Die Harfe: Bändchen 1 [Reprint 2018 ed.]
 9783111686172, 9783111298962

Table of contents :
Inhalt
I. Treu bis zum Tode. Erzählung von Caroline Fouque
II. Des Dichters Sommernacht. Caprice von F. Kind
III. Drei Tage am Gestad der Weichsel und des Dnieper. Don F. Krug von Nidda
IV. Der Rormann auf Lesbos. Eine Abenteure. Von F. Fouque
V. Reisescenen und Bemerkungen. Von St. Schütze
VI. Der Solitair. Erzählung von F. Laun
VII. Die Versöhnung im Taubenschtage. Erzählung von K. G. Präyel
VIII. Romanzen
IX. Das Bild der Laura, und Jacob Fabers Testament. Aus Oscar's Denkblättern
X. Gedichte

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D i e

Harfe

Herausgegeben von

Friedrich

Kind.

Erstes -Bändchen.

Leipzig bei Georg Joachim Göschen i8i5-

Inhalt.

Zueignung. I. Treu bis zum Tode. Erzählung von Caroline Fouque'. S. 7 II. Des Dichters Sommernacht.

Caprice

von $. Kind.

— 53

in. Drei Tage am Gestad der Weichsel und des Dnieper. Don F. Krug von Nidda.

—73

IV. DerNormann auf Lesbos. Eine Aben-

teure. Von F. Fouque'. V. Reisescenen und Bemerkungen. St. Schütze.

— ioz Von

H

VI. Der Solitair. Erzählung von F. Lau n. S. 233 VII. Die Versöhnung im Taubenschtage. Erzählung von K. G. Präyel.



— 261

VIII. Romanzen. Graf Waldenburg, der Brave. Dorr K. W. Justi. Alzire.

.

— 283

Von K. G. Prätzel.

— 293

IX. Das Bild der Laura, und Jacob Fabers Testament. blättern.

Aus Oscar's Denk­

.

.

,

— 299

X. Gedichte.

Ihrer Kaisert. Hoheit der Frau Groß­ fürstin Katharina. Von G. A. H. Gramberg» Gottes Gerichte. Kosackenklage



.

— 315

Von T h. H e l l.

über

Alexanders

— 318 von

Blomberg Tod. Don F. Fouque'. ~ 322

DesKofackenHeimritt. Von Demsel­ ben.

.

.

.

— 324

m Des Kriegers Braut.

Don Louise

B r a ch m a n n.

.

S. 326

Die Einsiedler-Familie. Von F.Kjttk — 328 Treue gegen sich selbst. Schütze.

Von St.

.

.

—331

An Novalis. Don Messerschmid. —335 An meines Kindes Grabe. Von Ernst von Houwald.

.

— 336

Der Mensch und dieDam 0 ne n. Don G. A. H. Gramberg. Die Erscheinung. s ch m i d.

Von

— 338 Messer-

.

.

Adele. Von Haug.

— 341

.

— 343

An Frau Professorin SchützKarl-Reinhard.

Don



—344

Phantasie. Von L. Brachmann. Das Mädchen und die Hasel. Haug.

.

.

Zimmerweihe. Don Th. Hell.

— 345

Don — 346 — 348

DorinderiS Bildniß. Von KarlReinhard. ♦ . S. 350 Das Nachtlicht. Von Messer schmtd. — 350 Louisens Augen. Von H a u g.

— 351

Der freie Geber. Don St. S ch ü h e. — 351

D i e

Harfe.

Die Harfe klingt; heran, heran, Wer offnen Herzens ist. Und auf der ird'schcn Pilgerbahn Der Heimath nicht vergißt!

Die Harfe lockt; sie möchte gern Ergötzen und erfreun. Wie Morgenltcht aus schönerm Stern Des Kummers Nacht zerstreu'».

Kommt, deutsche Brüder, kommt herlbei, Hieher in Waldesruh'; Hört, holde Schwestern, sanft und treu, Uns stillgefälllg zu.

Viel Harfner werden nah'n und geh'n, Wol manche Harfnerin, Euch kund zu thun, was sie gesehn Mit hellem Aug' und Sinn;

WaS sie gesehn in Wirklichkeit, Zur tief bewegten Geist, WaS sich in alt und neuer Zeit Des Ruhmes werth erweist;

Was sie, die Harfe in der Hand, Auf fernem Pfad erblickt, Und was im schönen Vaterland Deseellgt und erquickt;

Den zarten Reiz, die edle Kraft, Zn Hütten, wie am Thron; Die Schrecken roher Leidenschaft, Der Tugend stillen Lohn;

Des Hirtenlebens fromme Lust, Und Schlachten grau- und wild, Stillleben aus der eignen Brust, Verklärter Brüder Bild.

Und Einer nimmt bas Saitenspiel Dem Andern auö der Hand, Und jauchzt mit regem Mitgefühl, Wenn Jener Ehre fand.

0, schenkt dem freundlichen Verein, Ihr Edlen, Eure Gunst, Und folgt uns gern zum heil'gen Hain Der ewig heitern Kunst.

I.

Treu

b i s

zum

Tode.

Erzählung von

Caroline Fouque.

Der Wald war kühl, der Morgen frisch und anmuchtg,

Prinz Max ritt

auf schlankem,

feingetiegertetn Schimmel lustig unter der grü­ nen Wölbung an zierlichen Landhäusern und Gärten hin. zurücklaufend,

Seine Doggen, bald vor, bald schnupperten geschäftig umher,

schössen, dann pfeilschnell, die schmalen rothen Zungen jächelnd herausgestreckt, zu ihrem Herrn zurück, sprangen an ihn auf und leckten ihm die neckend hingehaltene Hand. Spähen, der schnelle

Blick, der

Das kluge Glieder ge­

schmeidiges Spiel, alles ergöhtr den Prinzen an den Thieren.

Er begleitete mit ungemei­

ner Freude ihre kreuhenden Sähe, und lachte laut über die stürmische, oft ungestüme Zärt­ lichkeit seiner Lieblinge. Er hatte vor wenigen Tagen mit seinen Truppen

die nahe Seestadt bezogen.

Da-

IO reiche Leben dort schien

seinem verlangenden

Herzen entgegenzukommen.

Er war vergnügt

und sah mit hellem Sinn und frischem Ju­ gendmuth in die thatenreiche Zukunft hinein. Wie er nun so munter forttrabte, einen kecken,

freudigen Reotermarsch vor sich

summend,

bog ein offner Wagen,

hin­

von vier

hellbraunen Pferden gezogen, rasch aus einer Seitenallee ihm entgegen. dem Prinzen auf.

Die Pferde fielen

Sie waren von außeror­

dentlich schönem Bau und sichtlich ausländi­ scher Statt.

Er hielt an, um sie an sich vor­

beilassend genauer betrachten zu können, die- lachende Freudigkeit weicher,

als

jugendlicher

Stimmen aus dem Innern des Wagens seine Aufmerksamkeit mindestens theilte. Zwei verschleierte Frauen redeten mit anmuthtger

Lebhaftigkeit sehr eifrig

in

Englischer

Sprache mit einander, ohne den Prinzen zu beachten., der sich Vergehens bemührte, etwas mehr,

als

die verhüllten Umrisse

zu sehen.

Tracht wie Umgebungen vereinigten auf eigene Weise

Englische

Einfachheit

mit

Indischem

Glanz, und seltsam, wie ein dunkler Schatten, ragte ein hoher, breitschultriger Mohr von dem Lakaienbret über die hübschen Frauenbilder her-' über. Der Prinz wandte endlich sein Pferd, als fle schon eine Strecke an ihn, vorbei waren,doch die Augen flogen von Zelt zu Zelt unwillkührlich zurück, den empfangenen Eindruck zu sammeln oder das Fehlende zn ergänzen. Er schickte so eben einen letzten Blick hinüber, als ein herabhangender Lindenzweig, den Schleier der einen Dame fassend, ihn hoch in die Luft schnellte. Der gewandte, schnellfüßige Schim­ mel trug den Prinzen im Fluge zu dem Baum; er haschte die luftige Hülle, trabte zum Wa­ gen, und überreichte sie der entschleierten Un­ bekannten, die unter glühendem Erröthen die duirkeln, ernsten, und doch unbeschreiblich lin­ den Blicke senkte. Ein angenehmer Schauer übergoß den Prinzen, als diese Blicke dankend zu ihm aufsahen, und eine rührend sanfte Stimme ein paar deutsche, verbindliche Worte stammelte.

Als zu

der Anstand ihm endlich gebot,

entfernen,

und

er,

sich

ehrerbietig grüßend,

langsam umwandte, hörte er eS leise im Wagen flüstern r

„ Der Prinz,

Prinzi"

Es

chelndes in

gewiß eS war

der

lag etwas unendlich .Schmei­

diesem leisen, geheimen Erkennen,

da weder Umgebungen, noch äußere Auszeich­ nung, seinen Rang verriethen.

Mit halbem

Lächeln sah Prinz Max sein altes gutes Glück auch hier wieder auf sich zukommen, und ihm ungesucht ein angenehmes Abenteuer bereiten. Gleichwol war etwas in den schönen, wun­ derbaren Augen,

was ihm doch eine kleine

Scheu

und seinen Muth um ein

einflößte,

Bedeutendes schwächte.

Er ward unwillkühr«

lich ernster, und kam sogar verstimmt und verdrüßlich in seine Wohnung zurück. Die Unmöglichkeit, in diesem Sammelplatz verschiedenartigster

Nationalität

eine

Fremde

auszumitteln, fiel ihm schwer aufs Herz.

Er

fühlte eS, der Zufall konnte hier allein einen Ausweg bahnen,

und der Zufall schien ihm

zum erstenmale mißlich und unsicher.

Er saß noch grübelnd da, als seine Hunde, ihrer unartigen Gewohnheit gemäß, in den seidenen Sophaküffen wühlend, einen kleinen Zettel herauswarfen, der zwischen den Polstern steckte. Das Unbedeutendste, wenn es plötzlich aus der Verborgenheit heraustritt, reitzt und lockt unsre Sinne. Der Prinz bückte sich um willkührltch nach dem Papier. Es war ein unvollendeter Brief, vielleicht wegen irgend einer mißlungenen Stelle ungeduldig in die Dunkelheit verwiesen. Er war in Englischer Sprache geschrieben, und warf Len Prinzen vollends in ein Meer von Muthmaßungen, als er las, wie die Inhaberin dieses Hauses einer Freundin klagte, die Stadt auf mehrere Zeit verlassen zu müssen, indem der comman« dlrende Prinz ihre Wohnung beziehe, und sie nicht mitten in dem Tumulte soldatischen Un­ wesens zugleich darin wohne» könne. Er hatte den Zettel vor sich hingelegt, und say bald auf die schönen, wenn gleich etwakühn hingeworfenen Schriftzüge, bald auf dle Verzierungen und das Geräth des Zimmers.

Er suchte die äußere Bestätigung dessen, waS er im Innern nicht umhin konnte zu -denken. Denn wie der Verstand auch das allzurasche Folgern und Verknüpfen der Phantasie tadelte, er sah,

er empfand die Unbekannte überall.

Die Umgebungen übten mehr und mehr einen bestechlichen Zauber über ihn, und als er von ungefähr einen Blick auf den Spiegel warf, war

ihm

nicht

anders,

als sehe ihm das

liebe schöne Bild aus reichem Goldrahmen ent­ gegen. Er sprang beklommen auf, ging einigemal mit großen Schritten durch die geöffnete Zim­ merreihe, trat zu einem Fortepiano, und schlug, vielleicht sich selbst zu entgehen, ein paar volle, in einander rauschende Tine an.

Doch die

Klänge rissen vollends in seinem Innern.

Die

Augen, die Seele der Unbekannten schienen sich aufzmhun; ein Schauer, wie bei ihrem schüch­ tern dankenden Blick, überflog ihn; er setzte sich träumend auf das Sopha nieder,

und,

die erhitzte Wange unter schnelleren Herzschlä­ gen in die weichen Kissen gedrückt, glaubte er

die berauschende Nähe des schömen WeibeS zu empfinden. Sehr frostig und unbequem fuhr der eintre­ tende Adjuvant mit einem paar unbedeutenden Meldungen durch das luftige Traumnetz.

Der

Prinz antwortete schnell und kurz, und fragte dann mit ungewisser Stimme: nicht,

wem dies Haus gehört?

„Wissen Sie wessem Ge­

schmack und feinem Sinn ich all' die Bequem­ lichkeit verdanke?"

Jener entgegnen:

„So

viel ich weiß, einer reichen Crcolin, die, in In­ dien an einen Engländer verheirathet, nach des­ sen Tode in die Geburtsstadt ihres Vaters zu­ rückkehrte, und der Heimalh einen Theil ihrer Schätze zukommen läßt." „Und wir haben sie vertrieben!" rief der Prinz in freudiger Ell. nung verlassen. seyn?

„Sie hat ihre Woh­

Wohin mag sie nur geflüchtet

Ich hoffe, nicht nach Indien zurück!"

— „So weit," erwiederte der Adjudant lä­ chelnd, „hat sie ihre Scheu vor den fremden Truppen bet alledem nicht geführt.

Sie ist

ganz nahe von hier, in einem Landhause vor

l6 der Stadt." — „Sie wußten" — ? unter­ brach ihn der Prinz, „und avertirten mich nicht. Sie (legen- mich drei Tage hier behag­ lich rasten, ohne meine gütige Wirthin aufge­ sucht zu haben? wie ungalant i Eilen wir nun, das Geschehene wieder gut zu machen. Noch diesen Nachmittag reiten wir hinaus! “ Es dunkelte schon; der Prinz schien seine Wünsche absichtlich bezähmen zu wollen. Viel­ leicht kämpfte er noch, vielleicht auch empfand er jene Scheu, die uns wol befällt, wenn die Wirklichkeit entscheidend nahe tritt. Ein Zwei­ fel nach dem andern stieg in ihm auf; er ward ganz unsicher, und sprengte endlich in einer Art von unmuthigem Trotz mit seinem Gefolge nach dem Wäldchen zu, das ihm feit diesem Morgen «in Heer neckender Traumbilder nachschickte. ES war gleichwol ein Trost, daß der Dame Landsitz grabe hier hinaus lag, und leise blitzte die Hoffnung wieder auf, als der Weg grade, zu der Allee hinein bog, aus welcher heut der Wagen kam. Der Prinz bemerkte unter stäe, kerm Herzklopfen, daß die frischen Geleise lisch

nach einem Etsengatter wiesen, dessen weile Pforten gastlich offen standen. Unmuthig wogten balsamische Düfte von bort herüber; auf schlanken Pfeilern, in hohen Vasen glüheten die brennenden Trvpengewächse ihr Dlütenlicht in die dunkelnde Nacht hin» ein. Ein MarmorhauS mit flachem Dach, ringsum auf weißen Säulen ruhend, sah fremd und lockend durch den ernsten Eich » und Bu­ chenwald. „Hier ist der Dame Wohnsitz," sagte der Adjudanl. Der Prinz hielt tiefath­ mend still. Ein vorausgeschickter Zokei kam eilig zurückgesprengt. „Cw. Durchlaucht wer­ den erwartet, “ rief er schon von weitem. Der Prinz war Augenblicks vom Pferde. Er ging zwischen hohen Dlumenwänden an seltsamen Thiergestalten hin, die in gclbnem Käfich un­ ter fremden Sträuchern der Heimath Düfte einathmeten. An Zauberei und Feenmärchen denkend trat der Prinz in eine» hellen, hei­ tern Saal, dessen Flügelthür zwei wunderliche Schwarze öffneten. Line ältliche, starkbeleibte Fra« erhob fich Dlc H-rf«. [.

Ift behaglich lächelnd von ihrem Sitz, halb

stolz,

Sicherheit

halb geschmeichelt, dem

Prinzen

und ging

in gnügltcher

entgegen.

wußte nicht, was er sahe;

Dieser

die Worte erstar-

ben Ihm im Munde.. Doch bald sich selbst in seinen

phantastischen Träumereien

auslachend,

sagte er mlt leichtfertigem Blick auf die breite Figur der Dame:

„Ich

stehe beschämt vor

Ihnen, und eile, einen Irrthum

abzubüßen,

der mich sehr ungeschickt erscheinen läßt.

Erst

seil wenig Augenblicken weiß ich, wem ich die reizende Wohnung verdanke, und daß es Ihre Güte war, brachte.

die mir ein unverdientes Opfer

Sie werden es verzeihen, wenn ich

nicht stüher meine Schuldigkeit beobachtete." Die Dame verneigte sich

tief und langsam,

nöthigte den Prinzen, an ihrer Seite auf dem Divan Platz zu nehmen, und hub dann nach einem kleinen Husten selbstzufrieden an: „Wahr ist eS,

recht

prachtvoll

und kostbar ist das

Quartier von Ihro Durchlaucht;

Kaiser und

Könige dürften sich nicht schämen drin zu woh­ nen, und wenn der KriegSwechfel unsre Stadt

noch lange so in Mitten der Truppenbewegun­ gen erhält, wird meine Nichike noch oft daS Ihre mit dem Rücken ansehen müssen-" Der Prinz ward aufmerksam. „Ihre Nichte?" wiederholte er. „Ja," entgegnete jene, „An­ tonie Moray, meines Bruders einzige Er­ bin.- Ihr gehört der schöne Landsitz hier, wie baS Haus in der Stadt. Das liebe Kind wird es bedauern, so gnädigen Besuch ver­ säumt zu haben." Ihre Blicke glitten hier verbindlich blinzelnd an dem Prinzen hin, der höchst gespannt jedes ihrer Worte beachtete." „Doch," fuhr sie sott, „denke ich, die Ehre sei uns nicht zum letztenmal gegönnt, und ln wenigen Tagen erwarte ich meine Nichte von einer kleinen Reise über Land zurück." „Es scheint," sagte der Prinz mit steigen­ der Unruhe, „meine Gegenwart vertreibt die schöne Antonie noch ganz von hier. Sie hätte mehr Vertrauen zu der ehrerbietigen Bescheidenheit eines Deutschen Feldherrn hegen sollen. Ihre Gegenwart würde mehr, als Alles, Ordnung «nd Sitte in ihrer Wohnung erhalten haben.

Ich Cin in Verzweiflung, sie daraus gSbannt zu haben. Zch bitte, sagen Sie ihr da« Madame, so wir, daß ich den Augenblick kaum erwarten könne, ihr meine Verehrung zu bezeigen." Er war aufgestanden, und im Begriff, den zwecklosen Besuch zu enden, als er unversehend in einer Nische das Bild der Unbekannten erblickte. „Ha!" rief er, „das ist sie." Die Tante sagte mit beifälligem Lächeln: „Ew. Durchlaucht Vermuthung trifft zu; es ist wirk­ lich -meiner Nichte Bild." Der Prinz stand wie bezaubert. Des Orients Gluten, schien es, schlugen über ihm zusammen. ES war nicht anders, als werde die Seele dieser Augen lebendig vor seinem Blick. Halb träumend riß er sich endlich so«, grüßte flüchtig, und sprengte mit Blitzesschnelle nach der Stadt in feine Wohnung zurück. Hier wrhete ihm vertraute, heimathliche Luft entgegen. Die schöne Gestalt schwebte vor sei­ nen Augen, und wie er die Thür rasch öffnet«, glaubte er kleine Schritte, «in leise«, grüßendes Stimmchen zu hören. Sein ganzes Wesen war

in Aufruhr.

Er löschte die Kerzen aus, und in

der bilderreichen Dunkelheit sah und hörte «r, wonach sein Herz verlangte. Nicht

lange

indeß konnten die lockenden

Schattenspiele dem unruhigen

Blute gnügeu.

Dies kochte siedend in den Adern, und trieb die junge Leidenschaft über all« Kindesträume hinaus in die lebendige, wirkliche Welt. Zn Concerten, im Theater, an ihrer Wvhnung täglich vorüberreltend,

überall,

wo er

menschlichem Blicke begegnen konnte, suchte der Prinz vergeblich nach dem holden Geschöpf, das seine ganze Seele so ungewöhnlich, so gebietend beherrschte.

Antonie war nirgends sichtbar, im­

mer noch, wie es hieß, bei einer Derwandtln auf dem Lande. Ermüdet endlich, io lässiger, überdrüssiger Laune, erschien er eines Abends ganz spät auf einem Balle, zu dem er geladen war.

Ueber-

zeugt, erwartet zu werden, seihst nichts erwar tend, ließ er die Zelt hingehen, und trat nun mit vornehm gleichgültigem Anstand in die glän« zenden Zimmer, ließ die Blicke müsslg durch die

Frauenkreise Hinspielen, und, den Kopf etwas stvlj gehoben, tief und abgebrochen mit einzel­ nen Bekannten redend, drängte er sich nach dem Tanzfaale. Man wich

ihm achtungsvoll auS, und er

stand plötzlich Antonien gegenüber, die auf frei­ gelassenem Raum, einen Purpur-Schawl an» muthig in beiden Händen erhebend, einen Au­ genblick ruhend, im Begriff stand, den Tanz ihres Landes wieder anzufangen.

Der kurzge­

schürzte Musselinrock, der Glieder geschmeidiger Bau,

die blendenden,

hochgehaltenen Arme,

daö dunkle, reiche Haar unter glühendem Zuwelenkranz, Alles machte die Erscheinung überra­ schend, fremd, aller Sinne bemächtigend.

Die

Musik fiel nach kurzer Pause leise verschwim­ mend ein;

Antonie

bog sich etwas

zurück,

athmete noch einmal tief, strich die Locken aus der Stirn, hob den kleinen Fuß, und, indem sie langsam den gesenkten Blick aufschlug, schie­ nen die bewegten Glieder noch ungewiß auf den Tönen zu wogen.

Doch jetzt fiel ihr Auge auf

den Prinzen; sie ließ die Arme sinken, warf de«

Schawl schnell über die Brust, und sagte halb bestürzt, halb eigensinnig: „Nein, heute geht's nicht mehr;

ich kann nicht weiter tanzen."

Man drang in sie, man bestürmte sie;

doch

sie schlüpfte behend, mit neckendem Kopfschüt­ teln-alles weitere Eindringen abwehrend,

in

ein Nebenzimmer. Die

Augen des Prinzen

lagen während

dem brennend auf den ihrigen.

Wie im Blitz

trafen sie jetzt einander, und zündeten in bei­ den Herzen. Er war ihr unwillkührlich nachgefolgt, und trat nun unter leichter, zu ihr hin. bewegt,

gefälliger Begrüßung

Zhr Athem war noch vom Tanze

die Brust flog unter stärkern Herz­

schlägen, die Worte zitterten ungleich in dem beklommenen Ton der Stimme. fühlte das

raschere

allen Adern, er

Der Prinz

Kreisen ihres Blutes in

seine Pulse schlugen ungestüm;

hätte das reizende Geschöpf um alles in

seine Arme,

an die glühende,

schließen mögen.

wilde Brust

Er hoffte, der eignen Unruhe

durch keckeS Spiel der Laune zu entgehen, und

knüpfte,

(m raschen Flug dreister Wünsche,

von der Erfahrung gestachelt, ein Gespräch an, baS ihm in daS alte, oft versuchte GeleiS frei und bequem hinein helfen sollte. Worte stockten; den Lippen;

der

Aber die

Scherj erstarb ihm auf

er ward einsylbig, und schwieg

zuletzt ganz, das Geräusch der eignen Worte scheuend.

Die linden Töne eines sanft wie­

genden Walzers stoffen an ihnen hin und her, und begleiteten den still gerührten Blick des Prinzen,

der immer inniger und welcher zu

AntonienS

Stele

sprach.

Eben wollte

der

Prinz sie um «inen Tanz bitten, als die Tante herzutretend erinnerte, daß der Ball. zu Ende fei und die meisten der Anwesenden sich bereitentfernten.

„Sie gehen also,"

flüsterte der

Prinz leise, als Antonie Anstalt machte aufzu­ brechen,

„Sie

gehen

Seine Stimme zog zurück;

wirklich,

Antonie?"

sie mit taufend Banden

sie zögerte einen Augenblick.

Doch

schnell gefaßt entgegnete sie lächelnd: „Sie ver­ gessen, mein Prinz, daß Sie spät kamen, daß Sie nun erst anfangen wollen, wo wir ermüdet

aufhören."

„Zu spät also?" sagte der

Prinz etwas verletzt, verneigte sich, und ließ Antonien gehen, ohne den versöhnenden Blick ihrer rührenden Augen zu brach ttn.

Als die

kleine Empfindlichkeit aber vor der stärkern Lei­ denschaft schwieg, er aufsähe, und Antonie nun wirklich fort, in keinem Zimmer mehr zu finden war, stürzte er unzufrieden mit sich,.mit Gott, und der ganzen Welt, in seinen Wagen, In sein Zimmer, in das Bett, in welchem Antonie viel­ leicht früher geschlafen hatte.

Wie er nun die

Vorhänge rauschend zuzog, war eS ihm, als flüsterte ihr Stimmchen eine gut« Nacht; er sah den Engelskppf zwischen den setdnen Falten, und schlief, vom leisen Flügelschlag wogender Schwin­ gen gekühlt, beruhigt und heiter ein. Des andern ?ageS fand er Antonien unter ihren Blumen und Thieren.

Sie hegte und

pflegte die kleinen Lieblinge mit wehmüthiger Zärtlichkeit.

„Alles," sagte sie, als der Prinz

diese Vorliebe spöttisch rügte, „alles haben mir die armen Geschöpfchen geopfert, den schöne» heiinathltchefl Himmel,

Zndiens Dalsamluft,

und vor allem die goldne Freiheit. Es ist wol eine Unart zu nennen, daß ich mich von nichts loszumachen weiß, was ich liebe. Ich hätte um die Welt diese hier nicht zurückgelassen." „Antonie," sagte der Prinz mit prüfendem Blick, „sind Sie wirklich so treu?"— „Treu Vis zum Tode," entgegnete sie rasch, indem sie von einer Granatftaude, über welche sie ge­ beugt stand, aufblickte. Die glühenden Blu­ men flammten auf ihre Wangen zurück; ihr Auge strahlte; alle« Leben in ihr blitzte fun­ kelnd auf. Doch in demselben Augenblick wandte sie sich erschrocken ab, und, fest und gesammelt, schien sie sich plötzlich in sich zu verschließen. Dem Prinzen fuhr eS wie ein Gespenst durch die Seele, Antonie trage eine frühere Liebe im Herzen- Darauf einmal im Innern gestellt, sah, empfand und maß er alle« nach diesem einem Gefühl in Wort und Wesen, je zurückhaltender und ernster er Antonien mit jedem Tage fand. Eifersucht, wie Eitelkeit, steigerten seine Leidenschaft über alle Gränzen

hinaus. Er hatte nirgend Ruhe, und ängstete Antonien, wie sich selbst, mit stummem, trü­ bem Unmuts). Einst, «iS sich fein stolzes Blut gegen den Gedanken kalter Verschmähung empörte, und die brausenden Sinne wild durcheinander tobt ten, eilte er ungestüm zu Antonien, mit dem festen Vorsatz, sie zu einem Geständniß zu zwingen. Zu seinem Acrger fand er Hans und Garten leer. Mit großen Schritten auf - und niedergehend, ganz unfähig, so unverrichteter Sache zurückzukehren, trat er in ein kleines Spiegelzimmer, das nach dem See hinaus lag, und, mit Blumen und Vögeln angefüllt, Antoniens Llebllngsaufcnthalt war. Musikalie» und Guitarre lagen noch von diesem Morgen her vertraut auf dem Stickrahmen. Das ArbcitStifchchen stand offen. Die kleinen Fächer mit bunten Seiden, Stickmustern, Visitenkar« ten, trocknen Blumen, und all den abgerisse­ nen Erinnerungen kleiner Umstände des LcbenS hatten auch hier, wie so oft schon, ihre eigne Anziehungskraft. Der Hrinj kramte in seinem

Mißmuth gedankenlos darin umher, «ln

als lhm

zusammengerolltes Papier in die

Hände

fiel, wol neuerlich erst mit Bleistift beschrieben. ES enthielt folgende Worte des Shakespeare:

„Was Hamlet angeht, und sein Lieb»getandel, So nimm'« als Sitte, als ein Spiel de« Blut«, Ein Veilchen in der Jugend der Natur, Frühzeitig, nicht beständig, süß, nicht dauernd, Nur Duft und Labsal eine« Augenblick«, Nicht« weiter! — “

„Nicht- weiter" —

wiederholte der Prinz,

da« Blatt langsam zusammenfaltend. war'« also!

nichts

„DaS

0, ich möchte tausendmal sagen:

weiter! aber in einem ganz andern Sinne.

Arme, liebe Seele, das ängstete, das quälte dich! “ Er steckte das Papier zu sich und wollte fich schnell umwenden, als ihm AntonlenS Ge­ stalt unzähligem«! auS den Spiegeln zurückleuch­ tete.

Bleich, wie ein Marmorbild, die Augen

gesenkt, stand sie an einen Pfeiler gelehnt, und duldete still, daß her Prinz ihre Hand faßte, sie

heftig an sein Herz drückte, und dringend bat: „Antonie, Engel, sage, daß du mich liebst." Sie hob den Blick langsam auf; ihre Lippen bewegten sich leise; wie «ln Hauch zog eS drü« der hin:

„Die Liebe ist mir kein Spiel, ich

habe sie nie gekannt, doch fühle ich, wa- mir bas Leben gab, kann mir auch den Tod geben; dazwischen liegt nichts mehr." Beben,

Ein

lindes

wie daS Wehen einer Blume, ging

über ihre schneeweißen Glieder;

sie schloß die

Augen, und sank hingegeben, überwunden, an des schönen stolzen Manne- Brust. Von dieser Stunde hub ein

neuer Tag,

ein neues Daseyn für den Prinzen an.

Anto»

nien- tiefe

glühende Seele schloß sich überra,

schend auf.

Alle- war Flamme, Dust und

Klang in ihr.

So hatte sich der Prinz noch

nie geliebt gesehen, so mit jedem Tage neu und reizend

war

ihm

nie «ine Frau

erschienen.

Das waren fremd« Elemente, au- welchen er in langen, berauschenden

Zügen

de- Lebens

wunderbare, unerkannte Seligkeit schöpfte.

Oft

dachte er zu träumen, und scherzend sagte er

einst: „Ich glaube, Antonie, du treibst Magie; alles an dir und um dich her ist feenartig; du ziehst das Nctz noch ganz und gar über mich zusammen;

du hast mich schon an dich gebannt,

ich kann nicht wieder los." zärtlich

an seine Brust,

heimlicher

Vorahndung,

Sie schmiegte sich und sagte unter un­ „wollte

Gott, eS

wäre so!" Es wav des Prinzen Stolz, öffentlich mit Antonien zu erscheinen, und in der ausgespro­ chenen Ergebenheit gegen sie die Gewalt, wie die Süßigkeit neuer, selbstgewählter Bande An­ dern zur Schau zu tragen. glaubte er,

Antonien um so

Vielleicht

auch

unwiderruflicher

an sich zu fesseln, je mehr sie mit der öffentlichen Meinung zerfallen, war.

allein-auf ihn angewiesen

Die Tante warnte, tadelte;

entgegnete ernst:

mir und der Welt treiben? zu spät. mehr." Brust.

Antonie

„Was soll ich Heuchelet mit Rücksichten kommen

Wille, wie Leben, gehören mir nicht Der Prinz schloß sie

imitg §n seine

„Bereue das nicht, liebes Kind," sagte

er schmeichelnd.

„Zärtlichkeit und Treue sind

die einzigen wahren Elememte einer weib­ lichen Brust.

Weisheit, Klugcheit, schickliche

Haltung, gehören den Häßlichen oder Stolzen, und beide Gattungen sind mir gleich zuwider." „Und doch," sagte Antonie mit feuchtem Blick, „gehen Weisheit und Haltung aus der Treue hervor.

Treue, mein Lieber, macht allein gut,

was Zärtlichkeit verdarb. “ Zn einer klaren, bilden Nacht gingen beide zwischen hohen Blumenwänden in AntonienGarten hin.

stumm und glücklich neben einander

Die Herzen waren still; das Leben schwieg;

die Ewigkeit that ihre goldncn Thore auf und schickte Träume von ruhig ungetrübter Seligkeit über sie hin.

Da trabte e- rasch am Etsengitter

vorbei, und eine Stimme rief: ist der Prinz hier?

Auf die Antwort: ja, schlugen die Dog­

gen hell an, der Adjudant trat mit Depeschen aus dem Hauptquartier herein.

Ungeduldig riß

der Prinz die dargereichten Papiere auseinan­ der, trat zu einer Fackel, die ihm rin Schwar­ zer entgegen trug, und las mit scharfem, fliegen­ dem Blick, wahrend Antonie, die Augen auf

iljtt geheftet, ihrer kaum noch mächtig, mit dem Offiziere redete. Eine Ladung nach dem Hauptquartier, ein« veränderte, früher

nachgesuchte

Bestimmung,

Abschied, Trennung, alle» blitzte dem Prinzen verworren von dem unerwünschten Blatte ent­ gegen.

«Dacht' ich« doch," sagte er ärgerlich,

«jetzt kommt«, so ungelegen als möglich!" Zelt und Ehre dränn en ihn indeß, es war kein Augenblick zu verlieren, draußen warteten seine Pferde, die Hunde bellten und sprangen ungestüm an ihm heran. Antonien.

Er trat schnell z«

Der Offizier entfernte sich.

„Ich

weiß alleS, “ sagte sie etwas hastig und beklom­ men, „ich weiß alle«; gehe, lieber Max, uns trennt doch nicht« al« der Tod! “

Er drückte

sie heftig an sein Herz, warf sich auf den schö­ nen Tigerschimmel, und schoß wie ein Pfeil an ihr vorbei. Antonie lehnte die. Stirn gegen die Elsen­ stäbe de« Gitter«.

Eine kleine Weile hörte sie

die Pferde noch traben; dann ward alle« still; die Blumen schlugen säuselnd über ihr zusammen,

kalter Nachthauch streifte an ihre feuchten Wan­ gen, ihr grauere in dem einsamen Garten, sie floh in das Haus, auf ihr Zimmer zurück. „Leer," rief sie schluchzend, „Alles leer und auSgestorben!" Die Uhr schlug Eins. Ein ganzes Leben war hinter ihr versunken. „Mein Gott, mein Gott," stöhnte sie leise, „wenn nun der neue Tag die öde Welt durchleuchtet, wo soll ich denn hin, um von der Vergangen«' heit zu träumen! “ Boten und Briefe unterbrachen indeß bald die trübe, gefürchtete Einsamkeit. Der Prinz lebte und athmete in den glühenden Erinnerun­ gen jener Tage. Antonie empfand ihn in jedem Worte. „Noch," sagte sie oft mit stiller Gnügsamkeit, „noch ist er der Alte; noch ist er treu und wahr, und keine Sylbe anders, als *r sie hier zur Stelle sagen würde. “ Solche Stunden warfen einen hellen Schein auf viele fplgende. Des Genusses sparsame Blüten reizten und spornte» die Erwartung, so baß sie der ZeitFlügel gab, und das Leben von einem Posttage Die Harfe. I.

3

jum andern nur rin gespannter hoffender Athem­ zug schien. Wochen

und

Monate waren vergangen;

der Krieg zog sich hin und her,

ohne eben

etwas Entscheidendes herbeizuführen.

Es fing

an dunkel in Antoniens Seele zu werden; sie wußte nicht recht, wo sie mit ihren Wünschen hin sollte.

Der Friede, dachte sie dann und

wann, der Friede wird alles Liebe und Schöne wiederbringen.

Zn diesem heitern Licht müs­

sen sich alle Verhältnisse klar und fest gestalten. Nicht lange darauf erwachte sie eines Mor­ gens unter lautem Kanonendonner. erschrocken auf.

Sie fuhr

Jubelnd schrie das Volk; der

Klang unzähliger Posthörner schmetterte durch die

Straßen.

Friede!

rief ihre ahndende

Seele.

Sie flog an das Fenster.

Knieen

lagen

Mütter

Auf den

und Gattinnen,

die

Arme, die Augen, ohne Worte zum Himmel gerichtet; aus den Fenstern, von den Dächern, leuchteten lauter Matengesichter; singend,

allen

Athem

ihrer

pfeifend und

weit

geöffneten

Brust mit schwellenden Adern herausschreiend-

warfen Matrosen Heer

die

Mützen

und der Zungen zahlloses in die Luft;

im

Hafen

feuerte das Geschütz; der Schiffe bunte Wim­ pel flackerten;

was Leben hatte, rührte sich;

zu Fuß, zu Pferd und Wagen drängte es durch die Gassen; die Friedensboten wurden fast vom Volke getragen; ihre Pferde;

alt und jung hing sich an

man konnte das süße, labende,

beruhigende Wort: Friede, nicht oft genug hjren, und sinnend, wie im Traume, wieder­ holte es manch treuer Bürgersmann, den Blick still und nachdenklich nach dem gesicherten Ei­ genthum

zurückwendend.

Friede,

Friede!

schallte es Tag und Nacht durch die berauschte Menge. Antonie hatte mit gebetet, mit gejauchzt. Still und fromm trugen sie ihre Schritte in die Kirche; der Begeisterung unwiderstehliches Element trieb sie unter Menschen, zu Lust und Feier.

Als aber die laute Freude ihre Schwin­

gen senkte, Einer nach dem Andern in die Frelstatt freigewordener Wirksamkeit zurücktrat, die Ordnung des Lebens ihr altes Recht behaup-

36 tetc, und

jener gewaltige Moment von dem

geschäftigen

Triebwerk

der

Zeit verschlungen

ward, fragte sie sich besinnend: Und was nun weiter? ^ — worden;

Für sie war nichts anders ge­

ihrer Liebe heimliches

nicht von dieser Welt;

Reich schien

eS schwankte und zer­

floß nur mehr und mehr vor dem bestimmten Tageslicht. Der Prinz hatte seither geschwiegen. Zeitungen

erwähnten

seiner

bei

Die

Gelegenheit

mehrerer kleiner Reisen, von denen ihn gleich­ wol keine zu Antonien brachte.

Zn ihr war

indeß solche Treue deS Glaubens, so inniges Vertrauen,

daß sie nicht sowvl Zweifel,

als

Sehnsucht, heiße, wachsende Sehnsucht quälte. Wie auf weitem Meer irrten ihre Gedanken. Sie wußte den Geliebten nirgends, als in ihrer Seele; da fühlte sie ihn, und senkte den Blick absichtlich vor der Zukunft, einzig noch in den alten lieben mochte aus

Erinnerungen lebend.

Deshalb

sie auch nur Abends in dle Welt hin­

sehen,

und

pflegte

gern

in

nächtiger

Stunde dem Strande entlängst in kleiner Barke

auf dem Meere hin und her zu wogen.

Das

duftige Element rührte lind an ihr.beklommenes Daseyn, die Welt schien gestorben, und wenn ihre dunklen Schwarzen ste so schweigsam über den Silberrückcn des Wassers htnrudcrlen, war ihr nicht anders, als drängten sie der Erde Schatten zu dem unermeßlichen, tiefsinnigen Born des Lebens zurück.

Liebe, vertraute Bilder he­

gleiteten sie dann; sie konnte weinen und hoffen. Einst trat sie, von der nächtigen Fahrt spät zurückkehrend, mit feuchten Augen in ihr Schlaf­ zimmer.

Das Licht blendete sie; sie empfand

einen heftigen Schmerz, und wollte sich abwen­ den, als sie auf ihrem Nachttisch einen versie, gelten Brief bemerkte.

Mit lautem Schrei er­

kannte sie deö Prinzen Hand.

Schnell war

das

Siegel erbrochen, bat Papier auseinander ge­ legt, als eine unbezwingliche Angst ihre Hände zitternd

zusammenfaltete,

und sie

schüchtern auf de» Schoos sinken ließ.

dqS Blatt Doch sich

augenblicklich zusammennehmend las sie,

alle

weichliche Scheu ntrderredend mit lauter Stimme folgendes:

„Zch schwieg, liebe Antonie, weil ich Dich unaussprechlich

liebe;

weil

sich mein Herz,

meine Hand sträubt«, Dir wehe zu thun; und gleichwol darfst Du nur durch mich erfahren, waS Du doch einmal wissen mußt. schöne, liebe Freundin! und kalt;

Meine

das Leben ist streng

was ich in Deinen Armen davon

träumte, paßt sich schlecht in die Mechanik bür­ gerlicher Verträge; an diesen Stiften und Ha­ ken reißt unsre Freiheit in Stücken, und waS wir davon retten, müssen

wir verstohlen und

schüchtern in dem tiefen Grund unsers Her­ zens bewahren.

Da lebst du Antonie, mein

stilles, tiefes Geheimniß; leben.

da wirst Du ewig

3nt Uebrigen bin ich eine politische

Wetterscheibe,

die der wechselnde Wind

großen Horizont gesammter Staatskörper oder so stellt. —

Zeht muß es ge­

Erschrick nicht, liebes Herz, vor der

entschlichen Nothwendigkeit.

Zürne auch nicht,

weder mit mir, noch der Welt. mal so;

so

Zch heirathe, Antonie. —-

ES war längst beschlossen. schehen.

am

ES ist ein­

darin liegt «ine Hölle und ein Him-

mel für dm Menschen.

Du hast Muth, An­

tonie, die Dinge zu sehen, wie fie sind.

Thue

das; laß Stolz, laß Empfindlichkeit schweigen, und flüchte mit mir zu der einzige» Freistatt, die uns blieb, unsre Liebe, Antonie! unsre--------zweifle nicht, hier allein ist noch Glück für uns.

Sage mir, wirst Du anstehen, mir zu

folgen, wenn ich Dir die Hand reiche? Weiß die Treue, weiß das Herz auch von Nücksichten?

Steh, wie die Schaumblasen vor der

gährenden Arbeit der Zeit platzen; der Augen­ blick ist ihr Schöpfer, er leihet ihnen tausend« fache Farbe;

was bleibt, ist das reine, klare

Element des Lebens, dle Liebe, meine schöne, meine angebetete Freundin! hören, ihr zu vertrauen? früher betrogen?

Kannst Du auf­ Hat sie Dich auch

0, um aller Wonnen jener

Erinnerungen willen, Antonie, komm, komm, wohin ich Dich rufe! hältniß

Was geht unser Ver­

alle Kabinetsweisheit der Welt an?

Du gehörest mir, nicht der Welt.

Du hast

das tausendmal gesagt, beweise rS jetzt! acht Tagen bin ich in der

Zn

Residenz meines

Vater-. Ich zweifle nicht, Antonie, Du kommst auch dahin. Wie wird der Hof, die Stadt, meine schöne Geliebte bewundern. Sieh mein« ganze Seele fliegt dir entgegen. Fühlst Du nicht, daß ich ohne Dich nur halb lebe? Liebe« Kind, denke, e« werden Stunden kom­ men , «o ich an Deiner Brust allein Ersatz für manche Qual finden kann! Wirst Du mir diese Freistatt versagen? Kannst Du schwanken? und hast Du mich auch je geliebt?" — Zwei Tage und Nächte verschloß sich Anto­ nie in ihrem Zimmer, ohn« eine lebende Seele zu sehe«. Drauf trat sie ernst und gefaßt her­ aus, befahl, ihr« Sachen zu packen, zu Schiffe zu bringen, und hieß ihre Umgebungen, sich auf die Rückfahrt nach Indien einzurichten. Der Prinz aber erhielt folgende Antwort: „De- Himmels schönsten Segen, mein ein­ zig Geliebter, über Dich, über Deine Ehe und Deine Kinder. — Deine Kinder! — Max,

fitzerS, den Preis seines Besitzes zu bestim­ men,^ wenn er sich dessen entäußern wist. Doch ich, meines Orts, würbe den Zrrthum, worin Herr

von

Chermont dabei zu.seyn

scheint, auf kein« Weise zu.benutzen suchen."—7 „Zch auch nicht,"

entgegnete der Kam­

merrath erröthend, „vielmehr denke ich darauf, ihm, wenn er den Ring verkaufen will, «ine weit höhere Summe dafür zu zahlen., als er

gegeben hat.

Sonach würden wir denn beide

einen erlaubten Gewinn davon tragen." „Vielleicht,"

versetzte, der geheime

Rath

mit kaltem Ernste, „vielleicht ist Ihre Ansicht die richtige.

Da ich sie indessen nicht zu der

meinigen machen kann, so verzeihen Sie, wenn ich mich her ganzen

Angelegenheit entziehe.

Hier ist der Ring, stellen Sie ihn der Be­ sitzerin wieder zu! " Weidlich blickte dem Rechtlichen, der ihn hier sogleich verließ, noch eine Weile spöttisch nach, und da die Zustizräthin Sister grade über wohnte, so gerieth er auf den Gedanken, ehe er den Ring zurücklleferte, bei ihr damit ein­ zusprechen.

Das Kleinod an seinem Finger

erwarb ihm bei der eitel» Frau einen wärmern Empfang , als jemals, besonders da sie von fei­ ner Aichtheit, und von Weidrichs Entschlüsse, ihn zu kaufen, hörte.

Von diesem Kaufe äußerte

et, daß er ihm den größten Theil seines Ver­ mögens kosten würde, und beutete daraufhin, wem zu Liebe ein solches Opfer geschehe.

Der

Händedruck, den er dagegen empfing, der Blick,

der den Druck begleitete, beides war allerdings der günstigsten Auslegung fähig. Trunken von süßen Hoffnungen eilte et in seine Wohnung, und steckte, noch eingenomme­ nem

MittagSmahle, eine ansehnliche Summe

in StaatSpapieren, worin er sein ganzes Ver» mögen liegen hatte, zu sich, ehe er zu Cher» montS ging. „Nun, was sagte der Juwelier?" fragte Herr von Chermont, als Weidlich der Be­ sitzerin den Ring zurückgab. Weidrich stockte e'ln wenig.

DeS geheimen

Raths Bemerkung mochte daran Schuld, seyn. „Viel Gutes! “

war endlich die Antwort.

„Von seiner Aechtheit?"

„Er hat sich darüber nicht ganz bestimmt herausgelassen." „Wenigstens wäre er nicht der erste, der damit

getäuscht

lächelnd. —

wird,"

versetzte Chermont

„Aber wahr ist eS,"

fuhr er

fort, den Ring vom Finger seiner Gattin zie­ hend, „wenn ich ihn so betrachte, so möchte ich'S fast selbst, wider mein.besseres Wissen,

fitoufijin-

Ein seltsan-er Stein, «in Lauber».

kleinod könnte man sagen! spielt er, z. D.

Denn bisweilen

wie heute, so. herrlich, daß

jedermann ihn für ächt halten würde. fehlt

ihm

Glanzes.

auch manchmal

Dagegen

et« Theil

scsnG

Erinnerst du dich, mein Kind, wie

bleich er gestern am Tage aussah?" „Aber gestern," versetzte der Kammerrath,. „gestern hatten wir auch ganz trübes Wetter." „Richtig," antwortete Chermont,"

daß

mir das nicht einfallen konnte!" — Nachdem, das Gespräch über andere Gegen» stände hingelaufen war, brachte Weidrich «s auf den Solitair zurück, und gab seinen Wunsch, zu «rkennen.

Chermont

Kopf und sagte:

schüttelte

lächelnd den

„Wahrlich, ich weiß nicht,

was ich von den menschlichen Neigungen dem ken soll,

Ich bezahlte selbst den Stein zu so

ungeheuerm Preise, ob mir schon ahnete, daß et nicht ächt seyn werde, und Sie, mein Herr, stehe» tm Begriff, meinem. Beispiele zu, folgen, da ich, der Gatte de« Besitzerin, Ihnen, doch seine Solidität geradezu ablLugne! " —

„Wenn mir nun aber der Ring so eben recht ist, Herr von Chermont?" „So muß ich auf meine vorige Vermuthung zurückkommen, daß die Sache mit Zauberei zu­ sammenhängt, an die ich doch sonst nicht sehr zu glauben pflege.

UebcigenS wiederhole tch's,

daß ich mich bedenke, den Ring unter dem Preise, den er mir kostet, zu verkaufen." „Das soll Ihnen auch gar nicht zugemuthet werden!" fiel der Kammerrath rin. „Viel­ mehr erbiete ich mich, ein Ansehnliches über diese Summe zn zahlen." „Meln Herr," sagte Chermont sehr ernste ja finster, „wofür halten Sie mich? Sie,

daß

meiner

wohlgemeinten

irgend eine — Prellerei

zum

Glauben Warnung

Grunde liege?

Die Summe, die ich Ihnen heute früh nannte, ist wahrlich keine Kleinigkeit,

und ich kann

mir Glück wünschen, wenn ich meine Auslage zurückerhalte." — „Ich bin mit unverwerflichen Zahlungsmit­ teln versehen!" sprach der Kammerrath, feine Brieftasche hervorziehend.

„Nun gut," sagte Chermont, „went, Ma­ dam nichts dagegen hat, so soll Zhr — erlau« den Sie mir, es zu gestehen —

Zhr seltsa­

mer Eigenstnn befriedigt werden. “ Frau von Chermont willigte ein, äußerte aber doch, daß sie nun, da es den wirklichen Verlust

beS,

Kleinods gelte,

Anfangs

so

sehr

geschätzten,

eine Betrübniß darüber em­

pfinde, wie das plötzlich eintretende Entbehren einer langen Gewohnheit fie hervorzubringen pflege. „Weidlich flüsterte ihr zu,

daß er sinnen

wolle, ihr seine besondere Dankbarkeit dafür zu erkennen zu geben.

Zugleich händigte er

Herrn Chermont die Kaufsumme ei».

Zudem

dieser ihm hierauf den Ring übergab, sagte er zu einem Manne, der die ganze Zeit über im Zimmer gewesen war, von dem Kammerralhe aber wenig bemerkt und noch weniger berücksich­ tigt, die Kupferstiche an den Wänden betrachtet hatte: „Sie sind Zeuge, Herr Müller, daß von meiner Seite alles geschehen ist, um dem Herrn diesen Kauf auszureden."

Der Fremde wachte eine bejahende Bewe­ gung, und der Kammerrath empfahl sich, indem

tx,

noch beim Abschiede, der Frau von Cher-

niont seinen besondern Dank zusicherte. Wirklich durfte sie auch nicht lange auf die­ sen warten; ein mit Diamanten reich besetztes Halsband, das früher Elisen zum Geburtstage bestimmt gewesen war, wurde ihr, so bald « nach Hause kam, übersendet. — Der Abend war ein Fest für den Kammer­ rath.

Mit dem Ringe am Finger erschien er

bei der Sister, wo sich große Gesellschaft zu­ sammenfand.

Er blieb länger als die Uebrigen.

Die schöne Wittwe hatte nie einen so traulichen Ton gegen ihn geführt. ges

schienen die

EiSrinde

geschmolzen zu haben.

Die Stralen des Rin­

ihres

Herzens für ihn

Er äußerte,, daß an

ihrer Hand der Brillant noch einen weit hö­ her» Glanz bekommen würde, und schob ihn an ihre Hand.

Die Art des Gebens und Anneh­

men« schien den anfänglichen Scherz in Ernst zu verwandeln.

Der bald darauf erfolgende Ab­

schied hatte gant den Anstrich der Zärtlichkeit,

2Z6 ja die Zustizräthi», an Seren Hand der Ring geblieben war, bat ihren Ansteter sogar, daß er sie den folgenden Tag gewiß wieder besuchen möchte;

eine Bitte, deren er sich Zuvor nie­

mals rühmen konnte. Der Kammerrath übersah in dieser plötzli­ chen Veränderung das Demüthigende, für seine Geliebte, als für ihn selbst.

sowol Seine

Hoffnungen waren

von der Wirklichkeit noch

überboten worden.

Daran allein hielt er sich,

und blickte dem anbetn Tage

mit Ungeduld

entgegen. Amtsgeschäfte nöthigten ihn, hen Besuch bis gegen Mittag zu verschieben.

Aber sein

Empfang bei der Zustizrathin war nicht ganz der erwartete.

Im Tone der bloßen Höflichkeit

gab sie ihm den Ring sogleich zurück, sich ent­ schuldigend , daß eS am Abende vergessen wor­ den sei.

Weidrich bat sie hierauf, das Innere

der Fassung zu betrachten, um zu finden, wes­ sen Namenszüge der Ring tragehatte er,

Wirklich

in der kurzen Desitzzeit am Tage

zuvor schon,

zwei

Buchstaben,

und zwar.

damit ihm das kostbare Kleinod nicht aus den Augen käme, in seinem Beisein, hineinstechen lassen. „Wenn

das

meinen

Namen

bedeuten

soll," versetzte die Wittwe mit hochaufgcho« benem Haupte,

„so kann ich es zwar nicht

wehren, aber eben so wenig gut heißen. jeden Fall bitte ich Sie, nehmen, da ich von Zhnen

Auf

den Ring zurückzu«

weder Geschenke dieser Art

erwarte,

noch

auch

überhaupt

«nächte Steine zu tragen pflege." „Unächte Steine!" rief Weidlich, sich auf des gegenüberwohnenden Juweliers

Aus­

spruch beziehend. „Eben der," versetzte dieZustlzräthln, „hat vorhin den sogenannten gesehen, einem

Diamanten bet mir

und blos darin die Kunst anerkannt,

ächten

Steine

den

»nächten

in

der

äußern Form so ähnlich nachzumachen." Der Kammerrath,

außer sich vor Zsrn,

eilte sogleich zu dem Manne hinüber-

Dieser,

ganz ruhig bei seinem Aufbrausen, behauptete, Dte Harfe. I.

17

daß der Ring ein

ganz anderer sei, als der

ihm gestern gezeigt worden. Zn der äußersten Wuth und Unruhe suchte Weidlich den geheimen Rath aus, keinen bessern Trost geben konnte. es zu Chermont. hier

der ihm Nun ging

Vergebens aber verlangte er

den ächten Stein statt des nachgemach­

ten,

oder

die

Rückgängigkeit

des

Kaufes.

Chermont stellte sich beleidigt, berief sich dar­ auf, den Stein ausdrücklich für unächt ver­ kauft, di« ihm gebotene höhere Summe zu­ rückgewiesen und den Vortheil, auf diese Weise zu seinem Gelde wieder gekommen zu seyn, zu rechtmäßig erlangt zu haben,

als daß er thu

wieder aus den Händen geben würde. Der Proceß, zu dem es kam, brachte den Kläger nicht weiter, und wenn auch, der allge­ meinen Meiuung

nach,

von

Seiten

Cher-

montS wirklich eine trügerische Verwechselun­ stattgefunden hatte, so fand gerichtlichen

Aussuchung,

sich doch bei der welche

Chermont

selbst verlangte, wie leicht zu vermuthen, der

ächte Ring nicht Beklagten dabei

wieder; stehen,

auch

blieben die

daß dem Kammer«

rathe der Stein nur als unächt verkauft, und zuvor alles gegen den Kauf zu Sagende wirk­ lich

gesagt

worden

sei.

Sogar über

den

Punct, daß der befragte Juwelier die Iden« tität des Ringes mit dem, gesehen hatte,

welchen er zuerst

durchaus lLugnete, wußte sich

Chermont fein genug

zu verantworten;

we-

nigstens konnte der Kammerrath nicht läugnen, daß er ihm von einer sonderbaren Wandelbar­ keit deS Steines vorausgesagt hatte.

Das Processes

Resultat der Sache selbst und war

der

gänzlichem Vermögen.

Verlust

von

der

WetdrichS

Sein Benehmen gegen

Elisen, und die Art, wie er den Mann, der ihn nun betrogen hatte, zuvor selbst hatte über­ listen wollen, woraus der geheime Rath kein Geheimniß machte, zog ihm,

statt Mitleids,

den Spott der ganzen Stadt zu. der er nun, auffallend

von

da

Elise, zu

die Zustizräthin

ihm abwendete,

sich recht

zurückkehren

wollte,

stellte aber dem auf alle Weise Be,

schämten einen Andern als ihren künftigen Gat­ ten vor,

der ihr in /bet Folge wirklich bas

Glück gewährte,

das ste sich

Anfangs

von

einer Verbindung mit dem Kammerrathe ver­ sprochen hatte.

VII.

Die Versöhnung im Taubenschlage.

Erzählung von

K.

G.

P r ä tz e l.

Der Herbst war gekommen, und mit Ihm Pie Zeit,

wo der alte Hauptmann Barden von

seinem Landgute in pflegte

die Stabt zurückzukehren

Ungeachtet Waiden nur drei Stun­

den von der Stadt entfernt lag, und die Reise hin und her mit nur geringen Beschwerden verbunden war, würde er dennoch dem schon oft gefaßten Entschlüsse, auch den Winter hin­ durch auf dem Lande zu leben, einmal getreu geblieben seyn,

wär» nicht die unerschöpflich«

UeberredungSkunst seiner Nichte, und die Sehn­ sucht nach dem langentbehrten Umgänge zweier, in der Stadt lebender Freunde feinem Vorsähe abermals in die Quere gekommen.

Julie

hatte, bevor der Tag der Abreise erschien, un­ ter Hüpfen und Trillern das Hauswesen in Ordnung gebracht, dem zurückbleibenden Ge­ sinde seine Wintergeschäft« angewiesen und dem.

2Ö4 Onkel weidlich den grauen Knebelbart gestrekchclt, wenn er über den Stoß, den seine De» quemlichkeltslkebe durch den bevorstehenden Orts­ wechsel erleiden sollte, zu murren anfing. Fürch­ terlich war der Ausbruch der Kraftflüche, die ihm noch aus dem siebenjährigen Kriege her anklebten.

Zulle suchte ihnen immer bestmög­

lichst vorzubeugen, da sie die Zeichen kannte, die gewöhnlich voranzugehen pflegten.

Es la­

gerten sich nämlich zuerst einige Falten um die Narbe hin, die ihm an der Stirne saß; fing

er

Stimme,

an,

mit

unverständlicher,

dann

dumpfer

gleich einer fern aufsteigenden Ge­

witterwolke, zu brummen;

und jetzt war eS

die höchste Zeit, sich ins Mittel zu schlagen, denn bald darauf ging es Schlag auf Schlag, bis eS ihm den Athem versetzte und sein Gesicht so dunkelroth wurde, wie die Gesichter der zwei­ hundert Croaten, von deren Gefangennehmung er einst die Narbe an der Stirn und den Haupt­ mannsposten davon trug. UebrigenS hing seine ganze Seele an Zulten. Er war vor dem fünfzigsten Zahre aus Hang,

2Ö5 seinen kriegerischen Freiheltstaumel durch nichts zu beschränken,

und

nach

dem fünfzigsten

Zähre aus Furcht vor Kopfschmerzen unverheiraihet geblieben, und hatte Julien, eine ihm verwandte, ältcrnlose Waise, an Kindes Statt zu sich genommen.

Sie entsprach ganz bet

Erziehung, die er ihr hatte angedeihen lassen. Zhr, oft bis zur Ausschweifung heiteres We­ sen war der Stolz und die Freude des Alten; denn alles hielt er für sein Werk. glaubte er sein eignes, verjüngtes

Zn ihr Bild

zu

erblicken, wenn sie des Abends zuweilen die Erzählung seiner Heldenthaten, die er ihr aufs umständlichste mitgetheilt hatte, parodirte.

Er

rückte dabei mit selbstgefälligem Lächeln in sei­ nem Lehnstuhle hin. und her, und mußte hun­ dertmal die Pfeife anzünden.

Nichts fehlte

ihr, nach seiner Meinung, als Knebelbart und Uniform, um ein ganzes Heer von Croaten in die Flucht zu jagen. Der von Zulien so heiß ersehnte Morgen war erschienen.

Mit einem Gesicht, auf wel­

chem fast eben so viele Falten des Verdrusses

sich zeigten, als Gedankenstriche in der Göt­ terlehre von Moritz,

stieg der Onkel In de»

Wagen, welcher bald darauf zum Dorfe hin­ ausrollte.

Aber ZulienS heitre

Laune ver­

scheuchte nach und nach den finstern Ernst-deS Alten.

Er vergaß der hohen Linden, ln deren

Schatten

er des

rauchen pflegte,

Abends

sein Pfeifchen zu

und beschäftigte sich nun den

ganzen Weg entlang einzig mit dem Gedanken an die beiden Freunde, die in der Stadt auf seine Ankunft harrten.

Auch ZulienS Herz

klopfte einer frohen Stunde Stunde

der

entgegen:

Wiedervereinigung

mit

der ihrem

Füllberg. Barden war dem jungen Manne gewogen; denn dieser hatte ihm in RechtSangelegenhetten mehrmals wichtige Dienste geleistet. des

Hauptmanns

stand

Kein Wunder also,

DaSHauS

ihm jederzeit offen.

daß er, über einen Mor»

genbcfuch bei Zullen, nicht selten den Gerichts» lermin

im Tempel der blinden

Themis ver­

säumte, um auS ZulienS offnen, schönen Au­ gen für sein eignrS,

tumultuarischeö Herz et»

gefälliges Urtheil zu lesen.

Eine einzige Zeile

von ihrer Hand fand er gehaltreicher, als die hundertjährige Aktenniederlage in der Gerichts» stube, und rin einziges Wörtchen, aüs ihrem Munde wirksamer, als zehn Machtsprüche des dicken Präsidenten, obgleich jeder davon ver­ mögend war,

die Dauern Dutzendweise ins

Hundeloch zu befördern. Füllberg hatte es bis jetzt, bei feinen noch zu beschränkten Einkünften, nicht gewagt, dem alten Barben seine Liebe zu Zulien zu ent­ decken, und öffentlich um ihre Hand anzuhal­ ten;

desto

mehr aber hatte Zulie sich eS an­

gelegen seyn lassen, den Oheim mehr und mehr für ihn zu gewinnen.

Sie suchte, wenn von

Ihm die Rede war, seine glänzendsten Setten heraus, und entwarf von seinen Eigenschaften und Talenten ein Gemälde, zu welchem geses­ sen zu haben sich kein Erzengel hätte schämen dürfen;

kurz, ein Gemälde, wozu die Llebe

Farben'und Pinsel hergegeben hatte.

Füllberg

hingegen wußte die Schwächen des Alten zu seinem Vortheil zu benutzen.

Er saß oft, wenn

Julie nicht zugegen war, stundenlang an sei­ ner Sette, ließ sich hundertmal, ohne verdrieß­ lich zu werden, die Geschichte von den zwei­ hundert Croaten erzählen, und hatte stets neue Worte und Geberden in Bereitschaft, um sein Erstaunen und feine Bewunderung darüber zu verdeutlichen.

Der gutherzige Alte drückte ihm

dann gewöhnlich voll Rührung die Hand, und Füllberg merkte, daß er dem Ztel, sich ihm un­ entbehrlich gemacht

zu haben,

immer näher

Walden hatte drei Besitzer,

Der untere

rücke.

Theil des Dorfs gehörte Juliens Oheim; der mittlere

dem

Steuerrath

Lemmer,

einem

Wittwer von einigen fünfzig Jahren, und der obere Theil dem Doctor Durl, einem alten Junggesellen', der die Praxis niedergelegt hatte, und in der Stabt von seinem Vermögen lebt«. So innig das freundschaftliche Vernehmen war, in welchem ein jeder dieser beiden Herren mit dem alten Barden stund, eben so tief- eingewur? zclt war der Haß, mit dem sie selbst sich wechselseitlg befeindeten.

Alles hatte jener bereits

aufgeboten, die zwlstigen Gemüther zu versöhneu, aber umsonst!

Die Feindschaft war ver­

jährt, und bekam — was das schlimmste war — mit jedem Frühjahr neue Nahrung.

Si?

vermieden sich auf das sorgfältigste, und geschah eS ja, daß einer den andern bei Barden antraf, so wurde sogleich in der Thüre wieder um­ gekehrt. Der Grund dieser Feindseligkeiten war ein Teich an der Gränze von Ober-Waiden, wel­ cher mit jedem Frühjahr auszutreten Pflegte, und dadurch dem Doctor Burl, indem er ihm eine Wiese überschwemmte, Schaden zufügte. Von uralten Zeiten her hatte die Wiese und der Teich zwischen ihren Besitzern zu den verdrieß­ lichsten Auftritten Veranlassung gegeben.

Der

gegenseitige Haß hatte sich unablässig von einem Geschlecht auf da- andere fortgeerbt, und war gleichsam zum Familienstück geworden.

Den

Wlnter hindurch war eS gewöhnlich so ziemlich ruhig; doch sobald der Schnee zerrann und die angehäuften Gewässer über den Damm hinaus­ traten, ging der Lärm von neuem los;

auf der

«tuen Seite wegen des neu zugefügten Scha­ dens, auf der andern wegen der darauf erfolg­ ten Schmähungen. Burl und Lemmer waren indeß von allen denen, die des Teiches wegen bereits im Streite gelegen hatten, noch die ver­ nünftigsten. Sie haßten sich mehr aus verjähr­ ter Gewohnheit, als aus eignem, innern An­ trieb, und hätte der Zufall sie an einem Orte zusammengebracht, wo eS keinem von beiden möglich gewesen wäre, dem andern auszuwei­ chen, so würden sie vielleicht schon längst sich gegenseitig verständigt und ausgeglichen, haben. Barden wagte keinen Versuch mehr, ein solcheZusammentreffen zu veranstalten, weil er wußte, daß gerade ihm bteS Werk am wenigsten gelin­ gen könne. Schon zu oft hatte er in frühern Zeiten ihnen seine Absicht merken lassen; jetzt trauten sie ihm nicht mehr, und schöpften daher aus der unschuldigsten Bewegung, die er in die­ ser Rücksicht zu machen schien, Argwohn. Julie empfing nach ihrer Ankunft in der Stadt die beiden Widersacher mit einer so zu­ vorkommenden Artigkeit, daß sie leicht in den

Verdacht einer etwanigen unlauter» Nebenab­ sicht hatte gerathen können, wenn nicht der kleine Unterschied von vlertig Jahren, der zwi­ schen ihr und ihnen obwaltete, der Sache ein andere- Ansehen gegeben hätte. Niemand merkte etwas von dem Plane, der unter diesem gefälligen Betragen versteckt lag; am wenigsten die beiden Herren, gegen die es gerichtet war. Nur Füllberg war durch Zulien von allem un­ terrichtet, weil er ihr zur Erreichung ihres ZtveckeS behülflich seyn sollte. Dieser war näm­ lich kein anderer, als die Versöhnung der beide» Antagonisten. Füllberg war um so bereitwilli­ ger, hülfreiche Hand zu leisten, da er oftmals auf ihren Gesichtern eine gewisse lüsterne Be­ haglichkeit^ wollte gelesen haben, wenn sie Julien gegenüber sich befanden. Und wirklich war seine Besorgntß nicht so ganz ohne Grunde Denn, so wie dem Steuerrath seit den fünf Zähren, da er Wtttwer ward, unter alle» weiblichen Wesen nur Zulte rin wohlwollendes Lächeln ab­ gewinnen konnte, so verwandte aych der Doctor feit der Zeit, da die Wellen - und SchinheitS-

linim bei ihr sich zu entwickeln anfinge», meh­ rere Sorgfalt auf Drathperücke und Manschet­ ten, wenn der Hauptmann ihn zu sich geladen hatte. Ze deutlicher sie jetzt, beim Einbruch der langen Winternächte, sich es merken ließen, was sie im Schilde führten, je rathfamer schien es Zullen, ihren Entschluß, der zugleich einer thörichten Leidenschaft die Nahrung benehmen sollte, nicht länger zu verschieben; doch mußte sie, wenn der Plan gelang, auch ihrer Laune nebenbei einen kleinen Triumph verschaffen können. Als der Oheim «inst ausgegangen iyar, be­ stellte sie, unter dem Vorwände, baß sie den Nachmittag in angenehmer Gesellschaft zuzu­ bringen wünsche, die beiden Liebhaber zu einer und derselben Stunde auf ihr Zimmer, welches -im obern Stockwerk des Hauses sich befand. Der Steuerrath, der in dieser Einladung eine -glückliche Vorbedeutung ahnete, war der erste, -der sich einstellte. Julie führte ihn in das Zim­ mer. Kaum. aber hatte sie auS seinen wohlstubierten Compltmenten die Ueberzeugung geschöpft,

daß dt« Ausführung ihres Planes wirklich kei­ nen Aufschub mehr leibe;

als auf brr untern

Treppe des Hauses sich Fußtritte vernehme« ließen.

Zulie schien in Verzweiflung;

instän­

dig bat und beschwor sie ihn, ihres guten Rufes zu schonen, und ihr nach einem entfernten Win» M des Hauses zu folgen, wo sie, bIS der lästige Besuch sich entfernt habe, ihn zu verbergen ge­ denke.

Der Steuerrath that, was ste verlangt«.

Wie behqglich. ward ihm aber ums Herz, als Zulle mit einem schalkhafte» Lächeln ihn auffor­ derte, an einer Leiter, die nach einem sichern Kämmerlein führe, hinauf zu steigen.

Ze wei­

ter die Zeit der Liebesabenteuer ihm. im Rücken lag, je mehr weidete an dieser Zumuthung, wejl ste Kraft und Kühnheit voraussetzte, sich sein Stolz.

Hätten di« Umstände eü erfordert, «r

würde vielleicht, um in der Gunst seiner Dame sich festzusetzen, wie ein Marder q» den Dach­ pfannen

deö HaufeS hinaufgeklettert fev». —

Alles, ging glücklich von Statten.

Mit einem

gstinden Frösteln betrat er die ersten Sprossen dev Letter, mit einigen Schweißtropfen vor der Die Harfe. I.

lg

Stirn erreichte er das Ziel; selbst bas Herzklo­ pfen schien sich zu vermindern, sobald ein fried­ licher Taubenschlag, der jedoch keine Bewohner hegte, ihn aufgenommen hatte. Man wird leicht errathen, wer die Treppe herauf kam.

Hätte der Steuerrath sich um

einige Minuten

später, oder der Doctor um

einige Minuten früher eingefunden, durch

dieses

Zusammentreffen

so würde

Zuliens Plan

wahrscheinlich zerstört gewesen, und jeder Ver­ such , ihnen ein neues Netz zu stellen, ohne Wir­ kung geblieben seyn. —

Burl hatte kein besse­

re- Schicksal als fein Vorgänger;

denn kaum

war er zu Athem gekommen, als man schon wieder Zemand im heraufsteigen hörtet

Sturmschritt die Treppe Zulie erneuerte die Geber-

ben der Angst und Verwirrung, die ihr schon einmal den erwünschten Dienst geleistet hatten, und der Doctor bequemte sich, wtcwol mehr aus Mitleiden mit ihrer jungfräulichen Stiegen» heit, als

aus Ueberzeugung, daß «in solches

tete a tete ihr in den Augen der Welt gefähr­ lich seyn könne, zur Ersteigung der Letttr, die,

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«IS die einzige Retterin ln der Noth, im Win-> fei stand. Sobald er aber den Fuß von ihrer letzten Sprosse in das Kämmerlein nachgezogen hatte» schob Zulls sie hinweg, und brachte an der Seite ihres Füllberg den Nachmittag sehr zufrieden zu. Der Steuerrath in Todesängsten, als er Jemand auf der Letter Hirte, nahm seinen Platz in einer Ecke hinter einem alten Täubenkorbe, und harrte mit erneutem Herzklopfen der Dinge, die da kommen sollten. Tidtllcher Schreck- überfiel Beide, als fie 'einander anfich» tig wurden. Der Doctor stellte sich in den ent­ gegengesetzten Winkel, und beide schwiegen eine geraume Zelt, ohne ihre Stellung zu verändern. Endlich fing der Doktor an, den Dessauer Marsch halb zu zischen, halb zupfeifen. Der Steuerralh hörte ihm eine Weile zu; doch als jener das Stück zum zweiten Male anfing', stimmte- auch dieser unwillkührlich ein, und der veridete Taubenschlag ward durch «in Duett bee lebt, welches besonders in denjenigen Tacten, wo der Doctor die tiefere Stimme, pfiff, fich

nicht gar Übel ausnahm.

Nach Endigung des,

selben sahen sie einander starr ms Gesicht»

Der

Doktor, dem die Zeit doch ein wenig zu lang werden mochte, murmelte darauf einige unver­ ständliche Worte in de» Bart; der Struerrath folgt« seinem Beispiel.

Jetzt sahen sie einan­

der wieder, qn;

aber schon lag. in beiden Ge­

sichtern etwas,

das

Starrheit benahm.

dem Auge seine vorige Während dessen, fing die

Abendsonne Lzrrch die eine Oeffnung an,

dem

Doktor in die Lagen zu scheinen, und