Die Autonomie der Routine: Wie im 12. Jahrhundert das englische Schatzamt entstand 9783666367236, 9783525367230, 9783647367231

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Die Autonomie der Routine: Wie im 12. Jahrhundert das englische Schatzamt entstand
 9783666367236, 9783525367230, 9783647367231

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© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367230 — ISBN E-Book: 9783647367231

Historische Semantik

Herausgegeben von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz

Band 21

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367230 — ISBN E-Book: 9783647367231

Ulla Kypta

Die Autonomie der Routine Wie im 12. Jahrhundert das englische Schatzamt entstand

Mit 14 Abbildungen, einer Karte und einer Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367230 — ISBN E-Book: 9783647367231

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-36723-0 ISBN 978-3-647-36723-1 (E-Book) Dieser Band ist im Rahmen des Leibniz-Projekts »Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge« unter Leitung von Bernhard Jussen entstanden und wurde auf Veranlassung des Projektleiters unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. Ó 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: London, The National Archives, E372/1 Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. England, Verwaltung, Schriftlichkeit: Der Forschungsstand . . . 1.2. Historische Semantik: Das Analyseinstrumentarium . . . . . . 1.3. Fachsprache, Evolution, Institution: Der Aufbau der Arbeit . . . 1.4. Zeitraum, Dokumente, Beschreibungssprache: Der Rahmen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgangspunkt: Die Routine des Pipe Roll-Schreibens . . . . . . . 2.1. Herstellung einer Pipe Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Aufbau und Layout einer Pipe Roll . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Makrostruktur : Wie sieht eine Pipe Roll aus? . . . . . . 2.2.2. Kohärenz: Wie wurde eine Seite gestaltet? . . . . . . . . 2.2.3. Syntax: Wie bauten die Schreiber die Rechnungsposten auf ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Lexik: Welche Art von Lexemen verwendeten die Schreiber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung 3.1. Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache . . . . . . . 3.1.1. Vorgehen bei der Analyse auf Fachlichkeit . . . . . . . . 3.1.2. Die Analyse auf Fachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1. Kriterium (1): Fachtermini . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2. Kriterium (2): Standardisierung . . . . . . . . . 3.1.2.3. Kriterium (3): Kürze . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3. Bilanz: Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Fachsprache . 3.1.4. Konkretisierung: Die Fachsprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.2. Die Entstehung der Abgrenzungswirkung: Lernen in der Praxis . 3.2.1. Dialogus de Scaccario: Kein theoretisches Lehrbuch . . . . 3.2.2. Die Ausbildung der königlichen Verwalter: Learning by Doing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Die Habitussicherung der königlichen Verwalter: Dialogus de Scaccario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4. Bilanz: Die Schreiber der Pipe Rolls: Techniker . . . . . . . 3.3. Die Wirkung der Techniksprache der Pipe Rolls: Abgrenzung und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit . . 4.1. Diachrone Veränderungen in den Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts 4.1.1. Vorgehen bei der Analyse der diachronen Veränderungen . 4.1.2. Variation, Selektion und Stabilisierung . . . . . . . . . . . 4.1.3. Variation und Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4. Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Ein Modell unintendierten Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Synchrone Ausdifferenzierungen in den verschiedenen Verwaltungsrollen des 12. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Vorgehen bei der Analyse der Ausdifferenzierungen . . . . 4.3.2. Norman Pipe Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3. Fine Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4. Originalia Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5. Curia Regis Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6. Memoranda Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.7. Rotuli de Dominabus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.8. Close Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Ein Modell unintendierter Ausdifferenzierung . . . . . . . . . . . 4.5. Die Folge der Anpassungsfähigkeit der Rechnungssprache: Die Beständigkeit der Pipe Rolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Die Funktionalität der Pipe Rolls: Reproduktion interner Rechenschaftslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Ergebnis: Der Exchequer als Organisation . . . . . . . . . . 5.1. Definitionen einer Organisation . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Die Emergenz des Exchequer . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Die Legitimität der Abrechnungspflicht . . . . . . . . . . 5.4. Von der Routine zur Organisation 1: Die Entstehung des Exchequer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5.5. Von der Routine zur Organisation 2: Indizien für ein Transformationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Von der Routine zur Organisation: Eine mittelalterliche Geschichte? .

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Tafelteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Arbeit, die im Jahr 2012 an der Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen wurde. Mir war das große Glück beschieden, während meiner Dissertationszeit in eine Forschergruppe eingebunden zu sein, in der wir tatsächlich zusammengearbeitet und uns intensiv mit unserer gemeinsamen Methodengrundlage auseinandergesetzt haben. Allen Mitgliedern des Leibniz-Projekts »Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge« sowie den Leitern, Bernhard Jussen und Jan Rüdiger, sei dafür herzlich gedankt. Mein Doktorvater Bernhard Jussen hat mir insbesondere für die Überarbeitung zur Drucklegung wertvolle Hinweise gegeben, Jan Rüdiger war stets zu Gesprächen bereit und hatte immer eine Idee parat. Silke Schwandt und Tim Geelhaar danke ich für besonders zahlreiche und intensive Gespräche im Verlauf unserer gemeinsamen Sinn- und Wegsuche. Die freundliche, kollegiale und offene Atmosphäre in der ganzen Abteilung Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt hat mir die Arbeit stets mehr Freude als Last sein lassen – allen KollegInnen einen herzlichen Dank. Eine Quelle für Inspiration und Motivation waren mir die Treffen in der Mensa der TU-Berlin mit meinem Zweitbetreuer Ludolf Kuchenbuch, dessen Interesse und Begeisterung meine Arbeit signifikant befördert haben. Für viele anregende Gespräche und zahllose hilfreiche Hinweise danke ich außerdem meinen ehemaligen Erlanger Kolleginnen Angela Huang und Cornelia Scherer sowie meinem akademischen Lehrer Stuart Jenks. Stuart Jenks hat mir zudem zahlreiche Kontakte nach London vermittelt, die mir die Arbeit im den dortigen National Archives sehr erleichtert haben. Susanne Jenks, Paul Brand, David Carpenter und Richard Cassidy haben mir in London viele Fragen zu den Pipe Rolls geduldig beantwortet und neue Perspektiven aufgezeigt. Paul Brand, Schatzmeister der Pipe Roll Society, vermittelte mir den Kontakt zu David Crook, der mir dankenswerterweise hochwertige Fotos von der ersten erhaltenen Pipe Roll zur Verfügung stellte, die die Pipe Roll Society für die Neuedition der Rechnung hatte erstellen lassen. Diese Großzü-

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Danksagung

gigkeit hat mich sehr beeindruckt. Dem DHI London danke ich für das Stipendium, das meinen Aufenthalt in London erst ermöglicht hat. Dass ich die Arbeit im Jahr 2012 einreichen konnte, verdanke ich dem MPI für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, wo ich während eines Abschlussstipendiums von den anregenden Diskussionen im Kolloquium, Literaturhinweisen in ganz unerwartete Richtungen und den exquisiten Arbeitsbedingungen profitieren konnte. Für wichtige Ideen und Anregungen zur Überarbeitung für die Druckfassung danke ich außer meinen beiden Betreuern auch meinem Kollegen Daniel König, der sich die Mühe gemacht hat, die komplette Arbeit zu lesen und ausführlich zu kommentieren. Den Herausgebern der Reihe »Historische Semantik« sei für die Aufnahme meines Buches gedankt. Meine Familie hat mich in vielfältiger Hinsicht nach dem Reichtum ihrer Begabungen unterstützt. Deshalb danke ich Anna, Gottfried, Sibylle und Tim Reiß für ihre sachkundige Hilfe in juristischen, orthographischen, typographischen und philosophischen Fragen. Wenn die Argumente in diesem Buch verständlich formuliert sein sollten, haben meine Gespräche mit Anna und Tim dazu beigetragen. Martin Kypta hat diverse Versionen verschiedener Kapitel und Vorträge gelesen und mit mir diskutiert. Lange habe ich Widmungen von Doktorarbeiten belächelt und hielt den Ausdruck »Diese Arbeit wäre nicht entstanden ohne xy« für eine Floskel. Nicht nur, aber besonders die Zeit in Berlin hat mich nun verstehen lassen, was damit gemeint ist. Ein einfaches Dankeschön reicht eben nicht für eine Person, die mal eben eine Vergleichstabelle erstellt, wenn man im Sumpf der Argumente versunken ist, die noch einmal nachzählt, wie oft dieses verdammte murdrum nun in einer Pipe Roll vorkommt, die in sengender Sommersonne lateinische Zitate kontrolliert und immer Zeit hat und Ruhe mitbringt, wenn man sie braucht. Für alle Hilfe und Unterstützung, für allen Kaffee und für den positiven Effekt, den ihre Anwesenheit auf meine Laune und Seelenverfassung hat, widme ich deshalb diese Arbeit meiner Schwester Margareta Hirsch.

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1.

Einleitung

Alle Kriege und Bürgerkriege, Rebellionen und Revolutionen, die Gefangennahme, Abwesenheit und Unfähigkeit seiner Könige wurden in England von einer Konstante begleitet: den Pipe Rolls. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts kamen die Sheriffs und andere Schuldner des Königs einmal pro Jahr an das königliche Schatzamt, den Exchequer, um Rechnung zu legen. Davon geben die sogenannten Pipe Rolls Zeugnis, die schriftlichen Teile dieser Abrechnungen, die durchgängig für die Rechnungsjahre 1155/56 bis 1831/32 erhalten geblieben sind: Als Henry II. sich 1173 einem Aufstand seiner Söhne Henry, Richard und Geoffrey gegenübersah, der von englischen Baronen, von Frankreich, Flandern und Schottland unterstützt wurde, wurde vor dem Exchequer Rechnung gelegt.1 Als König Richard I. auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land vom österreichischen Herzog Leopold gefangen genommen wurde und das Jahr 1193 auf der Burg Trifels verbrachte, wurde vor dem Exchequer Rechnung gelegt.2 Als 1348 der schwarze Tod in England wütete und ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, wurde vor dem Exchequer Rechnung gelegt.3 Als die Kämpfe zwischen den Lancaster und den York tobten und der geistig umnachtete Henry VI. im Jahr 1460 gefangen genommen wurde, wurde vor dem Exchequer Rechnung gelegt.4 Als Charles I. nach verlorenem Kampf gegen die Parlamentstruppen 1649 geköpft wurde, wurde vor dem Exchequer Rechnung gelegt.5 Und als 1781 amerikanisch-französische Truppen die Briten in der Schlacht von Yorktown besiegten, woraufhin die Briten ihre Kolonie in die Unabhängigkeit entlassen

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E 372/19. E 372/39. E 372/193. E 372/305. Die Pipe Roll aus dem Rechnungsjahr 1648/49 trägt die Bezeichnung 24 Charles I. Von 1649/50 bis 1658/59 steht an der Stelle des Königsnamens einfach »Commonwealth«. E 372/493 und E 372/494 bis E 372/503. Die nächste Pipe Roll wird einfach als 11 Charles II bezeichnet, E 372/ 504.

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Einleitung

mussten, auch da wurde vor dem Exchequer Rechnung gelegt.6 Erst im Jahr 1832 wurde die letzte Pipe Roll verfasst und das englische Schatzamt aufgelöst.7 Wie konnte im 12. Jahrhundert etwas so Beständiges wie der Exchequer entstehen, der in den folgenden 700 Jahren kontinuierlich Jahr für Jahr eine Pipe Roll produzierte? Die vorliegende Arbeit argumentiert, dass die Routine den Grundstein dafür legte. Sie beantwortet die Frage nicht mit dem Verweis auf herausragende Individuen und ihre weitsichtigen Planungen, wie es insbesondere bis in die 1970er Jahre getan und im neuen Jahrtausend wieder verstärkt als Antwort akzeptiert worden wäre.8 Selbst bei größtem Vertrauen in die Weitsicht von Königen wie Henry I. und Henry II. oder Verwalterfiguren wie Roger of Salisbury bleibt die Annahme doch höchst gewagt, dass sie bei ihrem Entwurf der englischen Verwaltung alle Eventualitäten der kommenden 700 Jahre berücksichtigt und ihr Werk dafür gewappnet hätten. Strukturelle Komponenten hingegen fallen als Erklärungsmodell für die Entstehung des Exchequer ebenfalls aus, denn auch im Gewand der in der heutigen Forschung aktuellen Form von Ritualen und symbolischer Kommunikation können Strukturen zwar Ordnungsmuster aufrechterhalten, aber keine neuen Organisationen schaffen.9 Der Exchequer war nicht das Produkt individueller Entscheidungen oder struktureller Gegebenheiten, sondern entstand aus unhinterfragt kontinuierlich wiederholten Routineakten.10 Als Routinen kann man selbststrukturierte und -strukturierende Prozesse bezeichnen, die auf dem hauptsächlich impliziten Wissen der Akteure beruhen und wiederholt werden, ohne darüber zu reflektieren.11 Die Besonderheit von Veränderungen, die aus Routinen hervorgehen, liegt darin, dass sie von niemandem geplant wurden. Veränderungen laufen unintendiert ab. Das bedeutet nicht, dass die Menschen, die die Routineakte ausführten, nicht wussten, was sie taten, oder mit ihren Handlungen kein Ziel verfolgten. Unintentionalität meint vielmehr, dass aus kollektivem Handeln etwas entstand, was kein einzelner geplant hatte. Natürlich verfolgte jeder der englischen Verwalter bei seinem 6 E 372/626. 7 E 372/676. 8 Laut Hardtwig u. Wehler herrschte bis in die 1970er Jahre der »Primat der Intention«, siehe Hardtwig u. Wehler, S. 12. Die Rückkehr der Akteure in den Fokus des Interesses im 21. Jahrhundert beschreibt Jussen, Introduction, S. 2. 9 Siehe dazu Althoff respektive Stollberg-Rilinger. 10 Solch eine These lässt sich am ehesten im Gebiet der Praxeologie verorten, die den Dualismus zwischen Intention und Struktur aufzubrechen versucht. Praxeologische Arbeiten betonen, dass auch die »Tätigkeit im Vollzug« soziales Geschehen konstituieren könne, siehe dazu Reichardt, Geschichtswissenschaft, S. 59 f. Reichardt möchte Praxeologie nicht als fertige Theorie ansehen, sondern als Beschreibungsmodell für empirisch gewonnene Daten, siehe ebd., S. 63 – 65. Bongaerts Kritik, beim sogenannten practice turn handele es sich weder um einen turn noch um ein neues Paradigma, zielt also ins Leere. Siehe Bongaerts. 11 Die Definition stützt sich auf Scott, S. 145.

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England, Verwaltung, Schriftlichkeit: Der Forschungsstand

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Handeln bestimmte Absichten. Die Folgen, die sich aus seinem Handeln langfristig und in Wechselwirkung mit den ebenfalls von Planungen geleiteten Taten seiner Kollegen ergab, wurden jedoch von keinem der einzelnen Akteure, nicht von ihnen als Gruppe und nicht von einem ihrer Vorgesetzten geplant. Intuitiv mag es paradox klingen, ausgerechnet die Routine als Veränderungsmotor darzustellen, schließlich trägt Routine eher den Beiklang der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Der Schlüssel zum Erfolg besteht aber genau darin, dass Veränderungen durch Routineakte graduell und unreflektiert vonstattengehen: Wenn niemand genau bemerkt, wie sie passieren, werden Anpassungsprozesse meistens leichter akzeptiert. Die Routine, die sich zur Organisation des Exchequer verfestigte, bestand in der Abfassung der Pipe Rolls. Wenn eine dieser Abrechnungen fertig gestellt war, wurde sofort die nächste Pipe Roll begonnen, indem Teile der alten Rechnung auf neue Pergamentbögen geschrieben wurden. Die Erstellung und die Charakteristika einer Pipe Roll werden in Kapitel 2 beschrieben. Die vorliegende Arbeit zeigt, warum gerade diese Routine eine Verfestigungswirkung entfalten konnte: Sie bestand in der Nutzung einer speziellen Sprache. Kapitel 3 und Kapitel 4 arbeiten die besonderen Charakteristika der Rechnungssprache heraus. Kapitel 3 weist nach, dass es sich bei der Sprache der Pipe Rolls um eine Fachsprache handelte, die als solche eine abgrenzende Wirkung entfaltete und so die Menschen, die die Rechnungssprache beherrschten, zu einer Gruppe formte. Kapitel 4 belegt die Anpassungsfähigkeit der Sprache, die ihr Beständigkeit ermöglichte. Kapitel 5 legt dar, wie diese Charakteristika dazu beitrugen, dass sich die Routinen zu einer Organisation verfestigten und der Exchequer entstand.

1.1. England, Verwaltung, Schriftlichkeit: Der Forschungsstand In der Forschung zur englischen Verwaltungsgeschichte wird die Herausbildung des Exchequer kaum auf die Triebkräfte der Veränderung untersucht. Die englische Historiographie nimmt zwar wahr, dass die Abrechnungsvorgänge im 12. Jahrhundert einen Wandlungsprozess durchliefen. Diese Veränderung wird in der geradezu klassischen Formel präsentiert, der Exchequer sei zu Anfang des Jahrhunderts noch als Gelegenheit (occasion), noch nicht als Behörde (department) zu begreifen.12 Auf welche Weise und warum sich die Gelegenheit zu 12 Die Formulierung tritt in dem vielzitierten Aufsatz von Hollister u. Baldwin über das Verwaltungskönigtum von Henry I. und Philipp Augustus von Frankreich ins Leben: Sie bezeichnen den Exchequer zur Zeit Henrys I. als »occasion« und grenzen ihn damit explizit von einem »department« oder einer »institution« ab. Hollister u. Baldwin, hier S. 879. In jüngerer Zeit verwenden diese Formulierung Brand, Making, S. 86; Bartlett, S. 159; Barratt, Finance, S. 253; Jones, S. 471.

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Einleitung

einer Organisation wandelte, wird jedoch selten thematisiert. Die Abhandlungen über den Exchequer behandeln ihn als bereits bestehende Organisation.13 Obwohl laut Judith A. Green die Herausbildung eines Schatzamtes in der Forschung als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Staat angesehen wird,14 fehlt eine Untersuchung, die diesen Schritt eingehend analysieren würde. Für andere Organisationen der englischen Verwaltung liegen solche Studien vor, etwa für den Schatz (treasury),15 die Kammer,16 die zentralen Gerichtshöfe17 oder die Kanzlei.18 Der Exchequer hingegen scheint als Gelegenheit im 12. Jahrhundert bereits zu bestehen und keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Niemand erläutert, warum eine Abrechnung, die zum Beispiel anlässlich der Eintreibung einer Abgabe für die Mitgift der Königstochter stattfand,19 in regelmäßigen Abständen wiederholt wurde und wodurch diese Wiederholungen überhaupt ermöglicht wurden. Implizit wird damit angenommen oder zumindest suggeriert, dass die Entwicklung von einer Gelegenheit zu einer Organisation gleichsam zwangsläufig erfolgte. Denn nur wenn zu diesem Ablauf keinerlei Alternativen bestanden, muss er auch nicht erläutert werden. Natürlich läuft ein Prozess, den man aus der Rückschau betrachtet, immer auf sein Ergebnis zu. Eine Beschreibung dieses Ablaufs sollte jedoch berücksichtigen, dass die Zeitgenossen sein Resultat noch nicht kannten, es wahrscheinlich auch gar nicht als Zielpunkt ihres Handelns wahrnahmen. Die Organisation Exchequer kann man zwar als Ergebnis eines im 12. Jahrhundert vor sich gehenden Prozesses beschreiben, daraus folgt aber nicht, dass die Könige und ihre Bediensteten im 12. Jahrhundert bewusst das Ziel verfolgten, eine Organisation zu erschaffen. John 13 Poole beschreibt die Abläufe und den Aufbau der Pipe Rolls so, wie sie im Dialog über das Schatzamt geschildert werden. Damit geht er davon aus, dass der Exchequer im gesamten 12. Jahrhundert bereits in der Form einer Organisation bestand. Die Studien von Yoshitake und Karn suchen danach, wie der Exchequer, den es schon zur Zeit Henrys I. gegeben habe, während des Bürgerkriegs arbeitete respektive danach wieder aufgebaut wurde. Yoshitake, Karn. 14 Sie spricht von einem »key development in the rise of the state«, Green, Henry I, S. 15. 15 Treasury (thesaurus) meint den Ort, an dem das Geld des Königs aufbewahrt wurde. Siehe dazu Brown, Treasury und Hollister. 16 Jolliffe, Camera Regis. 17 Die Forschung geht davon aus, dass die beiden obersten Gerichtshöfe des Königreichs seit dem Ende des 12. Jahrhunderts als eigenständige Organisationen bestanden. Die King’s Bench ging aus den Visitationen der Reiserichter hervor, deren Sitzungen in einem County am Ende des 12. Jahrhunderts als Sitzungen des königlichen Gerichtshofs angesehen wurden. Die Common Bench spaltete sich aus dem Exchequer ab. Brand, Making, S. 79 – 89; Turner, Origins; Kemp. 18 Die Kanzlei kann zu Beginn des 13. Jahrhunderts, spätestens 1240, als eigenständige Organisation bezeichnet werden, so Barrow, insbesondere S. 241 – 243. 19 Der älteste erhaltene Beleg für die Benutzung der Vokabel scaccarium steht in einer Verfügung, die anlässlich der Hochzeit von Matilda, der Tochter von Henry I., mit dem Kaiser Heinrich V. erlassen wurde. Zu diesem Beleg siehe Kapitel 1.4.

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England, Verwaltung, Schriftlichkeit: Der Forschungsstand

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Edward Austin Jolliffe etwa urteilt, die Leistung der Verwaltungstätigkeit Henrys II. habe in der Vorbereitung gelegen, wohingegen die Vollendung dem Beginn des 13. Jahrhunderts vorbehalten gewesen sei.20 Es ist schwerlich vorzustellen, dass die königlichen Bediensteten des 12. Jahrhunderts sich selbst lediglich als Vorbereiter glorreicherer Zeiten wahrnahmen. Nicht für die Herausbildung des Exchequer, wohl aber für die allgemeinen Veränderungen in der Verwaltung des 12. Jahrhunderts wird in der Forschung sehr wohl nach Gründen gesucht. Sie werden fast immer im intentionalen Verhalten der Könige21 und ihrer Verwalter22 gefunden. Für die Verwaltungsprozesse vor dem 12. Jahrhundert kam in der älteren Forschung eine latent völkische Komponente hinzu, wenn diskutiert wurde, ob die Errungenschaft der Schaffung der englischen Administration eher den Angelsachsen oder den Normannen zugeschrieben werden könnte. Heute wird davon ausgegangen, dass die grundsätzlichen Abläufe und Strukturen von den normannischen Eroberern nicht verändert worden seien, deren schriftliche Dokumentation jedoch zugenommen habe.23 Seit der viktorianischen Geschichtsschreibung gilt insbesondere Henry II. als Begründer der Bürokratie und des Rechtssystems Englands im 12. Jahrhundert.24 Die Klassiker der englischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte weisen dabei eine starke nationale Schlagseite auf: Die Werke von William Stubbs25 und Thomas Frederick Tout26 bezeichnet Michael T. Clanchy entsprechend als eindrückliche Beispiele dafür, wie Zeitströmungen einen Historiker bewusst oder unbewusst prägten: Allein um ihre Finanzierung und ihre gesellschaftliche Relevanz zu erhalten, hätten diese Historiker gar nicht anders gekonnt, als ihre Werke an Konservatismus und Nationalismus anzupassen.27 Doris Stentons Beschreibung der Forschungen des 17. bis 19. Jahr20 Dabei hat er hauptsächlich die Camera Regis im Blick, siehe Jolliffe, Camera Regis, S. 362. 21 Im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit regierten Henry I. (1100 – 1135), Stephen (1135 – 1154) und Henry II. (1154 – 1189). Siehe dazu Kapitel 1.4. 22 Nicht für den Exchequer, sondern für die Treasury formuliert Hollister prägnant die angebliche Alternativlosigkeit des Fokus auf die Individuen: »[…] we cannot understand the origins of the treasury without sorting out the identities and functions of the treasury officials and their subordinates. We cannot begin to understand what they do until we know who they were.« Hollister, S. 262. 23 Siehe Warren, Myth; Clanchy, Memory, S. 25 – 32. Deutsche Historiker betonten eher den normannischen Einfluss, wie Göllmann formuliert: »Dabei neigten die meist nur am Rande beteiligten deutschen Historiker wie Heinrich Mitteis oder Heinrich Brunner häufig dazu, den Normannen eine besondere schöpferische Kraft bei der Gründung von Staatsgebilden zuzuschreiben, was vielleicht mit dem ausgeprägten Interesse der deutschen Forschung an dem sizilianischen ›Staat‹ Friedrichs II. zusammenhängt.« Göllmann, S. 33. 24 Clanchy, England, S. 131. 25 Stubbs, Constitutional History. 26 Tout. 27 Clanchy, Inventing, hier S. 7.

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hunderts macht deutlich, dass bereits zu dieser Zeit Historiker ihre Verwaltungsgeschichten als Beitrag zur Beschreibung der nationalen Größe Englands sahen.28 Grob zusammengefasst besteht die Narration der frühen englischen Verwaltungsgeschichte darin, dass geniale Herrscher eine fortschrittliche Administration erschufen. Solche Bewertungen wurden in der Forschung seit dem Zweiten Weltkrieg zurückgenommen. Die Tradition der englischen Verwaltungsgeschichten, sich an Herrschern und den von ihnen oder ihren Verwaltern geschaffenen Behörden auszurichten, riss jedoch nicht ab.29 Einen interessanteren narrativen Bogen verfolgt das extrem einflussreiche Werk Clanchys, in dem die Geschichte der englischen Verwaltung als Entstehung einer Kultur schriftlicher Dokumentation in England erzählt wird.30 Die jüngere Forschung betont weiterhin die Wichtigkeit von Personen und deren intentionalem Handeln, auch wenn neben die Genialität des Königs nun die Schaffenskraft seiner Bediensteten rückt. So wird die Reorganisation der Abrechnungsprozeduren nach dem Bürgerkrieg in der Mitte des 12. Jahrhunderts zwar konstatiert, aber nicht genauer erläutert. Emelie Amt oder Graeme J. White erklären die schnelle Reorganisation der englischen Verwaltung nach dem Bürgerkrieg in der Mitte des 12. Jahrhunderts damit, dass Henry II. eben die richtigen Männer für die Organisation seiner Verwaltung ausgesucht habe.31 Entsprechend werden die an der Abrechnung beteiligten Personen zahlreichen Analysen unterzogen.32 Die Karriere einzelner königlicher Bediensteter wird detailliert nachgezeichnet, so etwa der Aufstieg und Fall Rogers of Salisbury,33 der stets in Zusammenhang mit den ersten erhaltenen Nennungen des scaccarium auftritt und deshalb manchmal als Architekt der normannischen Verwaltung bezeichnet wird,34 der Werdegang seines Neffen Nigel35 und dessen Sohn Richard of Ely,36 der den Dialog über das Schatzamt verfasste, oder die Karriere Richards of Ilchester, dessen Anwesenheit bei zahlreichen Abrechnungen zur Zeit Henrys II. nachgewiesen werden kann und der außerdem als Reiserichter 28 Stenton. Diese Zielsetzung wird immer wieder deutlich, wenn Stenton die Werke beschreibt, die zu der Zeit auf der Grundlage der Pipe Rolls entstanden. Die Pipe Rolls dienen Historikern also bereits seit dem 17. Jahrhundert als Quelle für die Erforschung der englischen Verwaltung. Zu dieser Zeit arbeitete das sogenannte Pipe Office innerhalb des Exchequers noch, denn bis 1832 wurden noch Pipe Rolls erstellt. 29 Beispiele bilden Richardson u. Sayles; Chrimes; Green, Government; Warren, Governance; Huscroft. 30 Clanchy, Memory. 31 Amt, Accession, S. 3 u. S. 21; White, Restoration, S. 214. 32 Die Forschungen über die Herkunft und den Karriereweg der königlichen Verwalter werden in Kapitel 3.2.2. ausführlicher diskutiert. 33 Kealey. 34 So Chrimes, S. 50. 35 Karn. 36 Hudson, Administration.

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und Justiziar fungierte.37 Werden die königlichen Verwalter als Gruppe behandelt, so geschieht das meistens im Rahmen einer Diskussion über ihre soziale Mobilität, da die meisten von ihnen kleinere und mittlere Landbesitzer waren, die über ihre Arbeit für den König Reichtum und höhere soziale Positionen erlangen konnten.38 Zum Abrechnen vor diesen Verwaltern erschienen zum einen die Sheriffs, die königliche Güter verwalteten,39 zum anderen die Großen des Königs, die diverse feudale Abgaben leisten mussten.40 Die finanziellen Beziehungen von Krone und Adel41 zwischen Ausbeutung42 und Patronage43 bilden laut Udo Göllmann ein geradezu »klassisches Betätigungsfeld der englischen Mediävistik.«44 Die Erklärung des Verwaltungshandelns des 12. Jahrhunderts mit dem Verweis auf die daran beteiligten Personen bietet jedoch keine Antwort auf die Frage nach der Entstehung des Exchequer, denn sie beantwortet nicht die Fragen, woher dieses Personal kam, warum Henry II. in der Lage war, die geeigneten Männer auszuwählen, und wie genau das Handeln dieser Personen mit der Beständigkeit der Abrechnungsstrukturen in Zusammenhang zu bringen ist. In der englischen Verwaltungsgeschichtsschreibung findet sich also das Bild vom Exchequer als einer Organisation, die zwar zu Beginn des 12. Jahrhunderts noch nicht die gleiche Erscheinungsform aufwies wie knapp hundert Jahre später, die aber seit den ersten Erhebungen von Abgaben und deren Abrechnung von hellsichtigen Verwaltern zu einer Behörde entwickelt wurde. Deshalb hinterfragt die Forschung weniger das Bestehen und Entstehen des Schatzamtes als vielmehr seine Effizienz, die danach bemessen wird, wie viel Einnahmen eingezogen wurden.45 Nick Barratt staunt über die Kontinuität der Arbeit des Ex37 Duggan. 38 Viele Verwalter wurden für ihre Arbeit für den König mit einem Bischofssitz belohnt, siehe hierzu Mooers Christelow, Chancellors. Zur sozialen Mobilität siehe Turner, Men; Gillingham; Dyer. 39 Die grundlegenden Studien zu den Sheriffs liefern Morris, English Sheriff und Green, English Sheriffs. 40 Z. B. musste ein Kronvasall einen Betrag zahlen, wenn er das Gut seines Vaters erben oder sich verheiraten wollte. Die Zahlungen, die in den Pipe Rolls verzeichnet wurden, werden in Kapitel 2.2.4. detailliert vorgestellt. 41 Zur Formation dieser Gruppe seit der normannischen Eroberung siehe Green, Aristocracy. 42 Z. B. bei Jolliffe, Angevin Kingship. 43 Siehe etwa Mooers, Patronage. 44 Göllmann, S. 23. Sein eigener Beitrag besteht darin, die Sichtweise der älteren Forschung zu stärken, die den Ausbeutungsaspekt in den Vordergrund gestellt hatte. Göllmann betont die Nutzung von Verschuldung als Mittel zur Disziplinierung und Kontrolle der Barone. 45 So beschreibt z. B. Barratt den Exchequer unter Henry II. im Gegensatz zu den Zeiten Stephens und Richards I. als erfolgreich, da er die Einnahmen aus der Pacht steigern konnte, Barratt, Finance, S. 243. Er untersucht auch die Einnahmen unter John: Ders., Revenue und ders., Counting the Cost. Johns Einkünfte fallen aber ebenso wenig in den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit wie die Einkünfte von Edward the Confessor, mit denen sich Grassi

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chequer während der Zeit des Krieges zwischen Henry II. und seinen Söhnen in den 1170er Jahren, bietet statt einer Erklärung für die Beständigkeit aber nur die Vergewisserung, immerhin seien die Einnahmen deutlich gesunken.46 Kritik an diesem Effizienzkriterium äußert Clanchy, der bemerkt, gemäß dieser Richtschnur müsste die Administration von Dschingis Khan als die beste Verwaltung des 13. Jahrhunderts gelten.47 Auch einzelne Einnahmesorten werden erläutert und quantifiziert48 und Teilaspekte der Verwaltung intensiv analysiert, wie die Besteuerung,49 die Regalrechte,50 die königliche Domäne,51 die Lokalverwaltung52 oder die königlichen Forste.53 Die englische Forschung beschäftigt sich zwar exzessiv mit der Verwaltung und ihren Behörden und beschreibt auch, dass der Exchequer von einer Gelegenheit zu einer Organisation wurde. Sie lässt aber bisher offen, warum diese Gelegenheit denn so beständig blieb und sich ständig wiederholte, anstatt einfach nicht mehr wiederzukommen. Sie fragt auch nicht, wie genau dieser Prozess vonstattengehen konnte: Wie konnte es möglich werden, dass aus einer Gelegenheit eine Organisation entstand?54 Implizit deutet sich allerdings bereits eine Erklärung an, die über den bloßen Verweis auf die beteiligten Personen hinausgeht und in der vorliegenden Arbeit explizit herausgearbeitet und begründet wird. Die Wirkmacht eines Individuums wird sozusagen negativ gedeutet, wenn gerade die Abwesenheit des Königs aus England als Triebkraft für die Verwal-

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beschäftigt. Die Einnahmen aus der ersten erhaltenen Pipe Roll von 1129/30 errechnen Bartlett, S. 159 und Green, Pipe Roll, S. 3. Eine vergleichende Analyse der Einnahmen von 1139 – 1189 nimmt White, Income, vor. Die Einkünfte der Jahre 1155 – 1159 beschreibt Amt, Accession, ausführlich, tabellarisch auf S. 190 – 204. Moss, Normandy, vergleicht die Einnahmen der englischen und der normannischen Pipe Roll aus dem Jahre 1179/80. Die Berechnung von Einnahmen auf Grundlage der Pipe Rolls stellt aber eine schwierige Aufgabe dar, so dass, wie Barratt schreibt, nie zwei Forscher zu demselben Ergebnis gelangten: Barratt, Finance, S. 250. Die Pipe Rolls verzeichnen zudem nicht alle Einnahmen des Königs, denn auch der herumreisende Hof konnte Zahlungen entgegennehmen, siehe dazu Bartlett, S. 159, ausführlicher für die Zeit Johns: Barratt, Revenue, S. 837 f. Den Anstoß für solche Berechnungen gab das umfangreiche Werk von Ramsay. Barratt, Finance, S. 254. Clanchy, Inventing, S. 14. Problematisiert wird die Frage nach einem Beurteilungskriterium für eine Verwaltung auch bei Kealey, S. 27. Green, Danegeld; Green, William Rufus; Turner, Sheriff ’s Farm. Mitchell. Howell. Wolffe. Jewell. Young, Royal Forests. Für die allgemeineren Vokabeln »state« und »government« moniert Bisson, Crisis, S. 12, die englische Forschung benutze diese Bezeichnungen so, als ob alle Gesellschaften so etwas besäßen und jeder genau wisse, was sich dahinter verberge. Garnett setzt sich kritisch mit der Bezeichnung »The Crown« auseinander, die in der Forschung verwendet werde, um Ausdrücke wie »state« oder »souvereignty« zu vermeiden. Dabei werde übersehen, dass auch »crown« erst seit der Zeit Henrys II. als Abstraktum benutzt wurde.

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tungsveränderungen des 12. Jahrhunderts angesehen wird.55 Implizite Andeutungen eines nicht-intentionalen Wandels können den explizit angegebenen Gründen widersprechen: So legt beispielsweise Clanchy zunächst dar, mehr als alle Individuen habe die Technologie des Schreibens die Verwaltungsgeschichte des 12. Jahrhunderts geprägt. Wenige Seiten später jedoch, als er explizit auf die Frage nach den Gründen für den englischen Sonderweg der Verwaltungsentstehung eingeht, beantwortet er sie wieder mit den daran beteiligten Personen.56 Genauso betont Edward J. Kealey einerseits den graduellen Charakter jeder Verwaltungsveränderung. Sucht er jedoch nach einer expliziten Begründung dafür, findet er sie im Einfluss hervorstechender Persönlichkeiten.57 Nicht für die Herausbildung des Exchequer, sondern für die Formation der Profession der Juristen formuliert Paul Brand eine These, die der in dieser Arbeit vertretenen ähnelt: Der Berufsstand der Juristen habe sich durch die Nutzung einer spezifischen Fachsprache herausgebildet.58 Außerhalb Englands orientiert sich insbesondere die deutsche Forschung zu Finanzverwaltungen des Mittelalters nicht nur an den Individuen, die sie geschaffen haben sollen, sondern vor allem an der Struktur, als deren Vorläufer sie angesehen werden: dem Staat.59 Die Finanzverwaltung wird gern als »Kern staatlicher Entwicklung seit dem späten Mittelalter« angesehen.60 Diese Perspektive wirkt teleologisch in dem Sinne, dass sie Untersuchungen motiviert, die hauptsächlich prüfen, inwiefern eine mittelalterliche Finanzverwaltung »schon« die Charakteristika einer »modernen« staatlichen Verwaltung aufwies, anstatt ihre spezifische Funktionslogik zu analysieren. Die Charakteristika mittelalterlicher Finanzverwaltungen werden deshalb hauptsächlich daran gemessen, inwieweit sie bereits staatliche, bürokratische, moderne, rationale Züge auf55 So etwa bei Reuter, hier S. 351. 56 Clanchy, England, S. 132 und im Gegensatz dazu S. 134 – 137. 57 Kealey, S. 26 f.: »Administration is not an exciting or romantic art, nor is its progress even necessarily marked by clear turning points. Its cumulative effect is more important than any one of its individual processes, and the temptation to discover perfected systems in mere trial efforts must be resisted. […] Above all, the attempt to create an effective, impersonal government paradoxically relies on the initial influence of outstanding individuals.« 58 Brand, Language of the English Legal Profession, S. 100. 59 Ein schönes Beispiel dafür, dass Personen und Organisationen als die einzigen alternativen Untersuchungseinheiten für die Analyse einer Verwaltung angesehen werden, bietet Hesse. Er begründet seinen Fokus auf die Amtsträger in seiner Studie über die Lokalverwaltung im spätmittelalterlichen Reich damit, Institutionen [damit sind in der in der vorliegenden Studie verwendeten Terminologie Organisationen gemeint] seien zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfestigt gewesen, deshalb müssten die Amtsträger die Untersuchungseinheit bilden, S. 19. 60 Edelmayer u. a., S. 9: Die vielfältigen Ansätze ließen sich auf das Grundmodell reduzieren, nach dem aus dem Domänenstaat im 16. Jahrhundert der Finanzstaat und anschließend der Steuerstaat entstanden seien.

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wiesen, wobei unterschiedliche Forscher darunter je verschiedene Eigenschaften verstehen. So untersucht etwa Christian Hesses großangelegte Analyse lokaler Verwaltungen im spätmittelalterlichen Reich deren zunehmende »Bürokratisierung« und »Rationalisierung« und mündet in der Feststellung, damit sei ihre »Modernisierung« in Gang gekommen.61 Mark Mersiowsky betont zwar, dass moderne Ansprüche an eine Bürokratie nicht auf das Mittelalter übertragen werden dürften, bezeichnet aber doch die Territorien, die diese Ansprüche am besten erfüllten, als die »fortschrittlichsten«.62 Bei der konkreten Untersuchung von Rechnungen schlägt sich diese Ausrichtung oftmals darin nieder, dass die Veränderung der Niederschrift der Rechnungen als Geschichte stetig zunehmender Systematik erzählt wird.63 Daneben werden Rechnungen in der Geschichte der Buchführung64 und als Datenfundus für alle möglichen Themen, insbesondere zur Alltagsgeschichte, verwendet.65 Bislang wurden wenige Versuche unternommen zu begründen, warum diese prämodernen Finanzverwaltungen entstanden. Als Anstoß für ihre Herausbildung wird entweder ein steigendes Angebot an Geld angeführt, zu dessen Verwaltung neue Organisationen nötig geworden seien,66 oder gerade umgekehrt ein mangelndes Angebot bei einer zunehmenden Nachfrage nach Geld genannt, die dazu geführt hätten, dass Organisationen zur besseren Ausschöpfung der finanziellen Ressourcen eines Territoriums gegründet worden seien.67 Diese Erklärungsangebote widersprechen sich also und überzeugen deshalb nicht. Auch die schöpferische Kraft eines Individuums wird gern bemüht, insbesondere für die Erklärung des Aufbaus der sizilianischen Verwaltung unter Friedrich II.68 Eine nicht-teleologische Beschreibung der Herausbildung schriftlicher Verwaltungstechniken führt Joachim Wild am Beispiel der bayerischen Lehenbücher vor.69 Aus diesen entsteht allerdings keine Organisation, deshalb bildet seine Studie keine genaue Parallele zur hier vorliegenden Arbeit. Außerhalb der deutschen Forschung beschreibt Ellen E. Kittell in ihrer Analyse der flandrischen Finanzverwaltung im 12. und 13. Jahrhundert ebenfalls den Prozess, in 61 Hesse, S. 15 und S. 481. 62 Mersiowsky, Anfänge, S. 345 und S. 348. 63 Siehe ebd., S. 43 – 131, kurz zusammengefasst in: Ders., Rechnungen, hier S. 543 f. Das Kriterium der Systematik findet sich auch in Weiß’ Studie über die Hauptbücher der päpstlichen Finanzverwaltung für die einzelnen Provinzen. 64 Siehe etwa Arlinghaus, Bedeutung, oder Aho. 65 Das Loblied der universellen Verwendbarkeit von Informationen aus Rechnungen singen etwa Edelmayer u. a., S. 11 – 14 oder Orth, S. 62. 66 So etwa bei Lyon u. Verhulst, S. 85 oder Schirmer, S. 327. 67 Z. B. bei Mersiowsky, Anfänge, S. 132 oder Hesse, S. 14. 68 Kölzer etwa bietet eine einzige Aneinanderreihung der Taten Friedrichs II., der die von seinen Vorgängern zerrütteten Verwaltungsstrukturen wiederaufgebaut habe, siehe z. B. S. 289 f. 69 Wild.

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dem aus der Wiederholung von situativen Handlungen Routinen entstehen.70 Für sie besteht die Voraussetzung dafür, dass diese Wiederholungen geschehen können, allerdings in der Ausstattung einer bestimmten Person mit autoritativer Amtsgewalt: So werde diese Person in die Lage versetzt, die Repetition der Verwaltungsakte durchzusetzen. Die Reproduktion wird damit als intentionaler Prozess angesehen, wohingegen sie in England gerade nicht geplant erfolgte. Die Aufstellung bestimmter Kriterien für eine neuzeitliche Finanzverwaltung, an denen die meist nur in geringer Zahl aus dem Mittelalter erhaltenen Verwaltungsdokumente gemessen werden, hat in der deutschen Forschung eine lange Tradition,71 lässt sich aber nicht nur in aktuellen Studien,72 sondern auch vereinzelt in der nicht-deutschen Forschung finden.73 Einige Ansätze in der neueren Verwaltungsgeschichte wenden sich jedoch explizit gegen diese implizit teleologische Ausrichtung. Sie wurden in den Forschungen zur mittelalterlichen Verwaltungsgeschichte bisher wenig rezipiert, bieten aber wertvolle Anknüpfungspunkte für die vorliegende Arbeit. Veränderungen in der Verwaltung werden in diesem Strang der Forschung nicht mehr allein als das Werk von Eliten oder anderen Individuen gesehen, auch der Nationalstaat wird als entscheidende Determinante dekonstruiert.74 Dagegen rückt die prägende Kraft von Verfahren und Praktiken in den Fokus.75 Laut Stefan Fisch soll die Untersuchung der Kultur einer Verwaltung nicht nach deren Entwicklungsstand auf dem Weg zur Staatlichkeit fragen, sondern die Einstellungen und Handlungsmuster analysieren, 70 Kittell. 71 Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet Bamberger. Als Kriterien wählt sie ein zentrales Abrechnungssystem, regelmäßige Abrechnungstermine und die schriftliche Dokumentation der einzelnen Abrechnungsschritte. Sie endet mit der Feststellung, die Finanzverwaltung der Territorien sei »nicht so ausgebaut und leistungsfähig« wie diejenige Frankreichs oder Englands gewesen, siehe ebd., S. 252. Ähnlich geht Droege vor, der die Finanzverwaltungen der Territorien daran misst, inwieweit ein »straffes landesherrliches Steuer- und Abgabensystem« errichtet worden sei. 72 Siehe z. B. für Sachsen Schirmer, der die »Modernisierung« (S. 310) der beiden wettinischen Finanzverwaltungen nach der Leipziger Teilung 1485 untersucht, die in die »Staatsbildung« (S. 309) in Sachsen gemündet sei. Dass ein Teil der allgemeinen Verwaltungsgeschichte der Frühen Neuzeit immer noch mit dem Staat als Leitstern arbeitet, zeigt ein neuerer Sammelband, der die Staatsbildung bereits im Titel führt: Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung, siehe Hochedlinger u. Winkelbauer. 73 Für das Papsttum siehe z. B. Morris, Papal Monarchy. Er urteilt, aufgrund der unsystematischen, improvisierten Verwaltungstechnik könne das Papsttum in dieser Zeit noch nicht als Monarchie bezeichnet werden. Lyon u. Verhulst untersuchen die Finanzverwaltungen Flanderns, der Normandie, Englands und Frankreichs und kommen zu dem Schluss, Frankreich sei den anderen drei Territorien in der Entwicklung hinterhergehinkt, da sich dort die Kammer erst im 13. Jahrhundert vom Schatzamt abgespalten habe, siehe ebd., S. 41 f. Die französische Verwaltungsforschung sucht ebenfalls stark nach den Wurzeln der späteren Organisationen in mittelalterlicher Zeit, siehe etwa Lot u. Fawtier oder Barbey u. a. 74 Fisch, hier S. 316 f. und S. 321. 75 So Brendecke u. a., hier S. 13.

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auf denen diese Kultur basiert.76 Unter dem Label einer »Kulturgeschichte der Verwaltung« lassen sich die entsprechenden Versuche zusammenfassen, MetaErzählungen wie Modernisierung, Bürokratisierung und Staatsbildung zu hinterfragen und anstelle teleologischer Erklärungsmodelle auf die Kontingenzen und Vielschichtigkeiten in der Veränderung von Verwaltungsorganisationen einzugehen.77 Die Kulturgeschichte der Verwaltung übernimmt dazu den Kulturbegriff des angelsächsischen Sprachraums, der alles umfasst, was die kollektive Identität einer Verwaltung formt,78 untersucht also deren Sinndeutungen, Verhaltensweisen, Artefakte, Technologien und Verfahrensabläufe. In diesem Rahmen wird auch die Notwendigkeit sprachlicher Analysen betont.79 Wie erwähnt, entstehen Studien zur Verwaltungskultur allerdings fast ausschließlich erst für Zeitabschnitte seit der Frühen Neuzeit. Staat und Bürokratie sind also in irgendeiner Form immer bereits vorhanden und prägen deshalb natürlich Handeln und Strukturen der Verwaltung: Die Behörden nehmen Einfluss auf den Habitus ihrer Beamten, Wissen und Normen bestimmen die Verwaltungspraktiken.80 Die vorliegende Arbeit zeigt aber, dass die Einflussnahme durchaus auch genau andersherum gedacht werden kann: Ein bestimmter Habitus einer Gruppe von Menschen kann deren Identität festigen und so zur Entstehung einer Organisation beitragen; Praktiken können beeinflussen, was als relevantes Wissen oder als beachtenswerte Norm angesehen wird. Die Kulturgeschichte der Verwaltung teilt mit der vorliegenden Arbeit die gleichen Ziele, jedoch ruhen ihre Analysen grundlegend auf der Voraussetzung, dass ein zumindest in Ansätzen bürokratischer Staat bereits existiert.81 Das gleiche Charakteristikum prägt auch andere Erklärungsansätze, die die nichtteleologische, unintendierte, nicht geplante Veränderung gesellschaftlicher Ordnungen beschreiben: Wie die prägenden gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen entstehen, wird selten thematisiert.82 Die Untersuchung der Verwaltungssprache dient in der neueren Verwaltungsgeschichte etwas anderen Zwecken als in meiner Arbeit. Zum einen liegt einer ihrer Schwerpunkte auf der Untersuchung der Unverständlichkeit und der Reformbemühungen der Ver-

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Fisch, S. 316. Becker, Überlegungen, S. 312, S. 315 f. und S. 335. Fisch, S. 305 f. Becker, Sprachvollzug, hier insbesondere S. 27. Becker, Überlegungen, S. 331 und S. 335. Deshalb nimmt die Kulturgeschichte der Verwaltung Veränderungen im Staatsaufbau in den Blick, wohingegen sich die vorliegende Arbeit mit der Entstehung einer Organisation beschäftigt. Siehe ebd., S. 335. 82 So kritisiert etwa Schmid, S. 142, an Luhmanns Evolutionstheorie, er erkläre nicht, aufgrund welcher Mechanismen sich die von ihm beschriebenen Systeme überhaupt herausbilden würden. Modelle evolutionären Wandels werden in Kapitel 4.2. und 4.4. diskutiert.

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waltungssprache.83 Damit wird Verständlichkeit als Ziel einer Verwaltungssprache definiert, Unverständlichkeit hauptsächlich als Mittel zur Ausgrenzung verstanden und eher am Rande auf die Arbeitserleichterung verwiesen, die die Nutzung einer Fachsprache ebenfalls hervorbringt.84 Die »Rationalität«, das Gütemaß der traditionelleren Verwaltungsgeschichte,85 wird ersetzt durch das Kriterium der Verständlichkeit, das die Eigenlogik und Funktionsweise einer Organisation nicht weniger ignoriert.86 Zum anderen wird in dieser Arbeit der Fokus auf die Verschriftlichungstechniken ausgeweitet, die nicht nur in der neueren Verwaltungsgeschichte thematisiert werden,87 sondern innerhalb der mittelalterlichen Forschung insbesondere von den Studien zur pragmatischen Schriftlichkeit untersucht werden.88 In diesen Analysen wird zwar die performative Kraft der Verschriftlichung konstatiert, allerdings steht die Schriftlichkeit dem Prozess, der verschriftlicht wird, meist als etwas Äußeres gegenüber. Der verschriftlichte Vorgang bleibt das Objekt der Schriftlichkeit: Die Schriftlichkeit kann ihn erfassen, bewahren, ordnen und klassifizieren.89 Sie erfüllt eine Protokoll- und Archivfunktion. Die Pipe Rolls jedoch dienten nicht nur dazu, einen Abrechnungsprozess festzuhalten und zu ordnen, sie bildeten einen integralen, eigenständigen Teil der

83 Siehe für die Neuzeit jüngst Margreiter und Becker, Verwaltungsgeschichte. In der Nachkriegszeit rückt die Verständlichkeit von Formularen in den Blick, so ders., Formulare, insbesondere S. 293 – 296. 84 Darauf gehe ich ausführlicher ein bei der Diskussion der Fachsprachlichkeit in Kapitel 3.3. 85 Eine schöne allgemeine Einführung in die Vorstellung, dass Rationalität eine Geschichte habe, bietet Daston. 86 Man könnte vermuten, dass Verständlichkeit Bürgernähe und ein demokratisches Anliegen suggeriert und damit der Ideologie des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts besser entspricht als das Merkmal der »Rationalität«, das nach der kapitalistischen Effizienzlogik früherer Zeiten klingt. Ein potenziell anachronistisches Kriterium stellen beide Charakteristika dar. 87 Verschriftlichungstechniken rücken in den Fokus, wenn der Staat als »Informationsstaat« konzipiert wird, der sein Wissen in Form dieser Techniken erwirbt und formt, siehe dazu z. B. Burke, Reflections; Collin u. Horstmann. 88 Siehe dazu ausführlicher unten in Kapitel 3.1.1. 89 In der mittelalterlichen Forschung beschreibt Kuchenbuch die Effekte der Verschriftlichung einer Befragung nach Rechten und Einkünften in einer Gutsherrschaft, siehe Kuchenbuch, Verrechtlichung, insbesondere S. 37 – 41. Die pragmatische Schriftlichkeit präsentiert etwa Keller als »Instrument der Welterfassung und Lebensorganisation«: Keller, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 5; Meier, S. 1, nennt das Erfassen, das Bewahren und das Verändern die »Grundfunktionen der Literalisierung«. Dartmann, S. 2, umreißt die Funktion der Schriftlichkeit damit, Erinnernswertes sei aufgeschrieben worden, »um Informationen unabhängig von der Verformungskraft des individuellen oder kollektiven Gedächtnisses zuverlässig zu speichern.« Im kulturgeschichtlichen Ansatz zur Verwaltungsgeschichte wird der Vorgang der Klassifikation etwa beschrieben bei Potin, S. 51.

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Abrechnungsprozeduren und trugen zudem zu ihrer eigenen Reproduktion bei.90 In den Forschungen zur pragmatischen Schriftlichkeit wird der Funktion des Erinnerns und Bewahrens eine so große Rolle eingeräumt, da sie einen großen Teil ihrer konzeptionellen Anstöße von den Studien zum Zusammenhang zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit bezieht.91 Die Pipe Rolls hingegen werden zwar im Kontext einer mündlichen Rechnungsabhörung geschrieben, bilden aber kein Protokoll der mündlich geäußerten Vorgänge.92 Sie gehören damit zu einer anderen Form früher Verschriftlichungstechniken, nämlich den Listen. Listen gehören zu den ältesten erhaltenen schriftlichen Dokumenten der Menschheitsgeschichte und bilden eindeutig keine gesprochene Sprache ab, da sie keinerlei narrative Struktur aufweisen.93 Der scharfe Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die starke Betonung ihrer jeweiligen kulturellen Implikationen haben die Untersuchungen zur Mündlichkeit in ihrer bisherigen Form ohnehin in die Kritik geraten lassen.94 90 Diese Funktion wird in Kapitel 4.6. behandelt. Bisher habe ich nur eine Studie gefunden, in der nicht nur die Verschriftlichung eines Abrechnungsprozesses beschrieben wird, sondern die auch darauf hinweist, dass die Veränderungen, die die Verschriftungstechniken durchlaufen, auch den Abrechnungsprozess und sogar die Mentalität der daran beteiligten Personen prägen: Arlinghaus, Notiz, beschreibt, wie sich in den Abrechnungen der Datini/di Berto-Handelsgesellschaft die Doppik herausbildete, was mit einer Steigerung der Fachsprachlichkeit und der Selbstreferentialität der Abrechnungsvorgänge einherging und so auch das Selbstbild der abrechnenden Kaufleute veränderte. 91 So Keller, Einführung, S. 16. Dartmann gibt sich in seinem Rückblick auf Kellers Forschungen dazu kritischer, S. 6. 92 Siehe dazu Kapitel 2.1. 93 Koch, Graph¦, S. 52. Er beschreibt solchermaßen die Listen über Abgaben, Verpflegung und Vorratshaltung, die im 8./7. Jahrhundert v. Chr. im Vorderen Orient angelegt wurden. Ähnlich argumentiert Vismann, S. 20: Listen, nicht die Verschriftlichung von Mündlichkeit hätten die Grundlage der Schriftlichkeit gebildet. Clanchy, Memory, S. 154, gibt zudem an, dass die Aufbewahrungsfunktion der englischen Dokumente erst rund hundert Jahre nach dem Beginn ihrer Verfertigung wahrgenommen wurde. Erst weitere hundert Jahre später wurden sie als Archiv genutzt, also nach Informationen über frühere Zeiten durchsucht. Zu Listen als frühester Form der Schriftlichkeit siehe außerdem Ulshöfer ; Koch, Frater Semono. Zwar erwähnt auch beispielsweise Ong, dass zu administrativen Zwecken angefertigte Listen die erste Form der Schriftlichkeit darstellten, jedoch trifft keines der Kriterien, die er für eine von Mündlichkeit geprägte Kommunikation angibt, auf Listen zu, die z. B. gerade nicht weitschweifig formuliert sind und durchaus von Abstraktion geprägt sein können, S. 37 – 53 und S. 83. Insofern findet sich sogar in der Oralitätsforschung die Ansicht, dass die ersten Schriftstücke einer noch weitgehend oral geprägten Gesellschaft keine große Ähnlichkeit mit mündlicher Kommunikation aufweisen. 94 Eine gute Zusammenfassung der Kritikpunkte bietet Goetsch. Clanchy, Memory, S. 8 f., spricht ebenfalls von einer ideologischen Aufladung der Forschung zur Literalität. Für das Mittelalter kann Oralitätsforschung ohnehin schwerlich betrieben werden, denn die Erkenntnisse über die Funktionsweisen mündlicher Kommunikation stammen logischerweise aus der Untersuchung rein oraler Kulturen, die es zu Lebzeiten des jeweiligen Forschers noch gab, siehe etwa Ong oder Goody.

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Zudem liegt eine Voraussetzung, die die Forschung für die Entstehung der pragmatischen Schriftlichkeit angibt, im England des 12. Jahrhunderts nicht vor: Universitäten sucht man dort vergeblich.95 Auch andere höhere Schulen wurden aller Wahrscheinlichkeit nach nur von sehr wenigen königlichen Verwaltern besucht.96 Narrative wie das Aufkommen der Scholastik oder die Renaissance des 12. Jahrhunderts sollten deshalb nicht unhinterfragt appliziert werden:97 Falls sie auf irgendwelche Bereiche der englischen Gesellschaft zutrafen, so sicherlich nicht auf die königliche Finanzverwaltung. Deshalb überschneidet sich das Thema der vorliegenden Arbeit zwar in gewissem Grade mit den Forschungen zur Entstehung einer Expertenkultur, ergänzt diese jedoch um eine Studie über Fachleute, die erst während ihrer Arbeit ausgebildet wurden, ohne zuvor eine theoretische Bildung genossen zu haben. Bei der Ausführung ihrer Tätigkeit eigneten sie sich implizites Wissen an. Diese Form des Wissens, auch als Erfahrungen oder Routinen bezeichnet, spielt in praxeologischen Ansätzen eine wichtige Rolle.98 Die Studien zu den Experten des Spätmittelalters hingegen fokussieren stark auf Gelehrte aus dem Universitätsmilieu,99 da sie sich einerseits aus der Bildungsforschung speisen,100 andererseits erst im 13. Jahrhundert einsetzen, in dem eine Prägung der Wissenslandschaft durch die Universitäten nicht geleugnet werden kann. Entsprechend formte zu dieser Zeit bereits die Organisation Universität den Habitus der Gelehrten;101 die Organisation wurde nicht, wie es diese Arbeit für das Beispiel des Schatzamtes zeigt, mithilfe der habituellen Abgrenzungsbemühungen ihrer späteren Mitglieder erst herausgebildet.

95 Die Entstehung von Universitäten als Voraussetzung für die Herausbildung einer pragmatischen Schriftlichkeit nennt z. B. Keller, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 3. Keller, Lebensfunktionen, S. 21. 96 Die Argumentation wird ausgeführt in Kapitel 3.2.2. 97 Siehe Haskins. Die Forschung in dieser Traditionslinie nennt ihr Studienobjekt mittlerweile nicht mehr die Renaissance, sondern die Transformationen des 12. Jahrhunderts, um die teleologische Konnotation abzuwerfen, siehe vor allem Noble. Die Gegenerzählung, wonach das 12. Jahrhundert besonders krisenhaft gewesen sei, liefert Bisson, Crisis. 98 Reichardt, Geschichtswissenschaft, S. 44, S. 50 und S. 57; Bongaerts, S. 249. 99 Experten und Gelehrte werden bisweilen einfach gleichgesetzt, z. B. bei Rexroth, Kulturgeschichte, S. 12. Eine Diskussion der Problematik der Anwendung des Expertenbegriffs, wie er sowohl in der mittelalterlichen Forschung als auch in der heutigen Debatte über Experten verwendet wird, erfolgt in Kapitel 3.2.4. 100 Eine Reflexion dazu bietet Kintzinger, Bildungsgeschichte. 101 Siehe dazu Algazi, Zerstreutheit oder ders., Food.

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1.2. Historische Semantik: Das Analyseinstrumentarium Die Herausforderung der in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen Analyse besteht also darin, ein Wissen zu erfassen, das nicht durch eine Universität geformt wurde, und die Entstehung einer Verwaltungsbehörde zu konzeptionalisieren, ohne auf die Rahmenbedingung eines bürokratischen Staates zurückgreifen oder sich mit der Vorstellung eines individuellen Schöpfungsaktes begnügen zu können.102 Deshalb erweisen sich neue Analyse- und Beschreibungsmodelle als notwendig, die es ermöglichen zu erklären, wie und warum sich eine Organisation in vor-staatlicher und vor-universitärer Zeit herausbildete. Eine solche Analyse existiert für das englische Schatzamt noch nicht, obwohl aus dem 12. Jahrhundert eine Vielzahl an Dokumenten aus dem Kontext der königlichen englischen Verwaltung überliefert sind. Die Sprache der königlichen Verwaltung blieb also erhalten und kann untersucht werden. Die Pipe Rolls wurden als hauptsächliche Quelle für diese Arbeit ausgewählt, weil sie – seit dem Jahre 1155/56 – als komplette Serie überliefert sind und deshalb die meisten Chancen bieten, Einblicke in die Bedingungen und Folgen ihrer Regelmäßigkeit zu gewähren. Die Sprache dieser Rechnungen wurde untersucht mithilfe der Historischen Semantik.103 Aus drei Gründen eignet sich die Methode der Historischen Semantik zur Untersuchung von Verwaltungsgeschichte. Erstens birgt die Historische Semantik die Möglichkeit, Überraschungen zu produzieren, da ihr explizites Analyseinstrumentarium eine stärkere Distanzierung von den Vorannahmen des Forschers ermöglicht, als dies beispielsweise bei einer hermeneutischen Herangehensweise der Fall ist.104 Damit erweist sie sich als besonders hilfreich in Forschungsfeldern, die von wirkmächtigen Narrativen wie der Entstehung des modernen Staates strukturiert sind. Sprachliche Charakteristika und deren Veränderungen können ohne den Rückgriff auf Kategorien und Kriterien moderner Staatsbildung untersucht werden. Die Historische Semantik ruht lediglich auf der Annahme, dass Sprache eine Gesellschaft oder Kultur, in der sie gesprochen wird, nicht nur reflektiert, sondern auch formt und damit selbst einen gesellschaftlichen Prozess darstellt. Deshalb kann die Analyse der

102 Warum die Veränderungen in den englischen Abrechnungsprozeduren des 12. Jahrhunderts nicht mit individuell geplanten Aktivitäten erklärt werden können, begründet Kapitel 4. 103 Überblicke über die Geschichte und verschiedenen Spielarten dieser Methode bieten Eßer ; Reichardt, Historische Semantik, hier S. 7 – 22; Daniel, S. 345 – 359; Konersmann. 104 Dieses Charakteristikum der Historischen Semantik betont Konersmann, der sie als »wissenschaftliche Ausgestaltung der theoretischen Neugierde« bezeichnet, ebd., Sp. 596. Siehe auch Jussen, Ordo, S. 253.

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Historische Semantik: Das Analyseinstrumentarium

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Sprache Aufschlüsse über die jeweilige Gesellschaft oder Kultur geben.105 Insbesondere werden auch unbewusste kognitive Strukturen und implizites Wissen in einer Sprache reflektiert und von ihr geprägt. Die Analyse der Sprache ermöglicht somit Einblicke in unbewusste Annahmen und für selbstverständlich gehaltene Überzeugungen, die nicht explizit diskutiert werden.106 Deshalb kann die semantische Untersuchung eine Analyseeinheit einbringen, die in der mittelalterlichen Verwaltungsforschung bisher wenig beachtet wurde: Das semantische Vorgehen ermöglicht es, dass neben schon bestehenden Organisationen und konkreten Personen auch sprachlich gestützte und reproduzierte Routinen als Triebkraft für Veränderungen in der Finanzverwaltung ins Blickfeld rücken. Die Anwendung einer neuen Methode erweitert den Fokus der Analyse. Darin liegt der zweite Vorteil einer semantischen Analyse. Drittens besteht das Ziel der Historischen Semantik nicht in der Beschreibung von Zuständen, sondern von Wandlungsprozessen vergangener Gesellschaften.107 Einer Erklärung des semantischen und damit auch gesellschaftlichen Wandels wird jedoch in vielen semantischen Studien aus dem Weg gegangen, wie Willibald Steinmetz bemerkt. Deshalb fordert er einen stärkeren Fokus auf die Mikrodiachronie, also die »Beobachtung sprachlicher Interaktion in kürzeren Zeit- und konkreten Handlungsräumen«, da nur auf dieser Grundlage Modelle zur Erklärung von Veränderungsprozessen entstehen könnten.108 Die vorliegende Arbeit bestätigt diese Auffassung: Die Untersuchung eines zeitlich und pragmatisch beschränkten Quellensamples führt zur Aufstellung eines Modells für gesellschaftlichen Wandel.109 Die Historische Semantik erweist sich damit als besonders geeignete Methode zur Untersuchung von Transformationen. Die Anwendung semantischer Methoden stellt weder für die mittelalterliche Geschichte110 noch für die Untersuchung von Rechnungen111 eine Neuigkeit dar. 105 Burke, Social History, S. 11 – 13, beschreibt diese Thesen nicht speziell für die Historische Semantik, sondern allgemeiner für eine Sozialgeschichte der Sprache. Seine Einleitung bietet dennoch die prägnanteste Einführung in diese Grundannahmen, die auch die Historische Semantik teilt. Elaborierter formuliert Sarasin, Diskurstheorie, S. 56, nach dem linguistic turn in der Geschichtswissenschaft würden Zeichen nicht nur als Abbildung der Realität, sondern als »Funktion der Konstruktion epistemischer Dinge« aufgefasst. Sprache wird als Faktor und Indikator sozialen Lebens angenommen, siehe Daniel, S. 352. 106 Steinmetz, Diskurs, S. 60; Busse, S. 126 und S. 132; Ziem, S. 92 u. S. 97. 107 So bringt es etwa Esser, S. 292 auf den Punkt. 108 Steinmetz, Begriffsgeschichte, S. 183 – 187. 109 Steinmetz führt als möglichen Nachteil solcher Studien die Unübersichtlichkeit ins Feld, die viele kleinräumige Analysen produzieren könnten. Da für das England des 12. Jahrhunderts noch keine solche Untersuchung durchgeführt wurde, hält sich in diesem Bereich die Unübersichtlichkeit aber noch in Grenzen, ebd. 110 Steinmetz bezeichnet die Vormoderne zwar als ein durch semantische Studien noch unerschlossenes Feld. Er führt jedoch selbst einige Beispiele für Forschungen in der mittelalterlichen Geschichte an, die im Folgenden zitiert werden. Insofern meint er wahr-

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Einleitung

In dieser Arbeit wird jedoch eine leichte Verschiebung des Analysefokus vorgenommen. Die Bedeutung von Sprache wird untersucht, um darauf aufbauend analysieren zu können, auf welche Art und Weise diese Zuschreibung von Bedeutung vonstattenging. Die Frage, welcher Sinn generiert wurde, bildet nur die Grundlage für die Frage, wie dieser Sinn generiert wurde.112 In einem zweiten Schritt wird geprüft, wie sich diese Art der Bedeutungszuweisungen über die Zeit und in verschiedenen Kontexten änderte. Die Bedeutungsnuancen der sprachlichen Einheiten werden also analysiert, um erstens den Charakter der Bedeutungszuweisungen und zweitens den Charakter der Veränderung dieses Charakters der Bedeutungszuweisungen erfassen zu können. Unter dem Oberbegriff der Sprache werden dabei (1) die Bedeutung der Lexeme, (2) die Formulierung der Sachverhalte, (3) die Abfolge der einzelnen Posten und Phrasen, (4) die Anordnung der Schrift auf der Seite und (5) die Verwendung von Abkürzungen zusammengefasst.113 Die Analyse der Bedeutung von Lexemen bildet sozusagen die Urform semantischer Analysen seit den Zeiten begriffsgeschichtlicher Forschung. Die Bezeichnung Lexem meint ein lexikalisches Wort, also ein Wort, das – wie eine Einheit im Wörterbuch – als Repräsentant aller Realisierungsformen genannt wird, in denen es im Satz erscheinen kann.114 In dieser Arbeit werden die kleinsten analysierten Einheiten außerdem bisweilen als Vokabeln bezeichnet. »Vokabel« soll dabei eine relativ selbständige bedeutungstragende Einheit meinen, die aber aus mehreren Lexemen bestehen kann.115 Da lexikalische und semantische Wörter in dieser

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scheinlich, dass im Vergleich zu den Werken, die zur Moderne entstanden sind, nur wenige Arbeiten für vormoderne Perioden vorliegen. Ebd., S. 180. Ein herausragendes Beispiel für eine wort-, satz- und textbezogene Historische Semantik bietet die Studie von Kuchenbuch, Porcus Donativus. Darin kann er Marc Blochs These von der Geschenkbestimmtheit des Feudalismus modifizieren. Die Monographie von AnceletNetter bietet keine semantische Analyse von Rechnungen, sondern eine hauptsächlich wortbasierte Untersuchung von Traktaten von Philippe de M¦ziÀres, Evrard de Tr¦maugon, Christine de Pisan und Nicole Oresme aus dem spätmittelalterlichen Frankreich. Dagegen erfüllt die Untersuchung von Rechnungen die Forderung der Sozialgeschichte seit den 1960er Jahren, von der Höhenkammliteratur abzurücken, so referiert bei Lottes, S. 32. Busse, S. 131, bezeichnet die Frage: »Was ist die Bedeutung dieser Form?« als die alte Frage der Semantik und stellt ihr die neue Frage gegenüber : »Was muss ich wissen, um eine sprachliche Form angemessen verwenden zu können und andere Leute zu verstehen, wenn sie sie verwenden?« In der vorliegenden Arbeit wird die »alte Frage« ebenfalls in eine weitere Richtung ausgebaut. Ganz ähnlich stellt Hoffmann, S. 231, die Komponenten eines Fachtextes zusammen: Ein solcher bestehe aus sprachlichen Mitteln und nicht-verbalen Informationsträgern, die charakteristisch ausgewählt und angeordnet seien. Diese Definition stammt aus Kürschner, S. 76. Auch diese Definition erfolgt analog zu Kürschner : Er bietet als Beispiel für eine Vokabel aus mehreren Lexemen Ausdrücke wie »ganz und gar« oder das Verb »um die Ecke bringen«, ebd., S. 76. In den Pipe Rolls findet sich vergleichbar z. B. das Verb reddere Compotum (Rechnung legen), in dem ebenfalls zwei Lexeme eine semantische Einheit bilden. Deshalb

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Historische Semantik: Das Analyseinstrumentarium

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Arbeit oft in eins fallen, werden beide Bezeichnungen häufig synonym verwendet. Die Bedeutung dieser Lexeme oder Vokabeln wird in lexikometrischen Verfahren untersucht. Der Lexikometrie liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Bedeutung eines Wortes durch den jeweiligen Gebrauchszusammenhang konstituiert.116 Die Bedeutung eines Lexems kann also aufgespürt werden, indem analysiert wird, mit welchen anderen Lexemen es zusammensteht. So lässt sich ein Bedeutungsraum rekonstruieren.117 Ein gemeinsames Auftreten mehrerer Lexeme liegt in dieser Arbeit vor, wenn sie mindestens in demselben Posten auftreten, denn diese Einträge einzelner Abrechnungsvorgänge bilden abgeschlossene Sinneinheiten.118 Eine solche Analyse einzelner Lexeme bildete schon immer nur die Grundlage semantischer Studien.119 Die Wortsemantik wird durch eine Satz- und Textsemantik ergänzt, der in meiner Arbeit die Analyse der Phrasen, der Abfolge dieser Phrasen innerhalb eines Postens und der Abfolge der Posten innerhalb der gesamten Rechnung entspricht. Unter einer Phrase soll dabei keine spezifische grammatikalische oder syntaktische Kategorie verstanden werden, sondern die Zusammenstellung mehrerer Lexeme oder Vokabeln in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang.120 Wie bei der Analyse der Rechnungssprache in Kapitel 3.1.2.1. deutlich wird, wird die Rechnung stärker durch solche Phrasen strukturiert als durch die Sätze, die zwar die syntaktische Grundeinheit bilden, aber in klar voneinander unterscheidbare Phrasen zerfallen. Außerdem wird die Anordnung der Schrift auf einer Seite in die Untersuchung einbezogen. Peter Rück betont die Notwendigkeit der Analyse von Layout und Format,121 Johann Peter Gumbert fasst unter der Bezeichnung der Typo-

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wird reddere Compotum in dieser Arbeit der Einfachheit halber durchgängig als Verb bezeichnet, obwohl es sich bei Compotum natürlich um das zugehörige Akkusativ-Objekt handelt. Jussen, Ordo, S. 229. Algazi, Herrengewalt, S. 22. Beeindruckende Beispiele für die Ergebnisse, die eine solche Analyse zutage fördern kann, bietet Morsel, Erfindung, ebenso ders., Brief. Zur Bezeichnung als Posten siehe Kapitel 2.2.3. Siehe sehr überzeugend Steinmetz, Begriffsgeschichte, S. 50 und S. 183. Diese Historische Semantik als »übergeordnete Disziplinbezeichnung, um all diejenigen Forschungsrichtungen zu bündeln, die sich mit Prozessen des semantischen Wandels im weiteren Sinne befassen« (so Steinmetz, ebd., S. 183) entstand auf Grundlage der Begriffsgeschichte, die insbesondere mit dem Namen Reinhart Koselleck verbunden ist und die häufig dafür kritisiert wurde, lediglich einzelne Worte zu untersuchen, siehe etwa Lottes, S. 33 f. oder Gumbrecht. Auf diesen Vorwurf hat Koselleck selbst schon mehrfach reagiert, beispielsweise in Koselleck, Begriffsgeschichte, siehe S. 86 oder ders., Begriffsgeschichten, siehe S. 43. Beispielsweise sollten diese Phrasen nicht mit Phrasemen oder idiomatischen Wendungen verwechselt werden, die gemäß der obigen Definition als Vokabeln erfasst werden können. Die diplomatische Semiotik Peter Rücks untersucht Urkunden auf Schrift, graphische Symbole, Layout und Format, siehe Rück, Beiträge; Rück, Urkunde.

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Einleitung

graphie alles zusammen, was die Seite von der bloßen Aufreihung der Buchstaben unterscheidet. Darunter fallen Unterstreichungen, Größen- und Farbunterschiede, verschiedene Schriftarten,122 außerdem Wortabstände, Kapitelüberschriften, Absätze und Marginalien.123 Die Ordination eines Schriftstücks kann nicht nur Aufschlüsse über die Wichtigkeit geben, die einzelnen Teilen des Dokuments zuerkannt wurde, sie erlaubt auch Rückschlüsse auf dessen Produktionsweise.124 Bei listenartigen Dokumenten sticht die Bedeutungskonstitution durch die Anordnung besonders ins Auge. Dies hat insbesondere Ludolf Kuchenbuch in zahlreichen Analysen von hauptsächlich grundherrlichem Einkommensschriftgut wie Urbaren oder Registern gezeigt.125 Die Analyse der Anordnung der Pipe Rolls kann eindrücklicher als eine reine Wortanalyse zeigen, wie sehr sich das Funktionsprinzip dieser jährlichen Abrechnungen von dem des Einkommensschriftguts unterscheidet. Dieser Fokus auf die Gesamtkomposition des Schriftstücks unterscheidet die vorliegende Studie von diskursanalytischen Arbeiten.126 Gleichsam an der Schnittstelle von Wort- und Gestaltungsebene liegt schließlich die Untersuchung von Abkürzungen. Die Abkürzungen der »2. Generation«, wie sie Thomas Frenz bezeichnet, konnten je nach Textsorte eine andere Form annehmen.127 Die englischen Rechnungen zeigen, dass auch innerhalb desselben Dokuments unterschiedliche Abkürzungen der gleichen Wortform in verschiedenen Kontexten benutzt werden konnten, Abkürzungen also eine Bedeutungsdifferenzierung anzeigen können. Zudem kann der Verzicht auf bestimmte Abkürzungen ein Indikator dafür sein, welche Teile der Rechnungen besonders hervorgehoben werden sollten.

122 Gumbert, hier S. 289. 123 Raible, Textgestalt, hier S. 30. 124 Siehe Kapitel 2.2.3. und Kapitel 4.6. Die Forderung, die Produktionsbedingungen der Dokumente in einer semantischen Analyse zu berücksichtigen, formuliert Eßer, S. 291. 125 Der Aufbau von Güter- und Einkünfteverzeichnissen wird analysiert in Kuchenbuch, Teilen; die Bedeutung der Umgestaltung bei der Abschrift eines Schriftstücks herausgehoben in ders., Achtung; grundherrliches Ordnungsverhalten durch die Beziehung zwischen Inhalt und Form wird untersucht in ders., Ordnungsverhalten; ein besseres funktionales Verständnis für die grundherrliche Überlieferung aus der Abtei Werden durch die Einbeziehung der Ordination wird herbeigeführt in ders., Register. Auch neuzeitliche Dokumente können einer solchen Analyse unterzogen werden, so in ders., Stadtwerdung. 126 Zur Diskursanalyse in Abgrenzung zur Begriffsgeschichte siehe Lüsebrink; zur Diskursanalyse in der Geschichtswissenschaft siehe Sarasin, Diskurstheorie. 127 Bei Frenz treten fachspezifische Abkürzungen zwar erst in juristischen und scholastischen Texten des Spätmittelalters auf, der Umgang mit Abkürzungen in den Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts entspricht aber genau seiner Charakterisierung dieser Abkürzungen der »2. Generation«, siehe ebd., S. 111.

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Fachsprache, Evolution, Institution: Der Aufbau der Arbeit

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1.3. Fachsprache, Evolution, Institution: Der Aufbau der Arbeit Die Historische Semantik bildet die grundlegende Methode, mit der die Pipe Rolls daraufhin analysiert werden, auf welche Art und Weise die Bedeutungszuweisungen vonstattengingen und wie sich diese Art und Weise der Bedeutungszuweisungen mit der Zeit und in verschiedenen Kontexten veränderte. Die Grundlage für die semantische Analyse bildet das Verständnis des Rahmens, in dem die Pipe Rolls verfasst wurden, ihrer grundsätzlichen Komposition und Zusammensetzung. Deshalb beschreibt Kapitel 2 die Herstellung einer Pipe Roll und inventarisiert ihren semantischen Bestand. Die Ergebnisse der semantischen Analyse werden mithilfe von drei Beschreibungsmodellen aufbereitet: Im ersten Schritt (Kapitel 3) wird die Art der Bedeutungszuweisung untersucht. Sie lässt sich mithilfe des Beschreibungsmodells der Fachsprachlichkeit erfassen. Auf diese Weise wird deutlich, dass die Sprache der Pipe Rolls eine abgrenzende Wirkung aufwies, also eine schwer zu überschreitende Grenze errichtete zwischen denjenigen Menschen, die sie sprechen konnten, und denjenigen, die ihrer nicht mächtig waren. Die Kriterien der Fachsprachenforschung können die Funktionen einer Sprache zudem differenzierter erfassen: Zum einen stellte die Abgrenzungswirkung der Rechnungssprache eine willkommene Folge, nicht unbedingt aber einen intendierten Effekt der sprachlichen Ausgestaltung der Pipe Rolls dar. Zum anderen weist die Sprache der Pipe Rolls, vergleicht man sie mit den verschiedenen möglichen Arten von Fachsprachen, am meisten Ähnlichkeiten mit einer Techniksprache auf. Die Techniker, die diese Sprache sprechen und verstehen konnten, hatten sie sich während der praktischen Arbeit angeeignet, einem Prozess des learning by doing, wie Kapitel 3.2. zeigt. Die Sprache konnte ihre abgrenzende Wirkung besonders gut entfalten, weil sie nur von Personen gelernt werden konnte, die bereits in den Kreis der königlichen Verwalter aufgenommen worden waren. Im zweiten Schritt (Kapitel 4) wird analysiert, wie sich die Art der Bedeutungszuweisung über die Zeit und in verschiedenen Kontexten änderte. Die Ergebnisse dieses Teils der semantischen Analyse lassen sich in den Rahmen der Evolutionstheorie einpassen: Die Rechnungssprache erweist sich als anpassungsfähig an unterschiedliche Rahmenbedingungen, der Anpassungsprozess vollzog sich graduell und unvorhersagbar. Intentionale Erklärungsmodelle passen hingegen nicht zum empirischen Befund. Kapitel 5 führt die Ergebnisse der beiden empirischen Kapitel unter dem Schirm der institutionellen Organisationstheorie zusammen. So wird gezeigt, wie das Zusammenspiel von Abgrenzungswirkung und Anpassungsfähigkeit die Grundlage für eine Organisationsbildung legte, indem Identität und Legitimität für die Abrechnungsprozeduren bereitgestellt wurden. Die hier beobachteten Prozesse lassen sich mithilfe der institutionellen Organisationstheorie erklären,

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Einleitung

da sie Routinen, implizites Wissen und unhinterfragte Annahmen als mögliche Wirkkräfte bei der Organisationsbildung berücksichtigt. Die drei Modelle der Fachsprachlichkeit, der Evolution und der Organisationsbildung und die jeweilige Forschungslage werden in den drei zugehörigen Kapiteln dargelegt. Die Leistung dieser Arbeit besteht insofern darin, Themen und Beschreibungsmodelle auf eine neuartige Weise zu verknüpfen, um so eine neue Erklärung für ein bekanntes Phänomen – die Entstehung des Exchequer – zu entdecken. Die vorgestellten Ansätze und Methoden wurden demgemäß nicht präsentiert, um ihre bisherige Defizienz zu zeigen, sondern um sie als Grundlage für diese Arbeit auszuweisen. Von der hier vorgenommenen Neukombination können zum einen die etablierten Forschungsgebiete profitieren, indem ihr Fokus ausgeweitet wird: Die Historische Semantik wurde bisher selten in den Forschungen über die englische Finanzverwaltung und allgemeiner zur Verwaltungsgeschichte, in den Studien zu Experten, zur Bildung und zur pragmatischen Schriftlichkeit angewandt, die Beschreibungsmodelle der Fachsprachenforschung, der Evolutionstheorie und der institutionellen Organisationstheorie sucht man dort bisher ebenfalls vergeblich. Unintentionale, ungeplante Veränderungen können so in den Blick rücken und mithilfe der Modelle erklärt werden. Zum anderen werden bei der Anwendung der Methoden und Beschreibungsmodelle auf neue Bereiche auch weitere Möglichkeiten dieser Methoden sichtbar : Die Historische Semantik wird, wie oben beschrieben, zur Analyse nicht nur der Bedeutungszuweisungen, sondern vor allem der Art und Weise dieser Bedeutungszuweisungen und ihrer Veränderungen genutzt, wodurch deutlich wird, wie gut sie sich zur Analyse von Transformationsprozessen eignet. Die Fachsprachenforschung wird als Hilfsmittel zur Erklärung historischer Phänomene genutzt. Dadurch kann nicht nur der Abgrenzungseffekt erklärt werden, der in der Fachsprachenforschung zumeist einfach als gegeben hingenommen wird. Auch die Rolle einer solchen Sprache bei der Herausbildung einer Organisation gewinnt Konturen. Die institutionelle Organisationstheorie beschäftigt sich erst seit kürzerem nicht nur mit der Funktionsweise bestehender, sondern auch mit der Herausbildung neuer Organisationen. Zu diesen Studien kann die vorliegende Arbeit einen besonderen Beitrag leisten, da sie eine Zeit ohne vorgegebene bürokratische Strukturen erforscht. Lediglich der Evolutionstheorie, die ohnehin im Moment von diversen Forschungszweigen in Anspruch genommen wird,128 kommt eine reine Geberrolle zu; die Ergebnisse dieser Arbeit können sie nicht weiter befruchten. Der Grund dafür mag darin liegen, dass allein die Evolutionstheorie als Paradigma bezeichnet werden kann. Alle anderen Beschreibungsmodelle, die hier 128 Eine kritische Analyse der Anwendungsversuche in den Sozialwissenschaften bieten Müller und Wortmann. Siehe dazu ausführlicher unten, Kapitel 4.2.

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Zeitraum, Dokumente, Beschreibungssprache: Der Rahmen der Arbeit

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als Inspiration genutzt wurden, befinden sich in einem Stadium, in dem über Grundbegriffe und legitime Methoden gestritten wird.129 Das wird in dieser Arbeit mehrfach deutlich, wenn etwa verschiedene Kriterienkataloge für die Untersuchung von Fachsprachlichkeit, unterschiedliche Definitionsmöglichkeiten für Experten oder gescheiterte Systematisierungsbemühungen innerhalb der Institutionenforschung diskutiert werden. Damit bleiben diese Forschungsstränge aber auch offen für die Übertragungen und Neukombinationen, die hier vorgenommen wurden. Insgesamt ermöglichen die Fachsprachenforschung, die Evolutions- und die Organisationstheorie, Befunde zu verstehen, die sich aus der Quellenanalyse ergaben. Die Theorien helfen, die Frage zu beantworten, wie der Exchequer als so beständige Organisation entstehen konnte. Nur dadurch, nicht durch ihre gesellschaftliche Aktualität oder ihre formale Schönheit, rechtfertigt sich ihre Implementation.130

1.4. Zeitraum, Dokumente, Beschreibungssprache: Der Rahmen der Arbeit Um die Entstehung einer Organisation zu untersuchen, muss ein Beobachtungszeitraum gewählt werden, der sicherstellt, dass die Organisation am Anfang noch nicht bestand und sich bis zum Ende herausgebildet hatte. Die ersten Hinweise darauf, dass Abrechnungsprozesse stattfanden, stammen aus dem zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit herrschte Henry I., der jüngste Sohn von William I. (the Conqueror), über England und die Normandie.131 Er verheiratete seine älteste Tochter Matilda mit Kaiser Heinrich V. Um ihre Mitgift zu finanzieren, wurde in England eine Abgabe (auxilium) erhoben.132 Im Rahmen der Sammlung dieser Abgabe steht die früheste Nennung von 129 Ob geisteswissenschaftliche Disziplinen je ein paradigmatisches Stadium erreichen oder erreichen sollten, sei hier dahingestellt. Die Entstehung eines Paradigmas lässt sich laut Kuhn daran festmachen, dass grundlegende Annahmen und Definitionen nicht mehr diskutiert, sondern vorausgesetzt und in Lehrbüchern vermittelt werden. Vor der Herausbildung eines Paradigmas wird ein Fachgebiet durch verschiedene konkurrierende Schulen geprägt. Siehe dazu Kuhn, hier insbesondere S. 25 – 36. 130 So schreibt auch Jenks, Conclusion, S. 275: »The use of theoretical models by historians is only justified on one of two grounds: either the model explains sources which we could not explain satisfactorily before, or the model gives us new – and fruitful – questions to ask of the sources. If neither of these conditions is fulfilled, it is our job to take the theory out behind the barn and kill it with an axt.« In dieser Arbeit liegt der erste Rechtfertigungsgrund vor. 131 Über Henry I. gibt es zwei große Monographien: Hollister u. Frost sowie Green, Henry I. Zur Bewertung von Henry I. in der Forschung siehe ebd., S. 15 – 19. 132 Siehe dazu Green, Government, S. 41.

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Einleitung

scaccarium, das man später mit »Schatzamt« übersetzen kann.133 Eine Verfügung aus dem Jahre 1110 bestimmt, dass St Mary in Lincoln diese Abgabe nicht zu leisten habe. Darin tritt scaccarium als qualifizierende Beschreibung der königlichen Verwalter auf, die die Abrechnung leiteten.134 Als Gruppe tragen sie den Namen barones de scaccario,135 als Titel für einzelne Personen ist die Bezeichnung nicht überliefert. Die barones de scaccario dürfen also nicht automatisch als Kronvasallen oder andere wichtige Adlige identifiziert werden. Entsprechend meinte scaccarium zu dieser Zeit keine behördliche Einheit, sondern bezeichnete eine bestimmte Funktion der königlichen Verwalter. Der Ort der Abrechnungen trug noch nicht den festen Namen scaccarium: In einer Benachrichtigung aus dem Jahre 1111 wird der Ort, an dem die barones de scaccario saßen, als thesaurus (Schatz) bezeichnet.136 Ebenfalls aus dem Beginn der 1110er Jahre stammt der erste Verweis auf Rollen als Bestandteile des Abrechnungsprozesses: Henry I. wies in einer Verfügung den Sheriff von Oxford an, dem Abt von Westminster ein Almosen von zehn Schillingen zu gewähren, wie es in seinen Rollen stünde (sicut est in rotulis meis).137 Die älteste bis heute erhaltene Pipe Roll wurde erst knapp zwanzig Jahre später erstellt, im 31. Regierungsjahr Henrys I. (1129/30). Da keine frühere Rechnung überliefert wurde, bildet sie den Anfang des Untersuchungszeitraums. Die zweitälteste überlieferte Pipe Roll umfasst das Rechnungsjahr 1155/56. Dabei handelt es sich um das zweite Regierungsjahr Henrys II., des Enkels von Henry I. Die Zeit zwischen dem Tod des Großvaters 1135 und der Thronbesteigung des Enkels 1154 wird in der englischen Historiographie insbesondere seit der Studie von Henry William Carless Davis als »Anarchie« bezeichnet:138 133 Im Dialog über das Schatzamt werden zwei Begründungen für den Namen gegeben, der zunächst ein Schachbrett bezeichnet: Zum einen werde über den Tisch, an dem die Abrechnung stattfand, ein schachbrettartiges Tuch gelegt, zum anderen folge die Abrechnung ebenso festen Regeln und Rollenzuschreibungen wie es im Schachspiel üblich sei. Dialogus I, 1, S. 60 f. Dieser Dialog wird unten vorgestellt. 134 The Registrum Antiquissimum, Nr. 32, S. 26: H. rex Anglorum: baronibus de scaccario salutem. Sciatis quod nolo ut terra sancte Marie Linc’ sit in consuetudine propter auxilium quod inde habui ad opus filie mee . sed sit ita quieta sicut pater meus precipit. Testibus. Rogero episcopo Sarisbirie. et Ranulfo cancellario . apud Westmonasterium. Als alternative Lesart gibt Foster anstelle von baronibus de scaccario auch baronibus de escecario an. 135 Eine weitere frühe Nennung der barones de scaccario wird verzeichnet bei Robinson, S. 149: Henricus rex Angl’ Ricardo episcopo de Lundon’ sal’. Mando tibi ut facias plenum rectum abbati Westm’ de hominibus qui fregerunt ecclesiam suam de Winton’ noctu et armis. Et nisi feceris, barones mei de scaccario faciant fieri, ne audiam clamorem inde pro penuria recto. T’. & c. Auch in der ersten erhaltenen Pipe Roll werden die barones de scaccario genannt. Sie erlassen dort jemandem einen Schuldbetrag: In Perdonis per considerationem Baronum de scaccario, PR 31 Henry I, S. 96, R10 m1d. Zu den barones siehe auch Kapitel 3.2.2. 136 RRAN II, Nr. 1000, S. 104. 137 RRAN II, Nr. 1053, S. 116. Die lateinische Fassung findet sich bei Robinson, S. 149. 138 Davis.

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Zeitraum, Dokumente, Beschreibungssprache: Der Rahmen der Arbeit

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Sowohl Henrys I. Tochter Matilda als auch sein Neffe Stephen erhoben Anspruch auf die Krone. In der jüngeren Forschung wird angezweifelt, dass der Bürgerkrieg, der mit dem Kampf der beiden Prätendenten 1139 einsetzte, tatsächlich zu anarchischen Zuständen geführt habe. Der Aufbau eines funktionierenden Regierungsapparats sei unter Henry II. so schnell erfolgt, dass er zuvor nicht völlig zerstört gewesen sein könne.139 Die administrativen Strukturen und auch die Abrechnungen mit Sheriffs und Schuldnern blieben wohl in Grundzügen bestehen, liefen aber nicht mehr in Winchester zusammen, sondern wurden von Stephen, Matilda, dem schottischen König oder anderen Magnaten in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten durchgeführt.140 Der Krieg endete im Jahre 1153, indem Stephen Matildas Sohn Henry als Erben einsetzte. Henry stammte aus Matildas Ehe mit dem Grafen Geoffroy von Anjou.141 Ein Jahr später starb Stephen, und Henry II. bestieg den Thron. Neben dem Titel des Königs von England konnte er sich außerdem als Graf von Anjou, Graf von Maine, Herzog der Normandie und über seine Frau Eleonore als Herzog von Aquitanien bezeichnen.142 Henry II. hielt sich deshalb häufig auf dem Festland auf, um seine Besitzungen zu sichern und seine Ansprüche auf die Bretagne und Toulouse mit wechselndem Erfolg gegen den französischen König Louis VII. durchzusetzen. Zahlreiche Expeditionen nach Schottland, Irland und Wales taten ihr Übriges dazu, dass sich Henry II. kaum über längere Perioden in England aufhielt.143 Seine Abwesenheiten behinderten allerdings nicht die Herausbildung elaborierter Verwaltungsstrukturen, die sich in einer immer besseren Überlieferung greifen lassen.144 Die Pipe Rolls ab seinem zweiten Regierungsjahr (1155/56) blieben bis heute erhalten. Gegen Ende der 1170er Jahre schrieb der Schatzmeister Richard of Ely einen fiktiven Dialog über die Abrechnungsprozeduren.145 In diesem Dialog wird auf scaccarium als eigenständige Einheit Bezug genommen, die beispielsweise ein bestimmtes Fachwissen besitzt.146 Auch in der Forschung wird der Exchequer ab den 1170er Jahren als 139 White, Restoration, S. 10. 140 Ebd., S. 36. Der Nachweis, dass wohl auch zu Zeiten des Bürgerkriegs Abrechnungen stattfanden, gelingt Yoshitake. 141 Die entsprechende Charter Stephens wird als Vertrag von Westminster (manchmal auch Winchester) bezeichnet. Siehe RRAN III, Nr. 272, S. 97 – 99; übersetzt in English Historical Documents, Bd. II, S. 404 – 407. 142 Zu Henry II. siehe Warren, Henry II und den Sammelband von Harper-Bill u. Vincent. In der Einleitung beschäftigt sich Vincent mit dem Bild Henrys II. in der Historiographie: Vincent, Introduction. 143 Henry II. verbrachte 13 seiner Jahre als König in England, Wales oder Irland, 15 in der Normandie und sieben in Frankreich; vor seiner Thronbesteigung hielt er sich zusammengerechnet dreieinhalb Jahre in England auf, so White, Restoration, S. 8 und Fußnote 41. 144 Siehe etwa Vincent, Introduction, S. 7 – 13. 145 Dieser Dialog wird unten vorgestellt. 146 Das wird ausführlicher dargestellt in Kapitel 5.1.

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Einleitung

Organisation behandelt.147 Um den Beobachtungszeitraum in einer Zeit abzuschließen, in der der Exchequer gesichert als Organisation angesehen werden kann, bietet es sich also an, die Untersuchung mit dem Beginn der 1180er Jahre zu beenden. Deshalb stammt die jüngste Pipe Roll, die in dieser Arbeit analysiert wird, aus dem Abrechnungsjahr 1183/84. Diese Rechnung wurde ausgewählt, da sie das 30. Regierungsjahr Henrys II. umfasst. Henry II. regierte zu dieser Zeit also fast genauso lange wie Henry I. zur Zeit der Abfassung der ersten erhaltenen Pipe Roll, die den Beginn des Untersuchungszeitraums darstellt. Außerdem blieb für das Abrechnungsjahr 1183/84 eine Pipe Roll aus der Normandie erhalten, mit der diese englische Rechnung verglichen werden kann.148 Der Untersuchungszeitraum umfasst damit die Zeit zwischen dem 31. Regierungsjahr Henrys I. (1129/30) und dem 30. Regierungsjahr seines Enkels Henry II. (1183/84).149 Die Methode der Historischen Semantik und der Beschreibungsmodelle können in diesem Zeitraum nur appliziert werden, weil die Pipe Rolls in vollständiger Serie überliefert wurden. Neben der frühesten erhaltenen Pipe Roll aus dem Jahre 1129/30150 blieben ab dem Rechnungsjahr 1155/56 bis zum Ende des Exchequer 1832 alle jährlichen Abrechnungen mit vier Ausnahmen erhalten.151 In dieser Arbeit wurden neben der ältesten erhaltenen die Pipe Rolls von 1155/56 bis 1183/84 untersucht. Da die erste und letzte Pipe Roll des Beobachtungszeitraums besonders intensiv analysiert wurden, stammt eine Mehrzahl der Beispiele aus diesen beiden Rollen. Die Pipe Rolls liegen in den National Archives in London.152 Die hier untersuchten Rechnungen wurden alle ediert, die Editionen liegen in digitalisierter 147 So hebt etwa Barratt, Finance, S. 254, die Kontinuität der Autorität hervor, die dem Exchequer auch während des Kampfes Henrys II. gegen seine Söhne zukam. Auch Brand, Making, S. 88, sieht den Umschwung zu einer »institution« in den 1170ern vollzogen. Siehe auch Richardson, Introduction, hier S. xiij; Chrimes, S. 48; Jones, S. 471. 148 Siehe Kapitel 4.3.2. 149 Einen guten Überblick über die politische Geschichte dieses Zeitraums bieten Clanchy, England, S. 97 – 182 und Bartlett. 150 Warum gerade diese Pipe Roll erhalten blieb, ist unklar. Green, Government, S. 54, gibt an, es habe sich eventuell um ein besonders ertragreiches Jahr gehandelt, führt aber nicht aus, warum dies zu einer längeren Aufbewahrung Anlass gegeben haben sollte. 151 Aus dem letzten Regierungsjahr von John (1215/16) und dem ersten seines minderjährigen Sohnes Henry III. (1216/17) gibt es keine Pipe Roll, eventuell fanden in diesen Jahren aufgrund der Rebellion der Barone keine Abrechnungen statt. Die Pipe Roll aus dem 15. Regierungsjahr von John (1212/13) wurde eventuell geschrieben, ging dann aber verloren. Die Pipe Roll für das siebte Regierungsjahr Henrys IV. (1405/06) fehlt zwar, aus diesem Jahr existiert jedoch ihre Kopie, die Chancellor’s Roll. 152 Dort werden sie unter der Referenz E 372 geführt. Die hier untersuchten Pipe Rolls tragen die Referenzen E 372/1 bis E 372/30. Die älteste erhaltene Pipe Roll liegt allerdings im Museum der National Archives, so dass ich sie nicht im Original studieren konnte. Die Pipe Roll Society hat mir aber dankenswerterweise hochwertige Fotografien zur Verfügung gestellt, die für eine Neuedition dieser Rechnung erstellt wurden.

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Form vor.153 Bei der Wiedergabe von Zitaten aus den Pipe Rolls halte ich mich an die Groß- und Kleinschreibung des Originals, aber löse Abkürzungen so weit wie möglich auf.154 Die Pipe Rolls werden in den Fußnoten zitiert, wie es in der englischen Forschung üblich ist, nämlich mit der Angabe des Regierungsjahres des Königs. Beispielsweise wird die älteste erhaltene Rechnung als 31 Henry I bezeichnet, die letzte Pipe Roll des Untersuchungszeitraums als 30 Henry II.155 Darauf folgt die Angabe der Seite in der Edition sowie des Rotulus (R) und der Membran (m) des Originals. Den Erhaltungszustand der Pipe Rolls kann man als exquisit bezeichnen.156 Lediglich an wenigen Stellen nagte der Zahn der Zeit an den Pergamentseiten, insbesondere am rechten und linken Rand an den unteren Enden der Rotuli.157 Deshalb sind bisweilen die Namen der abrechnenden Schuldner am linken oder die Bilanzformeln am rechten Rand nicht vollständig zu erkennen. Die Pipe Rolls bieten natürlich die Grundlage für zahlreiche verwaltungsoder wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen zum England des 12. Jahrhunderts, die oben bereits umrissen wurden. Eine Einführung in das Studium der Rechnungen bietet Hubert Hall,158 der sich jedoch am Dialog über das Schatzamt orientiert, dessen Glaubwürdigkeit bezweifelt werden muss, wie im nächsten Absatz erläutert wird. Zumindest sollte nicht einfach vorausgesetzt werden, dass die Abrechnungen vor der Abfassung dieses Traktats genauso abliefen, wie sie dort beschrieben werden. Eine genaue Beschreibung der ältesten erhaltenen 153 Eine Auflistung der edierten und digitalisierten Versionen findet sich im Literaturverzeichnis. Einen Überblick über die Editionen der »public records«, die ab 1800 von der Record Commission und ab 1838 vom Public Record Office und später den National Archives vorgenommen wurden, liefert Lawes. Scans der Originale der Pipe Rolls ab dem Rechnungsjahr 9 Henry III. (1224/25) finden sich auf der Website der Anglo-American Legal Tradition: http://aalt.law.uh.edu. 154 Ich reproduziere also im Gegensatz zu den frühen Editionen der Pipe Rolls nicht das Schriftbild der Rechnung. Die späteren Editionen ab der Rechnung des Jahres 1175/76 lösen alle Abkürzungen auf und schreiben alles außer Satzanfängen und Eigennamen klein. Ein Vorteil der Einebnung der Großschreibung erschließt sich mir nicht. Manche Auflösungen der Abkürzungen sind zudem recht problematisch, wie die Einleitung zur 26. Pipe Roll Henrys II. auf S. viiif. darlegt. Deshalb gebe ich die Worte so weit wieder, wie es mir eindeutig erscheint. Darauf folgt ein »’«, das nicht das Kürzungszeichen der Rechnungsschreiber repliziert, sondern lediglich markieren soll, dass dieses Wort verkürzt wurde. Die Punkte vor und nach den römischen Ziffern habe ich nicht übertragen. 155 Auch diese Siglen sind in der Übersicht über die verwendeten Rollen im Literaturverzeichnis angegeben. 156 Die Aufbewahrung der Pipe Rolls bis zur Gründung des Public Record Office 1838 wird beschrieben bei Stenton. 157 In der ersten erhaltenen Pipe Roll fehlt die zweite Membran des vierten Rotulus. Da ich aber keine Einnahmesummen addiere und bei der Analyse der Lexeme und Phrasen nur häufig vorkommende Einheiten interpretativ belaste, könnte eine Kenntnis der kompletten Rolle die hier gefundenen Ergebnisse vielleicht modifizieren, nicht aber auf den Kopf stellen. 158 Hall, Introduction.

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Einleitung

Pipe Roll liefert Judith A. Green,159 während Mark Hagger nachweist, dass es bereits eine sechs Jahre ältere Rechnung aus dem 25. Regierungsjahr von Henry I. gegeben haben muss.160 Eine detaillierte, dennoch anschauliche und abwägende Darstellung der Erstellung der Pipe Rolls bietet Richard Cassidy, allerdings bezieht er sich dabei auf die Rechnungen des 13. Jahrhunderts.161 Eine ähnliche Analyse des Ablaufs der Abrechnungen, die aus den anderen Verwaltungsdokumenten und nicht aus dem Dialog über das Schatzamt erstellt wurde, fehlt für das 12. Jahrhundert schmerzlich,162 müsste aber wohl an der schlechteren Quellenlage scheitern. Der Dialog über das Schatzamt, der gegen Ende der 1170er Jahre163 vom Schatzmeister Richard of Ely verfasst wurde,164 wird auch in der vorliegenden Arbeit häufig herangezogen, jedoch nicht ohne die Einschränkungen in Bezug auf seine Glaubwürdigkeit zu berücksichtigen: In seinen historischen Reminiszenzen stimmt der Dialogus mit anderen Quellen nicht überein,165 was das Vertrauen der Forschung in die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen über den Ablauf einer Sitzung des Rechnungshofes seltsamerweise nicht nachhaltig erschüttert hat.166 Insbesondere wird in Kapitel 3.2.1. die These widerlegt, dass der Dialogus ein Lehrwerk gewesen sein könnte. In dieser Arbeit wird deshalb die 159 Green, Pipe Roll. 160 Ein Auszug aus dieser Pipe Roll wurde in ein Manuskript übertragen, das in St Albans Abbey Ende des 14. Jahrhunderts erstellt wurde. Hagger, Pipe Roll. 161 Cassidy, Recorda. 162 Hagger, Theory, vergleicht die Pipe Rolls mit den Beschreibungen im Dialog über das Schatzamt und konstatiert auf dieser Grundlage ihren defizitären Charakter. Dass der Dialogus aber nicht als normative Schrift behandelt werden sollte, begründet Kapitel 3.2.1. 163 Der Dialogus spielt im 23. Regierungsjahr Henrys II. (1176/77), wie der Anfang des Prologs zum Ausdruck bringt: Anno xxiii regni regis Henrici secundi […], ebd., S. 60. In den folgenden Jahren nahm Richard of Ely einige Überarbeitungen vor, siehe Johnson, Introduction, S. xx. Die Meinungen der Editoren darüber, welche der Hinzufügungen von Richard stammen und welche noch spätere Interpolationen darstellen, gehen auseinander, so Amt, Introduction, S. xxxvi. 164 Zur Autorfrage siehe Johnson, Introduction, S. xiiif. 165 So ebd., S. xixf. Als Beleg dafür wird gerne die Behauptung des Dialogus zitiert, William I. habe das Dänengeld, eine Abgabe zur Verhinderung dänischer Invasionen, nicht mehr jährlich eingezogen. Deshalb bezeichnet O’Brien, S. 329, diesen Fehler Richards of Ely bereits als seinen »classical slip«. 166 Johnson, Introduction, S. xixf., erklärt den Dialogus zwar in historischen Darstellungen für unverlässlich, betont jedoch seine Vertrauenswürdigkeit für alle Details der Praxis der Abrechnungen, obwohl letztere nicht überprüft werden kann. Auch Kealey, S. 42, meint, ein paar Fehler in der Darstellung sollten die Annahme einer generellen Verlässlichkeit der Quelle nicht in Zweifel ziehen. Bartlett nutzt den Dialogus als historische Quelle, z. B. für ein friedliches Zusammenleben zwischen Angelsachsen und Normannen (S. 2) ohne jegliche Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Göllmann, S. 11, bezeichnet den Dialogus als Hauptquelle zum Verständnis des Exchequer. Kritisch über die Glaubwürdigkeit des Dialogus in Fragen der englischen Geschichte äußern sich Richardson u. Sayles, S. 243; Hudson, Administration, S. 50 und Karn, S. 301.

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Benennung als Lehrdialog vermieden. Stattdessen wird das Werk von Richard of Ely als Dialogus bezeichnet, da es als Unterhaltung zwischen zwei Personen konzipiert ist. Der lateinische Ausdruck wurde gewählt, da die deutsche Entsprechung »Dialog« meistens mit der literarischen Gattung gleichgesetzt wird, die mit Platon ihren Ursprung nahm und auch im Mittelalter Vertreter wie William of Ockham besaß. Nur weil die Abhandlung über die Vorgänge bei der Abrechnung in Form eines Zwiegesprächs gestaltet ist, sollte sie nicht automatisch zur literarischen Gattung des Dialogs gezählt werden.167 Zwar wird der Dialogus bisweilen als mittelalterliches Beispiel eines Dialogs genannt, doch scheint mir, dass diese Zuweisung hauptsächlich aus dem Titel geschlossen und nicht hinterfragt wird, ob der Dialogus überhaupt die gleichen Funktionen, das theoretische Niveau und andere Charakteristika aufweist, die einem Dialog gemeinhin zugeschrieben werden.168 Wenn ich hier den sozusagen lateinisch verfremdeten Titel Dialogus wähle, folge ich darin dem ersten Editor. Ein zeitgenössischer Titel ist nicht überliefert.169 Der Autor des Dialogus wird in dieser Arbeit Richard of Ely genannt, nicht Richard Fitzneal, weil es sich bei ersterer um die zeitgenössische Benennung handelt.170 Aufbau und Inhalt des Werks werden in Kapitel 3.2.1. ausführlich erläutert. Zitiert wird die Abhandlung in dieser Arbeit als Dialogus mit Angabe des Buches in römischen und des Kapitels in arabischen Ziffern. Ich verwende die sogenannte »Oxford Edition« von 1902,171 deren Text die Grundlage für die späteren zweisprachigen Editionen darstellt.172 Diese Edition liegt ebenfalls in digitaler Form vor.173 Die drei Handschriften, aus denen die Edition den Text des

167 Auf die Unterscheidung zwischen dem Dialog als Gattung und als Redeform verweist Hempfer. Ersterer sei im Mittelalter selten, letzterer häufig geschrieben worden, siehe Hempfer, S. VIII. 168 Bei Berndt im entsprechenden Artikel des Lexikons des Mittelalters scheint mir eine solche Unterscheidung zwischen Redeform und Gattung beispielsweise noch nicht berücksichtigt. 169 Siehe unten, Kapitel 3.2.3. 170 Richardson, Richard fitz Neal, S. 161, Fußnote 2. 171 De Necessariis Observantiis Scaccarii Dialogus, commonly called Dialogus de Scaccario von Hughes u. a. Die erste Edition stammt aus dem Jahr 1711 und wurde von Madox vorgenommen, einer der »heroic figures of seventeenth-century scholarship«, so Stenton, S. 281. 172 Englisch-lateinische Ausgaben sind De Necessariis Observantiis Scaccarii Dialogus qui vulgo dicitur Dialogus de Scaccario von Johnson und Dialogus de Scaccario von Amt. Amts Ausgabe schreibt den lateinischen Text nicht direkt von der Oxford Edition ab, stellt ihn aber aus den gleichen Manuskripten in der gleichen Gewichtung zusammen und unterscheidet sich von der früheren Edition hauptsächlich dadurch, dass sie Überschriften und einige weitere Stellen nicht für Interpolationen hält, siehe Amt, Introduction, S. XXXVI. Eine lateinisch-deutsche Ausgabe bietet Siegrist in Ricardus de Ely. Sie ändert die Interpunktion und sieht manche Interpolationen ebenfalls nicht als solche an, Siegrist, Einleitung, S. XII. 173 http://galenet.galegroup.com/servlet/MOML?dd=0& locID=suf& d1=

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Einleitung

Dialogus hauptsächlich kollationiert,174 wurden alle im Kreis des Exchequer erstellt und auch dort aufbewahrt.175 Zuletzt müssen einige Facetten der Beschreibungssprache geklärt werden. Die englischen Könige und ihre Verwalter werden mit ihren englischen Namen bezeichnet, heißen also Henry I. oder Richard of Ely und nicht Heinrich I. und Richard von Ely. Wie oben schon dargelegt, lässt sich zwar das Substantiv scaccarium schon in den Verfügungen der 1110er Jahre finden, bezeichnet dort aber noch keine Organisation. Da die Bezeichnungen Exchequer, Schatzamt oder Rechnungshof aber die Konnotation einer Behörde aufweisen, verwende ich diese Namen erst für die Erscheinungsform ab den 1170er Jahren, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich die Organisation Exchequer herausgebildet hatte. Für die Zeit zuvor spreche ich von Abrechnungs- oder Abhörungsprozessen beziehungsweise kurz der Abrechnung oder der Abhörung. Damit soll der Vorgang bezeichnet werden, in dem ein Sheriff oder Schuldner des Königs (hier Rechnungsleger genannt)176 vor die Verwalter des Königs trat, die seine Rechenschaftslegung entgegennahmen (hier Abhörer genannt). Die Bezeichnungen Sheriff und County übernehme ich ebenfalls aus der englischen Forschung. Als Sheriffs sollen dabei alle Rechnungsleger bezeichnet werden, denen vom König ein bestimmtes Gut übertragen worden war und die über ihre Einnahmen und Ausgaben bei der Verwaltung Rechenschaft ablegen mussten, also auch die Bailiffs, Stewards, Reeves in Städten und Kustoden von vakanten Bischofssitzen, Abteien oder unbesetzten Lehen.177 Die Schuldner hingegen mussten dem König aus einem konkreten Grund eine bestimmte Summe bezahlen, etwa um ein Gut zu erben oder einen Rechtsstreit zu be-

174 175

176 177

20003169900& srchtp=a& c=1& an=20003169900& d2=1& docNum=F3751815299& h2= 1& af=RN& d6=1& ste=10& dc=tiPG& stp=Author& d4=0.33& d5=d6& ae=F151815299. Im 13. Jahrhundert kursierten wohl zahlreiche Kopien des Dialogus, siehe Amt, Introduction, S. xxix. Dabei handelt es sich um (1) eine Abschrift des Dialogus aus dem Red Book of the Exchequer, einer Kompilation des Exchequer-Beschäftigten Alexander de Swerford, (2) eine Abschrift aus dem Black Book of the Exchequer und (3) eine Abschrift aus einer Zusammenstellung diverser Memoranda, die zum Amt des Controller of the Great Roll gehörten. Siehe Hughes u. a., Introduction, S. 4, wiederholt bei Johnson, Introduction, S. xif., Amt, Introduction, S. xxviif. und Siegrist, Einleitung, S. XXVIII. Wenig Rechnungsleger waren Frauen. Ich verwende den Ausdruck daher als generisches Maskulinum. Auch in der Forschung wird »Sheriff« häufig als übergreifende Bezeichnung verwendet. Ein prominentes Beispiel bildet die Benennung des »Inquest of Sheriffs« für eine Befragung aller Sheriffs, deren Bailiffs und Mitarbeiter und aller Zuständigen für Hundertschaften. All diese Menschen, die hier unter der Bezeichnung »Sheriff« zusammengefasst werden, übten aber nicht nur die Funktion aus, Abgaben und andere Zahlungen einzuziehen und darüber abzurechnen, sondern zeichneten auch für Justiz und Friedenswahrung verantwortlich, siehe Jewell, S. 182.

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schleunigen.178 County leitet sich vom lateinischen comitatus ab und bezeichnet die Einheit, die ein Sheriff verwaltete. Diese abstrakte Einheit konnte im konkreten Fall aus einem Shire, Hundred, Borough, Vill oder Township bestehen.179 Eine Übersetzung dieser Ausdrücke ins Deutsche würde wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Rechts- und Verwaltungsstruktur fehlleitende Assoziationen hervorrufen oder keinen Erkenntnisgewinn erbringen: Ein County kann nicht mit einer Grafschaft gleichgesetzt werden, die Übersetzung von Hundred als Hundertschaft hilft dem Verständnis eines deutschen Lesers, der mit dem Verwaltungsaufbau in England nicht vertraut ist, auch nicht weiter. Der leichte Verfremdungseffekt, der durch die Verwendung dieser englischen Fachtermini entsteht, ist gewollt und meines Erachtens nicht verständnisverstellend. Aus Gründen der Angleichung an die englische Forschung werden die Abrechnungsrollen auch in dieser Arbeit als Pipe Rolls bezeichnet, obwohl es sich dabei nicht um einen zeitgenössischen Namen handelt.180 Die Lexeme Verwaltung und Verwalter werden in dieser Arbeit in einem dezidiert nicht-behördlichen, nicht-staatlichen Sinne verwendet. Unter Verwaltung soll keine Behördenorganisation verstanden werden, aber auch kein elaboriertes »System der Produktion, Verarbeitung und Anwendung von gesellschaftlich relevantem Wissen«.181 Die Bezeichnung als Verwalter des Königs oder königliche Bedienstete meint einfach die Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten und den Hauptteil ihrer Zeit damit verbrachten, Aufgaben für den König zu verrichten.182 Eine zeitgenössische Selbstbezeichnung dieser Gruppe von Menschen ist ebenso wenig überliefert wie eine abstrahierende Bezeichnung für die Tätigkeit, die sie ausübten. Das Substantiv ministerium kommt zwar in der ältesten erhaltenen Pipe Roll (1129/30) häufig vor, 178 Diese Unterscheidung wird unten genauer getroffen, siehe Kapitel 2.2.4. 179 Die Einheiten werden ausführlich erläutert bei Jewell, S. 42 – 82. 180 Im Dialogus werden die Rollen bezeichnet als: rotulus annalis (z. B. Dialogus I, 7, S. 90; I, 9, S. 104; I, 11, S. 104; II, 1, S. 113; II, 2, S. 116), nur annalis (z. B. II, 8, S. 98; II, 8, S. 130; II, 9, S. 131; II, 11, S. 142; II, 27, S. 158, maior annali rotulus (z. B. II, 1, S. 113; II, 2, S. 115; II, 2, S. 120), magni annales compotorum rotuli (I, 16, S. 107) oder nur rotulus, (z. B. I, 5, S. 69), wobei rotulus auch andere Rollen bezeichnen kann, namentlich die Abschrift der Pipe Roll, die Chancellor’s Roll, siehe I, 5. S. 69. 181 Becker, Überlegungen, S. 335. 182 Wesentlich elaborierter, aber im Grundsatz ähnlich formuliert Weber, S. 122: »Aber jede Herrschaft bedarf normalerweise (nicht: absolut immer) eines Stabes von Menschen (Verwaltungsstab), d. h. der (normalerweise) verlässlichen Chance eines eigens auf Durchführung ihrer generellen Anordnungen und konkreten Befehle eingestellten Handelns angebbarer zuverlässig gehorchender Menschen.« Erst auf S. 124 erfolgt die Eingrenzung auf eine explizit als »modern« bezeichnete Verwaltung. In ebenso allgemein gültiger Form setzt er auf S. 545 Verwaltung mit jeglicher Art der Herrschaft in Verbindung: »Jede Herrschaft äußert sich und funktioniert als Verwaltung. Jede Verwaltung bedarf irgendwie der Herrschaft, denn immer müssen zu ihrer Führung irgendwelche Befehlsgewalten in irgend jemandes Hand gelegt sein.«

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Einleitung

bezieht sich aber nicht auf die Verwaltungsarbeit der Abhörer und Sheriffs, sondern auf ihre verschiedenen anderen Tätigkeiten. So zahlt ein Rechnungsleger für das Amt eines Försters (pro ministerio forestarii), oder ein Sohn eines Kochs entrichtet einen Betrag, um das ministerium seines Vaters zu erben.183 In den jüngeren Pipe Rolls sucht man ministerium vergeblich. Im Dialogus kommt ministerium nicht vor. Nur das Lexem minister wird einmal verwendet, allerdings nicht für eine geregelte Tätigkeit, sondern für den unbekannten Mörder eines Normannen, dessentwegen das Mordgeld entrichtet werden muss.184 Deshalb eignet sich ministerium nicht als abstrahierende Bezeichnung für die Abrechnungstätigkeit. Officium unterscheidet sich in der Art, in der es im Dialogus verwendet wird, wenig von dem, was in dieser Arbeit unter Verwaltern verstanden werden soll, tritt allerdings in den Pipe Rolls überhaupt nicht auf. Im Dialogus steht officium für jede Aufgabe, die am Schatzamt verrichtet wird. Zudem formuliert Richard of Ely sogar eine Art Dienst-Ethos: Licet eorum qui ad maius scaccarium resident, officia quibusdam videantur proprietatibus esse distincta vnum tamen officium ominium est et intentio vt regis vtilitati prospiciant, salua tamen equitate, secundum constitutas leges scaccarii.185 (Mögen auch die Ämter der Mitglieder des Oberen Schatzamtes sich voneinander durch bestimmte Eigenheiten unterscheiden – alle kennzeichnet dieselbe Pflicht und dieselbe Absicht: dem Nutzen des Königs zu dienen, ohne gegen die Billigkeit zu verstoßen, gemäß den festen Regeln des Rechnungshofes.)186

Die Abhörer und Abgehörten können in diesem Sinne als Verwalter oder als Offizielle bezeichnet werden. Einen Namen für ihre Gruppe fanden diese Menschen zu ihrer Zeit noch nicht. Deshalb heißt der Kreis all dieser Verwalter oder Offiziellen in dieser Arbeit einfach Verwaltung. Ein Teil dieses Zirkels, so wird im Folgenden gezeigt, nutzte während der Abrechnungen eine spezifische Sprache, die seine Identität stärkte und seine Routinen verfestigte, was dazu führte, dass daraus eine Organisation entstehen konnte.

183 PR 31 Henry I, S. 87, R9 m1d und S. 84, R9 m2r. 184 […] quod mortis eius minister non extabat nec per fugam quis esset patebat […]. Dialogus I, 10, S. 99. 185 Dialogus I, 4, S. 66. 186 So übersetzt Siegrist in der deutsch-lateinischen Ausgabe, siehe Siegrist, Ricardus de Ely.

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2.

Ausgangspunkt: Die Routine des Pipe Roll-Schreibens

In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden Pipe Rolls zwar schon routiniert geschrieben, dieser Prozess fand aber noch nicht im Rahmen einer Organisation statt. Wie in der Einleitung beschrieben, meinte der Ausdruck scaccarium zu dieser Zeit noch eher eine Funktion der königlichen Verwalter als eine selbstständige Organisationseinheit.1 Bevor die Sprache der Rechnungen auf ihre Spezifika untersucht wird, bleibt zunächst dieser Ausgangspunkt der Analyse zu umreißen: Wie genau wurde diese Funktion der Abrechnung in der Praxis ausgeübt? Wie lief die Routine des Pipe Roll-Schreibens ab und wie sahen die Dokumente aus, die dabei entstanden?

2.1. Herstellung einer Pipe Roll Eine Pipe Roll entstand als Abschrift ihrer Vorgängerin. Diese Vorschrift wurde während des Abrechnungsprozesses ergänzt und ausgefüllt. Die Herstellung einer Pipe Roll setzte also ein, sobald die Rechnung des vorhergehenden Jahres abgeschlossen war. Neue Pergamentblätter wurden liniiert. Die Schreiber gingen die alte Rolle unter dem Aspekt durch, welche Posten im folgenden Jahr wieder abgerechnet werden mussten. Neben den jährlich wiederkehrenden Einnahmen mussten auch die noch offenen Schulden im nächsten Jahr wieder abgehört werden. Die Rechnungsleger, die Beträge und die Zahlungsgründe dieser Posten wurden auf die neuen Blätter übertragen. Der erste Buchstabe der Bezeichnung des Rechnungslegers respektive das Et zu Beginn jedes Postens wurden dabei mit etwas Abstand zum Rest der Schrift gesetzt (siehe Abbildungen 1, 2 oder 3). Die alte Rolle bildete zudem die Grundlage für die Vorladungen, die an die Schuldner und Sheriffs des Königs verschickt wurden. Letzteren war ein County oder eine andere vorwiegend räumliche Einheit übertragen worden, das heißt: Sie hatten eine zumeist festgelegte Summe an Geld an den König abzuliefern, die 1 Siehe Kapitel 1.4.

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Ausgangspunkt: Die Routine des Pipe Roll-Schreibens

sogenannte firma (Pacht). Aus dieser Pacht konnten sie aber bestimmte Ausgaben für ihr County bestreiten, zum Beispiel Bauwerke instand halten oder Bedienstete bezahlen. Andere Schuldner des Königs hatten ihm eine bestimmte Summe versprochen, beispielsweise um das Erbe ihres Vaters antreten oder die Tochter eines Kronvasallen heiraten zu dürfen.2 Per Vorladung wurden die Sheriffs und Schuldner zur Abhörung nach Winchester oder später Westminster3 gerufen.4 Den Abhörungsprozess beschreibt der Dialogus, dessen Angaben nur bedingt vertrauenswürdig sind.5 So nennt der Dialogus als Abrechnungstermine Ostern und Michaelis (29. September).6 Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Abhörungen sich wesentlich länger hinzogen und noch bis weit nach Ostern beziehungsweise Michaelis stattfanden.7 Festzuhalten bleibt, dass die Abrechnung in zwei Schritten erfolgte: An Ostern verschafften die Abhörer sich einen ersten Überblick über die Abrechnung (visus compotorum). An diesem Termin wurden jedoch höchst selten schriftliche Aufzeichnungen angefertigt. Bisweilen nahm ein Sheriff auch schon Einzahlungen vor und erhielt dafür ein Kerbholz als Quittung. Auf dem Kerbholz zeigten Einschnitte in verschiedener Stärke an, wie viel der Sheriff bereits eingezahlt hatte. Nach dem Einschneiden der gezahlten Summe wurde das Holz mitten durch die Kerben geteilt, so dass auf jeder Hälfte noch abzulesen war, wie viel der Sheriff bereits bezahlt hatte. Eine Hälfte verblieb an der Einzahlungsstelle, die andere Hälfte erhielt der Sheriff als Beleg.8 2 Entsprechende Beispielsätze und eine umfassendere Darstellung des Lexembestands der Rechnung erfolgt unter dem nächsten Punkt bei der allgemeinen Charakterisierung der Sprache der Pipe Rolls. 3 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Einzahlungen der Schuldner nicht nur in Winchester bzw. Westminster getätigt werden konnten, sondern teilweise auch beim herumreisenden Teil des Hofes eingingen, siehe Bartlett, S. 159. 4 Der Dialogus gibt folgenden Wortlaut für die Vorladungen an: »H. rex Anglorum illi vel illi vicecomiti salutem. Vide sicut te ipsum et omnia tua diligis quod sis ad saccarium ibi vel ibi in crastino sancti Michaelis vel in crastino clausi Pasche, et habeas ibi tecum quicquid debes de veteri firma vel de noua et nominatim hec debita subscripta; de illo x. marcas pro hac causa. […] et hec omnia tecum habeas in denariis et talliis et breuibus et quietantiis vel capientur de firma tua. Teste illo vel illo ibi ad scaccarium.« Dialogus II, 1, S. 113 f. Kapitel 3.2.1. zeigt, dass der Dialogus meistens etwas genauere Angaben in standardisierten Formeln forderte als in der praktischen Arbeit tatsächlich notiert wurden. Die tatsächlichen Vorladungen dürften deshalb wohl etwas weniger umfangreich ausgefallen sein. 5 Erst jüngst hat Cassidy, Recorda, S. 3, angemerkt, dass der Dialogus dazu tendiere, unsere Vorstellungen vom Exchequer zu verdrehen. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Dialogus erfolgt in Kapitel 3.2.1. 6 Dialogus II, 2, S. 115. 7 Siehe Kapitel 2.2.1. 8 Dieses Kerbverfahren wird beschrieben in Dialogus I, 5, S. 47 f. Einen Überblick über die Kerbhölzer als »Kronzeugen pragmatischer Rechenhaftigkeit« gibt Kuchenbuch, Pragmatische Rechenhaftigkeit. Auch Wedell beschäftigt sich in seiner Studie zum numerischen Wissen intensiv mit den Kerbhölzern, siehe Wedell, Zählen, S. 183 – 304. Die Geschichte der

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Herstellung einer Pipe Roll

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Dieses Stück Kerbholz brachte er zur Hauptabrechnung an Michaelis wieder mit. Wollten die Vorgeladenen weitere Teile ihrer Schuld einbezahlen, so musste das vor der Abhörung erfolgen. Der Dialogus nennt die Stelle, an der eingezahlt wurde, das untere Schatzamt (inferius scaccarium) oder Einnehmerei (recepta),9 wohingegen die Abrechnung am oberen Schatzamt (maius scaccarium) situiert wird.10 In den Pipe Rolls selbst wird das eingezahlte Geld als In thesauro, also im Schatz befindlich, bezeichnet. Hier wurde das Geld, das der Sheriff oder Schuldner mitgebracht hatte, auf seine Reinheit getestet.11 Als Quittung für die Einzahlung wurde wieder ein Kerbholz präpariert, dessen eine Hälfte der Vorgeladene erhielt, während die Gegenstücke von den Dienern der Kämmerer (serviens camerariorum) zur Abhörung an das obere Schatzamt gebracht wurden. Nach der Einzahlung begab sich der Sheriff (oder sonstige Schuldner des Königs) zur Abrechnung. Wer genau die Abhörung durchführte, lässt sich schwer rekonstruieren. Laut Dialogus setzte sich das obere Schatzamt aus den Inhabern verschiedener Hofämter zusammen, wie natürlich dem Schatzmeister (thesaurarius), außerdem dem Justiziar (capitalis domini regis iustitia),12 dem Kanzler (cancellarius), dem Konnetabel (constabularius), dem Marschall (marescallus) und den Kämmerern (camerarii),13 die zusammen die barones de scaccario bildeten. Richard of Ely erwähnt allerdings auch, dass zumindest Kanzler und Konnetabel sich bei den Sitzungen meistens vertreten ließen.14 Ebenso schickten wohl auch die Sheriffs häufig einen Vertreter.15 Eine große Asymmetrie zwischen Abhörer und Abgehörtem sollte man sich nicht vorstellen, denn nicht selten übte ein Sheriff auch ein Hofamt aus.16 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Abrechnung keineswegs ein so aufwendiges Ritual

9 10 11 12 13 14 15

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tally sticks in England schildert Robert. Einige seiner Annahmen sind jedoch etwas veraltet. Eine kurze Übersicht liefert Clanchy, Memory, S. 123 f. Dialogus I, 2, S. 61. Dialogus I, 4, S. 66. Der Unterschied zwischen der Zahlung in numero und in blancus wird in Kapitel 4.1.2. beschrieben. Dialogus I, 4, S. 67. Alle weiteren Zitate stammen aus Kapitel I, 5, S. 68 – 70. Aus der Zeit Henrys I. stammt eine Beschreibung des königlichen Haushalts, in der all diese Funktionen und ihre Bezahlung angegeben werden, siehe Constitutio Domus Regis. Dialogus, I, 5, S. 71 f. Das lässt sich daraus schließen, dass die Könige spätestens seit dem 13. Jahrhundert wiederholt anordneten, dass die Sheriffs selbst zu den Abrechnungen zu erscheinen hätten. Ein wiederholter Erlass von Anordnungen des gleichen Inhalts deutet immer darauf hin, dass ihnen nicht allzu große Beachtung geschenkt wurde. Siehe Cassidy, Adventus, S. 620. Carpenter gibt eine Rede Henrys III. vor dem Exchequer aus dem Jahre 1256 wieder, die auf der Memoranda Roll verzeichnet wurde (E368/32, Membran 1 dorso) und in der Henry III. anmahnt, Sheriffs hätten selbst und pünktlich zur Abrechnung zu erscheinen: Carpenter, Matthew Paris, S. 138 f. und S. 149 f. Siehe Kapitel 3.2.2.

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darstellte, wie es die Beschreibung im Dialogus die Forschung immer wieder glauben machte,17 sondern zwischen Vertretern der barones und Vertretern der Sheriffs stattfand, die sich nicht nur kannten, sondern auch noch während der Sitzung die Rollen tauschten. Nicht nur Abhörer und Abgehörte nahmen an der Michaelis-Sitzung teil, sondern auch die Schreiber der Pipe Roll und der Chancellor’s Roll, wobei letzterer die Pipe Roll einfach abschrieb. Wenn ein Sheriff oder Schuldner zur Abrechnung kam, konnte der Posten, den er abrechnen musste, schnell gefunden werden: Wenn zum Beispiel im Jahr 1161/62 Oswardus der Münzmeister aus Devonshire zur Abrechnung kam, mussten die Schreiber zunächst den Rotulus für Devonshire suchen und am linken Rand der Seite an den ausgestellten ersten Buchstaben der Rechnungsleger entlangfahren, bis sie zu einem »O« gelangten.18 In dem Posten fanden sie die Summe, die Oswardus schuldete. Auf einem schachbrettartigen Tuch (scaccarium) wurden Rechensteine so ausgelegt, dass sie die geschuldete Summe abbildeten.19 Nun musste der Sheriff oder Schuldner seine Kerbhölzer als Belege dafür vorzeigen, dass er bereits einen Teil oder die ganze Summe eingezahlt hatte. Die Kerbhölzer wurden mit den Gegenstücken abgeglichen, die an der Einzahlungsstelle aufbewahrt worden waren. Hatte der Abgehörte eine königliche Verfügung vorzuweisen, die ihm die Schuld erließ, musste er sie ebenso dabei haben. Jede Ausgabe, die die Sheriffs für den König getätigt hatten, musste gleichfalls durch eine Verfügung gedeckt sein. Die eingezahlten, erlassenen oder ausgegebenen Summen konnten nun in die Pipe Roll eingetragen werden. Die Schreiber ließen hierfür eine Lücke frei. Wenn nur ein kurzer Betrag nachgetragen werden musste, wurde diese Lücke nicht ganz ausgefüllt, wie man zum Beispiel in der vorletzten Zeile von Abbildung 4 erkennt: Die Weber von Lincoln rechneten über sechs Pfund ab; die Angabe vj libras reichte nicht aus, um den freigelassenen Platz zu füllen. Zugleich wurden für diese Summen Steine auf das Rechenbrett gelegt, und zwar den schon ausgelegten Schuldsteinen gegenüber. Nun konnten die Einzahlung, die Vergebung oder die Ausgaben von der Schuldsumme abgezogen werden, indem für jeden Guthabenstein auch ein Schuldstein vom Brett entfernt wurde.20 Die Schuldsteine, die auf dem Brett liegen blieben, zeigten die Restschuld des Rechnungslegers an. Der Schreiber übertrug entweder den Betrag auf das Perga-

17 Das böte eine Erklärung etwa für die Beschreibungen in Jones, S. 467, oder für die Interpretation in Wedell, Zählen, S. 278 – 287. Warum Richard of Ely solch ein Szenario entwarf, wird in Kapitel 3.2.3. erläutert. 18 PR 8 Henry II, R1r. 19 Dieses Verrechnungssystem beschreibt Hall, Dot System, sehr genau. 20 Die Person, die diese Operationen durchführt, wird im Dialogus lediglich aufgeführt als illi, qui compotos positione ponit calculorum, Dialogus I, 5, S. 69.

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Herstellung einer Pipe Roll

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mentblatt oder schloss den Posten mit einem Et Quietus est (Und er ist quitt), wenn alle Schuldsteine vom Brett verschwunden waren. Ab dem Moment, in dem die Schreiber wussten, ob dem Rechnungsleger überhaupt irgendetwas – eine Einzahlung, eine Verfügung, eine Ausgabe für den König – angerechnet werden konnte, konnten sie auch das Verb hinter den Namen des Rechnungslegers setzen. Wenn ein Rechenprozess stattfand, lautete das Verb reddit Compotum (er legt Rechnung), hatte der Abgehörte nichts eingezahlt, vergeben bekommen oder ausgegeben, setzten sie debet (er schuldet) in die zuvor freigelassene Lücke. Diese Praxis wird an den Stellen in der Pipe Roll besonders deutlich erkennbar, in denen das Verb mit einem helleren oder dunkleren Strich oder in einer anderen Handschrift geschrieben wurde oder nicht mehr ganz in die freigelassene Lücke passte: Beispielsweise wurde im drittletzten Posten, den die Abbildung 7 zeigt, das deb (debent: sie schulden) in schwächerem Strich in eine zu große Lücke geschrieben. Auch weitere Bemerkungen, Erklärungen oder Ausführungen konnten noch nachgetragen werden, etwa wenn ein alter Schuldposten des bereits gestorbenen ehemaligen Schatzmeisters Nigel of Ely mit der Bemerkung endete: Sed mortuus est. Et requiescat in pace.21 Außerdem mussten die neuen Posten eingetragen werden, die sich erst im Laufe des aktuellen Rechnungsjahres ergeben hatten. Im Unterschied zu dem Gerüst der Rechnung, das der Schreiber aus der Rolle des Vorjahres abgeschrieben und zur Abhörung mitgebracht hatte, wurden ihm die Teile, die er während der Abhörung hinzufügen musste, wahrscheinlich diktiert. Hier tritt die bei Dokumenten aus dem Mittelalter stets zu bedenkende Differenz zwischen dictator und scriptor zutage. Michael T. Clanchy hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Tätigkeit, die im heutigen Sprachgebrauch unter »schreiben« verstanden wird, im Mittelalter zumeist von zwei verschiedenen Personen ausgeführt wurde, da derjenige, der ein Schriftstück konzipierte, es selten selbst zu Papier beziehungsweise Pergament brachte.22 Gleiches beschreibt der Dialogus für den Abhörungsprozess: Der Schatzmeister (thesaurarius) diktierte den Wortlaut, der Schreiber des Schatzmeisters (scriptor thesaurarii) notierte ihn. Die Tätigkeit des Diktierens wird im Dialogus mit dem Verb verba ministrare wiedergegeben; der Schatzmeister fungiert als handelndes Subjekt.23 Bei der Darstellung der Aufgaben des Schreibers hingegen wird 21 PR 20 Henry II, S. 63, R5 m2r. 22 Deshalb müsse zwischen einem Diktierer (dictator) und einem Künstler (artist) unterschieden werden, Clanchy, Memory, S. 271 und 279. 23 An insgesamt drei Stellen wird die Tätigkeit des Schatzmeisters solchermaßen beschrieben: Thesaurarius enim pro se et pro eis (die Kämmerer) suscipit compotos et secundum qualitates exactorum verba ministrat in scripturam rotuli […]. Dialogus I, 5, S. 72; Ipse (der Schatzmeister) namque ministrat verba secundum qualitatem negotiorum in scripturam rotuli sui, a quo postmodum illud idem excipitur ab aliis rotulis […]. Dialogus I, 5, S. 78, und Tunc

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lediglich die Vorbereitung der Rolle im Aktiv formuliert, wobei der Schreiber als Subjekt auftritt,24 alle weiteren Tätigkeiten des Schreibers werden in Passivformen ausgedrückt, ihm also nur implizit zugeordnet.25 Gleiches lässt sich an nahezu allen Passagen feststellen, die Formulierungsvorschläge angeben: Stets wird der Vorgang des Schreibens im Passiv formuliert, die Schreiber treten nicht als handelnde Subjekte auf. Die Angaben, welche festen Phrasen in der Pipe Roll zu verwenden seien, werden beispielsweise mit den Verben scribetur, prescribitur, depingitur, exprimitur, annotatur etc. eingeleitet. Sogar bei der Erklärung, der Schatzmeister solle deshalb neben dem Schreiber sitzen, um dessen Werk genau zu überwachen, wird das Verb scribere ins unpersönliche Passiv gesetzt.26 Die aktive Rolle misst der Dialogus eindeutig dem Schatzmeister bei, betont allerdings, dass dieser nicht selber schreibe, sondern die passenden Worte liefere. Wie exakt der thesaurarius die Einträge diktierte und inwieweit der scriptor Änderungen daran vornahm, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Letzterer führte die konkrete Verschriftung aus, die Verantwortlichkeit für das Niedergeschriebene trug aber ersterer.27 Deshalb möchte ich, wenn nicht explizit anders gesagt, beide Positionen verstanden wissen,28 wenn ich das Substantiv »Schreiber« im Zusammenhang mit der Abhörung verwende, die des stiftführenden Schreibers und die des diktierenden Schatzmeisters.29 Wenn die Abrechnungen abgeschlossen waren, wurden die Pergamentblätter, die die Schreiber in den vorhergehenden Tagen oder Wochen ausgefüllt hatten, an den Köpfen zusammengebunden und aufgerollt (siehe Abb. 3): Eine Pipe Roll war entstanden. Sobald die Pipe Roll solchermaßen erstellt war, begann eine neue Runde: Wieder begannen die Schreiber, die noch offenen und die jährlich wiederkehrenden Posten herauszusuchen, um auf dieser Grundlage die neuen Vorladungen zu schreiben und die nächste Pipe Roll zu erstellen. Eventuell extrahierten die Schreiber die wieder abzuhörenden Posten auch aus den einzelnen Blättern, bevor sie sie zu einer Rolle banden und aufrollten. Darauf deutet

24 25 26 27 28 29

seriatim missa sibi regis breuia tradit clerico cancellarii, qui lecta in publicum eadem liberat thesaurario vt ipse, secundum formam in breuibus conceptam, in scripturam rotuli sui opportuna verba ministret. Dialogus II, 6, S. 127. Scriptoris qui proximus est thesaurario officium est preparare rotulos ad scripturam […]. Dialogus I, 5, S. 79. […] prenotantur in summo rotuli comitatus […]. Facto vero modico interuallo […] prescribitur in medio linee […]. Deinde in capite sequentis linee nomen vicecomitis depingitur […]. Dialogus I, 5, S. 79. Cum enim sic disposite essent sedes ab initio vt scriptor thesaurarii ad latus suum resideret ne quid scriberetur quod oculum eius effugeret […]. Dialogus I, 5, S. 70. Post hunc residet thesaurarius in capite secunde sedis in dextera, cui diligentissima cura est per singula que illic geruntur quasi rationem de hiis omnibus si oportuerit reddituro. Dialogus I, 5, S. 69. Deshalb verwende ich den Terminus stets im Plural. Die soziale Herkunft der Schreiber wird in Kapitel 3.2.2. thematisiert.

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hin, dass die Countys nicht immer in der gleichen Reihenfolge aufeinander folgen, die Abfolge der Rotuli also offenbar nicht aus der Vorgängerrolle übernommen wurde.30 Dass die Pipe Roll eine ergänzte Abschrift ihrer Vorgängerin ist, wird schon im Dialogus erwähnt.31 Dessen starker Fokus auf die Abhörung scheint den Großteil der Forschung jedoch verleitet zu haben, diesen Aspekt nicht gebührend zu beachten.32 Deshalb sei hier deutlich herausgestellt, dass die Pipe Rolls keine Protokolle der Abrechnung waren, sondern einen wichtigen Teil der Abrechnung darstellten. Erstens stellte erst das System der sofortigen Abschrift die Beständigkeit der Abrechnungsprozeduren sicher. Zweitens reflektiert die Anordnung der Schrift auf den Pergamentseiten den Abhörungsprozess. Weder konnte die Abrechnung ohne die Pipe Rolls, noch die Pipe Rolls ohne einen konkreten Abhörungsprozess bestehen.33 Erst für das 14. Jahrhundert lässt sich fassen, dass die Pipe Rolls vereinzelt einmal als Archiv genutzt wurden.34 Clanchy zeichnet nach, dass Edward I. zur Untermauerung seines Anspruchs auf den schottischen Thron 1291 nicht die Dokumente konsultierte, die an seinem eigenen Hof erstellt worden waren, sondern Klöster aufforderte, ihre Chroniken zu Rate zu ziehen.35 Erst als er sich im Jahr 1300 gegenüber Papst Benedikt VIII. rechtfertigen musste, ordnete er auch die Durchsuchung der Rollen des Exchequer und der Kanzlei an.36 Nochmals knapp hundert Jahre später wurde ein Ausschnitt aus der ansonsten nicht erhaltenen Pipe Roll von 1124 in ein Manuskript von St Albans Abbey eingefügt.37 Im hier interessierenden Zeitraum lässt sich lediglich eine Notiz vorweisen, die auf eine Nutzung außerhalb der Abhörungen hindeutet. Auf der Pipe Roll für das Jahr 1181/82 wird eine Gebühr dafür berechnet, dass ein Rechtsgeschäft auf der Pipe Roll notiert wird (pro cyrography inrotulando).38 Das Rechtsgeschäft über die Verteilung eines Landes wurde also in die Pipe Roll inseriert, indem für diese Inserierung eine Gebühr verlangt wurde. Das deutet darauf hin, dass der Vermerk über diese gerichtliche Einigung nicht auf der Pipe Roll notiert werden konnte, ohne dass er in einen Posten gefasst wurde, der dem üblichen Schema folgte. Allein diese Art der Verzeichnung bringt zum Ausdruck, dass es sich bei der Inserierung von Rechtsgeschäften um einen Son30 31 32 33 34 35 36 37 38

Siehe Kapitel 2.2.1. Dialogus II, 1, S. 113. Die große Ausnahme ist Cassidy, Recorda, S. 6. Kapitel 4.6. führt genauer aus, dass in der Selbstreproduktion die Hauptfunktionalität der Pipe Rolls liegt. Die Archivfunktion wird genauer diskutiert in Kapitel 4.6. Clanchy, Memory, S. 101. Ebd., S. 153. Hagger, Pipe Roll. PR 28 Henry II, S. 107 f., R8 m2d.

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derfall handelte, den die Schreiber etwas mühsam in den üblichen Ablauf der Rechnungen integrierten. Solch ein Fall kommt im Beobachtungszeitraum entsprechend auch nur dieses eine Mal vor. Die Schreiber selbst griffen aber im Laufe ihrer Arbeit ständig auf ältere Pipe Rolls zurück. Die Rezipienten der Abrechnungen unterschieden sich demnach nicht grundsätzlich von den Schreibern. Wird im weiteren Verlauf der Arbeit von Schreibern und Lesern beziehungsweise Rezipienten gesprochen, so soll damit nicht die Vorstellung voneinander geschiedener Personenkreise geweckt werden. Vielmehr soll die unterschiedliche Subjektposition benannt werden, die die Personen, die mit den Pipe Rolls beschäftigt waren, diesen gegenüber einnahmen. Schon die älteste erhaltene Pipe Roll weist alle Charakteristika auf, die darauf hindeuten, dass sie als Abschrift ihrer Vorgängerin entstand. Wann zum ersten Mal eine Abrechnung erstellt und anschließend abgeschrieben wurde, wie und warum genau der Routineprozess einsetzte, bleibt deshalb im Dunkel der nichtüberlieferten Pipe Rolls von vor 1129/30 verborgen. Der genaue Anfangszeitpunkt besitzt für die These dieser Arbeit keine entscheidende Relevanz. Für die Frage, wie aus sprachgestützten Routinen eine Organisation entstehen konnte, wäre höchstens von Interesse zu klären, ob diese Sprache verschriftlicht sein musste, um ihre Wirkung entfalten zu können. Normannische und angelsächsische Verwaltung in England unterschieden sich wohl hauptsächlich durch den stärkeren Verschriftungsgrad der ersteren.39 Schriftliche Protokolle der Abrechnung dürfte es wahrscheinlich ungefähr seit dem Jahr 1110 gegeben haben.40 Da die letzte längere Unterbrechung der Pipe Roll-Produktion während des Bürgerkriegs von 1139 – 1154 und damit noch relativ kurz nach dem Einsetzen der Verschriftung stattfand, liegt es nahe zu vermuten, dass Sprache nur in schriftlicher Form ihre verfestigende Wirkung entfalten konnte. Im Jahr 1139 hatte die spezielle Pipe Roll-Sprache die Abrechnungen noch nicht zu einer Organisation stabilisiert, die stärker gewesen wäre als der Zusammenbruch der zentralen königlichen Gewalt. Unter Henry II. setzte die Pipe Roll-Produktion sehr schnell wieder ein.

39 Siehe Kapitel 1.1. 40 Siehe Kapitel 1.4.

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Aufbau und Layout einer Pipe Roll

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2.2. Aufbau und Layout einer Pipe Roll Nach dem Herstellungsprozess soll nun das Produkt beschrieben werden, das solchermaßen entstand. Gerade bei mittelalterlichen Schriftstücken, die handschriftlich und meist mit großer Sorgfalt hergestellt wurden, muss eine semantische Analyse neben den reinen Wortbedeutungen auch die Materialität und das Aussehen des zu analysierenden Dokuments umfassen:41 Auf was für einer Art von Blättern wurden die Pipe Rolls geschrieben, wie fassten sie sich an? Wie groß waren sie? Wie sah die Seite aus, die der Schreiber vor Augen hatte? Wie gestaltete er die Seite? Welche Art von Sätzen und Lexemen benutzte er, um die Seite zu füllen? Diese Kategorien kann man unter die Schlagwörter Makrostruktur, Kohärenz, Syntax und Lexik fassen,42 die die folgende Analyse gliedern.43

2.2.1. Makrostruktur: Wie sieht eine Pipe Roll aus? Unter der Makrostruktur kann man ihre spezifische Materialität verstehen. Jede Pipe Roll besteht aus mehreren Rotuli, die jeweils aus zwei aneinandergenähten Membranen zusammengesetzt und zumeist beidseitig in einer »informellen Minuskel«44 beschrieben wurden. Die Membranen waren circa 38 Zentimeter breit und aus ungeglätteter Schafhaut gefertigt, da darauf nicht ohne Spuren radiert werden konnte.45 Alle dieser zweimembranigen Rotuli wurden an den Köpfen zusammengenäht und anschließend aufgerollt (siehe Abb. 3).46 Im Un41 Vergleiche die Forschungen von Kuchenbuch u. Kleine sowie Rück, Urkunde, und Rück, Beiträge. 42 Hoffmann, S. 237 f. 43 Der Aufbau und das Layout der Pipe Rolls änderten sich zwar im Lauf der Zeit in einigen Punkten, dennoch prägen einige Charakteristika alle Rechnungen des Betrachtungszeitraums. Die Mehrzahl der Beispiele stammt aus der ersten und letzten Rolle des Untersuchungszeitraums, also aus den Pipe Rolls aus dem 31. Regierungsjahr von Henry I. und dem 30. Regierungsjahr von Henry II., da diese am ausführlichsten untersucht wurden. Alle angeführten Charakteristika gelten jedoch auch für die dazwischenliegenden Rechnungen. Eine diachrone Differenzierung wird in Kapitel 4.1. vorgenommen. 44 So nennt Bishop, S. 7, diese Schriftart. Einige Elemente der Pipe-Roll-Schrift werden gemeinhin der gotischen Schrift zugeordnet, so z. B. die Verwendung der tironischen Note 7 für et anstelle des karolingischen & , so Frenz, S. 61. 45 Poole, S. 151. 46 Die Verzeichnung in Rollen stellte auch im 12. Jahrhundert schon eine antiquierte Besonderheit der englischen Verwaltung dar, siehe Clanchy, Memory, S. 135 – 141. Clanchy macht hauptsächlich kurzfristige Vorteile dafür verantwortlich, dass die Protokolle der Abhörungen auf Rollen geschrieben wurden: So konnten die unterschiedlichen Membranen verschiedene Längen aufweisen und mehrere Schreiber gleichzeitig an den Aufzeichnungen sitzen.

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terschied zu einer Rolle bestand eine Pipe Roll also nicht aus einer langen Pergamentrolle, die dadurch entstand, dass Kopf und Fuß jeder Membran aneinandergefügt wurden. Von einem Kodex unterscheidet sich die Pipe Roll dadurch, dass die einzelnen Blätter nicht an der Längs-, sondern an der Querseite zusammengebunden wurden und die Seiten nicht durch einen Einband, sondern durch Aufrollen geschützt wurden. Die Pipe Rolls des Untersuchungszeitraums bestehen im Durchschnitt aus etwas mehr als zehn Rotuli. Die Grobstruktur der Pergamentblätter, die zusammen die Pipe Roll bilden, richtete sich nach den räumlichen Einheiten, die den Sheriffs als Pacht übertragen worden waren: Oben auf jedem Rotulus wurden die Countys notiert, über die auf dem Blatt abgerechnet wurde. Oft notierten die Rechnungsschreiber schon auf der recto-Seite auch die Countys, deren Abrechnung auf der Rückseite des Pergaments verzeichnet war. Abbildung 1 zeigt, dass auf dem dritten Rotulus der Pipe Roll aus dem Jahr 1129/30 oben angegeben wurde, dass nun die Abrechnung für Yorkshire und Northumberland folgte. Die Abrechnung über Yorkshire wurde auf der recto-Seite begonnen, die Abhörung für Northumberland erst auf der dorso-Seite notiert.47 Die Abrechnung über eine bestimmte räumliche Einheit konnte sich höchstens über die recto- und dorso-Seite erstrecken, nahm aber nie mehrere Rotuli ein. Es lässt sich nicht erkennen, dass die Rotuli in einer bestimmten Reihenfolge zusammengeheftet wurden. Die Pipe Roll aus dem 15. Regierungsjahr von Henry II. (1168/69) beispielsweise beginnt mit einem Rotulus, auf dessen rectoSeite über die Zahlungen aus Somerset und Dorset im Südwesten des Landes Rechnung gelegt wird. Auf der dorso-Seite ist Lincolnshire verzeichnet, das viel nordöstlicher liegt. Auf dem zweiten Rotulus findet sich Wiltshire, wieder Richtung Südwesten, auf der recto-Seite, während auf dorso über Leicestershire und Warwickshire abgerechnet wird, das um einiges nördlicher liegt. Die zwischen Wiltshire und Leicestershire/Warwickshire liegenden Countys Oxfordshire und Gloucestershire finden sich auf dem sechsten beziehungsweise achten Rotulus. Graphik 1 zeigt, dass die Rotuli nicht geographisch angeordnet wurden. Genauso wenig zeichnete derselbe Sheriff für die Countys verantwortlich, die auf einem Rotulus genannt wird. Über Somerset und Dorset auf Rotulus 1 recto rechneten Robertus Pukerel et Willelmus de Capesuals ab, wohingegen der Sheriff für Lincolnshire auf Rotulus 1 dorso Philippus de Kime genannt wurde. Die Abfolge der Countys wechselte zudem von Pipe Roll zu Pipe Roll. So wandert zum Beispiel die Abrechnung über Devonshire vom sechsten Rotulus recto in der Pipe Roll von 1158/59 auf den siebten Rotulus recto in 1159/60, den fünften Rotulus recto in 1160/61, den ersten Rotulus recto in 1161/62; bleibt im Jahr darauf auf dem ersten Rotulus, steht nun aber mit Gloucestershire statt mit 47 PR 31 Henry I, R3.

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Karte 1: Abfolge der Counties auf den Rotuli der Pipe Roll 15 Henry II (Erstellt auf Grundlage der Karte »English geographical counties 1965 [named]«, wikimedia commons.)

Leicestershire zusammen; im Jahr darauf findet sie sich auf dem 22. Rotulus dorso, im Jahr 1164/65 auf dem neunten Rotulus recto, danach auf dem elften Rotulus recto und so weiter. Schwer überprüfen lässt sich, ob die Rotuli eventuell nach der Reihenfolge zusammengebunden wurden, in der die Sheriffs zur Abrechnung kamen, denn Aufzeichnungen über die Abrechnungsfolge fehlen. Erst für das 13. Jahrhundert kann wenigstens festgestellt werden, dass sich die Abrechnungen und Einzah-

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lungen über mehrere Wochen hinzogen, denn für das 13. Jahrhundert haben sich die sogenannten Receipt Rolls erhalten, die die Einzahlungen in den Schatz verzeichnen. Der Großteil der Einzahlungen erfolgte demnach in den Wochen direkt nach Ostern beziehungsweise Michaelis, also zu den im Dialogus angegebenen Zahlungsterminen, aber auch noch bis in den Juli respektive Januar konnten Gelder der Sheriffs in den Schatz gelangen.48 Es liegt kein offensichtlicher Grund vor, warum die Abrechnungsprozesse im 12. Jahrhundert wesentlich schneller abgelaufen sein sollten. Die Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts sind nicht um so viel kürzer als dass die Vorstellung realistisch wäre, sie seien innerhalb eines einzigen Tages erstellt worden. Die Könige des 13. Jahrhunderts insistieren immer wieder darauf, dass die Sheriffs nicht nur selbst, sondern an Ostern respektive Michaelis zur Abrechnung erscheinen sollten.49 Die stetige Wiederholung solcher Anordnungen deutet darauf hin, dass die Sheriffs eben nicht zum angegebenen Tag vor dem Exchequer erschienen. Wenn die Abhörer eine Reihenfolge festgelegt haben sollten, in der die Sheriffs abzurechnen hätten, stehen die Chancen demnach gering, dass diese auch eingehalten wurde. Die Rotuli könnten damit höchstens in der Abfolge aneinandergeheftet worden sein, in der die Sheriffs tatsächlich zur Abrechnung erschienen; aber diese Reihenfolge lässt sich für das 12. Jahrhundert nicht mehr rekonstruieren. Damit bleibt festzuhalten, dass sich kein Ordnungsschema für die Aufeinanderfolge der Rotuli erkennen lässt.

2.2.2. Kohärenz: Wie wurde eine Seite gestaltet? Das Schriftbild auf einem Rotulus lässt keine Vorstellung von der ordinatio einer Seite erkennen. Das mag zunächst verwundern. Ein erster Blick auf die Pipe Rolls mit ihrem besonderen Anordnungsschema (siehe Abb. 3) legt die Vermutung nahe, dass sich auch hier das neue Verständnis vom Schriftbild manifestiert, dessen Aufkommen etwa Ivan Illich, Malcolm Beckwith Parkes oder Richard H. Rouse und Mary A. Rouse für das 12. und 13. Jahrhundert ausmachen.50 Bei näherem Hinsehen reflektieren die Pipe Rolls aber nicht den mentalen Prozess, den diese Autoren beschreiben: Zwei neue Vorstellungen über Texte hätten sich im 12./13. Jahrhundert durchzusetzen begonnen. Zum einen sei der Text als 48 Cassidy, Adventus, S. 618 f. 49 Ebd., S. 620. Carpenter zitiert eine Anordnung Henrys III. aus dem Jahr 1256, die mit den Worten beginnt: Provisum est per dominum regem, quod singuli vicecomites Angliae veniant ad scaccarium in crastino sancti Michaelis et in crastino clause Paschae (in propria persona sua), […]. Carpenter, Matthew Paris, S. 149 f. 50 Parkes; Rouse u. Rouse; Illich.

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Einheit, als Ganzes wahrgenommen worden,51 was sich in einem durchstrukturierten Seitenbild, einer ordinatio der Schrift, niedergeschlagen habe.52 Zum anderen sei der Text als Einheit begriffen worden, die auch eigenständig, unabhängig von den Manuskriptseiten existiere. Text und Welt seien erstmals getrennt gedacht worden.53 Die Schreiber der Pipe Rolls hatten keinen dieser beiden Aspekte verinnerlicht. Das Schriftbild einer Seite wurde nicht als zu ordnendes Ganzes betrachtet, denn die Wahrnehmung der Seite als Ganzer hätte sich in irgendeiner Form der vertikalen Ordnung niederschlagen müssen. Fehlende vertikale Hierarchie zeigt sich beispielsweise in der Verwendung des rückbezüglichen Pronomens idem (derselbe) vor einem rechnungslegenden Sheriff. Idem vicecomes steht als Subjekt auch in Sätzen, die gar nicht auf einen Satz folgen, in denen ein Sheriff vorkommt. Auf dem siebten Rotulus der Pipe Roll aus dem Jahre 1173/74 zum Beispiel wurde ein Posten notiert, in dem ein Rogerus de Nonant abrechnete, darauf folgte die Zahlung einer städtischen Gemeinde (cives). Der darauf folgende Posten nun begann mit dem Rechnungsleger idem vicecomes, bezog sich also eindeutig nicht auf den vorhergehenden Posten, wahrscheinlich nicht einmal auf den vorvorigen Eintrag.54 Die Posten standen zwar nacheinander auf dem Pergament, ihre Abfolge wurde aber offenbar nicht als vertikale Ordnung wahrgenommen, in der ein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen einem Posten und seinem direkten Vorgänger oder Nachfolger bestanden hätte. Wie in Kapitel 4.1.2. genauer ausgeführt wird, wird dieses Ergebnis von der Untersuchung der Überschriften bestätigt:55 Die Zwischen-Überschriften in den Pipe Rolls fassen nicht alle folgenden Einträge bis zum nächsten Absatz zusammen, sondern stehen eher als eine Art von Wegweiser auf der Seite. Auch hier dachten die Schreiber also keine vertikale Ordnung, nach der auf eine Überschrift alle Posten zu folgen hätten, die sich darunter zusammenfassen ließen, sondern setzten eher Hinweise auf das Pergament, dass sich in der Nähe der Überschrift einige dazugehörige Posten finden ließen. Als letztes Argument gegen die Vorstellung einer vertikalen Gliederung der Seite kann das nahezu vollständige Fehlen jeder Verbindung der Posten untereinander angeführt werden. Nur das schon genannte idem (derselbe) oder et 51 So beschreibt z. B. Guerreau, S. 162, wie textus (neben der stets bestehenden Bedeutung von Evangelium) die Konnotation von Kohärenz, von etwas Grundlegendem und Unantastbarem angenommen habe. 52 Parkes, S. 121, Illich, S. 110. Raible, Semiotik, S. 9 – 11, untersucht die Gestaltung von Schriften von der Antike bis ins 17. Jahrhundert und geht dabei ebenfalls auf die Zunahme an ordinatio in den Dokumenten des 13. Jahrhunderts ein. 53 Illich, S. 123 und S. 126. 54 PR 20 Henry II, S. 91 f., R7 m1d. 55 Siehe Kapitel 4.1.2.

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idem beziehen sich auf einen vorhergehenden Posten, wurden aber auch nicht systematisch genutzt. Wenn zum Beispiel in der Pipe Roll aus dem Jahr 1155/56 die Tuchmacher von Winchester abrechnen und vier Posten später wieder auftauchen, werden sie nicht als Idem Fullones bezeichnet, sondern wieder als Tuchmacher von Winchester.56 Insbesondere am Anfang des Beobachtungszeitraums fungierte idem zudem eher als Verstärkung für das et denn als echter Rückbezug. Nur in Verbindung mit vicecomes konnte idem überhaupt ohne et auftreten. Zudem stand es fast immer zusammen mit einem Namen oder einer anderen näheren Bezeichnung des Rechnungslegers. Et idem Hugo reddit Compotum de ließe sich demnach übersetzen als »und Hugo rechnet auch noch ab über«. Der Unterschied wird im Vergleich zum Ende des Beobachtungszeitraums deutlich, wenn idem selten in neuer Form verwendet wird: Es steht nicht mehr mit et und nur noch selten mit einer weiteren Beschreibung des Rechnungslegers zusammen. Dieses bloße idem tritt auf, wenn ein enger Bezug zwischen zwei Posten gegeben ist, zum Beispiel wenn jemand verschiedene Pachtzahlungen entrichten musste.57 Idem fungiert nun als echter Rückbezug und umfasst als solcher schon den Namen oder die sonstige Beschreibung des Rechnungslegers. Ein Name wurde hinzugefügt, wenn die Bezüge sonst verwirrend ausgesehen hätten: Wenn etwa zunächst ein Thomas Basset abrechnete, dann ein Posten mit einem Henricus als Rechnungsleger folgte, danach ein Posten mit idem eingeleitet wurde, wurde der nächste Posten mit Idem Thomas begonnen, da sich der Posten bei einem idem ohne Zusatz auf Henricus, nicht auf Thomas bezogen hätte.58 Am Ende des Beobachtungszeitraums blitzt also an sehr wenigen Punkten die Idee auf, dass auch die vertikale Abfolge der Posten eine Ordnung bilden könnte. Auch in der jüngsten untersuchten Pipe Roll allerdings wurde idem noch am häufigsten zu vicecomes gesetzt, wobei weiterhin zwischen dem Sheriff, auf den sich das idem bezog, und dem idem vicecomes einige andere Posten liegen konnten. Die Pipe Roll-Schreiber begriffen die Vertikale der Seite also insgesamt nicht als Ordnungsachse. Die einzelnen Posten wurden über die Horizontale gegliedert, wie unten genauer ausgeführt wird,59 diese Ordnung bildete aber keine Textbausteine ab, sondern Abrechnungsschritte. Das heißt: Der Abstand etwa zwischen In thesauro (Im Schatz) und der Bilanz wurde nicht deshalb gelassen, weil die Schreiber an dieser Stelle einen sinnvollen Abschnitt im Text sahen, sondern weil zwischen der Verbuchung der Einzahlung und der Bilanzierung ein 56 PR 2 Henry II, S. 52, R11 m1r. 57 Stephanus de Glanuill’ debet xxxix l. et iij s. et iiij d. de veteri firma comitatuum et propresturarum de tempore werre pro patre suo. Idem debet vj s. et ij d. de veteri firma de Oreford. PR 30 Henry II, S. 4, R1 m1r. 58 Siehe PR 20 Henry II, S. 88, R7 m2r. 59 Siehe Kapitel 2.2.3.

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Aufbau und Layout einer Pipe Roll

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Schritt in der Abrechnung erfolgte: Gleichwertige Einzahlungs- und Schuldsteine wurden abgeräumt, so dass die Bilanz übrig blieb.60 Dass die Seite nicht im Sinne einer ordinatio gestaltet wurde, zeigt sich auch daran, dass die Schreiber keines der Ordnungsmittel verwendeten, die Illich, Parkes oder Rouse als leserfreundliche Hilfsmittel beschreiben:61 Weder Kapiteleinteilungen noch Abschnittsnummerierungen oder Inhaltsverzeichnisse wurden auf den Pipe Rolls eingesetzt. Wenn Richard of Ely im Dialogus davon schreibt, dass ordo scribendi auf den Pipe Rolls beachtet werden müsse,62 so ist darunter lediglich die Abfolge der einzelnen Worte innerhalb eines Postens zu verstehen, nicht die besondere Anordnung der Schrift auf der Seite. Auch der zweite Teil der Layout-Revolution des 12./13. Jahrhunderts fand auf den Pipe Rolls nicht statt: Der Text wurde nicht als Einheit wahrgenommen, die sich von der Welt unterschieden hätte. Das zeigen Verweise innerhalb einer Rolle deutlich: Wenn die Schreiber auf eine andere Stelle in der gleichen Pipe Roll verweisen wollten, so gaben sie nicht den Rotulus oder die Membran an, sondern das County. So wurde beispielsweise in der ältesten erhaltenen Pipe Roll von 1129/30 die Schuld von Robertus de Ruperia innerhalb der Abrechnung für Yorkshire und Northumberland notiert: Robertus de Ruperia debet xl solidos pro recto de terra sua.63 Dazu wurde der Vermerk gesetzt: Sed positus est in Notingehamscira. (wörtlich: Aber er wurde zu Nottinghamshire gestellt.) Tatsächlich steht als letzter Posten der Abrechnung für Nottinghamshire der gleichlautende Eintrag: Robertus de Ruperia debet xl solidos pro recto de terra sua.64 Fünfzig Jahre später lautete die Formulierung etwas anders, doch weiterhin wurde in Countys, nicht in Rotuli gedacht: Adam de Havilla legte Rechnung de dimidia marca pro placito de laico feodo in capitulo (über einen Rechtsstreit oder eine Zahlung für ein weltliches Kronlehen).65 Hier wurde vermerkt, dass die entsprechende Abrechnung unter Rutland erfolgte: Sed debet requiri in Roteland’. Die Abrechnung für Rutland steht etwas weiter unten auf derselben Membran. Hier findet sich der entsprechende Eintrag: Adam de Hauuill’ redd. comp. de dim. m. pro placito de laico feodo in capitulo. In thesauro liberavit. Et Quietus est. Die Schreiber verwiesen also selbst dann, wenn die beiden betroffenen Posten 60 Siehe Kapitel 2.1. 61 Parkes, S. 116; Rouse u. Rouse, S. 206 f.; Illich, S. 110. 62 […] vt nec iota vnum desit nec alius sit ordo scribendi, Dialogus I, 5, S. 69. Ordo allein besitzt im Dialogus ohnedies keine Verbindung mit der Anordnung von Schrift, sondern kann in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Ordnungen meinen, beispielsweise die Reihenfolge, in der die beweglichen Güter eines Schuldners verkauft werden sollten, siehe Dialogus II, 14, S. 148: Caueat autem vicecomes et vt venditores suos premonuerit in vendendis hunc ordinem observare […]. 63 PR 31 Henry I, S. 33, R3 m1d. 64 PR 31 Henry I, S. 12 R1 m2d. 65 PR 30 Henry II, S. 106 f., R8 m2r.

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wie hier auf derselben Seite standen, nicht auf die entsprechende Stelle weiter unten, sondern auf die räumliche Einheit, der der Posten zugeordnet worden war : Sie dachten in Orten, nicht in Seiten; Welt und Text stellten sie sich gerade nicht als unterschiedliche Dinge vor. Sie bezeichneten mit rotulus auch nicht wie die heutige Forschungsliteratur eine Seite der Rechnung, sondern die komplette Rolle eines vergangenen Jahres.66 Die Materialität und nicht der Inhalt des Geschriebenen stand im Fokus. Wie eben schon erwähnt, reflektierte auch die horizontale Gliederung kein Layoutkonzept, sondern den konkreten Abrechnungsprozess. Die Gliederung des Schriftbildes unterschied sich damit gerade nicht von der Ordnung der Welt. Wenn in dieser Arbeit der Ausdruck »Anordnung« verwendet wird, so sollte darunter also keinesfalls eine ordinatio im Sinne von Parkes verstanden werden, also eine bewusst zu Ordnungszwecken hergestellte Gliederung des Textes.67 Unter »Anordnung« sollte man sich keinen überlegt durchgeführten Ordnungsakt vorstellen, sondern die Antwort auf die rein deskriptive Frage: Wo steht die Schrift auf der Seite? Die Differenz zwischen ordinatio und Anordnung der Pipe Rolls liegt darin begründet, dass beide anderen Zwecken dienen. Die ordinatio soll laut Parkes ein Argument leichter nachvollziehbar machen und dem Leser helfen, sich im Text zurechtzufinden.68 Die Pipe Rolls hingegen sollen die Schulden der Rechnungsleger festhalten und das Fortbestehen des Abrechnungsprozesses sichern.69 Beim Leser einer Pipe Roll handelte es sich meistens um ihren Abschreiber,70 deshalb stand nicht das Auffinden einer beliebigen Stelle, sondern die gute Abschreibbarkeit im Vordergrund.71 Insgesamt lässt sich demnach kein Zusammenhang feststellen zwischen der Anordnung der Schrift auf den Pergamentseiten der Rechnungen und dem Aufkommen einer neuen Form von Gelehrsamkeit, die sich in der ordinatio einer Seite niederschlug und die manche Forscher als scholastisch bezeichnen würden.72 Die Schrift auf der Pipe Roll sieht zwar geordnet aus, dabei handelt es sich aber nicht um die neue Ordnung der Gelehrten, die auf irgendeine Weise 66 Z. B. wird in PR 30 Henry II, S. 26, R2 m2d auf eine Pacht verwiesen, die in der PR 3 Henry II aufgeführt wird: Idem vicecomes reddit Compotum de xx s. et viij d. de firma propresturarum que annotantur in rotulo tertii anni. In thesauro liberavit. Et Quietus est. 67 Parkes, S. 121 f. 68 Parkes, S. 117 und S. 121 f, ähnlich bei Rouse u. Rouse, S. 207. 69 Siehe dazu Kapitel 4.6. 70 Siehe Kapitel 2.1. 71 Wie oben beschrieben, mussten die Abhörer manchmal auch einen konkreten Posten finden, wenn ein Abrechner an die Reihe kam, für den bereits ein Posten angelegt worden war, weil er eine Schuld aus einem vergangenen Jahr beglich. 72 Beispielsweise Parkes, S. 117. Schönberger zweifelt allerdings an, dass es eine besondere Verbindung zwischen der Ordnung von Texten und der Scholastik gab, so Schönberger, S. 50 u. S. 62.

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ihren Weg in die Rechnungen gefunden hätte.73 Nach allem, was wir bisher über die Verwendung des Lexems textus im Mittelalter wissen, darf die Schrift auf den Pipe Rolls deshalb nicht als Text bezeichnet werden: Weder wurde sie bewusst auf ein bestimmtes Seitenbild hin geordnet noch besaß sie eine normative Autorität.74 Deshalb wird in dieser Arbeit von Schrift, nicht von Text gesprochen. Die Abfolge der Posten folgte keinem Plan der Rechnungsschreiber für einen bestimmten Seitenaufbau, sondern einfach der Produktionslogik der Pipe Roll. Der größte und wichtigste Teil der Abrechnung für ein County stand jeweils zu Beginn: Der Sheriff legte Rechnung über die Pacht.75 Danach folgten die übrigen Schulden, die zu diesem County gehörten, in der Reihenfolge, in der sie in die Rechnung gelangt waren. Zuerst wurden nämlich all die Schulden aus der alten Pipe Roll abgeschrieben, die nicht vollständig beglichen worden waren. Darunter wurden die neuen Schulden gesetzt, die erst im laufenden Rechnungsjahr entstanden waren. Als Beispiel können die Posten nachverfolgt werden, die in den Jahren 1160 – 1164 für Devonshire notiert wurden. Der erste Posten unter der Überschrift verzeichnet in jedem Jahr die Abrechnung von Sheriff Hugo de Ralega über die Pacht. In der Rechnung aus dem Jahr 1160/61 folgen daraufhin unter der Überschrift Nova Placita et Nove Conventiones (Neue Entscheidungen und Vereinbarungen) die in diesem Jahr neu zu verbuchenden Schulden.76 Fünf der dort angeführten Rechnungsleger bleiben einen Teil der Summe schuldig: Münzmeister Osward, Münzmeister Aluric, der Sheriff, Alexander de Colebroc und Wilhelmus de Boterelli. In der Pipe Roll des folgenden Jahres wurden diese noch offenen Schulden in der gleichen Reihenfolge aufgeführt, in der sie auch in der Pipe Roll aus dem Vorjahr standen:77 Die beiden Münzmeister und der Sheriff haben weiterhin Schulden, Alexander de Colebroc zahlt seine Schulden ab, Wilhelmus de Boterelli bringt kein Geld in den Schatz. Die neuen Schuldposten, wieder unter der Überschrift Nova Placita et Nove Conventiones, wurden hinter die alten gesetzt. Einer davon wurde nicht beglichen: Ein Teil des Schildgeldes wurde noch nicht bezahlt. In der nächsten Pipe Roll stehen die Posten wieder in der bekannten Reihenfolge.78 Da Alexander de Colebroc seine Schuld beglichen hat, rückt Wilhelmus de Boterelli einen Posten nach oben. In diesem Jahr zahlten auch die beiden Münzmeister und der Sheriff ihre ausste73 Kapitel 3.2.2. zeigt, dass es auch keine Indizien dafür gibt, dass die Schreiber der Pipe Rolls eine höhere Schule besucht hätten. 74 Zu diesen beiden Kriterien als wichtigen Konnotationen von textus siehe Kuchenbuch u. Kleine, S. 440, 444, 449 und 452 f. oder Guerreau, S. 162. 75 Auf Abbildung 4 sieht man, dass die Gemeinde von Lincoln zunächst über die Pacht abrechnete, bevor sie andere Abgaben wie auxilium und donum beglich. 76 PR 7 Henry II, S. 27, R5 m1r. 77 PR 8 Henry II, S. 4, R1 m2r. 78 PR 9 Henry II, S. 11, R1 m2d.

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henden Schulden ein. Deshalb folgt in der Rechnung aus dem nächsten Jahr 1163/64 der Posten von Wilhelmus de Boterelli gleich auf die Pachtverbuchung.79 Das Prinzip, nach dem sich die Anordnung der Posten ergab, lässt sich mit Cassidy zusammenfassen: »By and large, a debt stays grouped with other debts which entered the rolls in the same year.«80 Wurde ein Posten aus einer anderen als der vorigen Pipe Roll übernommen – was selten genug vorkam –, so wurde extra darauf hingewiesen. Beispielsweise verweist ein Posten aus der Pipe Roll des Jahres 1183/84 auf die sechs Jahre ältere Rechnung: Der Sheriff von Northumberland, Rogerus de Stutevilla, legte Rechnung über die Pachtzahlungen von Land, das widerrechtlich annektiert und deshalb vom König eingezogen worden war. Diese Pacht, so notierten die Rechnungsleger, sei bereits in der Rolle aus dem 24. Regierungsjahr notiert worden (firma propresturarum que annotantur in Rotulo xxiiij anni).81 In der Pipe Roll aus dem Jahre 1177/78 findet sich entsprechend in der Abrechnung für Northumberland eine Aufstellung verschiedener Zahlungen de propresturis, die sich zu dem Betrag addieren, den der Sheriff sechs Jahre später einzahlte.82 Die Abfolge der Posten wurde also durch die Logik des Abschreibens bestimmt: Zunächst wurden die noch offenen Schulden aus der alten Rolle abgeschrieben, dann die neuen des aktuellen Jahres hinzugesetzt. Hätten die Rechnungsschreiber die Posten in eine soziale Ordnung, etwa nach der gesellschaftlichen Hierarchie der Rechnungsleger, bringen wollen, hätten sie neue Schulden von gesellschaftlich höher stehenden Menschen weiter oben einsortieren müssen und dazu entweder Platz freilassen oder die ganze Seite noch einmal abschreiben müssen. Diese Ordnungsarbeit war den Schreibern offenbar nicht der Mühe wert; es ist auch nicht ersichtlich, was eine sozial geordnete Rolle für Vorteile erbracht hätte. Die Abfolge der Posten reflektiert also keine soziale Logik, sondern den Entstehungsprozess einer Pipe Roll, die als Abschrift ihrer Vorgängerin entstand.83

2.2.3. Syntax: Wie bauten die Schreiber die Rechnungsposten auf ? In dieser Studie werden nicht die Sätze, sondern die Posten als die einzelnen Einheiten der Beschriftung eines Rotulus angesehen. Der Ausdruck »Posten« 79 PR 10 Henry II, S. 18, R2 m1d. 80 Cassidy, Recorda, S. 11. Er macht diese Beobachtung in Bezug auf die Pipe Rolls und die Memoranda Rolls für das 13. Jahrhundert und benutzt daher den Plural »rolls«. 81 PR 30 Henry II, S. 51, R4 m1d. 82 PR 24 Henry II, S. 60, R4 m2d. 83 Kapitel 4.6. beschäftigt sich ausführlich damit, dass die Funktionalität der Pipe Rolls in ihrer Reproduzierbarkeit lag.

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stammt aus der Kaufmannssprache und ist als solcher natürlich anachronistisch. Er wird verwendet, da eine zeitgenössische Benennung nicht überliefert ist und unter einem Posten in der Kaufmannssprache genau das verstanden wird, was wir in den Pipe Rolls finden, nämlich eine einzelne Position in einer Aufstellung, ein einzelner Betrag in einer Rechnung. Eine solche Rechnungsposition der Pipe Rolls kann sich aus mehreren kleinen Sätzen zusammensetzen, wenn es sich um den ersten Typ eines Postens handelt. Es gibt nämlich lediglich zwei verschiedene Grundformen, die sich dadurch unterscheiden, ob der Rechnungsleger (1) etwas einzahlte und/oder erstattet bekam oder (2) lediglich die Schuld protokolliert wurde, ohne dass sich an dieser Schuldsumme durch Einzahlung oder Erlassung etwas änderte. Beide Arten von Posten beginnen (i) mit der Nennung des Rechnungslegers, indem er entweder beim Namen oder einfach Sheriff (vicecomes) genannt wird.84 Im ersten Fall, wenn also der Rechnungsleger zumindest einen Teil der geschuldeten Summe einzahlte oder erlassen bekam, lautet (ii) das Verb reddit Compotum (er legt Rechnung). Darauf folgen (iii) der geschuldete Betrag, (iv) die Begründung für die Forderung dieses Betrags und anschließend (v) die Einzahlung im Schatz, die stets mit den Worten In thesauro (im Schatz) angeführt wird. Wenn es Gründe gab, warum dem Rechnungsleger ein Teil der Schuld erlassen wurde, so wurde darauf folgend (vi) diese Begründung mit (vii) dem jeweiligen Betrag genannt. Der Posten wurde abgeschlossen (viii) mit der Bilanz der ausstehenden Forderungen: Entweder der Rechnungsleger schuldete noch etwas, dann schließt der Posten mit den Worten Et debet (Und er schuldet) und dem entsprechenden Betrag, oder er hat all seine Schuld beglichen, so dass die Phrase Et Quietus est (Und er ist quitt) den Posten beendet. Im zweiten Fall, wenn lediglich die Schuld eines Rechnungslegers festgehalten wurde, setzt sich der Posten aus (i) der Nennung des Rechnungslegers, (ii) dem Verb debet (er schuldet), dem (iii) geschuldeten Betrag und (iv) der Begründung für die Forderung zusammen. Eventuelle Gründe für die Reduktion der Zahlungspflicht werden in einem (v) sed-Satz angeschlossen. Die Bestandteile eines Postens werden also immer in einer sehr ähnlichen syntaktischen Ordnung aufgeführt.

84 Häufig beschreibt eine Verwandtschaftsbeziehung den Rechnungsleger näher. Meistens wird er als Sohn (filius) von jemandem bezeichnet, seltener als Tochter (filia) oder Frau (uxor) einer anderen Person. Andere Funktionsbezeichnungen als die des Sheriffs (vicecomes) treten ebenfalls häufig auf, werden jedoch stets zusätzlich zum Namen gebraucht (etwa: Rogerus forestarius) und nicht anstelle des Namens.

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Zur Verdeutlichung seien für jede Form zwei Beispiele genannt: Posten 1: Beispiel für einen Posten mit Einzahlung und Erlassung: Nur Einzahlung: (i) Wilhelmus filius Gaufridi (ii) reddit Compotum (iii) de xvij marcis argenti (iv) pro tota terra patris sui. (v) In thesauro iiij libras. (viii) Et debet vij libras et vj solidos et viij denarios.85 William, Sohn des Geoffrey, legt Rechnung über 17 Silbermark für das ganze Land seines Vaters. Im Schatz 4 Pfund. Und er schuldet 7 Pfund und 6 Schilling und 8 Pfennig.

Einzahlung und Erlassung: (i) Idem Vicecomes (ii) redd. Comp. (iii) de iiij l. et x s. et v d. (iv) de propresturis civitatis Eboraci hoc anno. (v) In thesauro iiij l. et iiij s. et v d. (vi) Et in terris datis Rannulfo de Glanuill (vii) vj s de terra que fuit Walteri filii Daniel‹. (viii) Et Quietus est.86 (i) Derselbe Sheriff (ii) legt Rechnung (iii) über 4 Pfund und 10 Schilling und 5 Pfennig (iv) für die Erträge aus den Besitzungen, die eingezogen wurden, weil jemand sie sich widerrechtlich angeeignet hatte, in der Gemeinde York in diesem Jahr. (v) Im Schatz 4 Pfund und 4 Schilling und 5 Pfennig. (vi) Und [scil. angerechnet werden] für weggegebene Ländereien dem Ranulf von Glanvill (vii) 6 Schilling für das Land, das Walter, dem Sohn von Daniel, gehörte. (viii) Und er ist quitt.

(Aus den vorangehenden Posten geht hervor, dass es sich bei Ranulf of Glanvill um den zuständigen Sheriff handelt.) Posten 2: Beispiel für einen Posten ohne weitere Transaktionen: Nur Feststellung der Schuld: (i) Idem Vicecomes (ii) debet (iii) ix solidos et viij denarios (iv) de Chelmeresfordhundredo pro j murdro.87 Derselbe Sheriff schuldet 9 Schilling und 8 Pfennig für einen Mord in der Hundertschaft von Chelmsford.

Mit Reduktion der Zahlungsverpflichtung: (i) Willemus de Perci (ii) debet (iii) cc m. (iv) pro recto de terra de Warham versus Robertum de Munfort. (v) Sed nondum potuit habere rectum.88

85 86 87 88

PR 31 Henry I, S. 9, R1 m1d. PR 30 Henry II, S. 29 f., R3 m1r. PR 20 Henry II, S. 70, R6 m1r. PR 30 Henry II, S. 33, R3 m2r.

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William Percy schuldet 200 Mark für einen Rechtsspruch bezüglich des Landes von Warham gegen Robert de Munfort. Aber er hat den Rechtsspruch noch nicht bekommen.

Diese einzelnen Posten wurden nicht nur durch den gleichen Aufbau als einzelne Einheiten markiert, sondern auch dadurch, dass der erste Buchstabe der Bezeichnung des Rechnungslegers jeweils etwas nach links abgesetzt wurde. Manchmal wurde er zudem ein wenig größer geschrieben als der Rest des Namens. Deshalb lassen sich die einzelnen Posten auf einem Rotulus leicht unterscheiden und finden. Neben dem Postenbeginn werden auch der Einzahlungsvermerk In thesauro und die Bilanz Et Quietus est in sehr vielen Pipe Rolls auf unterschiedliche Weise abgesetzt und hervorgehoben. Die Abbildungen zeigen verschiedene Posten, die alle nach diesem Schema gebildet wurden. Zwei schlichte Beispiele findet man auf Abbildung 3: In der dritten Zeile über dem Posten, der mit dem herausgehobenen Godefridus beginnt, rechnen die Weber über sechs Pfund ab, die sie einzahlen, und deshalb werden sie für quitt erklärt. Direkt darunter folgen die Walker, die ihre sechs Pfund schuldig bleiben. Die Absätze zwischen den einzelnen Postenbestandteilen reflektieren einzelne Schritte der Abrechnung. Name, Betrag und Zahlungsgrund wurden bereits vor der Rechnungslegung von der alten Pipe Roll abgeschrieben. Wenn ein Sheriff oder Schuldner zur Abhörung erschien, konnten die Schreiber anhand des abgesetzten Buchstabens des Namens leicht finden, wo sie den Posten hingeschrieben hatten, der nun zur Behandlung anstand. Je nachdem, ob der Abgehörte Geld einzahlte oder nicht, wurde das Verb reddit Compotum oder debet nachgetragen. Wenn er mithilfe eines Kerbholzes nachweisen konnte, was er gezahlt hatte, konnte der Schreiber die Formel In thesauro notieren. Nun wurde nachgerechnet, was an Schuld übrigblieb. Daraufhin setzte der Schreiber die Bilanz auf das Pergament. Die horizontale Untergliederung der Posten folgt also der Logik der Abrechnung.

2.2.4. Lexik: Welche Art von Lexemen verwendeten die Schreiber? Jeder Posten setzt sich wieder aus verschiedenen Bestandteilen zusammen. Damit erreichen wir die Ebene der Lexik. Die Rechnungsschreiber markierten Abschnitte innerhalb eines Postens, indem sie zwischen einzelnen Bestandteilen Punkte setzten: Auf den Namen des Rechnungslegers folgt ein Punkt, ebenso auf das Verb, den Betrag, die Begründung, warum jemand zahlen musste, auf eventuelle Gründe, warum ihm ein Teil der Schuld erlassen wurde, auf die

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Einzahlungsformel und auf die Bilanz. Ein Posten mit Punkten sieht zum Beispiel so aus:89 Uluric’ bulehals. reddit Compotum. de . ij . marcas . argenti . pro defectu duelli. In thesauro liberavit. Et Quietus est.90

Nur innerhalb des Betrags werden Punkte auch vor und nach jeder Zahl gesetzt; diese Abgrenzung der römischen Zahlen von den Buchstaben, die Wörter bilden, findet sich in den meisten Manuskripten, die mit römischen Zahlen arbeiten.91 Ansonsten lässt sich der Posten nach den Punktsetzungen der Schreiber aufgliedern: Verb, Einzahlungsformel und Bilanz bleiben von Posten zu Posten gleich und können deshalb als Abrechnungsvokabular zusammengefasst werden. Außerdem besteht ein Posten aus dem Rechnungsleger, dem Betrag, einer Zahlungsbegründung, einem oder mehreren Erlassungsgründen sowie eventuellem sonstigen Beschreibungsvokabular. Abrechnungsvokabeln Die erste Gruppe besteht aus den Vokabeln, die verwendet wurden, um den technischen Prozess der Abrechnung zu beschreiben. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie von Posten zu Posten gleich bleiben: Wenn sie auftreten, so geschieht das stets in der gleichen Form. Zudem werden in allen Pipe Rolls zur Beschreibung des Abrechnungsprozesses immer die gleichen Lexeme und Phrasen verwendet. Der Betrag, den ein Rechnungsleger schuldete, folgte stets entweder auf das Verb reddit Compotum (er legt Rechnung) oder debet (er schuldet). Einzahlungen wurden immer mit der Formulierung in thesauro (im Schatz) beschrieben. Die Bilanz jedes Postens bestand aus der Quitt-Formel Et Quietus est (Und er ist schuldlos) oder nannte den noch offenen Restbetrag nach der Phrase Et debet (Und er schuldet). Rechnungsleger Die fünf anderen Gruppen hingegen setzen sich aus den Bestandteilen der Rechnung zusammen, die von Posten zu Posten variieren: Als erstes sind die Rechnungsleger zu nennen. Vielfältige Benennungsmöglichkeiten existieren hier parallel: In circa vierzig Prozent der Posten wird der Rechnungsleger beim Namen genannt, wobei fast immer eine örtliche Zuordnung genauer angibt, um welchen Rudolf, Wilhelm oder Hugo es sich handelte. So musste zum Beispiel im Jahr 1165/66 ein Giles of Burton (Gille de Burt’) zwanzig Schillinge zahlen.92 Im 89 90 91 92

Vergleiche auch die Abbildungen. PR 31 Henry I, Posten 6.36, R5 m2r. Swetz, S. 402 f. PR 12 Henry II, S. 40, R3 m2r.

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selben Jahr rechnete auch Richard de Luci über die Pacht von Windsor ab:93 Auch er wird als Ricard’ de Luci aufgeführt, seine Funktion als Justiziar für Henry II. wird nicht genannt. In etwa dreißig Prozent der Posten wurde der Rechnungsleger jedoch sehr wohl mithilfe der Tätigkeit identifiziert, die er ausübte: Sheriffs traten als vicecomites in der Rechnung auf. Dabei wird meistens mithilfe von idem auf den Namen des Sheriffs in einem vorangegangenen Posten rekurriert. Wenn also zum Beispiel im Jahre 1171/72 ein Sheriff über eine Abgabe für das Weiderecht abrechnet, muss man nur einen Posten nach oben gehen, um zu sehen, dass es sich bei diesem Sheriff um Robert Troite handelt, der dort die Pacht für Carlisle bezahlte.94 Zwischen zehn und zwanzig Prozent der Namen trägt eine Verwandtschaftsbezeichnung. Meistens wird der Rechnungsleger als Sohn von jemandem ausgewiesen, so beispielsweise wenn Walter, der Sohn von Robert (Walterus filii Roberti), dafür zahlt, sein Erbe antreten zu können, ohne die dafür geforderte Abgabe leisten zu müssen.95 In ungefähr fünf Prozent der Posten wird der Rechnungsleger in den späteren Rechnungen nur durch das Pronomen idem (derselbe) angezeigt. Wenn beispielsweise ein gewisser Johannes über die Pacht der letzten Jahre aus dem Ort Tickhill Rechnung legte und er danach auch noch die aktuelle Pacht entrichten musste, beginnt der erste Posten mit Iohannes de Waurai debet, der zweite einfach mit et idem debet.96 Jeweils weniger als fünf Prozent der Rechnungsleger tragen einen kirchlichen oder feudalen Titel oder rechnen als Gemeinschaft ab: Kirchliche Titel können dabei sowohl zum Namen hinzutreten als auch ohne Namen stehen, wobei die Prominenz des Rechnungslegers hierfür keinen Unterschied macht. So tritt Henry of Blois, ein jüngerer Bruder von König Stephen, in den Pipe Rolls von dessen Nachfolger Henry II. lediglich als Bischof von Winchester (Episcopus Winton’) auf.97 Dagegen wird Nigel of Ely, Schatzmeister unter Henry II., ausführlicher beschrieben als Nigellus Elyensis Episcopus.98 Unter die feudalen Titel fällt zum Beispiel die Bezeichnung als Lehnsmann (villanus)99

93 PR 12 Henry II, S. 129, R10 m2r. 94 PR 18 Henry II, S. 68, R5 m2d: Robertus Troite reddit Compotum de Firma Carleoli […], nächster Posten: Idem Vicecomes reddit Compotum de quater xx libris et x solidis et viii denariis de Notegeldo. 95 Es ist zu vermuten, dass Walterus für die Befreiung eine geringere Summe zahlen musste, als die Abgabe betragen hätte. PR 15 Henry II, S. 125, R9 m1r : Walterus filii Roberti reddit Compotum de xlii libris et vi solidis et viii denariis de veteri feoffamenti. Siehe dazu auch Kapitel 2.2.2. 96 PR 18 Henry II, S. 63, R5 m2r. 97 PR 9 Henry II, S. 26, R3 m1r: Episcopus Winton’ reddit Compotum de xxxiii solidid et iii denariis de veteri Scutagio de Glastingebi’. 98 PR 20 Henry II, S. 63, R5 m2r. Nigel war zu diesem Zeitpunkt bereits tot, deshalb endet der Posten mit den Worten: Sed mortuus est et requiescat in pace. 99 Z. B. in PR 20 Henry II, S. 104, R8 m1d: Walterus villanus debet […] pro fine […].

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oder als Vasall (homo).100 Als Gemeinschaft rechnen zum Beispiel die Weber (telarii) ab, die für ihre Gilde bezahlen,101 oder örtliche Gemeinschaften wie etwa die civitates oder burgenses, die die Abgaben für ihre Stadt entrichten.102 Die Art und Weise der Bezeichnung der Rechnungsleger unterscheidet sich demnach hauptsächlich dadurch, ob der Abrechnende mit Namen genannt wird oder nicht: In vierzig Prozent der Fälle wird der Rechnungsleger nur mit seinem Namen und eventuell einer spezifizierenden Ortsangabe bezeichnet, in weiteren vierzig Prozent wird sein Name nicht genannt. Ohne Namen kann hauptsächlich der Sheriff (vicecomes) stehen. Logischerweise werden auch die Gemeinschaften ohne Personennamen aufgeführt, außerdem wurde zu höheren kirchlichen Ämtern wie dem oben angeführten Bischof bisweilen kein Name gesetzt. In all diesen Fällen wurde der Rechnungsleger nicht durch seinen Namen identifiziert, sondern durch seine Tätigkeit als Sheriff, die Gemeinschaft, zu der er gehörte, oder den Rang, den er in der kirchlichen Hierarchie besaß. Damit kam dieser Tätigkeit, Gemeinschaft oder Stellung eine besondere Bedeutung zu, und in der Tat besteht auch nur bei diesen drei Gruppen von Rechnungslegern ein Zusammenhang zwischen ihrer Bezeichnung und dem, worüber sie abrechneten: Sheriffs zahlten die Pacht, Gemeinschaften und Bischöfe, wie eben beschrieben, die speziellen Abgaben aus ihrem Herrschaftsbereich. Tritt hingegen – wie in den übrigen zwanzig Prozent der Posten einer Pipe Roll – die Beschreibung der Tätigkeit, der feudale oder kirchliche Titel oder die Verwandtschaftsbezeichnung zu einem Namen hinzu, so besteht keine Beziehung zwischen der Bezeichnung des Rechnungslegers und dem Zahlungsgrund. So zahlte zum Beispiel Randulf der Weinhändler (Radulfus Vinitor) dafür, dass sein Rechtsfall an der Kurie des Königs behandelt wurde.103 Seine Tätigkeit als Weinhändler hat mit seinem Anliegen nichts zu tun. Andersherum musste jemand, der feudale Abgaben entrichtete, wie zum Beispiel die Ablösesumme im Erbfall (relevium), nicht auch mit seinem feudalen Titel genannt werden. Er konnte auch einfach als Robertus le Blanc in der Rechnung auftauchen.104 So ergibt sich insgesamt das Bild, dass die Bezeichnungen der Rechnungsleger keinem wie auch immer gearteten sozialen Ordnungsmodell folgen. Wie in der gerade erfolgten Darstellung getan, unterscheidet zwar der Historiker Be100 Etwa in PR 31 Henry I, S. 25, R3 m1r : Girardus homo Herberti camerarii reddit Compotum de […] pro placito […]. 101 Z. B. die Weber von Winchester in PR 9 Henry II, S. 55, R5 m1d: Telarii Winton’ reddunt Compotum de vi libris pro Gilda sua. 102 Etwa die Bewohner von Rochester in PR 2 Henry II, S. 67, R12 m2d: Burgenses de Rouec’ reddunt Compotum de x libris de Auxilio Civitatis Rouec’. 103 PR 30 Henry II, S. 139, R10 m1d: Radulfus Vinitor debet x l. pro habendo recto in Curia Regis […]. 104 PR 30 Henry II, S. 65, R5 m2r : Robertus le Blac debet xxxiij s. t viij d. de relevio dimidii militis in Stoka.

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ziehungssysteme wie das nach Verwandtschaft, nach feudaler Ordnung oder nach Namen und Herkunft voneinander. Offenbar bestanden aber mehrere solcher sozialen Ordnungen parallel; es gab nicht das eine Schema, in das jeder Rechnungsleger mithilfe seiner Bezeichnung eingepasst wurde. Da die Postenfolge auf einer Seite davon bestimmt wurde, dass die Seite von der Vorjahresrolle abgeschrieben wurde,105 treten die Rechnungsleger auf einer Pipe Roll auch in keiner erkennbaren Hierarchie auf: Erzbischöfe wurden beispielsweise nicht notwendigerweise vor den Äbten notiert, standen aber genauso wenig konsequent nach ihnen. Joseph Morsel hat versucht, die soziale Ordnung der europäischen Gesellschaften in Gegensatzpaaren einzufangen, die die verschiedenen Stadien der Entwicklung der Aristokratie im Mittelalter markierten.106 Ein solches Gegensatzpaar wird weder in der Benennung noch in der Anordnung der Rechnungsleger reflektiert. Die näheren Bezeichnungen der Abgehörten fungierten eher wie Spitznamen: Die Abhörer dürften wohl gewusst haben, wer mit Rudolf dem Türhüter oder Hugo, Sohn von William, gemeint war, da sie die Rechnungsleger ohnehin bereits kannten.107 Beträge Den zweiten variablen Bestandteil der Posten machen die geschuldeten Beträge aus, die als Objekt nach dem Verb reddit Compotum oder debet stehen. Die Beträge gleichen in Schriftgröße und -art dem Rest des Geschriebenen. Um zu unterscheiden zwischen Buchstaben, die Wörter bilden, und Buchstaben, die Zahlen darstellen, wurden Punkte vor und hinter die Zahlen gesetzt.108 307 Silbermark wurden entsprechend geschrieben als .ccc. 7 .viij. m. arg.109 Die Beträge setzen sich zusammen aus Zahlen (hier : 307) und Einheiten (hier : Silbermark). Die Zahlen werden in den Beträgen immer in römischen Zahlen notiert. Zahlwörter werden nur in anderen Kontexten verwendet. Wenn zum Beispiel vier Sheriffs abrechnen, steht nicht iiij vicecomites, sondern quattuor vicecomites.110 Auch natürlichsprachliche Quantoren wie viel oder wenig oder andere Zahlmaße wie etwa Schock oder Dutzend kommen nicht vor.111 Bei den Einheiten handelt es sich fast ausschließlich um Recheneinheiten des Geldes: Zwischen 98 Prozent und 99 Prozent der Beträge werden in Pfund (libra), 105 Siehe Kapitel 2.2.3. 106 Morsel, Aristocratie. 107 In Kapitel 4.6. wird gezeigt, dass die Vorgänge am Exchequer hauptsächlich eine interne Abrechnung der königlichen Verwaltung darstellten. 108 Dieses Verfahren findet sich in den meisten Texten, die römische Zahlen verwenden, Swetz, S. 402 f. 109 Die tironische Note 7 steht für et. 110 Etwa in PR 31 Henry I, S. 143 f., R15 m1r. 111 Zur Verwendung von Zahlen und Zahlwörtern im Mittelalter siehe Wedell, Zählen, S. 55 – 59.

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Schilling (solidus), Pfennig (denarius), Mark (marca) oder Obolus (obolus) aufgeführt. Im Laufe des Beobachtungszeitraums stieg der Anteil von Pfund, Schilling und Pfennig von 77 Prozent auf 89 Prozent; in Mark wurde entsprechend seltener umgerechnet. Bei allen Einheiten außer den Pfennigen handelt es sich um reine Recheneinheiten: Nur Pfennige wurden tatsächlich eingezahlt. Zwölf Pfennige ergaben einen Schilling, zwanzig Schillinge (also 240 Pfennige) ein Pfund. Eine Silbermark entsprach 13 Schilling und vier Pfennig, vereinfachend wirkte sich diese Umrechnung aus, wenn man aus vierzig Schilling drei Silbermark machte. Sechs Pfund ergaben eine Goldmark. In den Pipe Rolls wurde aber nicht immer konsequent in die nächst höhere Einheit umgerechnet. So wurden die Schulden eines Hugo im Jahre 1158/59 mit vierzig Schilling angegeben, nicht als zwei Pfund.112 Studien zu Güter- und Einkünfteregistern aus dem Frühmittelalter kommen zu ähnlichen Ergebnissen und deuten so darauf hin, dass die Umrechnung in die höchstmögliche Einheit im Mittelalter nicht üblich war.113 In den Pipe Rolls wurden Pfund, Schilling, Pfennige verbucht. Nur in der ältesten erhaltenen Pipe Roll aus dem Jahr 1129/30 wurden sehr selten Zahlungen in Naturalien vermerkt, in jeder späteren Rechnung tauchen Naturalwerte nur noch zusammen mit ihrem Gegenwert in Geld auf. So gab ein Sheriff beispielsweise an, dass er 111 Pfund, 16 Schilling und zwölf Pfennig aus dem Verkauf von Korn, Schafen, Wolle und anderen Dingen gewonnen habe.114 Anhand der ältesten Pipe Roll können die Naturalien genauer klassifiziert werden denn einfach als Gegenstück zu Münzen. Erstens fungierten wertvolle Gegenstände als Münzersatz und konnten in den Schatz einbezahlt werden: Silber- und Goldringe konnten offenbar zusammen mit Pfennigen abgeliefert werden, wie etwa der folgende Posten nahelegt, in dem ein Gold- und ein Silberring zusammen mit zwei Silbermark in den Schatz wanderten: Ricardus de Well’ reddit Compotum de ij marcis argenti et j anulo Auri et j anulo argenti pro pecunia cujusdam forisfacture Regis. In thesauro ij marcae argenti et j anulum Auri et j anulum argenti. Et Quietus est.115

Zweitens konnten wertvolle Stoffe, Tiere oder Wein fällig werden, mussten aber in Geld umgewandelt oder erlassen werden; sie konnten nicht als solche in den Schatz geliefert werden. Jemand, der ein Schlachtross zu zahlen versprach, musste dafür vierzig Schilling zum Schatz bringen: In thesauro xl solidos pro j 112 Hugo filius Ricardi reddit Compotum de xl solidos de placitis. PR 5 Henry II, S. 25, R4 m2r. 113 Kuchenbuch, Numerus, S. 258. 114 PR 30 Henry II, S. 110, R8 m1d: Et de c et xj l. et vj s. et xjj d. de blado et caseis et lana et pluribus aliis rebus venditis. 115 PR 31 Henry I, S. 38, R4 m1r.

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dextrario.116 Drittens fungieren Naturalien in der ältesten erhaltenen Pipe Roll auch selbst als Zahlungsgrund. Wie unten näher erläutert wird, lassen sich die Zahlungsgründe danach unterteilen, ob sie eine Zahlung begründen oder den Namen für eine Zahlung darstellen. Letztere, wie zum Beispiel die Pacht oder das Dänengeld, kann man als Abgaben bezeichnen. Bei der letzten Gruppe der Naturalien handelt es sich parallel dazu um Naturalabgaben, da hier Tiere (animalia oder spezifischer porci) oder Getreide (frumenta, annona) die Zahlung ausmachen. Ein Sheriff schuldet beispielsweise eine gewisse Menge an Getreide aus den Mühlen von Arundel: Et Idem Vicecomes reddit Compotum de vij modis frumenti et viij modis grosse Annone de molendiniis de Arundel.117 Ein Teil davon wurde ihm erlassen. Der Rest musste aber auch hier in die entsprechende Anzahl von Pfennigen umgerechnet werden, um einbezahlt werden zu können; der Posten endet entsprechend: Et remanens de hac predicta Anona redditus in summa denariorum. Klassische Naturalabgaben wurden also in den Pipe Rolls nicht nur fast gar nicht mehr gezahlt, sie mussten auch immer in ihr Äquivalent in Münzen umgerechnet werden, um sie abzugelten. Schon in den frühesten Pipe Rolls aus der Zeit Henrys II. sucht man diese Art von Naturalschuld ohnehin vergebens. Lediglich wertvolle Güter, die in Geld umgerechnet werden mussten, tauchen noch hier und da in den Rechnungen auf. Dabei wurde ein Schlachtross (dextrarius) generell mit vierzig Schilling veranschlagt, für ein Jagdpferd (fugator) wurden zwanzig Schilling in Rechnung gestellt. Falken und Gerfalken (accipitres und girfalcones) wurden selten umgerechnet, stattdessen meistens dem Schuldner erlassen.118 Spätestens seit dem Jahr 1155/56 wurden also alle Zahlungen »ins universale Maß des Geldes umgewandelt«,119 das heißt alle Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem König wurden zu der gemeinsamen Recheneinheit des Geldes abstrahiert120 und damit vergleichbar und summierbar gemacht. Die Sheriffs brachten Münzen, keinerlei andere wertvolle Gegenstände zur Abrechnung mit. Nichtsdestotrotz wurden in den Pipe Rolls weder Gesamtsummen noch Gesamtbilanzen gezogen, auch ein Gesamtbudget wurde nicht errechnet. Das Abstraktum summa (Summe) wird in den Pipe Rolls zwar gar nicht so selten verwendet, es dient aber fast immer dazu, einzelne Zahlungs- oder Erlas116 PR 31 Henry I, S. 85, R9 m2r. 117 PR 31 Henry I, S. 42, R4 m1d. 118 Z. B. in PR 30 Henry II, S. 6, R1 m2r : Tomas de Ludham reddit Compotum de j accipitre pro recto versus AEdwardum filium Copman de j masagio in Norwico. Ipsi Regi liberavit j accipitrem per breve suum. Et Quietus est. 119 So beschreibt Kuchenbuch eine der drei möglichen Arten des Zählens neben dem Zählen von Einzelsachen und dem Wiegen oder Messen. Kuchenbuch, Zahlendenken, S. 270 f. 120 Das Abstraktionserfordernis des Zählens steigt, je stärker sich die gezählten Dinge unterscheiden. Die Umrechnung in ein gemeinsames Maß für alle möglichen Zahlungsgründe stellt also eine enorme Abstraktionsleistung dar. Siehe dazu Schuppener, hier S. 803.

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sungsbegründungen zusammenzufassen. In den frühen Pipe Rolls gibt summa bisweilen die Gesamtsumme der Beträge an, die verschiedenen Menschen vergeben wurden und die ein Sheriff deshalb nicht bezahlen musste. In der ältesten erhaltenen Pipe Roll zum Beispiel muss ein Sheriff zehn Silbermark zahlen, da in einer Hundertschaft in Sussex ein Mord passiert war, der nicht aufgeklärt wurde. Verschiedenen Menschen – einem Abt, einigen Mönchen und einem gewissen Wilhelm – wurden aber verschiedene Beträge erlassen, die sich auf zehn Silbermark summieren (Summa x marcas argenti.). So ist der Sheriff quitt.121 In den Rechnungen, die gegen Ende des Beobachtungszeitraums geschrieben wurden, wurden manchmal die Schuldsummen zusammengezogen, die ein Rechnungsleger für mehrere, ähnliche Zahlungsgründe leisten musste. Wenn etwa die Bürger von London verschiedene städtische Abgaben und Schildgelder entrichteten, wurden all diese Zahlungen am Ende der Aufzählung summiert.122 Nur in den Pipe Rolls zwischen dem 7. und dem 23. Regierungsjahr von Henry II. (1161 – 1177) – und auch dort nur in seltenen Fällen – fungiert summa tatsächlich als Abstraktion. Das Abstraktum tritt in diesen Fällen als Genitiv zu summa auf. Im Jahr 1161/62 wurden zum Beispiel Einzahlungen einmal als Summa Receptorum zusammengefasst,123 oder alle Schulden des königlichen Justiziars Ranulf of Glanvill wurden in der Pipe Roll aus dem 21. Regierungsjahr von Henry II. mit der für Pipe Roll-Verhältnisse geradezu epischen Formulierung beschlossen: Summa tocius superioris debiti Rannulfi de Glanvill tam de firma Lanc’ quam de aliis rebus supra annotatis.124 Für diese abstrahierende Verwendung lassen sich aber nur sehr vereinzelte Beispiele finden. Fasst summa dagegen einzelne Zahlungs- und Erlassungsgründe zusammen, so ist es weniger als verallgemeinernde Bilanzvorbereitung denn als Teil des Abrechnungsprozesses zu verstehen. Verschiedene gezahlte oder erlassene Beträge wurden nämlich nicht deshalb summiert, weil in einem Posten besonders viele aufgeführt wurden: Manchmal wurden zwei Beträge zusammengezählt, manchmal zwanzig nicht zu einer Summe gefasst. Allerdings steht summa auffällig häufig in Posten, in denen auf den eingezahlten Betrag die Formulierung in [Anzahl] talliis folgt. Die Rechnungsschreiber notierten also in diesen Posten, wie viele Kerbhölzer der Abgehörte mitgebracht hatte. Diese 121 Et Idem Vicecomes reddit Compotum de x marcis argenti pro j murdro in Wiledunehundredo. In Perdonis per breve Regis Abbati de Grestein iiij libras. Monachis de Lewes L solidos. Wilhelmo filio Baldr’ iij solidos et iiij denarios. Summa x marcas argenti. Et Quietus est. PR 31 Henry I, S. 70, R7 m1d. 122 Cives Londonienses debent xvij l. et iij s. et v d. de veteri exercitu Walie. Et lxiij l. et xvj d. de scutagio Hybernie. Et xxij l. et iij s. et iiij d. de veteri auxilio ejusdem civitatis. Et lxvj l. et xx d. de dono ejusdem civitatis. Summa c et lxviij l. et ix s. et ix d. PR 30 Henry II, S. 138 f., R10 m1d. 123 PR 7 Henry II, S. 14, R3 m2d. 124 PR 21 Henry II, S. 9, R2 m2d.

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Formulierung findet sich nicht in jedem Posten, sondern nur, wenn ein Rechnungsleger viele verschiedene Beträge schuldete und dafür viele verschiedene Kerbhölzer mitbrachte, der Betrag, den er einzahlte, aber nur als Ganzer aufgeführt wurde. Hier wurden also viele geschuldete Beträge zu einer eingezahlten Summe zusammengefasst. Das Substantiv summa konnte hinzugesetzt werden, meistens aber begnügten sich die Schreiber damit, auf die Anzahl der Kerbhölzer hinzuweisen, aus denen sich dieser Betrag zusammensetzte. Nicht summa markiert in den Posten also die Addition verschiedener Beträge, sondern die Formulierung in [Anzahl] talliis. Die Anzahl der unterschiedlichen Zahlungsgründe entspricht der Anzahl der mitgebrachten Kerbhölzer : Ein Sheriff, der die bewegliche Habe von zwei Rechtlosen versetzte, brachte dafür zwei Kerbhölzer mit, zahlte die Summe aber als Ganze ein.125 In wenigen dieser Fälle wird sogar bereits als Zahlungsgrund eine zusammenfassende Formulierung gewählt, etwa wenn ein Sheriff für viele kleinere Rechtsangelegenheiten bezahlt, für deren Details auf den rotulus justiciarum126 verwiesen wird. Die Einzelbeträge auf seinen 29 Kerbhölzern werden nicht genannt, nur die Gesamtsumme wird angegeben. Die 29 Kerbhölzer machen bereits deutlich, dass es sich um eine Summierung handelt, das Substantiv summa tritt gar nicht auf.127 Die Angabe der Anzahl der Kerbhölzer und der auf ihnen quittierten Gesamtsumme steht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Prozess der Abhörung: Die Abrechner mussten den Überblick behalten, wer welche Summen eingezahlt und wer welche Belege dafür vorgebracht hatte. Die Zusammenfassung zu einer Summe wurde damit während des Abrechnungsprozesses vorgenommen und diente der Übersicht der Abhörer, sie sollte nicht als Vorbereitung eines Gesamtüberblicks über die eingezahlten Beträge fungieren. Entsprechend sucht man auch andere Formen der Zwischenbilanzen oder gar eine Gesamtaufrechnung vergeblich. Über mehrere Posten hinweg wurde nicht addiert. Ein Posten und damit ein Abrechnungsvorgang bildete die für die Abrechner relevante Einheit. Die Pipe Rolls konstituierten ganz eindeutig einen Teil der Abrechnungen, sie stellten keine Budgetübersicht für den königlichen Haushalt dar.128

125 Idem vicecomes redd. comp. de x s. de catallis Roberti le Bigot utlagati. Et de ij s. de catallis Hugonis de Bradelega utlagati. In thesauro liberavit in ij talliis. Et Quietus est. PR 30 Henry II, S. 13, R1 m2d. 126 Dabei handelt es sich wohl um die Curia Regis Roll, siehe dazu Kapitel 4.3.5. 127 Idem vicecomes redd. comp. de xij l. et vj s. et viij d. de minutis misericordiis hominum et villarum quorum nomina et debita et cause debitorum annotantur in rotulo justiciarum quem ipsi liberaverunt in thesauro. In thesauro liberavit in xxix talliis. Et Quietus est. PR 30 Henry II, S. 73, R5 m2d. 128 Daraus resultiert der Frust von Forschern wie Barratt, der versucht, aus den Pipe Roll die jährlichen Einkünfte des Königs zu errechnen, siehe z. B. Barratt, Revenue, S. 836.

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Zahlungsgründe In der dritten Gruppe von variablen Rechnungsbestandteilen werden diejenigen Lexeme und Phrasen zusammengefasst, die verwendet wurden, um die Forderung eines Betrags zu begründen. Sie folgen immer auf das Verb reddit Compotum de beziehungsweise debet mit dem zugehörigen Betrag und werden an den Betrag entweder mit der Konjunktion pro oder de oder als Nebensatz angeschlossen: Ein Rechnungsleger konnte etwa einen Betrag pro terra patris sui (für das Land seines Vaters) bezahlen129 oder ut rehabeat terram suam (damit er sein Land zurückbekomme).130 Die Begründung für die Forderung eines Betrags wird in dieser Arbeit als Zahlungsgrund bezeichnet. Grob gliedern kann man die Zahlungen danach, ob erstens der Rechnungsleger für den entrichteten Betrag etwas erhielt, ob er zweitens damit sein eigenes oder fremdes Fehlverhalten sühnte oder ob drittens die Zahlung lediglich mit einem Namen belegt wurde, die erhaltene Gegenleistung aber unklar blieb. Diese letzten Zahlungsgründe bezeichne ich als Abgaben. Eine Zahlungsentrichtung ohne klare Gegenleistung könnte man mit Pierre Bourdieu auch »Steuer« taufen. Seiner Ansicht nach konzentriert sich die physische Gewalt eines Staates in der Einführung eines Steuersystems, da erst durch diese Zahlungspflicht ohne Gegenleistung die Untertanen zu ebensolchen würden.131 Gerade diese Verbindung mit der Entstehung des neuzeitlichen Staates verleiht dem Terminus »Steuern« allerdings eine Konnotation, die ihn für das 12. Jahrhundert als zu anachronistisch erscheinen lässt. Deshalb habe ich mich für die Bezeichnung »Abgaben« entschieden, obwohl auch diese nicht zeitgenössisch zu belegen ist. Die erste Art von Zahlungsgründen wird durch die Kookkurrenz mit den Verben habere, tenere (haben), rehabere (wiederhaben) und saisire (in Besitz nehmen) als Erwerb verschiedenster Dinge ausgewiesen. Dabei kann beispielsweise für ein Gut,132 Rechte,133 Leistungen der Gerichtsbarkeit134 oder eine Änderung der Zahlungsmodalitäten135 gezahlt werden. Diese Verben stehen

129 130 131 132

Etwa in PR 31 Henry I, S. 5, R1 m2r. Beispielsweise in PR 31 Henry I, S. 38, R4 m1r. Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 102 f. Z. B. Land (terra), Waldgebiete (essartum, foresta), ausstehende Schulden anderer (debitum) oder eine Ehefrau (uxor). Diese Zahlungen für Frauen oder Töchter (filiae) verweisen auf das Recht des Königs, Kinder und Ehefrauen seiner verstorbenen Kronvasallen zu verheiraten, siehe Göllmann, S. 175. 133 So konnte ein Rechnungsleger dafür bezahlen, in einem Gebiet Gericht zu halten und Strafen einzuziehen (soca et saca), oder das Recht erwerben, eine Frau nach Wahl zu ehelichen (ut ducat uxorem ad velle suum). 134 Bei diesen Zahlungsbegründungen steht zumeist placitum (Prozess) im Mittelpunkt. 135 Der Schuldner konnte beispielsweise dafür zahlen, einen Aufschub (respectus) seiner Zahlungspflicht zu erhalten.

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entweder in einem Finalsatz136 oder einer Gerundivkonstruktion,137 die die Zahlungsbegründung konstituieren, oder in einem explizierenden Relativsatz.138 Allerdings wird in einem Großteil der Posten kein solches Verb genannt, da der Zahlungsgrund lediglich mit der Präposition pro oder de und einem Substantiv beschrieben wird wie in der Phrase pro terra patris sui. Die Formulierung pro terra patris sui bezeichnete aber wohl keinen anderen Sachverhalt als die Phrase ut habeat terra patris sui, da die beiden Satzfragmente nicht in unterschiedlichen Kontexten angeführt werden. Die anderen Zahlungsbegründungen werden fast immer als Nominalphrasen gebildet; Verben können ihnen nicht eindeutig zugeordnet werden. Dabei trenne ich die Abgaben von der Sühne für Straftaten, da erstere weniger als Zahlungsbegründung denn als Benennung der geleisteten Zahlung konstruiert werden: Zahlt ein Rechnungsleger zum Beispiel zehn Pfund Dänengeld (reddit Compotum de x libris de danegeldo), so gibt das Substantiv danegeldum der Zahlung zwar einen Namen, führt aber nicht auf, was der Zahlende dafür erhielt. Dies bedeutet natürlich nicht, dass nicht eine Vorstellung davon existierte, warum der König zur Einziehung dieses Geldes berechtigt gewesen sei.139 Diese Gründe wurden aber in der Rechnung nicht expliziert.140 Weitere verhältnismäßig häufig auftretende Zahlungsgründe, die den Abgaben zugeordnet werden können, sind die Zahlungen, die die Pächter oder Verwalter eines Gebietes leisten müssen (firma beziehungsweise exitus),141 und die Abgabe von Boroughs, 136 Z. B. […] ut rehabeat Manerium […], PR 31 Henry I S. 96, RR10 m2r, […] ut teneat in pace terram de Sulinga […], PR 31 Henry I, S. 32, R3 m1d, […] ut sit saisitus de terra patris sui […], PR 31 Henry I, S. 36, R3 m2d, […] ut possit iusticiare hominem sum […], PR 20 Henry II, S. 99, R8 m1r, […] ut ducat filiam Otonis de Tilli uxorem […], PR 30 Henry II, S. 34, R3 m2r. 137 Als Gerundivphrasen werden fast ausschließlich habere und rehabere konstruiert, etwa […] pro habenda terra Matris uxoris sue […], PR 31 Henry I, S. 64, R7 m1r, […] pro rehabenda terra sua […], PR 31 Henry I, S. 37, R4 m1r oder PR 30 Henry II, S. 154, R11 m2d, […] pro habenda socha […], PR 30 Henry II, S. 33, R3 m2r. 138 Die Verben in den Relativsätzen lauten meistens tenere oder habere, beispielsweise […] pro rehabenda terra sua quam Wilhelmus tornator tenuit […], PR 31 Henry I, S. 25, RR3 m1r, […] de terra quam Ricardus de Rollos tenuit […], PR 30 Henry II, S. 80, R6 m2r, oder […] pro rehabenda terra sua quam Herbertus Camerarius habuit […], PR 31 Henry II, S. 37, R4 m1r, […] pro recognitione quam nondum habuit […], PR 30 Henry II, S. 4, R1 m1r. 139 Das Dänengeld wurde im Jahr 991 von Ethelred erhoben, um sich von der dänischen Bedrohung freizukaufen, siehe Green, Government, S. 69. 140 Als Beispiel für eine andere Quelle, in der die Verpflichtungen des Königs expliziter thematisiert werden, nennt Green die Versprechungen Henrys I. bei seiner Krönung, an denen sie sein herrscherliches Handeln misst, siehe ebd., S. 79. 141 Die Pachtsumme (firma) stand im Vorhinein fest. Der zuständige Sheriff konnte also überschüssige Einnahmen behalten. Wurde hingegen ein Verwalter (custos) für das Land eingesetzt, so musste er alle anfallenden Einkünfte abliefern. Diese wurden als exitus bezeichnet. Göllmann, S. 102. Zur Entstehung der Bezeichnung exitus siehe unten Kapitel 4.1.2.

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das sogenannte auxilium. Die Abgaben werden häufig durch die Angabe eines Erhebungsortes oder -zeitraums näher spezifiziert.142 Zuletzt kann der Rechnungsleger eigenes oder fremdes Fehlverhalten sühnen. Dabei stehen entweder der Grund für die Strafe oder die Bezeichnung der Strafzahlung selbst143 als Substantiv im Mittelpunkt des Rechnungspostens: Zum Beispiel hatte ein Rechnungsleger ein falsches Zeugnis abgelegt,144 entgegen einer entsprechenden Bestimmung (assisa) Wein verkauft145 oder den Frieden gebrochen.146 Einen Namen für eine Strafgebühr stellte zum Beispiel murdrum dar : Da in seinem Zuständigkeitsgebiet jemand getötet worden war, musste ein Rechnungsleger eine Gebühr entrichten. Dies geht daraus hervor, dass die Zahlung durch eine Ortsangabe spezifiziert wurde.147 Selten wurden auch Nebensätze gebildet, um die Forderung einer Strafzahlung zu begründen. Zum Beispiel musste jemand bezahlen, wenn er zunächst Berufung eingelegt, diese aber zurückgezogen hatte.148 Diese Einteilung in drei Arten von Zahlungsgründen ähnelt anderen Schemata, wie sie etwa Judith A. Green,149 Robert Bartlett150 oder Wilfred Lewis Warren151 für die in der ersten erhaltenen Pipe Roll152 registrierten Einnahmen des Königs erstellt haben. Green unterscheidet zwischen Einnahmen aus dem Land, worunter hauptsächlich die Pacht (firma) verstanden wird, Einnahmen aus dem Gerichtswesen und der Rechtsprechung sowie Abgaben. Von dieser letzten Kategorie spalten Bartlett und Warren die Einnahmen aus den Rechten

142 Etwa: Et Idem vicecomes reddit Compotum de xxv solidis de preterito auxilio burgorum […], PR 31 Henry I, S. 21, R2 m1d, oder Idem vicecomes reddit compotum de iiij l. et x s. et xj d. de exitu de Gamelebi et Glassenebi hoc anno. PR 30 Henry II, S. 41, R3 m2d, oder Idem vicecomes reddit Compotum de vj libras et ij solidos et iiij denarios de firma de Hakunebi. PR 20 Henry II, S. 96, R8 m1r. 143 Beispielsweise konnte der Rechnungsleger eine Bußzahlung entrichten, weil Falschgeld hergestellt worden war (pro forisfactura falsorum denariorum, PR 31 Henry I, S. 148, R15 m2r), oder eine Strafe für ein Duell zahlen (pro fine de duello fratris sui, PR 30 Henry II S. 81, R6 m1d). 144 […] pro falso testimonio […], PR 31 Henry I, S. 97, R10 m1d. 145 […] pro vino vendito contra assisam […], z. B. PR 30 Henry II, S. 54, R4 m2d. 146 […] pro pace fracta […], z. B. PR 31 Henry I, S. 11, R1 m2d. 147 Z. B.: Et Idem Vicecomes reddit Compotum de xlij solidis pro j murdro in hundredo de Gellingeham […], PR 31 Henry I, S. 14, R2 m1r ; oder Idem vicecomes debet viij d. de Alnestowapentagio pro murdro, PR 30 Henry II, S. 109, R8 m2r. Zur Zahlung von murdrum siehe O’Brien. 148 […] quia retraxit se de appellatione sua […], PR 30 Henry II, unter anderem S. 98, R7 m2d. 149 Green, Pipe Roll, S. 3. 150 Bartlett, S. 159. 151 Warren, Governance, S. 145. 152 Diese Einteilungen lassen sich aber genauso wie die in dieser Arbeit vorgenommene Untergliederung auf alle weiteren Pipe Rolls des Betrachtungszeitraums übertragen.

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als feudaler Oberlehnsherr ab, die Bartlett als Zahlungen von auxilium, für die Erbschaft, Heirat und Vormundschaft exemplifiziert.153 Obwohl die hier vorgenommene Einteilung zu ähnlichen Ergebnissen gelangt, liegen der Unterscheidung andere Kriterien zugrunde, woraus sich drei Unterschiede zu den Ansätzen von Green, Bartlett und Warren ergeben: Erstens wird hier zwischen der Ausübung von Gerichtsrechten und der Einziehung von Strafzahlungen differenziert, da erstere mithilfe von habere als Erwerb konstruiert wurde, letztere hingegen stets ohne Verben formuliert wurden. Zweitens fasst die Gruppe der Besitzwechsel aufgrund ihrer Kookkurrenz mit habere und tenere Vorgänge zusammen, die Green unter das Gerichtswesen, Bartlett und Warren unter die feudalen Abgaben eingliedern.154 Drittens werden Pacht und auxilium ebenfalls als Abgaben aufgefasst, da ihre Abrechnung nicht anders notiert wird als beispielsweise die über das Dänengeld. Insgesamt liegt die Anzahl einzelner verschiedener Zahlungsgründe je nach Länge der Pipe Roll zwischen hundert und zweihundert. Allerdings werden sehr viele Zahlungsgründe nur ein- oder zweimal genannt: In der ersten erhaltenen Pipe Roll (1129/30) beispielsweise bilden lediglich vier Lexeme in mehr als fünf Prozent der Posten das Zentrum der Zahlungsbegründung (placitum: Prozess und daraus resultierende Zahlungen, terra: Land, firma: Pacht, murdrum: Strafzahlung für einen Mord). In der letzten Rechnung des Untersuchungszeitraums (1183/84) machen nur firma und rectum (Prozess, Urteilsspruch) jeweils mehr als fünf Prozent der Zahlungsbegründungen aus. Hingegen kommen in der Pipe Roll aus dem 31. Regierungsjahr Henrys I. 84 Prozent der überhaupt auftretenden Zahlungsgründe in weniger als ein Prozent der Posten vor; im 30. Regierungsjahr Henrys II. liegt dieser Wert sogar bei 88 Prozent. Die Pipe Rolls führen also viele verschiedene Begründungen für die Forderung einer Summe auf, nur sehr wenige werden aber häufig genannt. Erlassungsgründe In der vierten Gruppe befinden sich die Lexeme, die zum Ausdruck bringen, warum einem Schuldner ein Teil oder der vollständige Betrag der Schuld erlassen wurde. Die Begründung für die Reduzierung oder vollständige Erlassung der Schuld wird im Folgenden als Erlassungsgrund bezeichnet. Diese Erlassungsgründe treten in zwei verschiedenen syntaktischen Formen auf: Entweder wurde der Erlassungsgrund in einem Substantiv gefasst, das zusammen mit der Präposition In (oder selten anderen Präpositionen) auf den Einzahlungsvermerk folgt. Insbesondere wurden in dieser Form den Sheriffs die Ausgaben ange153 Angaben über die Höhe der Einnahmen finden sich bei Green, Government, S. 55, S. 75, S. 88 und detailliert in Tabellenform auf den S. 223 – 225 sowie bei Bartlett, S. 159. 154 Relevium, maritagium, custodia, placitum siehe Green, Pipe Roll, S. 10, und Bartlett, S. 163.

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rechnet, die sie für die Verwaltung des ihnen übertragenen Guts getätigt hatten. Der Sheriff von Surrey musste beispielsweise im Jahr 1163/64 nicht die volle Pachtsumme einzahlen, da er bereits Almosen für einen Orden gegeben und Ausgaben für verschiedene Bedienstete gehabt hatte.155 Alternativ dazu erklärt ein Adversativsatz mit der Konjunktion sed am Ende des Postens, warum der Rechnungsleger seine Schuld nicht begleichen konnte, zum Beispiel aus dem einfachen Grund, dass er nichts hatte: Sed nichil habet.156 Inhaltlich lassen sich drei Arten von Erlassungsgründen unterscheiden: Dem Rechnungsleger wurde eine bereits geleistete Zahlung angerechnet, aus königlichem Wohlwollen etwas erlassen oder er konnte andere Entschuldigungsgründe vorbringen. Die erste Art von Erlassungsbegründungen wird hauptsächlich in den Posten angeführt, die über die Pachtzahlung (firma) eines Sheriffs abrechnen. Der Sheriff gab im Laufe des Abrechnungsjahres Zahlungen im Namen des Königs aus, die von der Pachtsumme abgezogen wurden, die er zu entrichten hatte. Besonders häufig wurden dem Sheriff Zahlungen für Bedienstete (liberatio),157 Zuwendungen an geistliche Einrichtungen (elemosina)158 oder Kosten für Bautätigkeiten159 abgezogen. Außerdem wurde die Pachtsumme um den Betrag reduziert, der von den Ländereien hätte aufgebracht werden müssen, die vom König aber anderweitig vergeben worden waren, also nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Sheriffs fielen (terre date). Zumeist wird angegeben, dass die Ausgabe durch eine königliche Verfügung legitimiert war (per breve Regis).160 Diese Erlassungsgründe folgen auf die Präpositionen in, ad oder pro. Musste der Schuldner aufgrund eines Gunstbeweises weniger zahlen, wurde dies fast immer mit dem Substantiv perdonum (etwa: Vergebung) zum Ausdruck gebracht, das nur auf die Präposition in folgt. Der Grund, warum dem Rechnungsleger eine solche Gunst gewährt wurde, wird nicht genannt. Mithilfe dieser Vergebung konnte nicht nur die geforderte Pacht reduziert werden, sondern jede 155 Gervasius de Cornhella reddit Compotum de firma de Surreia. In thesauro c et xj libras et iiij solidos et iiij denarios. Et In Elemosin’ Constitut’ Militibus de templo j marcam. Et In liberation’ Constitut’ Gunnor’ xxx solidos et v denarios. […], PR 10 Henry II, S. 41, R4 m2d. 156 Z. B. in PR 30 Henry II, S. 90, R7 m1r: Rogerus Kidenot debet v s. et j d. de misericordia. Sed nichil habet. 157 Beispielsweise: […] Et In liberationibus Militis et Servientium et Janitoris et Vigilum Castelli de sancto Brianel […], PR 31 Henry I, S. 76 f. R7 m2r, oder […] Et in liberatione ij vigilum et j portarii de Pech […], PR 30 Henry II, S. 98, R7 m2d. 158 Etwa […] In elemosinis constitutis Monachis de Beco […], PR 31 Henry I, S. 135, R14 m1r, oder […] Et in elemosina constituta militibus de Templo […], unter anderem in PR 30 Henry II, S. 112, R9 m1r. 159 Z. B.: […] Et In Operibus Castelli de Blida […], PR 31 Henry I, S. 36, R3 m2d, oder […] Et pro reficiendo.j molendino ejusdem ville […], PR 30 Henry II, S. 2, R1 m1r. 160 Beispielsweise: Et pro reficiendo .j. molendino ejusdem ville .lx. s. per breve Regis. PR 30 Henry II, S. 2, R1 m1r.

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mögliche Zahlungsforderung. Fast immer wird eine königliche Verfügung genannt, die diese Vergebung autorisiert. Die Phrase lautet also im Ganzen: In perdonis per breve Regis. Darauf folgt stets ein Dativ, der angibt, wem die Zahlungsreduktion gewährt wurde, denn meistens handelt es sich dabei nicht um den Rechnungsleger selbst. So wurde zum Beispiel laut der Pipe Roll aus dem Jahr 1129/30 dem Bischof von Ely, dem Grafen von Mortain, den Mönchen von Bec, dem Kanzler oder William Cumin eine Zahlung erlassen.161 Obwohl in praktischer Konsequenz natürlich der Rechnungsleger selbst weniger einzahlen musste, wird doch deutlich herausgestellt, von wem er weniger beziehungsweise gar nichts einzutreiben hatte. Insbesondere von den Abgaben-Zahlungen wurde zumeist eine ganze Reihe von Menschen ausgenommen. Nach welchem Prinzip dieser königliche Gunsterweis gewährt wurde, lässt sich allerdings nicht nachvollziehen.162 Ob einem Rechnungsleger seine Schuldsumme aufgrund königlicher Verfügung reduziert wurde oder ihm eine im Namen des Königs getätigte Zahlung angerechnet wurde, lässt auf zwei unterschiedliche Beziehungsgefüge zwischen dem König und dem jeweiligen Rechnungsleger schließen. Den Erstgenannten wurde ihre Zahlungspflicht vergeben, ohne dass ihre Gegenleistung deutlich würde. Den anderen Rechnungslegern hingegen wurden, vereinfacht ausgedrückt, Ausgaben für den König auf ihre Pachtsumme angerechnet. Man könnte sie als »Verwalter« des Königs bezeichnen. Es zeichnen sich also zwei verschiedene Gruppen von Beziehungsverhältnissen ab:163 Die »Verwalter« des Königs zogen Abgaben ein und erledigten Aufgaben für den König. Die Gegenleistung für das eingesammelte Geld wurde nicht thematisiert – bei den Abgaben bleibt die Gegenleistung für die Einzahlung ja unklar – , vielleicht weil die Einziehung des Geldes quasi selbstverständlich in den Aufgabenbereich der Verwalter fiel und deshalb auf der Ebene zwischen ihnen und dem König keiner weiteren Begründung bedurfte. Die anderen Untertanen erhielten eine konkrete Gegenleistung für ihre Gaben: Die angeführte Zahlungsbegründung lässt genau ersehen, warum sie diese Zahlung leisteten. Sie führten auch keine Aufgaben für den König aus, weshalb ihre Schulden nur aufgrund königlicher Vergebung erlassen werden konnten. Diese beiden Personenkreise müssen sich allerdings 161 In Perdonis per breve Regis Episcopo de Ely, In Perdonis per breve Regis Comiti Moriton, In Perdonis per breve Regis Monachis de Beco, In Perdonis per breve Regis Cancellario, In Perdonis per breve Regis Wilhelmo Cumino. Alle Beispiele stammen aus der PR 31 Henry I. Solche Erlassungen treten aber in jeder Pipe Roll in großer Häufigkeit auf. 162 So Green, Government, S. 73. Detaillierter zu den Befreiungen von einzelnen Abgaben siehe Mooers, Patronage, hier S. 287 – 303. 163 Die Aufteilung in Verwalter und andere Untertanen lässt sich natürlich nur für die Posten erstellen, in denen eine Zahlungsreduktion stattfindet. Die Verallgemeinerung kann also nur hypothetisch erfolgen.

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nicht notwendigerweise völlig unterscheiden,164 denn nicht selten stammten Sheriffs aus dem Kreis der Großen des Königs.165 Zuletzt bilden die Adversativsätze am Ende eines Postens nicht nur syntaktisch, sondern auch inhaltlich eine eigene Art von Erlassungsbegründungen.166 Den Rechnungsleger hinderte in diesen Fällen etwas an der Zahlung, und die Abhörer sahen sich nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun: Der Schuldner war beispielsweise verstorben,167 er hatte einen Prozess angestrengt, in dem das Urteil aber noch nicht gefällt worden war,168 oder er besaß einfach nichts, bei ihm konnte nichts gefunden werden.169 Insgesamt wurden in den Pipe Rolls ungefähr dreimal so viele Zahlungs- wie Erlassungsgründe aufgeführt.170 Deshalb überrascht es auch nicht, dass letztere mit einer geringeren Zahl unterschiedlicher Lexeme beschrieben werden. Dennoch bildet die Mehrzahl der Lexeme jeweils nicht mehr als ein Prozent der Erlassungsbegründungen. Einen Anteil von mehr als fünf Prozent aller Erlassungsgründe machen in der Pipe Roll aus dem 31. Regierungsjahr Henrys I. und der circa fünfzig Jahre jüngeren Rechnung die Bezeichnung für die Vergebung (perdonum) und für eine Entlohnung (liberatio) aus. Mindestens jeweils ein Prozent der Erlassungsbegründungen stellen zudem fast immer die Almosen (elemosine), vergebene Ländereien (terre date), Bautätigkeiten (operationes) und die Adversativsätze. Sonstiges Beschreibungsvokabular Die fünfte Gruppe wird schließlich gebildet von all den Phrasen und Nebensätzen, die in wenigen Fällen die im Posten genannten Sachverhalte näher erläutern,171 Querverweise zu anderen Posten innerhalb der Pipe Roll herstellen172 164 Beispielsweise rechnet ein Sheriff in PR 31 Henry I auf S. 74, R8 m1r, zunächst über placita, im folgenden Posten über das Dänengeld ab. 165 Siehe Kapitel 3.2.2. 166 Das Aufkommen der Sed-Sätze wird beschrieben in Kapitel 4.1.2. 167 Sed mortuus est, z. B. in PR 31 Henry I, S. 20, R2 m1d oder in PR 30 Henry II, S. 33 R3 m2r. 168 Sed nondum habuit rectum, unter anderem in PR 30 Henry II, S. 131 R10 m1r. 169 Sed nichil habet nec potest inveniri, PR 31 Henry I, S. 19, R2 m2r ; Sed nichil habet, unter anderem in PR 30 Henry II, S. 146, R11 m1r ; Sed non invenitur, PR 30 Henry II, S. 93, R7 m2r. 170 In der PR 31 Henry I wird 492-mal ein Erlassungsgrund genannt und 1.476-mal ein Zahlungsgrund angegeben; in der PR 30 Henry II gibt es 889 Nennungen von Erlassungs- und 2.159 Nennungen von Zahlungsgründen. 171 Dabei wurden hauptsächlich die Zahlungsmodalitäten erläutert. Z. B. war ein Posten längere Zeit offen, da der entsprechende Schuldner sich im königlichen Dienst in Übersee (also auf dem Kontinent) befand: Compotus iste oneratus fuit usque modo propter absentiam predicti Eustacii cum fuit in transmarinis in servitio regis. PR 30 Henry II, S. 128, R9 m2d. 172 Z. B. wurde in PR 30 Henry II einige Male darauf verwiesen, dass bestimmte Schuldposten erst unter einem anderen County abgerechnet würden, etwa: Sed utrumque debitum positum est in Warewicsira. S. 68, R5 m1d.

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oder in jeder anderen Art und Weise zusätzliche Informationen liefern. Diese Gruppe setzt sich aus so disparaten und selten auftretenden Elementen zusammen, dass eine vergleichende Untersuchung nicht möglich ist. Sie bildet deshalb keinen Gegenstand der systematischen Analyse. Nur an wenigen Stellen in dieser Arbeit wird auf Versatzstücke aus dieser Gruppe Bezug genommen, wenn diese helfen können, ein Argument zu untermauern oder einen Sachverhalt zu verstehen. Für die weiteren Analysen erwiesen sich die Abrechnungsvokabeln sowie die Zahlungs- und Erlassungsgründe als die ergiebigsten Untersuchungsobjekte. Herkunft des Wortschatzes Zur Beschreibung der Lexik gehört auch die Angabe, welcher Herkunft der Wortschatz zugewiesen werden kann. Die möglichen Herkunftskategorien, die Hoffmann für die Einteilung eines Fachwortschatzes aufzählt, machen die beschränkte Übertragbarkeit der Fachsprachenforschung auf die Sprachen des Mittelalters und insbesondere auf die Sprache der Pipe Rolls deutlich: Hoffmann unterscheidet Vokabeln, die aus einem Bedeutungs- und Funktionswandel »vorhandenen nationalsprachlichen Wortguts« entstanden sind, von »internationalen Termini« lateinischer und griechischer Provenienz und Lehnwörtern aus anderen Sprachen.173 Mit diesen Kategorien lässt sich schwerlich das Latein der Abhörungen erfassen: National- und Fremdsprache sowie internationale Sprache können hier kaum getrennt werden.174 Unterscheiden kann man jedoch zwischen latinisierten altenglischen und anglo-französischen Lexemen auf der einen Seite und Lexemen, die nicht erst ins Lateinische übertragen werden mussten, auf der anderen Seite. Diese Einteilung beruht auf der Konsultation einschlägiger Wörterbücher. Für eine genaue Analyse müssten die einzelnen Lexeme einer detaillierten semantischen Untersuchung unterzogen werden, wie dies Bruce O’Brien für murdrum getan hat.175 Latinisierte altenglische Wörter finden sich entsprechend nicht nur in einem Wörterbuch des Angelsächsischen, sondern werden auch in Nachschlagewerken für das Mittellateinische nur mit Belegstellen aus England nachgewiesen. Diese Kriterien treffen hauptsächlich auf die räumlichen Einheiten zu, die in den Pipe Rolls genannt werden. So lässt 173 Hoffmann, S. 22. 174 Seit der normannischen Eroberung mischten sich lateinische, englische und französische Elemente in der englischen Verwaltung, siehe für das Rechtssystem Brand, Languages of the Law, und überblicksartiger Keeton. Eine intensive Analyse der Mischung von lateinischen, französischen und englischen Ingredienzien in der Sprache bietet anhand des York Memorandum Books über Handel und Verwaltung im York des 14. und 15. Jahrhunderts Rothwell. Für Rechnungen, die von den Handel- und Gewerbetreibenden des spätmittelalterlichen Englands ausgestellt wurden, kann Wright, Bills, zeigen, dass die Mischung aus englischen und lateinischen Elementen ganz bestimmten Regeln folgte. 175 O’Brien, sein Argument wird unten genauer beschrieben.

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sich für scira (scir, neuenglisch: shire) und hundredum (Hundertschaft, englisch hundred) eine altenglische Vergangenheit nachweisen.176 Auch die räumliche Einheit wapentake findet sich in den Pipe Rolls. So wurden die einem »hundred« entsprechenden Einheiten in den Gebieten Englands genannt, die in vornormannischer Zeit unter dänischem Einfluss gestanden hatten.177 Wenn also Abgaben oder Verwaltungseinheiten aus dem angelsächsischen System übernommen wurden, wurden die entsprechenden Benennungen offensichtlich beibehalten. Ebenfalls aus angelsächsisch-dänischer Zeit stammt die Bezeichnung für den Zahlungsgrund danegeld’, die wohl eine Überformung von gafold oder gyld darstellt, die in angelsächsischer Zeit benutzt wurden, um die Zahlungen an den dänischen König zu benennen.178 Diese Abgabe wurde bis 1162 in unregelmäßigen Abständen weiter erhoben, ihr Name wurde leicht latinisiert, um ihn in die lateinische Rechnungssprache einzufügen. Allerdings wurde dem Substantiv dabei nicht einmal ein Genus zugeteilt: Da die Schreiber die Zahlungsgründe sowieso fast immer abkürzten, beließen sie es bei dem Namen daneg’ oder danegeld’ mit einem Abkürzungszeichen über dem letzten Buchstaben. In dem fiktiven Zwiegespräch über die Vorgänge am Exchequer, das um das Jahr 1180 verfasst wurde, legte sich der Schatzmeister deshalb nicht fest, ob es danegeldum oder danegeldus heißen müsse, und gab beide Möglichkeiten an.179 Mindestens zwei Lexeme der Rechnungssprache können als anglo-normannische Latinisierungen aufgefasst werden. Feoffament und pupresture kommen in französischen Texten vor, die im England zwischen der Eroberung und dem 15. Jahrhundert geschrieben wurden. Ihre Latinisierungen feoffamentum180 und proprestura181 finden sich weder in einem mittellateinischen noch in einem altfranzösischen Wörterbuch, jedoch in den Pipe Rolls aus der Zeit Henrys II. Sie stammen damit aus dem sogenannten insularen Französisch, das insbesondere die Gerichtssprache prägte182 und zur Zeit der angevinischen Könige eine Hochphase erlebte.183 Sowohl altenglische als auch anglo-französische Le-

176 Zu diesen räumlichen Einheiten der Verwaltung und Justiz siehe Jewell, S. 43 respektive S. 47. 177 Ebd., S. 48. 178 Green, Danegeld zitiert den Anglo-Saxon Chronicle in Fußnote 3, S. 241. 179 Dialogus I, 11, S. 101. 180 Wurde jemandem feoffamentum zugesprochen, so konnten er und seine zukünftigen Erben ihr Erbe antreten, ohne dafür bezahlen zu müssen. 181 Wenn ein Land in die Zuständigkeit der königlichen Verwaltung gekommen war, weil es sich zuvor jemand widerrechtlich angeeignet hatte, wurde es als proprestura bezeichnet. 182 So Brand, Language of the English Legal Profession, S. 97 – 100. 183 Laut O’Brien, S. 357, übten die Angevinen einen wesentlich anhaltenderen Einfluss als die Normannen auf die Durchsetzung des Französischen in England aus.

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xeme konnten also in latinisierter Form in den Pipe Rolls auftreten. Mit David Trotter könnte man deshalb von einem »stuffed latin« sprechen.184 Die Lexeme, die nicht erst latinisiert werden mussten, waren entweder seit der Antike bekannt oder spezifisch mittellateinischer Herkunft. Alle diese Lexeme können auch außerhalb Englands nachgewiesen werden. Mit sozusagen traditionellen lateinischen Vokabeln wurde vor allem der Abrechnungsprozess beschrieben: Wie oben dargelegt, bildeten reddere, debere, thesaurus und quietus die grundlegenden Bestandteile der Abrechnungsphrasen. Dabei hat thesaurus natürlich einen griechischen Ursprung, das lateinische Lehnwort stammt aber bereits aus klassischer Zeit. Nahezu alle Verben lassen sich dem traditionellen lateinischen Vokabular zuordnen: Neben reddere, debere und esse, die zusammen die Abrechnungsphrasen konstituieren, wurden die Verben habere und tenere besonders häufig verwendet. Auch zahlreiche Zahlungs- und Erlassungsgründe können in jedem lateinischen Wörterbuch gefunden werden, etwa die sehr häufigen Zahlungsgründe terra oder placitum oder der Erlassungsgrund liberatio. Die meisten dieser Lexeme hatten im Vergleich zum klassischen Latein ihre Bedeutung gewandelt. Zum Beispiel zeigt das Verb reddere, das stets in Kombination mit Compotum die Tätigkeit des Rechnungslegens bezeichnet, nur noch eine entferntere Verwandtschaft mit der Grundbedeutung »zurücklegen«. Auch für liberatio kann zwischen »Befreiung« und »Bezahlung« zwar ein gewisser Zusammenhang gesehen werden, die Bedeutung des Lexems in den Pipe Rolls erschließt sich jedoch nicht unmittelbar aus der klassischen lateinischen Übersetzung. Das zugehörige Verb liberare findet sich ebenfalls im antiken lateinischen Wortschatz, erhielt jedoch in den Rechnungen eine ganz besondere Bedeutung als das Verb, das eine Einzahlung markierte. Für eine genauere Analyse müsste im Einzelfall geprüft werden, wann und in welchem Zusammenhang die Bedeutungsnuance entstand, die zum Kontext einer Rechnungsprüfung passte. Die Lexeme jedoch, die Sachverhalte lediglich näher erläutern, weisen auf den ersten Blick keine neue Bedeutungsnuance auf, so zum Beispiel die Verwandtschaftsbezeichnungen wie uxor oder filius zur näheren Beschreibung der in einem Posten genannten Personen.185 Die mittellateinischen Termini traten vor oder nach der Eroberung auch außerhalb Englands auf: So existieren beispielsweise für corredium (Beherbergung und deren Kosten) oder plegium (Bürge, Pfand) Belegstellen bereits in karolingischen Quellen. Hingegen werden escaeta (Heimfall) oder murdrum (Mordstrafe) erst in englischen Dokumenten greifbar, bevor sie auch auf dem 184 Trotter, hier v. a. S. 156 f. 185 Aus den Rechnungen lässt sich zumindest nicht erschließen, welche konkreten Vorstellungen von Ehefrauen oder Söhnen diese Benennungen evozierten. Auf jeden Fall kann das entsprechende Lexem aber zunächst mit Ehefrau oder Sohn übersetzt werden, ohne den Posteninhalt zu verfremden.

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Kontinent nachgewiesen werden können. Wie gerade angedeutet, führt die Studie von O’Brien zur Herkunft des Wortes murdrum vor Augen, dass Einteilungen wie die hier vorgenommene immer nur vorläufig sein können und erst eine detaillierte Analyse Schlussfolgerungen über den wechselseitigen Einfluss von angelsächsischen, normannischen und angevinischen Elementen auf die englische Verwaltung erlaubt.186 Der knappe Überblick, der hier vorgenommen wurde, sollte nicht zu einer vergleichbaren Thesenbildung anregen. Legitim erscheint mir lediglich, von der altenglischen Wurzel eines Wortes auf die Existenz einer zumindest ähnlichen Erscheinung zu angelsächsischer Zeit zu schließen, also davon auszugehen, dass die räumlichen Einheiten scir und hundred in angelsächsischer Zeit ähnlich ausgestaltet waren wie später scira und hundredum in der normannischen oder angevinischen Verwaltung. Mittellateinische Termini, die auch in lateinischen Texten des Kontinents nachgewiesen werden können, sollten jedoch nicht unbedingt zu einem normannischen Import stilisiert werden: Sie konnten schon vor 1066 nach England gelangt sein, wie etwa corredium (Beherbergung und deren Kosten), das schon in der Rechtssammlung des Aethelred vorkam. Wie schon erwähnt, traten manche Lexeme, wie eben murdrum oder escaeta (Heimfall), zuerst in England, später erst auf dem Kontinent auf. Die Lexik kann nur bei genauer Untersuchung Hinweise auf das Zusammenspiel von angelsächsischem, normannischem und angevinischem Einfluss auf die englische Verwaltung geben. Ich verzichte auf eine eingehendere Analyse, da diese Thematik für das weitere Vorgehen keine besondere

186 Murdrum wurde in der Forschung laut O’Brien zunächst für eine Erfindung Williams I. gehalten, der daneben eine altenglische Lehnform in Umlauf gebracht habe, um sich als wahrer englischer König zu inszenieren. Das altenglische mord oder morÅor kann aber bereits im 9./10. Jahrhundert nachgewiesen werden. Im 12. Jahrhundert besaß das Lexem die Konnotation eines Totschlags, auf den eine Flucht folgte. Im Altfranzösischen existierte ein ganz ähnliches Wort, mordre, das allerdings eine etwas andere Bedeutungsnuance aufwies: Es bezeichnete eine geheime Tötung. Mit der normannischen Eroberung wurde das altenglische mord oder morÅor nun zunächst latinisiert, um z. B. in den Pipe Rolls notiert werden zu können. In den beiden Traktaten des 12. Jahrhunderts, die sich mit der Verwaltung und dem Rechtssystem befassen, wird diese latinisierte Fassung nun nicht mit der Nuance des altenglischen mord/morÅor, sondern mit der Konnotation des altfranzösischen mordre belegt: Richard of Ely und Ranulf of Glanvill definierten murdrum als eine geheime Tötung. Sie importierten also die Bedeutung des französischen mordre in das altenglische Wort morÅor, das wiederum hinter dem lateinischen murdrum stand. Das Mittelenglische zeigte sich davon unbeeinflusst, hier trat morÅor weiterhin mit der Bedeutung eines Totschlags mit anschließender Flucht auf. O’Brien schlussfolgert, dass die Institution des murdrum nicht als Zeichen für gegenseitigen Hass zwischen Normannen und Engländern zu interpretieren sei, sondern als Ausweis des Respekts Williams I. für traditionelle englische Einrichtungen. Mit der Durchsetzung von murdrum habe sich William I. als guter englischer Herrscher inszeniert.

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Relevanz besitzt:187 Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie aus der Fachsprache des 12. Jahrhunderts eine Organisation entstehen konnte; nicht welcher Herkunft die Einzelteile dieser Sprache waren. Die vorliegende Studie stößt sich deshalb nicht daran, dass sich die Herkunft dieser Sprache nur als Vielfalt ihrer Merkmale bestimmen lässt und die Suche nach der sprachlichen Identität gerade in der Auflösung einer festen Zuweisungstradition endet. Die sprachliche Zusammensetzung der Rechnungssprache verweist damit eher auf einen Maskenball der Identitäten188 denn auf einen traditionsbildenden Ursprung.189 Zur Klärung des Kontextes bleibt festzuhalten, dass die Sprache der Rechnung eine Mischung aus latinisierten altenglischen, insular-französischen, westeuropäisch mittellateinischen und neu nuancierten klassisch-lateinischen Elementen darstellte.190

187 Zur Frage nach den angelsächsischen und normannischen Elementen der englischen Verwaltung siehe Kapitel 1.1. 188 Diese Suche nach der vielfältigen Identität, die verschiedene Wurzeln freilegt statt sie zwanghaft zu vereinheitlichen, bildet laut Foucault einen wichtigen Bestandteil einer genealogischen Vorgehensweise. Die Genealogen sollten verschiedene Identitäten aufzeigen und nicht Traditionen konstruieren, die es in der angenommenen Linearität doch nie gegeben habe: Foucault, Nietzsche, S. 151 und S. 167 – 170. 189 Der kurze Überblick über die Herkunft des Wortschatzes steht deshalb auch an dieser Stelle als Teil der Einführung in den Kontext, nicht im Analyseteil zur Beantwortung der Frage nach der Fachsprachlichkeit der Rechnungssprache. 190 Den Abschluss der kumulativen Textanalyse bildet die Beschreibung der grammatischen Kategorien, die aber für die Sprache der Pipe Rolls keine interessanten Beobachtungen erbringt und deshalb hier weggelassen wird.

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3.1. Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache Die Satiriker des 12. Jahrhunderts wären sich mit den Bürokratiekritikern unserer Zeit einig darüber, dass in einer Verwaltung hauptsächlich Esel arbeiten. Nigel of Canterbury verfasste einen Narrenspiegel (Speculum Stultorum), in dem der Irrweg eines Esels geschildert wird, der einen längeren Schwanz haben möchte.1 Dieser Esel steht zwar im Dienst des Königs, ist aber so von seiner eigenen Wichtigkeit überzeugt, dass er damit angibt, der König würde ihm Platz machen, wenn sie sich begegneten.2 Auf der Suche nach einem längeren Schwanz stellt sich der Esel so dumm an wie nur möglich, lässt sich immer obskurere Kuren verkaufen und blamiert sich, wo immer er hinkommt. Sein obskures Wissen hilft ihm nirgendwo weiter. Noch deutlicher richtet sich Nigels Kritik im Traktat Contra Curiales et Officiales Clericos3 gegen die königlichen Verwalter. Am Exchequer, so ätzt er, kümmere man sich um den Erlös von Geld, nicht um das Heil der Seelen, also nur darum, dass Geld in die Kasse gelange, nicht darum, die Seelen der Sünder vom Teufel zu befreien.4 Nigel of Canterbury stand administrativen Tätigkeiten jedoch selbst keineswegs fern: Er arbeitete in der

1 Das Speculum Stultorum wurde ediert in The Anglo-Latin Satirical Poets, S. 3 – 145. Eine deutsche Übersetzung bietet Langosch. 2 Indiget officio curia tota mea. Obvius ipse mihi si rex quandoque feratur, cedit, et incedo rege ferente locum. The Anglo-Latin Satirical Poets, S. 39. 3 Er wurde ediert in The Anglo-Latin Satirical Poets, S. 146 – 230. 4 The Anglo-Latin Satirical Poets, S. 202 f.: Numquid divinum est negotium sedere ad Regis scaccarium et ibi audire computationes et confabulationes a prima luce in vesperum? Numquid hoc expectat ad plenitudinem pontificalis officii, et sine his non posset coena duci? Ibi agitur de solutione nummorum, non de salute animarum, de pecuniis aerario inferendis, non de peccatorum animabus a diabolo eruendis. Anschließend greift er Richard auf Ely an, den Autor des Dialogus: Ecclesiae cui ordinatus es episcopus vix per unum aut duos dies in anno, et tunc forte magis coactus quam spontaneus, solvis debitum pensum, et ad scaccarium non taedet, immo dulce est, dimidiare annum. In ähnlichem Stil setzt Nigellus seine Kritik noch einige Seiten fort.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

Verwaltung des Bischofs William of Ely.5 Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass er im Anschluss den Weg in die königliche Verwaltung gegangen wäre. In Nigels Kritik manifestieren sich eventuell vor allem enttäuschte Hoffnungen über einen nicht erfolgten weiteren Aufstieg. Damit gibt Nigel of Canterbury ein Zeugnis der frustrierenden Wirkung, die das spezielle Gebaren und das krude Spezialwissen der königlichen Verwalter entfalteten:6 Andere Menschen fühlten sich von ihrem Zirkel ausgeschlossen. Diese ausgrenzende Wirkung konnte insbesondere durch eine spezielle Sprache erzielt werden, die keiner verstand, der sich außerhalb des Kreises befand. Will man sich für die These, dass die Sprache der Pipe Roll abgrenzend wirkte, nicht nur auf die indirekte Evidenz in Nigel of Canterburys Werken verlassen, so muss man überprüfen, ob es sich bei der Rechnungssprache um eine Fachsprache handelte. Dass nicht nur die Verwaltungssprache, sondern auch jegliche andere Art von Fachsprache eine abgrenzende Wirkung ausübt, zählt nämlich bis heute zu den unwidersprochenen Hauptthesen der Fachsprachenforschung.7 Wenn die Sprache der Pipe Rolls als Fachsprache charakterisiert werden kann, steht ihre Abgrenzungswirkung demnach außer Frage. Diese Bedingung wird im ersten Teil des folgenden Kapitels geklärt. Dabei soll zugleich bestimmt werden, welche spezifische Art einer Fachsprache die Rechnungssprache darstellte. Die abgrenzende Kraft einer Fachsprache wird in der Forschung zwar beobachtet, aber nicht erklärt. Häufig wird die Existenz von Fachsprachen mit der Arbeitsteilung in der differenzierten Industriegesellschaft begründet.8 Fachsprachen erscheinen so als Produkt der neuzeitlichen Arbeitsteilung. Zugleich wird allerdings anerkannt, dass sich Fachsprachen in jeder Form menschlichen Zusammenlebens herausbildeten und einen Beitrag dazu leisteten, eine Gesellschaft zu gliedern,9 mithin nicht nur als Folge, sondern auch als Triebkraft der Ausdifferenzierung angesehen werden können. Der zweite Teil dieses Kapitels widmet sich deshalb der Frage, wie genau die Abgrenzungswirkung im hier untersuchten Fall zustande kam, und kommt zu dem Schluss, dass insbesondere 5 So beschreibt Wright, Introduction, S. xx, seinen Werdegang. 6 Allerdings wurden die königlichen Bediensteten nicht nur wegen ihres Spezialwissens kritisiert. Vor allem wurde ihnen Gier unterstellt, siehe Mooers Christelow, Chancellors, S. 68. 7 Der Begriff »Fach« habe seinen etymologischen Ursprung in der Umgebung des Wortfelds von Zaun, Umzäunen etc., so Kalverkämper, Fach, hier S. 4. Der Ausdruck »Fach« sei somit aus der anthropologischen Grunderfahrung der Abgrenzung einzelner Gruppen von Menschen entstanden. In dem zugehörigen Handbuch geht fast jeder Artikel auf die Abgrenzungswirkung der jeweils behandelten Fachsprache ein. 8 So z. B. bei Baumann, S. 109 f. oder Becker u. Hundt, S. 126. 9 Roelcke, S. 162, legt dar, dass die Entstehung von Fachsprachen »in vorgeschichtlicher Zeit etwa im Rahmen der Beschaffung von Nahrungsmitteln oder der Herstellung von Werkzeugen« vonstattengegangen sei. Ein spezifischer »Gegenstandsbereich der Sprache«, also ein Fach, bestimme nicht nur die darin gesprochene Sprache, sondern werde auch erst »durch die funktional spezifizierte Kommunikation in diesem Bereich konstituiert.« Ebd., S. 20.

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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die Art der Ausbildung dazu beitrug, den Zugang zum Kreis der an der Abhörung beteiligten Menschen zu begrenzen.

3.1.1. Vorgehen bei der Analyse auf Fachlichkeit Die Analyse der Sprache mittelalterlicher Verwaltungen ordnet sich bisher nicht der Fachsprachenforschung zu, sondern geschieht im Rahmen der Erforschung der sogenannten pragmatischen Schriftlichkeit. Die Studien zur pragmatischen Schriftlichkeit, wie sie insbesondere im Münsteraner Sonderforschungsbereich entstanden, weisen aber zwei Nachteile gegenüber der Fachsprachenforschung auf: Erstens werden Schriftstücke dichotom in pragmatische und nicht-pragmatische Erzeugnisse eingeteilt. Die Fachsprachenforschung ermöglicht es dagegen, differenzierte Abstufungen von Fachlichkeitsniveaus sowohl verschiedener Dokumente als auch innerhalb eines einzelnen Dokuments vorzunehmen. Zweitens geht die Beurteilung eines Schriftstücks als »pragmatisch« nicht von seinen sprachlichen Charakteristika aus, sondern von seinem Verwendungszweck, der leicht tautologisch formuliert ein pragmatischer sein sollte.10 Die Definition von »pragmatisch« als »zweckhaftem Handeln« dienend oder »menschliches Tun« anleitend11 umgeht diese Tautologie lediglich rhetorisch: Welches Handeln kann schon nicht als zweckhaft interpretiert werden? Beispielsweise erfüllt eine Vita wohl ihren Zweck, wenn sie die Heiligkeit des Lebens eines Menschen überzeugend darstellt. Solche Formen der Literalität stehen aber nicht im Fokus der Forschungen zur pragmatischen Schriftlichkeit. Vielmehr beschäftigen sie sich hauptsächlich mit Geschäftsschriftgut. Schriftproduktionen werden also ihrem Verwendungszweck nach zur Gruppe der pragmatischen oder nicht-pragmatischen Texte geschlagen, wobei dieser Verwendungszweck nur implizit festgelegt wird. Die Fachsprachenforschung hingegen stützt ihre Klassifikationen auf die Analyse sprachlicher Charakteristika und ermöglicht es damit, über den Verwendungszweck eines Dokuments oder die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten verschiedener Teile eines Schriftstücks nachzudenken, da sie nicht bereits als gegeben angesehen werden müssen. Auf diese Weise lassen sich die verschiedenen Rationalitäten unterschiedlicher Schriftproduktionen unterscheiden. So entfällt die Notwendigkeit, die

10 Siehe etwa Keller, Entwicklung, S. 193: Die frühmittelalterliche Kultur habe keine pragmatische Schriftlichkeit aufgewiesen, da Schrift nicht zum praktischen Lebensvollzug eingesetzt worden sei. 11 Diese Definition innerhalb des Sonderforschungsbereichs nennt z. B. Keller, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 1.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

Erscheinungsform heutiger Vorstellungen, was als rational und pragmatisch zu gelten habe, im Mittelalter zu suchen.12 Deshalb werden die Pipe Rolls nicht einfach als pragmatische Schriftstücke bezeichnet. Stattdessen wird untersucht, ob ihre Sprache als Fachsprache charakterisiert werden kann und auf welchem Fachlichkeitsniveau sie sich befindet. Bei der Frage, wann eine Sprache als Fachsprache gelten kann, bewegt sich auch die Fachsprachenforschung bisweilen in Tautologien: Fachsprache wird als Sprache eines bestimmten Faches definiert.13 Solche Bestimmungen verschieben das Definitionsproblem nur auf die Abgrenzung eines solchen Faches. Daneben bietet die Fachsprachenforschung aber auch noch einen zielführenderen Weg, der in der Abgrenzung der Fachsprachen als einer Sorte von Teilsprachen von anderen Arten von Teilsprachen besteht. Den Ausgangspunkt bildet die Verabschiedung von einer Idee einer Gemeinsprache im Sinne einer Sprache, die alle Mitglieder einer Gesellschaft verstehen. Eine solche Gemeinsprache erwies sich als vages, undefinierbares Konzept, das deshalb in der Fachsprachenforschung nicht mehr verwendet wird.14 Unter Gemeinsprache wird stattdessen die Gemeinschaft aller möglichen Sprachen einer Gesellschaft verstanden. Die Gemeinsprache setzt sich demnach aus verschiedenen Teilsprachen zusammen, unter denen sich auch die Fachsprachen befinden.15 Diese Teilsprachen kann man etwas trennschärfer auch als Varietäten bezeichnen.16 Die Unterscheidung und Identifikation verschiedener Teilbereiche der Gemeinsprache führt bei jedem Forscher zu etwas unterschiedlichen Ergebnissen. Das verweist auf ein grundsätzliches Charakteristikum der Fachsprachenforschung: Viele Autoren geben Systematisierungsvorschläge nicht nur für die Kontexteinbettung, sondern auch für die Kriterien, was eine Fachsprache sei, für die Gliederung der Fachsprachen untereinander oder für die Benennung der

12 Der Fokus des Sonderforschungsbereichs erweiterte sich im Laufe der Zeit vom Geschäftsschriftgut auf die generellen Leistungen der Literalität im Mittelalter, siehe z. B. den Sammelband von Keller u. a. Auch hier erfolgt aber die Beurteilung hauptsächlich danach, welchen Beitrag die Literalität zur Verbreitung von Rationalität geleistet habe, wobei auch die Rationalität nicht definiert wird. So beschreibt etwa Meier als eine der Errungenschaften der Schriftlichkeit, sie würde auf Rationalität drängen, Meier, S. 5. 13 So etwa in Hoffmanns vielzitierter Definition: Fachlichkeit sei »die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten.« Hoffmann, S. 53. Kretzenbacher, S. 133, und Roelcke, S. 17, machen bereits auf die Problematik dieser Zirkeldefinitionen aufmerksam. 14 Becker u. Hundt, S. 121. 15 Hoffmann, S. 49. 16 So bei Becker u. Hundt, S. 120. Eine bestimmte Varietät besteht demgemäß aus einer Menge von Varianten, die in Bezug auf ihre Variablen fixiert sind.

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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einzelnen Teilsprachen.17 Meistens differieren die entsprechenden Einteilungssysteme nur in geringem Maße, dennoch setzt sich nicht eine der Systematiken in dem Sinne durch, dass sie von mehr Forschern als ihrem Erfinder genutzt würde. Offenbar wird ein großer Systematisierungsbedarf in der Fachsprachenforschung gesehen, der aber noch keine allgemein anerkannten Kategorisierungen hervorgebracht hat.18 Deshalb konnte ich nicht einfach die in der Forschung gängigste Variante möglicher Unterscheidungssysteme auswählen und habe stattdessen jeweils das Modell herangezogen, das am wenigsten durch die Moderne als das hauptsächliche Beschäftigungsfeld der Fachsprachenforschung geprägt ist und deshalb seine Variablen möglichst unspezifisch definiert. Für die Einteilung in verschiedene Varietäten bietet sich eine Gliederung je nach der Einheit an, die die Besonderheit der Sprache bestimmt:19 Unterscheidet sich eine Sprache von anderen, weil sie in einem bestimmten geographischen Raum gesprochen wird, handelt es sich um einen Dialekt. Bestimmt die gesellschaftliche Schicht die Eigenarten der Sprache, kann sie als Soziolekt bezeichnet werden. Ebenfalls sozial determiniert, aber in einer kleineren Gruppe beheimatet ist die Gruppensprache oder der Jargon. In verschiedenen Zeitstufen befindet sich eine Sprache in verschiedenen Stadien. Je nach Sprechsituation können unterschiedliche Register einer Sprache gezogen werden. In verschiedenen Sachgebieten werden unterschiedliche Subsprachen verwendet. Differiert eine Sprache aufgrund ihrer spezifischen Funktion, wird sie als Funktiolekt bezeichnet. Die Fachsprachen werden von Becker/Hundt und Kalverkämper in diese letzte Gruppe einsortiert: Ihre Besonderheiten sind darauf zurückzuführen, dass sie eine spezifische Funktion erfüllen. Die Fachsprachen selbst können wiederum auf verschiedene Niveaustufen verteilt werden. Dieses Schichtungsmodell gilt zwar teilweise als veraltet,20 kann für eine erste Binnendifferenzierung des breiten Bereichs der Fachsprachen jedoch wertvolle Dienste leisten. Darauf komme ich am Ende der Analyse zurück, um die Sprache der Pipe Rolls auf einem Niveau einzuordnen. Zuvor muss jedoch gezeigt werden, dass es sich bei der Rechnungssprache überhaupt um eine Fachsprache und keine andere Art von Varietät handelt. Dazu wähle ich eine Vorgehensweise, die sich an einem systemlinguistischen 17 Auf die verschiedenen Vorschläge gehe ich im Laufe des Kapitels ein, wenn ich ihre Einteilungsideen bei der Untersuchung der Rechnungssprache verwende. 18 Roelcke, S. 7, bezeichnet die Fachsprachenforschung deshalb als »ausgesprochen ungeordnetes Gebiet«. Den Bedarf nach einer kohärenten Theorie der Fachsprachenforschung mahnen Becker u. Hundt an, S. 118. In ihrem Beitrag unternehmen sie einen Versuch in diese Richtung. 19 Die folgenden Ausführungen kombinieren die Aufzählungen von Becker u. Hundt, S. 119 f. und Kalverkämper, Rahmenbedingungen S. 34. 20 Kretzenbacher, S. 133.

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Inventarmodell orientiert. Dieses Modell fokussiert auf das sprachliche System, sein lexikalisches Inventar und seine syntaktischen Regeln.21 Die Fachsprachenforschung hat zwar in empirischen Studien untersucht, welche Grapheme, Phoneme, Morpheme, grammatischen Kategorien, Lexeme, Syntagmen, Phrasen, Sätze und Textbaupläne in fachsprachlichen Texten bevorzugt verwendet werden, jedoch beziehen sich die daraus entstandenen Kriterienkataloge auf aktuelle Fachsprachen.22 Schon zwischen den heutigen deutschen, russischen, französischen und englischen fachsprachlichen Texten differieren die entsprechenden Ergebnisse enorm.23 Auf die Sprache der Pipe Rolls können die Ergebnisse auf keinen Fall übertragen werden. Ebenso müsste der Versuch als anachronistisch bezeichnet werden, die Rechnungssprache auf die Charakteristika zu prüfen, die für die Verwaltungssprache der Gegenwart zusammengestellt wurden.24 Die Pipe Rolls können also nicht auf einzelne grammatische oder syntaktische Phänomene hin geprüft werden. Jedoch kann man den sprachlichen Wirkungen, die diese Phänomene ausüben, auch in den Pipe Rolls nachforschen. Abstrahiert von den konkreten sprachlichen Mitteln ergeben sich drei Kategorien:25 Erstens wird in fachsprachlichen Texten der Wortschatz spezialisiert. Das erste Kriterium für Fachsprachlichkeit bildet deshalb das Vorkommen von Fachtermini. Zweitens wird der Satzbau vereinfacht. Als besonders einfach erweist sich ein Satzbau, wenn er immer wiederholt wird. Daher liegt in der Standardisierung das zweite Kriterium für Fachsprachlichkeit. Da die Sprache der Rechnungen in dieser Arbeit auch die Anordnung auf der Seite und die Abkürzungen umfasst, werden auch diese Aspekte der Sprache auf ihren Standardisierungsgrad untersucht. Drittens zeichnet sich Fachsprache durch eine sparsame Anwendung von Stilmitteln aus. Dieses Charakteristikum lässt sich als Kürze bezeichnen, da auf alles schmückende Beiwerk verzichtet wird. 21 Roelcke, S. 17. Als alternative Modelle nennt er das pragmalinguistische Kontextmodell sowie das kognitionslinguistische Funktionsmodell. Ersteres interpretiert eine Fachsprache ausgehend von ihrem Kontext, letzteres bezieht vor allem die menschliche Kognition ein, die eine Fachsprache prägt. Beide Modelle gehen also von außersprachlichen Merkmalen aus und interpretieren die Fachsprache auf dieser Grundlage, S. 21 – 31. Im Falle der englischen Rechnungen stehen weder genug Informationen über den Kontext noch gar über die kognitiven Grundlagen der Rechnungsschreiber zur Verfügung, um eine Interpretation der Fachsprachlichkeit auf diesen Faktoren aufzubauen. Deshalb begnüge ich mich mit der traditionellen Variante der Fachsprachenanalyse. 22 Siehe z. B. Kalverkämper, Rahmenbedingungen, S. 36. 23 Ein willkürliches Beispiel: Während neue Fachwörter im Deutschen meistens durch Komposition gebildet werden, arbeitet das Englische eher mit mehreren Substantiven, wohingegen das Französische Attribute verwendet. Hoffmann, S. 122. 24 So etwa bei Wagner. 25 Diese Charakteristika wurden im Rahmen von Übersetzungen von Fachsprachen deutlich, siehe Hoffmann, S. 46.

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Mithilfe dieser Kriterien lassen sich die sprachlichen Mittel erfassen, mit denen Wissen transportiert wird. Dabei sollen unter Sprache nicht nur die einzelnen Lexeme und ihre Bedeutung verstanden werden, sondern auch die Formulierungen, die Anordnung der Schrift auf der Seite und die Abkürzungen in den Fokus genommen werden. Wenn in den Pipe Rolls solche sprachlichen Mittel gefunden werden, die auf die Verwendung von Fachtermini, auf Standardisierung und Kürze hinweisen, so kann man darauf schließen, dass zu ihrer Abfassung ein gewisses Spezialwissen vonnöten war. Diese drei Komponenten einer Sprache implizieren nämlich die Fähigkeit ihrer Nutzer, Informationen zu entschlüsseln: Die Fachleute konstituierten sich durch das Wissen, was spezifische Termini bedeuteten. Standardisierte Formulierungen erforderten beträchtliches Wissen, um als Schreiber den konkreten Sachverhalt in eine bestimmte Formel gießen zu können und umgekehrt als Leser aus den gleichförmigen Phrasen auf den konkreten Sachverhalt rückschließen zu können.26 Die Schreiber benötigten einen Überblick und Kenntnisse über die Details der Abrechnung, wenn sie Sachverhalte möglichst kurz formulieren wollten. Die Art der Fachsprache wird demnach anhand eines Analyserasters untersucht, das von drei Kriterien gebildet wird, nämlich den Fachtermini, der Standardisierung und der Kürze. Diese drei Charakteristika sind also nicht als Antwort auf die Frage nach der Art der Sprache der Rechnungen zu verstehen, sondern als Analyseeinheiten, deren Ausprägung in ihrer Intensität und Funktionsweise für die Rechnungen untersucht wird. Auch die in diesem Abschnitt zitierten Beispiele stammen hauptsächlich aus der ältesten und der jüngsten Rechnung des Untersuchungszeitraums, also aus den Rechnungsjahren 1129/30 und 1183/84. Es gilt aber weiterhin, dass keine Charakteristika angeführt werden, die auf eine der Pipe Rolls des Untersuchungszeitraums nicht zutreffen. Um eine gewisse Reliabilität zu gewährleisten, greife ich bei den Beispielen, soweit möglich, auf Lexeme zurück, die mindestens ein Prozent aller Zahlungs- oder Erlassungsbegründungen in einer dieser beiden Rechnungen ausmachen.27 Das Abrechnungsvokabular setzt sich aus einer sehr kleinen Anzahl von Lexemen zusammen, die deshalb fast alle mindestens ein Prozent zu dieser Gruppe beitragen.28

26 Dies beobachtet auch Tabuteau, S. 12. 27 Von den 108 verschiedenen Zahlungsbegründungen in der PR 31 Henry I weisen 17 eine Häufigkeit von mindestens einem Prozent auf, 16 der 39 Erlassungsgründe machen mindestens ein Prozent der Erlassungsbegründungen aus. In der PR 30 Henry II bilden 25 von 210 Zahlungsbegründungen und 19 von 110 Erlassungsbegründungen mindestens ein Prozent in dieser Kategorie. 28 Lediglich der Ausdruck für einen Zahlungsüberschuss (superplus) macht weniger als ein Prozent des Abrechnungsvokabulars aus.

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3.1.2. Die Analyse auf Fachlichkeit 3.1.2.1. Kriterium (1): Fachtermini Das erste Kriterium, die Fachtermini, bildete bis in die 1980er Jahre hinein das einzige Betätigungsfeld der Fachsprachenforschung; sie begriff sich geradezu als Terminologie.29 Wer Fachtermini ohne weitere Erklärungen gebraucht, so die Grundannahme, setzt Vor- und Kontextwissen bei seinem Rezipienten voraus. Gemeinsames Wissen einer Gruppe kulminiere in Fachtermini.30 Die Definition, was denn ein Fachterminus genau sei, erweist sich jedoch bisweilen als ähnlich tautologisch wie die Bestimmung eines Faches:31 An die Aussage, ein Terminus benenne einen wissenschaftlichen oder technischen Begriff, schließt sich nur die Nachfrage an, was denn dann ein wissenschaftlicher oder technischer Begriff sei. Genauere Anforderungen an einen Terminus beschreibt Hoffmann:32 Die Gütemerkmale eines Terminus bestünden in seiner Fachbezogenheit, Begrifflichkeit, Exaktheit, Eindeutigkeit, Eineindeutigkeit, Selbstdeutigkeit und Knappheit. Diese Idealvorstellungen würden aber nicht immer erfüllt. Sie können hier als Raster dienen, um zu untersuchen, welche dieser Bedingungen in der Rechnungssprache von welchen Worten erfüllt werden und welche nicht, welche Art von Fachtermini sich also in der Rechnungssprache finden lässt. Das erste Kriterium, die Fachbezogenheit, wird erfüllt, wenn eine Subsprache Spezialausdrücke verwendet. Eine spezielle Terminologie im engeren Sinne weist die Rechnungssprache nicht auf: Die Schreiber der Pipe Rolls erfanden keine Kunstwörter, deren Einsatzgebiet auf die Abhörungen beschränkt blieb.33 Keines der Lexeme, aus denen sich die Rechnungssprache zusammensetzt, kann nicht auch in anderen Dokumenten gefunden werden. Sie nehmen in den Pipe Rolls jedoch eine abrechnungsspezifische Bedeutungsnuance an. Die Abrechnungsvokabeln treten fast ausschließlich in dieser Bedeutungsschattierung auf: Beispielsweise bezeichnet quietus immer einen schuldenfreien Rechnungsleger, nie irgendetwas anderweitig Ruhiges, breve meint immer eine Verfügung, kein allgemeineres Schreiben, reddere markiert keinen Akt des Zurückgebens, sondern zusammen mit Compotum den Vorgang der Rechnungslegung. Die Lexeme, die Zahlungs- und Erlassungsbegründungen beschreiben, zeigen hingegen mehrere Nuancen: So kann placitum nicht nur eine Zahlung meinen, sondern

29 30 31 32 33

Siehe dazu Kalverkämper, Fachsprache, hier S. 48. Siehe auch Möhn, Gruppensprache, S. 155 f. Darauf weist Hoffmann hin, S. 160. Hoffmann, S. 163 f. Diese Definition einer Terminologie stammt von Schlink-Arnold u. Ronellenfitsch, S. 70. Die Fachwörter der Verwaltung seien aus der juristischen und der »Alltagssprache« entlehnt und deshalb nicht als Terminologie zu bezeichnen.

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auch allgemeiner den Prozess, aus dem diese Verpflichtung resultierte. Ebenso zeigt terra nicht nur die rechnungsspezifische Bedeutungsschattierung einer Abgabe, sondern bezeichnet auch ganz unspezifisch ein Stück Land.34 Die Abrechnungsvokabeln weisen damit einen höheren Grad an Fachbezogenheit auf als die Zahlungs- und Erlassungsbegründungen. Als zweites Kriterium für einen Terminus führt Hoffmann die Begrifflichkeit an: Ein Terminus sei ein sprachliches Zeichen für einen Begriff. Die komplizierte Frage, was ein Begriff sei,35 möchte ich zum Zwecke der Anwendbarkeit auf die einfache Negativdefinition herunterbrechen, dass ihr semantischer Gehalt nicht in anderer Form ausgedrückt werden kann, etwa durch ein Synonym oder einen erklärenden Nebensatz. Solche begrifflichen Fachausdrücke enthalten eine komplexe Definition des bezeichneten Sachverhalts. Ein Beispiel aus der heutigen Fachsprache der Rechtswissenschaft bildet etwa das Lexem »Mord«: Die Aussage, jemand sei ermordet worden, kann nicht einfach durch die Angabe ersetzt werden, jemand sei vorsätzlich getötet worden, da die Nutzung des Lexems »Mord« impliziert, dass die Tat aus bestimmten Beweggründen oder auf eine spezielle Art und Weise verübt wurde. Auch für eine genaue Definition, was sich hinter der Bezeichnung »Mehrwertsteuer« verbirgt, ist finanzwissenschaftliches Wissen erforderlich. Anders gesagt: Um zu verstehen, was ein Fachbegriff bedeutet, kann man nicht einfach in einer Vokabelliste nachsehen. Das richtige Verständnis seiner Bedeutung setzt voraus, dass man auch das zugehörige System von Parallel- und Gegenbegriffen, also den Bezugsrahmen kennt, um den entsprechenden Begriff korrekt darin zu verorten. Entsprechend lassen sich begriffliche Fachwörter auch nicht problemlos in andere Sprachen übersetzen. Um etwa zu wissen, ob man das deutsche Wort »Mord« im Englischen korrekterweise mit »murder«, »assassination« oder »homicide« wiedergeben müsste, muss man sowohl das deutsche als auch das englische Strafrecht im Ansatz beherrschen. Auch das englische Steuersystem muss man kennen, um zu wissen, ob man den Ausdruck »Mehrwertsteuer« mit »value added tax«, »sales tax« oder »goods and service tax« übersetzen müsste. Die Bezugssysteme für Fachvokabular unterscheiden sich nicht nur in verschiedenen Sprachen, sondern differieren natürlich auch zwischen unterschiedlichen Epochen. Hier liegt die Quelle von Anachronismen. Bezeichnet

34 Ausführlicher hierzu siehe unten in diesem Kapitel. 35 In der Geschichtswissenschaft hat sich die Begriffsgeschichte intensiv damit auseinandergesetzt, siehe Koselleck, Einleitung, zur Unterscheidung von Begriff, Wort und Terminus insbesondere S. XIIIf. und S. XXIIf. Eine Zusammenfassung der darauf folgenden Diskussion bietet Koselleck, Begriffsgeschichten. Die Leistungsfähigkeit von Begriffen als Faktoren und Indikatoren gesellschaftlichen Wandels beschreibt er insbesondere auf S. 87 – 92 u. S. 99 – 101.

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man etwa die königlichen Bediensteten als »Beamte«,36 ruft man damit die Assoziation eines neuzeitlichen Staatsapparats wach, in dem diese spezielle Form des Funktionsträgers ihren Platz hat, und verstellt somit das Verständnis für die Arbeitsweise der mittelalterlichen Verwaltung. In dieser Arbeit stellt sich dieses Problem, wenn ein Beschreibungsvokabular gefunden werden muss, das Erscheinungen einer anderen Zeit erfasst, die zudem heute meistens in einer anderen Sprache – nämlich auf Englisch – dargestellt werden: Im Englischen lässt sich clericus mit »clerk«, curia mit »court« übersetzen, wohingegen die Übersetzung »Beamter« einen Anachronismus darstellt und die Bezeichnung »Hof« die Facette des gleichzeitigen Gerichtshofs nicht so gut erfasst wie das englische »court«. Die hier verwendete Bezeichnung »königliche Bedienstete« besitzt zwar weniger semantische Trennschärfe, ruft aber hoffentlich auch keine anachronistischen Assoziationen hervor. Einige deutsche Übersetzungen wie »Verfügung« für breve oder »Überfang« für proprestura klingen exotischer als ihre englischen Pendants »writ« und »purpresture« in einer englischen Studie, da die zugehörigen Signifikate einen festen Bestandteil der englischen, nicht aber der deutschen mittelalterlichen Geschichte bilden. Deshalb wurden einzelne, unmittelbar verständliche englische Beschreibungsvokabeln wie Sheriff und County einfach übernommen. All diese Beispiele zeigen, dass eine simple Übersetzung ohne Erklärung des Systems, in dem ein begriffliches Fachwort steht, nicht zum Verständnis des semantischen Gehalts dieser Vokabel beiträgt. Nicht-begriffliche Fachwörter hingegen setzen beispielsweise ein fremdsprachliches oder internationales Lehnwort an die Stelle eines eigensprachlichen Wortes. Diese Form der Fachsprachlichkeit lässt sich sehr leicht in andere Sprachen übersetzen. So kann zum Beispiel »suizidal« einfach durch »selbstmordgefährdet« oder »Pneumonie« durch »Lungenentzündung« ersetzt werden, ohne dass der semantische Gehalt sinken würde. Für die Übertragung ins Englische benötigt man keine Kenntnisse über die spezifisch englische Medizinlandschaft. Solche nicht-begrifflichen Fachwörter können eher einer Gruppensprache als einer Fachsprache zugeordnet werden: Ihre Verwendung zeitigt keine Effektivitätsgewinne, sie dienen ausschließlich der Abgrenzung nach außen. Eine Begrifflichkeit im oben erörterten Sinne weisen vor allem die Vokabeln zur Bezeichnung eines Zahlungs- oder Erlassungsgrundes auf, die aus dem angelsächsischen oder anglo-französischen latinisierten Teil des Rechnungswortschatzes stammen. Worte wie murdrum oder proprestura können nicht in 36 Die Einleitung zur deutschen Edition des Dialogus reflektiert nicht darüber, dass die stetige Nutzung der Bezeichnung »Beamter« für Richard of Ely Assoziationen zu einer neuzeitlichen Verwaltung weckt. Das Bild vom Beamten, wie es in der Einleitung dargestellt wird, entspricht stark dem Typus des 19. Jahrhunderts, siehe Siegrist, Einleitung, insbesondere S. XXXVII.

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dieser Kürze übersetzt werden: Muss ein Rechnungsleger für murdrum bezahlen, so wurde damit gesagt, dass in seinem Zuständigkeitsbereich ein Normanne ermordet wurde, dessen Mörder aber nicht gefunden wurde, so dass der gesamte Bezirk, in dem das Verbrechen verübt worden war, zur Strafe eine Abgabe zahlen musste. Rechnet jemand über proprestura ab, so kann daraus ersehen werden, dass sich jemand das entsprechende Land zuvor widerrechtlich angeeignet hatte. Deshalb wurde es eingezogen und vom König zur Verwaltung an einen Sheriff ausgegeben. Diese Bezeichnungen konnten offenbar nicht ohne Verlust ihrer Trennschärfe oder Kürze übersetzt werden, wurden deshalb in ihrer angelsächsischen oder anglo-französischen Form beibehalten und lediglich äußerlich dem Latein der Rechnungssprache angepasst. Eine Übersetzung der Abrechnungsvokabeln in eine andere Sprache hingegen hätte wohl keine großen Schwierigkeiten dargestellt. Ihnen wohnte also keine Begrifflichkeit inne. Die dritte Anforderung an einen Terminus, die Exaktheit, ergibt sich laut Hoffmann aus der Definition oder Beschreibung des Terminus. Solche explizite Definitionen nehmen die Rechnungsschreiber an keiner Stelle vor, es handelt sich eindeutig nicht um einen reflektierenden Text. Als exakt in diesem Sinne kann man die in der Pipe Roll verwendeten Lexeme nicht bezeichnen. In einem wissenschaftstheoretischen Sinne jedoch kann man zwischen Exaktheit und Präzision unterscheiden. Diese Differenzierung führt Moritz Epple für die Mathematik ein.37 Exaktheit bezieht sich dabei auf die Strenge der mathematischen Argumentation: »Eine Argumentation ist in dem Maß exakt, wie sie strengen Regeln, einer Disziplin genauen Argumentierens folgt.«38 Präzision dagegen misst die Beziehung zwischen einem mathematischen Modell und empirischen Daten.39 Auch wenn diese Definitionen für die Wissenschaft der Mathematik entwickelt wurden, können sie doch helfen, ein wichtiges Charakteristikum der Rechnungssprache nuancierter herauszuarbeiten. Bei einer vereinfachenden Übertragung dieser Unterscheidung auf die Pipe Rolls kann man Präzision dann als gegeben sehen, wenn die Angaben in der Rechnung mit dem tatsächlich während der Abhörung vorgetragenen Fall übereinstimmen. Exaktheit kann man als Maß übertragen, in dem die Phrasen und Bezeichnungen, die in den Rechnungen verwendet werden, gemeinsam ein kohärentes sprachliches System bilden. Exaktheit in diesem Sinne würde ausschließen, dass Lexemen verschiedene Bedeutungen zugeordnet würden (Polyseme) oder unterschiedliche Lexeme übereinstimmende Bedeutungsinhalte zum Ausdruck bringen würden (Synonyme). Die Präzision der Rechnungen lässt sich nicht messen, da keine 37 Epple. 38 Ebd., S. 173. 39 In einem weniger technischen Sinne kann man Präzision auch als Genauigkeit bezeichnen, siehe Witthöft, S. 4.

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empirischen Daten außerhalb der Pipe Rolls selbst zur Verfügung stehen. Inwieweit die Aufzeichnungen also mit dem tatsächlich geschilderten Fall übereinstimmen, entzieht sich einer Beurteilung. Man kann nur vermuten, dass die Schreiber den Sachverhalt präziser wiedergaben, wenn sie mehr Informationen anführten. Ob diese Informationen zum Beispiel über den Erhebungsort oder -zeitraum einer Abgabe allerdings stimmten, lässt sich nicht rekonstruieren. Die Exaktheit dagegen kann erfasst werden. Schon auf mathematischer Ebene zeichnen sich die Rechnungen durch ein hohes Maß an Exaktheit aus: Die Berechnungen stimmen alle. Auch wenn von einer Schuldsumme diverse Beträge abgezogen wurden, die dem Schuldner erlassen wurden oder die er eingezahlt hat, endet der Posten mit dem rechnerisch richtigen noch geschuldeten Betrag. Zahlen werden in den Pipe Rolls also ausschließlich arithmetisch verwendet, sie tragen keinerlei religiöse oder symbolische Bedeutung. Der starke Fokus der Forschung auf mystisch-symbolisch-philosophischen Konnotationen von Zahlen im Mittelalter40 führt dazu, dass die Untersuchung von Zahlen als Rechenoperatoren den Mathematikhistorikern überlassen wird. Die beiden Gebrauchsformen von Zahlen, die symbolische und die praktische, werden selten zusammen behandelt.41 Ein eindrückliches Beispiel liefert die Interpretation der Abrechnungsvorgänge im Dialogus. Richard of Ely nennt zwei Vergleichsbilder für die Abhörung: Das Jüngste Gericht und ein Schachspiel.42 Eine Abhandlung über das mittelalterliche Zählen erwähnt nur den Vergleich mit dem Jüngsten Gericht,43 eine Geschichte der Zahlen verweist nur auf die Ähnlichkeit zu einem Schachspiel44 – beide berufen sich auf den Dialogus, ohne zu erwähnen, dass es dort noch die jeweils andere Interpretationsvariante gibt. In den Pipe Rolls liegt der Fall einfach: Zahlen erzählen hier nicht, sie bilden auch keine symbolische Ordnung ab, sie wurden nur operational verwendet:45 Mit Zahlen wurde gerechnet, und es wurde mathematisch richtig gerechnet. Da bei Rechenfehlern entweder dem König oder dem Abrechner Verluste entstanden wären, überrascht es nicht, dass Abhörer und Abgehörte offenbar genau genug hinschauten und mitrechneten, um Fehler zu vermeiden.46 Auf der sprachlichen Ebene lassen sich kaum Polyseme und Synonyme fin40 So etwa im Sammelband von Wedell, Ordnungsangebote. 41 Swetz, S. 391 f.; Wedell, Zählen, S. 13. 42 Der Vergleich mit einem Schachspiel erfolgt in Dialogus I, 1, S. 60; dem Jüngsten Gericht ähnlich werden die Vorgänge am Exchequer beschrieben in Dialogus I, 5, S. 76. 43 Wedell, Zählen, S. 287. 44 Menninger, S. 40. 45 Zum operalen, operativen und operationalen Gebrauch von Zahlen siehe Wedell, Zählen, S. 154 – 167, zusammengefasst auf S. 165 – 167. 46 Entsprechend gilt auch generell die Erhebung von Steuern und Abgaben neben dem Handel als einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zur Entwicklung des abstrakten Rechnens, so Schuppener, S. 802.

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den, die Inkohärenzen ins sprachliche System gebracht und so dessen Exaktheit beeinträchtigt hätten. Hoffmann fasst die sprachliche Exaktheit unter die beiden Kriterien der Eindeutigkeit und der Eineindeutigkeit. Insbesondere die Eindeutigkeit, das vierte Kriterium für Fachtermini, bildet die für die Rechnungssprache ergiebigste Kategorie. Eindeutigkeit wird in dieser Arbeit im Sinne von Exaktheit verwendet und misst demgemäß die Abwesenheit von Widersprüchlichkeiten und Doppelbelegungen bei der Zuweisung eines Signifikanten an ein Signifikat. Auf der Suche nach Negativbeispielen, also nach Termini, denen keine eindeutige Bedeutung zugewiesen wurde, fallen – wie schon angedeutet – insbesondere die Polyseme ins Auge: Derselbe Signifikat bezeichnet verschiedene Signifikanten. Einige Substantive, die in den Pipe Rolls vorkommen, können als eine Art schwache Form von Polysem identifiziert werden, da sie in verschiedenen Verwendungssituationen differierende Bedeutungsnuancen annehmen. Eine eindeutige, exakte Bedeutung wurde ihnen also nicht zugewiesen. Der Kontext, in dem die Lexeme auftreten, hilft aber in den meisten Fällen, die unterschiedlichen Bedeutungsnuancen zu unterscheiden und so auf den jeweils gemeinten Signifikanten zu schließen. Bei den meisten Lexemen, die unterschiedliche Bedeutungsschattierungen annehmen können, lässt sich diese Differenz an der Verwendung der Präposition pro im Unterschied zu de erkennen. Diese Präpositionen stehen nicht in Abhängigkeit vom Verb des Satzes, denn sowohl nach reddit Compotum als auch nach debet können beide Präpositionen die Zahlungsbegründung einleiten; es gibt keine Korrelation zwischen einem der beiden Verben und einer der Präpositionen. Allerdings folgen die meisten Substantive entweder auf pro oder auf de. Insbesondere die Lexeme, die oben als Abgaben qualifiziert wurden, folgen überdurchschnittlich häufig auf die Präposition de. Die Zahlungsbegründungen der beiden anderen Gruppen (Besitzübertragung und Sühne eines Fehlverhaltens) stehen vielfach mit der Präposition pro. Wenn ein Zahlungsgrund auf pro oder auf de folgen kann, so markiert pro meistens die konkretere, de die abstraktere oder kumulativere Bedeutungsnuance des Substantivs. So weisen zum Beispiel die Formulierungen pro murdro und de murdro in der ältesten erhaltenen Pipe Roll unterschiedliche Verwendungszusammenhänge auf. Steht murdrum nach der Präposition pro, wird dazu fast immer ein Ort angegeben, wohl der, an dem der Mord passiert war, für den eine Strafe gezahlt wurde. Folgen murdra auf die Präposition de, so wurden diese beispielsweise mit dem Adjektiv vetera (alt) bezeichnet, oder es wurde zugleich über andere Dinge abgerechnet. Nach de steht außerdem ein unbestimmter Plural, während die Anzahl der murdra nach pro genau angegeben wurde. Eine typisches Beispiel für eine Kombination von pro und murdrum liefert die Zahlungsbegründung pro j murdro in Hundredo de Faversham, wohingegen mithilfe von de zum Beispiel de

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veteris murdris et thesauris abgerechnet wurde.47 Die pro-Phrase markiert einen aktuellen und konkret verorteten Mord, wohingegen die Präposition de verwendet wurde, um pauschal über Morde aus vergangenen Rechnungsperioden abzurechnen. Der Ausdruck pro murdro beschreibt den Mordakt selbst, erst der dabeistehende Geldbetrag konstituiert eine Strafzahlung. Dagegen schwingt in der Formulierung de murdris, da abstrakter und kumulativer, die Strafzahlung für den Mord stärker mit. Für den Zahlungsgrund terra (Land) bildete sich die zweite Bedeutungsnuance erst im Laufe des Beobachtungszeitraums aus: Im Jahr 1129/30 ausschließlich mit der Präposition pro gebraucht, tritt es gut fünfzig Jahre später häufiger zusammen mit der Präposition de als mit pro auf. Der Ausdruck pro terra wird in der Pipe Roll 30 Henry II in zwei Dritteln der Fälle durch das Gerundivum habenda verdeutlicht,48 wohingegen de terra verhältnismäßig häufig mit einer Orts-, selten zudem noch mit einer Zeitangabe kombiniert wird, etwa wenn Ranulf of Glanvill im Jahr 1183/84 für das vergangene Jahr 67 Schillinge Abgaben für das Land zahlte, das vorher einem Thomas gehörte.49 Während also pro terra eine konkrete Besitzübertragung zum Ausdruck bringt, bezeichnet de terra eher eine Abgabe, die von einem bestimmten Ort für einen gewissen Zeitraum erhoben wurde. Der kumulative Charakter kommt bei der Verwendung von de und placitum dadurch zum Ausdruck, dass nach dieser Präposition meist über eine Mehrzahl von placita abgerechnet wurde und diese zudem in über der Hälfte der Fälle gemeinsam mit anderen Zahlungsgründen verbucht wurden. Zumeist wurden Prozesse, die sich am Umgang mit dem königlichen Forst entzündet hatten (placita foreste), mit verschiedenen Arten von Rodungen (wasta und essarta)50 in einem Posten zusammengefasst, in dem entsprechend de wastis et essartis et placitis foreste abgerechnet wurde.51 Nach der Präposition pro steht placitum hingegen meistens im Singular, zudem folgen oft die am Prozess beteiligten 47 Beide Zahlungsbegründungen stehen in PR 31 Henry I, S. 65, R7 m1r. 48 Z. B. in PR 30 Henry II, S. 72, R5 m2d: […] pro habenda terra sua et custodia terre filii sui […] oder auf S. 147, R11 m1r : […] pro habenda parte sua de terra Radulfi filii Geroldi […]. 49 […] Et lxij s. blancorum de terra ejusdem Tome de anno preterito, PR 30 Henry II, S. 28, R3 m1r. 50 Wenn jemand im Königsforst Holz schlug oder Rodungen vornahm, musste er dafür eine Strafgebühr bezahlen. Wastum und essartum bezeichnen jeweils zum einen das Holzschlagen und Roden, zum anderen die daraus resultierende Strafgebühr. Siehe Dialogus I, 13, S. 106. Über die genaue Bedeutung von wastum als Erlassungsgrund in den frühen Pipe Rolls gibt es eine längere Kontroverse, siehe zuletzt Amt, Meaning. Mit der Formulierung In wasto wurde wahrscheinlich die geschuldete Pachtsumme aus solchen Countys reduziert, die aufgrund von Verwüstungen (z. B. im Bürgerkrieg) weniger zahlen konnten. 51 Insgesamt 18-mal rechnet ein Schuldner beispielsweise in der PR 30 Henry II über diese drei Zahlungen gleichzeitig ab. Die Reihenfolge ihrer Aufzählung ist dabei relativ willkürlich, am häufigsten findet sich die Aufzählung de wastis et essartis et placitis foreste.

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Personen. Dabei kann entweder eine Personengruppe genannt werden, beispielsweise Mönche (pro placito/is monachorum),52 oder ein konkreter Name mit placitum verbunden werden, etwa wenn über den Prozess gegen den königlichen Schatzmeister Geoffrey of Clinton abgerechnet wird (pro placito G’ de Clint’).53 In der Kombination mit de erweist sich also der Abgabencharakter als stärker ausgeprägt, wohingegen mit der Angabe pro placito eher auf einen konkreten Streitfall rekurriert wurde. Die Abrechnung über die Fahrhabe, also bewegliche Güter (catallum), erfolgt wesentlich seltener mithilfe der Präposition pro als mit de. Steht catallum zusammen mit pro, so zahlt der Rechnungsleger dafür, dass ihm der Besitz einer anderen Person übertragen wurde. Der Charakter einer Besitzübertragung wurde meist mit dem Gerundivum habendis unterstrichen, etwa wenn jemand die Fahrhabe seiner Lehnsleute übernahm.54 Mit de wurde catallum hingegen kombiniert, wenn der Sheriff die beweglichen Güter bestimmter verurteilter Personen einzog, was in den Genitiven zum Ausdruck kommt, durch die der Zahlungsgrund catallum in der Rechnung expliziert wird: Hauptsächlich zahlt ein Sheriff dafür, die bewegliche Habe eines Geächteten (utlagatus) oder eines Flüchtigen (fugitivus) eingezogen zu haben, denn ein bestimmter Teil des Wertes dieser Güter fiel an die Krone.55 In diesen Fällen dürfte die Zahlung eine Gebühr dafür darstellen, dass der Sheriff diese Güter einziehen und veräußern durfte. In wenigen Fällen wird nämlich hinzugefügt, dass die Fahrhabe verkauft wurde: Der Sheriff rechnete de catallis venditis ab.56 Wiederum kristallisiert sich zusammen mit pro die Bedeutungsnuance einer Besitzübertragung, mit de hingegen die Schattierung einer Gebühr für diese Besitzübertragung stärker heraus. Die häufige Verwendung von Adverbien wie »meistens« oder »häufig« im bisherigen Text sollte deutlich gemacht haben, dass die Verwendungsmuster von pro und de nicht als feststehende Regeln zu interpretieren sind. Bei allen hier analysierten Substantiven lässt sich nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine 52 PR 31 Henry I, S. 48, R5 m2r. 53 PR 31 Henry I, S. 9, R1 m1d. Die Ursache für den Prozess kann nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden. Eventuell ging Geoffreys Einfluss unter anderem dem Earl of Warwick zu weit, so vermutet Green, Henry I, S. 207 f. Nicht in jedem Falle muss eine Person genannt werde, siehe etwa: […] pro placito concelato […], PR 30 Henry II, S. 153, R11 m1d. 54 Walterus Winch mater ejus pro eo, debet xv m. pro catallis viri sui habendis, PR 30 Henry II, S. 12, R1 m2d. Warum genau er das tat, bleibt unklar. 55 Die genauen Regelungen beschreibt der Dialogus II, 14, S. 146 – 148. Ein Beispiel für eine Abrechnung über diesen Vorgang steht in PR 30 Henry II, S. 13, R1 m2d: Idem vicecomes redd. comp. de x s. de catallis Roberti le Bigot utlagati. 56 Diese Zahlungsbegründung wird in der PR 30 Henry II zweimal genannt: […] de catallis ejusdem Gilleberti venditis […], S. 38, R3 m1d und […] de catallis ejusdem Radulfi venditis […], S. 154, R11 m1d.

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mehr oder minder deutliche Tendenz dazu nachweisen, auf pro die konkrete, auf de die abstraktere Bedeutungsnuance einer Zahlungsbegründung folgen zu lassen. Insbesondere in den frühen Pipe Rolls kann beispielsweise auch eine kumulative Nennung mehrerer gleichgearteter Streitfälle57 oder eine unspezifizierte Angabe mehrerer Mordzahlungen mit pro eingeleitet werden.58 Im Laufe der Untersuchungszeit aber wird die Tendenz immer stärker erkennbar, pro für konkretere, de für kumulativere Bedeutungsnuancen zu verwenden.59 So folgt beispielsweise die Verwendung der Präpositionen für den Zahlungsgrund assisa in der Rechnung aus dem 30. Regierungsjahr Henrys II. einem festen Schema ohne Ausnahmen: Die Abrechnung über assisa wurde stets durch eine Ortsangabe ergänzt, wenn sie mit der Präposition de eingeleitet wird. So erfährt man aus der Pipe Roll aus dem Jahr 1183/84 beispielsweise, dass die Bürger von Winchester sechs Pfund und 14 Schilling an Assizengeld bezahlten.60 Die Präposition de aktiviert demnach die Bedeutungsnuance von assisa als eine Abgabe oder Strafzahlung. Steht assisa hingegen nach pro, zahlt der Rechnungsleger dafür, dass er eine Regel verletzt hat (pro assisa infracta).61 Folgend auf pro verweist assisa nicht auf eine Abgabe, sondern auf eine konkrete Regel.62 Verschiedene Bedeutungsschattierungen der Zahlungsgründe wurden also hauptsächlich mithilfe der beiden Präpositionen pro und de markiert. Auf die Präposition pro folgen häufiger Substantive, die entweder im Singular oder mit einer konkreten Zahlangabe im Plural stehen. Zudem wurde sehr selten über mehrere Zahlungsgründe gleichzeitig abgerechnet, wenn die Zahlungsbegründung mit pro eingeleitet wird. Nach der Präposition de hingegen stehen hauptsächlich Substantive im unbestimmten Plural, also ohne explizierende Zahlangabe, außerdem wurden häufig mehrere Zahlungsbegründungen aufgezählt. Demgemäß wurde die Präposition pro für die konkreteren, genauer quantifizierbaren Bedeutungsnuancen eines Terminus verwendet, wohingegen die Präposition de zum Einsatz kam, wenn über Zahlungsforderungen ab57 In PR 31 Henry I rechnet ein Schuldner ab pro eisdem placitis, S. 19, R2 m1d. 58 […] reddit Compotum de xxix libris et xvj solidos pro murdris. In thesauro […], PR 31 Henry I, S. 97, R10 m1d. 59 Die diachrone Veränderung der Rechnungssprache wird in Kapitel 4.1 thematisiert. 60 Idem vicecomes reddit Compotum de vj l. et xvj d. de assisa civitatis Wintonie. PR 30 Henry II, S. 81, R6 m1d. Als weitere Beispiele können genannt werden: […] de assisa burgi de Novo Castello […], PR 30 Henry II, S. 68 R5 m1d, oder […] de communi assisa comitatus de Ebor’sira […], PR 30 Henry II, S. 32, R3 m2r. 61 Diese Phrase findet sich insgesamt neunmal in der PR 30 Henry II. 62 Die legislativen Werke Henrys II. werden in der Forschung meist mit der Bezeichnung »Assize« versehen, so etwa die »Assize of Clarendon« oder die »Assize of Northampton«. Bei diesen Werken handelte es sich wahrscheinlich um Zusammenstellungen bereits bestehender Regelungen, siehe Brand, Henry II, hier S. 224 – 227. Entsprechend meinte assisa ganz verschiedene Arten von Regelungen und Richtlinien, die aus der Sitzung von Gerichten auf verschiedenen Ebenen hervorgingen oder dort Anwendung fanden.

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strakter und kumulativer abgerechnet wurde. Die Abgabenforderungen wurden deshalb fast ausschließlich mit de eingeleitet. Dass es sich bei einem Zahlungsgrund um eine Abgabe handelt, wird meist dadurch deutlich, dass eine Erhebungseinheit und bisweilen auch der Erhebungszeitraum angegeben werden, jegliche Informationen über den erwarteten Gegenwert der Zahlungen aber fehlen. Einzelnen Lexemen wurde also nicht immer eine eindeutige Bedeutung zugewiesen, die Kombination mit einer bestimmten Präposition weist aber darauf hin, welche Bedeutungsnuance die Schreiber jeweils zum Ausdruck bringen wollten. Dabei lässt sich der Unterschied zwischen den beiden Präpositionen pro und de unabhängig vom konkreten Lexem systematisieren in eine konkrete und eine eher abstrakte, kumulierte Form des jeweiligen Zahlungsgrunds. Die Bedeutungszuweisung mithilfe der Präpositionen geschieht in diesem Sinne eindeutig, da der Kombination aus Präposition und Zahlungsgrund eine eindeutige Bedeutung zukommt. Sie bleibt aber über die Zeit flexibel veränderbar. Eindeutigkeit wurde innerhalb einer Rechnung hergestellt, hemmte damit aber nicht den Wandel von Bedeutungszuschreibungen. Der Einblick in die Funktionsweise dieser Präpositionen hilft zu erkennen, dass das Substantiv relevatio aus der Pipe Roll aus der Zeit Henrys I. nicht exakt das Gleiche bezeichnete wie das Substantiv relevium in der fünfzig Jahre jüngeren Rechnung, obwohl beide ungefähr mit »Zahlung bei Antritt eines Erbes« zu übersetzen wären.63 Der Zahlungsgrund relevatio wurde in der ältesten erhaltenen Pipe Roll fast ausschließlich mit der Präposition pro eingeleitet und mit dem Genitivattribut terre (Land) versehen. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle zahlte ein Rechnungsleger, um das Land seines Vaters zu erben.64 Relevium hingegen steht in drei Viertel der Fälle mit de, außerdem konnten verschiedene Genitivattribute folgen, bei denen es sich nicht nur um Güter, sondern auch um Personen handeln konnte: So zahlten zum Beispiel im Jahr 1183/84 die Rechnungsleger für das Erzbistum York – der Erzdiakon von Bedford und zwei Kustoden – für das relevium von Walterus Alemannus,65 der zu diesem Zeitpunkt auch noch lebte.66 In einigen Fällen tritt auch das Possessivpronomen suum zu relevium (de relevio suo). Nur relevium kann zudem im Plural stehen und mit verschiedenen anderen Zahlungsgründen zusammen aufgeführt werden: Die 63 Über den Wandel in der Bezeichnung wundert sich Green, Pipe Roll, S. 10. 64 In über achtzig Prozent der Posten, in denen relevatio in der PR 31 Henry I als Zahlungsgrund genannt wird, lautet die entsprechende Formulierung: pro relevatione terre patris sui. 65 Idem reddt. comp. de xxvj s. et viij d. de relevio Walteri Alemanni. PR 30 Henry II, S. 40, R3 m2d. 66 Zumindest lebte er noch, wenn es sich um den gleichen Walterus Alemannus handelte, der in der Zeit zwischen 1190 und 1210 eines seiner Lehen an Bolton Abbey übertrug, siehe Early Yorkshire Charters, Nr. 248, S. 319.

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Erzdiakone von Canterbury und Gloucester, die für das Erzbistum Canterbury abrechneten, entrichteten im selben Posten eine gemeinsame Zahlung für verschiedene kleine relevia, die das Erzbistum als Lehen hielt, für nicht näher spezifizierte Gerichtsurteile oder Abkommen (placita) und Ankäufe (perquisitiones) sowie für Wolle, Käse und andere kleine Einkäufe.67 So kann relevatio zwar als Erbgebühr verstanden werden, relevium hingegen dürfte eher eine Gebühr für die Übertragung von Lehen meinen, die auch bezahlt wurde, wenn der ehemalige Lehnsinhaber nicht verstorben war, sondern aus anderen Gründen seinen Besitz an einen neuen Inhaber, meistens die Kirche, übertragen hatte. Relevium bezeichnet also weniger den Akt der Übertragung als vielmehr den Betrag, der für diese Übertragung gezahlt werden musste. Diese Bedeutungsnuancen hätten allerdings auch, so zeigen die übrigen hier genannten Beispiele, dadurch ausdifferenziert werden können, dass neben pro relevatione die Phrase de relevatione zur Bezeichnung einer allgemeineren Gebühr für Besitzübertragungen getreten wäre. Eventuell könnte es der Tatsache zugeschrieben werden, dass für relevatio im Unterschied zu terra und placitum ein alternatives Substantiv zur Verfügung stand. Allerdings traten sowohl relevatio als auch relevium zumeist in der abgekürzten Form relev’ auf. Den Schreibern mögen sie deshalb gar nicht unbedingt als unterschiedliche Wörter gegolten haben. Bei einigen wenigen Polysemen wird die unterschiedliche Bedeutungsnuance nicht durch Präpositionen markiert. Dennoch lassen sich die Verwendungssituationen gut unterscheiden, da sie meistens in verschiedenen standardisierten Formeln ausgedrückt werden. So kann pax (Frieden) im Mittelpunkt eines Rechnungspostens bedeuten, dass der Rechnungsleger den Frieden des Landes gestört hatte, was in die Formulierung pro pace fracta gefasst wird, oder dass er dafür zahlte, seinen Besitz von konkurrierenden Ansprüchen frei zu halten (ut teneat in pace), oder dass er sich einer Schuld entledigte (ut habeat pacem de). Pax bezeichnete demnach sowohl den Frieden eines Landes als auch die Unbestreitbarkeit von Besitzansprüchen und die Schuldlosigkeit eines Rechnungslegers. Die verschiedenen standardisierten Phrasen machen jedoch unmittelbar deutlich, welche der möglichen Bedeutungsnuancen gemeint war. Nicht dem Lexem pax, aber den verschiedenen Phrasen, in denen pax verwendet wurde, wurde eine exakte Bedeutung zugewiesen. In unregelmäßigen Abständen konnte der Erlassungsgrund operatio nicht nur allerlei Arbeiten an Bauwerken bezeichnen, die ein Sheriff im Namen des Königs durchführte und deren Kosten er von seiner Pachtschuld abziehen lassen konnte. Diese konkrete Ausprägung der Bedeutung lässt sich daran erkennen, 67 […] de placitis et perquisitionibus et minutis releviis tenentium de archiepiscopatu et lana et caseis et aliis minutis rebus venditis […]. PR 30 Henry II, S. 151, R11 m2r.

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dass auf den Erlassungsgrund operatio bestimmte Bauwerke im Genitiv folgen. Ein Sheriff war zum Beispiel dafür zuständig, die Burgen instand zu halten,68 etwa indem er eine Mauer um die Burg von Windsor errichtete.69 Daneben nahm operatio vereinzelt auch eine abstraktere Bedeutungsnuance an: An die Stelle konkreter Arbeiten tritt nur der Hinweis auf den königlichen Auftrag, etwa wenn einem Sheriff Ausgaben für königliche Arbeiten (operationes Regis) angerechnet wurden, die in Clarendon in Wiltshire erfolgt waren.70 Der jeweilige Genitiv lässt jedoch eindeutig erkennen, welche Bedeutungsschattierung im konkreten Posten abgerufen werden sollte. Auch das Substantiv defalta gewinnt in der Rechnung aus dem Jahr 1183/84 durch den Kontext eine präzise Bedeutung. Defalta kann als Zahlungs- und Erlassungsgrund auftreten und im ersten Fall mit »Versäumnis«, im zweiten mit »Verlust« übersetzt werden. Diese beiden Bedeutungsnuancen können zum einen leicht unterschieden werden, weil der Zahlungsgrund auf die Präposition pro folgt, der Erlassungsgrund hingegen auf die Präposition in. Zum anderen helfen unterschiedliche Genitivattribute, die jeweils gemeinte Bedeutungsschattierung zu illustrieren. So folgen auf in defalta Dinge, die dem Rechnungsleger gewöhnlich als Einnahmequellen dienten, zum Beispiel Mühlen oder Ländereien. Die Mühlen konnten dem Rechnungsleger aber im konkreten Falle keinen Ertrag mehr bringen, da das Meer sie zerstört hatte,71 die Ländereien hatte der Erzbischof in seinen Einflussbereich überführt, so dass in diesen Gebieten keine Einnahmen mehr für den König gesammelt werden konnten.72 Deshalb wurden diese Erträge von der geforderten Summe subtrahiert. Auf pro defalta folgt zwar nur selten ein Genitivattribut, dieses aber weist darauf hin, dass der Rechnungsleger etwas hätte umsetzen sollen, was er zu tun versäumte. So wurde eine Zahlung fällig, weil eine Verfügung des Königs nicht richtig ausgeführt wurde.73 In einem anderen Fall reichte jemand eine Klage ein, verfolgte sie dann aber nicht weiter.74 Das Substantiv defalta selbst wies demnach keine exakte Bedeutung auf. Die jeweilige Präposition und das Genitivattribut sorgten aber für eine exakte Zuordnung zu einer der beiden Bedeutungsschattierungen »Verlust« oder »Versäumnis«. Exaktheit im Sinne einer Eindeutigkeit

68 69 70 71

Et In Operatione Castelli vij libras per breve Regis, PR 2 Henry II, S. 53, R11 m1r. Et In Operatione muri circa Castrum de Windr’ […], PR 20 Henry II, S. 116, R9 m2r. Et In Operat’ Regis apud Clarend’ […], PR 10 Henry II, S. 14, R1 m2d. Et in defalta ij molendinorum que perierunt per inundationem maris lx s. PR 30 Henry II, S. 8, R1 m2r. 72 Et in defalta terrarum quarum quasdam idem archiepiscopus excoli fecit in dominio, quasdam inclusit in parcis suis. PR 30 Henry II, S. 151, R11 m2r. 73 […] pro defalta faciendi rectum de breve regis […], PR 30 Henry II, S. 66, R5 m1d. 74 […] pro defalta prosequendi placitum suum […], PR 30 Henry II, S. 108, R8 m2r.

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der Bedeutungszuweisung kommt nicht dem einzelnen Wort zu, sondern wurde mithilfe des Kontextes hergestellt. Sowohl für pax, operatio und defalta als auch für die Zahlungsbegründungen, die mit pro und de stehen können, lässt sich also feststellen, dass den Lexemen selbst keine exakte Bedeutung zugewiesen wurde. Die unterschiedlichen Phrasen hingegen, in denen diese auftreten konnten, können wesentlich genauer einer bestimmten Bedeutungsnuance zugeordnet werden. Die Rechnungsschreiber verwendeten also nicht Lexeme mit einer exakten Bedeutung, sondern stellten Genauigkeit in der Aussage dadurch her, dass sie die variabel nutzbaren Lexeme in verschiedene, feststehende Phrasen einbetteten. Dieses Ergebnis lässt sich mit der Beobachtung der Fachsprachenforschung in Einklang bringen, wonach Termini in Fachsprachen häufig durch Verbindung mehrerer Wörter gebildet werden:75 Auch in den Pipe Rolls weisen nicht die Einzelwörter, sondern die Wortverbindungen Eindeutigkeit auf. Manche Zahlungsgründe können nicht als eindeutig bezeichnet werden, da lediglich das Objekt eines Vorgangs und nicht der Vorgang selbst im Mittelpunkt der entsprechenden Phrase steht. Wenn die Transaktionsart angegeben wurde, legten die Schreiber den Vorgang deutlicher dar als wenn sie nur das Transaktionsobjekt notierten. Zusammen mit terra (Land) konnte beispielsweise eine Zahlung geleistet werden pro concessione terre (für die Bestätigung von Landbesitz),76 pro escambio terre (für den Tausch von Land)77, pro concordia terre (für eine Übereinkunft über Land),78 pro custodia terre (für die Verwaltung eines Landes unter Vormundschaft)79 oder pro recognitione de terra (für die Anerkennung des Besitzes von Land).80 Demgegenüber nahm die Angabe pro terra (für das Land) ohne weitere Zusätze keine Spezifizierung vor und kann deshalb als weniger eindeutig angesehen werden. Im Laufe des Beobachtungszeitraums nannten die Rechnungen immer häufiger die Transaktionsart und nicht nur das Objekt eines Vorgangs.81 Das Gerundivum habendus explizierte den Vorgang der Besitzübertragung ebenfalls in immer mehr Fällen.82 Auch bei diesen Zahlungsbegründungen wurde Eindeutigkeit also dadurch hergestellt, dass zu dem Substantiv ein weiteres hinzugefügt oder ein Gerundivum ergänzt wurde. Wieder sorgen Wortverbindungen für weniger Mehrdeutigkeit. 75 76 77 78 79 80

Hoffmann, S. 170. Etwa in PR 31 Henry I, S. 123, R13 m1r. So in PR 31 Henry I, S. 72 f., R8 m1r. Z. B. in PR 31 Henry I, S. 112, R12 m1r. Etwa in PR 30 Henry II, S. 20, R2 m2r. Dabei wurde meistens eine Maßangabe für das Land eingefügt, beispielsweise […] pro recognitione de xviij bovatis terre […], PR 30 Henry II, S. 17, R2 m2r. 81 Siehe Kapitel 4.6. 82 Entsprechende Formulierungen lauten z. B.: pro habenda terra, pro habendo recto oder pro habendis debitis.

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An zwei Phrasen wird greifbar, dass die Eindeutigkeit der Bedeutung einer bestimmten Kombination von Worten den Schreibern bewusst war. Diese Möglichkeit ergibt sich daraus, dass die entsprechenden Verbindungen in der Pipe Roll aus der Zeit Henrys I. ausgebessert wurden. In beiden Fällen handelt es sich um Substantive mit attributiven Bestimmungen. Das Adjektiv date wurde für Länder (terre) gebraucht, die der König an seine Gefolgsleute vergeben hatte. Für sie musste der Rechnungsleger entsprechend keine Pacht zahlen. In zwei Rechnungsposten wurde das Adjektiv date für ecclesie verwendet. Diese beiden Posten wurden aber durchgestrichen und neu formuliert, wobei die Phrase In Ecclesiis Datis durch den Ausdruck Ecclesiis que ad firmam pertinebant (also: die einmal zur Pacht gehörten) ersetzt wurde.83 Das Adjektiv data wurde augenscheinlich für terra reserviert. Ein ähnlicher Vorgang lässt sich bei der Korrektur des Genitivattributs zu census vermuten. Dieser Abgabe wird 19-mal der Genitiv foreste zugeordnet, der Rechnungsleger zahlte also einen Forstzins.84 Nur einmal notierte der Schreiber die Zahlung eines census Episcopatus. Dieser Posten wurde allerdings getilgt, der census Episcopatus in firma Episcopatus verbessert.85 Offenbar konnte census nur im Zusammenhang mit einer Abgabe aus dem Forst verwendet werden, so dass die Zahlung aus einer Diözese als Pacht ausgewiesen werden musste. In allen folgenden Rechnungen findet sich die Kombination In terris datis als Erlassungsgrund. Auch wenn date nicht direkt mit terre kombiniert wurde, stand es in enger semantischer Verbindung mit den vergebenen Ländereien. In der Rechnung aus dem 30. Regierungsjahr von Henry II. beispielsweise tritt datus innerhalb der Aufzählung der Menschen auf, die aufgrund der Weggabe von Land weniger bezahlen mussten.86 Als Alternative für andere räumliche Einheiten, für die der Sheriff keine Pacht mehr einziehen musste, lässt sich zumindest selten die Formel finden, die bereits in der ältesten erhaltenen Rechnung für die weggegebenen Kirchen (ecclesie) verwendet wurde, nämlich que ad firmam pertinebant (die einmal zur Pacht gehörten).87 Das Adjektiv datus

83 PR 31 Henry I, S. 128 und 131, R13 m1d. 84 Z. B. in PR 31 Henry I, S. 106, RR11 m1d: Et Idem Walterus reddit Compotum de x marcis argenti de veteri Censu foreste preteriti anni. In thesauro liberavit. Et Quietus est. 85 PR 31 Henry I, S. 129 und S. 130, R13 m1d. 86 Der Eintrag beginnt mit In terris datis, es folgt eine Aufzählung von Namen und erlassenen Beträgen. Als ein Glied der Aufzählung wird genannt: […] Et monacis de Rading’ xxvj l. et xiij s. et iiij d. de elemosina Regis data in dedicatione ecclesie de Rading’. […], PR 30 Henry II, S. 144 f., R11 m1r. Datus steht also innerhalb der genaueren Ausführung, warum sich unter diesen Menschen auch die Mönche von Rading befanden. 87 Siehe PR 30 Henry II, S. 74, R6 m1r : […] Et in maneriis de Cornual’ que pertinebant ad firmam comitatus c et xxij l. et x s. blancorum de quibus vicecomes de Cornual’ debet respondere […].

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bezeichnete also weiterhin vergebene Länder, für andere aus der Pacht ausgegliederte Einheiten wurde eine Umschreibung verwendet. Ebenso bestand die Kombination von census mit foresta in den späteren Rechnungen weiter fort. Allerdings wird dabei deutlich, dass die Zuordnung von Wald zu census nicht lexikalisch, sondern semantisch zu begründen ist: Der Genitiv foreste bildet zwar hauptsächlich, aber nicht ausschließlich das Attribut zu census. Alternative Genitivattribute weisen aber eine semantische Verbindung zum Forst auf, beispielsweise wenn der Zins für Holz oder Vieh gefordert wurde.88 Datus und census waren also semantisch und nicht lexikalisch auf terra beziehungsweise foresta festgelegt: Datus steht stets im Zusammenhang mit aus der Pacht herausgenommenen Ländereien, census kommt nur im semantischen Umfeld des Waldes vor. Nicht nur die Präpositionen, sondern auch die attributiven Genitive spielten eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Eindeutigkeit. Auch in dieser Hinsicht decken sich die Befunde für die Pipe Rolls mit den Ergebnissen der Fachsprachenforschung. Genitive wirken in den Rechnungen wie in den heutigen Fachsprachen präzisierend und differenzierend.89 Weitere Beispiele für solche präzisierenden Genitive finden sich zuhauf in den Pipe Rolls: Der Ausdruck In Emptione Vini90 meint den Kauf von Wein, die Phrase In liberatione janitoris91 bezeichnet die Entlohnung für einen Pförtner. Zahlt ein Rechnungsleger für ein ministerium patris sui,92 so gehörte das Amt seinem Vater, rechnet er über custodia filii ab,93 so bezahlt er für die Vormundschaft über die Söhne eines anderen königlichen Lehnsmannes. Als Genitivattribut zu placitum können sowohl die Gründe für den Prozess stehen94 als auch die beteiligten Personen.95 88 Über einen Zins für Holz etwa wird abgerechnet in PR 30 Henry II, S. 109, R8 m2r : […] de censu brolliorum de Roteland’ […], über Zinsen für Vieh in PR 30 Henry II, S. 80, R6 m2r : […] de censu x vaccariarum […]. Dass es sich dabei um Holz und Vieh handelt, das in Zusammenhang mit dem Forst gebracht werden kann, wird deutlich, da im ersten Fall ein Förster (forestarius) über den Zins für das Holz abrechnet und im zweiten Fall die Abrechnung über den Waldzins (census foreste) dem genannten Posten unmittelbar vorangeht. 89 Hoffmann, S. 113. 90 PR 31 Henry I, S. 143, R15 m1r. 91 PR 31 Henry I, S. 137, R14 m2r. 92 Darüber wird insgesamt 18-mal abgerechnet. 93 In der ältesten erhaltenen Rechnung werden drei solche Zahlungen für die Vormundschaft über die Söhne eines anderen Mannes nach dessen Tod verbucht: Gaufridus de Clint’ debet quater xx marcas argenti pro Custodia filii Wilhelmi de Diva cum terra sua. PR 31 Henry I, S. 83, R9 m1r. 94 Als Auslöser für einen Prozess werden z. B. ein Duell, Geld, Hirsche oder Schadensfälle genannt (pro placito Duelli, pro placito pecunie, pro placito Cervi, pro placito Damni). 95 Insbesondere treten dabei die Richter auf, so Green, Government, S. 80. Dies wird innerhalb der PR 31 Henry I dadurch deutlich, dass manche Namen in verschiedenen Countys als Genitivattribute zu placitum stehen, so wird z. B. 25-mal auf 14 verschiedenen Membranen eine Einnahme de placito/is Gaufridi de Clinton’ verbucht. In den späteren Pipe Rolls folgen

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Der Befund für die Abrechnungsvokabeln und -phrasen gestaltet sich übersichtlicher : Sie werden nicht in unterschiedlichen Kontexten gebraucht und weisen deshalb keine Bedeutungsschattierungen auf. So meint etwa reddit Compotum immer die Abrechnung eines Schuldners vor den königlichen Bediensteten, die Phrase In thesauro bezeichnet stets die Einzahlung, die ein Schuldner bereits geleistet hat, quietus steht immer dafür, dass die komplette Schuld gezahlt worden war. Die Abrechnungsvokabeln zeigen keinerlei Zeichen mangelnder Eindeutigkeit. Als Gesamtergebnis der Frage nach der Eindeutigkeit kristallisiert sich deutlich heraus, dass nicht einzelnen Wörtern, sondern Wortverbindungen oder Syntagmen eine genaue Bedeutungsschattierung zugewiesen wurde. Als Syntagmen definiert Hoffmann »jede relativ selbständige Verbindung von Wörtern in der Rede, die kleiner ist als der Satz und bei der zwischen diesen Wörtern bestimmte Abhängigkeitsbeziehungen bestehen«.96 Auf der Ebene dieser Syntagmen kann der Sprache der Pipe Rolls eine hohe Eindeutigkeit attestiert werden. Insbesondere die Abrechnungsphrasen weisen keinerlei Anzeichen für Uneindeutigkeit auf. Etwas anders verhält es sich mit dem fünften Kriterium für Fachtermini, der Eineindeutigkeit, denn dafür lässt sich eine Differenz zwischen Abrechnungsphrasen und Zahlungsgründen feststellen. Nicht gegeben ist Eineindeutigkeit bei Synonymen. Auf der Einzelwortebene lassen sich kaum Synonyme finden. In wenigen Pipe Rolls überschneiden sich die Bedeutungsnuancen von opus und operatio.97 Außerdem lässt sich in der ältesten erhaltenen Rechnung kein Unterschied zwischen occisio und interfectio (beides: Tötung) feststellen. Die Analyse der Eindeutigkeit der Termini hat jedoch gezeigt, dass die Einzelwörter keine hohe Relevanz für die Bedeutungszuweisung besitzen. Auf der Ebene der Syntagmen nun kann man von synonymen Zahlungsgründen sprechen: Unterschiedliche Syntagmen beschreiben den gleichen Zahlungsgrund. Dies betrifft nur die Besitzübertragungen, die entweder mit pro und einem Substantiv oder einem Finalsatz mit einem Verb wie habere, tenere etc. beschrieben werden können. So lässt sich beispielsweise zwischen der Zahlungsforderung pro recto de terra98 und ut habeat rectum de terra99 oder zwischen den Formulierungen pro recto de catallis100 und ut habeat rectum de catallis101 kein Bedeutungsunterschied ausmachen.

96 97 98 99 100

die Namen der Richter allerdings meistens auf die Präposition per, so wurde z. B. in der PR 30 Henry II mehrmals de placitis foreste per Tomam filium Bernardi abgerechnet. Hoffmann, S. 184. In den Rechnungen aus dem 10. und 23. Regierungsjahr Henrys II. (1163/64 bzw. 1176/77) nimmt operatio auch eine abstrakte Bedeutungsschattierung an. Z. B. […] pro recto de terra de Warministra […], PR 31 Henry I, S. 9, R1 m1d. Etwa […] ut habeat rectum de terra de Clistona. PR 31 Henry I, S. 112, R12 m1r. PR 30 Henry II, S. 55, R4 m2d.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

Die Gruppe der Abrechnungstermini und -phrasen weist hingegen keinerlei Synonyme auf. Keine dieser Formulierungen kann durch ein anderes Lexem oder eine andere Wortgruppe ersetzt werden. Ein Rechnungsleger wird etwa nur mithilfe des Adjektivs quietus als schuldenfrei bezeichnet, weder kann an dessen Stelle ein anderes Adjektiv treten noch kann ein umschreibender Nebensatz den gleichen semantischen Gehalt wie quietus zum Ausdruck bringen. Unter dem sechsten Kriterium, der Selbstdeutigkeit, versteht Hoffmann, dass ein Terminus keinen Kontext braucht, um verstanden zu werden.102 Auch dieses Kriterium wird von den einzelnen Lexemen nicht erfüllt: Für ihr Verständnis wird der Kontext des übrigen Syntagmas benötigt. Den Abrechnungsphrasen als Ganzen kann eine gewisse Selbstdeutigkeit allerdings zuerkannt werden: Sie bilden zusammen ein geschlossenes System, das die Bedeutung der einzelnen Phrasen eindeutig determiniert: Die Bedeutung der einzelnen Abrechnungsphrasen entsteht hauptsächlich aus seinen Relationen zu den übrigen Abrechnungsausdrücken. Die Kürze, das letzte Kriterium für einen Terminus, wird unten separat behandelt.103 Die Einteilung in Abrechnungsvokabeln auf der einen Seite und Vokabeln zur Beschreibung der Zahlungs- und Erlassungsbegründungen auf der anderen Seite erweist sich in der Analyse der Termini der Rechnung als fruchtbar : Die beiden Gruppen von Termini zeigen unterschiedliche Charakteristika. Für beide stellt sich jedoch in gleicher Weise heraus, dass die Ebene der Syntagmen, nicht die Ebene der Einzelwörter die konstituierende Einheit der Fachsprachlichkeit bildet. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Erkenntnissen der aktuellen Fachsprachenforschung.104 Zudem erfüllen beide Arten von Syntagmen zumindest einige der Kriterien, die Hoffmann für das Vorliegen eines Terminus aufgestellt hat. Im Hinblick auf die Termini kann der Rechnungssprache deshalb Fachlichkeit zugesprochen werden. Für die Abrechnungsphrasen konnten Fachbezogenheit, Eindeutigkeit, Eineindeutigkeit und Selbstdeutigkeit festgestellt werden. Als exakt im Sinne von explizit definiert oder als begrifflich erwiesen sie sich nicht. Die Zahlungs- und Erlassungsgründe konnten teilweise als fachbezogen, teilweise als begrifflich, alle jedoch als eindeutig charakterisiert werden. Durch Eineindeutigkeit oder Selbstdeutigkeit zeichneten sie sich nicht aus. Abrechnungsphrasen unterschieden sich damit in der Art der Fachsprachlichkeit von den Zahlungs- und Erlassungsgründen: Die Abrechnungsphrasen bilden miteinander ein kohärentes Gerüst eindeutiger Bedeutungszuweisungen, in dem es nicht zu Bedeu101 102 103 104

PR 30 Henry II, S. 61, R5 m1r. Hoffmann, S. 163. Siehe Kapitel 3.1.2.3. Hoffmann, S. 170.

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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tungsüberschneidungen kommt. Die Schreiber und Rezipienten benötigten hauptsächlich ein Wissen über diese Zusammenhänge, das heißt über das Aufbauprinzip der einzelnen Phrasen aufeinander. Um hingegen Zahlungs- und Erlassungsphrasen zu verstehen, wurde zumindest in manchen Fällen begriffliches Wissen um den fachlichen Gehalt eines Lexems benötigt. Dafür bildeten diese Phrasen kein so eindeutiges, aufeinander verweisendes Gerüst wie ihre die Abrechnung beschreibenden Partner. In die Sprache der Abrechnungsphrasen ging tendenziell prozedurales Kombinationswissen ein, wohingegen sich die Zahlungs- und Erlassungsgründe zumindest teilweise durch eher definitorisches Wissen auszeichneten. Weder alle Lexeme noch alle Syntagmen konnten Exaktheit in dem Sinne aufweisen, wie sie Hoffmann verwendet, sie wurden also nirgendwo definiert. Die reflektierende Ebene fehlt in der Sprache der Pipe Rolls. Um eine wissenschaftliche Fachsprache handelte es sich demnach nicht. Beiden Arten von Vokabeln, den Abrechnungsausdrücken wie den Beschreibungen der Zahlungs- und Erlassungsbegründungen, kommt zumindest auf der Ebene der Syntagmen Eindeutigkeit zu. Die Analyse lässt jedoch erkennen, dass in einigen Fällen der Kürze des Ausdrucks der Vorzug gegenüber der Eindeutigkeit eingeräumt wurde: So wurde zum Beispiel bei einigen Zahlungsgründen darauf verzichtet, ein präzisierendes Transaktionssubstantiv, Gerundivum oder Verb einzufügen. Ob auch die Standardisierung bisweilen höher bewertet wurde, lässt sich schwer erkennen, da sich nicht erschließt, ob hinter zwei gleichlautenden Phrasen eventuell unterschiedliche Sachverhalte standen. Zusammengefasst erweist sich die Sprache der Pipe Rolls nach dem ersten Analyseschritt als Fachsprache, die sich hauptsächlich durch Eindeutigkeit auszeichnet sowie prozedurales und in Ansätzen definitorisches Wissen umfasst, ohne jedoch als wissenschaftliche Sprache gelten zu können. Die Eindeutigkeit stellte dabei nicht das alleinige Kriterium für die Formulierung der Rechnungsabhörung dar, mindestens die Kürze des Ausdrucks wurde in einigen Fällen als wichtiger erachtet. 3.1.2.2. Kriterium (2): Standardisierung Nach den Termini bildet die Standardisierung die zweite große Analyseeinheit für die Frage nach der Fachsprachlichkeit der Rechnungssprache. Wie oben bereits erwähnt, soll in dieser Arbeit nicht nur die Standardisierung von Formulierungen, sondern auch die Gleichförmigkeit von Abkürzungen sowie die Regelmäßigkeit des formalen Aufbaus und der graphischen Gestaltung der Rechnungen untersucht werden. Gleichförmigkeit in der gesamten Erscheinungsform einer Rechnung steht also im Fokus. Dabei lassen sich die einzelnen Charakteristika dieser gesamten Erscheinungsform danach gliedern, ob sie

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

(1) immer standardisiert auftreten, (2) Abweichungen von einer standardisierten Form darauf zurückzuführen sind, dass der Präzision (selten der Eindeutigkeit) oder der Kürze ein höherer Stellenwert eingeräumt wurde, ob (3) solche Abweichungen zudem auf einfache Variation zurückgeführt werden können oder ob (4) ausschließlich solche Variationen die Ursache für mangelnde Standardisierung ausmachen. Lediglich vier Komponenten der Anordnung der Schrift auf den Rotuli der Rechnungen zeichnen sich durch ausnahmslose Standardisierung aus. Erstens beginnt jeder Posten mit einem etwas nach links abgesetzten Buchstaben, der zugleich etwas größer geschrieben wurde als der Rest der Zeile. Auf einigen Rotuli lässt sich eine dünne vertikale Linie erkennen, die links am ersten und zweiten Buchstaben entlangläuft und so dazu diente, den Abstand zwischen erstem und zweitem Buchstaben einzuhalten (siehe Abb. 11). Zweitens wurde für die Erlassungsformel Et In Perdonis (Und aufgrund von Vergebung) stets eine neue Zeile begonnen (siehe zum Beispiel Abb. 4, fünfte Zeile von unten). Drittens wurde die Bilanzierung Et Quietus est (Und er ist quitt) durchgängig an den rechten Rand des Pergamentblattes gesetzt; auch hier erkennt man auf manchen Rotuli die vertikalen Führungslinien (siehe Abb. 8). Viertens wurden die Beträge sehr standardisiert geschrieben. Die Zahlen wurden stets in der gleichen Form aufs Pergament gebracht. Standen in einer Zahl mehrere i hintereinander, so wurde das letzte zur Sicherung gegen Betrug langgezogen, eine drei also als iij geschrieben.105 Die vier stellten die Schreiber immer mithilfe der Addition dar (iiij), die neun hingegen als Subtraktion oder Rückzählung (ix), auch in Zusammensetzungen wie 14 (xiiij) oder 39 (xxxix) (siehe zum Beispiel Abb. 6 oder Abb. 2).106 Die Geldeinheiten wurden durchgängig einheitlich zu l (libra), s (solidus), d (denarius) und m (marca) abgekürzt. Die Pipe Rolls belegen damit, dass es auch in mittelalterlichen Dokumenten eine einheitliche Schreibweise von Zahlen geben konnte.107 Die Postenanfänge, die Bilanzierung Et Quietus est, die Vergebungsformel Et In Perdonis und die Geldbeträge bilden also gleichsam die unveränderliche Grundfeste der Rechnung. Die zweite Gruppe an Charakteristika der Rechnungssprache weist keine vollständige Standardisierung auf, da höherer Präzision oder Kürze der Vorzug 105 Diese Praxis wurde bei römischen Zahlen häufig angewandt, siehe Menninger, Bd. II, S. 88. 106 Schon in der Antike kam die zeit- und platzsparende Subtraktionsmethode auf, siehe King, S. 282 oder Burnett, S. 81. Laut Menninger, Bd. I., S. 86, rechneten auch viele Naturvölker bei größeren Zahlen lieber zurück als hoch. Smith erklärt die Verwendung der Rückzählung bei höheren Zahlen ebenfalls damit, dass es bei Zahlen über fünf leichter sei, von der nächstgrößeren Zahl zurück- als von der kleineren hochzuzählen, S. 59. Das erklärt allerdings nicht, warum die Pipe Roll-Schreiber auch für 14, 24 usw. die Additionsmethode verwendeten. 107 Laut Wedell, Zählen, S. 75 – 77, geht die Mathematikgeschichte davon aus, dass Zahlen im Mittelalter nicht einheitlich geschrieben wurden.

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gewährt wurde. Präzision meint hier, im Anschluss an Epple, den Grad der Übereinstimmung mit empirischen Daten.108 Die Präzision stieg, wenn die Rechnungsschreiber mehr Informationen über den von ihnen beschriebenen Sachverhalt angaben, da sie sich dadurch dem empirischen Fall annäherten, den sie erfassen mussten. Die Standardisierung der Rechnungssprache wurde nun in manchen Fällen durchbrochen, weil einer präziseren oder kürzeren Darstellung der Vorzug gewährt wurde: Zum Beispiel geschah die grundlegende Gliederung der Rechnung nach räumlichen Einheiten. Das lässt sich daran erkennen, dass auf jedem Rotulus ganz oben auf der recto-Seite, zentriert und in Kapitälchen, die Countys genannt werden, über die auf diesem Pergamentblatt abgerechnet wurde. Zumeist folgt als erster Posten die Abrechnung über die Pacht des ersten Ortes, wobei der Name des Sheriffs am Beginn dieses ersten Postens in Kapitälchen geschrieben wurde, was in anderen Posten nie geschieht. In der Pipe Roll des Jahres 1155/56 beginnt zum Beispiel mittig auf dem elften Rotulus die Abrechnung für Hampton, wobei Hantona und der Name des Abrechners Rogerus in Großbuchstaben gesetzt werden (siehe Abb. 3). Eine Variante dieser Aufbaumöglichkeit zeigt eine jeweils nicht allzu kleine Minderheit der Rotuli, auf denen zunächst über einzelne Einnahmen, insbesondere Pachtzahlungen, für alle Orte gemeinsam abgerechnet wurde, bevor die Aufgliederung in gesonderte Abrechnungen je Ort erfolgte.109 Insgesamt ergibt sich ein Mischprinzip der Gliederung: Grundsätzlich erfolgte sie nach Orten, zeichnete ein Sheriff aber für mehrere räumliche Einheiten verantwortlich, konnte die Abrechnung zumindest über die Pachteinnahmen, manchmal auch über sämtliche Angelegenheiten für all diese Regionen gemeinsam erfolgen. Die Abweichungen von einer einheitlichen Gliederungsform liegen also darin begründet, dass der Aufbau der Rechnung kürzer gestaltet wurde: Wenn möglich, wurden gleichgeartete Posten zusammengefasst. Die einzelnen Bausteine eines Postens wurden fast immer in der gleichen Reihenfolge notiert:110 Einzelne Bausteine können zwar weggelassen werden, in wenigen Posten wurden zudem Bemerkungen hinzugefügt. Die Abfolge, in der die einzelnen Bestandteile angeordnet wurden, ändert sich aber nicht. Die Auslassung der Nennung eines Erlassungsgrundes lässt sich einfach darauf 108 Epple. Siehe dazu oben, Kapitel 3.1.2.1. 109 Z. B. steht in PR 31 Henry I über dem Rotulus 5 recto groß und in Kapitälchen Sudreia et Grentebrugescira et Huntedonescira. Der erste Posten beginnt mit RICARDUS bass’ et Albic’ de Ver reddunt Compotum de firma de Sudreia et Grentebrugescira et Huntedonescira. Die einzelnen Ortsnamen finden sich weiter unten auf Membran 1 recto (GRENTEBRUGESCIRA), auf Membran 2 recto (HUNTEDONESCIRA) und auf Membran 1 dorso (SUDREIA), jeweils in großen Kapitälchen und mit einer Majuskel als erstem Buchstaben. In den jeweils darauffolgenden Posten werden entsprechend keine Pachtzahlungen mehr verbucht, weil diese ja bereits zu Anfang für alle zusammen abgerechnet wurden. 110 Zwei beispielhafte Posten werden in Kapitel 2.2.3 erläutert.

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zurückführen, dass es wohl keinen solchen gab, wohingegen fraglich bleibt, warum in wenigen Posten der geschuldete Betrag nicht genannt wurde.111 Die Hinzufügungen von Informationen deuten darauf hin, dass die Angabe ausreichender Erklärungen und damit die Herstellung der Präzision in der Aussage als wichtiger angesehen wurde als die strikte Einhaltung einer standardisierten Form.112 Die Präzision bildet auch bei der Formulierung der Abrechnungsphrasen die einzige – und seltene – Begründung für Abweichungen von einer standardisierten Ausdrucksweise. Bereits in der einleitenden Darstellung eines Rechnungspostens trat vor Augen, dass sich die Formulierungen, die sich mit den technischen Details des Abrechnungsprozesses beschäftigen, durch eine hohe Gleichförmigkeit auszeichnen: Die Zahlungsforderung wurde stets mit den Verben reddit Compotum (legt Rechnung) oder debet (schuldet) festgehalten. Nur wenige Ausdrucksmöglichkeiten gab es für die Art und Weise, in der ein Zahlungsvorgang registriert und bilanziert wurde. Eine Einzahlung kann erstens mit der Formulierung In thesauro (Im Schatz) beschrieben werden, wobei der Rechnungsleger entweder einen Teil (In thesauro x libras) oder den gesamten geforderten Betrag einzahlte (In thesauro liberavit). Die abschließende Bilanz unterscheidet sich danach, ob der Rechnungsleger nur einen Teil des geschuldeten Betrags einzahlte, so dass der Posten mit der Feststellung der verbleibenden Summe schließt (Et debet), oder ob er die gesamten Forderungen beglich und deshalb am Ende des Postens als schuldenfrei bezeichnet wird (Et Quietus est). Von diesem standardisierten Prozess gibt es wenige Ausnahmen: Eine Zahlung in der ältesten erhaltenen Pipe Roll erfolgte nicht in England, sondern in der Normandie (In thesauro Normannie),113 eine wurde nicht im Schatz (In thesauro), sondern bei der Kammer eingezahlt (ad Cameram Curie).114 Selten konnte der Rechnungsleger einen Überschuss ausweisen, so dass die Bilanz111 Der geschuldete Betrag wird insbesondere bei Abgaben bisweilen nicht genannt, kann aber aus dem eingezahlten und dem erlassenen Betrag sowie der Restschuld erschlossen werden. Beispielsweise wird über das auxilium von Hertford folgendermaßen abgerechnet: Et Idem Vicecomes reddit Compotum de Auxilio burgi de Heortford. In thesauro c solidos. Et in perdonis Burgensibus de Heortford c solidos pro paupertate sua. Et Quietus est. PR 31 Henry I, S. 65, R7 m1r. Aus den Angaben lässt sich leicht erschließen, dass das geschuldete auxilium 200 Schilling betrug. 112 Beispielsweise wurde die Angabe Sed positus est in Chent hinzugefügt, um deutlich zu machen, dass die entsprechende Abrechnung im Konto für Kent zu finden sei, siehe PR 31 Henry I, S. 94, R10 m2r ; oder die Schreiber vermerkten, dass über einen bestimmten Erlassungsvorgang noch einmal separat abzurechnen sei, siehe z. B.: Et in Doura xxx l. numero de quibus compotus debet reddi per se. PR 30 Henry II, S. 145, R11 m1r. 113 PR 31 Henry I, S. 54, R6 m1r. In der Normandie gab es ebenfalls zentralisierte Abhörungen, von denen Aufzeichnungen aus den vier Jahren 1180, 1184, 1195 und 1198 erhalten sind. Siehe dazu unten, Kapitel 4.3.2. 114 PR 31 Henry I, S. 134, R14 m1r.

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formel statt Et Quietus est oder Et debet in diesen Fällen Et habet de superplus lautete.115 Die Sprache, die den Abrechnungsprozess zum Ausdruck bringt, ist also geprägt von der hohen Gleichförmigkeit der Formulierungen. Unterschieden sich Vorfälle vom Regelfall der Abrechnung, wurde beispielsweise ein Betrag in der Kammer statt im Schatz eingezahlt, so wurde von der einheitlichen Formulierung abgewichen, um diesen Sonderfall in präziser Form festzuhalten. Von den Zahlungs- und Erlassungsgründen weist lediglich die Vergebung ohne konkretere Begründung eine solche Art der Standardisierung auf. Sie wurde stets auf die gleiche Weise formuliert: Die Vergebung wird immer mit der Formulierung In Perdonis gewährt. Darauf folgen stets im Dativ die Personen, denen die Schuld erlassen wurde. Grundlage für die Vergebung bildete in den allermeisten Fällen eine königliche Verfügung, was immer mit dem Zusatz per breve Regis ausgedrückt wurde.116 Selten konnte diese Verfügung auch auf die Autorität anderer Personen zurückgeführt werden, so zum Beispiel in der Rechnung aus dem 30. Regierungsjahr Henrys II. auf den Justiziar Ranulf of Glanvill.117 Aus Gründen der Präzision wurde die standardisierte Formel in wenigen Fällen abgewandelt. Grob- und Feinaufbau der Rechnung, die Formulierung der Abrechnungsphrasen und der Erlassungsformel In Perdonis fungieren demnach als Gerüst der Rechnung. Die seltenen Abweichungen vom standardisierten Aufbau oder den gleichförmigen Formulierungsregeln liegen darin begründet, dass der Präzision oder der Kürze an dieser Stelle eine wichtigere Rolle zugeschrieben wurde. In der dritten Gruppe von Phänomenen mangelt es nicht nur aus dem eben genannten Grund an Standardisierung, sondern auch wegen nicht weiter begründbarer Variation. Viele Zahlungsgründe gleichen sich in ihrer Formulierung nicht vollständig, da in manchen Fällen Informationen hinzugefügt wurden. Die Sicherstellung der Präzision ging also offenbar über die Herstellung von Gleichförmigkeit. So lassen sich die Abweichungen von völliger Standardisierung bei der Abrechnung über die Pacht mit dem Wunsch begründen, mehr Informationen anzugeben: Drei Viertel der Posten, die Pacht verbuchen, weisen den Ort aus, aus dem die Pacht stammt. Häufig wurde lediglich der Name notiert, etwa wenn die Pacht von Essex eingezogen wird (de firma de Essexa), manchmal wurde aber auch angegeben, um welche Art von räumlicher Einheit 115 Z. B.: Willelmus filius Stephani redd. comp. de c et x s. et vij d. blancorum de veteri firma de Gloecestrescira. Hoelo de Charlion x m. de dono per breve regis. Et habet de superplus xvj s. et j d. blancorum. PR 30 Henry II, S. 59, R5 m1r. 116 Eine typische Formulierung lautet beispielsweise: […] In Perdonis per breve Regis Episcopo Sari viij libras et x solidis Comiti Gloec’ vij libras et v solidos […], PR 31 Henry I, S. 147, R15 m2r. 117 Siehe z. B. in PR 30 Henry II, S. 59, R5 m1r : Et Hoelo de Charlion xx m. ad se sustentandum in servitio Regis in marchiis Walie per breve Rannulfi de Glanvill’.

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es sich handelte, wenn beispielsweise die Pacht für die Manors des Erzbistums York verrechnet wurde.118 Zudem wird in sechzig Prozent aller Fälle die Höhe des geforderten Betrags explizit genannt. Ebenso verhält es sich mit der Angabe, ob alte oder neue Pachteinnahmen verbucht wurden, die nicht bei jeder Pachtabrechnung, sondern lediglich in einem Drittel dieser Posten erfolgt. Dazu konnte entweder die Pacht (firma) als alte (vetus) oder neue (nova) bezeichnet werden oder auf das aktuelle Jahr (firma hujus anni), das vergangene Jahr (firma preteriti anni) oder auf die Zeit des Vaters des Rechnungslegers (firma de tempore patris sui) rekurriert werden. Dabei erfolgt die explizite Nennung des Adjektivs vetus oder novus insbesondere in den Fällen, in denen der gleiche Sheriff für die Pachteinnahmen des aktuellen wie des vergangenen Rechnungsjahres verantwortlich zeichnete. Hatte der Sheriff dagegen gewechselt, so wurden die verschiedenen Pachtzahlungen nicht als vetus firma und nova firma aufgezeichnet, sondern lediglich die alte Pacht als vetus markiert, die neue hingegen einfach als firma notiert.119 Vermutlich wurde es nicht für notwendig erachtet, die Pachteinnahmen des laufenden Jahres explizit als neu auszuweisen, da der Unterschied zwischen den Pachtzahlungen schon allein dadurch zum Ausdruck kam, dass verschiedene Sheriffs darüber Rechnung legten. Die Schreiber stellten mit der Hinzufügung des Adjektivs novus demnach in den Fällen die Eindeutigkeit in der Aussage her, in denen die Gefahr einer Verwechslung bestand. War die Möglichkeit einer Fehlinterpretation hingegen gering, wurde das zusätzliche erklärende Lexem eingespart. Auch der Zahlungsgrund placitum weist unterschiedliche Hinzufügungen auf: Placitum wurde meistens entweder durch die Angabe des beteiligten Richters, in den späten hier untersuchten Pipe Rolls häufig zum Beispiel der Justiziar Ranulf of Glanvill, oder die Nennung des Streitgrundes ergänzt. Wurde der Inhalt angegeben, handelt es sich häufig um Wald oder Tiere des Waldes,120 wahrscheinlich da dies unter die Jurisdiktion des Forstrechts fiel, mithin in diesen Fällen der Inhalt des Prozesses die Zuständigkeit des Königs konstituierte.121 Die Angabe der beteiligten Richter besaß insofern eine Relevanz für die Abhörer, als der Rechnungsleger zu einer Zahlung verpflichtet war, weil ein königlicher Richter den Prozess geführt hatte. Die Schreiber notierten hier 118 Laurentius archiadiaconus Bedeford et magister Rogerus Arundel et Willelmus Vauassur custodes archiepiscopatus Eboracensis reddt. comp. de M et c et xj l. et ij s. et x d. de firma maneriorum archiepiscopatus Eboracensis. PR 30 Henry II, S. 39, R3 m2d. 119 So gibt es auch der Dialogus an: Dialogus II, 9, S. 132. 120 In der PR 30 Henry II machen die placita foreste zwei Drittel aller Streitfälle aus. In der PR 31 Henry I deuten zudem Formulierungen wie de placito Cervi oder pro placito Bisse daraufhin, dass die Streitfälle mit dem forest law in Zusammenhang standen, da sie sich um einen Hirsch bzw. eine Hirschkuh drehten. 121 Zur königlichen Forstgerichtsbarkeit zur Zeit Henrys I. und Henrys II. siehe Young, Royal Forests, S. 2 – 58.

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genau die Aspekte einer Transaktion, die die Zuständigkeit der königlichen Abhörer konstituierten. Abweichungen von gleichförmigen Formulierungen treten aber auch in der Form auf, dass verschiedene Formulierungsmöglichkeiten für denselben Sachverhalt bestanden. Die Formulierungsunterschiede lassen sich also nicht mit inhaltlichen Differenzen erklären. Eine solche Variation liegt bei der Abrechnung über Land vor. In über achtzig Prozent der Posten erfolgte sie mithilfe der Präposition pro, in allen übrigen Fällen wurde ein Finalsatz mit ut gebildet.122 Eine Begründung für die wechselnde Verwendung von pro oder ut lässt sich nicht erschließen, denn die Zahlungen pro terra patris sui stehen in keinem anderen Kontext als solche ut habeat terram patris sui: Ein Sohn übernahm das Land seines Vaters. Die Phrase pro terra bildet offensichtlich den Regelfall der Formulierung, sie konnte jedoch auch variiert werden. Bei dieser Art von Variation liegt die Vermutung nahe, dass der Ausdrucksweise, auf die nur vereinzelt zurückgegriffen wurde, eine stilistische Variante zugrunde lag, die gleichsam im Aussterben begriffen war, weil sich eine alternative Phrase nahezu alleingültig durchgesetzt hatte.123 Es lässt sich kein Prinzip feststellen, nach dem eine der verschiedenen Ausdrucksvarianten gewählt wurde, so dass sie als Varianten einzuordnen sind, von denen eine zwar bevorzugt ausgewählt, aber nicht ausschließlich benutzt wurde. Die gleiche Art der Standardisierung lässt sich bei den gekürzten Worten feststellen: Insbesondere die Abkürzungen, die in wohl fast jedem mittelalterlichen Schriftstück zu finden sind und deshalb wohl zum Standardrepertoire der Schreiber gezählt werden können, erfolgten in immer gleicher Form. So wurde zum Beispiel ecclesie zu eccle oder episcopo zu epo abgekürzt. Eindeutigkeit als Begründung für mangelnde Standardisierung tritt zutage, wenn das gleiche Wort in unterschiedlichen Kontexten verschieden abgekürzt wird. Ein Beispiel bildet der Genitiv Regis (des Königs): In der sehr häufigen Phrase per breve Regis (auf Verfügung des Königs) wurde er zumindest in den frühen Rechnungen fast immer nur mit dem ersten Buchstaben R angegeben (siehe zum Beispiel Abb. 6, letzte Zeile), in anderen Verwendungszusammenhängen indes nur zu Reg verkürzt. Die Abkürzung p br R wurde auf diese Weise gleichsam zu einem eigenen Fachausdruck, der einen sehr häufigen und ganz bestimmten Fall der Autorisierung bezeichnete.124 Ein ähnlicher Fall liegt bei der Abkürzung des Dänen122 Die zugehörigen Prädikate bilden stets Verben des Besitzens wie etwa habere, saisiri oder tenere. So heißt es beispielsweise in PR 31 Henry I, S. 73, R8 m1r: Andr’ de Felda reddit Compotum de xl solidis ut habeat terram […]. 123 Diese Wandlungsprozesse werden in Kapitel 4.1. beschrieben. 124 Für die aktuellen Fachsprachen beschreibt Hoffmann einen ähnlichen Vorgang: Termini würden oft durch die Verbindung mehrerer Wörter gebildet, die in der Folge meistens abgekürzt würden, so dass spezielle Fachabkürzungen entstünden. Hoffmann, S. 173 – 176.

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geldes vor. In den wenigen Rechnungen, in denen über das Dänengeld abgerechnet wurde, wurde der Zahlungsgrund Danegeldo ausgeschrieben, wenn er ohne Adjektiv stand, die Höhe der Dänengeldzahlung nicht explizit genannt wurde und eine sehr lange Aufzählung von Personen folgte, die von der Zahlung ausgenommen werden. Diese Verwendung von Danegeldo weist zusammengenommen einen gewissen Überschriftscharakter auf, der sich im Schriftbild niederschlägt. In den wesentlich kürzeren Posten, in denen über das Dänengeld vergangener Zahlungsperioden abgerechnet wurde, erscheint danegeldum zumeist zu Daneg’ abgekürzt, etwa wenn im Jahr 1163/64 unter den letzten Posten der Abrechnung für Yorkshire, in denen verschiedene vermischte Zahlungsgründe aufgeführt werden, auch ein Rechnungsleger sieben Pfund altes Dänengeld bezahlt.125 Unterschiedliche Abkürzungen schufen ein eindeutiges Verweissystem auf verschiedene Zusammenhänge. Die beiden Abkürzungsvarianten stellen keine größere Nähe zu den empirischen Daten her, sondern definierten die Relation zwischen beiden Fällen. Die mangelnde Standardisierung einiger Abkürzungen lässt sich demnach durch das Bemühen um Eindeutigkeit (oder, in der Terminologie Epples: Exaktheit) begründen. Einige Abkürzungen variieren jedoch ohne erkennbaren Kontextbezug. So wurde beispielweise Compotum (Rechnung) in der ersten erhaltenen Pipe Roll fast tausendmal notiert, steht dabei immer im gleichen Verwendungszusammenhang – nämlich in der Verbindung reddit Compotum (er legt Rechnung) –, wurde aber dabei ungefähr gleich häufig zu Compot oder zu Copot reduziert. In der Zeit Henrys II. kristallisierte sich zwar Comp zu der eindeutig am häufigsten genutzten Abkürzung heraus, jedoch bestand immer die Möglichkeit, Alternativen wie etwa Cop oder Copot zu wählen. Ebenso bestanden für das gleichfalls sehr häufige Wort thesauro bis zum Rechnungsjahr 1167/68 die Abkürzungsmöglichkeiten th und thro nebeneinander, obgleich sie stets im selben Zusammenhang genutzt wurden, nämlich in dem Einzahlungsvermerk In thesauro. Der dritte Bereich, in dem diese Art von Standardisierung auftrat, besteht in der Anordnung der einzelnen Phrasen auf der Seite. Auch hier lassen sich begründbare Ausnahmen neben einfacher Variation finden. Für manche Phrasen lässt sich eine Anordnungsregelmäßigkeit erkennen, die gebrochen wurde, wenn der Platz nicht für die geplante Anordnung ausreichte: Die Einzahlungsformel In thesauro (Im Schatz) steht fast immer mit etwas Abstand zum Rest des Textflusses, außer wenn in der Zeile bereits so viel geschrieben wurde, dass Einzahlungsformel und Bilanz nicht mehr in die Zeile gepasst hätten, wenn sie mit dem eigentlich nötigen Abstand eingesetzt worden wäre (siehe Abb. 9, vergleiche die letzte Zeile mit den Zeilen darüber ; oder Abb. 2 oder 12).126 Ebenso wird 125 PR 10 Henry II, S. 13, R2 m1r. 126 Ohne Abstand zum vorhergehenden Text wird In thesauro außerdem beispielsweise in

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das Substantiv summa mit dem nachfolgenden Betrag, das nach langen Aufzählungen von vergebenen Beträgen deren Summe angibt, je nach Platzverhältnissen meistens in die Mitte einer neuen Zeile gesetzt, manchmal aber nur mit etwas Abstand in derselben Zeile wie der vorangehende Text platziert.127 Drei andere Phrasen werden in unterschiedlicher Weise angeordnet, ohne dass Platzmangel dafür eine Rolle gespielt hätte. Sowohl der Einzahlungsvermerk In thesauro als auch die Bilanz Et Quietus est stehen häufig, aber bei weitem nicht immer, genau untereinander. Insbesondere in der frühesten erhaltenen Pipe Roll wurde die Quitt-Formel zwar erkennbar am rechten Rand des Pergamentblatts ausgerichtet, die jeweiligen Schuldlosigkeitserklärungen der einzelnen Posten wurden jedoch zumeist nur dann auch aneinander ausgerichtet, wenn der Quitt-Vermerk in mehreren aufeinanderfolgenden Zeilen zu notieren war, die Et Quietus est-Sätze also unmittelbar untereinander standen und keine Zeilen dazwischen lagen.128 Die Bilanzierungen der Schuldlosigkeit eines Rechnungslegers wurden also nicht nur rechtsbündig, sondern auch aneinander ausgerichtet, wenn sich diese Ausrichtung relativ einfach vollführen ließ, weil die entsprechenden Phrasen ohnehin direkt untereinander standen. In der Zeit Henrys II. nahm die Ausrichtung aneinander beständig zu, ohne dass sie allerdings innerhalb des Betrachtungszeitraums jemals ausnahmslos durchgeführt worden wäre.129 Eine gewisse Variation bei der Anordnung dieser Phrase blieb bestehen. Die gleiche Beobachtung lässt sich für die Einzahlungsformel In thesauro treffen: Die Einzahlungsbemerkungen der einzelnen Posten standen häufiger, jedoch in keiner Pipe Roll völlig standardisiert untereinander.130 Ebenso kann die Anordnung der Bilanz Et debet (Und er schuldet) variieren: Dieser Satz wurde ohne erkennbare Systematik in wenigen Rotuli manchmal nicht in eine neue Zeile gesetzt, sondern mit etwas Abstand zum vorhergehen-

127

128 129 130

PR 31 Henry I auf den Rotuli 14 dorso und 16 dorso, in PR 20 Henry II auf den Rotuli 2 recto, 3 dorso, 9 dorso und 10 recto jeweils mindestens einmal gesetzt. In PR 31 Henry I steht summa immer in der Mitte einer Zeile auf den Rotuli 1r, 2d, 3d, 5d, 6, 7r, 8, 9, 10d, 11d, 12d, 13r, 15 und 16. Beide Formen finden sich auf den Rotuli 1d, 2r, 3r, 5r, 7d, 10r, 11r und 14r. In PR 2 Henry II steht summa in der Mitte der Zeile auf den Rotuli 3d, 4, 5, 6. Auf eine eigene Zeile wird summa gesetzt auf den Rotuli 10d, 11, 12. Beide Formen finden sich auf den Rotuli 1r, 3r, 7r, 8r. Alle übrigen hier betrachteten Pipe Rolls zeigen ein ähnliches Bild. Dies lässt sich auf fast jedem Rotulus der PR 31 Henry I beobachten. Beispielsweise stehen im unteren Drittel von R2 m1d jeweils zwei der Et Quietus est-Vermerke genau untereinander, die beiden Gruppen von je zwei Vermerken sind aber nicht aneinander ausgerichtet. In PR 20 Henry II etwa steht mindestens ein Et Quietus est-Satz verschoben zu der Mehrheit dieser Quitt-Phrasen auf den Rotuli 3r, 4, 7r, 8, 9r, 10r, in PR 30 Henry II auf den Rotuli 1d, 2d, 3r, 4, 6, 10, 11d. Nicht alle Einzahlungsbelege stehen beispielsweise in PR 20 Henry II auf den Rotuli 2r, 3, 4, 7, 8d, 9d, 10, untereinander.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

den Text in der fortlaufenden Zeile weitergeschrieben (vergleiche Abb. 8 mit Abb. 11).131 Zahlungsgründe, Abkürzungen und die Anordnung der Phrasen auf der Seite weisen also zum einen deshalb keine vollständige Standardisierung auf, weil der Präzision (und selten der Eindeutigkeit) des Ausdrucks der Vorzug gewährt wurde. Im Unterschied zu den anderen beiden bisher genannten Arten von Standardisierung konnte von der völligen Gleichförmigkeit zum anderen abgewichen werden, ohne dass sich darin eine Systematik erkennen ließe. Die Zahlungsgründe, die Abkürzungen und die Phrasenanordnung besaßen demnach eine gewisse Volatilität. Auch wenn sich eine Regelmäßigkeit erkennen lässt, so scheinen doch immer auch Alternativen dazu auf. Diese Elemente der Rechnung zeigen sich demgemäß offen für Variationen. Eine Form der Rechnungscharakteristika tritt jedoch häufiger auf als die anderen und kann deshalb als Regelfall bezeichnet werden. Deshalb bilden die Zahlungsgründe, Abkürzungen und die Phrasenanordnung ebenfalls Bauteile des Rechnungsaufbaus, als tragende Säulen fungieren sie jedoch nicht. Dagegen folgt die Reihenfolge, in der die einzelnen Posten innerhalb der Abrechnung eines Ortes angeordnet wurden, keinem System, sondern lediglich der Produktionslogik der Pipe Rolls.132 Dieser Bestandteil der Rechnungssprache erweist sich damit als nicht konstitutiv für den Aufbau der Rechnung. Die verschiedenen Arten von Standardisierung unterscheiden sich, wie die vorstehende Analyse zeigte, hinsichtlich der verschiedenen Gründe für die Abweichung von einer gleichförmigen Gestaltung, Anordnung oder Formulierung. Aus ihrer Untersuchung lässt sich gewissermaßen ein Bauplan für die Rechnungen destillieren. Die einzelnen Komponenten der Rechnungssprache können als umso festigender und konstituierender für den Rechnungsaufbau angesehen werden, je standardisierter sie sich zeigen und je weniger die Abweichungen vom Standardfall lediglich durch Variation begründet werden können. Das Herausheben der Postenanfänge, die Anordnung der Bilanzierungsformel Et Quietus est (Und er ist quitt) am rechten Rand des Pergaments, die Positionierung der Vergebungsformel Et In Perdonis in einer neuen Zeile sowie die Schreibweise der Beträge stellen dementsprechend das Fundament der Pipe Rolls dar, da sie in allen Pipe Rolls gleichförmig vorgenommen wurden. Der Grob- und Feinaufbau der Rechnung, die Formulierung der Abrechnungsphrasen und der Erlassungsformel In Perdonis bilden das Gerüst der Rechnung: 131 Dies geschieht z. B. in PR 31 Henry I vereinzelt auf den Rotuli 3r, 6r und 12r. In den frühen Pipe Rolls aus der Zeit Henrys II. steht Et debet stets in einer neuen Zeile. In PR 20 Henry II wurde auf den Rotuli 3d, 5d, 7d, 10d keine neue Zeile für Et debet eröffnet. In PR 30 Henry II wurde lediglich auf den Rotuli 8d und 11d Et debet immer in eine neue Zeile gesetzt. 132 Siehe Kapitel 2.2.2.

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Sie zeigen zwar nicht fortdauernd dieselbe Ausprägung, die Abweichungen von einer einheitlichen Form lassen sich aber dadurch erklären, dass anstelle der Standardisierung andere Kriterien wie Kürze und Eindeutigkeit als wichtiger erachtet wurden. Ein gewisses Maß an Variation und damit Volatilität kann bei den Zahlungsgründen, den Abkürzungen und der Anordnung der Phrasen auf der Seite konstatiert werden. Diese Komponenten der Rechnung fungierten als Bauteile des Rechnungsaufbaus, aber nicht als tragende Elemente. Keinerlei Ansatz zu Gleichförmigkeit zeigt die Reihenfolge der Posten innerhalb der Abrechnung über ein County, also der Aufbau der Rechnung auf einer mittleren Ebene zwischen Grob- und Feingliederung. Diesem Element kam im Aufbau der Rechnungssprache also keine entscheidende Funktion zu. Variation verringerte den Standardisierungsgrad der Rechnungssprache. Dies kann einerseits, wie gerade geschehen, als Einbuße an Stützkraft gewertet werden: Die volatilen Komponenten der Rechnungssprache trugen demnach weniger zum Aufbau der Rechnungssprache bei als die in regelmäßiger Form auftretenden Elemente. Andererseits blieben die Komponenten, an denen Variationen beobachtet werden konnten, offen für Veränderungen. Ein Übermaß an Standardisierung hätte zur Erstarrung der Rechnungssprache führen können. Dem stand die Möglichkeit entgegen, einzelne Bestandteile der Sprache zu verändern. Die gleichförmigen Elemente wirkten gegen zu hohe Volatilität, die Variationsmöglichkeiten bewahrten die Rechnungssprache vor der Versteinerung. Erst in diesem Zusammenspiel zwischen der Befestigung des Rechnungsaufbaus durch seine standardisierten Elemente einerseits und der Öffnung für Veränderungen andererseits entstand also Stabilität.133 Standardisierung bildete aber nicht das einzige Maß für die Erstellung einer Rechnung. Mangelnde Standardisierung findet ihre Begründung in einigen Fällen darin, dass Präzision oder Kürze bevorzugt implementiert wurden. Standardisierung erweist sich damit ebenso wie die Eindeutigkeit nicht als das alles dominierende Kriterium bei der Erstellung einer Rechnung. 3.1.2.3. Kriterium (3): Kürze Für die Beantwortung der Frage nach der Fachsprachlichkeit der Rechnungssprache fehlt nach der Behandlung der Termini und der Standardisierung nun noch die Analyse der Kürze als der dritten großen Analyseeinheit. Diese Kürze kann auf jeder Ebene der Rechnungssprache analysiert werden: Auf der Wortebene konnten Abkürzungen verwendet, auf der Satzebene mit wenig Verben operiert und auf der Ebene der Anordnung der Schrift auf der Seite wenig 133 Variation als Zeichen für die Anpassungsfähigkeit der Rechnungen wird ausführlich in Kapitel 4.1. behandelt.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

Abstand zwischen den einzelnen Bestandteilen der Rechnung gelassen werden. Abkürzungen und kurze Abstände führen zu optischer Kürze. Die Formulierung mit wenigen Verben kann hingegen als Kürze im Ausdruck bezeichnet werden. Alle drei Kriterien weisen für die Abrechnungsphrasen auf der einen Seite und die Zahlungs- und Erlassungsgründe auf der anderen Seite deutlich unterschiedliche Ausprägungen auf: Insgesamt überwog für die Abrechnungsphrasen das Bemühen um Unübersehbarkeit, wohingegen Zahlungs- und Erlassungsgründe eher kurz als präzise gestaltet wurden. Die Worte, aus denen sich die Abrechnungsphrasen zusammensetzen, wurden selten und nur wenig verkürzt, obwohl gerade diese Worte sehr häufig vorkamen. Gerade die extrem oft auftretenden Abrechnungsphrasen reddit Compotum (er legt Rechnung) und Et Quietus est (Und er ist quitt) werden verhältnismäßig wenig verkürzt: Reddit Compotum wird als redd Comp, redd Copot oder redd Cop in der Pipe Roll vermerkt (siehe zum Beispiel Abb. 1, erste und vorletzte Zeile, oder Abb. 2 oder Abb. 7, letzter Posten), bei Et Quietus est wird lediglich die us-Endung weggekürzt (siehe etwa Abb. 8), obwohl auch eine Abkürzung auf die Initialen die Verständlichkeit wahrscheinlich nicht beeinträchtigt hätte. Dass die Möglichkeit bestand, ein Wort lediglich durch seinen Anfangsbuchstaben wiederzugeben, zeigen die beliebtesten Währungseinheiten, die nur noch mit jeweils einem einzigen Buchstaben bezeichnet wurden.134 Die Möglichkeit wurde aber bei reddit Compotum und Et Quietus est nicht genutzt. Offenbar sollten diese Phrasen keinesfalls übersehen werden: Augenfälligkeit wurde der Vorzug vor der Abkürzung gewährt. Die drei Verben, die den Abrechnungsprozess beschreiben, reddere Compotum, debere und esse,135 machen zusammen jeweils circa drei Viertel der in einer Pipe Roll verwendeten Verben aus. Zur Formulierung des Abrechnungsprozesses wurden Verben also immer verwendet, Zahlungs- und Erlassungsgründe aber nur selten mit ihrer Hilfe beschrieben. Auch bei der Anordnung der Abrechnungskomponenten auf der Seite wurde nicht an Platz gespart. Die Postenanfänge, die Einzahlungsformulierung In thesauro (Im Schatz) und die Schuldenfreiheitserklärung Et Quietus est (Und er ist quitt) wurden durch Abstände und teilweise größere Buchstaben als hervorgehobene Komponenten des Abrechnungsprozesses markiert. Die Gestaltung der Zahlungs- und Erlassungsgründe unterscheidet sich merklich von dieser Ausformung der Abrechnungsphrasen. Der grundsätzlich 134 So wird libra (Pfund) als l angeführt, solidus (Schilling) als s, denarius (Pfennig) als d, marca (Mark) als m. Nicht so stark reduziert werden Bezeichnungen für seltener genutzte Währungen wie z. B. obolus, der zu obl gekürzt wird. In den zitierten Posten habe ich diese Abkürzungen aufgelöst. Die Abbildungen zeigen, dass die Währungseinheiten in den Pipe Rolls abgekürzt wurden. 135 Esse kommt in der Phrase Et Quietus est vor.

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knappe Stil der Rechnung wird durch die Verwendung zahlreicher Abkürzungen einzelner Worte ergänzt. Dies überrascht bei einem mittelalterlichen Dokument natürlich nicht.136 Allerdings lassen sich zwei Auffälligkeiten konstatieren: Erstens verschleiern die Abkürzungen oft den Numerus einer Zahlungs- oder Erlassungsbegründung, der nur in einigen wenigen Fällen aus dem Kontext erschlossen werden kann. Sehr selten lässt sich beispielsweise erkennen, ob über placitum oder placita abgerechnet wurde. Eine typische Formulierung lautet: pro plac’ Coron’ concel’.137 Ob hier nur ein Fall verheimlicht wurde, der vor ein königliches Gericht hätte gestellt werden müssen, oder ob es sich um mehrere handelte, lässt sich nicht erkennen. Zweitens konnten bisweilen die gleichen Abkürzungen nicht nur für unterschiedliche Numeri, sondern auch für verschiedene Lexeme verwendet werden. Beispielsweise stand forest’ sowohl für Formen von foresta (Forst) als auch für Formen von forestarius (Förster).138 Bei Verben verstellt der Wegfall der Endungen insbesondere in den frühen Pipe Rolls bisweilen die Kenntnis über das genaue Tempus.139 Zumindest in manchen Fällen wussten die Schreiber selber nicht, was sich hinter den Abkürzungen verbarg: Ob die Grundform des Dänengeldes danegeldum oder danegeldus lautete, war den Abhörern selber nicht klar.140 Kürze genoss den Vorzug gegenüber der Präzision. Das zeigt sich auch daran, dass die meisten Zahlungsbegründungen als knappe Phrasen ohne Verben erfolgten, die den Sachverhalt genauer hätten illustrieren können. So verhindert etwa die formelhafte Nennung des Zahlungsgrundes pro pace fracta in der ersten erhaltenen Pipe Roll genauere Einsichten, welche Art von Frieden in welcher Weise gebrochen wurde. Ein ausformulierter Finalsatz, zudem mit einem erklärenden Relativsatz angereichert, erhellt einen Sachverhalt wesentlich deutlicher. Beispielsweise erklärt die Angabe, dass jemand zahlt, ut teneat in pace terram quam Hugo de Albertivilla 136 Frenz, S. 3, weist darauf hin, dass Abkürzungen manchmal als typisch mittelalterliches Phänomen, manchmal gerade im Gegenteil als charakteristische Erscheinung der Gegenwartssprache bezeichnet werden. Das Auftreten von Abkürzungen überrascht also in keinem Text, der schnell gelesen oder geschrieben oder auf wenig Platz untergebracht werden sollte. 137 PR 20 Henry II, S. 92, R7 m1d. Die Abgaben wurden bisweilen mit einem Adjektiv wie vetus präzisiert, das den Numerus erkennen lässt, z. B.: […] de vet’i Scut’ […], PR 10 Henry II, S. 37, R4 m2r. 138 Auf placitum können sowohl die Genitive foreste/forestarum als auch forestarii/forestariorum folgen. Deshalb kann bei der Abkürzung forest’ nicht entschieden werden, ob der Rechnungsleger für einen Prozess über Wälder oder ein Urteil über oder unter Beteiligung von Förstern zahlen muss. Da allerdings auch die Abkürzung forestar’ existiert, liegt es nahe, bei forest’ von Wäldern auszugehen. 139 Besonders häufig lässt die Abkürzung ut ten in der PR 31 Henry I offen, ob die Schreiber ut teneat, ut teneret oder ut tenuerit meinten. 140 Dialogus I, 11, S. 101.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

clamat,141 recht genau, dass jemand sein Land, das von jemand anderem gefordert wurde, in Frieden behalten wollte. Dass häufig der Erwerb verschiedenster Dinge verrechnet wird, wurde oben ebenfalls aus den entsprechenden Verben wie habere, tenere etc. geschlussfolgert: Beispielsweise erklärt die Formulierung, jemand zahle pro terra, die Transaktion wenig. Schließlich könnte »für das Land des Vaters« ebenfalls bedeuten, dass jemand Abgaben für dieses Grundstück entrichtete oder auch dafür zahlte, dass sein Vater Land erhielt. Erst die Hinzufügung eines Verbs habere macht deutlich, dass es sich um einen Besitztransfer handelt.142 Zur Illustration einer Erlassungsbegründung wurden Verben noch seltener verwendet als für eine Forderung. Zwar ließe sich zu den mit In eingeleiteten Erlassungsgründen stets das Verb liberavit ergänzen, also zum Beispiel zur Phrase Et In liberatione constituta vinitori xxx s. et v d. ein liberavit hinzusetzen, um zu verdeutlichen, dass dem Sheriff von Hertfordshire dreißig Schillinge und fünf Pfennige von seiner Pachtschuld abgezogen wurden, weil er diese für die Bezahlung von Weinhändlern aufgewandt hatte.143 Da aber auf diese Weise jede Reduktionsphrase mithilfe desselben Verbs formuliert worden wäre, hätte sich keine Bedeutungsdifferenzierung erreichen lassen. Die Unterschiedlichkeit von Zahlungserlassungen manifestiert sich also hauptsächlich in Substantiven, nicht in Verben.144 Zudem weisen die Pipe Rolls etwa fünfmal so viele verschiedene Substantive wie Verben auf. Deren Variationsbreite scheint recht gering. Die kontexterhellende Wirkung von Verben wurde von den Rechnungsschreibern also selten genutzt. Die Kürze in der Formulierung wurde bei Zahlungs- und Erlassungsbegründungen offenbar höher bewertet als die Präzision in der Aussage. Zahlungs- und Erlassungsgründe werden im Zeitverlauf immer seltener optisch aus dem Schriftbild hervorgehoben. Wurde in der ersten erhaltenen Pipe Roll für die Ausgaben, die sich ein Sheriff auf die Pachtausgaben anrechnen lassen konnte, noch häufig eine neue Zeile begonnen, so verschwindet diese augenfällige Betonung im Laufe der Zeit.145 Die Zahlungsgründe firma und danegeldum/us wurden ebenfalls nur in den frühesten Rechnungen in Kapitälchen 141 PR 31 Henry I, S. 64, R7 m1r. 142 Dieses Verb kann entweder als Gerundivum auftreten, wie z. B. in der Formulierung pro rehabenda terra sua, oder als Prädikat eines ut-Satzes, etwa in der Formulierung ut habeat terram suam. 143 PR 30 Henry II, S. 25, R2 m2d. 144 Die einzige Ausnahme bilden die Adversativsätze, die als eigenständige Sätze auch ein Prädikat ihr Eigen nennen. Hier beschreibt das Prädikat den Erlassungsgrund, denn der Rechnungsleger besitzt beispielsweise nichts (nichil habet), ist tot (mortuus est), ist verschwunden (defecit), man kann bei ihm nichts finden (non potest inveniri) etc. 145 Für die Notierung der Ausgaben In Decimis (Zehnte), In Elemosinis (Almosen), In Liberationibus (Zuwendungen) oder In Terris Datis (vergebene Ländereien) wurde häufig eine neue Zeile begonnen.

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gesetzt. Lediglich die Vergebungsformel Et In Perdonis stand immer in einer neuen Zeile (siehe zum Beispiel Abb. 4, fünfte Zeile von unten). Allerdings bestand daneben die Möglichkeit, das Et wegzulassen und die Erlassungsformel In Perdonis in die gleiche Zeile wie den Rest des Postens zu setzen, wo es manchmal mit etwas Abstand, manchmal direkt an den vorhergehenden Text angeschlossen wurde (siehe Abb. 2, Zeile 7 – 9). Außer dieser Vergebungsphrase wurde kein Zahlungs- oder Erlassungsgrund im gesamten Beobachtungszeitraum konsequent hervorgehoben. Insgesamt dominiert die Kürze der Darstellung. Durch eine noch stärkere graphische Kürze zeichnen sich nur die Beträge aus: Sie wurden in keiner Weise aus dem Text hervorgehoben, die Geldeinheiten wurden zudem immer in maximaler Form zu lediglich einem Buchstaben abgekürzt.146 Natürlich konnten auch nicht alle Phrasen und Komponenten der Rechnung durch eine spezielle Anordnung oder Hervorhebung als wichtig markiert werden: Hätten die Schreiber sowohl die Abrechnungsphrasen als auch die Zahlungs- und Erlassungsgründe hervorgehoben, wäre wenig übrig geblieben, von dem sich diese Komponenten hätten abheben können. Die Schreiber stellten aber nicht einige Abrechnungsphrasen und einige Zahlungs- und Erlassungsgründe heraus, sondern betonten fast ausschließlich erstere durch eine Art der Anordnung, die mit dem Platz auf der Seite verschwenderisch umging. Dieses Bild wird dadurch ergänzt, dass die Zahlungs- und Erlassungsgründe außerdem häufiger und stärker abgekürzt und zudem viel seltener mit Verben formuliert wurden. Insgesamt erweist sich die Kürze somit als gleichsam anpassungsfähiges Kriterium: Sie stellte keine absolute Anforderung an die Gestaltung der Rechnung dar, sondern konnte je nach Komponente variiert werden. Kürze wurde nicht in jedem Falle höher bewertet als Augenfälligkeit oder Präzision. Dass dies nicht ausschließlich für die Abrechnungsphrasen gilt, zeigt beispielhaft eine in der ersten erhaltenen Pipe Roll verbesserte Passage: Vier Londoner Sheriffs wollten aus ihrer Funktion aussteigen. Zunächst wurden alle vier Londoner Sheriffs in einem Posten behandelt.147 Dieser Posten wurde durchgestrichen und die Abrechnung stattdessen auf zwei Posten aufgesplittet: Zunächst zahlten drei Sheriffs für die Abgabe des vicecomitatus,148 anschließend der vierte.149 Zu be146 Pfund (libra) zu l, Schilling (solidus) zu s, Pfennig (denarius) zu d, Mark (marca) zu m. 147 Quattuor Vicecomites Londonie reddunt Compotum de viij marcis auri ut exeant de Vicecomitatu Londonie. In thesauro iij marcas auri. Et debent v marcas auri. PR 31 Henry I, S. 149, R15 m2r. 148 Wilhelmus Lelutre et Gaufridus bucherellus et Radulfus filius Herlewini reddunt Compotum de vj marcis auri ut exeant de Vicecomitatu Londonie. In thesauro iij marcas auri. Et debent iij marcas auri. PR 31 Henry I, S. 149, R15 m2r. 149 Wilhelmus de Balio debet ij marcas auri ut exeat de Vicecomitatu Londonie. PR 31 Henry I, S. 149, R15 m2r.

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gründen ist diese Aufteilung mit unterschiedlichem Zahlungsverhalten. Im durchgestrichenen Posten rechneten die vier Sheriffs über acht Goldmark (also zwei Goldmark pro Sheriff) ab, wovon drei eingezahlt und entsprechend fünf noch geschuldet wurden. Die drei Sheriffs rechneten entsprechend über sechs Goldmark ab; drei brachten sie auf, drei blieben sie schuldig. Für den vierten Sheriff wird lediglich erwähnt, dass er zwei Goldmark schuldete. Möglicherweise erschien der zunächst angelegte Rechnungsposten als zu ungenau, weil er nicht deutlich machte, dass drei der vier Sheriffs bereits eine Goldmark ihrer Schuld beglichen hatten, wohingegen einer der vier noch zwei Goldmark schuldig blieb.

3.1.3. Bilanz: Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Fachsprache Die Untersuchung der Sprache der Pipe Rolls zeigte, dass diese nicht nur Fachtermini aufweist, sondern sich auch durch standardisierte und kurze Elemente auszeichnet. Diese Charakteristika lassen sich nochmals verdeutlichen durch einen Vergleich mit dem fiktiven Dialog über das Schatzamt, den der Schatzmeister Richard of Ely gegen Ende der 1170er Jahre verfasste.150 Untersucht man die Verwendungszusammenhänge derjenigen Lexeme, die in den Pipe Rolls als Abrechnungsvokabeln oder zur Bezeichnung von Zahlungs- und Erlassungsgründen auftraten,151 so erkennt man eine gewisse semantische Nähe zwischen den Rechnungen und dem Dialogus, der den Prozess ihrer Erstellung beschreibt und einbettet.152 Zahlreiche Lexeme, die in den Pipe Rolls zur Begründung einer Zahlung oder ihrer Erlassung verwendet werden, bezeichnen auch im Dialogus nie einen anderen, weniger rechnungsspezifischen Sachverhalt. Der häufigste Erlassungsgrund perdonum (Vergebung) beispielsweise meint im Dialogus genau wie in den Pipe Rolls ausschließlich die Vergebung, die der König einem seiner Schuldner in Hinblick auf eine konkrete Geldschuld gewährt, denn perdonum wird nie ohne den Bezug auf den König153 oder seine Verfügungen (brevia)154 erwähnt. In knapp der Hälfte der Fälle, in denen

150 Der Dialogus wird in Kapitel 1.4. vorgestellt. 151 Da ich den Dialogus zu Vergleichszwecken analysiert habe, habe ich nicht seinen gesamten Lexembestand untersucht, sondern lediglich die Verwendungsweisen der Lexeme geprüft, die in den Pipe Rolls das Abrechnungsvokabular, die Zahlungs- und Erlassungsgründe bilden. 152 Auf Funktion und Charakter des Dialogus geht das Kapitel 3.2.3. ein. 153 So heißt es allgemein über das Vergeben des Königs: Quippe similis est donorum et perdonorum regis ratio vt, sicut dona eius reuocari vel repeti non debent, sic nec regis dimissa, que vulgo perdonata dicuntur, nequeunt in irritum deuocari. Dialogus I, 8, S. 96. 154 Z. B. wird die Abfassung der Verfügungen zum Schuldenerlass als eine der Aufgaben des Kanzleischreibers dargestellt: Nichilominus hic breuia regis scribit de computandis vel

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perdonum im Dialogus genannt wird, erscheint es im Rahmen der rechnungstypischen Formel In Perdonis per breve Regis (vergeben auf Verfügung des Königs).155 Ebenso treten die in den Rechnungen verhältnismäßig häufig verbuchten Abgaben firma (Pacht) und census (Zins) auch im Dialogus ausschließlich als Abgaben auf: Firma (Pacht) kann aus verschiedenen räumlichen Einheiten stammen156 und für diverse Ausgaben verwendet werden,157 kann gebleicht (blanca) oder per Zahl (numero) entrichtet werden.158 Als blancus wurden Geldbeträge bezeichnet, wenn das eingezahlte Geld in der Silberprobe durch Einschmelzen auf seinen Silbergehalt geprüft worden war. Geldbeträge in numero waren hingegen einfach abgezählt worden.159 Census steht parallel zu anderen Einnahmen wie proprestura, escaeta, placita und conventiones.160 Die häufigen Kookkurrenzen mit Abrechnungsvokabeln wie solvere und compotum weisen census ebenfalls dem Abhörungskontext zu.161 Zudem werden firma und census in Abgrenzung zueinander definiert.162 Decima und elemosina schließlich werden in beiden Dokumenten ausschließlich auf Ausgaben appliziert, die der Sheriff auf seine Pachtzahlung anrechnen lassen kann.163 Manche Lexeme weisen in den Pipe Rolls und im Dialogus die gleichen Bedeutungsnuancen auf, die nicht alle im Kontext der Rechnungslegung stehen: So konnte beispielsweise foresta (Wald) jeweils die Bedeutungsnuancen eines räumlichen Orts,164 einer Einnahmequelle165 oder eines Rechtsbezirks annehmen.166

155 156 157 158 159 160 161 162 163

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perdonandis hiis que barones ad scaccarium computanda vel perdonanda decreuerint. Dialogus I, 5, S. 82. Beispielsweise ganz allgemein: Ab hoc igitur breui ex tunc et modo dicitur »in perdonis per breve regis.« Dialogus I, 8, S. 97. Am häufigsten, wenn auch nicht wesentlich zahlreicher als andere räumliche Bestimmungen, tritt comitatus als Genitiv zu firma, beispielshalber in Dialogus I, 5, S. 79: […] quid etiam in liberatione de firma comitatus expendatur […]. Dabei kann es sich um Almosen, Zehnte und Zuwendungen handeln, wie etwa in Dialogus I, 5, S. 79, oder auch um die Befestigung von Kastellen (in castris firmandis) und weitere Bauten (in edificiis) wie in Dialogus II, 8, S. 129. Diese Unterscheidung wird etwa in Dialogus I, 5, S. 76 getroffen. Der Unterschied wird genauer erläutert in Kapitel 4.1.2. Beispielshalber in Dialogus I, 11, S. 141 f. Etwa: Set et de omnibus firmis maneriorum et de censu nemorum que annuatim debentur et soluuntur […], Dialogus I, 5, S. 80, oder : De hiis autem sic compoti fiunt. ›Ille vel ille reddit compotum de xx. libris de censu foreste illius. […]‹ Dialogus II, 11, S. 141. Firme maneriorum sunt, census autem nemorum tantum. Dialogus I, 5, S. 80. Beide treten meist gemeinsam auf, siehe z. B. in einer Anordnungsvorschrift für die Pipe Roll: Deinde in capite sequentis linee quid in elemosina et decimis constitutis […], Dialogus I, 5, S. 79, oder bei der Beschreibung der Eingangsfrage des Schatzmeisters an den abrechnenden Sheriff: […] ›Dic igitur, in primis, si elemosine, si decime, si liberationes constitute, si terre date, sic se habent hoc anno sicut in preterito?‹ Dialogus II, 4, S. 125 f. In den Pipe Rolls werden die Almosen mithilfe der Formulierung in decimis bzw. in elemosinis auf die Ausgaben des Sheriffs angerechnet. Foresta wird definiert als konkreter Ort, an dem sich die wilden Tiere aufhalten: Foresta regis est tuta ferarum mansio […]. Dialogus I, 12, S. 105. In der Rechnung von 1129/30

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

Ein weiterer beachtlicher Teil der untersuchten Lexeme weist in den Pipe Rolls eine spezifische Bedeutung im Kontext der Rechnungslegung auf. Dieses Verwendungsmuster wird auch im Dialogus genutzt. Daneben zeigt das Lexem im Dialogus aber noch eine weitere Bedeutungsnuance, die nicht auf den Abrechnungskontext zugeschnitten ist. Beispielweise kann opus nicht nur die Bautätigkeit bezeichnen, deren Kosten ein Sheriff auf seine Schulden anrechnen ließ, sondern auch allgemein das Werk eines Menschen meinen, wenn es in einem Verwendungszusammenhang steht, der ganz außerhalb der Rechnungslegung liegt.167 Ebenso beschreibt das Partizip Perfekt Passiv datus in den Pipe Rolls wie im Dialogus ein Gut, das einmal zur Leistung einer Pachtzahlung verpflichtet war, dieser Pflicht aber enthoben wurde.168 Daneben kann datus im Dialogus jedoch auch in Zusammenhängen gebraucht werden, die nicht unmittelbar die Abfassung der Pipe Roll betreffen, etwa wenn ein geleisteter Eid auf diese Weise (fides data) bezeichnet wird.169 Das Lexem terra bezeichnet im Dialogus nicht nur vergebene Ländereien,170 ein Besitzgut171 und eine Erhebungseinheit,172

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erscheint der Forst als Ort, der vom Förster nicht gut gehütet wird: […] pro foresta regis que non bene custodivit […], PR 31 Henry I, S. 137, RR14 m2r. Als Einnahmequelle erscheint foresta, wenn sie als Genitiv oder auf die Präposition de folgend zu Einnahmen wie essartum oder census tritt, beispielsweise: […] barones eius ab essartis forestarum liberi sunt […], Dialogus I, 11, S. 102, oder : Sunt tamen quedam foreste de quibus decime constitutorum censuum ecclesiis maioribus soluuntur […], Dialogus II, 11, S. 141. Auch in den Rechnungen tritt der Genitiv foreste zu census, z. B. […] de veteri censu foreste de Sotora […], PR 31 Henry I, S. 2, R1 m1r, oder […] de censu foreste de Cumberland’ […], PR 30 Henry II, S. 41, R4 m2d. Die Wälder werden als ein Bereich beschrieben, der von den übrigen Gerichtsverhandlungen des Königreichs getrennt sei (ad aliis regni iudiciis secernitur) und seine eigenen Gesetze habe, (legibus quidem propriis subsistit), Dialogus I, 11, S. 131. Die Verwendung von foresta im Kontext der Rechtsprechung geschieht in den Pipe Rolls bei der Abrechnung über placita foreste (Prozesse über den Wald), etwa […] de placitis et wastis foreste de Surreia […], PR 30 Henry II, S. 153, R11 m1d. Z. B. können die guten Werke von Klerikern und Laien unterschiedlich beurteilt werden: In bonis etiam et meritoriis operibus, vt quibusdam visum est, dispares sunt. Dialogus II, 10, S. 137. Außerdem bezeichnet Richard seine Niederschrift als opus: […] modicum opus excellentie tue deuouimus […], Dialogus, Prefatio, S. 56. In der ersten erhaltenen Rechnung wurde das Adjektiv datis (zu ecclesiis) ausgestrichen und durch den Relativsatz que ad firmam pertinebant ersetzt, PR 31 Henry I, S.128, R13 m1d. Z. B. in Dialogus II, 17, S. 150 oder II, 20, S. 152. Dies kommt durch die Formulierung In terris datis zum Ausdruck, die in der Rechnung und im Dialogus verwendet wird. Das wird in den Rechnungen deutlich, wenn terra gemeinsam mit anderen Besitzgütern wie ministerium erworben wird, untergeordnet zu Substantiven der Besitzübertragung wie beispielsweise concessio erscheint oder mit Besitzverben wie habere oder tenere steht. Damit lässt sich vergleichen, dass im Dialogus Besitzgüter wie fundus oder redditus parallel zu terra stehen, beispielsweise in Dialogus I, 10, S. 100: […] spes omnis terrarum et fundorum atque reddituum quos ante possederant preclusa est […]. Terra steht nämlich in der Pipe Roll häufig als Genitivattribut zu firma. Im Dialogus wird

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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sondern auch eine Einheit des Zusammenlebens173 und den Boden, der beackert wird.174 In ähnlicher Weise kann debitum im Dialogus nicht nur eine Geldschuld meinen, wie dies in der Rechnung immer geschieht,175 sondern zusätzlich in Verwendungszusammenhängen stehen, die nicht mit dem Abrechnungskontext übereinstimmen, und beispielsweise als »Schuld des Fleisches« den Tod bezeichnen.176 Insbesondere die Abrechnungsvokabeln weisen in den Pipe Rolls lediglich eine spezifische Bedeutungsnuance auf, zu der sich bei der großen Mehrheit der Vokabeln im Dialogus eine weitere hinzugesellt: Die beiden Abrechnungsverben der Pipe Rolls beispielsweise, reddere und debere (Rechnung legen und schulden), die die Posten jeweils einleiten, werden im Dialogus zusätzlich in der allgemeineren Bedeutung von »zurückgeben«177 beziehungsweise »schulden« in einem nicht auf Geldschuld beschränkten Sinne verwendet.178 Das Lexem thesaurus meint in der Rechnung stets den Einzahlungsort für die fälligen Summen, da das Geld immer in thesauro eingezahlt wird. Im Dialogus bezeichnet thesaurus außerdem zum einen kostbare Gegenstände, zum anderen deren Aufbewahrungsort.179 In den Pipe Rolls und im Dialogus wird der Prozess der Abrechnung compotus genannt,180 im Dialogus kann an anderen Stellen ein

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dieses Verwendungsmuster durch die Formulierung de terris exsurgere bzw. exigere markiert. Diese Bedeutungsschattierung nimmt terra an, wenn es im Singular stehend eine räumliche Einheit bezeichnet, etwa in der Formulierung »zu Wasser und zu Land« (terre marisque, Dialogus I, 11, S. 101 f.) oder als Land, das unter dem Befehl eines Königs steht (terra sub eiusdem regis imperio, Dialogus I, 11, S. 102). Diese Verwendungsweise kommt nur einmal im Dialogus vor, wenn beschrieben wird, dass eine Rodung entsteht, wenn der Boden umgebrochen und beackert wird: Essarta vero vulgo dicuntur […] succisis et radicitus auulsis terra subuertitur et excolitur. Dialogus I, 13, S. 106. Dass debitum eine Geldschuld meint, kann z. B. daraus geschlossen werden, dass es zu Verben wie solvere steht, im Kontext der Vorladungen (summonitiones) erwähnt wird oder zusammen mit firma als Bestandteil dessen bezeichnet wird, worüber der Sheriff abrechnen muss: […] habeas ibi tecum quicquid debes de veteri firma vel de noua et nominatim hec debita subscripta […], Dialogus II, 1, S. 113. Z. B. in Dialogus II, 4, S. 124: Item, si dominus eius, vel uxor vel filius, debita carnis soluerit […]. Reddere kann nicht nur compotus zum Objekt haben, sondern auch beispielsweise talea (Kerbholz): Marescalli cura est taleas debitorum, quas vicecomes reddiderit […], Dialogus I, 5, S. 72. Debere wird an zahllosen Stellen im Sinne von »müssen« verwendet, beispielshalber wenn es um die Aufgabe des Rechners (calculator) geht: In tertio vero librarum et hic quidem ipsi recta fronte debet opponi, quia medius est in consuetis compotis uicecomitis. Dialogus I, 5, S. 75. Dies legt der Lehrer explizit dar : Noueris autem thesaurum quandoque dici pecuniam ipsam numeratam, vasa quoque diuersi generis aurea vel argentea ac vestimentorum mutatoria. […] Dicitur enim thesaurus locus in quo reponitur […], Dialogus I, 14, S. 106 f. Compotus als Abrechnungsprozess steht mit räumlichen Verben wie assidere ad (z. B.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

physischer Teil der Pipe Roll, also ein Absatz der Niederschrift der Rolle, gemeint sein.181 Breve fungiert in den Rechnungen und im Dialogus als Zahlungsmittel182 und liberare als Verb, das den Vorgang der Einzahlung zum Ausdruck bringt.183 Im Dialogus kann breve daneben auch ein allgemeines Schreiben bezeichnen,184 liberare auch im Sinne von »übergeben« gebraucht werden.185 Nur wenige Vokabeln zeigen den umgekehrten Fall einer stärkeren Spezialisierung im Dialogus: So wird in der Rechnung das allgemeine Vermögen mit pecunia bezeichnet,186 während pecunia im Dialogus außerdem in einigen Verwendungszusammenhängen spezieller als Einnahme des Königs zu interpretieren ist.187

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Dialogus I, 1, S. 61), residere ad (z. B. I, 6, S. 83), sedere ad (z. B. II, 2, S. 117) oder venire ad (II, 8, S. 129 f.). Bildet compotus das Objekt zu reddere oder facere, heißt das zugehörige Substantiv nicht Schreiber, sondern Sheriff: Nicht die Niederschrift, sondern das Handeln steht im Vordergrund, z. B. Dialogus I, 5, S. 75. In der Rechnung steht compotus stets als Akkusativobjekt zu reddere und beschreibt ebenfalls die Tätigkeit des Sheriffs. Als Teil des Schriftstücks erscheint compotus, wenn Termini wie interstitium, intervallum oder linea angeben, in welcher Form die einzelnen compoti angeordnet werden sollen (z. B. Dialogus II, 9, S. 131). Die Pipe Rolls rekurrieren nicht auf sich selbst, deshalb tritt diese Verwendung von compotus in den Rechnungen nicht auf. Wollte ein Schreiber auf eine andere Stelle innerhalb der Rechnung verweisen, so benutzte er dafür den Namen der Grafschaft, unter der das Gemeinte notiert wurde, etwa: Sed positus est in Sudreia, PR 31 Henry I, S. 123, R13 m1r. Alle Abrechnungstransaktionen können mithilfe eines breve durchgeführt werden, was daran deutlich wird, dass auf zahlreiche Abrechnungsverben die Präpositionalgruppe per und breve folgt, beispielsweise expendere per (II, 6, S. 127), computare per (II, 7, S. 128), dimittere per (I, 8, S. 96), distribuere per (II, 3, S. 122). Die in der Rechnung sehr häufig auftretende Vergebung in perdonis per breve regis wird auch im Dialogus oft zitiert, z. B. I, 8, S. 95). Außerdem wird breve parallel zu den anderen Einzahlungsmöglichkeiten, nämlich Geld, Kerbhölzern und Entlastungen, gesetzt: […] omnia tecum habeas in denariis et talliis et breuibus et quietantiis […], II, 1, S. 114. In der Rechnung wird mithilfe der Formulierung in thesauro liberavit angegeben, dass jemand seine gesamte Schuld beglichen hat. Diese Phrase wird auch im Dialogus genannt, z. B. II, 10, S. 132. Auch in allen anderen Sätzen, in denen liberare ohne Objekt steht, beschreibt dieses Verb die Befreiung von Geldschuld. Insbesondere wird der Sheriff von Schulden befreit, z. B. Dialogus II, 13, S. 144 oder II, 17, S. 149 f. Breve steht nicht nur im konkreten Abrechnungszusammenhang, sondern auch mit allgemeineren Verben wie z. B. scribere (Dialogus I, 5, S. 82), mittere (II, 4, S. 123) oder percipere (II, 8, S. 129). Es kann parallel zu anderen Schriftstücken wie rotulus (z. B. I, 5, S. 77) oder carta (I, 3, S. 63 f.) genannt werden. Häufig wird sein Inhalt genauer angegeben (exprimere in breve, z. B. II, 12, S. 142, nominatur in breve, I, 3, S. 63 f., oder formam in breve II, 6, S. 127). Mit einem Objekt wie breve (Dialogus II, 1, S. 114) oder rotulos (II, 2, S. 119) meint liberare das Übergeben der angegebenen Schriftstücke. Beispielsweise in PR 31 Henry I, S. 14, R2 m1r : Abbas de Cerna reddit Compotum […] de pecunia Episcopi […]. Im Dialogus wird diese Bedeutungsnuance z. B. gemeint, wenn von einem vorgewarnten Schuldner gesagt wird, er könne seine Reichtümer in alle Richtungen verteilen: […] pecuniis suis quocunque sibi distractis vel ad loca tuta translatis […], Dialogus II, 1, S. 114. Dies wird z. B. deutlich, wenn Geld (moneta) in dem Moment, in dem es ans Schatzamt geht (ad scaccarium delatam), pecunia genannt wird, siehe Dialogus I, 6, S. 87 f.

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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Da die Vokabeln im Dialogus demnach grundsätzlich ein breiteres Spektrum an Bedeutungen zum Ausdruck bringen können als in den Rechnungen, zeichnet sich die Sprache des Dialogus durch ein geringeres Maß an Eindeutigkeit aus. Die Bedeutung wird zwar aus dem Kontext ersichtlich, diese Klärung erfolgt jedoch nicht so eindeutig wie in den Pipe Rolls, da die mehrdeutigen Lexeme äußerst selten in standardisierten Phrasen auftreten, die die gemeinte Nuance zweifelsfrei verdeutlichen. Eindeutigkeit wurde im Dialogus also nicht durch die Wiederholung gleichlautender Syntagmen hergestellt.188 Da die Sprache des Dialogus wesentlich mehr Synonyme verwendet als diejenige der Pipe Rolls, weist sie zudem einen geringeren Grad an Eineindeutigkeit auf. Nur in vereinzelten Pipe Rolls zeigten opus und operatio die Überschneidung einer Bedeutungsnuance.189 Im Dialogus lassen sich wesentlich mehr Synonympaare finden: Beispielsweise kann die Tatsache, dass ein breve an jemanden geschickt wird, durch die Verben destinare, liberare, dirigere oder mittere ausgedrückt werden.190 Verliert ein Pfund in der Feuerprobe an Gewicht, so kann dieser Vorgang als excidere, decidere oder cohibere beschrieben werden.191 Neben dem Verb liberare, das in der Rechnung die Einzahlung des Rechnungslegers zum Ausdruck bringt, verwendet der Dialogus häufiger das Verb solvere. Der Standardisierungsgrad der Sprachen beider Dokumente lässt sich kaum vergleichen. Die Einheitlichkeit der Abkürzungen und der graphischen Gestaltung kann für den Dialogus ohnehin nicht untersucht werden, da das Originalmanuskript nicht erhalten geblieben ist.192 Weder die Formulierungen noch der formale Aufbau des Textes weisen gleichförmige Passagen auf. Weder die einzelnen Sätze noch die Beiträge von Schüler und Lehrer fangen einheitlich an oder enden mit den immer gleichen Worten. Da im Gegensatz zu den Pipe Rolls nicht die gleichen Sachverhalte mehrfach aufgezeichnet werden, wiederholen sich im Dialogus keine kompletten Sätze. Die Sprache des Dialogus schöpft nicht aus einem lediglich begrenzten Reservoir an Prädikaten und Subjekten. In den Pipe Rolls konnte zwischen der standardisierten Form und ihren Abweichungen 188 Z. B. wird das Lexem pax (Frieden) in den Rechnungen häufig in drei Syntagmen verwendet: pro pace fracta, tenere in pace und habere pacem de. Auf diese Weise wurde sofort deutlich, ob pax den Frieden eines Landes, die Unbestreitbarkeit von Besitzansprüchen oder die Schuldlosigkeit eines Rechnungslegers meinen sollte, siehe Kapitel 3.1.2.1. Im Dialogus zeigt pax ebenfalls verschiedene Bedeutungsnuancen, etwa den Frieden des Landes, Ruhe des Geistes oder eine Stufe im Konfliktlösungsmechanismus bei Streitigkeiten innerhalb der Abhörer. Keines dieser Verwendungsmuster wird durch die Verwendung einer standardisierten Phrase eindeutig markiert, die jeweilige Nuance muss aus dem weiteren Kontext geschlossen werden. 189 In den Rechnungen aus dem 10. und 23. Regierungsjahr Henrys II. (1163/64 bzw. 1176/77) nimmt operatio auch eine abstrakte Bedeutungsschattierung an. 190 Dialogus I, 8, S. 97 (destinare), II, 1, S. 114 (liberare), II, 4, S. 123 (dirigere und mittere). 191 Alle drei in Dialogus I, 6, S. 87 f. 192 Siehe Amt, Introduction, S. xxix.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

unterschieden und nach Gründen für diese Abweichungen gefragt werden. Der Dialogus dagegen weist ein so geringes Maß an Standardisierung auf, dass keine standardisierten Formen und entsprechend auch keine Abweichungen identifiziert werden können. Eine Ausnahme stellen lediglich die Passagen dar, in denen der Dialogus referiert, wie die Posten der Pipe Roll formuliert werden müssten. Die im Dialogus aufgeführten Posten zeichnen sich sogar durch einen höheren Standardisierungsgrad aus als die tatsächlich in den Rechnungen notierten Einträge.193 Die optische Kürze des Dialogus, die durch Abkürzungen und wenig Abstände auf der Seite erzielt wurde, kann ebenfalls nicht beurteilt werden, da das Original fehlt. Die stilistische Kürze wurde in den Pipe Rolls an der Häufigkeit und Diversität der Verben gemessen: Verben wurden hauptsächlich für die Formulierung des Abrechnungsgerüsts verwendet, wohingegen Zahlungs- und Erlassungsgründe vor allem durch Präpositionalgruppen beschrieben wurden. Die Vielfalt der Verben liegt im Dialogus ein Vielfaches höher. Zahlreiche Nebensätze sorgen zudem für eine höhere Anzahl von Verben pro einzelnem Satz. Die Sprache des Dialogus erweist sich damit als weniger eindeutig, weniger standardisiert und weniger kurz als die Sprache der Rechnungen. Das Fachlichkeitsniveau der Sprache des Dialogus liegt damit insgesamt unterhalb der Sprache der Pipe Rolls. Die semantische Nähe zwischen beiden Dokumenten macht aber deutlich, dass sich auch die Sprache des Dialogus durch ein gewisses Maß an Fachsprachlichkeit auszeichnet,194 das in stärker literarisch geprägten Texten noch geringer liegen mag: In solchen Texten, etwa in Chroniken, ließen sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine größere Vielfalt an Verben oder eine höhere Zahl an Synonymen finden. Zugleich weisen die Überschneidungen der Bedeutungsnuancen und die Differenzen im Standardisierungsgrad darauf hin, dass sich auch innerhalb des Dialogus verschiedene Level an Fachlichkeit unterscheiden lassen. In der Prefatio und in einigen narrativen Teilen195 bedient sich Richard of Ely einer eleganteren Sprache mit mehr Bildern und Nebensätzen, als wenn er den Aufbau eines Rechnungseintrags beschreibt. Mit den Mitteln der Fachsprachenforschung können die Sprache der Pipe Rolls und die des Dialogus als Fachsprache charakterisiert werden, wobei die Pipe Rolls sich auf einem höheren Niveau der Fachsprachlichkeit bewegen. Schichtungsmodelle der Fachsprachenforschung machen es möglich, dieses Niveau nun noch genauer zu erfassen.

193 Siehe dazu unten, Kapitel 3.2.1. 194 Siegrist bezeichnet insbesondere den zweiten Teil des Dialogus aufgrund seiner vielen fachspezifischen Erläuterungen als »esoterisch«, Siegrist, Einleitung, S. 44. 195 Richard of Ely erzählt z. B. sehr anschaulich die Entstehung der Feuerprobe, Dialogus I, 7, S. 89 f., oder des Dänengeldes, Dialogus I, 11, S. 101 f.

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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3.1.4. Konkretisierung: Die Fachsprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache Die Frage, auf welchem vertikalen Niveau196 sich die Sprache der Pipe Rolls befand, führt zunächst zur Beobachtung einer Zweiteilung der Rechnungssprache: Die Sprache der Pipe Rolls bestand aus zwei unterscheidbaren Gruppen von Bestandteilen, dem standardisierten, eindeutigen Abrechnungsgerüst und den teilweise begrifflichen Zahlungs- und Erlassungsgründen. Für die Abrechnungsphrasen auf der einen und die Zahlungs- und Erlassungsgründe auf der anderen Seite lassen sich nämlich jeweils unterschiedliche Hierarchien der drei verwendeten Kriterien Eindeutigkeit,197 Standardisierung und Kürze feststellen. Eindeutigkeit überwiegt bei den Abrechnungsphrasen und -vokabeln, wohingegen sich die Lexeme und Syntagmen zur Beschreibung der Zahlungs- und Erlassungsbegründungen eher durch Kürze auszeichnen. Sowohl bei der Behandlung der Standardisierung als auch bei der Untersuchung der Kürze wurde die Herstellung von Eindeutigkeit, seltener von Präzision als Grund dafür genannt, warum Abrechnungsphrasen nicht standardisiert oder nicht kurz formuliert wurden. So wurde etwa die Einzahlungsformel In thesauro (Im Schatz) variiert, wenn die Einzahlung nicht im Schatz, sondern in der Kammer erfolgt war ; die Formel Et Quietus est (Und er ist quitt) wurde kaum abgekürzt, wohl um ihre Augenfälligkeit auf dem Pergament zu gewährleisten. Die Zahlungs- und Erlassungsbegründungen hingegen wurden bisweilen mit mehrdeutigen Abkürzungen wiedergegeben, anstelle eines eventuell präzisierenden Nebensatzes wählten die Schreiber die kürzere Form von Präposition und Substantiv. Das Verhältnis der Standardisierung zu Präzision und Kürze lässt sich bei den Zahlungs- und Erlassungsbegründungen schwer erfassen. Diese Syntagmen treten nicht völlig standardisiert auf. Zumeist zeichnet sich eine Variante dadurch aus, dass sie konkretisierende Angaben zu dem entsprechenden Zahlungs- oder Erlassungsgrund hinzusetzt. Je nach Perspektive könnte man deshalb entweder die kürzere Formulierung zum Normalfall erklären und daraus folgern, dass aufgrund des Bemühens um detailliertere Angaben, also mehr Präzision, von dieser Kürze abgewichen wurde. Oder man bestimmt die genauere Ausformulierung zum Regelfall und betrachtet dementsprechend die Abweichung als Resultat der Priorität von Kürze. 196 Fachsprachen können nicht nur horizontal nach verschiedenen Fächern oder Weltausschnitten unterschieden, sondern auch vertikal nach dem jeweiligen Fachlichkeitsgrad innerhalb der Sprache gegliedert werden: Die zugehörigen Sprachen verhandeln den gleichen Weltausschnitt, nutzen dafür aber verschiedene sprachliche Mittel. Siehe hierzu Becker u. Hundt, S. 128. 197 Da sich die Fachtermini der Rechnung vor allem durch Eindeutigkeit auszeichnen, soll dieses Kriterium (anstelle des Vorkommens von Fachtermini im Allgemeinen) in Relation zur Standardisierung und Kürze gesetzt werden.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

So wurde zum Beispiel für den Zahlungsgrund firma (Pacht) in zunächst gut der Hälfte der Fälle ein konkreter geschuldeter Betrag angegeben. Reicht diese geringe quantitative Überlegenheit aus, um die höhere Präzision zum Regelfall, die Kürze zum nur in Ausnahmefällen wichtigeren Kriterium zu bestimmen? Ebenso wie die Angabe zum Ort, aus dem die Pacht stammt, steigt auch die Häufigkeit der Nennung des Betrags im Laufe der Zeit an. Im Gegensatz dazu aber wird im Laufe des Beobachtungszeitraums immer seltener eine Angabe über den Abrechnungszeitraum zur Nennung der Pacht hinzugefügt. Eine umfassende Zunahme der Präzision dieses Zahlungsgrundes lässt sich demnach nicht konstatieren. Je nach Betrachtungsstandpunkt kann man entsprechend entweder die schlichte Angabe de firma zum Regelfall der Abrechnung erklären und jede Hinzufügung als ein Bemühen um höhere Präzision werten oder eine Pachtabrechnung mit Angabe von geschuldetem Betrag, Ort und Zeit als Standardformulierung ausgeben und aus dem Fehlen dieser Angaben auf ein Bemühen um Kürze schließen. Anders gesagt: Gegen den Befund der Standardisierung der Pachtabrechnung spricht die Beobachtung, dass sie nicht gleichförmig erfolgte. Gegen die Kürze als ausschlaggebendes Kriterium spricht das Ergebnis, dass in vielen Fällen Angaben hinzugesetzt wurden, die in anderen Posten nicht als notwendig erachtet wurden. Gegen die Feststellung der Priorität von Präzision bei der Formulierung der Pachtabgabe spricht die Tatsache, dass nicht immer alle möglichen Zusatzangaben genannt wurden. Auch wenn sich das Kriterium der Standardisierung nicht in einem hierarchischen Verhältnis zur Eindeutigkeit und zur Kürze fassen lässt, ergibt der Vergleich von Eindeutigkeit und Kürze ein klares Ergebnis: Eindeutigkeit bildet das wichtigste Kriterium bei der Formulierung von Abrechnungsphrasen, wohingegen bei den Zahlungs- und Erlassungsgründen die Kürze meistens überwiegt. Eine Ausnahme bildet die Erlassung durch Vergebung (In Perdonis). Diese Formel trat immer am gleichen Ort in der Rechnung auf,198 wurde weder stark verkürzt noch platzsparend angeordnet. Die Charakteristika der Vergebungsformel ähneln damit eher einer Abrechnungsphrase als einem Erlassungsgrund. Die Phrase In Perdonis wurde in dieser Arbeit offenbar bisher einer falschen Gruppe von Phrasen zugewiesen. Die Schreiber behandelten die Vergebung genauso wie das Abrechnungsvokabular. Sie wurde fast immer durch den König, selten durch einen seiner Bediensteten gewährt.199 Gleichartig formuliert wurden demnach all die Prozesse, die vom König oder seinen Bediensteten ausgingen. Alle anderen Erlassungsgründe bezeichneten im Gegensatz dazu eine 198 Allerdings unterscheidet sich dieser Ort je nachdem, ob die Phrase In Perdonis oder Et In Perdonis lautet: In Perdonis wurde mit Abstand zum vorigen Text, Et In Perdonis in einer neuen Zeile angeordnet. 199 In der PR 30 Henry II z. B. wurde die Vergebung in weniger als zehn Prozent der Fälle vom Justiziar Ranulf of Glanvill gewährt.

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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Leistung, die der Rechnungsleger erbracht hatte und die ihm von den königlichen Abhörern nur quittiert wurde: Er hatte beispielsweise für die Instandhaltung einer Burg gesorgt und musste deshalb entsprechend weniger Pacht entrichten. Auch die Zahlungsgründe brachten ein Anliegen des Rechnungslegers zum Ausdruck. Nur wenn das königliche Vergeben waltete, befand sich der abgehörte Sheriff oder Schuldner in einer ebenso passiven Position wie wenn ihm gesagt wurde, dass er noch etwas schuldete oder als quitt und schuldlos angesehen wurde. Abrechnungsphrasen lassen sich dementsprechend jetzt nicht mehr nur zirkulär definieren als all diejenigen Ausdrücke, die den Abrechnungsvorgang beschrieben. Stattdessen lässt sich feststellen, dass alle Aktionen, die vom König beziehungsweise vermittelt durch seine Bediensteten durchgeführt wurden, zusammen einen Bestandteil der Rechnungssprache ausmachten, der sich vom Rest der Rechnung deutlich unterschied und als ihr Abrechnungsgerüst bezeichnet werden kann: Fachbezogene, eindeutige, eineindeutige und selbstdeutige Termini wurden zu einem standardisierten Gerüst zusammengefügt, bei dem Eindeutigkeit höher als Kürze rangierte. Die Termini weisen keine Begrifflichkeit im Sinne eines komplexen semantischen Gehalts auf, bilden aber in Verbindung miteinander ein standardisiertes und stets eindeutiges System. Um diesen Teil der Rechnung erstellen zu können, benötigten die Schreiber also kein definitorisches – sei es juristisches, sei es finanzwissenschaftliches – Wissen, sondern Kenntnisse über die Kombinierbarkeit und die Anordnungsregeln für die einzelnen Bestandteile der Abrechnungsphrasen, denen allein jeweils kein fachlicher Gehalt zukam. Beispielsweise zeichnet sich keines der drei Worte Et, Quietus oder est durch einen komplizierten semantischen Gehalt aus. Die einzelnen Vokabeln dürften nicht schwer zu lernen gewesen sein. Die besondere Fähigkeit, die die Schreiber besitzen mussten, bestand darin, nur diese drei Wörter zu der immer gleich abgekürzten Erlassungsformel zu kombinieren und diese immer, wenn die Schuld beglichen war, an den rechten Rand des Pergaments zu setzen. Gerade dieses pragmatische Wissen konnte nicht außerhalb des Rechnungsschreibens selbst gelernt werden.200 Unter den Zahlungs- und Erlassungsbegründungen lassen sich einige begriffliche Termini ausmachen. Fachliche Nuancen bildeten meist nur eine mögliche Bedeutungsschattierung der Termini. Zwar wurde die Eindeutigkeit, welche Bedeutungsnuance jeweils gemeint war, über die Einbindung in einen bestimmten Kontext hergestellt, jedoch erwiesen sich die entsprechenden Syntagmen als weniger standardisiert als die Abrechnungsphrasen. Kürze spielte stattdessen bei der Formulierung der Zahlungs- und Erlassungsgründe eine wichtigere Rolle. Um Zahlungs- und Erlassungsbegründungen formulieren zu 200 Die Frage, wie die Sprache der Rechnungen erlernt wurde, wird in Kapitel 3.2.2 erörtert.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

können, benötigten die Schreiber also weniger Kenntnisse über die Kombinationsmöglichkeiten einzelner Lexeme, dafür setzte die richtige Verwendung einiger begrifflicher Termini ein gewisses abstraktes, insbesondere juristisches Wissen voraus. So konnte eine Art der Enteignung zwar sowohl mit dem Substantiv dissaisina als auch mit dem Verb dissaisiri als Zahlungsgrund implementiert werden, der Schreiber musste aber in beiden Fällen wissen, welcher juristische Sachverhalt sich hinter einer solchen Enteignung verbarg und ob es gerechtfertigt war, den vorliegenden Fall in diesen Terminus zu fassen. Diese Art von Wissen lässt sich durch Definitionen erlernen und hätte deshalb eher in ein Lehrbuch gefasst werden können als das Kombinationswissen über den richtigen Aufbau und die Zusammenfügung der einzelnen Phrasen. Die Sprache der Pipe Rolls besteht also zum einen aus Abrechnungsphrasen, die keine begrifflichen Fachwörter enthalten, aber in einer ganz bestimmten Art und Weise kombiniert werden mussten, und den Zahlungs- und Erlassungsbegründungen, die eine gewisse Fachterminologie aufweisen. Diese Beschreibung gleicht der Definition, die Hoffmann für eine Fachsprache auf der dritten von fünf Abstraktionsstufen seines Schichtungsmodells gibt:201 Dabei handele es sich um eine »natürliche Sprache mit einem sehr hohen Anteil an Fachterminologie und einer streng determinierten Syntax«. Die Sprache der Pipe Rolls kann ebenfalls als natürliche Sprache bezeichnet werden, da weder ihre Elemente noch ihre Relationen durch künstliche Symbole wiedergegeben werden.202 Die Zahlungs- und Erlassungsgründe steuern den Anteil an Fachterminologie bei. Insbesondere das feste Gerüst der Abrechnungsphrasen verleiht der Rechnung eine strenge Syntax.203 Diese Art von Sprache wird laut Hoffmann in der angewandten Wissenschaft und Technik verwendet. Diese Zuordnung entspringt der Erfahrung einer Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts und lässt sich nicht unmittelbar auf das England des 12. Jahrhunderts übertragen.204 Die 201 Hoffmann, S. 65 f. Auch für die vertikale wie horizontale Einteilung von Fachsprachen stellt die Forschung »viele uneinheitliche Gliederungsvorschläge« bereit, so Roelcke, S. 45. 202 Auf höchstem Abstraktionsniveau befindet sich diesbezüglich die Mathematik, die all ihre Elemente und Relationen in künstliche Symbole fasst. Ein künstliches Symbol ist z. B. »=«. Dessen Entsprechung in der natürlichen Sprache besteht in der Formulierung »ist gleich«. 203 Ein »sehr« hoher Anteil an Fachtermini kann der Sprache der Pipe Rolls nicht zugesprochen werden. Die nächsttiefere Abstraktionsstufe beschreibt Hoffmann jedoch als »natürliche Sprache mit einem hohen Anteil an Fachterminologie und einer relativ ungebundenen Syntax.« Der Unterschied zwischen der Syntax der Rechnungssprache und einer »relativ ungebundenen Syntax« erscheint mir größer als die Differenz zwischen dem Anteil der Fachtermini in den Pipe Rolls und einem »sehr hohen Anteil« an solchen Spezialausdrücken. Deshalb ordne ich die Rechnungssprache in das mittlere Abstraktionsniveau ein. 204 Auf den höheren Niveaustufen dieses Schemas befinden sich die theoretischen Grundlagenwissenschaften und die experimentellen Wissenschaften, niedriger anzusiedeln sind die materielle Produktion und schließlich die Konsumption. Entsprechend dient die Sprache nicht der Kommunikation unter Wissenschaftlern oder dem Austausch von Produktions-

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Die Sprache der Pipe Rolls: Eine Techniksprache

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Abgrenzung von höheren und niedrigeren Abstraktionsniveaus kann aber für die Sprache der Pipe Rolls vorgenommen werden. Die Herstellung der Pipe Rolls kann kaum als Wissenschaft angesehen werden, denn sie reflektierte nicht über sich selbst, begab sich nicht auf den Weg der Wahrheitssuche. Stattdessen verfolgte sie ein konkretes Ziel: Die Schaffung einer Pipe Roll. Dazu mussten aber diffizile Techniken implementiert werden. Da Technik kein Spezifikum der Industriegesellschaft darstellt, sondern in jeder Form menschlicher Gesellschaft ausgeführt wird,205 kann man die Sprache der Pipe Rolls deshalb ohne Gefahr eines Anachronismus als Techniksprache bezeichnen. Auch gemäß der Definition von Karlheinz Jakob erweist sich die Sprache der Pipe Rolls als Techniksprache.206 Eine Techniksprache erschließt laut Jakob drei Dimensionen, nämlich die technischen Artefakte, deren Herstellung durch den Menschen und ihre Verwendung im Rahmen zweckorientierten Handelns. Sieht man die Pipe Rolls als technische Artefakte, so kann man ihre Herstellung im Rahmen einer Abhörung und ihre Verwendung zur Erstellung der nächsten Rechnung mithilfe der in ihnen verwendeten Sprache erfassen. Als wichtiges sprachliches Merkmal von Techniksprachen nennt Jakob ihre Nähe zur Alltagssprache: Techniksprache entstehe aus der Praxis, nicht aus der Diskussion theoretischer Deutungsmuster und weise damit eine enge Verwandtschaft zur Sprache des Alltags auf.207 Diese Eigenschaft zeigt die Rechnungssprache insbesondere im Abrechnungsvokabular, das sich aus gleichsam traditionellen lateinischen Lexemen zusammensetzt.208 Bei der Sprache der Pipe Rolls handelt es sich also um eine Fachsprache auf dem Niveau einer Techniksprache. Die sprachlichen Charakteristika einer Techniksprache weisen bereits darauf hin, dass solch eine Sprache in der Praxis und nicht durch eine theoretische Ausbildung erlernt wurde. Die Rechnungssprache weist insbesondere drei solcher Charakteristika auf: Erstens wurden hauptsächlich Syntagmen, weniger Einzelwörter als die wichtigsten Träger einer präzisen Bedeutung identifiziert. Die Bedeutung einzelner Wörter lässt sich leichter zum Beispiel anhand einer Vokabelliste lernen als die verschiedenen Nuancen, die einfache Wörter in unterschiedlichen Kombinationen annehmen können. Zweitens mussten die Schreiber neben diesem Kombinations- auch Anwendungswissen aufweisen, da sie die richtigen standardisierten oder nichtstandardisierten Formeln für die vielen variierenden Vorfälle finden mussten, die sie in der Rechnung zu verschriftlichen hatten. Drittens überwog dabei

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leitern mit ihren Angestellten oder Konsumenten, sondern der Verständigung zwischen technischen Wissenschaftlern und den wissenschaftlichen und technischen Leitern der materiellen Produktion. Jakob, S. 142. Ebd., insbesondere S. 143 – 145. Wie genau eine solche Alltagssprache zu definieren sei, erwähnt Jakob allerdings nicht. Siehe oben in Kapitel 2.2.4.

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

weder Eindeutigkeit noch Standardisierung noch Kürze als alles regulierendes Prinzip. Welchem dieser drei Prinzipien der Vorrang eingeräumt wurde, folgte keiner theoretisch erlernbaren Regel: Neben begründbaren Ausnahmen lässt die Untersuchung der Rechnungssprache stets auch reine Varianz erkennen. Das nächste Kapitel wird ausführlich nachweisen, dass die Sprache der Pipe Rolls tatsächlich während der Arbeit, nicht an einer Schule oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung erlernt wurde.

3.2. Die Entstehung der Abgrenzungswirkung: Lernen in der Praxis »Und der Erzbischof, woher kommt er? Vom Schatzamt, und welchem Schatzamt? Ein Ort des öffentlichen Geldes in London, eine fast quadratische Tafel in London, wo die Fiskaleinnahmen gesammelt und gezählt werden; von diesem Studium, von dieser Schule, in der er schon alt wurde, wurde er zu allen Stufen seiner Würden berufen, wie beinahe alle englischen Bischöfe. Denn wer hier gut rechnet, predigt auch gut.«209

So rechnet Gerald of Wales mit Erzbischof Hubert Walter ab, der von kleineren Adligen in Suffolk abstammte, über die Arbeit im Haushalt des Justiziars Ranulf of Glanvill zum Exchequer kam und später unter Richard I. zum Justiziar und Erzbischof von Canterbury aufstieg.210 Gerald of Wales dagegen konnte normannische Barone und walisische Prinzen zu seinen Vorfahren zählen, hatte die Kathedralschule in Paris besucht und war ebenfalls an den königlichen Hof gekommen, brachte es aber nur zum Erzdiakon von Brecon. Mehrmals scheiterte sein Bemühen, Bischof von St. David zu werden. Ein gewisser Neid mag Geralds Beschimpfungen also motiviert haben, wenn er etwa genüsslich ausführt, welche peinlichen Grammatikfehler dem Erzbischof unterliefen, wenn er versuchte, Latein zu sprechen.211 Stärker als der Neid mag aber das Gefühl von Ungerechtigkeit gewogen haben: Er sprach das bessere Latein und wurde von seinem Konkurrenten trotzdem um Längen überflügelt. Ein ähnliches Unbehagen über 209 […] et archiepiscopus unde [vocatus fuit]? A scaccario, et quid scaccarium? Locus in Anglia publici aerarii, Londoniis scilicet tabula quasi quadrata, ubi fiscales census colliguntur et computantur ; ab hoc studio, ab hoc gymnasio, in qua jam senuit, ad omnes dignitatum suarum gradus, sicut omnes fere Anglicani episcopi, vocatus fuit. Qui enim hic bene computat, bene disputat. Giraldus Cambrensis, S. 28. 210 Young, Hubert Walter. 211 Gerald of Wales erzählt drei Geschichten, in denen Hubert Walters schlechtes Latein von besser gebildeten Klerikern verbessert worden sei, Hubert Walter sich aber des Lateinischen nicht einmal soweit kundig gezeigt habe, dass er diese Hinweise hätte aufnehmen können. So habe er etwa eine Versammlung gefragt, »Vultis stare isto compromisso?« und sich, als die Kleriker ihm »isti, isti« zuraunten, verbessert: »Vultis stare isti compromissi?« Giraldus Cambrensis, S. 29 f.

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die Aufstiegschancen in der königlichen Verwaltung kristallisiert sich im berühmten Zitat von Orderic Vitalis, Henry I. habe »men raised from the dust« in seinen Dienst genommen und protegiert.212 In dieser Kritik wird deutlich, dass hier zwei Vorstellungen von sozialer Ordnung kollidierten. Sozial standen Männer wie Gerald of Wales and Hubert Walter gar nicht so weit auseinander : Die königlichen Verwalter stammten aus dem kleineren Adel, aber nicht von Bauern oder Unfreien ab. Der Hauptunterschied, den Gerald of Wales in der eingangs zitierten Lästerei über Hubert Walter ausmacht, liegt in der Art ihrer Bildung: Er selbst kam a studio zu seinem Amt, der Erzbischof dagegen lediglich a scaccario: Gerald hatte eine theoretische Ausbildung erhalten, Hubert hingegen lediglich praktische Arbeit gelernt. Die Bildungsoberschicht kritisierte weniger die soziale Abstammung der königlichen Bediensteten als deren in ihren Augen minderwertige Ausbildung. Latein zu können, bedeutete in ihren Augen eben, die grammatischen Formen des klassischen Lateins zu beherrschen, und nicht einen korrekten Abrechnungsposten in eine Pipe Roll einzutragen. Diese Geringschätzung des praktisch erworbenen Anwendungswissens hat in der Erforschung von Wissen bis heute ihren Platz. Richard of Ely, dem Schatzmeister und Autor des Dialogus, wird ein schlichtes Gemüt bescheinigt, da er ein plumpes Latein geschrieben habe.213 Nur langsam findet auch nicht-universitäres Wissen seinen Weg in die deutsche Forschung zum Wissen im Mittelalter. Zwar wird unter dem Wissen, gerade wenn es unter dem Schlagwort der Wissensgesellschaft verhandelt wird, hauptsächlich wissenschaftliches, theoretisches Wissen verstanden. Johannes Fried etwa beschreibt es als »beweisende Vernunft«.214 Von dort aus wird der Fokus aber ausgeweitet zunächst auf die Betrachtung der Anwendungsbereiche dieses theoretischen, an Schulen gelehrten Wissens. Unter praktischem Wissen wird somit ein Derivat des theoretischen Wissens verstanden.215 An einigen Stellen scheint jedoch die Beschäftigung mit dem nicht-schulischen Wissen als eigenes Gebiet auf, die nicht nur im Dienste der Frage steht, welche Auswirkungen die Zunahme universitären Wissens auf verschiedene Bereiche der Geschichte hatte. Dieser Bereich 212 Der Kommentar von Orderic Vitalis gehört zu den Standardzitaten jedes Aufsatzes über soziale Aufsteiger, zu finden bei Orderic Vitalis, S. 16. Davon bereits etwas gelangweilt zeigt sich Gillingham, insbesondere S. 259 – 262. Die stets zitierte Übersetzung »raised from the dust« klingt zudem dramatischer als der lateinische Ausdruck pulvere ut ita dicam extulit bei Orderic Vitalis, da es sich bei letzterer Formulierung erstens nicht um eine genaue Übertragung aus der Bibel handelt (dort heißt es in 1 Sam 2,8: suscitat de pulvere), wohingegen die englische Übersetzung analog zur englischen Version der Bibelstelle formuliert wird. Zweitens schwächt Orderic Vitalis selbst die Schärfe der Aussage durch das ut dicam ab. 213 Johnson, Introduction, S. xv. 214 Fried, Aktualität, S. 37. 215 Z. B. ders., Wissensgesellschaft, S. 143.

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der »nicht-wissenschaftlichen Texte«, der »nicht-gelehrten Wissensaneignung«216 kann mit Martin Kintzinger als Handlungswissen bezeichnet werden. Darunter sollte nicht nur ein unreflektiertes Alltagswissen verstanden werden,217 sondern eine aus praktischer Anwendung gewonnene Handlungskompetenz. Die nötigen Kenntnisse wurden durchaus erlernt, aber – statt an Schulen oder Universitäten – im Rahmen einer gruppenspezifischen Sozialisation vermittelt.218 Obwohl Kintzinger dieses Handlungswissen aufführt und definiert, spielt es doch im Rest seiner Studie über Bildung im Mittelalter keine große Rolle: Stattdessen erzählt er eine eher traditionelle Geschichte des Gelehrtenwissens, das an Klöstern, Stadtschulen und Universitäten erworben wurde.219 Der umgekehrte Fall liegt bei Frank Rexroth vor: Unter den Beispielen, wer als Experte zu gelten habe, figurieren durchaus auch Verwalter oder Höflinge, also Menschen, die ihr Wissen durch Handeln gewannen. Seine explizite Definition von Experten betont jedoch einen ganz anderen Aspekt, nämlich die Vermittlungsfunktion, die Experten für bestimmte Bereiche des Wissens einnehmen.220 Bei beiden passen also Definition und Beispiele nicht ganz zusammen. Die moderne Vorstellung, dass die Fähigkeit zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit durch einen Ausbildungsgang erworben und am besten noch zertifiziert werden müsse,221 scheint so stark verwurzelt, dass die Idee erst langsam aufkommt, Wissen und Kompetenzen könnten auch während des und durch das Handeln 216 Kintzinger, Bildungsgeschichte, S. 309. 217 So bei Fried u. Kailer, S. 10. Sie stellen das Handlungs- und Gebrauchswissen dem philosophischen und wissenschaftlichen Wissen gegenüber. Im Folgenden unterscheiden sie aber zumeist zwischen einem Alltagswissen (das sie mit der Partikel »nur« versehen) und dem wissenschaftlichen Wissen (das als »sogar« vorhandenes ausgezeichnet wird), S. 10. 218 Dieses Handlungswissen beschreibt Kintzinger, Wissen, S. 26 – 32. 219 Ebd., Wissen. Auch in der Einleitung von 2000 räumt Kintzinger der nicht-gelehrten Wissensaneignung einen wichtigen Platz in der aktuellen Bildungsforschung ein, spricht aber trotzdem davon, dass der Bildung stets ein »Anspruch auf Menschwerdung« innewohnen müsse, der »über die Funktionalität hinaus« reiche. Hier gewinnt die Sphäre des theoretischen, ungebundenen Wissens wieder die Oberhand. Siehe Kintzinger, Bildungsgeschichte, S. 299. Eine ebenso traditionelle Bildungsgeschichte schreibt Nonn. 220 Verwalter und Höflinge befanden sich eigentlich nicht in Kommunikationssituationen, die Rexroth als konstitutiv für das Expertentum beschreibt: Sie stellen ihr Wissen nicht Menschen außerhalb ihres Kreises zur Verfügung, um deren Nichtwissen abzuhelfen, ihr Wissen setzte sich hauptsächlich aus Kenntnissen über viele Spezialfälle zusammen. Ihr Wissen wurde zwar innerhalb einer Institution (nämlich des Hofes oder der Verwaltung) weitergegeben, diese Institutionen dienten aber nicht primär der Weitergabe von Wissen. Rexroth, Systemvertrauen. Die Beispiele stehen auf S. 26 – 32, die Definition auf S. 22 und S. 44. 221 Solch ein Bildungstitel institutionalisiert damit das kulturelle Kapital, siehe Bourdieu, Mechanismen, S. 53 – 63, oder, etwas weniger pointiert, Bourdieu, Unterschiede, S. 31 – 167. Schwinges, S. 47, hat aber gezeigt, dass zumindest die mittelalterlichen Studenten an den Universitäten des Reiches meistens keinen Abschluss erwarben. Ein Universitätsabschluss spielte damit generell nicht die gleiche Rolle als Ausweis von Kompetenz wie heute.

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selbst erworben werden. Auch englische Forscher konstruieren eher krampfhaft Belege für eine universitäre Ausbildung der Verwalter222 – oder wollen wenigstens den Dialogus als theoretisches Lehrbuch223 ansehen – als sich mit der naheliegenden Antwort zufriedenzugeben: Was die königlichen Bediensteten wissen mussten, lernten sie, indem sie diesen Dienst ausführten. Wie man eine Pipe Roll schrieb, lernte man, indem man eine solche anfertigte. Diese Behauptung soll in den folgenden Unterkapiteln begründet werden. Zunächst wird die Annahme widerlegt, dass es sich beim Dialogus um ein einführendes Lehrbuch für das Schreiben und Verstehen einer Pipe Roll gehandelt habe. Das Rechnungsschreiben konnte nicht ausschließlich anhand dieses Traktats gelernt werden. Nur wer sich mit den Grundbedingungen der Abrechnung bereits auskannte, konnte dem Dialogus detaillierte Informationen entnehmen und sich über die Hintergründe und die Vergangenheit des Schatzamtes informieren. Dieses Ergebnis erbringt der Vergleich der Sprache der Pipe Rolls mit den konkreten Schreibanweisungen und den expliziten Reflexionen über die Art zu schreiben, wie sie im Dialogus zu finden sind. Die Rechnungsschreiber hatten auch keine höhere Schule besucht, sondern erlernten ihre Arbeit in der Praxis. Entsprechend kann man die Verwalter nicht als Gelehrte oder Experten, sondern eher als Techniker bezeichnen. Der Dialogus diente hauptsächlich dazu, ihnen den nötigen Habitus zu vermitteln, den ein königlicher Verwalter an den Tag zu legen hatte.

3.2.1. Dialogus de Scaccario: Kein theoretisches Lehrbuch Vergleicht man die Formulierung, die Anordnung und den Aufbau der Pipe Rolls mit den Vorgaben, die der Dialogus zu diesen Facetten der Rechnung angibt, so stechen drei Gründe hervor, warum die Schreiber der Pipe Rolls ihre Profession nicht ausschließlich anhand der Lektüre des Dialogus gelernt haben können: Erstens bedient sich der Dialogus einer Sprache, die ähnliche fachliche Charakteristika aufweist wie die Sprache der Pipe Rolls, das heißt ohne gewisse 222 Siehe z. B. Mooers Christelow, Chancellors, S. 50 f., Green, Government, S. 159 f., Turner, Men, S. 12. 223 In der Edition und Übersetzung von Siegrist wird der Dialogus gleich in der ersten Zeile der Einleitung als »Lehrbuch« bezeichnet, Siegrist, Einleitung, S. IX. In der englischen Forschung wird von einem Manual oder Handbuch gesprochen, siehe etwa Richardson, Richard fitz Neal, S. 338; Hudson, Administration, S. 77; Bisson, Crisis, S. 466 oder Kealey, S. 42. Kürzlich formulierte Jones, S. 449, entsprechend: »Its primary purpose is to explain the accounting system for royal finances in the twelfth century. The Dialogue of the Exchequer is thus deliberately written to instruct those with little experience of royal finances about the inner workings of government. It uses basics to explain in great detail terms and practices in the twelfth century.«

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Grundkenntnisse des Fachgebiets der Rechnungslegung blieb auch der Dialogus unverständlich. Zweitens gibt das Werk Richards of Ely224 nicht alle Regeln an, die in den Rechnungen verfolgt wurden. Drittens differieren die Angaben des Dialogus an zahlreichen Stellen von der Umsetzung in den Pipe Rolls. Der Vergleich der Sprache des Dialogus mit derjenigen der Pipe Rolls in Kapitel 3.1.3. hat gezeigt, dass beide eine beachtliche semantische Nähe aufweisen. Dazu wurden die Verwendungszusammenhänge derjenigen Lexeme untersucht, die in den Pipe Rolls als Abrechnungsvokabeln oder zur Bezeichnung von Zahlungs- und Erlassungsgründen auftreten. Zahlreiche dieser Termini besitzen im Dialogus das gleiche Spektrum an möglichen Bedeutungsnuancen wie in den Pipe Rolls.225 Die Pipe Rolls und der Dialogus teilen demnach ein spezifisches Vokabular. Diese Gemeinsamkeit resultiert hauptsächlich aus dem beiden Dokumenten gemeinsamen Kontext der Rechnungslegung und führt dazu, dass sich die Sprache der Rechnungen und des Dialogus von der Sprache anderer Dokumente der königlichen Verwaltung unterscheidet. Das legt nahe, dass ähnliche Vorkenntnisse erforderlich gewesen sein müssen, um beide Quellenarten zu verstehen. Diese Vermutung wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels bestätigt. Die Notwendigkeit von Vorkenntnissen widerspricht auf den ersten Blick dem Anspruch Richards of Ely, sowohl sein Dialogus als auch die Pipe Rolls sollten verständlich geschrieben und übersichtlich angeordnet sein. Äußert sich Richard über seinen eigenen Sprachgebrauch, so betont er vor allem, dass er allgemeine (communis) und gebräuchliche (usitatus) Worte (verba), keine neuen Bezeichnungen (novitas verborum, nova verba) verwende.226 Gleich zu Beginn ihres Gesprächs ermahnt der Schüler den Lehrer, Sachverhalte nicht in unbekannte Ausdrücke (verbis incognitis) zu kleiden, um sie als schwierigere Kunst (ars difficilior) erscheinen zu lassen.227 Richard nimmt für sich in Anspruch, in allgemeiner Sprache zu schreiben und keine neuen Namen zu erfinden (nova nomina fingere).228 Das Rekurrieren auf eine schlichte Sprache mag einem üblichen Einleitungstopos entsprechen,229 es stimmt jedoch mit der Be224 Ich bezeichne die Äußerungen der beiden Teilnehmer des Dialogs, insbesondere des Lehrers, als die Richards, gehe also von der Annahme aus, dass der Dialogus kein überzogenes oder ironisches Zerrbild des Schatzamtes geben sollte. Diese Annahme lässt sich nicht beweisen, allerdings deutet auch nichts darauf hin, dass der Autor eine komödienhafte Darstellung der Mitarbeiter des Schatzamtes zeichnen wollte. 225 Siehe Kapitel 3.1.3. 226 Beispielsweise Dialogus I, 8, S. 93. 227 Dialogus I, Prologus, S. 59. 228 Z. B. in Dialogus I, 1, S. 59 f. 229 Ähnliche Äußerungen finden sich nicht nur in einem anderen theoretischen Traktat der Zeit, in Glanvills Rechtssammlung, der seine Art zu schreiben im Prologus als stilo vulgari beschreibt (Tractatus de Legibus, S. 3), sondern auch in Werken mit literarischem An-

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obachtung überein, dass die Bedeutungsstränge, die die Lexeme im Dialogus aufweisen, sich mit denen der Pipe Rolls großenteils überschneiden. Nicht nur im Dialogus wollte Richard keine unbekannten Bezeichnungen verwenden, er mahnte zugleich an, auch in den Pipe Rolls eine explizite Ausdrucksweise an den Tag zu legen. Die Stelle aus der Kompilation römischen Rechts, der Digesten, wonach ausdrücklich Gesagtes schade, nicht ausdrücklich Gesagtes nicht (expressa nocent, non expressa non nocent),230 verkehrt er ins Gegenteil: Ausdrückliches nütze, nicht Ausgedrücktes erschöpfe (expressa iuvant et non expressa fatigant).231 Mehrmals wird betont, dass der Schreiber sorgfältig (diligenter) arbeiten müsse, damit ihm kein Irrtum unterlaufe.232 An anderer Stelle spricht der Lehrer davon, dass der Schatzmeister die geeigneten Worte (opportuna verba) in die Pipe Roll zu diktieren habe.233 Das geforderte Maß an Eindeutigkeit wird implizit erkennbar, wenn Richard diffizile Bedeutungen einzelner Worte erläutert, um deren korrekten Gebrauch sicherzustellen, so etwa bei der Erklärung, was unter einem »blank«, was unter einem »per Zahl« vergebenen Gut zu verstehen sei.234 Das Bemühen um Eindeutigkeit kommt des Weiteren in der Mahnung zum Ausdruck, Fehler in der Aufzeichnung unbedingt zu vermeiden.235 Ebenso solle bei der Ordination des Schriftstücks Sorgfalt walten, damit die Übersichtlichkeit gewährt sei: Die Beträge der Einzelschulden sollten sorgfältig und deutlich (diligenter et distincte) in der Pipe Roll eingetragen werden, damit die einzelnen Forderungen gut unterschieden werden könnten.236 Präzision und Sorgfalt bei der Abfassung der Pipe Rolls sollten demnach der Übersichtlichkeit und allgemeinen Verständlichkeit dienen. Dieser Anspruch

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spruch wie etwa der »Historia Regum Britanniae« von Geoffrey of Monmouth, der in Kapitel 2 erwähnt, er habe sich damit begnügt, stilo agresti zu schreiben, siehe Geoffrey of Monmouth, Kapitel 2, S. 1. Zum genus humile als Stilebene siehe Weddige, S. 129. Digesta Iustiniani Augusti, L 17, 195, S. 968. Dialogus II, 9, S. 130. Z. B. Dialogus II, 2, S. 120 oder auch II, 4, S. 126. Dialogus II, 6, S. 127. So werde die Vergabe inklusive der Gerichtsrechte einfach mit dem Adjektiv blancus ausgedrückt, wohingegen das Adverb numero verdeutliche, dass diese nicht übergeben worden seien. Dialogus II, 5, S. 126. Diese Verwendung von blancus und numero unterscheidet sich demnach von den Bedeutungen, die die beiden Worte nach einem Geldbetrag annehmen: Dort verweist blancus darauf, dass die Silberprobe mittels Einschmelzen durchgeführt worden war, wohingegen Geld, das in numero ausgewiesen wurde, nur abgezählt worden war. Siehe hierzu Kapitel 4.1.2. […] et cauendum est ipsi ne vel in numero vel in causa vel in persona sit error, ne absoluatur, qui Quietus non est, vel rursus conueniatur, qui meruit absolui. Dialogus I, 5, S. 79. Fehlerhafte Einträge durften auch nicht ausradiert, sondern mussten mit einer Unterstreichung ungültig gemacht werden, siehe Dialogus I, 5, S. 81. Auf diese Weise wurde der vierte Posten von oben auf Abbildung 7 (PR 20 Henry II) unter- und damit ausgestrichen. […] ut per hoc exactorum fiat discretio. Dialogus II, 2, S. 120.

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darf allerdings nicht dazu verleiten anzunehmen, bei dieser Allgemeinheit, für die der Dialogus verständlich war und die von einer übersichtlich angeordneten Pipe Roll profitieren sollten, habe es sich um eine größere Gruppe als die bei den Abhörungen beschäftigten Personen gehandelt. Dass zum Verständnis der Pipe Rolls und des Dialogus ein gewisses Vorverständnis mitgebracht werden musste, geht aus mehreren Stellen des Dialogus hervor. So nütze laut Richard zwar Ausgedrücktes, als ausdrückenswert erachtet wurden jedoch nur die Dinge, die nicht allgemein bekannt und anerkannt waren. Besonders deutlich wird dies bei der Beschreibung der Vorladungen: Der Lehrer berichtet, dass die Unsitte bestanden habe, dass Schuldner ihren Besitz in ein anderes County gebracht hätten, damit der Sheriff keinen Zugriff darauf habe. Dies sei unterbunden worden, indem in der Vorladung ein Hinweis für den Sheriff eingefügt worden sei, dass er sich in solchen Fällen an den zuständigen Sheriff des betreffenden Countys wenden müsse. Als alle Sheriffs und Schuldner diese Regelung kannten, habe man den entsprechenden Passus in den Vorladungen wieder gestrichen, ohne dass natürlich der Sachverhalt weggefallen wäre. Schließlich sei es nicht mehr nötig gewesen (non oportuit), diese Worte hinzuzusetzen (verbum apponi), und so wurden sie auch nicht mehr hinzugesetzt (nec apponitur).237 In den Pipe Rolls wurde also nicht alles notiert, was Relevanz besaß, sondern nur die Dinge, die Relevanz besaßen und darüber hinaus nicht ohnehin gewusst wurden. Dementsprechend macht der Dialogus deutlich, dass gewisse Angelegenheiten als bekannt vorausgesetzt wurden. Wer zum Beispiel eine Zahlung an den König verspreche, gehe damit gleichzeitig eine Verpflichtung zur Zahlung eines Zehntels der Summe an die Königin ein, und dies müssten die betreffenden Personen wissen (noverint), auch wenn es nicht explizit gesagt würde (expressum non fuerit).238 Paradoxerweise werden diese beiden Aspekte, sowohl die Übertragung der Haftung an den anderen Sheriff als auch die Zahlung an die Königin, gerade dadurch ausführlich erläutert, dass sie als Regeln genannt werden, die jeder an den Abrechnungen Beteiligte auch ohne ausführliche Erläuterung kennen müsse. Man könnte diese Stellen also solchermaßen interpretieren, dass Richard seinen Lesern die notwendigen Informationen über Haftungsübertragung und Zahlungsverpflichtung unter dem Deckmantel der Selbstverständlichkeit liefern wollte. Nicht weniger tragfähig erscheint jedoch die Interpretation, Richard habe seinen Kollegen im Schatzamt die Grundlage dafür bieten wollen, Forderungen zu erheben, die sich aus den Regeln des Schatzamtes ergaben, auch wenn der betreffende Schuldner diese nicht kannte. In jedem Falle verdeutlichen diese Stellen, dass die Denkfigur impliziter Regeln Richard nicht fern stand. Bei jedem, der sich an den Vorgängen der Abrechnung 237 Dialogus II, 1, S. 115. 238 Dialogus II, 26, S. 156.

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beteiligte, durften laut Dialogus entsprechende Vorkenntnisse vorausgesetzt werden. Im Einklang damit mahnt Richard die übersichtliche Ordination der Seite nicht zu dem Zweck an, die Rechnungen einem weiten Kreis an Lesern zugänglich zu machen. Vielmehr sollte die sorgfältige Anordnung bewirken, dass die Beträge auch dem flüchtigen Betrachter leicht auffielen (ut vianti animo et discurrenti oculo facilius occurrant), denn die Schulden benötige man für die Vorladungen (ex solvendis summonitiones), die entrichteten Beträge für die Entlastungen (ex solutis absolutiones).239 Die Übersichtlichkeit diente demnach den Schreibern der Vorladungen und Entlastungen, mithin wiederum Beschäftigten am Rechnungshof. Die Pipe Roll wurde also bewusst deutlich gegliedert, damit die Menschen sie besser nutzen konnten, die ebenfalls im Schatzamt arbeiteten und zur Erstellung weiterer Schriftstücke im Rahmen des Abrechnungsprozesses bestimmte Informationen aus der Pipe Roll benötigten. Dass die Rechnungen auf diese Art und Weise auch für unbeteiligte Leser schneller lesbar wurden, bildete demnach einen Nebeneffekt, nicht aber das Ziel der sorgfältigen Gliederung. Wenn Richard also mehrmals erwähnt, dass er allgemeine (communis) Bezeichnungen verwende, so ist anzunehmen, dass er damit die Allgemeinheit der am Rechnungshof tätigen Menschen meint. Diese Hypothese wird durch die Anlage des Dialogus bestätigt: Wie im Prolog skizziert, findet der Dialogus zwischen jemandem statt, der schon lange im Schatzamt sitzt, und einem anderen Menschen, der ebenfalls schon einige Jahre an den Abhörungen teilnimmt.240 Der fiktive Lehrer erklärt die Details der Abrechnung und Anhörung jemandem, der damit im Grundsatz vertraut ist. Dementsprechend darf man vermuten, dass sich die Allgemeinverständlichkeit der Ausdrücke hauptsächlich auf diejenigen bezieht, die sich mit den Abrechnungsprozessen auskennen. Als gewöhnliche (communis) Sprache bezeichnete Richard die Ausdrucksweise, die im Schatzamt gepflegt wurde. Durch seine Erklärungen, Ausführungen und Definitionen überbrückte der Dialogus zwar den Graben zwischen einem ausgesuchten Kenner der Abrechnungsvorgänge und jemandem, der ebenfalls daran beteiligt war, bot aber keinen Einstieg für Laien. Die Leser des Dialogus benötigten aber nicht nur Grundkenntnisse über die Abrechnungsverfahren, um den Traktat überhaupt verstehen zu können. Der Dialogus nannte ihnen auch bei weitem nicht alle Informationen, die ein Schreiber wissen musste. Entweder hatte ein langjähriger Beschäftigter im Schatzamt wie Richard of Ely zahlreiche Regeln solchermaßen internalisiert, 239 Dialogus II, 11, S. 141. 240 Ecce frater ad scaccarium iam per multa tempora resedisti et nihil te latet cum scrupulosus sis. Dialogus I, Prologus, S. 59.

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dass die Notwendigkeit einer Erklärung ihm nicht mehr vor Augen stand, oder Richard hielt Erläuterungen deshalb für überflüssig, weil er ein entsprechendes Wissen bei dem Adressatenkreis seiner Abhandlung voraussetzte. Dies zeigt sich an den Definitionen ausgesuchter Vokabeln aus den Pipe Rolls. Nur für wenige Bezeichnungen sah Richard of Ely offenbar die Notwendigkeit einer Erklärung. Der Dialogus gibt für lediglich 14 Vokabeln explizite Definitionen an.241 Wenn die Bedeutung eines Terminus thematisiert wird, nennt Richard stets nur eine Bedeutungsnuance, auch wenn er in diversen verschiedenen Verwendungszusammenhängen stehen konnte. So werden placitum und conventio in ihrer Eigenschaft als Einnahmearten definiert, wohingegen die ebenfalls in den Pipe Rolls vorkommenden Bedeutungsschattierungen als Prozess respektive Vertrag nicht erläutert werden.242 Auch foresta (Wald) wird lediglich als Wohnstätte wilder Tiere definiert, seine besondere Funktion als Einnahmequelle und Bezirk besonderen Rechts legt Richard nicht ausdrücklich dar.243 Im Extremfall wird eine Bedeutungsschattierung erklärt, die weder im Dialogus noch in den Rechnungen vorkam: Die Bezeichnung vicecomes (Sheriff) leitet Richard davon her, dass dieser den comes (Grafen) in Gerichtsverhandlungen vertrete.244 Diese Erklärung steht ohne Zusammenhang mit der Verwendung des Lexems an allen anderen Stellen des Dialogus, an denen der vicecomes stets als Rechnungsleger und Verantwortlicher für die Schulden auftritt. Die Erläuterung des Vokabulars bildet demnach eine Mischung aus etymologischer Herleitung eines Namens und rechnungsspezifischer Definition eines Terminus. Die Erläuterung des Namens wird dabei zumeist mithilfe des Verbs dici, manchmal auch mit nuncupari oder nominari (alles: genannt werden) vollzogen, wobei die Namen von phonetisch ähnlichen Lexemen abgeleitet werden. Für die Definition eines Terminus hingegen verwendet Richard das Hilfsverb est. Einige Termini werden auf beide Arten erklärt: Beispielshalber 241 Das geschieht für libra (I, 5, S. 74), solidus (I, 5, S. 74), census (I, 5, S. 80), firma (I, 5, S. 80), comitatus (I, 7, S. 109), murdrum (I, 10, S. 99), danegeldum/us (I, 11, S. 101), foresta (I, 12, S. 105), thesaurus (I, 14, S. 106), vicecomes (I, 17, S. 109), relevium (II, 10, S. 134 f.), solta (II, 10, S. 140 f.), conventio (II, 12, S. 142) und placitum (II, 12, S. 142). 242 Placitum wird als pena pecuniaria, conventio als oblata spontanea definiert, Dialogus II, 12, S. 142. Die Bedeutung von placitum als Prozess wird in den Pipe Rolls z. B. in der Bezeichnung »königlicher Prozess« deutlich (placita corone, crown pleas, dabei handelt es sich um Kapitalverbrechen, die mit Tod oder Verstümmelung bestraft wurden), siehe z. B. PR 30 Henry II, S. 48, R4 m2r. Als Vertrag oder Übereinkunft fungiert conventio, wenn die beteiligten Parteien angegeben werden, etwa […] pro conventione de terra inter eum et Radulf ’ barret […], PR 31 Henry I, S. 11, R1 m2d. 243 Foresta regis est tuta ferarum mansio […], Dialogus I, 12, S. 105. Die beiden anderen Bedeutungsnuancen kommen sowohl in den Pipe Rolls als auch im Dialogus selbst vor, siehe oben, Kapitel 3.1.3. 244 Porro vicecomes dicitur eo quod vicem comitis suppleat in placitis […]. Dialogus I, 17, S. 109.

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wird zunächst der Name murdrum mit mors in Verbindung gebracht.245 Anschließend wird murdrum mithilfe von est definiert, wofür mors nicht mehr herangezogen wird, sondern hauptsächlich auf die Tatsache rekurriert wird, dass es sich um etwas Verborgenes handele (absconditum vel occultum).246 Ebenso leitet Richard of Ely die Bezeichnung census von ascendere und descendere (zunehmen, abnehmen) her, da diese Einnahmen stetig zu- oder abnähmen.247 Mithilfe von est wird census allerdings als Einnahme aus Wäldern definiert.248 Trotz der offenkundigen Diskrepanz der beiden jeweils resultierenden Bedeutungsnuancen führt Richard nicht an, dass lediglich die definierte, nicht die etymologisch hergeleitete Bedeutung in den Pipe Rolls Verwendung findet. Die mangelnde Reflexion über verschiedene mögliche Bedeutungsschattierungen des gleichen Terminus mag darin begründet liegen, dass sich seine verschiedenen Nuancen langsam herausbildeten.249 Richard konnte die verschiedenen Bedeutungsnuancen der in den Pipe Rolls gebrauchten Termini gar nicht kohärent präsentieren, weil ihm die Idee nicht behagte, dass ein Wort in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungsschattierungen annehmen könnte. Nur an einer einzigen Stelle beschäftigt sich der Dialogus mit der Möglichkeit verschiedener Verwendungszusammenhänge und erklärt sie explizit als unerwünscht: Der Lehrer setzt dem Schüler auseinander, dass thesaurus zum einen kostbare Gegenstände, zum anderen den Ort ihrer Aufbewahrung meinen könne.250 Diese zweite Bedeutungsschiene markiert er aber als falsch, indem er ihre Verwendung als unlogisch (incongruus) darstellt.251 Der Dialogus erklärt nicht nur wenige der in den Pipe Rolls vorkommenden Termini, sondern nennt auch lediglich sehr vereinzelt einige Formulierungsregeln. Der Aufbau eines Postens wird nie systematisch erläutert. Lediglich im Rahmen der Abrechnung von verschiedenen Rechtsfällen (placita) werden einige Musterposten aufgeführt,252 die aber bei weitem nicht alle Fälle beschreiben, die in den Rechnungen auftreten. Alle im Dialogus angeführten Posten beginnen 245 Porro murdrum proprie dicitur mors alicuius occulta cuius interfector ignoratur. Dialogus I, 10, S. 99. 246 Murdrum enim idem est quod absconditum vel occultum. Dialogus I, 10, S. 99. 247 Dialogus I, 5, S. 80 f. 248 Firme maneriorum sunt, census autem nemorum tantum. Dialogus I, 5, S. 80. 249 Analoge Prozesse beschreibt Kapitel 3.1. 250 Noueris autem thesaurum quandoque dici pecuniam ipsam numeratam, vasa quoque diuersi generis aurea vel argentea ac vestimentorum mutatoria. […] Dicitur enim thesaurus locus in quo reponitur […], Dialogus I, 14, S. 106 f. Wiederum wird die in den Pipe Rolls gebrauchte Bedeutung als Einzahlungsprozess (In thesauro) gar nicht genannt. 251 Dicitur enim thesaurus locus in quo reponitur […]; vt nunc incongrue respondeatur querenti de quolibet vbi sit, ›In thesauro est‹; hoc est vbi thesaurus reponitur. Dialogus I, 14, S. 107. 252 Dialogus II, 12, S. 142.

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beispielsweise mit dem Verb reddit Compotum (er legt Rechnung). Nirgendwo wird erwähnt, dass ein Posten auch mit dem Verb debet (er schuldet) formuliert werden konnte, wenn die Schuld nur festgehalten und keine weitere Transaktion getätigt wurde. Konkrete Formulierungsanweisungen werden für lediglich drei Zahlungs- und vier Erlassungsbegründungen genannt.253 Selbst wenn die Abrechnung eines bestimmten Erlassungsgrundes wie beispielsweise der Almosen (elemosine) explizit thematisiert und seine Abrechnung und Niederschrift in die Pipe Roll beschrieben wird,254 wird keine Formel für den einzutragenden Posten genannt. Die korrekte Zusammenstellung von Syntagmen konnte man also anhand des Dialogus nicht lernen, gerade in diesen Syntagmen konstituierte sich aber, wie oben beschrieben,255 die Eindeutigkeit und damit eines der entscheidenden Charakteristika der Fachlichkeit der Rechnungssprache.256 Zuletzt beschreibt der Dialogus die Richtlinien für die Ordination der Schrift auf der Seite nur sehr fragmentarisch. Er legt an keiner Stelle dar, dass der erste Buchstabe eines Postens mit etwas Abstand zum Rest des Textes gesetzt wurde, die Vergebungsformel Et In Perdonis stets in einer neue Zeile beginnt oder die Bilanz Et Quietus est (Und er ist quitt) auf der ganzen Seite an den rechten Rand des Pergaments geschrieben wurde, obwohl all diese drei Anordnungsregeln von der ersten erhaltenen Pipe Roll bis in die Zeit des Dialogus mit großer Konsequenz angewandt wurden. Andere Angaben des Dialogus erscheinen im Vergleich mit den Rechnungen nicht präzise: So weist der Dialogus darauf hin, dass das Pergamentblatt zu linieren sei,257 beschreibt aber nicht, dass neben den horizontalen Linien, auf denen geschrieben wurde, auch einige vertikale Linien gezogen wurden, um die Positionierung des ersten Buchstabens am linken Rand sowie der Formeln In thesauro (Im Schatz) und Et Quietus est (Und er ist quitt) am rechten Rand die Seite entlang einheitlich zu gestalten (siehe Abb. 8 und Abb. 11). Außerdem gibt der Dialogus an, dass diese letztgenannten Formeln für die Einzahlung und die Schuldenfreiheit am Ende der Zeile (in fine linee) zu stehen hätten.258 Unerwähnt bleiben die in den Pipe Rolls dieser Zeit stets an253 Konkrete Formulierungsanweisungen werden gegeben für die Anrechnung von necessaria thesaurii (Dialogus II, 7, S. 129), procuratio (Dialogus II, 10, S. 133) und exitus (Dialogus II, 27, S. 158) und für die Abrechnung über relevium (Dialogus II, 10, S. 133), catallum (Dialogus II, 10, S. 136), purprestura und escaeta (beide Dialogus I, 5, S. 80). 254 Dialogus II, 6, S. 127. 255 Siehe oben, Kapitel 3.1.2.1. 256 Damit erfüllt der Dialogus eines der wichtigen Kriterien nicht, die Hoffmann, S. 191, für ein fachsprachliches Lehrbuch angibt: Es müsse die Syntagmen und deren mögliche Zusammenfügungen verzeichnen. 257 Regulatis igitur rotulis a summo pene vsque deorsum et ex vtraque parte lineis a se decenter distantibus, prenotantur in summo rotuli comitatus et baillie de quibus infra compotus redditur. Dialogus I, 5, S. 79. 258 Dehinc in fine eiudem linee, vbi summa est, scribitur ›In thesauro xx. libras in tot taleis et debet quater xx. libras‹ vel ›In thesauro liberauit et Quietus est.‹ Dialogus II, 10, S. 132.

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zutreffenden Gestaltungsprinzipien, auch zwischen diesen beiden Formeln einen deutlichen Abstand zu lassen und sie zudem jeweils an den entsprechenden gleichlautenden Phrasen anderer Posten der gleichen Seite auszurichten, die beiden kleinen Sätze mithin spaltenartig untereinander zu schreiben. Die Verwendung von Termini mit einer fachspezifischen Bedeutungsnuance, bestimmte Formulierungsmuster und Anordnungsregeln wurden von Richard also nicht als erwähnenswert, schon gar nicht als erklärenswert erachtet. Da im Dialogus zudem weder über die Standardisierung noch über die Kürze der Sprache – im Gegensatz zur Ordination des Schriftstücks – explizit reflektiert wird,259 drängt sich die Vermutung auf, dass diese Facetten der Fachsprache der Pipe Rolls sich gleichsam unbewusst herausbildeten, von den Schreibern der Rechnungen intuitiv angewandt und von ihren Rezipienten ebenso verstanden wurden. Ob bewusst oder unbewusst hielt es Richard of Ely offenbar für selbstverständlich, dass die Schreiber Standardisierung und Kürze korrekt implementierten, denn er erklärte den Umgang damit nicht. Wer diese grundlegenden Charakteristika der Sprache der Pipe Rolls demnach nicht bereits kannte, konnte aus dem Dialogus gerade diese notwendigen Voraussetzungen zur Erstellung einer Rechnung nicht erlernen. Dieses Kernstück der Fachsprache mussten sich die Schreiber und Leser auf andere Weise aneignen. Der dritte Grund, warum niemand eine Pipe Roll schreiben konnte, der nur den Dialogus gelesen hatte, liegt darin, dass die Angaben des Dialogus zur Abfassung einer Rechnung in zahlreichen Fällen von der konkreten Ausgestaltung der Pipe Rolls differieren. Der Dialogus setzte bei seinen Lesern also nicht nur ein gewisses Vorwissen voraus und erklärte ihnen nicht alles, manche Aspekte des Rechnungsschreibens stellte der Dialogus zudem anders dar, als sie in den Pipe Rolls gefunden werden können. Dies betrifft insbesondere die Vorgaben, die der Dialogus für die Formulierung einiger Posten macht.260 259 Zwar nennt Richard zahllose standardisierte Phrasen und erwähnt bei der Abrechnung über den Waldzins, diese solle kurz und unkompliziert vollzogen werden (breuis satis et expeditus, Dialogus II, 11, S. 141). Er äußert sich aber nicht dazu, warum die Phrasen gleichförmig konstruiert und warum die Abrechnung kurz formuliert werden sollten. 260 Neben den Formulierungsangaben lassen sich zwei Vorgaben zur Ordination der Seite finden, die in den Pipe Rolls nicht eingehalten wurden: Die erste Angabe betrifft die Setzung der Überschrift De Propresturis et Escaetis. Damit wurden Ländereien bezeichnet, die an den König gefallen waren, weil sie sich jemand widerrechtlich angeeignet hatte oder der Besitzer ohne Erbe gestorben war. Vor der Abrechnung über diese Überfänge und Heimfälle sollten laut Dialogus sechs bis sieben Zeilen frei gelassen werden, siehe Dialogus I, 5, S. 80 und II, 10, S. 132. In den Pipe Rolls folgt die Abrechnung über diese Art von Besitzverhältnissen jedoch nach höchstens vier freien Zeilen. Zweitens mahnt Richard an, zwischen der Abrechnung über vergebene Ländereien (in terris datis) und der Anrechnung von Ausgaben, die ein Sheriff im Namen des Königs aus der Pacht tätigte, solle eine Leerzeile eingefügt werden (facto intervallo unius linee), so Dialogus I, 5, S. 80. Die Ausgaben aus der

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Richard of Ely nennt einige konkrete Formulierungen, die die Schreiber der Rechnungen zu verwenden hätten. Kleine Varianten zwischen den Phrasen, die der Dialogus vorschlägt, und den Formulierungen in der Pipe Roll sollten allerdings nicht zu schnell als Indizien für eine Abweichung von der Vorgabe des Dialogus interpretiert werden. Lediglich in völlig von Schriftlichkeit durchdrungenen Gesellschaften wird unter der wörtlichen Wiederholung eines Ausdrucks die exakte Wiedergabe jedes einzelnen Wortes verstanden, wohingegen in stärker oral geprägten Kulturen die Wiederholung des gleichen Themas mit ähnlichen Formeln im Vordergrund steht.261 Deshalb sollte zum Beispiel die Möglichkeit der Schreiber der Pipe Roll, einen Rechnungsleger ausschließlich mit dem rückverweisenden idem zu bezeichnen, nicht als Konflikt zu der Angabe im Dialogus gesehen werden, wonach der Rechnungsleger mit Namen oder als vicecomes (Sheriff) zu nennen sei.262 Allerdings kann der Verweis auf die Mündlichkeit nicht alle Differenzen erklären. Dass Richard nicht nur unverbindliche Angaben über die ungefähre Art und Weise der Verbuchung von Schulden treffen wollte, sondern auch der konkrete Wortlaut eine gewisse Wichtigkeit für ihn besaß, zeigt sich an den Verben wie scribetur,263 dicetur,264 annotatur265 (man schreibt, man sagt, man notiert), die die von Richard als verbindlich bezeichneten Phrasen eröffnen. Dass der Verfasser des Dialogus auf den genauen Wortlaut der Pipe Roll rekurrieren und ihn nicht lediglich umschreiben wollte, geht zudem daraus hervor, dass er bisweilen ein bekräftigendes sic (so) vor das Verb setzte266 oder zu dem Substantiv »Wort« (verbum) ein Demonstrativpronomen fügte, wenn er die zu notierende Formulierung mit einer Substantivkonstruktion einleitete.267 In diesem Sinne lassen sich zwei Arten der Differenz zwischen Dialogus und Rechnungen aufzeigen: Zum einen geben die Pipe Rolls weniger Informationen an, als Richard im Dialogus fordert. So enthält die standardisierte Formel für die

261 262 263 264 265 266 267

Pacht stehen in den Pipe Rolls stets in einer neuen Zeile, eine Leerzeile wurde jedoch nie eingefügt. Ong, S. 57 – 59. Zahlreiche beispielhafte Posten, die im Dialogus angeführt werden, beginnen mit N., ille, vicecomes oder einer Kombination dieser Möglichkeiten, siehe Dialogus I, 5, S. 79 f., II, 4, S. 123, II, 10, S. 132 – 134 und 136, II, 11, S. 141 und II, 12, S. 142. Etwa: Fiet autem in fine summa omnium, et circa finem eiusdem linee, in qua summa est, scribetur ›In thesauro xl. libre in tot vel tot taleis et debet x. libras‹ vel ›Et Quietus est.‹ Dialogus II, 10, S. 136. Beispielsweise: Si vero per breue regis quietus est, vt, sicut diximus, numerus exprimatur in breui, dicetur ›N. reddit compotum de x. libris‹ et addat causam. Dialogus II, 12, S. 142. Z. B.: Mobilium vero pretia per manum vicecomitis ad scaccarium deferuntur et in annali sic annotantur, ›Ille vicecomes reddit compotum de catallis fugitiuorum vel mutilatorum per assisam, de loco illo N. scilicet de hoc v. de illo x.‹, Dialogus II, 10, S. 136. Beispielsweise: in capite vero inferioris sic scribitur, Dialogus, II, 10, S. 132 oder sic in annali scribetur in II, 27, S. 158. Z. B.: sub his verbis oder hoc tenore verborum, beides I, 5, S. 79.

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Anführung veräußerter Ländereien, die der Dialogus anführt, neben der Einleitung In terris datis den Begünstigten im Dativ sowie die Angabe, wo sich die betreffenden Gebiete befanden.268 Die Formulierungen in den Pipe Rolls entsprechen diesem Schema, lassen die genaue Ortsangabe aber in ungefähr einem Viertel der Fälle weg. Die Pipe Rolls weisen also ein geringeres Maß an Präzision auf als im Dialogus gefordert. Zum anderen wurden fast alle Zahlungs- und Erlassungsbegründungen wesentlich weniger standardisiert notiert als dies im Dialogus beschrieben wird. Beispielsweise können anstelle der dort genannten Formel »in operatione illa c libras«269 für die Anrechnung von Baukosten in den Pipe Rolls auch die Varianten ad operationem, in operibus oder ad facienda opera verwendet werden. Wenn ein Sheriff über Fahrhabe abrechnete, also den beweglichen Besitz flüchtiger Verbrecher, sollte dies laut Dialogus mithilfe der Formel »Ille vicecomes reddit compotum de catallis fugitivorum vel mutilatorum per assisam de loco illo N., scilicet de hov v., de illo x.« geschehen.270 In den Pipe Rolls wurde hingegen fast nie eine Ortsangabe hinzugefügt, der Zusatz per assisam findet sich überhaupt nicht. Anstelle der fugitivi und mutilati konnten auch andere Genitive zum Zahlungsgrund catallum treten. So wurde etwa im Rechnungsjahr 1173/74 der bewegliche Besitz von Feinden des Königs mit der Phrase eingezogen: Ille vicecomes reddit Compotum de […] aliis catallis inimicorum Regis venditis.271 Als Variante der im Dialogus vorgegebenen Formulierung kann man sie sicherlich nicht betrachten. Beide Phänomene lassen sich auf den unterschiedlichen Charakter der Schriftstücke zurückführen: Der Dialogus nennt Beispiele, geradezu idealtypische Posten, eventuell wollte er an einigen Punkten auch eine höhere Konsistenz oder Informationsdichte einfordern.272 Die Rechnungsschreiber hingegen hatten eine größere Vielfalt an Sachverhalten zu verschriftlichen, weshalb sie erstens variantenreicher formulieren und zweitens zeitsparender, also kürzer schreiben mussten. Deshalb ähnelt der Versuch des Editors der Curia Regis Rolls von 1194/95, die Formeln dieser Rolle aufzulisten, auf frappierende Weise den Ansätzen Richards of Ely, die standardisierten Posten der Pipe Rolls zu festen Formeln zu kristallisieren. Beide schließen mit der Bemerkung, den Reichtum an Fällen und Sachverhalten, den ein Rollenschreiber zu formulieren hatte, nicht 268 269 270 271

›In terris datis illi N. xx. libras bl. ibi et illi N. xx. libras numero ibi.‹ Dialogus II, 5, S. 126. Dialogus II, 8, S. 130. Dialogus II, 10, S. 136. PR 20 Henry II, S. 103, R8 m2r. Ein anderes Beispiel steht in in PR 10 Henry II, S. 8, R1 m1d: […] de Catall’ homines interfecti […]. 272 Ähnlich verläuft das Argument bei Hagger, Theory, Richard habe den Dialogus verfasst, um die Verwendung der neu eingeführten Überschriften in den Pipe Rolls durchzusetzen. Die Schlussfolgerung findet sich auf S. 69. Meines Erachtens kann dieser Ansatz eventuell einige Punkte in Richards Darstellung erklären, als Erklärung des Zwecks der Abfassung des Dialogus greift er aber etwas kurz.

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einfangen zu können und sich deshalb auf Beispiele zu beschränken.273 Genauso beschreibt Ranulf of Glanvill in seinem Traktat über das Rechtssystem, der zu einer ähnlichen Zeit wie der Dialogus entstand, nach eigenen Angaben nur eine Auswahl der häufig im Gericht benutzten Regeln, da ihre Gesamtheit kaum niedergeschrieben werden könne.274 Richard räumt die gleiche Begrenzung ein, wenn er gegen Ende des Dialogus den Lehrer bemerken lässt, zur Behandlung aller Einzelheiten, die sich im Laufe der Zeit als notwendig erweisen könnten, sei weder die Kraft eines Menschen noch vielleicht ein ganzes Leben ausreichend.275 Er fügt allerdings gleich an, dass aus solch einer Aufreihung von Einzelfällen keine oder eine bisher unbekannte Lehre (vel nulla vel adhuc incognita disciplina) entstehen würde.276 Offensichtlich stellte es demnach gar nicht sein Ziel dar, ein Lehrbuch zu verfassen. Eine umfassende Darlegung aller Einzelfälle hält Richard also für unmöglich. Entsprechend lässt sich vermuten, dass es wohl auch kein anderes Lehrbuch zur Einführung in die Schreib- und Lesefähigkeit der Pipe Rolls gab, das auf einem grundlegenderen Niveau als der Dialogus operierte, von dem wir einfach nichts wissen, da es verloren gegangen ist. Diese Hypothese stimmt mit zwei Ergebnissen dieser Arbeit überein: Zum einen legt Kapitel 4.1. dar, dass sich die Fachsprache der Rechnungen ständig und unprognostizierbar veränderte: Verschiedene Schreib- und Ordinationsweisen wurden variiert, häufiger gebraucht oder verworfen. Das zu beachtende Regelset für die Abfassung der Rechnung sollte man sich deshalb nicht als besonders starr vorstellen. Die sich ständig verändernde Form der Rechnung ließ sich zudem schwer in einem statischen Lehrbuch erfassen. Nicht nur der Dialogus stellte also kein Anfängerlehrbuch für den Umgang mit den Pipe Rolls dar, darüber hinaus ist es schwer vorstellbar, wie ein solches Lehrbuch überhaupt hätte aussehen sollen.277 Zum anderen zeigt Kapitel 3.1.2.1., dass insbesondere zur Formulierung und Anordnung des Abrechnungsgerüsts der Rechnungen vor allem Kombinationswissen benötigt wurde. Die Schreiber mussten die spezifischen Möglichkeiten 273 Maitland, S. xxxvf. 274 Leges autem et iura regni scripto universaliter concludi nostris temporibus omnino quidem impossibile est, tum propter scribentium ingnoranciam tum propter eorundem multitudinem confusam. Verum sunt quedam in curia generalia et frequentius usitata, que scripto commendare non mihi videtur presumptuosum […]. Tractatus de Legibus, S. 3. 275 Ceterum ad singula, que tractu temporis videri potuerunt necessaria, vngue tenus explananda nec virtus hominis, nec vita forte, sufficeret. Dialogus II, 28, S. 160. 276 Dialogus II, 28. S. 160. 277 Versuche, eine Vielzahl im Wandel begriffener Regeln niederzulegen, enden meistens mit sehr umfangreichen, schnell veraltenden Kompendien, die trotzdem nicht auf jeden Fall passen, dem man in der Praxis begegnet, man denke etwa an bibliographische Regelwerke oder auf einem anderen Abstraktionsniveau an das bürgerliche Gesetzbuch als Regelwerk für das menschliche Zusammenleben.

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kennen, in denen sie die einzelnen schlichten Vokabeln zusammensetzen konnten. Dieses Kombinationswissen lässt sich schwerer in ein Lehrbuch fassen als etwa die Definition einschlägiger Fachausdrücke. Gerade diesen Aspekt des Rechnungsschreibens erläutert der Dialogus nun nicht: So werden die Phrasen für die Beschreibung des Abrechnungsprozesses selten erläutert, konkrete Formulierungen eines Postens nur für Einzelfälle dargelegt. Im Einklang damit bezeichnet Richard als scientia scaccarii (als Fachwissen des Schatzamtes) nicht die Rechenvorgänge (ratiocinia), nämlich die Notierung von Forderung und Einzahlung, deren Subtraktion und die Ziehung der Bilanz, die er als leicht (facilis) beschreibt. Die scientia scaccarii liege hingegen in den Rechtsfragen (iudicia), die die wahren Kenntnisse des Schatzamtes ausmachten.278 Dass seine Leser mit dem Abrechnungsprozess vertraut waren, setzt Richard demnach voraus. Das Kombinationswissen, das die Fähigkeit bedingt, eine korrekte Pipe Roll zu schreiben, wird von Richard damit gerade nicht als Spezialwissen wahrgenommen, sondern für selbstverständlich gehalten. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass Richard sein Werk an Menschen richtete, die zumindest rudimentär mit den Geschäften im Schatzamt vertraut waren. Will man den Dialogus als Lehrbuch bezeichnen, so sollte man stets ein verdeutlichendes »für Insider« hinzusetzen.279

3.2.2. Die Ausbildung der königlichen Verwalter: Learning by Doing Wenn die Sprache der Pipe Rolls aber nicht ausschließlich anhand des Dialogus gelernt werden konnte, wie kann man sich den Prozess der Aneignung des nötigen Wissens stattdessen vorstellen? Meine These lautet, dass die Sprache der Rechnungen während der Arbeit gelernt wurde, in einem Prozess des learning by 278 Dialogus I, 4, S. 67 f. Dieses Fachwissen wird in der vorliegenden Studie nur hin und wieder behandelt, wenn es zur Erläuterung von Abrechnungsvorgängen nötig ist, denn die Arbeit beschäftigt sich mit der Herausbildung des Exchequer als Abrechnungsbehörde, nicht mit seiner Funktion als Gerichtshof. Erstere wurde historisch wirkmächtig und überdauerte bis 1832. Dass Richard of Ely die Abrechnungsfunktion als die selbstverständliche, gleichsam nebenherlaufende Arbeit des Schatzamts ansieht, deutet schon darauf hin, dass sich der Exchequer als Abrechnungsbehörde gleichsam unbewusst herausbildete, wie es in Kapitel 4 genauer beschrieben wird. Das juristische Fachwissen war auch nicht nötig, um eine Pipe Roll zu schreiben, sondern um eventuelle Probleme bei einem bestimmten Abhörungsfall zu klären. Der Schreiber notierte nur die Lösung des Falls, die ihm in die Feder diktiert wurde. 279 Die Bezeichnung »insider handbook« verwendet auch Clanchy, Memory, S. 67. Ansonsten überwiegt aber immer noch die Einschätzung, der Dialogus habe wenig Vorwissen vorausgesetzt, siehe die Einleitung zu Kapitel 3.2.

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doing. Darauf deutet die Evidenz über die Herkunft und Ausbildung der Personen hin, die an der Abrechnung beteiligt waren. Zu den Menschen, die die Sprache der Rechnungen beherrschen mussten, sind natürlich zunächst die Schreiber und Leser der Pipe Rolls zu zählen. Dabei handelte es sich hauptsächlich um unterschiedliche Subjektpositionen derselben Personen, da eine Pipe Roll vor allem deshalb zur Hand genommen wurde, um die Rechnung des nächsten Jahres aufzusetzen. Über diese Schreiber, die zugleich die hauptsächlichen Nutzer der Pipe Rolls bildeten, sind so gut wie keine Informationen überliefert. T. A. M. Bishop beschäftigt sich zwar mit den Schreibern des englischen Königs, stellt aber hauptsächlich Fragen nach stilistischen Eigenheiten, um die Anzahl verschiedener Schreiber im königlichen Dienst festzustellen.280 Die Vermutung, dass Richard of Ely den Dienst im Schatzamt als Schreiber begann,281 wird lediglich damit unterfüttert, dass Richard dessen Arbeit im Dialogus ausgiebig lobt,282 kann also nicht als überzeugend begründet angesehen werden. Für den späteren Justiziar Richard of Ilchester und den späteren Bischof von London, William de Sainte-MÀre-Eglise, lässt sich allerdings nachweisen, dass sie ihren Dienst für den König als Schreiber in der Kurie begannen.283 Zudem können Kapläne und Schreiber im 12. Jahrhundert noch nicht eindeutig voneinander getrennt werden, wahrscheinlich wurden dieselben Personen je nach aktueller Funktionsausübung mit beiden Namen bezeichnet.284 Deshalb kann die Annahme gewagt werden, dass die Aufgabe des Schreibers eine der ersten Beschäftigungsmöglichkeiten für Einsteiger in der königlichen Verwaltung darstellte. Da die Schreiber selbst kaum als einzelne Personen zu fassen sind, kann lediglich von der Herkunft und Ausbildung anderer Mitarbeiter im Dienst des Königs auf diejenige der Schreiber zurückgeschlossen werden. Dazu muss man die gerade vorgestellte Annahme akzeptieren, dass es sich bei der Tätigkeit als 280 Bishop. Für die PR 31 Henry I stellt diese Frage Green, Government, S. 52 f. 281 So Siegrist, Einleitung, S. XXXIII; Hudson, Richard fitz Nigel. 282 Dialogus I, 5, S. 77. Diese Begründung liefert Siegrist, Einleitung, S. XXXIII, bei Hudson, Richard fitz Nigel, findet sich keine Unterfütterung der These. 283 Duggan legt dar, dass Richard von Ilchester zu Beginn seiner Karriere als scriptor curie unter Henry II. zu fassen ist, S. 2. Das schließt Duggan daraus, dass in der PR 2 Henry II dreimal (S. 30, R6 m1r, S. 31, R6 m2r; S. 47, R10 m1r) und in der PR 4 Henry II zweimal (S. 121, 122, beides R2 m1d) Vergebungen gewährt bzw. einem Ricardi Scriptori bzw. Ricardi Scriptori Curie die Zahlungsverpflichtung reduziert wird, weil Teile der Ländereien aus seinem Zuständigkeitsbereich herausgegeben wurden. William de Sainte-MÀre-Eglise begann wohl als Schreiber in der Kammer (chamber clerk) seinen Dienst, so Turner, Men, S. 21. 284 So Mooers Christelow, Chancellors, S. 51 – 53, die als prominentestes Beispiel den etwas vor der hier betrachteten Zeit lebenden Schreiber und Kaplan Osmund nennt, der später als Kanzler und von 1078 – 1099 als Bischof von Salisbury fungierte. Ebenso konnte Bishop einige Schreiber zugleich als königliche Kapläne identifizieren, Bishop, S. 23.

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Schreiber um eine Einstiegsstelle in die königliche Verwaltung handelte und sich die Personengruppe der Schreiber und diejenige anderer Funktionsträger zumindest teilweise überschnitten. Da die Pipe Rolls schriftliche Protokolle der mündlichen Rechnungslegung darstellen, wurde die Sprache der Rechnungen auch während des Abhörungsprozesses gesprochen. Demnach müssen auch die königlichen Bediensteten, die die Abrechnung leiteten, und die Sheriffs, die über ihre Ausgaben Rechenschaft ablegten, diese Sprache beherrscht haben. Die Leiter der Abhörung, die barones de scaccario, werden nur in Verbindung mit dem Abrechnungsprozess mit diesem Namen belegt.285 Einzelne Personen treten nicht als Baron des Schatzamtes in Erscheinung. Vielmehr lässt sich für einige Menschen ein Titel nachweisen, der sie laut Dialogus auch zu wichtigen Mitgliedern des Schatzamtes machte.286 Allerdings klingt im Dialogus an, dass sich Kanzler und Konstabler wohl häufig vertreten ließen und nicht selbst an den Sitzungen teilnahmen.287 Zudem bleibt selbst innerhalb des Dialogus unklar, wo genau die Grenze zwischen den barones de scaccario und den übrigen Mitarbeitern im Schatzamt zu ziehen ist. Wahrscheinlich darf die Zuordnung bestimmter Aufgaben an einzelne Vertraute des Königs für das 12. Jahrhundert nicht allzu abgeschlossen gedacht werden. Laut Ralph V. Turner beriet sich der König mit einem nicht fest definierbaren Kreis von Ratgebern, der sich aus manchen Bischöfen und Magnaten, hauptsächlich aber aus einfacheren Rittern und Angestellten in seinem Haushalt zusammensetzte.288 Diese curiales übten verschiedenste Funktionen für den König aus, zu denen diejenige der Abrechnung mit den Sheriffs gezählt haben kann, sich aber selten konkret greifen lässt.289 Geoffrey fitz Peter etwa kann im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts als Sheriff, Hauptförster, Justiziar und Reiserichter identifiziert werden, so dass es naheliegt zu vermuten, dass er auch an den Abhörungen des Schatzamtes beteiligt war.290 Mit zunehmender 285 Erstmals genannt werden die barones de scaccario in einer königlichen Verfügung von 1110, die die Barone anweist, das Land von St Mary of Lincoln nicht mit der Abgabe (auxilium) anlässlich der Hochzeit von Matilda, der Tochter Henrys I., mit Kaiser Heinrich V. zu belasten. RRAN II, Nr. 963, S. 96. Die lateinische Fassung findet sich in The Registrum Antiquissimum, Nr. 32, S. 26. 286 Zu nennen sind der Justiziar (capitalis iustitia), der Kanzler (cancellarius), der Konstabler (constabularius), zwei Kämmerer (camerarii) und der Marschall (marescallus), Dialogus I, 5, S. 69. 287 Die Aufgaben beider werden unter der Einschränkung beschrieben, dass ihnen diese Pflichten zukämen, wenn sie denn an den Sitzungen teilnähmen (dum residet ad scaccarium bzw. si presens fuerit, Dialogus I, 5, S. 71 f.). Der Konstabler sei dem König so unabkömmlich, dass dieser häufig die Aufgaben des Konstablers am Rechnungshof jemand anderem übertrage, Dialogus, I, 5, S. 72. 288 Turner, Men, S. 14. 289 So schildert auch Amt, Introduction, S. xiii die Barone des Schatzamtes. 290 Siehe Turner, Men, S. 40 – 42.

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Überlieferung gegen Ende des 12. Jahrhunderts steigt auch die Zahl der erhaltenen Befreiungen von Abgabenzahlungen, die ein Privileg der barones de scaccario darstellten. Aus diesen lässt sich schlussfolgern, dass die Begünstigten zu diesem Kreis gezählt haben dürften.291 Da die Bezeichnung baro de scaccario sich aber weder als Selbst- noch als Fremdbezeichnung für Individuen nachweisen lässt, scheint es sich dabei weniger um einen Titel als um eine Funktionsbezeichnung gehandelt zu haben: Unter den barones de scaccario sind also weniger Angestellte zu verstehen, die fest zum Schatzamt gehörten, vielmehr wurden in diversen Angelegenheiten beschäftigte Ratgeber des Königs solchermaßen bezeichnet, wenn sie eine bestimmte Funktion ausübten, nämlich die Abhörung der Schuldner des Königs. Wenn bestimmte curiales zu dem spezifischen Zweck zusammenkamen, die Rechnungslegung der Sheriffs abzunehmen, wurden diese Vertrauten des Königs dadurch zu Baronen des Rechnungshofes.292 Da diese Ratgeber aus dem Kreis um den König zudem in vielen Fällen auch als Sheriffs eingesetzt wurden, erweist sich die strikte Trennung, die der Dialogus zwischen den Baronen des Schatzamtes auf der einen und den abrechnenden Sheriffs auf der anderen Seite vornimmt, als etwas konstruiert.293 Bei Baronen und Sheriffs handelte es sich offenbar nicht um verschiedene Personen, sondern um unterschiedliche Rollen, die von denselben Personen ausgeübt werden konnten. Dieser Aspekt wird in der Historiographie nicht immer beachtet, weshalb es zu Beschreibungen wie derjenigen von Michael John Jones kommen konnte, der ein geradezu apokalyptisches Szenario des überforderten Sheriffs entwirft, der den übermächtigen Exchequer-Baronen hilflos gegenüberstand.294 Das mag für diejenigen Sheriffs gelten, die aus dem jeweiligen County stammten und ihre Funktion aufgrund ihrer lokalen Verbundenheit und Interessen erhalten hatten.295 Sicherlich anders lief die Abrechnung für Männer wie Richard Basset und Aubrey de Vere ab, die unter anderem als Reiserichter dienten und im Rechnungsjahr 1129/30 zusammen für elf Countys verantwortlich zeichneten.296 William Alfred Morris hat für dieses Jahr, in dem die erste überlieferte Pipe Roll entstand, für weitere acht Sheriffs zugleich Funktionen im königlichen Dienst nachgewiesen: Unter anderem war Miles of Gloucester zugleich als Konstabler oder Geoffrey of Clinton als Schatzmeister, Kämmerer und 291 Auf diese Art und Weise ordnet Turner z. B. William de Sainte-MÀre-Eglise den Baronen des Schatzamtes zu Beginn der Regierungszeit von König John zu, ebd., S. 27. 292 Vergleiche Hollister u. Baldwin, S. 879. Der Exchequer habe sich in dem Moment konstituiert, in dem sich der vizeregentschaftliche Hof zur Abrechnung zusammengesetzt habe. Ähnlich Karn, S. 309. 293 Richard erwähnt mit keinem Wort, dass es zwischen Angehörigen des Schatzamtes und abrechnenden Sheriffs zu personellen Überschneidungen kam. 294 Jones, S. 467. 295 Siehe zu diesen lokal verwurzelten Sheriffs Green, English Sheriffs, S. 17. 296 Ebd., S. 16; Morris, English Sheriff, S. 86 f.; siehe auch PR 31 Henry I.

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Reiserichter tätig.297 Für die Regierungszeit Henrys II. lässt sich zum Beispiel William Cumin nennen, der die Funktion eines Sheriffs von Worcester mit der Arbeit im Schatzamt verband,298 oder Richard of Ilchester, der die vakanten Bischofssitze von Lincoln und Winchester verwaltete und dafür vor dem Schatzamt abrechnete, und zugleich eine wichtige Rolle als Berater des Königs, Reiserichter und Justiziar einnahm.299 Wie diese Ratgeber des Königs ihr Verwaltungshandwerk lernten, lässt sich schwer rekonstruieren. Bei der Untersuchung ihres Ausbildungswegs muss unterschieden werden zwischen allgemeiner Schulbildung und dem Erlernen des speziellen Fachwissens, das für die Arbeit in der Verwaltung vonnöten war. Über den Schulbesuch der Diener des Königs lassen sich nur wenige Informationen zusammentragen. Einige Verbindungen bestanden im 12. Jahrhundert wohl zwischen der königlichen Kurie und der Kathedralschule in Laon.300 Allerdings scheint die Ausbildung in Laon weniger eine Bedingung für denn eine Folge des Aufstiegs im königlichen Dienst dargestellt zu haben: So besuchten die Söhne des Kanzlers Ranulf ebenso diese Schule wie die Neffen des obersten Verwalters zu Zeiten Henrys I., Rogers of Salisbury.301 Belege für einen regen und regelmäßigen Kontakt zwischen Laon und dem Rechnungshof fehlen zumindest für das 12. Jahrhundert.302 Allerdings liegt die Überlieferungschance für Informationen über die Ausbildung der Nachkommen bereits wichtiger Persönlichkeiten höher als die Möglichkeit der Tradierung von Auskünften über den Schulbesuch von Aufsteigern erster Generation, so dass von den Schülern in Laon, die zum Zeitpunkt ihrer Lehre noch unbekannt waren, keine Informationen erhalten geblieben sein könnten. Bisweilen werden zudem französische Schulen oder Domschulen303 ins Spiel

297 Morris, English Sheriff, S. 85. Green, Government, S. 208, warnt allerdings davor, den Anteil an kurialen Sheriffs für die gesamte Regierungszeit Henrys I. aufgrund dieses Einzelbefundes zu überschätzen. 298 Karn, S. 308. 299 Duggan, insbesondere 6 f. Im 13. Jahrhundert nahmen die personellen Überschneidungen zwischen den Sheriffs und den Baronen des Exchequer ab, so Carpenter, Decline. 300 Mooers Christelow, Chancellors, S. 50. 301 Green, Government, S. 160; Southern, Bd. I, S. 167. 302 Flint erwähnt in ihrer Studie über die Schule von Laon keinerlei Verbindungen zur königlichen Verwaltung. Sie hebt lediglich die praxisorientierte Ausbildung dieser Schule hervor, deutet diese Ausrichtung aber als adäquate Lehre für zukünftige Angehörige der reformierten Kirche, siehe insbesondere S. 108. 303 So etwa bei Mooers Christelow, Chancellors, S. 50. Allerdings gibt sie keine konkreten Nachweise für die genannten Schulen von Bec, Rouen, Bayeux, Lisieux, S¦es, Salisbury und London. Für Richard of Ely, als Autor des Dialogus ebenso gut erforscht wie die anderen Nachkommen Rogers von Salisbury, nimmt man an, er habe die Domschule von Ely besucht, siehe Liebermann, S. 31; Amt, Introduction, S. xiv.

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gebracht.304 Allerdings kann die Aufnahme von magistri in die königliche Verwaltung erst für das Ende des 12. Jahrhunderts sicherer gefasst werden.305 Green folgert im Umkehrschluss, die meisten königlichen Bediensteten hätten eine sehr begrenzte Ausbildung erhalten.306 Diese Annahme wird dadurch bestärkt, dass die Verwaltung des Königs sich hauptsächlich aus Männern von moderatem sozialen Status zusammensetzte.307 Die Mehrzahl der königlichen Bediensteten stammte von einfachen Rittern ab.308 Es mutet unwahrscheinlich an, dass die Informationen über den Schulbesuch bei Männern dieser Herkunft verloren gegangen sind. Wahrscheinlich besaßen sie nicht die Mittel, eine höhere Ausbildung zu erlangen.309 Statt durch Schulbildung zeichneten sie sich durch »kreativen Pragmatismus« aus.310 Allerdings geht man wohl nicht fehl in der 304 Die Schlussfolgerungen, auf denen die Annahmen eines Schulbesuchs eines königlichen Mitarbeiters fußen, erscheinen häufig etwas wagemutig. So wird die Verbindung von William Giffard, Kanzler und Bischof von Winchester kurz vor der Wende zum 12. Jahrhundert, zur Schule von Rouen damit belegt, dass William eine Bestätigung ausstellte, kein Kanzler oder Kaplan zur Zeit von William the Conqueror und von dessen Nachfolger Rufus habe irgendwelche Rechte im Chor von Rouen besessen. Diese Schlussfolgerung zieht Mooers Christelow, Chancellors, S. 50, Fußnote 10. Für die Bestätigung von William Giffard an Rouen siehe English Episcopal Acta, Nr. 12, S. 6. 305 Green, Government, S. 106. Auch Turner, Men, S. 12, beobachtet erst für das Ende des 12. Jahrhunderts die Entstehung von »business schools« in Oxford und andernorts in England. Für die Zeit davor gibt es lediglich berühmte Ausnahmen wie John of Salisbury und Peter of Blois. Die Berühmtheit dieser Ausnahmen sollte ihre Einzigartigkeit nicht vergessen lassen. John stand zudem im Dienst des Erzbischofs von Canterbury, entsprechend ist es unwahrscheinlich, dass er an den Abhörungen teilnahm. Den Werdegang von John und Peter beschreibt Southern, Bd. II, S. 167 – 218. Clanchy, Memory, S. 129 – 132, betont im Rahmen der Erörterung der Kursivschrift, diese habe nicht an Schulen oder Universitäten gelernt werden können, weil es solche im England des 12. Jahrhunderts kaum gegeben habe. Die Schrift sei vielmehr aus den Bedürfnissen der täglichen Arbeit in der Verwaltung entstanden. 306 Green, S. 160, für die Zeit von Henry I. 307 Einschlägig dazu Turner, Men. White, Restoration, S. 97, formuliert im Hinblick auf die Sheriffs eingängig, Henry I. und Henry II. hätten »first generational sheriffs of moderate means« bevorzugt. Das sollte allerdings nicht in die Richtung überinterpretiert werden, bei den zukünftigen Verwaltern habe es sich um Menschen aus den untersten Gesellschaftsschichten gehandelt. Abkömmlinge von Bauern oder Unfreien lassen sich im königlichen Dienst nicht nachweisen, siehe Turner, Men, S. 2 f. Unter den Bediensteten des Königs befanden sich stets auch Angehörige der großen Familien, siehe für die Zeit Henrys I. Green, Government, S. 140 – 142. 308 Dies definiert Turner als den Besitz von weniger als fünf knight’s fees, siehe Turner, Men, S. 145. 309 Einige Bedienstete des Königs wurden schon im frühen 12. Jahrhundert von ihren Zeitgenossen als gelehrt bezeichnet, so Mooers Christelow, Chancellors, S. 51. Allerdings werden alle dort genannten Männer erst in späteren Tagen ihres Lebens als gebildet charakterisiert. Auch in diesen Fällen bildete die Gelehrsamkeit wohl eher eine Folge des lebenslangen Dienstes am Hof denn eine Bedingung für die Aufnahme in den königlichen Dienst. 310 So urteilt Kealey über Roger of Salisbury, S. 118.

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Annahme, dass die Verwalter bereits Schreib- und Lesefähigkeiten mitbrachten, wenn sie ihren Dienst für den König begannen. Um diese Grundfähigkeiten zu erlernen, musste wohl niemand eine höhere Schule besuchen, denn rudimentäre Kenntnisse im Schreiben und Lesen von Latein wurden breiten Schichten der Bevölkerung durch die kirchlichen Dorfschulen vermittelt.311 Einzig für den Umgang mit dem Abakus, also für den mathematischen Teil der Arbeit im Schatzamt, lassen sich Schulen nachweisen, an denen dieser erlernt werden konnte.312 Ein schulischer Ausbildungsweg, auf dem die notwendigen Verwaltungsfachkenntnisse hätten gelernt werden können, lässt sich also für das 12. Jahrhundert nicht rekonstruieren. Einige berühmte Beispiele für den Erwerb höherer Bildung vor dem Eintritt in die Verwaltung lassen sich nennen; sie bildete offenbar kein Hindernis, aber auch keine Voraussetzung für die Arbeit in der Verwaltung. Eine Fachschule für die Administratoren des Königs hat es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gegeben. Wie lässt sich ihr Weg in den königlichen Dienst stattdessen vorstellen, und welche Rückschlüsse über ihre Ausbildung lassen sich daraus ziehen? Die Anekdote Williams of Newburgh, nach der Roger of Salisbury in königlichen Dienst genommen wurde, weil er die Messe besonders schnell lesen konnte,313 sagt wahrscheinlich mehr über Rogers Reputation aus als über die königliche Rekrutierungspraxis.314 Judith Green zählt vier Wege auf, die in die königliche Administration führten: Erbe, Verwandtschaft, Rekrutierung aus einer lokalen Verwaltung oder Kauf der Stellung,315 wobei letzterer zu vernachlässigen sei.316 Erstens wurde neben den prestigeträchtigen Positionen als Steward, Butler, Konstabler oder Marschall, die von den sie innehabenden Familien nur unter 311 Clanchy, Memory, S. 241 – 246. Zur Verbreitung der Literalität auch bei Bauern, Sheriffs etc. siehe ebd., S. 50 – 65. 312 Ewans. Die Einführung des Abakus soll durch den gelehrten Mathematiker Robert of Hereford erfolgt sein, der am Ende des 11. Jahrhunderts an den königlichen Hof kam und dort als Kaplan und Reiserichter wirkte, so Green, Government, S. 160. 313 Siehe Chronicles of the Reign of Stephen, Henry II, and Richard I. Bd. I, Buch I, Kapitel 6.2., S. 36. 314 Laut Kealey, S. 3 – 5, wird der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte durch keine weitere Erwähnung abgesichert. Zudem wird die Anekdote in Rouen angesiedelt, wohingegen die formelle Bekanntgabe von Rogers Wahl zum Bischof von Salisbury ihn als Priester aus Avranches ausweist. 315 Green, Government, S. 164 – 168. 316 Zwar zahlten Sheriffs bisweilen für die Übernahme der Verwaltung eines bestimmten Gebietes, jedoch handelte es sich dabei weniger um einen Kaufpreis als vielmehr um einen Abschlag auf die zu erwartenden Gewinne. Gänzlich unbekannte Personen konnten sich zudem nicht in die Verwaltung einkaufen. In vielen Fällen ist die Zahlung laut Green zudem als Bestärkung eines erblichen Anspruchs zu interpretieren, mithin als Zahlung eines relevium, siehe ebd., S. 168.

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Zwang abgegeben wurden, auch die Funktion des Försters häufig innerhalb der Familie vererbt.317 Green sieht als Begründung dafür die zahllosen lokalen Gegebenheiten und Regelungen an, die ein Förster habe kennen müssen und die innerhalb der Familie am leichtesten weitergegeben werden konnten.318 Die notwendigen Kenntnisse wurden demnach direkt in der praktischen Arbeit von den bisherigen Funktionsträgern vermittelt. Zweitens bestand für Menschen, die bereits in der Verwaltung beschäftigt waren, die Möglichkeit, Angehörige zu protegieren.319 Zahlreiche Beispiele einer solchen Förderung von Bekannten lassen sich aufzählen: So sorgte Ralph Basset, Reiserichter und in der ältesten erhaltenen Pipe Roll für elf Countys verantwortlich, dafür, dass sein Sohn Richard ebenfalls eine Stellung als Reiserichter erhielt. Hugh of Buckland und sein Sohn William bekleideten beide die Position eines Sheriffs.320 Am erfolgreichsten agierte Roger of Salisbury, eine der einflussreichsten Figuren in der Verwaltung Henrys I., der insgesamt mehr als dreißig Kapläne und fünf Kanzler in den königlichen Dienst beförderte.321 Sein Sohn Roger stieg zum Kanzler unter Stephen auf, sein mutmaßlicher weiterer Sohn Adelelm zum Schatzmeister ;322 sein Neffe Nigel übte ebenfalls die Funktion eines Schatzmeisters aus323 und konnte wiederum seinem Sohn, Richard of Ely, zu der gleichen Position verhelfen.324 Solche Protegierungen waren nicht notwendigerweise an verwandtschaftliche Beziehungen geknüpft, wie am Beispiel des Kanzlers Geoffrey Rufus deutlich wird, der von Roger of Salisbury gefördert wurde und selbst wiederum als Patron für William Cumin agierte, den Sheriff für Worcester und späteren Kanzler des Königs von Schottland.325 In diesen Fällen lernten die neu hinzugezogenen Mitarbeiter die notwendigen Kenntnisse wahrscheinlich, genau wie bei der Erbschaft, durch die praktische Zusammenarbeit und Anleitung derjenigen erfahrenen Funktionsträger, die sie in die Verwaltung eingeführt hatten. So vermutet Turner, Geoffrey fitz Peter habe sowohl die Aufgaben eines Justiziars als auch die eines Försters genauso von der Person erlernt, der er anschließend nachfolgte, wie William de Sainte-MÀreEglise seine Fähigkeiten durch die Arbeit mit und unter dem ihm höhergestellten Schreiber an der Kammer erworben habe.326 Als geradezu prototypisches Beispiel für den hier beschriebenen Ausbildungsweg, das allerdings knapp außer317 318 319 320 321 322 323 324 325 326

Siehe dazu Young, Royal Forests, hier S. 15. Green, Government, S. 165. So auch Turner, Men, S. 146. Green, Government, S. 166. Mooers Christelow, Chancellors, S. 64. Kealey, 23. Karn, S. 302. Zu Nigels Rolle im Schatzamt zur Zeit Henrys II. siehe ebd., S. 303 – 305. Ebd., S. 313. Green, Government, S. 167. Turner, Men, S. 40 und S. 21.

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halb des Betrachtungszeitraums dieser Arbeit liegt, kann der Beginn der Karriere Hubert Walters angesehen werden, des späteren Justiziars Richards I. und Erzbischofs von Canterbury. Verbindungen zum Justiziar Ranulf of Glanvill ermöglichten ihm den Einstieg in die königliche Verwaltung.327 Seine Ausbildung zum Verwalter bestand in der Arbeit im Haushalt des Justiziars.328 Drittens konnte in die königliche Verwaltung aufsteigen, wer zuvor im Haushalt eines Bischofs oder weltlichen Magnaten oder in der lokalen Verwaltung tätig gewesen war.329 Der spätere Justiziar Richard of Ilchester beispielsweise begann seine Karriere wohl im Haushalt von Gloucester,330 der Sheriff Hugh of Leicester hatte zuvor als Steward für Matilda de Senlis gearbeitet.331 Wiederum wurden die praktischen Fähigkeiten zur Verwaltung des Königreichs durch praktische Arbeit gelernt, nämlich indem eine Verwaltungstätigkeit in einem anderen Rahmen ausgeübt wurde. Die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten erlernten die Verwalter des Königs also offenbar dadurch, dass sie in der Verwaltung tätig waren: Sie orientierten sich an ihrem Vorgänger oder an anderen Personen, die im gleichen Gebiet arbeiteten, oder übten die Verwaltungstätigkeit auf einem großen Gut eines Bischofs oder anderen Magnaten ein. Als Grundvoraussetzung, die für den Dienst beim König mitgebracht werden musste, bleibt damit hauptsächlich die Fähigkeit, lesen, schreiben und eventuell rechnen zu können. Alle konkreten Kenntnisse, die für die Ausübung einer bestimmten Funktion beherrscht werden mussten, wurden aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Arbeit in der Verwaltung selbst gelernt, indem die Neulinge die aktuellen Funktionsträger nachahmten und von ihnen eingewiesen wurden. Bei dieser Art des Lernens konnte zum einen Kombinationswissen vermittelt werden, da die Neulinge ihre erfahrenen Kollegen direkt bei der Arbeit begleiteten und so nicht darauf angewiesen waren, abstrakte Verallgemeinerungen aus einem Lehrbuch zu entnehmen. Zum anderen stellte auch die dauernde Veränderung der Sprache kein Problem dar für diese Art der Vermittlung von Fähigkeiten: Die Einsteiger wurden von ihrem Vorgänger oder Mentor mit der gerade aktuellen Form der Rechnungssprache vertraut gemacht. Statisches und abstraktes Wissen hätte in einem Lehrbuch zugänglich gemacht werden können, 327 So Young, Hubert Walter. 328 Young schreibt: »he received his training as administrator in the household of the great justiciar«, »his education was in fact confined to the practical experience in Glanvill’s household.«, ebd., S. 1 bzw. S. 7. Gerald of Wales übte deshalb ätzende Kritik an diesem Erzbischof, der seine angebliche Bildung lediglich im Schatzamt erhalten habe, siehe oben in der Einleitung zu Kapitel 3.2. 329 Siehe Green, Government, S. 168, Turner, Men, S. 146 und Amt, Accession, S. 22. Für die Sheriffs Green, English Sheriffs, S. 17 und White, Restoration, S. 94. 330 Duggan, S. 3. 331 Green, English Sheriffs, S. 17.

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das stets in Wandlung begriffene Kombinationswissen der Rechnungsschreiber aber konnte nur während des Arbeitsprozesses selbst, im learning by doing erlernt werden. So ergibt sich folgendes Bild der Ausbildung der an der Abhörung beteiligten Personen: Menschen mit mittlerem bis kleinem Vermögen und von entsprechend unspektakulärer Herkunft, die lesen und schreiben konnten, gelangten durch Erbe, Protektion oder Rekrutierung aus lokalen Verwaltungen in den Dienst des Königs. Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Ausübung der jeweiligen Funktion benötigt wurden, erlernten sie in praktischer Ausführung der Arbeit, eventuell mit Unterstützung von denjenigen Personen, die sie in die Verwaltung eingeführt hatten. Bewährten sie sich hier,332 wurden sie in zahlreichen verschiedenen Funktionen eingesetzt. Ein Hinweis aus dem 13. Jahrhundert bestärkt diese These, dass die Arbeit in der Verwaltung durch die Praxis, nicht durch ein theoretisches Studium gelernt wurde. Paul Brand zeigt für die Ausbildung der Juristen der Common Bench, des obersten Gerichtshofs für Zivilstreitigkeiten, dass diese ihre Tätigkeit hauptsächlich erlernten, indem sie regelmäßig bei Gericht anwesend waren und den erfahrenen Richtern zusahen und zuhörten.333 Nicht zuletzt decken sich diese Erkenntnisse mit den wenigen Äußerungen, die der Dialogus über das Lernen trifft. Lehrer und Schüler betonen, dass der Augenschein (oculata fides) mehr erkläre als alle theoretischen Ausführungen.334 Zudem verweist der Lehrer bei der Beschreibung der Verbuchung von Almosen, Zehnten und Zuwendungen darauf, dass der Schreiber sich genau an der Rolle des Vorjahres zu orientieren habe (preteritum annalem rotulum diligenter sequatur).335 Auch Richard of Ely stellt also das praktische Lernen anhand der bereits erstellten Rollen in den Vordergrund. Dieses Ergebnis entspricht zudem der gängigen Ansicht darüber, wie praktisches Wissen erlernt wird: Im Unterschied zu »knowing that« könne »knowing how« nicht aus Büchern oder durch Unterricht erschlossen werden, sondern 332 Eine Korrelation zwischen persönlichen Beziehungen und dem weiteren Aufstieg innerhalb der Verwaltung lässt sich nicht feststellen, siehe Turner, Men, S. 145. Zwar konnten die Verwaltungsmitarbeiter ihren Verwandten den Eintritt in den königlichen Dienst erleichtern. Die Bediensteten stiegen aber nicht deshalb zu besonders hohen Ämtern, weil sie mit besonders wichtigen Menschen verwandt waren. 333 Brand, Origins, S. 110 f. Im Unterschied zum römischen und kanonischen Recht sei das Common Law mithin nicht an Universitäten, sondern in der Praxis gelernt worden, S. 160. 334 Der Schüler bemerkt nach den Ausführungen über die Kerbhölzer : Quod de hiis restat oculata fide constabit. Dialogus I, 5, S. 75. Der Lehrer schließt die Behandlung der Frage, wie die Abrechnungen von Überfängen und Heimfällen in der Rolle zu vermerken sei, mit den Worten: Horum autem scribendorum ordinem magis oculata fide quam verborum quantalibet argumentosa descriptione cognosces. Dialogus II, 10, S. 132. 335 Dialogus II, 4, S. 125 f.

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brauche mindestens als notwendige Ergänzung die konkrete Erfahrung der Verrichtung der entsprechenden Tätigkeit.336 In Kapitel 3.1.4. wurde bereits aufgezählt, welche Charakteristika der Rechnungssprache dazu führten, dass sie schwerlich theoretisch gelernt werden konnte: Präzise Bedeutungen wurden vor allem in Syntagmen, nicht in Einzelwörtern transportiert; neben diesem Kombinationswissen benötigten die Schreiber ein hohes Anwendungswissen, um die korrekten Formulierungen zu wählen; keine Regel leitete die Entscheidung, ob eine Phrase eindeutig, standardisiert oder kurz formuliert werden musste. Das Rechnungsschreiben stellte sich damit als Technik, nicht als Wissenschaft heraus. Das praktische Fachwissen über die Handhabung dieser Technik erwuchs während und aus der Anwendung dieser Technik, nicht in der theoretischen Diskussion ihrer Deutungsmuster oder der Reflexion über ihre Begrifflichkeiten.337

3.2.3. Die Habitussicherung der königlichen Verwalter: Dialogus de Scaccario Wenn die Mitarbeiter im Schatzamt die notwendigen Kenntnisse im Laufe ihrer praktischen Arbeit erlernten, wenn der Dialogus nicht als ihr Lehrbuch fungierte, welche Funktion kann ihm stattdessen zugeschrieben werden? Im Dialogus selbst wird das Ziel der Abfassung nur in einem Satz in der Praefatio explizit thematisiert, in dem Richard schreibt, sein opus handele nicht von großen Dingen (de rebus magnis), sondern von den notwendigen Regeln des Schatzamtes (de scaccarii tui necessariis observantiis).338 Mit dieser Phrase (De necessariis Observantiis scaccarii) wurde der im Original titellose Dialogus339 in der frühen Neuzeit zunächst überschrieben.340 Den Namen Dialogus de Scaccario gab dem Stück erst der erste Editor Thomas Madox im Jahre 1711.341 Der dialogische Charakter geht aus dem Aufbau des Werkes natürlich unmittelbar hervor, scheint aber erst im 18. Jahrhundert als hervorstechende und damit im 336 Siehe z. B. Hawley, S. 397. Ob es zwischen »knowing how« und »knowing that« tatsächlich einen Unterschied gibt bzw. welche Art des Wissens die Voraussetzung für die andere bildet, wird in der Philosophie zwischen Intellektualisten und Anti-Intellektualisten diskutiert. Einen Überblick darüber liefert Fantl. 337 Ähnlich beschreibt auch Jakob, S. 144, das Lernen von Techniksprachen. Die wissenschaftlich falschen, aber technisch richtigen Beschreibungen technischer Vorgänge, die seit der Antike erstellt wurden, führten vor Augen, dass wissenschaftliches und technisches Wissen einander nicht bedingten. 338 Dialogus, Prefatio, S. 56. 339 Siehe Hughes u. a., Introduction, S. 9. 340 Amt, Introduction, S. xxvii. 341 Wörtlich lautet der Titel bei Madox »Antiquus Dialogus de scaccario«.

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Titel zu erwähnende Eigenschaft angesehen worden zu sein. Die Angabe, der Dialogus handle von den necessaria observantia scaccarii, gibt zwar an, dass der Autor sich mit den Vorgängen im Schatzamt beschäftigen möchte, bleibt aber so unkonkret, dass sich kein präzises Ziel der Niederschrift schlussfolgern lässt. Wie oben bereits dargelegt, deuteten viele Interpretatoren diese Aussage dahingehend, dass die Vorgänge im Schatzamt dargelegt werden sollten, damit neue Mitarbeiter sich über den Abrechnungsprozess informieren konnten, und bezeichneten den Dialogus deshalb als Lehrdialog342 oder Manual.343 Im gleichen Sinne führt Jones aus, der Hauptzweck des Dialogus habe darin gelegen, das Abrechnungssystem zu erklären und Menschen mit wenig Erfahrungen auf dem Gebiet der königlichen Finanzen in dieses Fachgebiet einzuführen.344 Neben dieser Interpretation, die im ersten Teil dieses Kapitels umfangreich zurückgewiesen wurde, bieten die genannten Autoren allerdings meistens alternative Erklärungsmodelle. So kann der Dialogus als Versuch gedeutet werden, die Reputation seines Fachgebiets im königlichen Kreis zu steigern.345 Aus der Darstellung der Geschichte des Schatzamtes346 kann auf ein quasi-genealogisches Interesse des Schatzmeisters geschlossen werden.347 Eventuell gab eine konkrete Neuerung bei der Gestaltung der Pipe Rolls, nämlich die Einführung von Überschriften als Konsequenz der Zunahme juristischer Einnahmen, den Anlass für die Abfassung des Dialogus, der diese Neuerungen umfassend erklären sollte,348 wobei der Umfang des Werks und die Vielfalt seiner Themen diese letzte Interpretation etwas gewagt erscheinen lassen.349 Aus dem Blickwinkel dieser Arbeit scheint es besonders fruchtbar, die Ansätze zu kombinieren, die den Dialogus zum einen als Instrument der Privilegiensicherung350 und zum anderen als Mittel zur Festschreibung der Pflichten der Sheriffs351 ansehen. In diesem Sinne lässt sich der Interpretation der Einteilung des Dialogus in zwei Teile eine zusätzliche Nuance hinzufügen. Gewöhnlich wird Buch I als die Beschreibung von Struktur und Funktion des 342 Siegrist, Einleitung, S. IX. 343 Hudson, Administration, S. 77; Bisson, Crisis, S. 466 und Richardson, Richard fitz Neal II, S. 338. 344 Jones, S. 449. 345 Hudson, Administration, S. 77. 346 Dialogus I, 4, S. 66 f. Außerdem werden zahlreiche Streitfragen mit der Zuhilfenahme historischer Rekurse begründet. Um etwa die Abgaben murdrum und danegeldum zu erläutern, berichtet der Lehrer jeweils ausführlich die Geschichte ihrer Entstehung, siehe Dialogus I, 10, S. 99 f. für murdrum und Dialogus I, 11, S. 101 für dangeldum. 347 Bisson, Crisis, S. 468. 348 Hagger, Theory, S. 70. 349 Zudem setzten sich vielfältigere Überschriften in den Pipe Rolls graduell durch und wurden deshalb wohl nicht handstreichartig eingeführt, siehe dazu Kapitel 4.1.2. 350 So Hudson, Administration, S. 89. 351 Bisson, Crisis, S. 466.

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Exchequer angesehen, wonach in Buch II der tatsächliche Arbeitsablauf beschrieben werde.352 Die Darstellungen und Erklärungen gehen jeweils von den beteiligten Personen aus, so dass Buch I auch mit »Personen im Schatzamt: Lob ihrer Arbeit und Beschreibung ihrer Privilegien«, Buch II mit »Sheriffs und ihre Verpflichtungen« überschrieben werden könnte. Buch I erklärt zwar die Strukturen und Funktionen des Exchequer, tut dies aber, indem die einzelnen dort anzutreffenden Personen mit ihren Aufgaben beschrieben werden. Auch wenn der Schüler sich nach ratio vel institutio (Theorie und Aufbau) des unteren Schatzamtes erkundigt, antwortet der Lehrer doch, indem er auf die Personen eingeht, die in diesem Teil des Schatzamtes anzutreffen waren (scaccarium habet personas suas).353 Die Fokussierung auf die Personen und ihre Privilegien lässt sich beispielsweise daran ablesen, dass von all den vielfältigen Zahlungsgründen im ersten Teil gerade diejenigen detailliert beschrieben und erklärt werden, von denen die Barone befreit sind, also Schildgeld (scutagium),354 Mordgeld (murdrum),355 Dänengeld (danegeldum)356 oder die Rodungsstrafe (essartum).357 Gerade die Exemption von letzterer wird ausführlichst dargelegt. Die Barone können sich in ein Geheimgemach (thalamus secretorum) zurückziehen, wenn sie diffizile Fragen unter sich beraten möchten, zu dem nur diejenigen Zutritt haben, die im Schatzamt residieren (qui ad scaccarium resident).358 Zahlreiche der Anwesenden bei der Abhörung werden mit explizitem Lob bedacht, so der Kanzler (cancellarius),359 die Kämmerer (camerarii),360 der Rechenmeister (is qui computationes facit),361 der Schatzmeister (thesaurarius)362 oder der Schreiber des Kanzlers (clericus cancellarii).363 Zudem dürfen die an den Abrechnungen beteiligten Personen von Beginn der Versammlung an von keinem Richter aus welchem Grund auch immer vorgeladen werden.364 Der zweite Teil des Dialogus beschreibt hauptsächlich die Abhörung des Sheriffs (vicecomites). Die Darstellungen und Erklärungen kreisen um ihn, wobei der Fokus im Unterschied zu den Baronen weniger auf seine Privilegien und Meriten gerichtet wird als vielmehr auf die Verpflichtungen und Regeln, die 352 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362

Siehe z. B. Siegrist, Einleitung, S. XIX, Johnson, Introduction, S. xxii, Liebermann, S. 91. Dialogus I, 3, S. 61. Dialogus I, 9, S. 98 f. Dialogus I, 10, S. 99 – 101. Dialogus I, 11, S. 101 f. Dialogus I, 11, S. 102 – 105. Dialogus I, 7, S. 92. Dialogus I, 5, S. 71. Dialogus I, 5, S. 72. Dialogus I, 5, S.75. Dialogus I, 5, S. 78 f. Dass das Lob für den Schatzmeister besonders euphorisch ausfiel, könnte damit zusammenhängen, dass Richard diese Funktion selbst versah. 363 Dialogus I, 6, S. 83. 364 Dialogus I, 8, S. 93.

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er einzuhalten hat. Zwar wird im ersten Teil kurz erwähnt, wie arbeitsam die Sheriffs die Einnahmen eintrieben, weshalb sie ebenfalls vom Dänengeld befreit seien.365 Die agenda vicecomitis, die den Inhalt des zweiten Buches bildet, nennt aber hauptsächlich die Aufgaben und Schuldigkeiten eines Sheriffs. Sie beginnt mit langen Ausführungen über seine Pflicht, vor dem Rechnungshof zu erscheinen, sowie der Aufzählung möglicher Entschuldigungsgründe für Nichterscheinen.366 Des Weiteren wird ausgebreitet, über welche Einnahmen der Sheriff abrechnen muss, wobei immer wieder betont wird, dass er die volle Verantwortung nicht nur für die Ablieferung der Pachtzahlungen und der zugehörigen Einnahmen aus seiner Grafschaft,367 sondern auch für die Eintreibung der Einzelschulden und freiwilligen Abgaben (placita et conventiones) besitze:368 Er müsse beispielsweise dafür sorgen, dass den Schuldnern, die ihre bewegliche Habe in eine andere Grafschaft gebracht haben, von dem dort zuständigen Sheriff nachgestellt wird.369 Er müsse einem Kronvasallen den Eid, dass zum Tage der Abrechnung eine Befreiungsverfügung für seine Schulden vorliegen werde, im Grafschaftsgericht abnehmen, tut er dies an einem anderen Ort und der Kronvasall kann keine solche Verfügung vorlegen, so werde der Fehlbetrag dem Sheriff angerechnet.370 Er ist verpflichtet, sich sorgfältig zu informieren, ob ein Schuldner des Königs vielleicht günstig geheiratet habe oder auf andere Weise zu Geld gekommen sei, um sicherzustellen, dass er seinen Verpflichtungen so bald wie möglich nachkomme.371 Er solle Sorge tragen, dass Personen, die dem König eine Zahlung für die Beschleunigung eines Gerichtsverfahrens versprochen haben, dieses Verfahren nicht aufhalten, um die versprochene Summe erst später entrichten zu müssen.372 Diese Polarität zwischen den Privilegien der Barone und den Pflichten der Sheriffs, die der Dialogus beschreibt, sollte allerdings nicht vergessen lassen, dass – wie oben ausgeführt373 – ein Mensch durchaus gleichzeitig Baron und Sheriff sein konnte. Die Rechte respektive Pflichten kamen nicht einem bestimmten Individuum zu, sondern der Rolle, die es gerade ausübte. Neben diesen beiden Positionen, die zu einer bipolaren Trennung der Beteiligten am Abrechnungsprozess in Abhörende und Abgehörte führen, zeichnet der Dialogus noch ein weiteres Gliederungsprinzip auf, nach dem diejenigen, die mit dem 365 366 367 368 369 370 371 372 373

Dialogus I, 11, S. 102. Dialogus II, 3 – 4, S. 120 – 125. Insgesamt Dialogus II, 4 – 11, S. 125 – 142. Insgesamt Dialogus II, 12 – 27, S. 142 – 159. Dialogus II, 1, S. 114 f. Dialogus II, 19 – 20, S. 151 f. Dialogus II, 17, S. 150. Dialogus II, 23, S. 155. Siehe Kapitel 3.2.2.

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Schatzamt zu tun haben, geordnet werden können: Eine Person nimmt eine unterschiedliche Rolle im Abrechnungsprozess ein, je nachdem, wie viel Wissen über die Abrechnungsprozeduren sie besitzt. In der Darstellung des Dialogus übte Wissen eine eindeutige Abstufungs- und Abgrenzungsfunktion aus. Bei Menschen, die mit dem Schatzamt in Beziehung traten, wurden gewisse Kenntnisse unhinterfragt vorausgesetzt. Wer beispielsweise dem König eine Zahlung anbot, um einen Gunsterweis zu erhalten, schuldete damit automatisch auch der Königin zusätzlich ein Prozent der gebotenen Summe. Der Lehrer führt dazu aus, dass derjenige, der ein solches Angebot abgebe, sich der daraus erfolgenden zusätzlichen Verpflichtung gegenüber der Königin bewusst sein müsse, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt worden sei (expressum non fuerit).374 Wer an den Geschäften des Exchequer teilhaben wollte, musste nach Richard of Ely dessen Regeln kennen, für Unwissenheit wurde keine Gnade gewährt: Wenn zum Beispiel die Reiserichter die Rollen mit ihren Urteilen dem Schatzmeister übergeben hatten, konnten sie diese nicht mehr ändern: Hatten sie etwa für eine Strafe eine zu hohe Buße angesetzt, mussten sie den Differenzbetrag aus eigener Tasche zahlen.375 Auf die Bemerkung des Schülers, es sei wunderlich, dass die Reiserichter an ihren eigenen Aufzeichnungen nichts ändern könnten, antwortet der Lehrer, das hätten sie sich selbst zuzuschreiben (sibi imputare), schließlich hätten sie Zeit gehabt und die Regelung gekannt (legem constitutam noverint).376 Mit dem gleichen Argument reagiert er auf die Kritik des Schülers daran, dass königliche Verfügungen, die den genauen Entlastungsbetrag nicht nennen, keine Gültigkeit besäßen.377 Wer dem König etwas schulde, müsse sich eben sorgfältig informieren (diligenter inquirat), wie er sich von der Schuld befreien könne, nämlich gemäß der festgesetzten Regelung (lex constituta).378 Ignoranz helfe demjenigen nicht, der das Gesetz am meisten brauche.379 Unkenntnis der Regeln verhinderte demnach deren Anwendung nicht: Wer sich nicht ausreichend informierte, bevor er Geschäfte mit dem Schatzamt einging, hatte sich die Schwierigkeiten selbst zuzuschreiben, in die er deshalb eventuell geriet. Wissen schuf eine Gruppe von Menschen, die sich mit den Abhörungsprozeduren und den zugehörigen Gebräuchlichkeiten auskannten und sich so deutlich von denjenigen abgrenzten, die über die leges

374 Ad hec nouerint hii, qui in pecunia numerata regi sponte se obligant, quod regine similiter tenentur, licet expressum non fuerit. Dialogus II, 26, S. 156. 375 Dialogus II, 2, S. 119 f. 376 Dialogus II, 2, S. 120. 377 Dialogus II, 9, S. 130 f. 378 Dialogus II, 9, S. 130. 379 […] nosse quidem debueras quod ei qui lege plurimum indiget eius ignorantia non subuenit. Dialogus II, 9, S. 130.

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constitute nicht Bescheid wussten. Dass diese leges constitute nirgendwo schriftlich niedergelegt waren, änderte nichts an ihrer Wirksamkeit. Die Abgrenzungsfunktion des impliziten Wissens wird noch an einigen anderen Punkten deutlich, etwa wenn Richard wie nebenbei bemerkt, Laien (laici) würden Dinge falsch verstehen, da sie unbestimmte Aussagen nicht auf den Einzelfall, sondern auf das Allgemeine bezögen, weswegen die Formel de pecunia sua (bezüglich seines Geldes) als gleichwertig gelte mit dem Ausdruck de tota pecunia sua (bezüglich all seines Geldes).380 Die Versuche der Schuldner, ihrer Schuldenzahlung zu entgehen, indem sie ihr Vermögen in andere Grafschaften brachten, bezeichnet er als lächerlich und überflüssig (ridiculosus et dispendiosus), denn ein Satz, in die Vorladung eingefügt, habe diese Praxis zum Erliegen gebracht.381 Die Funktion des Wissens um die Regelungen und Abläufe im Schatzamt kann man zusammenfassend als Einbeziehung, Abgrenzung und Machtausübung fassen: Dieses Wissen konstituierte eine Gruppe von Fachleuten, die sich an den Geschäften des Schatzamtes beteiligen konnten. Die Kenntnis dieser leges constitute wurde als Voraussetzung dafür angesehen, das Schachspiel des Exchequer mitspielen zu können,382 Unwissenheit als Entschuldigungsgrund für die Nicht-Befolgung der Regeln nicht akzeptiert. Von Unwissenden, von Laien383 grenzten sich die Angehörigen des Schatzamtes deutlich ab. Ihr Wissen und die Unangreifbarkeit, die sie ihm zugestanden, gab ihnen gegenüber den Außenstehenden Machtmittel an die Hand: Sie konnten Reiserichter, die Fehler begangen hatten, oder Schuldner, die sich eine falsche Befreiungsverfügung hatten ausstellen lassen, trotzdem zur Zahlung verpflichten. Die an der Abhörung Beteiligten hatten also keinen niedergeschriebenen Regelkatalog zur Hand, in dem alle leges constitute verzeichnet gewesen wären. Vielmehr definierten sie, was als solche feste Regel anzusehen sei, indem sie ihre Einhaltung im Prozess der Abrechnung einforderten. Innerhalb ihres eigenen Kreises konnte über einige dieser Regelungen durchaus diskutiert werden: Ri380 Dialogus II, 16, S. 149. 381 Dialogus II, 1, S. 114 f.: Der Sheriff wurde verpflichtet, den zuständigen Sheriff des Countys zu unterrichten, in das der Schuldner sich geflüchtet hatte, und die Schulden auf diese Weise eintreiben zu lassen. 382 Im ersten Kapitel des Dialogus erläutert der Schatzmeister dem Schüler, der Name scaccarium für das Schatzamt rühre daher, dass das Schachspiel ebenso bezeichnet würde. Die Ähnlichkeit zwischen Schatzamt und Schachspiel bestehe zum einen in der Gleichförmigkeit des Bretts, das zum Rechnen respektive Spielen benutzt würde, zum anderen aber darin, dass es sich auch bei der Abrechnungsprozedur um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien nach festgelegten Regeln handele. Dialogus I, 1, S. 61. 383 Der Dialogus verwendet die Bezeichnung laicus also im heutigen Sinne eines Menschen, der sich auf einem Gebiet nicht auskennt, und nicht für Menschen, die keine Kleriker sind oder kein Latein können. Zur Problematik dieser Begrifflichkeit siehe Clanchy, Memory, S. 226 – 234.

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chard stellt zum Beispiel verschiedene Positionen in der Frage dar, ob jemand, der an Ostern am Rechnungshof saß, an Michaelis aber nicht mehr, trotzdem auch noch an Michaelis von den Zahlungen an danegeldum und murdrum befreit sei.384 Auch über die verschiedenen Ansichten in der Frage, ob Mitglieder des Schatzamtes von der Zahlung des essartum forestarum (Zahlung für Rodungen) befreit seien, referiert er ausführlich.385 Im Dialogus wird die Stellung eines Menschen am Rechnungshof demnach durch zwei Charakteristika determiniert, zum einen durch die Rolle als Baron oder Sheriff, die er ausübte, zum anderen durch den Grad an Wissen und Kenntnissen, den er besaß. Kombiniert man diese Charakteristika, so können die Personen, die an der Abrechnung beteiligt waren, in drei Gruppen unterteilt werden: Zuerst sind die Menschen zu nennen, die im Schatzamt beschäftigt waren und die herrschenden Regeln durch die Forderung ihrer Umsetzung definierten. Die zweite Gruppe bildeten die Sheriffs oder andere Schuldner, die im Spiel des Exchequer quasi den Widerpart der im Schatzamt residierenden Personen abgaben und zudem die Spielregeln kannten. Dagegen trat die dritte Gruppe ebenfalls in Kontakt mit dem Rechnungshof, kannte aber manche Bestimmungen nicht und musste dafür finanziell büßen, wie etwa ein Schuldner, dessen Befreiungsverfügung nicht den Vorgaben entsprach.386 Der erste Personenkreis konstituierte sich durch die Kompetenz zur Regelsetzung beziehungsweise -durchsetzung, der zweite durch Regelkenntnis, der dritte durch Regelverletzung. Im ersten Zirkel konnte über einzelne Bestimmungen diskutiert und gestritten werden, gegenüber den beiden anderen Kreisen wurden die Regelungen als feststehend, als leges constitute bezeichnet. Während diese beiden letzteren Gruppen sich danach unterschieden, ob sie ein gewisses Wissen über die Regeln und Abläufe ihr Eigen nannten oder nicht, besaß der innere Kreis die Definitionsmacht darüber, welche Regeln befolgt werden mussten, welche Praktiken und Gebräuche die Tradition oder das bessere Argument auf ihrer Seite hatten und somit angewendet werden durften, kurz: was als das Wissen zu gelten habe, das notwendig gefordert wurde, um sich an den Geschäften des Exchequer zu beteiligen. Diese drei Gruppen dürfen aber nicht als hermetisch abgeschlossene Einheiten gedacht werden. Zum einen bildeten Sheriffs und Barone ja ohnehin sich teilweise überschneidende Personenkreise, so dass sie sich abwechselnd auf beiden Seiten des Abrechnungstisches befinden konnten. Zahlreiche der oben angeführten Biographien zeigen, dass Männer, die sich in einer Funktion be384 Dialogus I, 8, S. 96. 385 Dialogus I, 11, S. 102 – 105. 386 Logischerweise würde sich aus der Kombination der beiden Charakteristika noch eine vierte Gruppe von Menschen ergeben, nämlich die Barone des Schatzamtes, die sich nicht mit dessen Regelungen auskannten. Eine solche Gruppe kommt im Dialogus aber nicht vor.

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währten, mithin zeigten, dass sie das nötige Wissen um Gewohnheiten und Praktiken besaßen, zu weiteren Diensten herangezogen wurden und auf diese Weise von den Regelkennern zu den Regelsetzern aufsteigen konnten. Zum anderen steht zu vermuten, dass ein Schuldner, der einmal eine wirkungslose Befreiungsverfügung vorlegte, beim nächsten Mal beachtete, dass die genaue Befreiungssumme in der Verfügung genannt wurde. Dieses Wissen, das notwendig war, um in den Kreis der stärker privilegierten Gruppe vordringen zu können, konnte allerdings nur in der Praxis erworben werden. Der Zugang zum Wissen konnte deshalb über den Zugang zur Praxis reguliert werden: Wer nicht an den Abhörungsvorgängen teilnahm, konnte auch die nötigen Kenntnisse nicht erwerben, um am Abhörungsprozess beteiligt zu werden. Die Überquerung der Grenze zwischen den verschiedenen Gruppen erfolgte also jeweils vor der Aneignung des zugehörigen Wissensbestandes. Um zum inneren Zirkel der Regelsetzer im Dienst des Königs zu gelangen, konnte ein Aspirant sich also kein statisches Lehrbuchwissen aneignen, das er dann etwa im Rahmen einer Zugangsprüfung unter Beweis hätte stellen müssen. Wie oben gesehen, musste er vielmehr Bekannte und Förderer in der Verwaltung besitzen oder bereits in einer anderen Verwaltung tätig gewesen sein. Mit dem Eintritt in die Gruppe der Verwalter erhielt er Zugang zu dem für seine Tätigkeit notwendigen Wissen. Erst auf dieser Stufe lässt sich ein meritokratisches Element erkennen: Wer zum Beispiel als Schreiber oder kleinerer Sheriff gute Arbeit leistete, wurde eventuell weiterhin zum königlichen Dienst herangezogen und ihm wurden größere Aufgaben übertragen. Der Dialogus fungierte entsprechend keinesfalls als Lehrbuch für Menschen, die außerhalb der königlichen Verwaltung standen. Eventuell diente er aber diesem inneren Kreis königlicher Bediensteter, die sich mit der Abrechnung beschäftigten, als Referenzwerk. Der Wert dieses Traktats lag dabei keinesfalls ausschließlich in der Erklärung, wie eine Pipe Roll hergestellt werden sollte, denn dazu weisen die Darstellung im Dialogus und die Pipe Rolls zu viele Differenzen auf, wie oben ausführlich erläutert wurde. Der Dialogus enthält eine starke identitätsstiftende Komponente. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der erste Teil des Dialogus vor allem die Privilegien der barones de scaccario, der zweite Teil hauptsächlich die Pflichten der Sheriffs behandelt. Die Schärfe der Trennung zwischen beiden Personengruppen steht in einem gewissen Kontrast zu der zumindest bisweilen vorkommenden personellen Überschneidung zwischen barones und Sheriffs. Eventuell führte aber gerade die personelle Übereinstimmung zwischen Abhörenden und Abgehörten dazu, dass einem bestimmten Habitus eine besondere Wichtigkeit zukam: Der Unterschied zwischen Rechnungslegern und denen, vor denen sie Rechenschaft ablegen mussten, musste vielleicht gerade deshalb durch eine bestimmte Performanz des Abrechnungsprozederes untermauert werden, weil sich bisweilen die gleichen

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Personen auf unterschiedlichen Seiten des Abrechnungstisches wiederfanden. Man kann ebenso spekulieren, ob die Sicherung der Privilegien gerade deshalb so gut funktionierte, weil sich beide Personenkreise überschnitten, alle Beteiligten also ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Vorrechte der Barone und der Pflichten der Sheriffs besaßen. Allerdings ist immer zu bedenken, dass der Dialogus für das 12. Jahrhundert die einzige Quelle über den Ablauf einer Abrechnung zwischen Sheriff und barones darstellt. Ob eine Abhörung tatsächlich in der Weise ablief, die Richard of Ely beschreibt, kann nicht überprüft werden.387 Auf jeden Fall hielt er es aber für notwendig, dieses Bild von den Privilegien und der überlegenen Position der Angehörigen des Schatzamtes während und außerhalb des Abrechnungsablaufs zu vermitteln. Zwei weitere Komponenten zur Identitätsstiftung stellt der Dialogus bereit, eine goldene Vergangenheit und eine wertvolle Aufgabe. Richard schrieb keine Fortschrittsgeschichte einer Weiterentwicklung des Exchequer hin zu der Größe, die er zu seiner Zeit hatte, sondern beschrieb die Zeit Henrys I. als goldenes Zeitalter des Schatzamtes.388 Dass er bei dieser Gelegenheit das Andenken an seine Vorgänger als Schatzmeister bewahren konnte,389 bei denen es sich zugleich um seinen Vater390 und seinen Großonkel391 handelte, macht diese Passagen nicht weniger wertvoll für die Stiftung einer gemeinsamen Identität der Menschen, die in dieser glorreichen Tradition standen.392 Dass diese Gruppe von Menschen einen wertvollen Dienst im Königreich verrichte, betont Richard 387 Die Angaben des Dialogus, über die auch andere Quellen Auskunft geben, stimmen fast nie mit diesen Quellen überein, siehe etwa Johnson, Introduction, S. xixf. Für den Ablauf der Abhörungen des 12. Jahrhunderts blieb aber keine andere Quelle erhalten. 388 Die Blütezeit des Schatzamtes sieht Richard in der Zeit Henrys I.: […] rotulus annalis de tempore regis illius magni [d. h. Henrys I.], cuius supra meminimus, sub quo plurimum floruisse dicitur dignitas et scientia scaccarii […] und in der Zeit Rogers of Salisbury : […] de scaccario plurimam habuit scientiam; adeo vt non sit ambiguum sed ex ipsis rotulis manifestum plurimum sub eo floruisse. Dialogus I, 11, S. 104 und Dialogus I, 7, S. 90. 389 Zu Richards Wahrnehmung der Vergangenheit als Familiengeschichte siehe Hudson, Administration, insbesondere S. 92. 390 Nigel of Ely wird als vir officii peritissimus beschrieben. Richard fährt fort: Hic illustris illius Anglorum regis Henrici primi thesaurarius et nepos Saresberiensis cuius supra meminimus, incomparabilem suis temporibus habuit scaccarii scientiam. Maximus etiam existens in hiis que ad sui status dignitatem pertinebant, celebrem sui nominis famam fecit, adeo vt pene solus in regno sic vixerit et sic decesserit vt gloriam eius inuida lingua denigrare non audeat. Dialogus I, 8, S. 96 f. 391 Von Roger of Salisbury wird erzählt: Surrexit interea vir prudens, consiliis prouidus, sermone disertus et ad maxima queque negotia per dei gratiam repente precipuus. […] Hic igitur, succrescente in eum principis ac cleri populique fauore, Saresberiensis episcopus factus, maximis in regno fungebatur officiis et honoribus et de scaccario plurimam habuit scientiam; adeo vt non sit ambiguum sed ex ipsis rotulis manifestum plurimum sub eo floruisse. Dialogus I, 7, S. 90. 392 Bisson, Crisis, S. 468, spricht deshalb von einem quasi-genealogischen Interesse des Rechnungshofs an seiner Vergangenheit.

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in seiner Vorrede: Königreiche (regna regi) würden durch Klugheit (prudentia), Stärke (fortitudo), Mäßigung (temperantia), Gerechtigkeit (iustitia) und andere Tugenden (ceteri virtutes) bewahrt, mit ausreichenden Geldmitteln (pecunia) jedoch würden alle sorgsam erdachten Ziele schneller erreicht (citius convelascat).393 Wer also Verantwortung dafür trage, dass diese Mittel gesammelt, verwahrt und verteilt würden, habe damit Rechenschaft abzulegen über den Zustand des Königreichs (de regni statu), das auf diese Weise erhalten bleibe.394 Wer an der Abhörung beteiligt war, so die Botschaft Richards of Ely, erhielt damit das Königreich aufrecht. Der Dialogus führte nicht primär in die Technik des Schreibens von Pipe Rolls ein, wohl aber in den Habitus, den die an der Abrechnung Beteiligten dabei an den Tag zu legen hatten. Durch den Rekurs auf die Geschichte und die Aufgabe des Rechnungshofes im Dienste des Königreichs vermittelte er die Dispositionen, die die Praktiken und Vorstellungen der Bediensteten des Königs erzeugen und ordnen sollten.395 Er hielt die »often told stories« fest, die die gemeinsame Identität der Abhörer festigten.396 Der Dialogus kann insofern als ein Lehrbuch angesehen werden, das dem kleinen Kreis der am Rechnungshof Beschäftigten in viel umfassenderem Maße als durch eine Schreibanleitung für die Pipe Rolls beibringen wollte, was es hieß, ein Angehöriger des Schatzamtes zu sein.397

3.2.4. Bilanz: Die Schreiber der Pipe Rolls: Techniker Die Analyse der Fachsprachlichkeit der Rechnungssprache in Kapitel 3.1. führte bereits zu dem Ergebnis, dass kaum wissenschaftlich-abstraktes, sondern vor allem technisch-praktisches Wissen benötigt wurde, um eine Pipe Roll zu er393 Set fit interdum vt quod sano consilio vel excellenti mente concipitur intercedente pecunia citius conualescat […]. Dialogus, Prefatio, S. 56. 394 […] hiis qui ad eorum custodiam ex officio deputantur cura remissior esse non debet, set in eisdem congregandis, conseruandis vel distribuendis sollicitam decet esse diligentiam quasi rationem reddituris de regni statu qui per hec incolumis perseuerat. Dialogus, Prefatio, S. 56. 395 Ich folge hier Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 98 f., der Habitusformen definiert als »Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d. h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können, ohne jedoch bewusstes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen […].« 396 Diese »often told stories« bezeichnet Fisch als besonders wirksames Mittel zur Anpassung insbesondere an die ungeschriebenen Regeln und Gewohnheiten innerhalb einer Organisation, Fisch, S. 312. 397 Auch hier kann auf Bourdieu zurückgegriffen werden: Das Wissen darüber, was es heiße, ein Angehöriger des jeweiligen Feldes zu sein, bezeichnet Bourdieu als implizite Zugangsvoraussetzung zu diesem Feld. Bourdieu, Feld, S. 47 f.

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stellen: Die Schreiber mussten kaum Definitionen komplexer Begriffe, sondern Kombinationsmöglichkeiten einfacher Vokabeln kennen. Da die Rechnungssprache damit auf dem Niveau einer Techniksprache angesiedelt werden kann, lag es nahe zu vermuten, dass ihre Schreiber wohl nicht aus den Reihen der Schulgelehrten rekrutiert wurden.398 Diese Annahme konnte in Kapitel 3.2. bestätigt werden. Die Verwalter oder Offiziellen399 des englischen Königs stammten aus der Gruppe der kleineren bis mittleren Landbesitzer, bei denen eine höhere Schulbildung nicht ohne Beleg angenommen werden sollte. Solch ein Nachweis lässt sich aber in den wenigsten Fällen erbringen: Nur die Kinder und andere Verwandte erfolgreicher Verwalter besuchten nachweisbar höhere Schulen, so dass eine theoretische Ausbildung eher eine Folge denn eine Voraussetzung für eine Karriere im königlichen Dienst dargestellt zu haben scheint. Der Weg in die Verwaltung erfolgte nicht über eine spezifische Schule, sondern über gewisse schon bestehende Beziehungen zur Verwaltung – sei es in Form eines Verwandten, der bereits dort arbeitete oder die Funktion vererbte, sei es in Form einer Tätigkeit in einer lokalen Verwaltung. Um in den kleinen Kreis der Diener des Königs zu gelangen, benötigten die Aspiranten Kontakte zu den Menschen, die diese Schwelle bereits überschritten hatten: Die Aufnahme neuer Mitglieder geschah durch Kooptation. Die zukünftigen königlichen Verwalter mussten ihre Kompetenzen nicht durch Titel und Schulabschluss nachweisen. In der englischen Verwaltung des 12. Jahrhunderts geschah die Ausbildung in einer bestimmten Technik erst, nachdem ein Aspirant bereits in den Zirkel der königlichen Bediensteten vorgedrungen war. Der oben vorgenommene Vergleich des Dialogus mit den Pipe Rolls und die Aussagen des Dialogus selbst zeigen, dass eine Aneignung des Wissens über die Abrechnung nicht durch eine theoretische Ausbildung, sondern durch die praktische Arbeit erfolgte. Einmal zugehörig, konnten die Diener des Königs das nötige Fachwissen und den passenden Habitus erwerben: Die Technik des Erstellens einer Pipe Roll erlernten sie wahrscheinlich, indem sie selbst am Abrechnungsprozess teilnahmen und aus alten Rollen die Grundlage für die neuen Abhörungsprotokolle erstellten. Das nötige Hintergrundwissen um die Dispositionen und Verhaltensweisen, die sie an den Tag legen mussten, um sich als Zugehörige zum Rechnungshof zu erkennen zu geben, konnte aus dem Gespräch und dem Zusammenleben mit erfahrenen Kollegen gewonnen werden. Wenn es den neuen Verwaltern gelang, beide Arten von Wissen zu erwerben, konnten sie zu höheren

398 Diesen Schluss von der Art der Sprache auf ihre Sprecher nimmt Hoffmann vor, S. 65 f. Siehe Kapitel 3.1.4. 399 Zu dieser Benennung siehe oben, Kapitel 1.4.

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Positionen aufsteigen und schließlich eventuell selbst ihre eigenen Verwandten oder Proteg¦s in die Verwaltung holen. Die Abgrenzungswirkung der Fachsprache wurde für die Pipe Rolls also dadurch sichergestellt, dass eine ganz bestimmte Art von Wissen zu ihrer Erstellung benötigt wurde. Dieses sich ständig ändernde Kombinationswissen konnte nicht abstrakt und statisch an Außenstehende vermittelt werden. Niemand konnte das Wissen über die Verwaltung des Königreichs außerhalb dieser Verwaltung erwerben. Das Lernen durch die Praxis trug somit dazu bei, zwar innerhalb des Kreises der königlichen Bediensteten Durchlässigkeit zu gewähren, den Zugang zu diesem Zirkel aber relativ einfach zu regulieren und zu begrenzen. Die Fachsprache der Pipe Rolls wurde in Kapitel 3.1.4. als Techniksprache klassifiziert. Die Menschen, die diese Sprache schrieben, sprachen und verstanden, kann man entsprechend behelfsweise als Techniker bezeichnen, solange für die Inhaber von Handlungswissen noch kein systematisches Benennungsschema vorliegt. Alle Bezeichnungen, mit denen Universitätsangehörige belegt werden, kommen nicht in Frage: Sie bildeten eindeutig keinen Bestandteil der Gruppe der Intellektuellen,400 können nicht zu den Gelehrten gezählt werden.401 Auch als »gens de savoir« können sie nicht angesehen werden, da darunter zumeist Menschen verstanden werden, die zwar nicht notwendigerweise ihr ganzes Leben der Wissenschaft im Sinne einer Universitätskarriere widmeten, ihr Wissen aber an einer Universität erwarben.402 Auch die Bezeichnung als Experten kann falsche Assoziationen hervorrufen. In der heutigen Sprache werden unter Experten meistens Vermittler von Wissen verstanden, wobei diese Vermittlung primär zwischen der Wissenschaft und der Politik verläuft.403 Innerhalb dieses Rahmens werden verschiedene Einschränkungen getroffen: Der Experte kann zum Beispiel als postindustrielle Erscheinungsform des Spezialisten angesehen werden404 oder denjenigen bezeichnen, der das Sonderwissen der Spezialisten an den Laien vermittelt.405 In den Forschungen zur Entstehung 400 Le Goff definiert die Intellektuellen in seinem Standardwerk über diese Gruppe im Mittelalter auf S. 9 als »diejenigen, die beruflich denken und ihre Gedanken lehren.« 401 Um als Gelehrter angesehen zu werden, muss ein Mensch laut Rexroth zwei Kriterien notwendigerweise erfüllen: Er muss erstens über höheres, wissenschaftliches Wissen verfügen und dauerhaft an der weiteren Elaboration dieses Wissens mitarbeiten und zweitens institutionell legitimiert sein, d. h. einer Universität angehören. Hinzu komme das »flüssigere« Kriterium eines gelehrten Habitus. Die beiden ersten Kriterien treffen auf die Angehörigen des Rechnungshofes eindeutig nicht zu. Siehe Rexroth, Kodifizieren, S. 395. 402 Zu diesem Strang der Forschung siehe Kintzinger, Bildungsgeschichte, S. 303. 403 Reinhardt, S. 83 f. Politikwissenschaftler beraten heute zum Beispiel als Terrorismusexperten Parlamentarier über den geeigneten Umgang mit der Gefahr von Anschlägen, Volkswirtschaftler über mögliche Maßnahmen zur Steigerung des Wirtschaftswachstums. 404 Pfiffner u. Stadelmann, S. 147 f. 405 Hitzler, insbesondere S. 26.

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von Expertenkulturen im hohen und späten Mittelalter wurden Experten zunächst zwar nicht per Definition, aber doch implizit zumeist mit Gelehrten gleichgesetzt.406 Neue Definitionen orientieren sich an der heutigen Verwendungsweise der Bezeichnung: Expertentum konstituierte sich demnach in all den Kommunikationssituationen, in denen Menschen mit Spezialwissen zu Rate gezogen worden seien.407 Die Rechnungsschreiber stellten ihr Wissen jedoch nicht anderen Menschen zur Verfügung.408 Sie könnten höchstens als expertus im spätmittelalterlichen Sinne bezeichnet werden: Unter experti verstand man Menschen mit akkumuliertem Erfahrungswissen, die ihre Kenntnisse gerade nicht durch einen Universitätsabschluss unter Beweis gestellt, sondern es in langer praktischer Ausübung erworben hatten.409 Für die Verwalter des englischen Königs lässt sich die Benennung als expertus jedoch nicht nachweisen. Als Experten sollten die Rechnungsschreiber deshalb nicht bezeichnet werden, insbesondere um die Konnotation zu vermeiden, dass sie ihr Wissen an jemanden außerhalb ihres Kreises weitergegeben hätten. Da dem Bereich des nicht-wissenschaftlichen Wissens bisher weniger Aufmerksamkeit zuteilwurde als den Angehörigen der Universitäten,410 wurde auch die Klassifikation der daran teilhabenden Fachleute bisher kaum in Angriff genommen. Als Gegenbegriff zu den Gelehrten wird bisweilen die Bezeichnung »Praktiker« verwendet. Dieser Ausdruck besitzt aber keinerlei Trennschärfe. Er wird als Sammelbezeichnung für alle Menschen verwendet, die sich durch ein Wissen auszeichnen, das nicht unter das Gelehrtenwissen fällt.411 Praktiker besitzen ein Wissen, das aus praktischer Anwendung entsteht412 – diese Definition ist ebenso tautologisch wie die Feststellung, pragmatische Schriftlichkeit umfasse alle Dokumente, die »zweckhaftem Handeln dienen«.413 Deutlich fassen 406 So lautet der Titel eines publizierten Vortrages: »Expertenweisheit. Die Kritik an den Studierten […].« Rexroth, Expertenweisheit. Auch in der Einleitung zu einem Sammelband über eine Kulturgeschichte der Gelehrten wechselt er auf S. 12 kommentarlos von der Bezeichnung »Gelehrte« zu »Experten« über. Die Verwendungsweise deutet darauf hin, dass die Gelehrten als Experten bezeichnet werden, wenn sie von außen, von außerhalb des Zirkels ihrer Mit-Gelehrten, betrachtet werden. Siehe Rexroth, Kulturgeschichte, S. 12. 407 Rexroth, Systemvertrauen, S. 22. 408 Wie oben in der Einleitung zu Kapitel 3.2. beschrieben, nennt Rexroth selbst im weiteren Verlauf seines Aufsatzes Verwalter oder Höflinge als Beispiele, obwohl diese ihr Wissen ja ebenfalls nicht an Menschen außerhalb ihres Kreises weitergaben. Hier besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen Definition und Beispielen. 409 Rexroth, Systemvertrauen, S. 34 – 42. 410 Siehe oben in der Einleitung zu Kapitel 3.2. 411 Kintzinger unterscheidet am Schluss seiner Studie über Bildung im Mittelalter zwischen Gelehrten, Gebildeten und Praktikern, wobei er die einzelnen Gruppen allerdings nicht explizit definiert. Siehe Kintzinger, Wissen, S. 190. 412 Ebd., S. 26. 413 Keller, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 1.

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diese Definitionen vor allem, worum es nicht geht: Nicht theoretisches Wissen ohne Zweckgebundenheit soll im Fokus stehen. Neben dem »knowing what« soll auch das »knowing how« beachtet werden.414 Für eine genaue Beschreibung, um welchen Typ von Menschen es sich bei der Gruppe der Abhörer und Rechnungsleger handelte, erweist sich die Bezeichnung »Praktiker« also als zu undifferenziert: Sie unterscheidet weder horizontal noch vertikal zwischen verschiedenen Anwendungsgebieten oder zwischen unterschiedlichen Zwecken, zu denen das Wissen des Praktikers eingesetzt werden konnte. Auf horizontaler Ebene, das heißt innerhalb der Geschichte einzelner Professionen oder Handwerke, wird das zugehörige Handlungswissen genauer erfasst. So beschreibt zum Beispiel Paul Brand ausführlich, wie in England bis zur Wende zum 14. Jahrhundert eine »legal profession« entstand. Als »professional lawyer« definiert er dabei jemanden, dem von anderen eine spezielle Expertise (»special expertise«) zugesprochen wird, der gewillt ist, diese Expertise anderen zur Verfügung zu stellen, der dafür bezahlt wird und der einen Hauptteil seiner Zeit mit dieser professionellen Aktivität verbringt.415 Diese Beschreibung lässt sich auf die Verwalter des Königs deshalb nicht übertragen, weil sie zwar ein spezielles Wissen ihr Eigen nannten und mit der Anwendung dieser Kenntnisse ihr Brot verdienten, sie dieses Wissen aber nicht jedem, der dafür bezahlte, zur Verfügung stellten. Die Bezeichnung »Professionelle« erweist sich damit ebenfalls nicht als adäquate Beschreibung für die Rechnungsabhörer und -schreiber. Um die Menschen, die die Sprache der Pipe Rolls beherrschten, klassifizieren zu können, fehlt also hauptsächlich eine vertikale Differenzierung zwischen verschiedenen Stufen der Anwendung von Handlungswissen. So wie auf der Ebene universitärer Bildung nicht nur verschiedene Disziplinen unterschieden, sondern auch zwischen Gelehrten, Gebildeten und Experten differenziert werden kann, so müsste auch im Bereich des Handlungswissens eine genauere Aufgliederung nicht nur in verschiedene Fächer, sondern auch in unterschiedliche Niveaustufen erfolgen, die das jeweilige Fach untergliedern und zugleich alle Fächer übergreifen. Eine solche Differenzierung müsste verschiedene Bereiche des Handlungswissens in den Blick nehmen und könnte etwa anhand der Fragen erfolgen, in welcher Vermittlungsform das entsprechende Wissen von wem gelernt wurde, welche Art von Produkt durch das Wissen erstellt wurde, wem dieses Produkt im Tausch wofür zur Verfügung gestellt wurde etc. Solange eine solche umfassende Typologie der Praktiker noch nicht erstellt wurde, muss also auf Benennungen zurückgegriffen werden, die bisher kaum in der mittelalterlichen Bildungsforschung verwendet wurden. Für die Menschen, die die Techniksprache der Rechnungen sprachen und schrieben, bietet sich der ana414 Bisson, Crisis, S. 457 – 462. 415 Brand, Origins, S. vii.

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Die Wirkung der Techniksprache der Pipe Rolls: Abgrenzung und Effizienz

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loge Name »Techniker« an. Technik und damit einhergehend Techniksprache und Techniker gab es laut Jakob zu jedem Zeitpunkt der menschlichen Geschichte.416 In einem dezidiert nicht auf die Moderne eingeschränkten Sinne können die Sprecher und Schreiber der Techniksprache der Pipe Rolls also naheliegenderweise als Techniker bezeichnet werden. Bei den Beteiligten an der Rechnungsabhör handelte es sich damit nicht um schulisch ausgebildete Intellektuelle, sondern um (mehr oder weniger) erfahrene Techniker.

3.3. Die Wirkung der Techniksprache der Pipe Rolls: Abgrenzung und Effizienz Bei der Sprache der Pipe Rolls handelt es sich um eine Fachsprache, die als Techniksprache klassifiziert werden kann. Die Fachsprachenforschung bescheinigt einer Fachsprache per definitionem eine Abgrenzungswirkung. Anhand der Rechnungssprache nun lässt sich erklären, wie diese Abgrenzungswirkung zustande kam: Um die Rechnungssprache zu beherrschen, mussten die Schreiber und Leser vor allem Anwendungs- und Kombinationswissen ihr Eigen nennen, also »tacit knowledge« besitzen, das nur in der Praxis erlernt werden konnte. Die Analyse der Sprache der Pipe Rolls zeigt, dass sie Charakteristika aufweist, die ein solches Anwendungs- und Kombinationswissen ihrer Nutzer voraussetzten. Deshalb konnte diese Sprache nur in der Praxis, im »learning by doing« eingeübt werden. Die Hinweise, die über die Herkunft und den Ausbildungsweg der königlichen Bediensteten zusammengetragen wurden, unterstützen diese These. Da die Schreiber die Rechnungssprache erst während der Arbeit lernen konnten, bildeten Vorwissen oder Ausbildungsgang keine notwendigen Voraussetzungen für einen Eintritt in den königlichen Dienst. Stattdessen erfolgte die Aufnahme neuer Mitglieder durch Kooptation von Familienangehörigen, Proteg¦s oder Kollegen aus anderen Verwaltungen. Auf diese Weise konnten die Beteiligten an der Abhörung den Zugang zu ihrem Kreis leicht regulieren. Auf ein Paradox zugespitzt, wirkte die Fachsprache der Rechnungen ausgrenzend, da man, um sie erlernen zu dürfen, bereits zu dem Kreis der Leute zählen musste, die sie beherrschten. Da ein spezielles Wissen benötigt wurde, um die Rechnungssprache zu beherrschen, zog sie eine Grenze zwischen den Menschen, die dieses Wissen besaßen, und denen, die diese Sprache nicht sprechen und verstehen konnten.417 416 Jakob, S. 142. 417 Die gleiche Beobachtung für die Rechtssprache macht Brand, Languages of the Law, insbesondere S. 66.

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Diese Isolierungswirkung, die eine Fachsprache auf ihre Benutzer und das in ihr formulierte Wissen ausübt,418 wird sehr häufig thematisiert.419 Sie wird entweder positiv konnotiert als Stärkung des Zusammenhalts der Sprecher einer solchen Sprache als Gruppenbildung420 oder negativ gefärbt als hermetische Ausschließung derjenigen, die diese Sprache nicht beherrschen.421 Der ausgeprägte Fokus auf die ausgrenzende Wirkung einer Fachsprache erklärt sich wohl damit, dass diese Konsequenz des Fachsprachengebrauchs von außen besonders deutlich wahrgenommen wird. Die Fachsprache macht Menschen, die sie nicht beherrschen, zu Laien, zu Außenseitern. Diese Laien tragen daraufhin Kritik an der mangelnden Verständlichkeit an die Fachsprachennutzer heran, die diese mit dem Verweis auf die fehlenden Kenntnisse der Außenseiter beantworten.422 Gerade der Sprache der Bürokratie wurde zu jeder Zeit Unverständlichkeit und Mystizismus attestiert.423 Dass die eigene Unkenntnis dieser Sprache auch im 12. Jahrhundert schon gern zur Dummheit der Menschen in der Verwaltung umgedeutet wurde, zeigt die eingangs zitierte Geschichte über den im königlichen Dienst stehenden Esel. Auch wenn es von außen bisweilen anders aussieht, bildet die abgrenzende Wirkung doch eine Folge und nicht den Daseinszweck einer Fachsprache. Fachsprachen und damit auch die Sprache der Pipe Rolls können zwar auch als Gruppensprache aufgefasst werden, diese Qualität resultiert aber erst aus ihrer Fachsprachlichkeit. Auch die Rechnungssprache stellt primär eine Fach-, erst davon abgeleitet auch eine Gruppensprache dar. Eine reine Gruppensprache liegt vor, wenn spezifische Termini verwendet werden, die keinen besonderen semantischen Gehalt aufweisen. Die besondere Sprache wird nicht gebraucht, 418 Gloy, hier insbesondere S. 102. 419 Eine entsprechende Bemerkung zur Abgrenzungswirkung findet sich beispielsweise in fast allen Beiträgen zum konzeptionellen Einleitungskapitel des Handbuchs der Fachsprachenforschung: Hoffmann u. a. 420 Die Gruppenbildungsfunktion betont etwa Kalverkämper, Fach, S. 3. Auch Burke, Social History, S. 15 f., beschreibt eine gemeinsame Sprache als Integrationsfaktor. Möhn, Gruppensprache, thematisiert beide Aspekte, den der Gruppenbildung und den der Hermetik. 421 Wie Gloy, S. 102, bemerkt, wurde die Fachsprache mindestens seit der Aufklärung als kommunikatives Hindernis wahrgenommen. Aus der kritischen Beschäftigung mit der Abgrenzungswirkung entstand die durchaus bewusst normativ so benannte Verständnisforschung. Siehe dazu Biere. Die Beschäftigung mit fachsprachlicher Hermetik kann man also kaum als Randgebiet der Fachsprachenforschung bezeichnen, wie dies Morgenroth tut, hier S. 9. 422 Siehe Gloy, S. 102. 423 Einen Überblick darüber gibt Burke, Languages and Jargons, S. 10 – 14. Die Kulturgeschichte der Verwaltung beschäftigt sich insbesondere mit Bestrebungen zur Vereinfachung der Verwaltungssprache seit dem 18. Jahrhundert, so Becker, Überlegungen, S. 320. Die Bemühungen um eine Reform der deutschen Verwaltungssprache im 18. und 19. Jahrhundert beschreibt Margreiter. Bis ins 20. Jahrhundert geht Becker, Problem.

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um komplexe Sachverhalte in möglichst kurze Ausdrücke zu fassen und so zu einer Diskussions- oder Arbeitserleichterung beizutragen. Ihre Wirkung erschöpft sich in der Ausgrenzung derjenigen, die noch nicht in die Gruppe initiiert wurden.424 In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine künstlich erzeugte Fremdsprache. Zur besseren Abgrenzung beider Subtypen von Sprachen verwendet Klaus Gloy den Terminus Fachjargon für eine Sprache, deren Sprecher spezielle Termini nur verwenden, um ihre Gruppenzugehörigkeit zu beweisen.425 Diese Termini könnten einfach in eine andere Subsprache übersetzt werden.426 Eine Fachsprache wie diejenige der Pipe Rolls hingegen erzeugt zwar ebenfalls eine Abgrenzungswirkung, diese folgt jedoch zwingend daraus, dass in der Sprache ein bestimmtes Fachwissen transportiert wird. Die abgrenzende Wirkung der Fachsprache entsteht gleichsam als Nebeneffekt.427 Die Sprache der Rechnungen wirkt nicht nur ausgrenzend, ihr kommt auch eine gewisse Funktionalität zu. Dieser Aspekt wird von den Kritikern der Unverständlichkeit von Fachsprachen meistens nicht beachtet. Sie fordern etwa von einer reformierten Verwaltungssprache Gründlichkeit, Eindeutigkeit, Klarheit und Kürze,428 ohne zu beachten, dass diese Charakteristika sich jeweils gegenseitig ausschließen: Die gründliche Darstellung eines Sachverhalts gelingt selten kurz, eine fachlich eindeutige Formulierung zeichnet sich gerade für einen Laien meistens nicht durch Klarheit aus. Ihr Gegenentwurf einer Welt, in der sich alle Menschen einer Muttersprache verstehen, erweist sich damit nicht nur als Utopie.429 Das Erreichen dieses Ziels wäre zudem mit hohen Kosten verbunden, da die Fachsprachen zugleich mit ihrer Unverständlichkeit auch ihren funktionalen Vorteil verlören. Die Abgrenzung der Verwalter von den Menschen außerhalb des königlichen Dienstes wird in der Forschung oft damit begründet, diese Bediensteten hätten, da aus bescheidenen Verhältnissen stammend, außer ihrer Position keine Ressourcen zum Beispiel in Form von großem Landbesitz gehabt. Deshalb hätten sie diese Position durch intensive Abgrenzung nach außen absichern müssen.430 424 Siehe dazu Kapitel 3.1.2.1. 425 Gloy, S. 106. 426 Zwei Beispiele aus der heutigen Sprache: Wer anstelle von »Neuheit« den Ausdruck »Novität« verwendet, gibt damit hauptsächlich zu verstehen, dass er in der Lage ist, Fremdwörter zu verstehen. Das Wort »Novität« fügt demjenigen der »Neuheit« keine zusätzliche oder komplexere Bedeutungsnuance hinzu. »Renaissance« hingegen kann nicht einfach durch den Ausdruck »Wiedergeburt« ersetzt werden. Diese Übersetzung trifft nicht den Kern des Fachwortes, da der Begriff »Renaissance« nicht nur eine Übersetzung ins Französische darstellt, sondern damit eine enorme Bedeutungsaufladung einhergeht. 427 So auch Gloy, S. 106. 428 Margreiter, S. 84. 429 Vergleiche dazu Rexroth, Expertenweisheit. 430 Deshalb hätten sie sich als besonders loyal gegenüber dem König erwiesen. Siehe etwa

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Die Fachlichkeit der Rechnungssprache: Die Abgrenzungswirkung

Mittlerweile sollte deutlich geworden sein, dass diese Erklärung zu kurz greift. Die Fachsprache der Rechnungen wurde nicht primär zu dem Zweck unverständlich gestaltet, um damit den Zugang von außen zu begrenzen. Auch die Einstiegsmodalitäten wurden wohl nicht nur von eifersüchtigen Amtsinhabern erfunden, da das Lernen während der Arbeit ein allgemeines Charakteristikum für den Erwerb von Anwendungswissen darstellt. Beide Facetten der Rechnungssprache sollten nicht primär der Ausgrenzung dienen, sondern ergaben sich daraus, dass ein spezielles technisches Wissen in die Sprache der Pipe Rolls einging, das die Funktionalität der Rechnungssprache sicherte. Lediglich die Aneignung eines bestimmten Habitus diente ausschließlich der Stärkung der Gruppenidentität und damit der Abgrenzung von Außenstehenden. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem zweiten Charakteristikum, das die Funktionalität der Rechnungssprache aufrechterhielt, nämlich ihrer Anpassungsfähigkeit. Beide Effekte, Ausgrenzung und Anpassung, bewirkten gemeinsam eine Stabilisierung der Strukturen: Ausgrenzung wirkte gegen Volatilität, Anpassung gegen eine Erstarrung der Sprache und damit der Abläufe bei der Rechnungsabhörung.431

Morris, English Sheriff, S. 66; Mooers, Patronage, S. 286; Green, Government, S. 157; Jewell, S. 191; Mooers Christelow, Chancellors, S. 51. 431 Dieser Ablauf wird in Kapitel 5 genauer beschrieben.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

Die Abgrenzung, die die Nutzung der Fachsprache bewirkte, wurde durch ihre Änderungsfähigkeit abgefedert. Wie im letzten Kapitel herausgearbeitet, schrieb nur ein kleiner Kreis königlicher Bediensteter die Rechnungen und verwendete dazu eine Sprache, die außerhalb ihres Kreises schwer zu verstehen war. Dieses Kapitel wird zeigen, dass die Rechnungssprache sich ständig wandelte und damit flexibel auf die Herausforderungen des Rechnungsschreibens reagieren konnte. Einer Erstarrung der Fachsprache wurde so vorgebeugt.1 Im ersten Abschnitt des Kapitels werden die verschiedenen diachronen Veränderungsprozesse beschrieben, die einzelne Komponenten der Rechnungssprache im Laufe des Beobachtungszeitraums durchliefen. Anschließend wird das hier zutage tretende Transformationsmodell genauer konturiert, indem es gegen Alternativmodelle abgegrenzt wird: Anleihen bei der Evolutionstheorie erleichtern die Beschreibung unintentionaler Veränderungen und ermöglichen auf diese Weise, sich von Vorstellungen eines von oben, durch König, Verwalter oder Lehrbuch initiierten Wandels zu verabschieden. Im nächsten Abschnitt werden die Pipe Rolls mit anderen Rollen verglichen, die ebenfalls im 12. Jahrhundert in der königlichen Verwaltung geschrieben wurden. Die Analyse zeigt, dass sich die Fachsprache an verschiedene Umgebungen anpassen konnte. Auch dieser Ausdifferenzierungsprozess geschah unintendiert und verfolgte kein vorher gesetztes Ziel. Das darauf folgende Unterkapitel fasst die Auswirkungen der Veränderungsfähigkeit der Rechnungssprache zusammen: Sie blieb anpassungsfähig und ermöglichte so den Fortbestand des Abrechnungswesens über die Zeit hinweg. Das Kapitel endet mit der Feststellung, dass sich die Fachsprache im Laufe der Zeit und in ihrer spezifischen Umgebung solchermaßen anpasste, dass sie die Reproduktion interner Rechenschaftslegung stärkte.

1 Kapitel 5 legt dieses Argument differenzierter dar.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

4.1. Diachrone Veränderungen in den Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts 4.1.1. Vorgehen bei der Analyse der diachronen Veränderungen Das vorliegende Kapitel analysiert die Veränderungsprozesse, die die Sprache der Rechnungen im Verlauf des hier betrachteten halben Jahrhunderts durchlief. Die so festgestellten Änderungsprozesse erlauben Rückschlüsse darüber, welches Transformationsmodell die Wandlungen der Rechnungssprache beschreiben kann. Innerhalb des Untersuchungszeitraums dieser Studie entzieht sich der Veränderungsprozess zwischen der Pipe Roll aus der Zeit Henrys I. (1129/30) und der ersten erhaltenen Rechnung aus der Zeit Henrys II. (1155/56) einer Charakterisierung, da zwischen beiden eine bürgerkriegsbedingte Lücke klafft.2 Nur für die Zeit zwischen 1156 und 1184 können die einzelnen Schritte der Transformation nachvollzogen werden. Um die Wege nachzuzeichnen, auf denen sich die Sprache der Rechnungen im 12. Jahrhundert veränderte, wurden zunächst die beiden Pipe Rolls vom Anfang und vom Ende des Beobachtungszeitraums miteinander verglichen. Daraus ergeben sich einige Unterschiedlichkeiten in der sprachlichen Gestaltung dieser beiden Rechnungen. Anschließend wurden die dazwischenliegenden Rechnungen daraufhin untersucht, wie sich diese Unterschiede herausgebildet haben.3 Unter der Sprache der Rechnungen wird wie stets in dieser Arbeit nicht nur die Bedeutung der Termini verstanden, sondern auch die Formulierungen der Sachverhalte, die Abfolge der einzelnen Posten und Phrasen, die Anordnung der Schrift auf einer Seite und die Verwendung von Abkürzungen. Innerhalb des Beobachtungszeitraums veränderten sich die meisten Charakteristika dieser Sprache auf eine Weise, die als evolutionär bezeichnet werden kann: Sie folgten einem unintendierten Wandlungsprozess, der sich mit dem Basisvokabular der Evolutionstheorie – Variation, Selektion, Stabilisierung – beschreiben lässt.4 Mit der Verwendung dieser Beschreibungssprache soll kein biologischer Vorgang in die Sprachveränderung hineingelesen, sondern auf

2 Die Wahl des Untersuchungszeitraums wird begründet in Kapitel 1.4. 3 Dieses Verfahren wird gewählt, um längere Veränderungsprozesse in den Blick zu bekommen. Mit diesem Vorgehen wird nicht erfasst, wenn sich ein Charakteristikum der Rechnung innerhalb des Zeitraums wandelte, diese Änderung aber bis zum 30. Regierungsjahr Henrys II. wieder rückgängig gemacht wurde. Aber auch mit der hier verwendeten Methode geraten Neuerungen in den Blick, die wieder abgeschafft wurden, wenn daraufhin neue Ideen anderer Art implementiert wurden. Deshalb wird keine Möglichkeit der Veränderung komplett übersehen. 4 Eine Problematisierung der Verwendung evolutionsbiologischer Modelle in den Sozialwissenschaften folgt weiter unten in Kapitel 4.2.

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gewisse Analogien beider Prozesse aufmerksam gemacht werden.5 Daraus lassen sich Schlussfolgerungen über die Art des historischen Wandels und damit über die Art der Entstehung des Exchequer ziehen. Von Pipe Roll zu Pipe Roll traten Variationen in den einzelnen Komponenten der Sprache der Rechnungen auf. Insgesamt sind drei Typen von Änderungsverläufen zu beobachten. Erstens: Eine von mehreren Alternativen setzte sich durch, diese wurde also sozusagen selektiert, und der neue Zustand stabilisierte sich. Zweitens: Eine der Varianten wurde eindeutig präferiert, die Alternativen verschwanden aber nicht ganz. Hier fiel die Stabilisierung, falls sie denn stattfand, nicht mehr in den Beobachtungszeitraum. Drittens: Die neu aufgetretene Variation blieb selten. Sie wurde nicht ausgewählt, auch ihre Alternative setzte sich aber nicht vollständig durch. Auf die Variation folgte keine Selektion.

4.1.2. Variation, Selektion und Stabilisierung Sprunghafte Veränderungen treten in keiner der untersuchten Komponenten auf. Nie wird eine bestimmte Bedeutungsnuance, eine neue Art der graphischen Gestaltung oder eine bestimmte Abkürzung von einer Pipe Roll auf die nächste eingeführt und in jeder folgenden Rechnung ohne weitere Veränderungen beibehalten. Lediglich das Auftreten neuer Vokabeln erscheint auf den ersten Blick als einmaliges, plötzliches Ereignis. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass auch in diesem Fall ein gradueller Prozess vorliegt: Den einzigen Fall, in dem eine Vokabel in einer Pipe Roll auftritt und in jeder folgenden wiederkehrt, bildet die Einführung der Zahlung von exitus im Abrechnungsjahr 1165/66, dem 12. Regierungsjahr von Henry II. Wer die Verwaltung (custodia) eines Gutes übernommen hatte, musste diesen exitus bezahlen, das heißt er musste den gesamten Ertrag des Gutes abliefern. Dagegen bestand die übliche Pachtzahlung (firma) aus einem festgelegten Betrag, so dass der verwaltende Sheriff die darüber hinausgehenden Einnahmen für sich behalten konnte. Allerdings wurde die Art der Verwaltung, bei der der zuständige Sachwalter sämtliche Einnahmen an den König weitergab, wohl nicht erst im Jahre 1166 neu erdacht: Sheriff Richard, Sohn des Turstinus, rechnete im Jahr 1164/65, bevor der Name exitus aufkam, zwölf Pfund ab de Langelega cum pertinentiis (über Langela und alles Zugehörige, alle Ausrüstung). Diese zwölf Pfund machten die 5 Durch die Analogie soll also nicht impliziert werden, dass Sprachveränderung den gleichen Funktionsmechanismen folgt wie die biologische Evolution, sondern auf eine gewisse Vergleichbarkeit beider Prozesse unter Voraussetzung ausreichender Generalisierung der Abläufe aufmerksam gemacht werden. Ähnlich geht Stichweh bei der Übertragung des biologischen Autopoiesis-Konzepts auf die Soziologie vor, Stichweh, Autopoiesis, S. 447.

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Abgabe für zwei Jahre aus.6 Zwei Jahre später legte dieser Richard wiederum Rechnung; diesmal wurde der Grund seiner Zahlung bezeichnet mit de Exitu de Langel’ et pertinentiis. Für ein Jahr zahlte er sechs Pfund.7 Augenscheinlich handelte es sich um die gleiche Art von Zahlung, für die im Jahr 1165 noch kein spezieller Name verwendet worden war. Zudem kommt exitus bereits einige Jahre vor seinem Auftreten in den Pipe Rolls in einem Dokument vor, das in unmittelbarem Zusammenhang mit den Abrechnungsprotokollen steht: Beim Zusammenbinden der Rollen wurde den Chancellor’s Rolls, den Duplikaten der Pipe Rolls, die Liste mit Beträgen beigefügt, die wegen der Unreinheit der Münzen von der Pacht jedes Countys abgezogen werden mussten.8 Auf die Aufstellung dieser Abzüge folgt der Vermerk exitus de thesauro, offenbar sollte hier notiert werden, wie viel Geld – üblicherweise in Form von Zahlungsverfügungen (breve) – ausbezahlt worden war.9 Augenscheinlich wurde das Lexem exitus von der Summe, die den Schatz verlassen hatte, auf die Summe übertragen, die eine Grafschaft verließ. Die Variation in den Pipe Rolls entstand in diesem Falle durch Interaktion mit der Umgebung: Ein Lexem wurde aus den Chancellor’s Rolls übertragen und umsemantisiert. Das plötzliche Auftreten der Vokabel exitus ist demnach aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf eine Erfindung seitens des Königs oder seiner Verwalter zurückzuführen, die neben der Pacht (firma) eine gewinnbringendere Einnahme erdachten. Vielmehr begannen die Schreiber, bisher ohne Namen gebliebene Einkünfte als Sonderform der Abrechnungsverpflichtung zu kennzeichnen und so ihre Besonderheit zu markieren. Dieser Name wurde in der folgenden Zeit an eine zunehmende Zahl von Abrechnungsverpflichtungen vergeben, bis sich schließlich eine feste Definition von exitus herausbildete. Diese Definition von exitus als Abgabe aller Einkünfte in Abgrenzung zur vorab festgesetzten firma fand um das Jahr 1180 Eingang in den Dialogus.10 Das plötzliche Auftauchen einer Vokabel erweist sich bei näherem Hinsehen lediglich als Auftakt zu einem inkrementellen Wandlungsprozess. Der König oder sein Beauftragter führten nicht eine neue Art der Abgabenpflicht der Güterverwalter ein, die sie mit dem Namen exitus belegten und die fortan in jedem Jahr eingetrieben werden musste. Vielmehr kristallisierte sich für eine spezielle Art der Abrechnung über manche Güter mit der Zeit die Bezeichnung exitus heraus, die schließlich im Dialogus 6 PR 11 Henry II, S. 43, R5 m1d. 7 PR 13 Henry II, S. 176, R12 m1r. 8 Von den eingelieferten Münzen wurde ein Pfund »gebleicht«, das heißt im Feuer geprüft, und der entsprechende Gewichtsverlust auf die Gesamtsumme umgerechnet. Solche Beträge erscheinen in den Rechnungen mit dem Zusatz blancus (gebleicht). Im Dialogus wird die Prozedur geschildert in Kapitel I, 6, S. 85 – 87. 9 Auf den Vermerk exitus de thesauro folgt jedoch kein Betrag. 10 Dialogus II, 27, S. 158.

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festgeschrieben wurde. Damit bildet exitus das erste Beispiel für eine Facette der Rechnung, die innerhalb des Untersuchungszeitraums Variation, Selektion und Stabilisierung zeigt: Die Vokabel trat zunächst sehr selten als neue Bezeichnung für eine Zahlung auf, die vorher mit keinem speziellen Namen belegt worden war. Die neue Variante wurde in der Folgezeit häufiger für die Markierung dieser spezifischen Zahlung ausgewählt als die Alternative, ihr keinen Namen zu geben. Gegen Ende des Beobachtungszeitraums hatte sich exitus als Name für diese Art der Abgabe schließlich fest eingebürgert, so dass er sogar im Dialogus genannt wird. Nicht nur bisher unbekannte Vokabeln, sondern auch neue Phrasen traten in einer Rechnung zunächst selten auf und waren in der Folgezeit immer häufiger in den Rechnungen vertreten. Zwei kurze Sätze entstanden zum Beispiel in den Posten, in denen keine Einzahlung des Rechnungslegers verbucht, dem Sheriff oder anderen Schuldnern des Königs aber ein Teil der geforderten Summe vergeben oder mit seinen Ausgaben im Namen des Königs verrechnet wurde. Diese neuen Formulierungen verweisen darauf, dass auch zwei neue Kompositionsregeln entstanden. Den ersten der beiden kleinen Sätze bildet die Phrase In thesauro Nichil (im Schatz nichts [scil. eingezahlt]), die in den 1170er Jahren in den Pipe Rolls auftrat. Mithilfe dieser Phrase konnten die Posten einheitlicher gestaltet werden: Jede Verbuchung, die mit dem Verb reddit Compotum (er legt Rechnung) begann, konnte nun einen Einzahlungsvermerk (In thesauro: Im Schatz) und eine Bilanzierungsformel (Et debet: er schuldet oder Et Quietus est: und er ist quitt) enthalten. Mit dem neuen Satz konnten die Rechnungsschreiber die Formel in thesauro auch in Posten anführen, in denen der Rechnungsleger keine Zahlung leistete, ihm aber eine Ausgabe angerechnet wurde, was insbesondere vorkam, wenn über die Pacht abgerechnet wurde. So legte etwa im Jahr 1176/77 der Sheriff von Kent auch über die Pacht für Dover Rechnung. Er hätte 25 Pfund, drei Schilling und acht Pfennig bezahlen müssen, jedoch wurden ihm die Kosten für diverse Überfahrten angerechnet, so zum Beispiel als Richard, Erzbischof von Canterbury, Geoffrey, am Exchequer beschäftigt und Bischof von Ely, und Earl William Mandeville, ein weiterer königlicher Berater, in diplomatischer Mission zum Grafen von Flandern übersetzten. Deshalb schuldete er nur noch fünf Pfund.11 Der neue Satz In thesauro Nichil macht deutlich, dass die Rechnungsschreiber offenbar vor einem Problem standen: In Posten mit dem Verb debet sollte es keine Erlassungsgründe geben, wurde aber als Verb reddit Compotum verwendet, so musste augenscheinlich auch ein Einzahlungsvermerk gesetzt werden. Die Phrase In thesauro Nichil löste dieses Problem. Die zweite neue Formulierungsmöglichkeit stellen die Sed-Sätze dar. Mithilfe dieses Satzes wurden in Posten, die debet (er schuldet) zum Verb hatten, Er11 PR 23 Henry II, S. 207 f., R12 m2r.

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lassungsgründe angegeben. So schuldete zum Beispiel ein Billehelt fünf Mark für die Anerkennung seines Lehens gegenüber einem Gerardus de Sailli, der ebenfalls Besitzansprüche darauf erhob. Da der Rechtsspruch noch nicht gefallen war, musste er aber noch nichts zahlen, was in dem Postenabschluss zum Ausdruck kommt: Sed non habuit rectum.12 In den frühesten Pipe Rolls kommt der Adversativsatz als Erlassungsbegründung schon zur Anwendung, bisweilen folgte aber noch die Bilanzierungsformel Et Quietus est. Die Schreiber markierten allerdings bereits in diesen frühen Rechnungen, dass es sich um keinen Standardfall der Postenformulierung handelte, indem sie vor die Formel Et Quietus est ein sic oder ideo (zusammen: und so ist er quitt) hinzusetzten.13 Seit den 1160er Jahren folgte auf Sed-Sätze keine Quitt-Erklärung mehr, dafür nahm die Anzahl der entschuldigenden Adversativsätze rapide zu. Offenbar erfüllte der Sed-Satz nun beide Funktionen: Er nannte den Erlassungsgrund und machte zugleich, wenn auch unausgesprochen, die Schuldenfreiheit des Rechnungslegers deutlich, denn diese Forderungen tauchten in den Pipe Rolls der nächsten Jahre nicht wieder auf: Der Rechnungsleger war von seiner Schuld befreit. Auf diese Weise gelangten auch die Posten mit dem Verb debet (er schuldet) zu einem einheitlicheren Erscheinungsbild: Auf den debet-Satz folgte nie eine weitere Verbuchung und deshalb auch keine weitere Bilanz. Im Rückblick auf die ersten zwanzig Jahre der Regierungszeit Henrys II. lässt sich damit ein Systematisierungsprozess feststellen. Behelfsformulierungen wie die Abwandlung der Bilanzierungsformel mussten nicht mehr herangezogen werden. Zum Abschluss dieses Prozesses scheinen sich zwei neue Regeln herausgebildet zu haben, nach denen in Posten mit dem Verb reddit Compotum (er legt Rechnung) stets ein Einzahlungsvermerk und eine Bilanzierungsformel zu stehen hatten, hingegen in Posten mit dem Verb debet (er schuldet) keine weitere Verbuchung stattfinden durfte. Die Beobachtung des Wandlungsprozesses macht deutlich, dass nicht zuerst diese Regel aufgestellt und daraufhin die Pipe Rolls in diesem Sinne umgestaltet wurden. Vielmehr kamen zuerst zu unterschiedlichen Zeitpunkten die beiden neuen Phrasen auf, wurden häufiger benutzt, bis schließlich am Ende der 1170er Jahre keine Alternativen zu diesem Postenaufbau mehr bestanden. Die neuen Phrasen wurden nicht gezielt eingeführt, etwa um die Posten systematischer und standardisierter zu gestalten, denn in diesem Falle wäre zu erwarten gewesen, dass sie in den ersten Pipe Rolls, in denen sie auftraten, sofort durchgehend oder zumindest mit konstant wachsender Häufigkeit verwendet worden wären. Stattdessen kamen sie zunächst 12 PR 27 Henry II, S. 58, 4 m1d. 13 In der ältesten erhaltenen Pipe Roll stehen Sed-Sätze teilweise auch noch in Posten, die mit dem Verb reddit Compotum beginnen, beispielsweise: Osbertus de Caldecota reddit Compotum de xiij libris de placitis W’ de Hoctona. Sed mortuus est nichil habens. Et sic Quietus est. PR 31 Henry I, S. 96, R10 m1d.

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vereinzelt vor, erwiesen sich aber offenbar als den alten Formulierungsmöglichkeiten funktional überlegen, wahrscheinlich da sich so der Postenaufbau systematischer und standardisierter gestalten ließ. Kurz: Die Funktionalität14 spielte für die Selektion, nicht für die Variation eine Rolle: Die höhere Systematik und Standardisierung begründete nicht ihr erstes Auftreten, sondern die Wiederholung dieses Auftretens, das heißt ihre immer wieder erfolgte Auswahl. In gleicher Weise lässt sich der Verwendung rückbezüglicher Markierungen eine Funktionalität zuweisen, wenn man den gesamten Prozess ihres Aufkommens betrachtet. Dem ersten Auftreten sollte diese Funktionalität aber nicht zugeschrieben werden. Eine Verfügung (breve), mit deren Hilfe bereits geleistete Zahlungen auf die geschuldete Summe angerechnet werden konnten, wurde hauptsächlich als breve Regis (Verfügung des Königs) ausgewiesen.15 Zu Beginn der Regierungszeit Henrys II. wurde vereinzelt die Phrase per breve ipsius (auf Verfügung desselben) verwendet, wenn in demselben Abrechnungsschritt der König bereits genannt worden war.16 Schließlich kam die Formulierung per idem breve auf (aufgrund derselben Verfügung), die verdeutlichte, dass die betreffende Verfügung bereits genannt worden war. Diese Phrase wurde schnell sehr häufig verwendet. Gegen Ende des Betrachtungszeitraums wurde zusätzlich die Formulierungsmöglichkeit per predictum breve (auf vorgenannte Verfügung) eingeführt, die ebenfalls von Pipe Roll zu Pipe Roll häufiger Anwendung fand. Rückbezügliche Angaben traten demnach zunächst selten auf, verschiedene Varianten wurden ausprobiert, bevor sich insbesondere die Formulierung per idem breve durchsetzte, das heißt sehr häufig in den Rechnungen auftauchte. Im Ganzen gesehen entstand also ein Verweissystem auf bereits genannte königliche »writs«. Dieser Vorgang ging aber nicht geplant und systematisch vonstatten, sondern erfolgte in kleinen, teilweise wieder zurückgenommenen Schritten. Beide Phänomene zusammen, die Entstehung der neuen Abrechnungsphrasen und die Etablierung rückbezüglicher Formulierungen, deuten darauf hin, dass ein Abrechnungsvorgang zunehmend als Einheit mit systematischer Gestaltung angesehen wurde. Diese Gestaltungsregeln wurden aber weder von oben noch von einem Schreiber bewusst ausgedacht und eingeführt. Aus den verschiedenen neuen Formulierungsmöglichkeiten, die im Laufe des Abschreibeprozesses entstanden, wurden in der jeweils nächsten Pipe Roll mit höherer Wahrscheinlichkeit diejenigen Phrasen ausgewählt, deren Verwendung zu höherer Systematisierung führte. Im Ganzen und im Nachhinein betrachtet

14 Zum Begriff der Funktionalität siehe Kapitel 4.6. 15 Nur in einer verschwindend geringen Anzahl der Fälle wird eine Verfügung erwähnt, die von jemand anderem ausgestellt wurde, siehe Kapitel 3.1.2.2. 16 Siehe z. B. Et Canon’ de Shirewuda xl libras de Elemosina Regis per breve ipsius. Et pro plumbo ad opus Regis x libras per breve ipsius. PR 10 Henry II, S. 15, R2 m2r.

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lässt sich daher ein inkrementeller Prozess zu mehr Standardisierung feststellen, der aber keinem der Schreiber bewusst gewesen sein muss. Das Verschwinden ganzer Worte oder Phrasen lässt sich sehr selten beobachten, ging aber genau wie die Durchsetzung neuer Worte recht langsam vonstatten. Selbst wenn Abgaben nicht mehr eingefordert wurden, tauchten sie in den Rechnungen für einige weitere Jahre auf: Die Erhebung von Dänengeld kam unter Henry II. außer Mode, vielleicht da die Furcht vor einer dänischen Invasion, zu deren Abwehr das Dänengeld einst eingeführt worden war, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nicht mehr groß genug war, um eine Abgabe zu legitimieren.17 Trotzdem finden sich bis ins 22. Regierungsjahr Henrys II. Einträge über das Dänengeld in den Pipe Rolls:18 Alte Schulden aus vergangenen Erhebungen wurden beglichen;19 ein Rechnungsleger zahlte eine alte Strafe dafür, das Einsammeln der Abgabe behindert zu haben.20 Erst in den Rechnungen seit dem Jahr 1166/67 sucht man das Lexem danegeldus/um vergeblich. Meistens kamen jedoch keine ganz neuen Worte oder Phrasen auf oder verschwanden völlig aus den Rechnungen. Häufiger veränderten schon vorhandene Bestandteile der Rechnungssprache ihre Erscheinungsform oder ihre Bedeutung. Deutlich wird dieser Prozess insbesondere bei der Ordination. Die Analyse der graduellen Veränderung der Anordnung der Schrift auf der Seite kann ein Missverständnis der jüngeren Forschung aufklären: Zuletzt Mark Hagger bewertet es als Manko der Pipe Rolls, dass die Schreiber die Überschriften falsch gesetzt hätten: Posten seien häufig unter den falschen oder unter jährlich wechselnden Überschriften einsortiert worden.21 Richard Cassidy hat bereits darauf hingewiesen, dass diese Überschriften nicht im heutigen Sinne als zusammenfassendes Charakteristikum aller folgenden Einträge verstanden werden dürfen, sie vielmehr eher als Wegweiser für den Blick über die Pergamentseite aufgefasst werden müssen.22 Die Untersuchung der Veränderung der Überschriften in den Rechnungen des 12. Jahrhunderts unterstützt Cassidys These, indem sie die Entstehungsgeschichte der Überschriften nachzeichnet. In den frühesten Pipe Rolls aus der Regierungszeit Henrys II. gibt es keine Über17 So begründet Green, Danegeld, S. 258, die Einstellung der Erhebung des Dänengeldes. 18 Green bezeichnet die PR 8 Henry II als die letzte, auf der Einträge über das Dänengeld zu finden seien. Ebd., S. 242. Jedoch werden auf den Pipe Rolls bis zum 12. Regierungsjahr Henrys II. sowie auf den Rechnungen aus seinem 20. und 21. Herrschaftsjahr ebenfalls Dänengeldzahlungen verbucht. Die spätesten von mir gefundenen Einträge befinden sich auf den PR 20 Henry II, S. 115, R9 m1r und PR 21 Henry II, S. 15, R3 m1r. 19 Häufig wird de veteri danegeldi abgerechnet, also über das Dänengeld vergangener Jahre, etwa in PR 12 Henry II, S. 37, R1 m1r. 20 PR 20 Henry II, S. 115, R9 m1r : […] de Misericordia quia prohibuit Danegeldum dari de Dominiis. 21 Hagger, Theory, siehe vor allem S. 47 – 60. 22 Cassidy, Recorda, S. 11.

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schriften, die denjenigen heutiger Zeit gleichen würden. Wenn allerdings über die Pacht eines Countys abgerechnet wurde, wurde der entsprechende Ortsname in Kapitälchen und etwas größer als der Rest der Zeile niedergeschrieben. Eine neue Sinneinheit begann also mit einem Posten, der sich in der Abfolge der Worte in keiner Weise von den anderen Posten unterschied. Der entscheidende Teil des Satzes wurde jedoch durch Vergrößerung hervorgehoben. Wer etwa auf der Pipe Roll aus dem Jahre 1155/56 die Abrechnung über Leicestershire suchte, fand den Satz Et Idem Vicecomes reddit Compotum de firma de Legrecestrescira sehr einfach, da der Name des Countys in Kapitälchen und über circa drei Zeilen Höhe geschrieben worden war.23 In der gleichen Rechnung konnte jedoch auch die Reihenfolge gedreht und somit die Syntax aufgelöst werden: Die Abrechnung über die Pacht eines Countys begann nun mit der Angabe des Ortsnamens in Großbuchstaben, darauf folgte ein Punkt, woraufhin der Satz mit dem Namen des Rechnungslegers, dem Verb reddit Compotum und den weiteren Angaben zum Abrechnungsverlauf notiert wurde. Der Ortsname stand ganz links auf der Zeile, auf der sogleich der erste Satz der Pachtabrechnung folgte (siehe Abb. 5 für Surrey). Ein Jahr später nun rutschte dieser Ortsname eine Zeile höher und wurde zentriert auf das Blatt gesetzt.24 Erst in der folgenden Zeile, links ausgerichtet, begann der erste Posten der Abrechnung für das County (vergleiche Abb. 6, die zwar aus einer späteren Pipe Roll stammt, aber das Anordnungsprinzip genauso zeigt, wie es sich seit dem Jahr 1157/58 durchzusetzen begann). Deshalb gleichen die Überschriften bereits ab dem Rechnungsjahr 4 Henry II (1157/58) heutigen Überschriften: Einzelne Worte stehen zentriert und deutlich unterschieden vom restlichen Text. Die Entstehung dieser Gestaltung macht aber deutlich, dass ihre Funktion dennoch nicht derjenigen heutiger Überschriften entspricht: Sie fassen nicht alle Posten zusammen, die bis zur nächsten Überschrift folgen, sondern heben lediglich einen wichtigen Aspekt des nächstfolgenden Postens heraus. Sie funktionieren eben als Wegweiser,25 nicht als Zusammenfassungen aller folgenden Posten. Deshalb liegt es nahe, hinter den übrigen Überschriften, die etwas anderes als Ortsnamen umfassen, ein ähnliches Funktionsprinzip zu vermuten und nicht den Zweck heutiger Überschriften hineinzulesen. Entsprechend sind die Überschriften Nova Placita et Nove Conventiones (Neue Entscheidungen und Vereinbarungen), die bereits seit der ersten erhaltenen Pipe Roll gesetzt wurden, und alle weiteren Überschriften, die seit dem 11. Regierungsjahr Henrys II. (1164/65) zu finden sind,26 wohl nicht als 23 PR 2 Henry II, R9 m1r. Wenn der Rechnungsleger mit Namen angegeben wurde, erfolgte auch das in groß ausgeführten Kapitälchen. 24 In den beiden vorigen Rechnungen tritt diese Art der Überschriftsgestaltung höchst selten bereits auf, setzt sich aber erst in PR 4 Henry II als bestimmendes Prinzip durch. 25 Cassidy bezeichnet sie als »signposts«, Cassidy, Recorda, S. 11. 26 Ab PR 11 Henry II begannen diverse Überschriften neben die bisher üblichen Orte und die

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kumulative Überschriften, sondern ebenfalls als Wegweiser zu deuten. Sie verweisen darauf, dass der nächste Posten und vielleicht eine Mehrzahl der folgenden Posten zu dem in der Überschrift genannten Zahlungsgrund passt, sagen aber nicht aus, dass alle nachstehenden Einträge unter der angegebenen Überschrift subsumiert werden könnten. Insofern liegt einigen der Fehlzuordnungen, die Hagger in den Pipe Rolls auszumachen glaubt, wohl ein Fehlverständnis dieser Überschriften zugrunde. Die Änderung in der Anordnung der Überschrift zog eine Umgestaltung der Schriftart nach sich: Die Überschriften wurden mit der Zeit immer seltener in Kapitälchen oder in größeren Buchstaben geschrieben (siehe Abb. 10). Diese Einebnung der Schriftart kann als Anpassung an die neue Umgebung interpretiert werden: Wenn die Überschriften, wie gerade dargelegt, hauptsächlich als Findhilfe für den Leser dienten, der einen bestimmten Eintrag suchte, so mussten die Schreiber sie mittels Kapitälchen und größerer Schrift hervorheben, solange die entsprechenden Signalwörter im Fließtext standen. Mit der Zentrierung der wichtigen Worte verschwand diese Notwendigkeit. Die Pipe Rolls erwecken insgesamt den Eindruck, für Leser geschrieben zu sein, die mit dem Auge am linken Rand entlanggleiten, um den gesuchten Eintrag zu finden:27 Jeder neue Posten beginnt linksbündig, der erste Buchstabe eines jeden Postens wird nochmals nach links abgesetzt und oftmals etwas größer geschrieben als der Rest der Zeile. Deshalb ist es leicht vorstellbar, dass eine Zeile sofort auffiel, in der am linken Rand nichts stand, da der Eintrag zentriert vorgenommen worden war. Da sie im Laufe der Zeit die gleiche Größe annahmen wie der Rest des Blattes, können die Überschriften von einem heutigen Leser leicht übersehen werden, wenn er sie nach seiner Lesegewohnheit gleich in der Mitte der Zeile sucht.28 Geht man aber vom linken Rand des Blattes aus, fallen die Überschriften sofort ins Auge. Dennoch wurden die Überschriften nicht von einem Jahr auf das nächste in die Mitte gesetzt und in der Schriftgröße dem Rest der Rechnung angeglichen. Die Zentrierung geschah in zwei sehr schnellen Schritten, darauf folgte langsam die Einebnung der Schriftgröße. In dem neuen Umfeld der Überschrift in der Mitte der Zeile erfüllte die Hervorhebung der Buchstaben keine zusätzliche Funktion. Der Vorteil der Überschriften ohne große BuchNova Placita et Nove Conventiones zu treten. Zuerst wurde die Überschrift De propresturis eingeführt: Sie bezeichnete Güter, die an die Krone gefallen waren, da sie zuvor widerrechtlich annektiert worden waren, und die deshalb von königlichen Offiziellen verwaltet wurden. In den folgenden Jahren wurden u. a. Zahlungen von scutagium (Schildgeld, eine Ersatzzahlung für Militärdienst), die Abgaben der Boroughs (auxilium) und Zahlungen aufgrund eines Erlasses (assisa) mithilfe von Überschriften hervorgehoben. 27 Bei diesem Leser handelte es sich hauptsächlich um den Schreiber der nächsten Pipe Roll, siehe Kapitel 2.1. 28 Dies bildet wohl die Ursache für die Kritik Haggers an der Unübersichtlichkeit der Pipe Rolls, siehe Hagger, Theory, S. 65.

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staben lag deshalb wahrscheinlich darin, dass sie schneller zu schreiben waren und Platz sparten. Entsprechend wurden immer mehr Überschriften in kleinen Buchstaben in die nächste Rolle übertragen. Ebenfalls relativ schnell – innerhalb von sieben Jahren – vollzog sich die stärkere Hervorhebung des Quittvermerks am Ende der Posten, in denen der Rechnungsleger alle Schulden bezahlt hatte oder sie ihm vergeben worden waren. Der entsprechende Satz Et Quietus est (Und er ist quitt) wurde stets an den rechten Rand der Zeile gesetzt. Die Phrase wurde später dadurch stärker hervorgehoben, dass der Abstand zwischen den drei Wörtern inkrementell erhöht wurde: Zwischen der Pipe Roll aus dem 10. und derjenigen aus dem 16. Regierungsjahr Henrys II. (1166 – 1173) nahm der Abstand zwischen Et und Quietus immer mehr zu, seit der Rechnung aus dem 17. Regierungsjahr Henrys II. wurden alle drei Wörter mit deutlichen Zwischenräumen gesetzt (vergleiche die Beispiele in Abb. 13). Diese Variante des Aufschreibens wurde wohl weiter verfolgt, da es sich bei der Quitt-Phrase um einen besonders wichtigen Teil der Rechnung handelte, der nicht übersehen werden durfte. Die Posten, in denen ein Schuldner sich aller Verpflichtungen entledigt hatte, wurden logischerweise nicht in die neue Pipe Roll übertragen. Der Schreiber der folgenden Pipe Roll musste deshalb eindeutig erkennen können, welche Posten er nicht in die neue Rechnung kopieren durfte. Die Überlegenheit der Variante, zwischen den drei Worten viel Abstand zu setzen, bestand offenbar darin, dass dieses Vorgehen die Arbeit für den Schreiber erleichterte, der die Pipe Roll für die Abhörung des folgenden Jahres zu präparieren hatte.29 Die Systematik in der Veränderung der Verteilung von numero und blancus erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Folgte auf eine Geldeinheit das Adjektiv blancus (gebleicht), so hatte das Silber des Sheriffs an der Einzahlungsstelle die Silberprüfung (essaium) durchlaufen. Dazu wurden zwanzig Schillinge (also ein Pfund) solchermaßen eingeschmolzen, dass nur der Silberanteil übrig blieb. Der Silberanteil wurde mit einem Pfundgewicht verglichen und so festgestellt, wie groß der Unterschied war zwischen einem Standardpfund und dem Pfund, das der Sheriff mitgebracht hatte.30 Entsprechend mehr musste der Sheriff von seinem restlichen, ungebleichten Geld für seine Schulden bezahlen. Der Unreinheitsverlust der Münzen konnte unkomplizierter, aber natürlich auch ungenauer ausgeglichen werden, indem für jedes eingezahlte Pfund sechs Pfennige zusätzlich eingezahlt wurden. In solchen Fällen wurde der Betrag mit dem Zusatz numero versehen. Nur in den ältesten Rechnungen gibt es zudem selten die Alternative der Zahlung ad pensum, bei der das Pfund zum Test

29 Siehe dazu auch Kapitel 4.6. 30 Dialogus I, 6, S. 85 – 87.

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abgewogen wurde, ohne es zu bleichen.31 Zahlungen in blancus kamen dem tatsächlichen Geldwert also am nächsten, der Zuschlag nach numero stellt eine eher grobe Kompensation des Wertverlustes dar. Den Zusatz blancus, numero oder ad pensum erhielten nur die Beträge, die für die Pacht eingezahlt oder von der Pacht abgezogen wurden. Die Analyse des Verteilungsmusters für blancus und numero zeigt eindrücklich die Gefahren und den Gewinn der Arbeit mit der Methode der Historischen Semantik. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde die Zahlung in numero immer weniger geschätzt, da der Anteil von Pachten, die in numero ausgewiesen wurden, im Vergleich zu den blancus-Pachten immer weiter zurückging.32 Die naheliegende Schlussfolgerung, Zahlungen in numero wären immer weniger geschätzt worden, liegt aber falsch. Es änderte sich nämlich nicht nur die prozentuale Verteilung des Auftretens von numero und blancus, sondern auch die Systematik, in der blancus und numero angewandt wurden: Zwei verschiedene Systeme lassen sich danach unterscheiden, ob der Betrag nach der Bilanz Et debet (Und er schuldet) immer in blancus ausgezeichnet wurde oder auch in numero stehen konnte. In den frühesten erhaltenen Pipe Rolls wurden die Pachtbeträge, die die Sheriffs noch schuldeten, immer in blancus notiert, auch wenn der Rest der Pacht in numero eingezahlt worden war oder wenn Ausgaben des Sheriffs, zum Beispiel für Reparaturarbeiten, in numero angerechnet worden waren. Der Betrag nach Et debet wurde aber in die nächste Pipe Roll übernommen, das heißt: Wenn die Bilanz in blancus ausgedrückt wurde, musste der Sheriff im nächsten Jahr auch in blancus bezahlen, also Silber von höherer Qualität mitbringen oder entsprechende Ausgleichszahlungen leisten. Dass nach Et debet immer Beträge in blancus stehen, deutet dementsprechend darauf hin, dass Zahlungen in blancus über solche in numero präferiert wurden. Seit dem 15. Regierungsjahr von Henry II. (1168/69) hingegen wurde die Restpacht nach Et debet in blancus oder in numero angegeben, je nachdem, in welcher Form der geschuldete Betrag ausgezeichnet oder ein Teilbetrag eingezahlt worden war. Im Rechnungsjahr 1174/75 legte Richard de Raddon Rechnung über vier Pfund und zwanzig Pfennige, gezählt. Er zahlte sechzig Schilling ein und blieb entsprechend 21 Schilling und acht Pfennig schuldig, die ebenfalls als gezählt ausgewiesen wurden.33 Im gleichen Jahr zahlte der Justiziar Richard de Luci in seiner Rolle als Sheriff von Worcestershire einen Teil seiner Pachtsumme in gebleichtem Geld ein. Der offene Rest wurde ebenfalls in gebleichtem 31 Siehe Hall, Introduction, S. 63. 32 Im ersten Jahrzehnt der Herrschaft Henrys II. liegt der Anteil von Pachtbeträgen in numero bei circa 75 Prozent aller Pachtbeträge, im zweiten bei circa 65 Prozent, im dritten bei circa fünfzig Prozent. 33 PR 21 Henry II, S. 50, R5 m1d. Zwölf Pfennig ergeben einen Schilling, zwanzig Schilling ein Pfund.

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Geld angegeben.34 Offensichtlich wurden Zahlungen in blancus nicht mehr höher geschätzt als solche in numero. An die Stelle einer Hierarchie von blancus über numero trat nun eine Systematik, in der nach dem geschuldeten Betrag der Zusatz stand, der auch auf die Angabe der Einzahlung oder der Schuldsumme folgte. Der Übergang zwischen beiden Systemen vollzog sich in den Pipe Rolls der Jahre 1155 – 1168. In diesen Rollen steht nach dem Et debet in Pachtposten häufiger blancus; manchmal werden Beträge teils in numero, teils in blancus eingezahlt und entsprechend auch in der Bilanz ausgewiesen. Dieses Beispiel zeigt, dass die reine Häufigkeitsverteilung nicht vorschnell interpretiert werden sollte. Eine seltenere Verwendung (wie hier von numero) deutet nicht unbedingt auf eine niedrigere Präferenz von Zahlungen in numero hin – ganz im Gegenteil. Die Erklärung für den Rückgang der Häufigkeit von numero liegt wahrscheinlich darin, dass alle Zahlungen, die auf die Pacht angerechnet werden, in numero ausgewiesen wurden, mit der Ausnahme von weggegebenen Ländereien (terre date). Die Anzahl von einzelnen Ländereien, die aus der Pacht herausgenommen wurden und für die der Sheriff deshalb nicht abrechnen musste, stieg im Laufe der Zeit, so dass immer mehr Beträge in blancus ausgewiesen wurden. Weder die Veränderung in der Häufigkeit noch der Wechsel des Verwendungsschemas fielen mit einer der Münzreformen von 1158 oder 1180 zusammen.35 In den Pipe Rolls lässt sich also kein unmittelbarer Niederschlag des herrschaftlichen Handelns finden. Trotzdem hatte sich am Ende des Beobachtungszeitraums ein neuer Zustand stabilisiert, in dem die Zahlungen in numero nicht mehr weniger wertgeschätzt wurden als solche in blancus.36 Die Art und Weise, wie der Rechnungsleger in der frühesten Pipe Roll bezeichnet wird, gleicht der Bezeichnungsweise in der spätesten hier untersuchten Pipe Roll: In circa vierzig Prozent der Posten wird der Abgehörte nur beim Namen genannt, jeweils ungefähr dreißig Prozent der Rechnungsleger werden mit ihrer Tätigkeit beschrieben oder einfach als idem vicecomes (derselbe Sheriff) bezeichnet.37 In der ersten Pipe Roll aus der Zeit Henrys II. hingegen stellt sich die Verteilung ganz anders dar : Verhältnismäßig selten wird der Abgehörte mit Namen vermerkt (22 Prozent), sehr häufig hingegen wird er als idem vicecomes beschrieben (58 Prozent). Bis zum Ende des Beobachtungszeitraums bewegt sich die Verteilung kontinuierlich und langsam wieder zurück zu dem 34 PR 21 Henry II, S. 127 f., R9 m1r. 35 Siehe dazu Allen. 36 Inwieweit die Akzeptanz von Zahlungen in numero darauf hindeutet, dass die Geldwertstabilität der Münzen zur Zeit Henrys II. bis in die 1180er Jahre doch stabiler ausgefallen sein könnte als bisher gedacht, verdiente eine eigene Untersuchung. Bisher wird von der Notwendigkeit der Feuerprobe auf eine geringe Geldwertstabilität geschlossen, siehe etwa ebd., S. 266. 37 Siehe dazu genauer die Ausführungen oben in Kapitel 2.2.4.

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Muster, das sich schon im Jahr 1129/30 zeigte. Direkt nach dem Bürgerkrieg kannten die Abrechner die Abrechnenden vielleicht noch nicht wieder alle mit ihrem Namen, zumal die Verwaltung Henrys II. sich auf Männer aus beiden früheren Verwaltungen stützte, also Menschen aus Stephens und aus Matildas Diensten hier zusammenkamen.38 In den 1180er Jahren hatte sich wieder das Verteilungsmuster stabilisiert, das schon fünfzig Jahre zuvor in der Pipe Roll zu finden war. In vielen Fällen, in denen sich die Erscheinungsform oder die Bedeutung eines Charakteristikums der Rechnung änderte, lässt sich aus der heutigen Perspektive nicht interpretieren, warum eine Selektion vorgenommen wurde, worin also die Überlegenheit der ausgewählten Variante über die Alternativen bestand. Solche Änderungsprozesse weisen vor allem die Verschiebungen der Bedeutungsnuancen einzelner Termini auf. In jedem Posten der Rechnung wurde ein Grund genannt, weshalb vom Schuldner eine bestimmte Summe Geldes gefordert wurde. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wurde dieser Zahlungsgrund mit den Präpositionen pro oder de eingeleitet. Wie oben beschrieben, fungierten diese Präpositionen bedeutungsdifferenzierend oder zeigen doch mindestens eine Diversifizierung der Bedeutungsnuancen des zugehörigen Terminus an: Während mithilfe von pro konkrete, einzeln fassbare Zahlungsgründe genannt wurden, leitete de die kumulative Nennung dieser Zahlungsgründe ein.39 Die Bedeutung des Substantivs murdrum changierte zwischen einer konkreten Strafzahlung für bestimmte Morde und einer Abgabe seitens einer Gemeinschaft.40 Im Laufe der untersuchten dreißig Jahre lässt sich beobachten, dass die erste Bedeutung sich immer mehr durchsetzte, bis in der Pipe Roll aus dem 20. Regierungsjahr von Henry II. (1173/74) murdrum nur noch die konkreten Morde bezeichnete.41 Nicht der Wegfall einer Bedeutungsnuance, sondern der umgekehrte Prozess lässt sich für den Zahlungsgrund terra (Land) feststellen. Auch dieses Hinzutreten einer Bedeutungsschattierung ging langsam vonstatten: In den Pipe Rolls ab dem 10. Regierungsjahr Henrys II. (1163/64) findet sich die Verwendung von terra als Erhebungseinheit einer nicht näher spezifizierten Abgabe wesentlich häufiger als die ältere Gebrauchsweise für ein konkretes Gut, das den Besitzer wechselt.42 Nicht nur bei den Zahlungsgründen prägten sich im Zeitverlauf unterschiedliche Bedeutungsnuancen stärker oder schwächer aus. Dasselbe gilt für die Substantive, die Begründungen konstatieren, mit denen einem Rechnungs38 39 40 41 42

Amt, Accession, S. 21. Siehe Kapitel 3.1.2.1. Siehe ebd. Z. B. in PR 20 Henry II, S. 11, R2 m1r : […] de Osulfvestanhundredo pro v murdris. Siehe Kapitel 3.1.2.1.

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leger ein Teil seiner Schuld erlassen wird. Dieser Prozess ging aber nicht mit einem Wechselspiel der Präpositionen einher. Ein Beispiel für eine Ausprägung der abstrakteren Bedeutungsnuance bildet opus. In der ersten erhaltenen Pipe Roll von 1129/30 wurde in über der Hälfte der Erlasse, die mit opus begründet wurden, als Genitiv das Bauwerk hinzugefügt, an dem diese Arbeiten durchgeführt wurden, beispielsweise am Turm von Gloucester oder der Burg von Arundel.43 Demnach bezeichnete opus konkrete Bauarbeiten. In der Zeit Henrys II. wurden diese Angaben wesentlich unspezifischer : Manchmal werden Materialien, manchmal aber auch lediglich allgemeine Kosten (custamentum) aufgeführt und damit begründet, dass sie ad opus Regis (in der Arbeit für den König) benötigt worden wären.44 Ab den 1160er Jahren schließlich konnte opus nicht nur für Arbeiten im Auftrag des Königs, sondern auch für Verrichtungen für andere Personen verwendet werden, etwa wenn dem Elekten zum Bischof von Winchester zwei Schiffe geliehen wurden.45 Die Bedeutung von opus wandelte sich demnach von einer konkreten Baumaßnahme zu jeglicher Tätigkeit im Auftrag einer übergeordneten Person. Alle diese Verschiebungen in den Bedeutungsnuancen vollzogen sich inkrementell. In der Rückschau auf den gesamten Beobachtungszeitraum kann jedoch keine Richtung ausgemacht werden, in die sich die Bedeutungsverschiebungen insgesamt bewegten. Für den Terminus murdrum setzte sich die konkrete Bedeutungsschattierung durch, opus nahm anstelle einer konkreten eine abstraktere Bedeutung an. Das Lexem terra hingegen gewann eine Bedeutungsnuance als Erhebungseinheit hinzu. Allerdings bleibt unklar, warum die Variante von murdrum im Sinne kumulierter Strafzahlungen nicht mehr genutzt wurde oder warum auf die neu aufgekommene Möglichkeit, mit terra eine Erhebungseinheit zu bezeichnen, verstärkt zurückgegriffen wurde, anstatt für diese Erhebungseinheit eine neue Bezeichnung zu etablieren. Die einzelnen Beobachtungen über den Bedeutungswandel verdichten sich auch nicht zu einer gemeinsamen Bewegung. Weder nahmen Verwendungsmöglichkeiten generell ab noch weiteten sie sich allgemein aus. Das Gleiche gilt für die Veränderung der Abkürzungsvarianten. Für manche Worte nehmen die Möglichkeiten an Abkürzungen zu, für andere ab; ein 43 In Operibus Castelli de Arundel und In Operibus Turris de Gloec’, PR 31 Henry I, S. 42, R4 m1d und S. 78, R8 m2r. 44 Siehe z. B. Et In Cera et in Custamento ipsius ad opus Regis […], PR 2 Henry II, S. 3, R1 m2r, oder Et pro Equis ad opus Regis […], PR 10 Henry II, S. 9, R1 m1d. 45 Opus Ric’ Wint’ electi iiij libras per breve Ricardi de Luci. PR 20 Henry II, S. 135, R10 m1d. Bei diesem Elekten handelt es sich um Richard of Ilchester, einen der berühmtesten Administratoren Henrys II., der unter anderem am Exchequer arbeitete und als Justiziar fungierte und als Lohn für seine Loyalität 1173 zum Bischof von Winchester gewählt wurde, siehe Duggan. Legitimiert wurde die Zahlung der Schiffsmiete durch eine Verfügung seines Kollegen Richard de Luci.

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übergreifendes Schema kann nicht erstellt werden. Nichtsdestotrotz lässt sich für jedes einzelne Wort in der Rückschau eine Richtung ausmachen, in die die Änderung sich bewegte: Zum Beispiel verringerten sich die Abkürzungsmöglichkeiten für den Ablativ des Schatzes (thesauro). In den frühesten Rechnungen wurde thesauro, das vor allem in der Einzahlungsphrase In thesauro (Im Schatz) genannt wurde, hauptsächlich mit den beiden Buchstaben th bezeichnet. Selten wurden dagegen die Abkürzungen thaur und thro gewählt. In den beiden Pipe Rolls aus dem 12. und 13. Regierungsjahr Henrys II. (1165/67) trat die Buchstabenkombination thro häufiger auf als die Kürzung zu th. Ab dem 14. Regierungsjahr Henrys II. (1167/68) findet sich ausschließlich die Abkürzung thro in den Pipe Rolls. Der umgekehrte Fall, dass eine neue Abkürzungsmöglichkeit hinzutritt, lässt sich für das Verb liberavit (er zahlt ein) beobachten. Wurde liberavit zunächst fast ausschließlich zu libavit verkürzt, konnte es daneben in den Pipe Rolls ab dem 17. Regierungsjahr von Henry II. (1170/71) auch libav genannt werden. In den ersten fünf Jahren ihres Auftretens bildete die Abkürzung libav allerdings die Minderheit. Ihre Anzahl wuchs so lange an, bis sie ab der Rechnung für das Jahr 1175/76 genauso häufig wie libavit auftrat. Eine neue Abkürzungsmöglichkeit ganz anderer Art entstand für die Ziehung der Summe. Bis zum 8. Regierungsjahr Henrys II. (1161/62) wurde dafür ausschließlich das Wort suma verwendet. In dieser Pipe Roll aus dem Jahr 1161/62 wurde erstmals ein S genutzt, um die Summenziehung zu markieren. Dieses Summenzeichen setzte sich langsam gegenüber dem suma durch. Seit dem Rechnungsjahr 1168/69 findet man das Wort suma schließlich fast nur noch im Fließtext einer Rechnung,46 als Markierung der Gesamtsumme von Schuld oder Erlassungen wurde es so gut wie gar nicht mehr herangezogen. Der Veränderungsprozess der Abkürzungsmöglichkeiten vollzog sich langsam, so dass erst in der Gesamtschau die Richtung erkennbar wird, in die sich die jeweilige Abkürzung änderte. Die Schreiber nahmen sich nicht bewusst vor, thesauro nur noch zu thro abzukürzen, dafür bestanden die alternativen Kürzungen thaur und th zu lange parallel hierzu. Stattdessen wurde thro immer häufiger als Abkürzungsmöglichkeit ausgewählt, bis die Alternative th schließlich ganz aus den Rechnungen verschwunden war. Warum die Schreiber sich immer öfter für thro entschieden, welches Selektionskriterium zur Anwendung kam, erschließt sich aus heutiger Sicht nicht. Da sich die Änderung der Abkürzungsmöglichkeiten für verschiedene Worte in unterschiedliche Richtungen bewegte, tritt auch kein Gesamttrend zutage, der interpretiert werden könnte: So 46 Summa wird meistens nicht zum Summenzeichen, sondern zu suma abgekürzt, wenn es einen Teil eines ganzen Satzes bildet und nicht nur vorher genannte Beträge zusammenfasst. Siehe etwa in PR 21 Henry II, S. 7, R2 m1r: Idem Rann’ reddit Compotum de lx s de Cremento de Funteneia preter predictam sumam de tribus annis.

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könnte etwa die Zunahme von Kürzungsvarianten als Zuwachs an Variabilität und Gestaltungsspielraum gewertet werden, die Abnahme der Abkürzungsmöglichkeiten hingegen als Bewegung zu höherer Einheitlichkeit. Da aber beide Abläufe in den Rechnungen auftreten, verbietet sich eine solche allgemeine Erklärungsfigur. Alle bisher beschriebenen Prozesse gehören zu der ersten Art von Veränderungsbewegungen, bei denen innerhalb des Untersuchungszeitraums beobachtet werden kann, wie sich eine von mehreren Alternativen durchsetzte. Damit ist gemeint, dass für das Ende des Betrachtungszeitraums – die Zeit um 1184 – bezüglich dieser Charakteristika ein Zustand als konstant definiert werden kann. Die jeweilige Eigenschaft der Rechnungssprache hatte einen Änderungsprozess durchlaufen, befand sich aber um 1184 nicht mehr innerhalb dieser Wandlungsbewegung. Daraus lässt sich natürlich nicht schlussfolgern, dass sie sich nicht in den Jahren nach 1184 wieder verändern würde. Spätestens in den letzten Jahren des Untersuchungszeitraums hatte sich aber im Hinblick auf diese Charakteristika zunächst ein konstanter, stabiler Zustand herausgebildet. Diese Eigenschaften der Pipe Rolls hatten sich stabilisiert. Das Lexem terra (Land) erhielt zum Beispiel eine zweite Bedeutungsschattierung; diese beiden Bedeutungsnuancen bestanden am Ende des hier untersuchten Zeitraums stabil nebeneinander. Die drei verschiedenen Bewegungen, die alle zu dieser ersten Art von Änderungsprozessen gezählt werden können, lassen sich anhand der Abrechnung über placitum (Urteil, Prozess) noch einmal zusammenfassen. Die Zahlungen pro placito oder de placitis kommen in allen hier betrachteten Pipe Rolls in hoher Zahl vor. Sie erfolgten im Rahmen von Prozessen, die von Richtern im Auftrag des Königs durchgeführt wurden. Ein Charakteristikum, das zunächst gar nicht in den Rechnungen vorkam, dann vereinzelt auftrat und sich schließlich gegen die Alternative durchsetzte, bildet die Nennung der zuständigen Richter mithilfe der Präposition per : Wenn sich zum Beispiel ein Richter namens Thomas mit den Angelegenheiten des königlichen Forstes beschäftigte, wurde dies mit der Formulierung angezeigt: de placitis foreste per Tomam filium Bernardi.47 In der ersten erhaltenen Pipe Roll wurden die Namen der Richter nie mit per, sondern als Genitive an den Zahlungsgrund placitum angehängt. In den frühesten Rechnungen aus der Zeit Henrys II. bewegt sich der prozentuale Anteil der placitum-Nennungen, auf die die Präposition per und ein Name folgen, im einstelligen Bereich. In den 1170er und 1180er Jahren steigerte sich dieser Anteil auf gut ein Drittel. Entsprechend nahm die Alternative stark ab, die Namen der 47 PR 30 Henry II, S. 34, R3 m2r. Als weiteres Beispiel kann genannt werden: PR 20 Henry II, S. 95, R7 m2d: Idem vicecomes debet xliiij s et iiij d de Plac’ forest’ per Alan’ de Nevill’ et Socios suos.

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Richter als Genitiv zu placitum zu notieren. In den frühen Pipe Rolls folgte etwa auf ein Drittel der Urteilsnennungen die Angabe der Richter im Genitiv, in den letzten Jahrzehnten des Beobachtungszeitraums ist diese Art der Kennzeichnung kaum noch fassbar. Über das gute halbe Jahrhundert von 1130 bis 1184 wurde also stets circa ein Drittel der Prozesse mit dem Namen der Richter versehen, etwa in der Mitte des Zeitraums änderte sich jedoch die Art und Weise, auf die das geschah. Da die Prozessgründe ebenfalls als Genitivattribut zum Zahlungsgrund placitum notiert wurden,48 verringerte die Angabe der Richternamen mithilfe von per die Gefahr, Richter und Prozessgrund zu verwechseln. Diese Gefahr konnte in den Fällen bestehen, in denen Personen den Anlass für eine Auseinandersetzung oder Übereinkunft gegeben hatten. Manchmal wurden diese Personen explizit beispielsweise als Mönche oder Fälscher benannt, wodurch deutlich wird, dass es sich dabei nicht um die Richter handelte.49 Nicht eindeutig zuzuweisen sind die Fälle, in denen nur ein Name im Genitiv auf placitum folgt, etwa in der Formulierung de plac’ Henrici de Essex’.50 Nur aus der mageren Angabe pro placito G’ de Clint’ in der Pipe Roll lässt sich nicht erschließen, dass der königliche Schatzmeister, Kämmerer und Reiserichter Geoffrey of Clinton im Jahr 1129/30 den Prozess nicht führte, sondern selber angeklagt worden war.51 Nach dem Aufkommen der Möglichkeit, die Richternamen mit der Präposition per einzuleiten, wurde diese immer häufiger von den Schreibern der Pipe Rolls ausgewählt, wenn sie Abrechnungen über Prozesse zu notieren hatten. Daraus ergab sich der Effekt, dass die Richternamen nun nicht mehr in der gleichen syntaktischen Funktion standen wie die Gründe für den Prozess und die Verwechslungsgefahr damit geringer war. Da sich diese Bewegung schrittweise vollzog, lässt sich erst im Überblick über die gesamten fünfzig Jahre ihre Richtung erkennen und damit auch ihre Funktionalität analysieren. Der Rückbezug auf schon geschriebene Teile der Rechnung hingegen wurde immer seltener verwendet und verschwand schließlich ganz aus den Pipe Rolls. In der ersten erhaltenen Rechnung und der frühesten Rechnung aus der Zeit Henrys II. wurde noch circa ein Drittel der Prozesse einfach als »derselbe« (idem) bezeichnet.52 Im Folgenden verschwand der Rückbezug auf schon er48 Besonders häufig und in allen Pipe Rolls vertreten waren z. B. die Entscheidungen bezüglich des Waldes (pro placito foreste, de placitis foreste), da die königlichen Forste einer besonderen Gerichtsbarkeit unterlagen. Einen guten Überblick über die Grundlagen und die Funktionsweise der Forstverwaltung bietet Young, Royal Forests, S. 2 – 58. 49 Siehe z. B. PR 31 Henry I, S. 48, R5 m2r respektive S. 112, R12 m1r. 50 PR 2 Henry II, S. 31, R6 m2r. 51 PR 31 Henry I, S. 9, R1 m1d. Die Gründe für den Prozess bleiben auch in den narrativen Quellen unklar. Green vermutet, dass Geoffrey einigen Personen, insbesondere dem Earl of Warwick, zu einflussreich geworden sein könnte, siehe Green, Henry I, S. 207 f. 52 In der frühesten erhaltenen Rechnung, PR 31 Henry I, wurden in 28 Prozent der Fälle, in denen über einen oder mehrere Prozesse abgerechnet wurde, diese als »derselbe« bzw.

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folgte Urteile ganz aus den Pipe Rolls. Dabei erschließt sich nicht, warum bei den königlichen Verfügungen (brevia) immer häufiger,53 bei den Prozessen immer seltener darauf hingewiesen wurde, dass die gleiche Verfügung beziehungsweise Entscheidung bereits in der Rechnung genannt worden war. Den dritten Fall, in dem ein schon bestehendes Charakteristikum seine Häufigkeit stark ausbaut, bilden die Ortsangaben. Gegen Ende des Betrachtungszeitraums wurden immer häufiger die Orte angegeben, an denen die Prozesse stattgefunden hatten.54 Im Jahr 1183/84 wurde für siebzig Prozent der genannten placita ein Ort angeführt. Jedes Charakteristikum der Formulierung von placitum zeigt zwar einen unterschiedlichen Änderungsverlauf, jedes befand sich aber in der spätesten Rechnung des Betrachtungszeitraums in einem stabilen Zustand: In etwa dreißig Prozent der Posten, die die Zahlung für eine Entscheidung verbuchten, wurden die Namen der zuständigen Richter genannt, und zwar immer mithilfe der Präposition per, auf bereits genannte Prozesse wurde nie Bezug genommen, und für fast drei Viertel der Prozesse wurde der Ort angegeben, an dem das Urteil stattgefunden hatte.

4.1.3. Variation und Selektion Bei der zweiten Art von Wandlungsabläufen bildeten sich innerhalb des Untersuchungszeitraums Varianten heraus, von denen eine deutlich häufiger selektiert wurde als die anderen. Allerdings lässt sich kein eindeutiges Ergebnis dieses Prozesses feststellen. Das Stadium der Stabilisierung hatten diese Charakteristika der Rechnungssprache in den 1180er Jahren noch nicht erreicht. Die Anordnung der Abrechnungsphrasen auf der Pergamentseite etwa stand gegen Ende des Beobachtungszeitraums nicht vollständig fest. Speziell bei der Frage, wo die Bilanzformel Et debet (Und er schuldet) zu platzieren sei, existierten zwei Varianten nebeneinander, ohne dass sich bis 1184 eine der beiden Möglichkeiten durchgesetzt hätte. In den ersten Jahrzehnten der Regierungszeit Henrys II. setzen die Schreiber diese Schlussformel stets in eine neue Zeile. Die alternative Bilanzformel Et Quietus est (Und er ist quitt) stand jedoch immer am Ende der Zeile, mit etwas Abstand zu dem Einzahlungsvermerk In thesauro (Im Schatz). Die Quitterklärung und der Einzahlungsvermerk wurden auf einer Seite meistens an den Quitterklärungen und Einzahlungsvermerken der anderen »dieselben« bezeichnet (pro eodem placito, de eisdem placitis). In PR 2 Henry II findet sich außerdem die Formulierung de plac’ eiusdem bzw. de plac’ eorundem, die Urteile wurden also von denselben Richtern gesprochen. 53 Siehe Kapitel 4.1.2. 54 Ein Beispiel aus PR 30 Henry II, S. 42, R3 m2d: Idem vicecomes debet x s. et iij d. de placitis foreste de Cumberland’ […].

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Posten ausgerichtet, so dass alle Quitterklärungen und alle Einzahlungsvermerke auf einer Seite mehr oder weniger in Spalten untereinander standen. Zu Beginn der 1170er Jahre erschien der kleine Satz Et debet vereinzelt auf einer Höhe zwischen In thesauro und Et Quietus est (siehe Abb. 12). In den folgenden Jahren notierten die Schreiber Et debet immer häufiger dort, also gegen Ende der Zeile, ließen den Satz also nicht mehr in einer neuen Zeile beginnen. In der Selektion dieser neuen Anordnung von Et debet kommt eine gewisse Logik zum Ausdruck, denn dieser kleine Satz bildete die alternative Bilanzierungsformel zu Et Quietus est: Entweder der Rechnungsleger schuldete noch etwas oder er war aller Schulden ledig. Die Neuanordnung von Et debet zog weitere Veränderungen im Erscheinungsbild der Rechnung nach sich: Seit dem Ende der 1170er Jahre wurde graphisch zwischen den Fällen unterschieden, in denen ein Teil der geschuldeten Summe eingezahlt worden war, und den Abrechnungsvorgängen, in denen die gesamte Schuld beglichen worden war. Im ersten Fall folgte schon immer auf In thesauro und den entsprechenden Betrag die Formel Et debet mit dem jeweiligen Restbetrag, im zweiten Fall wurde In thesauro liberavit (Im Schatz [alles] eingezahlt) notiert und Et Quietus est bilanziert. Gegen Ende der 1170er Jahre bildete sich eine neue Anordnungsmöglichkeit heraus, die einerseits die parallele Stellung der beiden alternativen Einzahlungsbelege und der beiden alternativen Bilanzformeln betonte, andererseits die Verschiedenartigkeit zwischen beiden Fällen hervorhob: Die Formel In thesauro mit Betrag stand etwas weiter links als der Satz In thesauro liberavit, entsprechend wurde die Bilanz Et debet etwas weiter links notiert als die Quitterklärung Et Quietus est. Alle vier Formeln wurden aber an den jeweils gleichlautenden Phrasen in den übrigen auf der Seite befindlichen Posten ausgerichtet und standen deshalb in Spalten untereinander. Am Ende des Untersuchungszeitraums wurde diese Anordnung häufiger vorgenommen als die früher schon gebräuchliche Form, in der Et debet in einer neuen Zeile platziert und alle Einzahlungsbelege, gleich ob mit Betrag oder mit dem Verb liberavit, auf gleicher Höhe angeordnet wurden. Für den heutigen Betrachter wirkt die neue Ordinationsidee wie eine unmittelbar überzeugende Systematisierung der Abrechnungsniederschrift. Hätte es sich um einen bewussten Prozess der Angleichung der beiden Bilanzierungsfälle gehandelt, hätte sich wohl bereits in den ersten Jahren die neue Anordnung von Et debet durchgesetzt oder wäre zumindest deutlich häufiger genutzt worden. Stattdessen findet man die Erklärung über die Restschuld eines Rechnungslegers bis zur letzten hier betrachteten Pipe Roll nicht gerade selten auch in einer neuen Zeile. Die neue Anordnungsmöglichkeit kam auf und wurde in vielen Fällen der alten Variante vorgezogen. Die Begründung für diese Selektion liegt wahrscheinlich in der höheren Systematik, die der Aufbau eines Rechnungspostens damit gewinnt. Völlig durchgesetzt hatte sich das neue Ordinationsschema jedoch nicht; bis

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zum Ende des Betrachtungszeitraums hatte sich die Anordnung der Bilanzierungsphrasen nicht stabilisiert. Auch die graphische Gestaltung durch optische Hervorhebung folgte in den hier untersuchten Jahrzehnten zwar einer im Nachhinein erkennbaren Tendenz, auch hier lässt sich jedoch für die letzten betrachteten Pipe Rolls kein stabiler Zustand bestimmen. Im Rückblick über den gesamten Beobachtungszeitraum wird deutlich, dass an die Stelle der Gestaltung durch verschiedene Schriftgrößen und Kapitälchen die Anordnung in der Zeile tritt. In den frühesten Pipe Rolls wurden insbesondere die Erlassungsgründe graphisch hervorstechend markiert: Für jede Begründung, warum dem Schuldner ein Teil der geforderten Summe erlassen wurde, wurde eine neue Zeile begonnen; die Präposition in, die diese Begründungen einleitet, wurde in Kapitälchen gesetzt; stand vor dem in ein Et, wurde das E als Majuskel gestaltet. Im Zeitraum von 1156 – 1159 begannen alle diese Markierungen zu verschwinden (vergleiche das in vor den Erlassungsgründen in Abb. 5 mit dem in Abb. 6). Mit etwas Verzögerung stellten die Schreiber auch die Hervorhebung einiger Zahlungsgründe ein: In der Rechnung aus der Zeit Henrys I. und den ersten Jahren Henrys II. wurden manche häufig genannte Abgaben wie die Pacht (firma) oder das Dänengeld (danegeldum) bisweilen in Kapitälchen gesetzt. Jede Differenzierung innerhalb der Zahlungsgründe verschwand danach. Ebenso wurden die Hervorhebungen innerhalb der Beschreibung des Abrechnungsprozesses eingeebnet, so dass beispielsweise die Präposition In vor thesauro nicht mehr in Kapitälchen gesetzt wurde.55 Die Unterscheidung zwischen Zahlungs- und Erlassungsgründen einerseits und Abrechnungsphrasen andererseits wurde allerdings im Laufe der Zeit immer stärker betont. Wie oben bereits erwähnt, wurden in der Rechnung aus der Zeit Henrys I. der Einzahlungsvermerk In thesauro und die Bilanzierungsformel Et Quietus est mit etwas Abstand zum vorhergehenden Text notiert. Seit der Zeit Henrys II. richteten die Schreiber beide Formeln an den jeweils gleichlautenden Phrasen auf derselben Seite aus, so dass alle Einzahlungsvermerke und alle Bilanzierungsformeln gleichsam in Spalten untereinander standen.56 Die Überlegenheit dieser neuen Anordnung lag wohl darin, dass auf diese Weise diese beiden Komponenten der Rechnung dem Leser sofort ins Auge fielen.57 Insgesamt gesehen wurden die Hervorhebungen innerhalb einzelner Phrasen 55 Dies geschah allerdings erst knapp zwanzig Jahre nach dem Verschwinden der Hervorhebungen innerhalb der Zahlungs- und Erlassungsgründe. 56 Teilweise ist auf dem Pergament noch eine vertikale Liniierung zu erkennen, die am I von In thesauro und am E von Et Quietus est vorbeiläuft. Dennoch richteten die Schreiber nie ausnahmslos alle Einzahlungs- und Quittvermerke einer Seite an dieser Linie aus. 57 Wiederum handelt es sich bei diesem Leser vor allem um den Schreiber der nächsten Pipe Roll, siehe Kapitel 2.1.

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eingeebnet, wohingegen der Unterschied zwischen Abrechnungsphrasen und anderen Teilen der Rechnung stärker hervorgehoben wurde. Aus einer gestuften Hierarchie wurde eine bipolare Unterscheidung zwischen Abrechnungsgründen und den Teilen der Rechnung, die sich nicht auf den technischen Prozess der Verbuchung beziehen. Im Dunkeln bleibt, warum dieser Wandel sich vollzog, welche Funktionalitätskriterien die Selektion dieser Art von graphischer Gestaltung leiteten: Verweist diese Änderung auf eine zunehmende Wichtigkeit der Abrechnungsphrasen? Erleichterte die Neuerung den Schreibprozess? Oder kam sie einem genaueren Abrechnungsprozess zugute? Allerdings setzte sich auch in diesem Falle das neue Gestaltungsmuster nicht vollständig durch, beispielsweise standen die Einzahlungs- und Quittvermerke einer Seite nie alle untereinander. Die graphische Gestaltungsweise der Posten hatte sich demnach bis 1184 nicht zu einer festen Ordnung stabilisiert. Die Anrechnung von Almosen (elemosine), Zehnten (decime) und Zuwendungen (liberationes) erfolgte ebenfalls bis zum Ende des Betrachtungszeitraums in keiner völlig festgelegten Reihenfolge. Der Dialogus gibt eine feste Abfolge an, in der diese drei Ausgaben aufgeführt werden sollten, die der Sheriff im Namen des Königs getätigt hatte und deshalb von seiner Pachtsumme abziehen lassen konnte: Auf die Almosen hätten die Zehnten und darauf die Zuwendungen zu folgen.58 In der Praxis änderte sich die Anordnung der drei Ausgaben in einer Weise, die darauf schließen lässt, dass die Reihenfolge nicht autoritativ von oben festgesetzt wurde, sondern sich langsam herausbildete: In der Pipe Roll aus der Zeit Henrys I. wurden die drei Erlassungsgründe ähnlich häufig in der Reihenfolge Almosen – Zehnte – Zuweisungen angeführt, wie sie in anderer Abfolge notiert wurden. Nur ein Sheriff konnte alle drei Ausgabenarten von seiner Schuldsumme abziehen lassen; in diesem Fall sortierten die Schreiber die Zehnten vor die Almosen.59 Wenn ein Rechnungsleger nur zwei der drei Erlassungsgründe geltend machen konnte, wurden diese mehr oder weniger zufällig in eine Reihenfolge gebracht. Eine Regelmäßigkeit ist nicht erkennbar. In den ersten zehn Jahren der Regierungszeit Henrys II. verfestigte sich die Anordnung der Almosen vor den Zuweisungen. Im zweiten Jahrzehnt seiner Herrschaft traten die Erstattungsgründe zunehmend auch dann in der im Dialogus angegebenen Reihenfolge auf, wenn sie alle drei in einem Posten genannt wurden. In der Rückschau lässt sich erkennen, dass die im Dialogus angegebene Reihenfolge im Laufe der Zeit immer zahlreicher in den Rechnungen zu finden ist. Sie setzte sich jedoch nicht als alleiniges Ordnungsmuster durch, wie das der Dialogus suggeriert: Auch im 20. Regierungsjahr Henrys II. (1173/74) traten die drei Erlassungsgründe keineswegs ausschließlich in der Reihenfolge Almosen – 58 Dialogus I, 5, S. 79 und II, 6, S. 127. 59 PR 31 Henry I, S. 76, R8 m2r.

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Zehnte – Zuweisungen auf. Im letzten Jahrzehnt des Beobachtungszeitraums wurden die drei Ausgabenarten sogar wieder etwas häufiger in einer anderen Reihenfolge notiert.60 Es wirkt, als habe Richard of Ely, der Autor des Dialogus, den Prozess beobachtet, der bis in die Mitte der 1170er Jahre stattfand, und ihn solchermaßen fortgeschrieben, dass er die hauptsächlich vorkommende Reihenfolge zur Norm erklärte. Diese vom Dialogus antizipierte Weiterentwicklung ereignete sich in den Pipe Rolls jedoch nicht: Die Reihenfolge stabilisierte sich nicht, stattdessen nahmen die Variationen wieder zu. Eine weitere Form dieses Änderungsprozesses, der zwar in der Rückschau eine Richtung aufweist, die aber nicht in einen stabilen Zustand mündet, bildet die Verfestigung eines bereits bestehenden Charakteristikums. Die Varianten stellten hier keine antipodischen Alternativen dar, wie das etwa bei den Variationen S zu summa oder et debet gegen Ende der Zeile zu et debet in einer neuen Zeile der Fall war. Die Alternativen bestanden vielmehr aus der schwächeren oder stärkeren Ausprägung des gleichen Charakterzugs. So folgte etwa die Pachtzahlung firma stets auf die Präposition de und bezeichnete durchgehend eine Abgabe. Jedoch wurde der Abgabencharakter mit der Zeit verstärkt, indem immer häufiger eine Ortsangabe das Charakteristikum der Erhebungseinheit herausstellte, etwa indem expliziert wurde, dass eine Pachtzahlung aus London und Middlesex stammte.61 Ebenso bezeichnete liberatio nie etwas anderes als die Zahlung an einen Funktionsträger, die der Sheriff im Namen des Königs vornahm und sich deshalb auf seine Pachtschulden anrechnen lassen konnte. Im Laufe der Zeit wurde der Empfänger dieser Zuwendung immer häufiger nicht nur mit Namen genannt, sondern auch seine konkrete Funktion angegeben, etwa wenn der Hüter der königlichen Jagdhäuser in Gillingham entlohnt wurde.62 Seit den 1170er Jahren wurde zudem sporadisch auch die Dauer des verrichteten Dienstes vermerkt, wenn zum Beispiel sechs Wächter dafür bezahlt wurden, dass sie 37 Tage lang Gefangene auf dem Weg von Winchester nach Portchester bewacht hatten.63 Der Charakter einer Vergütung für eine bestimmte Tätigkeit 60 In der PR 20 Henry II stehen die Erlassungsgründe in insgesamt 96 Prozent der Fälle, in denen mindestens zwei von ihnen in einem Posten genannt werden, in der im Dialogus angegebenen Reihenfolge. Zehn Jahre später weisen nur noch achtzig Prozent diese Reihenfolge auf. 61 Willelmus filius Ysabelle redd. comp. de cc et xlviij l. et vij s. et iij d. blancorum de veteri firma de Lond’ et Middelsex’. PR 30 Henry II, S. 137, R10 m1d. In den ersten erhaltenen Rechnungen wurde zu etwa drei Viertel der Pachtzahlungen der Erhebungsort genannt, am Ende des Betrachtungszeitraums bleiben nur noch ein Zehntel der Posten über die Pacht ohne Ortsangabe. 62 Et in liberat’ Custod’ domorum Regis de Gillingeh’ […], PR 10 Henry II, S. 10, R1 m2d. In früheren Pipe Rolls wurde meistens nur ein Name, keine Funktionsbezeichnung angegeben, siehe etwa Et In Liberat’ Wilhelmi filii Ott’ […], PR 2 Henry II, S. 3, R1 m1r. 63 Et In liberationibus vj Vigilum qui custodiebant eos de xxxvij diebus […], PR 20 Henry II, S. 132, R10 m2r.

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bildete sich demnach stärker aus. Die Schreiber griffen im Laufe des Beobachtungszeitraums zunehmend öfter auf die Variante zurück, die den Charakter einer Abgabe respektive einer Entlohnung expliziter zum Ausdruck brachte. Jedoch setzten sie zu firma nicht immer eine Ortsangabe, zu liberatio nicht immer den Vermerk über die konkrete Funktion und Dauer hinzu. Auch ein fester Prozentsatz, mit dem diese Angaben getätigt worden wären, lässt sich nicht feststellen. Die beiden Alternativen einer schwachen und einer starken Ausprägung des Charakters von firma beziehungsweise liberatio bestanden nicht in einem festen Verhältnis zueinander. Als funktionaler Vorteil, der die Auswahl der jeweils präziseren Ausprägung bedingte, kann eventuell deren größere Eindeutigkeit genannt werden. Der gesamte Schreibstil der Rechnungen zeichnet sich dadurch aus, dass sich im Laufe der hier untersuchten Jahrzehnte die Verwendung von Konjunktionen und Gerundivkonstruktionen verstärkte. Beide sprachlichen Mittel wurden ausschließlich innerhalb der Zahlungs- und Erlassungsgründe verwendet. Relativpronomen dienten dabei der näheren Erläuterung eines Zahlungsgrundes, etwa wenn in der ältesten erhaltenen Pipe Roll erklärt wurde, dass das Land der Söhne eines Rechnungslegers deswegen eingezogen worden war, weil sie einen Lehnsmann umgebracht hatten: pro forisfactura filiorum suorum qui interfecerunt j hominem […].64 Das Gerundivum passt sich dem jeweiligen Substantiv im Zentrum eines Zahlungsgrundes an, so dass mit seiner Hilfe der Inhalt des Zahlungsgrundes verdeutlicht wird, ohne dass ein Nebensatz formuliert werden muss. So konnte zum Beispiel das Versäumnis eines Rechnungslegers, eine Brücke zu errichten, in die kurze Formulierung gegossen werden: pro defectu faciendi pontem.65 Nebensätze mit der Konjunktion ut stellten eine Alternative zu den Präpositionalkonstruktionen bei der Formulierung von Zahlungsgründen dar. Wenn ein Rechnungsleger für ein Land bezahlte, konnte das als pro terra, aber auch als ut habeat terram formuliert werden.66 Zahlungsbegründungen, die mit quia eingeleitet wurden, ersetzten hingegen keine Präpositionalgruppe. In der ersten erhaltenen Pipe Roll aus der Zeit Henrys II. zum Beispiel müssen die Einwohner von Bedford eine Strafe dafür zahlen, dass Bedford Castle bis zum Ende des Bürgerkriegs auf Seiten Stephens verblieb: quia fuerunt in Castello contra Regem.67 Sätze, die mit sed beginnen, stellen eine Art Erlassungsgrund dar. Die Rechnungsschreiber erklärten darin, warum der Rechnungsleger seine Schuld nicht begleichen konnte, zum Beispiel da er nichts

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PR 31 Henry I, S. 32, R3 m1d. PR 30 Henry II, S. 15, R2 m1r. Beispielsweise ut habeat terram de Abbatia sancti Eduardi. PR 31 Henry I, S. 21, R2 m1d. PR 2 Henry II, S. 22, R4 m1r.

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besaß und auch nichts bei ihm gefunden werden konnte: […] Sed nichil habet nec potest inveniri.68 Zwischen der einzigen Pipe Roll, die aus der Regierungszeit Henrys I. überliefert ist, und der ersten Pipe Roll für Henry II. lässt sich zunächst ein deutlicher Einbruch sowohl in der Häufigkeit als auch in der Vielfalt der verwendeten Konjunktionen und Relativpronomen zur Einleitung eines Nebensatzes erkennen. Sieben Konjunktionen, die in der Pipe Roll aus dem Jahr 1129/30 verwendet wurden, sucht man in der Rechnung für das Jahr 1155/56 vergeblich.69 Setzt man die Gesamtzahl der Nebensätze ins Verhältnis zur jeweiligen Postenanzahl der Rechnungen, so traten Nebensätze in der Pipe Roll von 1129/30 mehr als dreimal häufiger auf als in der Rechnung aus dem 2. Regierungsjahr von Henry II.70 Lediglich die Relativpronomen sowie die Konjunktionen quia, ut und sed wurden von Schreibern beider Pipe Rolls genutzt. Bis zur Rechnung aus dem 10. Regierungsjahr Henrys II. (1163/64) lässt sich lediglich eine leichte Erhöhung der Nebensatzverwendung konstatieren. Erst die weitere zehn Jahre später verfasste Pipe Roll weist wieder alle Konjunktionen auf, die bereits im Jahre 1129/30 verwendet wurden. Wieder ins Verhältnis gesetzt, formulierten die Schreiber dieser Pipe Roll aus dem 20. Regierungsjahr von Henry II. etwas mehr Nebensätze als diejenigen der Rechnung aus der Zeit Henrys I.71 Die Häufigkeit der Konjunktionen stieg in den folgenden zehn Jahren weiter an, so dass die Schreiber der Pipe Roll aus dem 30. Regierungsjahr von Henry II. fast doppelt so viele Nebensätze verwendeten wie ihre Vorgänger rund fünfzig Jahre zuvor.72 Die Relativpronomen und fast alle einzelnen Konjunktionen vollzogen diese Bewegung eines Rückgangs nach der Pipe Roll aus der Zeit Henrys I. und eines Wiederanstieg ab dem 2. Regierungsjahr Henrys II. mit einem besonders großen Sprung vor der Rechnung des Jahres 1173/74. Dabei erhöhte sich nicht nur die relative Häufigkeit von Nebensätzen, sondern auch die Unterschiedlichkeit der verwendeten Konjunktionen in der Zeit Henrys II. Analog dazu stieg die Nutzung von Gerundivkonstruktionen: In den Pipe Rolls aus den 1150er und 1160er Jahren wurden ungefähr dreimal so viele Gerundiva verwendet wie in der ersten erhaltenen Pipe Roll, in den Rechnungen der 1170er und 1180er Jahre erhöhte sich die Formulierung von Gerundivkonstruktionen noch einmal um ungefähr 68 PR 31 Henry I, S. 19, R2 m2r. 69 Dabei handelt es sich um die Konjunktionen quando, dum, quamdiu, postquam, antequam, donec und sicut. 70 Die Pipe Roll 31 Henry I umfasst 1.325 Posten, diejenige aus dem 2. Regierungsjahr von Henry II. lediglich 365 Posten. Entsprechend ist die Anzahl von 477 respektive vierzig Nebensätzen ins Verhältnis zu setzen. 71 Die Pipe Roll 20 Henry II besteht aus 1.036 Posten, in denen 406 Nebensätze formuliert wurden. 72 In der Pipe Roll 30 Henry II, die sich aus 1.694 Posten zusammensetzt, gibt es 1.070 Nebensätze.

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das Doppelte. Im Laufe der Zeit verwendeten die Schreiber immer mehr Nebensätze und Gerundivkonstruktionen anstelle der Präpositionalgruppen, um Zahlungs- und Erlassungsgründe zu beschreiben. Der funktionelle Vorteil und damit der Grund für die Auswahl dieser Alternative könnte darin bestanden haben, dass Nebensätze und Gerundivkonstruktionen ein variantenreicheres Ausdrucksmittel bildeten, man mit ihrer Hilfe gewandter formulieren konnte. Trotzdem verwendeten die Schreiber bis zum Ende des Beobachtungszeitraums weiterhin zahlreiche Präpositionalgruppen. Ein festes Verteilungsschema zwischen Präpositionalgruppen und den alternativen Nebensätzen und Gerundivkonstruktionen lässt sich nicht ausmachen. Man kann also nicht argumentieren, dass die Schreiber sich im Laufe der Zeit immer gewandter ausdrückten und die Postenstruktur konsequent verfeinerten. Der generelle Aufbau eines Postens blieb von der Einfügung von Nebensätzen ohnehin unberührt, da dieser Ausfaltungsprozess sich nur innerhalb der Zahlungs- und Erlassungsbegründungen abspielte.

4.1.4. Variation Die letzte Art von Änderungsprozessen der Rechnungssprache weist im Beobachtungszeitraum lediglich neue Variationen auf, von denen aber keine selektiert wurde. Diese neuen Variationen konnten entweder in jeder Rechnung auftreten und dabei in immer wechselnder Häufigkeit gebraucht werden. Oder sie kamen nur in einzelnen Rechnungen vor und blieben dabei stets selten, kehrten aber bis zum Ende des Beobachtungszeitraums immer wieder, verschwanden also bis 1184 nicht vollständig aus den Rechnungen. Zur ersten Unterart der Wandlungsprozesse gehört zum Beispiel die Häufigkeit der Verwendung von summa. Wie oben beschrieben, veränderte sich die Art der Gestaltung in eine erkennbare Tendenz von der Abkürzung Suma zum stilisierten S. Für die Häufigkeit, mit der in den Rechnungen eine solche Summe gezogen wurde, lässt sich jedoch keine Richtung nachzeichnen. In der ersten erhaltenen Rechnung trat summa sehr selten auf, wurde aber in der ersten Pipe Roll aus der Zeit Henrys II. sehr häufig notiert. Zehn Jahre später addierten die Schreiber einzelne Beträge wieder sehr selten auf. Eine Dekade später praktizierten sie die Addition erneut sehr oft, gaben aber in den folgenden zehn Jahren abermals sehr selten Summen an. Die Möglichkeit, Summen zu ziehen, war stets vorhanden, jedoch wurde in stets wechselnder Häufigkeit von ihr Gebrauch gemacht. Die Variation hatte sich ausgebildet, doch weder sie noch ihre Alternative – nämlich keine Summen zu ziehen – wurde konsequent ausgesucht und damit selektiert. Auf etwas höherem Abstraktionsniveau kann man auch die Bedeutungsver-

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änderungen mithilfe der Präpositionen unter diese Änderungsart zählen. Bedeutungsnuancen konnten sowohl ausdifferenziert und eingeschränkt als auch verfestigt werden. So erhielt etwa terra eine Bedeutungsnuance mehr, indem es nicht nur auf die Präposition pro, sondern auch auf de folgte. Umgekehrt lässt sich ebenfalls feststellen, dass die dominante Bedeutungsnuance schließlich zur allein gebrauchten Bedeutung avanciert, wie es etwa bei murdrum geschah. Genauso konnte die Differenzierung der Bedeutung aber auch bestehen bleiben, wie zum Beispiel bei placitum.73 Die Veränderung der Bedeutungsstränge lief keinem gemeinsamen Zielpunkt zu. Weder wurde ein Großteil der Lexeme mit vielfältigeren Nuancen versehen noch wurden diese umfassend verringert. Die Art der Bedeutungsveränderung weist also lediglich Variation auf. Ein Beispiel für eine Bedeutungsnuance, die immer wieder in einzelnen Rechnungen zutage tritt, liefert operatio. Genau wie opus in seiner frühen, konkreten Bedeutungsschattierung74 bezeichnete operatio allerlei Arbeiten an Bauwerken, die ein Sheriff im Namen des Königs durchführte und deren Kosten er von seiner Pachtschuld abziehen lassen konnte.75 Diese Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen des Sheriffs konnten im gesamten Beobachtungszeitraum mit operatio bezeichnet werden.76 In unregelmäßigen Abständen nahm operatio allerdings vereinzelt auch die abstraktere Bedeutungsnuance an, die opus in den späteren Pipe Rolls auszeichnete. So trat beispielsweise in der Pipe Roll aus dem Abrechnungsjahr 1163/64 in einigen Fällen lediglich der Genitiv Regis zur Erlassungsformel In Operatione.77 Der Leser erfährt damit nur, dass die Arbeiten für den König vorgenommen worden waren; was genau der Sheriff getan hatte, wurde nicht notiert. Einem Sheriff wurde Geld angerechnet, das er in Operatione Regis et aliis ejus serviciis ausgegeben hatte.78 Das Pronomen alius stellt in dieser Phrase eine Gleichrangigkeit her zwischen den Arbeiten für den König und anderen Diensten für ihn: servicia sind nur eine andere Form von operationes. Operatio umfasste also nicht alle diese anderen Dienste, bewegte sich damit nicht auf dem gleichen Abstraktionsgrad wie opus, wurde aber mit einer Nennung kumulierter Leistungen für den König auf eine Stufe gestellt. In der folgenden Pipe Roll aus dem 11. Regierungsjahr Henrys II. wurde operatio nicht in dieser abstrakteren Bedeutungsnuance verwendet; im wiederum folgenden Abrech73 74 75 76

Alle drei Beispiele wurden in Kapitel 4.1.2. genauer nachgezeichnet. Siehe oben, Kapitel 4.1.2. Siehe Kapitel 3.1.2.1. In der ersten erhaltenen Pipe Roll findet sich beispielsweise der Erlassungsgrund In Operatione Muri Civitatis de Caerliolio, PR 31 Henry I, S. 141, R14 m1d. In der spätesten hier untersuchten Rechnung wurde mehrfach angegeben, dass ein Sheriff einen Teil seiner Schuld bereits In Operatione Turris oder In Operationibus domorum Regis gezahlt habe. 77 Z. B.: Et In Operat’ Regis apud Clarend’ […], PR 10 Henry II, S. 14, R1 m2d. 78 PR 10 Henry II, S. 9, R1 m1d.

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nungsjahr 1165/66 tritt die Formulierung In Operationibus Regis wieder in der Rechnung auf.79 Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts der Regierungstätigkeit Henrys II. wurde nach operatio stets das konkrete Bauwerk angegeben, an dem die Arbeiten vorgenommen worden waren,80 bevor operatio im Jahr 1176/77 (23 Henry II) auch wieder unbestimmte Aufgaben im Namen des Königs bezeichnen konnte.81 Das Lexem operatio wurde demnach kontinuierlich für die Ausweisung konkreter Baumaßnahmen der Sheriffs verwendet. Daneben trat operatio in unregelmäßigen Einzelfällen als Synonym zum abstrakter verwendeten opus auf. Während sich die Bedeutungsschattierung von opus langsam, aber in der Gesamtschau deutlich von der Bezeichnung konkreter Baumaßnahmen zu der zusammenfassenden Nennung von diversen Aufgaben in königlichem Auftrag wandelte, änderte sich die Bedeutungsnuance von operatio in keine erkennbare Richtung: Manchmal trat die abstrakte Bedeutung zu der konkreten hinzu, jedoch lässt sich kein Schema erkennen, nach dem operatio solchermaßen als Synonym für opus verwendet worden wäre. Gleichermaßen nahm die Verwendung von operatio in abstraktem Sinne im hier betrachteten Zeitraum weder signifikant zu noch versiegte sie ganz. In unregelmäßigen Abständen zeigt sich auf den Pipe Rolls eine besondere Ordinationsform: Sehr kurze Posten wurden in zwei Blöcken nebeneinander geschrieben. Diese neue Art der Anordnung findet sich zuerst auf dem Rotulus 6 recto der Pipe Roll aus dem 8. Regierungsjahr Henrys II. (1161/62). Üblicherweise füllt ein Posten stets die volle Breite einer Zeile aus. Unter der Überschrift Nove Placite et Nove Conventiones nun wurden in der Pipe Roll 8 Henry II diese neuen Entscheidungen und Vereinbarungen in zwei Posten pro Zeile aufgeführt. Die Überschrift fungiert hier, im Gegensatz zu dem oben besprochenen üblichen Funktionsprinzip der Überschriften,82 tatsächlich wie eine Überschrift im heutigen Sinne, das heißt, sie fasst alle folgenden Posten zusammen. In diesen einzelnen Abrechnungseinheiten wird deshalb kein weiterer Zahlungsgrund genannt. Außerdem zahlten alle Schuldner die geforderte Summe komplett ein. Dadurch wurden die Posten sehr kurz und lauteten alle gleich.83 Deshalb war es möglich, zwei Posten pro Zeile zu notieren, ohne die Übersichtlichkeit zu vernachlässigen. Der Name des Rechnungslegers zusammen mit dem Verb reddit Compotum (er legt Rechnung) und dem geschuldeten Betrag sowie der Einzahlungsvermerk (in thesauro liberavit) wurden jeweils 79 Z. B. PR 12 Henry II, S. 116 und S. 117, R9 m1d. 80 Etwa In Operatione vinee, PR 21 Henry II, S. 85, R6 m2d, oder In Operatione turris in Castro, PR 22 Henry II, S. 90, R7 m1r. 81 PR 23 Henry II, S. 26, R2 m1d. 82 Siehe Kapitel 4.1.2. 83 Sie lauten alle lediglich: (Name des Rechnungslegers) reddit Compotum de (Betrag). In thesauro liberavit.

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Diachrone Veränderungen in den Pipe Rolls des 12. Jahrhunderts

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innerhalb beider Blöcke an den entsprechenden Phrasen in dem vorgehenden Posten ausgerichtet, so dass sich insgesamt vier Spalten über die Seite ziehen. Die Einheit all dieser Posten, die zusammen die neuen Entscheidungen und Vereinbarungen bilden, wird dadurch abgeschlossen, dass unter die letzte Zeile der beiden Blöcke der Satz Et Quieti sunt (Und sie sind quitt) gesetzt wurde. Der Plural verdeutlicht, dass sich die Quitterklärung auf alle vorher genannten Rechnungsleger bezieht. Der kleine Satz Et Quieti sunt markiert zugleich das Ende derjenigen Posten, die unter der Überschrift Nove Placite et Nove Conventiones zusammengefasst wurden. Auch wenn keine neue Überschrift folgt, wurde in den nächsten Posten, die wieder in herkömmlicher Art eine ganze Zeile ausfüllten, nicht mehr unbedingt über neue Entscheidungen und Vereinbarungen abgerechnet. Die Überschrift fungierte lediglich für den kleinen Absatz, in dem viele gleichlautende Posten kumuliert wurden, als zusammenfassende Angabe und damit als Überschrift im heutigen Sinne. Diese neue Art der Anordnung von zwei Posten pro Zeile wurde in einigen der späteren Pipe Rolls auf vereinzelten Rotuli angewandt. Weder lässt sich diese platzsparende Ordinationsmethode auf allen folgenden Rechnungen finden noch an allen Stellen, an denen kleine, gleichlautende Posten aufeinanderfolgten.84 Abbildung 14 zeigt, dass auf der Pipe Roll aus dem Jahr 1179/80 kurze Posten sowohl in Spalten als auch einfach ohne Abstand nacheinander aufgeführt wurden. Auch wurde die Anordnung in zwei Blöcken auf den späteren Pipe Rolls nicht häufiger angewandt als auf denjenigen aus der ersten Hälfte der Regierungszeit Henrys II. Die Möglichkeit, kleine Sätze in zwei Blöcken auf dem Pergament anzuordnen, wurde nicht kontinuierlich häufiger ausgewählt, sie wurde nicht selektiert. Die Blockstruktur verschwand aber auch nicht komplett wieder aus den Pipe Rolls. Demnach wurde ihre Alternative ebenfalls nicht ausschließlich präferiert, bei der kleine Sätze untereinander geschrieben wurden. Keine der beiden möglichen Funktionalitäten erwies sich offenbar als überlegen: Weder die höhere Systematik des Untereinanderschreibens noch die Platzersparnis der zwei Blöcke setzten sich vollständig durch. Bei der dritten Art von Änderungsprozessen lässt sich also kein Selektionsprozess feststellen. Variationen kamen auf, wurden aber nicht mit zunehmender Häufigkeit verwendet. Diese neuen Charakteristika der Rechnungssprache starben aber auch nicht wieder aus, das heißt ihre schon länger in Gebrauch befindlichen Alternativen wurden ebenfalls nicht konsequent als überlegen ausgewählt.

84 Im hier betrachteten Zeitraum wurde diese Ordinationsmethode neben dem beschriebenen Fall aus der PR 8 Henry II außerdem auf einzelnen Rotuli der Pipe Rolls 12, 13, 15 – 17 und 22 – 26 Henry II ausprobiert.

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4.2. Ein Modell unintendierten Wandels Über die in diesem Kapitel untersuchten drei Jahrzehnte veränderten sich also zahlreiche Komponenten der Rechnungssprache. Manche dieser Veränderungen setzten sich durch, manche verschwanden wieder. Bei einigen Komponenten war der Veränderungsprozess am Ende des Beobachtungszeitraums abgeschlossen, ein neuer Zustand hatte sich stabilisiert. Bei anderen lief er über die Grenze der untersuchten Zeitspanne hinaus. Das darwinistische Modell der Evolution beschreibt ebenfalls einen solchen Transformationsprozess mit den Stufen der Variation, der Selektion und der Stabilisierung. Deshalb eignet es sich am besten, um mit seiner Hilfe den Veränderungsprozess der Rechnungssprache zu modellieren und dadurch besser zu verstehen. Im Folgenden soll deshalb die Übereinstimmung zwischen darwinistischem Evolutionsmodell und den in den Pipe Rolls beobachteten Veränderungsprozessen beschrieben werden, die Legitimität eines solchen Vergleichs begründet und schließlich geschlussfolgert werden, welche weiteren Erkenntnisse die Inspiration durch ein Modell erbringt, das nicht aus der Geschichtswissenschaft stammt. Das vorangehende Kapitel hat ausführlich gezeigt, dass der Prozess von Variation, Selektion und Stabilisierung ein Modell für Veränderungen bietet, mit dem sich der Prozess der Wandlung einzelner Komponenten der Sprache der Pipe Rolls gut fassen lässt. Variation und Selektion bilden die Grundpfeiler jeder darwinistisch inspirierten Evolutionstheorie.85 In biologischen Theorien kommt als dritte Komponente die Vererbung hinzu.86 Bei der Anwendung auf historische Prozesse wird diese Verfestigung eines Wandlungsprozesses in Anlehnung an Luhmanns Theorie autopoietischer Systeme87 bevorzugt als Stabilisierung bezeichnet.88 Mit dieser Ersetzung entfällt die Notwendigkeit, einen Prozess zur Weitergabe zu konzipieren, der dem Mechanismus der biologischen Vererbung entspräche.89 Auch die veränderten Charakteristika der Rechnungssprache wurden nicht vererbt. Vielmehr wurden sie dadurch in die fol85 Gould, Panda’s Thumb, S. 186, bezeichnet den Prozess von Variation und Selektion als Grundprinzip des Evolutionsmechanismus. 86 Laut Müller, S. 13, gehört die Trias aus Variation, Selektion und Vererbung zum Allgemeinwissen über den darwinistischen Evolutionsmechanismus. 87 Da sich seine Werke selten ohne Bezugnahme aufeinander verstehen lassen, fällt es schwer, für ein Konzept Luhmanns eine konkrete Literaturangabe zu nennen. Ein zusammenhängendes Kapitel über die Evolution findet sich in Luhmann, Gesellschaft, Kapitel 1 – 3, S. 413 – 593. Auf dieses Kapitel wird in der Auseinandersetzung mit Luhmanns Evolutionstheorie häufig Bezug genommen, siehe etwa Müller, S. 168 – 194; Wortmann, S. 65 – 73 oder kritisch zusammenfassend Schmid. 88 So verfährt etwa Fögen in ihrer Beschreibung einer Theorie für die Evolution des Rechtssystems: Fögen, Rechtsgeschichte, S. 18. 89 Siehe hierfür Müller, S. 182.

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gende Pipe Roll aufgenommen, dass sie aus der vorhergehenden Pipe Roll abgeschrieben wurden. Deshalb spreche ich ebenfalls von Stabilisierung statt von Vererbung.90 Für das Auftreten von Variationen sind zwei Erklärungen denkbar, die sich nicht ausschließen müssen. Eine Pipe Roll entstand, grob gesagt, indem die Schreiber die Rechnungsrolle des vergangenen Jahres abschrieben und auf den aktuellen Stand brachten.91 Dabei konnten sie von der Vorlage entweder unbewusst oder bewusst abweichen.92 Die oben angeführten Beispiele lassen beide Möglichkeiten plausibel erscheinen: Es ist kaum vorstellbar, dass einem Schreiber bewusst wurde, dass er statt der in der alten Pipe Roll verwendeten Abkürzung libavit in der neuen Rolle libav geschrieben hatte. Wenn ein Schreiber aber kurze Posten in zwei Blöcken statt untereinander notierte, ist man geneigt, eine Entscheidung für diese neue Anordnungsart zu unterstellen. Dieser zweite mögliche Ursprung von Variationen, in dem die Schreiber neue Ideen zu Pergament brachten, widerspricht auf den ersten Blick einer darwinistischen Denkweise, in der Wandel nicht intendiert werden kann. Die Annahme einer bewusst herbeigeführten Veränderung liegt den meisten Erklärungsmodellen kultureller oder sozialer Evolution zugrunde, weswegen sie laut Müller eigentlich nicht als Evolutionstheorien im darwinistischen Sinne bezeichnet werden dürften, die alle auf einem mechanistisch ablaufenden Prozess gründen.93 Das Kriterium eines nicht vom Menschen gesteuerten Weitergabevorgangs bildet für Müller aber hauptsächlich deshalb eine der wesentlichen Grundannahmen einer Evolutionstheorie, da nur auf diese Weise die Unabhängigkeit von Variation und Selektion gewährleistet werden könne.94 Die variierende und die selektierende Instanz lassen sich bezüglich der Rechnungssprache zwar nur durch eine dünne Linie, aber dennoch eindeutig trennen: Der individuelle Schreiber löste durch seine Abschreibearbeit bewusst oder unbewusst Variationen aus, aber nur das überzeitliche Kollektiv der Rechnungs-

90 Wie in Kapitel 3.2.2. gezeigt wurde, lernten die Schreiber das Erstellen einer Pipe Roll mit Unterstützung ihres Mentors, hier zeigt sich also durchaus eine individuelle Komponente der Weitergabe. Im vorliegenden Kapitel stehen jedoch die Veränderungen der Sprache der Pipe Rolls im Fokus. Es geht also um genau die Facetten der Rechnungssprache, die die Schreiber abwandelten. Die Schreiber lernten zwar zumindest implizit bestimmte Regeln, wie eine Pipe Roll zu erstellen sei, kaum eine dieser Regeln erwies sich jedoch als unveränderlich. 91 Siehe Kapitel 2.1. 92 Diese Unterscheidung wird am Ende von Kapitel 4.2. genauer dargelegt. 93 Müller. Auf S. 263 – 279 fasst er dieses Argument zusammen. Gould regt deshalb an, kulturelle Evolution als lamarckistisch zu erfassen. Der Lamarckismus geht davon aus, dass Eigenschaften bewusst, aktiv angeeignet und anschließend vererbt werden können, Gould, Panda’s Thumb, S. 77 – 84. 94 Müller, S. 263 f.

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schreiber mehrerer Jahrzehnte entschied über deren Selektion.95 Dieses Kollektiv darf dabei keinesfalls als Gruppe von Menschen verstanden werden, die jemals an einem konkreten Ort zusammengekommen wären und gemeinsam eine bewusste Entscheidung getroffen hätten. Vielmehr besteht es aus den Wechselwirkungen, in die die bewussten und unbewussten Einzelentscheidungen der Schreiber über die Zeit hinweg miteinander traten. Über den Erfolg oder das Aussterben einer Änderung entschied kein individuelles oder kollektives Bewusstsein. In der biologischen Evolutionstheorie fungiert die Natur als bewusstseinslose Selektionsinstanz. An ihre Stelle tritt im vorliegenden Fall das diachrone Schreiberkollektiv. Deshalb lässt sich feststellen, dass der Selektion in der Rechnungssprache kein von einem Individuum gesteuerter Prozess zugrundelag. Die Anordnung kurzer Posten in zwei Blöcken etwa erscheint, wie oben erwähnt, wie eine sinnvolle Idee, um den Platz auf dem Pergament auszunutzen. Diese Idee setzte sich aber in der Folgezeit nicht durch, sie wurde nicht selektiert. Das diachrone Kollektiv der Schreiber beurteilte die Funktionalität der neuen Anordnungsmöglichkeit offenbar nicht als überlegen. Dieses Urteil entsprang dabei gerade keinem expliziten gemeinsamen Entscheidungsprozess, sondern ergab sich aus der Summe der Entscheidungen über die Auswahl oder Nicht-Auswahl neuer Alternativen, die über die Zeit getroffen wurden. Die Änderung der Sprache erfolgte, in Anlehnung an Foucault formuliert, intentional, aber nicht subjektiv : Auch wenn eine einzelne Veränderung eventuell mit bestimmten Zielsetzungen implementiert wurde, resultiert der Gesamtprozess doch nicht aus der Wahl oder Entscheidung eines individuellen Subjekts.96 Obwohl von Individuen ausgelöst, erfüllt der Veränderungsprozess der Rechnungssprache damit das Kriterium, das Müller für einen evolutionären Änderungsverlauf nennt:97 Wenn man die Sprache der Pipe Rolls bis zu einem gewissen Zeitpunkt untersucht, ermöglicht das keine Prognosen darüber, wie sich die Sprache über diesen Zeitpunkt hinaus verändern wird. Wenn man beobachten kann, wie mit den zwei Blöcken eine neue und auf den ersten Blick funktionale Anordnungsidee aufkam, kann man daraus eben nicht den Schluss ziehen, dass diese Art der Ordination in den folgenden Pipe Rolls immer häufiger zu finden wäre. Die Selektion wurde demnach nicht von einem Individuum gesteuert. Die Veränderungsprozesse der Rechnungssprache lassen sich also nicht nur als Abfolgen von Variationen, Selektionen und Stabilisierungen fassen, zudem unterschieden sich Variations- und Selektionsinstanz. Das darwinistische Evolutionsmodell und 95 Unter Kollektiv soll hier einfach die Gesamtheit der über die Zeit beteiligten Rechnungsschreiber gemeint sein. Diese verschiedenen Schreiber kooperierten bei der Abfassung einer Pipe Roll nicht, sie arbeiteten höchstens nebeneinander her. 96 Solchermaßen charakterisiert Foucault Machtstrukturen: Foucault, Wille, S. 116. 97 Müller, S. 189 und S. 192.

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die Veränderungen der Sprache der Pipe Rolls ähneln sich demnach auch in diesem Punkt. Nichtsdestotrotz bedarf die Inspiration durch Modelle aus ganz anderen Fachbereichen immer einer besonderen Rechtfertigung, auch wenn der Quellenbefund sehr gut zum Beschreibungsmodell passt. Ganz generell wird die Anwendung von Begriffen und Themen aus der biologischen Evolutionstheorie auf soziale Phänomene häufig kritisch beurteilt. In jüngster Zeit formulierten zwei Dissertationen von Stephan Müller und Hendrik Wortmann die Skepsis gegenüber solchen Versuchen. Entweder werde die Eigenartigkeit des Sozialen vernachlässigt, indem soziale Prozesse zwanghaft mit biologischen gleichgesetzt würden,98 oder die Komplexität der biologischen Evolutionstheorie werde nicht ausreichend gewürdigt, indem oberflächliche Analogien gezogen und Forschungskontroversen zwischen Verfechtern verschiedener Evolutionstheorien nicht genügend berücksichtigt würden.99 Die Gretchenfrage für die Anwendung evolutionärer Modelle in den Geistes- und Sozialwissenschaften liegt darin, inwiefern die Veränderung kultureller Phänomene dem Prozess biologischer Evolution gleicht.100 In diesem Kapitel wurde allerdings gar nicht versucht, eine ganze Evolutionstheorie des Sozialen zu entwerfen.101 Nicht die Entstehung einer Gesellschaft oder anderer komplexer Systeme stand zur Erklärung an, sondern lediglich Veränderungsprozesse innerhalb einer speziellen Sprache. Aus zwei Gründen erscheint eine Beschreibung analog zu einzelnen Bestandteilen der Evolutionstheorie trotz aller Kritik an einem ähnlichen Vorgehen102 in diesem Zusammenhang hilfreich: Erstens kann der Veränderungsprozess der Rechnungssprache auf diese Weise von möglichen Gegenmodellen abgegrenzt und seine Funktionsweise deshalb stärker konturiert werden. In der Geschichtswissenschaft gibt es keine bipolare Trennung zwischen evolutionären Konzepten auf der einen und undifferenzierten Beschreibungen jedweden Wandels auf der anderen Seite, wie sie Müller impliziert, wenn er anmerkt, dass eine Theorie sozialer Evolution gescheitert sei, wenn »der Begriff Evolution dem der Ent98 Ebd., z. B. S. 11. 99 Wortmann, S. 8 f., formuliert: »Ein Großteil der sozialwissenschaftlichen Ansätze versucht, […] die Erklärungsleistung evolutionären Denkens nutzbar zu machen, ohne dabei der konzeptuellen Komplexität dieser Perspektive ausreichend Tribut zollen zu wollen.« 100 Eine Diskussion darüber führen Fracchia u. Lewontin gegen Runciman, siehe Fracchia u. Lewontin, Culture; Runciman, Culture; Fracchia u. Lewontin, Price; Runciman, Rejoinder. 101 Allein die Systemtheorie insbesondere Luhmanns hält Müller, S. 181, für konform mit einer darwinistischen Evolutionstheorie, da aufgrund der geschlossenen Systeme die Unabhängigkeit von Variation, Selektion und Restabilisierung gewährleistet sei. Ein ähnliches Konzept für die Entstehung autopoietischer Systeme entwickelte Stichweh, Wissenschaft. 102 Wortmann, S. 11, stellt sich die Frage, warum überhaupt versucht werde, eine Evolutionstheorie des Sozialen zu entwerfen, obwohl doch alle Versuche bisher großenteils gescheitert seien.

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wicklung nichts mehr voraus« habe.103 Aus einer evolutionstheoretischen werde eine »nur geschichtliche« Perspektive.104 Zweitens bildet genau diese »geschichtliche Perspektive« natürlich das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit. Die Beschreibung und Analyse der Veränderungsprozesse in der Rechnungssprache ermöglicht Schlussfolgerungen über die Art der Arbeit mit dieser Fachsprache und damit Rückschlüsse auf die Wirkung ihrer Verwendung. Andere Vorstellungen über den Ablauf historischen Wandels können demnach helfen, die Konsequenzen genauer zu fassen, die sich aus den beobachteten Wandlungsprozessen ergeben. Die Abgrenzung gegenüber dem Gegenmodell der Intentionalität stellt die entscheidende Konturierung dar, die mithilfe der Anleihen an die Evolutionstheorie vorgenommen werden kann. Wie oben ausgeführt, erfolgte höchstens auf der Ebene der einzelnen Schreiber eine bewusste Entscheidung für die Implementierung einzelner Variationen. Der Schreiber konnte jedoch nicht beeinflussen, ob und in welcher Form sich seine Idee durchsetzte. Aus der Perspektive des Schreibers blieb vollkommen unklar, was in drei, zehn oder hundert Jahren aus seinem Plan werden würde. Nur wenn ein längerer Zeitraum in der Rückschau betrachtet wird, kommt die Richtung zum Vorschein, in die sich die Sprache der Pipe Rolls insgesamt bewegte. Die Wandlungen der Rechnungssprache hätten nicht vorhergesagt werden können; sie folgten keinem großen Plan. Mit der Idee der Intentionalität fällt auch die Vorstellung eines teleologischen Prozesses mit prognostizierbarem Ziel. Das Gegenmodell einer bewusst auf ein Ziel hin geplanten Entwicklung verfocht vor allem die frühere Verwaltungsgeschichte. Die entsprechende Narration führte meist einzelne Kriterien auf, die für den Weg zu einer »modernen« Verwaltung als notwendig beurteilt wurden, und gab jeweils an, zu welchem Zeitpunkt diese Schritte gegangen worden waren.105 Insbesondere in der Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Verwaltung wird dieses Fortschrittsmodell bisweilen auch heute noch angewandt.106 Die Verwaltungsforschung der Frühen Neuzeit hat demgegenüber insbesondere in ihrer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung von solchen teleologischen Erzählungen Abstand genommen.107 Inspiration durch die Evolutionstheorie zu erhalten, rechtfertigt sich deshalb damit, dass sie hilft, die empirischen Daten, die aus den Pipe Rolls gewonnen Müller, S. 11. So formuliert er bei seiner Kritik an der Theorie der Memevolution in ebd., S. 69. Siehe Kapitel 1.1. So orientiert sich Hesse in seiner Arbeit über die lokale Verwaltung in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg ebenfalls an Errungenschaften wie getrennten Kassen oder einem Abhörsystem, z. B. S. 102 – 106. In einer Einführung in die europäische Geschichte des Spätmittelalters wird die Verwaltung Friedrichs II. auf Sizilien als »modern« und »zukunftsweisend« charakterisiert. Dirlmeier u. a., S. 219 f. Kölzer, S. 290, nennt Sizilien »fortschrittlich«. 107 Becker, Überlegungen, insbesondere S. 312, S. 315 f. und S. 335.

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wurden, so zu interpretieren, dass eine überzeugendere Antwort auf die Frage nach dem Ablauf der Transformationsprozesse in der königlichen Verwaltung des 12. Jahrhunderts gegeben werden kann: Nicht Henry I. und Henry II. als geniale Verwaltungsstrategen planten den Umbau der englischen Verwaltung, sondern kleine Veränderungen in der Verwaltungsroutine initiierten Transformationen, deren langfristigen Verlauf niemand geplant und beabsichtigt hatte. Die Evolutionstheorie hilft, die Implikationen des hier beschriebenen Wandels zu erfassen: Die Entstehung der Fachsprache in den Pipe Rolls wurde von niemandem initiiert, folgte keinem Plan, war auf kein Ziel ausgerichtet. Dieses Beschreibungsmodell ähnelt der Methode, die Foucault für historische Beschreibungen formuliert hat, nämlich der Genealogie.108 Aus der Feststellung ungeplanter und nicht zielgerichteter Veränderungen ergibt sich eine weitere Implikation: Wenn sich Veränderungen unintendiert vollzogen, können sie nicht von oben angeregt worden sein. Auch in der heutigen Forschung über die englische Verwaltung gibt es Tendenzen, Innovationen in der Administration auf herrscherliches Handeln zurückzuführen. Green schließt ihre Monographie über die Regierung unter Henry I. mit der Bemerkung, das Verwaltungssystem habe, um zu funktionieren, Henrys »qualitites of leadership« benötigt.109 Warren bezeichnet den Aufbau einer Verwaltung als »greatest achievement« Henrys II.110 Auch im Jahr 2000 schrieb White jegliche Impulse bei der Entwicklung der Verwaltung der Anwesenheit Henrys II. zu.111 Die Analyse der Wandlungsprozesse in der Rechnungssprache fördert aber zutage, dass die einzelnen Veränderungen sich nicht nur unintentional vollzogen, sondern sich auch in ganz unterschiedlichen Zeiträumen innerhalb der untersuchten dreißig Jahre abspielten. Hätte nur eine entscheidende Figur, der König oder einer seiner obersten Verwalter, die Veränderungen angestoßen, so müsste sich eine gewisse Häufung von Wandlungsbewegungen in einer bestimmten Phase feststellen lassen. Die oben dargestellten Veränderungsprozesse in der Sprache der Pipe Rolls verteilten sich aber über den gesamten Beobachtungszeitraum. Das heißt nicht, dass jeder einzelne Wandlungsablauf dreißig Jahre dauerte, sondern dass sich in jedem beliebigen Jahr mehrere Komponenten der Rechnungssprache änderten.112 Es gibt keine Pipe Roll, die im Ver108 Foucault, Nietzsche. So nimmt es nicht Wunder, das Sarasin das genealogische Denken als wichtige Gemeinsamkeit im Denken Darwins und Foucaults ausgemacht hat: Weder biologischer noch historischer Wandel verliefen demnach gesetzmäßig, geplant oder zielgerichtet. Sarasin, Darwin. Die Zusammenfassung dieses Arguments findet sich auf S. 415 f. 109 Green, Government, S. 218. Ähnlich schreiben Hollister u. Baldwin die Neugestaltung alter und die Schaffung neuer Verwaltungsstrukturen Henry I. zu, siehe Hollister u. Baldwin, S. 867. 110 Warren, Henry II, S. 149. 111 White, Restoration, S. 10. 112 Aus den oben ausgeführten Analysen ergeben sich u. a. folgende Beispiele: In PR 4 Henry II

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gleich mit ihrer Vorgängerin keine Neuerungen aufweisen würde. Zugleich lässt sich aber auch keine Rechnung finden, die sich in besonders vielen Merkmalen von derjenigen des Vorjahres unterscheiden würde. Gleichermaßen liefen in keinem einzelnen Zeitraum beliebig vieler Jahre signifikant mehr Änderungsprozesse ab als im Rest des Beobachtungszeitraums.113 Weder die Anwesenheit Henrys II. in England noch gesetzgeberische Maßnahmen114 wie der Erlass der Constitutions of Clarendon 1166 noch die Einsetzung von Richard of Ilchester und Ranulf of Glanvill als Justiziare um 1180 zeigten eine entscheidende Wirkung auf die Gestalt der Rechnungen.115 Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass der König oder andere wichtige Personen am Hof in vermittelter Weise auf die Rechnungssprache einwirken konnten. Das Klima am Hofe Henrys II. mag von den vielen Personen ganz unterschiedlichen Hintergrunds in einem gleichsam innovationsfreundlichen Sinne geprägt worden sein,116 was die Möglichkeit des Auftretens von Variationen gesteigert haben könnte. Auch Maßnahmen wie zum Beispiel die Abschaffung von Abgaben wie dem Dänengeld wirkten sich natürlich auf die Sprache der Pipe Rolls aus. Wie oben jedoch beschrieben, führte selbst solch eine eindeutige Aktion wie der Verzicht auf das Erheben einer bestimmten Abgabe nicht zu einer unmittelbaren Reaktion in der Sprache der Pipe Rolls: Das Dänengeld verschwand erst langsam aus den Rechnungen. Vermittelt immer durch die Schreiber, konnte der König durchaus Anstoß zu einzelnen Variationen geben, genauso wie der individuelle Schreiber

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wurden die Überschriften zentriert und die Hervorhebung der Erlassungsgründe eingeebnet. In PR 9 Henry II erfolgte ein Schritt der Ausbildung der Reihenfolge Almosen – Zehnte – Zuwendungen, und das S begann sich durchzusetzen. In 14 Henry II befand sich der Abstand zwischen den einzelnen Bestandteilen des Satzes Et Quietus est im Wachstumsprozess, zugleich traten bisweilen zwei Blöcke statt untereinander geschriebener Sätze auf. In PR 22 Henry II wurde das Dänengeld zum letzten Mal genannt, die Namen von Richtern wurden häufiger mit per statt mit Genitiv an placitum angehängt und Konjunktionen und Gerundivkonstruktionen wesentlich häufiger benutzt als bisher. In den 1150er Jahren verschwand z. B. der Rückbezug bei placita, Überschriften fanden zu einer neuen Form, Erlassungsgründe wurden nicht mehr hervorgehoben. In den 1160ern prägte u. a. terra eine neue Bedeutungsnuance aus, neue Überschriften traten auf, Sed-Sätze setzten sich durch. In den 1170ern wurde etwa die Et debet-Phrase manchmal neu platziert, Nebensätze wurden wesentlich häufiger verwendet, eine neue Abkürzungsmöglichkeit für liberavit kam auf. In den 1180ern fielen beispielsweise die Hervorhebungen innerhalb der Abrechnungsphrasen weg, breve wurde immer häufiger mit einem Rückbezug versehen, Summen wurden wieder seltener errechnet. Die Etablierung eines ausgeprägten Systems von Verfügungen bewirkte vielmehr die Entstehung eines ausdifferenzierteren Rollensystems, wie Kapitel 4.4. beschreibt. Leider kann diese These nicht für den wohl berühmtesten Verwalter des 12. Jahrhunderts überprüft werden, da aus der Zeit Rogers of Salisbury nur die eine PR 31 Henry I erhalten ist. Ebenso kann dem Einfluss seines Neffen Nigel nicht nachgegangen werden, da dessen Wirken unter Henry II. ungefähr zeitgleich mit der regelmäßigen Überlieferung der Pipe Rolls einsetzt, der Zustand vor dem Beginn seines Wirkens also nicht rekonstruiert werden kann. Siehe dazu auch Vincent, Court.

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hatte er aber keinen Einfluss auf den langfristigen Selektionsprozess. Der König handelte natürlich, und die Auswirkungen dieses Handelns lassen sich zum Beispiel in der Höhe der Einnahmen greifen. Für die Sprache der Pipe Rolls und damit den Ablauf der Abrechnungsprozesse stellt die königliche Initiative aber lediglich eine Variation dar, die auch nicht selektiert oder im weiteren Verlauf überformt werden konnte. Wenn die Veränderung der Verwaltungsstrukturen als unintentional bezeichnet wird, so bedeutet dies, dass die Intention eines königlichen Akts nicht übereinstimmen musste mit dessen Wirkung.117 Ob das Gegenmodell des direkten Einflusses eines Königs, Fürsten oder Verwalters zu der Analyse von Verwaltungsquellen anderer Regionen oder Zeiten passen würde, entzieht sich meiner Beurteilung: Die Forschung hat solche Quellen noch nicht daraufhin analysiert, welche Wandlungsprozesse sich in ihrer Sprache ausmachen lassen. Die Sekundärliteratur sollte nur mit Vorsicht für eine Beurteilung von Veränderungen herangezogen werden, denn auch für das England des 12. Jahrhunderts wird, wie gerade zitiert, der königliche Einfluss auf die Änderung der Verwaltung bisweilen fälschlicherweise sehr hoch eingeschätzt. Hinweise auf die entscheidende Rolle etwa von Philipp Augustus von Frankreich,118 Friedrich II. auf Sizilien119 oder diversen Kanzlern und Landrentmeistern im wettinischen Territorium120 müssten deshalb zunächst anhand der Quellen überprüft werden.121 Dem steht allerdings die Überlieferungssituation entgegen, denn nur für die englische Verwaltung setzte bereits im 12. Jahrhundert eine lückenlose Überlieferung der Abrechnungen ein.122 Da aus 117 Die Möglichkeiten für intentionales Handeln sollen also nicht bestritten, sondern in den richtigen Rahmen eingepasst werden, wie es ähnlich auch Jussen im Hinblick auf die Wahl eines angemessenen Beschreibungsvokabulars aufzeigt, Jussen, Diskutieren, S. xix. In einem anderen Zusammenhang – der Reorganisation notarieller Archive im Kirchenstaat des 18. Jahrhunderts – bringt Friedrich das Verhältnis von Intention und Effekt auf den Punkt: »Yet, once they were founded, archives immediately functioned in entirely unintended ways.« Friedrich, Archives, S. 464. 118 Baldwin. 119 Der Artikel von Kölzer bietet eine einzige Aneinanderreihung der Taten Friedrichs II., der die von seinen Vorgängern zerrütteten Verwaltungsstrukturen wiederaufgebaut habe. 120 Z. B. bei Schirmer, S. 311 – 326. 121 Interessanterweise findet sich der personengeschichtliche Zugriff selten in der Forschung zur päpstlichen Verwaltung. Eventuell wird das Papsttum des Mittelalters als transpersonale Einheit angesehen. 122 Aus dem 12. Jahrhundert wurden zwar zwei Rechnungen aus Flandern überliefert, aber nur einzelne Exemplare aus dem Jahre 1140 respektive 1187. Eine einzelne französische Rechnung aus der Krondomäne stammt aus dem Jahr 1223. Italienische Kaufmannsrechnungen sind aus dem 12. Jahrhundert in etwas größerer Zahl erhalten, umfassen jedoch z. B. im Falle Pisas auch nicht mehr als zehn Jahre (1120 – 1130). Aus dem Reich haben sich in langer Serie hauptsächlich Stadtrechnungen und klösterliche Abrechnungen erhalten, so z. B. Kämmereibücher aus Hamburg (1349 – 1500) oder die Rechnungsbücher des Klosters Aldersbach (1291 – 1361). Aus den Territorien sind meistens Zusammenstellungen ver-

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anderen Regionen Europas sehr wenige serielle Finanzdokumente aus dem Mittelalter erhalten geblieben sind,123 kann eine vergleichende Analyse kaum erstellt werden. Für die Verwaltungsgeschichte jüngerer Zeiten könnte man beispielsweise die Implementierung neuer Formulare als Gegenmodell zu dem hier beschriebenen graduellen Wandel aufstellen, da zu vermuten steht, dass sich die Sprache und Anordnung der Rechnungen auf diese Weise in größeren Schritten sprunghafter änderten. Jedoch bliebe auch hier genauer zu untersuchen, inwieweit zwischen verschiedenen Formularen tatsächlich entscheidende Unterschiede und nicht eher inkrementelle Übergangsformen festgestellt werden könnten.124 Nur der Deutlichkeit wegen sei betont, dass eine solche Form der Veränderung in Phasen mit dazwischenliegenden Stagnationszeiten keinen grundsätzlichen Widerspruch zu einer Theorie evolutionären Wandels darstellt.125 Dass in den Pipe Rolls in ganz unterschiedlichen Zeiträumen Veränderungen beobachtet werden können, bildet deshalb kein Argument für das Vorliegen eines evolutionären Prozesses, sondern ein Gegenargument gegen die Vorstellung, eine Einzelperson könnte den langfristigen Wandel geplant haben. Der evolutionäre Charakter ergibt sich hingegen daraus, dass für die verschiedenen Komponenten der Rechnungssprache Prozesse der Variation, Selektion und Stabilisierung beobachtet werden können. Die Sprache der Pipe Rolls befand sich also ständig im Fluss, keine Zeitspanne verging ohne Änderungen in der Gestaltung der Rechnung. Das bestätigt eine weitere Implikation, die sich aus dem nicht-intentionalen Charakter des Veränderungsprozesses ergibt: Die Sprache der Rechnungen konnte nicht mithilfe eines Lehrbuchs gelernt werden. Formelle oder informelle Regeln zur Abfassung einer Pipe Roll waren im Moment ihrer Aufstellung schon überholt, da die nächstfolgende Rechnung wieder andere Charakteristika aufwies. In Kapitel 3.2.1. wurde gezeigt, dass der Dialogus nicht als Anleitung zum Rechnungsschreiben verwendet worden sein konnte, da zahllose Differenzen zwischen den Regeln dieses Werks und den konkreten Pipe Rolls ins Auge stechen. schiedensten administrativen Schriftguts erhalten, die zwar insgesamt einen langen Zeitraum umfassen können, aber wenig vergleichbare Stücke enthalten, so z. B. die Sammlung der Rechnungen, Inventare, Güter- und Zinsverzeichnisse der Herrschaft Landskron aus den Jahren 1242 – 1500. Eine gute Sammlung der bisher edierten Rechnungen verschiedenster Provenienz betreibt die computatio-Homepage von Otto Volk, www.computatio.de. 123 Nur aus Katalonien sind zumindest für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum (1179 – 1213) regelmäßige königliche Abrechnungen erhalten: Bisson, Fiscal Accounts. 124 Becker legt dar, dass sich Formulare und ihre Funktion ebenfalls evolutionär veränderten, und spricht deshalb von der »Genealogie des Formulars«, siehe Becker, Formulare, S. 284 – 290. 125 Diese Art des Ablaufs von Veränderungen könnte beispielsweise gut mit dem Modell der punktuellen Gleichgewichte erfasst werden, das Eldredge u. Gould formulieren. In welcher Geschwindigkeit evolutionärer Wandel abläuft, wird unter Gradualisten, Saltationisten und Punktualisten in der Evolutionstheorie diskutiert, siehe Wuketits, S. 82 – 93.

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Die Analyse des Veränderungsprozesses der Rechnungen hebt nun zusätzlich hervor, dass es ein solches Lehrbuch gar nicht hätte geben können. Die stete Veränderung der Rechnungssprache machte es unmöglich, Regeln aufzustellen, die für mehr als eine Pipe Roll Gültigkeit besaßen. Da der Verfasser eines solchen Buches ja nicht absehen konnte, welche Charakteristika der neuen Rechnung sich von den bisher bekannten unterscheiden würden, konnte er auch nicht beurteilen, welche Eigenschaften sich nicht ändern würden. Erst in der Rückschau lassen sich manche Regelmäßigkeiten erkennen, die sich zumindest im Laufe des Mittelalters kaum veränderten, wie etwa die Platzierung von Et Quietus est (Und er ist quitt) am rechten Rand des Blattes. Die Niederschrift einzelner Charakteristika der Rechnungssprache, wie sie im Dialogus geschah, führte auch nicht dazu, dass in den folgenden Rechnungen weniger Variationen auftraten. Die Angabe einer einzuhaltenden Reihenfolge von Almosen, Zehnten und Zuwendungen beispielsweise bewirkte nicht, dass diese Erlassungsbegründungen in den folgenden Pipe Rolls tatsächlich in dieser Abfolge genannt wurden. Auch wenn der Dialogus vom Leiter des Schatzamts verfasst worden war, wurden seine Angaben nicht als Vorgaben interpretiert. Der Änderungsprozess der Sprache entzog sich jeder Fixierung. Beide Erklärungsmodelle für Verwaltungshandeln, die in der Forschung üblicherweise angegeben werden, trafen demnach für die Pipe Rolls nicht zu: Weder persönlicher Antrieb noch die Orientierung an einer Norm regelten die Veränderungsprozesse innerhalb der Rechnungssprache.126 Stattdessen entspricht der Änderungsverlauf einem evolutionären Vorgang. Die Veränderungen, die die Rechnungssprache durchlief, gleichen den Veränderungen, die die Evolutionstheorie beschreibt. Die Inspiration durch die Evolutionstheorie hilft dabei, die Vorstellung eines von oben vorgegebenen Wandels beiseitezulegen. So wie die Evolutionsgeschichte auch ohne die Vorstellung eines Schöpfergottes erklärt werden kann, funktioniert die evolutionäre Verwaltungsgeschichte ohne einen König oder obersten Verwalter als quasi-göttlichen Impulsgeber. In der Evolutionstheorie organisiert das Universum sich selbst und braucht dazu keinen Gott mehr, nach dem hier herausgearbeiteten Modell organisierte sich die Fachsprache selbst und wurde nicht von einem König, einem Lehrbuch oder 126 So bewegte sich beispielsweise die Forschung über die Verwaltung Friedrichs II. auf Sizilien weg von der Annahme, die Konstitutionen von Melfi hätten den sizilischen Verwaltern eine normative Richtschnur vorgegeben, die auch tatsächlich beachtet worden sei. Stattdessen hätten Erfahrungen und Bedürfnisse des Herrschers die Arbeit der Verwaltung geprägt. Siehe Reichert, S. 23. Eine Passage aus der oben bereits genannten Einführung in die spätmittelalterliche Geschichte bringt die Ansicht auf den Punkt, dass entweder Personen oder normative Vorstellungen jedes Verwaltungshandeln prägten: »Zeittypisch« seien im Sizilien Friedrichs II. »die Personen im Amt mittelfristig gegenüber normativen Vorstellungen von höherer Bedeutung« gewesen. Dirlmeier u. a., S. 220.

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einer sonstigen Autoritätsfigur geformt und verändert.127 Entsprechend kann der Veränderungsprozess der Fachsprache der Pipe Rolls auch als selbstorganisierend bezeichnet werden.128 Solche selbstorganisierenden Systeme bilden seit längerem einen Gegenstand nicht nur soziologischer Analysen, denn als Systeme ohne Zweck und Ziel außerhalb ihrer selbst bilden sie ein geeignetes Denkmodell für die Betrachtungsweise evolutionärer Prozesse.129 Der Veränderungsprozess der Fachsprache der Pipe Rolls kann zusammenfassend als selbstorganisierend charakterisiert werden. Die Abrechnungsabläufe in der englischen Verwaltung zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein inneres Änderungsvermögen besaßen. In der hier untersuchten englischen Verwaltung bildete diese Fähigkeit ein Gegengewicht zu der Abgrenzungsfunktion der Fachsprache, die im ersten Analysekapitel besprochen wurde. Trotz dieser Abgrenzung erstarrte die Sprache nicht, da innerhalb des engen Zirkels der Rechnungsschreiber viel Raum für Variationen bestand. Die Fachsprache wirkte zwar abgrenzend, ihr Änderungsvermögen verhinderte jedoch, dass sie in Starre verfiel. Insofern kann man den evolutionären Änderungsprozess als funktional überlegen gegenüber anderen Veränderungsformen bezeichnen: Der Raum für Variationen beugte der Verkrustung vor. Ein weiterer Vorteil lag in den geringen Kosten, die diese Form der Änderung mit sich brachte: Variationen, die sich auf lange Sicht nicht als sinnvoll erwiesen, wurden einfach nicht selektiert. Die Fehlerbehebung erwies sich deshalb als unkompliziert. Die Begriffe Evolution und Intentionalität werden in der Forschung so vielfältig benutzt, dass im Folgenden kurz klargestellt wird, in welcher Weise sie in dieser Studie verwendet werden. Der folgende Abschnitt besitzt für die Argumentation nur insofern eine Relevanz, als deren Begrifflichkeiten genauer verortet werden. Wer sich also nur für die Argumentationslinie interessiert, möge sich mit folgenden Definitionen begnügen und anschließend zum nächsten Kapitel weiterblättern: Evolution meint hier eine a priori ungerichtete Bewegung, deren Richtung erst ex post erkannt werden kann. Als unintentional werden die hier beobachteten Prozesse deshalb beschrieben, weil die Folgen des Handelns nicht den Absichten der Handelnden entsprechen. Der Begriff der Evolution nimmt in der deutschen Geschichtswissenschaft geradezu eine Spezialbedeutung an, die sich weder in der englischen oder 127 Die Überwindung des Schöpferglaubens beschreibt Wuketits als Grundlage evolutionären Denkens. Wuketits, S. 29. 128 Einen historischen Rückblick auf alle Stränge der Selbstorganisationsforschung bieten Paslack u. Knost. Die soziologische Ausprägung beschreiben Küppers u. Krohn. Relevanz besitzen vor allem die Autopoiesiskonzepte von Luhmann und Stichweh. 129 So bezeichnet Stichweh, Selbstorganisation, S. 265, die Teleologie als Gegenbegriff zur Selbstorganisation. Dieser Aufsatz entspricht dem Kapitel 2 seiner Monographie über die Entstehung der modernen Wissenschaft: Stichweh, Wissenschaft.

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französischen Forschung noch in der Biologie finden lässt. Das verweist auf ein grundsätzliches Problem bei der Übertragung von neuen Beschreibungsmodellen in andere Disziplinen: Um ein neues Modell anwenden zu können, muss die Fachsprache der Disziplin gelernt werden, in der es bisher hauptsächlich verwendet wurde. Im eigenen Anwendungsgebiet kann diese Sprache angepasst werden, so dass sich eventuell ein Dialog über Fachgrenzen hinweg ergibt, der zu einer gemeinsamen Fachsprache führt.130 Die Bezeichnungen »Entwicklung« und »Evolution« führen deutlich vor Augen, dass eine solche gemeinsame Sprache für die Erforschung von Transformationen nicht existiert. In der biologischen Evolutionstheorie wohnt dem Ausdruck »Entwicklung« keinerlei lineare oder teleologische Konnotationen inne,131 für einen Teil der Geschichtswissenschaft aber scheinen solche Vorstellungen darin zu kulminieren. Diese Historiker, wie etwa Fögen, verwenden »Evolution«, wenn sie auf die Unintentionalität einer Veränderung hinweisen wollen.132 »Entwicklung« kann aber vergleichbar zur Verwendungsweise in der Biologie auch als Oberbegriff für Veränderungen eingesetzt werden.133 Das Verb »entwickeln« wird ebenfalls nicht gemeinhin als teleologisch konnotiert angesehen.134 »Evolution« wird auch in der Geschichtswissenschaft teilweise in dem gleichen Sinne benutzt, für den die Biologie die Bezeichnung »Entwicklung« wählt, nämlich als übergeordneter 130 Collins u. a. beschreiben diese Prozesse anhand von sogenannten »trading zones«. Wenn zwei Disziplinen kommunizieren, bilden sich solche trading zones als Zonen des sprachlichen Austausches zwischen beiden Bereichen aus. Je nach der Dominanz einer der beiden Disziplinen und der gemeinsamen Arbeit an der entstehenden Sprache setzt sich entweder die eine Fachsprache auch in der anderen Disziplin durch oder es entstehen unterschiedlich intensive Formen von Mischsprachen. Die einfachste Form einer solchen Sprache bezeichnen Collins u. a. als »jargon«, eine komplexere als »pidgin«, eine wirklich gemeinsame Sprache als »creole«. Letztere sehen sie in der Biochemie verwirklicht. Weniger theoretisch und wesentlich konkreter weist schon Burke, Social History, S. 17, darauf hin, dass Historiker die Sprache etwa von Ethnologen oder Linguisten lernen müssten, um eine Sozialgeschichte der Sprache zu beschreiben. Es bleibe abzuwarten, ob dabei eher ein »pidgin« oder ein »creole« entstehe. 131 Auch in seiner Auseinandersetzung mit sozialen Evolutionstheorien behält Müller deshalb den Ausdruck »Entwicklung« als allgemeine Beschreibung für jeglichen Wandel bei, von dem Evolution nur eine Subform darstellt. Deshalb kann er z. B. bezüglich der mangelnden Trennschärfe sozialer Evolutionstheorien formulieren: »Evolution meint dann nur noch Entwicklung.« Müller, S. 279. 132 Fögen, Rechtsgeschichte, S. 17 und Fögen, Römische Rechtsgeschichten, insbesondere S. 15 f. 133 Bei Zwierlein, hier S. 424, etwa erscheint die kulturelle Evolution als ein »Teil der allgemeine[n] kulturwissenschaftliche[n] Modellierung der Entwicklungsformen«. Die Evolution stellt den Teil der Entwicklungsformen dar, der von »synchronen und diachronen Hiaten bzw. Diskontinuitäten geprägt« ist. 134 Siehe etwa bei Rexroth, der formuliert, »dass die Angehörigen der Universitäten […] einen ganzen Fundus von Verhaltensweisen, Werten und Deutungsmustern entwickelten«. Rexroth, Kulturgeschichte, S. 11.

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Name für alle Arten von Veränderungen.135 Auch im Englischen impliziert die Verwendung von »evolution« nicht, dass darunter ein Prozess von Variation und Selektion verstanden werden soll.136 Vielmehr kann »evolution« eine teleologische Konnotation enthalten, wohingegen »development« im gleichen Sinne verwendet wird wie »Entwicklung« bei den Biologen, nämlich als Bezeichnung für alle möglichen Arten von Veränderung.137 Michel Foucault wendet sich gegen die Nutzung des Begriffs »¦volution« für unintentionale Vorgänge, da der evolutionäre Prozess der Entstehung einer Art linear und stetig vonstattengehe.138 Joseph Fracchia und R. C. Lewontin kritisieren die Kulturhistoriker dafür, dass sie Evolutionstheorien anwendeten, um die Zukunft voraussagen zu können.139 Verschiedene Disziplinen und Sprachen verwenden selbst dieses Grundvokabular also völlig unterschiedlich. Historiker sollten sich entsprechend darüber bewusst sein, dass sie nicht automatisch die Vorstellung eines ungesteuerten, nicht-linearen Transformationsprozesses hervorrufen, sobald sie das Wort »Evolution« verwenden. In der Biologie existieren auch Evolutionsmodelle, die Wandel nicht als kontinuierlichen, graduellen Prozess, sondern als Phasen abrupter Veränderung modellieren: Eine transformative (»transformational«) Evolutionstheorie beschreibt zwangsläufige, vorbestimmte Entwicklungen.140 Zudem beschäftigt sich die Evolutionstheorie nicht ausschließlich mit der Frage nach den Faktoren und der Art von Veränderungsprozessen.141 In die deutsche Geschichtswissenschaft wird das Konzept allerdings gerade deshalb gern übertragen, weil es ein Vehikel zu bieten scheint, gegen die geschilderten Traditionen vorzugehen, die intentionalem Handeln und zwangsläufig erscheinenden Entwicklungslinien eine große 135 So beschreibt z. B. Patze, S. 12, die bloße Zunahme von Schriftlichkeit als deren »Evolution«. Auch Schneidmüller u. Weinfurter, S. 11, legen dar, dass die »Entwicklung« von Ordnungskonfigurationen nicht linear erfolgt sei. Entwicklung impliziert bei diesen Autoren also nicht notwendigerweise Linearität. 136 Obwohl etwa Richardson den Prozess der Entstehung von Rollen aus einzelnen Zetteln als »natural process of evolution« beschreibt, deutet nichts darauf hin, dass er dahinter einen evolutionären Prozess im Sinne der Biologie verstanden sehen möchte. Richardson, Introduction, S. xlix. 137 Mann, S. 531, bezeichnet »social evolution« als eine der »Truly Grand Theories of Society«, die einen »teleological outcome« vorhersage. Dagegen benutzt er »development« für jegliche Art der Veränderung ohne teleologische Konnotation. 138 »Rien qui ressemblerait — l’¦volution d’une espÀce«, Foucault, Nietzsche, S. 152. 139 Fracchia u. Lewontin, Culture. 140 Ebd., S. 60. 141 Wuketits, S. 12, nennt als weitere Hauptfrage der Evolutionstheorie diejenige nach dem Grad der Verwandtschaft zwischen den einzelnen Evolutionsstufen. Wortmann, S. 13, stellt fest, dass neben der Identifikation evolutionärer Mechanismen auch das Einwirken der Umwelt auf soziale Phänomene oder die Verwobenheit der sozialen Welt Themen bilden, die die Anwendung evolutionärer Beschreibungsmodelle auf den sozialen Wandel motivieren.

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Rolle einräumen. Auch Fracchia und Lewontin räumen ein, dass historische Prozesse mithilfe von Variation und Selektion modelliert werden können, sehen darin aber keinen Erkenntnisfortschritt.142 Aus der innergeschichtswissenschaftlichen Perspektive aber lässt sich ein Vorteil solch einer Neumodellierung historischer Prozesse feststellen: Auf diese Weise kann ein explizites Gegenmodell zu latenten Forschungstraditionen entworfen werden. Auch in der vorliegenden Studie half Evolutionstheorie, die Ergebnisse der sprachlichen Analyse zu erklären, indem sie ein Modell unintendierten Wandels bereitstellte, dessen Richtung sich erst im Nachhinein erkennen ließ. Als zweites möchte ich kurz erläutern, in welchem Sinne ich den Begriff der Intentionalität verwende. Intentionalität meint hier nicht ganz allgemein jede Ausrichtung des Geistes auf ein Objekt oder einen Zustand, sondern nur eine bestimmte Form einer solchen weit gefassten Intentionalität, nämlich die Absicht.143 Oben in diesem Kapitel wurde gezeigt, dass die Veränderungen der Pipe Rolls nicht auf die Absicht eines Königs oder obersten Verwalters zurückgeführt werden können. Die Schreiber der Rechnungen hingegen handelten natürlich mit Absicht. Worauf richtete sich diese Absicht aus? Searle unterscheidet zwei Arten von Absichten: Man kann planen, etwas zu tun (»prior intentions«), oder man kann versuchen, es tatsächlich auszuüben (»intention-in-action«).144 Searle gibt das Beispiel, dass ich mir vornehmen kann, zum Kühlschrank zu gehen und ein Getränk zu nehmen (»prior intention«). Eine weitere intentionale Handlung geschieht, wenn ich tatsächlich aufstehe und zum Kühlschrank gehe (»intention-in-action«). Bisweilen könne man »intentions-in-action« ohne vorherige »prior intention« beobachten, etwa wenn man in Gedanken versunken vom Schreibtisch aufspringe und herumlaufe. Manche Abwandlungen der bisherigen Schreibweise, die die Rechnungsschreiber zu Pergament brachten, entsprangen wohl solchen intentions-in-action ohne vorherige Planungen, zum Beispiel wenn ein Schreiber eine neue Abkürzung für ein altbekanntes Wort verwendete. Die Absicht hinter dieser Handlung bestand also lediglich in dem Versuch, ein Wort in einer anderen abgekürzten Form zu notieren. Die Erfüllung dieser Absicht lag entsprechend einfach darin, dass sie die neue Abkürzung niederschrieben. Die Idee, kurze Posten in zwei Spalten anzuordnen, kam den Schreibern hingegen wahrscheinlich nicht erst, wenn sie den Griffel schon in der Hand hielten. Sie dürften sich wohl die vielen kurzen Posten auf der alten Pipe Roll angesehen und überlegt haben, dass es platzsparend sein könnte, sie neben- statt nur untereinander anzuordnen. Die Er142 Fracchia u. Lewontin, Price. 143 Zu der Unterscheidung zwischen Intentionalität und Absicht (intentionality und intention) siehe Searle, S. 25. 144 Ebd., S. 33.

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füllung dieser Absicht ist dementsprechend darin zu finden, dass die Schreiber tatsächlich mehrere Spalten aufs Pergament setzten und dadurch Platz einsparten. Aus diesen Absichten resultierten Langzeitfolgen, die in Kapitel 4.6. zusammengestellt werden: Die Rechnungssprache wurde zum Beispiel exakter und präziser. Insgesamt lässt sich eine Verfestigung der Selbstreproduktionsfunktion und damit eine Stabilisierung der Abrechnungsstrukturen zur Organisation Exchequer konstatieren. Diese Langzeitfolgen lagen aber nicht in der Absicht der Rechnungsschreiber. Wie oben gezeigt, wurden Änderungen immer wieder verworfen oder setzten sich erst über mehrere Jahre und Jahrzehnte hinweg durch. Ein klares Programm zur Veränderung der Rechnungssprache verfochten die Pipe Roll-Schreiber ganz offensichtlich nicht. Sie handelten zwar mit Absicht und insofern intentional. Die Entstehung des Exchequer bildete zudem eine Langzeitfolge dieser Absichten. Absichten der Schreiber und Entstehung des Exchequer standen also in einem kausalen Zusammenhang, trotzdem erfüllte sich in der Herausbildung des Exchequer nicht eine Absicht der Schreiber.145 Niemand hatte die Absicht, ein Schatzamt zu errichten.

4.3. Synchrone Ausdifferenzierungen in den verschiedenen Verwaltungsrollen des 12. Jahrhunderts 4.3.1. Vorgehen bei der Analyse der Ausdifferenzierungen Die Sprache der Rechnungen veränderte sich aber nicht nur über die Zeit. Auch ihre Anpassungsfähigkeit an verschiedene Kontexte, an unterschiedliche Umgebungen lässt sich beobachten. In der Biologie wird dieses Phänomen der Anpassung an eine neue Umwelt unter dem Aspekt der Diversifizierung einer

145 Auch bei Searle, S. 34 – 37, werden Langzeitfolgen zwar von Handlungen verursacht, stellen aber keine Erfüllung der Absichten hinter diesen Handlungen dar. Gerber versucht, die Intentionalität historischen Wandels zu betonen, indem sie diesen kausalen Zusammenhang zwischen Absicht und Langzeitfolgen betont, hier z. B. S. 495. Damit richtet sich ihr Werk allerdings gegen eine Position, die man in der Geschichtswissenschaft wohl ohnedies vergeblich sucht: Niemand dürfte wohl behaupten, dass die Absichten historischer Subjekte überhaupt keine Rolle für den Ablauf der Geschichte spielten, umstritten ist allerdings, welche Wirkmächtigkeit man individuellen Absichten einräumt. Von größerem Interesse für die Erklärung von Transformationsprozessen scheint mir die weiterführende Frage, wie der Zusammenhang zwischen individueller Intention und unbeabsichtigten Folgen modelliert und verstanden werden kann, was hier mithilfe der Evolutionstheorie versucht wurde.

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Synchrone Ausdifferenzierungen in den verschiedenen Verwaltungsrollen

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Art untersucht.146 Die Geschichtswissenschaft steht vor dem Problem, dass sich ihre Untersuchungsobjekte selten so trennscharf erfassen lassen, dass die Ausformungen eines spezifischen Phänomens in unterschiedlichen Umgebungen beobachtet werden könnten. Komparatistische Untersuchungen stehen damit immer vor der Aufgabe der Definition und Abgrenzung des zu studierenden Objekts.147 Dieses Problem wird dadurch verstärkt, dass in verschiedenen historischen Umgebungen stets so viele unterschiedliche Faktoren auf das Untersuchungsobjekt einwirken, dass eine Trennung zwischen Ursache und Wirkung häufig nur schwer vorgenommen werden kann: Wenn man in zwei verschiedenen Umwelten zwei ähnliche Erscheinungen beobachtet, handelt es sich dann um das gleiche Phänomen in unterschiedlichen Umgebungen, die auf das Untersuchungsobjekt so stark einwirken, dass es sich völlig anders gewandet dar146 Wuketits, S. 12, bezeichnet die Frage nach der Verwandtschaft der Arten miteinander als eine der großen Fragen jeder Evolutionstheorie. 147 Diese Aufgabe muss den komparatistisch arbeitenden Historikern nicht unbedingt bewusst vor Augen stehen. In seiner Einleitung zu einem jüngeren Sammelband zur vergleichenden europäischen Geschichte streift Borgolte, insbesondere S. 23 f., das Thema z. B. nur implizit. Die Untersuchungsobjekte bezeichnet er wenig spezifisch als »Größen« oder »historische Sachverhalte«. Wie begründet werden kann, dass eine bestimmte Größe eine bestimmte Größe ist und keine andere, erwähnt er nicht. Die Aufgabe der Bereitstellung von vergleichbaren Einheiten erlegt er vielmehr den nationalen Geschichtswissenschaften auf, die »in Detailstudien Ergebnisse zutage fördern [sollen], zu denen sich in anderen Regionen Analogien oder abweichende Befunde ermitteln lassen.« Die Unterschiedlichkeit, die also zwei Größen der gleichen Art zu zwei Größen macht und sie nicht zu einer verschwimmen lässt, liegt bei Borgolte stets in der Geographie. Zwei Größen können verglichen werden, sobald sie sich in zwei verschiedenen Ländern oder Regionen befinden oder befanden. Es bleibt fraglich, inwieweit sich ein solches komparatistisches Vorgehen von einem schlichten internationalen Fokus unterscheidet. Die Grenzen einer in dieser Weise vergleichenden Geschichtswissenschaft scheinen in Borgoltes Aufsatz bereits auf, wenn er bemerkt: »Schon die Beziehungsnetze ergeben bei allen Wechselbeziehungen untereinander eigene europäische Größen.« Als Beispiele nennt er die Straßennetze oder den Handel. Den Handel zweier benachbarter Regionen könnte man schwer vergleichen, da beide übergangslos ineinander übergingen. Eine »eigene europäische Größe« entstünde. Wie kann diese Größe aber noch ein Objekt einer komparatistischen Forschung darstellen, wenn sie gar kein Gegenüber mehr hat, mit dem sie verglichen werden könnte? Wie unterscheiden sich europäische oder globale von transnationalen oder internationalen Phänomenen? Das gleiche Problem, ein Untersuchungsobjekt zu erfassen, kommt auch in dem Vorwurf an die vergleichende Geschichtswissenschaft zum Ausdruck, den Geary im folgenden Beitrag zitiert: Der vergleichende Zugriff nivelliere und trivialisiere die Einzigartigkeit des Vergangenen. Diese Klage habe ihren Ansatzpunkt darin, dass die Komparatistik sich nicht gleichen oder vergleichbaren Objekten zuwende, sondern Themen oder »Sachverhalte« so lange abstrahiere, bis sie gleich oder vergleichbar würden. Häufig entstünden so abstrakte Kategorien wie etwa »Modelle vom Königtum« oder »kulturelle Produktion«, die einer nicht-anachronistischen Untersuchung zu unterziehen eine Herausforderung darstellen dürfte. Siehe insbesondere S. 30 und 37. Platt gesagt, verändert die vergleichende Analyse auch die analysierten Objekte und nicht nur, wie gern betont wird, unseren Blick auf sie.

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stellt als sein Äquivalent in einem anderen historischen Kontext? Oder – beziehungsweise ab welcher Intensität der Unterschiedlichkeit – muss von zwei verschiedenen Phänomenen gesprochen werden? Die Volkswirtschaftslehre und andere experimentelle Wissenschaften kleiden diese Herausforderung in die Bedingung des ceteris paribus. Sie sagt aus, dass aus der Veränderung einer Rahmenbedingung nur dann Kausalschlüsse gezogen werden dürfen, wenn alle anderen Rahmenbedingungen gleich bleiben. Diese Bedingung lässt sich in Versuchsanordnungen oder den Gedankenexperimenten der Volkswirtschaftler und der experimentell arbeitenden Naturwissenschaftler erfüllen, in der Vielfalt historischer Multikausalität jedoch kaum je finden.148 Die immens detaillierte Überlieferung aus der englischen Verwaltung allerdings macht es möglich zu verfolgen, wie sich das Phänomen der Rechnungssprache in neuen Umgebungen veränderte. Aus der englischen Verwaltung des 12. Jahrhunderts sind weitere Rollen erhalten, die wahrscheinlich von der gleichen Gruppe von Schreibern geschrieben wurden, die auch die Pipe Rolls zu Pergament brachten. Schreiber, Zeitraum und Anordnungsprinzip blieben gleich, nur der Abfassungskontext und damit die Umwelt der Niederschrift veränderten sich. Damit bietet sich die seltene Gelegenheit, die Veränderung eines Phänomens bei Wandlung der Umwelt und Beibehaltung aller weiteren Einflussfaktoren zu beobachten. In diesem Kapitel soll zunächst nur untersucht werden, ob eine Anpassung an die andere Umgebung festgestellt werden kann, anders gesagt: ob die Rechnungssprache nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Anpassungsfähigkeit bewies. Erst im folgenden Kapitel wird auf den Inhalt der Unterschiede eingegangen, wenn auch der Inhalt der diachronen Veränderung der Sprache der Pipe Rolls diskutiert wird. Um festzustellen, ob sich die Verwaltungssprache an unterschiedliche Umgebungen anpasste, müssen logischerweise Differenzen zwischen der Sprache der Pipe Rolls und der Sprache anderer Dokumente gefunden werden. Zugleich muss sichergestellt werden, dass sich diese anderen Dokumente nicht aus an148 Deshalb scheitern Volkswirtschaftler regelmäßig daran, historische Prozesse zu erklären, da sie stets versuchen, sie auf eine Anzahl von Variablen herunterzubrechen. Je genauer diese Modelle jedoch die vorgefundenen Umweltbedingungen und die angenommenen Änderungsfaktoren zu erfassen suchen, desto komplizierter werden die zur Erklärung aufgestellten Gleichungen. Am Ende steht für jeden untersuchten Fall eine eigene Gleichung, die die je speziellen Wirkfaktoren und Rahmenbedingungen erfasst. In diesem Stadium unterscheiden sich Geschichtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre dann hauptsächlich durch die Art der Beschreibung der Kausalzusammenhänge und Erkenntnisprobleme. So arbeitet z. B. jede Studie, die die Wahl eines bestimmten Wechselkursregimes erklären will, mit anderen Kriterien und kommt entsprechend zu verschiedenen Ergebnissen. Diese Art der Forschung handelt sich in den Wirtschaftswissenschaften die Kritik ein, ergebnislos zu bleiben, so Juhn u. Mauro. In der Geschichtswissenschaft ist der Verweis auf je unterschiedliche Einflussfaktoren hingegen völlig legitim.

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deren Gründen von den Pipe Rolls unterschieden. Deshalb müssen die Pipe Rolls mit Schriftstücken verglichen werden, die erstens aus einer ähnlichen Zeit stammten und zweitens potenziell von den gleichen Menschen geschrieben worden sein können wie die Pipe Rolls. Damit rücken alle anderen königlichen Verwaltungsdokumente aus dem 12. Jahrhundert in den Fokus. Eine strikte Aufteilung von Aufgaben innerhalb der Verwaltung hatte zu dieser Zeit noch nicht stattgefunden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die gleichen Leute, die an einem Tag eine Pipe Roll aufsetzten, am nächsten Tag eine Charter niederschrieben. Ein Teil der Verwaltungsbediensteten befand sich zwar regelmäßig beim König, wohingegen ein anderer Teil in Westminster installiert blieb. Der erstere Kreis von Menschen wird in der Literatur zumeist als Kanzlei bezeichnet.149 Jedoch trennte keine Schranke beide Gruppen von Bediensteten strikt voneinander, personelle Überschneidungen waren keine Seltenheit.150 Das zeigt sich schon daran, dass der Kanzler, das heißt mithin das Haupt der Kanzlei, nach der Darstellung Richards of Ely an den fast immer in Westminster stattfindenden Abhörungssitzungen zumindest nominell teilnehmen sollte.151 Die jeweiligen Bediensteten wurden im 12. Jahrhundert nicht einer Arbeitsstelle, sondern einem Menschen zugeordnet und wechselten entsprechend die Funktionen, wenn die Position ihres Dienstherrn sich änderte: Gegen Ende des 12. Jahrhunderts lässt sich zum Beispiel fassen, dass Hubert Walter seine Bediensteten nicht wechselte, als er erst als Justiziar, später als Kanzler fungierte. Seine Untergebenen verrichteten die jeweils anfallenden Aufgaben.152 Von den Schriftstücken, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Schreibern der Pipe Rolls erstellt wurden, ziehe ich nur Rollen heran, um die Übereinstimmung im grundlegenden Funktionsprinzip zu gewährleisten.153 Innerhalb der Rollen nehme ich zuletzt eine zeitliche Eingrenzung vor. An dieser Stelle zeigen sich allerdings die Grenzen der exzellenten Überlieferungslage des englischen Verwaltungsschriftguts. Aus dem Beobachtungszeitraum dieser Arbeit blieben sehr wenig andere Rollen erhalten. Deswegen nehme ich außerdem die Rollen hinzu, für die es mit hoher Wahrscheinlichkeit Vorläufer gab, die innerhalb der hier betrachteten fünfzig Jahre erstellt wurden. Von diesen Rollensorten habe ich jeweils die früheste erhaltene ausgewählt. 149 Richardson, Introduction; S. lix; Bishop, S. 29; Carpenter, Beginnings, hier S. 18. 150 Siehe Clanchy, Memory, S. 82 f.; Green, Pipe Roll, S. 2; Chrimes, S. 31; Church, S. lif. 151 Bei der Beschreibung der Aufgaben des Kanzlers setzt der Dialogus zweimal die Einschränkung hinzu, der Kanzler habe diese Funktion zu erfüllen, falls und solange er anwesend sei (si adesse eum contigerit bzw. dum residet ad scaccarium). Dialogus I, 5, S. 69 bzw. S. 71. Seine Teilnahme wurde also offenbar nicht als zwingend nötig angesehen. 152 Richardson, Introduction, S. lxxxiv. 153 Deshalb werden etwa Charter, Verfügungen oder die Feet of Fines (Belege für Rechtsgeschäfte über Landbesitz) nicht untersucht.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

Dieser Auswahlprozess ergibt sieben Rollen, deren Sprache auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zu den Pipe Rolls geprüft werden. Aus der Spätphase des Beobachtungszeitraums sind zwei Pipe Rolls erhalten, die am normannischen Exchequer in Caen entstanden. Ich habe vor allem das Fragment von 1184 untersucht, da ich nicht nur die englische Pipe Roll aus diesem Jahr besonders intensiv analysiert habe, sondern zudem eine weitere Rolle erhalten ist, die nur ein Jahr später geschrieben wurde: Auf den Rotuli de Dominabus wurde im Jahr 1185 alles Land verzeichnet, das Witwen oder minderjährigen Erben von Kronvasallen gehörte und deshalb in temporärer Verwaltung durch königliche Bedienstete stand. Eine ähnliche Rolle wurde wahrscheinlich bereits zwanzig Jahre früher und damit inmitten des Beobachtungszeitraums erstellt.154 Außerdem wurden eine Curia Regis Roll, eine Fine Roll, eine Memoranda Roll, eine Originalia Roll und eine Close Roll wohl schon zur Zeit Henrys II. verfasst, auch wenn die früheste erhaltene Vertreterin dieser Reihen jeweils erst aus der Zeit Richards I. oder Johns stammt, des dritten beziehungsweise fünften Sohns Henrys II., die ihm nacheinander auf den Thron nachfolgten.155 Aus der Regierungszeit Johns sind des Weiteren Charter, Patent und Liberate Rolls erhalten, die königliche Charter, öffentliche Ankündigungen (letters patent) und Zahlungsanweisungen verzeichneten. Die Entstehungszeit dieser Rollenserien wird aber später angesetzt, in der Zeit Henrys II. gab es wohl keine (inzwischen verloren gegangenen) Exemplare. Deshalb ziehe ich sie nicht zum Vergleich heran.156 David Carpenter hält es zwar nicht für unwahrscheinlich, dass bereits zur Zeit Henrys I. alle Rollen außer den Liberate Rolls und den Patent Rolls geschrieben wurden. Dazu lässt er sich allerdings auf eine gewagte Schlussfolgerung ein: Die Herstellung dieser Rollen zur Information der Abrechner und zur eigenen Verwendung in der Kanzlei wäre zu Zeiten Henrys I. nicht weniger sinnvoll gewesen als in der Regierungszeit Henrys II. Deshalb könne man wohl davon ausgehen, dass diese Rollen auch tatsächlich schon 154 Round, S. xviii. 155 Richardson, Introduction, S. xvj, S. xxj, S. xxxij und S. xxxv sowie Carpenter, Beginnings, S. 18. Eine Beschreibung dieser Rollen folgt unten in den Kapiteln 4.3.2. bis 4.3.8. 156 Auch die Chancellor’s Rolls (Referenz E 352) habe ich in der Darstellung nicht berücksichtigt. Sie stellen Abschriften der Pipe Rolls dar und weisen zu wenige Differenzen auf, als dass sie gewinnbringend in die vergleichende Analyse einbezogen werden könnten. Bei den Rollen, die heute als PR 8 Henry II und PR 11 Henry II geführt werden, handelt es sich eventuell um die Chancellor’s Rolls, siehe dazu die Vorworte zu den beiden Editionen. Zur erstgenannten existiert kein Gegenstück. Für das 11. Regierungsjahr Henrys II. blieben Pipe und Chancellor’s Roll erhalten, eventuell wird also heute die Chancellor’s Roll dieses Jahres Pipe Roll genannt und umgekehrt. In einem Anflug von Konstruktivismus erklärt der Editor der PR 8 Henry II, die wahrscheinliche Chancellor’s Roll weiterhin als Pipe Roll zu bezeichnen, da sie immer als Pipe Roll angesehen worden wäre und deshalb die größere Rechtskraft besessen habe. Die später edierte Version wurde also zur Pipe Roll, indem sie als solche genutzt wurde.

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geschrieben worden seien.157 Diese These beruht auf der Annahme, dass alle Handlungen, die im Nachhinein betrachtet zu einem bestimmten Zeitpunkt eine gewisse, in der Rückschau angenommene Zweckmäßigkeit besessen hätten, auch tatsächlich durchgeführt worden seien. Er geht damit davon aus, dass die königlichen Verwalter nicht nur stets rational handelten, sondern dass diese Rationalität auch noch Carpenters eigenen Vorstellungen von der Zweckmäßigkeit der Verwaltungsabläufe entsprochen hätte. Da ich diese Annahme nicht teile,158 folge ich der älteren Forschungsmeinung, nach der nur die Curia Regis Roll, die Fine Roll, die Memoranda Roll und die Originalia Roll zur Zeit Henrys II. erstellt wurden. Die Sprachen der verschiedenen Rollen werden daraufhin untersucht, ob sich einige Charakteristika der Sprache der Pipe Rolls in ihnen wiederfinden lassen. Sie werden deshalb nicht einzeln detailliert untersucht, wie dies für die Pipe Rolls in Kapitel 3.1. vorgenommen wurde, sondern lediglich relativ zu den Rechnungen auf Übereinstimmungen und Unterschiede abgeprüft, da nicht die Sprachen der anderen Rollen auf ihren Fachsprachlichkeitsgehalt untersucht, sondern die Wandlungsprozesse einer ähnlichen Sprache in verschiedenen Kontexten nachverfolgt werden sollen. Dazu habe ich aus jedem der drei Bereiche, in denen die Sprache der Pipe Rolls analysiert wurde, einige Charakteristika herausgegriffen, in denen sich alle Rechnungen des Untersuchungszeitraums ähnelten. In dem Bereich der Eindeutigkeit untersuche ich die anderen Rollen deshalb auf die Häufigkeit159 und Bedeutung einiger ausgewählter Termini sowie die Art und Weise, in der Korrekturen angebracht wurden. Die Termini wurden zusammengestellt aus den in den Pipe Rolls häufig genannten Zahlungs- und Erlassungsgründen, bei denen sich zudem ein Bedeutungswandel oder die Verfestigung einer Nuance beobachten ließ. Außerdem wurden einige Verben untersucht, die in den Pipe Rolls eher selten auftraten, jedoch einen hohen semantischen Gehalt aufwiesen. Zudem sollte aus jeder der Herkunftsgruppen der Lexeme (latinisiert altenglisch, insular-französisch, westeuropäisch mittellateinisch und neu nuanciert klassisch-lateinisch) ein Terminus vertreten sein. Untersucht wurden deshalb die Zahlungsgründe murdrum (Mordstrafe), auxilium (Hilfe/Abgabe), terra (Land), catallum (Fahrhabe), 157 Carpenter, Beginnings, S. 18 – 23. 158 In Kapitel 4.6. wird diese Art der Rationalitätsannahme thematisiert. 159 Um die Häufigkeiten vergleichen zu können, wurde die absolute Anzahl an Nennungen auf einer Rolle ins Verhältnis gesetzt zu ihrem Umfang. Da die verschiedenen Rollen auf unterschiedlich großen Membranen verschieden dicht und in jeweils anderer Schriftart beschrieben wurden, habe ich behelfsmäßig auf die Seitenanzahl in der edierten Fassung zurückgegriffen. Eine detailliertere Untersuchung müsste die Häufigkeit des Auftretens der analysierten Lexeme zu der Gesamtzahl an Wörtern in Relation setzen, aus denen die jeweilige Rolle besteht.

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placitum (Prozess/Urteil/Strafe), firma (Pacht) und relevium (Erbgebühr), der Erlassungsgrund liberatio (Zuwendung),160 die Verben recognoscere (anerkennen), plegiare (verpflichten), saisire/saisina (beschlagnahmen/Aneignung), instaurare/instauramentum (ausstatten/ Ausstattung) und transfretare (übersetzen) sowie die mittellateinischen Zahlungsgründe escaeta (Land, das durch Heimfall in den Besitz des Königs geraten war) und forisfactura (Land, das wegen eines Verbrechens des ursprünglichen Vasallen in den Besitz des Königs gekommen war). Die Standardisierung wird anhand der Formulierungen des Aufbaus der Posten und einiger Phrasen sowie der Anordnung der Überschriften getestet. Die Kürze schließlich wird zum einen anhand der Nebensätze gemessen, die der Kürze der Sätze entgegenstehen, zum anderen anhand der Hervorhebungen durch größere Buchstaben oder Abstände zwischen Teilen eines Postens, die die optische Kürze verhindern. Der Vergleich zwischen der Sprache der Pipe Rolls und der Sprache der einzelnen anderen Rollen zeigt zwei Ergebnisse. Erstens lassen sich für die Sprache jeder Rolle sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede zur Sprache der Pipe Rolls feststellen. Dieses Ergebnis überrascht nicht, bestätigt aber die oben formulierte Annahme: Es handelte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Rollen, die von den gleichen Schreibern in einem anderen Kontext verfasst wurden. Die zahlreichen Überschneidungen machen die Ähnlichkeit zwischen der Sprache der Pipe Rolls und den Sprachen der anderen Rollen deutlich, die es plausibel erscheinen lassen, dass sie von den gleichen Schreibern verfasst wurden.161 Die Unterschiedlichkeiten weisen zugleich darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben mussten. Da die anderen Rollen von den gleichen Schreibern, zu ungefähr gleicher Zeit und auf einer ähnlichen Art von Dokument geschrieben wurden wie die Pipe Rolls, bleibt als Faktor, der die Verschiedenartigkeit der Sprache determinierte, der unterschiedliche Kontext, in dem und für den die Rollen verfasst wurden. Die Sprache der Rechnungen besaß augenscheinlich die Fähigkeit, sich an eine veränderte Umgebung anzupassen. Die Überschneidungsschemata zwischen der Rechnungssprache und der Sprache der einzelnen anderen Rollen erwiesen sich, so das zweite Ergebnis, als nicht prognostizierbar, da sie zum einen keiner Systematik folgen und zum anderen in keine Hierarchie gebracht werden können: Zum einen lassen sich die 160 Die Erlassungsgründe opus und operatio treten in den anderen Rollen zu selten auf, als dass sie vergleichend analysiert werden könnten. 161 Der Schluss von sprachlichen Ähnlichkeiten auf die gleichen Schreiber stellt kein ungewöhnliches Vorgehen dar. Ein jüngeres Beispiel für diese Folgerung findet sich z. B. bei Crook, der aus den Ähnlichkeiten der Estreat Roll mit den Pipe Rolls folgert, dass der Schreiber sein Handwerk wohl am Exchequer gelernt habe. Siehe Crook, Exchequer Estreat, S. 31.

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Differenzen zwischen der Sprache einer Rolle und der Rechnungssprache nicht in ein übergreifendes Interpretationsschema pressen. Es ist demnach kein System erkennbar, an dem sich die Unterschiedlichkeiten ausrichteten. Versucht man zum anderen, die verschiedenen Rollen nach ihrer Ähnlichkeit zu den Pipe Rolls zu sortieren, so ergibt sich für jedes Kriterium eine neue Reihenfolge. Die Rollen können nicht in eine überwölbende Hierarchie gemäß ihrer Nähe zu den Rechnungen gebracht werden, die für jedes geprüfte Charakteristikum gelten würde. Mangelnde Systematik und fehlende Ähnlichkeitshierarchie führen dazu, dass auf Grundlage der hier vorgenommenen Untersuchung einer Anzahl von Eigenschaften der Rollen nicht prognostiziert werden kann, wie sich das Überschneidungsschema zwischen den Pipe Rolls und den anderen Rollen für ein beliebiges weiteres Kriterium gestalten würde: Weder lässt sich voraussagen, in welchen Punkten sich die Pipe Rolls und eine andere Rolle gleichen oder unterscheiden würden, noch lässt sich mit Sicherheit vorhersehen, welche der Rollen den Pipe Rolls am ähnlichsten sehen würde. Setzt man jedoch aus Vereinfachungsgründen jedes der Kriterien auf den gleichen Wert an, lässt sich aus der Nähe, die die Sprache einer Rolle bezüglich der verschiedenen untersuchten Eigenschaften zu der Rechnungssprache aufweist, durchaus ein Durchschnittswert errechnen.162 Diese Durchschnittswerte können in eine Reihenfolge gebracht werden. Diese Einebnung aller Kriterien soll hier jedoch nur geschehen, um die Darstellung der Unterschiede und Überschneidungen zwischen der Sprache der Pipe Rolls und den Sprachen der verschiedenen Rollen zu gliedern.

4.3.2. Norman Pipe Roll Wenig überraschend zeigen die Norman Pipe Rolls die meisten Ähnlichkeiten mit ihren englischen Partnern in den hier untersuchten Charakteristika – wenn man, wie eben ausgeführt, »Ähnlichkeiten« in einem vereinfachten Sinne vergleicht.163 Mit den Pipe Rolls oder Rechnungen sollen im Folgenden weiterhin

162 Ein Durchschnittswert im Sinne eines arithmetischen Mittels lässt sich korrekterweise eigentlich nur für Werte berechnen, die sich auf einer Kardinalskala anordnen lassen. Solche Werte können nicht nur in eine Rangfolge gebracht werden, sondern der Abstand zwischen den verschiedenen Stufen kann zudem definiert werden. Die verschiedenen Ausprägungen der Kategorien wie »standardisierte Phrasen« oder »Bedeutung eines Wortes« erfüllen diese Bedingungen natürlich nicht. Deshalb handelt es sich eigentlich um eine unzulässige Vereinfachung, die nur aus darstellungstechnischen Gründen gewählt wird. 163 Die Norman Pipe Rolls laufen in den National Archives unter der Referenz E 373, diejenige von 1184 unter E 373/1. Sie wurden ediert in Pipe Rolls of the Exchequer of Normandy. Moss, Normandy, stellt einen detaillierten Vergleich der Einnahmesorten und -höhe zwischen der

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ausschließlich die englischen Exemplare gemeint sein, die normannischen Rechnungen hingegen kennzeichne ich explizit durch die Angabe ihrer Herkunft. Die Abrechnungen für den normannischen Teil des Herrschaftsgebiets Henrys II. fanden in Caen statt und wurden wahrscheinlich genau wie die englischen Abrechnungsprozesse um Michaelis (29. September) herum abgehalten.164 Da sich einige personelle Überschneidungen zwischen den Abhörern des englischen und des normannischen Exchequer nachweisen lassen, trifft auch für die Norman Pipe Rolls das Kriterium zu, dass sie potenziell von den gleichen Leuten geschrieben worden sein können wie die englischen Rechnungen.165 Wegen ihrer zeitlichen Nähe zur besonders genau analysierten spätesten Pipe Roll des Beobachtungszeitraums und zu den Rotuli de Dominabus setze ich den Fokus der Untersuchung insbesondere auf die normannische Pipe Roll aus dem 30. Regierungsjahr Henrys II. (1183/84),166 auch wenn sie nur ein Fragment darstellt, das die Abrechnung über lediglich acht räumliche Einheiten (baillages) verzeichnet. Insbesondere für den Aufbau und die graphische Gestaltung wurde aber auch die normannische Pipe Roll aus dem Jahr 1180 analysiert.167 Die einzelnen Rotuli bestehen wie bei den englischen Rechnungen aus mehreren Membranen, die in der Breite ungefähr 30 Zentimeter messen. Die Rotuli wurden ebenfalls an den Köpfen zusammengebunden, so dass – ganz wie in der englischen Version der Abhörungsprotokolle – eine Mischform aus Rolle und Kodex entstand.168 In jeder der drei Gruppen von Eigenschaften – Eindeutigkeit, Standardisierung und Kürze – lassen sich Elemente finden, in denen die Norman Pipe Rolls ihren englischen Gegenstücken stärker gleichen als alle anderen Rollen. Die meisten der untersuchten Termini traten in den Norman Pipe Rolls in einer ähnlichen Häufigkeit auf. Lediglich die Mordstrafe murdrum sucht man in den normannischen Rechnungen vergeblich, was wenig überrascht, handelt es sich dabei doch um eine Strafgebühr, die die Normannen in England wiedererweckten, um ihre Landsleute vor Übergriffen seitens der eroberten Angelsachsen zu schützen.169 Korrekturen wurden ebenfalls wie in den Pipe Rolls

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englischen und der normannischen Pipe Roll aus dem Jahr 1180 an. Auf S. 186 f. gibt er zunächst einen Überblick über bisherige Forschungen zu den normannischen Pipe Rolls. Moss, Introduction, hier S. viii. Beispielsweise arbeitete Nigel of Ely zunächst bei den Abhörungen in der Normandie mit, bevor er zu Beginn der Regierungszeit Henrys II. eine wichtige Rolle bei den Abrechnungsprozeduren in England spielte. Siehe Karn, insbesondere S. 302. Auch Richard of Ilchester wirkte am englischen wie am normannischen Exchequer, Duggan, S. 8 f. Zur Datierung siehe Moss, Introduction, S. xi. Die nächstspäteren noch erhaltenen Abrechnungsrollen aus der Normandie stammen aus den Jahren 1195 und 1198 und wurden von Stapleton ediert. Moss, Introduction, S. vii und xii. Zur Bindungsform der englischen Pipe Rolls siehe oben, Kapitel 2.2.1. O’Brien.

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durch Unterstreichungen, seltener mithilfe von Durchstreichungen markiert. Die erstere Methode gewährleistete in beiden Rechnungssorten, dass sowohl die falsche als auch die korrigierte Fassung weiterhin lesbar blieben. Neben den Korrekturen finden sich in beiden Pipe Rolls zudem Nachträge: Das Abrechnungsverb reddit Compotum (er legt Rechnung) oder debet (er schuldet) und einige eingezahlte Summen wurden auch in den Norman Pipe Rolls bisweilen mit deutlich anderem Strich, in hellerer oder dunklerer Farbe notiert. Deshalb liegt es nahe anzunehmen, dass diese Elemente erst während der Abrechnung nachgetragen wurden, wohingegen der Rest der Posten bereits vorher geschrieben worden war. Der Aufbau der Posten gleicht dem der englischen Pipe Rolls. Auch das verwendete Vokabular stimmt in beiden Rechnungssorten überein: Ein Posten beginnt mit der Nennung des Rechnungslegers und dem Abrechnungsverb reddit Compotum (selten: debet), darauf folgt der Betrag mit dem Zahlungsgrund, eventuelle Erlassungsgründe, die Einzahlung in der Formulierung In thesauro (im Schatz) sowie schließlich die Bilanz Et debet (Und er schuldet) respektive Et Quietus est (Und er ist quitt). Die Zahlungs- und Erlassungsgründe weisen eine Art der Standardisierung auf, wie sie bei den englischen Pipe Rolls ebenfalls festgestellt wurde: Sowohl inhaltliche Abweichungen als auch Variationen führen dazu, dass die Formulierungen nie völlig gleichförmig erfolgten. So können Baumaßnahmen an verschiedenen Burgen nicht nur mit der Formulierung ad operationes castrorum, sondern alternativ auch als in operationibus castri erfasst werden.170 Der Erlassungsgrund operatio kann entweder auf die Präposition in oder auf ad folgen, ohne dass sich eine inhaltliche Differenz erschließen würde.171 Auch bezüglich der Kürze gleichen sich beide Rechnungssorten: In beiden findet man ähnlich wenige Nebensätze. Die optische Kürze wird dadurch durchbrochen, dass zwischen den einzelnen Bestandteilen der Posten Leerräume gelassen wurden (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.6.). Dagegen arbeiteten beide Gruppen von Schreibern kaum mit größeren Buchstaben als Mittel der Hervorhebung. Im Unterschied zu den englischen Pipe Rolls wurden in ihren Gegenstücken aus der Normandie nicht einmal die ersten Buchstaben jedes Postens größer geschrieben. Stattdessen wurden neue Posten mithilfe eines Hakens vor dem ersten Buchstaben gekennzeichnet. Eine zweite Differenz besteht in den Bedeutungsnuancen des Terminus placitum: Er kommt in den Norman Pipe Rolls so selten vor, dass er lediglich die Bedeutung einer Abgabe aufweist und nie als konkreter Prozess in Erscheinung tritt. 170 Norman Pipe Roll 1184, S. 87, R2 m1d respektive S. 80, R1 m1r. 171 Etwa […] In operationibus castri de Valle Rodol’ […] oder […] Comiti Willelmo ad operationes castri de Gisorz […], Norman Pipe Roll 1184, S. 80, R1 m1r respektive S. 83, R2 m1r.

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4.3.3. Fine Roll Etwas weniger Übereinstimmungen mit den Pipe Rolls weist die Fine Roll auf.172 Auf den Fine Rolls wurden alle Summen verzeichnet, die dem König für diverse Gegenleistungen geboten wurden.173 Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde zwischen fines, oblata, promissa und placita als Bezeichnung für diese Zahlungen nicht genau unterschieden,174 aus der Rückschau ergibt sich aber eine Aufteilung in Strafzahlungen, unfreiwillige und freiwillige Zahlungen.175 Strafzahlungen konnten etwa für einen Raub oder für Nicht-Erscheinen vor Gericht fällig werden. Diese Summen können kaum von den freiwilligen Zahlungen unterschieden werden, die ein Angeklagter entrichten konnte, um zum Beispiel einen Gerichtsprozess einstellen zu lassen. Aus heutiger Perspektive muss offen bleiben, ob etwa ein Räuber eine Summe zahlte, da sie ihm in einem Gerichtsverfahren wegen des Raubs auferlegt worden war, oder ob er eine Gebühr entrichtete, damit der gegen ihn laufende Prozess eingestellt würde. Man konnte aber auch ein freiwilliges Angebot an den König richten, um einen Gerichtsprozess lediglich zu verzögern oder um ihn im Gegenteil gerade zu beschleunigen. Man konnte sich das Recht erwerben, Handel zu treiben, die Witwe eines Kronvasallen zu heiraten oder Mühlen zu bauen, konnte königlichen Beistand oder Vermittlung in einem Streit entlohnen, konnte sich davon freikaufen, einen Burgenbau zu überwachen oder den König auf den Kontinent begleiten zu müssen.176 Diese freiwilligen Zahlungen bilden den Hauptbestandteil der Fine Rolls. Daneben forderte der König zu bestimmten Anlässen aber auch Summen ein, die entrichtet werden mussten, also unfreiwillige Zahlungen darstellten. Dazu gehörte etwa die Zahlung beim Erbe eines Lehens (relevium) oder die Ersatzabgabe für den Heeresdienst (Schildgeld, scutagium). Oben auf der hier untersuchten Rolle steht die Überschrift Recepta anno regni regis Johannis primo, woraus sich die Datierung auf das erste Regierungsjahr König Johns (1198/99) ergibt, des jüngsten Bruders und Nachfolgers Richards I.177 Die Rolle besteht aus mehreren Membranen, die Kopf an Fuß aneinandergenäht und nur einseitig beschrieben wurden. Im Unterschied zu den englischen und normannischen Pipe Rolls stellt die Fine Roll eine lange Rolle dar, keine Mischform aus Rolle und Kodex. 172 Sie findet sich in den National Archives unter der Referenz C 60/1 A und wurde ediert in Hardy, Rotuli de Oblatis et Finibus. 173 Hardy, Preface, S. i. 174 Richardson, Introduction, S. xxiv. 175 Siehe Hardy, Preface, S. x. 176 Eine ausführliche Auflistung findet sich in ebd., S. xviii–lii. 177 Die nächsten erhaltenen Fine und Oblata Rolls sind im selben Band ediert. Sie stammen aus den Jahren 2, 3, 6, 7, 9, 15, 16 und 17 John.

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Die Fine Roll weist Ähnlichkeiten mit den Pipe Rolls insbesondere in den Bereichen der Standardisierung und der Kürze auf, wobei sich jedoch die einzelnen Charakteristika in unterschiedlicher Nähe zur Pipe Roll befinden. Der Standardisierungsgrad der einzelnen Posten entspricht etwa demjenigen der Rechnungen aus England und der Normandie: Formulierungen ähnlicher Sachverhalte variieren in nicht allzu großem Maße. So kann etwa die sehr häufig vorkommende Angabe, jemand habe eine Zahlung für eine Bestätigung geleistet, als pro confirmandis, pro confirmacione, pro habenda confirmacione oder pro carta sua confirmanda formuliert werden. Das Lexem confirmare blieb stets das Gleiche, konnte aber in leicht unterschiedlicher grammatischer Form verwendet werden. Ähnlich wie in den Pipe Rolls wurden die Anfänge der einzelnen Posten zumindest in den meisten Fällen durch einen größeren Anfangsbuchstaben oder einen kleinen Haken vor dem ersten Buchstaben hervorgehoben. Freiräume auf der Seite finden sich auf der Fine Roll weniger als auf den beiden Rechnungsrollen, aber doch ausgeprägter als in allen anderen Rollen der englischen Verwaltung: Die Schreiber ließen Leerräume auf der Seite zwischen dem ersten Buchstaben des Namens, mit dem ein Posten begann, und dem Rest dieses Namens; wieder mit etwas Abstand folgte das Verb dat (er gibt), mit etwas Abstand der Betrag, noch einmal mit etwas Abstand der mit der Präposition pro eingeleitete Zahlungsgrund. Bisweilen scheint es, als seien diese einzelnen Bestandteile an den jeweils gleichen Teilen der vorhergehenden Posten ausgerichtet worden, so dass ansatzweise der Eindruck einer spaltenartigen Anordnung entsteht. Allerdings lassen sich auch Differenzen zwischen den sprachlichen Charakteristika der Fine Roll und der Pipe Rolls feststellen. So ähnelt der Postenaufbau der Fine Rolls zwar dem der Rechnungen, weist aber auch einige Unterschiede auf: Die einzelnen Posten zeigen keinen standardisierten Abschluss, wie er in den Pipe Rolls mit den Bilanzierungsformeln Et Quietus est (Und er ist quitt) oder Et debet (Und er schuldet) stets vorzufinden ist. In der Fine Roll wurde ein leicht unterschiedliches Abrechnungsvokabular verwendet, denn die Rechnungslegung konnte nicht nur mit dem Verb reddere,178 sondern daneben auch mit computari facere bezeichnet werden.179 Sowohl auf der Satz- als auch auf der optischen Ebene zeichnete sich die Fine Roll durch weniger Kürze aus als die Pipe Rolls: Auf der Fine Roll verwendeten die Schreiber wesentlich mehr Nebensätze und versahen Orts- und Personennamen teilweise mitten im Text mit Anfangsbuchstaben, die durch ihre Größe aus dem Textfluss hervorragten. 178 Siehe etwa: Preterea idem Rad’ reddet ad Pasch’ proxim’ vjxxli marc’ […], Fine Roll 1 John, S. 49, Membran 7. 179 So z. B. in Fine Roll 1 John, S. 42, Membran 10: […] et in ill’ x m computari faciat catalla […].

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Im Bereich der Eindeutigkeit differieren die Fine Roll und die Pipe Rolls ebenfalls in unterschiedlichem Maße. Auf der Fine Roll strichen die Schreiber unkorrekte Einträge einfach durch und setzen die Verbesserungen in so kleiner Schrift darüber, dass sowohl der ausgestrichene Eintrag als auch die Korrektur nur schwer entziffert werden können. Ebenfalls deutlich unterscheidet sich die Häufigkeit, mit der die untersuchten Termini verwendet wurden. Sie kamen in der Fine Roll entweder wesentlich häufiger – wie etwa saisire (beschlagnahmen) – oder wesentlich seltener vor als in den Pipe Rolls – wie zum Beispiel placitum (Urteil, Prozess, Strafe). Die Bedeutungsnuancen der Termini unterschieden sich hingegen weniger stark. Das gerade erwähnte placitum nimmt in der Fine Roll immer die Bedeutung eines konkreten Rechtsstreits an, es bezeichnet nie eine Abgabe oder Strafzahlung.180 Ebenso meint terra in der Fine Roll stets ein Besitzgut,181 die in der Pipe Roll außerdem auftretenden Nuancen einer Erhebungseinheit oder einer Abgabe sucht man in der Fine Roll vergeblich. Alle Bedeutungsschattierungen aus der Pipe Roll weist auch in der Fine Roll allerdings catallum auf, das sowohl als Besitzgut als auch als Abgabe auftritt.182

4.3.4. Originalia Roll Viele der versprochenen Zahlungen, die auf der Fine Roll verzeichnet wurden, mussten bei der jährlichen Abrechnung der Schuldner des Königs verrechnet werden. Deshalb wurden die relevanten Einträge aus der Fine Roll auf eine andere Rolle kopiert und an den Exchequer weitergeleitet. Diese Mitteilungsrolle trug ab etwa 1200 den Namen Originalia Roll.183 Die erste überlieferte Zusammenstellung der Zahlungsversprechen, die für die Abhörung Relevanz besaßen, stammt allerdings bereits aus dem siebten Regierungsjahr Richards I. (1195/96), des dritten Sohnes und Nachfolgers Henrys II.184 Von dieser Originalia Roll blieben nur eine vollständige Membran und ein Teil einer weiteren Membran 180 Die Fine Roll verzeichnet zahlreiche Zahlungen, die entrichtet wurden, um nur vor königlichem Gericht angeklagt werden zu dürfen, etwa: […] ne ponatur in placit’ nisi coram Regis vel capitali justic’ […], Fine Roll 1 John, S. 67, Membran 2. 181 Das Substantiv terra tritt sehr oft zusammen mit den Verben habere oder saisire auf. 182 Als Besitzgut kann catallum eingeordnet werden, wenn es zusammen mit habere steht, etwa […] pro catallis suis habendis […], Fine Roll 1 John, S. 34, Membran 13. Wurde hingegen über catallum abgerechnet, handelte es sich eher um eine Zahlung, die erst aus dem Verkauf des Besitzguts catallum resultierte, siehe z. B.: […] x m. computari faciat catalla que de terra sua capta sunt […], Fine Roll 1 John, S. 42, Membran 10. 183 Richardson, Introduction, S. xviij. 184 Diese Rolle trägt in den National Archives die Referenz E 163/1/3 und wurde ediert in Noel Blakiston, S. 85 – 87. Die Datierung konnte vorgenommen werden, da sich alle Posten dieser Originalia Roll auf der Pipe Roll aus dem 8. Regierungsjahr Richards I. wiederfinden lassen.

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erhalten, deren Kopf an den Fuß der ersten Membran genäht wurde. Beide wurden einseitig beschrieben. Ihr geringer Umfang verhindert einen aussagekräftigen Vergleich mit den Pipe Rolls und den anderen Rollen. Von den untersuchten Lexemen treten nur terra, saisire und plegiare häufiger als einmal in der Originalia Roll auf, wobei terra mit lediglich neun Nennungen bereits das häufigste Vorkommen aufweist. So nimmt es nicht Wunder, dass terra lediglich ein Besitzgut bezeichnet und die anderen beiden Bedeutungsnuancen als Erhebungseinheit und Abgabe, die in den Pipe Rolls vorkommen, nicht aufweist.185 Das kleine Fragment vermittelt den Eindruck, dass die Schreiber auf der Originalia Roll wie auf der Fine Roll mehr Nebensätze formulierten als auf den Pipe Rolls. Insgesamt weisen die Formulierungen viele Ähnlichkeiten, jedoch auch kleinere Variationen auf;186 der Standardisierungsgrad gestaltete sich damit ähnlich wie auf den Pipe Rolls. Anders als die bisher untersuchten Rollen wurden die Posten der Originalia Roll jedoch nicht in Abschnitte gegliedert, zwischen denen ein gewisser Leerraum frei gelassen wurde. Stattdessen wurden die einzelnen Posten lediglich durch eine Leerzeile voneinander getrennt und jeweils als Marginalie das County vermerkt, zu dem der entsprechende Eintrag gehörte (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.6.). Ebenfalls auf dem Rand des Pergaments wurde die Notiz in Rotulo (stets verkürzt zu i R) angebracht, die signalisierte, dass der entsprechende Posten auf die Pipe Rolls übertragen worden war.

4.3.5. Curia Regis Roll Das gleiche Anordnungsprinzip, das sich so deutlich von den Pipe Rolls unterscheidet, zeigt auch die Curia Regis Roll.187 Auf dieser Rolle wurden alle Prozesse verzeichnet, die vor dem königlichen Gerichtshof in Westminster abgehalten wurden.188 Dabei ging es in sehr vielen Fällen darum, dass jemand von seinem Land vertrieben wurde und es nun zurückerhalten wollte. Dazu konnte er sich auf die »assize of novel disseisin« berufen.189 Ebenfalls häufig wurde die »assize of mort d’ancestor« angewendet, dergemäß ein Erbe das Land seines Vaters zurückfordern konnte, wenn es ihm unrechtmäßigerweise streitig ge185 Das Land wird immer erworben, was meistens durch das dazugehörige Gerundivum habenda zum Ausdruck gebracht wird, siehe etwa: […] dant domino Regi cc m pro habenda tota terra que fuit ipsius Radulfi […], Originalia Roll 7 Richard I, S. 87, Membran 2. 186 Z. B. konnte der Grund für ein Zahlungsversprechen sowohl mit pro habenda saisina terre als auch mit pro habende saisina de terra angegeben werden. 187 Die hier untersuchte Curia Regis Roll ist in den National Archives unter der Referenz KB 26/1 zu finden. Sie wurde ediert von Maitland, Three Rolls of the King’s Court. 188 Maitland, Introduction, S. xx. 189 Glanvill gibt die Formel für das zugehörige »writ of novel disseisin« an in Buch XIII, Kapitel 33 des Tractatus de Legibus, S. 167.

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macht worden war.190 Die Curia Regis Rolls, deren zeitgenössischer Name nicht überliefert ist,191 wurden nicht jährlich erstellt, sondern zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb eines Jahres, etwa an Trinitatis, Michaelis oder Ostern. Die hier untersuchte Rolle wurde an Trinitatis 1194 (05. Juni) abgefasst und damit im fünften Jahr der Regierungszeit Richards I.192 Ihre sieben Membranen wurden beidseitig beschrieben, an den Köpfen zusammengenäht und dann aufgerollt. Damit gleicht sie in der Erscheinungsform den normannischen und englischen Pipe Rolls. Im Unterschied zu den Rechnungen wurden allerdings nicht mehrere Membranen aneinandergenäht, das heißt jede Lage der Rolle besteht nur aus einer Membran. In allen abgeprüften Eigenschaften stimmt die Curia Regis Roll lediglich in einem Teilaspekt mangelnder optischer Kürze mit den Pipe Rolls überein: Der erste Buchstabe eines Postens wurde meistens hervorgehoben, indem er entweder größer geschrieben, mit einem Doppelstrich gestaltet oder mit einem Haken versehen wurde. Die Platzierung der Posten auf der Seite unterscheidet sich aber deutlich von der Ordination der Pipe Rolls: Wie in der Originalia Roll wurden auch in der Curia Regis Roll die einzelnen Posten durch Leerzeilen voneinander getrennt, wohingegen in horizontaler Ausrichtung lediglich die Marginalien von den Posten unterschieden werden können (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.6.). Innerhalb der Posten wurden keine Abstände frei gelassen. Auf dem Rand der Seite wurden wie in der Originalia Roll die Ortsnamen angegeben. Auch einige kleinere Notizen wurden als Marginalien auf das Pergament geschrieben, außerdem wurden bisweilen Sterne, Kreuze und Punkte gesetzt, deren Verweissystem noch niemand entschlüsseln konnte. Zeigt die Curia Regis Roll mehr optische Kürze als die Pipe Rolls, so weist sie ein geringeres Maß an stilistischer Kürze auf, denn die Schreiber verwendeten deutlich mehr Relativsätze als in den Pipe Rolls. Der Standardisierungsgrad der Posten liegt etwas niedriger als in den Pipe Rolls. Sie wurden stets mit der gerade erwähnten Ortsangabe auf dem Rand des Pergaments versehen und beginnen fast immer mit der Nennung der betroffenen Person. Das folgende Verb konnte vielfältiger gestaltet werden als in den Pipe 190 So Maitland, Introduction, S. xxxiii–xxxvi. Die Formel für das entsprechende »writ of mort d’ancestor« nennt Glanvill in Buch XIII, Kapitel 3, Tractatus de Legibus, S. 150. 191 In den National Archives sind auch die frühesten Aufzeichnungen der Prozesse vor dem königlichen Gericht in die Gruppe »Court of Common Pleas and King’s Bench, and Justices Itinerant: Plea and Essoin Rolls« einsortiert. Da sich diese Gerichtshöfe aber erst im 13. Jahrhundert ausdifferenzierten, nutze ich die in der früheren Forschung verwendete Bezeichnung Curia Regis Roll. 192 Zur Begründung der Datierung siehe Maitland, Introduction, S. xvi–xix. Im selben Band sind zwei weitere Curia Regis Rolls abgedruckt, die jedoch nur die Ergebnisse eines Umritts der Reiserichter in Wiltshire 1194 bzw. in Bedfordshire und Buckinghamshire 1195 verzeichnen.

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Rolls, in denen es stets reddit Compotum oder debet lautet, oder in den Fine Rolls, in denen es immer dat (er gibt) heißt. Dennoch wiederholen sich die verwendeten Verben; die Schreiber wählten offenbar je nach Sachverhalt aus einem begrenzten Pool möglicher Prädikate.193 Der Rest des Postens folgt nicht immer einem erkennbaren Schema. Wurde aber eine Assize angewandt, weisen die entsprechenden Posten starke Ähnlichkeiten auf, wurden aber nicht so gleichförmig gestaltet, dass man eine konkrete Formel für diese Formulierung angeben könnte.194 Nicht nur in diesen Posten wurden in der Curia Regis Roll viele Vokabeln verwendet, die man in den Pipe Rolls vergeblich sucht. Mit Ausnahme von auxilium (Hilfe, Abgabe) und liberatio (Zuwendung) kommen in der Curia Regis Roll jedoch alle für diese Untersuchung ausgewählten Lexeme aus der Pipe Roll vor und zeigen zudem eine ähnliche relative Häufigkeit. Die Prozessinhalte terra (Land), saisina (Besitznahme) und murdrum (Mordgeld) weisen lediglich eine etwas höhere Vorkommensdichte auf als die gleichnamigen Zahlungsgründe in den Pipe Rolls. Eine eindeutige Differenz besteht jedoch bei der Bedeutung dieser Lexeme: Die Nuancen, die sich im Abrechnungskontext der Pipe Rolls herausbildeten, fehlen in der Curia Regis Roll: Terra (Land) meint immer ein Besitzgut, keine Erhebungseinheit oder Abgabe;195 catallum bezeichnet stets den eingezogenen Besitz, nicht die daraus resultierende Zahlung;196 placitum wird ausschließlich für konkrete Rechtsstreitigkeiten verwendet, nie parallel zu Abgaben gestellt.197 In einem weiteren Charakteristikum, das unter das Kriterium der Eindeutigkeit gefasst wurde, unterscheidet sich die Curia Regis Roll von den Pipe Rolls: Wie bei der Originalia Roll, so wurden auch hier fehlerhafte Einträge durch-, nicht unterstrichen und teilweise so undeutlich verbessert, dass die Lesbarkeit der Korrekturen stark beeinträchtigt wurde.

193 Beispiele für die Prädikate der Posten lauten recognovit, quietam clamavit, ponit loco, summoniti fuerunt oder plegiavit. Nicht mit der Nennung der betreffenden Person beginnen die Posten, in denen die Anwendung einer Assize beschrieben wird, z. B. mit den Worten assiza venit recog’. 194 Siehe Maitland, Introduction, S. xxxiv und xxxvi, der an dem Versuch scheitert. 195 Die Mehrzahl der verzeichneten Prozesse beschäftigte sich mit Streitigkeiten über den Besitz von Land. 196 Z. B. steht catallum gemeinsam mit dem Verb habere, etwa […] de catall’ sic habeat […], Curia Regis Roll Trinity 1194, S. 45, Membran 5 dorso. 197 Die Rechtsstreitigkeiten, nicht die daraus erzielten Abgaben bilden ja den Inhalt der Curia Regis Roll. Deshalb werden die placita meistens mit dem Prozessgrund versehen, etwa […] de placit’ terre de Bernham […] oder […] de placit’ catall’ […], Curia Regis Roll Trinity 1194, S. 10, Membran 1 recto bzw. S. 49, Membran 6 recto. Hinweise auf eine Gleichsetzung mit Abgabenzahlungen, wie sie gerade in den späten Pipe Rolls häufig vorgenommen wurde, gibt es nicht.

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4.3.6. Memoranda Roll Relativ viele Ähnlichkeiten mit der Curia Regis Roll, wenige mit den Pipe Rolls weist die Memoranda Roll auf.198 Wahrscheinlich wurden pro Jahr zwei dieser Rollen erstellt: Während der Ostersitzung des Rechnungshofes verzeichnete ein Schreiber alle fraglichen Angelegenheiten, die nach der Sitzung geklärt werden sollten.199 An Michaelis wurde notiert, welche Rechnungsleger nicht zum vereinbarten Termin erschienen.200 Die hier untersuchte, früheste erhaltene Memoranda Roll wurde für die Abhörung an Michaelis im ersten Regierungsjahr Johns I. erstellt (1200).201 Die 16 langen und sechs kürzeren Membranen wurden beidseitig beschrieben und an den Köpfen zusammengenäht. Wie auf fast allen Rollen sticht auch auf der Memoranda Roll der Anfangsbuchstabe jedes Postens hervor, da er größer geschrieben wurde. Gemeinsam mit allen anderen Rollen unterscheidet sich die Memoranda Roll von den Rechnungen darin, dass die Schreiber bei der Formulierung der Posten mehr Relativsätze und kausale Nebensätze nutzten. Wie auf der Originalia und der Curia Regis Roll wurde auch auf der Memoranda Roll der Text auf der Seite nicht mehrfach horizontal unterteilt. Sie zeigt horizontal ungegliederte einzelne Posten, für die jeweils als Marginalie das zugehörige County notiert wurde (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.6.). Völlige Übereinstimmung mit den Pipe Rolls zeigt die Memoranda Roll bei der Bedeutung der hier untersuchten Termini: Jede Bedeutungsnuance, die in der Pipe Roll vorkommt, kann auch auf der Memoranda Roll nachgewiesen werden: Das Land (terra) kann in der Schattierung eines Besitzguts, einer Erhebungseinheit und einer Abgabe auftreten.202 Catallum und placitum können jeweils sowohl ein Besitzgut respektive einen Prozess oder eine

198 Die hier analysierte Memoranda Roll läuft in den National Archives unter der Referenz E 370/1/3. Sie wurde ediert von Blakiston, Memoranda Roll, S. 1 – 84. Zu Aufbau, Inhalt und Forschungsgeschichte der Memoranda Rolls des 13. Jahrhunderts siehe Davies. 199 Dialogus II, 2, S. 115: Tamen quedam memoranda que frequenter incidunt a clerico thesaurarii seorsum tunc scribuntur vt soluto scaccario illius termini de hiis discernant maiores […]. 200 Die Notizen zu ihren Abrechnungen werden im Dialogus ebenfalls als memoranda scacarii bezeichnet. Dialogus II, 20, S.151. 201 Blakiston, Memoranda Roll, hier S. 1. Die beiden Memoranda Rolls aus der Zeit Johns I. wurden erst im 19. Jahrhundert wieder gefunden. Eine Serie von Memoranda Rolls beginnt erst unter Henry III. Sie laufen in den National Archives unter der Referenz E 368. 202 Zusammen mit habere meinte terra ein konkretes Stück Land. Wurde aus terra eine Abgabe erhoben, steht die Eigenschaft der Erhebungseinheit im Vordergrund, wurde hingegen ein Betrag de terra entrichtet, so bildet terra gleichsam den Namen für eine abgabenartige Zahlung. Beispiele finden sich auf der Memoranda Roll 1 John etwa auf S. 21, Membran 4 recto für das Besitzgut, S. 18, Schedule (kleinere Membran) 1 recto für die Erhebungseinheit und S. 16, Membran 3 recto für die Abgabe.

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Abgabe meinen.203 Auch auxilium und murdrum weisen in der Memoranda Roll an einigen Stelle die konkrete Bedeutung (Hilfe respektive die Strafe für eine konkrete Anzahl von Morden),204 an anderen die abstraktere Bedeutungsnuance auf (kumulierte Strafzahlung respektive Abgabe von Ortschaften).205 Auch die Häufigkeit der Verwendung dieser Termini ähnelt sich. Lediglich terra (Land), saisire (beschlagnahmen) und firma (Pacht) wurden in der Memoranda Roll etwas öfter verwendet als in den Pipe Rolls, wohingegen relevium (Erbgebühr) und liberatio (Zuwendungen) in der Memoranda Roll nie genannt wurden. Beim Abrechnungsvokabular zeigt sich die Memoranda Roll ebenfalls vielfältig: Neben den in der Pipe Roll benutzten Abrechnungsverben reddere und debere kann ein Abrechnungsvorgang in der Memoranda Roll außerdem mit dem Verb computare beschrieben werden.206 Dabei bildet computantur eines der möglichen Prädikate der Posten. Daneben treten auch beispielsweise attulit breve (er brachte eine Verfügung mit), debet (er schuldet), debet respondere (er muss sich für etwas verantworten) oder requiruntur ([Abgaben] wurden eingezogen) nicht nur vereinzelt als Prädikate auf. Am häufigsten jedoch bilden loquendum est (es muss gesagt werden), preceptum est (es wurde vorgeschrieben) oder precipimus tibi (wir schreiben dir vor), etwas seltener scias (du sollst wissen) das Prädikat eines Postens. Der Rest der Einträge weist verhältnismäßig wenige Anzeichen von Standardisierung auf. Mindestens Variationen blieben auch bei sehr ähnlich gestalteten Phrasen möglich.207 Wie in der Curia Regis Roll wurden Korrekturen im Unterschied zur Vorgehensweise bei den Rechnungen angebracht, indem der falsche Passus durchgestrichen und die neue Formulierung bisweilen recht undeutlich darüber geschrieben wurde, so dass weder die alte noch die korrigierte Version besonders einfach entziffert werden können. 203 Als Besitzgut tritt catallum zusammen mit habere auf, z. B. auf S. 71, Membran 13 dorso. Der Charakter eines konkreten Rechtsstreits wird bei placitum durch die Angabe eines Prozessgrundes markiert, so auf S. 83, Membran 16 dorso. Als Abgabe erscheint catallum zusammen mit recipere (einziehen) auf S. 69, Membran 13 recto, placitum in einer Aufzählung mit anderen Abgaben auf S. 46, Membran 8 dorso. 204 Siehe etwa […] debet xx s. pro murdro […], S. 82, Membran 16 recto, und […] in auxilium exercitus […], S. 34, Membran 6 recto. 205 So […] murdrum vel aliquas communes demandas […], S. 48, Membran 8 dorso, und […] de auxilio ad redempcionem Ricardi […], S. 55, Membran 9 dorso. 206 Dabei kann reddere allerdings sowohl das Rechnunglegen als auch unspezifischer eine Rückgabe bezeichnen. Beide Verwendungsweisen stehen zusammen auf S. 13, Membran 2 dorso: Terra que fuit Willelmi de Sancto Michaele qui solet reddere per annum dimidiam marcam reddita est Gerardo filio eius de qua reddet per annum v solidos donec dominus Rex preceperit inde voluntatem suam. 207 So findet sich einmal die Formulierung nichil habet per quod distringatur pro […], einmal die Formulierung nichil habet per quod distringatur de […], einmal der Ausdruck nichil habet unde distringatur in der Memoranda Roll aus dem ersten Regierungsjahr Johns I.

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4.3.7. Rotuli de Dominabus Die Rolle schließlich, die sich zeitlich am nächsten an den hier untersuchten Pipe Rolls befindet, weist zahlreiche Unterschiede in den Charakteristika auf. Die Rotuli de Dominabus et Pueris et Puellis stellen das Ergebnis einer Umfrage dar, die einige Reiserichter im Jahre 1185 unternahmen.208 Diese »justices in eyre« befragten jede Hundertschaft nach Familienstand und Besitz der Witwen, der Erbinnen und der vaterlosen minderjährigen Kinder der Kronvasallen, die in dem entsprechenden Gebiet lebten. Der König besaß nämlich das Recht, die Witwen und Erbinnen seiner Kronvasallen zu verheiraten und über die minderjährigen Kinder die Vormundschaft ausüben zu lassen, die auch die Verwaltung der entsprechenden Güter umfasste.209 Die Befragung sollte sicherstellen, dass diese Rechte des Königs auch gewahrt blieben. Zugleich wurde der Ausstattungsstand der Güter erfragt. Ließ er zu wünschen übrig, gaben die Richter die Anweisung, die nötigen Investitionen zu tätigen, hauptsächlich Tiere zu erwerben, um die Einnahmemöglichkeiten aus dem Landbesitz zu erhöhen.210 Im Gegensatz zu den anderen bisher betrachteten Rollen entstand aus den Rotuli de Dominabus auch zu späterer Zeit keine kontinuierliche Serie. Wahrscheinlich gibt es deshalb keinen englischen Namen für diese Rolle.211 Warum ihr erster Editor sie mit dem Titel Rotuli anstelle des sonst üblichen Singulars Rotulus bezeichnete, bleibt unklar.212 Die Betitelung entstammt aus einer Einfügung auf Rotulus 7 dorso, der lautet: Rotulus de dominabus, pueris et puellis de xij comitatibus, scilicet […], darauf folgt die Aufzählung der einzelnen Countys, die auf allen zwölf Rotuli verzeichnet wurden. Die Schreiber selbst nahmen die zwölf einzelnen Rotuli offenbar als eine Einheit wahr und bezeichneten sie deshalb als Rotulus, der erste Editor folgte diesem Eindruck aber nicht. Aus Gründen der Wiedererkennbarkeit benutze ich ebenfalls den in der Forschung etablierten Namen. Die zwölf Rotuli wurden beidseitig beschrieben und an den Köpfen aneinandergenäht. Die hier analysierten Termini kamen in den Rotuli de Dominabus entweder 208 Diese Rolle läuft in den National Archives unter der Referenz E 198/1/2. Sie wurde ediert von Round, Rotuli de Dominabus. Die Datierung wird begründet in Round, Introduction, S. xix–xxiii. 209 Detaillierter ausgeführt wird dieses Recht ebd., S. xxvf. 210 Siehe ebd., S. xxxii–xxxiv. 211 Die nächste Rolle, die ein »eyre«, also einen Umritt der Reiserichter, protokolliert, stammt aus dem Jahre 1194 und verzeichnet die Ergebnisse der Befragungen in Wiltshire. Sie wurde zu den Curia Regis Rolls sortiert und ediert von Maitland, Three Rolls of the King’s Court, S. 64 – 115. 212 Zuerst ediert wurden die Rotuli de Dominabus von Stacey Grimaldi im Jahre 1830, siehe Round, Introduction, S. xvii.

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gar nicht oder wesentlich seltener als in den Pipe Rolls vor. Lediglich instauramentum (Ausstattung des Landes), terra (Land) und saisire (beschlagnahmen) finden sich häufiger in den Rotuli de Dominabus, da die Verzeichnung von Besitzverhältnissen den Hauptzweck der Rolle bildete. Die Bedeutungsnuancen in den Rotuli de Dominabus und den Pipe Rolls ähneln sich jedoch. Das Land (terra) trat sehr häufig als Besitzgut auf, dessen Wert – mit oder ohne Gerätschaften, wie zum Beispiel einer Mühle – beziffert wurde (terra valet),213 daneben konnten jedoch auch Einnahmen aus terra quantifiziert werden. In diesen Fällen wurde in der Rolle verzeichnet, wie viel aus dem Land beispielsweise in einem Jahr eingenommen wurde (cepit de terra).214 Auch auxilium konnte eine konkrete Hilfe215 oder eine Abgabe meinen.216 Dagegen wurde placitum ausschließlich im Sinne einer Abgabe verwendet und bezeichnete nie einen speziellen Prozess.217 Das Verb reddere beschrieb nicht die Rechnungslegung, sondern gab an, wie viel Einnahmen ein Land abwarf. So wurde zum Beispiel beschrieben, dass das Land einer gewissen Alexandria in Campsey pro Jahr vier Schillinge und sechs Pfennige erbrachte.218 Der Aufbau der Posten unterscheidet sich deutlich von den englischen und normannischen Pipe Rolls und leicht von den anderen bisher besprochenen Rollen (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.6.). Die Rotuli de Dominabus wurden nicht in Spalten gegliedert. Die einzelnen Posten wurden voneinander durch Leerzeilen abgetrennt, der erste Buchstabe durch einen Haken davor herausgehoben. Der Name, mit dem ein Posten beginnt, wurde weiter links geschrieben als der Rest des Postens, so dass die Seite sozusagen mit hängendem Einzug gestaltet wurde. 213 Z. B.: Terra sua in Weston‹ cum molendino valet lxv s. j d. minus, Rotuli de Dominabus, S. 24, Rotulus 3 recto. Ähnliche Formulierungen wurden ebenfalls verwendet, so terra possit valere oder non potest plus valere. 214 Siehe z. B. auf den Rotuli de Dominabus, S. 25, Rotulus 3 recto: […] de terra ejus cepit xxxij d. annuatim. 215 Diese Verwendung kommt jedoch nur einmal vor, als jemand für Rat und Hilfe (pro consilio et auxilio) Geld einsammelt. Die Nähe zur Abgabe ist also unübersehbar. Siehe Rotuli de Dominabus, S. 21, Rotulus 3 recto. 216 Häufig wird ein Zeitraum angegeben, für den auxilium eingezogen wurde, oder es steht parallel zu anderen Abgaben wie firma oder redditus, z. B.: Et preterea ab Augusto usque ad festum Omnium Sanctorum, et interim, recepit predictus Ricardus de predicta villa de asiso redditu lv libras et xv solidos et xj denarios; et de auxilio iij xx libras et iiij libras, et xiij solidos et iiij denarios; et de forefactis, lxj et iiij solidos et ix libras, et xiij s et de franccis hominibus pro exitibus et fine placitorum, xxiij libras et xij s et viij denarios […]. Rotuli de Dominabus, S. 46, Rotulus 5 dorso. 217 Häufig bildete placitum ein Glied einer Aufzählung von Abgaben, etwa: Henricus cepit de villa postquam habuit eam, xxxviii libras et xiiij solidos de redditus, de dono hominum xij marcas, de placitis iiij marcas, de nemore iij marcas. Rotuli de Dominabus, S. 38, Rotulus 4 dorso. 218 Terra sua in Campesse reddit per annum iiij solidos et vj denarios. Rotuli de Dominabus, S. 62, Rotulus 7 recto.

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Im Gegensatz zur Fine Roll, zur Curia Regis Roll und zur Memoranda Roll, auf denen die auf dem linken Rand vermerkte Ortschaft nicht in die Syntax des Eintrags integriert wurde, bildet der Name hier aber das Subjekt des folgenden Satzes. Zudem gliedern zentrierte Überschriften das Pergamentblatt. Innerhalb der Posten lässt sich wenig Gleichförmigkeit erkennen. Meistens wird zu Beginn des Postens der Name der betreffenden Person genannt sowie der Grund, warum sie in der Rolle verzeichnet wurde.219 Auch diese Angaben folgen aber keinem standardisierten Schema. Ähnlich formuliert wurden lediglich Phrasen, die so kurz sind, dass sie kaum als standardisiert angesehen werden können.220 Mit fast allen anderen Rollen teilen die Rotuli de Dominabus eine geringere stilistische Kürze, als sie in den Pipe Rolls zu finden ist, denn auch hier wurden mehr Relativsätze verwendet als in den Rechnungen. Eine Gemeinsamkeit mit den Rechnungen unterscheidet die Rotuli de Dominabus wiederum von allen anderen Rollen: Korrekturen wurden angebracht, indem der falsche Eintrag unterstrichen wurde, nur selten wurde er mittels Durchstreichung unleserlich gemacht. Die Korrekturen wurden jedoch sehr klein eingetragen und sind damit ähnlich schwer zu entziffern wie die Verbesserungen in der Fine Roll, der Curia Regis Roll, der Originalia Roll und der Memoranda Roll.

4.3.8. Close Roll Die gleiche Art zu korrigieren wurde auf der Close Roll angewandt, die sich in ihren anderen Eigenschaften stark von den Pipe Rolls unterscheidet. Die Rolle mit der Referenz C 62/1 läuft in den National Archives unter der Bezeichnung Liberate Rolls.221 Die früheste erhaltene dieser Close Rolls besteht lediglich aus drei beschädigten Membranen, die jeweils Kopf an Fuß aneinandergenäht wurden. Sie verzeichnete königliche Verfügungen, wobei zwar – wie bei fast allen hier untersuchten Rollen – der jeweils erste Buchstabe eines Eintrags etwas größer geschrieben wurde als der Rest, weitere Gliederungsanstrengungen je219 Sie unterstand also der Obhut des Königs (in custodia, in manu Regis). 220 Immerhin zehnmal tritt z. B. die Phrase non potest plus valere auf, die zum Ausdruck bringt, dass die Einnahmen aus einem Land nicht mehr gesteigert werden konnten. Es ist allerdings allein aus grammatikalischen Gründen schwer vorstellbar, wie dieser Satz anders hätte formuliert werden können, so dass wohl kaum von Standardisierung gesprochen werden kann. 221 Mit der Benennung als Close Roll schließe ich mich David Carpenter an. Das Original weist keinen Titel auf. Carpenter argumentiert, dass die vorliegende Rolle mehr Ähnlichkeiten mit der Close Roll aus dem Jahre 1204/05 (in den National Archives unter der Referenz C 64) aufweist als mit den Liberate Rolls, die als Serie 1226 beginnen (in den National Archives unter der Referenz C 62/4). Die Vielfalt und Überschneidung in der Namensgebung der frühen Rollen habe zu einem Archivierungsfehler geführt. Carpenter, Beginnings, S. 10 – 17.

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doch nicht unternommen wurden. Die Marginalien in der Close Roll haben im Unterschied zu den Randbemerkungen in der Curia Regis, der Originalia und der Memoranda Roll keine ordnende Funktion, sie enthalten lediglich einige Zusatzinformationen (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.6.). Die verzeichneten königlichen Verfügungen zeigen Gemeinsamkeiten im Aufbau: Sie beginnen stets mit Rex (König), darauf folgt der Adressat der Verfügung. Wo die rechte Seite des Eintrags trotz des beschädigten Pergaments gelesen werden kann, endet er mit der Angabe der Zeugen und des Datums. Auch im Mittelteil lassen sich einige wiederkehrende Formulierungen finden. So beginnen die Verfügungen häufig mit den Verben mandamus (wir befehlen), computate (rechnet an) oder liberate (zahlt aus).222 Zwar ähnelt die Close Roll stärker als die anderen Rollen den Pipe Rolls, was den Grad der Standardisierung des Postenaufbaus betrifft, ihr Lexembestand jedoch zeigt kaum Überschneidungen mit den Rechnungen.

4.3.9. Zusammenfassung Das Ergebnis dieser vergleichenden Beschreibung der verschiedenen Rollen aus der königlichen Verwaltung kommt schon in der Unübersichtlichkeit der hier erfolgten Darstellung zum Ausdruck. Das Chaos bei der Auflistung entsteht daraus, dass sich Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Rollen und den Pipe Rolls weder systematisieren noch hierarchisieren lassen. Nur wenn man alle hier untersuchten Charakteristika brutal auf den gleichen Wert setzt, lässt sich die oben verfolgte Reihenfolge erstellen, bei der die Norman Roll sich am wenigstens von den Pipe Rolls unterscheidet, darauf die Fine Roll, die Originalia Roll, die Curia Regis Roll, die Memoranda Roll folgen und die Rotuli de Dominabus und die Close Roll am stärksten von den Pipe Rolls abweichen. Beginnt man jedoch mit der Gewichtung der einzelnen Charakteristika, so löst sich diese Reihenfolge sofort auf. Wenn beispielsweise die Korrektur mithilfe von Unterstreichungen anstelle des unleserlichen Durchstreichens als besonders wichtiges Merkmal für den Umgang mit dem Dokument angesehen wird, erweisen sich die Rotuli de Dominabus als den Pipe Rolls besonders ähnlich. Je nachdem, ob die Übereinstimmung in den Bedeutungsnuancen oder die Gleichartigkeit des Anordnungsprinzips als das entscheidende Kriterium für die Ähnlichkeit angesehen wird, muss die Memoranda Roll oder die Fine Roll besonders nahe an die Pipe Rolls herangerückt werden. Eine übergreifende Hierarchisierung lässt sich nicht ausmachen, weil keine Rolle in allen abgeprüften Charakteristika mehr (oder weniger) Ähnlichkeiten 222 Die Verfügungen, die mit computate oder liberate beginnen, wurden später auf einer eigenen Rolle verzeichnet, der Liberate Roll.

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mit den Pipe Rolls aufweist als alle anderen Rollen. Keine der Rollen befindet sich deshalb absolut näher an (oder weiter entfernt von) den Pipe Rolls als eine andere. So zeigen zum Beispiel die Norman Pipe Rolls im Gegensatz zur Memoranda Roll den gleichen Postenaufbau wie die Pipe Rolls. Sämtliche Bedeutungsnuancen der einzelnen Termini der Pipe Rolls finden sich jedoch nur in der Memoranda Roll, nicht in den Norman Pipe Rolls wieder. Die Fine Roll zeichnet sich durch mehr standardisierte Phrasen aus als auf der Curia Regis Roll notiert wurden, im Hinblick auf die Häufigkeit der Termini ähnelt allerdings die Curia Regis Roll den Pipe Rolls stärker. Auf dieser Gerichtsrolle nehmen die Termini meistens nicht alle Bedeutungsnuancen an, die die gleichen Lexeme auf den Pipe Rolls zeigen. Die Bedeutungsschattierungen für die Pipe Rolls und die Rotuli de Dominabus gleichen sich stärker. Die Schreiber hoben auf den Pipe Rolls und der Curia Regis Roll, nicht jedoch auf den Rotuli de Dominabus den Postenanfang durch einen größeren Buchstaben hervor. Auf der Memoranda Roll wurden die Überschriften wie auf den Pipe Rolls zentriert, wohingegen sie auf der Fine Roll linksbündig gesetzt wurden. Bei der Anordnung der Posten auf dem Pergament unterscheidet sich jedoch die Memoranda Roll von den Pipe Rolls und der Fine Roll, denn während auf ersterer die Posten in Blöcken mit Marginalien gesetzt wurden, zeigen letztere eine stärkere horizontale Strukturierung. Die Rotuli de Dominabus bestehen kaum aus standardisierten Phrasen, die man in den Norman und den englischen Pipe Rolls zuhauf findet. Die Überschriften auf den Rotuli de Dominabus gleichen hingegen den englischen Pipe Rolls, wohingegen die hier untersuchten normannischen Rechnungen durch keinerlei Überschriften gegliedert wurden. Keine der Rollen befindet sich damit absolut näher an oder weiter weg von den Pipe Rolls. Darüber hinaus lassen sich die Unterschiedlichkeiten auch nicht nach den in dieser Arbeit verwendeten Kategorien zusammenfassen: Die Differenzen (oder die Ähnlichkeiten) zwischen den Pipe Rolls und einer anderen Rolle liegen nie ausschließlich im Bereich der Eindeutigkeit, der Standardisierung oder der Kürze. Das Gleiche gilt für den Vergleich der Rollen untereinander. Die meisten Gemeinsamkeiten weisen die Curia Regis und die Memoranda Roll auf, trotzdem stimmen sie für keine der drei Merkmalsgruppen völlig überein. So treten die Termini in diesen beiden Rollen zwar in ähnlicher Häufigkeit auf, nehmen aber unterschiedliche Bedeutungsnuancen an. Beide Rollen wurden in blockartige Posten mit Marginalien gegliedert, die Memoranda Roll weist jedoch im Verhältnis zur Curia Regis Roll wenige Nebensätze auf. Mithilfe der hier verwendeten Analyseeinheiten der Eindeutigkeit, Standardisierung und Kürze lassen sich die verschiedenen Rollen nicht in ein System bringen.

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Ein Modell unintendierter Ausdifferenzierung

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4.4. Ein Modell unintendierter Ausdifferenzierung Die Verteilung der Unterschiedlichkeiten fügt sich also zu keiner Hierarchie und zu keiner Systematik. Deshalb kann man nicht prognostizieren, wie sich diese Verteilung verändern würde, wenn entweder eine weitere Rolle hinzugezogen oder die bisherigen Rollen auf ein weiteres Charakteristikum geprüft würden. Die Untersuchung der diachronen Veränderung der Pipe Rolls kommt zu einem ähnlichen Schluss: Eine Analyse von dreißig aufeinanderfolgenden Pipe Rolls befähigt nicht dazu vorherzusagen, wie die 31. Rechnung sich gestaltete. Die mehr oder weniger synchrone Untersuchung der Sprache in verschiedenen Umgebungen hat nun gezeigt, dass auch die Veränderungen einer Sprache in neuen Kontexten nicht prognostiziert werden können. Die Sprache passte sich der neuen Umgebung an. In welcher Weise sie das tat, kann erst in der Rückschau untersucht werden, nachdem dieser Anpassungsprozess vollzogen wurde. So liegt es nahe zu vermuten, dass auch in synchroner Hinsicht eine spezifische Funktionalität entstand, die von den Schreibern nicht explizit geplant wurde. Die Schreiber gingen nicht mit dem Plan und Ziel vor, eine neue Rollenart zu erschaffen, wenn sie die Notizen und Memoranda aufs Pergament kritzelten. Vielmehr differenzierten sich die neuen Rollensorten langsam heraus, indem durch die stete Anpassung der Sprache ein neuer Kontext erschlossen wurde. Diese Beschreibung lässt wieder an einen evolutionären Vorgang denken. Wie sich in unterschiedlichen Umgebungen verschiedene verwandte Arten aus den gleichen Vorfahren herausbilden, so diversifizierte sich auch die Verwaltungssprache, wenn sie in anderen Kontexten als der Rechnungslegung eingesetzt wurde. Die Analyse hat deutlich gezeigt, dass die verschiedenen Rollen zahlreiche ähnliche Eigenschaften aufweisen, sie also mit Fug und Recht als verwandt bezeichnet werden können. Der Unterschied zwischen den Rollen besteht nicht in einem entscheidenden Charakteristikum, sondern setzt sich jeweils aus vielen kleinen Änderungen zusammen, ganz wie bei den verschiedenen Arten, mit denen sich die biologische Evolutionstheorie beschäftigt.223 Diese Anpassung an den Kontext besitzt natürlich ebenfalls eine zeitliche Komponente. Der Adaptionsprozess braucht Zeit. In der darwinistischen Ausprägung entstehen zunächst Variationen, im Zuge der Selektion werden anschließend die Variationen ausgewählt, die sich im neuen Kontext als besonders passend erweisen. In Lamarcks Modell reagieren Organismen aktiv auf Umweltveränderungen.224 Welches der beiden Modelle für die Rechnungssprache zutrifft, ist hier nicht entscheidend. In beiden Fällen geht die Anpassung an die 223 Siehe Wuketits, S. 23 und S. 83. 224 Laut Gould beschreibt Lamarcks Theorie Prozesse kultureller Evolution zutreffender als der Darwinsche Ansatz, so Gould, Panda’s Thumb, S. 83.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

neue Umgebung schrittweise vonstatten. Zwei Aspekte deuten darauf hin, dass man einen solchen Prozess von Variation und Selektion, wie er oben in den Pipe Rolls nachgewiesen wurde, auch in der Veränderung der anderen Rollen beobachten könnte, wenn man eine diachrone Serie von ihnen untersuchte. Erstens blieb von keiner der Rollenserien das erste Exemplar erhalten. Für jede erhaltene Rolle wurde nachgewiesen, dass sie nicht die erste ihrer Art darstellte,225 die frühesten Rollen gingen aber alle verloren. Angesichts der exzellenten Überlieferungslage für Dokumente aus der königlichen Verwaltung der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stellt dieser Befund ein erklärungsbedürftiges Phänomen dar : Warum blieben alle Pipe Rolls aus den 1170er Jahren erhalten, nicht aber die mutmaßlich erste Fine Roll beziehungsweise die mutmaßlich erste Memoranda Roll? Die Antwort liegt vermutlich darin, dass sie eben nicht als die ersten Fine respektive Memoranda Roll konzipiert und wahrgenommen wurden. Die Schreiber begannen die Abfassung eines Dokuments nicht mit dem Vorsatz, nun eine neue Rollenserie zur Verzeichnung aller an den König gerichteten Versprechungen und Angebote anzulegen. Wahrscheinlicher notierten sie zunächst bestimmte Notizen, Bemerkungen und Nachrichten, die zum Beispiel auf den Pipe Rolls keinen Platz fanden, aber trotzdem festgehalten werden sollten.226 Erst mit der Zeit entstand daraus eine neue Rollenserie. Schon Richardson beschreibt die Herausbildung einer neuen Rollenserie in seiner Einleitung zur Memoranda Roll als langsamen Übergang von files (einzelnen Blättern) zu Rollen. Für ihn stellt diese Entstehung den »natural process of evolution« dar.227 Da auch die frühesten Pipe Rolls nicht erhalten blieben, kann man spekulieren, ob auch die Rechnungsrollen auf diese Weise entstanden: Vielleicht notierten die Schreiber den Abrechnungsvorgang zunächst auf einzelnen Zetteln, die irgendwann überhandnahmen oder zu unübersichtlich wurden, so dass sie zum Rollenformat übergingen. Diese Vorstellung kann zwar nicht belegt werden.228 Dass jedoch die Entstehung anderer Rollenserien nicht bewusst passierte und die Rollen erst im Nachhinein als Exemplare einer neuen Art wahrgenommen wurden, deutet sich nicht nur darin an, dass ihr jeweils erster Vertreter verloren ging. Ein zweites 225 Siehe oben bei der Beschreibung der einzelnen Rollen in den Kapiteln 4.3.2. bis 4.3.8. 226 Für die Memoranda Rolls beschreibt diesen Vorgang Davies, Memoranda Rolls, S. 105. 227 Richardson, Introduction, S. xlix. Crook gibt eine zeitliche Abfolge für die Entstehung der Memoranda Rolls: Ende der 1170er seien Memoranda verschriftlicht und ab 1196 für einige Jahre aufbewahrt worden. Ab 1208/09 schließlich wurden zwei Memoranda Rolls pro Jahr erstellt. Ab dem Jahr 1217/18 blieben beide Rollenserien erhalten. Siehe Crook, Remembrancer, S. 12. 228 Einen ganz ähnlichen Vorgang kann Arlinghaus für die Datini/di Berto-Handelsgesellschaft nachweisen. Er schlussfolgert, dass Buchhaltung dadurch entsteht, dass erste Aufzeichnungen als Gedächtnisstütze angefertigt werden, die eine solche Eigendynamik entfalten können, dass sich ein Buchhaltungssystem herausbildet. Arlinghaus, Notiz, S. 452.

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Ein Modell unintendierter Ausdifferenzierung

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Indiz bildet die Namensgebung dieser Rollenserien. Wie bei der Beschreibung der einzelnen Rollen dargelegt, bildete sich erst langsam der Name für die Rollen heraus, unter dem wir sie heute kennen. Während vor der Wende zum 13. Jahrhundert noch verschiedene Rollen den gleichen Namen tragen konnten beziehungsweise die gleiche Art von Rolle unterschiedlich bezeichnet werden konnte, standardisierte sich die Namensgebung zu Beginn des 13. Jahrhunderts.229 Erst die Zusammenfassung unter einer Referenz im Archiv machte die hier untersuchten Rollen zu den jeweils ersten erhaltenen Exemplaren einer Gattung mit einem bestimmten Namen. Aber selbst in der Katalogisierung der Archivare scheint durch, dass diese ersten erhaltenen Rollen noch nicht als Teil einer neuen Serie gedacht wurden. So wurden etwa die beiden ältesten Memoranda Rolls erst im 19. Jahrhundert wiedergefunden230 und laufen heute in den National Archives unter einer anderen Referenz (E 370) als die Serie von Memoranda Rolls, die ab der Zeit Henrys III. überliefert ist (E 368). Die Curia Regis Rolls tragen diesen unspezifischen Namen, da eine zeitgenössische Benennung nicht überliefert ist und in diesen Rollen zahlreiche Aspekte behandelt werden, die in der Zeit nach Henry III. in wiederum ausdifferenzierten und deshalb spezifischer betitelten Rollen notiert wurden. Entsprechend werden die Curia Regis Rolls des 12. und frühen 13. Jahrhunderts in den National Archives unter der Referenz KB 26 zusammengefasst, wohingegen die späteren spezielleren Rollen jeweils eigene Referenzen bekamen.231 Die frühesten Close Rolls wurden wahrscheinlich fälschlicherweise den Liberate Rolls zugeschlagen,232 da sich beide Rollenserien noch nicht so stark unterschieden wie später im 13. Jahrhundert. Erst in der Rückschau stellen sich die anderen Rollen als erste Exemplare einer neuen Gattung dar. Wahrscheinlich bildeten sich diese neuen Rollen heraus, indem die Schreiber, die auch die Pipe Rolls schrieben, Notizen verfertigten, Anmerkungen notierten oder Vorgänge protokollierten, die auf der Pipe Roll keinen Raum hatten und haben sollten. Dabei traten in der Sprache, die diese Schreiber benutzen, genau wie in der Sprache der Pipe Rolls Variationen auf. Aus diesen Variationen wurden durch die Selektion nun sukzessive die Varianten ausgewählt, die zu dem neuen Anwendungskontext passten, in dem diese Notizen oder Protokolle entstanden. Die Sprache veränderte also einige ihrer Charakteristika. Die gleichen Menschen, die die Pipe Rolls verfassten,

229 Richardson, Introduction, S. xxx. 230 Blakiston, Memoranda Roll, S. 2 f. 231 Die Essoin Rolls laufen unter der Referenz KB 121, zum Court of Common Pleas gehören z. B. die Plea Rolls (CP 40) oder die Rex Rolls (CP 23). 232 So Carpenter, Beginnings, S. 10 – 17. Seiner Ansicht nach gehören die Rollen mit den Referenzen C 62/1, C 62/2 und C 62/3 eigentlich in die Gruppe der Rollen mit der Referenz C 54.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

benutzten eine etwas andere Sprache, wenn sie Dokumente erstellten, die in einem anderen Kontext entstanden und einem anderen Zweck dienen sollten. Die Sprache der verschiedenen Rollen entstand folglich in einem Prozess der Ausdifferenzierung der Verwaltungssprache. Wie die spezielle Sprache der Pipe Rolls zur Festigung der Abhörungsprozesse beitrug, so deutet sich auch in der unterschiedlichen Ausformung der Sprachen der Rollen eine Differenzierung an, die erst im 13. Jahrhundert auf organisatorischer Ebene nachvollzogen wurde. Im 12. Jahrhundert können lediglich ein ortsfester und ein mit dem König umherziehender Teil der Verwaltung unterschieden werden. Eine differenziertere organisatorische Aufteilung geschah erst im Jahre 1234, als das Amt des Justiziars abgeschafft wurde, der juristische, finanzielle und andere administrative Funktionen in sich vereinte. An seine Stelle traten Abteilungen der königlichen Verwaltung: Der Haushalt, die Kanzlei, der Exchequer sowie die beiden höchsten Zivilgerichte, King’s Bench und Common Bench, können nun personell und organisatorisch voneinander unterschieden werden.233 Wie oben ausführlich dargelegt, zeichnete sich in der Sprache der verschiedenen Rollen aber bereits im 12. Jahrhundert eine Aufspaltung der Regierungsgeschäfte ab. Die unterschiedlichen Rollen wurden zwar von den gleichen Personen geschrieben, so dass keine völlig selbständigen Organisationseinheiten voneinander separiert werden können. Die Unterschiedlichkeit der Sprache zeigt jedoch an, dass jedes Dokument bereits einem anderen Funktionalitätsprinzip folgte. Der Ausdifferenzierungsprozess der Sprachen soll dabei aber keineswegs als teleologischer Ablauf hin zu einer Departementalisierung der englischen Regierung dargestellt werden. Vielmehr zeigt die Veränderung der Sprache, in welchen Bereichen unterschiedliche Funktionalitätsprinzipien existierten. Um welche Bereiche es sich handelte, wie sich diese Funktionalität gestaltete und in welcher Weise deshalb die Sprache verändert wurde, wurde von niemandem geplant. Als dieser Ausdifferenzierungsprozess weit genug vorangeschritten war, um die verschiedenen Sprachen und die in ihnen verfassten Rollen tatsächlich als unterschiedlich wahrzunehmen, wurde dieser Prozess auf organisatorischer Ebene nachvollzogen: Nun lernten verschiedene Menschen diese verschiedenen Sprachen, wodurch weitere Ausdifferenzierungsvorgänge ermöglicht wurden.234

233 Richardson, Introduction, S. lxxxvij. Als Prozess der Spezialisierung der königlichen Justiz beschreibt diesen Vorgang Jewell, Local Administration, S. 125 f. 234 Die Beobachtung des Rollensystems über einen längeren Zeitraum könnte deshalb eventuell ermöglichen, eine Art Stammbaum für die englische Verwaltungssprache zu erarbeiten. Z. B. würde die Sprache der Curia Regis Roll von derjenigen der Pipe Rolls abstammen und sich etwa in diejenige der Common Plea Rolls, der Rex Rolls und der Essoin Rolls aufspalten. Die Liberate Rolls entstanden als Ausgliederung der Auszahlungsverfü-

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Ein Modell unintendierter Ausdifferenzierung

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Einen Anlass für die Zunahme der Dokumente scheinen die Justizreformen Henrys II. gegeben zu haben. Insbesondere etablierten sich Standardformen für »writs«, kurze, briefähnliche Schriftstücke, mit denen zum Beispiel ein Prozess eröffnet werden konnte.235 Formvorlagen für unterschiedliche »writs« konnten von der Kanzlei bezogen werden.236 Die Standardisierung ermöglichte eine Massenproduktion von »writs«.237 Auf dieser Grundlage bildete sich ein fester Ablauf der verschiedenen Stufen eines Gerichtsprozesses heraus, wie ihn der Justiziar Glanvill kurz vor Ende des 12. Jahrhunderts beschrieb.238 Damit soll nicht impliziert werden, dass Veränderungen im Justizsystem unter Henry II. die Abfassung neuer Rollen initiierten. Die zusätzlichen Aufgaben aber, die seiner Verwaltung dadurch erwuchsen, gaben wohl den Anlass dazu, dass mehr Notizen niedergeschrieben, mehr Prozesse protokolliert wurden, insbesondere da der Teil des Hofes, der nicht mit dem König herumzog, sondern fest in Westminster blieb, über die Handlungen des Königs informiert werden musste.239 So könnte der Grundstein für eine organisatorische Differenzierung gelegt worden sein. Die Herausbildung eines diversifizierten Rollensystems könnte somit ein Beispiel dafür geben, wie eine Handlung des Königs eine Folge zeitigte, die er nicht intendiert hatte: Die Reform des Justizsystems führte zu einer Ausdifferenzierung des Verwaltungsschriftguts. Allerdings stellen auch diese Neuerungen im Rechtswesen des 12. Jahrhunderts für Paul Brand weniger revolutionäre Akte als vielmehr die Kumulation gradueller Wandlungen dar.240 Die Veränderungen, seien sie nun initiiert oder zusammengefasst worden, fanden zwar in den Pipe Rolls kaum Widerhall,241 lieferten aber wohl den Ansatzpunkt zu einer Ausweitung und Auffächerung der Verwaltungstätigkeiten. In Luhmannsche Terminologie gefasst, könnte man formulieren, dass sich in der englischen Verwaltung funktionale Bereiche ausdifferenzierten, die wahrscheinlich ähnlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt waren und sich deshalb

235 236 237 238 239 240

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gungen (der writs computate und liberate) von den Close Rolls, die Patent Rolls spalteten sich von den Charter Rolls ab, so Carpenter, Beginnings, S. 28. Eine Übersicht über die Entstehung des writ Systems und die verschiedenen Formen eines writs bietet Van Caenegem. Brand, Henry II, S. 217. Clanchy, Memory, S. 90. Tractatus de Legibus. So z. B. Richardson, S. xiij und lxxvij. Brand zeigt, dass die berühmten legislativen Akte Henrys II., wie etwa die Constitutions of Clarendon und verschiedene Assizen, hauptsächlich bereits bestehende Gesetze zusammenfassten. Zudem seien einige wichtige rechtliche Änderungen nicht von Henry II. erlassen worden, sondern hätten sich graduell vollzogen, darunter z. B. die Abfassung formaler Berichte über die Tätigkeit der königlichen Gerichtshöfe. Brand, Henry II, S. 224 – 231. Auch die Ausdifferenzierung der Common Bench aus dem Exchequer sei ungeplant erfolgt, S. 235. Siehe oben, Kapitel 4.2.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

eventuell in Form einer »Co-evolution« entfalteten.242 Allerdings gestalten sich diese Bereiche nicht als abgeschlossen und autark genug, um als (Sub)systeme im Luhmannschen Sinne gelten zu können.243 Infolge der Ausdifferenzierungsprozesse gestaltete sich die englische Verwaltung spätestens am Ende des 12. Jahrhunderts überaus komplex. Interpretiert man ihre Entstehung als Adaptionsprozess an veränderte Kontextbedingungen, geht man also davon aus, dass sich die Sprachen und in deren Folge die organisatorische Ausgestaltung der einzelnen Bereiche der Verwaltung jeweils in ihre Nische, also in ihr jeweiliges officium,244 einfügte, tritt der funktionale Vorteil dieser Ausdifferenzierung vor Augen: Auf diese Weise konnte die Sprache im Prozess der Variation und Selektion der je spezifischen Funktionalität ihres officium angepasst werden. Kurz gesagt: Je genauer sich jeder Bereich der Verwaltung an den Aufgaben seines jeweiligen officium ausgerichtet hatte, desto komplexer gestaltete sich die Verwaltung. Komplexität stellt also einen Indikator für Angepasstheit dar, die die Erfüllung der jeweiligen Aufgabe und damit den Bestand des Systems gewährleistete. Komplexität und nicht Systematisierung bilden demnach die Grundlage für die Beständigkeit einer Verwaltung.245

4.5. Die Folge der Anpassungsfähigkeit der Rechnungssprache: Die Beständigkeit der Pipe Rolls Die Sprache der Pipe Rolls besaß die Fähigkeit zur zeitlichen und räumlichen Diversifizierung, die Gould im Rahmen der biologischen Evolution als das Erfolgsrezept gegen das Aussterben einer Art ausmacht: Varietät (variety) und Diversität (diversity) bildeten die Voraussetzung für den Fortschritt (progress).246 »Fortschritt« meint in der biologischen Evolutionstheorie eine »relativ bessere Bewältigung der jeweiligen Lebenssituation«, das heißt die bessere Anpassung an die Umwelt.247 Mit der zeitlichen Anpassungsfähigkeit besaß die Sprache der Pipe Rolls die Varietät, durch die räumliche Anpassung sicherte sie ihre Diversität. So führte die Änderungsfähigkeit dazu, dass die Sprache sich auf neue Anforderungen und Bedürfnisse ausrichten konnte. Da der Abrechnungsprozess hauptsächlich durch und mithilfe der Sprache ablief, blieb so auch 242 243 244 245

Luhmann, Gesellschaft, S. 536. Ebd., S. 92 – 119. Zu officium als Aufgabenbereich der Verwalter siehe Kapitel 1.4. Gerade die deutsche Forschung legt gerne den umgekehrten Maßstab an und beurteilt eine Verwaltung wohlwollend, die systematisch aufgebaut war, auch wenn sie gar nicht lange funktionierte, siehe dazu den Kommentar zu Vismanns Ausführungen in Kapitel 5.5. 246 Gould, Panda’s Thumb, S. 182. Ausführlich legt er das Argument dar in Gould, Full House. 247 Wuketits, S. 48.

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Die Beständigkeit der Pipe Rolls

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dieser Teil der Verwaltungsarbeit flexibel und anpassungsfähig. Wäre er in fester Form erstarrt, hätte der Abrechnungsprozess an Funktionalität verloren und wäre irgendwann eingestellt und eventuell in neuer Form wieder errichtet worden. Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen lässt sich deshalb anhand der Frage überprüfen, ob das Abrechnungssystem über längere Zeit Bestand hatte. Sie lässt sich eindeutig bejahen. Lediglich zwei große Überlieferungslücken klaffen in der steten Abfolge jährlicher Abrechnungen: Rechnungen vor dem Jahr 1129/30 fehlen, obwohl das System von Abhörungen wahrscheinlich schon seit ungefähr 1110 installiert war. Diese Pipe Rolls wurden aber wohl einfach nicht überliefert. Die zweite Lücke liegt zwischen dieser ältesten erhaltenen Rechnung und der ersten aus der Regierungszeit Henrys II.248 In der Zeit des Bürgerkriegs zwischen Stephen und Matilda wurden wahrscheinlich tatsächlich keine Abhörungen in der ansonsten üblichen Form vorgenommen, wahrscheinlich gab es jedoch Abrechnungsprozeduren für einzelne Gebiete, von denen aber keine Spuren erhalten sind.249 Bis zum Beginn der Regierungszeit Henrys II. hatte die schriftliche Rechnungssprache damit noch keine solche Diversifizierungsfähigkeit erreicht, die ihr ein Überleben gesichert hätte. In allen folgenden Krisenzeiten blieben die Pipe Rolls und der Abrechnungsprozess jedoch bestehen. Pipe Rolls gab es von da an immer, auch während der Abwesenheit Henrys II. auf dem Kontinent, auch während der Auseinandersetzungen mit Thomas Beckett,250 auch während der Revolten seiner Söhne.251 Außerhalb des Betrachtungszeitraums liegen bereits die Gefangenschaft König Richards I. und dessen Konflikte mit seinem Bruder John. Nur ein weiteres Mal reißt die jährliche Rechnungsproduktion bis zum Ende des Exchequer für lediglich zwei Jahre ab: Wahrscheinlich wiederum wegen des Bürgerkriegs im Zuge der Rebellion der Barone fehlen die Pipe Rolls für das letzte, 18. Regierungsjahr von John (1215/16) und das erste Regierungsjahr seines

248 Bereits für das erste Regierungsjahr Henrys II. wurde eine Pipe Roll erstellt, die aber nicht erhalten blieb. Exzerpte daraus wurden ins Red Book of the Exchequer übertragen, einer Kompilation von Dokumenten, die für die Arbeit am Exchequer Relevanz besaßen, siehe The Red Book. 249 Yoshitake. Dieses Ergebnis fasst er auf S. 958 f. zusammen. White, Restoration, S. 36. Auch Amt, Accession, S. 121, vermutet, dass es im Südwesten des Landes, also auf angevinischer Seite, Abhörungen gegeben habe. 250 In der Einleitung zur Edition der PR 12 Henry II wird geradezu erstaunt festgestellt, dass die Abwesenheit von Thomas Beckett die Arbeit der Regierung offenbar überhaupt nicht beeinflusste, Cestr, S. xii. 251 Allgemeiner spricht Richardson, Introduction, S. lxxxj, von der Kontinuität der englischen Verwaltung, »that functioned in England, undisturbed by changes among the figure-heads, unshaken by revolt.«

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minderjährigen Sohnes, Henrys III. (1216/17).252 Für Henrys III. zweites Regierungsjahr und sein elftes Lebensjahr existiert wieder eine Rechnung,253 in der die Abrechnung über die zwei vorvergangenen Jahre nachgeholt wurde.254 Da die Rechnung des zweiten Regierungsjahres von Henry III. keinen signifikanten Bruch zu derjenigen des vorletzten Regierungsjahres von John darstellt255 und zwei Jahre angesichts von Bürgerkrieg und Minderjährigkeit eine sehr kurze Unterbrechung darstellen, sollte diese Lücke nicht als Abbruch der Kontinuitätslinie, sondern eher als kurze Verzögerung im Reproduktionsprozess bewertet werden. In der Folgezeit fehlt nur noch die Pipe Roll aus dem 7. Regierungsjahr von Henry IV. (1405/06). Für diese ist aber das Gegenstück, die Chancellor’s Roll, erhalten.256 Sie zeigt, dass in diesem Jahr auf jeden Fall eine Abrechnung stattfand. Selbst in der Zeit von Bürgerkrieg und Commonwealth im 17. Jahrhundert, in einer der auffälligsten Phasen von Umbruch und Chaos in der englischen Geschichte, wurde jedes Jahr eine Pipe Roll produziert. Der einzige Tribut an die umstürzlerische Stimmung ist darin zu sehen, dass die Rechnungen kurzfristig auf Englisch statt auf Latein geschrieben wurden, wobei die alte, lateinische Rechnungssprache Wort für Wort ins Englische übertragen und die Ordination beibehalten wurde.257 Erst im Jahr 1832 wurden der Exchequer und damit auch die Pipe Rolls abgeschafft. Nach siebenhundert Jahren erwiesen sie sich nicht mehr als anpassungsfähig genug. Auch das Ende des Exchequer erfolgte in einem graduellen Prozess: Obwohl die Bank of England, die die meisten Funktionen des Exchequer übernahm, schon im Jahr 1694 gegründet wurde, bestand der Exchequer noch über hundert Jahre weiter.258 Diese Zeit liegt aber weit außerhalb des Beobachtungsspektrums dieser Arbeit. Innerhalb der hier untersuchten Jahre – und noch lange darüber hinaus – blieben die Pipe Rolls, ihre Sprache und damit auch der Abrechnungsprozess, den sie mitkonstituierte, bestehen. Die Pipe Rolls zeigten sich also anpassungsfähig und bestanden lange. Den 252 Außerdem fehlt die Rechnung für das 15. Regierungsjahr von John (1212/13). Sie ging wahrscheinlich verloren, siehe Referenz E 372/59 im Katalog der National Archives. 253 Sie ist in den National Archives zu finden unter der Referenz E 372/62 und wurde ediert als Band XXXIX der Pipe Roll Society New Series. 254 Chrimes, Introduction, S. 74. 255 Zwar fehlt die Abrechnung über einige Countys, in Aufbau und Detailliertheit unterscheidet sich die Rolle aber nicht signifikant von ihren Vorgängern. Siehe auch Ebden, S. xj. 256 Diese Rolle findet man in den National Archives unter der Referenz E 352/197. 257 Endgültig auf Englisch umgestellt wurden die Pipe Rolls im Rechnungsjahr 1732/33 (6 George II), in den National Archives zu finden unter der Referenz E 372/577. Statt des Et Quietus est wurde nun das And He Is Quitt hervorgehoben, statt des Idem Vicecomes reddit Compotum begannen die Posten mit The same Sheriff renders Account usw., so in der PR 30 George II (1756/57), E 372/601. 258 Robert, S. 84 f.

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Die Funktionalität der Pipe Rolls: Reproduktion interner Rechenschaftslegung

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Zusammenhang zwischen beiden Beobachtungen herzustellen, hilft die Evolutionstheorie: In einem Selektionsprozess wurden die funktional überlegenen Komponenten der Rechnungssprache ausgewählt.259

4.6. Die Funktionalität der Pipe Rolls: Reproduktion interner Rechenschaftslegung Funktionalität spielt für die Evolutionstheorie eine Rolle, muss jedoch etwas anders definiert werden als etwa in den Wirtschaftswissenschaften. In dieser Abwandlung des Funktionalitätsbegriffs liegt aber genau den Vorteil, den evolutionäre Erklärungsweisen für den Historiker besitzen: Er muss sich nicht entscheiden, ob er davon ausgeht, dass sich die Akteure entweder immer oder nie rational verhielten. Die Forderung, die Rationalität der Akteure zu berücksichtigen, die sich von heutigen Annahmen über Rationalität unterscheiden konnte, bildete eine beliebte Forderung der Historiker insbesondere der 80erJahre des 20. Jahrhunderts. Damit näherten sie sich der vor allem in den Wirtschaftswissenschaften beheimateten Sichtweise des Menschen als eines homo oeconomicus, dessen Handeln rational choice-Modellen folgt.260 Diese Annahme in Zweifel zu ziehen, ist nur zu naheliegend und bildet deshalb einen häufigen Kritikpunkt insbesondere der Soziologen, die sich um eine Abgrenzung zu den Ökonomen bemühen.261 Bei der Betrachtung historischer Prozesse führt die Prämisse, dass sich Akteure stets rational verhielten, zu einem ähnlich gelagerten Fehlschluss, wie ihn die teleologische Perspektive auf die Geschichte vollzieht: Letztere sieht das Ziel eines Prozesses als gegeben an und beurteilt auf dieser Grundlage die Mittel, die die Akteure ergriffen, als effektiv oder nichteffektiv für die Erreichung dieses Ziels. Die Annahme einer eigenen, spezifischen Rationalität der Akteure hingegen geht davon aus, dass diese Mittel stets effektiv 259 Kealey, S. 200, führt die Beständigkeit des Abrechnungswesens zumindest während des 12. Jahrhunderts auf das Genie Rogers of Salisbury zurück, der ein so perfektes System geschaffen habe, dass es ihn überleben konnte. Beständigkeit kann also auch durch Genialität begründet werden, nicht nur durch Anpassungsfähigkeit. Allerdings hat dieses Kapitel gezeigt, dass sich die Pipe Rolls nach dem Tod Rogers of Salisbury im Jahr 1139 weiterhin ständig und inkrementell änderten, was er wohl kaum zu Lebzeiten geplant haben konnte. Nicht das System Rogers, sondern das System der Abrechnungen bestand weiter fort. 260 Die Auseinandersetzung und Kooperation zwischen der Soziologie und dem Teil der Ökonomik, der sich mit überindividuellen Prozessen auseinandersetzt, ist natürlich wesentlich komplexer als hier angerissen. Bis auf Adam Smith werden diese Beziehungen bei Krier zurückverfolgt. Die jüngere Geschichte der besonders intensiven Kooperation und Konfrontation zwischen ökonomischer Soziologie und Institutionenökonomik erzählt Velthuis. 261 Diese Abgrenzungsbemühungen sind schön zu beobachten bei Sawyer.

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Die Veränderung der Rechnungssprache: Die Anpassungsfähigkeit

waren, und folgert aus dem erreichten Ziel die Intentionen der Akteure. Beide Ansätze nehmen damit Bedingungen an, die nicht unbedingt vorgelegen haben müssen: Weder müssen die Akteure das aus heutiger Sicht erstrebenswert scheinende Ziel anvisiert haben, noch müssen sie genau das gewollt haben, was sie erreichten.262 Der Rückgriff auf evolutionäre Beschreibungsmodelle kann dieses Dilemma auflösen, indem er Funktionalität nicht auf der Ebene eines Individuums, sondern in einem anonym ablaufenden Prozess ansiedelt. Nicht jedes Auftreten einer neuen Erscheinung muss sich durch einen erhöhten Nutzen für irgendjemanden oder irgendetwas rechtfertigen lassen, da Variationen ohne jede Überlegung und Schranke entstehen. Langfristig bleibt jedoch nur bestehen, was sich im Prozess der Selektion durchsetzt. Die Selektion nun stellt eine lenkende Kraft dar :263 In ihrem Wirken kommt Funktionalität zum Ausdruck. Die Selektion lenkt, indem sie auswählt, was sich besser an die Umwelt anpassen kann. Der Mechanismus von Variation, Selektion und Stabilisierung erkennt die Rationalität eines historischen Ablaufs durchaus an: Was selektiert und stabilisiert wurde, muss per definitionem besser angepasst, also funktional überlegen gewesen sein. Im Nachhinein wird erkennbar, welche Veränderungen sich als funktional, als »besser« erwiesen. Gleichzeitig ermöglicht dieser Mechanismus das problemlose Auftreten von »schlechteren« Alternativen, die einfach nicht selektiert werden. Handlungen und Veränderungen müssen also keinen Sinn enthalten, wenn sie zutage treten. Nur um zu überleben, benötigen sie eine Funktionalität, die sich immer erst im Nachhinein als solche konstituiert. Der Gewinn einer Analogiebildung zur Evolutionstheorie besteht zusammengefasst darin, Funktionalitätsdenken zu ermöglichen, ohne Teleologie und Intentionalität zu implizieren.264 Wir können nun auf die untersuchten dreißig Jahre der Veränderungen in der Rechnungssprache zurückblicken und fragen, woran sich denn die Sprache anpasste, worin sich rückschauend ihre Funktionalität erkennen lässt. In diachroner Perspektive können die Veränderungen als Anpassungsleistungen an262 Gerade im Zuge der Rezeption postmoderner Theorien gerieten Ausdrücke wie Funktionalität oder Rationalität deshalb in der Geschichtswissenschaft in Verruf. Stattdessen wurde die Prägekraft kultureller Faktoren, von Diskursen und Praktiken betont. Zur Verarbeitung des linguistic turn in der Geschichtswissenschaft siehe Sarasin, Diskurstheorie. 263 Gould, Panda’s Thumb, S. 187. 264 Ganz ähnlich beschreibt Hirshleifer aus Sicht der Ökonomie das Dilemma: Sie ruhe auf einer Rationalitätsannahme für menschliches Handeln, die sich bei näherer Betrachtung nicht halten lasse. Er kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass die biologische Evolutionstheorie den gefährdeten Rationalitätsbegriff der Ökonomen retten könnte, indem sie manche Handlungen damit erklärt, dass sie rückblickend als funktional im Sinne von anpassungsfähig beschrieben werden könnten. Hirshleifer, insbesondere S. 59 und S. 64 – 66.

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Die Funktionalität der Pipe Rolls: Reproduktion interner Rechenschaftslegung

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gesehen werden, die nicht nur in Variationen bestanden, sondern eine bestimmte Variation zudem selektierten und stabilisierten. Da Selektion und Stabilisierung gerichtete Vorgänge darstellen, ist es möglich, diesen Prozessen eine Funktionalität zuzuweisen. Im Vergleich mit den anderen Rollen erweisen sich diejenigen Charakteristika als angepasst an die spezifische Umgebung der Pipe Rolls, die sich in keiner anderen Rolle – mit Ausnahme der normannischen Pipe Rolls – wiederfinden lassen.265 Auch diesen Eigenschaften kam offenbar eine besondere Funktionalität im Rahmen des Rechnungsschreibens zu. Wie im Folgenden gezeigt wird, kommen diachrone wie synchrone Analyse zu dem Schluss, dass die Funktionalität der Sprache der Pipe Rolls in der Reproduktion interner Rechenschaftsprozesse lag. Auf die Funktion der Reproduzierbarkeit verweisen die Ordination der Rechnungen sowie der hohe Stellenwert, der der Eindeutigkeit der Sprache zukam. Eine spezielle Phrase der Rechnungssprache wurde nicht nur besonders hervorgehoben, ihr Sonderstatus verstärkte sich zudem mit der Zeit: Die Bilanzformel Et Quietus est (Und er ist quitt) wurde so konsequent und deutlich herausgehoben wie keine andere Phrase. Die Formel stand immer am rechten Rand des Pergaments, wurde kaum abgekürzt, der Abstand zwischen den drei Wörtern wuchs im Zeitverlauf. Kein synonymer Ausdruck konnte den Zustand eines schuldenfreien Rechnungslegers beschreiben. Zudem markierte diese Bilanzformel zusammen mit ihrem Gegenstück Et debet (Und er schuldet) eine Besonderheit der Pipe Rolls im Gegensatz zu den anderen Rollen. Nur die Posten in den Rechnungen weisen einen Abschluss auf. Allein auf der Close Roll enden die Posten ebenfalls gleichförmig, nämlich mit der Angabe der Zeugen (Teste). Dieser Abschluss wurde jedoch in keiner Weise hervorgehoben. Die Wichtigkeit der Bilanzformeln in den Pipe Rolls liegt darin begründet, dass sie Informationen für die zukünftige Arbeit tragen. So es sich nicht um jährlich zu erhebende Abgaben handelte, mussten die Rechnungsleger, die sich aller monetären Verpflichtungen entledigt hatten, also quitt waren, im nächsten Jahr nicht mehr zur Abrechnung gerufen werden. Deshalb wurden diese bereinigten Posten nicht auf die Extrakte übertragen, auf deren Grundlage die Vorladungen für das nächste Jahr und schließlich die neue Rolle erstellt wurden.266 Wenn im Folgenden von »abschreiben« oder »reproduzieren« gesprochen wird, soll dieser gesamte Prozess der Erstellung einer neuen Pipe Roll aus der Vorjahresrolle gemeint sein. Eine Pipe Roll nahm damit immer zugleich die Position der Abschrift ihrer 265 Die im Folgenden aufgeführten Charakteristika treten also jeweils auf keiner anderen Rolle außer den englischen und normannischen Rechnungen auf und können deshalb als Rechnungsspezifika angesehen werden. 266 Dialogus II, 1, S. 113 f.

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Vorgängerin und der Vor-Schrift für ihre Nachfolgerin ein. Zwar wurden im Anschluss an die Abschrift die konkreten Beträge ausgefüllt und neue Posten hinzugefügt; eine Pipe Roll stellt also keine reine Kopie ihrer Vorgängerin dar. Initiiert wurde der Erstellungsprozess einer Rechnung jedoch mit der Abschrift derjenigen Teile, die auch für das aktuelle Abrechnungsjahr noch Relevanz besaßen.267 Die Formel Et Quietus est wurde so deutlich herausgestellt, um den Abbruch eines Abrechnungsvorgangs zu signalisieren. Die Hervorhebung diente demnach dem abschreibenden Ersteller der nächsten Pipe Roll. Das deutet darauf hin, dass der Zweck einer Pipe Roll darin lag, abgeschrieben zu werden. Die Rechnungen bildeten damit zum einen den Prozess der Rechnungslegung ab. Zum anderen sorgten sie durch den Verweis, ob der Rechnungsleger alle Schulden beglichen habe oder noch Ausstände besitze, für die Weiterführung der Abrechnungsprozesse im nächsten Jahr. Der Vermerk Et Quietus est wirkte insofern nicht nur deskriptiv, sondern auch performativ : Erst durch die Niederschrift des Vermerks Et Quietus est gelangte der Rechnungsleger tatsächlich in einen schuldenfreien Zustand, denn erst diese Phrase und ihre deutliche Hervorhebung auf der Seite garantierten, dass der zugehörige Posten nicht mehr abgeschrieben und der Rechnungsleger im folgenden Jahr nicht mehr belangt wurde.268 Wie schon mehrfach dargelegt, verweist die Makrostruktur der Rotuli ebenfalls darauf, dass bei der Anordnung des Textes auf den Seiten der Pipe Rolls die Abschreibbarkeit im Vordergrund stand. Selbst das englische Schafspergament dürfte noch so teuer gewesen sein,269 dass die Schreiber den ihnen zur Verfügung stehenden Platz auf einer Seite möglichst ausnutzen wollten. Wenn sie Leerräume auf dem Pergament freiließen, kann dieser Akt folglich als Besonderheit angesehen und deshalb auch interpretiert werden.270 Der Aufbau der Pipe Rolls folgte ganz anderen Anordnungsprinzipien als die Gestaltung der anderen Rollen. Nur die Pipe Rolls wurden horizontal mehrfach unterteilt. Wie in Kapitel 2.2.3. dargestellt, reflektierte diese Anordnung den Abrechnungsprozess.271 Zugleich diente sie aber dazu, die Abrechnung des folgenden Jahres zu initiieren, denn die Aufteilung der Posten durch klar voneinander zu unterscheidende Sinneinheiten erleichterte dem Auge des Abschreibers die Orientierung und vereinfachte auf diese Weise den Reproduktionsprozess. Die 267 Kapitel 2.1. beschreibt diesen Prozess genau. 268 Die Performativität des Protokollierens beschreibt auch Vismann, S. 89. Allerdings beschränkt sich der performative Akt in ihrer Interpretation auf die Produktion von Fakten, wohingegen die Pipe Rolls zu der Produktion eines Prozesses beitragen. 269 An sich gilt englisches Schafspergament als ziemlich günstig, da es auf der Insel sehr viele Schafe gab, siehe Clanchy, Memory, S. 121 – 123. 270 Vismann, S. 139, spricht vom »Luxus des Platzlassens«. 271 Siehe Kapitel 2.2.3.

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Anordnung der Pipe Rolls deutet damit ebenfalls darauf hin, dass ihre Abfassung bereits den nächsten Abrechnungsprozess in Gang setzte. Das Schreiben einer Pipe Roll stellte nicht nur einen Akt der Niederschrift dar, sondern trieb zugleich den Abrechnungsvorgang an und bildete deshalb einen integralen Teil dieses Prozesses.272 Dass die Anordnung der Pipe Rolls auf die Funktion der Abschreibbarkeit hindeutet, tritt vor allem im Vergleich mit den anderen Dokumenten vor Augen. Neben der spaltenartigen Form der Rechnungen lassen sich zwei weitere Anordnungssysteme unterscheiden: Die Rollen konnten in Blöcken mit Randbemerkungen oder lediglich in Blöcken aufgebaut werden, wie das folgende Schema zeigt: Tabelle 1: Verschiedene Anordnungsprinzipien a) Pipe Roll, Norman Pipe Roll: horizontal mehrfach untergliedert Name Transaktion Einzahlung Name Transaktion Einzahlung

Bilanz Bilanz

b) Originalia Roll, Curia Regis Roll, Memoranda Roll, Rotuli de Dominabus: Blöcke mit Randbemerkungen Name/Ort Eintrag........................................................................................... Eintrag........................................................................................... Eintrag........................................................................................... Name/Ort Eintrag........................................................................................... Eintrag........................................................................................... Eintrag........................................................................................... c) Close Roll, Charter Roll, Patent Roll, Liberate Roll: nur Blöcke Eintrag....................................................................................................................................... Eintrag....................................................................................................................................... Eintrag....................................................................................................................................... Eintrag....................................................................................................................................... Eintrag....................................................................................................................................... Eintrag.......................................................................................................................................

Die Anordnungsform b) zeigen die Fine Roll, die Originalia Roll, die Curia Regis Roll, die Memoranda Roll und die Rotuli de Dominabus.273 Auf diesen Rollen wird jeder Posten durch eine Leerzeile von seinem Vorgänger abgetrennt. Auf der linken Seite wurde ein Rand frei gelassen, auf dem aber nicht nur vereinzelte Marginalien eingetragen wurden, sondern systematische Kennzeichnungen der 272 Wieder stellt auch Vismann fest, dass der »Autor« einer Liste im Prozess zu suchen sei. Die ersten Schriftformen seien nicht als Verschriftlichung von Mündlichkeit entstanden, sondern als Teile eines Prozesses. Vismann, S. 23. 273 Diese Rollen wurden oben beschrieben, siehe Kapitel 4.3.4. bis 4.3.7. Die Fine Roll zeigt einen Aufbau, der zwischen beiden Varianten einsortiert werden könnte, siehe Kapitel 4.3.3.

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einzelnen Posten: Auf den Rotuli de Dominabus wurde jeweils der Name, mit dem ein Posten begann, auf diesen Leerraum gesetzt, so dass die Posten gleichsam mit hängendem Einzug geschrieben wurden. Auf allen anderen Rollen dieser Art wurde auf dem Rand jeweils der Ort vermerkt, zu dem der nebenstehende Posten gehörte. Im Gegensatz zu den Rotuli de Dominabus wurde diese Ortsangabe nicht syntaktisch in den Posten einbezogen. Auf dieser Art von Rollen konnte man sehr leicht einen Eintrag wiederfinden, wenn man wusste, zu welchem Ort respektive Namen er gehörte. Auch alle Posten, die eine bestimmte Ortschaft betrafen, ließen sich problemlos zusammenfinden, da jeder Eintrag sozusagen mit einer »Adresse«274 versehen worden war. Die Anordnung auf diesen Rollen deutet deshalb darauf hin, dass auf ihnen Informationen vermerkt wurden, die bald wieder verwendet werden sollten. Sie enthielten also Notizen, die im weiteren Verlauf der Verwaltungsarbeit benötigt wurden. Besonders eindrucksvoll lässt sich diese weitere Verwendung bei der Originalia Roll erkennen: Darauf wurden die Strafzahlungen vermerkt, die vom Hof um den König erlassen worden waren und die bei der Abhörung eingezogen werden sollten. Dazu mussten die entsprechenden Summen zunächst auf die Vorladungen übertragen werden, damit der zuständige Sheriff wusste, was er mitzubringen hatte. Der Schreiber der Vorladungen ging wahrscheinlich für jedes County die ganze Originalia Roll durch und schrieb heraus, welche Strafzahlungen aus diesem Gebiet jeweils fällig würden.275 Wenn ein Eintrag für die Abhörung auf die Pipe Roll übertragen worden war, wurde auf den Rand neben den Posten der Hinweis i R (in Rotulo) mit großen Buchstaben notiert. Die Close Roll schließlich wurde lediglich in Blöcke unterteilt (Tabelle 1, c)). Zwar weist sie auch Randbemerkungen auf, aber diese vielfältigen, bis heute nur teilweise entschlüsselten Zeichen276 und Abkürzungen bilden tatsächlich Marginalien und ordnen die einzelnen Posten keiner übergeordneten Einheit wie etwa einem County zu. Diese Posten entziehen sich einem schnellen, suchenden Zugriff. Sie bewahren das Notierte hauptsächlich langfristig auf. Die Funktion der Rolle liegt folglich in der Aufbewahrung. Die gleiche Anordnungsform weisen die Rollen auf, die etwas später als die hier betrachteten entstanden, nämlich die Charter, Patent und Liberate Roll. Auf der Charter Roll wurden, wie der Name sagt, die königlichen Charter verzeichnet. Zuerst umfasste diese Rolle 274 Der Ausdruck stammt von Vismann, S. 146. 275 So vermutet auch Carpenter, Beginnings, S. 8. 276 Z. B. wurde noch keine Erklärung für Marginalien wie f ’ oder 7 gefunden. Auch auf den Pipe Rolls entstand gegen Ende des 12. Jahrhunderts ein System von einzelnen Buchstaben und Zeichen wie +, die auf den Rand geschrieben wurden und wahrscheinlich den jeweiligen Zustand der Schuldentilgung bezeichneten, in dem sich der entsprechende Posten befand, so Meekings, insbesondere S. 230 f. Die Bedeutung dieser Zeichen auf anderen Rollen bleibt aber größtenteils rätselhaft.

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auch die letters patent, in denen der König Anweisungen an seine Bediensteten gab. Diese wurden aber schon bald auf einer eigenen Rolle zusammengefasst, der Patent Roll. Die Liberate Roll wiederum umfasst einen Teil der königlichen Verfügungen, die zunächst alle auf der Close Roll festgehalten wurden. Im 13. Jahrhundert wurden diejenigen Verfügungen, die eine Zahlungsaufforderung enthielten,277 zu Liberate Rolls zusammengefasst.278 Die königlichen Herrschaftsakte, das heißt seine Charter und Verfügungen, wurden in diesen Rollen registriert und aufbewahrt. Eine Findhilfe für die einzelnen Charter oder Verfügungen wurde beim Aufbau der Rollen aber nicht eingefügt. Die Dokumente wurden verwahrt, ein konkreter Verwendungszweck für weitere Verwaltungsakte schwebte ihren Registratoren aber offenbar nicht vor Augen. Die Analyse der Ordination lädt deshalb zu der Vermutung ein, dass die Pipe Rolls einem unmittelbaren Zweck dienten, nämlich ihrer eigenen Reproduktion, wohingegen die Originalia Roll, die Curia Regis Roll, die Memoranda Roll und die Rotuli de Dominabus als kurzfristige Informationsspeicher für die weitere Verwaltungsarbeit dienten und die Close Roll die langfristige Aufbewahrung königlicher Akte gewährleistete. Letztere stellte die Kopien von Dokumenten zusammen und kann somit als »sekundäres Dokument« bezeichnet werden.279 Dabei ergaben sich die längerfristigen Nutzungsmöglichkeiten natürlich zwangsläufig auch für die ursprünglich zu kurzfristigen Zwecken notierten Rollen. Die Pipe Rolls trieben zwar zuvorderst einen Prozess voran. Im Zuge dessen notierten sie zwangsläufig auch den Hergang dieses Prozesses und stellten damit Informationen für die weitere Verwaltungsarbeit bereit. Da die Pipe Rolls nicht vernichtet wurden, blieben diese Prozessinformationen über lange Zeit erhalten und die Rollen wurden so zu Archivalien. Auch die Rollen, die zu Informationszwecken erstellt worden waren, wurden nicht zerstört oder überschrieben, so dass auch diese Rollen mit der Zeit den Status des Archivalischen erlangten. Obwohl die unmittelbare Niederschrift der drei Gruppen von Rollen durch unterschiedliche Zwecke motiviert wurde, stellen sie aus heutiger Perspektive alle hauptsächlich ein Archiv zur englischen Verwaltungsgeschichte dar.280 277 Dabei handelt es sich zum einen um die Verfügungen, die den Exchequer aufforderten, eine Summe auszuzahlen (writs liberate), zum anderen um die Verfügungen, die einen königlichen Bediensteten beauftragten, eine Summe auszugeben und sich diese bei der Anhörung anrechnen zu lassen (writs computate). 278 Diesen Ausdifferenzierungsprozess beschreibt Carpenter, Beginnings, S. 28. 279 Clanchy, Memory, S. 145. 280 Auch Clanchy legt dar, dass die Aufbewahrungsfunktion erst im 13. Jahrhundert wahrgenommen wurde, Clanchy, Memory, S. 70. Erst mit der Schaffung des Public Record Office im Jahr 1852 wurden die Dokumente über Findhilfen erschlossen und somit vielfältigsten Zwecken zugänglich gemacht, siehe Burke, Reflections, S. 54. Seit dieser Zeit kann man auf jeden Fall von einem Archiv sprechen.

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Eine Pipe Roll bildete also zur Zeit ihrer Abfassung einen integralen Bestandteil des Abrechnungsprozesses, ihre Niederschrift bedarf damit keiner weiteren Begründung. Der Anstoß für die Verschriftung von Informationen für kurz- oder langfristige Verwendungszwecke mag in der räumlichen Trennung des englischen Hofes zu suchen sein.281 Ein Teil der Bediensteten reiste mit dem König umher und befand sich deshalb in verschiedenen Teilen Englands oder auf dem Kontinent. Diese Gruppe von Menschen wird gewöhnlich mit der Bezeichnung Kanzlei belegt.282 Ein anderer Teil der königlichen Verwalter blieb stets in Westminster und unterstand dort einem Vertreter des Königs, zur Zeit Henrys I. Roger of Salisbury,283 zur Zeit Henrys II. dem jeweiligen Justiziar. Die Rechnungsabhör fand fast immer dort statt.284 Dieser Teil der Regierung erhält zumeist den Namen Exchequer. Diese beiden Gruppen mussten sich nun gegenseitig darüber informieren, welche Aktionen sie getätigt hatten, die Auswirkungen auf die Arbeit der jeweils anderen Gruppe nehmen konnten. Der Informationsfluss lief dabei hauptsächlich von der Kanzlei zu den Rechnungsabhörern. So exzerpierte, wie gerade gesehen, die Kanzlei aus der Fine Roll alle Posten, die eine Relevanz für die Abrechnung besaßen, und stellte sie auf der Originalia Roll speziell für die Abhörer zusammen. Die Informationen, die von den Abrechnungen an die Kanzlei gingen, stellten sich wesentlich weniger ausgesucht dar : Ein Kanzleischreiber durfte ein Duplikat der Pipe Roll erstellen.285 Diese sogenannten Chancellor’s Rolls unterscheiden sich bis auf wenige Seitenumbrüche kaum von den Pipe Rolls. Die Pipe Rolls wurden nicht speziell für die Kanzlei bearbeitet, sondern lediglich in Gänze weitergegeben. Zudem bildet die Chancellor’s Roll die einzige erhaltene Rolle, die von den Abhörern an die

281 Die Zunahme an Informationen, die von der Kanzlei verarbeitet werden mussten, resultierte wahrscheinlich aus den Justizreformen Henrys II., siehe oben, Kapitel 4.4. 282 Richardson, Introduction, S. lix; Bishop, S. 29; Carpenter, Beginnings, S. 18. 283 Als Regenten fungierten Henrys I. Frau Matilda bzw. nach ihrem Tod 1118 sein Sohn William Adelin, bis er zwei Jahre später beim Schiffbruch des White Ship starb. Die Geschäfte führte aber Roger of Salisbury, so wurden etwa writs hauptsächlich in seinem Namen abgefasst. Deshalb hielten ihn seine Zeitgenossen, so die Gesta Stephani, für den Zweiten nach dem König in allen Regierungsgeschäften: […] secundus post regem in omnibus regni imperiis habebatur. Siehe Gesta Stephani, S. 48. 284 Lediglich die Ostersitzung wurde bisweilen an anderen Orten abgehalten, siehe Richardson, Introduction, S. xijf. 285 Im Dialogus wird geschildert, dass der Kanzleischreiber neben dem Schreiber der Pipe Roll sitzen durfte. Er fertigte aber keine eigenen Notizen an, sondern erstellte ein Duplikat der Pipe Roll. Der Dialogus bringt dies mit der Angabe zum Ausdruck, neben dem Kanzleischreiber säße der Kanzleisekretär (clericus cancellarii), der den Kanzleischreiber überwache, damit er nichts wegließe und auch die Wortfolge nicht verändere (vt nec iota vnum desit nec alius sit ordo scribendi), Dialogus I, 5, S. 69. Im Gegensatz zum Schreiber des Schatzmeisters schreibe der Kanzleischreiber nicht vor (prescribat), sondern ab (conscribat), Dialogus I, 5, S. 71.

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Kanzlei ging.286 Alle anderen Rollen informierten entweder die für die Abrechnung zuständigen Bediensteten über dafür relevante Handlungen anderer Teile der Regierung, etwa des Königs, seiner Vertreter287 oder Richter,288 oder sie archivierten die Akte des Königs.289 Wenn auch in unterschiedlichem Maße, so informierten sich die umherreisenden und die ortsfesten königlichen Bediensteten doch gegenseitig: Die Kanzlei benachrichtigte die Abrechner im hier untersuchten Zeitraum hauptsächlich in Form der Originalia Roll, wohingegen sie selbst vom Exchequer eine Kopie der Pipe Roll erhielt. Die Handlungen der Kanzlei und die Abrechnungsprozesse wurden damit jeweils in zweifacher Form verschriftlicht. Darin kommt die organisatorische Trennung zwischen diesen beiden Gruppen von Verwaltungsmitarbeitern zum Ausdruck. Die gegenseitige Benachrichtigung deutet darauf hin, dass diese beiden Kreise sich als separate Einheiten wahrnahmen: Eine Organisation kann zwar zum Hausgebrauch die eigenen Akte archivieren, wie es die Kanzlei in Form der Close, Charter, Liberate und Patent Rolls tat, sie muss sich aber nicht über ihre eigenen Handlungen informieren. Damit können die Verwalter, die mit dem König umher reisten, organisatorisch von denjenigen geschieden werden, die ständig in Westminster blieben. Erstere notierten und archivierten, was der König tat. Sie verfestigten damit die Gegenwart zu einer bleibenden Vergangenheit. Die Aufgaben der Abhörer in Westminster hingegen liefen auf die Verfertigung der Pipe Roll zu. Die Notizen, die sie verschriftlichten,290 dienten der Erstellung dieser Rolle. Ein wesentlicher Zweck der Pipe Roll wiederum lag darin, die nächste Pipe Roll hervorzubringen. Die Rechnungsabhör funktionierte nicht nur ohne den König, sie reproduzierte sich zudem fortwährend selbst. Sie schuf ihre eigene Zukunft. Die Schriftproduktion der Kanzlei registrierte und archivierte die Handlungen des Königs, die

286 Da es sich bei der Kanzlei um den Teil des königlichen Hofes handelte, der mit dem König herumzog, liegt die Überlieferungschance für Dokumente, die bei der Kanzlei aufbewahrt wurden, allerdings niedriger als die Wahrscheinlichkeit, dass die Dokumente der stets in Westminster verbleibenden königlichen Bediensteten erhalten blieben. 287 Die für die Abrechnung relevanten Strafzahlungen etwa wurden erst zur Zeit Johns zu einer einheitlichen Originalia Roll zusammengefasst. Davor sandten die Bediensteten des Königs, die Strafen verteilt hatten, jeweils eigene Aufzeichnungen an den Rechnungshof. Siehe Carpenter, Beginnings, S. 7. 288 Die Rotuli de Dominabus stellen, wie oben beschrieben, das Ergebnis einer Befragung durch die Reiserichter dar. Aus der Zeit Henrys II. blieb außerdem eine Liste von Forststrafen erhalten, die der Forstrichter Thomas fitz Bernard in Shropshire verhängt hatte. Sie wird beschrieben und ausgewertet von Crook, Exchequer Estreat. 289 Wie oben dargestellt, erfüllten die Close Rolls, die Charter Rolls, die Patent Rolls und die Liberate Rolls eine solche Archivierungsfunktion. 290 So wurden etwa, wie in Kapitel 4.3.6. beschrieben, in der Memoranda Roll wichtige Fragen zum Ablauf der Abhörung notiert.

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Schriftproduktion des Exchequer hingegen stellte einen Akt an sich dar und reproduzierte diesen immer wieder selbst. Neben der Anordnung verweist ein weiteres Charakteristikum der Pipe Rolls darauf, dass ihre Funktion in der Abbildung und Reproduktion eines Prozesses und nicht in der Archivierung bestand: Im Gegensatz zu den anderen Rollen weist die Sprache der Rechnungen weniger Präzision auf, wurde im Laufe des Beobachtungszeitraums aber immer exakter.291 Die Pipe Rolls zeichnen sich eher durch Exaktheit denn durch Präzision aus: Den Referenzrahmen für ihre Erstellung bildete demnach die interne Schlüssigkeit, nicht die Übereinstimmung mit der abgebildeten Welt. Bei der Abfassung der anderen Rollen hingegen legten die Schreiber deutlich mehr Wert darauf, eine Vielzahl an Informationen zu verzeichnen, sich mithin dem beschriebenen Fall möglichst genau anzunähern und so ein hohes Maß an Präzision zu erreichen. Diese Differenz kommt besonders deutlich in der Anzahl der Relativsätze zum Ausdruck. Diese Nebensätze dienen dazu, Vorgänge detailliert zu beschreiben. Die Relativpronomen treten in allen anderen Rollen um ein Vielfaches häufiger auf als in den Rechnungen. Die Memoranda Roll, die ja verschiedenste Details festhielt, weist – ins Verhältnis zur Seitenzahl gesetzt – über zwanzigmal so viele Relativsätze auf wie die Pipe Rolls. Selbst auf der Curia Regis Roll, die innerhalb der anderen Rollen die niedrigste Anzahl an Relativsätzen zeigt, wurden diese Nebensätze noch ungefähr sechsmal häufiger verwendet als auf den Pipe Rolls. Wirken die Pipe Rolls weniger präzise als die anderen Rollen, so zeigt die diachrone Analyse, dass im Laufe des Beobachtungszeitraums einige Charakteristika selektiert und stabilisiert wurden, die die Exaktheit des Systems der Rechnungssprache noch weiter erhöhten. Insbesondere zeigen die Abrechnungsphrasen in Anordnung und Inhalt eine steigende Systematik.292 Der Einzahlungsvermerk In thesauro (Im Schatz) und die Bilanz Et Quietus est (Und er ist quitt) wurden im Laufe der Zeit immer häufiger untereinander geschrieben. In den ersten Rechnungen standen diese Phrasen häufig, aber bei weitem nicht immer genau untereinander. Insbesondere in der frühesten erhaltenen Pipe Roll 291 Zur Unterscheidung zwischen Präzision und Exaktheit siehe Kapitel 3.1.2.1. 292 Schönberger warnt davor, mit steigender Systematisierung sofort den Einfluss scholastischer Ansätze zu assoziieren. Scholastische Texte wiesen gar keinen besonderen Grad an Systematik auf, dabei handele es sich hauptsächlich um eine Fehlwahrnehmung der Historiker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, siehe Schönberger, S. 62. Eine Verbindung zu den Texten, die aus rückblickender Perspektive als scholastische bezeichnet werden, lässt sich für die Pipe Rolls ohnehin schlecht ziehen. Zum Ersten hatten die Verwalter des Königs mehrheitlich keine höhere Schule besucht und waren deshalb wohl kaum mit entsprechenden Denkansätzen in Kontakt geraten. Zum Zweiten entstand die hier beschriebene Systematik nicht als Übertragung eines theoretischen Konzepts auf die Gestaltung eines Textes, sondern bildete sich in einem Prozess der Variation, Selektion und Stabilisierung unintendiert heraus.

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wurde die Quitt-Formel zwar erkennbar an den rechten Rand des Pergamentblatts gesetzt, die jeweiligen Schuldlosigkeitserklärungen der einzelnen Posten wurden jedoch zumeist nur dann auch aneinander ausgerichtet, wenn Et Quietus est in mehreren aufeinanderfolgenden Zeilen zu notieren war, die Sätze also unmittelbar untereinander standen und keine Zeilen dazwischenlagen.293 Die Entlastungen der Rechnungsleger wurden demnach nicht nur rechtsbündig, sondern auch untereinander geschrieben, wenn sich diese Ausrichtung relativ einfach vollführen ließ, weil die entsprechenden Phrasen ohnehin direkt untereinander standen. In der Zeit Henrys II. nahm die Ausrichtung aneinander beständig zu, ohne dass sie allerdings innerhalb des Betrachtungszeitraums jemals ausnahmslos durchgeführt worden wäre.294 Die gleiche Beobachtung lässt sich für die Einzahlungsformel In thesauro treffen: Die Einzahlungsbemerkungen der einzelnen Posten standen immer häufiger genau untereinander. Oben wurde bereits beschrieben, dass sich zudem zwei neue Formulierungen herausbildeten, die dazu beitrugen, dass der Postenaufbau an Systematik gewann.295 Der neue Satz In thesauro Nichil (im Schatz nichts [scil. eingezahlt]) machte es möglich, dass jede Verbuchung, die mit dem Verb reddit Compotum (er legt Rechnung) begann, nun einen Einzahlungsvermerk enthalten konnte, denn mit der neuen Phrase konnten die Rechnungsschreiber die Formel in thesauro auch in Posten anführen, in denen der Rechnungsleger keine Zahlung leistete. Die zweite neue Satzart bildeten die Sed-Sätze. Sie wurden verwendet, um in Posten mit dem Prädikat debet (er schuldet) Erlassungsgründe anzugeben, und implizierten zudem die Schuldenfreiheit des Rechnungslegers. Während am Ende dieses Prozesses der Selektion und Stabilisierung alle reddit Compotum-Posten sowohl eine Einzahlungsformel als auch eine Bilanz aufwiesen, wurden alle debet-Posten ohne diese beiden Bestandteile gebildet. Auch die Unterscheidung zwischen den Abrechnungsphrasen auf der einen Seite und den Zahlungs- und Erlassungsgründen auf der anderen Seite wurde mit der Zeit immer systematischer. Während Zahlungs- und Erlassungsgründe sich immer stärker ins Schriftbild einpassten und immer weniger hervorgehoben wurden,296 traten die Abrechnungsphrasen stärker heraus.297 Innerhalb der Formulierungen einzelner Zahlungsgründe lässt sich ebenfalls bisweilen eine 293 Dies lässt sich auf fast jedem Rotulus der PR 31 Henry I beobachten. Beispielsweise stehen im unteren Drittel von Rotulus 2 dorso jeweils zwei der Et Quietus est-Vermerke genau untereinander, die beiden Gruppen von je zwei Vermerken sind aber nicht aneinander ausgerichtet. 294 In PR 20 Henry II etwa steht mindestens ein Et Quietus est-Satz verschoben zu der Mehrheit dieser Quitt-Phrasen auf Rotuli 3r, 4, 7r, 8, 9r, 10r, in PR 30 Henry II auf den Rotuli 1d, 2d, 3r, 4, 6, 10, 11d. 295 Siehe Kapitel 4.1.2. 296 Siehe Kapitel 3.1.2.3. 297 Siehe etwa für den Quittvermerk Kapitel 4.1.2.

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zunehmende Systematisierung konstatieren. So wurden zum Beispiel mit der Zeit die Beteiligten an einem Prozess (placitum) nicht mehr, wie in den frühen Rechnungen, als Genitivattribute angeführt, sondern mit der Präposition per an placitum angeschlossen.298 Allerdings zeigt die diachrone Analyse eine leichte Zunahme nicht nur der Exaktheit, sondern auch der Präzision der Rechnungen. Im Laufe der Zeit verwendeten die Schreiber immer mehr Nebensätze und Gerundivkonstruktionen anstelle der Präpositionalgruppen, um Zahlungs- und Erlassungsgründe präziser zu beschreiben. Nebensätze und Gerundivkonstruktionen bildeten ein variantenreicheres Ausdrucksmittel, das es ermöglichte, mehr Informationen im Satz unterzubringen. In der Pipe Roll aus dem Rechnungsjahr 1183/84 beispielsweise zahlt mehrmals ein Rechnungsleger pro defectu. Die Schreiber notierten keinerlei Angaben, worin genau der Schaden bestand. Hätten sie einen Genitiv, zum Beispiel pontis, hinzugesetzt, hätte der Leser immerhin erkennen können, dass an einer Brücke ein Schaden aufgetreten war. In einem Fall wurden die Schreiber jedoch noch konkreter : Sie rechneten eine Summe pro defectu faciendi pontem ab:299 Jemand musste bezahlen, weil er eine Brücke schadhaft gebaut hatte. Mithilfe eines Gerundivums konnte also der Inhalt eines Zahlungsgrundes verdeutlicht werden, ohne dass ein Nebensatz formuliert werden musste. Alternativ konnte ein Relativsatz diese Funktion übernehmen. So wurde zum Beispiel in einem Relativsatz erläutert, dass die Abgaben der Stadt London zunächst von den Aufsehern der Stadt erhoben und später noch einmal gerichtlich bestätigt worden seien.300 Einige Zahlungsgründe wurden mit mehr Details versehen. So nahm der Anteil der Ortsangaben bei der Abrechnung über placita (Prozesse, Urteile, Strafzahlungen) zu. Auch die Art der Transaktion wurde mit der Zeit immer häufiger explizit angegeben, das heißt immer häufiger wurde explizit artikuliert, ob ein Rechnungsleger für die Anerkennung (recognitio) eines Gutes, seine Verwaltung (custodia), eine Übereinkunft über Besitzverhältnisse (concordia), die Unanfechtbarkeit von Besitz (pax), den Tausch (escambium) oder das intermediäre Besitzrecht (meditas) zahlte: Die Zahlungsgründe, in deren Mittelpunkt das übertragene Gut steht, traten in der jüngsten hier untersuchten Rechnung nur etwa 1,5-mal so häufig auf wie die Zahlungsbegründungen, die die Transaktionsart nennen. Dagegen wurde in der ersten erhaltenen Pipe Roll nur in einem Siebtel der Posten, in denen Besitzübertragungen notiert wurden, die Art der Übertragung angegeben. Dieser Befund wird dadurch ergänzt, dass das Gerundivum habendus, das den Vorgang 298 Siehe Kapitel 4.1.2. 299 PR 30 Henry II, S. 15, R2 m1r. 300 Cives Londonienses debent xix l. et xiij s. et iiij d. de auxilio civitatis quod prius assisum fuit per wardas civitatis et postea concessum per justicias. PR 30 Henry II, S. 139, R10 m1d.

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der Besitzübertragung expliziert,301 in der jüngsten hier untersuchten Pipe Roll fast fünfmal so oft vorkommt wie in der ältesten.302 Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Informations- und Archivierungsfunktion einer Rolle deutlicher vor Augen trat, je länger sie aufbewahrt wurde: Die Pipe Rolls dienten primär der Durchführung und Reproduktion des Abrechnungsprozesses. Im Zuge dessen verzeichneten sie aber Informationen, die später ihren kurz- und langfristigen Nutzen erweisen konnten. Diese Erfahrung wirkte vielleicht auf die Aufzeichnungsart zurück. Wenn die Pipe Rolls mit der Zeit auch eine Notiz- und Archivfunktion einnahmen, lag es nahe, mehr Informationen auf ihnen unterzubringen. Die Exaktheit bildet aber das hervorstechende Charakteristikum der Rechnungen, das sich im Laufe der Zeit stärker ausprägte und das sie von den anderen Rollen abhebt. Der Stimmigkeit des Zusammenspiels der einzelnen Komponenten der Rechnung kam demnach die höchste Priorität zu. Die Sprache der Pipe Rolls diente dazu, die innere Kohärenz und damit einen reibungslosen Ablauf des Abrechnungssystems sicherzustellen. Dazu gehörte auch und vor allem, die Erstellung der folgenden Pipe Roll zu ermöglichen. Kurzfristige Information und langfristige Archivierung bildeten lediglich Folgen der Niederschrift der Abrechnungsvorgänge, nicht den Grund zu ihrer Erstellung. Die Anpassungsfähigkeit der Rechnungssprache führte dazu, dass sie sich immer mehr auf den Zweck der Reproduktion einstellte. Ihre Funktionalität lag in der Sicherstellung der eigenen Existenz. Die Rechnungssprache erhielt sich selbst und bildete damit ein selbstreproduzierendes System.303 Der selbstreproduzierende Charakter der Pipe Rolls blieb in späteren Zeiten erhalten: Auch in den Rechnungen, die außerhalb des Untersuchungszeitraums liegen, wurde die Formel Et Quietus est (Und er ist quitt) weiterhin besonders herausgestellt. Dieser Satz, der besonders deutlich auf die Nutzung einer Pipe Roll als Vor-Schrift ihrer Nachfolgerin verweist, bleibt ein entscheidendes Element der Rechnungssprache.304 Das Ergebnis, dass die Funktion der Pipe Rolls in ihrer Selbstreproduktion lag, unterscheidet sich gar nicht so sehr von Cassidys Analyse, die zu dem Schluss kommt, dass die Pipe Rolls dazu dienten, die aus-

301 Siehe auch Kapitel 3.1.2.1. 302 In der PR 31 Henry I stehen habendus und seine Kasus 21-mal, in der PR 30 Henry II hingegen 129-mal. Beim Vergleich muss berücksichtigt werden, dass die jüngere Rechnung 1,28-mal mehr Posten besitzt als die ältere. 303 Die Selbstreproduktion sollte nicht verwechselt werden mit den Prozessen der Selbstorganisation oder Autopoiesis in der Systemtheorie, siehe Kapitel 5.2. 304 Andere Elemente, die im hier untersuchten Zeitraum ebenfalls durch mangelnde optische Kürze auffielen, verloren diesen Status in den folgenden Jahrhunderten. So wurde z. B. das Abrechnungsverb reddit Compotum (er legt Rechnung) bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts stark verkürzt als rq notiert.

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stehenden Schulden festzuhalten.305 Selbsterhalt und Erhalt des Schuldenverzeichnisses bedingten sich. Nur wenn die Routine dafür sorgte, dass die Rechnungen immer wieder abgeschrieben wurden, konnten sie auch weiter bestehen und weitere Zwecke, zum Beispiel die Schuldensicherung, erfüllen.306 Die Erinnerung an vor Jahren oder Jahrzehnten versprochene und nie vollständig abgeleistete Zahlungen wurde in den Pipe Rolls nicht dadurch erhalten, dass jemand die alten Pipe Rolls regelmäßig auf offene Schulden durchschaute, sondern dadurch, dass die offenen Posten jedes Jahr von neuem abgeschrieben wurden. Cassidy kann einen bestimmten Schuldposten über einen Zeitraum von sechzig Jahren durch die Pipe Rolls verfolgen.307 Die Selbstreproduktionsfunktion sorgte dafür, dass die Pipe Rolls auch als Erinnerungssicherung der Verwaltung fungierten, aber nicht im Sinne eines Archivs, das Informationen aufbewahrte, sondern als eine Art Gedächtnis, das sich jedes Jahr neu erinnerte. Die Untersuchung der Rechnungssprache auf Selektions- und Stabilisierungsprozesse und Pipe-Roll-spezifische Besonderheiten gibt zudem einen Hinweis darauf, welche Art von Abrechnungsprozess im gerade beschriebenen Reproduktionsvorgang immer wieder hergestellt wurde, wie sich also die Beziehung zwischen Abhörern und Abgehörten beschreiben lässt. Die verwendeten Lexeme machen deutlich, welche Themen in den Pipe Rolls im Gegensatz zu den anderen Rollen verhandelt wurden. Dabei spielte insbesondere das Land (terra) in den Rechnungen eine relativ geringe Rolle; dieses Lexem weist überall einen höheren Häufigkeitswert auf als in den Pipe Rolls.308 Dagegen finden sich die Lexeme, die in den Pipe Rolls Abgaben darstellen, wesentlich seltener in den anderen Rollen.309 Lexeme mit mehreren Bedeutungsschattierungen zeigen auf den Pipe Rolls wesentlich häufiger die Nuance einer Abrechnung, wohingegen sie auf den anderen Rollen ein Besitzgut markieren.310 Mit der Curia Regis Roll teilen die Pipe Rolls einige Rechtsvokabeln, die auf den übrigen Rechnungen nur höchst selten vorkommen.311 Abgaben und Strafzahlungen standen auf der Pipe Roll natürlich in einem 305 306 307 308

Cassidy, Recorda, S. 2. Ebd., S. 12. Ebd., S. 1 f. Insbesondere in der Curia Regis Roll und der Originalia Roll tritt terra häufig auf, etwa dreimal so oft wie in den Pipe Rolls. 309 So sucht man die Abgabe auxilium z. B. in der Curia Regis Roll und der Close Roll vergebens, wobei letztere allerdings nur ein Fragment darstellt. 310 Dies gilt etwa für terra und catallum, die nur jeweils auf der Memoranda Roll – catallum zusätzlich auf der Fine Roll – auch in der Nuance einer Abgabe auftreten. Auf allen anderen Rollen bezeichnen sie ein Besitzgut. 311 Insbesondere weist placitum als Universalvokabel für Rechtsstreitigkeiten und deren Folgen auf den Pipe Rolls und der Curia Regis Roll eine wesentlich höhere Häufigkeit auf als auf den anderen Rollen.

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engen logischen Zusammenhang mit dem Landbesitz: Abgaben wurden hauptsächlich aus geographischen Einheiten eingezogen, Strafzahlungen resultierten in vielen Fällen aus Streitigkeiten über den legitimen Besitzer eines Landes. Die Beschaffenheit dieses Besitzes oder der Inhalt des Rechtsstreits spielten in den Pipe Rolls allerdings keine Rolle mehr. Die Rechnungsabhörer in Diensten des Königs kümmerten sich nicht um die physische Beschaffenheit eines Landes, sondern nur um die daraus zu entrichtenden Abgaben.312 Sie interessierten sich nicht grundsätzlich für die Frage, wer als Besitzer eines Landes anerkannt worden war, sondern lediglich für die Zahlungen, die aus dem Rechtsstreit erwuchsen.313 Im Fokus der Abrechner wandelte sich das Land zu Geld. Die Beziehung zwischen den Abhörern auf der einen Seite und den Rechnungslegern auf der anderen Seite entsprach nicht dem Verhältnis von Landempfängern zu Landverteilern. Als Inhaber des Landes tritt der König beispielsweise in den Rotuli de Dominabus deutlich zutage: Die Beschaffenheit der Ländereien wurde extensiv thematisiert und die königlichen Zugriffsrechte darauf festgehalten. Auf den Pipe Rolls trafen auch nicht Recht-Suchende auf Recht-Schaffende. Die Prozesse, die diesem Beziehungsverhältnis entsprangen, wurden etwa auf der Curia Regis Roll festgehalten. Der König als derjenige, in dessen Dienst die Ersteller der Rollen standen, trat in den Pipe Rolls weniger als Lehnsherr oder Recht-Setzer auf denn als derjenige, der aus diesen Positionen finanzielle Einnahmen gewann. Auch die Rolle der Rechnungsleger lässt sich genauer fassen, wenn man den Lexembestand der Pipe Rolls über die Zeit betrachtet, genauer gesagt die Zahlungs- und Erlassungsgründe unter die Lupe nimmt. In Kapitel 2.2.4. wurden bei der Beschreibung der Lexik der Pipe Rolls drei Arten von Zahlungsgründen unterschieden: Besitzübertragungen – hauptsächlich von Land (terra) –, Abgaben und Strafzahlungen.314 Die diachrone Analyse zeigt, dass sich die Gewichte zwischen diesen Gruppen im Laufe des Beobachtungszeitraums verschoben: Der Anteil der Posten sank, in denen die Zahlungspflicht mit einer Übertragung von Besitz begründet wurde, zudem wurden die Besitzübertragungen auch mit weniger verschiedenen Lexemen bezeichnet. Im Gegenzug stieg logischerweise die relative Häufigkeit der Posten, die eine Abgabe oder eine Strafzahlung verbuchten; Abgaben und Strafzahlungen wurden zudem mit einer größeren Vielzahl an verschiedenen Lexemen bezeichnet.315 Bei den Erlas312 Dem entspricht die Bedeutungsveränderung von terra (Land): Zunächst bezeichnete es ausschließlich das Besitzgut, später auch die Erhebungseinheit und schließlich sogar die daraus erhobene Abgabe selbst. Siehe Kapitel 3.1.2.1. 313 Die Nuancen eines Prozesses und der daraus entstehenden Abgaben weist placitum auf, siehe Kapitel 3.1.2.1. 314 Siehe Kapitel 2.2.4. 315 Dass die Bedeutung von Strafzahlungen im Laufe der Regierungszeit Henrys II. zunahm,

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sungsgründen wurde oben zwischen der Anrechnung getätigter Ausgaben, der Gewährung königlicher Vergebung und Entschuldigungsgründen aus höherer Gewalt unterschieden.316 Der Anteil der ersten Gruppe von Erlassungsgründen nahm beständig zu: Am Ende des Betrachtungszeitraums wurden zwei Drittel der Zahlungsreduktionen gewährt, weil dem Rechnungsleger eine Ausgabe für den König angerechnet wurde, während sich das restliche Drittel ungefähr gleichmäßig zusammensetzte aus Gunsterweisen und Dingen, die nicht geändert werden konnten. Die Rechnungsleger ließen sich häufiger Ausgaben anrechnen oder brachten sonstige Entschuldigungsgründe vor, königliches Wohlwollen wurde dagegen seltener zur Verminderung einer Zahlung eingesetzt. Die Anrechnung der Ausgaben erfolgte meistens in Posten, in denen Abgaben eingezahlt wurden, wohingegen die königliche Vergebung oder andere Entschuldigungsgründe in jeder Art von Posten stehen konnten. Aus der Kombination der Typen von Zahlungs- und Erlassungsgründen wurde in Kapitel 2.2.4. auf zwei unterschiedliche Beziehungsgefüge zwischen dem König und den Rechnungslegern geschlussfolgert. Die erste Gruppe an Rechnungslegern zog für den König Abgaben ein und erledigte Aufgaben in seinem Auftrag. Im Gegensatz zu den Rechnungslegern, die Geld für einen Besitzerwerb zahlten, erhielten sie keine explizite Gegenleistung für ihre Einzahlungen. Sie führten königliche Aufträge aus, sei es die Einziehung von Pacht oder anderen Abgaben, sei es der Bau einer Burg oder die Entlohnung des zugehörigen Personals. Diese Gruppe von Menschen kann demgemäß zu den Bediensteten des Königs gezählt werden. Die zweite Gruppe erwarb Güter und konnte nur durch die Vergebung des Königs von ihren Schulden entbunden werden. Diese Rechnungsleger führten keine Anweisungen des Königs aus, sondern zahlten Geld, um etwas zu erhalten, oder ihnen wurde aus königlicher Großzügigkeit eine Schuld erlassen. Wie schon in Kapitel 2.2.4. beschrieben, bildeten diese beiden Gruppen von Rechnungslegern nicht unbedingt getrennte Personenkreise. Derselbe Mensch konnte sich in beiden Positionen wiederfinden. Im Laufe der hier untersuchten fünfzig Jahre traten die Rechnungsleger jedoch immer häufiger in der Position königlicher Bediensteter auf. Dieser interne Charakter der Rechnungsleger zeigt sich auch in der Art und Weise, in der die Abgehörten bezeichnet wurden. Wie beschrieben, konnten die Rechnungsleger mit ihrem Namen, einem Verwandtschaftsgrad, ihrer Tätigkeit, einem feudalen oder kirchlichen Titel, einem rückverweisenden idem oder einer Kombination daraus identifiziert werden, wobei sich kein Zusammenhang wurde bisher daraus geschlussfolgert, dass die Einnahmen aus dieser Art von Zahlungen stiegen, siehe z. B. Barratt, Finance, S. 253; Amt, Accession, S. 180; Jewell, S. 117. Dieser Befund wird hier sprachlich untermauert: Die Einkünfte aus Strafen nahmen nicht nur zu, sondern wurden auch differenzierter formuliert. 316 Siehe Kapitel 2.2.4.

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zwischen der ausgewählten Art der Bezeichnung und dem Zahlungsgrund feststellen ließ.317 Auch eine andere Systematik, nach dem eine bestimmte Benennungsvariante ausgewählt worden wäre, sucht man vergeblich. Die Annahme, dass Rechnungsleger genau identifiziert werden mussten und deshalb mehr Angaben hinzugesetzt wurden, je weniger die Abhörer den Abgehörten kannten, lässt sich besonders eindrücklich an Nigel of Ely widerlegen. Der frühere Schatzmeister dürfte auch fünf Jahre nach seinem Tod den Rechnungsschreibern noch bekannt gewesen sein, dennoch wurde zu seinem Namen die Angabe Elyensis Episcopus (Bischof von Ely) hinzugesetzt.318 Die Bezeichnung der Abgehörten verlief viel zu unsystematisch, als dass mit ihrer Hilfe ein Rechnungsleger noch nach Jahren oder Jahrzehnten von jemandem hätte identifiziert werden können, der nicht zum Kreis der Abhörenden zählte. Die Pipe Rolls sollten also eindeutig nicht dazu dienen, irgendwelche rechtlichen Ansprüche Außenstehender festzuhalten, die sich aus den getätigten Zahlungen ergaben.319 Stattdessen wirken die Bezeichnungen der Rechnungsleger eher wie eine Art von Spitznamen: Simon hieß in der Rechnung nicht der Türhüter, weil er über etwas abgerechnet hätte, was mit seiner Arbeit als Türhüter in Zusammenhang stand.320 Anhand dieser Beschreibung hätte man ihn auch schwerlich Jahre später identifizieren können, der Zusatz diente auch nicht einer genauen Zuordnung zu einer Person. Wahrscheinlich notierte der Rechnungsschreiber ihn als Simon den Türhüter, weil die an der Abrechnung beteiligten Menschen ihn eben unter diesem Namen kannten. Den Richard, der auf demselben Rotulus abrechnet, kannte man als den von Wilebi (Ricardus de Wilebi), den Thomas als den Sohn von Hugo (Tomas filius Hugonis). Die Titulierung musste nur von den anderen Anwesenden bei der Rechnungsabhör und von den Schreibern verstanden werden, die die Pipe Roll für das nächste Jahr abschrieben. Die mangelnde Systematik in der Identifizierung bestärkt damit die These, dass sich die Rechnungsabhör als interner Prozess der königlichen Verwaltung abspielte. Insiderwissen zeigt sich auch darin, dass der Rechnungsleger im Pachtposten meist nicht explizit als Sheriff tituliert wird. Über die Pacht von Worcestershire rechnete zum Beispiel ein Michael Belet ab.321 Trotzdem wird auf diesen Menschen im Rest der Abrechnung für Worcestershire als idem vicecomes (derselbe

317 Siehe Kapitel 2.2.4. 318 PR 20 Henry II, S. 64, R5 m2d. 319 Die ausstehenden Schulden und damit der Anspruch des Königs, sie noch einzutreiben, bildeten den Grund für die Niederschrift. Die Pipe Rolls dienten aber nicht zum Nachweis von Besitzrechten, auch wenn Zahlungen für Landübertragungen festgehalten wurden. 320 Simon portarius debet xx s. ut inquiratur si Turkillus habuit heredem de uxore desponsata. PR 30 Henry II, S. 47, R4 m2r. 321 PR 30 Henry II, S. 63, R5 m2r.

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Sheriff) rekurriert. Es wurde vorausgesetzt, dass jeder, der mit der Pipe Roll in Berührung kam, auch wusste, dass Michael Belet der Sheriff war. Zugespitzt formuliert bildeten die Pipe Rolls einen Teil eines Abrechnungsprozesses unter königlichen Bediensteten:322 Auf der einen Seite befanden sich Abhörer, die in königlichem Auftrag dafür Sorge zu tragen hatten, dass der König seine Einkünfte erhielt. Auf der anderen Seite standen die Rechnungsleger, die diese Einnahmen in königlichem Auftrag eingesammelt und daraus im Namen des Königs Ausgaben getätigt hatten. Die Charakterisierung des Abrechnungsprozesses als interne Rechenschaftslegung passt zu der Abgrenzungswirkung der Rechnungssprache, die in Kapitel 3 herausgearbeitet wurde. Die Pipe Rolls wurden in einer Sprache abgefasst, die nur ein kleiner Kreis von Menschen verstehen konnte. In dieser Sprache konnte nicht mit der Welt außerhalb der königlichen Verwaltung kommuniziert werden. Ebenfalls in Kapitel 3 wurde bereits festgestellt, dass bisweilen sogar dieselbe Person in der Funktion des Abhörers und des Rechnungslegers erscheinen konnte.323 Abhörer und Abgehörte stammten aus demselben Kreis von Menschen. Der König delegierte sowohl die Bewirtschaftung des Landes als auch die Rechnungslegung darüber an seine Bediensteten. Wenn ein Verwalter eines Landes sich vor der Einheit, der dieses Land gehörte, für sein Handeln verantworten musste, stellte zwar theoretisch der König diese Einheit dar, in der Praxis der Abhörung trat der Verwalter aber Bediensteten des Königs gegenüber. Der König fungierte in der Abrechnung damit eher als abstrakter Referenzpunkt324 denn als konkrete Person: In der Abrechnung konstituierte sich eine Form der entpersonalisierten Herrschaft, die den König nur noch als Chiffre für die oberste Gewalt benötigte. Zusammengefasst erwiesen sich die Pipe Rolls als anpassungsfähig sowohl 322 Die Abhörungen dienten also nicht nur der Kontrolle königlicher Offizieller, wie es Hollister u. Baldwin, S. 882 beschreiben, diese Kontrolle wurde zudem durch andere königliche Offizielle durchgeführt. Höchstens der Inquest of Sheriffs lässt sich sozusagen als Compliance-Aktion ansehen: Im Jahr 1170 wurde diese Befragung aller Sheriffs durchgeführt, die nicht nur absichern sollte, dass dem König alle von ihm beanspruchten Einnahmen zukamen, sondern auch das Verhalten der Sheriffs überprüfte. So wurde z. B. gefragt, ob Menschen nicht durch Bestechung aus dem Gefängnis freigekommen oder erst hineingelangt seien, oder ob ein Sheriff nicht nur deshalb unrechtmäßig angeeignete Güter zurückgegeben habe, weil er von der Ankunft des königlichen Richters gehört habe und sich Klagen habe ersparen wollen. Der Inquest of Sheriffs findet sich in Select Charters, S. 140 – 143, eine englische Übersetzung in English Historical Documents, Bd. II, S. 438 – 440. 323 Siehe Kapitel 3.2.2. 324 Diese Abstraktion zeigt sich deutlich in der immens häufig verwendeten Formel per breve Regis (auf Verfügung des Königs), zu der nie der Name des Königs tritt. Die Vergebung einer Schuld oder Berechtigung zu einer Handlung erfolgte damit aufgrund der Autorität, die jedem König qua Stellung zukam, nicht aufgrund der individuellen Überlegung eines konkreten Königs.

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Die Funktionalität der Pipe Rolls: Reproduktion interner Rechenschaftslegung

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über die Zeit als auch an verschiedene Umwelten. In der Rückschau lässt sich feststellen, dass die Anpassung in den hier untersuchten fünfzig Jahren vor allem auf die Fähigkeit zur Reproduktion ihrer selbst hinauslief. Immer wieder reproduziert wurde auf diese Weise eine interne Rechenschaftslegung, in der der König nur noch als abstrakte Bezugsgröße firmierte.

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Ergebnis: Der Exchequer als Organisation

5.1. Definitionen einer Organisation Am Anfang des Beobachtungszeitraums stand die Routine des Pipe RollSchreibens, fünfzig Jahre später hatte sich die selbstreproduzierende interne Abrechnung zu einer Organisation verfestigt. Einige Indizien weisen darauf hin, dass der Exchequer in den 1180er Jahren als eigenständige Einheit angesehen werden kann. Exchequer und Kanzlei kommunizierten miteinander etwa über die Originalia Roll oder die Chancellor’s Roll.1 Das deutet darauf hin, dass die Arbeitsgänge und Erzeugnisse des Kreises um den König auf der einen Seite und der in Westminster sitzenden Bediensteten auf der anderen Seite als verschiedene wahrgenommen wurden und damit auch Kanzlei und Exchequer voneinander unterschiedene Entitäten darstellten. In der Verwendung der Bezeichnung scaccarium zeichnet sich ebenfalls ab, dass am Ende des Beobachtungszeitraums darunter eine spezifische Einheit an einem konkreten Ort verstanden wurde. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bildete scaccarium eines der möglichen Betätigungsfelder königlicher Mitarbeiter : Königliche Bedienstete wurden in dem Moment, in dem sie sich mit Abrechnungsfragen beschäftigten, zu barones de scaccario.2 Im fiktiven Dialog zwischen dem Schatzmeister und einem Schüler, den Richard of Ely gegen Ende der 1170er Jahre verfasste,3 tritt scaccarium nicht nur als Aufgabengebiet in Erscheinung, sondern auch als Inhaber von Wissen. Wissen (scientia) wird im Dialogus selten einer Person oder einem Personenkreis zugeschrieben, sondern zumeist dem Schatzamt selbst. Lediglich wenige Personen besitzen (habere) die scientia de scaccario, bezeichnenderweise alle Verwandte des Schatzmeisters, der den Traktat verfasste.4 Wesentlich häufiger hingegen wird scientia mit dem 1 2 3 4

Siehe oben, Kapitel 4.6. Siehe auch oben, Kapitel 3.2.2. Zum Dialogus siehe Kapitel 1.4. Dabei handelt es sich um den Großonkel Richards of Ely, Roger of Salisbury, und Richards Vater Nigel of Ely, siehe Dialogus I, 7, S. 90 und I, 8, S. 97.

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Ergebnis: Der Exchequer als Organisation

Genitivattribut scaccarii versehen, wobei es sich um einen genitivus subjectivus handelt: Richard spricht vom Wissen des Schatzamtes, nicht dem Wissen über das Schatzamt. Die scientia scaccarii erscheint nämlich häufig als Substantiv : Sie besteht aus etwas,5 ist größer6 oder vorzüglicher7 als etwas, blüht auf8 und muss in einem Bereich gesucht werden.9 Zudem wurde sie, einmal verloren, wieder hergestellt10 und kann untergliedert werden, denn der Schüler besitzt am Ende des Dialogus die Teile, die nach Ansicht des Lehrers aus dem Bereich des Schatzamtswissens für ihn wichtig sind.11 Die scientia de scaccario bezeichnet das Wissen über das Schatzamt, das in seiner Gänze nur ausgesuchten Personen zugestanden wird; die scientia scaccarii hingegen meint das Wissen des Schatzamtes: Sie tritt als selbständige Einheit auf und wird nicht hauptsächlich von Personen benutzt, sondern besitzt ihren eigenen Wirkungskreis. Damit wird scaccarium als Einheit vorgestellt, die über ein eigenständiges Wissen verfügt. Außerdem arbeiten an diesem Ort Menschen, die eine Art gemeinsames DienstEthos verbindet: Alle verschiedenen officia sind durch das gemeinsame Ziel verbunden, den Nutzen des Königs zu fördern.12 Auch in den jüngeren Pipe Rolls meint scaccarium nicht mehr die Tätigkeit der barones de scaccario,13 sondern einen Ort, an dem man Gesuche vorbringen kann14 oder an den Geld gebracht

5 Dialogus I, 4, S. 67: Non enim in ratiociniis sed in multiplicibus iudiciis excellens scaccarii scientia consistit. Oder Dialogus II, 2, S. 120: Decet autem te dicendis sollicitam adhibere diligentiam, quia in hiis excellentior scaccarii scientia consistit, sicut dictum est ab initio. 6 Dialogus I, 4, S. 68: At cum ceperit multiplex inquisitio fieri de hiis rebus, que varie fisco proueniunt, et diuersis modis requiruntur et a vicecomitibus non eodem modo perquiruntur, discernere si secus egerint quibusdam graue est et ob hoc circa hoc scientia scaccarii maior esse dicitur. 7 Dialogus I, 18, S. 109: Restat igitur vt ad maiores et magis necessarias institutiones scaccarii conuertamur, in quibus vt predictum est excellentior est et vtilior et a pluribus remotior scaccarii scientia. 8 Dialogus I, 11, S. 104: […] rotulus annalis de tempore regis illius magni, cuius supra meminimus, sub quo plurimum floruisse dicitur dignitas et scientia scaccarii, […]. 9 Dialogus II, 4, S. 125: Ad hec (meint: ad agenda vicecomitis) enim, te monente, totam attentionis industriam iam collegi sciens ex hiis excellentem scaccarii scientiam, sicut predictum est, debere requiri. 10 Dialogus I, 8, S. 97: Hic (Nigel of Ely) etiam […] scaccarii scientiam continuata per multos annos bellica tempestate pene prorsus abolitam reformauit, et totius descriptionis eius formam velut alter Esdras, bibliothece sedulous reparator, renouauit. 11 Habes enim […] quecumque circa scaccarii scientiam potiora tibi visa sunt […], Dialogus II, 28, S. 125. 12 Licet eorum qui ad maius scaccarium resident, officia quibusdam videantur proprietatibus esse distincta vnum tamen officium ominium est et intentio: vt regis vtilitati prospiciant, salua tamen equitate, secundum constitutas leges scaccarii. Dialogus I, 4, S. 66. 13 PR 31 Henry I, S. 56, R10 m1d. 14 In der PR 30 Henry II, S. 56, R4 m2d, zahlt ein Rechnungsleger pro habendo loquela sua ad scaccarium.

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Definitionen einer Organisation

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wird.15 Wie die englische Forschung formuliert, war aus einer »occasion« eine »organisation« entstanden.16 Um diesen Prozess genauer zu verstehen, erweist sich die Perspektive der institutionellen Organisationstheorie als nützlich. Die Frage dieser Arbeit: Warum waren die Abrechnungsprozesse so beständig?, kann mit ihrer Hilfe abschließend beantwortet werden. Um die institutionelle Organisationstheorie auf den vorliegenden Fall anwenden zu können, müssen Organisationen und Institutionen unterschieden werden. Deshalb dürfen Institutionen nicht als Behörden aufgefasst werden, wie es in der deutschen Forschung lange geschah.17 Als hilfreich erweist sich hingegen die Definition, die die insbesondere in den USA betriebene Erforschung von Institutionen und Organisationen verwendet: Institutionen werden in diesem Forschungszusammenhang nicht mit Organisationen gleichgesetzt, sondern als Prägekräfte auf Organisationen untersucht.18 Verschiedene Ausformungen der institutionellen Herangehensweise finden sich in den Wirtschaftswissenschaften, der Politikwissenschaft und der Soziologie,19 wobei insbesondere die Modelle, die in der Soziologie entstanden, die hier verfolgte Argumentation unterfüttern können. Was genau unter einer Institution zu verstehen sei, bleibt auch innerhalb der Soziologie umstritten.20 Zwei sehr ähnliche, jeweils synthetisierend angelegte Definitionen21 lassen sich zu der 15 Einem Rechnungsleger wird in der PR 30 Henry II, S. 151, R11 m2r Geld erlassen, weil er Pfennige zum Schatzamt geschafft hat: pro denariis portandis ad Scaccarium et aliis minutis negociis. 16 Anstelle von »organisation« wird auch von »department« gesprochen. Siehe z. B. Hollister u. Baldwin, S. 879. In jüngerer Zeit wurde sie zitiert von Brand, Making, S. 86; Bartlett, S. 159; Barratt, Finance, S. 253; Jones, S. 471. 17 Diese Kritik an der stark verfassungsgeschichtlich geprägten deutschen Tradition der Institutionentheorie äußern bereits Blänkner u. Jussen, S. 10. Die neuere deutsche Institutionenforschung wurde insbesondere vom Dresdner Sonderforschungsbereich »Institutionalität und Geschichtlichkeit« betrieben. Manche Veröffentlichungen zeigen den Versuch, Institutionen auch als Ordnungsleistungen zu erfassen, jedoch gelingt selten eine klare Abgrenzung von der älteren Sichtweise, die auch und gerade bürokratische Organisationen als Institutionen ansieht. So bezeichnet etwa Melville formale Organisationen als eine mögliche Form von Institutionen, siehe Melville, z. B. S. 28. Auch Patzelt, S. 290, sieht in der Bürokratie die festeste Form einer Institution. 18 Als Vordenker dieser Art von Institutionentheorie wird häufig Max Weber zitiert, siehe z. B. Scott, S. 13. 19 Die Vorgeschichte der neueren Institutionentheorie in diesen drei Bereichen seit der Wende zum 20. Jahrhundert schildert sehr übersichtlich Scott, S. 19 – 44. In der deutschen Forschung wird die Dreiteilung etwa bei Göhler rezipiert, siehe Göhler, Institution, S. 215 – 220. 20 Greenwood u. a., hier S. 4. 21 Sowohl Greenwood u. a. als auch Scott präsentieren eine Definition, die in möglichst vielen Spielarten der soziologischen Institutionentheorie verwendet werden können soll. Greenwood u. a., S. 4, bezeichnen als Institutionen deshalb »more-or-less taken-for-granted repetitive social behaviour that is underpinned by normative systems and cognitive under-

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Aussage kombinieren, dass es sich bei Institutionen um regulative, normative und kognitive Ordnungen handelt, die gesellschaftliches Verhalten ordnen und durch Erwartungssicherheit stabilisieren.22 Sie selbst unterliegen einem inkrementellen Wandel.23 Diese Definition umfasst bereits das Modell der drei Säulen, aus denen Institutionen laut William Richard Scott bestehen können, nämlich aus regulativen, normativen und kognitiv-kulturellen Säulen.24 Institutionen können Elemente aus nur einer, zwei oder allen drei Säulen in verschiedenen Mischverhältnissen enthalten.25 Regulativ wirkt jedes formelle oder informelle Regelsystem, das Verhalten ausrichtet und begrenzt. Die normative Säule besteht aus sozialen Überzeugungen und Normen, die bewertend und verpflichtend wirken. Kognitiv-kulturelle Elemente formen allgemein anerkannte Bedeutungszuweisungen und bilden damit die Grundlage für unhinterfragte, selbstverständlich repetierte Handlungen.26 Organisationen müssen von Institutionen unterschieden werden und zeichnen sich durch Legitimität und Identität aus. Schon in der frühen Organisationsforschung wurde Identität als wichtiges Merkmal einer Organisation angesehen.27 Legitimität wird neben der Beständigkeit als Hauptziel einer Organi-

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standings that give meaning to social exchange and thus enable self-reproducing social order.« Scott, S. 48, definiert: »Institutions are comprised of regulative, normative and cultural-cognitive elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning to social life.« Ganz ähnlich definiert Göhler, Zusammenhang, S. 15 bzw. gleichlautend Göhler, Institution, S. 212: »Soziale Institutionen sind relativ auf Dauer gestellte, durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regulierender und orientierender Funktion.« Im Unterschied zu den Definitionen von Greenwood et al. und Scott entsteht bei Göhler nicht die Dauerhaftigkeit aus den kognitiven und normativen Ordnungen, sondern bildet die Grundlage für diese Ordnungen. Zwischen beiden Vorstellungen besteht insofern nur ein geringer Unterschied, als sich Dauerhaftigkeit und Ordnungssysteme natürlich gegenseitig verstärken und die Frage, was zuerst da war, hauptsächlich von der Setzung des Beobachtungsrahmens abhängt. Da in der vorliegenden Arbeit der Fokus auf der Herausbildung von Stabilität auf der Grundlage von kognitiven Ordnungen liegt, eignen sich die Definitionen von Greenwood u. a. und Scott besser. Diese für meine Arbeit wichtige Ergänzung der Definition findet sich nur bei Scott, S. 48. Ebd., S. 50 – 69. Die Diskussionen innerhalb der Institutionentheorie lassen sich entsprechend laut Scott unter der Frage zusammenfassen, welches Element eine Institution besonders nachhaltig prägt, siehe ebd., S. 50. Am Beispiel des Fußballs könnte man illustrieren, dass formelle oder informelle Regeln etwa festlegen, wer warum eine rote Karte erhält oder welche Laufwege ein 6er zu gehen hat. Ein normatives Element kann z. B. im Trikottausch nach dem Spiel gefunden werden. Kognitivkulturell hingegen wird festgelegt, wer sich als Mitspieler wahrnehmen darf, was das Erzielen eines Tores bedeutet usw. Scott beschreibt die Säulen entsprechend am Beispiel des American Football, siehe ebd., S. 65. Dafür steht vor allem der Name Philip Selznick. Auch Douglas, S. 46, definiert Institutionen als legitimierte soziale Gruppen.

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Definitionen einer Organisation

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sation genannt.28 Beständigkeit bildet jedoch auch ein wichtiges Charakteristikum von Institutionen und eignet sich deshalb nicht als Bestandteil einer Definition, die beide Konzepte voneinander abgrenzen soll.29 Deshalb sollen Organisationen als Einheiten verstanden werden, die auf Identität und Legitimität gründen, wohingegen Institutionen bestimmen, was als Grundlage von Identität und Legitimität herangezogen werden kann.30 Organisationen streben außerdem im Gegensatz zu Institutionen danach, ihr Bestehen zu sichern, und besitzen deshalb eine gewisse Eigenlogik.31 Diese Definition durch Legitimität und Identität entspricht genauso wenig einem allgemeinen Konsens wie die oben angeführte Definition einer Institution. Institutionen wie Organisationen werden nicht nur differierend definiert, auch die Abgrenzung der beiden analytischen Konzepte voneinander gestaltet sich schwierig. Diese Problematik wird dadurch gesteigert, dass die neuere Forschung die gegenseitige Beeinflussung beider Phänomene stärker betont: Die ersten organisationstheoretischen Studien beschäftigten sich vor allem mit der inneren Funktionsweise von Organisationen, in der Folge verschob sich der Fokus auf die Frage, wie Organisationen von den Institutionen geformt werden, die ihre Umgebung ausmachen.32 Heute werden Organisationen als weniger passive Einheiten angesehen: Zwar prägen Institutionen das Handeln von Organisationen, umgekehrt aber können Organisationen darauf reagieren und ihrerseits zu Veränderungen in den Institutionen beitragen.33 Erschwert wird die Abgrenzung noch dadurch, dass der Terminus »Institutionalisierung« in der Forschung in leicht verwirrender Weise für die Herausbildung von Institutionen wie von Organisationen verwendet wird.34 Eine klärende semantische Innovation in Form eines parallelen Verlaufssubstantivs für Organisationen (etwa: Organisationalisierung) zeichnet sich bisher nicht ab. Da insbesondere in der jüngeren Forschung die gegenseitige Beeinflussung von Organisationen und Institutionen betont wird, überraschen auch die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der jeweils zugehörigen Entstehungsprozeduren nicht. 28 Siehe Greenwood u. a., S. 7. 29 Zudem folgt Beständigkeit aus der Bereitstellung von Identität und Legitimität, stellt also eine abgeleitete Eigenschaft dar. 30 Scott, S. 90, beschreibt den Unterschied zwischen Institution und Organisation ganz ähnlich: Die Institution bestimmt, welche Ziele wertgeschätzt werden, die Organisation stellt die Einheit dar, die als passend für die Erreichung dieser Ziele angesehen wird. 31 Douglas, S. 92. 32 So schildert Scott, S. 216, den Beginn der Organisationstheorie. 33 Ebd., S. 178. 34 Greenwood u. a. bezeichnen etwa auf S. 7 die Entstehung neuer Organisationsformen als »institutionalization«, auf S. 15 schreiben sie hingegen, »institutionalization« werde allgemein anerkannt benutzt, um den Prozess der Herausbildung von Institutionen zu beschreiben. Auch Scott unterscheidet terminologisch nicht zwischen der Entstehung von Institutionen (z. B. S. 93) und Organisationen (z. B. S. 98).

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Ergebnis: Der Exchequer als Organisation

Zwischen den Veränderungen in der Rechnungssprache, die in Kapitel 4 empirisch festgestellt wurden, und dem Prozess, den die kulturell-kognitiv orientierte institutionelle Organisationstheorie für die Entstehung von Organisationen beschreibt, fallen einige Ähnlichkeiten ins Auge. Kapitel 4 hat ergeben, dass sich die Veränderungen in der Rechnungssprache unintentional herausbildeten. Diese Wirkkraft nicht-intentionalen Verhaltens betont auch die soziologische Spielart der institutionellen Organisationstheorie, die seit den 1970er-Jahren neue Pfade erschloss35 und sich damit von neoklassischen Ansätzen abgrenzte, die die Entstehung von Institutionen und Organisationen auf das von rational choice bestimmte Handeln individueller Akteure zurückführten.36 Die spezielle Anpassungsfähigkeit der Pipe Roll machte die Abrechnungsprozeduren nicht notwendigerweise effizienter, ermöglichte ihnen aber einen langen Fortbestand. Die neuere Organisationstheorie berücksichtigt, dass eine einmal entstandene Organisation nicht nur Effizienz zu erreichen versucht,37 sondern hauptsächlich Beständigkeit anstrebt.38 Zuletzt wurde in Kapitel 4.6. die evolutionäre Konstruktion von Funktionalität beschrieben: Funktionalität bildet keine ahistorische Größe, deren Vorliegen und Qualität ohne Kontextwissen beobachtet und beurteilt werden könnte. Vielmehr kann sie einem Prozess zugeschrieben werden. Ein herausragendes Kennzeichen der soziologischen Institutionentheorie liegt ebenfalls in ihrer Neu-Fassung von Funktionalität. In Abgrenzung von den organisationstheoretischen Ansätzen in der Politikwissenschaft und der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft wurde die soziale Konstruktion von Rationalität explizit thematisiert:39 Organisationen handelten rational; das Verständnis darüber, was als rational zu gelten habe, sei aber sozial konstruiert, das heißt durch den institutionellen Kontext vorgegeben.40 35 Als grundlegende Artikel werden gerne zitiert: Meyer u. Rowan; Zucker, DiMaggio u. Powell, Tolbert u. Zucker, Institutional Sources. 36 Gegenbilder zu den rational choice-Konzepten entwerfen die Soziologen seit der Wende zum 20. Jahrhundert, siehe Scott, S. 4 – 16. 37 Diese Sichtweise auf Organisationen wurde auch im Antrag für den Dresdner Sonderforschungsbereich vertreten, der Organisationen rein funktional als Zusammenschluss zu zweckorientierter Aufgabenerfüllung definiert, zitiert bei Patzelt, S. 297, Fußnote 26. Nicht aufgeworfen wird die Frage, die die Initialzündung für die neueren Ansätze der soziologischen institutionellen Organisationstheorie lieferte, nämlich warum sich Organisationen nicht immer zweckorientiert verhielten. 38 Siehe etwa Meyer u. Rowan, S. 346. 39 Eine wichtige Grundlage legten Berger u. Luckmann. Für die Institutionentheorie besitzt insbesondere der einschneidende Artikel von Meyer u. Rowan Relevanz. Dieser Aufsatz präsentiert sich dem Leser, der die Diskurse in der institutionellen Organisationstheorie nicht kennt, recht hermetisch. Eine sehr gute Zusammenfassung des Argumentationsstrangs, der die Rezeption besonders intensiv prägte, liefern Greenwood u. a., S. 3 – 5. 40 Meyer u. Rowan sprechen deshalb von »rational institutional myths«, S. 347. Allerdings zählt

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Die Emergenz des Exchequer

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Der Entstehungsprozess kognitiv-kultureller Organisationen, wie ihn die soziologische Institutionentheorie beschreibt, ähnelt also dem Veränderungsprozess der Pipe Rolls, der in Kapitel 4 analysiert wurde: Es handelt sich um einen unintentionalen Vorgang, dessen Funktionalität erst in der Rückschau erkannt und dem entsprechend Sinn erst im Nachhinein zugewiesen werden kann.41 Diese Übereinstimmungen regen dazu an, den ganzen Entstehungsprozess der Organisation Exchequer als Institutionalisierung im Sinne der institutionellen Organisationstheorie zu lesen, wie es im folgenden Unterkapitel passieren soll.

5.2. Die Emergenz des Exchequer Am Anfang des Prozesses, der in dieser Arbeit beobachtet wurde, stand die routinierte Nutzung einer Fachsprache. Aus der Perspektive der Organisationstheorie kann Fachsprache als Institution der kognitiv-kulturellen Säule betrachtet werden: Die Fachsprache bildete die kognitive Ordnung, an der sich die Schreiber der Pipe Rolls unbewusst und unhinterfragt orientierten.42 Die die Einsicht, dass Rationalität ein soziales Konstrukt darstellt, zu den immer wieder vergessenen und deshalb immer wieder neu entdeckten Erkenntnissen, bei denen Douglas Fälle von institutionellem Vergessen diagnostiziert: Institutionen prägten das Denken der Menschen auch in der Hinsicht, dass bestimmte Einsichten immer wieder vergessen würden. Douglas, S. 81 – 90, schildert als Beispielfall, dass die Prägung durch Institutionen selbst immer wieder vergessen würde: Insbesondere die Institutionen der Psychologie würden verhindern, dass Psychologen langfristig an der Idee festhielten, Menschen würden von Institutionen geprägt. Die Ordnungsmacht von Institutionen werde deshalb in der Psychologie immer wieder neu entdeckt. Ebenso wird immer wieder die Erkenntnis gefunden, dass die Definition von Rationalität kontextgebunden erfolgen muss. Schon Weber stellt zwar für die Moderne eine spezifische Form der Rationalität fest, bezeichnet aber auch beispielsweise das Leben in einem mittelalterlichen Kloster als »rationale Form der Askese«, Weber, S. 719. In jüngerer Zeit stellt etwa Rehberg diese Einsicht wieder einmal als etwas neuerdings Beachtenswertes dar, siehe Rehberg, S. 39 – 43. Die Annahme, dass Rationalität eine Geschichte habe, widerspricht laut Daston der Intuition heutiger Wissenschaftler so stark, dass sie immer wieder zu Erstaunen führe, siehe z. B. S. 15. 41 Der evolutionäre Institutionalismus bei Patzelt klingt verwandt, unterscheidet sich aber in einigen Merkmalen von den hier nutzbaren Ansätzen. Erstens erwähnt Patzelt die kognitivkulturelle Komponente der institutionellen Organisationsforschung nicht, weswegen Evolutionstheorie und Institutionalismus für ihn zunächst einen Widerspruch darstellen (Patzelt, S. 287). Zweitens dient die Evolution bei Patzelt dazu, den Bestand einer Institution zu sichern, sie erklärt nicht die Emergenz einer Organisation. Drittens enthält die Evolutionstheorie Patzelts viele intentionale Momente: So stützt er sich auf die Theorie der Meme, bei der Variation und Selektion nicht getrennt werden können (S. 293 – 296). Kritisch zum Konzept der Meme äußert sich Müller, S. 67 f. Zudem besitzt der Evolutionsprozess bei Patzelt eine gewisse Kreativität und kann sogar ansatzweise prognostiziert werden (Patzelt, S. 357 – 366). 42 Scott, S. 50. Die kognitiv-kulturelle Säule wird in der Dresdner Institutionenforschung kaum

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Rechnungssprache gliederte und prägte die Arbeit der Schreiber mindestens seit 1129/30.43 Wie im Folgenden erläutert, legte die Sprache die Grundlage dafür, dass das Rechnungsschreiben mit Identität und Legitimität versehen wurde, so dass am Ende des Beobachtungszeitraums von einer Organisation gesprochen werden kann. Das erste wichtige Charakteristikum einer Organisation, die Identität, entstand im hier betrachteten Fall mithilfe der Abgrenzung. Wie in Kapitel 3.3. dargelegt, dient die Nutzung einer Fachsprache primär der einfacheren Verständigung mit den anderen Angehörigen des eigenen Faches. Indem sich die Sprache aber für den speziellen Sprachgebrauch dieses Faches spezifiziert, wirkt sie zugleich wie eine Gruppensprache, die die Sprecher dieser Sprache von denjenigen abgrenzt, die ihrer nicht mächtig sind. Aus der sprachlichen Differenzierung einer Fachsprache folgt mithin eine soziale Differenzierung.44 Kritik an der Unverständlichkeit dieser Sprache kann die Gruppenidentität schärfer konturieren.45 Die zweite wichtige Eigenschaft einer Organisation, die Legitimität, kann auf beide herausragende Charakteristika der hier untersuchten Fachsprache zurückgeführt werden, also auf die Abgrenzungswirkung und auf die Anpassungsfähigkeit. Beide bedingten und verstärkten sich wechselseitig: Die Anpassung über die Zeit bewirkte stetige inkrementelle Veränderungen der Rechnungssprache. Deshalb änderte sich auch das Wissen ständig, das man zur Erstellung einer Pipe Roll benötigte. Die Rechnungssprache außerhalb des Kreises ihrer Schreiber zu erlernen, wurde damit vollends unmöglich.46 Die synchrone Anpassung der Sprache an die jeweilige Nische einer neuen Rollenart führte dazu, dass die Sprache dieser Nische immer weniger Ähnlichkeiten mit den Sprachen der anderen Rollen aufwies. Da sich die Rollensprache ihrer zugehörigen Nische anpasste und sich nicht an einer überwölbenden Systematik orientierte, ging eine bessere Anpassung an die Nische damit einher, dass das

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thematisiert. Institutionen ruhen z. B. bei Patzelt auf Eigeninteressen oder normativen Ausrichtungen, nicht auf unhinterfragten Annahmen, siehe Patzelt, S. 197 f. Stattdessen wird auf Symbole rekurriert: Für Patzelt bestehen Institutionen aus Organisationen und Symbolen (S. 300), für Rehberg umgekehrt Organisationen aus Institutionen und Symbolen (S. 50). Für Melville, S. 17 – 23, verkörpert sich das Symbol insbesondere im Ritual, das eine mögliche Form einer Institution darstelle. In der institutionellen Organisationstheorie, der ich hier nachfolge, stellt eine Institution nicht lediglich eine erweiterte oder reduzierte Form einer Organisation dar. Douglas, S. 63, nennt die Sprache explizit ein gutes Beispiel für eine Institution. Siehe Gloy, S. 102. Verwaltungssprache wird von Kritik nicht nur durch ihre Geschichte begleitet, sondern auch gefestigt. Allgemeiner formuliert bildet Kritik von außen für Douglas eine entscheidende Voraussetzung für die Herausbildung einer sozialen Gruppe, Douglas, S. 40. Deshalb bildet sich die Dominanz einer Fachsprache gleichsam ungeplant heraus, siehe auch Gloy, S. 106.

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Die Emergenz des Exchequer

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Gesamtbild aller Rollen unsystematischer wurde und von außen immer weniger durchschaut werden konnte. Die Anpassung verstärkte somit die Abgrenzungswirkung der Sprache. Zugleich ermöglichte allerdings erst die Abgrenzungskraft der Sprache auch ihre Anpassungsfähigkeit. Die abgrenzende Wirkung der Sprache lässt einen kleinen Kreis von Nutzern dieser Sprache entstehen. Innerhalb dieses abgegrenzten Zirkels kann Flexibilität zugelassen werden, ohne dass sie in Beliebigkeit ausartet. Die Anpassungsfähigkeit der Sprache nun stellte die Grundlage für die Produktion von (ex post erkennbarer) Funktionalität dar. Abgrenzung und Anpassung brachten Legitimität auf zwei Wegen hervor. Erstens wurde die funktionale Legitimität dadurch sichergestellt, dass die Sprache in der Lage blieb, die ihr zukommenden Aufgaben zu erfüllen. Dieser Weg zur Legitimität, der der Einfachheit halber zur Umrahmung der beiden empirischen Kapitel angeführt wurde, betrifft das »technische Level«47 einer Organisation und wird auch in den politikwissenschaftlichen und neoklassischwirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen beschrieben: Organisationen erfüllen hauptsächlich eine bestimmte Aufgabe und zeichnen sich damit als rational aus.48 Die Abgrenzungswirkung und die Anpassungsfähigkeit der Fachsprache sorgten dafür, dass die Abrechnungsprozesse, die durch diese Fachsprache geprägt wurden, weder zu volatil noch zu starr gestaltet wurden, mithin ihre Funktionsfähigkeit erhalten blieb.49 Gefestigt wurde diese Legitimität dadurch, dass die Aufgaben nirgendwo konkret festgelegt worden waren, die die Fachsprache – und von ihr abgeleitet auch die Abrechnungsprozesse – erfüllen sollten. Ohne von außen angelegte Messlatte konnte deshalb jedes Ergebnis der Selektions- und Stabilisierungsprozesse als Inkarnation von Rationalität angesehen werden.50 Der zweite Weg zur Legitimität führte über die Nicht-Intentionalität bei der Herausbildung der Organisation. Das Schatzamt wurde nicht auf dem Reißbrett 47 Parsons, S. 63 f. 48 Zu diesen Ansätzen siehe auch Greenwood u. a., S. 1. Rationalität wird dort nicht dekonstruiert, im Gegensatz zu den neueren soziologischen Studien im Anschluss an Meyer u. Rowan. In einem Übergangsbereich kann die Theorie von Douglas verortet werden. Den Ausgangspunkt ihrer Studie bildet zwar die Frage, wie Solidarität (collective action) unter Individuen entstehen kann, die sich nach rational choice-Modellen verhalten. Deren gemeinsames Handeln kann aber Zusammenschlüsse hervorbringen, die in der Folge die Deutungsmacht darüber gewinnen, was als rational, als richtig, als gerecht zu gelten habe. Dem Individuum schreibt Douglas eine nutzenmaximierende Rationalität zu, betont jedoch, dass diese Rationalität stets zeitgebunden konstruiert werde, siehe insbesondere S. 9 – 21. 49 Die gleiche These stellt Steinmetz für politische Systeme auf: Als stabil erwiesen sie sich, wenn sie weder zu restriktiv noch zu wenig eingrenzten, was gesagt werden dürfe. Steinmetz, New Perspectives, hier S. 5. 50 Diese Ergebnisse konnten also zu »rational institutional myths« werden, siehe Meyer u. Rowan, S. 347.

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entworfen, sondern emergierte aus der wiederholten Nutzung einer bestimmten Fachsprache. Es entsprang einem Prozess der diachronen Emergenz, das heißt: Ungeplant und unvorhersehbar entstand etwas Neues.51 Paul Hoyningen-Huene teilt die Phänomene, die solchermaßen emergieren können, in drei Gruppen ein: (1) Eigenschaften, (2) Gesetze oder (3) Makrobedingungen können sich auf unvorhersehbare Weise herausbilden. Der Prozess der Organisationsbildung lässt sich am besten als Entstehung von (3) Makrobedingungen fassen: Diese Bedingungen steuern und beeinflussen die Abläufe, aus denen sie emergiert sind, determinieren sie aber nicht.52 Entsprechend benennt R. Keith Sawyer die Emergenz als adäquates Erklärungsmodell für die Entstehung von Organisationen und Institutionen: Soziale Strukturen gingen unintendiert aus Interaktionen zwischen Individuen hervor und beeinflussten in der Folge eben diese Handlungen.53 Das Verhältnis zwischen den emergierten Phänomenen und den Abläufen, aus denen heraus sie emergierten – das heißt zwischen der oberen und der unteren Ebene –, kann schwer theoretisch erfasst und allgemeingültig definiert werden.54 Deshalb wird hier lediglich deskriptiv festgestellt, dass die Organisation des Exchequer im Verhältnis zu der in Routinen wiederholten Fachsprache als etwas Neues angesehen werden kann: Sie wies Identität und Legitimität auf und wurde als unterscheidbare Einheit wahrgenommen. Mit 51 Neuartigkeit und Nichtvorhersehbarkeit nennen Greve u. Schnabel, S. 9 und S. 26, als Grundbedingungen für das Vorliegen von Emergenz. Die Unvorhersagbarkeit liege begründet in der Unmöglichkeit, historische Gesetze aufzustellen, weswegen Wandel immer nur ex post erklärt werden könne. Stephan, S. 239 bezeichnet die diachrone als die klassische Form der Emergenztheorien. Die Herausbildung des Exchequer bezeichne ich aus dem Grund als Emergenz, dass sie sich unvorhersagbar vollzog, nicht weil ich von einer Makrodetermination ausgehe, die die neue Organisation auf all ihre Komponenten ausübte. Dieses Kriterium für Emergenz wird laut Hoyningen-Huene, S. 172 – 178, in einer der beiden Hauptvarianten der Emergenztheorie angewandt. Die andere Variante definiert Emergenz über Makrodetermination: Das emergente Phänomen determiniert all seine Komponenten. 52 Ebd., S. 179 – 182. 53 Sawyer, S. 209 f. Er spricht von »Institutionen«, wie insbesondere in deutschen Texten üblich meint er damit aber wahrscheinlich Organisationen und Institutionen gemäß der Definitionen, die in der vorliegenden Arbeit verwendet werden. 54 Stephan stellt neun Bedingungen dafür auf, dass verschiedene Formen von Emergenz vorliegen, siehe S. 14 – 65. Sechs Dimensionen, in denen der Emergenzbegriff Unklarheiten aufweist, nennt Hoyningen-Huene, S. 172 – 187, nachdem er auf S. 166 – 169 die Geschichte des Emergenzbegriffs seit John Stuart Mill dargelegt hat. Das Hauptproblem bei der Konzeption des Verhältnisses zwischen den beiden Ebenen sieht Pihlstrom darin, dass jede Form des Emergentismus von der Kausalität nach unten ausgehen müsste, diese Annahme aber ungewollte Folgen für den weiteren Entwurf der Theorie nach sich ziehe, hier S. 142 – 154. Zeitweise wurde versucht, dieses Problem mit dem enger gefassten Konzept der Supervenienz zu lösen, das die Diskussion um die Emergenz kurzfristig in den Schatten stellte. Die Supervenienz konnte aber nicht die Lösung der Probleme liefern, für die das Konzept entworfen worden war. Deshalb wandte sich das Interesse in den letzten zwanzig Jahren wieder stärker der Emergenz zu, siehe ebd., S. 133 f.

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Die Emergenz des Exchequer

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ihrer Entstehung etablierte die Organisation ihre eigenen Logiken und Rationalitätsannahmen. Auf die solchermaßen entstandenen Funktionslogiken wird in dieser Arbeit aber nicht mehr ausführlich eingegangen. Dazu müssten die späteren Rechnungen einer intensiven Analyse unterzogen werden. Eine solche Untersuchung könnte herausfinden, ob die Organisation beispielsweise als System bezeichnet werden kann, das selbstorganisierend55 und autopoietisch56 arbeitete, ob sich der Exchequer also auch durch Vorgänge synchroner Emergenz57 auszeichnete. Weil sich der Entstehungsprozess des Exchequer geradezu unbewusst abspielte, kann seine Herausbildung als diachrone Emergenz bezeichnet werden. In dem Moment, in dem der Exchequer als Organisation wahrgenommen wurde, konnte er bereits auf seine lange Existenz verweisen, indem der Prozess der Emergierung als Teil der eigenen Geschichte präsentiert wurde.58 Auf ein Para55 Die Geschichte der verschiedenen Ansätze, die unter dem Schlagwort der Selbstorganisationsforschung zusammengefasst werden können, bieten Paslack u. Knost, S. 14 – 28. Diese Übersicht führt deutlich vor Augen, dass sich die Selbstorganisationsforschung damit beschäftigt, Systemveränderungen zu erklären. Die Entstehung eines Systems wird kaum thematisiert. Entsprechend kann die Selbstorganisationsforschung zur Analyse der Entstehung einer Organisation oder Institution wenig beitragen. Stephan, S. 238 – 242 kritisiert die Selbstorganisationsforschung zudem dafür, dass sie den Begriff der Emergenz lediglich als Modeterminus verwende und ihn etwa im Sammelband von Krohn u. Küppers, Emergenz, entweder ungenau oder zu schwach definiere, mithin in »theoretisch harmloser Weise« verwende. 56 Eines der »Urkonzepte« zur Selbstorganisation, die Paslack u. Knost aufführen, bildet die Autopoiesis. Das Autopoiesiskonzept wurde entworfen von Varela u. a. und etwa von Luhmann und Stichweh für die Beschreibung gesellschaftlicher Subsysteme verwendet. Der Exchequer kann kaum als autopoietisches System angesehen werden, da ihm nicht die operative Geschlossenheit attestiert werden kann, die bei beiden Autoren die entscheidende Bedingung dafür ausmacht, ein System als autopoietisch bezeichnen zu dürfen, siehe Luhmann, Gesellschaft, S. 9 – 119 und Stichweh, Autopoiesis, S. 448. Selbstreproduktion bildet nämlich, wie in Kapitel 4.6. dargelegt, nicht das einzige Ziel des Exchequer, daneben wurde auch die interne Abrechnungsfunktion im Laufe des Beobachtungszeitraums gestärkt. Bei der Organisation Exchequer handelte es sich zudem auch nicht um ein gesamtes gesellschaftliches Subsystem. Außerdem wird der Zusammenhang zwischen Autopoiesis und Evolution aus etwas anderem Blickwinkel betrachtet als in dieser Arbeit: Insbesondere bei Luhmann stellt die Autopoiesis die Grundlage für gesellschaftliche Evolution dar, siehe Luhmann, Gesellschaft, S. 415, wohingegen im hier untersuchten Fall umgekehrt die Selbstreproduktionsfunktion der Abrechnungsvorgänge im Zuge evolutionärer Prozesse gestärkt wird. 57 Stephan, S. 239. 58 Richard of Ely stellt im Dialogus dar, dass es Abrechnungen schon seit der normannischen Eroberung gegeben habe. Damals sei allerdings nicht in Geld, sondern mit Naturalien gezahlt worden: Sicut traditum habemus a patribus, in primitiuo regni statu post conquisitionem regibus de fundis suis non auri vel argenti pondera sed sola victualia soluebantur […]. Dialogus I, 7, S. 89. Entsprechend wird die Geschichte der Abrechnungen als die Geschichte des scaccarium geschildert. Roger of Salisbury wird z. B. nicht als Gründer des Schatzamtes genannt, sondern als jemand, der besonders viel Wissen über das Schatzamt besessen habe

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dox zugespitzt: Der Exchequer besaß seit seiner Entstehung die Existenzberechtigung, schon lange dagewesen zu sein.59 Eine solche »Sedimentation« kann als stabilste Form der Legitimität aufgefasst werden,60 da die Existenz der Organisation gar nicht erst hinterfragt wird.61 Zusammengefasst lässt sich die Frage, warum die Abrechnungsprozeduren so stabil waren, wie folgt beantworten: Erstens ermöglichte das Zusammenspiel von Abgrenzung und Anpassungsfähigkeit die Bewahrung der Funktionalität der Abrechnungsprozeduren. Zweitens fand ein Institutionalisierungsprozess statt. Die Schreib-Routinen wandelten sich zu einer Organisation und gewannen so an Festigkeit.62 Drittens lief dieser Prozess geradezu unbewusst ab, wodurch der Organisation eine hohe Legitimität zuwuchs. Ohne dass jemand das geplant hätte, war am Ende des 12. Jahrhunderts aus der Wiederholung fachsprachlicher Routinen eine Organisation mit hoher Legitimität emergiert. Deshalb wurde ihre Existenz nicht hinterfragt. Dadurch wurde ihre Stabilität ermöglicht.

5.3. Die Legitimität der Abrechnungspflicht Die Legitimität, die den Abrechnungsprozessen im Exchequer zukam, wirkte wiederum weiter. Die Idee der Abrechnung diffundierte in andere Bereiche der englischen Gesellschaft. Im 13. Jahrhundert findet man das Konzept der Rechenschaftslegung auch außerhalb derjenigen Organisation, die es legitimiert hat. Die Diffusion lässt sich folgendermaßen vorstellen: Die kognitive Legitimität, die die Abrechnung innerhalb des Exchequer gewonnen hatte, konnte von anderen Organisationen übernommen werden, die diese Übernahme als gerechtfertigt ansahen, weil das Prozedere innerhalb des Exchequers ja schon als legitim galt.63 So lässt sich erklären, dass schon um das Jahr 1200 die frühesten

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und es deshalb zum Blühen gebracht habe: […] de scaccario plurimam habuit scientiam; adeo vt […] plurimum sub eo floruisse. Dialogus I, 7, S. 90. Die Organisation Schatzamt, die Richard of Ely darstellt, gab es seiner Meinung nach bereits seit der Eroberung. Damit wurde diese Organisation hauptsächlich durch die oben beschriebene kulturell-kognitive Säule gestützt. Eine ähnliche Legitimitätsgrundlage nennt Rehberg mit der Entzeitlichung, erklärt deren Entstehung und Funktionsweise jedoch nicht näher, siehe Rehberg, S. 53. So Tolbert u. Zucker, Institutionalization, hier S. 184. Vielleicht wird deshalb in der Forschung nicht explizit nach der Herkunft des Exchequer gefragt, wie zu Beginn von Kapitel 1.1. beschrieben. Scott, S. 140 – 145, nennt Routinen explizit als einen möglichen Bauteil von Organisationen. Daneben könnten Organisationen auch auf Symbolen, Verhältnissystemen oder Artefakten gründen. Diesen Transmissionsmechanismus für den Diffusionsprozess kognitiver Institutionen wird beschrieben in ebd., S. 138.

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Die Legitimität der Abrechnungspflicht

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noch erhaltenen Abrechnungen in den Haushalten der Magnaten entstanden.64 Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts verbreitete sich die schriftliche Abrechnung der Stewards auf gutsherrlichen Besitzungen.65 Anleitungen zu dieser Art der Gutsverwaltung sind aus der Zeit der Wende zum 14. Jahrhundert erhalten.66 Sie setzen sich hauptsächlich aus Beispielen zusammen und formulieren keine theoretischen Regeln.67 Auch die Verbreitung städtischer Abrechnungen nahm in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu.68 Die Übertragung der Legitimität lässt sich aber besser an einem früheren Fall der Übernahme nachzeichnen: In der Diözese von Winchester wurden ab dem Beginn des 13. Jahrhunderts Pipe Rolls erstellt.69 Im Unterschied zu den königlichen Pipe Rolls bildeten die bischöflichen Rechnungen aber keinen integralen Teil des Abrechnungsprozesses. Vielmehr wurden sie in einem Durchgang nach der Abrechnung geschrieben und stellten somit eher eine Zusammenfassung oder Reinschrift der schon erfolgten Abhörung dar.70 Sie nahmen also keine wichtige Rolle im Rahmen des Abrechnungsprozesses ein, sondern protokollierten ihn lediglich. Deshalb hätten sie nicht unbedingt in Rollenform notiert werden müssen, denn sie verfolgten ein anderes Funktionsprinzip. Es liegt nahe zu vermuten, dass die Idee der Pipe Roll in Winchester nicht aus funktionalen Erwägungen adaptiert wurde, sondern um sich einer als Vorbild angesehenen Organisation anzugleichen.71 Die weitere Geschichte des Ex64 Beschrieben und ediert wurden die Haushaltsabrechnungen von Woolgar in Household Accounts from Medieval England. Die früheste erhaltene dieser Abrechnungen aus dem späten 12. Jahrhundert findet sich in den National Archives unter der Referenz E 101/631/1, ediert in ebd., S. 107 – 110. 65 Siehe Harvey, S. 91 – 115, auch Clanchy, Memory, S. 93. 66 Legal and Manorial Formularies; Oschinsky, Medieval Treatises, hier S. 91 f. Bereits aus dem späten 13. Jahrhundert stammt die Abhandlung von Walter of Henley. 67 Legal and Manorial Formularies, S. xii und xvii. Zu den Manualen für die Gutsverwaltung siehe Oschinsky, Medieval Treatises, auch Lendinara, S. 267. Im Laufe des 14. Jahrhunderts setzte an den Universitäten eine »scientific study« dieser Abrechnungsformen ein, so Oschinsky, Medieval Treatises, S. 98. 68 Clanchy, Memory, S. 93. 69 Vincent, Origins. Die Pipe Rolls von Winchester wurden ediert für die Jahre 1209/10 und 1210/11: The Pipe Roll of the Bishopric of Winchester for the Fourth Year of the Pontificate of Peter des Roches und The Pipe Roll of the Bishopric of Winchester, 1210 – 1211. Sie werden im Hampshire Record Office aufbewahrt. Dort liegen auch weitere Dokumente aus der Finanzverwaltung dieser Zeit, siehe dazu Mayberry. Bischöfliche Exchequer gab es wohl auch in anderen Diözesen, ihre Produkte erhielten sich jedoch nicht, siehe ebd., S. 41. 70 Vincent, Origins, S. 30. 71 Dieser Vorgang bildet laut Tolbert u. Zucker, Institutional Sources, S. 35, ein wichtiges Indiz für die Institutionalisierung einer Idee. Diese These wird dadurch unterstützt, dass die Einführung der bischöflichen Pipe Rolls wahrscheinlich auf die Initiative von Peter des Roches zurückzuführen ist, der erst zu den königlichen Verwaltern zählte und Erfahrungen mit der Arbeit des königlichen Exchequer aufwies. Im Jahre 1205 wurde er Bischof von Winchester. Sein Leben beschreibt Vincent, Peter des Roches.

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chequers von Winchester zeigt allerdings auch die Eigenlogiken, die eine Organisation aufbauen kann, denn im 15. Jahrhundert wurden die Abrechnungen nicht mehr in Rollen, sondern in Codices verzeichnet.72 Mit der Diffusion der Abrechnungsidee ging natürlich eine Ausbreitung der Abrechnungssprache einher : In den Haushalten der Magnaten, in den Guts- und Stadtverwaltungen wurde eine ähnliche Sprache benutzt wie unter den königlichen Abhörern. Wenn die Übernahme der Rechnungssprache nicht rein formelhaft erfolgte, wurde das Fachwissen der Abrechnung auf diese Weise einem größeren Kreis von Menschen zugänglich. Die Abgrenzungswirkung der Sprache schwächte sich damit ab. Allerdings orientierten sich alle Abrechner auf den Ebenen der Stadt, des Gutes oder des Haushalts an der Sprache der königlichen Verwaltung, die somit eine immense Prägekraft entfaltete. Unabhängig davon, ob ein Steward die vorgeschriebenen Formeln lediglich ohne viele Überlegungen übernahm oder sie bewusst benutzte, weil sie sich in anderen Verwaltungsformen als praktikabel erwiesen hatten, in jedem Falle fügte er sich in den sprachlichen Duktus der königlichen Verwaltung.73 Die Sprache wirkte damit weiterhin als Institution, indem sie das Verhalten der Gesellschaft in einer bestimmten Situation prägte und regulierte.74 Ihre Übernahme in weitere Bereiche außerhalb der königlichen Verwaltung verminderte zwar ihre Exklusivität, be-

72 Britnell, hier S. 2. Einen ähnlichen Diffusionsprozess kann man auch für die Kerbhölzer beobachten, die auf verschiedensten Ebenen der Gesellschaft als Belege genutzt wurden. Im Unterschied zu den königlichen Kerbhölzern dienten sie aber nie als Schuldscheine und wurden in der Neuzeit durch Papier ersetzt. Robert, S. 83. 73 Ein noch deutlicheres Beispiel für die sprachliche Prägekraft der königlichen Verwaltung bildet das System der Verfügungen. Um ein Gerichtsverfahren zu beginnen, musste je nach dessen Inhalt eine bestimmte Verfügung der Verwaltung erlangt werden, deren Wortlaut seit dem Ende des 12. Jahrhunderts feststand. Jegliche Form der gerichtlichen Auseinandersetzung bewegte sich damit notwendigerweise in vorhersehbaren sprachlichen Formeln. Die entsprechenden Verfügungen stellt im 12. Jahrhundert Glanvills Traktat zusammen. Siehe dazu Van Caenegem. Eine kurze Aufstellung der writs steht bei Brand, Henry II, S. 220. 74 An dieser Stelle wird die Nähe zwischen dem Konzept der Institution und Foucaults Vorstellungen von Macht deutlich. Macht bezeichnet bei Foucault nicht die »Regierungsmacht«, sondern eine »Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren;« Foucault, Wille, S. 113. Ein Machtverhältnis kommt deshalb in einer Handlungsweise zum Ausdruck, »die nicht direkt und unmittelbar auf die anderen einwirkt, sondern eben auf deren Handeln. Handeln auf ein Handeln, auf mögliche oder wirkliche, künftige oder gegenwärtige Handlungen.« Foucault, Subjekt, hier S. 254. Diese Wirkungsweise ähnelt stark der Prägekraft von Institutionen, die hier für die Sprache beschrieben wurde. Foucault hingegen versteht unter Institutionen eher bürokratische, bevorzugt staatliche Apparate, siehe S. 243. Douglas, S. 92, betont allerdings, dass Foucault stark in einer Perspektive gefangen sei, die von den Institutionen seiner eigenen Zeit geprägt worden sei. Daraus erklärt sich eventuell seine starke Betonung der Macht als gesellschaftlicher Determinante.

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Die Legitimität der Abrechnungspflicht

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kräftigte aber andererseits ihren Status als die legitime Art und Weise, Abrechnungen durchzuführen.75 Die Legitimität der Abrechnungsprozesse zeigt sich auch darin, dass zwar nahezu ständig über die Art und Weise und insbesondere um die Höhe der Abrechnungsverpflichtungen gerungen wurde, beispielsweise in der Rebellion der Barone gegen König John.76 Die Abrechnungspflicht als solche wurde aber nicht angezweifelt. Entsprechend forderte Henry III. 1256 vor dem Exchequer zwar, dass die Sheriffs keine Vertreter mehr zu den Abrechnungen schicken, sondern persönlich erscheinen sollten. Er beschwerte sich nicht darüber, dass die Sheriffs versucht hätten, der Abrechnung komplett zu entgehen.77 Von einem Zusammenbruch der Abrechnungsprozeduren hätten die Sheriffs ja auch gar nicht profitiert. Sicherlich bemühten sie sich, die besten Zahlungsbedingungen zu erwirken. Wenn sie ihr Amt als Sheriff weiterhin ausüben wollten, durften sie jedoch nicht das ganze Abrechnungssystem zum Einsturz bringen.78 Die Abrechnungspflicht wurde in England ab dem späten 12. Jahrhundert verbreitet und ohne Debatte verfolgt. Sie wurde selbst zur Institution.79 Dabei macht John R. Searle auf eine wichtige Unterscheidung aufmerksam: Auch er spricht von einer Institution, wenn sie das Handeln der Menschen prägt, indem ihre Prägekraft von allen Mitgliedern der Gesellschaft anerkannt wird.80 Dabei sollte Anerkennung aber keinesfalls mit Zustimmung verwechselt werden: Man könne etwas auch anerkennen und hassen.81 Die Feststellung, dass sich die Abrechnungspflicht als Institution etablierte, impliziert nicht, dass jeder Sheriff oder gar jeder Untertan des Königs darüber erfreut war. Die Wirkmächtigkeit einer Institution besteht aber gerade darin, dass sie trotzdem nicht hinterfragt,

75 Diesen Zusammenhang zwischen der Ausbreitung einer Fachsprache und der Stärkung ihrer Legitimität behandelt auch Gloy, S. 104. 76 Barratt, Revenue, insbesondere S. 851 und S. 845. Der Wunsch, die Abgaben zu senken und vorhersehbar zu gestalten, bildete einen wichtigen Impuls für das Drängen auf die Abfassung der Magna Carta, so Bartlett, 2000, S. 164. 77 Siehe Memoranda Roll E368/32, abgedruckt bei Carpenter, Matthew Paris, S. 138 f. und S. 149 f. 78 Auf einem ganz anderen Blatt steht natürlich, ob die Zahler der Abgaben, von denen die Sheriffs das Geld einsammelten, von der Legitimität der Abrechnungsprozeduren ähnlich überzeugt waren oder nicht eher mit Nachdruck davon überzeugt wurden. 79 Laut Tolbert u. Zucker, Institutional Sources, S. 25, kann eine Institution als entstanden gelten, wenn sie verbreitet und unhinterfragt verfolgt wird und damit Permanenz ausübt. 80 Menschen machten etwas zu einer Institution, indem sie ihr handlungsbestimmende Kraft zuerkennen. So erschüfen sie die Institution beispielsweise des Präsidenten der USA, der Verfassung, des Geldes oder des Baseballspiels. Solche Institutionen bewirkten, dass menschliches Handeln sich nicht allein an den eigenen Begierden (desire) ausrichte, sondern auch durch eben diese Institutionen reguliert werde. Searle, das Argument wird auf S. 23, in Kapitel 1 und in Kapitel 5 zusammengefasst. 81 Ebd., S. 8.

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Ergebnis: Der Exchequer als Organisation

sondern als gegeben angesehen wird.82 Zudem muss beachtet werden, dass die Idee einer Abrechnungspflicht sich institutionell festschrieb, ihre konkrete Ausformung jedoch steter Diskussion unterlag. Die Abrechnungspflicht als solche kann damit als Leitidee, als gesamtgesellschaftliche Ordnungsvorstellung, bezeichnet werden, wohingegen die konkrete Form ihrer Ausübung eher als Leitdifferenz angesehen werden kann, das heißt als gesamtgesellschaftliche Konfliktlinie.83 Die Leitdifferenz der Abrechnung bestand in den Fragen, wer wem worüber in welcher Form und Höhe Rechenschaft ablegen musste und zur Verantwortung gezogen werden konnte.84 Die Routine des Rechnungsschreibens legte damit den Grundstein nicht nur für die Organisation des Exchequer, sondern auch für die Institution der Abrechnungspflicht. Beide Prozesse können nicht ohne einander verstanden werden: Zunächst gewann die Abrechnung im Kontext der Pipe Rolls Identität und Legitimität. Auf diesem Vorgang aufruhend konnte der Abrechnungsprozess an sich zu einem nicht hinterfragten Prozedere werden. Die organisatorische Festigung bewirkte, dass die Notwendigkeit, Abhörungen durchzuführen, nicht in Frage gestellt wurde. Die Pflicht zur Abrechnung wurde auf diese Weise zu einer als selbstverständlich angenommenen, mithin kulturell-kognitiv fundierten Institution.85 Zu Beginn und am Ende des hier beobachteten Prozesses stehen also Institutionen, an denen sich gesamtgesellschaftliche Konflikte kristallisieren, deren Austragung sich bis heute beobachten lässt: Eine Fachsprache dient nicht nur der Effizienzsteigerung der Arbeit ihrer Nutzer, sondern gliedert die Gesell82 Das kann zur sogenannten Sedimentation, der stärksten Form der Legitimität führen, siehe oben. Searle äußert sich ähnlich: »They [die Mitglieder einer Gesellschaft] tend to think of them [Institutionen] as part of the natural order of things, to be taken for granted in the same way they take for granted the weather or the force of gravity.« Ebd., S. 107. 83 Diese Definitionen übernehme ich von Patzelt, S. 291. 84 Wie oben bereits erwähnt, spielten diese Fragen z. B. in der Rebellion der Barone gegen König John eine Rolle. 85 Hier ließen sich einige weiterführende Fragen anschließen. Z. B. könnte ergründet werden, inwieweit sich ein Zusammenhang herstellen lässt zur generellen Ausweitung der Idee der Abrechnungspflicht, die sich im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts auch für Verhaltensweisen außerhalb der fiskalischen Sphäre als soziale Norm verbreitete und insbesondere im juristischen und moralischen Bereich zur Richtlinie des Handelns wurde. Siehe dazu Berkhofer, S. 168. Oft wird in diesem Zusammenhang erwähnt, dass auf dem 4. Laterankonzil 1215 die jährliche Beichtpflicht für alle Christen eingeführt wurde, jüngst etwa bei Vismann, S. 145. Zum anderen lässt sich nach der Wirkmächtigkeit einer solchen Rechenschaftspflicht fragen: Regelmäßig eingeforderte Rechenschaft kann als Grundlage für Kalkulationen und deshalb als Voraussetzung für den Kapitalismus der Neuzeit angesehen werden, so bei Carruthers u. Espeland, S. 31 – 69. Ebenso kann man argumentieren, dass die Idee der Rechenschaftspflicht Vorstellungen von einem übergeordneten Interesse förderte, das die eigenen Handlungen anleiten sollte, und so die Entstehung der Denkfigur des Allgemeinwohls erleichterte. So argumentiert Bisson, Crisis, S. 379 f.

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Die Legitimität der Abrechnungspflicht

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schaft auch in Menschen, die diese Sprache verstehen, und Außenseiter, die ihrer nicht mächtig sind. Hinter der Frage nach der Notwendigkeit von Fachsprachlichkeit und Verständlichkeit stehen damit unterschiedliche und schwer vereinbare Vorstellungen davon, an welchen Werten eine Gesellschaft ihre Kommunikationsbeziehungen zu orientieren habe. Deshalb hält diese Diskussion auch heute noch an.86 Die Frage, wer wem worüber in welcher Form Rechenschaft abzulegen habe, bildet ebenfalls ein gesellschaftliches Ordnungsprinzip, das stets neuen Verhandlungen unterworfen ist.87 Da die Fragen nach Fachsprachlichkeit und Abrechnungspflicht gesellschaftliche Ordnungsmodelle thematisieren, können die Institutionen der Fachsprache und der Abrechnung als politische Institutionen bezeichnet werden.88 Ob die gerade herrschenden Könige über solche Fragen nachdachten, ist dabei völlig irrelevant. Für die politische Theorie mag es vielleicht ein interessantes Gedankenspiel darstellen zu überlegen, ob Könige sich mit den Theorien über ihre Herrschaft auseinandersetzten.89 Für die hier analysierte ungeplante Herausbildung von Ordnungsmustern besitzt die Frage keine Relevanz, ob Henry I. oder Henry II. mit den Theorien scholastischer Systematisierung, Modellen der Institutionalisierung oder der theoretischen Idee der Rechenschaftspflicht vertraut waren; besser gesagt: Obwohl sie solche Ansätze gar nicht kennen konnten, konnten trotzdem zur Zeit ihrer Herrschaft die entsprechenden Prozesse ablaufen. Die Stabilität der Regierung gründete nicht auf bestimmten Konzepten von Herrschaft, nicht auf der Diskussion theoretischer Konzepte von Legitimität und Autorität, sondern auf der Institutionalisierung, die durch die Wiederholung schriftlicher Routinen in Gang gesetzt und gehalten wurde: Die Fachsprache legte die Grundlage für die Organisation Exchequer, die wiederum die Abrechnungsprozeduren stabilisierte und sie auf diese Weise institutionell festigte.

86 Die Anforderung, eine Fachsprache solle verständlich sein, wird in Kapitel 3.3. hinterfragt. 87 Laut Mann, S. 433, entzündete sich nahezu jeder Disput zwischen Monarch und Untertanen von der Magna Carta bis ins 19. Jahrhundert an der Erhebung von Steuern, meistens zur Finanzierung einer Armee. Er weist jedoch auch darauf hin, dass die Konflikte zwischen König und Untertanten im Mittelalter nicht die wichtigsten sozialen Streitigkeiten darstellten. Allerdings bezeichnet er die Entstehung des Nationalstaats als ungewollte Folge der Diskussionen um die Steuererhebung: Dadurch habe eine ständige Interaktion zwischen König und Untertanen eingesetzt, die zu einer Homogenisierung und Zentralisierung seines Herrschaftsgebiets geführt hätte, S. 436. 88 Zu dieser Definition von »politisch« siehe Steinmetz, Neue Wege, hier S. 15, Fußnote 20. 89 Diese Frage wird aufgeworfen von Rüdiger.

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5.4. Von der Routine zur Organisation 1: Die Entstehung des Exchequer Die Herausbildung des Exchequer und die Festigung der Rechenschaftspflicht können nun beschrieben und begründet werden. Rechtfertigt dieses Ergebnis den Aufwand einer semantischen Analyse und der Implementation verschiedener theoretischer Modelle? Als Ertrag der Arbeit ist zunächst natürlich der Eigenwert des untersuchten Falles zu nennen. Die vorliegende Arbeit kann die Frage beantworten, wie eine Organisation entstand, die die englische Gesellschaft jahrhundertelang prägte, und vor allem kann sie begründen, wie diese Organisation so stabil werden konnte, dass sie diese Wirkung eben über Jahrhunderte entfalten konnte. Mit den ungeplant veränderten Schreib-Routinen findet sie zwar eine neue Antwort auf diese Frage. In der englischen Forschung zur mittelalterlichen Verwaltung lassen sich aber einige Anknüpfungspunkte finden, an die sich die hier herausgearbeiteten Befunde anfügen lassen. Es würde die These dieser Arbeit, dass Veränderungen sich inkrementell durchsetzen, auch konterkarieren, würde sie selbst als revolutionäre Einsicht inszeniert. Bisher wurden die vereinzelten, eher implizitierten Ansätze zu einer neuen Sicht auf die Entstehung der englischen Verwaltung aber noch nicht zusammengeführt und als explizite These formuliert. Somit bildete sich in der englischen Forschung gleichsam unbewusst eine neue Sicht auf die Entstehung einer Organisation heraus. Wenn man die englische Verwaltungsforschung in der Rückschau durchsieht, lassen sich zahlreiche Vorboten dafür finden, dass Veränderungsprozesse als ungeplant und graduell wahrgenommen werden: Zunächst scheiterten alle Versuche, den Anfang der Geschichte des Schatzamtes festzumachen. In der früheren Forschung wurde bisweilen übersehen, dass Worte ihre Bedeutung ändern können. Entsprechend wurde nach einem bestimmten Lexem wie scaccarium gesucht und geschlussfolgert, die Behörde müsse es ebenso lange gegeben haben wie das Lexem, das diese später bezeichnete.90 Diese Art der Suche führt nahe an den Beginn schriftlicher Verwaltungsdokumentation. Die Entstehung von Verwaltungsprozeduren und -organisationen lag damit stets und etwas unbefriedigend in der Zeit, die nicht 90 So geht z. B. Chrimes, S. 30, davon aus, das Amt des Exchequer sei bereits in den 1110er Jahren etabliert gewesen, da die barones de scaccario in einer königlichen Verfügung genannt werden. Der Zusatz de scaccario meinte aber eher die konkrete Funktion, die königliche Bedienstete als Abrechner ausübten, und keine Behörde, der sie angehörten. Diese Interpretation der barones de scaccario wurde in Kapitel 3.2.2. genauer begründet. Ähnlich verfährt Hollister bei der Suche nach dem Schatzmeister : Er sucht nach der Bezeichnung thesaurarius und schlussfolgert daraus, auch das Amt des Schatzmeisters müsse bestanden haben, sobald dieses Substantiv verwendet wurde. Allerdings betont er, diese thesaurarii hätten stets unterschiedliche Funktionen ausgeübt, S. 275.

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mehr durch Dokumente erschlossen werden kann. Die heute in der Forschung geradezu flächendeckend verwendete Formel, der Exchequer sei von einer Gelegenheit zu einer Organisation geworden, erklärt zwar nicht, wie und warum dieser Prozess vonstattengegangen sei, bringt aber zum Ausdruck, dass die Herausbildung einer Organisation überhaupt als Vorgang wahrgenommen wird, der nicht mit der Erstnennung von scaccarium bereits seinen Abschluss gefunden hatte.91 Dass dieser Entstehungsprozess in einer speziellen Sprache wurzeln kann, diese These stellt die englische Forschung zwar nicht für die königlichen Abrechner, wohl aber für die Juristen ebenfalls bereits bereit: Paul Brand beschreibt, wie das Spezialvokabular der Juristen deren Formation zu einer Profession begründete.92 Die Annahme, der Aufbau der englischen Verwaltungsorganisationen sei nicht durch intellektuelle Einblicke und eine universitäre Ausbildung bedingt worden, deutet sich bei Stephanie Mooers Christelow an.93 Die weiteren Anknüpfungspunkte, die die englische Forschung für die Thesen dieser Arbeit liefert, beziehen sich weniger auf die Organisationsentstehung als auf die Art und Weise, in der Veränderungen in den Verwaltungsprozessen abliefen. So wird etwa betont, die schnelle Umsetzung von Neuerungen sei in der Administration nicht zu finden, stattdessen vollzögen sich Wandlungen in langsamen Prozessen.94 Solche Veränderungen gründeten weniger auf genialen Innovationen denn vielmehr auf situationsbedingten Adaptionen,95 auf erfahrungsbasiertem Ausprobieren,96 in dem verschiedene Lösungen für anstehende Probleme ausgetestet würden. Der Anpassungsfähigkeit der Verwaltung wird 91 Siehe auch Kapitel 1.1. Die Formulierung tritt in dem vielzitierten Aufsatz von Hollister u. Baldwin über das Verwaltungskönigtum von Henry I. und Philipp Augustus von Frankreich ins Leben, die den Exchequer zur Zeit Henrys I. als »occasion« bezeichnen und ihn damit explizit von einem »department« oder einer »institution« abgrenzen, siehe S. 879. In jüngerer Zeit äußern sich ähnlich: Brand, Making, S. 86; Bartlett, S. 159; Barratt, Finance, S. 253; Jones, S. 471. 92 Brand, Language of the English Legal Profession, S. 100. 93 Mooers Christelow, Chancellors, S. 69. 94 So beschreibt etwa Richardson in seiner Einleitung zur Edition der Memoranda Roll und einiger weiterer Rollenfragmente den Prozess der Verwaltungsveränderung häufig mit dem Adverb »gradually«, beispielsweise sei der Exchequer »gradually« eher als Ort denn als Gelegenheit wahrgenommen worden, S. xi. Den Übergang von einzelnen Blättern zu Rollen fasst er in die Worte, dabei habe es sich um einen »natural process of evolution« gehandelt, S. xlix. Richardson, 1943, Introduction. 95 Hollister u. Baldwin, S. 869, charakterisieren so die Regierung unter Henry I. 96 Jewell, S. 11. Z. B. sei mit der Erhebung einer Eigentumssteuer (property tax) etwa hundert Jahre experimentiert worden, bis Erhebung und Einsammlung effizient durchgeführt worden seien, S. 106. Auch Richardson schreibt, die Mutter des angevinischen Finanzsystems sei die Notwendigkeit gewesen: »[…] if the invention owed a great deal to the first two Henrys and their ministers, it owed perhaps more to its mother, necessity.« Richardson, Introduction, S. xi.

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damit eine wichtige Rolle eingeräumt. Auch dass die Anwesenheit des Königs nicht mit den Phasen vermehrter Umorganisationsprozesse korreliert habe, wurde bereits festgestellt.97 Über lange Zeiträume betrachtet, wirkten die Wandlungen der Verwaltung deshalb eher unintentional als geplant: So urteilt zum Beispiel Judith A. Green, die Verschiebung der Gewichtung in den königlichen Einnahmen weg von der Einziehung des Dänengelds und hin zur Erhebung von Abgaben auf bewegliche Güter, zu feudalen Obligationen, Schildgeldern usw. sei kein geplanter Prozess gewesen.98 Clanchy betont, die Herausbildung der Kursivschrift in der Verwaltung sei nicht darauf zurückzuführen, dass sie an den Kathedralschulen gelernt worden sei, die es im England des 12. Jahrhunderts noch gar nicht gegeben habe. Vielmehr sei sie aus der Notwendigkeit schnellen Schreibens entsprungen: Nicht geplante Innovationen, sondern unintendierte, quasi automatisch ablaufende Prozesse lägen ihrer Entstehung zugrunde. Später weitet er das Argument auf die Schriftlichkeit aus, die sich ebenfalls nur langsam, graduell, ohne revolutionäre Schritte ausgebreitet habe.99 Damit besteht in der englischen Verwaltungsforschung eine gewisse Spannung: Einerseits wird die Wirkmächtigkeit von Personen und ihren Handlungen als Faktor der Veränderung betont, andererseits scheint immer wieder auch die Idee unintentionaler Wandlungen auf.100 Solche Ideen stehen nie alle gemeinsam in einen Zusammenhang gebracht in einer Studie. Sie lassen sich jedoch herauspräparieren, schaut man mit den hier gefundenen Ergebnissen auf die jüngere englische Forschung zurück. Die vorliegende Arbeit kann damit die Ent-

97 Clanchy, England, S. 119 beschreibt – allerdings erst für Richard I., den Sohn Henrys II. –, er sei zwar kaum in England und außerdem am Verwaltungsgefüge dieses Landes völlig uninteressiert gewesen, habe aber indirekt zum Aufbau der Regierung als einer »formidable institution« mehr als alle anderen englischen Könige beigetragen: Die Eintreibung der exorbitanten Lösegeldsumme, die Kaiser Heinrich VI. forderte, habe die Verwaltungsstrukturen gefestigt. Diese Summe konnte eingetrieben werden, obwohl sich Richard I. zu dieser Zeit in Gefangenschaft befand. 98 Green, Danegeld, S. 258. 99 Clanchy, Memory, S. 128 – 144 und S. 294. 100 Alle hier zusammengestellten Ideen klingen an bei Kealey, der auf S. 26 f. schreibt: »Administration is not an exciting or romantic art, nor is its progress even necessarily marked by clear turning points. Its cumulative effect is more important than any one of its individual processes, and the temptation to discover perfected systems in mere trial efforts must be resisted. Viewed from the present, successful steps frequently seem to have been inevitable, but the reality is probably very different. Trial, error, and pragmatic development may well have been more significant than plan or purpose.« Zwei Sätze weiter führt er als Grundlage jeder Verwaltungsveränderung jedoch wieder einzelne Persönlichkeiten an, was natürlich innerhalb einer Biographie eines der berühmtesten Verwalter des 12. Jahrhunderts nicht weiter überrascht: »Above all, the attempt to create an effective, impersonal government paradoxically relies on the initial influence of outstanding individuals.«

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stehung des Exchequer neu erklären, ohne mit der bisherigen Forschung brechen zu müssen. Zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Vertiefung und Ausdehnung der hier vorgestellten These bieten sich an. Eine vergleichbare Untersuchung für die Herausbildung anderer Organisationen in anderen Regionen würde wahrscheinlich dadurch erschwert, dass die Arbeitsdokumente dieser Organisationen höchst selten in größerer Zahl erhalten blieben.101 Die Überlieferungslage für die englische Verwaltung böte hingegen Raum für weitere Studien, um etwa den Platz der »writs«, Charter102 oder der Kerbhölzer in der Geschichte der Entstehung von Exchequer und Rechenschaftspflicht zu klären. Eine solche Arbeit müsste die Materialität der Dokumente und deren Funktion und Herkunft genauer hinterfragen, was in dieser Arbeit, um eine hohe Vergleichbarkeit der Dokumente zu gewährleisten,103 durch die Beschränkung auf Rollen vermieden wurde. Die spezifische Eigenlogik, die Funktionsweise und die Kommunikationsbeziehungen einer ausgebildeten Organisation ließen sich für den Exchequer der folgenden Jahrhunderte untersuchen.104 Da die Anzahl überlieferter Dokumente ab dem 13. Jahrhundert stark zunimmt, könnten neben der Herausbildung von Organisationen wie der Common Bench oder dem King’s Remembrancer105 aus bereits bestehenden Verwaltungsabläufen auch ganz allgemein Verlauf und Folgen der steigenden Diversifizierung des Verwaltungsschriftguts analysiert werden.106 Insbesondere für die Entstehung des Justizsystems liegen viele Studien vor, die aber genau wie die Untersuchungen zur Finanzverwaltung ihre jeweiligen Transformationsmodelle nur implizit zum Ausdruck bringen.107 Das Ende einer Organisation zu untersuchen, böte eben101 Nur aus Katalonien sind zumindest für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum (1179 – 1213) regelmäßige königliche Abrechnungen erhalten: Bisson, Fiscal Accounts. 102 Davon blieben aus der Zeit Henrys I., Stephens und Henrys II. etwa 750 Originale erhalten, so Bishop, S. 3. 103 Siehe Kapitel 4.3.1. 104 Hier ließe sich etwa diskutieren, inwieweit Stabilität und Legitimität der Organisation und der darin beschäftigten Personen in Wechselwirkung zueinander standen. Stellt es z. B. einen Ausweis für eine hohe Stabilität der Organisationsstrukturen dar, dass im 18. Jahrhundert Menschen wie Lord Lyttleton zum Chancellor of the Exchequer werden konnten, der laut Vincent eventuell der erste, aber sicher nicht der letzte Chancellor gewesen sei, von dem gesagt wurde, er könne nicht bis zehn zählen? Vincent, Introduction, S. 4. 105 Anknüpfungspunkte böten Turner, Origins respektive Crook, Remembrancer. 106 Analysen des Verwaltungsschriftguts, die allerdings nicht auf die Beschreibung der Entstehung und Funktionslogik von Organisationen abzielen und insofern erweitert werden könnten, bieten Clanchy, Memory ; Cassidy, Recorda und ders., Adventus Vicecomitum. Wenig erforscht ist auch die Herausbildung und Funktionsweise des Zollsystems, das im 14./15. Jahrhundert zur Haupteinnahmequelle des englischen Königs wurde, siehe Jenks, Effizienz, hier S. 337. 107 Vor allem die Studien von Paul Brand bieten gute Ausgangspunkte, um die Geschichte der Schaffung des englischen Rechtssystems durch Henry II. zu hinterfragen, etwa Brand,

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falls einen guten Ansatzpunkt für die weitere Analyse und Begründung von Transformationsmodellen: In diesen Fällen lassen sich ebenfalls Prozesse historischen Wandels beobachten, deren Charakteristika ergründet und deren bisherige Erklärungsansätze hinterfragt werden könnten. Für den Exchequer würde eine solche Geschichte wahrscheinlich zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert spielen.108 Mindestens in Quantität und Qualität der überlieferten mittelalterlichen Verwaltungsdokumente stellt England damit einen Sonderfall der europäischen Geschichte dar. Ob auch seine Verwaltungsorganisation im Mittelalter seinesgleichen gesucht hat,109 lässt sich kaum feststellen, da sich die Überlieferungslage für Verwaltungsdokumente auf dem Kontinent so viel schlechter darstellt.110 Deshalb lässt sich nicht entscheiden, ob sich die Herausbildung einer Finanzorganisation in England fundamental von Prozessen in anderen europäischen Regionen unterschied. Falls diese Differenz bestanden haben sollte, bliebe zweifelhaft, ob sich ein spezieller Grund dafür anführen ließe. Vergleichende Studien betonen eher, dass in Frankreich111 oder Flandern112 ganz ähnliche Ausgangsbedingungen für die Entstehung einer zentralen Finanzverwaltung vorlagen. Die umfassende und im Rückblick als dauerhaft erkennbare Eroberung durch die Normannen sticht natürlich auf den ersten Blick als besonderes Merkmal der englischen Geschichte ins Auge. Sie wirkte sich aber nur auf die Größe der königlichen Domäne aus,113 die Charakteristika dieser Domäne als Grundlage für ein Abrechnungssystem unterschieden sich nicht von den Be-

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Making; ders. Origins, und ders. Henry II. Er betont, dass die Herausbildung der Bench aus dem Exchequer ungeplant erfolgte: Wenn die erfahrenen Verwalter schon zusammensaßen, habe es nahegelegen, dass sie sich auch mit Rechtsfragen befassten, ebd., S. 235. Die Wichtigkeit einer Fachsprache für die Konstitution eines Rechtssystems beschreibt er in Brand, Languages of the Law, insbesondere S. 66. Im Jahre 1694 wurde die Bank of England gegründet, die zahlreiche Funktionen des Exchequer übernahm. 1782 beschloss das Parlament, die Kerbhölzer abzuschaffen, wenn der letzte Exchequer Chamberlain gestorben sei, was im Jahre 1826 geschah, so Robert, S. 84 f. Die letzte Pipe Roll wurde weitere sechs Jahre später geschrieben. Clanchy spricht von einem »system of its own«. Clanchy, England, S. 134 – 137. Die Überlieferungslage englischer Dokumente nimmt also auf jeden Fall einen Sonderstatus ein, der in Europa seinesgleichen sucht. Der Erhalt der Dokumente hängt aber nicht zwangsläufig mit der Verwaltungsstruktur zusammen. Deshalb eröffnet die Frage, warum gerade englische Aufzeichnungen bis heute überlebten, ein neues Thema. Zudem ging auch in England manches Verwaltungsschriftgut verloren: Die Kerbhölzer, die als Abrechnungsquittungen dienten, wurden mit der Auflösung des Exchequer verbrannt, Robert, S. 84 f. Von den Pipe Rolls aus der Zeit vor Henry II. müssen mindestens bis zum 14. Jahrhundert mehr erhalten geblieben sein als die Pipe Roll aus dem 31. Regierungsjahr Henrys I. Sonst hätte kein Exzerpt einer früheren Rolle in ein kirchliches Schriftstück übertragen werden können, wie es Hagger, Pipe Roll, beschreibt. Siehe Hollister u. Baldwin, S. 868 oder Bisson, Crisis, S. 155. Lyon u. Verhulst. Das wird beschrieben bei Wolffe, S. 26, oder Wolf, S. 347.

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dingungen im Einflussgebiet der französischen Könige oder der flämischen Grafen. Abhörungsprozeduren entstanden also nicht nur in Gebieten, die kürzlich erobert worden waren. Zudem konnte eine besondere Machtstellung des Herrschers, wie das spätantike Beispiel zeigt, das Funktionieren einer Verwaltung auch gerade behindern.114 Die Suche nach einem speziellen Charakteristikum Englands birgt ohnedies die Gefahr, monokausalen Erklärungen aufzusitzen, die einen Veränderungsprozess auf einen bestimmten Ursprung zurückführen115 und damit zugleich Gefahr laufen, teleologische Entwicklungslinien zu entwerfen.116 Deshalb wurde in dieser Arbeit gar nicht versucht zu begründen, warum gerade in England aus fachsprachlichen Routinen eine Organisation entstehen konnte.117 Die Vorstellung eines bestimmten Ursprungs einer Sache birgt zudem die Idee eines strahlenden Anfangs, eines Schöpfungsaktes, auf den ein Veränderungsprozess zurückgeführt werden könnte, wie Michel Foucault ausführt.118 Die Suche nach einem Ursprung passt deshalb nicht zu den in dieser Arbeit beschriebenen evolutionären und unintentionalen Änderungsverläufen. Für die Entstehung der Rechnungsroutinen lassen sich wahrscheinlich, wie Foucault es für die Suche nach der Herkunft anstelle des Ursprungs beschreibt, unzählige Anfänge finden, die kaum noch erkennbare Zeichen hinterlassen haben und die sich aus vielfältigen, einzigartigen, sich kreuzenden Merkmalen zusammensetzen. Die Wurzel von Veränderungsprozessen liegt, so Foucault, im Zufall, nicht in der Wahrheit.119 Ebenso betont Luhmann, dass evolutionäre Prozesse keine Anfänge kennen: Sie würden nur bisweilen retrospektiv festgelegt, da der Betrachter das Bedürfnis habe, Ordnung zu schaffen.120 Deshalb beginnt der Beobachtungszeitraum der vorliegenden Arbeit an einem bestimmten Zeitpunkt, an dem die 114 MacMullen legt dar, dass die extreme Sonderstellung des spätantiken römischen Kaisers die Verwaltungsabläufe im Römischen Reich stark erschwerte. Genauso macht Reuter, S. 351, es als einen der Faktoren für die Entstehung nicht nur einer funktionierenden Verwaltung, sondern sogar von »Staatlichkeit« in England aus, dass der König selten anwesend war. 115 Mann, S. 500 f., warnt vor Faktorerklärungen (»factor explanations«) für das »european miracle« zu Beginn der Neuzeit. Für das englische »Wunder« passt die Warnung ebenfalls. 116 Fisch, S. 315, weist darauf hin, dass ähnliche Ausprägungen des Charakters einer Verwaltung auf ganz unterschiedliche Bedingungen zurückgeführt werden könnten. Deshalb stellt er in Frage, inwieweit es sinnvoll sei, eine bestimmte Ursache anzunehmen, die zwangsläufig ein bestimmtes Phänomen hervorbrächte und deshalb als Erklärung für dieses Phänomen angesehen werden könnte. Man kann die Geschichte eines Verwaltungsspezifikums also erzählen, sollte aber keine Scheinkausalitäten konstruieren. 117 Bisson, Crisis, S. 579, fasst seine Erörterungen zur Geschichte von Institutionen wie dem Rechtssystem, dem Ämterwesen oder der Rechenschaftspflicht prägnant zusammen: »But the beginnings of great things in history are seldom other than problematic.« 118 Foucault, Nietzsche, S. 148 f. 119 Ebd., S. 151 f. 120 Luhmann, Gesellschaft, S. 593.

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schriftliche Fachsprache der Rechnungen bereits bestand, und beschreibt, wie daraus eine Organisation entstand. Für den Prozess, der sich über die hier untersuchten fünfzig Jahre erstreckte, wird ein kausaler Ablauf rekonstruiert, weshalb er auch zu einem Verlaufsmodell abstrahiert werden kann. Warum es jedoch die Fachsprache als Grundlage für diesen Prozess überhaupt gab, diese Frage soll nicht auf wenige Antworten reduziert und damit simplifiziert werden.121 In Kapitel 4.4. wurde angedeutet, dass die Pipe Rolls und damit die Fachsprache ihren Anfang vielleicht in einfachen Notizen nahmen, die die Abrechner anfertigten. Wie genau die Eigendynamik zu erklären ist, die aus diesen Notizen seitenlange Rechnungen in einer spezifischen Sprache entstehen ließ, bleibt damit aber immer noch unbeantwortet.122 Kausalitäten sind auch nicht mit Determinanten zu verwechseln. Deshalb wird keinesfalls behauptet, dass aus der regelmäßigen Anwendung einer Fachsprache notwendigerweise eine Organisation hervorgehen muss. Die einmal herausgebildete Organisation musste auch keineswegs zwingenderweise immer weiter bestehen bleiben.123

5.5. Von der Routine zur Organisation 2: Indizien für ein Transformationsmodell Diskussionswürdige Ergebnisse liefert die Geschichtswissenschaft vor allem da, wo sie über das einfache »Wissen, wie es gewesen ist« hinausgeht, wenn sie also Mechanismen, Charakteristika oder Funktionsprinzipien erkennbar macht, die 121 In der Rechtsgeschichte nimmt diese Suche nach dem Ursprung die Vorstellung von »Urrechtstexten« an, die den Kodifikationen der Spätantike vorausgingen, wie Vismann beklagt, S. 75. Auch Fögen, Rechtsgeschichten, S. 15, wendet sich gegen diese Suche nach einem Ursprung, von dem aus eine lineare und kontinuierliche Entwicklungslinie gezeichnet werde, und fasst ihren alternativen, ebenfalls von evolutionären Modellen geprägten Ansatz unter der Überschrift »Wunder statt Wurzeln« zusammen. 122 Arlinghaus, Notiz, stellt eine These zur Entstehung von Fachsprache in Abrechnungsdokumenten auf: Chronologische Notizen seien abgeschrieben und dabei neu nach inhaltlich zusammengehörigen Einträgen angeordnet worden. Die Bücher reflektierten damit nicht mehr den Ablauf der Handelstransaktionen des Kaufmanns. Stattdessen bezogen sich die Einträge auf jeweils andere Einträge: Die Selbstreferentialität stieg. Im Zuge dessen wurden die Abrechnungen immer mehr zu einen Welt, die sich immer stärker auf sich selbst bezog. Um sich in dieser Welt zurechtzufinden, entstanden Fachausdrücke. Dieser Prozess lässt sich für die Pipe Rolls nicht mehr nachvollziehen, die unter 4.4. angeführten Indizien sprechen aber dafür, dass sich die Fachsprache der Pipe Rolls ähnlich herausgebildet haben könnte. 123 Laut Cassidy, Adventus, S. 621, standen die Abrechnungsprozeduren in den 1260er Jahren kurz vor dem Kollaps. Obwohl sich gegen Ende des 12. Jahrhunderts eine Organisation herausgebildet hatte, für die das weitere Bestehenbleiben ein Ziel darstellte, hätte dieses Ziel durchaus auch verfehlt werden können.

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Von der Routine zur Organisation 2: Indizien für ein Transformationsmodell

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versprechen, über den Einzelfall hinaus Gültigkeit beanspruchen zu können.124 Das ist der Fall, wenn die Analyse des Einzelfalls hilft, auch bei der Betrachtung anderer Phänomene und Abläufe zu anderen Zeiten oder an anderen Orten neue Facetten zu erkennen, anders gesagt: Eine geschichtswissenschaftliche Studie wird interessant, wenn sich ihre Beobachtungen zu einem Modell abstrahieren lassen, das die Bedingung erfüllt, die in der Einleitung für jedes Modell aufgestellt wurden: Es muss in der Lage sein, neue Antworten zu liefern.125 In dieser Arbeit wurde eine neue Antwort auf die Frage formuliert, wie historischer Wandel verläuft, wie es zu historischen Transformationen kommen kann: Abstrakt zusammengefasst argumentiert sie, dass eine Organisation (Exchequer) aus der Praxis (den Schreib-Routinen) entstehen kann. Gerade weil der gesamte Prozess evolutionär ablief, keiner Planung oder Intention folgte, erwies sich sein Ergebnis als sehr stabil und haltbar. Mit diesem Modell im Hinterkopf lassen sich auch andere Studien für die Frage nach historischer Transformation nutzbar machen. Paul Brand hat für das englische Common Law einen ganz ähnlichen Veränderungsprozess herausgearbeitet:126 Vor der Zeit Henrys II. unterschieden sich rechtliche Normen kaum von moralischen oder gewohnheitsmäßigen Handlungsrichtschnüren. Die Arbeit der Gerichte verstetigte sich unter Henry II., so dass durch die Routinen der Rechtsprechung ein Rechtssystem geschaffen wurde, innerhalb dessen sich mit der Zeit gewisse Scharnierstellen herauskristallisierten, die in jedem Prozess Raum für Problematisierungen ließen. Zum Beispiel musste ein Klagegrund korrekt formuliert werden, und es gab verschiedene vereinheitlichte Möglichkeiten, ein Verfahren herauszuzögern oder seinen Einspruch einzulegen. An diesen Scharnierstellen wurde deutlich, welche Fragen nicht nur einen, sondern alle oder eine Mehrzahl der Gerichtsprozesse prägten, welche Probleme also nicht nur innerhalb eines bestimmten Verfahrens gelöst werden konnten, sondern abstrakterer Reflexion bedurften. Das lässt sich daran erkennen, dass für genau diese Aufgaben professionelle Juristen angestellt wurden. Auch die Narrative von Emily Steiner127 und Michael T. Clanchy128 lassen sich mithilfe des Transformationsmodells als Beschreibungen von Prozessen lesen, in denen sich aus administrativen Routinen eine Literatur respektive die Literalität überhaupt 124 Insbesondere von Seiten der Wirtschaftsgeschichte wird diese Anforderung an die Geschichtswissenschaft schon lange gestellt, siehe etwa Sombart, hier insbesondere S. 17 f. Gerschenkron, S. 17, behauptet, ohne Abstraktion und Generalisierung sei Erkenntnis gar nicht möglich. 125 Oder es muss die Möglichkeit eröffnen, neue Fragen zu stellen, siehe Kapitel 1.3. 126 Brand, Origins, S. 5 und S. 32 – 42. Im Grunde besteht die gesamte englische »Verfassung« nicht aus kodifizierten Rechtssätzen, sondern aus perpetuierten Institutionen. 127 Laut Steiner fungierte das administrative Schriftgut im spätmittelalterlichen England als Rollenmodell für die Literatur und den Umgang mit Textualität, siehe etwa S. 3 – 13. 128 Clanchy, Memory, S. 19, sieht die Bürokratie als Wegbereiter für die Literalität.

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herausbildeten. Geht der Blick über England hinaus, zeigen sich auch in der französischen und flandrischen Verwaltungsgeschichte Prozesse, in denen Routinen die Grundlage für Organisationen legten.129 Bei der Untersuchung der Abrechnungen in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen kommt FranzJosef Arlinghaus ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Buchführungssystem der Datini/di Berto-Handelsgesellschaft im 14. Jahrhundert keinesfalls systematisch angelegt wurde, sondern sich ungeplant im Zuge verschiedener Umsortierungen und Abschriften der Einträge herausbildete. Genau wie die vorliegende Studie konstatiert er, dass in der Forschung komplexe kulturelle Veränderungen zu häufig auf ein bewusstes Einwirken der Akteure zurückgeführt würde, obwohl sich eher beobachten ließe, dass Neuerungen als ungeplante Nebenprodukte von Handlungen entstünden.130 Eine neue Perspektive wird auch durch die Erkenntnis ermöglicht, dass gerade ungeplante Prozesse eine besondere Stabilität erreichen können. Dadurch lässt sich zum Beispiel der Schwachpunkt in Cornelia Vismanns Argumentation aufdecken. Die sizilianische Kanzleiordnung Friedrichs II., die alle Vorgänge in der Kanzlei regelte und vorschrieb, stellt sie als große Errungenschaft dar, aufgrund derer Sizilien ein »moderner«, »fortschrittlichster« »Proto-Staat« geworden sei.131 So sei der »Staat als Kontinuum« entstanden.132 Das jämmerliche Gegenbild ihrer Darstellung muss die päpstliche Kanzlei liefern, die ohne festes Regelsystem Akten und Dokumente produzierte, die sich in kein festes Schema pressen lassen.133 Vismann erklärt allerdings nicht, warum die entzeitlichte sizilianische Vorzeigekanzlei sogleich nach dem Tod Friedrichs II. »im Verfall begriffen« war und reorganisiert werden musste.134 Die satzungsmäßig organisierte, nach festen Regeln aufgebaute Verwaltung Friedrichs II. überlebte ihren Schöpfer nicht.135 Für die vergleichsweise unsystematischen und wenig geord129 Für französische Klöster um 1200 siehe Berkhofer, 2004, Day of Reckoning, etwa S. 159, für die flandrische Finanzverwaltung im 13. und 14. Jahrhundert Kittell, 1991, Ad hoc to Routine, z. B. S. 1 und S. 202. 130 Arlinghaus, Notiz, S. 447 – 460. 131 Vismann, S. 137. 132 Ebd., S. 144. 133 Ebd., z. B. S. 144. Auf S. 146 f. kritisiert sie die päpstliche Verwaltung dafür, dass deren Akten »in den Hinterzimmern des Vatikan« lagerten, wohingegen Friedrich II. seine Akten zur Herrschaftsrepräsentation mit sich durchs Land ziehen ließ. Sie schließt diese Betrachtung mit dem suggestiven Satz: »Dabei schlägt die Parade mit den Waffen der friderizianischen Verwaltung die klandestine Politik der päpstlichen Kanzlei um Längen.« (S. 147) Sie liefert aber keine Erklärung, auf welchem Feld denn die päpstliche Politik geschlagen wurde und woran sie diese Niederlage festmacht. 134 So schreibt sie ebd. auf S. 152 selbst. 135 Auch Bisson, Crisis, S. 343 f., hält die Bewunderung der Historiker für die sizilianische Verwaltung für grundlos, da dort lediglich Inventare erstellt worden seien und keine routinemäßigen Abrechnungen stattgefunden hätten.

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neten Verwaltungen des Papstes sind solche Einbrüche genauso wie für England hingegen nicht überliefert. Das hier vorgestellte Transformationsmodell bietet eine Erklärungsmöglichkeit an, warum die systematisch aufgebaute Verwaltung schnell wieder zusammenbrach. Interessanterweise unterschied sich die Sprache der sizilianischen Verwaltung frappant von der hier untersuchten englischen Rechnungssprache: Sie zeichnete sich hauptsächlich durch rhetorische Finesse aus, unter anderem wurde die Verwendung von Synonymen eingefordert.136 Damit erfüllte sie die Kriterien von Präzision und Exaktheit nicht, die in Kapitel 3.1.2. als hervorstechende Charakteristika der Fachsprache der Pipe Rolls herausgestellt wurden. Statt als Fachsprache könnte die sizilianische Verwaltungssprache wohl eher als Gruppensprache bezeichnet werden. Die kurze Überlebensdauer der sizilianischen Kanzlei könnte deshalb darin begründet liegen, dass ihre Schreiber keine Fachsprache verwendeten.137 Auch Vorgänge in anderen Epochen als dem Mittelalter lassen sich mithilfe des Transformationsmodells als Prozesse erkennen, in denen aus Routinen Organisationen entstanden. Aus dieser Perspektive zeigt beispielsweise Miles Ogborn, wie das Handelsimperium der English East India Company und seine darauf gründende politische Herrschaft in Bengalen auf Routinen der Einschreibung und Wieder-Einschreibung beruhte, die Macht und Wissen institutionell verfestigen konnten.138 Anstelle einer konkreten Person könne die Routine als Autor der Schriftstücke bezeichnet werden.139 Die Schreibtechniken der Korrespondenten, Handelspartner und Abrechner hätten dabei nicht nur 136 Vismann, S. 150. 137 Ein ganz ähnliches Problem beschreibt MacMullen für die Verwaltung des Römischen Imperiums seit Kaiser Hadrian. In der kaiserlichen Verwaltung hätten immer mehr Rhetoriker anstelle von Juristen gearbeitet. In der Folge habe sich die Verwaltungssprache merkbar verändert. Insbesondere hätten sich die literarisch ambitionierten Rhetoren bemüht, eine Vielzahl von Synonymen zu verwenden, um Wiederholungen um jeden Preis zu vermeiden. Termini technici hätten sich auf diese Weise nicht etablieren können. Die Sprache wies damit keine Begrifflichkeit (siehe dazu Kapitel 3.1.2.1.) auf. Die römischen Schreiber hätten mit Vorliebe Archaismen, Superlative, Analogien, Umschreibungen und andere stilistische Ziermittel genutzt. Auch die Kriterien der Exaktheit und Präzision erfüllte diese Sprache deshalb nicht. Anstelle von fachsprachlicher Kürze findet MacMullen in der spätrömischen Verwaltungssprache barocke Auswüchse. Deshalb macht er die Uneindeutigkeit als das Hauptcharakteristikum des Stils aus. Ganz im Gegensatz zur englischen Verwaltungssprache sollten Bedeutungen möglichst versteckt werden. Der Sprache der spätrömischen Administration mangelte es aber nicht an Funktionalität, sie diente nur ganz anderen Zwecken als die englische Verwaltung des 12. Jahrhunderts: Sie brauchte nicht das Fortbestehen der Verwaltungsprozeduren durch einen Selbstreproduktionsmechanismus in Gang zu halten und diente auch nicht der möglichst systematischen Abrechnung mit den kaiserlichen Administratoren. Stattdessen sollte sie die repressive Wirkung der Verwaltung verschleiern, indem möglichst wenige Menschen verstanden, was sie tat. Sie kann also ebenfalls eher als Gruppen- denn als Fachsprache qualifiziert werden. 138 Ogborn. Dieses Argument wird vorgestellt auf S. xxiii. 139 Ebd., S. 7.

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einen Kommentar zur Rekonfiguration der Handels- und Machtverhältnisse, sondern einen integralen Bestandteil dieser Vorgänge gebildet,140 ganz wie die Pipe Rolls kein Protokoll, sondern einen Baustein der Abrechnungsprozesse darstellten. Schließlich wird denjenigen, der die vorliegende Studie gelesen hat, nicht besonders überraschen, was Ilana Feldman über die ägyptische und britische Verwaltung des Gaza-Streifens im 20. Jahrhundert herausgefunden hat. Feldman arbeitet heraus, wie die Stabilität der Regierungsarbeit in Gaza durch Wiederholungen hergestellt wurde: Sowohl die Produktion von Akten als auch die Gewohnheiten der Beamten bildeten Routineformen heraus, die für Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit sorgten. Durch diese Beständigkeit produzierte die Bürokratie ihre eigene Autorität: Ihre Daseinsberechtigung gründete darauf, dass es sie eben zuverlässig und beständig gab. Die Verwaltung des GazaStreifens autorisierte sich dadurch in einem zirkulären Prozess durch ihr eigenes Bestehen.141 Routinen schufen Legitimität und Stabilität. Zudem gründete die relative Stabilität der Verwaltung gerade darauf, dass sie sich ungeplant verändern konnte, weil sie keine vorgegebenen Ziele verfolgte: Sie hatte sich nicht die Gründung eines Palästinenserstaates zum Ziel gesetzt, sondern bemühte sich hauptsächlich darum, überhaupt bestehen zu bleiben. Ihre Überlebensstrategie bestand laut Feldman im taktischen Regieren (»tactical government«):142 Die Verwaltungsarbeit unternahm keine Langzeitplanung, sondern reagierte lediglich auf die jeweils dringendsten Krisen. Sie handelte damit taktisch und nicht strategisch. Auf diese Weise konnte sie unter extrem schwierigen Bedingungen überleben, ihre nächsten Handlungen blieben jedoch stets unvorhersehbar.143 Das Ergebnis der Untersuchung der englischen Verwaltungsprozeduren öffnet insofern die Möglichkeit, einen Transformationsmechanismus auch in anderen Untersuchungen auszumachen, den man sonst vielleicht nicht erkannt hätte. Das Transformationsmodell erweitert die Perspektive der historischen Forschung insbesondere des Mittelalters, die meist implizit mit dem gegenläufigen Modell arbeitet: Wie in der Einleitung und in Kapitel 4.2. dargelegt, besteht in der Verwaltungsforschung eine Strömung, die planerisches Handeln eines Königs oder obersten Bediensteten als Quelle für Veränderungen im Verwaltungshandeln ausmacht. In dieser Vorstellung wurde also zunächst eine Organisation intentional gegründet, die dann bestimmte Routinen ausprägte. Insbesondere in der deutschen Forschung wird nicht nur dem König, sondern auch den Gelehrten eine entscheidende Rolle beim Anstoß von Transformationen in 140 141 142 143

Ebd., S. 26. Feldman, vor allem S. 15. Ebd., S. 3. Ebd., S. 14.

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der Verwaltung zuerkannt. Wissenschaftlich gebildete Experten beziehungsweise Fachsprachenbenutzer144 bildeten in dieser Sichtweise die notwendige Voraussetzung für Professionalisierung oder »Staatsbildung«.145 Daran orientieren sich auch Studien zur pragmatischen Schriftlichkeit, für die neue Formen der Verschriftlichung nur auf Grundlage und unter der Voraussetzung eines zuvor entstandenen, neuen Weltbilds herausgebildet werden konnten.146 Die Gelehrtenforschung insbesondere der 1980er Jahre fokussierte dabei auf den Beitrag, den wissenschaftlich gebildete Experten zur sogenannten Rationalisierung und Modernisierung der politischen Organisationsformen geleistet hatten, interessierten sich, anders gesagt, für die Rolle der Gelehrten bei der Hervorbringung des »modernen« Staates.147 Mit der Dekonstruktion der Vorstellungen von Rationalität und Moderne als kontextspezifisch148 beziehungsweise teleologisch gegenwartsfixiert149 rückte auch die Organisationsform des Staates, der als Kulmination beider Eigenschaften dargestellt worden war, etwas aus dem Blickfeld der Gelehrtenforscher. Sie beschäftigten sich nunmehr bevorzugt mit der Entstehung der Wissensgesellschaft, die ebenfalls aus dem Geist 144 Die Überschneidung von Universitäten und Fachsprachen kommt zustande, weil bisweilen nicht eindeutig zwischen genereller Fachsprachlichkeit und einer spezifischen Unterart, der Wissenschaftssprache, getrennt wird. Die Kriterien, die für Fachsprachen aufgestellt werden, wurden z. B. bei Hoffmann häufig anhand der Wissenschaftssprache erarbeitet, Hoffmann, S. 75 – 242. Bei der Erforschung der Fachsprachen des Mittelalters liegt ein Schwerpunkt auf der Sprache der Artesfakultäten, siehe Haage u. Wegner, reflektiert bei Roelcke, S. 163. 145 Deshalb wird Verwaltung häufig in Abhängigkeit zum sogenannten modernen Staat definiert, obgleich es Verwaltungen natürlich auch vor der Frühen Neuzeit gegeben hat. Die deutsche Verwaltungswissenschaft behandelt Verwaltung im Sinne der Gewaltenteilungslehre als Teil der Exekutive. Die Exekutive spaltet sich nach dieser Definition in Administrative, sprich Verwaltung, und Gubernative, sprich Regierung, siehe Jeserich u. a., hier S. 10. Verwaltung und Staat werden als untrennbar verwoben betrachtet, indem Verwaltung als »Tätigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Zwecke« definiert wird, siehe z. B. Forsthoff, S. 3. Das Kompendium »Deutsche Verwaltungsgeschichte« setzt dementsprechend im Spätmittelalter ein und begründet dies damit, dass sich zu dieser Zeit erstmals staatliche Strukturen herausgebildet hätten. Verwaltung definiert sie mit Johannes Althusius als das »Band, das den Staat […] zusammenhält«. Jeserich u. a., S. 3 f. Ellwein urteilt deshalb: »In Deutschland scheint die herrschende Meinung darauf festgelegt, dass man die öffentliche Verwaltung auf den Staat beziehen […] müsse«, S. 23 f. 146 Keller, Einführung, S. 18 f. Neue Gliederungsformen von Schriftstücken seien etwa aus dem Willen entstanden, sie neu zu ordnen und dadurch für den Intellekt fassbar zu machen, so Keller, Entwicklung, S. 184. 147 Diese Strömung beschreibt Rexroth, Kulturgeschichte, S. 11. 148 Siehe dazu oben, Kapitel 5.1. 149 Mit der Wortgeschichte von »modern« beschäftigt sich Skalweit (S. 125 – 133) im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Herkunft der Bezeichnung »moderner Staat« (S. 123 – 154). Erst um das Jahr 1800 habe das Adjektiv »modern« zum »Staat« gefunden, S. 136. Auf die Problematik der Forschungen zum »modernen Staat« wird in Kapitel 6 genauer eingegangen.

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der Gelehrten entsprungen zu sein schien.150 Auch wenn in der Tradition der Verfassungsgeschichte anstelle des Staates heute Ordnungskonfigurationen untersucht werden, wird als erster Schritt zu einer solch neuen Konfiguration ein neues intellektuelles Selbstverständnis angesehen.151 Zuerst sei neues Wissen, anschließend seien neue Institutionen entstanden.152 Die Untersuchung der Entstehung des Exchequer zeigt, dass die Veränderung einer Verwaltung nicht von gelehrten Ideen oder königlicher Initiative ausgehen muss. Damit ermöglicht sie eine neue Antwort auf die Frage, wie es zu historischer Transformation kommen kann: Sie muss nicht von Gelehrten geplant werden, sondern kann aus dem Routinehandeln von Praktikern resultieren. Die Skizzierung eines Modells für die Entstehung einer Organisation soll jedoch nicht suggerieren, dass ein solcher Veränderungsprozess immer auf diese Art und Weise ablief. Natürlich existieren und existierten auch andere Möglichkeiten für die Herausbildung von Organisationen, für die Umgestaltung von Verwaltung oder für historischen Wandel überhaupt. Im hier untersuchten Fall ging die Veränderung aber von fachsprachlichen Routinen aus. Genauso wie die Vorstellung von der Wichtigkeit intentionalen herrscherlichen Handelns in der königzentrierten Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts verortet werden kann,153 lässt sich auch das Modell eines un-

150 Beide Meistererzählungen, die vom Staat als Kulmination von Rationalisierung und Modernisierung sowie die von der Wissensgesellschaft, schildert Rexroth, Expertenweisheit, S. 43 f. Letztere Sichtweise findet sich etwa in Fried, Aktualität, siehe z. B. S. 37. Als Beispiel für die erste Meistererzählung nennt Rexroth den ersten Band der Deutschen Verwaltungsgeschichte, Jeserich u. a. 151 Schneidmüller u. Weinfurter, S. 11: »Legitimierung und Stabilisierung von Herrschaftsordnungen […] waren das Produkt des neuen intellektuellen Selbstverständnisses.« 152 Rexroth, Systemvertrauen, S. 20. 153 Für England beschreiben das z. B. Crouch, S. 3 f., oder Vincent, Introduction, S. 3 – 11. Eine mögliche Begründung für die Bestandskraft dieser Idee in der Verwaltungsforschung liegt eventuell darin, dass sie mehr oder weniger unbewusst in Kauf genommen wird, wenn man auf die beliebte Herrschaftssoziologie Max Webers zurückgreift. Alle drei Typen legitimer Herrschaft, die Weber aufzählt, beruhen auf Personen: Die charismatische Herrschaft gründet auf der Führerfigur, die traditionale auf dem durch Tradition berufenen Herrscher und die rationale auf einer gesatzten Ordnung, die von einer Person erlassen und von einem Vorgesetzten befohlen wird. Die rationale Herrschaft stützt sich zwar, einmal erschaffen, auf eine Bürokratie und ist insofern nicht mehr von konkreten Personen abhängig. Begründet wird sie jedoch ebenfalls von einer Person, die die zu befolgende Ordnung festsetzt und durchsetzt. Am stärksten auf eine Person zugeschnitten ist die charismatische Herrschaft, und nur dieser charismatische Führer kann laut Weber etwas Neues schaffen: Während der Bürokrat genau wie der Patriarch als »natürlicher Leiter des Alltags« fungiere, bilde das Charisma die »schöpferische revolutionäre Macht der Geschichte.« Weber, S. 124 f., S. 654 und S. 658. Mit dem allgemein beherrschenden Einfluss Webers in den Sozialwissenschaften setzt sich Hennis auseinander : Ihr »Ahn und Hausgott« fungiere als »größte, Ehrfurcht erregende, Schweigen gebietende« Autorität, Hennis, S. 3 f. Auch die

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intendierten Wandels in den breiteren Kontext einer Zeitströmung des 21. Jahrhunderts einbetten. Die verstärkte Aufmerksamkeit für ungerichtete Prozesse, die langsam auch die Geschichtswissenschaft erreicht, mag damit zusammenhängen, dass sich Gesellschaften heute als demokratisch und globalisiert wahrnehmen, so dass die Verantwortlichkeit für gesellschaftliche Veränderungen keiner konkreten Instanz zugewiesen werden kann. Ungesteuerte und nicht planbare Veränderungen werden deshalb verstärkt thematisiert. So wie das Zeitalter politischer Revolutionen mit dem Aufkommen des dynamischen Konzepts biologischer Entwicklung zusammenfiel,154 macht die aktuelle gesellschaftliche Situation die historische Forschung eventuell aufnahmewilliger für Konzepte unintendierten Wandels. Auch die Vorstellung der unbegrenzten Anpassungsfähigkeit an neue Kontexte fügt sich gut in das Selbstbild einer Gesellschaft, die soziale Mobilität zum Erfolgskriterium erkoren hat. Aus dem ungeplanten Wandel resultieren komplexe Systeme, an deren Funktionsmechanismen, Veränderungsformen und Beziehungsverhältnissen sich nicht nur die Geschichtswissenschaft, sondern auch die Sozialwissenschaften und die Biologie interessiert zeigen.155 Dem zugrunde liegt die Annahme fortlaufender Differenzierungsprozesse, die zu der zunehmenden Komplexität führten.156 Die Erzählung von der steigenden Differenzierung und somit Kompliziertheit der modernen Welt dient auch als Begründung für die Herausbildung von Fachsprachen und Expertenwesen.157 Genauso arbeiten neuere Konzeptionen von Staatlichkeit mit der Annahme, eine zunehmende Differenzierung und deshalb Komplexität der Gesellschaft sei dafür verantwortlich, dass der moderne Staat im 20. Jahrhundert sein Ende erreicht habe.158

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institutionelle Organisationstheorie beruft sich auf Weber als einen ihrer geistigen Väter, hat ihren Fokus aber mittlerweile weit von den Personen weg verschoben. Scott, S. 13. Auf diesen Zusammenhang macht Gould aufmerksam: Gould, Panda’s Thumb, S. 180. Als Referenzfigur für die Sozialwissenschaften sei Luhmann genannt, insbesondere Luhmann, Soziale Systeme und ders., Gesellschaft. Die Biologie konstatiert aktuell einen Paradigmenwechsel weg vom Datensammeln hin zur Interpretation dieser Daten, die in einer Systemtheorie, einer »systems biology« münden müsse, siehe Keller, Century. Ebd., S. 7. Wise, S. 182, bezeichnet die Aufgabe der Wissenschaftshistorie, die diese mit der Physik und der Biologie teile, als »understanding complex systems«. Für Luhmann, Soziale Systeme, S. 45, ist Komplexität »derjenige Gesichtspunkt, der vielleicht am stärksten die Problemerfahrung der neueren Systemforschung zum Ausdruck bringt.« Zur Komplexität als Systemeigenschaft siehe ebd., S. 45 – 57 und Luhmann, Gesellschaft, S. 134 – 144. Wilke, S. 10, fragt: »was ist also die leitende Problemstellung systemtheoretischen Denkens? Es ist das Problem der Bearbeitung organisierter Komplexität.« (Kursiv im Original) Seit den 1950er Jahren hätten sich Disziplinen wie die Chemie, die Biologie, die Medizin, die Psychologie, die Ökonomik, Politologie, Soziologie und Computertheorie mit organisierter Komplexität beschäftigt. Siehe etwa Baumann, S. 109 f. oder Becker u. Hundt, S. 126 oder für das Expertenwesen im Ganzen Hitzler. Er geht davon aus, dass sich erst in der Folge der modernen Arbeitsteilung Experten mit Sonderwissen herausbildeten, siehe S. 22. Steinbicker stellt solche Ansätze dar, die davon ausgehen, dass wir uns heute auf einer

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Diese Ansätze lassen sich zu einem Weltbild verallgemeinern, das die eigene Zeit hauptsächlich als differenziert und komplex wahrnimmt. Deshalb liegt es eventuell nahe, wie in dieser Arbeit geschehen, Ausdifferenzierung und Komplexität auch in anderen Zeiten zu suchen,159 anders gesagt: Die Begründung der eigenen Lebenswelt durch Rekurs auf die Vergangenheit zu schaffen.160 Dem Narrativ von der stetigen Zunahme der Differenzierung setzt ein solcher Ansatz die These entgegen, die Erscheinungen der eigenen Zeit besäßen keinen Neuheitscharakter, platt gesagt: Die Vorstellung einer Entwicklung, sei es zum Guten oder Schlechten, wird kontrastiert mit der Gegenerzählung, wirklich Neues gäbe es unter der Sonne nicht. Ähnliche Suchbewegungen finden sich zum Beispiel für die ebenfalls auf die These von der zunehmenden Komplexität gegründete Vorstellung von der Wissensgesellschaft, die Historiker dazu veranlasste, im Gegenzug den Informationsstaat bereits für die Frühe Neuzeit161 und die Wissensgesellschaft schon für das Mittelalter zu reklamieren.162 Die Annahme, die Welt sei in der Vergangenheit wie in der Gegenwart hauptsächlich als vielfältig und kompliziert zu bezeichnen, liegt nicht fern von der Schlussfolgerung, dass diese Welt und ihre Phänomene nicht von einem Individuum erdacht, geschaffen und gesteuert werden konnten und können. Die Komplexität der Welt bedingt die Unintentionalität ihrer Wandlungen: Hierin ist vielleicht der Grund zu suchen, warum sich Modelle ungeplanter Veränderungen schon seit geraumer Zeit in verschiedenen Disziplinen einer gewissen Beliebtheit erfreuen.

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»neuen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe« (S. 90) befänden, auf der aus der Industrieeine Wissens- und Informationsgesellschaft geworden sei. Collin u. Horstmann, S. 9, ziehen die Handlungsfähigkeit des Staats wegen der »Globalisierung, Ökonomisierung, Komplexitätsrasanz« in Zweifel. Ähnlich verfährt Jussen in seiner Interpretation von Kantorowicz’ Werk »The King’s Two Bodies«: An die Stelle des Narrativs, erst im Laufe des Mittelalters habe sich eine Theorie abstrakter Institutionalität herausgebildet, tritt die These, dass es immer eine komplexe Theorie abstrakter Institutionalität gegeben habe. Lediglich der Mittelpunkt dieser Theorie habe sich von der Kirche zum Staat verschoben. Jussen, King’s Two Bodies, S. 109. Die Annahme zunehmender Komplexität wird damit ersetzt durch die Ansicht, der Grad der Komplexität sei stets hoch gewesen. Schließlich reagiere Geschichtswissenschaft stets auf politische Befindlichkeiten und Problemlagen, so Jussen, Diskutieren, S. XI. Burke, Reflections, oder Collin u. Horstmann. Fried, Aktualität. »Von Anbeginn war die Rede von der Wissensgesellschaft daher auch eine Rede über die Geschichtlichkeit ihrer selbst«, kommentiert Rexroth, Systemvertrauen, S. 16.

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Von der Routine zur Organisation: Eine mittelalterliche Geschichte?

Viele Aspekte, die in dieser Arbeit vorkommen, brechen mit den Erwartungen, die eine traditionelle Geschichtsschreibung an das Mittelalter herantragen würde. So lässt sich in den Rechnungen keine Hierarchie finden, die in irgendeiner Weise mit dem sozialen Status der Beteiligten zusammenhängen würde. Die Welt der Abrechnungen gliederte sich nicht nach Ständen, nach feudaler oder kirchlicher Hierarchie, sondern unterschied nach Menschen, die dem König etwas schuldeten, und solchen, die alle Zahlungen geleistet hatten. Wenn jemand einmal zu den königlichen Bediensteten zählte, qualifizierte ihn nicht sein sozialer Rang, sondern seine Fähigkeiten für einen Aufstieg innerhalb der Verwaltung.1 Naturalabgaben spielten in den königlichen Abrechnungen so gut wie keine Rolle; die Verwaltung beruhte auf Geldwirtschaft. Die Abhörungen funktionierten als Routine, sie zeigen kaum ritualhaften oder zeremoniellen Charakter in dem Sinne, dass im Rahmen der Abrechnungen irgendeine Bedeutungsebene angeschnitten worden wäre, die über das reine Rechnungslegen hinausgegangen wäre.2 Die Fachsprachenforschung begründet das Aufkommen solcher Spezialsprachen häufig mit der modernen Arbeitsteilung. Wenn Arbeitsteilung und die damit einhergehende Nutzung einer speziellen Sprache als 1 Turner, Men, S. 149. Eventuell wird in der Forschung die Klage einzelner Zeitgenossen wie etwa Orderic Vitalis über die »men raised from the dust« so gern zitiert, weil dadurch das typische Bild vom Mittelalter wieder geradegerückt werden kann: Eigentlich, so wird impliziert, hatten Menschen aus nicht sehr hoch angesehenen Familien im Mittelalter natürlich wenig Aufstiegschancen, die englische Verwaltung stellte nur eine Ausnahme von dieser Regel dar. Dass die Kritik an den »men raised from the dust« von einigen berühmten Einzelfällen kam, die sich zu kurz gekommen fühlten, wird weniger oft betont. 2 Auch hier lässt sich mutmaßen, ob die Forschung deshalb häufig die wenigen Aspekte heraushebt, in denen der Dialogus den Abhörungen eine religiöse Nebenbedeutung gibt, um das traditionelle Bild eines zeremoniellen, religiös konnotierten öffentlichen Aktes aufrechterhalten zu können. Wie oben erwähnt, verweist die Forschung häufig darauf, dass der Dialogus die Abhörungen mit dem jüngsten Gericht vergleicht. Er setzt die Abrechnungen aber auch ohne jede religiöse Konnotation mit einem Schachspiel gleich, siehe Kapitel 3.1.2.1. Wie Kapitel 2 beschreibt, lief die Rechnungslegung in der Praxis wahrscheinlich wesentlich weniger pompös ab als der Dialogus suggeriert.

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Phänomen der Moderne aufgefasst werden, muss man die englische Verwaltung bereits ab dem 12. Jahrhundert als modern bezeichnen.3 Das Ausmaß, in dem sich die königliche Verwaltung auf schriftliche Dokumente stützte, mag insbesondere die deutsche Forschung überraschen, die eine solche Schriftlastigkeit erst ab dem Spätmittelalter an der Schwelle zur Neuzeit findet.4 Zudem handelte es sich bei den Pipe Rolls nicht um bloße Notizen zur Gedächtnisstütze; sie hielten auch keine Rechtsgeschäfte fest oder dienten lediglich der Illustration der Herrschergewalt des Königs, nein: Sie bildeten einen integralen Teil der Abrechnungen. In der Finanzverwaltung herrschte der König auch nicht persönlich. Die Abrechnung zwischen seinen Verwaltern und seinen Abhörern fand in jedem Jahr und immer am gleichen Ort statt, unabhängig davon, ob sich der König in England, in Frankreich oder auf Zypern befand, ob sein Thron angefochten war oder nicht. Die Verwalter dienten damit eher der Krone als einem konkreten König. Insgesamt wird häufig explizit als modern bezeichnet, was im Laufe des hier beschriebenen Evolutionsprozesses entstand: Die zentralisierte, schriftgestützte englische Finanzverwaltung. Für Clanchy glichen die Strukturen des Exchequer einem bürokratischen Staat im Weberschen Sinne.5 Auch andere Forscher sprechen davon, dass die englische Regierung im Laufe des 12. Jahrhunderts eine bürokratische Form herausgebildet habe, was sie zum Beispiel an der zunehmenden Kontrolle6 oder der steigenden Professionalisierung7 der königlichen Bediensteten festmachen. Diese Bürokratie wird wiederum mit der Entstehung eines modernen Staates in Zusammenhang gebracht. So schreibt etwa Wilfred Lewis Warren der Entstehung des Exchequer das Verdienst zu, den Kontakt zwischen der Regierung und einzelnen Individuen anstelle von Gruppen etabliert zu haben. Damit sei der Grundstein für den Übergang vom nicht3 Allerdings herrscht in der Fachsprachenforschung eine gewisse Widersprüchlichkeit. Obwohl die Entstehung von Fachsprachen auf die explizit modern genannte Arbeitsteilung zurückgeführt wird, nimmt die Fachsprachenforschung dennoch zur Kenntnis, dass es Arbeitsteilung schon vor der Moderne gegeben habe. So werden die Sprachen der Wissenschaft, des Handwerks und der Technik beschrieben bei Haage u. Wegner ; bei Möhn, Fachsprachen, und bei Jakob. Auch Roelcke, S. 162, geht davon aus, dass die Entstehung von Fachsprachen »in vorgeschichtlicher Zeit etwa im Rahmen der Beschaffung von Nahrungsmitteln oder der Herstellung von Werkzeugen« vonstattengegangen sei. Für die Wissenschaftssprache hat Burke, Jargon, S. 22, bereits auf diesen Widerspruch hingewiesen: Einerseits werde der akademische Jargon mit der Überspezialisierung der heutigen Wissenschaftswelt erklärt, andererseits lasse sich die Kritik an dieser Ausdrucksweise mindestens bis in die Antike zurückverfolgen. 4 Siehe unten. 5 »The structure of the Exchequer accords too with Max Weber’s characterization of the ›pure type‹ of bureaucratic state […]«, Clanchy, Memory, S. 66. 6 Ebd., S. 64, oder Hollister u. Baldwin, S. 882. 7 Peltzer.

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modernen zum modernen Staat gelegt worden.8 Bisweilen wird der Aufbau von Verwaltungsorganisationen an sich als Schritt zum modernen Staat angesehen.9 Die Suche nach dem Grundstein oder dem Anfang des modernen Staates nicht nur in England zeigt deutlich die Probleme bei der Festlegung einer Epochengrenze. Die Bestimmung, wann eine moderne Bürokratie entsteht, ein moderner Staat auftritt, das Mittelalter endet, hängt davon ab, welche Kriterien man für das Bestehen einer Bürokratie, eines modernen Staates oder für das Hereinbrechen der Neuzeit festsetzt. Geht man davon aus, dass die Verschriftlichung von Regierungsakten eine bürokratische Herrschaftsform konstituiert und diese wiederum den modernen Staat begründet, so bestand er in England seit dem 12. Jahrhundert, in Kerneuropa ungefähr seit dem 13./14. Jahrhundert.10 Timothy Reuter argumentiert, dass die Herausbildung moderner Staaten spätestens im 11. Jahrhundert begonnen habe, da er als Kriterien für einen solchen Staat feste Residenzen und Hauptstädte, eine Hierarchisierung der Gerichte und ein Justizmonopol, allgemeine Steuern und eine klar definierte Nachfolgeregelung, das Aufkommen von Beamten und homogenen Verwaltungseinheiten setzt.11 Definiert man den Staat über sein Machtmonopol, so kann man seine Geschichte bereits in der Antike beginnen lassen.12 Einen modernen Staat, der sich vor allem über die Existenz von Ständen13 oder über eine einheitliche Gesetzgebung14 auszeichnet, kann man ab dem 13. Jahrhundert finden. Erst im Spätmittelalter entstehen Staaten, wenn sie sich über ein Monopol auf Rechtskompetenz und auf Abschöpfung von Ressourcen durch 8 Der Umbruch sei erfolgt, da England bis zum Ende des 11. Jahrhunderts noch von Engländern verwaltet worden sei. Erst um die Wende zum 12. Jahrhundert hätten die Normannen die Verwaltung selbst übernehmen müssen und hätten dabei, da sie mit dem alten System nicht gut zurechtgekommen seien, einige Veränderungen eingeführt. Daraus folgte die Transformation von einer »sophisticated form of non-modern state managed through social mechanisms to a crude form of modern state organised through administrative institutions.« (S. 132). Warren, Myth. 9 Göllmann, S. 11, bezeichnet Institutionalisierung und Staatlichkeit als »Erscheinungsformen der modernen Welt«, die sich im England des 12. Jahrhunderts herausgebildet hätten. Beide werden nicht näher definiert; Jones folgert auf S. 460 aus der Feststellung, dass England sich zu einem administrativen Staat gewandelt habe, es sei anderen europäischen Staaten damit weit vorausgeeilt. 10 Meier, S. 5; Dartmann, S. 4; Keller, Veränderung, S. 36. Ganz ähnlich argumentiert schon Patze, das Geschäftsschriftgut habe zur Entstehung des modernen Staates durch Rationalisierung beigetragen. 11 Reuter, S. 331 f. Erst im Spätmittelalter habe der moderne Staat allerdings angefangen, sich zu dokumentieren. 12 Er betont allerdings, dass es den Staat der juristischen Lehre, der durch Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt definiert wird, nur vom Ende des 18. Jahrhunderts bis etwa 1970 gegeben habe, Reinhard, S. 16. 13 Näf, hier S. 227. 14 Wolf, S. 4.

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Steuereintreibung15 oder darüber definieren, dass Herrscher und Verwalter über ihr Handeln reflektierten.16 Wann die Moderne beginnt, wirkt hier wie eine geradezu willkürliche Setzung. Das liegt daran, dass jeder Forscher selbst die Kriterien für den Staat bestimmt, dessen Auftreten er sucht. Damit spürt er einem Phänomen nach, das er selbst geschaffen hat.17 Offenbar gibt es kein Kriterium, das sich aus der empirischen Betrachtung menschlichen Zusammenlebens intersubjektiv ergeben würde. Jede Phase, die untersucht wird, geht von sehr ähnlichen Vorgängern aus, die sich lediglich inkrementell von dem beobachteten Phänomen unterscheiden. Der Prozess lässt sich so immer weiter in frühere Vergangenheiten verfolgen, ohne einen wirklichen Bruch, eine fundamentale Neuerung aufzufinden.18 Bürokratie und moderner Staat entstanden augenscheinlich nicht nur in England langsam und evolutionär. Möchte man also einen bestimmten Anfangspunkt für den modernen Staat festsetzen, so muss man selbst einen Schritt als entscheidend definieren. Unser Bild vom Staat oder vom Mittelalter erschafft erst den Staat oder das Mittelalter. Auf die Feststellung, dass einige Facetten und Ergebnisse der vorliegenden Arbeit also nicht zum herkömmlichen Mittelalterbild passen, kann man auf zweierlei Weisen reagieren. Entweder man geht davon aus, dass die Moderne da beginnt, wo die beobachteten Phänomene zu unseren Vorstellungen von der Moderne passen. Die englische Regierung müsste entsprechend schon ab dem 12./13. Jahrhundert als neuzeitlich bezeichnet werden. Alternativ kann man das Mittelalter rein zeitlich definieren und sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es zu mittelalterlichen Zeiten in England eine bürokratische Verwaltung gab, die nicht von einem starken Herrscher dominiert wurde und in der die soziale Hierarchie keine entscheidende Rolle spielte. Ob mit der Verfestigung dieser Routinen im Exchequer in der englischen Verwaltung das Mittelalter endete und eine moderne Bürokratie einsetzte, möge entsprechend jeder nach seinen Kriterien entscheiden – oder sein Bild vom Mittelalter verändern. Auf jeden Fall setzte damit eine Entzeitlichung und Entpersonalisierung der Abrechnungsstrukturen ein. Die Logik der Abrechnungsarbeit entkoppelte sich von den Handlungen des Königs und war damit auch nicht mehr an seine Lebenszeit gebunden: Weil die Abhörungen unabhängig von 15 16 17 18

Mann, S. 416 – 449, das Argument wird zusammengefasst auf S. 510 – 512. Harding, siehe z. B. S. 336. Quaritsch, S. 27 – 32. Andersherum formuliert finden ständig graduelle Veränderungen statt. Ein Beispiel dafür liefert Burke, der den Beginn des »Informationsstaats« sucht, also den Anfang der Zeit, in der europäische Regierungen Informationen auf eine neuartige Weise nutzten. Dabei stellt er fest, dass dieser Beginn in jedes der drei von ihm untersuchten Jahrhunderte (17. bis 19. Jahrhundert) gelegt werden könnte. Burke, Reflections, S. 59.

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der persönlichen Anwesenheit des Königs vollzogen werden konnten, wurden sie auch durch Herrscherwechsel verhältnismäßig wenig beeinflusst.19 Großen Verwalterfiguren konnte gleichfalls kein entscheidender konstitutiver Einfluss auf die Durchführung der Abrechnungen zugebilligt werden. Die Menschen im England des 12. Jahrhunderts machten deshalb die Erfahrung, dass Abgaben und Schulden den Tod überwinden konnten: Wenn ein Schuldner des Königs starb, wurden seine Ausstände seinem Erben übertragen. Da die geschuldete Summe jedes Jahr in die neue Pipe Roll übertragen wurde, konnte die Schuld noch bei Kindern und Kindeskindern eingetrieben werden.20 Auf der anderen Seite änderte auch der Tod eines Königs nichts an den Abgabenforderungen, da Einziehung und Abrechnung unabhängig von einer konkreten Herrscherfigur funktionierten. Der Tod befreite nicht von den Schulden. Entpersonalisierung und Entzeitlichung können deshalb im doppelten Sinne das Ergebnis dieser Arbeit zusammenfassen. Erstens lässt sich damit der Prozess charakterisieren, der im 12. Jahrhundert an der fachsprachlichen Routine des Rechnungsschreibens ansetzte und die Organisation Exchequer hervorbrachte. Zweitens zeigt die Untersuchung dieses Entstehungsprozesses, dass Umgestaltungen der Verwaltung nicht von einem König initiiert, Veränderungen nicht notwendigerweise geplant erfolgen müssen. Insofern fügt die Beschreibung nicht-intentionaler und nicht-linearer Veränderungsprozesse der Diskussion um gesellschaftliche Ordnungskräfte den Aspekt der Praxis hinzu: Politische Ordnungen können nicht nur auf Regeln und Symbolen, auf Planungen und Ritualen beruhen, sondern auch auf wiederholt ausgeübten, unreflektiert angewandten Routinen gründen. Sowohl für die Verwaltungsgeschichte Englands im 12. Jahrhundert als auch für das heutige Nachdenken über gesellschaftliche Ordnung im Mittelalter lässt sich deshalb konstatieren: Der König ist tot, lang lebe die Steuer.

19 Siehe Kapitel 4.5. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht für jeden einzelnen Herrscher die Weiterführung seiner Dynastie eine hohe Priorität besaß. Die Stabilität der Abrechnungsprozesse war aber nicht mehr davon abhängig, welche Familie gerade auf dem Thron saß. 20 Cassidy, Recorda, S. 2.

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Tafelteil

Abb. 1: PR 31 Henry I, S. 24, R3 m1r

Abb. 2: PR 31 Henry I, S. 139, R14 m1d

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Tafelteil

Abb. 3: PR 2 Henry II, S. 52 f., R11 m1r

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313

Tafelteil

Abb. 4: PR 2 Henry II, S. 28, R5 m1d

Abb. 5: PR 2 Henry II, S. 10, R2 m1r

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314

Tafelteil

Abb. 6: PR 10 Henry II, S. 29, R3 m1d

Abb. 7: PR 20 Henry II, S. 23, R3 m1r

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Tafelteil

Abb. 8: PR 20 Henry II, S. 95, R7 m2d

Abb. 9: PR 20 Henry II, S. 73 f., Rm2r

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Tafelteil

Abb. 10: PR 30 Henry II, S. 8, R1 m2r

Abb. 11: PR 30 Henry II, S. 52, R4 m1d

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317

Tafelteil

Abb. 12: PR 30 Henry II, S. 48, R4 m2r

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Tafelteil

Abb. 13: Quitt-Erklärung in verschiedenen Pipe Rolls

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319

Tafelteil

Abb. 14: PR 26 Henry II: Zwei Möglichkeiten der Anordnung

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Pipe Rolls

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http://www.archive.org/details/piperollsocie ty05pipeuoft

http://www.archive.org/details/piperollsocie ty04pipeuoft

http://www.archive.org/details/piperollsocie ty02pipeuoft

http://www.archive.org/details/piperollsocie ty01pipeuoft

digitalisierte Edition http://books.google.de/books?id= StIa21P3D4kC& printsec=frontcover& dq= hunter+record+commission http://books.google.de/books?id= StIa21P3D4kC& printsec=frontcover& dq= hunter+record+commission

322 Quellen- und Literaturverzeichnis

Regierungsjahr Referenz Edition 10 Henry II 1163/ E 372/10 The Great Roll of the Pipe for the Tenth Year of the Reign of 64 King Henry the Second, A. D. 1163 – 1164, Pipe Roll Society, Bd. 7, London 1886. 11 Henry II 1164/ E 372/11 The Great Roll of the Pipe for the Eleventh Year of the Reign of 65 King Henry the Second, A. D. 1164 – 1165, Pipe Roll Society, Bd. 8, London 1887. 12 Henry II 1165/ E 372/12 The Great Roll of the Pipe for the Twelfth Year of the Reign of 66 King Henry the Second, A. D. 1165 – 1166, Pipe Roll Society, Bd. 9, London 1888. 13 Henry II 1166/ E 372/13 The Great Roll of the Pipe for the Thirteenth Year of the Reign 67 of King Henry the Second, A. D. 1166 – 1167, Pipe Roll Society, Bd. 11, London 1889. 14 Henry II 1167/ E 372/14 The Great Roll of the Pipe for the Fourteenth Year of the Reign 68 of King Henry the Second, A. D. 1167 – 1168, Pipe Roll Society, Bd. 12, London 1890. 15 Henry II 1168/ E 372/15 The Great Roll of the Pipe for the Fifteenth Year of the Reign of 69 King Henry the Second, A. D. 1168 – 1169, Pipe Roll Society, Bd. 13, London 1890. 16 Henry II 1169/ E 372/16 The Great Roll of the Pipe for the Sixteenth Year of the Reign of 70 King Henry the Second, A. D. 1169 – 1170, Pipe Roll Society, Bd. 15, London 1892. 17 Henry II 1170/ E 372/17 The Great Roll of the Pipe for the Seventeenth Year of the Reign 71 of King Henry the Second, A. D. 1170 – 1171, Pipe Roll Society, Bd. 16, London 1893. 18 Henry II 1171/ E 372/18 The Great Roll of the Pipe for the Eighteenth Year of the Reign 72 of King Henry the Second, A. D. 1171 – 1172, Pipe Roll Society, Bd. 18, London 1894.

Fortsetzung

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digitalisierte Edition http://www.archive.org/details/piperollsocie ty07pipeuoft

Pipe Rolls

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Regierungsjahr Referenz Edition 19 Henry II 1172/ E 372/19 The Great Roll of the Pipe for the Nineteenth Year of the Reign 73 of King Henry the Second, A. D. 1172 – 1173, Pipe Roll Society, Bd. 19, London 1895. 20 Henry II 1173/ E 372/20 The Great Roll of the Pipe for the Twentieth Year of the Reign of 74 King Henry the Second, A. D. 1173 – 1174, Pipe Roll Society, Bd. 21, London 1896. 21 Henry II 1174/ E 372/21 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-First Year of the 75 Reign of King Henry the Second, A. D. 1174 – 1175, Pipe Roll Society, Bd. 22, London 1897. 22 Henry II 1175/ E 372/22 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Second Year of the 76 Reign of King Henry the Second, A. D. 1175 – 1176, Pipe Roll Society, Bd. 25, London 1904. 23 Henry II 1176/ E 372/23 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Third Year of the 77 Reign of King Henry the Second, A. D. 1176 – 1177, Pipe Roll Society, Bd. 26, London 1905. 24 Henry II 1177/ E 372/24 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Fourth Year of the 78 Reign of King Henry the Second, A. D. 1177 – 1178, Pipe Roll Society, Bd. 27, London 1906. 25 Henry II 1178/ E 372/25 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Fifth Year of the 79 Reign of King Henry the Second, A. D. 1178 – 1179, Pipe Roll Society, Bd. 28, London 1907. 26 Henry II 1179/ E 372/26 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Sixth Year of the 80 Reign of King Henry the Second, A. D. 1179 – 1180, Pipe Roll Society, Bd. 29, London 1908. 27 Henry II 1180/ E 372/27 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Seventh Year of the 81 Reign of King Henry the Second, A. D. 1180 – 1181, Pipe Roll Society, Bd. 30, London 1909.

Fortsetzung

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digitalisierte Edition http://www.archive.org/details/piperollsocie ty19pipeuoft

324 Quellen- und Literaturverzeichnis

Regierungsjahr Referenz Edition 28 Henry II 1181/ E 372/28 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Eighth Year of the 82 Reign of King Henry the Second, A. D. 1181 – 1182, Pipe Roll Society, Bd. 31, London 1910. 29 Henry II 1182/ E 372/29 The Great Roll of the Pipe for the Twenty-Ninth Year of the 83 Reign of King Henry the Second, A. D. 1182 – 1183, Pipe Roll Society, Bd. 32, London 1911. 30 Henry II 1183/ E 372/30 The Great Roll of the Pipe for the Thirtieth Year of the Reign of 84 King Henry the Second, A. D. 1183 – 84, Pipe Roll Society, Bd. 33, London 1912. 6 Richard I 1193/ E 372/40 The Great Roll of the Pipe for the Sixth Year of the Reign of 94 King Richard I: Michaelmas 1194, Pipe Roll Society, Bd. 43 (New Series 5), London 1928. 3 John 1200/ E 372/47 The Great Roll of the Pipe for the Third Year of the Reign of 01 King John: Michaelmas 1201, Pipe Roll Society, Bd. 52 (New Series 14), London 1936. 2 Henry III 1217/ E 372/62 The Great Roll of the Pipe for the Second Year of the Reign of 18 King Henry III: Michaelmas 1218, Pipe Roll Society, Bd. 77 (New Series 39), London 1972.

Fortsetzung

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digitalisierte Edition http://www.archive.org/stream/piperollsocie ty31pipeuoft

Pipe Rolls

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Norman Pipe Rolls

Memoranda Rolls

Fine Rolls

Curia Regis Rolls

zugehörige Rollenserie Close Rolls

C 62/1

2 John (1200 – 1201)

Blakiston, Noel (Hg.), The Memoranda Roll for the Michaelmas Term of the First Year of the Reign of King John (1199 – 1200) Together with Fragments of the Originalia Roll of the Seventh Year of King Richard I (1195 – 6), the Liberate Roll of the Second Year of King John (1200 – 01) and the Norman Roll of the Fifth Year of King John (1203) London 1943, S. 88 – 97. KB 26/1 Maitland, Frederic William (Hg.), Three Rolls of the King’s Trinitatis Court in the Reign of King Richard the First A. D. 1194 – 7 Richard I 1195. London 1891. (1194) C 60/1 A Hardy, Thomas Duffus (Hg.), Rotuli de Oblatis et Finibus in 1 John Turri Londinensi Asservati, Tempore Regis Johannis. Lon(1199 – don 1835. 1200) E 370/1/ Blakiston, Noel (Hg.), The Memoranda Roll for the Mi1 John 3 chaelmas Term of the First Year of the Reign of King John (1199 – (1199 – 1200) Together with Fragments of the Originalia 1200) Roll of the Seventh Year of King Richard I (1195 – 6), the Liberate Roll of the Second Year of King John (1200 – 01) and the Norman Roll of the Fifth Year of King John (1203) London 1943, S. 1 – 84. 30 Henry II E 373/1 Moss, Vincent (Hg.), Pipe Rolls of the Exchequer of Nor(1184) mandie for the Reign of Henry II, 1180 and 1184. London 2004. Thomas Stapleton (Hg.), Magni Rotuli Scaccarii Normaniae sub Regibus Angliae. London 1840, 1844.

Referenz Edition

Jahr

Andere königliche Verwaltungsrollen

http://books.google.com/book s?printsec=frontcover& vid= LCCN11017111#v=onepage& q& f=false

http://www.archive.org/stream/pipe rollsociety24pipeuoft

digitalisierte Edition

326 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Rotuli de Dominabus

zugehörige Rollenserie Originalia Roll

Fortsetzung

31 Henry II E 198/1/ (1185) 2

E 163/1/ 3

7 Richard I (1195 – 1196)

digitalisierte Edition

Blakiston, Noel (Hg.), The Memoranda Roll for the Michaelmas Term of the First Year of the Reign of King John (1199 – 1200) Together with Fragments of the Originalia Roll of the Seventh Year of King Richard I (1195 – 6), the Liberate Roll of the Second Year of King John (1200 – 01) and the Norman Roll of the Fifth Year of King John (1203) London 1943, S. 85 – 87. Round, John Horace (Hg.), Rotuli de Dominabus et Pueris http://www.archive.org/stream/ et Puellis de XII Comitatibus [1185]. London 1913. piperollsociety35pipeuoft

Referenz Edition

Jahr

Andere königliche Verwaltungsrollen

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14:

PR 31 Henry I, S. 24, R3 m1 PR 31 Henry I, S. 139, R14 m1d PR 2 Henry II, S. 52 f., R11 m1r PR 2 Henry II, S. 28, R5 m1d PR 2 Henry II, S. 10, R2 m1r PR 10 Henry II, S. 29, R3 m1d PR 20 Henry II, S. 23, R3 m1r PR 20 Henry II, S. 95, R7 m2d PR 20 Henry II, S. 73 f., R6 m2r PR 30 Henry II, S. 8, R1 m2r PR 30 Henry II, S. 52, R4 m1d PR 30 Henry II, S. 48, R4 m2r Quitt-Erklärungen in verschiedenen Pipe Rolls PR 26 Henry II: Zwei Möglichkeiten der Anordnung

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S. 311 S. 311 S. 312 S. 313 S. 313 S. 314 S. 314 S. 315 S. 315 S. 316 S. 316 S. 317 S. 318 S. 319

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Abkürzungsverzeichnis

AER E 372 Fs. HJb HZ Jb PR RRAN VSWG ZfGS Zs.

American Economic Review Signatur der Pipe Rolls in den National Archives, London Festschrift Historisches Jahrbuch Historische Zeitschrift Jahrbuch Pipe Roll Regesta Regum Anglo-Normannorum Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift

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Personen- und Sachregister

Abakus 157 Abgabe 14, 17, 24, 33 f., 38, 40, 59, 65 f., 69 f., 72 – 75, 77, 80, 93, 95 – 98, 100 f., 105, 112, 121 – 123, 125, 153, 162, 164, 167, 182 f., 186, 188, 192, 199, 201 f., 214, 227, 231, 234 f., 237 – 239, 241, 255, 264, 266 – 268, 287, 292, 309 Abhörer 40, 42, 44 – 46, 54, 58, 67, 71, 78, 96, 111, 114 f., 121, 129, 133, 170, 174, 192, 226, 230, 260 f., 266 f., 269 f., 286, 290 f., 296, 299, 306 Abkürzung 28, 30, 37, 90 f., 109, 115 f., 118 – 121, 129 – 131, 180 f., 193 f., 204, 209, 221, 258 Abrechner 58, 71, 96, 111, 192, 226, 261, 267, 286, 290 f., 296, 299 Abrechnung 11, 14, 16 f., 34 f., 37 – 40, 42 – 54, 57, 59 f., 63 f., 69, 71, 75, 92, 95 f., 99 f., 106 f., 111 – 113, 115 f., 123, 126 f., 132, 135, 139, 142 f., 145 – 147, 152 – 154, 160, 163 f., 166 – 171, 175, 182, 187, 189, 195 f., 230 f., 234, 252, 255 f., 258, 260 f., 264, 269 f., 273, 283 – 289, 296, 305 f., 308 f. – Abrechnungsprozedur 16, 24, 26, 31, 35, 49, 165 f., 230, 251, 278, 284, 287, 289, 296 – Abrechnungsprozess 23 f., 33 f., 43, 54, 58, 64, 70 f., 81, 112 f., 120, 127, 143, 151, 153, 162, 164 f., 171, 199 f., 215, 230, 250 – 252, 256 f., 260 f., 265 f., 270, 275, 281, 284 f., 287 f., 300, 309

Abrechnungsvokabel 64, 79, 91 – 93, 95, 107 f., 124 f., 127, 132, 135, 140, 233, 239 Absicht 13, 42, 218, 221 f. Almosen 34, 76, 78, 105, 122, 125, 146, 160, 185, 200, 214, 217 Angelsachsen 15, 22, 38, 50, 79 f., 82 f., 94 f., 230 Archiv 24, 36 f., 49, 215, 229, 232, 234 – 236, 238, 240, 242, 247, 252, 259, 262, 265 f., 285 Assize 74, 100, 148 f., 188, 235, 237, 249 – mort d’ancestor 235 f. – novel disseisin 235 Ausbildung 87, 135, 137, 139, 151 f., 155 – 157, 159 f., 171, 214, 291 – Schule 25, 33, 59, 136 – 139, 155 – 157, 171, 262 – Universität 25 f., 138, 156, 160, 172 f., 219, 285, 301 Baron 11, 17, 36, 136, 153 – 155, 163 f., 167, 169, 251, 287 f. – barones de scaccario 34, 45 f., 125 f., 153 f., 167 – 169, 273 f., 290 Bedienstete 14 – 16, 41, 44, 76, 86, 94, 107, 132 f., 137, 139, 153, 156, 160, 168, 170 – 172, 175, 177, 179, 225 f., 259 – 261, 268, 270, 273, 290, 300, 305 f. Behörde 13, 16 – 18, 22, 40, 275, 290 Bürgerkrieg 11, 14, 16, 35, 50, 98, 192, 202, 251 f. Bürokratie 15, 20, 22, 176, 275, 297, 300, 302, 306 – 308

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354

Personen- und Sachregister

Chancellor’s Roll 36, 41, 46, 182, 226, 252, 260, 273 Charter Roll 249, 257 f., 261 Close Roll 226, 242 f., 247, 249, 255, 257 – 259, 261, 266, 326 County 14, 40 f., 43 f., 49, 52, 57, 59, 78, 98, 106, 111, 119, 142, 154, 158, 166, 182, 187, 235, 238, 240, 252, 258 Curia Regis Roll 71, 149, 226 f., 235 – 240, 242 – 244, 247 f., 257, 259, 262, 266 f. Dänengeld 38, 69, 73, 75, 78, 80, 116, 121 f., 130, 144, 162 – 164, 167, 186, 199, 214, 292 Devonshire 46, 52, 59 Dialog 14, 16, 34 f., 37 – 39, 124, 140, 219, 273 Dialogus 38 – 40, 42, 44 – 49, 54, 57, 96, 124 – 130, 137, 139 – 154, 160 – 171, 182 f., 200 f., 216 f., 273 f., 305 Edward I. 49 Effizienz 17, 175, 278, 293 Entlohnung 76, 78, 81, 106, 122, 125, 160, 200 – 202, 214, 217, 228, 237, 239, 268 Erbgebühr 66, 75, 101 f., 144, 146, 157, 228, 232, 239 Evolution 22, 31 – 33, 180 f., 208 – 211, 216 – 220, 245 f., 250, 253 f., 278 f., 283, 291, 295 – 297, 308 Evolutionstheorie 22, 31 f., 179 f., 208 – 213, 216 f., 219 – 223, 245, 250, 253 f., 279 Exaktheit 92, 95 – 97, 103, 109, 116, 262, 264 f., 299 Exchequer 11 – 19, 32 f., 35 f., 38, 40, 49, 54, 67, 80, 85, 96, 136, 151, 163, 165 – 167, 169, 181, 183, 193, 222, 226, 230, 234, 248 f., 251 f., 259 – 262, 273, 279, 282 – 285, 287 – 291, 293 f., 297, 302, 306, 308 f. Experten 25, 32 f., 138 f., 172 – 174, 301, 303 Fachleute 25, 91, 166, 173 Fachsprache 13, 19, 23, 31, 83, 86, 88 – 94,

104, 106, 109, 115, 124, 130 f., 134 f., 147, 150, 172, 175 – 179, 212 f., 217 – 219, 279 – 282, 287 – 289, 294, 296, 299, 301, 303, 306 Fachsprachenforschung 31 – 33, 79, 86 – 90, 92, 104, 106, 108, 130, 175 f., 305 f. Fachtermini 41, 90 – 92, 94, 97, 107, 124, 131, 134, 177 Fahrhabe 99, 146, 149, 227, 234, 237 – 239, 266 Fine Roll 226 f., 232 – 235, 237, 242 – 244, 246, 257, 260, 266 Flandern 11, 20 f., 183, 215, 294, 298 Frankreich 11, 13, 21, 28, 35, 215, 291, 294, 306 Funktionalität 30, 60, 86, 138, 177 f., 185, 196, 202, 207, 210, 218, 245, 248 – 251, 253 – 255, 265, 278 f., 281, 284 f., 299 Geld 14, 20, 43, 45, 54, 59, 63, 67 – 69, 73, 77, 85, 106, 125, 127 f., 136, 141, 164, 166, 182, 189 – 192, 205, 241, 267 f., 274 f., 283, 287 Geoffrey of Clinton 99, 154 Geoffrey Rufus 158 Gerald of Wales 136 f., 159 Gerichtswesen 74 f. – Gericht 72, 96, 100, 121, 150, 160, 232, 234, 236, 297, 305, 307 – Juristen 19, 30, 92, 133 f., 151, 160, 162, 248, 288, 291, 297, 299, 307 – Rechtsprechung 74, 126, 297 – Reiserichter 14, 16, 153 – 155, 157 f., 165 f., 196, 236, 240, 261 – Richter 106 f., 114, 160, 163, 195 – 197, 214, 240, 261, 270 Gloucestershire 52 Gutsverwaltung 285 Habitus 22, 25, 139, 168, 170 – 172, 178 Heimfall 81 f., 125, 146, 228 Henry I. 13, 15, 33 f., 40, 75, 77 f., 101, 114, 154 – 156, 158, 169, 180, 199 f., 203, 226, 291 Henry II. 65, 100, 107, 114, 129, 152,

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355

Personen- und Sachregister

155 f., 189, 192, 194, 196, 203 f., 213, 226, 230, 260 f., 267, 294 Henry III. 238, 247, 252 Henry IV. 36 Hertfordshire 122 Historische Semantik 26 – 29, 31 f., 36, 190 Hubert Walter 136 f., 159, 225 Hundred 41, 80, 82 Identität 22, 31, 42, 83, 169 f., 276 f., 280, 282, 288 Institution 13, 19, 22, 31, 36, 82, 138, 253, 274 – 280, 282 – 284, 286 – 289, 291 f., 295, 297, 302, 307 Institutionalisierung 277, 279, 285, 289, 307 Intentionalität 15 f., 21, 31, 210, 212, 215, 218, 220 – 222, 254, 279, 281, 300, 302 John 14, 17 f., 36, 154, 156, 226, 232 – 234, 238 f., 251 f., 261, 282, 287 f. Justiziar 17, 45, 65, 70, 113 f., 132, 136, 152 f., 155, 158 f., 190, 193, 214, 225, 248 f., 260 Kammer 14, 21, 112 f., 131, 152, 158 Kanzlei 14, 49, 225 f., 248 f., 260 f., 273, 298 f. Kanzler 45, 77, 152 f., 155 f., 158, 163, 215, 225 Kerbholz 44 f., 63, 127 König 11 f., 14 – 18, 40 – 47, 60, 66, 69, 71 – 74, 76 – 78, 85, 95 f., 102 f., 105, 114 f., 124 f., 127 f., 132 f., 142, 147, 149, 152 – 157, 159 f., 164 f., 168, 170 f., 173 f., 177, 179, 181 – 183, 185, 193, 195, 200 f., 205 f., 213 – 215, 217, 221, 225, 228, 232, 234, 240, 242 f., 246, 248 f., 258 – 261, 267 – 271, 273 f., 287 – 289, 292, 295, 300, 305 f., 308 f. Konstabler 153 f., 157 Land 49, 57, 60, 62, 72 – 75, 80 f., 93, 95, 98, 101 f., 104 – 107, 115, 121 f., 126 f.,

129, 144, 147, 153, 192 f., 195, 202, 205, 214, 226 – 228, 235, 237 – 239, 241, 266 f. Learning by doing 31, 151 f., 160, 175 Legitimität 31, 208, 276 f., 280 – 282, 284 f., 287 – 289, 293, 300 Lehnswesen 17, 40, 57, 65 – 67, 75, 99, 101 f., 106, 184, 202, 232, 267 f., 292, 305 Leicestershire 52 f., 187 Liberate Roll 226, 242 f., 247 f., 257 – 259, 261, 326 f. Lincolnshire 52 London 36, 70, 123, 136, 152, 155, 201, 264 Matilda 14, 33, 35, 153, 159, 192, 251, 260 Memoranda Roll 45, 60, 226 f., 238 f., 242 – 244, 246 f., 257, 259, 261 f., 266, 287, 291 Miles of Gloucester 154 Mord 62, 70, 74 f., 79, 81 f., 93 – 95, 97 f., 144 f., 162 f., 167, 192 f., 205, 227, 230, 237, 239 Mündlichkeit 24, 148, 257 Naturalien 68 f., 283, 305 Nigel of Canterbury 85 f. Nigel of Ely 47, 65, 169, 230, 269, 273 f. Normandie 21, 33, 35 f., 112, 230 f., 233 Norman Pipe Roll 229 – 231, 244, 257 Northumberland 52, 57, 60 Nottinghamshire 57 Orderic Vitalis 137, 305 Ordination 28 – 30, 37, 41, 45, 49, 51, 54 f., 57 f., 60, 67, 90 f., 110, 116 – 120, 122 f., 139, 141, 143, 146 f., 150, 180, 186, 188, 197 – 200, 206 f., 210, 216, 228, 233, 236, 244, 252, 255 – 259, 262 f. Organisation 12 – 14, 16 – 23, 25 – 27, 32 f., 36, 40, 42 f., 50, 83, 170, 222, 261, 273, 275 – 286, 288 – 291, 293, 295 – 300, 302, 305, 309 Organisationstheorie 31 – 33, 275, 277 – 280, 303 Originalia Roll 226 f., 234 – 237, 242 f., 257 – 261, 266, 273

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356 Oxfordshire

Personen- und Sachregister

52

Pacht 17, 44, 52, 56, 58 – 60, 65 f., 69 f., 73 – 76, 105 f., 111, 113 f., 122, 125 – 127, 132 f., 144, 147 f., 181 – 183, 187, 190 f., 199, 201 f., 228, 239, 241, 268 f. Patent Roll 226, 249, 257, 259, 261 Praktiker 173 f., 302 Praxis 38, 43, 47, 110, 135 f., 139, 150, 160, 166, 168, 172, 175, 200, 270, 297, 305, 309 Präzision 95, 110 – 113, 118 f., 121 – 123, 131 f., 141, 149, 262, 264, 299 Prozess 72, 75, 78, 92 f., 98 f., 102 f., 106, 114, 121, 126 f., 144, 195 – 197, 205, 214, 228, 231, 234 – 239, 241, 249, 264, 266 f., 297 Ranulf of Glanvill 62, 70, 82, 98, 113 f., 132, 136, 150, 159, 214 Rationalität 23, 87 f., 227, 253 f., 278 f., 281, 301 Rechenbrett 46 Rechenschaft 40, 153, 168, 170, 288 f. – Rechenschaftslegung 40, 179, 253, 270 f., 284 Rechnungsleger 40, 42 f., 46 f., 55 f., 58 – 61, 63 – 67, 70 – 74, 76 – 78, 92, 95, 99 – 103, 105 f., 108, 112, 114, 116 f., 121 f., 129, 133, 144, 148, 168, 174, 183 f., 186 f., 189, 191, 193, 198, 200, 202, 206 f., 231, 238, 255 f., 263 f., 267 – 270, 274 f. Reproduktion 21, 24, 179, 253, 255, 259, 262, 265, 271 Richard de Luci 65, 190, 193 Richard I. 157, 159, 226, 234, 236, 251 Richard of Ely 16, 35, 38 – 40, 42, 45 f., 57, 82, 94, 96, 124, 130, 137, 140, 143 – 145, 147 – 149, 151 f., 155, 158, 160, 165, 169 f., 201, 225, 273, 283 f. Richard of Ilchester 16, 152, 155, 159, 193, 214, 230 Roger of Salisbury 12, 16, 155 – 158, 169, 214, 253, 260, 273, 283

Rotuli de Dominabus et Pueris et Puellis 226, 230, 240 – 244, 257 – 259, 261, 267 Routine 12 f., 21, 25, 27, 32, 42 f., 50, 266, 273, 282, 284, 288 – 290, 295 – 300, 302, 305, 308 f. Rutland 57 Schatz 14, 34, 45, 54, 56, 59, 61 f., 64, 68, 112 f., 116, 120, 131, 146, 182 f., 194, 197 f., 231, 262 f. Schatzamt 11 f., 14, 16 f., 21, 25 f., 34, 37 f., 40, 42, 45, 124, 128, 136, 139 f., 142 f., 151 – 155, 157 – 159, 161 – 163, 165 – 167, 169 f., 217, 222, 273 – 275, 281, 283 f., 290 – Oberes Schatzamt 42, 45 – scaccarium 14, 16, 34 f., 40, 42 – 46, 54, 85, 125, 128, 136, 143, 148, 153, 163, 166, 225, 273 – 275, 283, 290 f. – Unteres Schatzamt 45, 163 Schatzmeister 9, 35, 38, 45, 47 f., 65, 80, 99, 124 f., 137, 141, 154, 158, 162 f., 165 f., 169, 196, 260, 269, 273, 290 Scholastik 25, 30, 58, 262, 289 Schottland 11, 35, 158 Schreiber 43, 46 – 48, 50 f., 55 – 57, 59 f., 63 f., 71, 80, 91 f., 96, 101 f., 104 f., 109 f., 112, 114 f., 121, 123, 128, 131 – 135, 139, 141, 143, 147 f., 150 – 153, 158, 160 f., 163, 168, 170 f., 174 f., 182, 184 – 186, 188 f., 194, 196 – 200, 202 – 204, 209 f., 212, 214, 221 f., 224 f., 228, 231, 233 – 238, 240, 244 – 247, 256, 258, 260, 262, 264, 269, 279 f., 299 – Schreiberkollektiv 210 Schriftlichkeit 13, 23 f., 88, 148, 220, 292 – Pragmatische Schriftlichkeit 23 – 25, 32, 87, 173, 301 Schulden 43, 47, 58 – 60, 68, 70, 72, 77, 126 – 128, 143 f., 148, 164, 166, 186, 189, 198, 256, 266, 268 f., 309 Schuldner 11, 35, 37, 40, 43 – 46, 57, 63, 69, 72, 75 f., 78, 96, 98, 100, 107, 124, 128, 133, 142, 154, 164, 166 – 168, 183, 189, 192, 199, 206, 234, 309 Selbstorganisation 218, 265, 283

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Personen- und Sachregister

Selbstreproduktion 49, 265, 283 – Selbstreproduktionsfunktion 222, 266, 283 Shire 41, 52, 80 Silberprobe 125, 141 – blancus 45, 125, 141, 182, 189 – 191 – numero 45, 112, 125, 141, 149, 189 – 191 Sizilien 212, 215, 217, 298 Staat 14 f., 19, 21 – 23, 26, 72, 295, 298, 301 – 304, 306 – 308 Stephen 15, 17, 35, 65, 157 f., 192, 202, 251, 293 Steuer 21, 72, 96, 134, 282, 289, 307, 309 Summe 40, 43 f., 46, 59, 61, 65, 69 – 71, 75, 103, 112, 117, 127, 142, 164 f., 182 f., 185, 192, 194, 198 f., 204, 206, 210, 214, 231 f., 258 f., 264, 292, 309 Technik 23, 134 f., 161, 170 f., 175, 306 – Techniker 31, 139, 170, 172, 175 – Techniksprache 31, 85, 131, 135, 161, 171 f., 174 f. Transformation 25, 27, 180, 213, 219, 297, 300, 302, 307 – Transformationsmodell 179 f., 293 f., 296 f., 299 f. – Transformationsprozess 32, 208, 213, 220, 222

Überschriften 39, 55, 149, 162, 186 – 189, 206, 214, 228, 242, 244 Unintentionalität 12, 19, 32, 179, 213, 215 f., 218 – 220, 278 f., 292, 295, 304, 309 Verfügung 14, 34, 36, 40, 46 f., 69 f., 76 f., 90, 92, 94, 96, 102 f., 113, 115, 124 f., 128 f., 138, 153, 164 f., 168, 173 f., 182,

185, 193, 197, 214, 225, 239, 242 f., 256, 259, 270, 286, 290 Vergebung 46, 76 – 78, 110, 113, 124 f., 128, 132, 152, 268, 270 Verwalter 12, 15 – 17, 25, 31, 34, 40 – 43, 73, 77, 85 f., 137 – 139, 151, 155 – 157, 159, 161, 168, 171, 173 f., 177, 179, 182, 213 – 215, 217, 221, 227, 250, 260 – 262, 270, 285, 292, 294, 306, 308 Vorladung 43 f., 48, 127, 142 f., 166, 255, 258 Warwickshire 52 Westminster 34 f., 44, 225, 235, 249, 260 f., 273 William Cumin 77, 155, 158 William de Sainte-MÀre-Eglise 152, 154, 158 William I 33, 82 William of Ely 86 William of Newburgh 157 Wiltshire 52, 103, 236, 240 Winchester 35, 44, 56, 65 f., 100, 155 f., 193, 201, 285 f. Windsor 65, 103 Wissen 12, 22 f., 25 – 27, 32, 35, 41, 85 f., 91 – 93, 109, 133 – 135, 137 f., 144, 147, 150 f., 155, 159 – 161, 165 – 168, 170, 178, 269, 273 f., 280, 283, 286, 299, 302 – 304 Worcestershire 190, 269 Writ 94, 185, 235 f., 249, 259 f., 286, 293 Yorkshire

52, 57, 101, 116

Zahlen 17, 63 – 65, 67 f., 70, 72, 74, 76, 95 f., 98, 105, 110, 121, 165, 184, 202 Zehnt 122, 125, 160, 200 f., 214, 217 Zins 105 f., 125 f., 136, 144 f.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367230 — ISBN E-Book: 9783647367231

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