119) und dass die Übung in den Tugenden keine finanziellen Aufwand erfordere 694 Maximus von Turin zitiert 2 Kor 6,2 zu Beginn einer Quadragesima-Predigt, ohne den Gedanken der besonderen Herausforderung explizit auszudrücken: vgl. serm. 35,1 (CChr.SL23 136,2-4). 695 Augustinus führte den Gedankengang der Mahnung zur Steigerung von Gebet, Fasten und Almosen bereits aus, nicht jedoch in Verbindung mit 2 Kor 6,2: vgl. serm. 206,1 (PL 54 1041,9f): et ii qui per alios dies ad ista [orationes, ieiunia, eleemosyna] sunt alacres, nunc ea debent ferventius exercere.

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(5,120-122), denkt Leo wohl an spezifische, biblische Inhalte, die er in anderen Quadragesima-Predigten an entsprechender Stelle anführt:696 an die Zusage des Reichtums trotz scheinbarer Armut (2Kor 6,10), an das Opfer der armen Witwe (Mk 12,41-44), an das Reichen eines Bechers frischen Wassers (Mt 10,42) und an den Dienst der Witwe von Sarepta (1 Kön 17,9-16). Zusammenfassung In tract. 40 ist die Verwendung von biblischen Zitaten sehr eingeschränkt, wie an der Anzahl von nur vier direkten Zitaten und einer einzigen Reformulierung deutlich wird. Die biblischen Zitate werden jedoch inhaltlich stark eingebunden und aktualisiert. Eine besondere Rolle spielen dabei die den liturgischen Lesungen 2 Kor 6* (1-10?) und Mt 4,1-11 entnommenen Zitate. Durch sie werden Gedanken begründet, gestützt oder entwickelt. Lediglich angedeutet wurde die Möglichkeit, dass Leo den schon bei Augustinus bekannten Inhalt der besonderen moralischen Herausforderung der Quadragesima mit 2 Kor 6,2 biblisch begründete.

2.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung 2.5.1  Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten Die üblichen Vokative dilectissimi verwendet Leo zur Adressierung seiner Hörerschaft fünfmal.697 Hinsichtlich der Personalpronomina spricht er die Versammlung nur einmal in der 2.P.Pl.698 und einmal in der 1.P.Pl. an.699 Anders verhält es sich bei den Possessivpronomen: Zehnmal werden die Formen von noster700 verwendet, während die 2.P.Pl. nicht zur Anwendung kommt. Ein Pluralis inclusivus liegt aber bei fünf Verben in der 1.P.Pl. vor701 sowie bei sechs Hortativen in

6 96 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,74-242,90); 44,2 (CChr.SL 138A 260,66-85). 697 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,1); 40,1 (CChr.SL 138A 223,15); 40,4 (CChr.SL 138A 227,89); 40,5 (CChr.SL 138A 229,120); 40,5 (CChr.SL 138A 230,131). 698 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,7): vobis. 699 Vgl. tract. 40,4 (CChr.SL 138A 228,103): nos. 700 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,4; 6; 8); 40,1 (CChr.SL 138A 224,15; 20); 40,2 (CChr.SL 138A 224,23); 40,3 (CChr.SL 138A 225,47); 40,3 (CChr.SL 138A 225,48); 40,3 (CChr.SL 138A 226,54); 40,4 (CChr.SL 138A 227,89); 40,4 (CChr.SL 138A 228,102); 40,4 (CChr.SL 138A 228,104); 40,4 (CChr.SL 138A 228,107). 701 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,18): pervenimus; 40,1 (CChr.SL 138A 224,19): adprehendimus; 40,4 (CChr.SL 138A 228,90): edocti sumus; 40,4 (CChr.SL 138A 228,100): ut simus; 40,4 (CChr.SL 138A 228,106): texerimus.

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derselben Person.702 Ebenfalls auf die Allgemeinheit bezogen sind die unpersönlichen Aufforderungen, die aus elf Hortativen in der 3.P.Sg. bzw. Pl.703 und aus sechs Gerundiven704 bestehen. Fehlen Prädikate in der 2.P. sowie Imperative705 gänzlich, so verdichten sich die inklusiven Verbalformen in der 1.P.Pl. (acht von elf), das einzige inklusive Personalpronomen, die Hortative in der 3.P. (neun von elf) sowie die Gerundive (drei von sechs) in der Peroratio, die Leo klassisch als Ort des entscheidenden Appells und der Moralisierung in Anspruch nimmt. Schließlich sind die zwei rhetorischen Fragen706 und eine an die christliche Seele gerichtete Anrede707 als Aufmerksamkeit erregende Instrumente der Kommunikation zu nennen. Dieser geringe Befund an rhetorischen Bezugnahmen auf die Adressaten bezeugt die verhältnismäßig starke Konzentration auf die Aktualisierung der liturgischen Lesungen im Hauptteil. Wiewohl tract. 40 nicht als eine Predigt mit lebendigem Bezug zu den Hörern gelten kann, so zeigt sich an der Anzahl und der Lokalisierung der inklusiven Formen jedoch ein Konzept der Vereinnahmung und Prägung der Adressaten.

2.5.2  Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt Leos inhaltliche Ermunterungen in tract. 40 beziehen sich auf alle sozialen Schichten (Diener, Herren, Kaiser). Diese universale Ausrichtung der Predigt ergibt sich aber eher nicht aus der Rücksichtnahme auf die spezifischen, lokalen Gegebenheiten in Rom, sondern entspricht vielmehr Leos Selbstverständnis als 702 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 224,19; 20): curramus; addamus; 40,4 (CChr.SL 138A 228,97): suscipiamus; 40,4 (CChr.SL 138A 228,103): impleamur; 40,4 (CChr.SL 138A 228,104): Laetemur; 40,4 (CChr.SL 138A 228,105): Iocundemur. 703 tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,5): sit; tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α): Confundantur; 40,4 (CChr.SL 138A 228,102): sint; 40,4 (CChr.SL 138A 228,106f): Sentiant; 40,5 (CChr.SL 138A 231,149f): Imitentur; incitentur; 40,5 (CChr.SL 138A 231,151154): Remittantur; solvantur, deleantur; pereant; habeat. Auch die beiden Formen im Futur haben eine modale Bedeutung: vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 230,132; 134): obtinebitur; celebrabitur. 704 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,4): adhibenda est; 40,2 (CChr.SL 138A 224,2731):  vigilandum…adsumenda; 40,4 (CChr.SL 138A 228,100):  celebrandum; 40,5 (CChr.SL 138A 229,120): exercendarum; 40,5 (CChr.SL 138A 231,147α): aemulanda. 705 Das einzige Prädikat in der 2.P. (es) und der einzige Imperativ dic befindet sich im Zitat von Mt 4,3: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,57). 706 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,25-27); 40,3 (CChr.SL 138A 225,46f). 707 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,27-31): tibi, o anima christiana, vigilandum… tuae…fuit…tibi est adsumenda…tuus.

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Erbe des Petrus, der nach dem Auftrag Christi die christliche Religion von der Hauptstadt aus eint.708 Darüber hinaus verwendet der Papst die für Quadragesima-Predigten typischen Inhalte. Alle Adressaten die Nachlässigen (pigri) und die Getreuen (devoti 1,5), die Reichen und Armen (divitum et…mediocrum 4,117) müssten ihre gewohnte, religiöse Selbstverpflichtung (observantia 1,6; 5,131; consuetudo 1,20) in der Quadragesima ernster nehmen. Ist diese Aufforderung bei den Nachlässigen selbsterklärend, so führt er für die Getreuen aus, dass kein Mensch vollkommen werden könne, sich aber stets nach dem Vollkommenen ausstrecken müsse (in ea quae nondum adprehendimus 1,18f). Das betreffe auch alle Stände unabhängig von ihren Verdiensten (omnes sine differentia, sine discretione meritorum 1,17f). Die Erläuterung der Absage der Völker aller Länder und Sprachen an den Satan (3,32-39) ist nicht nur als als tröstliche Aufmunterung der von den unsteten Zeiten verunsicherten Adressaten und als Erklärung der umso stärkeren Angriffe des Satans zu verstehen, sondern auch als theologische Deutung des Weltgeschehens. Auch die Klärung der dogmatischen Lehre über die beiden Naturen Christi hat nicht nur regionale Bedeutung. Ebensowenig die eschatologisch begründete, besondere Verpflichtung zur Barmherzigkeit in der Quadragesima oder die Aufforderung der wechselseitigen Achtung von Herren und Dienern, die als verbreitete Topoi unter Predigern gelten können.709 Auch das in der Pascha-Amnestie verwirklichte exemplum der sehr gottesfürchtigen Kaiser (piissimi imperatores 5,135f) weitet den Blick von Rom auf das ganze Reich. Die Aufforderung zur Nachahmung der gegenwärtigen Kaiser Valentinian III. und Theodosius II. unterstreicht diese überregionale Bedeutung insofern als zur Zeit dieser Predigt keiner der beiden in Rom residierte.710 Aufgrund des weitgehend typischen Gepräges einer (wohl im Vorhinein bereits ausgearbeiteten711) Quadragesima-Predigt von tract. 40 und der 7 08 Vgl. tract. 82,1; 3; 7 (CChr.SL 138A 508,11-509,30; 511,66-512,72; 517,166-168). 709 Augustinus spricht davon in einer Quadragesima-Predigt: vgl. serm. 208,1 [PL 38 1044,10-14]: Sint ergo vestra ieiunia sine litibus, clamoribus, caedibus: ut etiam qui sub iugo vestro sunt, remissionem cautam sentiant et benignam; ut aspera severitas refrenetur, non ut salubris disciplina solvatur. Auch Petrus Chrysologus mahnt zur wechselseitigen Achtung: vgl. serm. 26,6 (CChr.SL 24 151,94-152,109). 710 Der für den Westen zuständige Valentinian III. residierte zwar seit 440 immer wieder in Rom, blieb aber in den Jahren 441-444 in Ravenna (vgl. Humphries, Mark: Valentianian III.  and the City of Rome (425-55). Patronage, Politics, Power, in:  Two Romes. Rome and Constantinople in late Antiquity, hg. v. Lucy Grig, Oxford u.a.: UP, 2012, 162). 711 Zwar ist davon auszugehen, dass Leo die Predigten im Wesentlichen im Voraus

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universalen und heilsgeschichtlichen Ausrichtung können aus diesen Ergebnissen nur sehr vorsichtige Schlüsse für die Zusammensetzung der vor Leo versammelten Menschen gezogen werden. Angesichts des hohen Stils und der dogmatischen Inhalte ist wohl eher von einem gebildeten Publikum auszugehen. Von einem Appell an alle sozialen Schichten und von dem Hinweis auf die Defizite bei der gegenseitigen Wertschätzung zwischen Herren und Dienern ist jedenfalls nicht unbedingt auf die Anwesenheit von Menschen niedriger sozialer Herkunft zu schließen, wiewohl sie auch nicht ausgeschlossen werden kann.

2.6 Theologische Grundgedanken Die Quadragesima wird durch die Aktualisierung der liturgischen Lesungen als heilsgeschichtlicher Brennpunkt charakterisiert. Deren Beginn und Aktualität wird an 2 Kor 6,2712 aufgezeigt, deren Qualität an den in Mt 4,1-11 geschilderten Versuchungen durch den Satan. Sie soll den Adressaten dazu dienen, sich auf die Begegnung mit Gott im Pascha-Fest (venerandum Pascha 5,133) vorzubereiten.713 Damit erhält die nach den göttlichen Gesetzen jährlich wiederkehrende österliche Fastenzeit (legitimi temporis recursus 1,3; sollemne714 ieiunium 4,97f) eine besondere theologische Qualität. Es geht dabei um das menschliche Bewusstsein der Distanz zu Gott (natura…mutabilis 1,9; carnalis concupiscentia 5,124fα) und um die Bereitschaft, sich wieder mehr um den Fortschritt (proficere 1,14; virtutum profectus 2,27) in der Heiligkeit (perfectior sanctiorque715 1,16) zu

fertiggestellt hatte, eine realistische Einschätzung der Zusammensetzung seiner Hörer muss ihm dennoch zugestanden werden. 712 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,24f): Ecce nunc tempus acceptum, ecce nunc dies salutis. 713 In tract. 47,1 (CChr.SL 138A 274,1-6) wird das Pascha-Mysterium als Höhepunkt beschrieben, auf den alle liturgischen Zeiten hingeordnet sind. Unter diesen Zeiten ragt die Quadragesima jedoch hevor, da die Hingabe im Hinblick auf Ostern dabei am größten sein muss: In omnibus, dilectissimi, sollemnitatibus christianis non ignoramus paschale sacramentum esse praecipuum, cui dignae et congrue suscipiendo totius quidem nos temporis instituta praeformant, sed devotionem nostram praesentes vel maxime exigunt dies, quos illi sublimissimo divinae misericordiae sacramento scimus esse contiguos. 714 sollemne ist hier nicht nur metaphorisch als „feierlich“, sondern auch im eigentlichen Sinn als „regelmäßig“, „alljährlich“ zu verstehen. 715 Vgl. tract. 49,1 (CChr.SL 138A 285,12f): quia nemo tam sanctus est ut non sanctior, nemo tam deuotus ut non debeat esse deuotior.

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mühen und den Lastern eine Absage zu erteilen (bellum vitiis 2,26; vgl. 5,123α131). Zugleich müssten die Glaubenden, die durch die österliche Erlösung neu geschaffen werden sollen,716 größere Vorsicht (maior cautio 2,30) und Umsicht (prudentia 2,31) walten lassen,717 da der Versucher ihnen diese Hinwendung zu Gott nicht gönne (invidia 2,31), indem er beständig nach verführbaren Menschen suche (Captat indefessus et pervigil 2,41). Die Verführung manifestiere sich auch in den Irrlehren über die beiden Naturen Jesu, die auf die teuflische Einflüsterung zurückgehen (inspiratio vipera 3,76α). Davor möchte Leo seine Adressaten bewahren, indem er in seiner Verkündigung der wahren Lehre ganz auf die Eingebung Gottes vertraut (auxiliante Domino 1,4f). Diese Zusammenhänge sollen Leos Adressaten am Beispiel Jesu nachvollziehen, der in der Wüste vom Satan versucht wurde und diesem als Mensch widerstand (humilitatis mysterium 3,66fα). Das Leben Jesu wird somit gewissermaßen zum Raum der Nachfolge-Erfahrung und zum Weg,718 der zum Mysterium führt.719 Ermöglicht wurde diese Form der imitatio Christi aber erst durch die in der Menschwerdung begründete zwei Naturen Christi und letztlich durch die Erlösung am Kreuz.720 Durch diese überreiche Gnade seien die Christen nun in die Pflicht genommen, die christliche Lebensführung (christianae debitores 716 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,37f): regeneranda in Christo; adpropinquante novae creaturae ortu. 717 Diese Vorsichtsmaßnahme besteht zuerst in der Annahme von Leos Predigt. Denn wie seine cohortatio als adhibenda (tract. 40,1 [CChr.SL 138A 222,3f]) beschreibt, so erläutert er in tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,30f) auch die cautio und prudentia als adsumenda (bzw. adhibenda β!) 718 Christus als der Weg bzw. die schon durch den Namen „Christen“ gegebene Gemeinschaft mit ihm wird in tract. 72,1 (CChr.SL 138A 442,22-26) ausdrücklich mit der Lebensweise (conversatio sancta) verbunden, die kraft seiner Lehre zum ewigen Leben führen soll: quae nobis erit communio nominis Christi, nisi ut ei inseparabiliter uniamur, qui est, ut ipse insinuavit, via, veritas et vita? Via scilicet conversationis sanctae, veritas doctrinae divinae, vita beatitudinis sempiternae. 719 Zu Beginn von tract 48 werden die Mysterien Christi von der Geburt bis zu Leiden, Tod und Auferstehung genannt und als Begründung für die der Osterfeier vorausgehende Quadragesima angegeben: vgl. tract. 48,1 (CChr.SL 138A 279,11-14): Considerantes autem quiquid per crucem Domini adepta est universitas mundi, cognoscimus ad celebrandum Paschae diem merito nos quadraginta dierum ieiunio praeparari, ut digni possimus divinis interesse mysteriis. 720 Vgl. tract. 72,1 (CChr.SL 138A 441f,15-19): Crux enim Christi, quae salvandis est impensa mortalibus, et sacramentum est et exemplum, sacramentum, quo virtus impletur divina, exemplum, quo devotio incitatur humana, quoniam captivitatis iugo erutis, etiam hoc praestat redemptio, ut eam sequi possit imitatio.

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disciplinae) freiwillig anzunehmen.721 Die volle Bereitschaft zu dieser mystischen Verbundenheit mit Christus,722 zur Annahme der kirchlichen Lehre und Tradition bezeichnet Leo häufig mit devotio („Gottergebenheit“) und observantia („Beobachtung“, „pflichtgemäße Einhaltung“).723 Daher nimmt es nicht Wunder, dass die konkreten Ausführungen der Nachfolge in tract. 40 mit diesen beiden Termini umrahmt werden. Dazu spannt er den Bogen vom Beginn der Predigt (omnis observantia724 1,6), über die Einleitung des moralischen Teiles (devotio725 4,97) zur abschließenden Zusammenfassung (haec observantia726 5,131), sodass 721 Vgl. tract. 63,5 (CChr.SL 138A 385,74-79): Sicut ergo nemo est credentium, dilectissimi, cui dona neganda sint gratiae, ita nemo est qui non sit christianae debitor disciplinae, quia etsi remota est mysticae legis asperitas, voluntariae tamen observantiae crevit utilitas, dicente evangelista Iohanne: Quia lex per Moysen data est, gratia autem et veritas per Iesum Christum facta est. 722 Vgl. tract. 71,1 (CChr.SL 138A 434,12-16): Cum igitur quadraginta dierum observantia hoc voluerimus operari, ut aliquid sentiremus crucis in tempore dominicae passionis, adnitendum nobis est ut etiam resurrectionis Christi inveniamur esse consortes, et de morte ad vitam, dum in isto sumus corpore, transeamus. 723 Vgl. tract. 8,1 (CChr.SL 138A 30,1f): Christianae pietatis est, dilectissimi, ut quae apostolicis sunt traditionibus instituta, perseveranti deuotione serventur. In tract. 28,5 (CChr.SL 138A 142f,93f) mahnt Leo zur treuen, durch die Lehre vorgegebenen Ablehnung des Nestorianismus und des Monophysitismus: ab his potissimum erroribus declinandis observantiam vestrae devotionis admoneo; 67,5 (CChr. SL 411,106-110): Ab omnipotenti enim medico duplex miseris remedium praeparatum est, cuius aliud est in sacramento, aliud in exemplo, ut per unum conferantur divina, per aliud exigantur humana. Quia sicut Deus iustificationis est auctor, ita homo devotionis est debitor; tract. 86,1 (CChr.SL 138A 540,1-3): Observantiam quidem vestram, dilectissimi, ita novimus esse devotam, ut animas vestras non solum legitimis, sed etiam voluntariis ieiuniis excolatis. 724 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,6fα): omnem observantiam nostram ratio istorum dierum poscat augeri. 725 Der Begriff devotio wird in tract. 40 noch zweimal als Adjektiv verwendet: vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,5); 40,5 (CChr.SL 138A 230,131). Letztere Stelle greift dabei die Beziehung von Herr und Sklave bzw. von Patron und Klient auf, da die disciplina der Untergebenen devotior sein sollte (vgl. Pratesi, Commento, 300). In den anderen elf Quadragesima-Predigten Leos kommt devotio als Hauptwort bzw. als Adjektiv weitere elf Mal vor, wobei der Schlüsselbegriff devotio in den Traktaten 46, 47 und 48 bereits am Beginn zu finden ist: vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,78); 42,6 (CChr. SL 138A 249,223f); 44,2 (CChr.SL 138A 259,37; 44); 46,1 (CChr.SL 138A 269,1); 47,1 (CChr.SL 138A 274,4); 47,3 (CChr.SL 138A 277,85); 48,1 (CChr.SL 138A 279,2); 48,5 (CChr.SL 138A 283,113); 49,1 (CChr.SL 138A 285,13); 49,4 (CChr.SL 138A 288,81). 726 In den anderen elf Quadragesima-Predigten Leos kommt observatio weitere fünfzehn Mal vor, allerdings nur als Hauptwort (die einzige Ausnahme stellt das Verb

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der Sinn dieser geprägten Zeit auch durch diese Schlüsselbegriffe verdeutlicht wird. Sie bietet die Gelegenheit (opportunitas 5,120) schlechthin zur Einübung der Tugenden und dient folglich gerade dazu, die Dimension von devotio und observantia immer wieder zu erneuern und zu vertiefen.727 Der gemeinschaftliche Aspekt verleiht dieser durch die liturgische Zeit bedingten Hingabe der ganzen Kirche auch noch eine zusätzliche Qualität in der Wirkung.728 Bevor das Pascha-Fest also in diesem Sinne gottverbunden (religiose 5,133) und in Freude (laetantes 5,153) begangen werden kann, kommt notwendigerweise (legitimus 1,3) der liturgisch reflektierte Zeitraum der Wüstenerfahrung, in der Leos Adressaten sich an den Gesetzen der sittlichen Vollkommenheit Jesu (castitatis leges 5,125α) und an der durch das Fasten ermöglichten Freigiebigkeit (larga benevolentia 4,99f) orientieren sollen. Wenn Leos Adressaten Jesu Belehrung (magisterium 4,90) annehmen und sich mehr durch Gottes Wort als durch Brot ernähren wollen (4,90f), können sie auch an der Freude des Festgeheimnisses teilhaben (omnes laetantes 5,154). Die Ernährung durch die Speise Gottes (ille cibus 4,103) bedeute nämlich die Erfüllung der Werke der Barmherzigkeit (4,103-110) und die Freude an diesen Werken der Vorbereitung (Laetemur in; Iocundemur in 4,104f) habe ihren Quellgrund im Pascha-Mysterium. Daher kann Leo bereits die Motivation zu dieser Vorbereitung, i. e. seine Predigt, seinen Adressaten als Hinführung zu dieser Freude auslegen (gaudeat incitari 1,8).

im Zitat Röm 16,17f dar (observare): vgl. tract. 42,5 [CChr.SL 138A 248,216]). Die weiteren Stellen sind zu finden unter: tract. 39,1 (CChr.SL 138A 212,16α); 39,2 (CChr. SL 138A 212,29α); 39,2 (CChr.SL 138A 214,52); 41,1 (CChr.SL 138A 233,7f); 41,2 (CChr.SL 138A 235,65); 42,1 (CChr.SL 138A 239,17); 42,4 (CChr.SL 138A 245,137β); 42,5 (CChr.SL 138A 246,173α); 43,4 (CChr.SL 138A 255,104); 46,1 (CChr.SL 138A 269,5); 47,1 (CChr.SL 138A 274,17); 49,1 (CChr.SL 138A 285,11); 49,3 (CChr.SL 138A 287,57f); 50,1 (CChr.SL 138A 291,5). 727 Vgl. 42,1 (CChr.SL 138A 238,12-15): Debebatur quidem tantis mysteriis ita incessabilis devotio et continuata reverentia, ut tales permaneremus in conspectu dei, quales nos in ipso paschali festo dignum est inveniri. 728 Davon spricht Leo in einer Predigt über das Fasten im Monat September: vgl. tract. 89,2 (CChr.SL 138A 552,23-26): quibusdam tamen diebus ab omnibus oportet pariter celebrari generale ieiunium, et tunc est efficacior sacratiorque devotio, quando in operibus pietatis totius ecclesiae unus animus et unus sensus.est

Analyse von tract. 41

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3 Analyse von tract. 41 3.1 Historische Angaben Abfassung der Predigt Chavasse reiht tract. 41 in die erste Sammlung ein und datiert die Predigt daher auf den ersten Sonntag der Quadragesima, sodass er den 21. Februar 443 angibt.729 Konkrete Hinweise gibt es aber weder für die Datierung auf den ersten Sonntag, noch für die traditionell vorausgesetzten, liturgischen Lesungen für dieses Datum: Mt 4,1-11 und 2 Kor 6,1-10. Lediglich die Ähnlichkeit mit anderen deutlich zu datierenden Predigten in den Formulierungen und Inhalten lassen diesen Schluss von Chavasse nicht als unwahrscheinlich erscheinen.

3.2 Literarische Form Mit 99 Versen ist tract. 41 nach tract. 50 die zweitkürzeste Quadragesima-Predigt. Sie wurde in der zweiten Sammlung nicht aufgenommen oder überarbeitet. Neben den üblichen rhetorischen Stilmitteln sind hier auch die Strukturelemente einer antiken Rede erkennbar. Dazu gehören nicht nur der für Predigten typische Eröffnungs- und Schlussteil, Exordium und Peroratio, sondern auch die Narratio und Confirmatio.

3.2.1  Exordium: 1,1-9 1,1-9: Die Veränderung des Lebenswandels angesichts des höchsten Festes Das Exordium besteht aus einem Satz, der sich im Corpus Christianorum über neun Zeilen erstreckt und bereits zur Confirmatio überleitet. Leo profiliert den besonderen Charakter der Quadragesima gleich zu Beginn, ohne damit eine captatio benevolentiae zu verbinden.730 Das nahende Osterfest (cum hi appropinquant dies 1,3f; salutis nostrae sacramenta 1,4) verleiht der allgemeinen Verpflichtung zur Einübung in die christliche Lebensführung bzw. in das Leben Christi (sapienter et sancte vivere 1,2) eine Dimension von liturgischer und heilsgeschichtlicher Aktualität, sodass damit auch die Forderung nach eifrigerer Sorgfalt verbunden ist (diligentior sollicitudo; studiosius731 1,5f). Anlässlich des höheren Festes (festivitas sublimior 1,9f) sollen die Seelen der Glaubenden 7 29 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138A, 232; Pratesi, Commento, 301. 730 Eine Captatio benevolentiae findet sich z. B. in tract. 46,1 (CChr.SL 138A 266,1-3). 731 Diese Erklärung kehrt in tract. 41,2 (CChr.SL 138A 235,60-68) noch ausführlicher wieder. Die Notwendigkeit der gesteigerten sollicitudo in der Quadragesima findet sich außerdem noch in: tract. 43,3 (CChr.SL 138A 254,79): sollicitiore cura; 43,1 (CChr.

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ihrem Engagement in der Quadragesima gemäß auch reichhaltiger geschmückt sein (ornatior 1,9). Diese Komparative charakterisieren die Quadragesima und das Pascha-Fest zugleich und stehen allen anderen Zeiten des liturgischen Jahres (Semper 1,1) gegenüber.

3.2.2  Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio Wie in tract. 40 folgt auf die Einleitung die Confirmatio (1,10-40), bevor die in der klassischen Rede zwischen Narratio und Confirmatio angesiedelte Überleitung (Transitus 2,41-45) zur Narratio (2,45-68) führt. Confirmatio: 1,10-2,45 1,10-20: Der Vergleich der äußeren und inneren Bereitung für das Pascha-Fest Die Länge der Periode am Beginn der Confirmatio (1,10-19) entspricht den neun Eingangsversen (1,1-9). Darin wird nun die Metapher ornatior732 (1,9) in Form eines indirekten Vergleiches erläutert, der aus einem anaphorischen Konditionalsatz und einer anschließenden rhetorischen Frage733 besteht (Si

SL 138A 250,10f):  iugi oportet sollicitudine praecaveri. Im Sinn einer materiellen Sorge wird sollicitudo an folgenden Stellen verwendet: tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,17f): per varias actiones vitae huius sollicitudo distenditur; 49,1 (CChr.SL 138A 286,25): sub anxia sollicitudine laborare. 732 ornatior (von orno bzw. ordo) bezeichnet den äußeren Schmuck, aber auch die Ordnung und wird im Griechischen mit ϰοσμεῖν oder παϱασϰευάζειν wiedergegeben (vgl. Plepelits, Art. orno, in: TLL 9,2 [1980] 1023,82-84; 1024,52). 733 Die rhetorische Frage verwendet Leo im Vergleich zu Augustinus weniger häufig. Halliwell gibt für dieselbe Textmenge bei Augustinus 879 und bei Leo 188 rhetorische Fragen an: idem, The Style, 47. In tract 41 kommt sie dreimal Mal zur Anwendung (tract. 41,1 [CChr.SL 138A 232f,14-18; 18-20]; 41,2 [CChr.SL 138A 234,45-47]), in den Quadragesima-Predigten weitere 27 Mal (fünf Schriftzitate, dreimal wird Sir 20,9 zitiert): tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,25-27); 40,3 (CChr.SL 138A 225,46f); 42,1 (CChr.SL 138A 238,1-5); 42,3 (CChr.SL 138A 243,103-106); 43,1 (CChr.SL 138A 252,23-25); 43,2 (CChr.SL 138A 254,63f) = Spr. 20,9; 43,3 (CChr.SL 138A 254,6769); 43,3 (CChr.SL 138A 255,85-87); 43,4 (CChr.SL 138A 256,123-125); 44,1 (CChr. SL 138A 258,16f) = Spr. 20,9; 45,3 (CChr.SL 138A 266,84-87); 47,1 (CChr.SL 138A 275,29f)  =  Ijob 7,1 (LXX); 47,2 (CChr.SL 138A 276,63-66); 49,1 (CChr.SL 138A 285,13-15; 15-18); 49,2 (CChr.SL 138A 286,30-32); 49,2 (CChr.SL 138A 286f,4346) enthält vier Fragen, die erste stammt aus Sir 13,1. Leo hat die Aussage in eine Frage verwandelt (vgl. Sirach [VL 11/2], 415); 49,4 (CChr.SL 138A 288f,90f; 92-94); 49,5 (CChr.SL 138A 289,117-119); 50,1 (CChr.SL 138A 290,10f; 11f); 50,1 (CChr.SL 138A,34f) = Spr. 20,9; 50,2 (CChr.SL 138A 293,50-54).

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enim734…nonne dignum est ut: „Wenn nämlich…ist es nicht würdig, dass“ 1,10; 14). Leo geht hier von der allgemein anerkannten Gewohnheit aus, die Festtagsfreude durch besondere Kleidung und durch den Schmuck des Gotteshauses anzuzeigen, um den Schluss nahezulegen, dass die christliche Seele als Tempel Gottes ebenfalls zu schmücken und von allen Makeln (macula iniquitatis 1,17f) zu reinigen sei.735 1,21-1,40: Aufruf zur Reinigung der Seele und zur Prüfung des Gewissens An die Erläuterung der Schmuck-Metaphorik schließt Leo eine weitere rhetorische Frage an (Nam736 quid prodest: „Denn was nützt es“ 1,18f), um den inneren Zusammenhang von äußerlicher und innerlicher Vorbereitung zu verdeutlichen. Nach dieser Klärung zieht Leo die logischen Schlussfolgerungen (Omnia igitur737:  „Alles also“ 1,21) für das Leben der Adressaten. Die Notwendigkeit der inneren Reinigung738 (animi puritatem et speculum mentis739 1,21) wird mit Gerundiv-Konstruktionen (abstergenda; radenda740 1,22) ausgedrückt und 734 enim wird hier klassisch verwendet und dient der Ausführung eines subjektiven Beweises, der auf die Zustimmung der Hörer angewiesen ist. Darauf deutet jedenfalls die anschließende rhetorische Frage hin (vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 508 [§276]). 735 Die künstlichen Beweise bestehen aus argumenta (Methode der ratiocinatio) und exempla (Methode der inductio) .Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 194f [§ 357]. Diese Argumentationsstruktur kann mit Quintilian folgendermaßen charakterisiert werden (inst. or. 5,8,7 [BSGRT 247,2f]): quia est aliquid, et aliud sit: sol est supra terram, dies est (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 194 [§ 357]). 736 Nam wird hier klassisch verwendet, also zur Ausführung eines objektiven Beweises (begründend), obwohl es bisweilen auch austauschbar ist mit enim, das eher einer subjektiven Ausführung dient, die auf die Zustimmung der Hörer (erklärend) angewiesen ist (vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 505 [§274]). 737 igitur sowie ergo dienen einem logischen Schluss, der auf Vernunftgründen beruht (vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 511-513 [§ 279]). 738 Die Reinigung ist nach Leo besonders angesichts des nahenden Osterfestes zu vollziehen: vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,7-15); 44,1 (CChr.SL 138A 258,7-10); 46,1 (CChr.SL 138A 269,7-10); 47,3 (CChr.SL 138A 277,81-85). Die Quadragesima dient der Reinigung: vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 138A 238f,15-23). 739 Leo verwendet animus und mens synonym (vgl. Pratesi, Introduzione, 31). Die Metapher speculum wird im selben Sinne schon bei Augustinus verwendet: vgl. In Ioh ev. tract. 14,7 (CChr.SL 36 146,46f). 740 Abzuputzen sind die rubigo mortalitatis: vgl. tract. 44,1 (CChr.SL 138A 259,32), und der pulvis terrena: vgl. tract. 43,3 (CChr.SL 138A 254,81f). Zu reinigen sind Körper und Geist: vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239f,24-39); 45,4 (CChr.SL 138A 267,105-109), nämlich von körperlichen Begierden und Irrlehren: vgl.

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anschließend mit drei Hortativen ergänzt (Scrutetur741; Videat; disquirat 1,23; 24; 32).742 Zur Vertiefung dieser Aufforderung zum „Skrutinium“ hält Leo den Hörern in sechs anaphorischen Konditionalsätzen einige Anhaltspunkte für die Auffindung der inneren Unordnung vor Augen.743 Auf das letzte Glied dieser Aufzählung werden die Hörer rhetorisch vorbereitet (si denique:  „schließlich, wenn“ 1,28). Dieses Kolon wird durch eine Konjunktion (aut: „oder“ 1,29) zweigeteilt, sodass sie mit einem für Leo typischen Isokolon endet.744 Leo geht außerdem auf jene ein, die dennoch keine Unordnung (perturbationum 1,30) bei sich finden können: Sie sollen die Qualität der Gedanken prüfen, bei denen sie häufig verweilen, (qualium cogitationum specie frequentetur 1,31) sowie ihre Strategien im Umgang mit den trügerischen Gedanken-Bildern (vanitatum imaginibus745 1,32). Um die Versuchung aller Glaubenden zu erklären, zitiert Leo Ijob 7,1, allerdings nach der Übersetzung der Septuagina:746 „[Das Leben] ist als Ganzes eine Versuchung“ (tota temptatio est747 1,35). Einen Beleg für die Sündigkeit aller Menschen führt Leo noch im Zitat von 1 Joh 1,8748 an. tract. 46,1 (CChr.SL 138A 269,3-7); 46,3 (CChr.SL 138A 272,77-82). Fides und dilectio bzw. benignitas reinigen den Geist für die Gottesschau: vgl. tract. 45,2 (CChr.SL 138A 265,55-61); 45,4 (CChr.SL 138A 268,117f). Zu Reinigung sind alle gerufen: vgl. tract. 50,1 (CChr.SL 138A 292,28-30); 48,1 (CChr.SL 138A 280,32-42). Die Reinigung ist für alle möglich, wenn sie ehrlich angestrebt wird: vgl. tract. 50,1 (CChr.SL 138A 292,35-38). Vgl. Pratesi, Commento, 302. 741 Das Deponens scrutari wird auf die Prüfung des inneren Menschen bezogen, während scrutare auch für die Prüfung in der Taufvorbereitung verwendet wird: vgl. Aug., fid. et op. 5,9 (CSEL 41 44,19). 742 Dieses Motiv findet sich noch an folgenden Stellen der Quadragesima-Predigten: tract. 39,5 (CChr.SL 138A 218,149-152); 48,3 (CChr.SL 138A 282,84-89); 49,4 (CChr.SL 138A 289,94-101). Vgl. Pratesi, Commento, 303. 743 Es geht Leo um den Frieden Christi, um das Aufspüren der concupiscentia, von Verachtung, Habgier bzw. Hochmut, Diebesfreuden, Gewinnsucht, Neid und Schadenfreude. 744 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 233,28f): aliena felicitate non uritur, aut inimici miseria non laetatur. 745 Nach Dolle beziehen sich die vanitatum imagines auf Lügen und Götzen (Vgl. Dolle, SC 49bis, 94 Anm. 2). Vgl. Pratesi, Commento, 303. 746 Vgl. Ijob 1,7: πειρατήριόν ἐστιν ὁ βίος ἀνθρώπου ἐπὶ τῆς γῆς. Vgl. Chavasse, CChr. SL 138A, 233. 747 Dieses Zitat findet sich nur ein zweites Mal bei Leo, nämlich in der letzten Quadragesima-Predigt 50,2 (CChr.SL 138A 292,43). Augustinus zitiert diese Version z. B. in civ. 21,14 (CChr.SL 48 780,6): tota temptatio est, sicut sacrae litterae personant. 748 1 Joh 1,8: Si dixerimus quia peccatum non habemus, ipsos seducimus, et veritas in nobis non est, in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 234,38-40).

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Dass die Sünde generell vermieden werden könne, quittiert Leo hingegen als eine hochmütige Behauptung (Superbum est enim 1,36). 2,41-45: Transitus: Die Mahnung, die Selbsttäuschung zu unterlassen Der Transitus749 bringt die Schlussfolgerung der Confirmatio noch einmal in einer Variation zur Kenntnis, indem sie für die Adressaten persönlicher formuliert und aktualisiert wird. Niemand könne sich auf die Reinheit seines Herzens verlassen, zumal jetzt der Versucher (pervigil ille temptator 2,43) gerade jene Gläubigen in Versuchung führe, die die Quadragesima ernst nehmen. Narratio: 2,45-68 2,45-52: Die Versuchung Jesu als Beleg für die Versuchung aller Menschen Als Beweis für das unermüdliche Wirken des Versuchers führt Leo in der Narratio die Versuchung Jesu an. Die Einleitung dazu erfolgt mit einer rhetorischen Frage (Nam a quo dolos suos contineat, qui ipsum quoque Dominum…ausus est…temptare?: „Denn vor wem sollte er seine Listen zurückhalten, der es wagte auch den Herrn selbst zu versuchen?“ 2,45-47).750 Eine besondere Steigerung erfährt dieses Argument noch durch die Feststellung, dass der Versucher auch dann noch nicht aufgab, als er seinen Hochmut (superbia 2,47) durch die Demut Jesu bereits in den Staub getreten sah (humilitate calcata 1,48), sowohl durch die Taufe als auch durch die Überwindung der Begehrlichkeit (concupiscentia 2,49) in den 40 Tagen. Der Versucher setze jedoch weiterhin auf die Unbeständigkeit der menschlichen Natur (naturae nostrae mutabilitas751 2,51) und ihre Neigung zur Sünde. 2,53-58: Die Zugehörigkeit zu Christus in der Taufe und der Quadragesima Aus der Versuchung Jesu folgert Leo (Si ergo 2,53), dass die Gläubigen umso heftiger angegriffen werden (fragilitatem nostram inpugnare 2,54f). Die stärkere Versuchung der Adressaten sei einerseits auf die Taufe zurückzuführen (ex quo ei in baptismo renuntiavimus752 2,56f), die sie mit Christus verbinde und eine 7 49 Der Transitus („Übergang“, „Überleitung“) erfolgt in der klassischen Disposition zwischen den einzelnen Redeteilen und ist eigentlich zwischen der Narratio und der Argumentatio anzusiedeln. Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 163 [§288]; 189 [§346]: Als Übergang von der Narratio zur Argumentatio besteht die wichtigste Form des Transitus in Form der propositio, also in der Feststellung des für die Argumentatio wesentlichen Inhalts und der Kerngedanken. 750 Denselben Gedankengang führt Leo auch in tract. 40,3 (CChr.SL 138A 225,46f) an. 751 Vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,8f): natura…mutabilis. 752 Im Taufritus der Antike war diese Absage an den Bösen bereits enthalten: vgl. trad. apost. 21 (FC 1 259,10-13). Vgl. Pratesi, Commento, 304.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Neuschöpfung bedeute (nova creatura 2,57f). Andererseits sei die Steigerung der Anfechtungen auf die bevorstehenden österlichen Mysterien zurückzuführen (sacratiora sunt celebranda mysteria 2,61f). Daher (Unde 2,58) bereite sich das christliche Volk auf Anweisung des Heiligen Geistes zurecht auf Ostern vor, nämlich durch Enthaltsamkeit (continentia 2,64), Sorgfalt (diligentia 2,66) und durch die Einhaltung der religiösen Pflichten in dieser heilsamen Zeit (observantia suae salubritatis 2,65). Diese Zusammenhänge werden in einem abschließenden Proportionalsatz (Quanto…tanto 2,66-69) komprimiert ausgedrückt: Je heiligmäßiger sich jemand in der Quadragesima verhalte, desto gottesfürchtiger werde er das Pascha-Mysterium feiern können.

3.2.3  Peroratio: 3,69-99 3,69-88: Aufforderung zu guten Werken und zu Almosen für alle Menschen In der Peroratio zieht Leo die moralischen Schlüsse aus der angesprochenen Verbundenheit mit Christus:  Der göttliche Beistand (sacramentum) werde den Gläubigen besonders durch die Einheit mit ihm zuteil, in der Taufe und in der Versuchung. Jetzt in der Quadragesima (In diebus igitur sanctorum ieiuniorum 3,69) gelte es, dem exemplum Jesu zu folgen und die Werke der Barmherzigkeit (pietatis opera 3,69) großzügiger als sonst zu erfüllen. Damit greift Leo den Gedankengang aus dem Exordium wieder auf (1,6f). Als Forderung und gleichsam als Beleg für die weiteren Ausführungen zitiert er Gal 6,10753 und erweitert dieses Zitat wohl754 durch Lk 6,36755 zur Formulierung: „Wir wollen uns allen als barmherzig erweisen, am meisten aber den Glaubensgenossen, damit wir die Güte des himmlischen Vaters nachahmen“ (Misericordes simus ad omnes, maxime autem ad domesticos fidei, ut…bonitatem Patris caelestis imitemur 3,71f). Aus der Güte Gottes leitet Leo die Forderung nach Almosen für alle Menschen ab, die jedoch nicht mit der noch größeren Zuwendung zu den Glaubensgeschwistern konkurrieren soll. Mit dem Hinweis darauf, dass Gott es über Gute und Böse regnen lasse, befürwortet das anschließende Zitat von Mt 5,45756 das Verteilen von Almosen an Gläubige und Nichtglaubende. Doch liegt Leo eine absolute Identifizierung von Nichtglaubenden und Bösen eher fern, zumal er auch nicht von Feindesliebe spricht.757 Die weiteren, die Schriftzitate aktualisierenden Ausführungen 753 Gal 6,10: Ergo dum tempus habemus, operemur bonum ad omnes, maxime autem ad domesticos fidei. 754 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138A, 235. 755 Lk 6,36: Estote misericordes, sicut Pater vester misericors est. 756 Mt 5,45: qui solem suum oriri facit super bonos et malos, et pluit super iustos et iniustos. 757 Im Zusammenhang der Bibelstelle weitet Jesus das Gebot der Nächstenliebe ausdrücklich auf Feinde und Verfolger aus (vgl. Mt 5,43-48).

Analyse von tract. 41

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(Quamvis ergo: „Obwohl also“ 3,74f) zeigen vielmehr, dass Leo mit Mt 5,45 allgemein auf die Schrankenlosigkeit der Güte Gottes hinweisen wollte, um die (in der Schöpfungsordnung begründete) Güte Gottes allen Menschen gegenüber plausibler zu machen: Trotz des Vorranges der Fürsorge für die Gläubigen, müssen auch jene Menschen unterstützt werden, die das Evangelium noch nicht angenommen haben (3,74-77), da sie durch die gemeinsame Natur in der Liebe aufeinander bezogen seien (naturae est diligenda communio 3,77f). Ähnliche Gedanken legt Leo bezüglich Herren und Diener vor: Die von Gott empfangene Güte soll auch Untergebene erreichen, die noch nicht getauft sind, besonders aber jene, die kraft der Gnade wiedergeboren und erlöst seien (gratia renati et…redempti 3,80f). Auf die untergebenen Getauften geht Leo dann in einer Schlussfolgerung noch weiter ein (Simul enim 3,81), da diese weder durch ihre Natur noch durch die Taufe von den Adressaten getrennt seien. Sie seien verbunden durch den Geist, den Glauben sowie durch die Sakramente, zu denen sie alle eilen (ad eadem sacramenta concurrimus 3,84). Daher verpönen die folgenden Hortative jede Geringachtung (Non spernatur; nec vilis sit 3,85) dieser Einigkeit und Gemeinschaft (unitas; communio 3,85f). Als Urbild der Güte gegenüber Untergebenen dient der Blick auf das Verhältnis Gottes des Herrn zu seinen Dienern (uni Domino eadem subicimur servitute 3,87f). 3,88-96: Aufforderung zur Vergebung und zur Versöhnung Aus dem Vorbild der Güte Gottes zu seinen Geschöpfen schließt Leo auf den Auftrag zur Vergebung (Si qui ergo: „Wenn also jemand“ 3,88). Haben Untergebene sich Schweres zu Schulden kommen lassen (graviora delicta 3,88f), sei ihnen in den Tagen der Versöhnung (in diebus reconciliationis758 3,89) zu vergeben. Mit den anschließenden Aufforderungen zur Vergebung und Versöhnung weitet Leo den Blick auf das Zusammenleben aller Glieder Christi (Christi membra 3,96). Die Notwendigkeit, zu vergeben und barmherzig zu sein (Auferat miseratio; venia deleat; nullum…teneat; includat 3,90f) gehe auf die biblische Bedingung für die Vergebung Gottes zurück (3,90-93759; vgl. Mt 6,12; 14f). Christen sollen Streit und Zweitracht (Dissensionum materiae; inimicitiarum aculei; odia; simultates 3,94f) aus ihrer Mitte verbannen und sich in Liebe versammeln (in unitatem dilectionis…conveniant 3,95f). 758 Der Terminus technicus reconciliatio wird bei Augustinus bereits für die Versöhnung mit Gott bzw. mit der Kirche als öffentliches Bußverfahren verwendet: vgl. ep. 228,8 (CSEL 57 491,1). Leo kennt außerdem noch zwei Formen der Sünden-Tilgung: Fasten und Spenden von Almosen: vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 239,22f); 49,6 (CChr.SL 138A 290,139-142). Vgl. Riga, Peter J.: Penance in Saint. Leo the Great, in: EgT 5 (1974) 28. 759 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,90-93): quoniam Deus noster misericordiam suam hac conditione promisit, ut is remittenda sibi nosset peccata propria, qui remisisset aliena.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

3,96-99: Zusammenfassender Schriftbeweis und Schlussdoxologie Die Seligpreisung Mt 5,9760 dient der abschließenden Zusammenfassung und Stützung des erwähnten Auftrags an die Gläubigen, wie durch das eingefügte „nämlich“ deutlich wird (Beati enim pacifici 3,96f). Mit der Ergänzung durch Röm 8,17761 unterstreicht Leo die soteriologische Ausrichtung auf Christus. Demnach seien die Gläubigen nicht nur als Söhne Gottes seliggepriesen, sondern auch als Erben und Miterben Christi. Die Doxologie ist hier etwas länger als bei den vorhergehenden Quadragesima-Predigten:762 „unseres Herrn, der lebt und herrscht in Ewigkeit“ (Domini nostri, qui vivit et regnat in saecula saeculorum 3,98f).

3.2.4  Gliederung Aus den Ausführungen oben ergibt sich folgende Gliederung:763 (1) Exordium 1,19, (2) Confirmatio (1,10-2,45), (3) Narratio (2,45-2,68) und Peroratio (3,69-99): Tab. 27: Gliederung von tract. 41 Exordium: 1,1-9: Die Veränderung des Lebenswandels angesichts des Confirmatio: höchsten Festes 1,10-2,45: Die Vorbereitung auf das Pascha-Fest 1,10-1,20: Der Vergleich der äußeren und inneren Bereitung für das Pascha-Fest 1,21-1,40: Aufruf zur Reinigung der Seele und zur Prüfung des Gewissens 2,41-45: Die Mahnung, die Selbsttäuschung zu unterlassen Transitus: 2,45-2,68: Die intensivere Versuchung durch den Satan in der Quadragesima Narratio: 2,45-52: Die Versuchung Jesu als Beleg für die Versuchung aller Menschen 2,53-68: Die Zugehörigkeit zu Christus in der Taufe und der Quadragesima 3,69-99: Imitatio von Jesu exemplum Peroratio: 3,69-88: Aufforderung zu guten Werken und zu Almosen 3,88-96: Aufforderung zur Vergebung und zur Versöhnung 3,96-99: Zusammenfassende biblische Argumentationsstütze und Schlussdoxologie

7 60 Mt 5,9: Beati pacifici, quoniam filii Dei vocabuntur. 761 Röm 8,17: Si autem filii, et heredes: heredes quidem Dei, coheredes autem Christi. 762 tract. 39 und 40 enden mit per Christum Dominum nostrum, tract. 42 überliefert bei der ersten Edition keine Schlussdoxologie, ebensowenig tract. 43. Alle anderen Quadragesima-Predigten enden mit einer längeren Formel, die wohl auf eine spätere Ergänzung hindeuten, zumal die Doxologien von manchen Handschriften nicht überliefert sind. 763 Vgl. die lediglich in die Hauptteile unterteilte Gliederung von Pratesi (idem, Commento, 301).

Analyse von tract. 41

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Die Anrede dilectissimi kann in tract. 41 nur bedingt zur Systematisierung der Rede herangezogen werden, da sie nur zweimal verwendet wird. Die erste Stelle leitet das Exordium ein, die zweite die Narratio. Exordium: Semper quidem nos, dilectissimi (1,1) Narratio: Nemo igitur se fallat, dilectissimi (2,41)

3.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts 3.3.1  Rhetorische Analyse der Confirmatio: 1,10-20 Für die folgende rhetorische Analyse wird der erste Teil der Confirmatio von tract. 41 herangezogen. In der darin enthaltenen Erläuterung des äußerlichen Festschmuckes als Ausdruck der inneren Schönheit des Menschen wirft auch ein Licht auf Leos Bewertung des Verhältnisses von Stil und Gehalt. Tab. 28: 41,1 (CChr.SL 138A 232,10-233,20) A

B

C D

10 10f 11 11 12 12f 13 13 13f 14 15 15f 16 17 17f 18 18f 19f 20

Si enim rationabile et quodammodo religiósum vidétur (P γ) per díem féstum (ton. Äquiv. Ditrochäus) in vestitu nitidióre prodíre, (P 1 γ) et hábitu corporáli (V 3 δ) hilaritatem méntis osténdere, (T 2 γ) si ipsam quoque oratiónis dómum (ton. Äquiv. Ditrochäus) propensióre tunc cúra (P 1 γδ) et amplióre cúltu, (ton. Äquiv. Ditrochäus) quantum póssumus, adornámus, (V δ) nonne dignum est ut ánima christiána, (V 3 δ) quae verum vivúmque Dei témplum est, (22 γε) speciem suam prudénter exórnet, (P 1 γ) et redemptionis suae celebratúra sacraméntum (TT γ) omni circumspectióne praecáveat (T 2 γ) ne ulla eam macula iniquitátis obfúscet, (P 1 γ) aut duplicis cordis rúga dedécoret? (T 13 γ) Nam quid prodest honestatis formam praeferens cúltus extérior, (T 2 γ) si interiora hóminis aliquórum (V δ) sordeant contaminatióne vitiórum? (TT 12 γ)

(10) Wenn es nämlich vernünftig und gottgefällig erscheint, (10f) sich am Festtag in hübscherer Kleidung zu zeigen und durch die äußere Erscheinung des Körpers (12) die geistige Fröhlichkeit an den Tag zu legen, (12f) wenn wir zu diesem Anlass auch das Haus des Gebetes selbst (13) mit hingebungsvollerer Sorgfalt und umfangreicherer Ausstattung verschönern, (13f) soweit wir das nur vermögen, (14) ist es da nicht angemessen, dass die christliche Seele, (15) die ein wahrer und lebendiger Tempel Gottes ist, (15f) ihr Aussehen tunlich mit Schmuck versieht (16f) und die Feier des Geheimnisses ihrer Erlösung mit aller Umsicht vorbereitet, (17f) damit kein Schandfleck der Ungerechtigkeit ihren Glanz (= sie) trübt (18) oder irgendeine Falte eines falschen Herzens ihre Schönheit (= sie) entstellt? (18f) Denn wozu dient der äußere Aufputz, der das Gepräge der Ehrbarkeit erkennen lässt, (19f) wenn das Innere des Menschen seinen Reiz durch den Schmutz gewisser Laster verliert?

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Das hier für die quadragesimale Vorbereitung verwendete Bild von der festlichen Kleidung und vom Schmuck des Tempels Gottes764 expliziert die vorhergehende Metapher von der „schmuckvolleren“ Seele (ornatior765 9). Als figura etymologica kehrt die Wortwurzel „orn“ in der Beschreibung der Gewohnheit wieder, das Gotteshaus zu schmücken (adornamus 14) sowie in Bezug auf den daraus abgeleiteten Auftrag, die Seele mit reicherem Schmuck zu versehen (exornet 16). Zur Veranschaulichung des zu vermeidenden Gegenbildes verwendet Leo Metaphern des Schmutzes (macula, ruga, sordere, contaminatio 1-20). Gliederung Der Abschnitt ist in vier Teile zu gliedern: (A) Die allgemeine Erfahrungswelt der Adressaten (10-14), (B) der Verweischarakter des Sichtbaren auf das Unsichtbare (14-17), (C) die abzuwehrenden negativen Konsequenzen (17f) und (D) das rechte Verhältnis von äußerem und innerem Schmuck (118-20). Erste Beobachtungen Der erste Teil (10-14) besteht aus zwei suggestiven Konditionalsätzen, die den faktischen Status quo der menschlichen Verhaltensweise benennen. Inhaltlich werden die Adressaten dabei von der Kultivierung der eigenen Person (vestitus nitidior; habitus corporalis 11)  zur Ausstattung des Gotteshauses (orationis domus) geführt, sodass diese Klimax im zweiten Teil mit der Identifizierung des Tempels mit der Seele (anima christiana; Dei templum 14f) ihren Höhepunkt erreicht. Das Ziel der äußerlichen Aufwendung wird im ersten Teil mit der Darstellung der inneren Freude (hilaritatem mentis ostendere 12)  am Festtag (per diem festum 1,9f) beschrieben.

764 Mit der Referenzstelle 1 Kor 3,16 gehört die Bezeichnung Tempel Gottes für die einzelnen Christen bzw. für die Kirche zum theologischen Sprachgebrauch frühchristlicher Autoren. 765 Das Adjektiv ornatus (von orno, das auf ordo zurückgeht) wird im Lateinischen in unterschiedlichen Bereichen verwendet. Es bezieht sich auf die konkrete äußere Ausstattung oder Schönheit („ausgerüstet“, „geziert“) sowie ‒ persönlich wie unpersönlich ‒ auf die ideelle („hochgeehrt“, „ehrenvoll“), besonders wird damit auch die wahrnehmbare Schönheit der Rede („geschmackvoll“, „schmuckvoll“, „schön“) ausgedrückt. Christliche Autoren verwenden ornare speziell für die Beschreibung des inneren Menschen (vgl. Plepelits: Art. orno, in: TLL 9,2 [1980] 1024,58-1034,56; 1026,67-1027,5). Prudentius verwendet das Bild des inneren Tempels: vgl. contr. Symm. 2,842 (FC 85 228): templum pectoris ornant [sc. Christiani].

Analyse von tract. 41

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Im zweiten Teil (14-17) verdeutlicht die rhetorische Frage, dass die Ursache für diese Freude im Fest zu suchen und somit jeglicher, gesteigerte Schmuck auf das Ziel der würdigen Pascha-Feier und der Festtagsfreude ausgerichtet ist. Der äußerliche Schmuck (habitus corporalis 11; forma honestatis 19)  anlässlich des Festtages (per diem festum 9f) zeugt lediglich von der inneren Freude (hilaritas mentis 12), der innere Schmuck (species 15)  mit der dazugehörigen Vorbereitung (praecaveat 17) ist aber die Voraussetzung für die wahre, zukünftige Festtagsfreude (celebratura sacramentum 16). Auf diese Weise erhält die Zeit der Vorbereitung implizit auch die Wesensmerkmale der Vorfreude. Der dritte Teil (17f) macht in Form eines negierten Finalsatzes deutlich, dass Kleider und Gebäudeverzierungen (vestitus, habitus, cultus 11; 13) lediglich einen Verweischarakter auf die Freude haben, während das Streben nach der Ausmerzung aller Ungerechtigkeit und Laster einen direkten Einfluss auf die Freude selbst nimmt. Fehlen letztere Bemühungen, ist die befreiende und gewissermaßen die ästhetische Wahrnehmung des Festes selbst getrübt (macula; ruga 17f). Die Betonung der Sorge um die Entfernung von Hindernissen für die Festtagsfreude verweist also auf die prozessorientierte Vorbereitung. Im vierten Teil (18-20) werden die Ergebnisse in Form einer rhetorischen Frage nach dem Nutzen des äußerlichen Aufputzes zusammengefasst. Dieser sei ad absurdum geführt, wenn die Laster weiterbestehen und die Seele beflecken (interiora hominins aliquorum sordeant contaminatione vitiorum 20). Äußerer und innerer Schmuck, Stil und Gehalt Das beschriebene Verhältnis von äußerem und innerem Schmuck ist gewissermaßen ein Spiegel von Leos Beurteilung des rechten Verhältnisses von Rhetorik und Inhalt: Wie die Seele als innere Bedingung der Festtagsfreude zu reinigen sei, um dem äußeren Schmuck seine Authentizität zu verleihen, so soll auch der

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Inhalt der Predigt, also die Lehre von allen Irrtümern frei sein, damit die rhetorische Gestaltung von innen heraus wirke.766 Die Freude über das Fest, von der der äußere Schmuck zeugt, ist dann mit der Freude über den Inhalt vergleichbar, der in der rhetorischen Form zum Vorschein kommt. Rhetorische Detailanalyse Im ersten suggestiven Konditionalsatz (Si enim 10) stellt Leo die Prämisse auf, dass die menschliche Verhaltensweise, einen Festtag mit angemessener Kleidung zu begehen, vernunftgemäß, aber nur „gewissermaßen fromm“ (quodammodo religiosum 10) sei. Eine religiöse Bedeutung habe der äußere Aufputz nämlich nur in Relation zur inneren Vorbereitung. Diese Feststellung bringt der Chiasmus in 10-12 auch syntaktisch zum Ausdruck: Tab. 29: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,10-12)       a                 b                    b            a per diem festum in vestitu nitidiore prodire et habitu corporali hilaritatem mentis ostendere sich am Festtag in hübscherer Kleidung zu zeigen und durch die äußere Erscheinung des Körpers die geistige Fröhlichkeit an den Tag zu legen

An der ersten Stelle der Infinitivgruppe gibt per diem festum die Ursache für die hilaritas mentis an. Die beiden Ausdrücke für den sekundären Glanz stehen sich im Satzinneren syntaktisch wie inhaltlich nahe: vestitus nitidior und habitus corporalis. Ihre Funktion besteht lediglich darin, diese Freude nach außen sichtbar werden zu lassen, wie durch ostendere am Ende des Kolons auch syntaktisch vermittelt wird. Die Instrumentalität des Leiblichen schlägt auf diese Weise eine Brücke zwischen der scheinbaren Antithese von corporalis und mentis. Der zweite Konditionalsatz (12-14) hängt inhaltlich wie strukturell sehr eng mit der schlussfolgernden, rhetorischen Frage (14-17) zusammen. Zunächst richtet die Einleitung si ipsam, die gegenüber Si enim eine inhaltliche Steigerung darstellt, die Aufmerksamkeit ganz auf die Schlussfolgerung (14-17). Deren Plausibilität wird durch die Aufnahme von syntaktischen und semantischen Elementen der vorhergehenden Prämisse (14-17) nahe gelegt: Die Menschen schmücken das Haus des Gebetes nicht äußerlich (orationis domum… adornamus 12-14), sondern das lebendige Haus, die christliche Seele schmückt

766 Siehe Der Predigtstil Leos des Großen.

Analyse von tract. 41

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sich von innen her (anima christiana…exornet 14-16). Aber auch andere Elemente des Konditionalsatzes werden in der rhetorischen Frage inhaltlich aufgenommen: „Ausstattung“ (cultus 13) durch „Aussehen“ (species 15), „Sorgfalt“ (cura 13) durch „Umsicht“ (circumspectio 17) und „soweit wir das nur vermögen“ (quantum possumus 13f) durch „tunlich“, „umsichtig“ (prudenter767 15f). Die inhaltliche Steigerung vom Fest (dies festus 11) zum heilswirksamen Fest der Erlösung (redemptionis suae celebratura sacramentum 16)  zeigt schließlich die Brisanz und die Aktualität von Leos Ermunterung auf. Als melodisch einprägsamer Abschluss der Periode (17f) dient ein für Leo typisches durch die Disjunktion aut zweigeteiltes, paralleles bzw. chiastisches Kolon. Durch die Schlussstellung der Prädikate wird das chiastische Gepräge macula iniquitatis…duplicis cordis ruga um ein paralleles Element ergänzt (abC – baC) und ein doppelter, rhythmischer Ausgang ermöglicht (P1γ und T13γ). Die gleiche Silbenzahl von iniquitatis und duplicis cordis sowie die Abfolge derselben Vokale in macula und ruga tragen ebenfalls zu einem harmonischen Satzabschluss bei. In der abschließenden rhetorischen Frage steht die „äußere Erscheinung“ (cultus exterior 19) auch syntaktisch am äußeren Rand des Kolons, während das „Innere des Menschen“ (interiora hominis 19f) unmittelbar am Beginn des Konditionalsatzes folgt. Dieser besteht aus zwei Kola, deren Ausgänge aufgrund ihrer syntaktischen Zusammengehörigkeit ein sich reimendes Homoioteleuton ergeben (aliquorum…vitiorum 19f). An dieser Wortstellung wird deutlich, dass Leo hier auf den Rhythmus Rücksicht nahm, sodass die Kola in den Versen 18-20 jeweils mit einer schlussstarken Klausel enden: T2γ, Vδ, TT12γ. Der Schmutz der Laster (contaminatio vitiorum 20) stellt den verabsolutierten äußeren Aufputz (cultus exterior 19) durch die gleiche Endposition des jeweiligen Kolons an in Frage.

767 Die prudentia steht in inhaltlicher Nähe zu cautio: vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,30), zur fidelitas: vgl. tract. 55,5 (CChr.SL 326,83), besonders zur sapientia, die im Kreuz enthalten ist: vgl. tract. 70,3 (CChr.SL 138A 428,44-50), und die der prudentia mundana gegenübersteht: vgl. 37,4 (CChr.SL 138A 203,74-77); tract. 25,4 (CChr.SL 138A 122,110-113); tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,1f): sapienter et sancte vivere. Daher soll sie auch bei der Abwehr der Angriffe des Bösen helfen: vgl. tract. 40,2 (CChr. SL 138A 224,30), und bei der Abkehr von den inpii sensus: vgl. tract. 46,1 (CChr.SL 138A 269,13-15). Die prudentia ist außerdem für die Anerkennung der Wahrheit nötig, z. B. der Inkarnation: vgl. tract. 28,6 (CChr.SL 138A 144,119-125) sowie der Erkenntnis des moralischen Übels: vgl. tract. 60,4 (CChr.SL 138A 366f,75-79). Vgl. Pratesi, Commento, 301f.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Zusammenfassung Leo geht vom Bild eines gegenwärtigen Festes und des gebührenden äußeren Schmuckes aus, um Schlüsse zu ziehen für den Prozess der inneren Zurüstung für das große, noch ausstehende Fest. Das Verhältnis von dem geschilderten, gegenwärtigen Fest und dem zukünftigen Fest der Erlösung wird dabei auch durch die Syntax verdeutlicht, da am Ende die prozessorientierte Sorge um die Vermeidung der Laster steht. Unter den rhetorischen Stilmitteln verwendet Leo besonders Chiasmen, Parallelismen und Metaphern. Da diese sehr gut geeignet sind, einen Vergleich zwischen einem geschilderten Bild und einer zukünftigen Vision sowie einen Transfer von äußeren Verhältnissen auf die geistige Entwicklung ins Wort zu setzen, ist es Leo hier gelungen, durch die Rhetorik möglichst den Inhalt sprechen zu lassen. Die oftmals bewusst, rhythmisierten konzisen Kola und Kommata erwecken den Eindruck einer logisch durchdachten und in sich geschlossenen Argumentation.

3.3.2  Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 2,45-58 In diesem Abschnitt der Narratio wird die Versuchung Jesu geschildert und aktualisiert. Die menschliche Natur und die Motive der Taufe und der 40 Tage sind dabei Ausgangspunkte für die Betonung der Verbundenheit von Christen in der Quadragesima mit Christus in der Wüste. Tab. 30: tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,45-235,58) 1 45 2 45f 46f 47f 48 48f 49f 50f 51f 52 53 53f 54f 55f 56 56f 57

Nam a quo dolos súos contíneat, (T γ) qui ipsum quoque Dóminum maiestátis (V δ) ausus est calliditatis suae fráude temptáre? (P 1 γ) Viderat superbiam suam baptizati Iesu Domini humilitáte calcátam, (P γ) XL intellexerat quadraginta diérum ieiúnio (T 2 γ) omnem concupiscentiam cárnis exclúsam, (P 1 γ) et tamen non desperavit de artibus suae malitiae spiritális impróbitas, (T 13 γ) tantumque sibi de naturae nostrae mutabilitáte promísit, (P 1 γ) ut quem verum experiebátur hóminem, (unrhythm.) praesumeret posse fíeri peccatórem. (V δ) B Si ergo ab ipso Domino et Salvatóre nóstro (Ditrochäus) B deceptionum suarum diabolus non revocávit insídias, (T 13 γ) A quanto magis fragilitatem nostram inpugnáre praesúmit, (P 1 γ) quos exinde vehementióre ódio (unrhythm.) et invidia saevióre perséquitur, (T γ) ex quo ei in báptismo renuntiávimus, (unrhythm.) et ab illa cui dominabátur orígine, (T γ) A B B

Analyse von tract. 41

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Tab. 30: Fortsetzung 57f 58f 59 60 60f A 61f 62 62f 63 63f XL

in novum creaturam divina regeneratióne transívimus! (T 2 γ) Unde quia dum mortali cárne circumdámur, (TT γ) non desinit nobis hóstis antíquus (P 1 γ) laqueos peccati ubíque praeténdere, (T 2 γ) et tunc maxime adversum Christi mémbra saevíre, (P 1 γ) quando ab eis sacratiora sunt celebránda mystéria, (T 2 γ) merito doctrina Spíritus sáncti (P 1 γ) hac eruditione imbuit pópulum christiánum, (V 3 δ) ut ad paschále féstum (Ditrochäus) quadraginta dierum se continéntia praeparáret. (V 3 δ)

(45) Denn von wem sollte er [der Versucher] seine Heimtücke fernhalten, (45f) der es wagte auch den Herrn der Herrlichkeit selbst mit seinem schlauen Betrug in Versuchung zu führen? (47f) Er hatte gesehen, dass sein Hochmut durch die von Jesus, dem Herrn, voll Demut empfangene Taufe zertreten war. (48f) Er wusste, dass durch das vierzigtägige Fasten jede Begehrlichkeit des Fleisches ausgeschlossen war, (49f) und dennoch verzweifelte der böse Geist nicht an den Mitteln und Wegen seiner Arglist, (50f) und versprach sich so viel von der Unbeständigkeit unserer Natur, (51f) dass er davon ausging, dass jener, den er als wahren Menschen kennengelernt hatte, ein Sünder werden könne. (53f) Wenn der Teufel also selbst unseren Herrn und Erlöser nicht vor seinen trügerischen Nachstellungen verschonte, (54f) mit welch größerer Zuversicht greift er dann unsere Gebrechlichkeit an! (56f) Seitdem wir ihm nämlich in der Taufe widersagt haben (57f) und von jenem von ihm beherrschten Ursprung durch die Wiedergeburt in Gott zur neuen Schöpfung hinübergegangen sind, (55f) seit diesem Zeitpunkt verfolgt er uns mit leidenschaftlicherem Hass und grimmigerem Neid. (58; 62-64) Und so führt die Belehrung des Heiligen Geistes das christliche Volk zurecht zu dieser Weisung, sich durch ein vierzigtägiges Fasten auf das Osterfest vorzubereiten. (58f) Denn solange wir an unsere sterbliche Hülle des Fleisches gebunden sind, (59) hört der alte Feind nicht auf, uns (60) überall Fallstricke der Sünde zu legen (60f) und dann am meisten gegen die Glieder Christi zu wüten, (61f) wenn von ihnen die heiligeren Geheimnisse gefeiert werden sollen.

Gliederung Der vorliegende Text kann zunächst in zwei Teile gegliedert werden: (1) Die Versuchung Jesu (45-52) und (2) die Versuchung der Christen (53-64), wobei der zweite Teil sich aus der intensiveren Versuchung der Christen aufgrund der Taufe (53-60) und der noch einmal gesteigerten Versuchung in der vierzigtägigen Vorbereitungszeit (60-64) zusammensetzt.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Erste Beobachtungen Die Versuchung Jesu wird einleitend als Beweis für die Versuchung aller Menschen eingeführt (45-47).768 Bei deren Schilderung bleibt der Satan stets die persona agens (Viderat; Intellexerat; non desperavit; promisit; experiebatur; praesumeret 47-52), während Christus gewissermaßen das passivum divinum zukommt, da er sich in seiner Demut taufen lässt (baptizatus 47) und sich Gott ganz übergibt (calcata; exclusa 48f). Im zweiten Teil werden die Schlussfolgerungen aus der Versuchung Jesu, des Gottes (Dominus maiestatis769 46) und Menschen (Jesu Domini humilitas 47f; verus homo 2,51f), für die Christen gezogen (53-64). Dieser Darstellung entspricht, dass nun nicht nur der Satan aktiv in Erscheinung tritt (non revocavit; praesumit; persequitur; dominabatur; non desinit 55-59), sondern auch die Gläubigen, die kraft der Taufe Christen sind (renuntiavimus; transivimus 57f), sowie der die Christen besonders belehrende Heilige Geist (imbuit 63). Er führt die Christenheit sozusagen in die Wüste, damit auch sie sich vorbereitet (praepararet 64). Rhetorische Detailanalyse Leo führt die Aktualisierung für die Christen im zweiten Teil (53-64) besonders ins Treffen, indem er die Bedeutung der menschlichen Natur Jesu in der Versuchung hervorhebt (50-52) und dessen Menschheit mit der allgemeinen menschlichen Natur identifiziert (naturae nostrae mutabilitas 51; fragilitas nostra 54f). Zur Strukturierung tragen daher der zweifache Hinweis auf die allgemeine Versuchung der menschlichen Natur sowie die Erläuterung der intensiveren Heimsuchung der Christen bei: (1) Kein Mensch könne angesichts der Versuchung des Gottmenschen von der Versuchung ausgenommen sein (45), (2) der schwache Mensch werde im Vergleich zum Gottmenschen noch stärker angegriffen (54f), besonders wegen der Taufe (55-58), aber (3) der Höhepunkt der Angriffe

768 Dieses Motiv des Stärkeren, der den Christen vorausgegangen ist, findet sich auch in anderen Zusammenhängen: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,69f). Die Stärkung erfolgt durch das Fasten: vgl. tract. 15,2 [CChr.SL 138A 59,40-42): In omni enim tempore omnibusque vitae istius saeculi diebus, ieiunia nos contra peccata faciunt fortiores. Vgl. Pratesi, Commento, 303. 769 Dominum maiestatis (1Kor 2,8) ist eine auch bei anderen christlichen Autoren verwendete Textvariante einiger Textzeugen der Itala (Vulgata: dominum gloriae), die Leo z. B. im Tomus ad Flavianum deutlich als Apostelzitat bezeichnet: ep. 28,132 (Silva-Tarouca 28): Secundum illud apostoli: Si enim cognovissent, numquam dominum maiestatis crucifixissent.

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werde erst in Bezug auf die 40 Tage und das bald zu feiernde Pascha-Mysterium (celebranda mysteria) erreicht (60-62). Das Ineinander von Christus und den Christen wird im Detail durch folgende Parallelismen verdeutlicht:  Die Taufe Jesu (47f) und die Taufe der Christen (56), das vierzigtägige Fasten Christi in der Wüste (48) und die vierzigtägige Enthaltsamkeit der Christen (63f; in der Tabelle als XL gekennzeichnet), das trotz Misserfolgen beharrliche Auftreten des Versuchers gegen Christus (48-50) und die gesteigerte Feindseligkeit des Versuchers gegen die Christen aufgrund der Taufe (55f) sowie die beharrliche Versuchung der Christen in dieser Welt (58-60), die vor der Feier des Pascha-Mysteriums eine Steigerung erfährt (60-62). Als bewusste Kontinuität ist auch die Mutmaßung des Satans in die Aktualisierung aufgenommen (praesumeret 52; praesumit 55). Außerdem nimmt Leo zu Beginn der Aktualisierung (53-55) die einleitenden Verse der Versuchung Jesu (45-47) chiastisch auf: ABB-BBA (siehe die Kennzeichnung in der Tabelle). und setzt damit den Gedanken von Vers 45 auf elegante Weise fort, nicht jedoch ohne die Angriffslust des Satans in gesteigerter Form zu schildern (quanto magis 54f). Verdeutlichen zahlreiche Begriffe zu Beginn der Schilderung der Versuchung die beiden Naturen Jesu Christi (Dominum maiestatis 46; temptare 46f; Iesu Domini humilitate calcatam 47f; ieiunio 48; exclusa770 49), so schließt Leo in der Erkenntnis des Satans jeden Zweifel an der wahren menschlichen Natur Jesu aus (ut quem verum experiebatur hominem 51f), sodass der Versucher zugleich die die Sünde ausschließende Wirkung der Gottheit völlig aus dem Blick verliert (praesumeret posse fieri peccatorem 52). Da der geneigte Hörer bereits aus dem Evangelium weiß, dass Christus auch weiterhin nicht verführt werden konnte, weder bei der Versuchung, noch in seinem Leiden oder am Kreuz, suggeriert Leo die ermutigende Vision der Teilhabe an Christi Sieg, ohne dies zu artikulieren. Indirekt wird der erlösende Triumph Christi jedoch durch den göttlichen Hoheitstitel „Herr und Erlöser“ (Dominus et Salvator 53) bekräftigt.

770 Beachtenswert ist auch der Parallelismus von: Viderat…calcatam und Intellexerat… exclusam (2,47-49). Während der erste Teil mit der Taufe der Gläubigen korreliert (2,56-58) steht den Christen die Überwindung der concupiscentia carnis (2,49) noch bevor.

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Die Erlösung der menschlichen Natur durch die Verbundenheit mit der göttlichen wird auf diese Weise als Weg für die (bereits erlösten) Christen beschrieben. Durch die Taufe haben die Glaubenden bereits dem Satan entsagt (ex quo ei in baptismo renuntiavimus 56f) und dessen Herrschaftsbereich verlassen (ab illa cui dominabatur origine 57), sodass sie schon jetzt in Gott neu geboren und in dessen Leben hinübergegangen seien (in novam creaturam divina regeneratione transivimus 57f). Leo veranschaulicht das in der Versuchung geknüpfte Band zwischen Christus und den Christen auch durch die daraus resultierende Bezeichnung für die Gläubigen:  Christi membra771 (61) und populum christianum (2,63). Die dies bewirkende Belehrung des Heiligen Geistes (doctrina Spiritus sancti772 62) führt die Christen zu einer Vorbereitung auf das Pascha-Fest, sodass Leo hier an der markanten Schlussposition auch mit praepararet (64) endet. Bezüglich der Wortstellung und der Klauseln sei aufgrund der Vielzahl der Klauseln nur auf eine Grundbeobachtung hingewiesen. Leo verwendet in den 27 Kola, 45-64, durchgehend die bei ihm gängigen Klauseln (bis auf 51f, 55f und 56f), darunter 17 schlussstarke Klauseln, um die wohl bewusst gewählten und für die Aussagen des Abschnitts wesentlichen Begriffe durch den Rhythmus zu größerer Plausibilität zu verhelfen. Zusammenfassung In der Untersuchung der Narratio konnte gezeigt werden, dass Leo in zahlreichen Fällen das Ineinander von rhetorischer Struktur und Inhalt bewusst beachtete. Die Kontinuität der menschlichen Natur des Erlösers und der erlösungsbedürftigen Menschen wird dabei besonders durch chiastische und parallele Strukturen erläutert:  Die Teilhabe an Christus geschieht durch die Taufe und die (in der Liturgie symbolisch begangenen) 40 Tage. Beide wirken daher sakramental. Hervorgehoben ist jedoch die Wirkung der vierzigtägigen Vorbereitung.

771 Diesen Ausdruck von 1 Kor 6,15 verwendet Leo auch am Schluss der Predigt. Die Erfüllung der vorhergehenden moralischen Mahnungen verleiht dieser Bezeichnung dann erst die inhaltliche Authentizität: vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 237,96f): in unitatem dilectionis omnia Christi membra conveniant. 772 Durch das Wirken des Heiligen Geistes wurde die Quadragesima von den Aposteln eingeführt: vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 274,6-8), so wie alle überlieferten Lehren: vgl. tract. 79,1 (CChr.SL 138A 498,1-6). Der Heilige Geist veranlasste auch die Verteilung der Fastenzeiten über das ganze Jahr: vgl. tract. 19,2 (CChr.SL 138A 77,26-29). Selbst die continentia sei den Aposteln vom Geist gegeben: vgl. 78,1 (CChr.SL 138A 494,412). Vgl. Pratesi, Commento, 304.

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3.3.3  Analyse der Figuren in tract. 41 Alliteration Neben den achtzehn klassischen Alliterationen773 gibt es in tract. 41 noch zehn Konstellationen, die durch ein oder mehrere Wörter getrennt sind.774 Unter alliterativen Verbindungen, bei denen der erste Buchstabe des Wortes in einem vorhergehenden oder folgenden wieder aufgenommen wird, ist folgendes Beispiel erwähnenswert:775 circumspectione praecaveat (1,17). Die in praecaveat aufgenommenen Plosive „p“ und „c“ bekräftigen dabei die inhaltliche Nähe der beiden Wörter. Die Alliteration subicimur servitute in wird im Textzusammenhang 3,85-88 exemplarisch erläutert, da deren Wirkung an der Schlussposition besonders einprägsam ist. Leo weist darin auf die größere Einheit von getauften Herrn und ihren Dienern hin. 773 Sechs davon sind jedenfalls den Gegebenheiten der lateinischen Sprache zuzuschreiben:  vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,15):  speciem suam; 41,1 (CChr.SL 138A 233,23f): se statuat; 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f); spernet, si; 41,2 (CChr.SL 138A 234,51): naturae nostrae; 41,2 (CChr.SL 138A 235,65): suae salubritatis; 41,3 (CChr. SL 138A 235,73): solem suum; 41,3 (CChr.SL 138A 236,93): peccata propria. Zwölf gewichtigere Alliterationen finden sich in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,15): verum vivumque; 41,1 (CChr.SL 138A 233,26): concupiscentia carnis; 41,1 (CChr.SL 138A 233,35):  tota temptatio; 41,1 (CChr.SL 138A 234,37):  praesumpsisse pecasse; 41,2 (CChr.SL 138A 234,49): concupiscentiam carnis; 41,2 (CChr.SL 138A 234,52): praesumerete posse…peccatorem; 41,2 (CChr.SL 138A 235,59): carne circumdamur; 41,2 (CChr.SL 138A 235,67f): probabitur Pascha; 41,3 (CChr.SL 138A 235,70): semper studendum; 41,3 (CChr.SL 138A 236,83f): Spiritu sanctificamur; 41,3 (CChr.SL 138A 236,87f): subicimur servitute. 774 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,2): sapienter et sancte. Die „s“-Laute bringen die beiden Adverbia mit den unmittelbar vorher genannten dilectissimi in Verbindung; 41,1 (CChr.SL 138A 232,10): rationabile et quodammodo religiosum; 41,1 (CChr.SL 138A 233,35f): vincitur, qui vinci…veretur; 41,1 (CChr.SL 138A 234,37): peccandi facilitate praesumere; 41,2 (CChr.SL 138A 235,60): Peccati ubique praetendere; 41,3 (CChr.SL 138A 235,75): praecipue…paupertas; 41,1 (CChr.SL 138A 233,24): si in secreto cordis sui; 41,1 (CChr.SL 138A 233,23f): Scrutetur conscientiam suam, seque ante se statuat; 41,3 (CChr.SL 138A 235,74): iustos et iniustos; 41,3 (CChr.SL 138A 236,79): Sunt conditione subiecti. 775 Um hier nicht ausufernd zu werden, nenne ich die zwei Beispiele, bei denen auch eine intendierte Verbindung mit dem Inhalt vermutet werden kann: vgl. tract. 41,1 (CChr. SL 138A 233,25): desiderium spiritus; 41,2 (CChr.SL 138A 235,57): origine, in novam. Wie im ersten Beispiel die Sehnsucht und der Geist ineinander verbunden werden, so wird im zweiten Beispiel die Transformation des Ursprünglichen verdeutlicht.

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Tab. 31: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,85-88) Non spernátur haec únitas, (T 2 γδ) nec vilis nobis sit tánta commúnio, (T 2 γ) sed hoc ipsum nos per omnia fáciat mitióres, (V 3 δ) quod eorum utimur subiectione, cum quibus uni Domino eadem subícimur servitúte. (V δ) Diese Einheit wollen wir nicht verachten, noch die so bedeutende Gemeinschaft geringachten, sondern gerade dieser Zusammenhang mache uns in jeder Lebenslage sanftmütig, da uns gerade jene zu Diensten sind, mit denen wir dem einen Herrn im selben Sklavendienst unterstellt sind.

Die im einleitenden Parallelismus durch die Schlusspositionen und Klauseln hervorgehobene Einheit (unitas) und Gemeinschaft (communio) werden durch den Dienst am gemeinamen Herrn begründet. Leo transportiert dieses Anliegen durch die rhetorische Darstellung des Verweises des „Herren-Diener-Verhältnisses“ auf den gemeinsamen Dienst am Herrn der Welt. Speziell geht es um eorum utimur subiectione und cum quibus uni Domino eadem subicimur servitute. Während utimur ein aktives Gebrauchen von Seiten der Besitzer ausdrückt, wirkt das gleich endende Passiv von subicimur wie eine Legitimierung der Existenz der dienenden Schicht. In Form einer figura etymologica nimmt dieses Verb das in subiectione ausgedrückte, konkrete Verhältnis zwischen Dienern und Herren auf (eorum…utimur), um es aus der Perspektive auf den gemeinsamen Dienst an Gott zu betrachten. Dass diese Verpflichtung die für beide Seiten wesentlich existentiellere ist, wird auch durch die dafür verwendete Bezeichnung servitus deutlich (eadem…servitute). Die besondere Klangwirkung der Alliteration subicimur servitute ist somit im Verlaufe des Satzes bereits vorbereitet und verhallt daher auch nicht als wirkungslose Klanghülse. Während die meisten Alliterationen eine Steigerung der inhaltlichen Plausibilität bewirken, verleihen einige auch spezifischen Nuancen zu einem Ausdruck. Dazu gehört ein durch Gottes Hilfe an Christi Vorbild orientiertes Leben (sapienter ‒ sancte), welches die Vernunft und der Glaube gebieten (rationabile ‒ religiosum). Da der Mensch dennoch nicht ohne Sünde bleiben könne, zumal der Satan die entsprechenden Schlingen lege (peccati ‒ praetendere), sollen die Christen sich prüfen und sich unter Gottes Urteil stellen (Scrutetur ‒ statuat).

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Assonanz Dreizehn Assonanzen beschränken sich auf zwei Wörter,776 drei erstrecken sich über mehrere Wörter.777 Unter diesen soll ein Beispiel näher erläutert werden. In 2,47f wird die Zerstampfung des Hochmutes durch die Assonanz in humilitate calcatam hörbar ins Werk gesetzt: Tab. 32: tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,47) Viderat superbiam suam baptizati Er hatte gesehen, dass sein Hochmut durch die von Iesu Domini humilitáte calcátam Jesus dem Herrn voll Demut empfangene Taufe (P γ) zertreten war

Die Erniedriegung stimmt hier auch mit der Untertauchung in der Taufe überein, was in den übereinstimmenden Lauten „at“ auch hörbar wird. Während die meisten Assonanzen den Zusammenhang der inhaltlichen Aussagen hervorheben, transportieren einige die inhatlichen Aussagen zusätzlich auf der Klangebene. So siegt die freiwillige Erniedrigung über den Hochmut (humilitate calcatam). Diese Bewegung der Barmherzigkeit sei gegenüber allen Menschen nachzuvollziehen (omnibus hominibus). Besonders die Getauften sollen sich auf ihrem Weg auf einen Prozess einlassen, der sie der Begegnung mit Christus würdiger werden lasse (reperiatur ornatior), zumal ihre Uneinigkeit noch offensichtlich sei (dissensionum ‒ dilectissimi). Homoioteleuton In tract. 41 finden sich zehn778 Homoioteleuta, die sich durch dieselben Personalendungen ergeben, drei, die durch andere Verbalendungen zustanden 776 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,9):  repperiatur ornatior; 41,1 (CChr.SL 138A 233,18): duplicis cordis; 41,1 (CChr.SL 138A 233,28): gaudet augmento; 41,1 (CChr.SL 138A 233,29): inimici miseria; 41,2 (CChr.SL 138A 234, 47f): humilitate calcatam; 41,2 (CChr.SL 138A 234,57): origine in novam; 41,2 (CChr.SL 138A 235,65): purificationis ratio; 41,3 (CChr.SL 138A 235,70): studendum est abundantius; 41,3 (CChr.SL 138A 236,77): omnibus hominibus; 41,3 (CChr.SL 138A 236,84): eadem fide vivimus; 41,3 (CChr.SL 138A 236,84): Ad eadem sacramenta; 41,3 (CChr.SL 138A 236,89): offendere delictis; 41,3 (CChr.SL 138A 236,93): Nosset…remisisset. 777 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,15): verum vivumque Dei templum; 41,2 (CChr.SL 138A 235,61f): sacratiora sunt celebranda mysteria; 41,3 (CChr.SL 138A 237,94): Dissensionum materiae, dilectissimi, et inimicitiarum aculei. 778 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,5): fecerunt…sunt; 41,1 (CChr.SL 138A 232,13f): possumus, adornamus; 41,1 (CChr.SL 138A 233,18): obfuscet…dedecoret; 41,1 (CChr.SL 138A 233,24f): spernit…adpetit; 41,1 (CChr.SL 138A 233,29): uritur…laetatur; 41,2 (CChr.SL 138A 233,35f): vincitur…veretur; 41,2 (CChr.SL 138A 234,41f): fallat…decipiat…confidat; 41,2 (CChr.SL 138A 234,39): habemus…seducimus; 41,3 (CChr.SL 138A 236,81f): habemus…sumus; 41,3 (CChr.SL 138A 236,84): vivimus…concurrimus.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

kommen779 und weitere sechs, die durch die Kasus-Ausgänge bedingt sind.780 Unter diesen ist es bei letzteren beiden Gruppierungen am wahrscheinlichsten, dass sie auch bewusst eingesetzt wurden, um die Aussage in einem Parallelismus zu verstärken,781 um die erste inhaltliche Aussage mit der zweiten im Sinne einer logischen Konsequenz zu identifizieren782 oder um einen Gegensatz hervorzuheben.783 In 2,74-81 enthält das dreiteilige Homoioteleuton in den letzten drei Kola auch eine aussagekräftige Klimax: Tab. 33: tract. 41,2 (CChr.SL 138A 235,74-236,81) Quamvis ergo fidelium praecipue sit adiuvánda paupértas, (P 1 γ) etiam illi tamen nondum evangélium recepérunt, (V δ) in suo labóre miserándi sunt, (ton. Äquiv. 22 γ) quia in omnibus hominibus naturae est diligénda commúnio, (T 2 γ) quae nos etiam his benignos débet effícere, (T γ) qui nobis quacumque sunt conditióne subiécti, (TT 12 γ) maxime si eadem grátia iam renáti (V 3 δε) et eodem sanguinis Christi prétio sunt redémpti. (V 3 δε) Obgleich wir also besonders der Armut der Gläubigen Abhilfe schaffen müssen, müssen wird uns auch jener in ihrer Drangsal erbarmen, die das Evangelium noch nicht angenommen haben, weil die gemeinsame Natur in allen Menschen liebenswert ist. Diese soll uns auch jenen gegenüber zu gütigen Menschen machen, die uns in welcher Form auch immer unterstellt sind, besonders, wenn sie durch dieselbe Gnade bereits wiedergeboren und durch denselben Lösepreis des Blutes Christi erkauft sind.

Da das Trikolon subiecti…renati…redempti insbesondere durch die Inversion des Hilfszeitwortes sunt ermöglicht wird (sunt…subiecti) scheint eine bewusste 779 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 233,34):  moveri…titillari; 41,2 (CChr.SL 138A 234,44f): insidiis…peccatis; 41,2 (CChr.SL 138A 234,48f): calcatam…exclusam; 41,3 (CChr.SL 138A 236,87f): subiectione…servitute; 41,2 (CChr.SL 138A 235,67f): egisse… honorasse; 43,2 (CChr.SL 138A 236,79-81): subiecti renati…redempti. 780 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,9):  sublimior…ornatior; 41,2 (CChr.SL 138A 234,52): hominem…peccatorem; 41,3 (CChr.SL 138A 235,74): malos iniustos; 41,3 (CChr.SL 138A 236,87f): subiectione…servitute; 41,3 (CChr.SL 138A 236,90): severitatem…ultionem; 41,3 (CChr.SL 138A 236,93): propria…aliena. 781 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 233,34); 41,2 (CChr.SL 138A 234,48f); 41,3 (CChr.SL 138A 235,74); 41,3 (CChr.SL 138A 236,90). 782 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,9); 41,2 (CChr.SL 138A 234,44f); 41,2 (CChr.SL 138A 234,52); 41,2 (CChr.SL 138A 235,67f). 783 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,93).

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Rhythmiserung und inhaltliche Steigerung gewählt worden zu sein. Im ersten Teil wird die allgemeine Verpflichtung zur guten Behandlung von Untergebenen ausgedrückt (subiecti). Maxime eröffnet eine Präzisierung der besonderen Verpflichtung den getauften Untergebenen gegenüber, die durch et noch parallel ergänzt wird. Die Parallelisierung der soteriologischen Termini renati und redempti wird durch die gleichen Vorsilben und Klauselausgänge auch akustisch wahrnehmbar, wobei der Schwerpunkt auf der die Periode abschließenden und der Wiedergeburt notwendig vorausgehenden Erlösung liegt.784 Durch die Homoioteleuta wird deutlich, wem Leos Adressaten vertrauen sollen. Das Vertrauen in die eigene Tugend sei eine Täuschung (fallat ‒ confidat), da der Mensch ständig zur Sünde gereizt werde (hominem ‒ peccatorem; moveri ‒ titillari). Indem der Mensch sich z. B. durch tugendhafte Nachsicht um die Vergebung der eigenen Sünden bemühe (propria ‒ aliena), gebe er dem Modell des wahren Pascha-Lammes die Ehre (egisse ‒ honorasse) und bereite sich anlässlich des höchsten liturgischen Festes im Vertrauen auf Christus würdig vor (sublimior ‒ ornatior). Dieser habe den Hochmut und alle daraus entstehenden Sünden schießlich ausgeschlossen (calcatam ‒ exclusam). Antithese Neben sechzehn Antithesen, die den Gegensatz einzelner Wörter betreffen,785 finden sich in tract. 41 auch zwei inhaltliche Gegenüberstellungen786 und eine großräumigere strukturelle Antithese. Dabei handelt es sich um die auch in anderen 784 Die beiden Vorsilben „re“ nehmen außerdem das „r“ der vorausgehenden, inhaltsschweren Nomina alliterativ auf: gratia…renati und pretio…redempti. In redempti ist auch der Plosiv „p“ deutlich hörbar, das in Verbindung mit dem Nasal „m“ auch eine akustische Erweiterung gegenüber renati darstellt, sodass auch auf dieser Ebene auf die Bedingung der Wiedergeburt hingewiesen wird. 785 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,9f):  corporali…mentis; 41,1 (CChr.SL 138A 232f,15; 17): speciem…macula; 41,1 (CChr.SL 138A 232f,16; 17): exornet…dedecoret; 41,1 (CChr.SL 138A 233,19f): exterior, si interior; 41,1 (CChr.SL 138A 233,20f): contaminatione…puritatem; 41,1 (CChr.SL 138A 233,21f): obnubilant, abstergenda; 41,1 (CChr.SL 138A 233,25f): desiderium spiritus nulla concupiscentia carnis; 41,1 (CChr. SL 138A 233,28f): felicitate…miseria; 41,2 (CChr.SL 138A 233,47;51): superbiam… humilitatem…mutabilitate; 41,2 (CChr.SL 138A 233,53;57): Domino et Salvatore…cui dominabatur origine; 41,2 (CChr.SL 138A 234,57): origine in novam; 41,3 (CChr.SL 138A 236,93): peccata propria…aliena; 41,3 (CChr.SL 138A 237,94f): dissensionum… in unitatem; 41,3 (CChr.SL 138A 237,95f): odia…dilectionis. Zwei Antithesen sind in Parallelismen enthalten: vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f): si humilia non spernit, si alta non adpetit; 41,3 (CChr.SL 138A 236,82f): carnali origine…spiritali nativitate. 786 Vgl. 41,3 (CChr.SL 138A 235,75-236,76): fidelium…qui nondum evangelium receperunt; 41,3 (CChr.SL 138A 236,77-80): naturae communio…renati.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Predigten787 immer wiederkehrende Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Streben nach Heiligkeit und dessen Steigerung in der Quadragesima: Tab. 34: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,1-6) Semper quidem788 nos, dilectissimi, sapienter et sancte vívere décet, (P γ) … sed cum hi adpropínquant díes (ton. Äquiv. Ditrochäus) … diligentiore sollicitudine córda mundánda sunt, (T 2 γζ) et studiosius exercenda est disciplína virtútum, (P 1 γ) Zu jeder Zeit ist es zwar angebracht, Geliebteste, der Weisheit gemäß und heilig zu leben…aber da sich jene Tage nähern…müssen wir unsere Herzen mit gewissenhafterer Sorgfalt reinigen und unsere Kenntnis der Tugenden eifriger in die Praxis umsetzen.

Der antithetische Hinweis auf die gegenwärtige, besondere Zeit (Semper quidem…sed cum) korrespondiert mit dem Gedankengang von 2 Kor 6,2, der als Teil der Tageslesung nur in tract. 40 und 42 direkt zitiert wird.789 Auch die Steigerung der observantia („Beobachtung“) gegenüber der alltäglichen consuetudo („Gewohnheit“ 1,7f) weist in dieselbe Richtung. Im Begriff observantia kommt jedoch der Aspekt der Nachfolge Christi stärker in den Blick, sodass die pflichgemäße Einhaltung der 40 Tage im Sinne der subjektiven Anteilnahme am Erlösungsgeschehen (redemptionis sacramentum 1,16) bereits als heilsam qualifiziert wird (observantiam suae salubritatis 2,65), wie auch die Zeitspanne der Quadragesima mit 2 Kor 6,2 als Tage des Heils charakterisiert werden. Dieses vertraute „Ineinander“ und gleichzeitig je noch zu vollziehende „Aufeinanderzu“ von Christen und Christus drückt Leo durch die Gegenüberstellung von Christus (1,25) und der christlichen Seele (anima christiana 1,14) bzw. des Erlösers (Salvator) und der menschlichen Bedürftigkeit (fragilitas nostra 2,53f) aus. Während Christus das Herz der Christen mit seinem Frieden (pax 1,25) erfülle, suche der

787 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 213,46-50); 40,2 (CChr.SL 138A 224,27-31); 42,1 (CChr.SL 138A 238,5-12); 43,3 (CChr.SL 138A 254,78-80); 44,1 (CChr.SL 138A 258,710); 44,2 (CChr.SL 138A 259,36-40); 45,1 (CChr.SL 138A 261,3-10); 47,1 (CChr.SL 138A 274,1-6). 788 Den antithetischen Satzbau Semper quidem…, sed cum bzw. sed modo verwendet Leo auch in zwei anderen Quadragesima-Predigten: vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,27;29); 44,1 (CChr.SL 138A 259,1;7). 789 Vgl. tract 40,2 (CChr.SL 138A 224,24f); 42,1 (CChr.SL 138A 238,4f): Ecce nunc tempus acceptum, ecce nunc dies salutis.

Analyse von tract. 41

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Verführer (temptator 2,43) die Friedfertigen (pacifici 97)  durch Verwirrungen (perturbationes 1,30), trügerische Vorstellungen (vanitatum imagines 1,32), Versuchungen (temptationes 2,43), Nachstellungen (insidiae 2,44), Listen (doli 2,44), Betrug (fraus 2,45f) und Spaltungen (dissensiones 3,94) heim. Bei der Vermittlung dieses Gedankenganges wird der Friede von Christus auch der Qualität des Lebens in der Welt (tota temptatio: „insgesamt eine Versuchung“ 1,35) als Antithesen ins Treffen geführt. Daher sei stets zu bedenken, dass der äußere Schmuck von Kirchen (orationis domum 1,12) und Menschen (vestitu nitidiore 1,11) ohne die entsprechende Zurüstung der Seele nutzlos sei, da an ihr dann der in Christus bereits vorgegebene und kraft der Taufe wirksame Übergang des von der Ursünde geprägten Menschen zur neuen Schöpfung (ab illa…origine, in novam creaturam divina regeneratione transivimus 2,57f) in der zeitlichen Bewährungsprobe nicht erkennbar werde. Die Antithesen von tract. 41 können als Hinweis auf die bewusste Einholung des bereits in der Taufe wirksam gewordenen Überganges von einem irdisch orientierten Leben zu einem Leben in Christus (Dominus ‒ cui dominabatur [diabolus]; origo ‒ nova creatura) verstanden werden. Der Übergang soll sich im Frieden Christi zeigen (dissensio ‒ unitas; odium ‒ dilectio) und in der entsprechenden Ausrichtung des persönlichen Strebens (concupiscentia carnis ‒ desiderium spiritus; superbia ‒ humilitas) umgesetzt werden. Besonders unter den Christen müsse dieser Frieden erfahrbar sein, da sie über die natürliche Verwandtschaft als Menschen hinaus auch durch die geistige Neuschöpfung der Natur verbunden seien (carnalis origo ‒ spiritalis nativitas). Diese ursprüngliche, wirksame Bedeutung der Taufe und zugleich des österlichen Mysteriums als Übergang (transitus) wird auch mit der liturgischen Zeit der Quadragesima insgesamt identifiziert, als Gnadenzeit (Semper quidem ‒ sed cum). Parallelismus Die neun Parallelismen in tract. 41 können nach folgenden Schemata eingeteilt werden: In vier ABCD-ABCD (zweimal Parison),790 drei ABC-ABC791und zwei AB-AB 790 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,8f): cui festivitas est celebranda sublimior, ipse quoque in ea repperiatur ornatior; 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f): si humilia non spernit, si alta non adpetit; 41,1 (CChr.SL 138A 233,28f): si denique aliena felicitate non uritur, aut inimici miseria non laetatur; 41,3 (CChr.SL 138A 236,85f): Non spernatur haec unitas, nec vilis nobis sit tanta communio. 791 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,34): nullis inlecebris moveri, nullis cupiditatibus titillari; 41,3 (CChr.SL 138A 236,82f): Nec carnali origine a nobis nec spiritali nativitate divisi sunt; 41,3 (CChr.SL 138A 236,91): Nullum custodia teneat, nullum carcer includat.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

(ein Parison),792 Von den bereits in den Fußnoten zitierten Parallelismen erfüllen vier die Funktionen der Betonung durch die Aufzählung, es gibt eine Gegenüberstellung793 während vier weitere eine inhaltliche Ergänzung und Erweiterung bieten.794 Außerdem gibt es in 3,83f ein dreigliedriges Beispiel (ABC-ABC-ABC): Tab. 35: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,83f) Eodem Spíritu sanctificámur, (33 δ) Durch denselben Geist werden wir geheiligt, eádem fide vívimus, (22 γ ε) im selben Glauben leben wir, um dieselben ad eadem sacraménta concúrrimus. (T 2 γ) Mysterien sammeln wir uns.

Die nachhaltige dreigliedrige Betonung der Einheit aller Glaubenden nimmt ihren Ausgang im göttlichen Bereich (Spiritu) wie auch das Passivum divinum verdeutlicht (sanctificamur). Mit dem zweiten Glied beginnt die lebendige Antwort des Menschen (fide) auf diesen Anruf, die schließlich nicht nur in einer geistigen, sondern auch in einer leiblichen Bewegung zu den göttlichen Mysterien zu ihrer ganzheitlichen Gestalt gelangt (concurrimus). Einen besonderen Abschluss erfährt diese Klimax ‒ vom göttlichen Geschenk zur ganzheitlichen Antwort des Menschen ‒ durch die schlussstarke Klausel (T2γ). Die Parallelismen bringen zum Ausdruck, dass der sündige Mensch (homo ‒ peccator) sich durch aktive Vorbereitung auf das Pascha-Mysterium (sublimior ‒ ornatior) um die pax Christi in seinem Herzen bemühen müsse (humilia ‒ alta; unitas ‒ communio), um als Neuschöpfung dem in den beiden Naturen bestehenden Ursakrament Christus würdig nachzufolgen (carnalis origo ‒ spiritalis nativitas). Chiasmus Unter den vier Chiasmen in tract. 41 weisen zwei das Schema ab-ba795 auf, zwei das Schema abC-baC796 und einer beinhaltet eine gewisse Unregelmäßigkeit: In 792 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,51f): ut quem verum experiebatur hominem, praesumeret posse fieri peccatorem; 41,2 (CChr.SL 138A 234,41): Nemo igitur se fallat, nemo decipiat. 793 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f). 794 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,8f); 41,1 (CChr.SL 138A 233,28f); 41,3 (CChr.SL 138A 236,82f); 41,2 (CChr.SL 138A 234,51f). 795 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,21): animi puritatem et speculum mentis. Die Reinigung auf der geistigen Ebene wird hier durch die äußeren Glieder hervorgehoben, während die beiden inneren Glieder sich inhaltlich ergänzen. Nur ein reiner Spiegel erfüllt seinen Zweck und verhilft dem geistigen Auge zu Einsicht und Erkenntnis ‒ die Metapher des Spiegels erhält auch auf syntaktischer Ebene Relevanz, da sich der erste Chiasmus-Teil im zweiten widerspiegelt (abba); 41,2 (CChr.SL 138A 234,55f): vehementiore odio et invidia saeviore. Der Chiasmus bringt durch die beiden äußeren Glieder die gesteigerte Intensität der satanischen Verfolgung zum Ausdruck. 796 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,90): Auferat miseratio severitatem, et venia deleat ultionem. Die Variation in der bedeutenden, ersten Stelle im Satz hebt im

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2,66-68 wird mit dem parallelen Gerüst Quanto…hos dies…egisse, tanto… Pascha Domini…honorasse bereits vorgegeben, dass die Steigerung einer noch zu benennenden Qualität der Gestaltung (egisse) der Quadragesima (hos dies) auch bedeutet, dass das Pascha-Mysterium (Pascha Domini) besonders in Ehren gehalten wird (honorasse): Tab. 36: Tract. 41,2 (CChr.SL 138A 235,66-68)    A          b            C        d       E Quanto enim sanctius quisque hos dies inveniétur egísse (P 1 γ),    A      d          C          b        E tanto probabitur Pascha Domini religiósius honorásse (V δ). Je heiligmäßiger nämlich ein jeder diese Tage ‒ gemäß objektiver Fetstellung ‒ zugebracht hat, desto gottesfürchtiger ‒ so wird das Urteil lauten ‒ hat er das Pascha des Herrn geehrt.

Die Variation der Glieder bd-db dient nicht nur der pointierten Argumentation, sondern auch der inhaltlichen Struktur von Leos Feststellung. Da sich die jeweils erste und die letzte Stelle des Chiasmus besonders einprägt, wird mit dem Beginn sanctius bereits zu Beginn auf die Dimension des gesteigerten Bemühens um Heiligkeit hingewiesen, die am Ende mit jener der Gottesfürchtigkeit gleichgesetzt wird (religiosius). Die Ausrichtung der ersteren Qualität muss einer objektiven Bewertung standhalten, wie das Passivum vermittelt: invenietur egisse. Während diese Prüfung des Lebenswandels innerhalb der Quadragesima am Ende steht ‒ syntaktisch am Satzende, liturgisch am Ende der Quadragesima ‒ wird am Beginn des zweiten Satzteiles mit einer weiteren objektiven oder göttlichen Beurteilung fortgefahren (probabitur). Beide zukünftigen Urteile (invenietur; probabitur) verweisen durch ihre syntaktische Nähe zueinander auf die unmittelbare Voraussetzung der in der Gegenwart liegenden und vom Menschen zu gestaltenden, wahrhaftigen Vorbereitung für eine gottgefällige Feier des Mysteriums. Die direkte Proportionalität der Gestaltung der Quadragesima und

zweiten Teil den positiven Begriff venia hervor, während die abzulegenden Verhaltensweisen jeweils am Ende stehen. Auf die Struktur abC–baC in tract. 41,1 (CChr. SL 138A 232,17f) wurde bereits in Rhetorische Analyse der Confirmatio: 1,10-20 hingewiesen.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

der Verherrlichung des Pascha-Mysteriums wird außerdem auch durch deren parallele Mittelstellung befördert (hos dies; Pascha Domini). Getragen wird diese Struktur und der unmittelbare Zusammenhang von Quadragesima und Ostern auch durch die beiden schlussstarken durch ein Homoioteleuton geprägten Klauseln P1γ (invenietur egisse) und Vδ (religiosius honorasse797). Die Chiasmen verleihen dem prozessorientierten Weg zur bereits sakramental wirksamen Gleichförmigkeit mit Christus Ausruck (animi puritatem ‒ speculum mentis; auferat miseratio ‒ venia deleat) sowie den gesteigerten Angriffen des Satans (vehementior ‒ saevior). Auf diesem Weg bestimmt die Investition in die entsprechende, quadragesimale Vorbereitung über deren Bedeutung bei der Feier des Pascha-Mysteriums (sanctius ‒ religiosius).

3.4  Leos Bibelverwendung 3.4.1  Der Befund der biblischen Bezugnahmen In tract. 41 verwendet Leo drei vollständige Bibelzitate,798 zwei Teilzitate,799 acht Kleinstzitate,800 die nur einzelne Wörter aufnehmen und acht inhaltliche

797 Pratesi gibt hier fälschlich einen cursus tardus an. Leo bevorzugt die kontrahierte Form (honorasse statt honoravisse), wohl aufgrund seines Rhythmusgefühls: vgl. idem, Commento, 304. Doch schon Cicero stellt fest, dass die Kontraktion zwar nicht die korrekte Form sei, aber die gebräuchlichere: vgl. orat. 47,157 (BSGRT 51,1-3): Quid quod sic loqui nosse, iudicasse vetant, novisse iubent et iudicavisse? quasi vero nesciamus in hoc genere et plenum verbum recte dici et imminutum usitate. 798 Vgl. 1 Joh 1,8: Si dixerimus quia peccatum non habemus, nos ipsos seducimus, et veritas in nobis non est, in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 234,38-40). Im selben Sinne zitiert Leo diese Stelle auch in tract. 37,3 (CChr.SL 138A 202,45f). Mt 5,45: qui solem suum oriri facit super bonos et malos, et pluit super iustos et iniustos, in: tract: 41,3 (CChr.SL 138A 235,73f). Mt 5,9: Beati pacifici, quoniam filii Dei vocabuntur, in: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 237,96f). 799 Das erste Teilztitat ist ein Mischzitat aus Lk 6,36 und Gal 6,10, in: tract. 41,3 (CChr. SL 138A 235,71f): Misericordes simus ad omnes, maxime autem ad domesticos fidei. Das zweite Teilzitat ist eine Kontraktion von Röm 8,17, in: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 237,97f): nec solum filii, sed etiam heredes, coheredes autem Christi. 800 Vgl. 1 Kor 3,16: templum Dei (vgl. 1 Kor 6,19) als Dei templum, in: tract. 41,1 (CChr. SL 138A 232,15); Eph 5,27: ut exhiberet ipse sibi gloriosam ecclesiam non habentem maculam aut rugam aut aliquid eiusmodi, sed ut sit sancta et immaculata als ne ulla eam macula iniquitatis obfuscet, aut duplicis cordis ruga dedecoret, in: tract. 41,1 (CChr. SL 138A 232,17-233,18). Unter Berücksichtigung von 1 Joh 1,8 in tract. 41,1 (CChr.SL

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Bezugnahmen,801 im Besonderen auf die Taufe Jesu (Mt 3,13-17)802 und die Versuchung Jesu in 2,45-52.803 138A 234,38-40) könnte Leo auch folgende wörtliche Parallele dem ersten Johannesbrief entnommen haben. Der Kirchenlehrer erläutert macula nämlich durch die iniquitas, die in 1 Joh 3,4 mit der Sünde identifiziert wird: Omnis qui facit peccatum, et iniquitatem facit, quia peccatum est iniquitas. Auch die Begriffskombination concupiscentia carnis könnte Leo diesem Brief verdanken (vgl. 1 Joh 2,16; tract. 41,1 [CChr.SL 138A 233,26]). Zur Zeit Leos ist dieses Begriffspaar besonders über Augustinus bereits in den traditionellen Wortschatz frühchristlicher Autoren eingegangen, sodass nur eine vorsichtige Vermutung möglich ist. Joh 14,27: Pacem relinquo vobis, pacem meam do vobis; non quomodo mundus dat, ego do vobis als si…illam quam Christus dat invenit pacem, in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f); Ijob 7,1 (LXX): Numquid non temptatio est vita humana super terram als vitae, quae tota temptatio est, in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,35). Dieses Zitat findet sich nur ein zweites Mal bei Leo, nämlich in der letzten Quadragesima-Predigt 50,2 (CChr.SL 138A 292,43). Augustinus zitiert diese Version z. B. in civ. 21,14 (CChr.SL 48 780,6): tota temptatio est, sicut sacrae litterae personant; Gal 6,15; 2 Kor 5,17: nova creatura und 1 Joh 3,14: transivimus als in novam creaturam divina regeneratione transivimus, in: tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,57-235,58); 1 Kor 6,15: membra Christi, in: tract. 41,2 (CChr.SL 138A 235,61); 41,3 (CChr.SL 138A 237,96); Gen 1,27: Et creavit Deus hominem ad imaginem suam: ad imaginem Dei creavit illum als ad imaginem Dei conditi sumus, in: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,81f). 801 Mt 7,1f: Nolite iudicare, ut non iudicemini; in quo enim iudicio iudicaveritis, iudicabimini als seque ante se statuat proprii censura iudicii, in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,23f); Gal 5,17a: Caro enim concupiscit adversus Spiritum, Spiritus autem adversus carnem und 1 Joh 2,16: quoniam omne, quod est in mundo, concupiscentia carnis… ex mundo est als si desiderium spiritus nulla concupiscentia carnis inpugnat, in: tract. 41,1 (CChr. SL 138A 233,25f); Röm 12,16: Idipsum invicem sentientes, non alta sapientes sed humilibus consentientes als si humilia non spernit, si alta non adpetit, in: tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,26f); Joh 3,5: Nisi quis renatus fuerit ex aqua et Spiritu, non potest introire in regnum Dei und 1 Kor 6,20: Empti enim estis pretio!; vgl. 1 Kor 7,23: Pretio empti estis als renati et…pretio sunt redempti, in: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,80f); Eph 4,4f: unum corpus et unus Spiritus, sicut et vocati estis in una spe vocationis vestrae; unus Dominus, una fides, unum baptisma als Eodem Spiritu sanctificamur, eadem fide vivimus, ad eadem sacramenta concurrimus und uni Domino, in: tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,83f; 87); Mt 6,14f: Si enim dimiseritis hominibus peccata eorum, dimittet et vobis Pater vester caelestis; si autem non dimiseritis hominibus, nec Pater vester dimittet peccata vestra als quoniam Deus noster misericordiam suam hac conditione promisit, ut is remittenda sibi nosset peccata propria, qui remisisset aliena, in: tract. 41,3 (CChr. SL 138A 236,91-93). 802 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,47f): Viderat superbiam suam baptizati Iesu Domini humilitate calcatam (vgl. Gen 3,15). 803 Leo geht auf keine Versuchung ein, da er vor allem das unermüdliche Wirken des Satans gegen alle Gläubigen verdeutlichen möchte. Das werde daran deutlich, dass

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Unter diesen biblischen Bezugnahmen befinden sich ein expliziter (1 Joh 1,8804) und drei implizite Schriftbeweise, die nicht als Bibelzitate gekennzeichnet sind (Gal 6,10; Mt 5,45; Mt 5,9). Bei diesen biblischen Bezügen konnte Leo wohl auf ein gewisses, geistiges bzw. schriftliches Repertoire zurückgreifen, da er einige davon auch in anderen Predigten verwendet. Hier sind zuerst die in den christlichen Sprachgebrauch übergegangenen Formulierungen zu nennen: templu m Dei805 (z. B. 1 Kor 3,16), nova creatura806 (z. B. 2 Kor 5,17), membra Christi807 (1Kor 6,15), ad imaginem Dei808 (Gen 1,27) und concupiscentia carnis809 (1 Joh 2,16). Einige Zitate verwendet Leo auch in zumindest einer weiteren Predigt: Gal 6,10 (ad domesticos fidei)810, Mt 5,9 (Beati pacifici)811, Eph 4,4f (unus Spiritus)812, 1 Joh 1,8 (Si dixerimus)813 und Eph 5,27 (macula und ruga)814. Von den insgesamt dreiundzwanzig Bezügen gehen anteilsmäßig die meisten auf paulinische Briefe zurück (insgesamt neun, fünf auf die Korintherbriefe), dann auf Matthäus (vier) und schließlich auf weitere Bücher des NT (Lk, Joh, Gal, Röm, Eph, 1 Joh), während aus dem AT nur zwei Formulierungen verwendet werden (Gen 1,27; Ijob 7,1).

er sogar Christus (jedoch unbekannterweise) versuchte, da er annahm, auch dieser müsse sündigen. Konkret wird mit quadraginta dierum ieiunio (tract. 41,2 [CChr. SL 138A 234,48]) auf Mt 4,1f angespielt (ut tentaretur a Diabolo. Et cum ieiunasset quadraginta diebus et quadraginta noctibus, postea esuriit) bzw. mit den in tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,50) genannten artes suae malitiae auf die drei Versuchungen in Mt 4,3; 5f; 8f. 804 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 234,38): dicente beato Iohanne apostolo. 805 Vgl. tract 42,6 (CChr.SL 138A 250,242fβ); 43,1 (CChr.SL 138A 251,3); 48,1 (CChr.SL 138A 279,18; 280,33f); außerhalb der Quadragesima-Predigten: passim. 806 Vgl. tract. 21,3 (CChr.SL 138 88,67); 26,5 (CChr.SL 138 130,125); 27,2 (CChr.SL 138 133,42); 40,2 (CChr.SL 138A 225,38); 63,7 (CChr.SL 138A 387,134); 93,1 (CChr.SL 138A 574,21). 807 Außerhalb von tract. 41: passim, z. B. in: tract. 23,5 (CChr.SL 138A 107,121). 808 Vgl. tract. 45,2 (CChr.SL 138A 264,37): ad imaginem…suam; außerhalb der Quadragesima-Predigten: passim. 809 Vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 230,124fα); außerhalb der Quadragesima-Predigten: passim. 810 Vgl. tract. 10,2 (CChr.SL 138 43,80-82); 92,4 (CChr.SL 138A 572,79f). 811 Vgl. tract. 49,6 (CChr.SL 138A 290,128f); 95,9 (CChr.SL 138A 589,165). 812 Vgl. tract. 24,6 (CChr.SL 138 115,144). 813 Vgl. tract. 37,3 (CChr.SL 138 202,45). 814 Vgl. tract. 65,1 (CChr.SL 138A 395,8).

Analyse von tract. 41

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3.4.2  Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes Bewusste sprachliche Adaptionen sind bei dem Zitatengefüge der Peroratio zu erkennen. Tab. 37: Sprachliche Adaption tract. 41,3 (CChr.SL 138A 235,71-74) Lk 6,36 Gal 6,10

Mt 5,44f

Estote misericordes, sicut et Pater vester Misericordes simus misericors est Ergo dum tempus habemus, operemur bonum ad omnes, maxime autem ad domésticos fídei, (T δ) Ego autem dico vobis: Diligite inimicos ut in ipsis quoque elemosinarum vestros et orate pro persequentibus vos, distributionibus, bonitatem Patris ut sitis filii Pátris véstri, (ton. Äquiv. caeléstis imitémur, (TT 12 γ) Ditrochäus) qui solem suum oriri facit super bonos et malos, et pluit super iústos et iniústos (T 12 γδ)

Während die Anspielung mit misericordes simus auf Lk 6,36 als sehr vage einzustufen und wohl auf eine inhaltliche Parallele zu reduzieren ist, erweist sich die Aufforderung zu Almosen und die inklusive Wendung bonitatem…imitemur gegenüber Mt 5,44f als eine Aktualisierung und mit der schlussstarken Klausel TT12γ auch als rhythmuskonformere Reformulierung. Die Verwendung des zweiten Teiles von Gal 6,10 („besonders aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind“) setzt bei Leo den Inhalt des ersten Teiles voraus („Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Menschen Gutes tun“; vgl. misericordes: „barmherzig“ und bonitas: „Güte“). Gerade die durch Mt 5,45 spezifizierte Güte weitet den Blick auf alle Menschen. Eine positive Veränderung im Rhythmus (V3δε) wird auch im folgenden Beispiel deutlich, bei dem Leo die Anrede „Ihr seid um einen Preis erkauft“ durch die 3.P.Pl. in ihrer Bedeutung universaler erscheinen lässt, wenngleich auch hier nur Getaufte gemeint sind: Tab. 38: Sprachliche Adaption 1 Kor 6,20; 7,23 Empti enim éstis prétio! (unrhythmisch); Pretio émpti éstis (ton. Äquiv. Ditrochäus)

tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,80f) prétio sunt redémpti (V 3 δε)

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Schließlich ersetzt Leo bei Röm 8,17 die inhaltliche Nuance der Parallelisierung von Söhnen und Erben durch eine antithetische Aufwertung des Begriffs „Erbe“. Tab. 39: Sprachliche Adaption Röm 8,17

tract. 41,3 (CChr.SL 138A 237,97f)

Si autem filii, et heredes: heredes quidem Dei, cohéredes autem Chrísti (V 3 δζ)

nec solum filii, sed etiam heredes, cohéredes autem Chrísti (V 3 δζ)

Während die Bedeutung von „Erben“ in Röm 8,17 noch ausdifferenziert wird („Erben Gottes freilich, Miterben aber Christi“) scheint Leo mit der Figur der Klimax den hohen Adel der Miterben Christi ausdrücken zu wollen.

3.4.3  Die Bibel als Quelle für den Inhalt Hinweise auf die liturgischen Lesungen Die Aktualisierung von Mt 4,1-11 in der Narratio (2,41-2,68) stellt den zentralen Bezugspunkt für alle anderen biblischen Zitate dar und ist daher am ehesten als Tagesevangelium anzunehmen. Weitere Hinweise bieten ähnliche sprachliche Strukturen in anderen Predigten, bei denen es einen direkten Hinweis auf die Verlesung von Mt 4,1-11 gibt.815 Von 2 Kor 6,1-10 sind nur allgemeine Gedanken aufgenommen, die bei Quadragesima-Predigten frühchristlicher Autoren als Gemeinplätze einzustufen sind. Dazu gehört der Hinweis auf die vom Alltag abgegrenzte, besondere Zeit (Semper quidem…, sed cum 1,1;3; 2 Kor 6,2816), die ein gesteigertes Bemühen um innere Reinigung (corda mundanda sunt 1,5) und Zurüstung (speciem… exornet 1,15f) erfordert, um sich des Pascha-Mysteriums würdig zu erweisen (vgl. 2 Kor 6,4817). Zwar findet sich der gleiche Gedanke auch in tract. 42 ausgeführt,818 in dem 2 Kor 6* als Epistellesung angenommen werden kann, doch,

815 Dazu gehört die Feststellung der allgemeinen Versuchung aller Menschen in Form einer rhetorischen Frage: vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,45-47); 40,3 (CChr.SL 138A 225,46f); 42,3 (CChr.SL 138A 243,103-106). 816 2 Kor 6,2: Ecce nunc est tempus acceptabile, ecce nunc dies salutis. 817 2 Kor 6,4: exhibeamus nosmetipsos sicut Dei ministros in multa patientia. 818 Vgl. tract. 42 (CChr.SL 138A 238,5-10): Quamvis enim nulla sint tempora quae divinis non sint plena muneribus, et semper nobis ad misericordiam Dei per ipsius gratiam

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da Leo den Gegensatz „Alltag-Gnadenzeit“ auch in anderen liturgischen Zeiten gebraucht,819 stellt er keinen verlässlichen Anhaltspunkt für die liturgische Verlesung von 2 Kor 6* dar. Die biblischen Inhalte in Verbindung mit der Versuchungsgeschichte Leo betrachtet die Versuchungserzählung besonders unter der Perspektive des gegen alle Christen wütenden Versuchers und nimmt einzig mit quadraginta dierum ieiunio (2,48) eine Wortnahe Anleihe von Mt 4,2 auf. Das vor Augen gestellte Ziel der Reinigung der Seele als Tempel Gottes (1Kor 3,16), der Erlangung des Friedens Christi (Joh 14,27), der Ausschließung aller Begierde des Fleisches (1 Joh 2,16) und der Achtung des Niedrigen (humilia vgl. Röm 12,16) findet sich im exemplum Christi erfüllt (superbiam…humilitate calcatam; concupiscentiam carnis exclusam 2,47-49). Wie Christus nach der Taufe (2,48-49) dem Satan 40 Tage widerstanden habe, so werden auch die getauften Christen (2,56-58820) vom Heiligen Geist (2,62 vgl. Mt 4,1) in diese 40 Tage geführt, damit sie Jesus Christus in diesem entscheidenden Lebensabschnitt nachfolgen. Auf diese Weise erlangen sie auch die Heilswirksamkeit seines Sieges, die in die Befolgung der liturgisch zu begehenden Quadragesima übergegangen sei821 (observantia suae salubritatis 2,65). Die in der Nachfolge von Christi humilitas begründeten moralischen Appelle finden sich besonders in der Peroratio (3,69-99). Hier wird die Barmherzigkeit allen Menschen, vor allem den Getauften gegenüber gefordert (Lk 6,36; Gal 6,10). In der Nachahmung der Güte Gottes gedenken die Christen der Guten wie auch der Bösen (Mt 5,45) und erweisen sich so als Söhne Gottes (Mt 5,9) und als Miterben Christi (Röm 7,17). praestetur accessus, nunc tamen omnium mentes maiore studio as spiritales profectus moveri, et ampliore fiducia oportet animari, quando ad universa pietatis officia, illius nos diei, in quo redempti sumus, recursus indicat. 819 Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 157f. Die Belegstellen führt Feichtinger an. 820 tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,56-235,58): ex quo ei in baptismo renuntiavimus, et ab illa cui dominabatur origine, in novam creaturam divina regeneratione transivimus! Der Gedanke der erneuten Geburt hat seinen Ursprung in Joh 3,3; 5: Nisi quis renatus fuerit. Der Begriff regeneratio kommt in Mt 19,28 vor, wo Jesus auf die eschatologische Neuschöpfung hinweist: in regeneratione, sowie in Tit 3,5, wo die Wiedergeburt durch die Taufe erläutert wird: per lavacrum regnerationis. Bei den frühchristlichen Autoren findet sich erstere Deutung: vgl. z. B. Aug., gr. et pecc. or. 2,39,44 (CSEL 42 201,23-202,4), regeneratio wird aber auch mit der Taufe in Verbindung gebracht: vgl. z. B. Aug., gr. et pecc. or. 2,18,19 [CSEL 42 180,11-15]; Leo, tract. 44,1 [CChr.SL 138A 259,31): regenerationis ablutio. 821 Vgl. tract. 74,2 (CChr.SL 138A 457,42f): Quod itaque Redemptoris nostri conspicuum fuit, in sacramenta transivit.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Zusammenfassung Für tract. 41  lässt sich aufgrund der großen Anzahl an Belegen festhalten, dass Leo sich mit den Worten der Bibel auszudrücken weiß und dabei wohl auf einbestimmtes Rerpertoire an eingeprägten Zitaten zurückgriff. Die Versuchung Jesu (Mt 4,1-11) ist dabei der hermeneutische Schlüssel für die gesamte Predigt wie für die ganze Quadragesima und zugleich der heilsgeschichtliche Schlüssel für die subjektive Heilswirksamkeit des Pascha-Mysteriums, sodass die Stelle auch als Tagesevangelium angenommen werden kann, während es für eine Epistellesung keine Hinweise gibt. Durch die Einflechtung und Umformulierung biblischen Substrates verdeutlicht Leo die Kontinuität des durch die regula fidei gedeuteten Wortes Gottes und der Gegenwart auch auf der sprachlichen Ebene, wobei er die Soteriologie vor allem mit paulinischem Gedankengut entwickelt.

3.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung 3.5.1  Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten Die für Leo typische Anrede dilectissimi findet sich in tract. 41 zweimal.822 Dreimal spricht er die Adressaten mit einer rhetorischen Frage an,823 einmal mit einer exclamatio.824 Siebenmal verwendet er die Aufforderung in Form eines Gerundivs.825 Da diese sich eignen, um einleitende allgemeine Leitlinien aufzustellen, setzt Leo sie auch jeweils zu zweit bzw. zu dritt am Beginn eines Gedankenganges ein.826 Die Form des Hortativs verwendet der Papst dreimal in der 1.P.Pl.827 und zwanzigmal in der 3.P.Sg.828 Siebenmal verwendet er Prädikate in der 8 22 Genauere Ausführungen dazu unter Literarische Form. 823 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232f,14-18): nonne dignum est…?; 41,1 (CChr.SL 138A 233,18f): Nam quid…? ; tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,45) Nam a quo…? 824 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234f,54-58): quanto magis…transivimus! 825 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,5f): mundanda sunt…exercenda est; 41,1 (CChr. SL 138A 233,22f): abstergenda…radenda sunt; 41,3 (CChr.SL 138A 235f,75;77f): sit adiuvanda…miserandi sunt…est diligenda. 826 Im ersten Satz des Exordium, in der Argumentatio am Beginn der Schlussfolgerungen und in der Peroratio am Beginn der Schlussfolgerungen aus den Schriftzitaten. Siehe Gliederung. 827 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 235,70): exsequamur; 41,3 (CChr.SL 138A 235,71): Misericordes simus; 41,3 (CChr.SL 138A 235,73): imitemur. 828 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,23): Scrutetur; 41,1 (CChr.SL 138A 233,24): statuat; 41,1 (CChr.SL 138A 233,24): Videat; 41,1 (CChr.SL 138A 233,29-33): disquirat…

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3.P.Pl.829 und fünfmal die inklusiven Personal- und Possessivpronomen nos bzw. noster830, die den Gedanken der Liebes-Einheit unterstützen. Die nicht unübliche Häufung von Hortativen lässt darauf schließen, dass Leo seine Adressaten herausfordert.

3.5.2  Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt Leo macht seinen Zuhörern den Sinn der inneren Vorbereitung auf Ostern durch einen einfachen Vergleich anschaulich. Die Anknüpfung bei deren Gewohnheit der Festtagskleidung und des Festtagsschmuckes von Kirchen (1,10-13) zeugt aber nicht nur von Leos Hirtensorge, sondern könnte auch auf eine Vorbereitungspraxis der Stadt-Römer hinweisen, die sich in einer gewissen Oberflächlichkeit erschöpft (1,18f). Dieser nicht sehr gewichtige Anhaltspunkt erfährt im Hauptteil eine substantiellere Profilierung. Da Leo in der Narratio eindringlich von der Realität der Verführung durch den Versucher spricht (2,41-2,68), scheint die genannte Oberflächlichkeit mit einer Bagatellisierung von Versuchungen bzw. von Sünden (macula iniquitatis 1,17f; duplicis cordis ruga 1,18) einherzugehen. In dieses Bild fügt sich auch die Aufforderung zur Gewissenserforschung ein (1,23f), die nach einer Auflistung von Sünden, die um die Themen Verachtung des einfachen Lebens, Ruhmsucht, ungerechte Besitzvermehrung, Gewinnsucht und Neid kreisen (1,23-33), noch einmal für jene aufgenommen wird, die sich nach wie vor keiner Sünden bewusst sind (1,29-33). Die Unausweichlichkeit des inneren Kampfes (1,33-36) wird schließlich durch den Schriftbeweis 1 Joh 1,8 aufzeigt (1,36-40). Ein weiterer Hinweis auf ein mögliches Grundproblem des städtischen Zusammenlebens von Christen in Rom ist in der Behandlung von getauften Dienern angesprochen (3,74-98). Leo argumentiert von der allgemeinen frequentetur…adquiescat…abducat; 41,2 (CChr.SL 138A 234,41f): fallat…decipiat… confidat; 41,3 (CChr.SL 138A 236,85):  spernatur…, nec vilis sit; 41,3 (CChr.SL 138A 236,86): faciat; 41,3 (CChr.SL 138A 236,89f): accipiant; 41,3 (CChr.SL 138A 236,91): teneat…includat; 41,3 (CChr.SL 138A 237,95): conterantur; 41,3 (CChr.SL 138A 237,95): Cessent…deficiant…conveniant. 829 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 236,81f) habemus…conditi sumus; 41,3 (CChr.SL 138A 236,84): sanctificamur…vivimus…concurrimus; 41,3 (CChr.SL 138A 236,87): utimur…subicimur. 830 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,2):  voluntates nostras; 41,1 (CChr.SL 138A 232,7): nostra observantia; 41,2 (CChr.SL 138A 235,64): nos ad observantiam…invitat; 41,3 (CChr.SL 138A 236,79): qui nobis quacumque sunt conditione subiecti; 41,3 (CChr.SL 138A 236,82): a nobis…divisi sunt.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Verpflichtung der Notlinderung allen Menschen gegenüber, die Christen auch Untergebenen gegenüber wahrnehmen müssen, besonders aber allen Getauften gegenüber. Diesen letzten Punkt verdeutlicht der Kirchenlehrer durch verschiedene Hinweise auf die Einheit (3,81-88; 95f) sowie auf die Vergebung und Beilegung aller Streitigkeiten (3,88-95) und zwar in einer so großen Ausführlichkeit, dass sie auch reale Erfahrungen und Verhaltensweisen widerspiegeln könnten. Für die soziale Zusammensetzung der Gottesdienstteilnehmer lassen sich aus diesen allgemeinen Erkenntnissen nur vorsichtige Schlüsse ziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Adressaten mit den angesprochenen Themen im Alltag konfrontiert waren, ist aber sehr hoch. Da Leos Stil ‒ wohl unabhängig von einer stilistischen Überarbeitung ‒ auf ein anspruchsvolles Publikum hinweist,831 ist davon auszugehen, dass die Mehrheit keiner niedrigen sozialen Schicht angehörte.

3.6 Theologische Grundgedanken Die Predigt tract. 41 führt die Hörer, Taufbewerber und Getaufte in das Mysterium der Einheit der Christen mit Christus ein. Für Leo ist die Taufe nicht nur das Eingangstor zu einem christlichen Leben, sie bedeutet für die nach dem Gottes Abbild Geschaffenen (3,82) ein Tempel des Heiligen Geistes832 zu werden (1,15), eins zu werden mit Christus, in seiner Geburt (renati 3,80),833 seinem Tod und seiner Auferstehung (sanguinis Christi pretio redempti 3,80f).834 So wird das Leben Christi zum Modell für den Christen (exemplum), der zuerst ganz auf den Erlöser, blicken und vertrauen soll (sacramentum), auf Christus, der als der Stärkere vorausgegangen und ohne Sünde geblieben sei (2,45-52). Dieser komme auch in der Belehrung des Heiligen Geistes entgegen, damit die Christen ihm in den 40 Tagen folgen (2,62-64).

8 31 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 317. 832 Vgl. tract. 21,3 (CChr.SL 138 88,74f): Per baptismatis sacramentum Spiritus sancti factus es templum. 833 Vgl. tract. 29,1 (CChr.138 147,39-41): Quo enim Spiritu de intemeratae matris visceribus nascitur Chistus, hoc de sanctae Ecclesiae utero renascitur christianus. 834 Vgl. tract. 63,6 (CChr.SL 138A 387,114-120): Dum enim renuntiatur diabolo et creditur Deo, dum in novitatem a vetustate transitur, dum terreni hominis imago deponitur et caelestis forma suscipitur, quaedam species mortis et quaedam similitudo resurrectionis intervenit, ut susceptus a Christo Christumque suscipiens non idem sit post lavacrum qui ante baptismum fuit, sed corpus regenerati fiat caro Crucifixi.

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Seitdem die Gläubigen in der Taufe Christus angehören (in novam creaturam…transivimus 2,57f) und in Christus geboren wurden,835 werden sie von Satan, dem das Mysterium der Menschwerdung Christi verborgen blieb,836 noch bewusster heimgesucht,837 da ihm der Erlösungsvorgang jetzt nicht mehr verborgen sei. In der Quadragesima erfahre dieses Wüten des Satans aber noch eine Steigerung, da das Fest nahe, auf das die Taufe angelegt sei (2,60-62). Denn so habe der Satan törichterweise auch Christus in Versuchung geführt, sowohl nach der Taufe (2,47f) als auch in der Zeit der Passion, wodurch er letztlich entmachtet wurde.838 Anders als Christus, der ohne Sünde geblieben sei, sündigen die Christen in ihrer Schwachheit (fragilitas) aber weiterhin (1,36-40). Erst wenn die Gläubigen sich an der humilitas Christi orientieren und ihre Schwäche eingestehen, werden sie die Quadragesima als Zeit der inneren Vorbereitung (1,10-18) im Sinne der pflichtgetreuen Befolgung der Weisungen Christi (observantia839 1,7f; 2,65) auch nützen, wie es der Heilige Geist dem christlichen Volk nahelege (2,62-64). Als Orientierungspunkt für diese intensive Nachfolge Christi hält tract. 41 den Leitgedanken des Friedens vor Augen, den nur Christus geben könne (quam Christus 835 Vgl. tract. 25,5 (CChr.SL 138 123,130-134): Originem quam sumpsit in utero Virginis, posuit in fonte baptismatis, dedit aquae quod dedit matri: virtus enim Altissimi et obumbratio Spiritus sancti, quae fecit ut Maria pareret Salvatorem, eadem facit ut regeneret unda credentem. 836 Vgl. tract. 22,3 (CChr.SL 138 93f,84β-91β): Hoc ipsum autem, dilectissimi, quod Christus nasci elegit ex virgine, nonne apparet altissimae fuisse rationis, ut scilicet natam humano generi salutem diabolus ignoraret, et spiritali latente conceptu, quem non aliud videret quam alios, non aliter crederet natum esse quam ceteros?; 22,3 (CChr.SL 138 96,144-149): Cum igitur misericors omnipotensque Salvator ita susceptionis humanae moderaretur exordia, ut virtutem inseparabilis a suo homine Deitatis per velamen nostrae infirmitatis absconderet, inlusa est securi hostis astutia, qui nativitatem pueri in salutem humani generis procreati, non aliter sibi quam omnium nascentium putavit obnoxiam. 837 Die gesteigerte Verfolgung der Christen durch den Satan angesichts des nahenden Osterfestes führt Leo implizit darauf zurück, dass er bei der Versuchung Jesu bis zu dessen Tod am Kreuz den Plan Gottes (mysterium humilitatis) nicht kannte und nun, da ihm durch die Erlösung alle Macht genommen sei, bereits mit der Kraft der Taufe und der jährlichen Feier des Pascha-Mysteriums vertraut sei und diese um ihre (subjektive) Wirkung zu bringen versuche. 838 Vgl. tract. 60,3 (366,66-68): Nec ipse itaque diabolus intellexit quod saeviendo in Christum, suum destrueret principatum, quia antiquae fraudis iura non perderet, si se a domini Iesu sanguine contineret. 839 Siehe die näheren Ausführungen dazu in Theologische Grundgedanken von tract. 40.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

dat…pacem840 1,25). Die innere Ausrichtung auf den Frieden bedeute daher die Reinigung des Geistes von allem, was das Abbild Christi verdunkle (animi puritatem et speculum mentis obnubilant 1,21f). Sie bedeute aber ebenso die Übung der Werke der Barmherzigkeit (pietatis opera 3,69), die nach dem Modell der humilitas insbesondere der Armut der getauften Untergebenen zugute kommen sollen (3,74-90). Ebenso werde ihnen auch Vergebung und Frieden geschuldet (3,90-96).841 Je näher die Christen diesem Ideal des Friedens (pax) kommen, desto intensiver werden sie zwar versucht (2,43-45), doch desto fruchtbarer sei auch die Teilhabe am Pascha-Mysterium (2,66-68). Wer sein Gewissen aber nicht ehrlich prüfe und in seinem Leben keine Versuchungen erkenne, erliege einer Selbsttäuschung (2,41-45) bzw. einer Täuschung des Satans (1,59f), die zu allen Verhaltensweisen führe, die dem Frieden Christi fremd seien (1,25-29).842 Jene Glieder Christi (Christi membra 1,61; 3,96) aber, die sich um diesen Frieden und die zwischenmenschliche Einheit in der Liebe mühen (3,69-96), erweisen sich als friedfertig (pacifici), als Söhne Gottes (filii Dei) und als Miterben Christi (coheredes Christi 3,96-98).

4 Analyse von tract. 42 4.1 Historische Angaben Die Datierung der ersten Edition und der Anlass für die zweite Die einleitende, feierliche Ankündigung und Beschreibung der Quadragesima legt die Datierung von tract. 42 auf den ersten Sonntag der österlichen Fastenzeit

840 Der Friede bestehe darin, Gottes willen zu tun und ihm zu gefallen: vgl. tract. 29,1 (CChr.138 147,41f): christianus, cui vera pax est a Dei voluntate non dividi et his solis quae Deus diligit delectari. 841 Da die Christen in der Taufe in das Leben Christi hineingenommen und verwandelt werden, ist auch er es, der alles Gute durch sie wirkt, sodass das Licht Christi in den Verdiensten der Christen als Lichtstrahlen aufleuchtet: vgl. tract. 63,7 (CChr.SL 138A 387,121-128): Haec commutatio, dilectissimi, dexterae est Excelsi, qui operatur omnia in omnibus, ut in singulis fidelibus per bonae conversationis qualitatem ipsum piorum operum intellegamus auctorem, gratias agentes misericordiae Dei, qui innumeris charismatum donis ita universum Ecclesiae corpus exornat, ut per multos unius luminis radios idem ubique splendor appareat, nec possit nisi gloria esse Christi, cuiuslibet meritum christiani. 842 Vgl. tract. 57,5 (CChr.SL 138A 337,87-90): Quidquid vobis contra christianam fidem ingeritur, quiquid contra Dei mandata suadetur, de illius deceptionibus venit qui vos innumeris dolis ab aeterna vita conatur avertere.

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nahe: „Um euch, Geliebteste, das heiligste und bedeutungsreichste Fasten anzukündigen, mit welchem Anfang sollte ich angemessener beginnen“ (Praedicaturus vobis, dilectissimi, sacratissimum maximumque ieiunium, quo aptius utar exordio 1,1f).843 Auch die primären Hinweise auf die vorgetragenen, liturgischen Lesungen unterstützen diese These: Das Zitat von 2 Kor 6,2 leitet Leo mit den Worten ein: „ich sage, was gelesen wurde“ (dicamque quod lectum est 1,3f). Über den Inhalt der Versuchung Jesu formuliert er:  „wie es durch die Lesung des Evangeliums offengelegt wurde“ (sicut evangelica lectione patefactum est 3,106). Für die Zuordnung zur konkreten Eröffnung der Quadragesima am zwölften März 444 führt Chavasse den inhaltlichen Anhaltspunkt der Auseinandersetzung mit den Manichäern in Rom an.844

843 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,1f). Vgl. auch die folgenden allgemeinen Erläuterungen der besonderen Gnadenzeit der Quadragesima: 42,1 (CChr.SL 138A 238,5239,23). 844 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CLXXVIII-CLXXXI; CC-CCI. Chavasse reiht folgende Traktate in die Zeit der antimanichäischen Auseinandersetzung: 9; 16; 24; 34 1a ed.; 42 1a ed. und 76 1a ed. Zur genaueren historischen Einordnung gibt Chavasse Folgendes an: Prosper von Aquitanien berichtet in seiner Chronik, dass im Jahre 443 viele Manichäer in Rom gewesen seien, die Leo aufspüren ließ: vgl. chr. integr. 2,749AB (PL 51 600): Leo ließ eine große Zahl an Büchern verbrennen und die führenden Geistlichen aufspüren. Diesem Beispiel folgten viele sacerdotes im Osten (vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CLXXVIIIf). Im November 443 spricht Leo diesen Zustand selbst an: vgl. tract. 9,4 (CChr.SL 138 37f,98-116). Ein Brief Leos an die Bischöfe Italiens ermöglicht die Datierung der bereits im Wesentlichen abgeschlossenen Auseinandersetzung auf den 30. Jänner im Jahr 444. Wer sich nicht vom Manichäismus abwandte, wurde gemäß kaiserlicher Beschlüsse verbannt: vgl. ep. 7,1 (PL 54 620f): ut quod nobis in urbe exstinguitur…secundum Christianorum principum constituta, ne sanctum gregem sua contagione polluerent, per publicos iudices perpetuo sunt exsilio relegati. Die Rechte der Manichäer waren bereits im Jahr 379 beschnitten worden: vgl. cod. Theod. 16,5,3 (Mommsen 855). Kaiser Valentinian III. ordnete die Auslöschung der Manichäer in der Stadt Rom bereits 425 an bzw. wohl seine Mutter Galla Placidia in dessen Namen: vgl. cod. Theod. 16,5,62 (Mommsen 878): Manichaeos haereticos schismaticos sive mathematicos omnemque sectam catholicis inimicam ab ipso aspectu urbis Romae exterminari praecipimus). Valentinian III. unterstützt Papst Leo mit einer weiteren Verordnung und stellt das Bekenntnis zum Manichäismus am 19. Juni 445 noch einmal unter Strafe: vgl. ep. 8 (PL 54 622-624). Die Formulierung Manichaeos loquimur, quos exsecrabiles…omnium retro principum statuta iudicarunt (ep. 8 [PL 54 622]) könnte ein Rekurs auf Leos Formulierung exsecrabilem sectam sein: vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,221).

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Die Datierung der zweiten Edition ist nur sehr vage möglich. Dolle erklärt lediglich, dass die Formulierungen der Überarbeitung vom konkreten Manichäismus abstrahieren und allgemein von einer irreführenden Lehre sprechen.845 Pratesi schließt sich jedoch Chavasse an, der Leos Vertiefung in der zweiten Edition auf den Austausch mit Bischof Turribius von Astorga über den Priszillianismus im Jahre 447 zurückführt.846 Die Manichäer in Rom Leos Traktate und Briefe über die Manichäer sind wohl hauptsächlich in den Jahren 443-447 entstanden, zu einem Zeitpunkt als eine große Zahl von Manichäern infolge des Einfalls der Vandalen von Afrika nach Rom kam.847 Die Zeit der akuten Auseinandersetzung fällt in die Jahre 443 bis 444, da Leo in kurzen Abständen darüber spricht bzw. schreibt.848 Im Traktat vom zwölften Dezember 443 legt Leo das Verfahren gegen Manichäer in Rom offen.849 Dieses Vorgehen hat offenbar die Auswanderung bzw. 845 Vgl. Dolle, Le Sermons en double Édition, in: RThAM 45 (1978) 29: Il a perdu de sa réalité menaçante pour devenir plus astrait: une doctrine, et non plus des hommes qui la professent. 846 ep. 15 (PL 54 677-692): Konkreten Anlass zu dieser Vermutung geben Chavasse die wörtlichen Entsprechungen von ep. 15,6 (PL 54 683) und tract. 42,4 (CChr.SL 138A 245,144fβ-159β). Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CCf; Pratesi, Commento, 305. 847 Vgl. tract. 16,5 (CChr.SL 138A 65,115-117): Hos itaque homines, dilectissimi, per omnia exsecrabiles atque pestiferos, quos aliarum regionum perturbatio nobis intulit crebiores, ab amicitia vestra penitus abdicate. Vgl. Grillmeier, Alois: Verweigerung der Kelchkommunion durch römische Manichäer unter Papst Leo I. (440-461). Zum manichäischen und kirchlichen Eucharistieverständnis, in: Praesentia Christi. Festschrift Johannes Betz zum 70. Geburtstag, hg. v. Lothar Lies, Düsseldorf: Patmos, 1984, 152; Brown, Peter: The Diffusion of Manichaeism in the Roman Empire, in: JRS 59 (1969) 92-103; Lauras, Antoine: Saint Léon le Grand et le Manichéisme Romain in: Studia Patristica 11, Papers presented to the Fifth International Conference on Patristic Studies held in Oxford 1967, 2. Teil, Classica, Philosophica et Ethica, Theologica, Augustinana (= TU 108), hg. v. Frank Leslie Cross, Berlin: Akademie, 1972, 203-209.) 203-209; Maier, Harry O.: “Manichee!” Leo the Great and the Orthodox Panopticon, in: JECS 4 (1996) 441-460. 848 Vgl. Chavasse, CChr.SL 138, CLXXVIII-CLXXXI; CC-CCI. Chavasse reiht folgende Traktate in dieser Zeit ein: 9; 16; 24; 34 1a ed.; 42 1a ed. und 76 1a ed. Vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 153. 849 Vgl. tract. 16,4 (CChr.SL 138 64f,96-114): In dieser Kollektenpredigt spricht Leo vom Vorgehen gegen die Electi und Electae, wie es auch die Konstitution von Valentinian III. beschreibt (vgl. Leo, ep. 8 [PL54 622-624]). In Anwesenheit von Bischöfen, Priestern, Laien, besonders der Senatoren, wurden Manichäer, u. a. ein geständiger Bischof, vernommen. Wer nicht abschwor, wurde verbannt.

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Verbannung vieler Manichäer zur Folge, sodass Leo die Bischöfe Italiens vor dem zu erwartenden Manichäer-Strom in die Provinzen warnt.850 Die Lehre Manis851 wird in der frühen Kirche mit christlichen Sekten in Verbindung gebracht,852 deren Mitglieder durchaus an kirchlichen Gottesdiensten teilnahmen, da sie der Meinung waren, die regula fidei wahrhaft verstanden zu haben.853 Für die Manichäer konnte die äußerliche Teilnahme einerseits eine Möglichkeit sein, in der christlich geprägten Stadt Rom nicht aufzufallen854 und andererseits das eucharistische Brot zu empfangen, dem auch sie nach ihren religiösen Vorstellungen und Speisevorschriften855 eine Bedeutung zuschrieben. Dass ihre Sichtweise mit der christlichen Lehre der Erlösung nichts mehr zu tun hat, erschließt sich für Leo durch deren dualistische und pessimistische Bewertung der Materie.856 Da auch die Geburt und die Leiblichkeit überhaupt 850 Vgl. ep. 7,1 (PL 54 620B-C): ne is…qui morbus abigitur…per vestras se dispergat Ecclesias, et suarum furtim cuniculos inveniat tenebrarum, ut quod a nobis in urbe exstinguitur, tenebrosis apud vos radicibus seminetur. Vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 153. 851 Mani sah wohl in sich selbst die Erlösergestalt, die vor ihm als Jesus in die Welt kam. Jesus wurde als Wesen in drei Phasen verstanden: Am Beginn als Gegenüber von Adam, dann als Prophet und schließlich als Richter am Ende der Zeiten. Warum der Prophet Jesus trotz Leibfeindlichkeit als leibliches Wesen verkündet wurde, könnte mit der missionarischen Ausrichtung des Manichäismus zu tun haben bzw. mit der Anknüpfung an bestehende Überzeugungen (vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 158-160). 852 Augustinus nimmt den Manichäismus in die Liste der Irrlehren in De haeresibus ad Quodvultdeum auf: vgl. haer. 46,1 (CChr.SL 46 312-320,1-204). Vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 154. 853 Vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 154. 854 Vgl. ibid., 155. 855 Mani verurteilt den Verzehr von Fleisch, da die göttliche Substanz aus einem toten Tier bereits entwichen sei, sowie das Ernten von Gemüse und Bebauen der Erde überhaupt, auch das Bereiten von Speisen, u. a. auch Brotbacken. Da die Erde als Fleisch und Blut des Herrn verstanden wurde, war die Nahrungsbeschaffung gewissermaßen ein blutiges Geschäft und musste von anderen erledigt werden. Für die Electi hatte somit jedes Essen den Charakter eines heiligen Mahles (vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 156-158). 856 Grillmeier konstatiert drei wesentliche Unterschiede des Manichäeismus zum Christentum: 1. Naturalismus: Die Elemente wurden vergöttlicht (Grillmeier weist auf die Nähe zum Zervanismus hin, der aber den östlichen Typus des Manichäeismus stärker beinflusste als den westlichen (vgl. Zaehner, Robert Charles: Zurvan. A Zoroastrian Dilemma, Oxford: Clarendon, 1955, 167). 2. Marcionitischer Dualismus: Die Materie,

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davon betroffen sind, war die Inkarnation Gottes für sie undenkbar und somit auch der erlösende Tod am Kreuz, die Auferstehung und die damit verbundene Bedeutung der Eucharistie.857 Während sie die irdische Materie als etwas Totbringendes betrachteten, den Wein speziell als Galle des Teufels verurteilten858 und daher der Kelchkommunion aus dem Weg gehen mussten, wollten sie im Brot859 jedoch die göttlichen Lichtteilchen aufnehmen.860 In tract. 42 nimmt Leo auf die Fastenpraxis der Manichäer Bezug, auf deren Teilnahme am eucharistischen Mahl und den bewussten Verzicht auf die Kelchkommunion (5,171-213), sodass die Datierung auf das Jahr 444 nicht unwahrscheinlich ist. Veränderungen in der zweiten Edition In den sechs Neuformulierungen861 bleiben die Manichäer einmal unerwähnt wie auch die Feinde des Kreuzes Christi.862 Die Manichäer werden aber an die Geburt, etc. sind schlecht. 3. Verschärfter Doketismus: Mani nahm die Stelle Jesu ein und die Erlösung durch den leidenden Christus wird hinfällig. Erlösung wird in der Praxis der manichäischen Lehre gesucht (vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 160). 857 Vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 158. 858 Vgl. Aug., haer. 46,11 (CChr.SL 46 316,115-117): Nam et vinum non bibunt, dicentes fel esse principum tenebrarum. 859 Der Verzehr von Weizenmehl war ihnen erlaubt: vgl. Aug., haer. 46,11 (CChr.SL 46 316,110f): hoc solum vivat ex carne quod farina, ne moriatur, excipitur. 860 Vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 158. Jesus wird eine Bedeutung bei der Heimholung dieser Lichtpartikel zugeschrieben, was die aus ihren Lehren abzuleitende Selbsterlösung aber nicht wesentlich beeinflusst (vgl. Grillmeier, Verweigerung der Kelchkommunion, 160). 861 (1) 2,24β-44β: In 2,30α gibt es mit 2 Kor 7,1 einen anderen Ausgangspunkt für den Appell an die würdevolle Leitung der körperlichen Regungen durch den Geist als in 2,30b. Während es in der ersten Edition dabei um den inneren Kampf geht, fällt der Blick in der zweiten mit 2 Kor 6,3 auf die Wahrnehmung des christlichen Lebenswandels vonseiten derer, die nicht glauben. Ihnen soll man keinen Anlass zur Kritik geben, weder durch anstößiges Gerede noch durch eine unaufrichtige Fastenpraxis (2,30β-39β). (2) 2,56β-73β: 61β-67β bringt das Thema der Freude ein, die keine Trauer oder Murren über das bescheidene Leben zulässt (vgl. Pratesi, Commento, 307). (3) 3,122β-126β; (4) 4,129β-137β: in 4,133β; (5) 5,171β-213β: Die Formulierung prima et secunda sabbati (5,179β) gibt es auch in einer anderen überarbeiteten Predigt (vgl. tract. 90,4 [CChr.SL 138A 563,132f]) sowie in vier Predigten der zweiten Sammlung: vgl. tract. 18,3 (CChr.SL 138 75,79); 19,3 (CChr.SL 138 80,84); 92,4 (CChr.SL 138A 572,83); 94,4 (CChr.SL 138A 580,75). Leo scheint diese Formulierung aufgrund ihres biblischen Charakters bevorzugt zu haben (vgl. Pratesi, Commento, 311f). Das entscheidende Motiv ist aber nur schwer zu fassen (vgl. Dolle, Les Sermons en double Édition, in: RThAM 45 [1978] 23). (6) 6,226β-249β. 862 In 3,176β bleiben die Manichäer unerwähnt. In 4,129β-137β: 6,226β-249β fehlt die Aufforderung, die Feinde Christi zu meiden. Vgl. Pratesi, Commento, 312.

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anderer Stelle als Diener des Satans eingeführt.863 Diesem Bild entspricht auch die zusätzliche Widerlegung864 der dualistischen Überzeugung der Manichäer in 4,144β-159β. Leo verneint die Existenz einer bösen Schöpfung (substantia mala 6,144βf) und kommt zum Schluss, dass nicht die Natur den Menschen verunreinige, sondern deren schlechter Gebrauch.865 Während die von Dolle866 vermutete, schlichte Ausweitung der in der ersten Sammlung konkret benannten Manichäer auf eine unspezifizierte Gegnerschaft in der Überarbeitung also wenig wahrscheinlich erscheint, ist der den Dualismus verurteilende Zusatz 4,144β-159β bei aller Zurückhaltung als Reaktion auf die Auseinandersetzung mit den Priszillianisten in Betracht zu ziehen.

4.2  Literarische Form 4.2.1  Exordium: 1,1-12 Leo wählt eine klassische Eröffnung, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu gewinnen,867 indem er die große Bedeutung des Predigt-Gegenstandes durch die Superlative und die auffälligen drei fünfsilbigen Wörter sowie durch das dreifache (auf  –um endende) Homoioptoton im ersten Satzteil hervorhebt:  Praedicaturus868…dilectissimi, sacratissimum maximumque ieiunium („Um euch,

8 63 Vgl. tract. 42,4 (CChr.SL 138A 244,133fβ): famulis…Manichaeis. 864 Außerdem gibt es in der Überarbeitung eine weitere Ergänzung sowie eine Auslassung: In 3,97β-100β wird die Gefahr des Stolzes für den tugendhaften Lebensstil noch einmal zusätzlich benannt. In 6,254-261 wird die formelhafte Aufforderung zum Fasten am Montag, Mittwoch und Freitag sowie zur Samstagsvigil ausgelassen. Nach Dolle sollte der Predigtabschluss mit dieser Änderung an die anderen QuadragesimaPredigten angeglichen werden: vgl. idem, Les sermons en double édition, in: RThAM 45 (1978) 31. 865 Mögliche Anknüpfungspunkte bei Augustinus finden sich bei Pratesi (idem, Commento, 309) und Dolle (idem, Les Sermons en double Édition, in: RThAM 45 [1978] 109 Anm. 6). 866 Vgl. Dolle, Les sermons en double édition, in: RThAM 45 (1978) 31. 867 Nach antiken Maßstäben der Gerichtsrede gilt es u. a., die Aufmerksamkeit des Richters zu gewinnen. Angebracht ist diese Technik besonders, wenn der Gegenstand für das Publikum eine Bagatellsache ist (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 152f). 868 Das Wort praedico war zur Zeit Leos bereits als terminus technicus für „predigen“ bekannt: vgl. 1 Kor 15,12: Christus praedicatur; Lact., mort. pers. 2,4 (OECT 6,15): ad

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Geliebteste, das heiligste und bedeutungsreichste Fasten anzukündigen“ 1,1f). Diesen Effekt unterstützt nicht nur die Form der rhetorischen Frage, die Leo mit der ciceronianischen Formel869 quo…utar exordio870 (1,2) einleitet, sondern vor allem eine konkretisierende Klimax: Leo kündigt das in der Lesung gehörte Zitat871 an, dessen Gewährsmann zwar der Apostel Paulus ist (2Kor 6,2872), in dem aber selbst Christus zu Wort kam (in quo Christus loquebatur 1,3). Dem Hörer wird somit bewusst, dass es Christus ist, der sie zur gegenwärtigen Quadragesima als eine Zeit der Gnade und des Heils einlädt (tempus acceptum; dies salutis 1,4f). Erfuhr das Fasten durch das Zitat 2 Kor 6,2 eine erste Deutung, so folgt im zweiten Satz eine vertiefende Erläuterung, um bereits die wesentlichen Inhalte der Predigt zu vermitteln.873 Dazu wählt Leo die für ihn typische, antithetische Satzstruktur, die das im Paulus-Zitat aktualisierte „jetzt“ weiter ausfaltet: „Obgleich es nämlich keine Zeiten gibt, die der göttlichen Gnadenzuwendungen bar wären und uns immer der Zugang zur Barmherzigkeit Gottes durch dessen Gnade selbst gewährt ist, ist es jetzt dennoch angebracht“874 (1,5-9). Die Barmherzigkeit evangelium praedicandum; Ambros. in Lc. 2,68 (CChr.SL 14 60,894): paenitentiam praedicaret. 869 Diese Formulierung verwendet sonst nur Cicero:  vgl. de orat. 2,77,315 (BSGRT 238,12f). 870 Den Begriff exordium im Sinne der Predigt-Eröffnung verwendet Leo nur an dieser Stelle. In den weiteren fünfzehn Belegstellen bezeichnet Leo die Präexistenz des Sohnes: vgl. tract. 72,5 (CChr.SL 138A 446,117): nullo exordio; den Anfang der Schöpfung: vgl. tract. 60,3 (CChr.SL 138A 365,57f); 69,4 (CChr.SL 138A 423,95) bzw. der menschlichen Geburt: vgl. tract. 12,1 (CChr.SL 138 48,1f), der Geburt Jesu: vgl. tract. 22,4 (CChr.SL 138 96,144f); 23,3 (CChr.SL 138 105,76f); 27,2 (CChr.SL 138 133,4042); 28,6 (CChr.SL 138 144,131-133); 29,3 (CChr.SL 138 150f,107f); 32,1 (CChr.SL 138 165,4f); 34,1 (CChr.SL 138 178,10f); 74,4 (CChr.SL 138A 459,89f), der Berufung: vgl. tract. 35,1 (CChr.SL 138 189,24f), der Auferstehung: vgl. tract. 71,4 (CChr.SL 138A 437f,83f) sowie des Symbolums: vgl. tract. 62,2 (CChr.SL 138A 377,30f). 871 Zitate bzw. Sentenzen wurden in der antiken Rhetorik als Technik bekannt, um die Aufmerksamkeit der Hörer zu gewinnen (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 155 [§ 271]). 872 2 Kor 6,2: Ecce nunc tempus acceptum, ecce nunc dies salutis. Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,24f). 873 Die Technik des iudicem docilem facere sollte nach antiker Auffassung zwischen der Komplexität des Gegenstandes und der Aufnahmefähigkeit der Zuhörer vermitteln (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 155f [§ 272]). 874 tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,5-9): Quamvis enim nulla sint tempora quae divinis non sint plena muneribus et semper nobis ad misericordiam Dei per ipsius gratiam

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Gottes sei zwar auch zu anderen Zeiten zugänglich (semper…praestetur accessus 1,6f), doch die Wiederkehr des Tages der Erlösung (illius diei…recursus 1,10) und des vor allen herausragenden Mysteriums des Leidens des Herrn (excellens super omnia passionis dominicae sacramentum 1,11f) erfordere die Übung sämtlicher Werke der Barmherzigkeit (universa pietatis officia 1,9f) und die Reinigung an Körper und Geist (purificatis et corporibus et animis875 1,12).

4.2.2  Der Hauptteil: Confirmatio, Transitus, Narratio, Confutatio Confirmatio 1,12-3,102 1,12-1,23: Argumentative Erläuterung der Fastenzeit In der Confirmatio nimmt Leo die Form der antithetischen Erläuterung der Quadragesima noch einmal auf (Debebatur quidem…Sed quia…:  „Es würde zwar gebühren…Aber weil“ 1,12f; 15), als wollte er den Gedanken seiner Zuhörer entkräften, dass eine begrenzte Zeit der Reinigung ein Widerspruch zum Anspruch der immerwährenden imitatio Christi darstellen würde:  Der Christ schulde Gott aufgrund der geschenkhaften Mysterien (munera 1,6; tanta mysteria 1,13) zwar die beständige Gottergebenheit (incessabilis devotio876 1,13), doch aufgrund der „Schwäche des Fleisches“ (carnis fragilitas 1,16) brauche der Mensch die von Gott eingerichtete vierzigtägige Vorbereitungszeit (1,19), damit er von seiner Schuld befreit werde (1,15-23). Bei dieser Argumentation stützt Leo sich auf eine Reihe von Antithesen, die zwei menschliche Grunderfahrungen praestetur accessus, nunc tamen…oportet. Um die besondere Qualität der liturgischen Zeit bzw. des Festes zu betonen, verwendet Leo auch an anderen Stellen ähnliche, antithetische Satzstrukturen: vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 224,27; 29); 40,1 (CChr.SL 138A 232,1; 3); 44,1 (CChr.SL 138A 259,1; 7), aber auch das Adverb hodie: vgl. z. B. tract. 21,1 (CChr.SL 138 85,1f). Vgl. Folsom, Cassian: Leo Magno e la liturgia, in: I Sermoni di Leone Magno. Fra storia e teologia (= BPat 30, Leone Magno. Sermoni. 1. Band, Introduzione), hg. v. Mario Naldini, Fiesole (Fl): Nardini, 1997, 95f. 875 Vgl. den kurzen Abriss über Leos Anthropologie in Analyse von tract. 42. Literarische Form. 2,34-26: Confirmatio II: Die Erläuterung des inneren Kampfes und des Zieles. 876 Vgl. 63,5 (CChr.SL 138A 385,74-79): Sicut ergo nemo est credentium, dilectissimi, cui dona neganda sint gratiae, ita nemo est qui non sit christianae debitor disciplinae, quia etsi remota est mysticae legis asperitas, voluntariae tamen observantiae crevit utilitas, dicente evangelista Iohanne: Quia lex per Moysen data est, gratia autem et veritas per Iesum Christum facta est. Zur Bedeutung der Schlüsselbegriffe devotio und observantia siehe Analyse von tract. 40. Theologische Grundgedanken.

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der „gottesfürchtige Herzen“ (religiosa corda 1,19) zum Ausdruck bringen: Die Erfahrung der Einheit mit Gott (permanere in conspectu Dei: „vor Gottes Angesicht bleiben“; fortitudo877: „Tapferkeit“; observantia: „Achtsamkeit“ 1,14-17) und die Erfahrung der Trennung von Gott bzw. der Sünde (carnis fragilitas: „Schwäche des Fleisches“; relaxari:  „gelockert werden“; vitae huius sollicitudo:  „Sorge dieses Lebens“; mundanus pulvis: „Staub der Welt“; sordescere: „schmutzig werden“ 1,16-19). Zur Wiederherstellung der Reinheit (ad reparandam mentium puritatem 1,20) sei daher die vierzigtägige Zeit der Einübung (quadraginta… dierum exercitatio 1,19) gemäß der Vorsehung eingerichtet worden (1,19f).878 Konkret werde die persönliche Schuld durch die pflichtgemäßen, tugendhaften Werke (pia opera) und das uneigennützige Fasten (ieiunia casta 1,22f) getilgt. 2,24α-39α: Aufforderung zur Aufnahme des inneren Kampfes In der schlussfolgernden Exhortatio (Ingressuri igitur: „Indem wir also beginnen“ 2,24) fordert Leo dazu auf, sich am Beginn der „mystischen Tage“ (dies mystici 2,25α) um den Gehorsam den Weisungen des Apostels Paulus (2 Kor 7,1)879 gegenüber zu bemühen (oboedire curemus 2,28α). Waren die bisherigen Ausführungen schon ein deutlicher Hinweis auf die paulinischen Ausführungen zum Gesetz der Sünde im Menschen, so bleibt bei der Erwähnung des Kampfes zwischen Geist und Fleisch (inter utramque substantiam: „zwischen beiden Bestandteilen“ 2,33fα) kein Zweifel mehr.880 Der Geist solle sich darin als Leiter des Leibes erweisen (corporis sui decet esse rectorem 2,36f), wie es Gott vorgesehen habe (2,35f).881 2,40α-90α: Erläuterung des Fastens als Quelle der Tugenden und des Reichtums 2,40α-48α: Die geistige Dimension des Fastens Dass es beim Fasten nicht nur um einen disziplinierten Verzicht von leiblichen Speisen geht, sondern auch um die geistige Dimension des Fastens überhaupt, zeigt er mit der begründenden Überleitung „Denn nicht allein in der Enthaltsamkeit“ (Non enim in sola abstinentia 2,40α). Zur „Hauptsache des Fastens“

877 Vgl. tract. 43,2 (CChr.SL 138A 253,57-59): Unde quia paucorum est tam solida fortitudo, ut nulla inaequalitatum perturbatione quatiantur. 878 Vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 239,19f): magna divinae institutionis salubritate provisum est. 879 2 Kor 7,1: (Leo: emundantes) mundemus nos ab omni inquinamento carnis ac spiritus. In der Überarbeitung zitiert Leo 2 Kor 6,3: nemini dantes ullam offensionem, in: tract. 42,2 (CChr.SL 138A 30fβ). Siehe die Erläuterung im Kapitel Historische Angaben. 880 Vgl. Gal 5,17; Röm 7,14-23. Gal 5,17 wird z. B. in tract. 39,2 (CChr.SL138A 213,35f) zitiert. 881 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL138A 213,34-46).

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(summa ieiunii 1,41fα) gehöre auch die Lösung von der Ungerechtigkeit (iniquitas) und von den missgünstigen Äußerungen (2,44α-46α). Der logische Schluss Sic ergo („So also“ 2,47) verknüpft die leibliche Dimension des Fastens noch einmal mit der geistigen:  Die prinzipielle Freiheit (libertas) in der Nahrungsaufnahme soll so gebraucht werden, dass andere, die geistige Ebene betreffende Begierden (cupiditates) in die Schranken gewiesen werden (2,48). 2,49-61α: Die zu übenden Tugenden in der Quadragesima Auf den Hinweis „Dies ist die Zeit“ (hoc tempus est 2,49f) folgen noch zwei Anspielungen auf das Motiv der Gnadenzeit in 2 Kor 6,2 (Nunc…Nunc: „Jetzt… Jetzt“ 2,52; 54). Die darin genannten Tugenden verweisen in besonderer Dichte auf das Leben Christi882 als Lebensmodell für die Christen:883 Zuerst sei dies nämlich die Zeit der Sanftmut, Geduld (mansuetudinis et patientiae) und des Friedens und der Herzensruhe (pacis et tranquillitatis884 2,49).885 Zweitens sei jetzt die Zeit, da der Mensch in seiner tugendhaften und gottesfürchtigen Tapferkeit (piarum mentium fortitudo886) die Schuld vergebe, sowie erfahrene Kränkungen und erlittenes Unrecht nicht beachte (2,52f). Drittens sei jetzt die Zeit, 882 Vgl. tract. 37,3 (CChr.SL 138 202,48-53): Unde tota, dilectissimi, christianae sapientiae disciplina, non in abundantia verbi, non in astutia disputandi, neque in appetitu laudis et gloriae, sed in vera et voluntaria humilitate consistit, quam Dominus Iesus Christus ab utero matris usque ad supplicium crucis pro omni fortitudine et elegit et docuit. 883 Vgl. z. B. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214f,71-78): Christus hat den Satan besiegt und gibt den Gläubigen ein exemplum. 884 Die tranquillitas animi war in den sokratischen Philosophen-Schulen ein erstrebtes Ziel: vgl. z. B. Seneca, ira 2,12 (BSGRT 48,26): felicis animi immota tranquillitas. bzw. dessen Dialog: De tranquillitate animi. Ambrosius verortet die tranquillitas animi sowie die mansuetudo im Bereich der Kardinaltugend der Mäßigung: vgl. off. 1,43,210 (CChr.SL 15 78,1-5). 885 Dieselben Begriffe verwendet Leo auch in tract. 40,5 (CChr.SL 138A 230,127f): Statt patientia ist hier die dilectio angeführt. 886 Die Kardinaltugend der Tapferkeit (vgl. tract. 42,1 [CChr.SL 138A 238,16]) bedeutet für die Christen die Annahme des Kreuzes, wie Leo in der Predigt auf die Verklärung des Herrn am Vorabend des zweiten Sonntags in der Quadragesima betont: vgl. tract. 51,2 (CChr.SL 138A 298,50-55): Ut ergo istam felicis constantiae fortitudinem toto apostoli corde conciperent, et nihil de suscipiendae crucis asperitate trepidarent, ut de supplicio Christi non erubescerent, nec pudendam sibi eam patientiam crederent, quae sic subitura erat saevientiam passionis, ut non amitteret gloriam potestatis adsumpsit Iesus Petrum. Diese fortitudo in Form der observantia specialis kann besonders in der Quadragesima eingeübt werden: vgl. tract. 49,3 (CChr.SL 138A 56-59): Hanc fortitudinem, dilectissimi, nulli magis quam praesentes et exigunt et conferunt dies, quibus dum observantia

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da der treue Mensch (fidelis animus 2,54α) sich gemäß 2 Kor 6,7bf887 in den Waffen der Gerechtigkeit übe und Lob und Schmähungen gleichmütig aufnehme (2,58α-61α)888. 2,67α-90α: Das Paradoxon von Freigiebigkeit und Reichtum Leo beschließt den Teil der geistigen Fastenanstrengungen mit der Aufforderung zur furchtlosen Zuwendung von Almosen (2,67α-77) und mit dem entsprechenden, biblischen exemplum889 von der armen Witwe von Sarepta (1 Kön 17,8-16) in 2,82-90. Den Auftakt dazu gestaltet Leo mit den Zusagen, dass christliche Armut immer reich sei (2,67α-71α) und die Christen gemäß 2 Kor 6,10890 in ihrem Herrn alles besitzen (omnia possidere 2,75), sodass sie immer Gutes tun können (ergo: „also“; facultas…operandi: „das Mittel es auszuführen“ 2,75; 76f), sowie mit der Anspielung auf die Gottergebenheit (devotio 2,77f) der armen Witwe in Mk 12,41-44 (par Lk 21,1-4) bzw. auf Mt 10,42, wo der Lohn für die Aufnahme von Jesu Jüngern verheißen wird (2,78f). Entscheidend ist hier die Feststellung, dass die Almosen nicht nach ihrer Quantität, sondern nach der Herzenseinstellung bemessen werden (2,79-82)891. 3,91-102: Transitus: Der satanische Angriffspunkt des Eigenlobes Im Transitus ermahnt Leo seine Adressaten, mit den Angriffen des Widersachers aller Tugenden (omnium virtutum adversarius 3,92) zu rechnen. Anders als in tract. 41892 geht es ihm zunächst aber nicht um die Sensibilisierung für die prinzipielle Versuchung aller Gläubigen, sondern um die Falle des Satans schlechthin, den Hochmut. Wem nämlich nicht anders beizukommen sei (per diffidentiam: „durch Misstrauen“ 3,95), den versuche der Satan zu seiner pervertierten Auffassung von Pflichterfüllung (ipsa pietas 3,94) zu führen, den eigenen specialis inpenditur, consuetudo in qua perseveretur adquiritur. Vgl. Pratesi, Commento, 306. 887 2 Kor 6,7bf: per arma iustitiae a dextris [Leo: se exerceat] et sinistris, per gloriam et ignobilitatem, per infamiam et bonam famam. 888 tract. 41,2 (CChr.SL 138A 241,58α-61α): securam conscientiam nec laudes inflent, nec obprobria defatigent. 889 Das exemplum ist eine Argumentationstechnik in der Argumentatio. Es hat eine inhaltliche Quelle, eine utilitas-Funktion und eine literarisch kürzere oder längere Form. (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 227-230 [§ 410-418]). 890 2 Kor 6,10: tamquam nihil habentes et omnia possidentes. 891 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241f,79-82): Ex affectibus enim piorum benignitatis mensura taxatur, et numquam eum miserendi efficacia deserit, in quo misericordia ipsa non deficit. 892 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,41-64).

Analyse von tract. 42

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tugendhaften Lebenswandel nicht Gott zuzuschreiben, wie es in 1 Kor 1,31893 gefordert sei, sondern dem eigenen Ruhm (3,94f; 101f). Narratio: 3,103-126α Dass alle Christen von der Anfechtung durch den Satan betroffen sind, macht Leo in der rhetorischen Frage deutlich, die im Rekurs auf das Argument des Stärkeren894 die Erläuterung der drei Versuchungen eröffnet („Wessen Vorhaben würde jener…nicht wagen anzugreifen…?“ 3,103-106). In dieser Auslegung (3,111-121) vermittelt Leo seinen Adressaten die Siegesgewissheit über den hochmütigen Feind (superbus hostis 3,128), die in der Orientierung in der humilitas Christi und der Weisheit Gottes (sapientia Dei 3,121) gründe: Trotz göttlicher Vollmacht (potentiam…Deitatis 3,117f) zeige Christus seine Überlegenheit allein in der Unterwerfung unter den Willen Gottes gemäß der Gerechtigkeit eines wahren Menschen (veri hominis iustitia 3,116f). Leo verstärkt den ermutigenden Charakter des gebahnten Weges durch die Angst des Satans über die Enthaltsamkeit (continentia) Jesu in den 40 Tagen und dessen ‒ die Versuchungen zusätzlich evozierende ‒ Unkenntnis über die beiden Naturen des Erlösers (3,106f). Die Ahnungslosigkeit des Satans (3,121) bestehe eben darin, sich die continentia Jesu nur exklusivistisch erklären zu können: Entweder sei sie allein menschlichen Ursprungs (propria: „dem Menschen zu eigen“), wovon ihn auch der menschliche Leib zu überzeugen scheint, oder sie sei von Gott (donata: „geschenkt“ 3,109f). Beide Aspekte so voneinander zu trennen ist für Leo immer eine Signatur der satanischen Irrlehre.895 Confutatio: 4,127-5,219 4,127-163α: Die neue List des Feindes Die Confutatio faltet den Gedanken der Gefahr einer selbstsicheren Fastenpraxis weiter aus (adversarii dolos…in proposito abstinentiae: „die Listen des Widersachers…beim Fastenvorsatz“ 4,127f) und richtet sich gegen die erst in 5,178α ausdrücklich genannten Manichäer. Nach deren dogma896 (4,139) verführe der Widersacher nicht zu verbotenen Speisen (vgl. Gen 3,4-6), sondern er verbiete die erlaubten (4,129α-136α). Ein solches Fasten diene nicht dem geistigen Fortschritt, 8 93 1 Kor 1,31: qui gloriatur, in Domino glorietur; 2 Kor 10,17. 894 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,69f); 41,2 (CChr.SL 138A 45-47). Die Stärkung erfolgt durch das Fasten: vgl. tract. 15,2 (CChr.SL 138A 59,40-42): In omni enim tempore omnibusque vitae istius saeculi diebus, ieiunia nos contra peccata faciunt fortiores. Vgl. Pratesi, Commento, 303. 895 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-82α). 896 Die Bezeichnung dogma für eine zu bekämpfende Lehre ist auch bei Ambrosius und Augustinus gebräuchlich (vgl. Pratesi, Commento, 307f).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

sondern sei an sich schon sündig (4,136α-140α). Denn aus der manichäischen, dualistischen Sicht der Schöpfung sei zu schließen, dass sie den Schöpfer beleidige (Damnant enim 4,140α). Der Confutatio entsprechend fügt Leo das biblische Zitat Tit 1,15897 als Gegenbeweis an (4,159α-163α), an dessen Wahrheit die Auffassung der Manichäer abpralle (resultantes dicenti Apostolo 4,158α). 5,165-170: Die Reinheit der Lehre der Adressaten (captatio benevolentiae) Mit der Anrede „Ihr aber, Geliebteste“ (Vos autem, dilectissimi 5,165) schaltet Leo den Gegenentwurf der Gläubigen ein, die den Charakter einer captatio benevolentiae aufweist (catholicae matris sancta generatio: „der katholischen Mutter heilige Zeugung“ 5,166) sowie einer cohortatio (moderamini:  „setzt ein Maß“; vivendum est: „man soll leben“ 5,167;169), damit die Gläubigen sich bewusst der erlaubten Speisen enthalten und nicht deren Natur verurteilen (5,169f). 5,171-219: Belehrung über die Manichäer und den Umgang mit ihnen In 5,171α-213α geht Leo näher auf die Lehre und das Leben der Manichäer sowie auf den Umgang mit ihnen ein. Er erwähnt ihre von den Gestirnen abhängig gemachte Fastenpraxis (5,176α-187α), ihre Ablehnung der menschlichen Natur Jesu sowie dessen Tod und Auferstehung (5,187α-196α) und ihre Ablehnung der Kelchkommunion (5,196α-205α). Leos Technik der antithetischen Abgrenzung von den Manichäern wird auch durch die sehr häufige Verwendung des inklusiven Possessivpronomens „unser“ deutlich.898 Abschließend begründet Leo diese Aufklärung mit der Sensibilisierung der Gläubigen. Diese sollen die Manichäer erkennen, ihre Gegenwart aufzeigen (notati et proditi 5,211α) und sie aus der Gemeinde verstoßen. Dieses strikte Vorgehen begründet der Papst mit Röm 16,17f899.

4.2.3  Peroratio: 6,220-261α 6,220α-225α: Aufforderung zur gewissenhaften Vorbereitung In der Peroratio weist Leo zunächst resümierend (His ergo, dilectissimi, admonitionibus: „Geliebteste, durch diese Ermahnungen also“ 6,220) auf die Notwendigkeit 897 Tit 1,15: Omnia munda mundis. Coinquinatis autem et infidelibus nihil mundum, sed inquinata sunt eorum mens et conscientia. 898 Sechs von sieben Belegen in tract. 42 sind in tract. 42,5 (CChr.SL 138A 247f, 190α-218) enthalten. 899 Röm 16,17f ist bei Leo mit geringen Abweichungen wiedergegeben: vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248,215-219): Rogo (Rogamus: α) autem vos, fratres, ut observetis eos qui dissensiones et offendicula praeter doctrinam quam didicistis faciunt, et declinate ab illis. Huiusmodi enim Christo Domino nostro non serviunt, sed (suo ventri et: add. β) per dulces sermones et benedictiones seducunt corda innocentium.

Analyse von tract. 42

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der vorangehenden Mahnung und Belehrung bezüglich der manichäischen secta (6,221) hin. Diese sei gewissermaßen die Bedingung (sufficienter instructi: „ausreichend belehrt“ 6,223) für die hingebungsvolle Annahme (pia devotione suscipite) der heiligen Tage der Quadragesima (sancti Quadragesimae dies 6,223f). 6,226α-254α: Konkrete Anweisungen für das Zusammenleben Der folgende aus kurzen einprägsamen Satzgliedern bestehende Katalog900 (6,226α-254α) erfüllt die wichtigsten Anliegen einer Peroratio:  die Gedächtnisauffrischung und die Affektbeeinflussung.901 Gemäß einigen antiken Rhetorik-Theoretikern902 werden diese beiden Prinzipien mit drei Begriffen klassifiziert:  enumeratio, indignatio und conquestio.903 Besonders die beiden letzten dienen der Bewegung der Gefühle, aber auch die enumeratio wirkt durch ihre vielen, kurzen mit Imperativen versehenen Satzglieder auf die Affekte.904 An dem Befund, dass sieben der insgesamt neun in tract. 42 enthaltenen Imperative in der Peroratio verwendet werden,905 sowie sechs der zwölf Hortative in der 3.P.Sg. bzw. Pl.906 und drei der sechs Hortative in der 1.P.Pl.,907 wird Leos klassische Rhetorikausbildung offenbar. Die enumeratio beginnt mit zwei Abgrenzungen gegenüber negativen Affekten (iram: „Zorn“; odia:  „Hass“) und der Aufforderung zur Liebe der (unanimitas), die im Sinne der Güte zu den Dienern, der Sanftmut und des Friedens ausgefaltet wird (6,226α-236α). Als Antithese zu dieser Einmütigkeit spricht Leo von der Ablehnung der Einigkeit (consensio) mit den Feinden Christi (inimici

900 In ähnlicher, allerdings weniger dichten Form findet sich solche „Kataloge“ auch in tract. 39,5 (CChr.SL 138A 219,156-165); 39,6 (CChr.SL 138A 221,198α-203α); 40,5 (CChr.SL 138A 230,123α-131; 231,151-154); 41,3 (CChr.SL 138A 236f,90-96). 901 Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 236 [§ 431]. 902 z. B. Cicero: vgl. inv. 1,52,98-56,109 (BSGRT 68,18-75,19). 903 Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 237 [§ 432]. 904 Vgl. ibid., 238 [§ 434].. 905 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,224): suscipite; 42,6 (CChr.SL 138A 249,225): praeparate; 42,6 (CChr.SL 138A 249,226α-230α): extinguite…deponite…diligite…praevenite…dominamini. 906 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,231α-236α): crucrietur…Cessent…remittantur… mutetur; 42,6 (CChr.SL 138A 249,240α) separetur; 42,6 (CChr.SL 138A 250,241α): fugiant. 907 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,238α):  iungamur; 42,6 (CChr.SL 138A 250,255αf;258α): ieiunemus; celebremus.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Christi 6,236α-238α) und den Söhnen des Teufels908 (filii diaboli 6,241fα), unter denen hier vor allem die Manichäer gemeint sein werden. Diese scharfe Trennung wird durch die Gegensätze Licht (lux) und Dunkelheit (tenebrae), Söhne des Teufels und der Wahrheit (filii diaboli und filii veritatis), Tempel Gottes (templum Dei) bzw. Wohnung des Heiligen Geistes (habitaculum Spiritus sancti) und gottlos (profanum), Unreinheit (immunditia) und Heiligtum des Herzens (penetralia cordis) sowie durch Schmutz und Reinheit (sordes und emundati 6,240α-252α) besonders anschaulich. Die rhetorische indignatio im Sinne einer Aufpeitschung der Affekte der Adressaten909 gegen die Feinde Christi wird ebenfalls durch Antithesen greifbar:  Wie es für die Christen im Allgemeinen keine Strenge, Gereiztheit oder Zwietracht geben soll (severitas; indignatio; discordia 6,234α-236α), so sei keine Einigkeit (nulla consensio) und keine Gemeinschaft (consortium 6,237α-239α) mit jenen zu suchen, die gegen die Weisheit des Kreuzes (sapientia crucis) auftreten. Wenn auch die conquestio als jene rhetorische Kategorie erfasst werden soll, die der Sympathiegewinnung durch die Aktivierung der Barmherzigkeit910 über die Konzentration auf Unglück oder Unrecht dient,911 so ist sie bei Leo ganz auf den inneren Menschen und die kirchliche Gemeinschaft bezogen. Denn der Kirche Christi (Ecclesia Christi 6,243fα) und dem Heiligtum des Herzens (penetralia cordis) drohe eine breite Palette an Unreinheit (inmunditia 6,247fα), der Laster (vitia 6,226) sowie des Irrtums (error 6,222). Umso wirksamer sind die Aufrufe vor und nach dem Katalog,912 sich adäquat vorzubereiten (per opera vos misericordiae praeparate:  „bereitet euch durch die Werke der Barmherzigkeit“ 6,226f; ieiunemus: „lasst uns fasten“; vigilias celebremus: „lasst uns die Vigil feiern“ 6,255α-258α). Damit ist auch der naturgemäße Bogen zum Exordium

908 Vgl. dazu die Bezeichnung von Irrlehrern als filii diaboli atque discipuli in tract. 40,3 (CChr.SL 227,74αf). 909 Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 239 [§ 438]. 910 Vgl. Cicero: inv. 1,55,106 [BSGRT 73,20-23]: Qua ratione habita graviter et sententiose maxime demittitur animus hominum et ad misericordiam comparatur, cum in alieno malo suam infirmitatem considerabit. 911 Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 239f [§ 439]: Das Mitleid sollte gemäß der antiken Theorie durch die Anspielung auf die Fortuna erregt werden. 912 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,224f): ad promerendam misericordiam Dei per opera vos misericordiae praeparate; 42,6 (CChr.SL 138A 250,255α-258α): ieiunemus… vigilias celebremus.

Analyse von tract. 42

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gespannt.913 Die fokussierende Wirkung der Peroratio wird auch durch andere wiederkehrende Motive bestätigt: Tab. 40: Fokussierung in der Peroratio Motiv

Confirmatio und Confutatio

Peroratio

Reinheit des Herzens

corda sordescere (1,19f)

Reinigung Verschmutzung

emundantes 2,30α polluuntur (5,173fα) contaminari (4,141) profani (5,183α)

omni immunditia a penetralibus cordis exclusa (6,246α-248α) emundatos 6,252α polluatur (6,240α) contaminatum (6,244fα) profanum (6,245fα)

Gottlosigkeit

6,254α-261α: Angaben zu konkreten Fasttagen und zur Vigil am Samstag Als einzige Predigt Leos nennt tract. 42 die Wochentage der Quadragesima, an denen offenbar besonders gefastet werden soll: „Am zweiten Tag also und am vierten und am sechsten lasst uns fasten, am Sabbat aber beim heiligen Apostel Petrus die Vigil feiern“914 (6,254α-258α). Während dreizehn Predigten zu den anderen drei Fastenzeiten im Jahr, jeweils mit derselben Formel,915 nur den Mittwoch und Freitag erwähnen,916 scheint in der Quadragesima jedenfalls in der ersten Woche auch am Montag gefastet worden zu sein.917 913 Auch die Bezugnahme auf das Exordium ist eine Technik der antiken Rhetorik (vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 237 [§ 432]). 914 tract. 42,6 (CChr.SL 138A 250,254α-258α): Secunda igitur et quarta et sexta feria ieiunemus, sabbato vero apud beatum Petrum apostolum vigilias celebremus. Die nach Chavasse (vgl. idem, CChr.SL 138 LXXXIV-CXLIX) sekundäre Sammlung ABC fügt außerdem noch et tertia ein. 915 Papst Leo hatte die Einrichtung des Quatemberfastens (Osterfasten, Pfingst-, September- und Dezemberfasten), das durch Fasten am Mittwoch und Freitag und durch eine Vigil am Samstag stattfand, wohl bereits vorgefunden. Die Feststehende Formel findet sich auch im Sacramentarium Gelasianum (vgl. LXXXII – Denuntiatio ieiuniorum quarti, septimi et decimi mensis: (VCS 11 72,652):…Quarta igitur et sexta feria… offeramus…ieiunium, die vero sabbati apud beatum Petrum, cuius nos intercessionibus credimus adiuvandos, anctas vigilias…celebremus; (VCS 11 72,653):…quarta, sexta vel septima feria ieiunemus. Vgl. Arbesmann, Art. Fasttage, in: RAC 7 (1969) 520f. 916 Vgl. tract. 12,4 (CChr.SL 138 53,114); 13 (CChr.SL 138 55,21); 15,2 (CChr.SL 138 60,59); 16,6 (CChr.SL 138 66,147); 17,4 (CChr.SL 138 71,84); 75,5 (CChr.SL 138A 470f,121f); 76,9 (CChr.SL 138A 486,221f); 78,4 (CChr.SL 138A 497,57); 81,4 (CChr. SL 138A 505,49f); 86,2 (CChr.SL 138A 541,24f); 88,5 (CChr.SL 138A 550,98); 89,6 (CChr.SL 138A 555,97); 90,4 (CChr.SL 138A 563,132αf). 917 Vgl. Forschungsstand. Der liturgische Rahmen der konkreten Quadragesima-Predigten.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Mit den anderen Fastenzeiten hat die Quadragesima aber die Vigilien am Samstag in St. Peter (apud beatum Petrum Apostolum 6,256fα) gemeinsam. Die Predigt schließt mit der Zusage der schützenden Fürsprache des Apostels (6,256α-261α) und endet damit neben tract. 43 als einzige Quadragesima-Predigt ohne eine Doxologie.918

4.2.4  Gliederung Aus den Ausführungen oben ergibt sich folgende Gliederung:919 (1) Exordium 1,1-12, (2)  Confirmatio (1,12-3,102), (3)  Narratio (3,103-126), Confutatio (4,127-5,219) und Peroratio (6,220-261α): Tab. 41: Gliederung von tract. 41 Exordium: 1,1-12: Die Gnadenzeit der Quadragesima Confirmatio: 1,12-3,102: Die Erfüllung der quadragesimalen Pflichten 1,12-1,23: Argumentative Erläuterung der Fastenzeit (ratiocinatio) 2,24α-39α: Aufforderung zur Aufnahme des inneren Kampfes 2,40α-90α: Erläuterung des Fastens als Quelle der Tugenden und des Reichtums 2,40α-48α: Die geistige Dimension des Fastens 2,49-61α: Die zu übenden Tugenden in der Quadragesima 2,67α-90α: Das Paradoxon von Freigiebigkeit und Reichtum Transitus: 3,91-102: Der satanische Angriffspunkt des Eigenlobes 3,103-126: Die Versuchung Jesu und die Versuchung des Menschen Narratio: Confutatio: 4,127-5,219: Das pervertierte Fasten 4,127-163α: Die neue List des Feindes 5,165-170: Die Reinheit der Lehre der Adressaten (captatio benevolentiae) 5,171-219: Belehrung über die Manichäer und den Umgang mit ihnen Peroratio: 6,220-261α: Zusammenfassende Impulse 6,220α-225α: Aufforderung zur gewissenhaften Vorbereitung 6,226α-254α: Konkrete Anweisungen für das Zusammenleben 6,254α -261α: Angaben zu konkreten Fasttagen und zur Vigil am Samstag

Die Anrede dilectissimi zeigt wiederum deutliche Gliederungsabschnitte für das Exordium, die Narratio und die Peroratio an. Zwar werden die Confirmatio und

918 Eine solche ist in der zweiten Editon vorhanden:  vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 250,281β-285β). 919 Die Gliederung stimmt in den Hauptteilen mit jener von Pratesi überein (idem, Commento, 305).

Analyse von tract. 42

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die Confutatio nicht durch dilectissimi eingeleitet, so aber doch die jeweils in diesen Teilen enthaltene Exhortatio: Exordium: Praedicaturus vobis, dilectissimi (1,1) Exhortatio: Ingressi igitur, dilectissimi (2,24fα) Narratio: His autem studiis, dilectissimi (3,91) Exhortatio: Vos autem, dilectissimi (5,165) Peroratio: His ergo, dilectissimi (6,220)

4.3 Rhetorischer Ausdruck des Inhalts 4.3.1  Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,106-126α In tract. 42 befindet sich eine für Leo einzigartige, textbezogene Erläuterung und Aktualisierung des Tagesevangeliums Mt 4,1-11, bei welcher er alle drei Versuchungen auslegt. Tab. 42: tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,106-244,126α) A

B

C

106f 107f 108f 109f 110 111 111f 112f 113f 114f 115 116f 117f 118 118f 119f 120f 121 122fα 123fα 124fα 125fα

Expavescens enim in eo quadraginta dierum noctiúmque ieiúnium, (T 2 γ) explorare cállide vóluit (T δ) utrum hanc continentiam donatam habéret an própriam, (T 2 γδ) ut non metueret deceptionum suarum ópera resolvénda, (V δ) si Christus eius esset conditionis cúius et córporis. (T 2 γδ) Primo itaque dólo scrutátus est (T γζ) an ipse esset substantiárum creátor, (P γ) qui rerum corporearum posset in quod vellet mutáre natúras; (P 1 γ) secundo, an sub humanae carnis specie Divinitas obumbráta tegerétur, (TT 12 γ) cui facile esset pervium sibi áera fácere, (T δ) et terrena per vacuam mémbra libráre. (P 1 γ) Sed cum illi Dominus iustitiam maluisset obponere véri hóminis, (unrhythm.) quam potentiam manifestáre Deitátis, (TT 12 γ) ad hoc convertit tertiae fráudis ingénium, (T 13 γ) ut eum in quo divinae potestatis sígna cessáverant, (T 2 γ) dominandi cupiditáte temptáret, (P 1 γ) et ad venerationem sui regna mundi pollicéndo tradúceret. (T γ) Sed prudentiam diabolicam stultam fecit sapiéntia Déi, (P δ) ut superbus hostis hóminem vídens (P δ) quem aliquándo superáverat, (ton. Äquv. 22 γ) non metueret éum pérsequi (unrhythm.) quem pro omnibus oportébat óccidi. (unrhythm.) ( fortgeführt)

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Tab. 42: Fortsetzung (106f) Bei ihm [Jesus] schreckte er [der Satan] nämlich vor dem vierzigtägigen und -nächtigen Fasten zurück (107f) und schlau wie er war, wollte er erforschen, (108f) ob er diese Enthaltsamkeit [von Gott] erhalten habe oder ob es seine eigene sei, (109f) sodass er keine bevorstehende Auflösung der Werke seiner Täuschungen befürchtete, (110) sofern Christus von jener Beschaffenheit sei, die auch seinem Körper zu eigen war. (111) In seinem ersten Betrug untersuchte er daher, (111f) ob dieser der Schöpfer der Wesenheiten sei, (112f) der die Naturen der irdischen Dinge in jede beliebige Form verwandelt konnte; (113f) im zweiten untersuchte er, ob unter der äußeren Erscheinung des menschlichen Fleisches die Gottheit verhüllt und bedeckt sei, (114f) der es leicht hätte fallen müssen, sich einen Weg durch die Lüfte zu bahnen (115) und die irdischen Glieder durch den leeren Raum schweben zu lassen. (116f) Aber da der Herr ihm lieber die Gerechtigkeit eines wahren Menschen entgegenhalten wollte (117f) als die Macht der Gottheit offen zu zeigen, (118) richtete er [der Satan] den Einfall der dritten Tücke darauf hin, (118f) dass er ihn, bei dem die Anzeichen der göttlichen Macht nicht mehr sichtbar gewesen waren, (119f) durch die Begierde nach Herrschaft versuchte (120f) und ihn zur Anbetung seiner Bosheit [des Satans] bringen wollte, indem er ihm die Reiche der Welt versprach. (121) Aber die Weisheit Gottes machte die Klugheit des Satans töricht, (122f) sodass der hochmütige Feind [nur] den Menschen sah, (123f) den er einmal besiegt hatte (124f) und nicht davor zurückschreckte, den zu verfolgen, (125f) der für alle sterben sollte.

Das Entsetzen des Satans (expavescere 106) über Jesu 40 Tage und Nächte andauerndes Fasten ist der konkrete Anlass für die drei Untersuchungsdurchgänge der Identität Jesu und offenbart zugleich die Schwäche und die widergöttliche Einstellung des Versuchers, der zur Prahlerei (gloria 3,96) anstacheln möchte. Seine Verblendung zeigt sich auch in der Furchtlosigkeit:  Da er von Jesu irdischem Körper auf die rein menschliche Natur geschlossen und keine Befürchtungen zugelassen habe, weder vor dem Aussprechen der ersten Versuchung (non metueret 109)  noch nach dem Scheitern der dritten (non metueret 124α), sei er bis zum Kreuzestod Jesu (occidi 126α) in Unkenntnis über die zwei Naturen Christi geblieben. Gliederung Der Abschnitt ist in drei Teile zu gliedern: (A) Die Hinführende Begründung der Versuchungen (106-110). (B) Die drei Versuchungen (111-121), die im Einzelnen in den Versen 111-113, 113-118 und 118-121 erläutert werden. (C) Der Sieg Jesu und die Blindheit des Satans (121-126α). Erste Beobachtungen Leo schildert zu Beginn den eingeengten Horizont des Satans, der bei der verschlagenen Ergründung (explorare callide 107)  der wahren Identität Christi

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zum Scheitern verurteilt war. Auf rhetorischer Ebene wird der entscheidende Erkenntnis der göttlichen Gnade (donata) und menschlichen (propria 108f) Natur als gemeinsame Ursache für Christi Enthaltsamkeit (continentia) durch die in die Irre führende Struktur „ob…oder“ (utrum…an 108f) ausgeschlossen. Vielmehr sei es dem Satan um den Nachweis seiner Überzeugung gegangen, lediglich einen Menschen vor sich zu haben (109f). Die Untersuchungsdurchgänge (Primo dolo:  „Im ersten Betrug“ 111; secundo:  „im zweiten“ 113; tertiae fraudis ingenium:  „der Einfall der dritten Tücke“ 118)  sollen die beiden Möglichkeiten der gnadenhaften Präsenz der Gottheit und der Menschheit Christi nun ausbuchstabieren. Während die erste Untersuchung ausschließen soll, dass es sich um den Schöpfer selbst (creator 112)  handle, soll das Angebot der Weltherrschaft (regna mundi 120)  Jesus als einfachen Menschen nun wirklich in Versuchung führen (temptaret…pollicendo traduceret 120f). Zu diesem Zeitpunkt habe der Satan von der Gottheit nichts mehr erkannt (divinae potestatis signa cessaverant 119)  und habe die Enthaltsamkeit Jesu auf die menschliche Anstrengung zurückgeführt. Dass die zweite Untersuchung sich im Wesentlichen in einer Vertiefung der ersten erschöpft, lassen der knappe Anschluss „in der zweiten [List]“ (secundo 113), das von der ersten Versuchung weiterwirkende Zeugma „er prüfte“ (scrutatus est 111) und die sich auf beide Versuchungen beziehende Schilderung der Reaktion Jesu (116-118) erahnen. Auf inhaltlicher Ebene wird diese Annahme ebenfalls unterstützt: Ist der Satan gemäß der Formulierung „geschenkt“ (donata 108) zunächst von einem nicht näher bestimmten Zusammenwirken von göttlicher und menschlicher Natur ausgegangen, so habe er in der ersten Versuchung lediglich die Identifikation Jesu mit Gott (creator 113)  ausgeschlossen, noch nicht jedoch dessen Wirkung. Die Formulierung „in der zweiten, ob unter der äußeren Erscheinung des menschlichen Fleisches die Gottheit verhüllt und bedeckt werde“ (secundo, an sub humanae carnis specie Divinitas obumbrata tegeretur 113f) drückt aber nicht nur eine Wirkung, sondern eine Präsenz Gottes in menschlicher Gestalt aus. Dass Leo den Satan in einer Überlegung jedoch zur Beschreibung der konkreten Zwei-Naturen-Lehre vordringen lassen wollte, ist eher unwahrscheinlich, da diese für den „Vater der Irrlehren“ nach Leos Darstellung jedenfalls vor dem Kreuzestod Jesu (124α-126α) im Dunkeln bleibe.920 920 Dass Leo den Satan von den „orthodoxen“ Prämissen ausgehen lässt, um ihn dann bei der konkreten Erkenntnis infolge der Täuschung durch Christus scheitern zu lassen, ist zwar möglich, scheint mir aber weniger wahrscheinlich zu sein, da der Satan in der Regel mit Irrlehrern identifiziert wird: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74αf).

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Den eingeschränkten Horizont des Satans erläutert Leo als dessen spezifische, diabolische Klugheit (prudentia 121), durch die er in Christus nach der zweiten Versuchung lediglich einen Menschen erkennen konnte und die dritte Prüfung einleitet. Mit Jesu Zurückweisung des Angebots der Weltherrschaft habe jedoch die Weisheit Gottes (sapientia Dei 121) triumphiert. Da die in der Weisheit Gottes begründete Personeneinheit des Gottmenschen sich gerade im Mysterium der Menschwerdung und der Demut offenbare, könne sie vom Satan infolge seiner erkenntnistheoretischen Beschränkung durch den Hochmut (superbus hostis 122α) nicht erfasst werden. Unter diesen Voraussetzungen scheint die Stilisierung der zweiten Versuchung als Darstellung von Leos eigener Christologie als via media zwischen der Leugnung der menschlichen Natur und der Leugung der göttlichen Natur nicht plausibel.921 Sie ist aber auch nicht mit den oben genannten rhetorischen Strukturen vereinbar, da diese auf die Einheit der ersten beiden Versuchungen hindeuten. Rhetorische Detailanalyse An der Schilderung der Ausgangslage für die Versuchungen wird durch die Begriffe an den betonten Kola-Enden bereits deutlich, dass die menschliche Natur Christi im Vordergrund steht:  „Fasten“ (ieiunium 107), „aus eigener (menschlicher) Kraft“ (propria 109) und „Körper“ (corpus 110). Diese Betonung wird durch die rhythmischen Ausgänge unterstützt, von denen sich die beiden Klauseln T2γδ in 109f von der schlussstarken Klausel T2γ in 107 lediglich durch eine zusätzliche Pause unterscheiden (δ). Auch die wesentlichen Inhalte der ersten beiden Untersuchungen (111-116) sind dem gleichen Klauselrhythmus P1γ entsprechend kunstvoll auf die betonten Kola-Enden konzentriert und unterstützen dadurch die innere Einheit der ersten beiden Untersuchungen: mutare naturas (P1γ) und terrena per vacuam membra librare (P1γ). Mit pervium sibi aera facere und per vacuam membra librare ergibt sich außerdem ein gewisser klangorientierter Parallelismus der das Wirken Gottes am menschlichen Leib beschreibt, nicht zuletzt im angedeuteten Wunder des Schwebens der irdischen Glieder (terrena membra) durch die Lüfte (aera). Eine rhetorische Figur, die der Zwei-Naturen-Lehre entspricht, findet sich aber erst in einem auf ein Homoioteleuton endenden Parallelismus der Erläuterung der Reaktion Jesu in 116-118: „die Gerechtigkeit eines wahren Menschen…die Macht der Gottheit“ (iustitiam…veri hominis (unrhythm.)…potentiam Deitatis 921 Vgl. die Ausführungen im Kapitel Die in den drei Versuchungen enthaltenen, dogmatischen Konzepte.

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(TT12γ). Eine schlussstarke Klausel ergibt sich nur am Ende des Satzes, während bei veri hominis die Syntax den Vorzug vor dem Rhythmus erhielt. In der Formulierung hostis hominem („der Feind den Menschen“ 122α) erhält die erkenntnistheoretische Bedingtheit des Feindes, in Christus nur den Menschen sehen zu können, der schon einmal der Versuchung des Hochmuts erlegen war, eine zusätzliche Plausibilität durch den gleichen Anlaut „ho-“ (alliterative Assonanz). Das gilt auch für die abschließende Alliteration pro omnibus oportebat occidi (125fα), in der zusätzlich der Rhythmus in Verbindung mit einem Homoioteleuton an das vorhergehende Kolon angeglichen ist: eum persequi (124fα).922 Erwähnenswert sind außerdem die begrifflichen Antithesen zwischen dem Schöpfer (creator 112) und der Schöpfung (substantia: „Wesenheit“, „Bestehendes“ 111; conditio: „Beschaffenheit“ 110; rerum corporearum naturae („Naturen der irdischen Dinge“ 112f). Die Antithese zwischen dem Schöpfer und dem menschlichen Geschöpf (humana caro: menschliches Fleisch“ 113; terrena membra: „irdische Glieder“ 115) findet schließlich ihren vereinigenden Ausdruck in den Hoheitstiteln Christus (110) und Herr (Dominus 116) sowie im Spannungsverhältnis des Parallelismus iustitiam…hominis…potentiam Deitatis (116-118). Die begriffliche Gegenüberstellung von Gott und Satan zeigt sich prägnant bei „ihm [dem Satan] der Herr“ (illi Dominus 116)  sowie in den Werken der beiden: während der Schöpfer erschaffen und die Schöpfung verwandeln kann (mutare 112), besteht das spezifische Wirken des Satans im Täuschen (deceptionum suarum opera 109; Primo…dolo 111; tertiae fraudis 118). Zusammenfassung Die auf dogmatischer Ebene ausgeführte Erläuterung und Aktualisierung dieses Abschnittes kommen durch die rhetorischen Strukturen zu Tage: Die in die Irre führende, erkenntnistheoretische Voraussetzung des Satans vor allem durch die sich ausschließenden Möglichkeiten „entweder…oder“ und der Hinweis auf die wahre menschliche und göttliche Natur im Sinne der Zwei-Naturen-Lehre durch die Figuren des Parallelismus und des Homoioteleuton. Der Rhythmus unterstützt die Aussagen in ihrer Klarheit und vermittelt den Eindruck einer in sich logischen Darlegung. Während Leo bisweilen zwar schlussstarke Klauseln bewusst ermöglicht, konzentriert er sich bei der wesentlichen Gegenüberstellung der menschlichen Gerechtigkeit und der göttlichen Macht auf die parallele Wortstellung und nicht auf den Rhythmus. 922 Durch die Akzentuierung quem…oportébat occídi („der…getötet werden sollte“) würde sich zwar die schlussstarke Klausel P1γ ergeben, das rhythmische Gefühl beim Ausgang der Periode aber stören.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

4.3.2  Rhetorische Analyse der Peroratio: 6,226α-254α Die Peroratio von tract. 42 bietet das Bild einer komprimierten Zusammenfassung von Leos Anliegen. Obwohl hier keine zentralen Glaubensinhalte vermittelt werden, so ist aufgrund der intendierten Affektbeeinflussung dennoch von einer markanten Prägung durch Stilfiguren und Rhythmus auszugehen. Tab. 43: tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,226α-250,254α) A 226f 228f 229f 230-32 232f 233 234α-36 B 236f 237f 238f 239f 240f 241f C 242-44 244f 245f 246-48 248f 249-51 251f 253f

Íram extínguite (T 2 γ), ódia depónite (2 δ), unanimitátem dilígite, (T 13 γ) et sinceris vos officiis ínvicem praeveníte. (V δ) Servis cum aequitáte dominámini, (22 γ) Nullus eorum aut claustris cruciétur aut vínculis. (T 2 γδ) Céssent vindíctae, (P γ) remittántur offénsae, (P 1 γ) sevéritas lenitáte (V 3 δ), indignátio mansuetúdine, discordia páce mutétur. (P 1 γ) Cum inimicis autem crúcis Chrísti (Ditrochäus) nulla consensióne iungámur, (P 1 γ) ne impiórum consórtio (T γ) sanctitas fidélium polluátur. (V 3 δ) Lux separétur a ténebris (T 13 γδ) et fugiant a filiis diaboli fílii veritátis (V 3 δ) In templum enim Dei, quod est Ecclésia Chrísti, (P 1 δ) nihil contaminátum inférri, (P 1 γ) nihil profanum opórtet admítti, (P 1 γ) ut omni inmunditia a penetralibus córdis exclúsa, (P 1 γ) sanctificetur ieiúnium nóstrum, (P 1 δ) et simus aeternum habitaculum Spíritus sáncti, (P 1 γ) qui nos a peccatorum sórdibus emundátos (V δ) et possidere semper dignétur et régere. (T 13 γδ)

(226f) Löscht aus den Zorn, legt ab den Hass, liebt die Einmütigkeit (228f) und übertrefft euch im gegenseitigen Liebesdienst! (229) Seid euren Sklaven gerechte Herren! (230-32) Keiner von ihnen werde durch Riegel oder Fessel gequält! (232f) Racheakte sollen nicht stattfinden, Kränkungen sollen vergeben werden! (234-36) Strenge tausche man für die Milde ein, Gereiztheit für die Sanftmut und Zwietracht für den Frieden! (236f) Mit den Feinden des Kreuzes Christi aber (237f) lasst uns durch keine Übereinkunft verbunden sein, (238-40) damit die Heiligkeit der Gläubigen nicht durch die Gemeinschaft mit den Gottlosen verschmutzt werde. (240f) Das Licht scheide sich von der Finsternis, (241f) entziehen sollen sich die Söhne der Wahrheit den Söhnen des Teufels! (242-44) In den Tempel Gottes nämlich, der die Kirche Christi ist, (244f) darf nichts Beflecktes hineingetragen, (245f) nichts Unheiliges zugelassen werden, (246-49) damit unser Fasten nach dem Ausschluss jeglicher Unreinheit aus dem Heiligtum des Herzens geheiligt sei (249-51) und wir die ewige Wohnstätte des Heiligen Geistes sind, (251f) der uns ‒ vom Schmutz der Sünden befreit ‒ (253f) stets besitzen und leiten wolle.

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Gliederung Der Abschnitt gliedert sich in drei Teile:  (A) Die Einheit der Gläubigen in der Liebe (226α-236α). (B) Die Trennung der Gläubigen von den Söhnen des Teufels (236α-241α). (C) Die Reinheit der Kirche und der Seele als Gottes Tempel (242α-253α). Erste Beobachtungen Dieser Abschnitt der Peroratio stellt eine komprimierte Zusammenfassung der zentralen Anliegen der Predigt dar. Die zahlreichen knappen Kola weisen in den 21 Kola zehnmal den Rhythmus Pγ, Pδ oder P1γ auf. Während Leo die Aufforderungen in der 3.P.Sg. und Pl. in allen drei Teilen gebraucht, wendet er sich nur im ersten Teil (226α-236α) in der 2.P.Pl. direkt an seine Adressaten, mit Imperativen und einem Hortativ (extinguite, diligite, vos invicem praevenite, dominamini). Diese Instruktion durch den Prediger betrifft die einzelnen Adressaten und ihre Moral des Zusammenlebens. Im zweiten und dritten Teil (236α-253α) wird jedoch die Kirche als Ganze in den Fokus gerückt, ihre (dogmatische) Reinheit und die Notwendigkeit der Abgrenzung von denen, die Leben und Sterben Christi nicht wie die Großkirche interpretieren. Aber auch im einzelnen Herzen sei diese Reinheit zu erhalten, um das Fasten zu heiligen und um Wohnstatt für den Heiligen Geist zu sein (246α-251α). Für diesen Appell an die Kultivierung der kirchlichen Identität nützt der Papst auch inklusive Formen (iungamur 238α; nostrum 249α simus 250α; nos 251α). Rhetorische Detailanalyse Der erste Teil (226α-236α) ist in den Rahmen einer dreigliedrigen, asyndetischen Aufforderung923 zur Einheit in der Liebe eingefasst, wobei sich die Glieder in 226fα und 234α-236α im Wesentlichen auch inhaltlich entsprechen: Tab. 44: Rhetorische Detailanalyse 6,226fα

Íram extínguite, (T 2 γ) ódia depónite, (2 δ) unanimitátem dilígite! (T 13 γ)

Löscht den Zorn aus, legt den Hass ab, 6,234α-236α sevéritas lenitáte, (V 3 δ) indignátio mansuetúdine, (unrthythm.) Strenge tausche man für Gereiztheit für die die Milde ein, Sanftmut,

liebt die Einmütigkeit! discordia páce mutétur. (P 1 γ) Zwietracht für den Frieden.

923 Die Erweiterung durch et…praevenite in 5,226αf bringt ein biblisches Zitat ein (vgl. Röm 12,10) und erläutert das letzte Glied der Einmütigkeit genauer.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Das zweite Trikolon 234α-236α ist durch den knappen, antithetischen Stil geprägt. Dabei stehen „Milde“, „Sanftmut“, „Frieden“ (lenitas, mansuetudo und pax) in einer Linie mit der Dynamik des liebevollen Miteinanders (diligite, praevenite, cum aequitate dominamini, Nullus…crucietur, Cessent, remittantur 227α-233α) und stellen einen eindrucksvollen, nominalen Gegenentwurf zu den Antonymen „Strenge“, „Gereiztheit“ und „Zwietracht“ (severitas, indignatio, discordia) dar. Am Ende dieses Abschnitts werden die verschiedenen Aufforderungen im abschließenden Appell um Frieden (pax 236α) eingeschlossen. Regelmäßig zu Beginn und am Ende der beiden Trikola ergeben sich schlussstarke Klauseln. Ob Leo diese rhetorisch gewichtigen Satzpositionen bewusst rhythmisch gestaltete, muss zwar offen bleiben, doch zeigt die hohe Dichte an Klauseln in diesem Abschnitt jedenfalls Leos Rücksicht auf den Prosarhythmus. Nach der Einmahnung der christozentrischen, friedlichen Einheit924 folgt die letztlich daraus abgeleitete Notwendigkeit der Abgrenzung von den Leugnern des Erlösertodes Christi (236α-241α). Die Einleitung erfolgt dazu durch ein antithetisches „aber“ und durch eine mehrteilige „c“-Alliteration (cum inimicis autem crucis Christ nulla consensione: „mit den Feinden des Kreuzes Christi aber keine Übereinkunft“ 236fα). Den positiv konnotierten Einheitskonzepten der unanimitas und der pax werden die nicht erwünschte Übereinkunft (consensio 237fα) bzw. die Gemeinschaft (consortium 239α) mit den Gegnern im Glauben gegenübergestellt. Da die Einheit mit diesen die Verunreinigung (polluatur 240α) zur Folge habe, zeigt Leo die Gegensätze in unmissverständlichen Metaphern bzw. Antonomasien auf: Licht und Finsternis (240fα), Söhne des Teufels und Söhne der Wahrheit (241fα). Die Aufforderung zur Flucht vor den Söhnen des Satans wird syntaktisch bewusst gestaltet. Durch die Wortstellung fugiant… filii veritatis wird die schlussstarke Klausel V3δ ermöglicht und die bedrohliche Nähe satanischer Kräfte zu den Glaubenden sichtbar. Während der rhythmische Abschluss in filii veritatis das Licht des „wahren Glaubens“ zum Ausdruck bringt, verbleibt filiis diaboli ohne bestimmten Rhythmus im Schatten zurück. Der dritte Teil (242α-253α) veranschaulicht die notwendige Separation von Heiligem und Unreinem durch die Lokalisierung der Christen im heiligen Raum der Kirche. Deren Name enthält diese Absonderung bereits:  „Tempel Gottes“ (templum925 Dei 242fα). Verdeutlicht wird dieses räumliche Denken durch die anaphorische, parallele Zugangssperre für alles Verunreinigte und Unheilige 9 24 Die wahre pax könne nur Christus geben: vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 233,25). 925 Vgl. Walde, Alois / Hofmann Johann Baptist: Art. templum, in: LEW 2 (1965) 559f. Der Begriff bezeichnet den Bereich am Himmel oder auf der Erde, den der Augur mit seinem Stab beschrieb. Vgl. τέμνω: „schneiden“; τέμενος: „abgegrenztes Gut“.

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(nihil…inferri, nihil admitti 244α-246α), die ihr besonderes Gewicht auch durch die gleich rhythmisierten Klauseln P1γ erhält. Im folgenden finalen Gliedsatz wird der innere Zusammenhang zwischen der (R)einheit des Tempels der Kirche und des Tempels der einzelnen Seele (penetralia cordis 247fα) ausgedrückt: Wenn sich beides ergänze, werde das dem Fasten der Manichäer (ieiunium suum 5,184α) gegenüberstellte kirchliche Fasten (ieiunium nostrum 249α) besonders geheiligt und wirksam.926 Der Ausschluss der Unreinheit (inmunditia 248α) und die Reinigung vom Schmutz der Sünde (sordibus emundati 252α) schmücke die Christen als eine Wohnstatt (habitaculum 250α) des Heiligen Geistes, der erst dann wirke (possidere; regere 253fα). Zusammenfassung Leo setzt in diesem Abschnitt der Peroratio zahlreiche Stilmittel ein, um seinen Adressaten einprägsame Denk- und Handlungsmodelle zu vermitteln: Die Appelle entfaltet er eindringlich und kompakt durch Trikola, Anaphern und Parallelismen, die Separierung von Dissidenten der Großkirche durch Antithesen und Metaphern. Durch den Rhythmus wird die Komposition nicht nur getragen, sondern bisweilen auch in ihrer Aussagekraft geformt, durch die emphatische Wiederholung der gleichen Klausel oder durch die bewusst gewählte Wortstellung.

4.3.3  Analyse der Figuren in tract. 42 Alliteration In tract. 42 finden sich neben den zwanzig klassischen Alliterationen927 noch  elf Konstellationen, die durch ein oder mehrere Wörter getrennt

926 Davon spricht Leo auch in einer Predigt über das Fasten im Monat September: vgl. tract. 89,2 (CChr.SL 138A 552,23-26): quibusdam tamen diebus ab omnibus oportet pariter celebrari generale ieiunium, et tunc est efficacior sacratiorque devotio, quando in operibus pietatis totius ecclesiae unus animus et unus est sensus. 927 Vgl.tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,13):  ita incessabilis; 42,2 (CChr.SL 138A 238,24α):  Ingressuri igitur; 42,2 (CChr.SL 138A 239,32fα):  castigatis conluctationibus; 42,2 (CChr.SL 138A 239,36α):  constitutum corporis; 42,2 (CChr.SL 138A 240,49):  patientiae, pacis; 42,2 (CChr.SL 138A 242,89f):  fuerat formidata; 42,3 (CChr.SL 138A 242,91): vos voluntarie; 42,3 (CChr.SL 138A 242,94f): de ipsa pietate praetendat; 42,3 (CChr.SL 138A 243,106): Expavescens enim; 42,3 (CChr.SL 138A 244,125αf): oportebat occidi; 42,4 (CChr.SL 138A 244,127): in inlecebris; 42,4 (CChr. SL 138A 244,134α): inpulit interdicta; 42,4 (CChr.SL 138A 246,159α): munda mundis; 42,5 (CChr.SL 138A 246,168): bonum est etiam a licitis abstinere; 42,5 (CChr.SL 138A 246,169): ut usus; 42,5 (CChr.SL 138A 247,180α): die dominico; 42,5 (CChr.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

sind.928 Unter alliterativen Verbindungen, bei denen der erste Buchstabe des Wortes in einem vorhergehenden oder folgenden wieder aufgenommen wird, ist folgendes Beispiel erwähnenswert:  pia opera (1,22). Hier wird die innere Bezogenheit der Werke auf die göttliche Ordnung auch durch die Aufnahme des Plosivs „p“ zum Ausdruck gebracht, das grammtikalisch bedingte Homoioptoton auf den Vokal „a“ trägt zu diesem Zusammenhang bei.929 An drei Stellen gibt es eine Häufung aller drei Alliterationsgruppen, von denen ein Beispiel erläutert werden soll:930 In 1,8 wird der innere Zusammenhang zwischen dem Geist (mens) und der größeren Motivation (maiore…moveri) für den geistigen Fortschritt (studio…spiritales profectus) akustisch ausgedrückt: mentes maiore studio ad spiritales profectus moveri. Während die meisten Alliterationen eine Steigerung der inhaltlichen Plausibilität bewirken, verleihen einige auch spezifischen inhaltlichen Nuancen zu einem Ausdruck. Dazu gehören die Sanktion der Ausrichtung der Werke auf Gott hin (pia opera), die Betonung der Logik des Erlösungsplanes (oportebat occidi) und des auf der geistigen Ebene angesiedelten Fortschrittes von Christen (mentes…moveri).

SL 138A 247,188α): se sacramento salutis; 42,5 (CChr.SL 138A 248,212α): sanctorum societate; 42,6 (CChr.SL 138A 249,231α): claustris crucietur; 42,6 (CChr.SL 138A 249,236α-238α): Cum inimicis autem crucis Christi nulla consensione. 928 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,8): mentes maiore studio…moveri; 42,1 (CChr.SL 138A 238,15): in ipso paschali festo…inveniri; 42,1 (CChr.SL 138A 138,17): per varias actiones vitae huius; 42,2 (CChr.SL 138A 249,47): ergo nobis edendi; 42,2 (CChr.SL 138A 241,74): in isto mundi indigentia; 42,2 (CChr.SL 138A 242,87): vasis pia effusione vacuatis; 42,3 (CChr.SL 138A 242,95): deicere per diffidentiam; 42,3 (CChr.SL 138A 243,110): conditionis cuius et corporis; 42,5 (CChr.SL 138A 248,206αf): vestram scire volumus; 42,5 (CChr.SL 138A 246,166): scola veritatis sancti Spiritus; 42,6 (CChr.SL 138A 250,241): fugiant a filiis diaboli filii veritatis. 929 Als Gegenpart dazu sei auf den Ausdruck der pervertierten „Frömmigkeit“ des Satans verwiesen: vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 242,94f): de ipsa pietate praetendat. Weitere Beispiele: vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,59f): securam conscientiam; 42,2 (CChr. SL 138A 242,89f): fuerat formidata defectio; 42,3 (CChr.SL 138A 243,103): inpugnare propositum; 42,3 (CChr.SL 138A 244,125f): persequi quem pro omnibus oportebat; 42,6 (CChr.SL 138A 249,221): contra exsecrabilem sectam; 42,6 (CChr.SL 138A 249,224f): per opera…praeparate. 930 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,15): in ipso paschali festo…inveniri; tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,236α-238α): Cum inimicis autem crucis Christi nulla consensione.

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Assonanz In tract. 42 finden sich siebenundzwanzig Assonanzen,931 die zumindest die inhaltlichen Aussagen hervorheben oder auf innere Verknüpfungen zweier Wörter hinweisen. Festzustellen ist eine solche etwa bei corda sordescere (1,19), wo durch die Silbe „or“ lautmalerisch insinuiert wird, dass das menschliche Herz nicht rein bleibt. Das wird auch bei peccatorum sordibus (6,251fα) offensichtlich. Die Assonanz durch die Silbe „re“ in vere…resurexisse…credunt (5,192fα), bringt die Tatsachen der Wahrheit, der Auferstehung und des Glaubens in einen inneren Zusammenhang. Homoioteleuton In tract. 42 gibt es neun Homoioteleuta mit denselben Personalendungen932 und acht mit anderen Verbalformen.933 Vierzehn Homoioteleuta bezeugen 931 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,1): dilectissimi, sacratissimum; 42,1 (CChr.SL 138A 238,1f): sacratissimum maximumque ieiunium; 42,1 (CChr.SL 138A 238,3): incipiam dicamque; 42,1 (CChr.SL 138A 238,5f): divinis non sint; 42,1 (CChr.SL 138A 238,7f): tamen omnium mentes; 42,1 (CChr.SL 138A 238,9): ampliore oportet; 42,1 (CChr.SL 138A 238,10): redempti sumus, recursus; 42,1 (CChr.SL 138A 238,13f): continuata reverentia; 42,1 (CChr.SL 138A 239,19f): corda sordescere; 42,2 (CChr.SL 138A 240,47): edendi est moderanda; 42,2 (CChr.SL 138A 241,69α-71α): Semper…paupertas; 42,2 (CChr.SL 138A 242,81f): deserit…deficit; 42,2 (CChr.SL 138A 242,87): vasis pia effusione vacuatis; 42,3 (CChr.SL 138A 242,91): studiis, dilectissimi; 42,3 (CChr.SL 138A 242,91): vos voluntarie; 42,3 (CChr.SL 138A 243,101): laudabiliter viventem laus humana; 42,3 (CChr.SL 138A 243,102): gloriatur…glorietur; 42,3 (CChr.SL 138A 243,103): hostis nequissimus; 42,3 (CChr.SL 138A 243,102): evangelica lectione patefactum; 42,4 (CChr.SL 138A 245,140): creaturarum naturam; 42,4 (CChr.SL 138A 245,141): iniuriam, et contaminari; 42,5 (CChr.SL 138A 247,187αf): Abdicant…sacramento; 42,5 (CChr.SL 138A 247,192αf): vere…resurexisse non credunt; 42,5 (CChr.SL 138A 247,194αf): laetitae…maerore; 42,6 (CChr.SL 138A 249,221): contra exsecrabilem sectam; 42,6 (CChr.SL 138A 249,227α): unanimitatem diligite; 42,6 (CChr.SL 138A 250,251αf): peccatorum sordibus. 932 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,17f): relaxatur…distenditur; 42,2 (CChr.SL 138A 240,43αf; 46α):  subtrahitur…revocatur…cohibetur; 42,2 (CChr.SL 138A 241,59α61α): inflent…defatigent; 42,2 (CChr.SL 138A 242,81f): deserit…deficit; 42,3 (CChr. SL 138A 243,102): gloriatur…glorietur; 42,3 (CChr.SL 138A 244,120f): temptaret…traduceret; 42,5 (CChr.SL 138A 246,169f): removeatur…damnetur; 42,5 (CChr.SL 138A 247f,203α-205α): accipiant…declinent; 42,6 (CChr.SL 138A 250,255αf; 258α): ieiunemus…celebremus; 933 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,8f):  moveri…animari; 42,2 (CChr.SL 138A 241,74f): laborare…possidere; 42,3 (CChr.SL 138A 243,115): facere…librare; 42,4 (CChr. SL 138A 244,125αf): persequi…occidi; 42,4 (CChr.SL 138A 245,135αf): praesumi…

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

den parallelen bzw. antithetischen Stil von Leo und kommen durch die gleichen Kasus-Ausgänge am Ende von Satzteilen zustande. Vier davon bringen eine inhaltliche Emphase zum Ausdruck,934 sechs weisen auf den inhaltlichen Zusammenhang dieser beiden Begriffe hin,935 und schließlich stehen sich vier antithetisch gegenüber.936 Von den Homoioteleuta, die wohl hauptsächlich dem Flexionsreichtum der lateinischen Sprache geschuldet sind (Homoioptata), da sie im Satzinneren in Erscheinung treten, halte ich vier für nennenswert.937 Als Beispiel sei das Parison938 2,77-79 angeführt, bei dem das doppelte Homoioteleuton auf die Silben „ta“ und „tio“ (in laudata devotio und gratuita largitio) und die gleichen Schlussklauseln T2γ eine bewusst gewählte Konstruktion befürworten: Tab. 45: tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,77-79) cum et in duobus nummis evangelicae illius viduae sit laudáta devόtio, (T 2 γ) et pro calice aquae frigidae praemium habeat gratuíta largítio. (T 2 γ) Da auch bei den beiden Geldstücken jener Witwe aus dem Evangelium die Gottergebenheit gelobt wurde, und das uneigennützige Schenken eine Belohnung für den Becher kalten Wassers erhält.

vitari; 42,6 (CChr.SL 138A 249,224f): suscipite…praeparate; 42,6 (CChr.SL 138A 249,226α-229α):  extinguite…deponite…diligite…praevenite; 42,6 (CChr.SL 138A 250,45αf): inferri…admitti. 934 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 247,183α): bis impii…bis profani; 42,2 (CChr.SL 138A 240,52f): culpas…contumelias…iniurias; 42,6 (CChr.SL 138A 249,232αf): vindictae… offensae; 42,6 (CChr.SL 138A 249,234αf): lenitate…mansuetudine…pace. 935 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239, 37αf): rectorem,…dignitatem; 42,2 (CChr.SL 138A 241,78f): sit laudata devotio,…habeat gratuita largitio; 42,3 (CChr.SL 138A 242,95f): diffidentiam…gloriam; 42,3 (CChr.SL 138A 243,103-105): propositum… ieiunium; 42,3 (CChr.SL 138A 244,117f): hominis…Deitatis; 42,5 (CChr.SL 138A 247,184α-187α): ieiunium…cultum…contemptum. 936 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,50f): vitiorum…virtutum; 42,2 (CChr.SL 138A 242,89f): plenitudo…defectio; 42,4 (CChr.SL 138A 244,128): gulae…abstinentiae; 42,4 (CChr.SL 138A 244,130α;132α): cibum…ieiunium. 937 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,1f): sacratissimum maximumque ieiunium; 42,1 (CChr.SL 138A 238,12):  purificatis et corporibus et animis; 42,2 (CChr.SL 138A 239,25αf): purificandis animis atque corporibus; 42,2 (CChr.SL 138A 242,87): vasis… vacuatis…(ubertatis). 938 Parison beschreibt einen Parallelismus, dessen Satzkola im Gegensatz zum Isokolon nur die nahezu gleiche Silbenanzahl aufweisen.

Analyse von tract. 42

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Leo lag daran, die löbliche innere Haltung und das uneigennützige Schenken an dem betonten, Kola-Ende in einem Endreim zu Gehör zu bringen. Um diese Endstellung im zweiten Satzteil mit dem Nominativ largitio zu erreichen, muss der Papst allerdings eine Metonymie in Anspruch nehmen:  Anstatt des biblischen Strukturmusters von Mt 10,42939 „wer…schenkt“ wählt Leo das „Schenken“. Beim Verfassen dieses Satzes musste Leo daher mehr auf diesen Effekt geachtet haben, als auf den biblischen Wortlaut oder auf eine rein inhaltliche Aussage. Die biblische Sprache und ihre rhetorische Einhüllung bilden dadurch eine gelungene Einheit und vermitteln den in Inhalt in einer bestechenden Logik. Die Gleichklänge des Homoioteleuton dienen vor allem parallelen und weiterführenden Aussagen, wie die Versuchung Jesu bis zum Tod am Kreuz (persequi ‒ occidi) oder das unangebrachte Essen und Fasten als verschiedene Strategien des Satans, den Menschen vom rechten Weg abzubringen (per cibum ‒ per ieiunium). Außerdem bringen sie die Folgen bestimmter Handlungen zum Ausdruck: Auf das Fasten folgt die würdige Feier (ieiunemus ‒ celebremus), ohne die achtsame Nachfolge Christi wachsen die Probleme (relaxatur ‒ distenditur), Barmherzigkeit erlangt der Barmherzige (deserit ‒ deficit) und Freigiebigkeit erntet Fülle (plenitudo ‒ defectio). Schließlich wird alles zu Meidende dem Erstrebenswerten gegenübergestellt: Die Laster den Tugenden (vitia ‒ virtutes) und die Genusssucht der Enthaltsamkeit (gula ‒ abstinentia). Antithese Von den vierundzwanzig Antithesen sind fünf auf der strukturellen Ebene940 bzw. zwei zusätzlich auf der begrifflichen angesiedelt,941 acht stehen sich als Begriffe gegenüber.942 Von der letzteren Gruppe sind zwölf weitere in einem Parallelismus enthalten.943 939 Mt 10,42: Et, quicumque potum dederit uni ex minimis istis calicem aquae frigidae tantum in nomine discipuli, amen dico vobis: Non perdet mercedem suam. 940 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,5-7): Quamvis enim nulla sint tempora quae… non…et semper…, nunc tamen; 42,1 (CChr.SL 138A 238,12): Debebatur quidem… Sed; 42,4 (CChr.SL 138A 245,136α-139): Utilis quidem…sed vae; 42,4 (CChr.SL 138A 246,165) Vos autem; 42,6 (CChr.SL 138A 249,236α): Cum inimicis autem. 941 Vgl. tract. 42,4 (CChr.SL 138A 245,142): non Deum, sed diabolum conditorem esse; 42,4 (CChr.SL 138A 246,161α): nihil mundum, sed inquinata. 942 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 242,87):  vasis…vacuatis, fons… ubertatis; 42,3 (CChr.SL 138A 242,92f):  diabolum, qui omnium virtutum est adversarius; 42,3 (CChr.SL 138A 242,94f): ut pietati laqueos de ipsa pietate praetendat; 42,3 (CChr. SL 138A 243,108f):  continentiam donatam haberet an propriam; 42,3 (CChr.SL 138A 243,114f): pervium sibi aera facere, et terrena…membra; 42,6 (CChr.SL 138A 249,238αf): impiorum…sanctitas; 42,6 (CChr.SL 138A 249f,240αf): Lux…tenebris; 42,6 (CChr.SL 138A 250,247αf): immunditia a penetralibus. 943 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,50f):  vitiorum…virtutum; 42,2 (CChr. SL 138A 241,74f):  indigentia laborare…omnia possidere; 42,2 (CChr.SL 138A

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Auf der inhaltlichen Ebene der gesamten Predigt kann dieses AntithesenRepertoire sowie die sich zusätzlich ergebenden, an verschiedenen Stellen eingestreuten, aber letztlich aufeinander bezogenen antithetischen Begriffe und Metaphern944 auf das Verhältnis zwischen Gott, bzw. dem Gottmenschen, dem Menschen und dem Versucher bezogen werden. Die Antithese von Gott und Mensch lässt sich besonders durch Leos programmatisches Begriffspaar sacramentum (auxilium, remedium, medicina etc.) und exemplum (praeceptum, forma, lex etc.) charakterisieren, wiewohl es auch die Einheit der menschlichen und der göttlichen Natur beschreibt, da beide Begriffe die Nähe, Gegenwart und Wirksamkeit Christi bezeichnen.945 Diese Einheit der Person Christi kann als „Muster aller (gelingenden) Begegnung Gottes mit den Menschen“946 charakterisiert werden (Inkarnationstheologie), aber auch als (erlösendes) Modell, dem Versucher zu entgegnen: Um der Gerechtigkeit genüge zu tun,947 wollte Christus dem Versucher lieber den gerechten Menschen entgegenhalten (iustitiam 242,89f): plenitudo…defectio; 42,3 (CChr.SL 138A 244,117f): hominis…Deitatis; 42,3 (CChr.SL 138A 244,121): prudentiam diaboli…sapientia Dei; 42,4 (CChr.SL 138A 244,128): gulae…abstinentiae; 42,4 (CChr.SL 138A 244,130α;132α): cibum…ieiunium; 42,4 (CChr.SL 138A 245,135αf): praesumi…vitari; 42,4 (CChr.SL 138A 246,169f): ut usus…removeatur, non natura damnetur; 42,5 (CChr.SL 138A 247,194αf): laetitae… maerore; 42,5 (CChr.SL 138A 247f,203α-205α): accipiant…declinent; 42,6 (CChr.SL 138A 250,241αf): filiis diaboli filii veritatis. 944 Dazu gehören die Metaphern von Licht und Dunkelheit, die Heilungsmetaphorik und vor allem die Reinheits- und Schmutzmetaphorik: siehe Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung. 945 Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 266f. Zwar kann sacramentum auf die alles ermöglichende Gnade als auch auf die innerliche Verwandlung bezogen werden und exemplum auf die äußerliche Verwandlung aufgrund der Nachfolge Jesu, doch eine scharfe Trennung ist auch hierbei nicht im Sinne Leos (vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 267-269). 946 Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 268. 947 Vgl. Martin: Art. Leo, in: RAC 22 (2008) 1193f: „Die Frage, warum Gott Mensch werden musste, um die Erlöstung zu bewirken, beantwortet Leo mit einer merkwürdigen These: Wegen des Sündenfalls habe der Teufel ein Recht auf seine Herrschaft über die Menschen; deshalb gebraucht Gott die ratio iustitiae, um den Teufel zu besiegen, nicht die potestas virtutis, d. h. er wird selbst Mensch, um als medicus singularis die von einem Menschen verursachte Schuld zu heilen […]. Der Grund dafür ist die überragende misericordia Gottes […] aber die Form der Erlösung wird durch das Recht bestimmt“. Vgl. tract. 64,2 (CChr.SL 138A 390f,31-54). Vgl. Arens, Die christologische Sprache, 229; 32; 387; 392; 675; 702; Jalland, Trevor: The Life and Times of St. Leo the Great, London u.a.: Soc. for Promoting Christian Knowledge, 1941, 491.

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maluisst obponere veri hominis 3,116f) als die Machtfülle Gottes (quam potentia, manifestare deitiatis 3,117f).948 Damit verweist Leo auf die „Form“ der Nachfolge, auf den Weg zum Ausschluss aller Unreinheit und Laster (exclusa omnium contaminatione vitiorum 2,50; concupiscentiam carnis exclusam949). Als grundsätzliche Antithesen können auch die zur Sünde anregenden und durch Irrlehren950 charakterisierten Nachstellungen des Versuchers951 und die Entgegnung der durch Gottes Inspiration geformten und durch die Schrift952 und orthodoxe Tradition erfüllten,953 belehrenden Predigt Leos954 bzw. das

948 Dieser Zusammenhang wird auch durch die Antithese charakterisiert, in welcher der Versucher zweifelt, ob er Gott oder einen einfachen Menschen vor sich habe: vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,108f): continentiam donatam haberet an propriam. 949 tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,49). 950 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 247f,203α-205α): accipiant…declinent; 42,4 (CChr. SL 138A 245,142): non Deum, sed diabolum conditorem esse; 42,4 (CChr.SL 138A 246,169f):  ut usus…removeatur, non natura damnetur; 42,4 (CChr.SL 138A 246,161α): nihil mundum, sed inquinata; 42,4 (CChr.SL 138A 245,134α-136α): interdicta praesumi…concessa vitari. 951 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,104f):  versutias suas; 42,4 (CChr.SL 138A 244,127): adversarii dolos; 42,1 (CChr.SL 138A 238,8): spiritales profectus ‒ inpugnare propositum: 42,3 (CChr.SL 138A 243,103); 42,3 (CChr.SL 138A 242,92f): diabolum, qui omnium virtutum est adversarius. 952 Vgl. tract. 42,4 (CChr.SL 138A 244,130α;132α): cibum…ieiunium; 42,2 (CChr.SL 138A 242,89f): plenitudo…defectio; 42,2 (CChr.SL 138A 241,74f): indigentia laborare… omnia possidere; 42,2 (CChr.SL 138A 242,87): vasis…vacuatis, fons…ubertatis. Die Furchtlosigkeit bzw. das Vertrauen bei der Verteilung von Almosen, besonders der beiden Witwen steht dem Säen des Misstraues des Versuchers gegenüber: vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,67α; 74α; 76): Non timeatur…Nec pavet…non est omnino metuendum ‒ per diffidentiam: 42,3 (CChr.SL 138A 242,95). 953 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 246,165f): Vos…catholicae matris sancta generatio… Nulla itaque vos contagionis huius aspergat impietas; 42,4 (CChr.SL 138A 139): vae illorum dogmati ‒ scola veritatis: 42,5 (CChr.SL 138A 246,166); 42,1 (CChr.SL 138A 238,17):  observantia; 42,2 (CChr.SL 138A 239,28αf):  Praeceptis apostolicis oboedire ‒ sua maxime observantia: 42,5 (CChr.SL 138A 246,173); 42,6 (CChr.SL 138A 249,238αf): impiorum…sanctitas; 42,6 (CChr.SL 138A 249f,240αf): Lux…tenebris; 42,6 (CChr.SL 138A 250,241αf):  filiis diaboli filii veritatis; 42,6 (CChr.SL 138A 250,247αf): immunditia a penetralibus. 954 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 242,91-95): His autem studiis, dilectissimi, ad quae vos voluntarie confidimus praeparatos, non ambigatis diabolum…invidere et ad hoc vim suae malignitatis armare, ut pietati laqueos de ipsa pietate praetendat; 42,6 (CChr.SL 138A 248f,220-223): His…admonitionibus…contra exsecrabilem sectam…instructi.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

modellhafte innere955 und äußere956 auf Gott ausgerichtete Leben des Gottmenschen bezeichnet werden. Das Ineinander, Zueinander und Gegenüber von Gott und Mensch wird schließlich auch in den Begriffen von Zeit und Ewigkeit deutlich (tempus…perpetuitas 2,50f), wie sie dem liturgischen Grundverständnis der Quadragesima und der Feier des Pascha-Mysteriums auch zugrunde liegen: Tab. 46: Antithese Quadragesima

Feier des Pascha-Mysteriums

dies salutis („Tage des Heils“ 1,4f) quadraginta dierum exercitatio („Übung von 40 Tagen“ 1,21) dies mysticos („mystische Tage“ 1,25α) sanctos Quadragesimae dies („die heiligen Tage der Quadragesima“ 6,223)

die, in quo redempti sumus („an dem Tag, an dem wir erlöst wurden“ 1,10) excellens super omnia passionis dominicae sacramentum („die alles überragende Heilswirksamkeit des Leidens des Herrn“ 1,11)

Mit den Antithesen in tract. 42 verleiht Leo dem Zusammenwirken von Gott und Mensch in der Zeit nach dem Modell von Jesus Christus Ausdruck. Die Quadragesima birgt dabei die besondere Qualität der Entscheidung für Gott und gegen die Mächte des Bösen in sich:  durch die entsprechende Orientierung (Licht und Dunkel, Laster und Tugend, Genusssucht und Enthaltsamkeit, Freude und Trauer) offenbaren sich die Menschen als Söhne des Satans oder als Söhne der Wahrheit (filii diaboli ‒ filii veritatis). Parallelismus Von einundzwanzig Parallelismen in tract. 42 weisen sieben das Schema AB-AB (fünfmal Parison) auf,957 weitere drei das Schema AB-AB-AB (ein 955 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,16-18): observantia…sollicitudo; 42,2 (CChr.SL 138A 240,43αf): mens ab iniquitate revocatur; 42,2 (CChr.SL 138A 239,34α-37α): corporis sui decet esse rectorem; 42,2 (CChr.SL 138A 239f,34α; 37αf): animus…dominationis suae obtineat dignitatem; 956 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,9f): universa pietatis officia; 42,1 (CChr.SL 138A 239,22f): pia opera…et ieiunia casta; 42,1 (CChr.SL 138A 239,21f): nobis dierum exercitatio mederetur ‒ per arma iustitiae…se exerceat: 42,2 (CChr.SL 138A 240f,54αf); 42,2 (CChr.SL 138A 240,49): Mansuetudinis et patientiae, pacis et tranquillitatis; 42,2 (CChr.SL 138A 240,48): cupiditates…frenentur ‒ contaminatione vitiorum…perpetuitas virtutum: 42,2 (CChr.SL 138A 240,50f); 42,3 (CChr.SL 138A 244,121): prudentiam diaboli…sapientia Dei; 42,4 (CChr.SL 138A 244,128): gulae…abstinentiae; 42,5 (CChr. SL 138A 247,194αf): diem laetitae…ieiunii maerore. 957 Die ersten fünf können als Parison eingestuft werden: vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,8f):  maiore studio…ampliore fiducia; 42,2 (CChr.SL 138A 242,85):  exiguum

Analyse von tract. 42

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Parison),958 sieben das Schema ABC-ABC (viermal Parison)959 und schließlich vier die Struktur von ABCD-ABCD (dreimal Parison)960. Von den bereits in den Fußnoten zitierten Parallelismen erfüllen sieben die Funktionen der Betonung durch die Aufzählung,961 es gibt drei Gegenüberstellungen,962 während zehn weitere eine inhaltliche Ergänzung und Erweiterung bieten.963 Die Parallelismen in tract. 42 unterstreichen durch ihre Struktur nicht nur die Bedeutung von pleonastischen Formulierungen, sondern bringen auch farinae ac pusillum olei; 42,2 (CChr.SL 138A 242,89f): eius…plenitudo, cuius…defectio; 42,4 (CChr.SL 138A 246,169f): usus…removeatur, non natura damnetur; 42,6 (CChr.SL 138A 249,232αf): Cessent vindictae, remittantur offensae; 42,6 (CChr.SL 138A 250,253αf): et possidere…et regere; 42,2 (CChr.SL 138A 240,49): Mansuetudinis et patientiae, pacis et tranquillitatis. 958 Das erste Beispiel ist gleichzeitig ein Parison:  vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,226αf):  Iram extinuite, odia deponite, unanimitatem diligite; 42,2 (CChr.SL 138A 240,53f): donare culpas, neglegere contumelias et oblivisci adsuscat iniurias; 42,6 (CChr.SL 138A 249,234αf): severitas lenitate, indignatio mansuetudine, discordia pace. 959 Die ersten vier können als Parison eingestuft werden: vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,16-18): dum…observantia relaxatur, dumque…sollicitudo ostenditur; 42,2 (CChr. SL 138A 241f,81): eum…efficacia deserit, in quo misericordia…deficit; 42,1 (CChr.SL 138A 239,22f): pia opera redimerent et ieiunia casta decoquerent; 42,6 (CChr.SL 138A 250,244αf): nihil contaminatum inferri, nihil profanum…admitti; 42,2 (CChr.SL 138A 241,78f): sit laudata devotio…habeat gratuita largitio; 42,4 (CChr.SL 138A 244,128): in inlecebris gulae…in proposito abstinentiae; 42,2 (CChr.SL 138A 241,59α-61α): nec laudes inflent, nec obprobria defatigent. 960 Die ersten drei können als Parison eingestuft werden: vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 238,4f): Ecce nunc tempus acceptabile, ecce nunc dies salutis (= 2 Kor6,2); 42,3 (CChr.SL 138A 243,103f): Cuius…non audeat inpugnare propositum, cuius non adpetat violare ieiunium; 42,4 (CChr.SL 138A 244f,133α-136α): sicut per serpentem inpulit interdicta praesumi, ita per famem suadet concessa vitari; 42,3 (CChr.SL 138A 242,95f): potuerit deicere per diffidentiam, conetur superare per gloriam. 961 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,49); 42,2 (CChr.SL 138A 242,85); 42,6 (CChr.SL 138A 249,232αf); 42,6 (CChr.SL 138A 250,253αf); 42,2 (CChr.SL 138A 240,53f); 42,6 (CChr.SL 138A 250,244αf); 42,3 (CChr.SL 138A 243,103f). 962 Vgl. tract. 42,4 (CChr.SL 138A 246,169f); 42,4 (CChr.SL 138A 244,128); 42,4 (CChr. SL 138A 244f,133α-136α). 963 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 238,4f) = 2 Kor 6,2; 42,1 (CChr.SL 138A 238,8f); 42,2 (CChr.SL 138A 241f,81); 42,2 (CChr.SL 138A 242,89f); 42,6 (CChr.SL 138A 249,226αf); 42,6 (CChr.SL 138A 249,234αf); 42,1 (CChr.SL 138A 239,22f); 42,2 (CChr.SL 138A 241,59α-61α); 42,2 (CChr.SL 138A 241,78f); 42,3 (CChr.SL 138A 242,95f).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

einige Aussagen zum Ausdruck: Die Schöpfung ist gut (usus ‒ natura), folgt der Mensch Christus nicht nach, wachsen die Sorgen (observantia ‒ sollicitudo) und diese Nachfolge besteht im Empfangen und Weitergeben von Barmherzigkeit (efficacia ‒ misericordia). Der Satan versucht den Menschen an dieser Nachfolge zu hindern: Da die bei Adam angewandte Strategie, Misstrauen zu säen nicht fruchtet (diffidentia ‒ gloria), versuche der Satan den Menschen zu einem irrationalen Fasten zu führen (cibum ‒ ieiunium). Chiasmus Unter den sechs Chiasmen in tract. 42 ist einer mit der Struktur ab-ba,964 drei mit dem Schema abC-baC965 und zwei mit dem Schema Abc-Acb966. Von diesen Chiasmen dient einer der Verdeutlichung,967 einer der Erläuterung,968 zwei drücken die innere Beziehung der beiden Glieder aus,969 während zwei einen Gegensatz ausdrücken.970 Durch die Chiasmen werden die jeweils äußersten Glieder hervorgehoben (scivit ‒ novit), und damit auch spezifische Inhalte auf den Punkt gebracht: Christus bringt die Erlösung (Christus ‒ redemptio) und in der Quadragesima gilt es lasterhaftes Verhalten abzulegen und Tugenden einzuüben (exclusa ‒ obtinenda). Schließlich erfüllt der Satan durch sein selbstbewusstes Vorgehen gegen Christus gerade den göttlichen Plan (non metueret ‒ oportebat).

964 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,2-3): quam ut verbis Apostoli…incipiam dicamque quod lectum est. 965 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,50f): exclusa…contaminatione vitiorum, perpetuitas…obtinenda virtutum; 42,3 (CChr.SL 138A 244,124α-126α): non metueret eum persequi quem…oportebat occidi; 42,5 (CChr.SL 138A 247f,202α-205α): Christi corpus accipiant, sanguinem redemptionis…declinent. 966 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 244,129α-132α): scivit…mortem inferre per cibum, novit et per ipsum nocere ieiunium; 42,5 (CChr.SL 138A 247,190α-193α): sicut…denegant natum, ita…mortuum…non credunt. 967 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,2-3). 968 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,50f). 969 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,124α-126α); 42,5 (CChr.SL 138A 247,190α-193α). 970 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 247f,202α-205α); 42,5 (CChr.SL 138A 244,129α-132α).

Analyse von tract. 42

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4.4 Leos Bibelverwendung 4.4.1  Der Befund der wörtlichen Bezugnahmen auf die Bibel In tract. 42 verwendet Leo vier vollständige Bibelzitate,971 fünf Teilzitate972 und neunzehn Kleinstzitate,973 die nur einzelne Wörter aufnehmen. Von den Zitaten fungieren zwei als Schriftbeweise974 und vier als wörtliche

971 Vgl. 2 Kor 6,2 in tract. 42,1 (CChr.SL 138A 239,4f); 1 Kor 1,31 bzw. 2 Kor 10,17 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 243,102); Tit 1,15 in tract. 42,4 (CChr.SL 138A 246,159α-163α); Röm 16,17f in tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248 215-219). 972 Vgl. 2 Kor 7,1 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239,30α-32α); 2 Kor 6,7f in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240f,54α-58α); 1 Kor 1,19-21 in tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,121); Röm 1,25 in tract. 42 (CChr.SL 138A 247,174αf); Phil 3,18b in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,236αf). 973 Vgl. 2 Kor 6,2: gratiam in tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,7); 2 Kor 7,4: fiducia in tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,9); Mt 6,25-34: Nolite ergo esse solliciti als huius vitae sollicitudo in tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,17f); 2 Kor 6,4: patientia in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,49); 2 Kor 6,10: omnia possidentes als omnia possidere in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,75); Gal 6,10: operemur bonum als Operantibus ergo quae bona in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,75f); Mt 10,42: calicem aquae frigidae als pro calice aquae frigidae in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,78f); Mt 4,2: ieiunasset quadraginta diebus et quadraginta noctibus als quadraginta dierum noctiumque ieiunium in tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,106f); 1 Tim 4,8: corporalis exercitatio ad modicum utilis est, pietas autem ad omnia utilis est als Utilis quidem est continentia, quae…, sed in tract. 42,4 (CChr.SL 138A 245,136αf); Röm 12,10: caritate fraternitatis diligentes als unanimitatem diligite in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,227α); Röm 12,10: invicem praevenientes als invicem praevenite in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,228αf); 2 Kor 7,11: indignationem (vgl. 6,234α); vindictam (vgl. 6,232αf); incontaminatos (vgl. 2,50; 6,244αf); 2 Kor 6,14a: iugum ducere als iungamur in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,238); 2 Kor 6,14c: luci ad tenebras als Lux separetur a tenebris in tract. 42,6 (CChr. SL 138A 249f, 240αf); 2 Kor 6,17b: separamini als separetur in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249,240α); 2 Kor 6,16a: consensus templo Dei als consensione bzw. templum enim Dei in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 249f,236αf;242αf); 2 Kor 6,17c: et immundum ne tetigeritis als omni immunditia…exclusa in tract. 42 (CChr.SL 138A 250,246α-248α); 2 Kor 6,18b: vos eritis mihi in filios et filias als a filiis diaboli filii veritatis in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 250,241αf); Röm 8,9: Spiritus Dei habitat in vobis (vgl. 1 Kor 3,16; 2 Tim 1,14) als simus aeternum habitaculum Spiritus sancti in tract. 42,6 (CChr.SL 138A 250,250αf). 974 Vgl. Tit 1,15 in tract. 42,4 (CChr.SL 138A 246,159α-163α); Röm 16,17f in tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248 215-219).

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

Argumentationsstützen,975 während es fünf Bekräftigungen durch biblische Inhalte gibt.976 Von den siebenundzwanzig wörtlichen Bezügen stammen vierundzwanzig aus den dem Apostel Paulus zugeschriebenen Briefen (vierzehn Bezüge sind 2 Kor 6;7;8;10 entnommen bzw. fünf davon der Tageslesung 2 Kor 6* (1-10?), weitere Briefe: 1 Kor, Phil, Gal, Röm, Tit, 1 Tim) und drei aus dem Evangelium nach Matthäus.

4.4.2  Sprachliche Adaptionen des biblischen Textes Bewusste sprachliche Adaptationen sind bei drei längeren Zitaten zu erkennen. Bei der Verwendung von 2 Kor 6,7f verknüpft Leo die biblische Vorlage mit der Satzstruktur: „der Gläubige übe sich…, auf dass“ (fidelis animus…se exerceat…ut): Tab. 47: Sprachliche Adaption 2Kor 6,7bf

tract. 42,2 (CChr.SL 138A 2,54α-58α)

per arma iustitiae a déxtris et sinístris, (TT γδ) per gloriam et ignobilitatem. (unrhythm.) per infamiam et bónam fámam (Ditrochäus); Mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken, bei Ehrung und Schmähung, bei üblem und bei gutem Ruf.

Nunc fidelis animus per arma iustitiae a dextris se exérceat et sinístris, (V δε) ut per glóriam et ìgnobilitátem, (unrhythm.) per infamiam et bónam fámam (Ditrochäus) securam conscientiam nec láudes ínflent, (Ditrochäus) nec obpróbria defatígent. (V δ) Jetzt übe sich der Gläubige mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken, auf dass ‒ bei Ruhm und Ruhmlosigkeit, bei üblem und gutem Ruf ‒ weder Lobeshymnen das heitere Gewissen aufblähen noch Schimpftiraden ihm zu schaffen machen.

975 Vgl. 2 Kor 7,1 bzw. 2 Kor 6,3 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239,30α-32α); 1 Kor 1,31 bzw. 2 Kor 10,17 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 243,102) mit dem ausdrücklichen Hinweis auf ein Schriftwort: ut scriptum est. 2 Kor 6,7f in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240f,54α-58α); Röm 1,25 in tract. 42 (CChr.SL 138A 247,174αf); Als kleine Argumentationsstütze kann angeführt werden: omnia possidere (vgl. 2 Kor 6,10) in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,75). 976 Dazu zählen die exempla der armen Witwen: vgl. Mk 12,41-44 und 1 Kön 17,8-16 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,77-90), die Auslegung der drei Versuchungen Jesu: vgl. Mt 4,1-10 in tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243f,106-121) sowie folgende Stellen: Gal 5,17 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239,32α-34α); 2 Kor 6,10; 8,9 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,67α-71α); Gen 3,3-6;19 in tract. 42,4 (CChr.SL 138A 244,129αf).

Analyse von tract. 42

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Durch diese Erweiterung verbessert Leo einerseits den Rhythmus (von TTγδ auf Vδε) und schließt den Satz andererseits mit einem für ihn typischen Parison, das den biblischen Inhalt chiastisch noch einmal zum Ausdruck bringt. Dabei entsteht das Bild eines in sich geschlossenen, spiralenförmigen Wortflusses, der mit der schlussstarken Klausel Vδ zum Stehen kommt. In der zweiten Reformulierung deutet Leo das Geschehen der Versuchung vom Blickwinkel des Versuchers und reduziert die behäbigere Formulierung cum ieiunasset quadraginta diebus et quadraginta noctibus auf den kompakteren, substantivischen Satz quadraginta dierum noctiumque ieiunium: Tab. 48: Sprachliche Adaption Mt 4,2f

tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,106-108)

Et cum ieiunasset quadragínta diébus (P γ) et quadragínta nóctibus, (unrhythm.) pósteà èsúriit. (unrhythm.) Et accedens tentator dixit Und als er 40 Tage und 40 Nächte gefastet hatte, bekam er infolgedessen Hunger. Und der Versucher trat hinzu und sagte

Expavescens enim in eo quadragínta diérum (P γ) noctiúmque ièiúnium, (T 2 γ) explorare cállidè vóluit (T 2 γ) utrum Er [der Versucher] fürchtete nämlich an ihm [Jesus] das Fasten von 40 Tagen und Nächten und wollte in seiner Schlauheit erforschen, ob

Durch die Reformulierung ergibt sich bei noctiumque ieiunium die schlussstarke Klausel T2γ. Diese wird bei der Reaktion des Satans auf das Fasten Jesu aufgenommen (callide voluit T2γ) und bringt den inneren Zusammenhang auf der Ebene des Rhythmus zum Ausdruck. Eine dritte Reformulierung führt Leo bei der Aufnahme von 1 Kor 1,19f durch. Dabei reduziert er die wesentliche Aussage auf einen kompakten, antithetischen Parallelismus, wie er im ersten Teil der Bibelstelle zu finden ist. Tab. 49: Sprachliche Adaption 1Kor 1,19f; vgl. Jes 29,14; Ps 32/33,10

tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,121)

Scriptum est enim: Perdam sapientiam sapientium et prudentiam prudéntiùm reprobábo (V δ)…Nonne stultam fecit Deus sapiéntiam huius múndì? (V δζ) Es steht nämlich geschrieben: Ich werde die Weisheit der Weisen vernichten und die Klugheit der Klugen verwerfen…Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt?

Sed prudentiam diaboli stultam fecit sapiéntia Déi. (P δ) Aber die Weisheit Gottes hat die Klugheit des Teufels als Torheit entlarvt.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

In Anbetracht der vorteilhafteren Klauseln des biblischen Textes lag dem Papst offensichtlich mehr an der klaren Struktur und dem eindeutigen in der Klugheit des Satans benannten Kontrast zur Weisheit Gottes als an dem schlussstarken Abschluss dieses sentenzenhaften Ausblicks auf den Ausgang der dritten Versuchung. Im Rahmen von kleineren wörtlichen Anleihen zeigen auch Reformulierungen ein gemischtes Bild von Veränderungen.977 Im Wesentlichen werden die Teil- und Kleinstzitate aber in den Prosarhythmus eingebunden.978

4.4.3  Die Bibel als Quelle für den Inhalt Hinweise auf die liturgischen Lesungen Die wesentlichen Inhalte sind durch die liturgischen Lesungen vorgegeben, für die es primäre Hinweise im Text gibt. Teil der Epistellesung ist jedenfalls 2 Kor 6,2, da dieses Zitat mit „ich sage, was gelesen wurde“ (dicamque quod lectum est 1,3f) eingeleitet wird. Als Tagesevangelium muss Mt 4,1-11 angenommen werden, da Leo über den Inhalt der Versuchung Jesu formuliert: „wie es durch die Lesung des Evangeliums offengelegt wurde“ (sicut evangelica lectione patefactum est 3,106). Ein sekundärer Beleg für dieses Tagesevangelium ist das Zusammenlaufen der Argumentationsfäden der Predigt bei der Aktualisierung und Erläuterung der Versuchung Jesu (3,91126α). Die biblischen Inhalte in Verbindung mit den liturgischen Lesungen Anders als andere Quadragesima-Predigten weist tract. 42 deutlichere Bezüge zu 2 Kor 6,1-10 auf. Diese erstrecken sich über das Exordium (1,1-12) und die Confirmatio (1,12-2,90) und machen auf diese Weise die Lesung als Ausgangspunkt für die darin entwickelten Aktualisierungen wahrscheinlich: Zu Beginn in 1,4f durch 2 Kor 6,2 mit Hinweis auf die besondere Zeit der Gnade, in 2,30β32β durch 2 Kor 6,3 mit der Aufforderung zur Sittenreinheit (bzw. in 2,30α-32α mit 2 Kor 7,1), in 2,54-58 durch 2 Kor 6,7f mit der Metaphorik der Waffen der Gerechtigkeit und der Ermutigung zu einem christlichen Leben in Zeiten der Anerkennung und der Schmähung und schließlich durch die in 2,75 enthaltene Reminiszenz an 2 Kor 6,10 (omnia possidere). Diese belegt das zuvor ausgeführte Paradoxon des Reichtums der christlichen Armut (2,70f) in Form einer 977 So achtet Leo bei der wörtlichen Anleihe omnia possidere von 2 Kor 6,10 in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 241,75) nicht auf den Abschluss durch eine Klausel. 978 In diesem Sinne verändert Leo mundemus (2Kor 7,1) in tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239,30α-32α) zu emundantes und servierunt (Röm 1,25) in tract. 42,5 (CChr.SL 138A 247,174fα) zu servientes.

Analyse von tract. 42

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biblischen Argumentationsstütze, um sie durch die Erläuterungen zu den biblischen exempla von Mk 12,41-44 und 1 Kön 17,8-16 weiter auszufalten (2,77-90). Aufgrund der verschiedenen Bezüge ist die Epistellesung im Umfang von 2 Kor 6,1-10 jedenfalls nicht unwahrscheinlich. In der Auslegung des Tagesevangeliums wird in der Narratio rekapituliert, wie Gott sich in Christus ausdrückt und welches christologische Ereignis die Quadragesima als Tage des Heils qualifiziere. Christus begegnet den Versuchungen, seine gloria („Herrlichkeit“; „Ruhm“ 3,102; vgl. 2 Kor 10,17) zu offenbaren bzw. eben solche im irdischen Sinn zu erlangen, mit der humilitas („Demut“). Damit habe er den Christen auch den Orientierungspunkt für die innere Reinigung gewiesen (3,103106). Der Neid des Satans treffe jetzt nämlich die Christen, um sie, wie Adam, durch Misstrauen und eine Speise (3,95; 4,130α; vgl. Gen 3,3-19) oder vielmehr durch die gloria („Ruhmsucht“ 3,96) zu überführen. Die gloria wird in der Confutatio (4,1275,219α) als falsch verstandenes Fasten erläutert, das bei den Manichäern infolge ihres dualistischen Weltbildes auf die prinzipielle Verurteilung gewisser Speisen und die Ablehnung der guten Schöpfung zurückgeführt wird. Diese können daher auch Christi humilitas nicht anerkennen, die er in seiner Geburt und im Leiden offenbar machte und in der Versuchung unter Beweis stellte. Während die Epistellesung die subjektive Anteilnahme am Sieg der Tugenden Jesu einfordert, wird im Tagesevangelium der objektive Inhalt der Bewährung vor Augen gestellt, auf dass Christus im Leben der Christen als sacramentum und exemplum wirksam werde. Zusammenfassung Die dichte Aufnahme paulinischer Gedanken und Themen, die über die Tageslesung 2 Kor 6,1-10 hinausgehen, verweisen im Rahmen der das quadragesimale Fasten verkündenden und einfordernden Predigt auf das in der Narratio speziell reflektierte Tagesevangelium Mt 4,1-11. Bei der Einbindung von biblischen Zitaten und wörtlichen, biblischen Anleihen ließ sich eine Tendenz zu rhythmuskonformeren Reformulierungen feststellen, die etwa zugunsten eines prägnanten, antithetischen Parallelismus oder einer wörtlichen Anleihe an der Epistellesung vernachlässigt wird. Bei der Aktualisierung der Schriftlesungen orientiert Leo sich an der ‒ aus der Bibel genuin entwickelten ‒ Botschaft der Nachfolge Jesu gemäß des heiligen Lebenswandels (conversatio sancta) und der göttlichen Belehrung (doctrina divina), sodass er die Sprache der Schrift, aber auch deren Aussagen souverän zu ihrer Wirkung verhilft.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

4.5 Anzeichen einer Interaktion zwischen Prediger und Versammlung 4.5.1  Rhetorische Bezugnahme auf die Adressaten Die üblichen Vokative dilectissimi verwendet Leo zur Adressierung fünfmal.979 Hinsichtlich der Personalpronominaspricht er die Versammlung sechsmal in der 2.P.Pl. an,980 während er neunmal auf die soziativen Formen981 der 1.P.Pl. zurückgreift.982 Ähnlich verhält es sich bei den Possessivpronomen: Zwei stehen in der 2.P.Pl.983 und siebenmal werden die inklusiven Formen „unser“ (noster984) verwendet. Nur das Possessivpronomen nostris (5,220) bezieht sich gewissermaßen als Pluralis maiestatis auf Leo selbst.985 Dieser Plural kann die Hörer jedoch im Sinne einer Inklusion miteinbeziehen, um der eigenen Person nicht zu viel Gewicht beizumessen.986 Im Hinblick auf die zur Zeit Leos nicht ungewöhnliche, inhomogene Verwendung987 von Prädikaten in der 1.P.Sg.988 und der 1.P.Pl.989 ist dem Pluralis

979 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,1); 42,2 (CChr.SL 138A 23924fα); 42,3 (CChr.SL 138A 242,91); 42,5 (CChr.SL 138A 246,165); 42,6 (CChr.SL 138A 248,220). 980 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,1); 42,3 (CChr.SL 138A 242,91); 42,5 (CChr.SL 138A 246,165); 42,5 (CChr.SL 138A 246,171α); 42,5 (CChr.SL 138A 248,207α); 42,5 (CChr.SL 138A 248,215). 981 Vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 19f [§ 30]. 982 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,6); 42,1 (CChr.SL 138A 238,10); 42,1 (CChr.SL 138A 238,15); 42,1 (CChr.SL 138A 239,21); 42,2 (CChr.SL 138A 239,30α); 42,2 (CChr. SL 138A 240,47); 42,2 (CChr.SL 138A 240,51); 42,6 (CChr.SL 138A 250,251α); 42,6 (CChr.SL 138A 250,260αf). 983 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248,206α); 42,6 (CChr.SL 138A 249,221). 984 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,40α); 42,5 (CChr.SL 138A 247,190α); 42,5 (CChr. SL 138A 247,194α); 42,5 (CChr.SL 138A 247,197α); 42,5 (CChr.SL 138A 248,204α); 42,5 (CChr.SL 138A 248,218); 42,6 (CChr.SL 138A 250,249α). 985 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248,220): nostris. 986 Vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 19f [§ 30]. 987 Die parallele Verwendung von 1.P.Sg. und 1.P.Pl. hat oft kein erkennbares System wie etwa bei Cyprian, aber „von einem reinen Plur. dignitatis, wie er voll entwickelt bei Leo dem Großen vorliegt, kann bei Cypr. nicht gesprochen werden“ (Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 20 [§ 30]). 988 Dreimal verwendet Leo zu Beginn die 1.P.Sg. in Verbindung mit einem Partizip Futur: Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,1): Praedicaturus; 42,1 (CChr.SL 138A 238,2): utar; 42,1 ( CChr.SL 138A 2 38,3): incipiam; 42,1 (CChr.SL 138A 238,3): dicamque. 989 Dreimal verwendet Leo den Pluralis dignitatis:  vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 242,91): Confidimus; 42,5 (CChr.SL 138A 248,215): rogamus; 42,6 (CChr.SL 138A 249,222): ingessimus.

Analyse von tract. 42

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dignitatis vor der inklusiven Verwendung (etwa für den Stadtklerus) der Vorzug zu geben.990 Ein eindeutiger Pluralis inclusivus liegt aber bei drei Verben in der 1.P.Pl. vor,991 sowie bei sechs Hortativen in der gleichen Person.992 Ebenfalls auf die Allgemeinheit bezogen sind die unpersönlichen Aufforderungen, die aus zwölf Hortativen in der 3.P.Sg. bzw. Pl.,993 aus vier Gerundiven994 und drei Aufforderung mit oportet bzw. decet995 bestehen. An die Adressaten direkt wendet sich Leo in der 2.P.Pl., in den Formen von zwei Hortativen996 sowie von neun Imperativen.997 Im Zitat von Röm 16,17f kommt auch ein Indikativ in der 2.P.Pl. vor.998 Schließlich sind die zwei

990 Seit Gordian III. (238-244) kommt der Pluralis maiestatis regelmäßig in Kaisererlässen vor, um zunächst auf die zwei bzw. drei Kaiser Rücksicht zu nehmen. Als reiner Pluralis dignitatis kommt er erst seit dem 5. Jh. vor, in den Briefen römischer Bischöfe seit dem 1. Jh., wenn sie im Namen der Gemeinschaft sprachen (Vgl. Hofmann-Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 20 [§ 30]. 991 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,10): redempti sumus; 42,1 (CChr.SL 138A 238,14) permaneremus; 42,6 (CChr.SL 138A 250,250α): simus. 992 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 239,29α): curemus; 42,1 (CChr.SL 138A 238,12): celebremus; 42,4 (CChr.SL 138A 244,128): caveamus; 42,6 (CChr.SL 138A 249,238α): iungamur; 42,6 (CChr.SL 138A 250,255αf;258α): ieiunemus; celebremus. 993 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,48): frenentur; 42,2 (CChr.SL 138A 240,53): adsuescat; 42,2 (CChr.SL 138A 241,55α): exerceat; 42,2 (CChr.SL 138A 241,67α): timeatur; 42,5 (CChr.SL 138A 246,172α): aspergat; 42,5 (CChr.SL 138A 247,178α): ambigat; 42,6 (CChr.SL 138A 249,231α-236α): crucrietur…Cessent…remittantur…mutetur; 42,6 (CChr.SL 138A 249,240α): separetur; 42,6 (CChr.SL 138A 250,241α): fugiant. 994 Vgl. tract. 42,2 (CChr.SL 138A 240,47): moderanda; 42,2 (CChr.SL 138A 240,51): obtinenda; 42,2 (CChr.SL 138A 241,76): metuendum; 42,5 (CChr.SL 138A 246,169) vivendum. 995 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,9): oportet; 42,2 (CChr.SL 138A 238,36αf): decet; 42,6 (CChr.SL 138A 250,246α) oportet. 996 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 242,92): ambigatis; 42,5 (CChr.SL 138A 248,216): observetis. 997 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 246,167):  moderamini; 42,5 (CChr.SL 138A 248,17):  declinate; 42,6 (CChr.SL 138A 249,224):  suscipite; 42,6 (CChr.SL 138A 249,225): praeparate; 42,6 (CChr.SL 138A 249,226α-230α): extinguite…deponite… diligite…praevenite…dominamini. 998 Vgl. tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248,217): didicistis.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

rhetorischen Fragen999 und die Exclamatio als Aufmerksamkeit erregende Instrumente der Kommunikation zu nennen.1000 Aus dem Befund, der eine hohe Zahl an inklusiven Formen aufweist, lässt sich Leos suggestive Strategie der Identifikation mit seinen Adressaten erschließen, die einer würdigen Vorbereitung auf Ostern und einer gemeinsamen Abgrenzung gegenüber den Manichäern dient. Die zahlreichen hortativen Elemente fordern die Adressaten heraus, diesen Ansprüchen gerecht zu werden.

4.5.2  Rückschlüsse auf die Adressaten durch Sprache und Inhalt Inhaltlich zeichnet tract. 42 zunächst folgendes Bild von den Adressaten: In ihren Gottesdiensten nehmen auch Manichäer teil, die sie aber offenbar nicht als solche erkennen und somit auch nichts gegen sie unternehmen. Die Erläuterung der manichäischen Ablehnung der Kelchkommunion und der menschlichen Natur Christi und deren Fastenpraxis lassen darauf schließen, dass die Unterschiede zunächst nicht allzu bekannt waren. Da man eine solche Unkenntnis jedenfalls beim breiteren Volk anzunehmen ist, könnte dies auf die Präsenz von Gläubigen niedrigerer sozialer Schichten hindeuten wie auch auf geringe Berührungspunkte zwischen Christen und den offenbar in großer Zahl aus Afrika geflüchteten Manichäern. Nach 6,222 hatte Leo bereits häufig (frequenter) über die Manichäer gesprochen, sodass im Zusammenhang mit den Gesetzesnovellen vielen bereits deutlich geworden war, dass deren Glaube sich vom kirchlichen unterscheidet. Zum Zeitpunkt dieser Predigt hatten offensichtlich auch viele Manichäer auf den Druck der Maßnahmen Leos bzw. Valentinians III. hin Rom bereits wieder verlassen.1001 Leos biblische exempla von den Witwen lassen ein gewisses Vertrauen des Predigers in die neutestamentlichen Kenntnisse seiner Adressaten erkennen. Denn während er die neutestamentliche Begebenheit nur umrisshaft andeutet, erzählt er jene von der Witwe von Sarepta und Elija in ihren wesentlichen Elementen gänzlich nach (anders als den Sündenfall in Gen 3; vgl. 4,129fα). Gemeinsam mit der Hervorhebung des Paradoxons des Reichtums der christlichen Armut (2,69α-71α) scheint Leo mit den biblischen exempla auch auf eine Erfahrung einer Almosen-Praxis zu reagieren, die zu wünschen übrig lässt. Angesichts der beginnenden Fastenzeit steht dahinter aber jedenfalls ein Appell dieser meritorischen Dimension1002 des Fastens gerecht zu werden. 999 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 238,2-5); 42,3 (CChr.SL 138A 243,103-106) enthält eine Doppelfrage ; Cuius…, cuius…? 1000 Vgl. tract. 42,4 (CChr.SL 138A 245,139): vae illorum dogmati. 1001 Siehe Historische Angaben zu tract. 42. 1002 Vgl. Arbesmann, Art. Fasten, in: RAC 7 (1969) 486.

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Analyse von tract. 42

Im Hinblick auf die Sprachbilder zieht sich ein roter Faden der Schmutz-, Reinigungs- und Reinheitsmetaphern durch tract. 42: Tab. 50: Sprachbilder Schmutz

Reinigung

Reinheit

mundano pulvere 1,18 corda sordescere 1,19 inquinamento 1,30fα

ad reparandam puritatem 1,20 culpas decoquerent1003 1,23 purificandis animis atque corporibus 2,25α-27α emundantes 2,30α

purificatis 1,12 puritatem 1,20 securam conscientiam 1,58fα Contaminatione vitiorum exclusa 2,50

Coinquinatis autem et infidelibus nihil mundum 4,159α-161α inquinata sunt eorum mens et conscientia 4,161α-163α contagionis 5,171α polluuntur 5,173fα; 6,240α Contaminari edentes 4,141 contaminatum 6,244fα peccatorum sordibus 6,252fα

munda mundis 4,159α emundatos 6,252α

Das später in der Liturgie im Zusammenhang mit Ps 50/51,91004 positiv konnotierte aspergo (Grundbedeutung: „hinstreuen“, „besprengen“; hier: „entsündigen“), das in Hebr 10,221005 als „reinigen“ verwendet wird, hat bei Leo1006 die klassische, metaphorische Grundbedeutung „beschmutzen“1007. Da die Vernachlässigung des Körpers in der Antike Teil des Buß- bzw. Tauffastens war1008 und Fasten und Waschen in der Antike als unvereinbar galten,1009 1003 Decoquo wird bei Cyprian im Sinne von „reinigen“ verwendet: vgl. op. et el. 14 (CChr. SL 3A 63,275): sordibus tuis tamquam igne decoctis 1004 Vgl. Ps 50/51,9: asperges me hysopo et mundabor lavabis me et super nivem dealbabor. 1005 Hebr 10,22: aspersi corda a conscientia mala. 1006 Vgl. auch tract. 43,3 (CChr.SL 138A 254,81f): pulvere terrenae conversationis aspergitur. 1007 Vgl. Cicero, Cael. 23,12 (Austin 10,12): sed ne infamia quidem est aspersus. Vgl. auch Tertullian, cult. fem. 2,2 (SC 173 100,33f): ipse quoque infamia aspergitur; Vgl. Minucius Felix, Octav. 31 (Kytzler 172,2-4): ut gloriam pudicitiae deformis infamiae aspersione macularet. 1008 Vgl. Arbesmann, Art. Fasten, in: RAC 7 (1969) 483: Dazu gehörte das Liegen auf dem Boden in Sack und Asche. 1009 Vgl. ibid., 518.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

hatte diese Metaphorik neben der religiösen Symbolik auch einen Sitz im Leben. Traditionell wurde das Fasten am Donnerstag vor Ostern unterbrochen, um auch ein Bad zu nehmen,1010 zumal die Taufbewerber gewaschen und in sauberen Gewändern zur Osternacht kommen sollten und der Freitag sowie Samstag davor strenge Fasttage waren.1011 Die Metaphorik von „Schmutz“ und „Reinheit“ wird bei den Adressaten jedenfalls auch diese Assoziation bewirkt haben, bei den bereits Getauften, bei wohl kaum noch vorhandenen erwachsenen Taufkandidaten, aber besonders bei den Pönitenten.

4.6 Theologische Grundgedanken Leo entwickelt die Gedanken von tract. 42 unter Berücksichtigung der vorangegangenen Lesung 2 Kor 6* (1-10?) und des Evangeliums Mt 4,1-11. Dafür sprechen das an den Beginn gestellte Zitat von 2 Kor 6,2 und weitere fünf Bezüge zur Lesung sowie die Ausfaltung der drei Versuchungen Jesu als zentraler Bezugspunkt für die Erläuterung der durch den Satan bedrohten Zeit der Quadragesima.1012 Das in der Weisheit Gottes1013 begründete Vorbild Jesu in der Versuchung vermittelt Leo auf der geistig-intellektuellen und auf der affektiv-handlungsorientieren Ebene, um seinen Adressaten nach dem inkarnatorischen Prinzip ein ganzheitliches Verstehen und Nachvollziehen zu ermöglichen. Beide Ebenen können als exemplum charakterisiert werden und sind aufs engste mit dem sacramentum verknüpft: Leo versteht seine Predigt dabei als Dienst,1014 seine Adressaten auf Christus hinzuweisen, zu einem geistlichen Fortschritt (spiritales profectus 1,8) und 1010 Vgl. trad. apost. 20 (FC 1 254,9-10): qui baptizandi sunt…se lavent die quinta hebdomadae. Augustinus betrachtet diese Maßnahme vor allem als hygienisch sinnvoll. Mit den Taufbewerbern hielten sich auch viele andere Gläubige daran: vgl. ep. 54,7,10 (CSEL 34 168,14-21): Si autem quaeris, cur etiam lavandi mos ortus sit, nihil mihi de hac re cogitanti probabilius occurrit, nisi quia baptizandorum corpora per observationem quadragesimae sordidata cum offensione sensus ad fontem venirent, nisi aliqua die lavarentur. Istum autem diem potius ad hoc electum, quo cena dominica anniversarie celebratur. et quia concessum est hoc baptismum accepturis, multi cum his lavare voluerunt ieiuniumque laxare. 1011 Vgl. Arbesmann, Art. Fasttage, in: RAC 7 (1969) 517f. 1012 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,103f): Cuius vero ille hostis nequissimus non audeat inpugnare propositum, cuius non adpetat violare ieiunium. 1013 Die Weisheit Gottes wird der Klugheit des Satans gegenübergestellt: vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,121): prudentiam diaboli…sapientia Dei. 1014 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 248f,220-225): His…admonitionibus nostris…sufficienter instructi…per opera vos misericordiae praeparate.

Analyse von tract. 42

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zu einer Reinigung von Körper und Geist zu bewegen. Die Tatsache, dass das nahende Osterfest bereits zu dieser Reinigung anhalte (1,7-9), verleihe dem Prediger noch mehr Vertrauen (fiducia 1,9) in sein bzw. Gottes Anliegen.1015 Zunächst erläutert Leo die vierzigtägige Fastenzeit als notwendige, der menschlichen Schwächen geschuldetete und von Gott eingesetze1016 Einübung (exercitatio 1,19), die eine schuldbedingte Trennung von Gott durch gottgefällige Werke und Fasten überwinden soll (1,19-23). Zu dieser Belehrung verwendet er die Anweisungen des Apostels Paulus (praecepta Apostoli 1,28fα), die zeigen, dass der Geist der dem Körper Würde verleihende Bestandteil (substantia) sei, und dass das äußere Fasten immer mit einer inneren Reinigung und den Übungen der Tugenden verbunden sei. Zu diesem Zweck müssen die Gläubigen „christuskonform“ die Waffen der Gerechtigkeit (per arma iustitiae 2,54fα) ergreifen, damit sie nicht an ihrer Existenz in der Welt (per…ignobilitatem:  „bei Schmähung“; paupertas: „Armut“; in insto mundo indigentia:  „der Mangel in dieser Welt“) verzweifeln. Christus habe gerade diese humilitas durch Hoheit (maiestas) und Würde (dignitas) geadelt (dives: „reich“ 2,70α; omnia possidere: „alles zu besitzen“ 2,75). Daher können die Christen ‒ ob (wie Christus) bei den Menschen in Ruhm oder Schande stehend (per gloriam et ignobilitatem 2,56fα)1017 ‒ ruhigen Gewissens tugendhaft leben und in vollem Gottvertrauen Almosen spenden (2,56α-71α). Das Misstrauen spiele nämlich dem Versucher in die Hände, dessen Versuchung gerade im Säen von Misstrauen (per diffidentiam 3,95) bestehe und im Wecken von Hochmut (per gloriam 3,96). Erstere Anfechtung sollen die Gläubigen im Hinblick auf die biblischen exempla von freigiebigen Witwen überwinden, die ihre ganze Hoffnung auf Gott gesetzt hatten, als sie all ihren Besitz zur Verfügung stellten (2,77f; 82-90). Die Gefahr des Stolzes auf die eigenen Fastenleistungen bestehe vor allem in der Versuchung, sich einem pervertierten Fasten hinzugeben, welches ein Markenzeichen 1015 Die Reinigung ist nach Leo besonders angesichts des nahenden Osterfestes zu vollziehen: vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 232,1-9); 44,1 (CChr.SL 138A 258,7-10); 46,1 (CChr.SL 138A 269,7-10); 47,3 (CChr.SL 138A 277,81-85). Die Quadragesima dient der Reinigung: vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 138A 238f,15-23). 1016 Vgl. tract. 42,1 (CChr.SL 138A 239,19f): magna divinae institutionis salubritate provisum est. Vermittelt wurde diese Einrichtung durch die Apostel bzw. deren Nachfolger: vgl. tract. 44,2 (CChr.SL 138A 259,38f): ut apostolica institutione quadraginta dierum ieiuniis impleatur. Denn die Apostel sind vom Heiligen Geist instruiert: vgl. Die Apostel sint vom Heiligen Geist Instruiert: vgl. tract. 25,2 (CChr.SL 138 118,2832); 47,1 (CChr.SL 138A 274,6-8); 79,1 (CChr.SL 138A 498,1-6); 81,1 (CChr.SL 138A 501,1-6). 1017 Die in der Tageslesung enthaltenen paulinischen Antithesen in 2 Kor 6,8-10 beschreiben das ‒ aufgrund der doppelten Zugehörigkeit zur Natur und zur Gnade ‒ durch

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

für die Manichäer sei. Vor dieser „Sekte“ (secta 6,221) warnt Leo seine Versammlung ausführlich.1018 Auf diese Weise werden die Versuchungen Jesu als aktuelle Versuchungen bezüglich der Fastenpraxis in der Quadragesima charakterisiert. Zur Klärung der Fronten zwischen den kirchlichen Christen und den Manichäern dienen zunächst zentrale Begriffe, die sich im Ganzen der Predigt antithetisch gegenüberstehen. Zum wesentlichen, die Struktur der Inkarnation wiedergebenden Vokabular gehören, wie auch in anderen Predigten:  observantia („Achtsamkeit“) und devotio („Gottergebenheit“). Ersterer Begriff bezieht sich in 1,17 auf die Achtsamkeit der Gläubigen, wohingegen sua observantia (5,173α) auf die Vorschriften der Manichäer bezogen ist. Die devotio wird den Christen dreimal im positiven Sinn vor Augen gehalten: als wünschenswerte Grundhaltung (incessabilis devotio 1,12), als exemplarische Haltung der Witwe aus dem Evangelium (laudata devotio 2,78) und als qualitative Beschreibung der Vorbereitung auf Ostern (pia devotio 6,223f). Für die Manichäer hingegen verwendet Leo die Verbalform derselben Wortwurzel: stultam abstinentiam devoventes („sie weihen ihre törichte Enthaltsamkeit“ 5,176fα). Auch für das Fasten (ieiunium) findet sich eine gegensätzliche Zuschreibung. Im positiven Sinn wird ieiunium für folgende vier Aspekte verwendet:  für die liturgisch bedeutsamste Fastenzeit (sacratissimum maximumque ieiunium 1,1f), für das individuelle Fasten (Cuius non adpetat violare ieiunium 3,104), für das Fasten Jesu (quadraginta dierum noctiumque ieiunium 3,106f) und für das Fasten aller Christen (sanctificetur ieiunium nostrum 248fα). Im negativen Sinn wird das pervertierte Fasten als Instrument des Versuchers dargestellt (novit et per ipsum nocere ieiunium 4,131fα) und als Fasten der Manichäer (ieiunium suum 5,184α). Von der Identifikation der Satzungen der manichäischen „Sekte“ mit der Versuchung des Satans zeugt die konsistente Verwendung von „zweifeln“ (ambigere) in den jeweiligen Kontexten:  Die Gläubigen sollen an der Reaktion des Versuchers nicht zweifeln (non amigatis 3,92) sowie niemand an der Identifizierung der Manichäer zweifeln soll (nemo ambigat esse Manichaeos 5,177fα).1019 Schwerer wiegt aber die Parallele der theologischen Spitzenaussagen:  Wie der Gegensätze geprägte christliche Leben und spiegeln das Mysterium Christi wider, das diese Gegensätze vereint: vgl. Aug., civ. 11,18 (CChr.SL 48 337,22-24). 1018 Vgl. tract. 42,6 (CChr.SL 138A 248f,220-223): His ergo, dilectissimi, admonitionibus nostris…contra exsecrabilem sectam…sufficienter instructi. 1019 Interessant ist auch die Entsprechung von declinare („vermeiden, aus dem Weg gehen“), das in tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248,205α) für Vermeidung der Kelchkommunion durch die Manichäer verwendet wird (declinent) und in tract. 42,5 (CChr.SL 138A 248, 217) im Rahmen des Zitates von Röm 16,17 als Anweisung zur

Schlussfolgerungen

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Versucher die Weisheit Gottes nicht erkannt habe, die in der Menschwerdung (3,106-108) und in der Hingabe des Sohnes bestehe (3,125f), so erkennen auch die Manichäer das Mysterium Christi nicht an (5,187α-193α). Die Scheidung der Gemeinde von der Manichäern findet in der gegensätzlichen Charakterisierung der Kirche als „der katholischen Mutter heilige Zeugung“ (catholicae matris sancta generatio 5,165f) bzw. als „Schule des Heiligen Geistes“ (schola sancti Spiritus 5,166) und der satanischen Lehre und FastenPraktik als „Gottlosigkeit dieser seuchenartigen Lehre“ (contagionis huius impietas 5,171fα) ihren stärksten Ausdruck. Diese Antithesen entwerfen eine Vision der Gemeinde als sündenfreier Raum, wie sie auch Paulus vor Augen hatte.1020

5 Schlussfolgerungen 5.1 Die Übereinstimmung von Stil und Gehalt Die rhetorische Analyse brachte zum Vorschein, dass die verwendeten Tropen und Figuren an die Logik des christlichen Glaubens angepasst sind und dieser nicht im Wege stehen. Allgemein bringen die häufig verwendeten Figuren den Anlass der Quadragesima, die christliche Lehre und deren Aktualisierung in Form von moralischen Appellen sowie die Widerlegung und Verurteilung anderer Lehren zum Ausdruck. Eine besondere Rolle nimmt das Stilmittel der Antithese ein, da die Gegenüberstellung von Schöpfer und Schöpfung bzw. Geschöpf zur Grunddimension christlicher Verkündigung gehört. Sie erreicht ihren Höhepunkt in der Erläuterung der Doppelkonsubstantialität im Rahmen der Aktualisierung der Versuchungsperikope. Daher nimmt auch die Dichte an Leos weiteren typischen Stilmitteln Alliteration, Assonanz, Homoioteleuton, Parallelismus und Chiasmus in diesen Passagen in der Regel deutlich zu. Diese Figuren haben dann gemäß den inhaltlichen Erfordernissen eine parallele, eine logische Folge Meidung der Manichäer (declinate). Man beachte auch den Unterschied zwischen der secura conscientia (tract. 42,2 [CChr.SL 138A 241,58αf]) der mit den Waffen der Gerechtigkeit Streitenden und der conscientia der Unreinen (coninquinati) gemäß Tit 1,15 (tract. 42,4 [CChr.SL 138A 246,161-163]): inquinata sunt eorum mens et conscientia. Ebenso stehen sich der Fasttag der Manichäer secunda feria (tract. 42,5 [CChr.SL 138A 247,180α]) und der kirchliche Fasstag gegenüber (tract. 42,6 [CChr. SL 138A 250,254αf]): secunda igitur…feria. 1020 Vgl. Umbach, Helmut: In Christus getauft - von der Sünde befreit. Die Gemeinde als sündenfreier Raum bei Paulus (FRLANT 181), Göttingen, V&R, 1999, 313.

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darstellende oder eine gegenüberstellende Bedeutung. Antithetische oder parallele Homoioteleuta und Parallelismen und Isokola erschließen die Einheit der Person Christi und das Binom von göttlichem und menschlichem Wirken als Modelle von Zueinander, Miteinander und Ineinander. Dann wiederum stellen parallele und chiastische Strukturen die Kontinuität der menschlichen Natur des Erlösers und der erlösungsbedürftigen Menschen bzw. deren ontologische Verflochtenheit vor Augen. Abgesehen von diesen Figuren setzt die Annahme einer Übereinstimmung von Stil und Gehalt auf der Ebene der Mikrostruktur voraus, dass es zumindest eine syntaktische Komposition gibt, durch die der Inhalt optimal „veräußerlicht“ wird. Eine solche bemerkenswerte Einheit der inhaltlichen und der syntaktischrhetorischen Ebene liegt bisweilen auch tatsächlich vor, bevorzugt wiederum in den dogmatischen Formulierungen (Einheit der Person Christi und die „Zweiheit“ der Naturen). Außerdem wird die Text-Komposition durch den Rhythmus mitbestimmt und bisweilen auch in ihrer Aussagekraft geformt, durch die bewusst gewählten, rhythmuskonformen Begriffe oder die Wortstellung sowie durch die emphatische Wiederholung der gleichen Klauseln. Wortlaut und Wortfolge werden also durch den Rhythmus mitbestimmt, besonders durch Zäsuren, bei denen der Höhepunkt wichtiger Gedankenschritte und schlussstarke Klauseln zusammenfallen, auf den verschiedenen syntaktischen Ebenen des Kolon-, des Satzund Abschnittsabschlusses. Dennoch bleibt der Inhalt die letztentscheidende Kategorie, wie bisweilen die Präferenz des inhaltlichen Parallelismus, des Reimes oder eines begrifflichen Gegensatzes vor einem schlussstarken Kolon-Abschluss zeigt.

5.2 Liturgiehistorische Erkenntnisse 5.2.1  Datierung und liturgische Lesungen in den Predigen 39, 40, 41 und 42 Die Datierung auf den ersten Sonntag der Quadragesima basiert bei tract. 39 auf einem deutlichen Hinweis. In tract. 40 und 42 machen die Formulierungen der Ankündigung des Fastens die Bestimmung für den Beginn der Quadragesima zumindest wahrscheinlich, während in tract. 41 lediglich inhaltliche Parallelen in Bezug auf Mt 4* angeführt werden können. Explizite Anspielungen auf die Verlesung von Mt 4* finden sich aber nur in tract. 39, 40 und 42, auf die Epistellesung 2 Kor 6,2 (1-10?) in tract. 40 und 42.

Schlussfolgerungen

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5.2.2  Datierung und liturgische Lesungen in Leos übrigen acht Quadragesima-Predigten In den Predigten 43-50 gibt es weder primäre Hinweise auf die liturgischen Lesungen noch direkte Erläuterungen von 2 Kor 6*1021 oder Mt 4*1022, sodass diese Frage offen bleiben muss. Die mitunter vorhandenen Indizien für die Datierung auf den ersten So nntag, vor allem inhaltliche Parallelen zu den Predigten 39 ‒ 42, können nur dann als Anhaltspunkte für die liturgischen Lesungen gelten, wenn man 2 Kor 6,2 (1-1 0?) und Mt 4,1-11 als unter Leo etablierte Lesungen für die Eröffnung der Quadragesima annimmt. Für die Erschließung dieser Lesungen sind aber auch häufig verwendete Bibelzitate zu berücksichtigen, die für die ganze Predigt prägend sind. Die Datierung auf die Eröffnung der Quadragesima scheint besonders in tract. 44, 49, 50 aufgrund der Aufforderung zum vierzigtägigen Fasten plausibel zu sein.1023 Eine wesentliche Parallele gibt es zwischen tract. 44 und 42 durch die ähnlich aufgenommenen und kombinierten biblischen exempla (Mk 12,41-44 und Mt 10,42).1024 1021 Der in vier Quadragesima-Predigten anzutreffende, antithetische Ausdruck der Gnadenzeit scheint sich zwar auf 2 Kor 6,2 zu beziehen, findet aber ebenso Anwendung bei der Erläuterung anderer liturgischer Zeiten: vgl. tract. 41,1 (CChr.SL 138A 1-5): Semper quidem…sapienter et sancte vivere decet…sed cum hi adpropinquant dies…diligentiore sollicitudine corda mundanda sunt; 44,1 (CChr.SL 138A 258,1-10); 46,1 (CChr.SL 138A 269,1-7); 49,1 (CChr.SL 138A 285,1-9). Vgl. Feichtinger, Die Gegenwart Christi, 157f. 1022 Abgesehen von unspezifischen Parallelen zu Mt 4,2: cum ieiunasset quadraginta diebus als quadraginta dierum ieiunio praeparemus, in: 43,3 (CChr.SL 138A 254,70). Ähnliche Formulierungen finden sich in fast allen Quadragesima-Predigten, bis auf tract. 39, 47 und 49: vgl. tract. 44,2 (CChr.SL 138A 259,38f); 45,1 (CChr.SL 138A 263,6); 46,4 (CChr.SL 138A 273,101); 48,1 (CChr.SL 138A 279,13f); tract. 50,1 (CChr.SL 138A 291,2-4). 1023 In diesen drei Predigten wird auf die Wiederkehr (recurritur) und die „Ankunft“ (adest) der 40 Tage hingewiesen: vgl. tract. 44,1 (CChr.SL 138A 258,7-10): Sed cum ad istos recurritur dies, quos specialius reparationis humanae sacramenta signarunt, et qui vicino ordine atque contiguo festum paschale praecedunt, diligentius nobis praeparatio religiosae purificationis indicitur; 49,1 (CChr.SL 138A 285,9-11): Adpropinquante enim festivitate paschali, adest maximum sacratissimumque ieiunium; 50,1 (CChr.SL 138A 291,1-4): Adpropinquante, dilectissimi, sollemnitate paschali adest praecurrentis consuetudo ieiunii, quod nos quadraginta dierum numero ad sanctificationem et corporis et mentis exerceat. 1024 Vgl. tract. 44,2 (CChr.SL 138A 260,66-71; 261,74-76). Während beide Stellen auch je in einer weiteren Predigt außerhalb der Quadragesima angeführt werden, brachte Leo sie nur noch in tract. 42 in denselben unmittelbaren Zusammenhang: vgl. Mt

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In tract. 43, 451025, 46, 47 und 48 sind die Formulierungen, die auf den Beginn der Quadragesima hindeuten könnten, vorhanden aber weniger aussagekräftig.1026 Ausblick auf weitere Quellenstudien Die im Laufe der Analysen (in den Fußnoten) festgestellten sprachlichen und syntaktischen Parallelen zu den Quadragesima-Predigten des Augustinus können lediglich ein Ausgangspunkt für eine Studie zu Leos Quellen sein. Unter den vier herangezogenen Motiven ragt die Stilisierung der Predigt als Ergänzung zur Mahnung zur quadragesimalen Observanz durch die wiederkehrende liturgische Zeit selbst hervor.1027 An zweiter Stelle ist die häufige 10,42, in: tract. 14,2 (CChr.SL 138 57,36); 42,2 (CChr.SL 138A 241,78f); Mk 12,4144, in: tract. 20,2 (CChr.SL 138 83,78f); 42,2 (CChr.SL 138A 241,77f). 1025 Der starke Bezug zu Mt 25 in tract. 45 ist kein hinreichender Hinweis für die Datierung auf den Beginn der Quadragesima, wenngleich dieses Evangelium in der frühesten Leseordnung am Montag der ersten Woche gelesen wurde (vgl. Chavasse, La structure du carême, in: MD 31 [1952] 105f; Pratesi, Commento, 325). Neuhold vermutet, dass tract. 45 und 47 aufgrund der Metaphorik der Nägel in der Nähe von Ostern zu datieren seien: vgl. idem, Leo der Große als Prediger, 54f. Vgl. Forschungsstand zum liturgiehistorischen Rahmen der Quadragesima-Predigten. 1026 Die an Mt 4,2 angelehnte Formulierung des Hortativs legt nahe, dass diese Predigt zu Beginn der Fastenzeit gehalten wurde, da die Aufforderung zur Vorbereitung in der Zeit von 40 Tagen an einem späteren Termin weniger wahrscheinlich ist. Dennoch ist zu bedenken, dass „40 Tage“ eine symbolische Angabe ist: vgl. tract. 43,3 (CChr. SL 138A 254,70): quadraginta dierum ieiunio praeparemus. In der Einleitung von tract. 45 wird festgehalten, dass das Doppelgebot der Liebe besonders jetzt in der vierzigtägigen Fastenzeit, die dem Paschafest vorausgeht zu erfüllen sei: vgl. tract. 45,1 (CChr.SL 138A 263,5-8): sed nunc incrementis amplioribus dilatanda [das Doppelgebot], ut quadraginta dierum ieiunium, quod festi paschalis est praevium…moveat. Im engeren Sinn ist dieser Hinweis nur am Beginn der Fastenzeit sinnvoll, zumal Leo mit Lk 3,4 dazu auffordert den Weg (via) zu bereiten: vgl. tract. 45,1 (CChr.SL 138A 263,9f; 16f). Vgl. tract. 46,1 (CChr.SL 269,1-3): Devotionis quidem vestrae, dilectissimi, novimus hunc esse fervorem, ut ieiuniis quae Domini Pascha praecurrunt, multi nostros praeveniatis hortatus; 47,1 (CChr.SL 138A 274,4-8): sed devotionem nostram praesentes vel maxime exigunt dies, quos illi sublimissimo divinae misericordiae sacramento scimus esse contiguos. In quibus merito a sanctis apostolis per doctrinam Spiritus sancti maiora sunt ordinata ieiunia; 48,1 (CChr.SL 138A 279,11-14): Considerantes autem quidquid per crucem Domini adepta est universitas mundi, cognoscimus ad celebrandum Paschae diem merito nos quadraginta dierum ieiunio praeparari, ut digni possimus divinis interesse mysteriis. 1027 In tract. 40 möchte Leo mit seiner Ermunterung (cohortatio 1,3) mehr bieten als auf die Fastenzeit hinzuweisen, denn diesen Dienst übernimmt der Festkalender selbst

Schlussfolgerungen

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Zitierung von biblischen Versen der Vergebung zu nennen (besonders Mt 6,12; Lk 6,37),1028 die bei Augustinus wohl mit dem Tagesevangelium Lk 6,37f in Verbindung stand.1029 Schließlich sei auf die Stilisierung der Quadragesima als Symbol für das ganze Leben bzw. für das Kreuz1030 hingewiesen sowie auf die Versicherung, dass es Werke der Barmherzigkeit gebe, die das Hab und Gut nicht verringern.1031

bereits (ipse legitimi temporis recursus indicat 1,3): vgl. tract. 40,1 (CChr.SL 138A 223,1-5). Sehr ähnlich beginnt Augustinus zwei Predigten: vgl. serm. 206,1 (PL 54 1041,2-10): Anniversario reditu Quadragesimae tempus advenit, quo vobis exhortatio nostra debetur…verumtamen et illos qui diebus aliis in his pigri sunt, debet ista solemnitas excitare; et ii qui per alios dies ad ista sunt alacres, nunc ea debent ferventius exercere; 208,1 (PL 54 1044,36-40): quamquam ipsum tempus, etiam tacentibus nobis, satis vos admoneat et hortetur, ut ieiuniis et orationibus et eleemosynis solito instantius et alacrius ferveatis. Sed ministerium nostri sermonis accedit. 1028 Vgl. tract. 39,5 (CChr.SL 138A 220,178f); 43,4 (CChr.SL 138A 256,108f); 44,3 (CChr.SL 138A 261,98-162,99); 46,4 (CChr.SL 138A 273,107f); 47,4 (CChr.SL 138A 283,107f); 49,5 (CChr.SL 138A 289,112f); 50,2 (CChr.SL 138A 292,40f). Vgl. außerdem die Anspielung auf Lk 6,36, in: tract. 47,4 (CChr.SL 138A 283,114f). Mt 6,14 wird in drei Predigten aufgenommen:  vgl. 39,5 (CChr.SL 138A 220,185β-191β); 43,4 (CChr.SL 138A 256,114f); 50,3 (CChr.SL 138A 294,78-81). Augustinus zitiert Mt 6,12 in 208,2 (PL 54 1046,5f); 211 (PL 54 1054-1058): passim. Lk 6,37f zitiert er in serm. 205,3 (PL 54 1040,52f); 206,2 (Pl 54 1041,43f); 208,2 (PL 54 1046,7f); 210,12 (PL 54 1053,38f). 1029 Vgl. Margoni-Kögler, Michael:  Die Perikopen im Gottesdienst bei Augustinus. Ein Beitrag zur Erforschung der liturgischen Schriftlesung in der frühen Kirche (= VKCLK 29), Wien: ÖAW, 2010, 83-85; 95. 1030 Vgl. tract. 47,1 (CChr.SL 138A 275,22-25): Sicut ergo totius est temporis pie vivere, ita totius est temporis crucem ferre, quae merito unicuique sua dicitur, quia propriis modis atque mensuris ab unoquoque toleratur. Augustinus bezieht das Kreuz auf das ganze Leben, das in der Quadragesima mystisch dargestellt wird: vgl. serm. 205,1 (PL 54 1039,36-38): crux, inquam, ista non quadraginta dierum est, sed totius huius vitae, quae mystico numero quadraginta istorum significatur. 1031 Vgl. tract. 40,5 (CChr.SL 138A 229,120-122): In ista autem, dilectissimi, exercendarum oportunitate virtutum, sunt et aliarum insignia coronarum, quae nullo horreorum dispendio, nulla pecuniae diminutione capiantur; vgl. Aug., serm. 208,2 (PL 54 1045,39-42): Quid iam dicam de illo opere misericordiae, ubi nihil de apothecis, nihil de sacculo impenditur, sed ex corde dimittitur.

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Die Auslegung der Quadragesima-Predigten Leos des Großen

5.2.3 Leos Adressaten Zuverlässige Aussagen über die genaue Zusammensetzung des Publikums sind nicht möglich. Die Hinweise auf alle sozialen Schichten, auf Herren und Diener wie auch das päpstliche Bewusstsein der überregionalen Bedeutung der Predigten setzen die Anwesenheit von niederen sozialen Schichten nicht notwendig voraus. Leo könnte seine Adressaten aber schlicht mit ihren eigenen Erfahrungen mit diesen sozialen Verhältnissen konfrontiert haben. Bei der Erwähnung von Taufkandidaten (Kinder und Erwachsene), Getauften und Pönitenten könnten ähnliche Beweggründe ausschlaggebend gewesen sein. Auch Leos Belehrung über die Manichäer, die nicht nur an Gebildete gerichtet zu sein scheint, da „enttarnte“ Manichäer auch auszuliefern seien, lässt die tatsächliche Zusammensetzung der Adressaten nicht erschließen. Die Sprache ist zwar deutlich an Gebildeten orientiert, schließt umgekehrt aber die Anwesenheit von weniger Gebildeten nicht aus. Dennoch wird der Anteil von niedrigerer sozialer Schicht und Bildung wird eher nicht hoch gewesen sein. Die Anwesenheit von Kaiser Valentinian III. scheint bei den QuadragesimaPredigten nicht wahrscheinlich zu sein. Anzunehmen ist die Präsenz von Klerikern, die zumindest nach Leos Ideal nicht aus den untersten sozialen Schichten stammen sollten, von Senatoren und Gebildeten. Leos suggestive Strategie der Vereinnahmung seines Publikums und die Abgrenzung von Manichäern und „Irrlehrern“ wird nur von diesen im vollen Umfang aufgenommen werden sein können.

IV  Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-11 1 Grundlinien der Auslegung der Versuchungsperikope in der Alten Kirche Das Verständnis der Versuchungsgeschichte in der Alten Kirche war vor allem durch die nachösterliche Sicht auf das Evangelium und den Glauben an die Gottheit Jesu bestimmt, sodass frühchristliche Autoren in der Regel nicht von einer tatsächlichen Versuchung ausgingen und Jesu menschliche Züge daher oft nicht ernst nahmen.1032 Für die Theologen, die bei der Deutung dieser Bibelstelle die Gottheit Jesu betonten, wie Clemens von Alexandrien und Ambrosius, stellte sich daher vor allem die Frage nach dem Sinn der Versuchung. Dabei setzte sich das Motiv der Exploratio Diaboli (und der Täuschung des Satans durch Jesus) durch, nach dem der Satan herausfinden wollte, wer Jesus sei.1033 1032 Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 85-89. Vgl. Luz, EKK I/1, 228f. Als einer der ersten offensichtlichen Zeugen dafür sind die Acta Thomae aus dem frühen 3. Jh. zu nennen, in der die Versuchung nicht ernst genommen und wohl von einem Scheinhunger ausgegangen wird: vgl. Act. Thom. 45 (Klijn, 88f). Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 29-32. Latent angedeutet ist der „hoheitliche Sieg“ Jesu bereits bei Irenäus, obwohl dieser von einem tatsächlichen Hunger ausgeht: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,15-17): postea esuriit, ut hominem eius verum et firmum intellegamus – proprium est enim hominis ieiunantem esurire. Der Zeitgenosse Leos, Cyrill von Alexandrien, nimmt ebenfalls an, dass es für Jesus ein Leichtes war, den Satan zu besiegen. Er sei als Mensch versucht worden, habe aber als Gott gesiegt: vgl. orat. altera 36 (PG 76 1384A): Ἀντιτάττεται τοίνυν ὑπέρ ἡμῶν ὡς ἄνθρωπος, καὶ νικᾷ θεϊκῶς. 1033 Bei Clemens von Alexandrien ist die Exploratio implizit erwähnt. Da der Satan durch den Doppelsinn der Schriftworte allzu leicht überlistet worden sei, könne er keineswegs der Erfinder der Philosphie und der Dialektik sein: vgl. Strom. 1,9,44,4 (Früchtel, 29,28-31). Vgl. Luz, EKK I/1, 228 Anm. 49. Gregor von Nazianz beschreibt die Versuchung als Untersuchung des göttlichen Handelns: vgl. poem. mor. 206 (PG 37, 960A): Ἡ πεῖρα δ᾽ ἦν ἔρευνα θεοῦ πλοκῆς. Clemens geht außerdem davon aus, dass Christus keine Nahrung zur Erhaltung seines Leibes benötigt habe (vgl. Strom. 6,9,71,2 [Früchtel, 469,7-13]), sodass er auch bei der Versuchung von einem Scheinhunger ausgehen musste. Bei Irenäus findet sich der Gedanke der Exploratio latent angedeutet, da Christus den Satan über seine Gottheit allgemein täuschte, indem er antwortete, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt und zur Unterstellung

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Theologen, die deutlicher vom Ansatz der beiden Naturen Christi ausgingen, erkannten in der Versuchung Jesu einen wirklichen Sinn, wie etwa Johannes Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Kyrus, Fortunatian von Aquileia, Augustinus und Leo der Große. Sie dachten eher nicht vom Satan, sondern von Christus her und unterstrichen dessen willentlichen Gehorsam, der sich im Ertragen seines wahren Hungers zeigte.1034 Die göttliche Natur hingegen

„Wenn du Gottes Sohn bist“ schwieg: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,25f): Ad illud quidem quod ait „Si filius dei es“, tacuit; excaecavit autem eum, hominis confessione. Auch nach Gregor von Nyssa täuscht Christus den Satan durch seine Verstellung, für einen guten Zweck: vgl. cat. magn. 26,1 (BGrL 68f). Weitere Ausführungen dazu finden sich bei Köppen: vgl. idem, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 85-89. Die Täuschung des Satans dehnt sich bei manchen Autoren bis auf die Geburt Jesu aus: vgl. Ambrosius, in Luc. 4,10 (CChr.SL 14 109,133-135). Nach Johannes Chrysostomus kannte der Satan das Geheimnis der Menschwerdung nicht klar und zweifelte auch an der Gottessohnschaft, obwohl die Stimme Gottes bei der Taufe vernommen hatte: „Dies ist mein geliebter Sohn“: vgl. in Matth. hom. 13,2 (ΕΠΕ 36 412,9-13). Auch bei Leo bleibt dem Satan die Inkarnation verborgen: vgl. tract. 22,4 (CChr.SL 138 96,144-149). Der Linie der Exploratio folgen auch Hilarius: vgl. in Matth. 3,1 (SC 254 112,9A-17B) und Ambrosius: vgl. in Luc. 4,19 (CChr.SL 14 113,244-249): Sic temtat ut exploret, sic explorat ut temtet. Hilarius qualifiziert den Hunger Jesu als Hunger nach der Rettung der Menschen (salus), geht aber nach den 40 Tagen von einem tatsächlichen Hunger aus, der den Satan reizen sollte: vgl. in Matth. 3,2 (SC 254 112,1C-114,9A). Ambrosius geht noch einen Schritt weiter, indem die Kontinuität der Bedürfnislosigkeit Jesu hervorhebt, der in den 40 Tagen und danach keinen Hunger verspürte, sondern ihn als eine fromme Täuschung (pia fraus) einsetzte, um den Satan zu reizen: vgl. in Luc. 4,16 (CChr.SL 14 112,211-220). Auch Fortunatian von Aquileia lässt den Satan Nachforschungen anstellen, ohne Jesu Gottheit trotz dessen bewusster Selbstoffenbarung zu erkennen: vgl. com. ev. 13 (CSEL 103 148,894-149,902). 1034 Den tatsächlichen Hunger Jesu betonen etwa Johannes Chrysostomus (vgl. in Matth. hom. 13,2 [ΕΠΕ 36 412,27-414,2], Hieronymus (in Matth. 1,4 [CChr.SL 77 20,312314]), Theodor von Mopsuestia: vgl. in Luc. 4 (PG 66,720A), Theodoret von Cyrus (wohl fälschlich Cyrill von Alexandrien zugeschrieben): vgl. incarn. Dom. 13-15 (PG 75 1437-1444), Augustinus: vgl. serm. 123,2 (SC 23 52f), und Leo der Große: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,53-55). Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 26-29. Vgl. Luz, EKK I/1, 229. Ebenso Fortunatian von Aquileia: vgl. com. ev. 13 (CSEL 103 148,894-149,895): Wie das Fasten die Macht Jesu (potentia) zeigen sollte, so wollte er durch den Hunger seine menschliche Natur (hominis fragilitas) offenbaren. Leo, tract. 41,3 (CChr.SL 138A 227,85α-88α): per famem corporis perfecta humanitas, et per famulantes angelos demonstrata est manifesta divinitas.

Grundlinien der Auslegung der Versuchungsperikope

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sahen diese Interpreten häufig durch den Dienst der Engel bestätigt.1035 Ein weiterer Aspekt ist die Gegenüberstellung der Versuchung Jesu, des „zweiten Menschen“, und jener des Adam. Der Satan wendet die gleiche Taktik wie im Garten Eden an und scheitert an Jesu Tugend, Demut und Gehorsam gegenüber Gott.1036 Der lukanische Schluss ἀπέστη ἀπ᾽ αὐτοῦ ἄχρι καιροῦ (recessit ab illo usque ad tempus: „er ließ bis zu einer bestimmten Zeit von ihm ab“ Lk 4,13) wurde immer wieder auf die Passion und Auferstehung gedeutet, die den Satan endgültig entmachte.1037 Das vierzigtägige Fasten Jesu wird seit frühester Zeit mit 1035 Eusebius gibt wohl als erster einen erklärenden Hinweis auf die Bedeutung des Engelsdienstes, der im Psalm 90 (91) bereits angekündigt sei: vgl. in Ps. 90 (PG 23 1160B-D). Nach Hilarius sei der Engelsdienst nicht nur ein Hinweis auf die Gottheit Jesu, sondern auch eine Zusage der himmlischen Unterstützung für alle Christen: vgl. in Matth. 3,5 (SC 254 118,20-25A). Ambrosius sieht zwar im Dienst der Engel die Gottheit Jesu bestätigt, die menschliche Natur allerdings nicht im Hunger Jesu, sondern im Leben bei den wilden Tieren (Mk 1,13b): vgl. in Luc. 2,52 (CChr.SL 14 53,716f): Tuum est quod bestias patitur, suum quod ab angelis praedicatur. Johannes Chrysostomus schließlich sieht unter allgemeinen Hinweisen auf die beiden Naturen im Hunger Jesu die menschliche Natur und im Engelsdienst vorgezeichnet, was auch den Glaubenden zuteil werden soll (vgl. in Matth. hom. 13,2 [ΕΠΕ 36 410,19f]; 13,4 [ΕΠΕ 36 422,15-24]). Leo: vgl. die vorhergehende Fußnote. Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 71-78; 88. Andere Autoren wie Hieronymus, Augustinus und Theodoret von Kyrus sehen im Engelsdienst die Bestätigung der Würde des Sieges Jesu und sprechen damit indirekt von einer Bestätigung der göttlichen Natur: vgl. Hier., in Matth. 1,4 (CChr.SL 77 23,391f), Aug., en. Ps. 90,7 (CChr. SL 39 1274,13-15); Theod., incarn. Dom. 14 (PG 75 1439BC). 1036 Bereits bei Justin findet sich die Parallelisierung der Versuchungen: vgl. Dial. Tryph. 103,6 (PTS 47 248,47f): Ὡς γὰρ τὸν Ἀδὰμ ἐπλάνησεν. Vgl. besonders Irenäus, adv. haer. 5,21,1f (FC 8/5 162-168). Eine ausführliche Parallelisierung von Adam und Christus sowie der vom Satan angewandten Taktiken findet sich bei Ambrosius: vgl. in Luc. 4,7 (CChr.SL 14 108,81-98). Außerdem beschreibt Ambrosius ausführlich die Beschaffenheit Christi, der den Menschen aus der Wüste zurück ins Paradies führt: vgl. in Luc. 4,8-11 (CChr.SL 14 108,98-111,198). Auch Johannes Chrysostomus betont dieselbe Taktik des Satans bei Adam und Christus: vgl. in Matth. hom. 13,2 (ΕΠΕ 36 412,16-18). Genauere Ausführungen mit weiteren Verweisen finden sich bei Köppen: vgl. idem, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 80-85. Vgl. Luz, EKK I/1, 229 bes. Anm. 55. 1037 Nach Origenes kehrt der Satan zur Zeit des Todes Jesu zurück und wird durch die Auferstehung besiegt: vgl. in Luc. hom. 29,7 (FC 4/2 304,18-26). Ambrosius sieht die Versuchung in der Passion ebenfalls übertroffen, da der Satan nicht mehr versuche, sondern offen kämpfe: vgl. in Luc. 4,36 (CChr.SL 14 119,444446). Er konkretisiert die Wiederkehr des Satans außerdem auf den Schrei der

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Mose und Elija in Verbindung gebracht,1038 als Vorbild für das christliche (Tauf-) Fasten betrachtet1039 und dient erst ab der Mitte des 4. Jh. als Bezugspunkt für eine vierzigtägige Vorbereitungszeit auf Ostern.1040

2 Leos Auslegung der Versuchungsperikope 2.1 Paraphrase der Auslegung in den vier Predigten Leos (tract. 39-42) Das Verhalten Jesu in der Versuchung wird bei Leo mit den Begriffen auxilium („Stütze“, „Hilfe“, „Gnade“) und exemplum („Modell“, „Vorbild“) insgesamt als Gnadenhilfe und Vorbild stilisiert. Außerdem sollte der Mensch besondere Ehrung und der Satan eine entsprechende Strafe erfahren, indem Christus nicht

Gottverlassenheit: vgl. expl. Ps. 43,32 (CSEL 64 285,14-18) und parallelisiert die erste Versuchung mit dem Ölbergleiden: vgl. expl. Ps. 1,37 (CSEL 64 32,25-27). Auch nach Augustinus verbleibe noch die Versuchung der Passion: vgl. serm. 284,5 (SC 25 106f). Weitere Angaben zur altkirchlichen Auslegung von Lk 4,13 finden sich bei Köppen: vgl. idem, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 66-70. 1038 Seit Irenäus adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,15) werden die 40 Tage immer wieder mit Mose und Elija in Verbindung gebracht (bereits im NT werden diese Bezüge durch die Verklärungsszene wie durch die an Mose anspielende Bergpredigt oder durch das auf den Täufer übertragene Elijamotiv grundgelegt. Vgl Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 16-21). 1039 Tertullian nimmt die Frage vorweg, warum die Getauften nicht wie Christus nach der Taufe fasten (vgl. Mt 4,1-3) und erklärt, dass die Getauften sich vornehmlich über das geschenkte Heil freuen sollen. Christus aber habe mit seinem Fasten in bildlicher Weise den Vorwurf an Isrsael bekräftigt: Das Volk habe einst nur an die Stillung seines Hungers und Durstes gedacht, obgleich es in der Wüste stets von Gott versorgt worden sei. Christus hingegen faste, um zu zeigen, dass ein Mann Gottes von Gottes Wort lebe und auf die Sättigung zielende Versuchungen mit Enthaltsamkeit zu überwinden seien: vgl. bapt. 20,3f (FC 76 214,3-15). In seiner Schrift über das Fasten erläutert Tertullian das Fasten Jesu als ein Modell, das zum Heil diene. Da Jesus kein Fresser und Säufer war, habe er auch die erste Versuchung nicht erfüllt. Außerdem habe er durch die Zurückweisung der Speise, auf den neuen Menschen verwiesen, der den Hunger besiegte und dabei kein trauriges Gesicht mache (vgl. Mk 9,29; Mt 17,21): vgl. ieiun. 8,2 (CChr.SL 2 1265,30-3). Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 16f. 1040 Vgl. Arbesmann, Art. Fasttage, in: RAC 7 (1969) 512f; 515; Buchinger, On the Early History of Quadragesima, in: StLi 43 (2013) 323. Vgl. auch Forschungsstand zum liturgiehistorischen Rahmen der Quadragesima-Predigten.

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durch göttliche Vollmacht (potestas virtutis), sondern durch die Schriftzitate (testimonia legis) und gewissermaßen als Mensch siegte.1041 Der Satan sei über das 40 Tage und Nächte andauernde Fasten Jesu (quadraginta dierum noctiumque ieiunium1042) erschrocken gewesen (expavescere1043), da sein Hochmut (superbia) durch die bereits in der Taufe Jesu erwiesene Demut (baptizati Iesu Domini humilitas), in den Staub getreten (calcata) und jede Begierde des Fleisches (concupiscentia carnis1044) ausgeschlossen war. Daher wollte er herausfinden, ob Jesu Enthaltsamkeit (continentia) eine von Gott gegebene (donata) oder eine menschliche (propria1045) sei. Als Christus den menschlichen Hunger als Beweis für seine leidensfähige und sterbliche Natur zuließ,1046 freute sich der Satan (gavisus diabolus) über diese Chance, ihn zu verführen. Auf diese Weise habe der Satan den Herrn der Herrlichkeit (Dominum maiestatis1047) versucht und unwissentlich jene (göttliche) Macht erforscht, die er fürchtete (exploraret potentiam, quam timebat1048). Christus ließ es geschehen, um alle Lehren zu widerlegen, die seine menschliche Natur leugneten.1049 Da der Satan den sündenfreien Gottmenschen nun nicht verführen konnte, scheiterte er immer wieder und verzweifelte dennoch nicht an seinen Ränken (non desperavit artibus suae malitiae1050). Schließlich habe er Christus als einen wahren Menschen erfahren (verum experiebatur hominem), der ja aufgrund seiner wankelmütigen Natur (naturae nostrae mutabilitas) ein Sünder werden könne (peccator1051). Die

1041 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,71-215,78). Zur Textgeschichte von non quasi a Deo [iam: add. β], sed etiam [om. β] quasi ab homine vinceretur (3,77f) vgl. Analyse von tract. 39. Historische Angaben. 1042 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,53); 42,3 (CChr.SL 243,106f). Dagegen gibt Leo in tract. 41 nur 40 Tage an: vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,48): quadraginta dierum ieiunio. 1043 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,106). 1044 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,47-49). 1045 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,108f). 1046 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,53-55): infirmitatis nostrae in se [in se om. β] recepisset esuriem…signum passibilis atque mortalis naturae. 1047 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,46). 1048 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,56). 1049 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,51βf): impias opiniones totius erroris. 1050 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,49f). 1051 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 234,51f).

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menschliche Natur des Körpers Christi habe den Satan bereits von seinem Sieg überzeugt.1052 Bei der ersten Versuchung habe der Satan herausfinden wollen, ob es sich bei Christus um den Schöpfer (substantiarum creator1053) handle, der die Natur auch verwandeln könne.1054 Die Verwandlung von Steinen in Brot sei Christus ‒ angesichts der Hochzeit von Kana ‒ möglich gewesen, doch der Erlösungsordnung entspreche es eher (magis salutiferis dispensationibus congruebat), nicht durch göttliche Vollmacht (non potentia Deitatis), sondern durch die Heilswirksamkeit der Demut (humilitatis mysterium1055) zu siegen. Auch der Aufforderung der zweiten Versuchung, in der der Versucher herauszufinden versuchte, ob unter der menschlichen Gestalt die Gottheit verborgen sei (an sub humanae carnis specie Divinitas obumbrata tegeretur1056), hätte Christus entsprechen und durch die Lüfte schweben können.1057 Doch diesen beiden Versuchungen wollte Christus eher die Gerechtigkeit eines wahren Menschen entgegenhalten (iustitiam maluisset obponere veri hominis), als seine Gottheit offenbaren (potentiam manifestare Deitatis1058). Als die Anzeichen für die Gottheit bei Jesus nicht mehr greifbar gewesen seien (divinae potestatis signa cessaverant), sei der Satan auf den klugen Einfall der dritten Täuschung verfallen (ad hoc convertit tertiae fraudis ingenium), um ihn durch die Gier nach Herrschaft zu versuchen (dominandi cupiditas1059). Doch der törichte Satan1060 habe in Christus nur den bereits von ihm überwältigten Menschen Adam gesehen, und dem zusetzen wollen, der für alle den Erlösungstod sterben sollte.1061 Als der Satan sich besiegt sah, floh er, während die Engel Christus

1 052 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 243,109f): si Christus eius esset conditionis cuius et corporis. 1053 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 243,111f). 1054 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 243,112f): qui rerum corporearum posset in quod vellet mutare naturas. 1055 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,57-67α). 1056 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 243,113f): per vacuum membra librare. 1057 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 243,115). 1058 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 243,116-244,117). 1059 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 244,118f). 1060 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 244,121): prudentiam diaboli stultam fecit sapientia Dei. Vgl. 1 Kor 1,18f; 3,19. 1061 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 244,125αf): quem pro omnibus [pro mundo β] oportebat occidi.

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dienten.1062 Auf diese Weise habe sich die wahre, menschliche Natur Jesu im Hunger und dessen wahre Gottheit im Engelsdienst erwiesen.1063 Zusammenfassung des hermeneutischen Befundes Der durchgehende Tenor der Auslegung Leos ist die Heilswirksamkeit der (in der Inkarnation grundgelegten und) durch den göttlichen Plan des Machtverzichts der maiestas („Hoheit“) ausgezeichneten humilitas („Niedrigkeit“) Jesu, die für alle Christen als nachzuahmendes Modell (exemplum) wirksam werden soll (auxilium). Im Rahmen der Versuchung wird die in der menschlichen Natur zum Ausdruck gebrachte humilitas für Leo in der Taufe Jesu und in dessen auf Schriftzitate beschränkten Antworten präsent. Da Christus freiwillig diesen Weg der humilitas („Demut“) gehe und auf die potentia („Machtausübung“) verzichte, sei die zurechtweisende Wirkung auf die widergöttliche superbia („Hochmut“) umso größer. Diese bestehe nämlich in der angemaßten und lediglich vorgetäuschten Vollmacht, das Versprechen der dritten Versuchung zu erfüllen. In Leos Gedanken zur Soteriologie habe Christus die göttliche Gerechtigkeit (iustitia) erfüllt, um dem Satan jedes Anrecht auf die christliche Seele zu entziehen.1064

2.2 Die in den drei Versuchungen enthaltenen dogmatischen Konzepte Im Laufe der nur in tract. 42 erfolgten Auslegung aller drei Versuchungen stilisiert Leo den Satan als den „Vater“1065 und Urheber aller Irrlehren über die beiden Naturen Christi. Das zeigt sich schon darin, dass die Prüfung der Enthaltsamkeit Jesu nicht darauf angelegt ist, in Christus sowohl Gott als auch einen wahren Menschen zu finden, sondern stets nur einen von den beiden (utrum… an1066:  „ob…oder“). Noch vor der ersten Versuchung ist der Satan durch den Hunger Jesu bereits von dessen Menschheit überzeugt. Doch die zunächst nur auf den Körper bezogene Überzeugung des Satans muss offenbar erst durch

1062 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 227,68α-72α); Hierbei wendet Leo das zweite direkte Zitat an: vgl. Mt 4,11: accesserunt…angeli et ministrabant ei, in: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,70α-72α). 1063 Vgl. tract. 41,3 (CChr.SL 138A 227,85α-88α): per famem corporis perfecta humanitas, et per famulantes angelos demonstrata est manifesta divinitas. 1064 Vgl. tract. 40,2 (CChr.SL 138A 225,41): ius perdit antiquum. Vgl. Martin, Art. Leo, in: RAC 22 (2008) Sp 1193f. 1065 In tract.40 bezeichnet Leo Irrlehrer als Söhne und Schüler des Satans: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-82α). 1066 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,108f).

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die folgenden Prüfungen eingeholt werden. In einem Ausschlussverfahren soll bestätigt werden, dass das Wesen Christi (conditio: „Erschaffensein“) auch tatsächlich dasselbe sei, wie es sein Körper bereits offenbart habe. Der Zweifel des Satans lässt ihn in der ersten Versuchung prüfen, ob er in Jesus den Creator („Schöpfer“) vor sich habe. Diese Prüfung wird bei der zweiten Versuchung noch einmal in subtilerer Form unternommen, da sie zeigen sollte, ob die Gottheit (Divinitas) unter der Gestalt des Fleisches (sub humanae carnis specie) verhüllt sei (obumbratra tegeretur). Für die enge inhaltliche Verbundenheit der ersten beiden Versuchungen spricht nicht nur der angekündigte Erwartungshorizont der Untersuchung (utrum…an), sondern auch zahlreiche, weitere rhetorische Indizien.1067 Die Anzeichen für die Gottheit Christi seien dabei für den Satan aber nicht greifbar gewesen, sodass er bei der dritten Versuchung nicht mehr am rein menschlichen Wesen Christi zweifelt und ihn durch die Gier nach Macht zu gewinnen versucht und wieder scheitert. Leos Darstellung der drei Versuchungen lässt beim Satan also keinen Erkenntnisfortschritt zu, sodass er letztlich bis zum Höhepunkt des Erlösungswerkes, bis zum Kreuzestodes Jesu bei seinem Zweifel bleiben musste.1068 Indem Leo erklärt, dass der hochmütige Satan in seiner Klugheit die in der Weisheit Gottes enthaltene Wahrheit über die beiden Naturen nicht zu erkennen vermochte,1069 gibt er zu verstehen, dass die Untersuchungsmethoden des Satans prinzipiell zum Scheitern verurteilt gewesen seien. Das Mysterium der Menschwerdung und der Demut Christi (mysterium humilitatis) im dogmatischen Sinn erfasst zu haben, müsse schließlich die Einsicht mit sich bringen, dass Christus sich nicht zur Selbstoffenbarung seiner Gottheit nötigen lässt, sondern sie in Demut verborgen halten kann. Hier zeigt sich wiederum Leos Verständnis vom inneren Zusammenhang von der Annahme der dogmatischen Wahrheit und dem persönlichen Lebenswandel im Sinne der Nachfolge Christi.1070 Leos Ausführungen

1067 Vgl. Analyse von tract. 42. Rhetorische Analyse der Deutung der Versuchungsgeschichte: 3,106-126α. 1068 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 224,121-126β). Diesen großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang, der vor allem in der Beziehung zwischen dem Fall Adams und dem Sieg Jesu deutlich wird, heben altkirchliche Autoren und Prediger bei deren Auslegung der Versuchung Jesu allgemein hervor (vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 79; 89). 1069 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,121). 1070 Der Zusammenhang zwischen Leos moralisch, pastoralem Anliegen und seiner dogmatischen Belehrung wird z. B. in tract. 45 besonders deutlich, wo er die „Orthopraxie“ (Nächstenliebe, Barmherzigkeit) zwingend an die „Orthodoxie“ bindet, sodass

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zur Christologie legen insofern das Fundament für die in den Predigten vermittelte Soteriologie als sie verdeutlichen, dass die Erlösung bereits im Sein Christi grundgelegt ist („mystische Erlösungstheorie“), nicht nur in dessen Handeln.1071 Irrlehren als Deutungshorizonte des Satans Bei Leos Darlegung der „dogmatischen“ Untersuchungen der Beschaffenheit Christi soll deutlich werden, dass der Satan nicht zur Erkenntnis der Wahrheit über die beiden Naturen gelangt. Daher ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die Konzepte, die der Papst den Satan für die Einordnung der Person Jesu in Erwägung ziehen lässt, auf der hermeneutischen Grundlage der konkreten, als Irrlehren verurteilten Christologien beruhen. Es würde auch Leos Vorgehensweise entsprechen, Christologien, die seiner Auffassung von den beiden Naturen Christi nicht gerecht werden, zu vereinfachen und pointiert gegenüberzustellen.1072 Davon zeugt nicht zuletzt seine Auslegung der Versuchungsgeschichte in tract. 40, nach der die Söhne und Schüler des Satans, also Irrlehrer, Christus entweder der Gottheit oder der Menschheit entkleideten (3,74α-88α). Treffen diese Annahmen zu, dann entsprechen die Darstellung der ersten beiden Versuchungen und der dritten Versuchung Leos Pendelbewegung bei der Skizzierung von christologischen Irrlehren, die häufig entweder auf den Nestorianismus oder auf den Apollinarismus bzw. Eutychianismus reduziert werden,1073 aber bisweilen auch feinere Unterscheidungen kennt. Auf dieser Grundlage lassen sich die drei Versuchungen mit folgenden von Leo charakterisierten Irrlehren in Beziehung setzen:  (1) Sohn und Gott Vater seien eine Person (Creator als Bezeichnung für Christus1074), wie bei Sabellius1075 oder

die mundana benivolentia und die christiana pietas unversöhnt nebeneinander stehen bleiben: vgl. tract. 45,3 (CChr.SL 138A 266,89; 267,90); 46,3 (CChr.SL 138A 272,79). 1071 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 740. 1072 Vgl. Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen. 1073 Vgl. ibidem. 1074 In tract. 40 (CChr.SL 138A 226,58) bezeichnet Leo Christus ebenso als Omnipotens und Creator und verwendet auch dasselbe Verb für den Vorgang der Verwandlung von Wasser zu Wein: mutare. Doch spricht der Zusammenhang in tract. 42 für eine bewusste Polarisierung von Lehren, die seiner Überzeugung widersprechen. 1075 Vgl. tract. 24,5 (CChr.SL 138 114,110-115): Sabellius inexplicabili errore confusus, unitatem substantiae in Patre et Filio et Spiritu sancto inseperabilem sentiens, quod aequalitati tribuere debuit, singularitati dedit, et cum veram Trinitatem intellegere non valeret, unam eamdemque credidit sub triplici appellatione personam.

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Photinus1076, (2) Gott und Mensch seien in Christus vermischt wie bei Apollinaris1077 und Eutyches1078 und (3) Christus sei ein Mensch, aber nicht Gott, wie bei Arius1079 (oder Photinus). Die Lehre des Nestorius kann nach der Darstellung Leos gleichsam unter jene Irrlehren subsumiert werden, die Christus nicht als Gott bekannten.1080 Im Detail handelt es sich um folgende dogmatische Positionen:   (1) Modalismus:  In Christus sei der Vater selbst Mensch geworden. Diese Theorie kam durch Noet von Smyrna um 190 nach Rom und wurde am konsequentesten von Sabellius vertreten, der um 220 exkommuniziert wurde.1081 Von Photinus, Bischof von Sirmium (†376), Schüler des Markell von Ankara, der die immanente Trinität leugnete, ist keine Schrift erhalten. In der Darstellung seiner Gegner vertraten seine Anhänger eine Lehre, die die Gottheit Christi ausschloss, sodass der nicht-hypostatische Logos im Menschen Jesus gewissermaßen zu einer Scheinsubsistenz gelangt sei. Darin kommen die sogenannten Homuncianisten dem Adoptianismus nahe. Die Verurteilung erfolgte zuerst in Antiochien um 344.1082 (2) Vermischungschristologie (Logos-Sarx-Modell): Apollinaris, Bischof von Laodicea (†390), systematisierte eine Logos-Sarx-Christologie und kommt aus dem soteriologischen Motiv der Sündenlosigkeit Jesu zum Schluss, dass Christus keine zur Verführung und Sünde fähige, menschliche Vernunftseele habe (νοῦς), diese habe der Logos bei der Inkarnation ersetzt, sodass Gott und Mensch eine einzige

1076 Vgl. tract. 24,5 (CChr.SL 138 114,115-118): Fontinus mentis caecitate deceptus, in Christo verum et nostrae substantiae confessus est hominem, sed eumdem Deum de Deo ante omnia saecula genitum esse non credidit. 1077 Vgl. tract. 24,5 (CChr.SL 138 118-121): Apollinaris fidei soliditate privatus, Filium Dei ita veram humanae carnis credidit suscepisse naturam, ut in illa carne diceret animam non fuisse, quia vicem eius expleverit ipsa divinitas. 1078 Vgl. tract. 28,5 (CChr.SL 138 143,105-109): Hic autem [Eutyches] recentioris sacrilegii profanus assertor, unitionem quidem in Christo duarum confessus est naturarum, sed ipsa unitione id dixit effectum, ut ex duabus una remaneret, nullatenus alterius existente substantia, quae utique finiri, nisi aut consumptione, aut separatione non posset. 1079 Vgl. tract. 24,5 (CChr.SL 138 113,103-114,107): Arrius Dei Filium minorem Patre creaturam esse definiens, et ab eodem inter omnia creatum putans Spiritum sanctum, magna impietate se perdidit, sed sempiternam atque incommutabilem deitatem, quam in Trinitatis unitate non vidit, in Patris essentia non negavit. 1080 Vgl. Dogmengeschichtliche Vorbemerkungen. 1081 Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 334. 1082 Vgl. Müller, Gerhard Ludwig: Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, 3. Aufl., Freiburg u.a.: Herder, 1995, 337; Uthemann, Art. Photeinos v. Sirmium, in: LThK3 8 (1999) 267.

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Natur bilden und Mensch und Gott eine Mischung darstellen. Der Apollinarismus wurde auf dem Konzil von Konstantinopel 381 verurteilt.1083 Monophysitismus (Eutychianismus):  Auch die Lehre des Archimandriten Eutyches stellt eine Vermischungschristologie dar, die eine Logos-Sarx-Theologie der Erfüllung des Fleisches durch die Gottheit ebenfalls überspitzt darstellt. Die Menschheit Christi werde demnach von der Gottheit aufgesogen, wie ein ins Meer fallender Honigtropfen, der darin verschwinde.1084 Die Lehre des Eutyches wurde auf dem Konzil von Chalcedon 451 verurteilt.1085 (3) Adoptianismus: Arianismus: Der Presbyter Arius von Alexandrien (†336) lehnt die Lehre ab, dass Vater und Sohn wesenseins (homousios) sind; sie seien in ihrem Wesen vielmehr unähnlich (anhomoios),1086 da der Logos kein Mittleres zwischen Gott und Welt sein könne (Subordinatianismus). Da Gott die sittliche Bewährung des Sohnes vorausgesehen habe, verlieh er ihm aus Gnade die Würde des adoptierten Sohnes (moralischer Adoptianismus).1087 Arius wurde auf dem Konzil von Nicäa 325 verurteilt. (4) Unterscheidungschristologie (Nestorianismus): Dem Patriarchen von Konstantinopel (†451) werden die Trennung der beiden Naturen Christi und die Zerteilung in zwei Akteure und zwei Söhne vorgeworfen. Dieser Nestorianismus ist aber bestenfalls bei Anhängern des Nestorius festzustellen, nicht bei Nestorius selbst. Dieses bestand in der Vermittlung zwischen zwei extremen Parteien (Apollinaristen und Arianern), die Maria entweder als Gottesgebärerin oder als Menschengebärerin bezeichneten. Er selbst trat für den Titel Christusgebärerin ein, wobei er aber den kirchlichen Sprachgebrauch von der Gottesgebärerin gegen sich hatte, sowie besonders Cyrill von Alexandrien. Ihm fehlte außerdem die systematische Kraft seine Position darzulegen,1088 sodass die Spannungen in seinen Formulierungen

1 083 Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 342f. 1084 Vgl. ibid., 347. 1085 Der Monophysitismus war zur Zeit von Leos Abfassung der ersten vier Quadragesima-Predigten noch nicht in der unmittelbaren Wahrnehmung des Papstes, sehr wohl aber bei deren Überarbeitung, die besonders in tract. 39 interessante Veränderungen bei dogmatischen Formulierungen mit sich brachte: siehe Analyse von tract.39. 1086 Außer den Anhomöern sind die sogenannten Semiarianer zu nennen: die Homöer (Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater) und die Homoiousianer (Wesensähnlichkeit zwischen Vater und Sohn), die das nizänische homoousios irrtümlich mit dem Modalismus gleichsetzten (vgl. Müller, Katholische Dogmatik, 336). 1087 Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 335-337. 1088 Müller diagnostiziert auch bei anderen dogmatischen Streitigkeiten eine Schwäche, dem Gemeinten Ausdruck zu verleihen: „Die Häresien, die sich aus dem Streit um die hypostatische Einheit der beiden Naturen ergaben (Nestorianismus, Monophysitismus, Monotheletismus), beruhen eigentlich nicht auf der Leugnung eines Glaubensinhaltes. Sie haben vielmehr in der Schwierigkeit ihren Ursprung, mit

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1 offensichtlich sind.1089 Seine Lehre wurde u.a. auf dem Konzil von Ephesus 431 verurteilt, ebenso die für die antiochenische Schule typischen Begriffe „Einwohnung“ und „Verbindung“, da sie die Einheit der Person Christi defizitär ausdrücken würden.1090

Wenn die bisherigen Beobachtungen zutreffend sind, könnte die Wendung der zweiten Versuchung sub humanae carnis specie Divinitas obumbrata („ob unter dem Anschein des menschlichen Fleisches die Gottheit verhüllt und bedeckt werde“) ein Echo auf die Auseinandersetzung mit der Lehre des Apollinaris (und ex ante auch des Eutyches) sein. Diese Formulierung könnte zwar auch Leos „orthodoxer“ Darstellung der Christologie und damit der via media zwischen abzulehnenden Extremen entsprechen, doch der oben geschilderte Kontext steht dieser Annahme deutlich entgegen. Auch der Ausdruck obumbrare („überschatten“, „verhüllen“), der biblisch konnotiert1091 und als Terminus technicus in Leos Christologie eingegangen ist,1092 überzeugt nicht vom Gegenteil. Entgegen der biblischen Verwendung wird hier nämlich Gott vom Menschen überschattet (Divinitas obumbrata!). Außerdem wird die Wendung sub specie bei Leo sonst nicht verwendet und drückt eher den „Schein“ als die menschliche Gestalt bzw. Natur aus.1093 sprachlichen und gedanklichen Mitteln der menschlichen Vernunft das Glaubensgeheimnis der gott-menschlichen Einheit (Henosis) und der Verbindung (Synapheia) präzise zu fassen“ (idem, Katholische Dogmatik, 338f). Vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 345. Eine Schwäche der Unterscheidung wird man auch denen unterstellen müssen, die ihn verurteilten. 1089 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 646-660, bes. 650. 1090 Vgl. Amato, Art. Nestorius, Nestorianismus, in: LThK3 7 (1998) 746f. 1091 Vgl. Lk 1,35: Spiritus sanctus superveniet in te, et virtus Altissimi obumbrabit tibi. 1092 Einerseits bringt Leo die Überschattung des Heiligen Geistes im biblischen Sinne zum Ausdruck, nicht ohne deren soteriologische Bedeutung auszuschöpfen: vgl. tract. 25,5 (CChr.SL 138 123,132-134): Virtus enim altissimi et obumbratio Spiritus sancti, quae fecit, ut Maria pareret salvatorem, eadem facit ut regeneret unda credentem; andererseits werde die Gottheit durch die menschliche Gestalt (forma) verhüllt: vgl. tract. 22,2 (CChr.SL 138 92,38f): universitatis dominus servilem formam obumbrata maiestatis suae dignitate suscepit. 1093 Dieses Konzept würde sich auch eher in den Gesamtzusammenhang einfügen, in dem der Satan als Urheber der Irrlehren charakterisiert wird, als der Versuch des Satans, von einer „orthodoxen“ Lehre über die beiden Naturen Christi ausgehend, eine Offenbarung der göttlichen Natur zu provozieren ‒ soweit ich sehe, findet sich eine solche, modernen Kommentaren eigene Annahme (vgl. z. B. Luz, EKK I/1, 255) in der Alten Kirche nämlich auch sonst nicht, außer in einer Unterstellung des Petrus Chrysologus, die aber nicht im dogmatischen Sinn der Zweinaturenlehre zu verstehen ist: vgl. serm.

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2.3 Die Verwendung der Bibel in der Auslegung von Mt 4,1-11 Die wörtlichen Bezugnahmen auf Mt 4,1-11 liegen im Interesse Leos, den Blickwinkel auf die menschlichen Aspekte der Person Jesu zu legen, ohne dessen Gottheit zu vernachlässigen. Für den Hinweis auf die menschliche Natur nimmt der Papst Mt 4,11094 (Versuchung durch den Satan) und 4,21095 (Hunger Jesu) in Anspielungen auf, sowie das direkte Zitat der ersten Versuchung (Mt 4,31096). Diese sei schließlich erst zustande gekommen, als der Satan siegessicher die rein menschliche Natur Jesu erkannt zu haben glaubte. Leo widerlegt diese Sichtweise, indem er auf die göttliche Schöpfer-Vollmacht Jesu verweist, die ihm jegliche Verwandlung erlaube, wie einst beim Weinwunder von Kana1097. Auf die Gottheit Jesu verweist der Papst aber auch mit der Aufnahme von 1 Joh 4,41098,

13,4 (CChr.SL 24 83,45-47): Audistis quid de ieiuniis ipse sentiat et iudicet inimicus. Si filius dei es. Videtis quia iam non hominis, sed dei filium credit. Gegen diese These kann angeführt werden, dass Leo auch von der Verhüllung und Geheimhaltung der Gottheit durch die menschliche Gestalt spricht: vgl. tract. 25,2 (CChr.SL 138 119,40f): et velamine corporis splendorem maiestatis suae, quem visus hominum non ferebat, obtexit. Außerdem verwendet Leo species z. B. für die menschliche Gestalt, von der auch Nestorius ausgehe: vgl. Ep 35,1 (PL 54 805,8-11) und für die „Knechtsgestalt“ des göttlichen Kindes: vgl. tract. 37,2 (CChr.SL 138 201,26f): Ipsa itaque species sacrae infantiae, cui se Deus Dei Filius aptaret. Species verwendet Leo bisweilen auch synonym mit forma im Sinne von „Gestalt“: vgl. tract. 24,2 (CChr.SL 138 111,41-44): Hoc autem nisi facere dignaretur Omnipotens, nulla quemquam species iustitiae, nulla forma sapientiae a captivitate diabolica et a profundo aeternae mortis erueret. In einer den (doketischen) Apollinarismus beschreibenden Erläuterung verwendet Leo zwar die Formulierung species carnis im oben angenommnen Sinn, allerdings mit dem Zusatz simulata: vgl. tract. 30,2 (CChr.SL 138 153,30-34): nihil illi putaverunt nostrae esse substantiae, totumque illud quod corporeae fuit actionis et formae, aut de sublimioris generis prodisse materia, aut simulatam speciem carnis habuisse, ut videntium et tangentium sensus ludificatoria imagine falleretur. 1094 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,71f): quia ob hoc se Dominus temptari a temptatore permisit. 1095 Vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,53): post quadraginta dierum noctiumque ieiunium; 41,2 (CChr.SL 138A 234,48): intellexerat quadraginta dierum ieiunio; 42,3 (CChr.SL 138A 243,106f): quadraginta dierum noctiumque ieiunium. 1096 Mt 4,3: Si Filius Dei es, dic ut lapides isti panes fiant, in: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,56f). 1097 Vgl. Joh 2,1-10, in: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,60α-62α). 1098 Vgl. 1 Joh 4,4, in: tract. 39,3 (CChr.SL 138A 214,70): fortior est qui in nobis est quam qui adversum nos est.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

insbesondere aber mit dem direkten Zitat des Engelsdienstes (Mt 4,111099). Das mysterium humilitatis des Gottmenschen leuchtet schließlich im Teilzitat von 1 Kor 1,19f1100 auf, wobei die Weisheit Gottes der scheinbaren Klugheit des Satans gegenübergestellt wird sowie im Vergleich des Sündenfalls Adams und des Sieges Jesu.1101 Dieser Befund verweist einerseits auf Leos teilweise sehr kurze, konkrete Ausführungen zur Versuchungsperikope und lässt andererseits die Doppelkonsubstantialität Christi als hermeneutischen Schlüssel erkennen. Speziell die etwas ausführlicheren Aktualisierungen in den Traktaten 41 und 42 lassen Leos Interesse an der Christologie erkennen. Mit dem Bezug zum Sündenfall knüpft Leo deutlich an die frühkirchliche Tradition an, den Sieg Jesu soteriologisch zu deuten.

2.4 Zusammenfassung Leos Aktualisierung der konkreten Versuchungsgeschichte ist vor allem durch die dogmatische Darlegung der beiden Naturen Christi geprägt. Doch auch hier lässt sich eine pastorale Akzentuierung in Form eines impliziten Hinweises auf einen unheilvollen Zusammenhang der Fehlinterpretation der beiden Naturen und der (moralischen) Verbundenheit mit dem Satan erahnen. Dabei könnte der Papst bewusst verschiedene, von ihm verurteilte christologische Konzepte als Gedanken des Satans stilisiert haben, ohne dabei entsprechende Namen anzuführen. Seine Tendenz, diese Lehren stark zu vereinfachen und die Zurückführung auf den Satan als deren Urheber ermöglicht es ihm, sein theologisches Anliegen der Doppelkonsubstantialität ins Treffen zu führen. Darüber hinaus knüpft er deutlich an bereits bekannte, allgemeine Motive an:  (1) die Unwissenheit und die Täuschungen von Seiten des Satans, (2)  das täuschende Verbergen der Gottheit vonseiten Jesu und (3)  die heilsgeschichtliche Parallelisierung von Adam und Christus.

1099 Mt 4,11: accesserunt…angeli et ministrabant ei, in: tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,70α72α). 1100 Vgl. 1 Kor 1,19f, in: tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,121). Vgl. 1 Kor 3,19. 1101 Vgl. Gen 3,3f; 19, in: tract.42,3 (CChr.SL 244,122α-126α; 129f).

Die Auslegung des Augustinus

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3 Die Auslegung des Augustinus Da Augustinus als besonders wichtiger Bezugspunkt für Leo gelten kann, sei einleitend auch auf einige für die vorliegende Arbeit als wichtig erscheinende Grunddaten seiner Predigttätigkeit hingewiesen. Hinführung Außer den nicht von Augustinus gesammelten und daher heterogenen ca. 559 Sermones1102 und den ca. 54 gepredigten Traktaten zum Johannesevangelium1103 stellen die Enarrationes in Psalmos ein weiteres Predigtgenres des Augustinus dar, bei denen es sich mitunter um diktierte Kommentare1104 zu den Psalmen und Predigtvorbereitungen handelt, größtenteils jedoch (ca. 120) um tatsächlich gehaltene Predigten.1105 In diesen nimmt er nicht nur auf die Psalmen Bezug, sondern auch auf andere wohl in der Liturgie verlesene Texte.1106 Die Sprache des Augustinus Die Predigten des Augustinus werden im Allgemeinen als lebendiger und als stärker an der Volkssprache orientiert bewertet  als jene von Leo1107 oder etwa von Maximus von Turin.1108 Bei seinem addressatenorientierten

1102 Vgl. Partoens, Geet: Augustin als Prediger, in: Augustin Handbuch, hg. v. Volker Henning Drecoll, Tübingen: Mohr Siebeck, 2007, 243; idem, Mit der Predigttätigkeit zusammenhängende Werke, in: Augustin Handbuch, hg. v. Volker Henning Drecoll, Tübingen: Mohr Siebeck, 2007, 409. Margoni-Kögler gibt 564 bzw. 567 an: vgl. idem, Die Perikopen, 26. 1103 Außerdem sind noch die zehn Predigten zum ersten Johannesbrief zu nennen (vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 357; Margoni-Kögler, Die Perikopen, 26). 1104 Unter den Enarrationes weisen offenbar jene eine höhere Klauselfrequenz auf, die Augustinus als Literaturproduzent diktierte (vgl. Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 48f). 1105 Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 243; idem, Mit der Predigttätigkeit zusammenhängende Werke, 393. 1106 Vgl. Partoens, Mit der Predigttätigkeit zusammenhängende Werke, 395. 1107 Vgl. Dolle, SC 49bis, 18: „Saint Léon prèchera, mais saint Augustin dialogue avec ses ouailles“. 1108 Vgl. Mohrmann, Die altchristliche Sondersprache, 18f: „Die altchristliche Predigt, wie wir sie bei Augustin noch antreffen, ist nicht kunstvoller Vortrag wie wir ihn bei Leo Magnus, Maximus Taur. u.a. finden, sondern vielmehr die ὁμιλία im eigentlichen Sinne des Wortes: die Unterhaltung zwischen Prediger und Volk“. Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 245.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Stil1109 verwendet Augustinus häufig konzise Kola,1110 die durch Assonanzen, Alliterationen und Reime1111 aufeinander abgestimmt sind. Auch wenn die Klauseltechnik bei der „Volkssprache“ des Augustinus im Vergleich zu seiner Literatursprache eher schwindet,1112 zeichnet sein Predigtstil sich durch einen wohlklingenden Rhythmus aus,1113 der wohl einerseits als volkssprachliches Substrat der Hochsprache bezeichnet werden kann,1114 und andererseits dem großen Rednertalent des Augustinus zuzuschreiben ist, der sicher auch rhythmisierte Sätze extemporieren konnte.1115 Schriftlich ausformuliert hat er seine Predigten im Vorhinein in der Regel nämlich nicht,1116 sondern die vorzutragenden Inhalte 1109 Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 245f; Mohrmann, Die altchristliche Sondersprache, 18f: „Die Fühlung mit den Hörern ist wirklich eines der wesentlichen Merkmale der augustinischen Predigt“. 1110 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 370. 1111 Vgl. Mohrmann, Die altchristliche Sondersprache, 13; Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 758f. 1112 Vgl. ibid., 18; Primmer, Gebändigte Mündlichkeit, 48 Anm. 73; Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 758f. 1113 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 370: „El ritmo con que son expresados (cantados, podríamos decir) los conceptos hace del discurso un cántico festivo de una grandiosidad serena“. Die Klauseln sind bei Augustinus jedoch nicht gesucht (vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 752f). 1114 Ein Zusammenhang zwischen Volkssprache und Schulrhetorik besteht nach Mohrmann darin, dass „jede Schulrhetorik schliesslich auf der Volksrhetorik fusst“ (eadem, Die altchristliche Sondersprache, 26). Augustinus verwendet eine Mischform zwischen Kultur- und Volkssprache (vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 757): „Perciò lo mise da parte e si rivolse as altri mezzi stilistici propri dell’infanzia dell’arte, e appunto per questo più accessibili e più accetti al populo“. 1115 Die Feststellung eines anspruchsvollen Prosa- bzw. Klauselrhythmus trägt demnach nicht unbedingt zur Ermittlung bei, ob eine Predigt improvisiert oder vor- bzw. stark nachbearbeitet wurde. Dafür spricht die von Memoli gezeigte gleiche Klauselfolge bei einigen (wohl) improvisierten Predigten des Augustinus und bei vorformulierten Predigten Leos des Großen (vgl. Memoli, Accursio Francesco: Originalità, fortuna ed arte di un nuovo genere letterario: ll sermone latino cristiano, in: Ndid 14 [1964] 75-82; 88). Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 9 Anm. 49. Dem Rednertalent des Augustinus ist eine solche Gabe jedenfalls zuzugestehen, auch wenn sich stets eine gewisse ‒ den Vorlieben, Schwerpunkten oder dem Zufall geschuldete ‒ Schwankungsbreite bei der Anwendung von Klauseln feststellen lässt (vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 759 Anm. 1). 1116 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 611: „San Augustín es, en conclusión, un gran improvisador“. Dennoch gilt allgemein: „Ni la improvisación ni la preparación absolutas son regla común en los antiguos predicatores“ (ibid., 629). Augustinus

Die Auslegung des Augustinus

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meditiert, um mit einem Buch (Bibel, Evangeliar…) in den Händen1117 mitunter addressatenorientiert zu improvisieren.1118 Die Mitschrift von Stenographen (notarii) hat er offensichtlich des Öfteren nicht korrigiert (vielleicht auch nicht gesehen), was aber bei Augustins Bemühen um seine geistige Hinterlassenschaft sicher nicht allgemein gilt, wie sich in den unterschiedlichen Stilniveaus der Sermones auch zeigt.1119 Die Adressaten des Augustinus Das Publikum des Bischofs von Hippo wird bis zu einem gewissen Grad heterogen gewesen sein, da er eine große Bandbreite rhetorischer bzw. volkssprachlicher Mittel einsetzte, um seine Adressaten zu erreichen.1120 Im Sinne einer nachhaltigen Vermittlung seiner Hauptgedanken, fasste er diese oft in dichte, durch Stilfiguren ausgezeichnete Sentenzen zusammen,1121 wie sie auch bei Leo beobachtet werden konnten. Doch die meisten Predigten weisen durch ihre Sprache eher auf ein gebildetes Auditorium hin.1122 In den Quadragesima-Predigten richtet sich Augustinus nicht nur an die Katechumenen (audientes) und an die Kandidaten, die für die Initiation in der Osternacht angemeldet waren (competentes), sondern auch an die gesamte Gemeinde, die der Bischof besonders durch die Werke der Barmherzigkeit (Fasten, Gebet, Almosen) zur Erneuerung und Umkehr einlädt.1123 Dass das Publikum also bunt gemischt war, ist sehr wahrscheinlich. unterscheidet zwischen dictare und dicere, wobei das Diktat (wie in den Briefen) eine rhythmusbewusstere Sprache aufweist (vgl. Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 755). 1117 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 636-638. 1118 Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 246. Vgl. Dolle, SC 49bis, 18. 1119 Vgl. Mohrmann, Die altchristliche Sondersprache, 21-24. Aufgrund dieses Überlieferungsbestandes sind bei tachygraphisch festgehaltenen Predigten mitunter auch Gedankensprünge festzustellen, die durch die Annahme von Wechsel im Tonfall, einer Stille, eines Anakoluths etc. verständlich werden können (vgl. Partoens, Augustin als Prediger 246). 1120 Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 245: „Die Ausdruckskraft erreichte Augustinus, indem er sein Publikum wiederholt direkt ansprach, indem er Dialoge mit fiktiven Gesprächspartnern (das ging von Häretikern bis zu Gott selbst) einfügte und häufig Stilfiguren wie Parallelismus, Antithese, Reim, rhetorische Frage, Ausrufe, Steigerungen und Wortspiele verwandte“. 1121 Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 245; Di Capua, Il ritmo prosaico in S. Agostino, 756. 1122 Vgl. ibid., 245. 1123 Vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 81f.

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Die Schriftlesungen im Gottesdienst bei Augustinus Den im Rahmen von Eucharistiefeiern gehaltenen Predigten gingen häufig drei Lesungen voraus,1124 eine aus dem Alten Testament oder eine Lesung aus der Apostelgeschichte oder aus einem neutestamentlichen Brief, ein Psalm1125 und ein Abschnitt aus einem Evangelium.1126 Bei der Rekonstruktion der Lesungen, die den Predigten des Augustinus zugrunde liegen, ist zu berücksichtigen, dass es häufig keine hinreichenden Hinweise gibt und, dass die Fixierung von Lesungen zu Beginn des 5. Jh., wenn überhaupt, dann wohl nur für geprägte Zeiten (wie die Quadragesima) in Frage kommen.1127

3.1  Äußere Umstände von serm. 208 Die sechs Quadragesima-Predigten 205 bis 210 werden auf den Beginn der Fastenzeit datiert.1128 Dass dieser Beginn mit dem ersten Sonntag der österlichen 1124 Von drei Lesungen kann man nur im „Idealfall“ ausgehen, da diese eben oft nicht rekonstruierbar sind:  vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 24; Klöckener, Martin: Die Bedeutung der neu entdeckten Augustinus-Predigten (Sermones Dolbeau) für die liturgiegeschichtliche Forschung, in: Augustin prédicateur (395-411). Actes du Colloque International de Chantilly (5-7 septembre 1996) (= CEAug 159), hg. v. Goulven Madec, Paris: Études Augustiniennes, 1998, 139-144. 1125 Der Responsorium-Psalm wird bei Augustinus als lectio bezeichnet (vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 244). 1126 Vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 244: Zudem wurden an Märtyrerfesten auch die entsprechenden Prozessakten (Acta), der Leidensbericht (Passio) oder ein Wunderbericht (Libelli miraculorum) gelesen. Augustinus predigte aber auch häufig außerhalb von Eucharistiefeiern. Man geht davon aus, dass bei solchen Wortgottesdiensten kein Evangelium gelesen wurde, dafür aber je nach Anlass Märtyrerakten, ein Abschnitt der Apostelgeschichte, häufig jedoch Psalmen Gepredigt hat Augustinus wohl auch außerhalb von liturgischen Kontexten im engeren Sinn. 1127 Vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 12. Partoens gibt an, dass die Perikopen zu Beginn des 5.Jh. bereits größtenteils festgelegt waren: vgl. idem, Augustin als Prediger, 244. 1128 Vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 82; Verbraken, Pierre-Patrick: Études critiques sur les sermons authentiques de saint Augustin (= IP 12), Steenbrugis: Abbatia St. Petri, 1976, 102-104. Ebenfalls in die Quadragesima zu datieren sind die Predigten mit der traditito und redditio symboli (ss. 212-214; 215) sowei jene mit der traditio orationis dominicae (ss. 56-59). Darüber hinaus können jedenfalls noch die Predigten 211, 216, 132, 136, 352 genannt werden. (vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 82). Weitere von Poque aufgelistete Predigten bieten nicht alle eine völlige Sicherheit (idem, SC 116, 55 Anm. 2; 352-354; Margoni-Kögler, Die Perikopen, 82 Anm. 224).

Die Auslegung des Augustinus

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Fastenzeit1129 zusammenfällt wird in serm. 205 durch hodierno die ingredimur am deutlichsten: Tab. 51: serm. 205,1 (PL 38 1039,9-11)1130 Observationem Am heutigen Tag beginnen wir die pflichtgemäße Quadragesimae, solemni reditu Einhaltung der Quadragesima, die durch die alljährliche praesentatam, hodierno die Wiederkehr vergegenwärtigt wird. ingredimur.

Bei den Predigten 206, 208, 209, 210 wird der Beginn der Quadragesima durch Sollemne tempus advenit1131 („Die alljährliche Zeit ist da“) bzw. durch Quadragesimae tempus advenit1132 („Die Zeit der Quadragesima ist da“) angezeigt.1133 Wenn auch die verschiedenen biblischen Bezüge die lukanische Feldrede, jedenfalls Lk 6,37f, als zuvor verlesenes Evangelium favorisieren1134 und nicht die Versuchungsperikope, deren Inhalt gegebenenfalls nur auf einen einzelnen Gedankengang beschränkt ist,1135 so ist auch bei Augustinus die symbolische

1129 Während Leo die Quadragesima als die wichtigste der vier Fastenzeiten stilisiert, gibt es für Augustinus lediglich diese eine (vgl. Dolle, SC 49bis, 18). 1130 Bislang fehlt eine kritische Ausgabe der Quadragesima-Predigten des Augustinus. Eine solche wird aber im Rahmen der Herausgabe aller Predigten für das Corpus Christianorum in der Series Latina vorbereitet (vgl. Partoens, Mit der Predigttätigkeit zusammenhängende Werke, 410). 1131 Vgl. serm. 208,1 (PL 38 1044,33f); serm. 209,1 (PL 38 1046,19f); 210,1 (PL 38 1047,41f). 1132 Vgl. serm. 206,1 (PL 38 1041,2f). 1133 Für Sermo 207 gibt Verbraken (vgl. idem, Études critiques sur les sermons, 103) die Eröffnung der Predigt als Hinweis auf den Anfang der Fastenzeit an: vgl. serm. 207,1 (PL 38 1042,44-49): In adiutorio misericordiae Domini Dei nostri, tentationes saeculi, insidiae diaboli, mundi labor, carnis illecebra, turbulentorum temporum fluctus, et corporalis omnis atque spiritualis adversitas, eleemosynis, et ieiuniis, atque orationibus superandae sunt. Die gesamte Fastenzeit bezeichnet Augustinus in serm. 210,9 (PL 38 1052,34) auch als tota paschalis solemnitas (vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 81 Anm. 220). 1134 Vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 83-85; 95. 1135 Vgl. serm. 205,1 (PL 38 1039,10-1040,10): Der Gehorsam in den 40 Tagen führe zum Ertragen der Begehrlichkeit und der Versuchungen, das als Hängen am Kreuz zu verstehen sei. Die mystischen 40 Tage (mysticus numerus) seien ein Symbol für

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Bedeutung dieser Schriftstelle für die Quadragesima insgesamt offenkundig.1136 Das Jahr und der Ort können bei keiner dieser Predigten erschlossen werden.1137 Für die folgende Untersuchung wird serm. 208 herangezogen, da er sich als einziger etwas ausführlicher auf die biblische Versuchungsperikope bezieht.1138

3.2  Inhalt von serm. 208 Tab. 52: Gliederung (nach PL 38) Exordium: Confirmatio:

Argumentatio: Peroratio:

1,1044,1-10: Die Forderung der liturgischen Zeit nach Fasten, Beten und Almosen und der Predigt-Dienst des Augustinus. 1,1044,10-1045,30: Fasten besteht in der generellen Enthaltsamkeit, nicht in der Änderung des Speiseplans, da die Art der Speise nicht über die Begehrlichkeit entscheidet. Der Herr gab durch sein Fasten und seine Antwort ein Beispiel, wie den Versuchungen zu begegnen ist. Dabei darf die Schöpfung nicht verurteilt werden. Die sexuelle Enthaltsamkeit ist ebenso gefordert und sollte allen möglich sein, zumal Witwen und Jungfrauen sich ihr Leben lang daran halten. 2,1045,31-1046,9: Der innere Zusammenhang von Fasten und Almosen. Ein kostenloses Werk der Barmherzigkeit besteht in der Zügelung des Zornes und in der Vergebung. 2,1046,10-17: Mahnung, die Worte des Predigers stets zu bedenken, die durch die Festlichkeit des Tages auch getragen werden.

das ganze Leben und seien daher auch spezifisch mit dem Kreuz verbunden. Die 40 Tage rühren z. B. von der Erklärung her, dass der Mensch angeblich 40 Tage im Mutterleib sei oder von der Einheit der Vierzahl der Evangelien mit den zehn Geboten. Vorbilder seien Moses, Elias und Christus. Jetzt gelte es Christus „anzuziehen“, mehr als sonst, da die 40 Tage ein Symbol für das ganze Leben seien und das Leben darin wirklich gelebt werde; serm. 206,1; 207,1; 2: Der Mensch lebe mitten unter den Versuchungen; serm. 210,1: Augustinus erklärt den Ursprung der präbaptismalen (symbolischen) 40 Fasttage mit der Taufe und der Versuchung Jesu, indem er Mt 3,16f und Mt 4,1f direkt zitiert. In serm. 210,7: werden Mose, Elias und Christus als Beispiele genannt. Da die Gläubigen aber nicht tatsächlich 40 Tage fasten können (und bestimmte Tage von der Kirche ausgenommen seien – prohibet ieiunare), sollen sie es häufig tun. Möglich sei jedoch sehr wohl die durchgehende sexuelle Enthaltsamkeit. 1136 Vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 82. 1137 Vgl. Verbraken, Études critiques sur les sermons, 103. 1138 Mt 4,1-11 war auch der Deutungshorizont für Augustinus. Wie bie Leo betrachtet er den Charakter des Kampfes Jesu, um den Gläubigen eine Verhaltensnorm in

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Die Auslegung der Versuchungsperikope in der Confirmatio 1,1045,13-17 Augustinus stellt das Verhalten Jesu in der Versuchung jenem des Volkes Israel in der Wüste und von Esau gegenüber, denen nicht das Verzehren von Fleisch, sondern ihre Begehrlichkeit (concupiscentia 1,7) zur Last geworden sei. Dabei weist er Christus und seine Antwort auf die Versuchung mit dem Brot aber lediglich in einem Satz als Verhaltens-Modell aus, ohne auf die konkrete Situation einzugehen (quid esuriens Dominus tentatori etiam de ipso pane responderit:  „was der Herr trotz seines Hungers dem Versucher sogar bezüglich des Brotes geantwortet hat“ 1,14f). Dieser habe nämlich nicht sein Fleisch zügeln müssen als sei es widerspenstig gewesen (qui certe non suam carnem quasi rebellem domabat 1,16), sondern zeige den Gläubigen in seiner Barmherzigkeit, was sie in solchen Versuchungen zu erwidern hätten (quid in talibus tentationibus respondere debeamus misericorditer admonebat 1,17f).

3.3 Vergleich mit Leos Auslegung Übereinstimmungen mit der Auslegung Leos Für beide Autoren ist der tatsächliche Hunger Jesu ein Hinweis auf seine wahre menschliche Natur humilitas („Niedrigkeit“1139). Vor dem Hintergrund der Versuchungserzählung findet sich in serm. 123 des Augustinus wie in Leos tract. 46 außerdem eine Auflistung von einzelnen Stationen des Lebens Jesu, die sowohl auf seine menschliche (z. B. Leiden und Tod) als auch auf die göttliche Natur (z. B. Auferstehung) verweisen.1140 der Quadragesima vor Augen zu stellen, die sich durch Fasten Beten und Almosen zusammenfassen lässt (vgl. Dolle, SC 49bis, 20). 1139 Der Gedanke der humilitas prägt die Quadragesima-Predigten des Augustinus (vgl. Poque, SC 116, 59). Das wird z. B. in Sermo 123 sehr deutlich: vgl. serm. 123,2 (SC 23 52): Esurivit enim, quia et hoc dignatus est, quia et hoc ad humilitatem pertinuit. Esurivit panis, sicut defecit Via, sicut vulnerata est Sanitas, sicut mortua est Vita. Die Antithesen im zweiten Satz verweisen auf die beiden Naturen Christi. 1140 Vgl. serm. 123,3 (SC 23 53f): Ubera sugebat, et mundum continebat. In praesepi iacebat, et Angelos pascebat. Deus et homo, idem Deus qui homo, idem homo qui Deus. Sed non unde homo, inde Deus….Ergo et modo iam passus per ipsam humilitatem, iam mortuus, iam sepultus, iam resurrexit, iam ascendit in caelum, ibi est et sedet ad dexteram Patris: et hic est egens in pauperibus suis. Leo zählt außer der Geburt noch weitere Details aus dem Leben Jesu auf: die Hochzeit zu Kana, die Auferweckung des Lazarus, eine Blindenheilung, die Stillung des Seesturms und die Speisung der 5000: vgl. tract. 46,2 (CChr. SL 138A 271,52-272,72): Da homini quod de muliere puer nascitur, da Verbo quod nec conceptu laeditur virginitas materna nec partu. Formam servi, obvolutam pannis, iacentem in praesepe cognosce, sed adnuntiatam ab angelis…formam Domini confitere.

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Dieser humilitas („Demut“) entspreche auch das Verhalten Christi in der Versuchung, sodass es für die Gläubigen Gnadenhilfe1141 und nachzuahmendes Modell darstellt.1142 Bei Christus sei jede Begehrlichkeit (concupiscentia1143) ausgeschlossen und ein inneres Ringen Christi in der Unterordnung des Fleisches unter den Geist bzw. unter Gott aufgehoben und somit nicht bedenkenswert.1144 Leos soteriologische Deutung des Verhaltens Jesu scheint also augustinisch geprägt zu sein:1145 Der Erweis der menschlichen Natur Jesu 1141 vgl. en. Ps. 103,3,11 (CChr.SL 40 1509,3-6): non enim cum dicitur: Esurivit, evangelista mentitur. Voluit esurire propter te, ne tu esurias in illo, qui pauper factus est, cum dives esset, ut illius paupertate nos ditaremur. 1142 Vgl. serm. 208,1 (PL 38 1045,17f); 123,2 (SC 23 53): Ad hoc enim pugnat imperator, ut milites discant; 123,3 (SC 23 53): Qui ergo tanta potuit, esurivit, sitivit, fatigatus est, dormivit, comprehensus est, caesus est, crucifixus est, occisus est. Ista est via: ambula per humilitatem, ut venias ad aeternitatem. In Sermo 284 hebt Augustinus nachdrücklich das Beispiel Jesu (exemplum) hervor: vgl. serm. 284,5 (PL 38 1291,4250): Attendite martyrum Ducem exemplorum certamina proponentem, et certantes misericorditer adiuvantem. Außerdem fordert er dazu auf, Antworten im Sinne Jesu zu geben: responde illi, Delectabilior est Deus. Promittit mundus honores et sublimitates saeculares: responde illi, Altius est omnibus regnum Dei. Promittit mundus superfluas vel damnabiles curiositates: responde illi, Sola non errat veritas Dei. 1143 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,48f): omnem concupiscentiam exclusam. 1144 Vgl. tract. 39,2 (CChr.SL 138A 212,34-213,46). 1145 Vgl. trin. 4,13,17 (CChr.SL 50 183,34f). Cui se ipse quoque temptandum praebuit ut ad superandas etiam temptationes eius mediator esset non solum per adiutorium verum etiam per exemplum. Vgl. Green, The Soteriology of Leo the Great, 122. Ambrosius spricht von mysterium und exemplum: vgl. in Luc. 4,14 (CChr.SL 14 111,193-198): Plenus igitur Iesus spiritu sancto agitur in desertum consilio, ut diabolum provocaret – nam nisi ille certasset, non mihi iste vicisset – mysterio, ut illum Adam de exilio liberaret, exemplo, ut ostenderet nobis diabolum ad meliora tendentibus inividere et tunc magis esse cavendum, ne mysterii gratiam deserat mentis infirmitas. Bei Irenäus finden sich bei der Auslegung der Versuchungsgeschichte zwar die Ansätze von der soteriologischen Wirkung (recapitulatio) von Jesu menschlicher, siegreicher Taktik und von der göttlichen Gnadenhilfe, doch von einem nachzuahmenden Modell spricht er nicht im selben Zusammenhang: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,11-13): Et propter hoc non aliunde eum destruxit, nisi ex dictionibus legis, [et] Patris praecepto adiutore usus. Erst im nächsten Kapitel erklärt er, dass die Versuchung Jesu zur Belehrung der Gläubigen diene (per ipsum praceptum docuit esurientes). Sie sollen sich von der göttlichen Speise ernähren, bei allem Erfolg demütig bleiben und Gott nicht versuchen und drittens nicht vor dem Satan niederfallen, da sie sonst keinen Anteil an der Herrlichkeit Gottes haben: adv. haer. 5,22,2 (FC 5/8 174-176). Vor seiner Auslegung formuliert Hilarius Gottes Wirken in der gesamten Zeit in der Wüste bzw. während der Versuchung (magni caelestisque consilii effectibus

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(humilitas1146) garantiert denen, die dem mediator dei1147 („Mittler zu Gott“) nachfolgen, das entsprechende exemplum („Modell, Vorbild“) und die Gnadenhilfe (adiutorium; Leo: auxilium1148). Weitere Parallelen in den Enarrationes in Psalmos Im Zusammenhang der Auslegung der Versuchungsgeschichte finden sich diese Gedanken bei Augustinus in den Enarrationes in Psalmos noch umfangreicher ausgeführt. Unter anderen seien besonders die Predigten zu den Psalmen 60 (61) und 90 (91) hervorgehoben.1149 Beide (en. Ps 60 und 90,2) setzen die Schriftlesung des Evangeliums von der Versuchung Jesu voraus1150 und könnten ebenso in der entsprechenden liturgischen Aktualität der Quadragesima gehalten worden sein.1151 plena sunt): vgl. in Matth. 4,1 (SC 254 112,3-5B). Erst nach jeder einzelnen Versuchung erläutert er die Reaktionen Jesu als Belehrung für die Gläubigen, wobei er erst nach der dritten Versuchung von exemplum spricht: vgl. in Matth. 4,3 (SC 254 116,14fC): ostendens non in hoc solitario, sed in Verbo Dei alimoniam aeternitatis esse sperandam; in Matth. 4,4 (SC 254 116,20-22B): docens a fidelibus abesse oportere iactantiam, quia, cum omnia possibilia Deo sint, nihil tamen in temptationem eius audendum sit; in Matth. 4,5 (SC 254 118,19-23A): Prabuit etiam huius responsionis effectu magnum nobis Dominus exemplum. 1146 Zur Bedeutung der humilitas in der Auslegung des Augustinus vgl. Teske, Roland J.: St. Augustine on the Humanity of Christ and Temptation, in: Aug(L) 54 (2004) 261-277. 1147 Leo übernimmt diesen Gedanken der Mittlerschaft: vgl. tract. 21,2 (CChr.SL 138 87,48-51): Deusque verus homo verus in unitatem domini temperatur, ut quod nostris remediis congruebat, unus atque idem Dei hominumque mediator et mori posset ex uno et resurgere posset ex altero. Vgl. Hebr 4,15. 1148 Vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138 214,71-215,73). 1149 Vgl. außerdem en. Ps. 30,2,10 (CChr.SL 38 198,13-27); 36,3,5 (CChr.SL 38 371,4-25); 103,3,11 (CChr.SL 40 1509,1-6). 1150 Vgl. en. Ps. 60,3 (CChr.SL 39 766,13-15): Modo legebatur in Evangelio quia Dominus Iesus Christus in eremo tentabatur a diabolo; 90,2 (CChr.SL 39 1265,6f): Propterea fecimus ipsam lectionem evangelii recitari, ubi dominus tentatus est per ea verba Psalmi, quae hic audistis (vgl. Mt 4,6 par Lk 4,10f). Offen bleibt, ob die matthäische oder die lukanische Version gelesen wurde (vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 456; 489f). 1151 Margoni-Kögler zieht den Rahmen der Quadragesima für en. Ps. 60 in Betracht, schließt aber einen Quadragesima-Sonntag aus folgendem Grund aus: In der Einleitung zeichne Augustinus ein Bild einer geschäftigen Zeit, in der er seine Adressaten nicht lange aufhalten möchte, was mit einem Sonntag nicht vereinbar sei: vgl. idem, Die Perikopen, 457f.

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In Psalm 60/61 wie in Psalm 90/91 entwickelt Augustinus die mystische Dimension seiner Soteriologie: Zwischen Gläubigen und Christus gebe es nicht nur eine Kontinuität, sondern infolge der menschlichen Natur Christi eine Einheit.1152

In en. Ps. 90 gibt es keine Anhaltspunkte für eine Datierung (vgl. ibid., 486-490). Eine Klärung dieser Frage ergibt sich weder durch die Tatsache, dass in Ps 90/91 der Bezug zur Versuchung Jesu intertextuell vorgegeben ist (11f in Mt 4,6 [par Lk 4,10f]) noch durch die traditionelle Interpretation dieser Intertextualität: vgl. Aug., en. Ps. 90,1 (CChr.SL 39 1254,1f): Psalmus iste est de quo Dominum nostrum Iesum Christum diabolus tentare ausus est. Schon bei Eusebius von Caesarea wird Psalm 90/91 als Prophetie auf die Versuchung Jesu verstanden: vgl. in Ps. 90 (PG 23 1160D). Wie Eusebius bringt auch Hieronymus die wilden Tiere der Versuchung (Mk 1,13b) mit Psalm 90 (91) in Verbindung: vgl. tract. in Marc. 2A (SC 494 88,11-90,13). Irenäus vergleicht die aus dem Zusammenhang gerissene mit einer Lüge versehene Zitierung der Schrift mit der Praxis der Häretiker. Das mitte te deorsum („stürze dich hinab“) habe der Satan hinzugedichtet: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 166,8-12). Hilarius verweist dabei darauf, dass der Satan die ihn betreffende Stelle unterschlagen hätte, nach der der Beter auf den Satan treten würde (super aspidem et basiliscum): vgl. in Matth. 3,4 (SC 254 116,6-13A). Auch Ambrosius bezeichnet den Satan als haereticus, da er die Schrift nur benutze, um zu täuschen: vgl. in Luc. 4,26 (CChr.SL 14 114,301-115,306). Die Projektion der bisher bekannten liturgischen, bis heute wirksamen Tradition der wechselseitigen Erhellung von Ps 90/91 und Mt 4,1-11 auf den liturgiehistorischen Rahmen von en. Ps. 90 führt ebensowenig zu vertrauenswürdigen Informationen: Im Antiphonale Missarum Sextuplex ist die Verwendung des Psalms 90/91 für den ersten Sonntag der Quadragesima bezeugt (vgl. Antiphonale Missarum Sextuplex (AMS), hg v. Rene-Jean Hesbert, Nachdruck der 1. Aufl., Rom: Herder, 1967, 40a40b), die im Wesentlichen bis heute gleich geblieben ist. Das gleiche gilt für das Evangelium Mt 4,1-11 (vgl. Chavasse, Les Lectionnaires Romains, 28). 1152 Vgl. en. Ps. 60,3 (CChr.SL 39 766,14-22): In Christo enim tu tentabaris, quia Christus de te sibi habebat carnem, de se tibi salutem; de te sibi mortem, de se tibi vitam; de te sibi contumelias, de se tibi honores; ergo de te sibi tentationem, de se tibi victoriam. Si in illo nos tentati sumus, in illo nos diabolum superamus. Attendis quia Christus tentatus est, et non attendis quia vicit? Agnosce te in illo tentatum, et te in illo agnosce vincentem; 90,2 (CChr.SL 39 1265,9-13): Ille quippe magister in omnibus tentari voluit, quia tentamur (vgl. Hebr. 4,15); sicut mori voluit, quia morimur, sicut resurgere voluit, quia resurrecturi sumus. Illa enim quae ostendit in homine, qui factus est propter nos homo, cum esset deus per quem facti sumus, propter nos ostendit.

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Ebenso Teil der Soteriologie ist aber die Dimension der Belehrung über das nachzuahmende Verhalten Christi in der Versuchung.1153 Schwerpunkte von Augustinus Augustinus konkretisiert das modellhafte Wirken Christi in dessen Antwort auf die erste Versuchung, die im Zusammenhang der Predigt in der Begehrlichkeit (concupiscentia1154) besteht. Die Antwort Christi stellt eine Belehrung und Erinnerung (admonebat 1045,17f) für die Gläubigen dar, die in Versuchung geführt werden. Die dogmatischen Konzepte in der Auslegung des Augustinus Augustinus nimmt die menschliche Natur Christi ernst1155 und betont implizit die Einheit mit der göttlichen Natur (esuriens Dominus 1045,14; non suam carnem quasi rebellem domabat 1045,16).1156 Der tiefere Sinn der menschlichen Natur Christi wird für ihn in der „mystischen Erlösungstheorie“ über die erlösende Nachfolge Jesu deutlich (quid in talibus tentationibus respondere debeamus 1045,17f). Diese Aspekte werden in den Enarrationes in Psalmos 60 und 90 noch genauer ausgeführt, nicht ohne auch auf die beiden Naturen im Sinne einer „gegenseitigen participatio“1157 anzuspielen (Christus de te sibi habebat carnem, de se tibi

1153 Vgl. en. Ps. 60,3 (CChr.SL 39 766,22-24): Poterat a se diabolum prohibere: sed si non tentaretur, tibi tentando vincendi magisterium non praeberet; 90,2 (CChr.SL 39 1265,8f): Ideo tentatus est Christus, ne vincatur a tentatore christianus. 1154 In De vera religione faltet Augustinus alle drei Versuchungen als Formen der concupiscentia (carnis, oculorum) bzw. der ambitio (saeculi) gemäß 1 Joh 2,16 aus: vgl. ver. rel. 38,70f (CChr.SL 32 233,28-234,55). Augustinus folgt hier der lukanischen Abfolge der Versuchungen: vgl. Lk 4,1-13. 1155 Der Hunger Jesu nach Brot ist für Augustinus real:  vgl. serm. 210,3,4 (PL 38 1049,27f): ad famem sitimque sentiendam descendit eius intentio. 1156 Das Einheitskonzept des Personenbegriffs stellt auch den eigentlichen Beitrag des Augustinus für die lateinische Christologie dar, ebenso aber die soteriologische Dynamik des Vermittlungskonzeptes des mediator Dei et hominum („Mittler zwischen Gott und den Menschen“ Hebr 4,15; 1 Tim 2,5). Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 741. Vgl. Aug., trin. 4,13,17 (CChr.SL 50 183,34f). 1157 Augustinus schreibt von der „gegenseitigen participatio“ von Fleisch und Wort und gebraucht das Bild von der Einheit von Seele und Mensch für den Vergleich mit der Einheit von Gott und Mensch. Dabei findet sich auch die bereits bei Origines bezeugte Überlegung von der Teilhabe der Gottheit am Fleische, die durch die Vermittlung der Seele (anima mediante) zustande komme (vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 600-602).

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salutem: „Christus hatte von dir für sich das Fleisch, von sich für dich die Rettung“ en. Ps. 60,3,14f). Die Verwendung der Bibel bei der Auslegung von Mt 4,3f In der Auslegung von serm. 208 spielt Augustinus auf die erste Versuchung und die Antwort Jesu an (Mt 4,3f), ohne eine Bibelstelle wörtlich zu zitieren.1158 Die Vergleiche mit den negativen exempla aus dem AT1159 profilieren Jesu Verhalten bezüglich der ersten Versuchung als menschliche Tugend der Enthaltsamkeit, die wiederum eine erlösende Nachfolge ermögliche und einfordere.

3.4 Zusammenfassung Augustinus ist mit der soteriologischen Bedeutung der Christologie und mit der symbolischen Bedeutung der 40 Tage vertraut. Ein mystisches Verständnis der Quadragesima ist bei ihm bereits ansatzweise zu erkennen. Am ersten Sonntag ist als Evangelien-Lesung jedoch eher die lukanische Feldrede (Lk 6,37f) anzunehmen als die Versuchungsperikope, da die Hinweise darauf zu unspezifisch (keine wörtlichen Zitate) und zu singulär sind.1160 Die beiden Predigten, denen die Versuchungsgeschichte als Schriftlesungen zugrunde liegt, sind jedenfalls kaum auf einen Sonntag in der Quadragesima zu datieren. Während für en. Ps. 60 der quadragesimale Kontext wahrscheinlich ist, gibt es bei en. Ps. 90 nicht einmal einen Anhaltspunkt für eine solche Zuordnung. In serm. 208 entfaltet Augustinus anhand der ersten Versuchung (Mt 4,3f) die soteriologische Bedeutung der menschlichen Natur Christi, die den Weg zur Nachfolge eröffnet. Der Bischof von Hippo verwendet zur Charakterisierung der Versuchung den bei ihm theologisch bedeutsamen Begriff concupiscentia („Begehrlichkeit“), den er für die Gläubigen auch auf der Ebene der Sexualität auslegt.1161 Auf dogmatischer Ebene konnten in serm. 208 die Aspekte der unvermischten Einheit der Person Christi, sowie die soteriologisch bedeutsame Betonung des modellhaften Verhaltens Jesu aufgezeigt werden. Dabei wurden 1158 Auch in en. Ps. 60 und 90 zitiert Augustinus keinen Vers aus der Versuchungsperikope. 1159 Augustinus spielt nur allgmein auf das Verhalten des Volkes in der Wüste an (vgl. z. B. Num 11,5; 33f) und auf die Begehrlichkeit des Esau, der sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht eintauscht (vgl. Gen 25,30-34: et sic accepto pane et lentis edulio), wobei Augustinus das ebenfalls erwähnte Brot nicht berücksichtigt. 1160 Bemerkenswert sind dabei jedoch die vielen inhaltlichen und sprachlichen Parallelen zu den Predigten Leos (vgl. Schlussfolgerungen), für die die Schriftlesung Mt 4,1-11 vorausgesetzt werden können. 1161 Dieser Aspekt wird von Leo ignoriert (vgl. Dolle, SC 49bis, 21).

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Ergänzungen und Verdeutlichungen durch andere Predigten vorgenommen, besonders durch die Enarrationes in Psalmos 60 und 90.

4 Die Auslegung des Maximus von Turin Der wohl erste Bischof von Turin wirkte zwischen 395-4231162 und nimmt unter seinen Zeitgenossen (Augustinus, Ambrosius, Hieronymus) einen bescheidenen Platz ein.1163 In seinen für die Liturgiegeschichte interessanten 106 Predigten1164 zu verschiedenen Teilen des Kirchenjahres versucht er seine junge Gemeinde zu festigen und muss sich nicht nur mit Idolatrie, Laximus und Ungerechtigkeit beschäftigen, sondern auch mit der Mutlosigkeit angesichts der Germaneneinfälle und mit Arianern.1165 Dennoch trägt er mit seiner für das Volk bestimmten Sprache nicht zur Ausprägung der lateinischen Christologie bei.1166 Sein Stil weist Parallelen zu Leo und verschiedene Anklänge an Petrus Chrysologus auf.1167 Den rhythmischen Satzschluss verwendet er ebenfalls, wenn auch nicht in derselben Dichte.1168 Diese Gemeinsamkeiten weisen trotz verschiedener

1162 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 290. Die Angabe des Todesdatums schwankt zwischen 408 und 423 (vgl. Merkt, Art. Maximus, Bf. v. Turin, in: LThK3 7 [1998] 13). 1163 Vgl. Mutzenbecher, CChr.SL 23, XV. Leben und Wirken von Maximus scheinen zu seinen Lebzeiten keine Wirkungsgeschichte aufweisen zu können und auch danach keinen nachhaltigen Einfluss ausgeübt zu haben. 1164 Unter dem Namen des Maximus sind wesentlich mehr Predigten überliefert. Böhmer gibt 176 an: vgl. idem, Petrus Chrysologus, Erzbischof von Ravenna, als Prediger. Ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Predigt, Paderborn: Schöningh, 1919, 41. 106 davon erwies Mutzenbecher als echt: vgl. idem, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 (1961) 282; idem, CChr.SL 23, XXXVI. Merkt geht von 108 echten Predigten aus: vgl. idem, Maximus I. von Turin, 17f. 1165 Vgl. Merkt, Art. Maximus, Bf. v. Turin, in: LThK3 7 (1998) 13. 1166 Vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 578: Um Christus den Menschen näher zu bringen, stellt er Vergleiche mit dem Kosmos oder etwa mit Odysseus an (wie auch Ambrosius oder Hieronymus). Vgl. Mutzenbecher, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 (1961) 215. 1167 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 295. Die von Mutzenbecher festgestellte Vorliebe für Antithesen ist eher ein allgemeines Stilmerkmal christlicher Autoren: vgl. idem, Bestimmung der echten Sermones, 205. 1168 Mutzenbecher, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 (1961) 208. Zur Klauselverwendung von Maximus gibt es noch keine breit angelegte Studie (vgl. Merkt,

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Hinweise auf Spontanität (Anakoluthe,1169 Wörter der Aufmerksamkeit, Ausrufe und Selbstkorrekturen)1170 eher auf keine Improvisation hin, sondern zumindest auf ein Exposé oder sogar für einen ersten Gesamtentwurf.1171 Daher kann für Maximus auch dasselbe wie für Petrus Chrysologus angenommen werden, dass seine Predigten nicht nur als vorbereitete Texte anzusehen sind, sondern auch Zeugnisse improvisierter Rede von Maximus enthalten.1172 Für die Untersuchung wird serm. 51 herangezogen, da die Versuchungsperikope darin ausführlich aktualisiert wird.

4.1 Äußere Umstände von serm. 51 Unter jenen Fastenpredigten des Maximus, die sich auf Mt 4,1-11 beziehen,1173 ist besonders serm. 51 von Interesse. Während serm. 50 das Fasten Jesu in der Wüste nur allgemein aufnimmt1174 und auf den ersten Sonntag der vierzigtägigen

Maximus I. von Turin, 9 Anm. 49), ‒ Merkt stellt lediglich in Stichproben fest, dass Maximus bisweilen den cursus verlox bevorzugt und dann wieder den cursus planus: vgl. idem, Wer war der Ambrosiaster? Zum Autor einer Quelle des Augustinus – Fragen auf eine neue Antwort, in: WiWei 59 (1996) 19-33, 68. 1169 Vgl. Mutzenbecher, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 (1961) 208. 1170 Merkt nennt noch weitere Faktoren wie Redunanz, Weitschweifigkeit, Wiederholungen, Verwendung der 1.P.Sg. und Anrede in der 2. Person, kurze Fragen, antithetische Parallelismen, aggregatives Denken bzw. anorganische Einheit, fehlende Spannungsbögen, assoziative Verwendung der Bibel, parataktische Syntax, kurze, klare Sätze. Gegen den Mündlichkeitsfaktor spricht aber das Fehlen jeglicher Reaktion des Publikums: vgl. idem, Maximus I. von Turin, 9-13. 1171 Nach Olivar spricht vor allem die Anwendung der Klauseln gegen eine Improvisation: vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 619. Mutzenbecher geht aufgrund der Selbst- und Ambrosiuszitate von einem schriftlichen Konzept aus: vgl. idem, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 (1961) 208 Anm. 34. Merkt beurteilt den Mündlichkeits- bzw. Improvisationsanteil etwas optimistischer und hält z. B. Selbstkorrekturen für genuie Zeichen der Lebendigkeit der Predigt und für kein literarisches Konstrukt: vgl. idem, Maximus I. von Turin, 9-13. 1172 Diese Erklärung Olivars für den Stil des Petrus Chrysologus scheint plausibel zu sein: vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 620; idem, CChr.SL 24, VIIf. 1173 Vgl. auch Die Predigten 50, 50a und 70. 1174 Ohne entsprechende Belege vorweisen zu können, geht Sottocornola davon aus, dass der Predigt von serm. 50 das Evangelium von Mt 4,1-11 zugrundeliege, sodass Leo entgegen der Auffassung von Köppen (vgl. idem, Die Auslegung der Versuchungsperikope, 20f) nicht der erste Zeuge für dieses Evangelium am ersten Sonntag der Quadragesima wäre: vgl. idem, L’anno liturgico, 399f. Vgl. auch Merkt, Maximus I. von

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Quadragesima zu datieren ist,1175 deuten die intratextuellen Bezüge in serm. 51 eher darauf hin, dass dieses Evangelium am dritten Sonntag der Quadragesima gewissermaßen als Fortsetzung erörtert wurde.1176 Die Erörterung einer

Turin, 161. Nach Sottocornola würden auch die Predigten 66-70 diese Annahme stützen: vgl. idem, L’anno liturgico, 400 Anm. 48. Tatsächlich gibt es nur in serm. 67 den Hinweis von Maximus, dass die Predigt am ersten Sonntag der Quadragesima gehalten wurde (vgl. serm 67,1 [CChr.SL 23 280,1f], wobei es nur einen allgemeinen Bezug zum Aufenthalt in der Wüste gibt, jedoch kein Zitat aus Mt 4,1-11). Ein direktes Zitat der zweiten Versuchung auf der Tempelzinne und eine Auslegung dazu gibt es in serm. 70,2 (CChr.SL 23 293,14-294,41). Der ebenfalls auf den ersten Sonntag der Quadragesima zu datierende serm. 35 spielt auch nur in allgemeiner Weise an die Versuchungsperikope an (vgl. serm. 35,4 (CChr.SL 23 138,99-139,102). Dieser Befund mahnt daher eher zur Vorsicht, Mt 4,1-11 bereits unter Maximus als Evangelium für den ersten Sonntag der Quadragesima anzunehmen, auch wenn dies bei serm. 51 wahrscheinlich ist. 1175 Maximus gibt den entscheidenden Hinweis selbst: vgl. serm. 50,1 (CChr.SL 23 197,16; 11-14): Nonnulli christianorum, fratres, aestimantes se divinitatis praecepta religiosius observare praetermissa devotione quadragensimae, cuius hodie curamus exordium, quinquagensimam se facere mentiuntur, cum id neque divinis litteris iubeatur neque traditum sit auctoritate maiorum.…Hanc enim quadragensimam nobis dominus sui ieiunio consecravit.…quia continuatis quadraginta diebus et noctibus cibum omnino non sumpsit. Da Maximus eine Quinquagesima ausschließt und von dem exemplum des Fastens Jesu ausgeht, ist von einer vierzigtägigen Fastenzeit auszugehen: vgl. serm. 50,1 (CChr.SL 23 197,1-17). Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 158f. Außerdem auf den ersten Sonntag der Quadragesima zu datieren sind Sermo 35 und 67 (vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 158). 1176 In serm. 51 werden die Gedanken der ss. 50 und 50a weiterentwickelt: serm. 50: Typoi für den Aufenthalt in der Wüste im AT und der Auftrag des Herrn; serm. 50a: Der Grund für das Fasten des Herrn in der Wüste; serm. 51: Betrachtung der Geschehnisse in der Wüste. Unter der Prämisse, dass die Reihenfolge der Predigten in der Ausgabe von Mutzenbecher der ursprünglichen entspricht (vgl. idem, CChr.SL 23, 197; 202; 206), ergibt sich das Argument für die Datierung von serm. 50, 50a und 51 auf die ersten drei Sonntage aus den Hinweisen der Predigten selbst: Maximus gibt in serm. 51 den Hinweis, dass er am vorhergehenden Sonntag über den Grund für das Fasten Jesu erläutert hat, worauf er sich eindeutig auf serm. 50a bezieht: vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23 206,1-7). Meminisse debet vestra dilectio hoc me anteriore dominica praedicasse et dedisse rationem, cur dominus quadragensimam ieiunarit. In serm. 50a bezieht Maximus sich wiederum auf den Inhalt des vorigen Sonntags, an dem er den Grund für die Zahl 40 erläutert und von der dominica mandata (serm. 50,2 [CChr. SL 199,74]) spricht: vgl. serm. 50a,1 (CCHr.SL 23 202,1-9): Si bene retinet, fratres, vestra dilectio, hoc superiore dominica praedicavimus quod sanctam quadragensimam

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Schriftstelle über mehrere Predigten hinweg ist jedenfalls keine unbekannte Praxis.1177 Für den tatsächlichen Vortrag von Mt 4,1-111178 gibt es allerdings kein hinreichendes Indiz, da auch die Formulierung Ait namque sacra lectio1179 („Die heilige Lesung sagt[e]‌nämlich“) kaum als perikopenklärend einzustufen ist.1180 Auch gegebenenfalls andere Schriftlesungen des Tages müssen offen bleiben.1181 Jahr und Ort der Predigt sind nicht eindeutig zu klären. abstinendo ipse dominus consecraret. Von der Datierung auf den dritten Sonntag der Quadragesima geht auch Merkt aus: vgl. idem, Maximus I. Turin, 158. 1177 Fortsetzungen von Predigten sind bei Maximus nicht ungewöhnlich (vgl. Mutzenbecher, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 [1961] 206). Merkt führt zahlreiche Predigten an, die an vorhergehende Sonntage anknüpfen: vgl. idem, Maximus I. von Turin, 32 Anm. 176. Bezeugt ist diese Praxis auch bei Petrus Chrysologus: vgl. serm. 79,1 (CChr.SL 24A 483,3-5): Quoniam Matthai et Marci super dominicam resurrectionem iam cucurrimus lectiones, modo quod hinc intonuerit Lucas beatissimus exquiramus. Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 621; idem, Los sermones de san Pedro Crisólogo. Estudio critico, Montserrat: Abadia de Montserrat, 1962, 260-277. Bei Augustinus sind forlaufende Lesungen über mehrere Gottesdienste bezeugt (vgl. Partoens, Augustin als Prediger, 244). 1178 Gegen die lukanische Version spricht die von Maximus wiedergespiegelte Reihenfolge der Versuchungen. Ausgeschlossen ist sie zwar nicht, doch spricht die einhellige Tradition, die den matthäischen Bericht bevorzugt dagegen (vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 85). Ambrosius folgt selbst in seinem Lukaskommentar der matthäischen Abfolge. Aufgrund seines häufigen Bezuges zu Ambrosius wäre es daher auch denkbar, dass Maximus dessen Lukas-Kommentar in den Händen hielt. Da diese bezüge mehrheitlich nicht wörtliche sind, könnten sie auch aus dem Gedächtnis hergestellt worden sein (vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 8f). 1179 Vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23,12f): Ait namque sacra lectio esurisse dominum et dixisse diabolum: Si filius dei es, dic lapidi huic ut fiat panis. Zwar kann lectio auch mit „Text“ wiedergegeben werden, doch schwingt dabei auch stets die Bedeutung von „Lesung“ bzw. „Rezitation“ mit, wie an anderen Stellen deutlich wird: vgl. serm. 51,3 (CChr.SL 23 208,87-89): Quod autem sacrarum litterarum lectio vita sit, dominus testatur dicens: Verba quae ego locutus sum vobis spiritus et vita est; 48,4 (CChr. SL 23 189,64): Quid autem ait evangelica lectio? Leo verwendet lectio im Sinne der liturgischen Lesung: vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,105): sicut evangelica lectione patefactum est. 1180 Als entscheidendes Indiz fehlt ein Adverb wie hodie oder modo (vgl. Margoni-Kögler, Die Perikopen, 28). Vgl. Schrama, Marijn: Prima lectio quae recitata est. The Liturgical Pericope in Light of Saint Augustine’s Sermons, in: Aug(L) 45 (1995) 159. 1181 Für die bei Leo am ersten Sonntag der Quadragesima bezeugte Epistellesung 2 Kor 6,1-10 gibt es bei Maximus nur im Exordium vom (ebenfalls für diesen Sonntag bestimmten) serm. 35 einen schwachen Hinweis durch entsprechende direkte Zitate

Die Auslegung des Maximus von Turin

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4.2 Inhalt von serm. 51 Tab. 53: Gliederung Exordium: Narratio: Peroratio:

1,3-9: Anknüpfung an die vorhergehende Predigt 1,9-2,61: Angriff des Satans und die Antwort Jesu 3,62-89: Exhortatio, nicht das Brot des Satans, sondern das Brot Christi zu wählen, und sich mit der Schrift zu befassen.

Die Auslegung der Versuchungsperikope in der Narratio Jesus täuscht seinen Hunger vor (esurisse se simulat 1,15), um den bereits im Fasten besiegten Satan jetzt durch den Hunger wiederum zu beunruhigen.1182 Auf diese Weise macht er ihm Hoffnung auf einen Sieg aufgrund der menschlichen Schwäche (ex infirmitate famis 1,17), damit der ruhmsüchtige (gloriosus 1,18) Satan besiegt werde. Der wahre Sieg Christi besteht darin, dass er den Satan, der den ruhmsüchtigen und essenden Adam (gloriosum et epulantem 1,20) ins Verderben stürzte, jetzt von einem sterblichen Menschen, der demütig war und hungerte (humili atque esuriente 1,21) besiegt wurde. Der Satan hielt den Herrn infolgedessen für einen Menschen und da er daran zweifelte, dass es sich bei ihm um den Erlöser handeln könnte (dubitat salvatorem 1,22f), sprach er die erste Versuchung aus (Mt 4,3). Bei diesem Angriff war der Satan auf das äußerste verwiesen (extrema congressio 1,24), da die Wüste keine Angriffspunkte lieferte wie den Paradiesesbaum, eine Frau wie Eva oder Früchte. Dass die Elemente verwandelt werden können, daran erinnerte sich der Verschlagene (versutus 1,32) aus der Begebenheit in der Wüste im AT, als Wasser aus dem Felsen hervorsprudelte. Da der Satan Christus die Verwandlung von Steinen in Brot zutraute, habe der vermutet (suspicatur 1,38), dass er Gottes Sohn vor sich habe, der allein dies bewerkstelligen konnte. Maximus scheint sich hier in einen Widerspruch zu verstricken und bessert nach: Nur in diesem Punkt habe er diese Vermutung gehabt (suspicabatur 1,41), doch als er ihn hungern sah, hielt er ihn für einen aus 2 Kor 6,2: vgl. serm. 35,1 (CChr.SL 23 136,2-7): Testimonium perhibet sanctus apostolus de prophetis dicens: Tempore, inquit, acceptabili exaudivi te, et in die salutis adiuvi te; et subsequitur ipse: Ecce nunc tempus acceptabile, ecce nunc dies salutis. Unde ego testificor vobis hos esse dies redemptionis, hos esse tempus caelestis quodammodo medicinae. 1182 Vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23,15f): Post multa ieiunia esurisse se simulat, ut diabolum, quem ieiunando iam vicerat, iterum esuriendo sollicitet.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

gewöhnlichen Menschen (putabat tantummodo solum hominem, cum esurientem videbat 1,42f). Jesu Antwort ist eine Verurteilung der Verschlagenheit des Satans (versutiam…condemnat 2,44f) und verweist zugleich auf seine Gottheit (mira responsione 2,44; divino…eloquio 2,50). Denn weder willfahre er dem Satan (pro arbitrio adversarii 2,45f), indem er seine Kraft und Herrlichkeit offenbart (virtutis suae gloriam 2,46; potentiam virtutis 2,49) noch erkläre er, dass er Besagtes nicht ausführen könne, sondern dass der Mensch vor allem von Gottes Wort lebe (Mt 4,4). Wer daher vom Brot des Erlösers lebe (pane reficitur salvatoris 2,58), suche nicht die irdische Speise.

4.3 Vergleich mit Leos Auslegung Übereinstimmungen mit der Auslegung Leos Wie in Leos tract. 40 geht auch Maximus hier nur auf die erste Versuchung ein.1183 Der Satan hält Jesus für einen Menschen,1184 da er daran zweifelt, dass er Gott bzw. der Erlöser sein könnte. Er erschrickt zwar, da er in den 40 Tagen nichts vermochte, zweifelt jedoch nicht an seinem Sieg1185 und seinen Künsten.1186 Bei Maximus ist der Satan nach der Niederlage in der Wüste aufgrund des Hungers Jesu ein zweites Mal beunruhigt.1187 Bei beiden Autoren versucht der Satan aber nach seiner Niederlage1188 in der Wüste mehr über diese Enthaltsamkeit1189 und die Person Jesu zu erfahren. Letztlich geht er aufgrund des erkannten Hungers Jesu davon aus, einen Menschen vor sich zu haben.

1183 Leo behandelt in tract. 42 alle drei Versuchungen, in tract. 39 und 41 spricht er nur allgemein von der Niederlage des Satans und von dessen neuerlichen Vorhaben, sodass die eigentlichen drei Versuchungen nicht geschildert werden. 1184 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,48-59). 1185 Vgl. tract, 42,3 (CChr.SL 138A 243,106-109). 1186 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,49f). 1187 Hilarius führt die Beunruhigung auf die Zahl 40 zurück, mit der der Satan immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht habe (Sintflut: vgl. Gen 7,17, Erkundung des Landes: vgl. Num 14,34, Abfassung der zehn Gebote: Ex 34,28, engelgleiches Leben des Volkes in der Wüste: Num 14,33): vgl. in Matth. 3,1 (SC 254 112,10-15). Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 18. 1188 Vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,48-59); 42,3 (CChr.SL 138A 243,106-109). 1189 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 243,108f).

Die Auslegung des Maximus von Turin

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Schwerpunkte von Maximus Maximus lässt Jesus den Hunger wohl unter dem Einfluss des Ambrosius1190 vortäuschen (esurisse se simulat 1,15),1191 um dem Satan durch die Schwäche des Hungers Hoffnung zu machen (ex infirmitate famis 1,17),

1190 Da Maximus des Öfteren auf Ambrosius zurückgreift, ist hier eine Abhängigkeit wahrscheinlich: vgl. in Luc. 4,16 (CChr.SL 14 112,211-220): Ambrosius fragt, wozu der Evangelist vom Hunger Jesu spricht, da bei Mose und Elia davon nicht die Rede sei. Die menschliche Enthaltsamkeit könne doch nicht höher einzuschätzen sein als Gott (hominum patientia deo fortior). Doch der Herr hungerte nach dem Heil (salutem) der Menschen und um den Satan zum Angriff zu reizen. Dieser habe infolge des langen Fastens bereits Angst und sei verwundet: Et ideo famis domini pia fraus est, ut in quo diabolus maiora metuens iam cavebat, famis specie lactatus temptaret ut hominem, ne inpediretur triumphus. Vgl. in Luc. 16,4 (CChr.SL 14 112,215f): qui XL diebus esurire non potuit ostendit se non cibum esurisse corporis, sed salutem. Vgl. Mutzenbecher, Bestimmung der echten Sermones, in: SE 12 (1961) 216. Interessant ist dabei, dass Maximus nicht auf den Ansatz des Ambrosius zurückgreift, dass das vierzigtägige Fasten Jesu ein Hinweis auf dessen Gottheit ist (XL diebus esurire non potuit). Stattdessen setzt die erste Versuchung bei Maximus allgemein „nach langem Fasten“ an: vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23 206,15): post multa ieiunia. Die Auffassung des Ambrosius von der Göttlichkeit des vierzigtägigen Fastens findet sich bereits bei Fortunatian von Aquileia. Im Lichte Gottes waren die 40 Tage für Mose hingegen wie ein einziger Tag: vgl. com. ev. 13 (CSEL 103 148,885-894). In diesem Sinne ist es wohl zu verstehen, dass Hilarius die Gottheit Jesu in den 40 Tagen am Werke sieht, da er in dieser Zeit, wie Mose und Elija, keinen menschlichen Hunger verspürte: vgl. in Matth. 3,2 (SC 254 112,2-4C): nam post quadraginta dies, non in quadraginta diebus esuriit, Moyse et Elia in eodem ieiunii tempore non esurientibus. Nach Johannes Chrysostomus fastete Jesus nicht mehr als 40 Tage, damit er nicht als Gott entlarvt würde, da auch Mose und Elija durch Gottes Kraft gestärkt nicht länger fasten konnten: vgl. in Matth. hom. 13,2 (ΕΠΕ 36 410,16-20). Dieselbe Ansicht vertritt Theodoret von Cyrus: Christus wollte das Maß seiner Vorgänger im Fasten nicht überschreiten, damit man an seine menschliche Natur glaube: vgl. prov. orat. 10 (PG 83 752C). Theodor von Mopsuestia geht ebenfalls von einer menschlich bewiesenen Enthaltsamkeit aus, da die Sündlosigkeit Jesu bewiesen werden musse: Auf die Frage Kaiser Julians, was Christus nach den 40 Tagen erhalten habe (Mose hatte das Gesetz, Elija göttliche Gesichte), gibt er an, dass angesichts des Vorhabens des Sieges über den Tod die Sündlosigkeit bewiesen werden müsse: vgl. in Luc. 4 (PG 66 717C-721C). Vgl. Köppen, Die Auslegung der Versuchungsgeschichte, 23. Leo nutzt diesen Gedanken bei seiner Auflistung von Hinweise auf die beiden Naturen Jesu nicht: vgl. tract. 46,2 (CChr.SL 138A 271,52-272,72). 1191 Bei Maximus wird Jesus zum Täuscher bezüglich seines Hungers und seiner wahren Identität: vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23 206,14): Videte artem domini, qua adversarium fraude circumvenit!

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

während Leo im Einklang mit Augustinus1192 von einem tatsächlichen Hunger ausgeht.1193 Die Parallelisierung des satanischen Angriffs auf Adam und Christus erfolgt in größerer Ausführlichkeit (1,19-28) als bei Leo.1194 Maximus stellt nicht nur das Verhalten von Adam und Christus gegenüber, sondern verweist implizit auch auf den vergeblichen Versuch des Satans, dieselbe Versuchungstaktik wie im Garten Eden anzuwenden.1195 Während die Taktiken des Satans in der

1192 Augustinus geht evangeliumsgemäß (wohl auch gegen manichäische Tendenzen) von einem menschlichen Hunger aus: vgl. en. Ps. 103,3,11 (CChr.SL 40 1509,3-6): non enim cum dicitur: Esurivit, evangelista mentitur; vgl. serm. 123,2 (SC 23 52). 1193 Nach Leo ließ Christus den (wirklichen) Hunger zu, um besonders jene Irrlehre zu widerlegen, nach der Christus keine menschliche Natur besitze: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,49β-52β):  qui erat verus Deus, ut verum se etiam hominem demonstraret, et impias opinions totius erroris excluderet. Leos Formulierung infirmitatis nostrae in se recepisset esuriem in tract. 40,3 (CChr. SL 138A 226,53f) weist zwar auch auf die göttliche Initiative bei der Aufnahme des Hungers hin, doch diese Annahme der infirmitas („Schwäche“) ist bereits in der Menschwerdung vorgezeichnet: vgl. tract. 21,2 (CChr.SL 138 87,43-46): Salva igitur proprietate utriusque substantiae et in unam coeunte personam, suscipitur a maiestate humilitas, a virtute infirmitas, ab aeternitate mortalitas. 1194 Vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,122α-126α). Maximus konnte dabei auf eine noch reichere Ausführung bei Ambrosius zurückgreifen: vgl. in Luc. 4,7 (CChr.SL 14 108,81-98). Leo ist sich der soteriologischen Bedeutung des Typos-Antitypos unabhängig davon bewusst: vgl. tract. 46,2 (CChr.SL 138A 272,73-76): Quia non aliter in natura humana sanari poterant originalis vulnera vetustatis, nisi de utero Virginis carnem sibi adsumente Dei Verbo, in una eademque persona simul et caro nasceretur et Verbum. 1195 Der Vergleich der Taktiken des Satans findet sich bereits bei Irenäus: vgl. adv. haer. \f “AAutoren” 5,21,2 (FC 8/5 164,18-168,9). Er vergleicht alle drei Versuchungen mit dem Sündenfall. Der Satan (1) wende dieselbe Taktik an wie bei Adam, nur unter anderen Vorzeichen, da er zwar beide durch Nahrung locken wolle, Adam jedoch, im Gegensatz zu Christus nicht hungrig vorfand. Christus halte sich aber an die Weisung (praeceptum) Gottes. (2) Bei der zweiten Versuchung setzte der Satan auf den Stolz (elatio), dem Christus mit Demut (humilitas) begegnete und mit dem (3) Gehorsam gegenüber Gottes Weisung (praeceptum). Christi Verhalten führe zur recapitulatio des „ersten Menschen“. Eine kürzere Version reduziert die Gegenüberstellung auf die duplex gustatio („zweifaches Kosten“) von Adam und Eva und die indigentia („Bedürftigkeit“) Jesu: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 166,1f). Hilarius führt folgende drei an: cibum („Speise“), peccati locum („Ort der Sünde“) und die divini nominis ambitio („Anmaßung des Gottesnamens“), die der Satan

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gemäß der ordo fraudis antiquae auch an Christus anwendet: vgl. in Matth. 3,5 (SC 254 118,5-8C; 11-13). Nach Ambrosius wendet der Satan wie beim Sündenfall die Taktiken gulae („Esssucht“), facilitas („Wankelmut“) bzw. iactantia („Prahlerei“) und ambitio („eitler Ehrgeiz“) ‒ gemäß matthäischer Reihenfolge! ‒ an: vgl. in Luc. 4,17 (CChr.SL 14 112,224-227); 4,33 (CChr.SL 14 117,403-408). Mit diesen drei Waffen pflege der Satan ins Feld zu ziehen und habe auch schon einmal den Sieg errungen. Demgegenüber erhält der Christ von Christus dreierlei Heilmittel: sacramentum („die Heilswirksamkeit [kraft der Taufe]“), desertum („Wüste“) und ieiunium („Fasten“): vgl. in Luc. 4,4 (CChr.SL 14 107,55f). Augustinus faltet alle drei Versuchungen als Formen der concupiscentia (carnis, oculorum) bzw. der ambitio („eitler Ehrgreiz“) aus. Die ‒ nach der lukanischen Abfolge ‒ zweite Versuchung der ambitio bringt er mit der superbia des Satans in Verbindung, ohne jedoch an den Sündenfall anzuknüpfen: vgl. ver. rel. 38,70f (CChr.SL 32 233,28-234,55). Adam und die concupiscentia des Menschen bringt er etwa in einem seiner Genesiswerke in Zusammenhang: vgl. Gn. adv. Man. 2,39 (CSEL 91 164,11165,17): seducitur autem verbis huius serpentis carnalis nostra concupiscentia, et per illam decipitur Adam, non Christus, sed Christianus: qui si praeceptum dei servare vellet…non veniret in illam deformitatem. Bei Leo werden die Strategien des Satans als konträre Taktiken gegenüberstellt. Doch fällt der Blick dabei neben dem Sündenfall (per cibum) nicht auf die Versuchung Christi, sondern auf jene der gegenwärtigen Zeit, die im häretisch begründeten Fasten besteht (per ieiunium), sodass hier von einem contrariae fraudis effectus die Rede ist: vgl. tract. 42,4 (CChr.SL 138A 244,129α-133α). Die Versuchung Jesu durch die Speise des Brotes wird jedoch in tract. 40 geschildert: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,53-57). Eine augustinische Gegenüberstellung von Jesu und Adams Verhältnis zur concupiscentia carnis ist aber auch für Leo selbstverständlich, sodass der Ausschluss der concupiscentia bei Jesus bereits in der (von der Erbsünde befreiten) Inkarnation begründet ist: vgl. 22,41 (CChr.SL 138 92,41-49β): Nova autem nativitate generatus est, conceptus a virgine, natus ex virgine, sine paternae carnis concupiscentia, sine maternae integritatis iniuria, quia futurum hominum Salvatorem talis ortus decebat, qui et in se haberet humanae substantiae naturam, et humanae carnis iniquamenta nesciret. Vgl auch tract. 69,4 (CChr.SL 138A 422,73-75): Adam enim primus et Adam secundus unum erant carne, non opere, et in illo omnes moriuntur, in isto omnes vivificabuntur; 12,4 (CChr.SL 138 53,104f): ieiunio concupiscentia carnis extinguitur. Wenn Leo den Satan in der Auslegung der Versuchungsgeschichte Jesu menschliche Natur mit jener von Adam gleichsetzen lässt, ist damit einerseits die menschliche Natur Jesu verbürgt, andererseits lässt Leo den Satan nicht die Christologie der Verhüllung erfassen: vgl. tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,122α-124α): ut superbus hostis hominem videns quem aliquando superaverat.

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lateinischen Auslegungstradition häufig verallgemeinert und als Versuchungen des Menschen schlechthin charakterisiert wurden,1196 erklärt Maximus, dass die lokalen Gegebenheiten in der Wüste den Satan zu einer kreativen Vorgehensweise nötigten:1197 Da die einst im Garten erprobten Waffen (solita arma 1,25) in der Wüste fehlten, sei ihm der Einfall gekommen, Christus Steine in Brot verwandeln zu lassen. Diese konkrete Taktik lasse aber erkennen, dass der Satan die Gottessohnschaft Jesu erahnt haben musste (suspicatur 1,38).1198

1196 Vgl. Fortunatian, com. ev. 15 (CSEL 103 149,910-912): Sic enim fallendo et mentiendo Adam per Evam decepit, deinde omne hominum genus mendacio fallente possedit et vulneravit. Ambrosius, in Luc. 4,17 (CChr.SL 14 112,224-226): Tria praecipue docemur tela diaboli, quibus ad convulnerandum mentem hominis consuevit armari, gulae, unum, aliud iactantiae, ambitionis tertium. Augustinus, serm. 284,5 (PL 38 1291,5153): Cum ista triplici tentatione Dominus fuisset tentatus, quia in omnibus illecebris mundi huius tria sunt, aut voluptas, aut curiositas, aut superbia. Chrysostomus: in Matth. hom. 13,4 (ΕΠΕ 36 420,21-422,8). Petrus Chrysologus lässt den Satan in einer fiktiven Ermutigung seiner Untertanen zum Kampf viele Versuchungen aufzählen, die offenbar mit den Grundversuchungen Jesu in Verbindung stehen, wobei er aber ausdrücklich die Angriffe auf das zu mächtige Fasten ausnimmt. Dazu gehören: lites, discordiae, odia, irae, mendacia, periuria, blasphemiae, vaniloquia, doli, avaritia, lucra turpia, luxuria: vgl. serm. 13,7 (CChr.SL 24 86,113-122). 1197 Vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23 106,24-28): So fehlen der Reiz des Baumes, die Ratgeberin Eva und das entsprechende Obst, sodass er auf die Brotverwandlung verfällt. Für Johannes Chrysostomus entspricht die Wüste hingegen in einem wesentlichen Punkt exakt der Taktik im Garten Eden, nämlich in der Isolation, da er sich zunächst nur an Eva allein heranwagte ‒ daraus leitet er auch ein Argument für den notwendige gottesdienstliche Versammlung ab: vgl. in Matth. hom. 13,1 (ΕΠΕ 36 408,4-19). Ambrosius sieht die Wüste als Ausgangspunkt für die Rückführung des gefallenen Menschen in das Paradies. In der Wüste rüstet Christus die Gläubigen zu (instruit, informat, exercet, unguit oleo spiritali), er führt sie durch reife Felder (wie die Apostel beim Raufen der Ähren am Sabbat) und schließlich in das Paradies, nämlich in die Zeit der Passion (postea in paradiso constituit tempore passionis). Dies wäre die tiefere Bedeutung des Gartens Gethsemani, in den Jesus seine Jünger vor der Passion führt: vgl. in Luc. 4,13 (CChr.SL 14 111,176-184). 1198 Nach seiner ersten Feststellung der Ahnung des Satans (vgl. serm. 51,1 [CChr.SL 23 207,38f]: Suspicatur enim ipsum esse Christum, qui haec operari soleat de natura saxorum) korrigiert Maximus diese Ahnung dahingehend, dass der Satan aufgrund des Hungers Jesu glaubte, einen Menschen vor sich zu haben: vgl. serm. 51,1 (CChr. SL 23 207,41-43): Suspicabatur, inquam, ipsum esse Christum, cum postulabat ut de lapide panem faceret; sed putabat tantummodo solum hominem, cum esurientem videbat. Nichtsdestoweniger nimmt Maximus nicht zurück, dass der Satan eine Ahnung

Die Auslegung des Maximus von Turin

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Die dogmatischen Konzepte in der Auslegung des Maximus Mit der Feststellung, dass Christus seinen Hunger vortäuschte (esurisse se simulat 1,15), sind die Ausführungen des Maximus bereits unter das Vorzeichen einer hohen Christologie gestellt. Aus dieser Perspektive ergibt sich durch die Antithese des (tatsächlich) essenden Adam (epulantem) und des (nicht auf menschliche Weise) hungernden Christus (esurientem 1,20f) für Maximus auch kein Widerspruch zu der hier propagierten und keineswegs systematisch ausgeführten Soteriologie, da der traditionelle Grundsatz „Was nicht angenommen ist, kann nicht geheilt werden“1199 darin ohnehin nicht erschöpfend berücksichtigt wird.

hatte, sondern wiederholt das entsprechende Wort im Imperfectum de conatu (Suspicabatur). Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 12 Anm. 63. Hilarius folgert aus der Angst über das vierzigtägige Fasten, dass der Satan eine Ahnung von Jesu Identität habe, jedoch vor der Versuchung kein sicheres Wissen: vgl. in Matth. 3,1 (SC 254 112,9fB): Erat igitur in diabolo de metu suspicio, non de suspicione cognitio. Bei Leo kann eine Vorahnung nur implizit im Erschrecken des Satans über das vierzigtägige Fasten vermutet werden, die dann durch den Hunger Jesu relativiert wird: vgl. tract, 42,3 (CChr.SL 138A 243,106-109). 1199 Dieses Prinzip (Quod non est assumptum, non est sanatum) ist in der lateinischen Soteriologie seit Tertullian anzutreffen (vgl. Grillmeier, Jesus der Christus, 740). Bereits in der Interpretation des Irenäus ist der Aufweis des tatsächlichen Hungers Jesu mit der Erlösung des in Adam gefallenen Menschen verbunden: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,4-21). Auch Hilarius verweist auf den Zusammenhang der Erlösung und des Hungers Jesu: Dieser sei letztlich ein irdischer gewesen, doch trete er erst nach dem Verzicht auf die göttliche virtus nach den 40 Tagen in Erscheinung, um den Satan zu locken und so durch „Adam“ zu besiegen: vgl. in Matth. 3,2 (SC 254 112,1C-114,5-9A); 3,1 (SC 254 112,18-22B). Christus bringe den Menschen in den 40 Tagen dem Vater zurück, der bereits auf den Menschen warte: vgl. in Matth. 3,2 (SC 254 114,16fA): Quo in tempore exspectatum Deo patri munus hominem quem adsumpserat reportavit. Ambrosius betont ebenfalls die erlösende Kraft der Enthaltsamkeit Jesu für den durch die Speise gefallenen Menschen. In der parallelen Gegenüberstellung wird bei Adam auch ein Hunger festgestellt: vgl. in Luc. 4,6 (CChr.SL 14 107,76-108,80): in deserto esurit, ut cibus primi hominis, quem praevaricatione gustaverat, ieiunio domini solveretur. Nostro periculo Adam scientiae boni et mali famem solvit, nostro emolumento famem iste suscepit. Es bleibt eine Spannung zwischen dem laut in Luc. 4,16 (CChr.SL 14 112,211-220) vorgetäuschten Hunger und der Hervorhebung der menschlichen Natur Jesu: vgl. 4,20 (CChr.SL 14 113,261-264): Simul cum dicit: non in pane solo vivit homo ostendit hominem esse temtatum, hoc est susceptionem nostram, non suam divinitatem. Bei der Erläuterung der Todesangst Jesu am Ölberg wird die Unterscheidung von menschlicher und göttlicher Natur etwas deutlicher: Die

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Im Vordergrund steht vielmehr die Antithese des ruhmsüchtigen Adam (gloriosus) und des demütigen Christus (humilis 1,20f). Die Aufmerksamkeit ist also vielmehr auf die pastorale Sorge des Bischofs um die Anerkennung der Gottheit Jesu und um eine rechte Fastenpraxis zu richten: Wie Christus gerade in seiner Erniedrigung und im Hunger nach dem Wort Gottes (2,52f) als Antitypus des Adam in Erscheinung trete (1,19-21), so sollen auch die Adressaten des Maximus sich dem Wort Gottes in der Schrift zuwenden.1200 Schließlich sei selbst die schriftbezogene Antwort Jesu ein Hinweis auf dessen Gottheit (mira responsione 2,44; divino…eloquio 2,50),1201 da er weder den Willen des Satans ausführte, noch behauptete, dass er zu dem Wunder der Brotverwandlung nicht imstande sei.1202 irdische Stimme Jesu (vox carnis) bitte um Schonung, die geistvolle Hingabe (devotio spiritus) füge sich dem Willen des Vaters: vgl. In Luc. 4,12 (CChr.SL 14 110,159-171). 1200 Vgl. serm. 51,3 (CChr.SL 24 208,79-87): Quam bene autem ieiuniorum tempore verbum dei dixit esse quod reficit, ut ostenderet ieiunia nostra non debere saeculi actibus occupari sed sacris litteris exerceri! Neglegit enim famem corporis, qui pabulo lectionis intendit; nec ventris curam habere poterit, qui alimentum verbi caelestis adquirit…Ipsa est enim esca quae vitam aeternam tribuit, et insidias a vobis diabolicae temptationis excludit. Vgl. Merkt, Maximus I. von Turin, 195: Gemäß serm. 36,4 (CChr.SL 24 143,80f) sollen die Hörer des Maximus den Tag möglichst mit dem Lesen der Schrift verbringen oder sich vorlesen lassen, wenn jemand nicht lesen kann. Letztere Klausel müsste eher der Normalfall für die einfachen Menschen Turins gewesen sein. Daraus lässt sich aber zumindest schließen, dass die Texte der Schrift nicht nur im Gottesdienst zu hören waren und bereits zur Frömmigkeit (einer gehobeneren Schicht) gehörten haben werden. Denn die Verbreitung der Schrift wird kaum in dem Maße fortgeschritten gewesen sein, wie sie Johannes Chrysostomus für seine Hörer in der Weltstadt Konstantinopel annimmt. Denn ihmzufolge müsste jeder von ihnen eine Schrift zu Hause gehabt haben: vgl. in Ioh. hom. 11 (ΕΠΕ 39 630,9-17). Diesen Bezug zur Schriftlektüre hat Maximus wohl von Ambrosius übernommen: vgl. in Luc. 4,20 (CChr.SL 14 113,253f): ut divinae pabulo lectionis intentus famem corporis neglegat. 1201 Auch Irenäus unterstreicht den Sieg durch die Worte der Schrift, zeigt jedoch noch deutlicher das Wirken beider Naturen an, indem er Jesus auch dabei die Hilfe des Vaters in Anspruch nehmen lässt: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,11-13): Et propter hoc non aliunde eum destruxit, nisi ex dictionibus legis, [et] Patris praecepto adiutore usus. Der Ausspruch Jesu, mit dem er den Satan entwaffnete, sei sogar der des Vaters: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,26f): per paternam dictionem primum eius impetum evacuavit. Ambrosius unterscheidet etwas subtiler, wenn er von der Wirkung der Macht Gottes und der Wirkung der Schrift schreibt: vgl. in Luc. 4,25 (CChr.SL 14 114,297-299): ut quia scripturarum exemplum praetenderat, scripturarum vinceretur exemplis; potestas enim deo vincere, scriptura mihi vincit. 1202 Dieser Gedanke findet sich ähnlich bei Ambrosius. Der Herr verriet seine Gottheit nicht und täuschte den Satan durch eine Antwort, die keine der beiden Naturen

Die Auslegung des Maximus von Turin

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Die Verwendung der Bibel bei der Auslegung von Mt 4,3f Maximus ordnet die von ihm verwendeten biblischen Zitate und Anspielungen seiner Verkündigung der Gottheit Jesu unter. Anders als Augustinus schließt er die wörtlich aufgenommene erste Versuchung und die Antwort Jesu (Mt 4,3f1203) auf die göttliche Souveränität, sodass er auch einen menschlichen Hunger ausschließt. Diese Linie setzt sich fort bei der Gegenüberstellung mit Adam: Typus und Antitypus ergeben sich vor allem unter den Vorzeichen der Hoffart des Adam und der Demut Christi, während Adams Aufnahme der Speise und Jesu Enthaltsamkeit eine untergeordnetere Rolle spielen.1204 Auch die Erläuterung der auf die Erfahrung mit Mose1205 zurückgehende Finte des Satans, Steine in Brot verwandeln zu lassen, stellt die Gottheit Christi ganz in den Mittelpunkt. In seiner Deutung von 1 Kor 10,4 sei es Christus gewesen, der Wasser aus dem Felsen sprudeln ließ.1206 Schließlich wird auch das wahre Brot christologisch gedeutet1207 und dem irdischen Brot des Satans aus dem Zusammenhang der ersten Versuchung gegenübergestellt.

4.4  Zusammenfassung Der serm. 51 wurde wohl an einem dritten Sonntag der Quadragesima vorgetragen. Die vor dieser Predigt vorgetragenen Schriftlesungen müssen offen bleiben, da perikopenklärende Hinweise fehlen. Auch die größtenteils aus der

ausschloss (medie respondit): vgl. in Luc. 4,19 (CChr.SL 14 113,245-249): Contra dominus sic fallit, ut vincat, sic adhuc vincit, ut fallat. Nam si convertisset naturam prodiderat creatorem. Medie ergo respondit dicens: scriptum est quia non in pane solo vivit homo, sed in omni verbo dei. 1203 Mt 4,3, in: serm. 51,1 (CChr.SL 23 206,13); 51,1 (CChr.SL 23,23): Si filius dei es, dic lapidi huic ut fiat panis; Mt 4,4, in: serm. 51,2 (CChr.SL 23 207,51): non in solo pane vivit homo sed in omni verbo dei. 1204 Vgl. Gen 3,1-6, in: serm. 51,1 (CChr.SL 23 206,19f). 1205 Vgl. Ex 17,4-6, in: serm. 51,1 (CChr.SL 23 207,34-37). 1206 1 Kor 10,4, in: serm. 51,1 (CChr.SL 23 207,40): Bibebant de spiritali sequenti petra; petra autem erat Christus. Im Gegensatz zu Paulus wird Christus bei Maximus auch zum Akteur in Ex 17,4-6: vgl. serm. 51,1 (CChr.SL 23 207,38f): Suspicatur enim ipsum esse Christum, qui haec operari soleat de natura saxorum, sicut ait apostolus Paulus. 1207 Vgl. Joh 1,1, in: serm. 51,2 (CChr.SL 23 207,55f): In principio erat verbum, et verbum erat apud deum; Joh 6,41, in: serm. 51,2 (CChr.SL 23 207,59f): Ego sum panis, qui de caelo descendi; Ps 103/104,15, in: serm. 51,2 (CChr.SL 23 207,61): Et panis cor hominis confirmat.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Versuchungsperikope Mt 4* entwickelten Gedanken stellen kein hinreichendes Indiz dar, da Maximus die symbolische Bedeutung der Versuchung Jesu für diese geprägte Zeit auch in anderen Predigten betont (50 und 50a).1208 Unwahrscheinlich ist die Lesung von Mt 4* vor serm. 50 aber dennoch nicht. Maximus geht es in seiner Auslegung von Mt 4,3f um den souveränen Sieg Jesu über den Satan, der in der Gottheit begründet und durch Fasten und die Beschäftigung mit der Schrift nachzuvollziehen und nachzuahmen sei.

5 Die Auslegung des Petrus Chrysologus Da Petrus Chrysologus als Zeitgenosse Leos eine wichtige Vergleichsbasis bietet, sei einleitend auch auf einige für die vorliegende Arbeit als wichtig erscheinende Grunddaten seiner Predigttätigkeit hingewiesen. Hinführung Der Bischof des Hofes von Ravenna pflegte enge Kontakte zu Papst Leo und dem weströmischen Kaiserhaus1209 und gilt mit einer Anzahl von 183 authentischen Predigten als einer der wichtigsten lateinischen Prediger.1210 Auch er unternimmt keine dogmatischen Unterweisungen,1211 sondern eine zuhörerbezogene Glaubensverkündigung und Anleitung zu einer christlichen Lebenspraxis.1212 Daher werden sie als Quellen für Katechese, Liturgie und Gemeindeleben

1208 Geht man mit Sottocornola (idem, Die Auslegung der Versuchungsperikope, 20f) bei serm. 50 von der nicht belegten Schriftlesung Mt 4,1-11 am ersten Sonntag der Quadragesima aus und mit Mutzenbecher von der Fortsetzung dieser Predigt an den Folgesonntagen (50a und 51), dann könnten alle drei Predigten auf die Schriftlesung Mt 4* gefolgt sein. Vgl. Äußere Umstände von serm. 51. Da die Lesung von Mt 4* aber für keine dieser Predigten belegt werden kann, ist diese Hypothese eher unwahrscheinlich. 1209 Vgl. Piekarski, Art. Petrus Chrysologus, in: LThK3 8 (1999) 117. Die Umgebung des vom Militär und der Marine umgebenen kaiserlichen Hofes färbte auch auf die Metaphorik von Petrus ab (vgl. Dolle, SC 49bis, 23f). Einen engen Kontakt zu den Kaiserhäusern pflegte auch Leo, wie z. B. in einem Brief der Kaisern Galla Placidia an den Kaiser des Ostreiches, Theodosius, hervorgeht: vgl. ep. 56 (PL 54 859,36-38). 1210 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 296. 1211 Vgl. ibid., 298. 1212 Vgl. Piekarski, Art. Petrus Chrysologus, in: LThK3 8 (1999) 117; Olivar, La predicación cristiana antigua, 300.

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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vor Ort herangezogen.1213 Bei aller fehlenden Systematik lassen die Predigten doch erkennen, dass der Bischof von Ravenna sich mit den christologischen Fragen seiner Zeit beschäftigen musste.1214 Zwar betont er dabei in Anlehnung an die Konzile von Nicäa und Ephesus vor allem die Gottheit Jesu,1215 doch wandte er sich nicht nur gegen Arianer und Nestorianer, sondern auch gegen Eutychianer.1216 Die Interpretation der Quadragesima Bei zahlreichen Parallelen zu Leo, gibt es in den Quadragesima-Predigten allgemein doch auch unterschiedliche Schwerpunkte. Während Leo in seinen Predigten die Quadragesima insgesamt als intensivere Zeit christlicher Lebenspraxis charakterisiert1217 und besonders die Bedeutung der wechselseitigen Vergebung hervorhebt, legt Petrus größeren Wert auf das Fasten.1218 Mit Leo verbindet ihn dabei die mystisch-sakramentale Deutung der Quadragesima in der Nachfolge Jesu,1219 die mit dem Verständnis von gelebter Barmherzigkeit und der Soteriologie einhergeht,1220 sowie sein Predigtstil insgesamt.1221

1 213 Vgl. ibid., 117. 1214 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 297f. 1215 Vgl. ibid., 298. 1216 Davon zeugt nicht nur sein Antwortschreiben an Eutyches (449), in dem seine positive Einstellung zu Papst Leo deutlich wird (vgl. Piekarski, Art. Petrus Chrysologus, in: LThK3 8 [1999] 117). Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 300. Für eine Abgrenzung von Eutyches könnten z. B. die Hervorhebung beider Naturen Christi sprechen: vgl. serm. 11,5 (CChr.SL 24 74,66-68): Esuriem sentire et vincere est laboris humani, divinae virtutis est esuriem non habere. 1217 Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 217; Anm. 38. 1218 Vgl. ibid., 217f: Chrysologus habe außerdem die Almosen und Gaben an die Armen mehr betont, zumal in Ravenna auch mehr Reiche lebten. 1219 Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 209: „Il tempo della Quaresima è quindi piú che un semplice tempo di digiuno che dura quaranta giorni; è, direbbe Leone, una specie di ‘sacramentum’, ricco di significato e di grazia, in quanto si ricollega ad un avvenimento della stessa vita di Cristo e a tutta la storia della salvezza. Non è una semplice pratica ascetica; è il segno liturgico di un avvenimento soprannaturale“. Ambrosius bezeichnet die 40 Tage im Rahmen alttestamentlicher Typoi als numerum bzw. ieiunium mysticum: vgl. in Luc. 4,15 (CChr.SL 14 111,199-209). 1220 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 300. 1221 Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 216.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Der Predigtstil des Petrus Chrysologus Petrus verwendet ‒ dem Geschmack seiner Zeit gemäß1222 ‒ in der Regel eine hohe Kunstprosa1223 und vor allem das Stilmittel der Antithese,1224 der Sprachbilder und des Vergleichs sowie des virtuellen Dialogs.1225 Geliebt hat er offenbar auch die sentenzenhafte Ausdrucksweise, um wesentliche Gedanken zusammenzufassen.1226 Seine Bitte um Verständnis für eine am einfachen Volk orientierte Diktion dient daher eher dem Topos einer captatio benevolentiae als einer tatsächlichen Umsetzung dieses Vorsatzes.1227 Jedenfalls deutet alles auf eine ausführliche Predigtvorbereitung hin, bei der er eine schriftliche Version auswendig

1222 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 301: „Pedro era retórico intencionadamente: quería atraerse la atencíon de la gente por medio de una dicción bella, aunque demasiado sobrecargada y artificiosa, muy según el gusto de la epoca, aunque no de todos”. Dolle betont die sprachliche Innovation gegenüber der inhaltlichen: vgl. idem, SC 49bis, 27. Vgl. Böhmer, Petrus Chrysologus, 76: „Chysologus ist ein Kind seiner Zeit. […] so findet sich auch bei Chrysologus eine unserem Ohr nicht mehr zusagende Ausdrucksweise, die aber das Ohr der damaligen Zeit gewiß etwas Fesselndes hatte“. 1223 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 301: „Sus frases, por lo general construidas en breves incisos ordenados quiásticamente y que observan un ritmo indefectible, están llenas de sentencias o máximas, de juegos de palabras, de imágenes. Los breves incisos hacen posibles las concatenaciones de expresiones sinónimas y de redundancias. Abundantes son las anáforas, muy aptas para la insistencia. Pedro ama también, entre otras exornamentaciones retóricas, las asonancias y las aliteraciones“. Dolle siedelt den Stil des Petrus zwischen Augustinus und Leo an: „Rien de la sponanéité si vivante et si variée de saint Augustin, rien de la manière noble et un peu froide de saint Léon“ (idem, SC 49bis, 23). 1224 Vgl. Böhmer, Petrus Chrysologus, 80f: Die Antithesen wirken nicht gekünstelt, sondern erwachsen gleichsam dem Inhalt. „An der Antithese findet er solches Gefallen, daß einzelne Reden ihrem vollen Umfang nach in antithetischer Darstellung verlaufen“ (Bardenhewer, Otto: Geschichte der altchristlichen Literatur, 4. Band, Das fünfte Jahrhundert mit Einschluß der syrischen Literatur des vierten Jahrhunderts, Nachdruck der 2. unverändert. Aufl., Darmstadt: WBG, 2007, 608f). 1225 Vgl. Böhmer, Petrus Chrysologus, 82f; Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur, 609. 1226 Vgl. ibid., 84f; Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur, 608. 1227 Vgl. serm. 43,1 (CChr.SL 24 242,3-7): Populis populariter est loquendum; communio compellenda est sermone communi; omnibus necessaria dicenda sunt more omnium. Naturalis lingua cara simplicibus, doctis dulcis; docens loquatur omnibus profutura. Ergo hodie imperito verbo veniam dent periti. Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 303.

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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lernte.1228 Im Unterschied zu Leo scheint er aber ab und zu improvisierte Sätze eingeflochten zu haben.1229 Die Mitschrift von Stenographen hat er ex post wohl noch einmal durchgesehen1230 und eventuell mit seiner ersten Version verglichen.1231 Die Predigttätigkeit des Petrus Chrysologus Gepredigt hat der Bischof von Ravenna in der Regel nur an Sonntagen. Lediglich in geprägten Zeiten wie in der Quadragesima (eventuell auch um Weihnachten) predigte er auch an verschiedenen Wochentagen.1232 Eine tägliche Feier ist aber auch in diesen Zeiten zweifelhaft.1233 Die gut vorbereiteten Predigten dürften außerdem keine alltägliche Angelegenheit gewesen sein,1234 auch wenn er in seinen 20-25 Jahren im Amt wohl vier bis fünf Mal so viel gepredigt haben dürfte als überliefert ist.1235 Gegen Ende der Quadragesima pflegte Petrus offenbar nicht zu predigen,1236 sodass er eventuell bis zur Predigt am ersten Ostertag schwieg.1237 Für den Vergleich wird serm. 13 herangezogen, da zwei Argumente die Verlesung des Evangeliums Mt 4,1-11 favorisieren: (1) Diese Stelle wird in keiner anderen Predigt so ausführlich ausgelegt und (2) Petrus spielt im Text auf diesen Evangeliumstext an.

5.1  Äußere Umstände von serm. 13 Mit dem ersten Sonntag der Quadragesima wurde in Ravenna wie in Rom die vierzigtägige Fastenzeit eröffnet.1238 Dass die matthäische Versuchungsperikope

1 228 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 620. 1229 Vgl. ibid., 620; idem, CChr.SL 24, VIIf: Der Text ist vergleichsweise schlecht überliefert, wohl aufgrund schlampiger Arbeit der Kopisten und des typischen Stils des 5. Jh., den man ab dem 12. Jh. verbesserte und im letzten mitunter willkürlich veränderte. 1230 Vgl. Olivar, La predicación cristiana antigua, 620. 1231 Vgl. ibid., 620: Belege im Sinne von zwei unterschiedlichen Versionen einer Predigt gibt es aber dafür nicht. 1232 Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 144. 1233 Vgl. ibid., 144 Anm. 25. 1234 Vgl. ibid., 148. 1235 Vgl. ibid., 156. 1236 Vgl. ibid., 169. 1237 Vgl. serm 74,1 (CChr.SL 24A 451,3-5): Aliquantulum nos tacere et vigilarum labor fecit, et coegit ieiunii lassitudo; et ideo hodie reddimus de dominica resurrectione sermonem. Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 85. 1238 Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 201.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

(Mt 4,1-11) an diesem als Evangelium gelesen wurde,1239 kann als sehr wahrscheinlich gelten.1240 Als Anhaltspunkte dafür sind die Predigten 11,1241 12,1242 13, und 1661243 zu nennen.1244 In serm. 13 findet sich jedenfalls ein verwertbares Indiz: Tab. 54: serm. 13,2 (CChr.SL 24 82,21-24) Hodie, fratres, Christus rex noster commilitones suos de evangelico allocutus est tribunali, indixit hostibus bella, promisit praemia pugnaturis, retulit bellorum causas, inimicorum dolos prodidit et conatus.

Brüder, heute hat Christus unser König seine Mitstreiter von der Richterbühne des Evangeliums ermunternd zugesprochen, er hat den Feinden Kämpfe angesagt, den Kämpfern versprach er Siegespreise, in seinen Antworten brachte er die Gründe für die Kämpfe zur Sprache, die Listen der Feinde und ihre Anstrengungen machte er bekannt.

Das Adverb hodie verweist mit dem Prädikat allocutus est auf die aktuellen liturgischen Bezug, während das tribunal wohl dem Verlesungsort des Evangeliums 1239 Vgl. ibid., 201. Sottocornola gibt als Stelle Mt 4,1-10 an, da Vers 11 bei Chrysologus nicht berücksichtigt wird. 1240 Auch im Hinblick auf die eindeutigen Belege bei dem Zeitgenossen Leo. 1241 Petrus legt in serm. 11 nur die erste Versuchung aus. Einen Hinweis auf den ersten Sonntag in der Fastenzeit findet sich nur indirekt durch die Erklärung der 40 Tage: vgl. serm. 11,4 (CChr.SL 74,51-58): Videtis, fratres, quia quod Quadragesimae ieiunamus non est humana inventio, auctoritas est divina; et est mysticum, non est praesumptum; nec est de terreno usu, sed de caelestibus est secretis. Quadragesima quattuor decadis quadratam fidei continet disciplinam, quia semper est quadrata perfectio. Quadragesimus numerus et denarius numerus quae in caelo et in terra teneant sacramenta quia aperire modo non vacat, explicemus domini coepta ieiunii. Dass die Zahl „40“ vor allem am ersten Sonntag in der Fastenzeit thematisiert wird, davon zeugen auch die Predigten des Maximus: vgl. serm. 35,4 (CChr.SL 23 138,7991); 50,2 (CChr.SL 23 198,50-65); 67,2-4 (CChr.SL 23 280,17-282,85). 1242 In serm. 12 werden alle drei Versuchungen ausgelegt, jedoch nicht in derselben Ausführlichkeit wie in serm. 13. Ein Hinweis auf den ersten Sonntag der Quadragesima findet sich in der Eröffnung: vgl. serm. 12 (CChr.SL 24 76,3-7): Quoniam ieiunii vernum et tempus bellorum spiritalium cernimus advenisse. Die Predigten 42 und 43 sind inhatlich wohl als Fortsetzung von serm. 12 zu sehen (vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 75). 1243 In serm. 166 gibt es einen eindeutigen Hinweis auf den Beginn der Fastenzeit: vgl. serm. 166,2 (CChr.SL 24 119,15f): Ecce Quadragesimae ieiunium, quod devotione sollemni die crastino suscipit universalis ecclesia. Olivar geht mit Sottocornola davon aus, dass an diesem Tag das Evangelium Mt 4,1ff gelesen wurde: vgl. idem, CChr.SL 24, 1022 Anm. 72/74; Sottocornola, L’anno liturgico, 125. 1244 Vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 67f; 162; 200.

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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entspricht,1245 bei dem es sich im Hinblick auf den Kampf mit dem Feind und im Zusammenhang der Predigt nur um Mt 4,1-11 handeln kann. Außerdem könnten die zahlreichen Anspielungen an 2 Kor 6,21246 auch für die zuvor verlesene Epistellesung 2 Kor 6,1-10 sprechen, die auch für Leo bezeugt ist: die vierfache Anapher Ecce tempus1247 („Siehe [das ist] die Zeit“) und das darauffolgende Nunc est tempus1248 („Jetzt ist die Zeit“) scheinen zumindest den tatsächlichen Beginn der Fastenzeit anzudeuten.1249 Jahr und Ort der Predigt sind nicht eindeutig zu klären.

5.2 Inhalt von serm. 13 Tab. 55: Gliederung Exordium: Confirmatio: Narratio:

Peroratio:

1,1-20: Die Achtsamkeit angesichts der Zeit für den Krieg, die christliche Übung, die Barmherzigkeit und Demut 2,21-2,37: Die Unterweisung Christi über den bevorstehenden Kampf. Exhortatio, die Quadragesima zu nützen 3,38-7,122 Die erste Versuchung: 3,38-4,45 Auslegung der ersten Versuchung und die Antwort Jesu: 4,45-72 Die zweite Versuchung: 5,73-75 Auslegung der zweiten Versuchung und die Antwort Jesu: 5,76-91 Überleitung zur dritten Versuchung: 6,92-94 Die dritte Versuchung: 6,94-97 Auslegung der dritten Versuchung und die Antwort Jesu: 6,97-108 Niederlage und fiktive Ansprache des Satans an seine Diener: 7,109-7,122 8,123-129: Aufforderung zu einem Fasten, das die Mahnungen Christi, des Königs und die Drohungen des Satans ernst nimmt

1245 Nach Olivar charakterisiert tribunal (βῆμα) einen erhöhten Bereich in der Apsis: vgl. idem, La predicación cristiana antigua, 727f. 1246 2 Kor 6,2: Ecce nunc tempus acceptabile, ecce nunc dies salutis. 1247 Vgl. serm. 13,1 (CChr.SL 24 82,3f; 6; 7f). Die Eröffnung Ecce tempus, quo miles procedit ad campum sowie auch andere Formen der Kriegsmetaphorik im Sinne des christlichen, geistigen Kampfes knüpfen außerdem wohl an die witterungsbedingte Gewohnheit an, im Monat des Kriegsgott Mars (März) für den Krieg zu rüsten (vgl. Sottocornola, L’anno liturgico, 210f). Dafür spricht jedenfalls der Beginn von serm. 12: vgl. serm. 12 (CChr.SL 24 76,3-7): Quoniam ieiunii vernum et tempus bellorum spiritalium cernimus advenisse, sicut Christi milites deposito corporis animaeque torpore virtutum procedamus ad campum, ut membra, quae sunt heimali otio mollita, exercitio caelestium roborentur armorum. 1248 Vgl. serm. 13,1 (CChr.SL 24 82,9). 1249 Ein Argument für den Beginn der Quadragesima als vorgesehener Zeitpunkt für diese Predigt lässt sich auch aus der Betrachtung von Jesu modellhaftem Beginn der

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Die Auslegung der Versuchungsperikope in der Narratio: 3,38-6,108 Als der Herr das vierzigtägige Fasten (Quadragesimae ieiunium 3,38) mit äußerster Tugendhaftigkeit begonnen hatte, wandte der Satan bald seine listigen Versuchungen an, da er Christus mit seinen Kräften unterlegen war. Gemäß Mt 17,21 habe der Satan keine Macht über jene, die fasten und beten. Aus der ersten Versuchung schließt der Prediger, dass der Feind Christus bereits für den Sohn Gottes, nicht für den Sohn eines Menschen gehalten habe (dei filium credit 4,47). Diese Annahme wird für den Chrysologen auch dadurch bestärkt, dass der Satan Johannes den Täufer einst nicht auf diese Weise angesprochen hatte, obwohl auch dieser gefastet und Sünden vergeben hatte, was nur der Gottheit zukommt (quod solum deitatis insigne est 4,52). Doch als er den Herrn sah, rief er aus (proclamat 4,55): „Wenn du der Sohn Gottes bist“ (4,53f). Aber der Satan täuschte sich in seiner Logik (Errat diabolus 4,55), dass er denjenigen durch die Verwandlung von Steinen in Brot der Gottheit überführen könne, bei dem er die Anzeichen der Gottheit (deitatis signa 4,58) wahrgenommen hatte. Der Grund, warum der Satan gerade die Verwandlung von Steinen in Brot forderte und keine andere, etwa die von Menschen in Engel, liege an dessen Angst vor dem Fasten (4,63-67). Jesu Antwort, dass der Mensch nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort Gottes lebe (4,68) bewahrheitet sich für den Prediger darin, dass Christus selbst das wahre Brot bzw. das Wort Gottes sei (Quam vere vivit in verbo dei verbum! 4,69). Kraft seiner Gottheit hätte er aber auch Menschen aus den Steinen machen können (4,70-72) bzw. Söhne Abrahams (vgl. Mt 3,9). Da der Satan nicht aufgibt, versucht er Jesus auf der Tempelzinne (5,74f). Indem er Jesus auffordere, sich hinabzustürzen, verrate er seine gottferne Logik, da er treffender hätte sagen müssen: „Steig hinauf in den Himmel“ (5,76f). Doch zur Struktur des Aufstiegs mit dem Satan gehörten abschüssige Orte (praecipitia) und der Fall (lapsus 5,82), sodass es mit ihm keinen wahren, martyriumsgemäßen Aufstieg zur himmlischen Krone gebe (non de humili tollat et evelat ad coronam 5,84f). Wie sich der Satan also durch seine Formulierung verraten habe, so offenbare sich Christus durch seine Antwort (se revelat 5,86): „Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen“ (5,86f). Daher wollte Christus, dass er als Gott erkannt werde (se utique deum intellegi voluit 5,87f), zumal er sich nicht von der Zinne stürzte, sondern vom Himmel zur Erde herabgestiegen sei, auf dass er kein Modell für Fallende (cadentium forma) werde, sondern für die Auferstehung der Toten (resurrectio mortuorum 5,90f). Da der Satan nicht aufgeben konnte, bot er Christus die Reiche der Welt an, wenn er ihn nur anbete (6,94-97). Er hätte dieses Versprechen aber nicht einhalten können, er vemochte nur zu täuschen und bot Gott an, was Gott gehörte (Offert dei quae sunt deo 6,99) und versprach dem Schöpfer, was diesem bereits

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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gehörte (auctori quae auctoris sunt repromittit 6,99f), damit derjenige anbete, der allein anzubeten sei. Dadurch bekannte er dem Richter (iudici 6,101), wie er die Kleinen (simplices 6,102) zu täuschen versuche. Der Herr entgegnete ihm nicht so sehr mit einem Zeugnis für das Gesetz als mit einem Machterweis seiner Gottheit (non tam testimonio legis, quam divinitatis suae respondit imperio 6,102f). Diese Antwort Jesu laute, dass der Satan den Herrn anbeten solle, den eben der veblendete Deserteur (desertor) zur Anbetung aufforderte (6,104-108).

5.3 Vergleich mit Leos Auslegung Übereinstimmungen mit der Auslegung Leos Dass Christus den Gläubigen die göttliche Gnadenhilfe zukommen lasse (auxilium; hier: praesidium), wird bei ihm besonders deutlich ausformuliert: Obwohl nur Christus allein im Kampf mit dem Satan siegen könne (quamvis solus possit obtinere victoriam 2,26), lasse Christus den Menschen in ihrer Angst den göttlichen Beistand zukommen (propter nos tamen et nostram formidinem adesse tota iussit praesidia de supernis 2,26f).1250 Der Sieg Jesu erfolge aufgrund der göttlichen Weisheit, die in der Struktur der Selbsterniedrigung, der Inkarnation und des Abstiegs in das Reich der Toten begründet ist.1251 Petrus führt diesen Gedanken besonders bei der zweiten Versuchung (Sturz von der Tempelzinne) ins Treffen.1252 Schwerpunkte von Petrus Chrysologus Während Leo gemäß Mt 4,2 davon ausgeht, dass die drei Versuchungen erst nach den 40 Tagen stattfinden, als der Satan den Hunger bemerkte, setzt Petrus die Versuchung bereits zu dem Zeitpunkt an, als Christus das Fasten begonnen hatte.1253 Dabei könnte es sich um eine Projektion der gegenwärtigen Observanz

40 Tage ableiten: vgl. serm. 24,3 (CChr.SL 24 83,38f): Ubi enim dominus Quadragesimae ieiunium indefesso illo virtutis suae adgressus est documento. 1250 Vgl. serm. 13,1 (CChr.SL 24 82,8): residente Christo, adstantibus angelis; 13,1 (CChr. SL 24 82,8): Christo remunerante; 13,1 (CChr.SL 24 82,14f): expectante deo, caelesti resonante iam tuba, angelico insistente discursu. 1251 Vgl. Leo, tract. 42,3 (CChr.SL 138A 244,121-126α). 1252 Vgl. serm. 13,5 (CChr.SL 24 85,88-91): non de pinna templi tantum se dedit ad terram, sed e caelis se ad inferos usque iactavit, ut non cadentium forma, sed esset resurrectio mortuorum. 1253 Anders als in serm. 11, wo die Versuchung auch erst nach den 40 Tagen stattfindet: vgl. serm. 11,5 (CChr.SL 24,74,64-73).

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

der Quadragesima handeln. Es kann nämlich als locus communis unter den frühkirchlichen Autoren gelten, dass die Versuchungen nicht nur nach den (symbolischen) 40 Tagen in der Passionszeit, sondern bereits in der Vorbereitungszeit der Quadragesima zu erwarten sind. Vielleicht folgte Petrus dabei schlicht dem Erzählhergang von Mk 1,13.1254 Petrus Chrysologus lässt in der Auslegung aller drei Versuchungen erkennen, dass der Satan bereits über den Kenntnisstand verfügen hätte können, dass er keinen Menschen, sondern den Sohn Gottes vor sich habe.1255 1254 Vgl. Mk 1,13: Et erat in deserto quadraginta diebus et tentabatur a Satana. Lukas spricht allgemein von Versuchungen während der 40 Tage, setzt die drei ausgeführten aber nach dem Ende der 40 Tage an: vgl. Lk 4,1f: agebatur in Spiritu in deserto diebus quadraginta et tentabatur a Diabolo.…et, consummatis illis, esuriit. 1255 Offen bleibt dabei, was der Satan gemäß Petrus unter Gottes Sohn verstanden haben sollte. Wahrscheinlich ist, dass hier mit „Gottes Sohn“ nicht die Erkenntnis über das wahre Zueinander der beiden Naturen gemeint ist, sondern schlicht die Gottheit Jesu: vgl. serm. 13,4 (CChr.SL 24 83,45-47): Audistis quid de ieiuniis ipse sentiat et iudicet inimicus. Si filius dei es. Videtis quia iam non hominis, sed dei filium credit. Ambrosius lässt an dieser Unterscheidung keinen Zweifel, da der Satan getäuscht wird, sodass er nicht glaubt, dass Gottes Sohn Fleisch angenommen habe: vgl. in Luc. 4,10 (CChr.SL 14 109,133-137). Nach der Logik des Petrus zählt auch das Argument, dass der Täufer zwar ebenfalls fastete, aber mit keiner durch „Wenn du Gottes Sohn bist“ eingeleiteten Versuchung konfrontiert wurde: vgl. serm. 13,4 (CChr.SL 24 83,49-84,54). Petrus lässt in den beiden ss. 11 und 12 schließlich auch erkennen, dass der Satan immer nur je eine der Naturen wahrnimmt: In serm. 11 charakterisiert er den Versucher als explorator der Identität Jesu und erkennt zunächst im Fasten die göttliche und dann im Hunger die menschliche Natur, ohne beide Naturen explizit als Gottes Sohn zu erkennen: vgl. serm. 11,4 (CChr.SL 24 74,70-73). In serm. 12 bleibt er nicht bei der Erläuterung der bekenntnisähnlichen Einleitung „Wenn du Gottes Sohn bist“, sondern legt dar, dass der Satan kein die Gottheit bestätigendes Wunder sehen, sondern durch das Aussprechen der Versuchung das Fasten Jesu beenden wollte, damit seine menschliche Natur zum Vorschein komme: vgl. serm. 12,5 (CChr.SL 24 80,74-76): Sic dicendo diabolus hominem vult monstrare, non deum; non cibum parare vult, sed vult amputare ieiunium. Hilarius deutet darauf hin, dass die Formulierung nach beiden Seiten hin ausgerichtet ist: einerseits auf die menschliche Natur, da Jesus hungerte, andererseits auf die göttliche, da er 40 Tage gefastet hatte: vgl. in Matth. 3,2 (SC 254 114,1113A): Anceps sermo est si filius Dei es. Licet esurientem videret, quadraginta tamen dierum in eo ieiunium pertimescebat. Ambrosius erklärt, dass der Satan mit dieser Formulierung zeigte, dass er zwar wusste, dass der Sohn Gottes kommen werde, aber nicht wie, sodass er nicht an an die Menschwerdung glaubte. Der Satan habe also (unbeholfener Weise) seinen Glauben bekannt und zugleich versuche er den

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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Christus habe seine Gottheit sogar offen in Form der vollmächtigen Antworten bekannt.1256 Menschen zu verhöhnen: vgl. in Luc. 4,18 (CChr.SL 14 112,235-239): Sed quid sibi vult talis sermonis exorsus: si filius dei es, nisi quia cognoverat dei filium esse venturum? Sed venisse per hanc infirmitatem corporis non putabat. Aliud explorantis, aliud temtantis est et deo se profitetur credere et homini conatur inludere. Für Johannes Chrysostomus ist die Einleitung „Wenn du Gottes Sohn bist“ einerseits eine durch Halbwissen begründete Schmeichelei, die über seinen eigentlichen Angriffspunkt, den aus seiner Sicht für Gott schändlichen Hunger, hinwegtäuschen sollte. Andererseits wollte der Satan Jesus bezüglich seines Gottvertrauens im Sinne von Gen 3,5 erschüttern, da Gott seine Geschöpf getäuscht und ihn umsonst seinen Sohn genannt habe: vgl. in Matth. hom. 13,2 (ΕΠΕ 36 412,21-27). 1256 Vgl. serm. 13,5 (CChr.SL 24 85,86): ita responsione sua dominus se revelat. Jesu Antwort auf die dritte Versuchung sei sogar eher als göttlicher Befehl zu werten als ein Gesetzesbeweis: vgl. serm. 13,6 (CChr.SL 24 85,102f): non tam testimonio legis, quam divinitatis suae respondit imperio. Diese Formulierung erinnert an Leos Betonung der (menschlichen) Antworten Jesu als Gesetzesbeweis: vgl. tract. 39,3 (CChr.SL 138A 215,72-78): testimoniis legis, non potestate virtutis. Auch Irenäus unterstreicht den Sieg durch die Worte der Schrift, den damit verbundenen Hinweis auf die menschliche Natur nennt er jedoch nicht, sondern zeigt darin vielmehr das Wirken beider Naturen an, indem er Christus auch dabei die Hilfe des Vaters in Anspruch nehmen lässt: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,11-13): Et propter hoc non aliunde eum destruxit, nisi ex dictionibus legis, [et] Patris praecepto adiutore usus. Der Ausspruch Jesu, mit dem er den Satan durch „Der Mensch lebt nicht nur…“ über seine Gottheit täuschte und entwaffnete, sei sogar der des Vaters: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,25-27): Ad illud quidem quod ait „Si filius dei es“, tacuit; excaecavit autem eum hominis confessione, et per paternam dictionem primum eius impetum evacuavit. Hilarius formuliert Gottes Wirken in der gesamten Zeit in der Wüste: vgl. in Matth. 4,1 (SC 254 112,3-5B): quadraginta dierum ieiunium et post ieiunium fames et Satanae temptatio et responsio Domini magni caelestisque consilii effectibus plena sunt. Die einzelnen Reaktionen Jesu dienen der Unterweisung und zeugen daher von Jesu menschlichem und göttlichem Wirken: vgl. in Matth. 4,3 (SC 254 116,14fC); 4,4 (SC 254 116,20-22B); 4,5 (SC 254 118,19-23A). Ambrosius unterscheidet bereits feiner und im Sinne von Leo: Christus wandte keine göttliche Macht an, sondern ernährte sich vom Wort Gottes bzw. von der Schriftlektüre, dem himmlischen Brot: vgl. in Luc. 4,20 (CChr.SL 14 113,250-258): Non enim quasi deus utitur potestate – quid enim mihi proderat? – Sed quasi homo commune sibi arcessit auxilium, ut divinae pabulo lectionis intentus famem corporis neglegat, alimentum verbi caelestis adquirat. Auch Moses habe nicht gehungert, genausowenig wie Elija. Denn das irdische Brot könne nicht begehren, wer das himmlische erhalte. Auch für Johannes Chrysostomus sind die Antworten Jesu nicht dazu geeignet, die göttliche Natur zu offenbaren, sondern ließen ihn wie einen gewöhnlichen Menschen

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Die dogmatischen Konzepte in der Auslegung des Petrus Der unermüdliche Beweis (documentum) der göttlichen Macht Jesu (virtus) ist für Petrus bereits ab dem Beginn des Fastens in der Wüste gegeben,1257 sodass auch der Hunger Jesu nicht als Argument für menschliche Natur verwendet wird, sondern als souveräner Akt Christi.1258 erscheinen, damit der Satan getäuscht und verwirrt werde: vgl. in Matth. hom. 13,3 (BKV 1 216): „Wenn die Faustkämpfer tödliche Wunden empfangen, dann taumeln sie blutüberströmt und vom Schwindel ergriffen im Kreise herum. So auch der Teufel; von dem ersten und zweiten Schlage betäubt, spricht er im Folgenden offen und ohne Umschweife und geht zum dritten Angriff vor“. 1257 Vgl. serm. 11,3 (CChr.SL 24 83,38f): Quadragesimae ieiunium indefesso illo virtutis suae adgressus est documento. 1258 In serm. 11 macht Petrus deutlich, dass Christus als Gott keinen tatsächlichen Hunger verspürte, und den ‒ wohl nur scheinbar menschlichen ‒ Hunger später zuließ, damit der Satan einen Angriffspunkt finde: vgl. serm. 11,5 (CChr.SL 24,74,64-70): Hoc non est infirmitatis signum, sed est insigne virtutis; quia cum dicit: postea esuriit, quadraginta diebus et quadraginta noctibus probat in illo esuriem non fuisse. Esuriem sentire et vincere est laboris humani, divinae virtutis est esuriem non habere. Ergo Christus non ieiunio lassescit, non esurit fame, sed esurivit Christus, ut temptandi materiam diabolus inveniret. Aus Sicht des Satans handle es sich aber um einen tatsächlichen Hunger: vgl. serm. 11,4 (CChr.SL 24 74,72f): tunc eum putavit posse temptari, quando esurire eum callidus explorator inspexit. Letztlich sei dieser Hunger jedoch auf das Heil der Menschen ausgerichtet: vgl. serm. 11,7 (CChr.SL 24 75,99f): Audi patris verbum verba salutis nostrae esurire, non panem. Mit Leo stimmt er nur darin überein, dass Christus den Hunger (infolge der Inkarnation) zugelassen und dass er Satan dadurch seine Chance erkannt habe: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,54f): in se recepisset esuriem, gavisus diabolus signum se in eo passibilis atque mortalis invenisse naturae. Dass Christus dem Satan durch seinen Hunger einen Anreiz für den Angriff bieten wollte, findet sich bereits bei Hilarius (vgl. in Matth. 3,2 [SC 254 114,7-9A]) und Ambrosius (vgl. in Luc. 4,16 [CChr.SL 14 112,217-220]), ebenso bei Irenäus, der aber zugleich betont, dass der Sinn des Hungers in der Offenbarung der wahren menschlichen Natur besteht: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,17f). Mit dem der Gottheit zuzuschreibenden, vierzigtägigen Fasten und dem bewussten Zulassen des Scheinhungers nach den 40 Tagen nimmt Petrus (sowie Maximus) eine andere Deutung vor als Leo. Während auch Maximus aus der Perspektive der göttlichen Natur davon ausgeht, dass Christus den Hunger Post multa ieiunia (serm. 51,1 [CChr.SL 23 206,15]) vorgetäuscht habe, wird die vierzigtägige Fastenzeit und der Ausschluss jeder concupiscentia bei Leo nicht der göttlichen Natur (allein) zugeschrieben, sondern der humilitas: vgl. tract. 41,2 (CChr.SL 138A 234,47-49). Der Hunger Jesu ist für Leo ein deutlicher Beweis für seine menschliche Natur und erst der Dienst der Engel der endgültige Beleg seiner Gottheit.

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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Zudem mache selbst der Satan mit seiner Formulierung „Wenn du Gottes Sohn bist“ die Gottheit Jesu offenbar1259 und bekenne sie sogar (iam non hominis, sed dei filium credit: „Er hält ihn nicht mehr für den Sohn eines Menschen, sondern für den Sohn Gottes“ 4,47).1260 Diese Tendenz setzt sich in der zweiten Versuchung fort, in der sich der Satan durch seine Aufforderung zum Sturz von der Tempelzinne als gottlos verrate,1261 da er nach der Erkenntnis von Jesu Gottheit diesen zum Aufstieg in den Himmel hätte auffordern müssen.1262 Jesus wiederum offenbart seine Gottheit durch die Antwort (ita responsione sua dominus se revelat1263 5,86), dass der Satan seinen Gott nicht versuchen sollte ‒ und zwar ganz bewusst.1264 1259 Vgl. serm. 13,4 (CChr.SL 24 83,45f): Audistis quid de ieiuniis ipse sentiat et iudicet inimicus. Dass der Satan um die Gottessohnschaft Jesu wusste, davon geht auch die gegenwärtige Exegese aus (vgl. Luz, EKK I/1, 225), doch wird diese Erkenntnis des Satans für Petrus nicht das Wissen um die beiden Naturen impliziert haben. 1260 Vgl. serm. 13,4 (CChr.SL 24 83,47): Videtis quia iam non hominis, sed dei filium credit. 1261 Vgl. serm. 13,5 (CChr.SL 24 85,80): Consiliis suis se diabolus prodit. Irenäus spricht von der Überführung bzw. Aufdeckung und Zerstörung des Satans durch Christus: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,13f): Patris praecepto adiutore usus ad destructionem et traductionem apostatae angeli. Diese Entkleidung der scheinbar verhüllten Identität des Satans findet endgültig durch die einzelnen Reaktion Jesu auf Versuchungen statt: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 166,20-22): Et bis iam victus erat de Scriptura diabolus…et secundum sententiam suam Dei hostis ostensus; 5,21,2 (FC 8/5 168,1-5): „Vade“, inquit, „Satana“…denudans eum per hoc nomen. 1262 Vgl. serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,76-78): Convenientius dixerat: Si filius dei es, ascende ad caelum, cum sit hominis utique ad ima cadere, dei sit ad superna conscendere. Bei Ambrosius findet sich ein ähnlicher Gedankengang: vgl. in Luc. 4,22f (CChr. SL 14 113,268-114,274): Der Kern der zweiten Versuchung, die Prahlerei, sei so beschaffen, dass hinabstürzt, wer allzu weit hinaufgestiegen zu sein glaubt. Die Aufforderung des Satans, sich hinabzustürzen, verrate sein Wesen, das den Absturz des Menschen betreibe. Irenäus stellt die humilitas Christi der elatio („Hebung“; „Stolz“) der Schlange (wie einst im Paradies) gegenüber: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 166,1820). 1263 Irenäus lässt anders als Petrus die Identität des Satans aufdecken. Beide stimmen aber darüber überein, dass Christus seine Identität zu erkennen gab: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 168,1-5): „Vade“, inquit, „Satana; Dominum Deum tuum adorabis et illi soli servies“, denudans eum per hoc nomne et se ostendens qui erat: Satana enim verbum hebraice apostatam significat. Schon die zweite Versuchung machte offenbar (aber nicht hinreichend für den Satan), dass Gott im Menschen Jesus nicht vesucht werden dürfe: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 166,16-18): quantum autem ad illum [sc. Iesum], quoniam in eo homine qui videbatur non temptaret Dominum Deum suum. 1264 Vgl. serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,87f): Se utique dominum, se utique deum intellegi voluit haec dicendo.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

In der dritten Versuchung macht Petrus deutlich, dass das Versprechen für den Satan nicht nur unerfüllbar, sondern angesichts der über alles herrschenden Gottheit Jesu auch sinnlos sei, da er Gott anbiete, was Gott bereits gehöre.1265 Dogmatisch unreflektiert ist dabei wohl die Titulierung Jesu als auctor („Urheber“, „Schöpfer“ 6,99f),1266 die Petrus neben deus („Gott“ 6,99), adorandus („Anzubetender“ 6,100f) und iudex („Richter“ 6,101) verwendet. Auf dieses nichtige Ansinnen des Satans abgestimmt, erfolgt die Antwort Jesu nicht so sehr in Form eines (schriftgemäßen) Gesetzesbeweises, sondern als göttlicher Befehl, Gott allein, also Jesus, anzubeten (non tam testimonio legis, quam divinitatis suae respondit imperio 6,102f).1267 Die dem Predigtgenus gemäße, fehlende Systematik in der Darlegung der Christologie lässt vor allem erkennen, dass es Petrus um die Erkenntnis der Gottheit Jesu ging und in Zeiten des quadragesimalen Ausgesetztseins der Gläubigen besonders um das Bekenntnis zum Sohn Gottes und nicht zum Sohn eines Menschen. Die Verwendung der Bibel bei der Auslegung von Mt 4,1-10 Petrus nimmt die Versuchungsperikope häufig auf und zitiert im Vergleich mit den anderen drei Autoren die längsten Passagen, sodass von Mt 4,3-10 jeder Vers zumindest teilweise zu finden ist: Zur Gänze finden sich die drei Versuchungen des Satans und die Antworten Jesu.1268 Charakteristisch für Petrus sind die häufigen, wörtlichen Aufnahmen von Satzteilen des Versuchers (Si filius dei es; Mitte

1265 Vgl. serm. 13,6 (CChr.SL 24 85,99-101): Offert quae dei sunt, deo, auctori quae auctori sunt repromittit; suadet ut adoret ab omnibus adorandus. 1266 Leo bezeichnet Christus als Omnipotens und als Creator: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,58). 1267 Diese Deutung der Besinnung auf die wahre Anbetung findet sich bei Irenäus, indem er die falsche Etymologie „Abtrünniger“ (apostata) auf „Satan“ bezieht: vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 168,1-5):…Satana enim verbum hebraice apostatam significat. Aber bereits bei Irenäus findet sich diese Deutung: vgl. Dial. Tryph. 103,5f (PTS 47 248,38-41). 1268 Ausgenommen die einleitenden Bezüge zur Schrift, wie Scriptum est und des Satans Psalmzitat bei der zweiten Versuchung (vgl. Mt 4,6): vgl. Mt 4,3, in: serm. 13,4 (CChr. SL 24 83,43; 84,56f; 61; 63f): Si filius dei es, dic ut lapides isti panes fiant; Mt 4,4, in: serm. 13,4 (CChr.SL 24 84,43): Non in solo pane vivit homo, sed in omni verbo dei; Mt 4,6, in: serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,75): Si filius dei es, mitte te deorsum; Mt 4,7, in: serm. 13,5 (CChr.SL 24 85,86f): Non temptabis dominum deum tuum; Mt 4,9, in: serm. 13,6 (CChr.SL 24 85,96f): Haec omnia tibi dabo, si procidens adoraveris me; Mt 4,10, in: serm. 13,6 (CChr.SL 24 85,104): Dominum deum tuum adorabis.

Die Auslegung des Petrus Chrysologus

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te deorsum; Haec omnia tibi dabo).1269 Außerdem werden die Überleitungen zur zweiten und dritten Versuchung teilweise zitiert.1270 Im Vergleich zu dieser Neigung, wörtlich zu zitieren, greift er bei der Auslegung von Mt 4,3-10 nur sehr spärlich auf andere Schriftstellen zurück.1271 Die Interpretation dieser Bibelstellen führt zur Profilierung der Gottheit Jesu. Einerseits habe der Satan die Gottheit Jesu bereits erahnt, wie aus der Anrede „Wenn du Gottes Sohn bist“ zu erkennen sei, andererseits habe Christus seine Gottheit zu erkennen geben wollen, indem er auf sich als das Brot verwies und die Befehle aussprach, ihn, Gott, nicht zu versuchen und ihn anzubeten.

5.4 Zusammenfassung Der serm. 13 von Petrus Chrysologus war für den ersten Sonntag der Quadragesima bestimmt und bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf das zuvor verlesene Evangelium Mt 4,1-10/11. Dass auch die Epistel 2 Kor 6,1-10 gelesen wurde, ist zumindest nicht auszuschließen. Die Charakterisierung von Jesu Verhalten in der Versuchung als modellhaft und vorbildlich ist traditionell. Dahingegen betont Petrus das mystisch-sakramentale Gepräge der Quadragesima und die liturgische Aktualisierung der Versuchung Jesu stärker als Augustinus und Maximus, indem er die Aufnahme des erfolgversprechenden Kampfes der Christen gegen die Versuchungen der Initiative Christi anheimstellt und die besondere, göttliche Gnadenhilfe als Merkmal dieser Gnadenzeit hervorhebt. Die Parallelen zum Quadragesima-Verständnis 1269 Vgl. Mt 4,3, in: serm. 13,4 (CChr.SL 24 83,44; 84,53f; 55): Si filius dei es; Mt 4,6, in: serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,76): Si filius dei es; Mt 4,6, in: serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,75; 85,81; 83f): Mitte te deorsum; Mt 4,9, in: serm. 13,6 (CChr.SL 24 85,99): Haec omnia tibi dabo. Die zweite Versuchung wird außerdem weitere zweimal ganz aufgenommen: vgl. Mt 4,6, in: serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,78; 85,80f): Si filius dei es, mitte te deorsum. 1270 Mt 4,5f, in: serm. 13,5 (CChr.SL 24 84,74f): statuit dominum super pinnam templi, et ait; Mt 4,8f, in: serm. 13,6 (CChr.SL 24 85,94-96): Posuit eum super montem excelsum, et ostendit ei omnia regna mundi et gloriam eorum, et ait illi. 1271 Mt 17,21 nimmt Petrus teilweise auf, um die Wirkung von Fasten und Gebet auf den Satan zu belegen: vgl. serm. 13,3 (CChr.SL 24 83,43): non eicitur nisi in ieiunio et oratione. Diese Stelle verknüpfte bereits Tertullian mit dem Fasten Jesu: vgl. ieiun. 8,2 (CChr.SL 2 1265,30-3). Mit Joh 6,58 bezeichnet Petrus im Rahmen der ersten Versuchuung Christus als Brot vom Himmel: vgl. serm. 13,4 (CChr.SL 24 84,67f): panis qui de caelo descendit. Mit Mt 3,9 verweist er auf die Fähigkeit Christi, Kinder Abrahams aus Steinen machen zu können: vgl. serm. 13,4 (CChr.SL 24 84,71): de lapidibus Abrahae filios.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Leos liegen auf der Hand und gehen wohl mit der paradigmatischen Verlesung der Versuchungsgeschichte bei der Eröffnung der Quadragesima einher.

6 Schlussfolgerungen 6.1 Liturgiehistorische Schlussfolgerungen 6.1.1  Die Schriftlesungen am ersten Sonntag der Quadragesima Im Vergleich der drei Prediger mit Leo konnte nur bei Petrus Chrysologus gezeigt werden, dass Mt 4,1-10/11 als Evangelium für den ersten Sonntag der Quadragesima bezeugt ist; es wäre sogar möglich, dass 2 Kor 6* (1-10?) als Epistel-Lesung vorgesehen war. Bei Maximus fehlen perikopenklärende Indizien, sodass auch in serm. 51, der für den dritten Sonntag der Quadragesima bestimmt war, die wörtlichen und inhaltlichen Anspielungen an Mt 4,3f aufgrund der paradigmatischen Bedeutung der Versuchungsperikope für die Quadragesima nicht überzeugend sind. In den Predigten des Augustinus, die am ersten Sonntag der Quadragesima gehalten wurden, wie serm. 208, kann die Evangeliumslesung Mt 4* praktisch ausgeschlossen werden, da die Indizien die lukanische Feldrede (Lk 6,37f) favorisieren. Dahingegen setzt en. Ps. 60, die wohl für einen quadragesimalen Kontext bestimmt war, die liturgische Lesung der Versuchungsgeschichte voraus.

6.1.2  Die Aktualisierung des vierzigtägigen Fastens Bei der Einbettung der Deutung der Versuchungsperikope in die Auslegungsgeschichte frühchristlicher Autoren konnte die Entwicklung der Hermeneutik festgestellt werden, die der liturgiehistorischen Entwicklung der Quadragesima zugrunde liegt: Das vierzigtägige Fasten wurde zunächst dogmatisch-soteriologisch erschlossen. Ab dem 4. Jh. löste die Versuchungsperikope zusätzlich die alttestamentlichen Typoi als Erklärungsmuster für die liturgische Invention der Quadragesima, als den symbolischen Zeitraum von 40 Tagen, ab. Schließlich kamen im 5. Jh. die symbolischen 40 Tage noch stärker als liturgischer und mystisch-sakramentaler Zeitraum in den Blick. Das vierzigtägige Fasten Jesu aus dogmatisch-soteriologischer Sicht Während manche Autoren das vierzigtägige Fasten Christi dessen göttlicher Kraft zuschrieben (Irenäus [?]‌, Fortunatian, Hilarius, Ambrosius, Petrus Chrysologus), sahen andere darin einen Hinweis auf die tugendhaft, menschliche

Schlussfolgerungen

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Enthaltsamkeit Jesu (Augustinus, Leo, Johannes Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Cyrus). Gerade jene Autoren, die bei der menschlichen Tugend Jesu ansetzen, suchen auch der göttlichen Natur gerecht zu werden.1272 Gab es bei der Auslegung der Versuchungsgeschichte bei Irenäus bereits die wesentlichen Ansätze der Zwei-Naturen-Lehre1273 (vierzigtägiges Fasten als subtiler Hinweis auf die Gottheit, der Hunger Jesu als Hinweis auf die menschliche Natur), so wurde das ebenfalls bei Irenäus bezeugte Motiv, das Jesus als Täuscher über seine Identität charakterisiert, im gnostischen Umfeld (Acta Thomae) und schließlich im alexandrinischen (z. B. bei Klemens) weiterentwickelt, sodass auch der Hunger Jesu ein Scheinhunger sein musste. Während einige Autoren des Ostens (Johannes Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Cyrus) und des Westens (Fortunatian, Hieronymus, Augustinus, Leo) bei ihrer Deutung beide Naturen berücksichtigen und auch von einem tatsächlichen Hunger Jesu ausgehen, interpretieren auch einige westliche Bischöfe Jesu Versuchung aus der Perspektive einer hohen Christologie. Die symbolischen 40 Tage in der Liturgie ab dem 4. Jh. Das oben angedeutete, soteriologische Verständnis der Christologie ist bereits im Neuen Testament grundgelegt und ist bei den frühchristlichen Autoren allgemein anzutreffen, nicht jedoch in Bezug auf die 40 Tage als mimetisch-bildhafter Vollzug. Ein solcher ist erst mit der Innovation der Quadragesima ab dem 4. Jh. festzustellen, zunächst aber auf Basis von alttestamentlichen Typoi und noch nicht in Verbindung mit der Versuchungsperikope. Diese inhaltliche Füllung der symbolischen 40 Tage der Quadragesima mit dem Fasten Christi konnte bei den im Vergleich herangezogenen, lateinischen Predigern Augustinus, Maximus,

1272 Auch Leo schließt auf subtile Weise die Bedeutung der göttlichen Natur für die vierzigtägige Enthaltsamkeit mit ein, indem er darauf hinweist, dass der Satan nach den 40 Tagen und dem Ausschluss jeder concupiscentia erschrickt (Maximus und Hilarius schreiben von einer Beunruhigung). Im Laufe der Konfrontation mit dem Eutychianismus legt Leo den Schwerpunkt stärker auf die (von Gottes auxilium gestützte) menschliche Tugend Jesu. 1273 Bereits Irenäus musste sich im 2.  Jh. von zwei entgegengesetzten Auffassungen abgrenzen: (1) von einem sektiererischen Judenchristentum, das Christus für einen bloßen Menschen hielt und (2) von einer dualistischen Gnosis sowie von Markion, bei denen die menschliche Natur Jesu verlorenging. Das bei Irenäus erstmals formulierte Tauschmotiv (Gott wurde Mensch, um uns zu dem zu machen, was er ist) durchzieht die gesamte altkirchliche Erlösungslehre (vgl. Kessler, Christologie, in: Handbuch der Dogmatik 1, 329).

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Petrus Chrysologus und Leo festgestellt werden. Bei Augustinus und Maximus ist aber von einem früheren Entwicklungsstadium auszugehen. Sie betonen zwar das nachzuahmende Modell Christi und die mystische Verbundenheit von Christus und den Christen in den Versuchungen, doch fehlt bei ihnen noch ein mystischsakramentales Verständnis der 40 Tage, das die Aufmerksamkeit auf die Zeit der Gnade lenkt. Die symbolischen 40 Tage als liturgischer und mystisch-sakramentaler Zeitraum Bei den lateinischen Predigern ist das einer gottesdienstlichen Versammlung kommuniziertes Verständnis der Quadragesima als mystisch-sakramentale Gnadenzeit erst bei Petrus Chrysologus und Leo dem Großen greifbar.1274 In den liturgisch begangenen (symbolischen) 40 Tagen verdichtet sich der doppelte Beistand Jesu, der in der Gnade (Petrus:  praesidium; Leo:  auxilium, sacamentum etc.) und im nachzuahmenden Modell (Petrus: dominici ieiunii forma; Leo:  exemplum, forma etc.) besteht. Bezeichnend für diese Vertiefung des Verständnisses der Quadragesima als Nachfolge Christi ist die paradigmatische Verlesung der Versuchungsperikope zur Eröffnung dieser Fastenzeit.

6.2 Die Auslegung der drei Versuchungen 6.2.1  Der Satan als getäuschter Täuscher Der Satan selbst wird (bei Fortunatian, Maximus, Petrus Chrysologus und Leo) nicht nur als Täuscher bezüglich seiner Lockungen, das Gottvertrauen

1274 Ambrosius bezeichnet die 40 Tage des Aufenthaltes Jesu in der Wüste in seinem Lukaskommentar als „zum Mysterium gehörige Zahl“ (numerus mysticus) und faltet diesen Gedanken zunächst nicht im liturgischen Sinn geschweige denn in einem liturgischen Kontext aus, sondern spielt damit auf die Typoi im Alten Testament an. Doch gerade diese entfalte die Wüstenzeit als Bedingung für das Betreten des versprochenen Landes, christlich verstanden, der Auferstehung, sodass die 40 Tage des „zum Mysterium gehörigen Fastens“ (ieiunium mysticum), das Ambrosius für die Christen verbindlich darstellt, schließlich durchaus auch als Quadragesima zu verstehen ist, die dem PaschaFest vorausgeht. Ein sakramentales Verständnis der österlichen Fastenzeit ist bei ihm zumindest vorbereitet, da er die Heilswirksamkeit der Taufe, der Wüste und des Fastens (sacramentum, desertum, ieiunium) als Heilmittel für die Gläubigen charakterisiert. Ob Ambrosius dieses Verständnis auch in einem liturgischen Kontext vermittelte, ist mangels entsprechender Predigten nicht nachvollziehbar.

Schlussfolgerungen

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aufzugeben, und bezüglich seiner eigenen Person (bei Irenäus und Petrus) charakterisiert, sondern auch als Lügner, der seine Versprechen nicht hätte erfüllen können. Keiner der frühchristlichen Autoren geht aber davon aus, dass der Satan (vor der Versuchung1275) um Jesu Gottessohnschaft im Sinne der Zwei-Naturen-Lehre wirklich Bescheid wusste.1276 Sie konnten sich den Sinn der Versuchungen nur als Untersuchung der wahren Identität Jesu erklären. Die Spannung, die sich dabei gegenüber dem Tenor des Neuen Testaments ergibt, dass die Dämonen Jesus stets erkannten, fiel dabei nicht ins Gewicht. Als die Bischöfe den ‒ ihrer Ansicht nach ‒ wahren Glauben gegenüber Irrlehren abgrenzten, wurde wohl auch die (ebenfalls im Neuen Testament bezeugte1277) Identifizierung von Irrlehrern mit satanischen Kräften geläufiger. In der Auslegung der Versuchungsgeschichte bei Irenäus, Origenes,1278 Hilarius und Ambrosius wird der Satan bereits mit Häretikern identifiziert, sodass die Dämonisierung von Nestorianern, Eutychianern und Manichäern als Söhne und Schüler des Satans für Leo eine Selbstverständlichkeit ist.1279

1275 Einzig Hilarius resümiert, dass der in die Flucht geschlagene Satan erkannt habe, dass Gott im Menschen anzubeten sei: vgl. in Matth. 3,5 (SC 254 118,18A). 1276 Die Unterstellung, des Petrus Chrysologus, dass der Satan um die Gottessohnschaft Jesu aufgrund seiner Formulierung „Wenn du Gottes Sohn bist“ wusste, schien mir im Vergleich mit anderen Stellen des Petrus dadurch aufzulösen zu sein, dass „Gottes Sohn“ an dieser Stelle lediglich im Sinne der Gottheit Jesu zu verstehen ist und nicht im Sinne der Zweinaturenlehre. Siehe Die Auslegung des Petrus Chrysologus. Vergleich mit Leos Auslegung. 1277 Vgl. 2 Joh 7: Quoniam multi seductores („Verführer“[!]‌) prodierunt in mundum, qui non confitentur Iesum Christum venientem in carne; hic est seductor et antichristus; 1 Joh 2,18; 22; 4,3. Der Antichrist wird als Verbreiter falscher Lehren bezüglich der Christologie verstanden, jedoch nicht mit dem Teufel identifiziert (vgl. Müller, Art. Antichrist I., in: LThK3 [1993] 744), auch nicht in der patristischen Exegese. Denn dort wirkt der Antichrist als zukünftige, individuelle Gestalt lediglich mit der Kraft des Satans (vgl. Haeusler, Art. Antichrist II., in: LThK3 [1993] 746). 1278 Vgl. in Luc. hom. 29,4 (FC 4/2 300,20-302,5). 1279 Vgl. z. B. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 227,74α-82α).

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Eine (zumindest ex silentio abzuleitende) einhellige Auffassung gibt es auch darüber, dass Jesus den Satan bezüglich seiner wahren Identität täuschte (Irenäus, Origenes, Gregor von Nazianz, Ambrosius, Maximus und Leo). Eine subtile Variante dieser Position findet sich aber bei Maximus, der in der ersten Antwort Jesu zumindest einen Hinweis auf die Gottheit Jesu sieht. Fortunatian von Aquileia erkennt im vierzigtägigen Fasten eine bewusste Demonstration der Gottheit Jesu (die latent auch bei Irenäus angenommen werden kann), lässt Jesus diese aber nicht eindeutig an den Satan adressieren. Daher wirkt die mehrmalige, nachdrückliche Feststellung des Petrus Chrysologus, dass Christus seine Gottheit in den Versuchungen bewusst zu erkennen geben wollte, wie eine kreative Weiterentwicklung von bisherigen Ansätzen. Anders als bei der allgemein verbreiteten Annahme der prinzipiellen Täuschung des Satans bezüglich der wahren Identität Christi verhält es sich bei der Einordnung eines kleineren Details, nämlich des vorgetäuschten Hungers Jesu. Dieses Motiv entstammt einer hohen Christologie und findet sich aufgrund der allgemeinen Feststellung der irdischen Bedürfnislosigkeit Jesu indirekt bei Klemens von Alexandrien, ebenfalls implizit in den gnostischen Acta Thomae, und explizit formuliert bei Ambrosius, Maximus von Turin und Petrus Chrysologus.

6.2.2  Die Gegenüberstellung der Versuchungen von Adam und Christus Im Gefolge der paulinischen Adam-Christus-Typologie wird die Versuchungsgeschichte seit frühester Zeit dem Sündenfall Adams gegenübergestellt.1280 Die Taktiken des Satans werden in der Regel in beiden Fällen als ident beschrieben,

1280 Bei Ambrosius und Maximus ergibt sich eine inhaltliche Spannung zur Gegenüberstellung des enthaltsamen Christus und des essenden Adam, da eine solche Gegenüberstellung in der Regel (Irenäus, Fortunatian, Hilarius, Johannes Chrysostomus, Leo), stets mit der Annahme des tatsächlichen Hungers Jesu einhergeht.

Schlussfolgerungen

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sodass die Aufmerksamkeit noch deutlicher auf die erlösenden Reaktionen Christi fällt (vgl. dazu Irenäus1281, Hilarius1282, Ambrosius1283, Augustinus1284): Tab. 56: Gegenüberstellung Grundmotive der drei Versuchungen

Grundmotive der Reaktionen Jesu

(1) Die Verlockung der irdischen Speise, (1) Enthaltsamkeit, (2) Demut, (3) wahre (2) Stolz, wobei nur Hilarius und Ambrosius Anbetung. diesen mit der verbotenen Zuwendung zum entsprechenden Paradiesesbaum verbinden, (3) Die Aberkennung der anbetungswürdigen Macht Gottes. 1281 Irenäus: (1) Speise (esca), (2) Stolz (elatio) und die Aneignung der Wesenseigenschaft des Satans als ein von Gott Abtrünniger (apostata), die Irenäus (im Rückgriff auf Justin: vgl. Dial. Tryph. 103,5f [PTS 47 248,38-4]) fälschlich als Übersetzung des hebräischen Namens wiedergibt. Die Reaktion Jesu wird beschrieben durch (2) die Achtung des Gesetzes (per praeceptum legis) in Gestalt der Enthaltsamkeit, durch die Demut (humilitas) und im Sinne der wahren Anbetung wiederum durch die Achtung des Gesetzes (per praeceptum legis): vgl. adv. haer. 5,21,2 (FC 8/5 164,18-24); 5,21,2 (FC 8/5 168,7-9). 1282 Hilarius beschreibt die Versuchungen durch: (1) die Speise (cibus), durch den Ort der Sünde (peccati locus; i. e. der verbotene Baum) und durch die „eitle Anmaßung des Gottesnamens“ (divini nominis ambitio). Damit halte der Satan die Reihenfolge der früheren Täuschung Adams ein (ordo fraudis antiquae). Spannend ist dabei die Assoziation der zweiten Versuchung auf der Tempelzinne mit dem verbotenen Ort. Hilarius bezeichnet sie aber auch mit „Prahlsucht“ (iactantia). Die entsprechenden Reaktionen Jesu nennt Hilarius nicht explizit, sie können jedoch mit Enthaltsamkeit, Demut und der wahrer Anbetung wiedergegeben werden: vgl. die Zitate in Die Auslegung des Maximus von Turin. Vergleich mit Leos Auslegung. 1283 Ambrosius scheint der Vorgabe von Hilarius in seinem Lukaskommentar zu folgen, wenn er die drei Versuchungen Adams charakterisiert wie folgt: (1) Speise (cibus), Wankelmütigkeit (facilitas) und eitler Ehrgeiz (ambitio). Die facilitas bringt er gemäß der Darstellung des Hilarius mit der Inanspruchnahme des verbotenen Baumes in Verbindung. Diese drei seien bei Christus in folgender Form wieder zur Anwendung gekommen: (1) Esssucht (gula), Prahlerei (iactantia) und eitler Ehrgeiz (ambitio). Die Reaktionen Jesu bestehen in: (1) der Ernährung durch die „Nahrung der Schriftlektüre“ (divinae lectionis pabulum), (2) dem Ausschluss der Lockung des Fleisches (carnis inlecebra) sowie in der Übung im Fasten und (3) die Anerkennung von Gottes Macht (potestas). Als Heilmittel stehen den Gläubigen außerdem folgende drei Hilfen zur Verfügung: sacramentum („die Heilswirksamkeit [kraft der Taufe]“), desertum („Wüste“) und ieiunium („Fasten“): vgl. die Zitate in Die Auslegung des Maximus von Turin. Vergleich mit Leos Auslegung. 1284 Bei Augustinus findet sich zwar keine Parallelisierung der Versuchung von Adam und Christus, jedoch eine bedeutende Erläuterung der drei Versuchungen Jesu, die

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Auf eine abweichende Taktik des Satans weist Maximus hin: Die Aufforderung zur Verwandlung von Steinen in Brot sei eine Variation der im Garten Eden erprobten Versuchung durch eine Speise. Bei Leo werden die Antworten Jesu in den entsprechenden vier Predigten unterschiedlich charakterisiert. Zunächst zeugen seine Deutungen von bekannten Motiven: In tract. 39 und 40 ist im Wesentlichen von der siegreichen Reaktion Jesu die Rede, die sich nicht im Einsatz übermenschlicher Kraft (potestas virtutis) bzw. in der Macht (potentia) äußere, sondern in der Heilswirksamkeit der Niedrigkeit (humilitatis mysterium), ohne dass die erste Versuchung charakterisiert wird. Einzig das Wesen des satanischen Angriffs wird in tract. 40 mit Verschlagenheit (astutia) illustriert. In tract.41 beschreibt Leo den Versucher selbst durch den Hochmut (superbia) und den bei Jesus ausgeschlossenen Angriffspunkt während der 40 Tage (und nicht danach) durch die Begehrlichkeit des Fleisches (concupiscentia carnis). Gemäß der Deutung von tract. 42 werde das Verhalten Jesu während der 40 Tage durch die Enthaltsamkeit (continentia) ausgezeichnet, die Reaktionen Jesu aber durch die Demut und die Weisheit Gottes:  Die Demut Gottes, sich (im Sinne der recapitulatio des Irenäus) auf die menschliche Natur zu beschränken (iustitia veri hominis) und weder die Verwandlung noch den Flug durch die Lüfte durchzuführen, führt zum Triumph Christi in den ersten beiden Versuchungen. Bei der dritten Versuchung durch die Gier nach Beherrschung (dominandi cupiditas) siegt Christus durch die Weisheit Gottes über die Klugheit des Satans, der selbst stolz (superbus) genannt wird. Diese Weisheit besteht offenbar in der Ablehnung der irdischen Macht und der Anbetung des Satans. Von der traditionellen Charakterisierung des Verhaltens Jesu unterscheidet sich Leos Darstellung somit lediglich bezüglich der Enthaltsamkeit, die er nicht als Reaktion auf die erste Versuchung angibt, sondern als Verhaltensmerkmal während der 40 Tage und Nächte.

implizit auch an den Sündenfall (bzw. an sein Verständnis davon) erinnert: In De vera religione bezeichnet er sie als: Wollust (concupiscentia carnis), Augenlust (concupiscentia oculorum), hoffärtiges Leben (ambitio saeculi). Diese drei ordnet er folgenden Charakteren zu: Liebhaber niederer Lust, Neugierige, Stolze. Erst in der näheren Ausführung folgt er dann der lukanischen Abfolge und spricht von Gier nach Lust (cupiditas voluptatis), Stolz (superbia) und Neugier (curiositas). Demgemäß sollten die Gläubigen das wahre Brot anerkennen, sich nicht der Stolz (elatio) bzw. Prahlsucht (iactantia) hingeben und nicht durch die Gier der Augen nach Irdischem in ihrer Existenz zu Sturz kommen: vgl. die Zitate in Die Auslegung des Maximus von Turin. Vergleich mit Leos Auslegung.

Schlussfolgerungen

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6.2.3  Die Reaktionen Christi als Verhaltensmodell Durch die Gegenüberstellung der vergleichbaren Versuchungen von Adam und Christus wird bereits implizit angedeutet, dass es sich bei diesen (drei) um die Versuchungen des Menschen schlechthin handelt.1285 Doch erst Ambrosius und Augustinus setzen diese Schlussfolgerung ins Wort. Auch für Maximus, Petrus Chrysologus und Leo sind die Antworten und das Verhalten Christi modellhaft für die Christen und haben universale und von göttlicher Gnade sanktionierte Gültigkeit für das Bestehen jeglicher Versuchung.

6.2.4  Die Aktualisierung der Versuchungen in den untersuchten Predigten Die Perspektive der humilitas („Niedrigkeit“, „Demut“) auf die maiestas („Hoheit“, „Größe“) Gottes wird in der lateinischen Christologie der Ausgangspunkt für eine Unterscheidung der beiden Naturen Christi.1286 Augustinus und 1285 Leo legt den Akzent in tract. 42 nicht auf die Konsistenz der Taktiken des Satans bei Adam und Christus, sondern auf Gemeinsamkeit der menschlichen Natur beim vom Satan überwältigten Menschen und bei Christus. In der Aktualisierung stellt er der Versuchung des Menschen (humanum genus) durch Speise (per cibum) die gegenwärtige Bedrohung durch die irrigen Fastenvorschriften des Manichäismus (per ieiunium) gegenüber. 1286 Kein anderer Leitgedanke ist für Leos Blickwinkel auf die Zwei-Naturen-Lehre so prägend wie die humilitas Christi. Dieses Konzept ist aufs Engste mit der Inkarnationslehre verbunden, in der die Person Jesu gewissermaßen als Sakrament charakterisiert wird, an dem die Gläubigen Anteil nehmen sollen. Im Zusammenhang mit der Auslegung der Versuchungsperikope ist es bereits bei Irenäus zur Charakterisierung der Reaktion auf die zweite Versuchung zu finden, soweit implizit in der indigentia („Bedürftigkeit“) Jesu enthalten, die der duplex gustatio („doppeltes Kosten“) von Adam und Eva gegenübergestellt wird. Fortunatian von Aquileia sieht im Aufweis der „Gebrechlichkeit des Menschen“ (hominis fragilitas) den Sinn der Versuchung begründet (aber ebenso im Aufweis der Gottheit Jesu), Maximus stellt den Christus humilis wiederum dem Adam gloriosus gegenüber. Die Quadragesima-Predigten des Augustinus sind ganz vom Gedanken der humilitas beherrscht, sodass Leo dabei auf Augustinus zurückgreifen konnte. In dieser Linie betonte Leo den Sieg der (die göttliche Natur verhüllenden) menschlichen Natur (humilitatis mysterium), die sich in der Taufe (baptizati Iesu Domini humilitas) und in den gesetzesgemäßen Antworten Jesu (testimonia legis) zeigte, sodass die Gerechtigkeit eines wahren Menschen (iustitia veri hominis) offenbar wurde, die auch im tugendhaften Ertragen des tatsächlichen Hungers bestand: vgl. tract. 40,3 (CChr.SL 138A 226,66fα); 41,2 (CChr.SL 138A 234,47f); 39,3 (CChr.SL 138A 215,74f); 42,3 (CChr.SL 138A 243,116-244,117). Vgl. Iren., adv. haer. 5,21,1 (FC 8/5 162,14f): Neque enim iuste victus fuisset inimicus, nisi ex muliere homo esset qui vicit eum.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Maximus gehen bei der Deutung von Mt 4* nicht explizit auf christologische Fragestellungen ein. Beide legen den Schwerpunkt auf den soteriologischen Aspekt der Belehrung durch das Verhalten Christi und die mystischen Verbundenheit der Christen mit Christus. Während der Bischof von Hippo implizit stärker den Aspekt der humilitas Christi und die Ermöglichung der Nachfolge sowie die Offenheit für die Vereinigung mit Christus betont, stellt Maximus die maiestas Christi in den Vordergrund, die der humilitas seiner Hörer beisteht. Bei der Auslegung von Mt 4* des Petrus Chrysologus und Leo wurde deutlich, dass sie die Christologie explizit thematisieren. Der Bischof von Ravenna schließt dabei aus Formulierungen des Satans, dass er die göttliche Natur zwar bereits erkannte („Wenn du der Sohn Gottes bist“ Mt 4,3; 6), sie aber infolge seines Unverständnisses der göttlichen Logik nicht begreifen konnte. Das wird in der zweiten Versuchung deutlich, da er Christus zum Sturz von der Zinne aufforderte, der sich bereits in der Menschwerdung erniedrigt habe, sodass ihm vielmehr die Erhöhung gebühre. Des Satans Fehleinschätzung zeige sich aber auch durch das Angebot des irdischen Besitzes an den Schöpfer, dem bereits alles gehöre.

Wird Jesu Verwendung der Schrift bei Leo also als Hinweis auf dessen humilitas verstanden, so wurde diese Reaktion auf die Versuchungen bei frühchristlichen Autoren zunächst nicht im Sinne der beiden Naturen unterschieden. Spätestens seit Augustinus wird sie aber der humilitas zugeschrieben, bisweilen aber auch der maiestas Christi: Obgleich es bei Irenäus deutliche Hinweise der Differenzierung der Mensch- und Gottheit Jesu gibt, nahm er bei der Reaktionen Jesu auf die Versuchungen noch keine Unterscheidung vor und betrachtete Jesu „Aussprüche des Gesetzes“ (dictiones legis) als Worte des Vaters. Ähnlich verhält es sich bei Hilarius, der das ganze Geschehen in der Wüste und bei den Versuchungen unter das Vorzeichen die Wirksamkeit des großen, himmlischen Ratschlusses stellt (magni caelestisque consilii effectibus). Fortunatian, der sehr offen beide Naturen unterscheidet, spricht bei der dritten Versuchung von der Niederlage des Satans „kraft der Logik des Gesetzes“ (ex forma legis). Ambrosius unterscheidet zwar die Wirkung der „Macht“ (potestas) von der „Nahrung der göttlichen Lesung“ (divinae pabulum lectionis), scheint die gemeinsame Wirkung beider Naturen jedoch in den Vordergrund zu stellen. Maximus von Turin knüpft dabei an eine frühere Tradition (jedenfalls bei Ambrosius) an und bezeichnet Jesu Reaktion als „göttlichen Ausspruch“ (divinum eloquium). Ebenso verhält es sich bei Petrus Chrysologus, der die triumphale Antwort Jesu in der dritten Versuchung gerade nicht als ein dem menschlichen Bereich zuzuschreibendes „Schriftzeugnis“ (testimonium legis) charakterisieren möchte, sondern als einen göttlichen Befehl.

Schlussfolgerungen

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Christus hingegen habe seine göttliche Natur jeweils nach der zweiten und der dritten Versuchung ausdrücklich zu erkennen gegeben, da er selbst, der Herr und Gott, zu Satan gebieterisch offenlege:  „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen“ (Mt 4,7); „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten“ (Mt 4,10). Leo nimmt das traditionelle Exploratio-Motiv schließlich auf originelle Weise auf, indem die die Frage des Satans nach der wahren Identität Jesu nicht nur an bestimmten Details im Text festmacht, sondern die drei Versuchungen selbst in tract. 42 als Untersuchung der wahren Identität Jesu stilisiert. Damit bringt er die mit dieser Schriftstelle in der Regel verbundenen Hermeneutik der zwei Naturen so deutlich auf den Punkt bringt, wie niemand vor ihm. Die Formulierung der Gedanken des Satans über die Identität Jesu wird Leo zudem auf der Grundlage seiner in den Predigten häufig anzutreffenden Darstellung von dogmatischen Überzeugungen vorgenommen haben, die seiner Auffassung von den beiden Naturen Christi unter satanischer Eingebung zu widersprechen scheinen. Es wäre sogar möglich, dass er dabei an konkrete Irrlehren dachte, ohne diese beim Namen zu nennen. Ihrer Darstellung zufolge können sie dem (1) Modalismus, (2) Apollinarismus (und Eutychianismus) und (3) Nestorianismus (sowie Arianismus) zugeordnet werden. Auf diese Weise aktualisiert Leo die Versuchungen seiner Zeit nicht nur als die kontinuierlich wiederholte Taktik des Satans seit dem Sündenfall (vor allem als superbia), sondern auch als Herausforderung auf dem Gebiet der Rechtgläubigkeit. Diese Perspektive ist Leos gesamtem Predigt-Konzept geschuldet, das die „Orthodoxie“ in die Mitte seiner Bemühungen rückt. Letztlich steht die wahre Einhaltung der Quadragesima, im Sinne der Trias „Beten, Fasten und Almosen“, in ihrer vorbereitenden Wirkung auf die Ermöglichung der Annahme der Erlösung nur denen offen, die das wahre Gottesbild angenommen haben. Denn über diese metaphysische Erkenntnis Gottes wird Christus, die Barmherzigkeit Gottes, wirksam. So bilden nicht nur Jesu Modell (exemplum) und Heilswirksamkeit (sacramentum) ein christologisch geprägtes, sich innerlich durchdringendes, zentrales Begriffspaar, sondern auch die misericordia („Barmherzigkeit“) und die veritas („Wahrheit“).1287 Die Verkündigung der Wahrheit über die zwei Naturen Christi ist somit wie die konkrete Barmherzigkeit als Werk Christi zu verstehen.

1287 Leo entwickelt diese Gedanken besonders in tract. 45.

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

6.2.5  Inhaltliche Quellen für Leo bei der Auslegung von Mt 4,1-11 In der lateinischen Auslegungstradition der Versuchungsgeschichte finden sich immer wieder dieselben grundlegenden Motive wie bei den ins Lateinische übersetzten Ausführungen des Irenäus. Inwiefern er (oder Fortunatian von Aquileia1288) dabei eine sprachliche und inhaltliche Quelle für Leo darstellt, bedarf einer detaillierteren Untersuchung. Die bei Hilarius, Ambrosius (und Maximus) erkennbare zusammenhängende Linie könnte für Leo eine Quelle für die Darlegung der göttlichen Natur und die göttliche Wirksamkeit in der gesamten Versuchungsgeschichte überhaupt gewesen sein. Ambrosius speziell könnte auch bei der Deutung der Quadragesima als „Sakrament der 40 Tage“ eine Denkhilfe gewesen sein. Die Passion als logische Fortsetzung und Abschluss der Versuchung war für Leo auch bei Augustinus vorzufinden. Von ihm konnte Leo außerdem die entscheidenden Ansätze für sein Konzept der menschlichen Natur in Form der humilitas übernehmen:  Die Deutung des Almosens als Voraussetzung für ein wahres Fasten und als geistige Akte (Zügelung des Zorns, Vergebung) und schließlich das Motiv der ausreichenden Ermahnung durch die wiederkehrende Fastenzeit selbst. Von der inneren Verknüpfung von Psalm 91 und der Versuchungsgeschichte (auf die seit Irenäus hingewiesen wird), macht Leo allerdings keinen Gebrauch.

6.3 Bewertung von Leos Rückgriff auf verschiedene Auslegungstraditionen An Leos Ausführungen wird deutlich, dass er in allen inhaltlichen Ausführungen auf Traditionen zurückgreifen konnte. Die Ansätze für ein mystisch-sakramentales Verständnis sind bereits bei Ambrosius zu finden, die Überlegungen zur Christologie vor dem Hintergrund des Exploratio-Motivs (nach dem der Satan die wahre Identität Jesu zu erforschen versucht) ist als allgemein verbreitet einzustufen. Auch Leos Charakterisierung der Versuchungen als häretische Christologien kann im Wesentlichen bereits vor ihm angetroffen werden. Seit Irenäus wird der irreführende Schriftgebrauch des Satans nämlich mit der Praxis der Häretiker in Verbindung gebracht. Leos Innovation der direkten Erläuterung der Versuchungen als christologische Irrlehren (wobei keine Namen von Irrlehrern

1288 Fortunatian von Aquileia beschreibt als einziger lateinischer Autor explizit den Sinn der Versuchung darin, dass die menschliche Natur und die göttliche Natur Jesu offenbar werden sollen.

Schlussfolgerungen

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genannt werden) ist seinem allgemeinen und beinahe allgegenwärtigen Fokus geschuldet, die Zwei-Naturen-Lehre zu verdeutlichen. Das kerygmatische Anliegen der Doppelkonsubstantialität wird auch bei der vor Leo öfter anzutreffenden Deutung des Hungers Jesu und des Engelsdienstes (z. B. Hilarius und Ambrosius) deutlich. Mit diesen Schriftbelegen sollten irrige Überzeugungen widerlegt werden, besonders der Nestorianismus und der Apollinarismus (bzw. Eutychianismus), zumal Leo bisweilen alle häretischen Bedrohungen unter diese beiden Namen subsumiert. Als marginal innovativ kann Leos Färbung der traditionellen Parallelisierung der Versuchungen von Jesus und der Gläubigen genannt werden:  Der Satan suche die Gläubigen in Rom gegenwärtig nicht durch eine Speise zu verlocken, sondern durch die irrige Fastenpraxis der Manichäer. Die ausführliche Auslegungstradition der Adam-Christus-Analogie, wie sie bei Irenäus und den Kommentaren zu finden ist, nimmt Leo zwar in den Grundgedanken auf, jedoch sehr lakonisch. In diesem Bereich hätte Leo die soteriologische Bedeutung der wahren menschlichen Natur Jesu noch weiter ausschöpfen können, anders als Maximus, der als einziger unter den genannten Predigern stärker auf die Analogie zurückgreift, doch nur die Überlegenheit Jesu im Vergleich zu Adam demonstriert. Implizit ist der Sündenfall zwar durch die Hervorhebung des Fastens (ieiunium, continentia) oder die Problematisierung der Genusssucht (gula; vgl. tract. 39) im Verlauf der Predigt präsent. Leos Entscheidung gegen eine profundere und explizite Ausschöpfung des Adam-Christus Motivs könnte in seinem Konzept der Prägnanz und der schlichten Klarheit begründet liegen. Diese Annahme scheint jedenfalls auf die Charakterisierung der Grundversuchung des Menschen als Begierde des Fleisches (concupiscentia carnis), des dreifache Ansinnens des Versuchers als Hochmut (superbia) und von Jesu Verhalten als Demut (humilitas) zuzutreffen sowie auf die damit verbundene prinzipielle Gegenüberstellung der Klugheit (prudentia) des Satans und der Weisheit (sapientia) Gottes. Die Beschränkung auf eine allgemeine Deutung der Versuchungen bzw. auf die erste Versuchung wie in den Traktaten 39, 40 und 41 ist auch bei anderen Autoren bezeugt (Tertullian, Augustinus bzw. Maximus). Nur in tract. 42 fällt die Auslegung etwas differenzierter aus, sodass sie nicht nur die oben genannten Verweise auf die christologischen Irrlehren enthalten, sondern auch die traditionelle Charakterisierung der ersten und dritten Versuchung als Enthaltsamkeit (continentia) und als Begierde, über andere zu herrschen (dominandi cupiditas). Leos Auslegung der Versuchungsgeschichte, die größtenteils auf der Inanspruchnahme des sprachlichen und inhaltlichen Traditionsgutes beruht, erhält ihre spezifische Form aufgrund mehrerer Faktoren: (1) Durch den Ansatz der

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Der Vergleich der Auslegungen von Mt 4,1-1

Inkarnationstheologie mit dem Konzept der humilitas, (2)  durch die Berücksichtigung der aktuellen, dogmatischen Herausforderungen, (3) durch die Subsumierung von Häresien unter den Nestorianismus und Apollinarismus (bzw. Eutychianismus), die wohl durch seine Vorliebe für den antithetischen Parallelismus mitbegründet ist und der positiven Darstellung der Zwei-Naturen-Lehre gegenübersteht, (4)  durch die Prägnanz, die eventuell der Rücksicht auf seine Adressaten geschuldet ist und schließlich (5) durch den rhythmischen Stil.

V Zusammenfassung Ziel dieser Arbeit war die formale, sprachliche, inhaltliche und liturgiehistorische Untersuchung der Quadragesima-Predigten tract. 39-42, um folgende Fragen zu klären: Mit welcher sprachlichen Form und mit welchen Inhalten will Leo seine Adressaten prägen und an welches Publikum wendet er sich? Inwieweit kann Leos Stil in die Tradition des christlichen Lateins eingeordnet werden? Zeugt dieser Stil von einem bewussten Ansatz einer ästhetischen Theologie? Stimmen die rhetorischen Strukturen mit der Logik des Inhalts überein? Sind die Predigten ‒ wie traditionell angenommen ‒ auf den ersten Sonntag der Quadragesima zu datieren? Können 2 Kor 6,1-10 und Mt 4,1-11 als liturgische Lesungen der Quadragesima-Predigten nachgewiesen werden, wie bisher vorausgesetzt, und geben diese im Wesentlichen die Inhalte der Predigten vor? Wie wirkt sich Leos kerygmatisches Anliegen der Doppelkonsubstantialität und der liturgische Rahmen auf die lediglich in den Traktaten 39 ‒ 42 enthaltene, textbezogene Aktualisierung von Mt 4,1-11 im Vergleich zur lateinischen Auslegungstradition aus? Welche Rolle spielen die Quadragesima und speziell die Versuchungsperikope in Leos theologischer Deutung von Geschichte und schließlich in Leos Theologie der Erlösung? In einem ersten Schritt wurde gezeigt, dass Leos Predigtstil den ästhetischen Anforderungen seiner Zeit entspricht. Während Leos bevorzugte Stilmittel, Antithese, Homoioteleuton und Isokolon, generell als ein Darstellungsprinzip der Literatur und Philosophie gelten, sind die für Leo typischen, häufigen Verklausulierungen und pointierten, sentenzenhaften Formulierungen im Rahmen des zeitgenössischen Schreibstils zu verorten (Stil der Juristen, kaiserlicher und päpstlicher Kanzleistil). Ronconis These eines Verweises des wohlklingenden Rhythmus auf die Güte und Schönheit Gottes konnte nur insofern bestätigt werden, als Leo den hohen Stil nicht vom „wahren“ Inhalt trennt. Während er auf die sprachliche Harmonie und Schönheit nicht explizit Bezug nimmt, betrachtet er jedoch die Grenzen der menschlichen Ausdrucksfähigkeit als Chance und Anruf, den unbegrenzten Ausdruck Gottes wahrzunehmen, Jesus Christus. Nur Gott könne die durch die menschliche Sprache und das Verstehen vorgegebenen Grenzen der Verkündigung überschreiten und bei den Adressaten eine entsprechende Resonanz hervorrufen. Leo ist sich des Verweischarakters der Endlichkeit der menschlichen Sprache auf die Unendlichkeit Gottes bewusst, eine vom dogmatischen Inhalt

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Zusammenfassung

unabhängige Erfahrung des Göttlichen im Schönen anhand eines sprachlichen Kunstwerkes ist ihm ‒ wie auch anderen frühchristlichen Autoren ‒ aber fremd. Leos theologische Deutung von Sprache erläutert deren hohen Adel schließlich gerade durch die ihr eingeschriebene Offenheit für die Gestaltannahme des vom Schöpfer eröffneten Inhalts. Der rechte Gebrauch von Sprache und rhetorischen Stilmitteln stellt also die Voraussetzung für die Verkündigung dar, sodass nur die Entsprechung von verba und res die Wahrheit des Inhalts der Glaubensverkündigung verbürgt und zugleich die „mystagogische“ Initiative Gottes als Urgrund aller Ästhetik ermöglichen und erfahrbar machen kann. Auf diese theologisch begründete Überschreitung der Grenzen der Sprache wurde in der Darlegung der Einheit von Leos sakramentaler und exegetischer Sprache im liturgischen Kontext hingewiesen. Dabei wurden die liturgische Zeit selbst sowie die Schriftlesungen, insbesondere das Tagesevangelium, als Medien der heilsgeschichtlichen Vergegenwärtigung der Wirksamkeit Christi charakterisiert. Das Leben Jesu wird für die Adressaten nicht nur imaginär-visuell zugänglich, sondern auch als gnadenhaftes und effektives Lebensmodell erfahrbar, das die Nachfolge Christi im Alltag ermöglicht und befördert. In den dogmengeschichtlichen Vorbemerkungen wurde zunächst die Entwicklung von Leos Christologie als Geschichte der Abgrenzung von „Irrlehrern“ (besonders Nestorius und Eutyches) erläutert und der Zusammenhang von Christologie und Soteriologie angezeigt. Um Leos Überzeugung von der Kontinuität biblischer Heilsgeschichte als Verheißung, Erfüllung und Aktualisierung der Ankunft Jesu Christi in der Geschichte zu erläutern, folgten darauf grundsätzliche Bemerkungen zu Leos Soteriologie und zur moralischen Deutung der Krise des Römischen Reiches. Leos Soteriologie wurde in Beziehung zu dessen Predigten zum liturgischen Jahreskreis und zu dessen Verständnis der Schriftaktualisierung gesetzt. Während alle Feste des Jahres jeweils spezifische Facetten des Lebens Jesu für die Adressaten erfassbar und nachvollziehbar machen sollen, zeigen die vier Fastenzeiten (Pfingsten, September, Dezember, Quadragesima) die Notwendigkeit auf, die in der Liturgie zugesagte und erfahrene Erlösung lebenspraktisch einzuholen. Aufgrund der herausragenden Stellung der Feier des Pascha-Mysteriums übertrifft auch die Quadragesima die anderen Fastenzeiten an Bedeutung. Auf liturgischer und heilsgeschichtlicher Ebene dient sie der Vorbereitung auf eine würdige Feier des ganzen Heilsmysteriums. In Anbetracht der Betonung des asketischen Ideals in den Fastenzeiten wurde dessen Bedeutung in Leos gnadentheologischem Gedankengut dargestellt. Durch die Einordnung von Leos Predigten in die Bewegung des erstarkenden Fastenideals im 5.  Jh. wurde gezeigt, dass es dem Papst nicht um eine systematische

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Darlegung der Gnadenlehre ging, sondern um eine (auch bei Salvian oder Maximus von Turin anzutreffende) seelsorglich motivierte Deutung der Krise des römischen Reiches und um die Vermittlung einer praktisch umsetzbaren und für die Menschen des 5. Jh. glaubwürdigen und hoffnungsvollen Strategie diese Krise zu bewältigen. Leos gnadentheologische Orientierung an Augustinus wird an dessen Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus (besonders mit Julianus von Eclanum) deutlich. Wie Prosper von Aquitanien verteidigt auch Leo die Notwendigkeit der Gnade von Anfang an. Er ist ein entschiedener Gegner von „semi-pelagianischem“ Gedankengut (besonders des Johannes Cassian) und meidet andererseits auch die pessimistische Prädestinationslehre des Augustinus. Abschließend wurde festgehalten, dass Leo mit dieser Darstellung die Bedeutung der Doppelkonsubtantialität für seine Zeit erläuterte: An erster Stelle stehen stets die zuvorkommende Gnade und die mystische Verbundenheit der menschlichen Natur mit der göttlichen (sacramentum). Dann sei dieses durchaus auch moralisch zu verstehende Modell Christi (exemplum) von den Christen aber auch im Alltag einzuholen. Nach dieser Klärung dieser spezifischen Bedeutung der Quadragesima und des quadragesimalen Fastens, folgten einige Ausführungen zur theologischen Deutung der von Leo als Versuchungen charakterisierten Herausforderungen. Die vorgestellten Handlungsoptionen brachten dabei Parallelen zu der Auslegung des Sündenfalls und der Versuchung Jesu zum Vorschein: Die Krise, die durch die Inbesitznahme durch Habgier (avaritia) und Begierde (concupiscentia carnis) ausgelöst worden sei, müsse durch die Enthaltsamkeit (continentia) überwunden werden. Dementsprechend konnte bei Leo neben anderen auf Gottes Plan und Pädagogik rekurrierenden Erklärungsmodellen auch ein sehr direktes Verständnis des Tun-Ergehen-Zusammenhangs festgestellt werden, das als Gemeinschaftsgerechtigkeit (iustitia connectiva) auch biblisch verbürgt ist. Im Hauptteil konnte mit der liturgiehistorischen, formalen, sprachlichen und inhaltlichen Analyse der Traktate 39-42 begonnen werden. Die literarische Form der Predigten ließ eine gewisse Parallele zum Aufbau der antiken Rede erkennen, jedoch mit deutlichen Unterschieden: In zwei Predigten gibt es eine Confutatio (tract. 40 und 42). In allen vier untersuchten Quadragesima-Predigten ist außerdem eine Argumentatio und eine Narratio erkennbar (tract. 39-42). Während die antike Rede wesentliche Inhalte in der Narratio vermittelt wurden, ist dieser Teil bei Leo oft eine Replik auf die Verlesung des Evangeliums (narratio evangelicae lectionis). Nach der Gliederung der jeweiligen Predigt (39-42) wurde die Übereinstimmung von Sprache und Inhalt auf mehreren Ebenen untersucht: Da anzunehmen war, dass die Übereinstimmung der Stilmittel mit der Logik des Glaubens

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an Stellen mit einer höheren Dichte an dogmatischen Formulierungen eine höhere Relevanz besitzt als an anderen Stellen, wurden jeweils zwei Passagen untersucht:  die konkrete Aktualisierung der Versuchungsperikope Mt 4,1-11, bei der die dogmatischen Formulierungen stets einen Höhepunkt erreichen und jeweils eine zweite Stelle aus dem Einleitungs-, Mittel- oder Schlussteil. Durch diese Untersuchung konnte die höhere Dichte an Stilmitteln in der Aktualisierung der Versuchungsperikope deutlich nachgewiesen werden. Die Auswertung der Belegstellen von Leos bevorzugten Stilmitteln (Alliteration, Assonanz, Antithese, Homoioteleuton, Parallelismus und Chiasmus) in den vier Predigten sollte das Verhältnis von äußerer Form und Inhalt aus der Perspektive der Sprachstrukturen darstellen. Schließlich wurde die Übereinstimmung der verwendeten biblischen Zitate bzw. Sprache mit den wesentlichen Inhalten der Predigt untersucht. Dabei wurden auch die Reformulierungen biblischer Zitate berücksichtigt. Die häufig verwendeten Figuren bringen besonders den Anlass der Quadragesima, die christliche Lehre und deren Aktualisierung in Form von moralischen Appellen sowie die Widerlegung und Verurteilung anderer Lehren zum Ausdruck. Eine besondere Rolle nimmt das Stilmittel der Antithese ein, da die Gegenüberstellung neben dem Zueinander von Schöpfer und Schöpfung bzw. Geschöpf zur Grunddimension christlicher Verkündigung gehört, die in Leos Quadragesima-Predigten ihren Höhepunkt in der Erläuterung der Doppelkonsubstantialität im Rahmen der Aktualisierung der Versuchungsperikope erreicht. Die oben genannten Figuren haben dann gemäß den inhaltlichen Erfordernissen eine parallele, eine logische Folge darstellende oder eine gegenüberstellende Bedeutung. Antithetische oder parallele Homoioteleuta und Parallelismen und Isokola erschließen die Einheit der Person Christi und das Binom von göttlichem und menschlichem Wirken als Modelle von Zueinander, Miteinander und Ineinander. Dann wiederum stellen parallele und chiastische Strukturen die Kontinuität der menschlichen Natur des Erlösers und der erlösungsbedürftigen Menschen bzw. deren ontologische Verflochtenheit vor Augen. Die Festlegung der mehrdeutigen Stilmittel (ob die Figuren Alliteration, Assonanz, Homoioteleuton und Parallelismus eine parallele oder eine antithetische Qualität erhalten) hängt also vom entsprechenden Inhalt ab,1289 sodass

1289 Blümer ist sich dieses Problems bewusst und zieht daraus den Schluss, vorsichtig interpretieren zu müssen: vgl. idem, Rerum Eloquentia, 61.

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der Inhalt in Gestalt der hermeneutischen Grundlage der regula fidei in ihnen „spricht“.1290 Abgesehen von diesen Figuren, setzt die Annahme einer Übereinstimmung von Stil und Gehalt auf der Ebene der Mikrostruktur voraus, dass es zumindest eine syntaktische Komposition im Lateinischen gibt, durch die der Inhalt optimal „veräußerlicht“ wird. Eine solche bemerkenswerte Einheit der inhaltlichen und der syntaktisch-rhetorischen Ebene liegt bisweilen auch vor, bevorzugt wiederum besonders in den dogmatischen Formulierungen (Einheit der Person Christi und die „Zweiheit“ der Naturen). Die Text-Komposition wird außerdem durch den Rhythmus mitbestimmt und bisweilen auch in ihrer Aussagekraft geformt, durch die bewusst gewählten, rhythmuskonformen Begriffe oder die Wortstellung, durch die emphatische Wiederholung der gleichen Klauseln sowie durch die zäsurenbildenden, schlussstarken Klauseln, die einen Gedankenschritt beschließen und wirken lassen. Dabei bleibt der Inhalt in der Regel die letztentscheidende Kategorie, wie besonders die Präferenz des inhaltlichen Parallelismus, des Reimes oder eines begrifflichen Gegensatzes vor einem schlussstarken Kolon-Abschluss zeigt. Bei der Untersuchung der Bibelverwendung konnten besonders in den Traktaten 39 und 42 rhythmuskonformere Reformulierungen biblischer Zitate festgestellt werden. Diese verweisen auf die Vereinigung und Übereinstimmung des biblischen Inhalts mit einer hohen Rhetorik. Aus den Ausführungen über das Zueinander von „Schönheit“ und „Wahrheit“ ließ sich der Schluss ziehen, dass Leos Darstellung des soteriologischen Verhältnisses von menschlicher und göttlicher Natur gewissermaßen auch auf der Ebene der Sprache widergespiegelt wird. Bleibt der „göttliche Inhalt“ in seiner Fülle zwar stets des Zugriffs durch die menschliche Ausdrucksmöglichkeit entzogen, so wird dennoch die Kontinuität des durch die regula fidei gedeuteten Wortes Gottes und der Wirksamkeit Christi durch die Umformulierung und Einbindung biblischen Substrates auf sprachlicher Ebene verdeutlicht. Die Auswertung der sprachlichen Hinweise, der historischen und liturgiehistorischen Daten ermöglichten bei tract. 39 eine Datierung auf den ersten Sonntag der Quadragesima. Bei tract. 40 und 42 konnte diese Datierung aufgrund der inhaltlichen Anspielungen an die Wiederkehr dieser liturgischen Zeit lediglich als wahrscheinlich angenommen werden, während tract. 41 im Vergleich mit

1290 Blümer schlussfolgert, dass die äußere Form stets an den Inhalt angepasst werde und der Inhalt in der rhetorischen Struktur stets selbst spreche: vgl. idem, Rerum Eloquentia, 171-178.

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den Predigten 39, 40 und 42 nur mehr sprachliche Ähnlichkeiten und parallele Bezugnahme auf Mt 4,1-11 aufweist. Die Versuchungsperikope konnte allerdings nur bei tact. 39, 40 und 42 als Tagesevangelium nachgewiesen werden, die Epistellesung 2 Kor 6,2* (1-10?) nur mehr bei tract. 40 und 42. Setzt man eine etablierte Leseordnung voraus, kann man bei tract. 39, 40 und 42 von den Lesungen Mt 4,1-11 und 2 Kor 6* am ersten Sonntag der Quadragesima ausgehen, während tract. 41 nicht selbstverständlich nach demselben Muster eingeordnet werden kann. In den Schlussfolgerungen wurde für die restlichen acht QuadragesimaPredigten festgestellt, dass es keine primären Hinweise auf die Datierung oder auf die Lesungen gibt, sodass lediglich die Predigten 44, 49 und 50 aufgrund von sekundären Elementen und sprachlichen Parallelen zu tract. 39, 40, 42 mit einer annehmbaren Plausibilität auf den Beginn der Quadragesima datiert werden konnten, werden tract. 43, 45, 47 und 48 abgesehen von der traditionellen auf den in der Überlieferung verbürgten Hinweis rekurrierenden Einordnung keine eindeutige Datierung zulassen. Die zentrale Bedeutung der Versuchung Jesu für das Verständnis der Quadragesima ist durch diesen Befund aber nicht geschmälert, da manche Predigten wohl nicht zu Beginn der Quadragesima gehalten wurden und Leo auch auf die konkrete Bezugnahme auf den seinen Ausführungen zugrundeliegenden Text des Tagesevangeliums verzichtet haben kann. Über die Zusammensetzung der Adressaten konnte festgehalten werden, dass Leos rhetorische und inhaltliche Bezugnahmen eine weite Bandbreite an sozialen Schichten reflektieren (Diener, Herren), unter denen sich Taufbewerber und Pönitenten befunden haben könnten. Der hohe Stil und die kompakten und dogmatisch-versierten Formulierungen verweisen lediglich darauf, dass ihnen wohl vornehmlich Gebildete folgen konnten, nicht jedoch unbedingt darauf, dass die Predigten für eine Minderheit Roms bestimmt war. Es entspricht sogar eher Leos Selbstverständnis als Papst und Bischof von Rom, sich prinzipiell an die ganze Bevölkerung der Stadt zu richten. Die Adressaten bezieht er jedenfalls durch inklusive Formen und suggestive Appelle in das liturgische Geschehen und asketische Tun ein. Bei der Darstellung der theologischen Grundgedanken ergab sich im Wesentlichen ein homogenes Bild. Die Quadragesima wird nicht nur als Zeit der Gnade und der Vorbereitung auf die Feier des Pascha-Mysteriums beschrieben, sondern ist selbst bereits durch das mit dem Kreuz verglichene Leiden und durch die Hinführung zur Freude von Ostern geprägt. Damit trägt die Quadragesima auch die Grunddimensionen des ganzen christlichen Lebens in sich, besonders die geistige Übung (devotio, observantia) und den geistigen Kampf gegen die

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Versuchungen des Bösen, die auch in Form von Irrlehren auftreten, aber auch die Entwicklung der ganzen Geschichte zur Ewigkeit hin. Die Aktualisierung der im Neuen Testament erfüllten Heilsereignisse ließ konkrete Parallelen zwischen der Versuchung Jesu und der Gläubigen erkennen: Der Heilige Geist führe die Gläubigen in der Quadragesima in die Wüste, damit sie Christus in den 40 Tagen nachfolgen. Dabei führe der Satan auch sie mit besonderer Leidenschaft in Versuchung, da die Taufe und das Osterfest in unmittelbarer Nähe gefeiert würden. In diesem liturgisch reflektierten Zeitraum der Wüstenerfahrung sollen die Adressaten Jesu Belehrung annehmen und sich mehr durch Gottes Wort als durch Brot ernähren, also die Werke der Barmherzigkeit erfüllen, um schließlich an der Freude der Feier des Pascha-Mysteriums teilzuhaben. Dieser Deutung der Versuchungsperikope entsprechend werden die gegenwärtigen politischen und sozialen Herausforderungen (besonders in tract. 39) als moralische Krise gedeutet, die es vor allem auf der geistigen und geistlichen Ebene zu überwinden gelte. Die entscheidende Wende beginne mit dem Vertrauen in Gott, der als Haupt des Leibes, die Glieder entscheidend befähigt, die christliche Ordnung zunächst im Inneren des Menschen zu erfahren und im Frieden Christi zu leben, sodass schließlich soziale Missstände gelindert und politische Gefahren abgewendet werden können. Diese innere Ordnung bestehe in der doppelten Unterordnung des Körpers unter den Geist und des Geistes unter Gott. Leo betont dabei die Notwendigkeit des gemeinsamen Strebens der ganzen Kirche, des ganzen Leibes, nach diesem Frieden, da die Qualität des Zusammenlebens dann auf eine höhere Stufe gehoben werde. Dabei denkt er aber keineswegs an die von ihm als gottgewollt charakterisierte Polarität von Armen und Reichen. Letztere sollten die von Gott in Gang gesetzte Bewegung der Barmherzigkeit für die Armen erfahrbar machen. Gemäß der biblischen Botschaft vom Weltgericht (vgl. Mt 25) begründet Leo das christlich interpretierte Verhältnis zwischen Patron (Gott, Bischof, Reiche) und Klient (Diener und Arme, in denen Christus besonders präsent sei) mit der Verheißung des himmlischen Lohnes. Eben dazu könnten die scheinbar mittellosen „Klienten“ ihren Gönnern mittels ihrer Fürbitte auch verhelfen, damit der Austausch der sich verschenkenden Liebe nicht zum Stillstand komme. Im letzten Arbeitsschritt wurden Grundlinien der Auslegung der Versuchungsperikope in der lateinischen Tradition herausgearbeitet, um die Entwicklung der Erläuterung und Aktualisierung dieser Bibelstelle bis zu Leo nachzuzeichnen. Dabei konnte auf die Arbeit von Köppen zurückgegriffen und zugleich überschritten werden, da deutlich wurde, dass die Deutung der Quadragesima als liturgischer und mystisch-sakramentaler Zeitraum in der

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Bibelhermeneutik wurzelt. Wurden die 40 Tage zunächst allgemein dogmatischsoteriologisch gedeutet, so wurde ab dem 4. Jh. stärker auf die Relevanz dieses Geschehens für den einzelnen Menschen hingewiesen. In einem weiteren Schritt wurde untersucht, welche Traditionen Leo im Vergleich zu anderen Predigern aufnahm und auf welche Ausführungen Leo zurückgreifen konnte. Dazu wurde ein Vergleich von Leos QuadragesimaPredigten mit je einer von Augustinus, Maximus von Turin und Petrus Chrysologus vorgenommen. Bei der Auswahl wurde auf die Ähnlichkeit im Stil und Inhalt geachtet, also besonders auf die Bezugnahme auf Mt 4,1-11 sowie auf die traditionelle Datierung dieser Homilien auf den Beginn der Quadragesima oder zumindest in deren Verlauf. Als weiteres Kriterium wurde die zeitliche Einordnung der Predigten vom Ende des 4. Jh. bis zur Mitte des 5. Jh. herangezogen. Für den konkreten Vergleich wurden zunächst die in Leos Traktaten 39-42 sich ergänzenden Ausführungen zusammenhängend dargestellt. Die Untersuchung ergab, dass die Quadragesima-Predigt serm. 13 von Petrus Chrysologus sowohl auf die Versuchungsperikope (jedenfalls auf Mt 4,1-10) Bezug nimmt und auf den ersten Sonntag der Quadragesima zu datieren ist. Da der Bischof von Ravenna, wie sein Zeitgenosse Leo, 2 Kor 6,2 zur Charakterisierung der Gnadenzeit zitiert, ist die Epistellesung bei sonstigen, fehlenden Hinweisen jedenfalls nicht auszuschließen. Bei Maximus von Turin und Augustinus konnte hingegen lediglich die paradigmatische Bedeutung der Versuchungsgeschichte für die Christen und die Quadragesima insgesamt abgelesen werden. Während es bei dem auf den dritten Sonntag der Quadragesima zu datierenden serm. 51 des Maximus keine perikopenklärenden Hinweise auf die liturgischen Lesungen gibt, favorisieren sekundäre Indizien des auf den ersten Sonntag der Quadragesima zu datierenden serm. 208 des Augustinus das Tagesevangelium der Feldrede (zumindest Lk 6,37f). Einzig dessen en. Ps. 60 ist wohl nicht nur in den Zeitraum der Quadragesima zu datieren, sondern verweist auch auf die vorausgehende Verlesung der Versuchungsgeschichte. Dieser Befund wurde als integraler Bestandteil der Entwicklung der Quadragesima insgesamt ausgewiesen: Im Laufe des 4. Jh. wurden die zunächst mit alttestamentlichen Typoi (Sintflut, Mose, Volk Israel in der Wüste, Elija) begründeten, symbolischen 40 Tage zunehmend als Analogie zur Versuchung Jesu (bei Augustinus auch als Bild für das ganze Leben) vermittelt, bevor dieser Zeitraum ansatzweise bei Ambrosius, jedenfalls bereits bei Petrus Chrysologus und Leo noch stärker in den liturgischen Kontext einbezogen und gewissermaßen als Sakrament verstanden wird. Eine Weiterentwicklung der traditionellen Auslegung der Versuchungsgeschichte wurde auch in Leos konkreter Aktualisierung deutlich: Seit Irenäus wurde die Versuchung Jesu für die Erläuterung der

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Christologie und Soteriologie herangezogen und der Hinweis auf irreführende Schriftbelege des Satans als das Urbild der Taktik von Irrlehrern gegebenenfalls beiläufig erwähnt. Leo jedoch aktualisiert die Versuchungen des Satans selbst als durch Irrlehrer in Gang gesetzte, dogmatische Herausforderungen und erklärt gerade die Verunsicherung über die menschliche und göttliche Natur Jesu Christi als aktuelle Versuchungen unter den Glaubenden. Damit wurde einerseits der innere Zusammenhang zwischen dogmatischer Unterweisung und pastoralen, praktischen Anweisungen deutlich und andererseits das Grundanliegen der Quadragesima-Predigten in der Mikrostruktur der textimmanenten Ausfaltung von Mt 4,1-11 zugänglich gemacht. Im Hinblick auf die inhaltlichen Quellen konnte eine besondere Nähe zu den Quadragesima-Predigten des Augustinus festgestellt werden, da die humilitas („Niedrigkeit“, „Demut“) Christi ebenso für Leo der entscheidende Ausgangspunkt der Auslegung ist. Auch auf der Ebene der Textstruktur und rhetorischen Wendungen konnten bei Leo Parallelen zu Augustinus festgestellt werden. Die Vervollständigung und Auswertung des Befundes muss aber in einer weiteren Forschungsarbeit erfolgen. Mit der Aufnahme des Exploratio-Motivs bzw. der Unkenntnis des Satans über die Person Christi ist Leo ganz der Auslegungstradition verpflichtet, während er sich bei der Analogie der Versuchung Adams und von Christus auf pointierte Hinweise beschränkt. Die Quadragesima-Predigten Leos des Großen führen die Adressaten in das Herz der theologischen Deutung von Geschichte und der Theologie der Erlösung. Als Aufruf zur Vorbereitung auf die liturgische Feier des Pascha-Mysteriums erläutern sie die Bedeutung der Christologie an der konkreten, erlösenden Teilhabe des Menschen an Christus. Sie erschließen die heilsgeschichtliche Aktualisierung der Gnade in der Natur und des Evangeliums in der Kultur und zeigen die Verwiesenheit der Zeit auf die Ewigkeit auf. Gegenüber den Fastenzeiten im September, im Dezember und zu Pfingsten wird die Quadragesima dadurch besonders als Mikrokosmos des ganzen christlichen Lebens, der ganzen Heilsgeschichte und der aktuellen Erfüllung des verheißenen, erlösenden Wirkens des Gottmenschen eingeführt. Als bestimmender Deutungshorizont für diese Unterweisung wurde das Evangelium Mt 4,1-11 ausgewiesen. Indem die Reaktion Jesu in der biblischen Begebenheit der Versuchung (narratio evangelicae lectionis) in der Gegenwart in den Gläubigen sakramental wirksam wird, soll sich der Sieg Jesu fortsetzen und im Frieden Christi erfahrbar werden, nicht nur im inneren des Menschen, sondern schließlich auch in der Befreiung der Gemeinschaft von äußeren Bedrohungen.

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In den Traktaten 39-42 wurden nicht nur die Stilfiguren an den Inhalt angepasst, sondern auch die liturgische Zeit bzw. Form und sakramentale Bedeutung der Quadragesima insgesamt aus dem Inhalt von Mt 4,1-11 erschlossen. Dieses Verständnis der Quadragesima verdeutlicht auf einzigartige Weise, dass die in der Bibel überlieferte Offenbarung in der Zeit Gestalt annimmt. Die Versuchungsgeschichte wird damit als Geschichte der Christen des 5. Jh. und zur theologischen Beleuchtung der Geschichte des ganzen, auf dem Weg zur Vollendung des Pascha-Mysteriums befindlichen Kosmos erschlossen und nimmt einen zentralen Platz in Leos Verständnis des erlösten Menschen ein.

Anhang  

1 Abkürzungsverzeichnis AD AMS APISSL(N) BAC Bpat BSGRT CChr.SL CSEL ECSt FC ΕΠΕ HT.LR LEW NHSer Loen OECT ÖSLS PG PL PTS SC SPA TG.T TLL VCS

Atti e documenti Antiphonale Missarum Sextuplex Annali del Pontificio Istituto Superiore Biblioteca de Autores Cristianos Bibliotheca Patristica Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana Corpus Christianorum. Series Latina Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Early Christian Studies Fontes Christiani Hellēnes pateres tēs ekklēsias Heidelberger Texte. Lateinische Reihe Lateinisch etymologisches Wörterbuch A new History of the Sermon Liturgica Oenipontana Oxford Early Christian Texts Österreichische Studien zur Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie Patrologia Graeca Patrologia Latina Patristische Texte und Studien Sources Chrétiennes Studien der Patristischen Arbeitsgemeinschaft Tesi Gregoriana. Serie Teologia Thesaurus Linguae Latinae Veterum et Coaevorum Sapientia

Alle nicht aufgeschlüsselten Abkürzungen von Reihen und Zeitschriften richten sich nach Schwertner, Siegfried M.:  IATG3  – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin u.a.: de Gruyter, 32014.

2 Bibliographie 2.1 Primärliteratur Quellenwerke und Hilfsmittel Antiphonale Missarum Sextuplex (AMS), hg v. René-Jean Hesbert, Nachdruck der 1. Aufl., Rom: Herder, 1967. Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, hg. v. Robert Weber, 4. verb. Aufl. v. Roger Gryson u.a., Stuttgart: Dt. Bibelges, 1994. Codex iuris civilis. Volumen secundum. Codex Iustinianus, durchges. u. überarb. v. Paulus Krueger, Berlin: Weidmann, 131970. Drobner, Hubertus R.: Lehrbuch der Patrologie, 3. korr. u. erg. Aufl., Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, 2011. Library of Latin Texts (hervorgegangen aus der Cetedoc Library of Christian Latin Texts CLCLT):  Die Datenbank enthält Texte von den Anfängen der lateinischen Literatur (Livius Andronicus 240 v.  Chr.) bis zum 2.Vatikanischen Konzil. Die Texte stammen aus CChr.SL, CSEL, PL, SC etc., aufgerufen unter: http://apps.brepolis.net/BrepolisPortal/default.aspx. Novum Testamentum Graece, hg. v. Barbara Aland u.a., Stuttgart: Dt. Bibelgesellschaft 282012. Sacramentarium Gelasianum. Concordantia (= VCS 11), hg. v.  Manlio Sodi / Giacamo Baroffio / Alessandro Toniolo, Rom: LAS, 2014. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX interpretes, hg. v. Alfred Rahlfs, durchgeseh. u. verb. v. Robert Hanhart, Stuttgart: Dt. Bibelgesellschaft, 2006. Sieben, Hermann Josef:  Kirchenväterhomilien zum Neuen Testament. Ein Repetitorium der Textausgaben und Übersetzungen. Mit einem Anhang der Kirchenväterkommentare (= IP 22), Turnhout: Abbatia St. Petri, 1991. Sirach (Ecclesiasticus) (= VL11/2), hg. v.  Walter Thiele, Freiburg i.  Br.:  Herder, 1987. The Acts of Thomas. Introduction – Text – Commentary, hg. v. Albertus F. Klijn, Leiden: Brill, 1962. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis, hg. v.  Theodor Mommsen, Voluminis I Pars posterior, 2. Aufl., Berlin: Weidmann, 1954. Traditio Apostolica. Apostolische Überlieferung (= FC 1), übers. u.  eingel v. Wilhelm Geerlings, Freiburg u.a.: Herder, 1991, 141-313.

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3 Register 3.1 Schriftstellen   Gen 1,27��������������������229, 230 3��������������������������������� 280 3,1-6��������������������������� 329 3,3������������������������������ 304 3,3-19������������������������� 277 3,3-6��������������������������� 274 3,4-6��������������������������� 249 3,5������������������������������ 339 3,6������������������������������ 151 3,15��������������������152, 229 7,17���������������������������� 322 25,30-34�������������������� 316   Ex 17,4-6������������������������� 329 34,28�������������������������� 322   Num 14,33f������������������������� 322 11,5   1 Sam 7,6 7,10 7,6-11�����������99, 109, 150 14,24-46   1 Kön 17,8-16������248, 274, 277 17,9-16���������������������� 194

  Ijob 1,7������������������������������ 204 7,1����� 202, 204, 229, 230   Ps 33,10�������������������������� 275 51,9���������������������������� 281 61 91240 104,15������������������������ 329   Weish 1,11b������������������142, 143 2,24��������������������190, 191   Sir 13,1���������������������������� 202 2,1��������������142, 143, 145 20,9���������������������������� 202   Jes 29,14�������������������������� 275 49,2���������������������������� 118 49,8���������������������������� 172   Mt 3,11���������������������������� 147 3,16f��������������������������� 310 3,9����������������������336, 343 4�������� 191, 286, 330, 352

4,1f���������������������233, 310 4,2����������������������273, 337 4,3f�������������193, 316, 329 4,4������������������������������ 176 4,4������������������������������ 176 4,1-10�����������������342, 364 4,1-11���� 18, 21, 23, 24, 37, 42, 115, 127, 129, 149, 151, 167, 170, 173, 175, 177, 192, 194, 197, 201, 232, 255, 276, 277, 282, 303, 310, 318, 320, 333, 335, 343, 344, 357, 360, 362, 364, 365 4,1-11��������������18, 21, 23, 24, 37, 42, 115, 127, 129, 149, 151, 167, 170, 173, 175, 177, 192, 194, 197, 201, 232, 255, 276, 277, 282, 303, 310, 318, 320, 333, 335, 343, 344, 357, 360, 362, 364, 365 4,11���������������������������� 176 5,6������������������������������ 193 5,6-9��������������������������� 191 5,9��������������208, 228, 230 5,17������������������������������ 30 5,43-48���������������������� 206 5,44f��������������������������� 231 5,45��������������������206, 228 6,12��� 120, 142, 144, 289 6,12��� 120, 142, 144, 289 6,14��������������������144, 152 6,14f�� 120, 140, 142, 229

388 6,25-34���������������������� 273 7,1f����������������������������� 229 10,42� 248, 267, 273, 287 12,29�������������������������� 190 15,13� 120, 142, 143, 152 17,21������������������336, 343 19,28�������������������������� 233 25�����������������������288, 363 25,31-40�������������������� 153 22,1-13 25,31-46�������������������� 193   Mk 277 1,7������������������������������ 147 1,13���������������������������� 338 3,17���������������������������� 167 3,27���������������������������� 190 9,29���������������������������� 294 9,39���������������������������� 147 12,41-44���248, 274, 288   Lk 1,35���������������������������� 302 3,16���������������������������� 147 3,4������������������������������ 288 4,10f�������������������313, 314 4,1-13������������������������� 315 4,13���������������������������� 294 4,13f��������������������������� 293 4,1f����������������������������� 338 6,36��� 206, 228, 231, 289 6,37b������������������143, 152 6,37f�� 152, 289, 309, 364 9,50���������������������������� 147 11,22����������147, 167, 190 11,23�������������������������� 147 12,18�������������������������� 191 12,32�������������������������� 191 21,1-4������������������������� 248

Register

Joh 1,1������������������������������ 329 2,1-10�����������������175, 190 3,3������������������������������ 233 3,5������������������������������ 229 6,41���������������������������� 329 6,58���������������������������� 343 10,12�������������������������� 191 12,32���������������������� 30, 31 14,27�������������������������� 229   Röm 1,25��������������������273, 274 5,19���������������������������� 151 6,12������������113, 142, 152 6,4����������������������143, 144 6,5-14��������������������������� 31 7,14-23���������������������� 246 8,17������������208, 228, 232 8,31-39���������������������� 102 8,9������������������������������ 273 12,10������������������261, 273 12,16������������64, 229, 233 12,6������������������������������ 64 16,17������������������250, 284 16,17f�������������� 200, 250, 273, 279   1 Kor 1,17������������������������������ 49 1,19-21���������������������� 273 1,19f�������������������275, 304 1,23������������������������������ 80 1,31���������������������������� 249 3,16��������������������210, 230 5,7f����������������������������� 153 5,8��������������143, 144, 153 5,8a���������������������������� 142 5,8b���������������������������� 142

6,15��������������������218, 229 6,20 7,23���������������������������� 229 10,4���������������������������� 329 15,12�������������������������� 243   2 Kor 5,17��������������������������190, 229 6�������������������������149, 193 6,10��������������������248, 276 6,7�������������143, 147, 148 6,1-10��������������18, 22, 42, 149, 201, 232, 274, 276, 277, 287, 320, 335, 343, 344, 357 6,2�������������166, 167, 170, 172, 190, 191, 192, 193, 197, 224, 239, 244, 276, 286, 364 6,2-11��������������������������� 64 6,7���������������������143, 147, 148 6,7bf��������������������������� 248 6,7f����������������������������� 274 6,8-10������������������������� 283 6.1-10������������������������� 282 7,1����������������������242, 246 10,17�������������������������� 277   Gal 3,1�������������������������������� 20 4,10-20������������������������ 64 5,17�� 112, 113, 142, 143, 144, 246 5,17a�������������������������� 229 6,10�� 206, 228, 230, 231, 233, 273 6,15��� 190, 191, 192, 229

Schriftstellen

 Eph 1 1,13������������119, 143, 148 4,4f���������������������229, 230 5,27��������������������������� 228, 230 6,12�� 117, 143, 144, 190, 191, 192 6,12-17���������������������� 139 6,13���������������������������� 118 6,14-17�������������118, 142, 147, 152 6,15���������������������������� 151 6,15-17���������������������� 131 6.14-17���������������������� 116 6,21b�������������������������� 113   Phil 2,6-11��������������������������� 30 3,18b�������������������������� 273   Kol 1,5����������������������143, 148 1,18-20���������������������� 158

 1 Thess 2,19���������������������������� 191   1 Tim 2,4�������������������������������� 91 2,5������������������������������ 315 3,16������������������������������ 30 4,8������������������������������ 273 6,10   2 Tim 1,14���������������������������� 273   Tit 1,15������������250, 273, 285 3,5������������������������������ 233   Hebr 4,15��������������������313, 315 7����������������������������������� 31 10,22�������������������������� 281 12,1������������119, 142, 148

389  1 Petr 1,13���������������������������� 147 1,7������������������������������ 143   1 Joh 1,8��������������204, 230, 235 1,18���������������������������� 228 2,16��������������������230, 233 2,16��������������������230, 233 2,18 3,4 4,4�������������128, 143, 144, 146, 303   2 Joh 2,7������������������������������ 347

3.2 Stellen bei antiken und mittelalterlichen Autoren Leo Tractatus 2,1����������������������100, 101 3,4������������������������������ 147 5,1�������������������������������� 51 8,1������������������������������ 199 9,1������������������������������ 185 9,4������������������������������ 239 10,2���������������������������� 191 12,2���������������������������� 101 13,1������������������������������ 99 14,1������������������������������ 20 15,2��������������������216, 249 16,4���������������������������� 240 16,5���������������������������� 240 17,3���������������������������� 150 18,1���������������������������� 101 18,3���������������������������� 242 19,1���������������������������� 101 19,2������������������������ 91, 99 21,1������������������������ 78, 91 21,2����������������������89, 324 22,1����������������������90, 101 22,2���������������������������� 302 22,3���������������������������� 237 22,4����� 92, 167, 181, 292 23,1������������������50, 51, 86 24,2���������������������������� 303 24,5��������������������299, 300 25,1������������������������������ 52 25,2��������������28, 159, 303 25,5��������������������237, 302 25,6������������������������������ 84 26,4��������������������144, 147 27,1, 34,2 27,3������������������������������ 51 28,5������� 87, 93, 199, 300 28,6f��������������������������� 168

29,1��������������51, 236, 238 30,2���������������������������� 303 30,4������������������������������ 29 30,6������������������������������ 28 33,3������������������������������ 71 34,1������������������������������ 51 36,1������������������������ 78, 80 36,2���������������������������� 102 37,2��������������������161, 303 37,3��������������50, 100, 247 38,1������������������������������ 52 39� 21, 41, 103, 104, 107, 108, 110, 131, 132, 133, 135, 139, 141, 142, 153, 158, 191, 286, 355, 359, 361, 363 39,1�������������99, 122, 125, 136, 138 39,1�������������99, 122, 125, 136, 138 39,2��������������92, 112, 136 39,3�� 8, 87, 91, 102, 113, 127, 145, 146, 339 39,1; 39,2������������������� 138 39,4��������������������146, 147 39,4��������������������146, 147 39,5��������������������136, 148 39,6������������106, 121, 136 40����� 162, 164, 170, 188, 190, 192, 194, 195, 196, 199, 286, 299, 322 40,1��������������������������� 180, 186 40,2���� 97, 101, 157, 166, 171, 182, 183, 184 40,3���������81, 84, 87, 124, 150, 162, 167, 174, 177, 324, 340

40,4����������������������98, 176 40,5���������������������������� 289 41����� 201, 209, 219, 225, 228, 234, 236, 237, 286 41,1��������������64, 113, 224 41,2��� 214, 221, 222, 226 41,3��� 220, 225, 231, 292 39; 40; 41 42����� 238, 242, 251, 253, 263, 265, 270, 271, 272, 273, 276, 280, 281, 282, 286, 297, 351, 353, 355 42,1��������������������203, 244 42,2������������248, 266, 274 42,3�� 150, 255, 275, 282, 320, 325 42,5���������������������������� 250 42,6����������������������39, 260 43������ 208, 254, 288, 362 43,2���������������������������� 246 43,3��� 201, 203, 281, 288 43,4���������������������������� 144 44������������������������������� 287 44,1������������203, 233, 287 44,2��������������30, 283, 287 44,3���������������������������� 101 45���������������288, 298, 353 45,1����������������������99, 288 45,2���������������������������� 230 45,3����������������������96, 299 45,4���������������������������� 164 46������������������������������� 311 46,1�����������113, 201, 204, 213, 288 46,2������������311, 323, 324 46,3������������������������������ 97 47,1���� 98, 144, 157, 197, 203, 218, 283, 289

392 47,2������������������������ 88, 97 47,3��������������������164, 191 47,4���������������������������� 289 48,1����������������������97, 198 49,1����������������������42, 197 49,3��������������������118, 247 49,5���������������������������� 191 49,6���������������������������� 230 39; 40; 41; 42; 43; 44; 45; 47; 48 42; 43; 44; 46; 47; 49 50������������������������������� 201 50,2��������������������159, 191 50,3������������������������������ 99 51��������������������������������� 40 51,1���������������������������� 165 51,2���������������������������� 247 52��������������������������������� 40 52,1������������������������������ 82 53��������������������������������� 40 55,5��������������������144, 213 56,1������������������������������ 80 56,2��������������������100, 152 57,4���������������������������� 159 57,5���������������������������� 238 58,1������������������������������ 52 59,7������������������������������ 31 59,8���������������������������� 144 60,3��������������������237, 244 60,4����������������������98, 213 62,2���������������������������� 244 62,5������������������������������ 83 63,3���������������������������� 158 63,5���������������������������� 199 63,6���������������������������� 236 63,7��������������������144, 238 64,2���������������������������� 268 65,1���������������������������� 230 67,4������������������������������ 91

Register

67,5������������������������������ 83 67,6���������������������������� 101 68,1���������������������������� 158 69,2������������������������������ 82 69,3���������������������������� 158 69,4���������������������������� 325 69,5���������������������������� 144 70; 71 70,3���������������������������� 213 70,4����������������������97, 167 70,5���������������������������� 157 71,1���������������������������� 199 71,4���������������������������� 244 72,1����������������������82, 198 72,4���������������������������� 144 74,2����������������32, 93, 233 74,5������������������������������ 98 75,2����������������������81, 150 75,5���������������������������� 109 76,1������������������������������ 52 76,5������������������������������ 98 77,2���������������������������� 190 78,2���������������������������� 144 79,1����������������������99, 218 81,2���������������������������� 144 81,3���������������������������� 144 82,1������������������������������ 95 82,1; 3 82,2������������������������������ 94 82,6���������������������������� 101 83��������������������������������� 40 84,1����������������95, 97, 101 84,1f����������������������������� 97 84bis,2����������������������� 144 85,1������������������������������ 51 86,1���������������������������� 199 89,2������������144, 200, 263 90,4����������������������������� 98, 242

91��������������������������������� 97 95������������������������������� 191   Epistulae 1����������������������������������� 91 2����������������������������������� 91 4,1�������������������������������� 33 7,1����������������������239, 241 8�������������������������239, 240 9,2�������������������������������� 42 15������������������������������� 240 15,6���������������������������� 240 15,10��������������������93, 100 16,5���������������������������� 101 28��������������������������������� 18 28,3������������������������������ 89 28,132������������������������ 216 30,1������������������������������ 88 31,4������������������������������ 93 35,1������������������������ 84, 88 35,3������������������������ 84, 88 37������������������������������� 101 43 45��������������������������������� 86 56������������������������������� 330 82,1������������������������������ 95 95,2������������������������������ 86 109,3���������������������������� 87 119,1���������������������������� 81 119,6���������������������������� 79 124,1���������������������� 84, 88 124,2���������������������������� 88 152������������������������������� 99 155,2���������������������������� 42 164,1���������������������������� 50 165,2���������������������� 84, 88 165,3-10���������������������� 26 167����������������������������� 101

Stellen bei antiken und mittelalterlichen Autoren

Andere Autoren der Antike und des Mittelalters Ambrosius civ. 21,14�����������204, 229 expl. Ps. 1,37������������� 294 doctr. chr. 4,5,7���������� 49 in Luc. 2,52��������������� 293 doctr. chr. 4,6,9���������� 47 in Luc. 4,4����������������� 325 doctr. chr. 4,6,10�������� 49 in Luc. 4,6����������������� 327 doctr. chr. 4,8,22-10,24 in Luc. 4,7���������293, 324 ������������������������������������� 49 in Luc. 4,8-11������������ 293 doctr. chr. 4,17,34������ 47 in Luc. 4,10�������292, 338 doctr. chr. 4,20,41������ 61 in Luc. 4,12��������������� 328 doctr. chr. 4,20,42������ 64 in Luc. 4,13��������������� 326 doctr. chr. 4,25,5550, 73 in Luc. 4,14��������������� 312 doctr. chr. 4,26,56������ 61 in Luc. 4,15��������������� 331 doctr. chr. 4,28,61������ 49 in Luc. 4,16�������������� 292, doctr. chr. 4,40����������� 64 327, 340 doctr. chr. 4,44����������� 64 in Luc. 4,17�������325, 326 doctr. chr. 4,46����������� 64 in Luc. 4,18��������������� 339 doctr. chr. 4,47����������� 64 in Luc. 4,19�������292, 329 en. Ps. 30,2,10����������� 313 in Luc. 4,20�������328, 339 en. Ps. 30,3,5������������� 313 in Luc. 4,22f�������������� 341 en. Ps. 60���316, 344, 364 in Luc. 4,25��������������� 328 en. Ps. 60���316, 344, 364 in Luc. 4,26��������������� 314 en. Ps. 60,3313, 314, 315 in Luc. 4,33��������������� 325 en. Ps. 60,3,14f��������� 316 in Luc. 4,36��������������� 293 en. Ps. 90������������������� 316 in Luc. 16,4��������������� 323 en. Ps. 90,1���������������� 314 off. 1,43,210�������������� 247 en. Ps. 90,2313, 314, 315 en. Ps. 90,7���������������� 293   en. Ps. 103,3,11�������� 312, Aristoteles 313, 324 rhet, 3,8,1408b������������ 59 ep. 54,7,10����������������� 282 ep. 137,18�������������������� 73   ep. 228,8�������������������� 207 Arnobius der Jüngere fid. et op. 5,9������������� 204 praedest. 1,82������������� 43 Gn. adv. Man. 2,39��� 325 Gn. adv. Man. 2,4f����� 74   Gn. litt. 11,14������������ 185 Augustinus gr. et. pecc. or. 2,18,19 bapt. 4,14,24��������������� 96 ����������������������������������� 233 bapt. 5,27,38��������������� 96 gr. et. pecc. or. 2,39,44 catech. rud. 22,40������� 96 ����������������������������������� 233 civ. 11,18��������������������� 65 haer. 46,1������������������� 241 civ. 11,18��������������������� 65 haer. 46,11����������������� 242

393

persev. 22,57-62��������� 90 retr.1,13,3�������������������� 96 serm. 38,5����������������� 145 serm. 46,10��������������� 145 serm. 123,2�������������� 292, 311, 324 serm. 123,3��������������� 311 serm. 192,1����������������� 50 serm. 205������������������ 309 serm. 205,1�������������� 157, 289, 309 serm. 205,3��������������� 152 serm. 206,1������165, 166, 193, 289, 309, 310 serm. 207,1�������157, 309 serm. 208��316, 344, 364 serm. 208,1; 209,1 serm. 208,1�������196, 312 serm. 208,2��������������� 289 serm. 210,1��������������� 310 serm. 210,3,4������������ 315 serm. 210,7��������������� 310 serm. 210,9��������������� 309 serm. 284,5�������������� 294, 312, 326 serm. 296,9����������������� 95 trin. 4,13,17������312, 315 util. ieiun. 46,4,5������ 113 ver. rel. 38,70f���315, 325   Augustus R. Gest. div. Aug. 1,1114   Cicero Cael. 23,12���������������� 281 de orat. 2,77,315������� 244 de orat. 3,80f��������������� 49 inv. 1,1������������������������� 49 orat. 47,157��������������� 228

394

Register

orat. 63,213����������������� 58 orat. 63,215����������������� 58 re publ. 5,1,1��������������� 95

 Hieronymus in Matth. 1,4�����292, 293 tract. in Marc. 2A����� 314

  Lactantius mort. pers. 2,4���������� 243

  Clemens von Alexandrien Strom. 1,9,44,4��������� 291 Strom. 6,9,71,2��������� 291

  Hilarius von Poitiers in Matth. 3,1������������� 292 in Matth. 3,2������������� 292 in Matth. 3,5������������� 293

  Cyprian von Karthago hab. virg. 23���������������� 64 op. et el. 14���������������� 281

  Innocentius I. ep. 25��������������������� 38, 40 ep. 25,66-91���������������� 39

  Cyrill von Alexandrien orat. altera 36������������ 291

  Irenäus von Lyon adv. haer. 5,2,3������������ 94 adv. haer. 5,21,1�������� 351 adv. haer. 5,21,1f������ 293 adv. haer. 5,21,2������� 151, 291, 292, 294, 312, 314, 324, 327, 328, 339, 340, 341, 342, 349 adv. haer. 5,22,2�������� 312

  Maximus von Turin serm. 35,1��������172, 191, 193, 321 serm. 35,4���������319, 334 serm. 36,4����������������� 328 serm. 48,4����������������� 320 serm. 50��������������������� 318 serm. 50,1����������������� 319 serm. 50,2����������������� 319 serm. 50a������������������� 319 serm. 50a,1���������������� 319 serm. 51������������318, 329, 344, 364 serm. 51,1151, 319, 320, 321, 323, 326, 340 serm. 51,3���������320, 328 serm. 67,1����������������� 319 serm. 69,3����������������� 112 serm. 69,4����������������� 105 serm. 70,2����������������� 319

  Egeria Itin. 27,9-28,2������������� 39   Eusebius von Caesarea in Ps. 90��������������������� 293   Fortunatian von Aquileia com. ev. 13��������292, 323 com. ev. 15���������������� 326   Gregor von Nazianz poem. mor. 206�������� 291   Gregor von Nyssa cat. magn. 26,1��������� 292

  Johannes Chrysostomus in act. Apost. hom. 30,3 ������������������������������������� 54 in Ioh. hom. 11��������� 328 in Matth. hom. 13,1� 326 in Matth. hom. 13,2292, 293, 323, 339 in Matth. hom. 13,3� 340 in Matth. hom. 13,4� 326   Justin Dial. Tryph. 103,6���� 293

  Minucius Felix Octav. 31������������������� 281   Origenes in Luc. hom. 29,4����� 347 in Luc. hom. 29,7����� 293   Petrus Chrysologus serm. 11,3����������������� 340 serm. 11,4�334, 338, 340 serm. 11,5�331, 337, 340 serm. 11,7����������������� 340

Stellen bei antiken und mittelalterlichen Autoren

serm. 12�����150, 334, 335 serm. 12,5����������������� 338 serm. 13�����335, 343, 364 serm. 13,1�150, 335, 337 serm. 13,2����������������� 334 serm. 13,4�302, 338, 341 serm. 13,5�337, 339, 341 serm. 13,6���������339, 342 serm. 13,7����������������� 326 serm. 24,3����������������� 337 serm. 26,6����������������� 196 serm. 41,1-4�������������� 105 serm. 43,1����������������� 332 serm. 79,1����������������� 320 serm. 166,2��������������� 334

 Prosper von Aquitanien chr. integr. 2,749AB� 239   Prudentius contr. Symm. 2,842�� 210   Quintilian inst. or. 5,8,7������������� 203   Seneca ira 2,12���������������������� 247

395

 Tertullian bapt. 20,3f����������������� 294 cult. fem. 2,2������������� 281 ieiun. 8,2�����������294, 343   Theodor von Mopsuestia in Luc. 4������������292, 323   Theodoret von Cyrus incarn. Dom. 13-15� 292 incarn. Dom. 14������� 293 prov. orat. 10������������� 323

3.3  Moderne Autoren A Amato 302 Anang  31, 79 Arbesmann  39, 40, 41, 151, 253, 280, 281, 282, 294 Arens  26, 27, 46, 53, 54, 55, 56, 62, 63, 67, 68, 70, 71, 268 Armitage  28, 29, 30, 32, 35, 113 Assmann 100 Auf der Maur  37, 38, 39, 40 B Badewien  94, 98 Baldovin 43 Balthasar  20, 76 Barclift  91, 93 Bardenhewer 332 Bartnik  95, 97, 100, 101, 102, 104, 157, 158 Bernays 59 Blümer  24, 25, 26, 27, 47, 50, 57, 62, 65, 66, 67, 68, 77, 360 Böhmer  317, 332 Böhne  37, 41, 42 Brezzi 94 Bronwen  34, 35, 36, 90, 97 Buchinger  37, 38, 41, 294 C Campione 79 Carbonero 48 Carruthers 45 Carton  376, 383 Cavalcanti 78 Chavasse  17, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 69, 103, 104, 107, 161, 163, 164, 201, 204, 206, 239, 240, 288, 314 Cunningham 154

D Dolle  104, 105, 106, 162, 163, 167, 204, 240, 242, 243, 305, 307, 309, 311, 316, 330, 332 Dräger  57, 58 Drecoll  96, 98, 305 Dunn  17, 91 E Erren 56 Essen 94 F Feichtinger  107, 233, 268, 287 Fiedrowicz 81 Folsom 245 Frank  46, 49, 74 Fuhrmann 45 G Geest  96, 98 Gnilka 45 Granata 26 Green  23, 32, 33, 90, 91, 92, 93, 104, 107, 109, 116, 118, 121, 312 Greschat 33 Grillmeier  84, 85, 86, 87, 88, 89, 107, 240, 241, 242, 299, 302, 315, 317, 327 Grisar 43 Guzie  82, 83, 84 H Haeusler 347 Hagendahl 46 Halliwell  26, 46, 61, 62, 63, 65, 69, 70, 202 Häring 98

398 Harrison  33, 45 Hilberath  91, 94 Hofmann-Szantyr  203, 278, 279 Holeton  42, 81 Hoskin 18 Hudon  82, 90 Huizing 20 Humphries 196 J Jalland 268 Jounel 40 Jungmann  38, 39, 40 K Kayser  67, 68 Kennedy 47 Kern 96 Kessler  300, 301, 302, 345 Kirsch 43 Klöckener 308 Köppen  149, 291, 292, 293, 294, 298, 318, 320, 322, 323, 363 Kötter 94 Krannich  21, 30, 47, 62, 69, 149 Kročil  78, 81, 82 L Lang 112 Lauras  79, 80, 240 Lausberg  109, 110, 168, 203, 205, 243, 244, 248, 251, 252 Leclercq 43 Lepelley 34 Luz  291, 292, 293, 302, 341 M Maier 240 Margoni-Kögler  289, 305, 307, 308, 309, 310, 313, 320 Markus 34 Marrou 64

Register

Martin  55, 56, 72, 75, 159, 268, 297 Maxwell 38 Memoli 306 Merkt  38, 39, 42, 45, 47, 48, 49, 79, 94, 98, 306, 317, 318, 319, 320, 327, 328 Mohrmann  53, 54, 55, 65, 305, 306, 307 Montanari  17, 41, 69, 103, 104, 162 Mueller  61, 62, 165 Müller, Gerhard Ludwig  300, 301 Müller, Karlheinz  347 Murphy 27 Mutzenbecher  317, 318, 319, 320, 323, 330 N Nardi 26 Neuhold  41, 288 Norden  47, 53, 54, 56, 57, 58, 59, 60, 63, 64, 65, 76, 77 O Old  41, 43 Olivar  41, 43, 46, 47, 48, 52, 61, 69, 70, 71, 156, 236, 305, 306, 307, 317, 318, 320, 330, 331, 332, 333, 334, 335 P Paredi 42 Partoens  305, 306, 307, 308, 309, 320 Patlagean 34 Pellegrino 26 Perrone 87 Pidolle  30, 31, 32 Piekarski  330, 331 Pinell  48, 52, 70 Plepelits  202, 210 Pratesi  103, 104, 105, 106, 109, 113, 115, 119, 121, 124, 157, 162, 164,

Moderne Autoren

167, 169, 188, 199, 201, 203, 205, 208, 213, 216, 218, 228, 240, 242, 248, 249, 254, 288 Primmer  56, 57, 58, 59, 61, 305, 306 R Rädle  63, 64, 65 Rexer  49, 64 Riga 207 Robinson 78 Ronconi  17, 21, 67, 72, 73, 74, 75, 76, 357 S Sattler 88 Schäublin  47, 49, 66 Schrama 320 Sedlmeier 100 Simonetti 81 Sottocornola  150, 318, 330, 331, 333, 334, 335 Staab  57, 58 Steeger  25, 26, 67, 69 Stockmeier 94

399

Stritzky 29 Studer  26, 28, 50, 80, 81, 82, 89, 94, 95, 108, 165, 168 T Teske 313 U Umbach 285 Uthemann 300 V Verbraken  308, 309, 310 W Wachtel  96, 102 Walde 262 Wessel 33 Wiles 29 Wyrwa 163 Z Zaehner 241 Zanoni  55, 63, 66

3.4  Namen- und Sachregister A Adoptianismus  86, 300, 301 Almosen  30, 34, 35, 92, 105, 106, 120, 156, 193, 206, 207, 208, 231, 248, 269, 280, 283, 307, 311, 310, 331, 353, 354 Ästhetik  17, 20, 67, 73, 74, 75, 358 B Basilika St. Peter  40, 254 Büßer  38, 40 C Chalcedon  28, 32, 33, 87, 301 Cyrill  29, 42, 85, 86, 89, 291, 301 D Doppelkonsubstantialität  17, 28, 30, 77, 285, 304, 355, 357, 360 E Eucharistie  31, 38, 42, 80, 242, 308 Eutyches  84, 85, 86, 87, 88, 162, 163, 300, 301, 302, 331, 358 Evangeliar 307 F Fastenzeit  37, 41, 165, 170, 197, 238, 245, 254, 280, 283, 284, 288, 308, 309, 319, 333, 334, 335, 340, 346, 354 G Galla Placidia  239, 330 H Heiden  32, 97 homoousios 301

I Inkarnationstheologie  72, 268, 356 Itala 216 J Juden  32, 345 K Kanzleistil  52, 57, 69, 76, 357 Kelchkommunion  242, 250, 280, 284 Kunstprosa  18, 46, 56, 57, 59, 63, 65, 71, 332 L Lateranbasilika 42 Lektionar 42 M Manichäer  32, 47, 69, 84, 87, 88, 162, 239, 240, 241, 242, 243, 249, 250, 252, 254, 263, 277, 280, 284, 285, 290, 347, 355 Marcian 86 Modalismus  300, 301, 353 N Nestorius  84, 85, 86, 87, 88, 300, 301, 302, 303, 358 P Pascha-Amnestie  162, 164, 169, 180, 186, 196 Prosarhythmus  20, 25, 52, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 62, 76, 145, 262, 276 Prosper  26, 28, 52, 85, 239, 359 Pulcheria 86

402 R Rom  18, 26, 30, 33, 35, 37, 38, 39, 55, 57, 93, 94, 95, 97, 102, 106, 109, 111, 145, 157, 158, 196, 235, 239, 240, 280, 300, 333, 355, 362 S Salvian  94, 98, 359 Schlussdoxologie  48, 162, 169, 208 Stationsgottesdienst 43 Stenographie  46, 307, 333 T Taufbewerber  99, 236, 282, 290, 307, 362 Taufe  31, 37, 73, 74, 84, 93, 96, 97, 101, 204, 205, 206, 214, 215, 216, 218, 221, 225, 229, 233, 236, 237, 238, 281, 294, 295, 297, 310, 346, 349, 363

Register

Theodosius II.  86, 196, 330 Titelkirchen 43 Transformation  18, 31, 32, 33, 219 U Unterscheidungschristologie  86, 87, 88, 115, 301 V Valentinian III.  104, 196, 239, 240, 290 Vermischungschristologie  29, 86, 87, 88, 301 Versöhnung  37, 40, 90, 131, 132, 138, 156, 163, 169, 170, 207, 208 Vulgata  18, 19, 145, 216 Z Zwei-Naturen-Lehre  257, 258, 259, 345, 347, 351, 355, 356

Patrologia Beiträge zum Studium der Kirchenväter Herausgegeben von Andreas Spira †, Hubertus R. Drobner und Christoph Klock Band

1 Henriette M. Meissner: Rhetorik und Theologie. Der Dialog Gregors von Nyssa De anima et resurrectione. 1991.

Band

2 Gregor von Nyssa: Contra Eunomium I 1 - 146. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Jürgen-André Röder. 1993.

Band

3 Albert Viciano: Retórica, Filosofía y Gramática en el Aduersus nationes de Arnobio de Sica. 1993.

Band

4 Helmut Seng: Untersuchungen zum Vokabular und zur Metrik in den Hymnen des Synesios. 1996.

Band

5 Giampietro Dal Toso: La nozione di proairesis in Gregorio di Nissa. Analisi semioticolinguistica e prospettive antropologiche. 1998.

Band

6 Gregor von Nazianz: De humana natura (c. 1,2,14). Text, Übersetzung, Kommentar von Kristijan Domiter. 1999.

Band

7 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo, Predigten zum Buch Genesis (Sermones 1-5). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2000.

Band

8 Jochen Rexer: Die Festtheologie Gregors von Nyssa. Ein Beispiel der reichskirchlichen Heortologie. 2002.

Band

9 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zu Kirch- und Bischofsweihe (Sermones 336-340/A). Einleitung, revidierter Mauriner-Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2003.

Band 10 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zu den Büchern Exodus, Könige und Job (Sermones 6-12). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2003. Band 11 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zum Weihnachtsfest (Sermones 184-196). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2003. Band 12 Igor Pochoshajew: Die Seele bei Plato, Plotin, Porphyr und Gregor von Nyssa. 2004. Band 13 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zum Buch der Sprüche und Jesus Sirach (Sermones 35-41). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2004. Band 14 Daniel J. Jones: Christus Sacerdos in the Preaching of St. Augustine. Christ and Christian Identity. 2004. Band 15 Manuel Mira: Ideal ascético y antropología antiarriana en las homilías de Basilio Magno. 2004. Band 16 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zum österlichen Triduum (Sermones 218–229/D). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2006. Band 17 Andreas Spira: Kleine Schriften zu Antike und Christentum. Menschenbild – Rhetorik – Gregor von Nyssa. Herausgegeben von Hubertus R. Drobner. 2007. Band 18 Hans Feichtinger: Die Gegenwart Christi in der Kirche bei Leo dem Großen. 2007. Band 19 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zum Markusevangelium (Sermones 94/A-97). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2007. Band 20 Igor Pochoshajew: Gregory of Nyssa, De Beatitudinibus IV, Ad Ablabium and Adversus Macedonianos. English and German Translations and Studies. With the collaboration of David J. McCollough and Oliver Erckens. 2008.

Band 21 Notker Baumann: Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus. 2009. Band 22 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zu Neujahr und Epiphanie (Sermones 196/A-204/A). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2010. Band 23 Andrea Bizzozero: Il misterio pasquale di Gesù Cristo e l'esistenza credente nei Sermones di Agostino. 2010. Band 24 Hans-Bernd Krismanek: Das Briefkorpus Kyrills von Alexandrien als Quelle des antiken Mönchtums. Kirchenpolitik, Christologie und Pastoral. 2010. Band 25 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo – Sermones ad populum. Überlieferung und Bestand – Bibliographie – Indices: Supplement 2000-2010. 2010. Band 26 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zur Apostelgeschichte (Sermones 148-150). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2012. Band 27 Robert Walz: Vorbereitung auf das Martyrium bei Cyprian von Karthago. Eine Studie zu Ad Fortunatum. 2013. Band 28 Hubertus R. Drobner: Neu identifizierte Textzeugen zu den Predigten Augustins. 2013. Band 29 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zu den alttestamentlichen Propheten (Sermones 42-50). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2013. Band 30 Éliane Poirot: Saint Antoine le Grand dans l’Orient chrétien. Dossier littéraire, hagiographique, liturgique, iconographique en langue française. 2014. Band 31 Juan Antonio Gaytán Luna: Fin del mundo y destino final del hombre. La exégesis escatológica de I ad Corinthios 7,31, y 15,50, en la literatura cristiana antigua. 2014. Band 32 Andrea Bizzozero: Una catechesi sulla risurrezione dei morti. Analisi dei sermoni 361 e 362 di Agostino di Ippona. 2014. Band 33 Mauricio Saavedra Monroy: The Church of Smyrna. History and Theology of a Primitive Christian Community. 2015. Band 34 Gabriele Spira: Paradies und Sündenfall. Stoffe und Motive der Genesis 3-Rezeption von Tertullian bis Ambrosius. 2015. Band 35 Hubertus R. Drobner: Augustinus von Hippo. Predigten zu den Psalmen I (Sermones 1321) und Predigten zu den Psalmen II (Sermones 22-34). Einleitung, Text, Übersetzung und Anmerkungen. 2016. Band 36 Hans Feichtinger: Bild und Bildung bei Augustinus. 2017. Band 37 Giorgio Mazzanti (ed.): Basilio di Cesarea – Omelie sui Salmi e altre omelie esegetiche. Introduzione, commento e revisione. Traduzione e indici di Simona Giani. 2017. Band 38 Peter Lötscher: Monotheismus zwischen Rhetorik und Philosophie bei Tertullian, Minucius Felix, Laktanz und Augustinus. 2018. Band 39 Karl Wechtitsch: Die Quadragesima-Homilien Leos des Großen. Eine hermeneutische und liturgiehistorische Untersuchung der Traktate 39-42. 2020. www.peterlang.com